Untertanen, Staatsbürger und Andere: Der Umgang mit ethnischer Heterogenität im Britischen Weltreich und im Habsburgerreich 1867-1918 9783666370113, 9783525370117

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Untertanen, Staatsbürger und Andere: Der Umgang mit ethnischer Heterogenität im Britischen Weltreich und im Habsburgerreich 1867-1918
 9783666370113, 9783525370117

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Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft

Herausgegeben von Helmut Berding, Jrgen Kocka, Paul Nolte, Hans-Peter Ullmann, Hans-Ulrich Wehler Band 189

Vandenhoeck & Ruprecht

Benno Gammerl

Staatsbrger, Untertanen und Andere Der Umgang mit ethnischer Heterogenitt im Britischen Weltreich und im Habsburgerreich 1867 – 1918

Vandenhoeck & Ruprecht

Mit 9 Abbildungen, 4 Diagrammen, 7 Tabellen und 5 Karten

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet ber http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-525-37011-7 Umschlagabbildungen aus: Okuba, M. / Sˇosˇe, M., Bosnien-Herzogovina vor 100 Jahren in Wort und Bild, Tuzla 2004, S. 101, 107 und 115. Gedruckt mit Untersttzung des Fçrderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG Wort und gefçrdert vom Bundesministerium fr Wissenschaft und Forschung in Wien.

 2010 Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co KG, Gçttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschtzt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fllen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile drfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages çffentlich zugnglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung fr Lehr- und Unterrichtszwecke. Printed in Germany. Druck und Bindung: a Hubert & Co, Gçttingen Gedruckt auf alterungsbestndigem Papier.

Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einleitung: Methoden, Begriffe, Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Teil I: Nationalstaatliche, etatistische und imperialistische Logiken in verschiedenen Teilen der beiden Reiche 1. Nationalisierung: Kanada und Ungarn . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1. ber Integrationsbemhungen und rassistische Exklusionen zu den Anfngen einer kanadischen Staatsangehçrigkeit . . . . 1.2. Von der Schaffung einer ungarischen Staatsangehçrigkeit ber die Magyarisierungspolitik zur Nationalisierung des Rechts . . 1.3. Nation und Reich: Anmerkungen zu einer komplizierten Beziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Etatistische Anstze: sterreich und Indien . . . . . . . . . . . 2.1. Vom ethnisch neutralen Staat zur cisleithanischen Anerkennungspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2. Gleichheitsversprechen und „rassische“ Diskriminierung in Indien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3. Produktion und Feststellung ethnischer Identitten . . . . .

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3. Imperialistische Situationen: Ostafrika und Bosnien . . . . . . . . . 3.1. Koloniale Angehçrigkeit, Migrationsrestriktionen und Anstze einer Anerkennungspolitik in Bosnien und der Herzegowina . 3.2. Recht und rassistische Diskriminierung in Britisch-Ostafrika . 3.3. Imperialistische Politik und Rassismus . . . . . . . . . . . . .

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4. Zwischen Nation, Staat und Empire: Das Vereinigte Kçnigreich . . . 217 Teil II: Der Umgang mit ethnischen Differenzen im Britischen Weltreich und im Habsburgerreich 5. Ethnische Neutralitt im spten 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . 246 5.1. Neutralitt der imperialen Politik im habsburgischen und im britischen Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 5.2. Ethnische Unterschiede und religiçse, soziale sowie geschlechtliche Differenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 5

6. Die Ethnisierung des Rechts im frhen 20. Jahrhundert . . . . . . . 285 6.1. Imperialistische Logik im britischen und Nebeneinander unterschiedlicher Logiken im habsburgischen Fall . . . . . . . 285 6.2. Biomacht und Ethnisierung: Spaltung der Bevçlkerung im Britischen Weltreich und Spaltung der Macht in sterreich . . 317 7. Der Krieg und der Umgang mit ethnischen Differenzen . . . . . . . 327 Schluss: Ergebnisse, Erklrungsanstze, Thesen . . . . . . . . . . . . . 335 Verzeichnis der Abbildungen, Karten, Tabellen und Diagramme . . . . 357 Abkrzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 Quellen- und Literaturverzeichnis Archive . . . . . . . . . . . . Gesetze . . . . . . . . . . . . . Amtliche Verçffentlichungen . Periodika . . . . . . . . . . . Einzelpublikationen . . . . . . Quelleneditionen . . . . . . . Sekundrliteratur . . . . . . .

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Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 Orts- und Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398

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Vorwort Mein Weg zu diesem Buch htte entbehrungsreich und mhsam sein kçnnen, wenn mich nicht viele Menschen und Institutionen so unermdlich begleitet und so großzgig untersttzt htten. Zunchst danke ich Dieter Gosewinkel und Jrgen Kocka, die mit ihrem großen Interesse sowie mit ihren wertvollen und ermutigenden Anstçßen dieses Projekt in unschtzbarer Weise begleitet haben. Das Berliner Kolleg fr Vergleichende Geschichte Europas und die Gerda Henkel Stiftung boten mir einen hervorragenden intellektuellen und finanziellen Rahmen fr mein Projekt. Whrend meiner Forschungsreisen untersttzten mich der Deutsche Akademische Austausch Dienst, der sterreichische Austauschdienst und das Deutsche Historische Institut in London. Bei meinen Recherchen im Public Records Office, in der British Library und im Archiv des India Office sowie im sterreichischen Staatsarchiv, in der sterreichischen Nationalbibliothek und der Universittsbibliothek Wien konnte ich dank der Hilfe kundiger Archivare und Bibliothekarinnen so manche Klippe zgig umschiffen. Die Publikation meiner Arbeit ermçglichten der Fçrderungsfonds der VG Wort und das Wissenschaftsministerium in Wien. Engagiert und mit ntzlichen Hinweisen begleiteten mich die Herausgeber der Kritischen Studien sowie die Mitarbeiter des Verlags auf der Zielgeraden. Undenkbar wre dieses Buch ohne den fruchtbaren und heiteren Austausch mit den Freundinnen und Freunden, die ich am Berliner Kolleg gewonnen habe. Margrit Pernau und Heidemarie Uhl bin ich sehr dankbar fr ihre wohlwollende Kritik. Die Hilfe und die Gastfreundschaft von Bernd, Clemens, Diter, Martina, Rachel, Rio, Stephen und Tanja werde ich nie vergessen. Georg Neuhaus und Sven Rcker gilt mein besonderer Dank fr die aufmerksame und geduldige Lektre des Manuskripts. Meine Geschwister und meine Mutter haben mich auch in den letzten Jahren liebevoll begleitet. Zuletzt danke ich meinem Freund Franz, nicht nur dafr, dass er mir bei der Arbeit so unvergleichlich zur Seite stand. Ich widme dieses Buch meinem leider viel zu frh verstorbenen Vater. Berlin, im November 2009 Benno Gammerl

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Einleitung: Methoden, Begriffe, Fragen

„Dahaam statt Islam“ lautete einer der Wahlkampfslogans der rechtsextremen FP im çsterreichischen Nationalratswahlkampf 2006. Diese Parole ist, wçrtlich genommen, ebenso sinnlos wie die frei erfundene Formel „Am Bahnhof statt Christentum“. Aber die auf xenophobe Ressentiments spekulierende Partei wollte wohl zum Ausdruck bringen, dass Muslime in sterreich nie eine Heimat finden kçnnten und sollten. Fr mich als deutschem Staatsangehçrigen, mit einem Forschungsstipendium nach Wien kommend, war die Erlangung der fremdenrechtlichen „Anmeldebescheinigung fr EWRBrger/-innen und Schweizer Brger/-innen“ hingegen eine zwar lstige, aber unproblematische Prozedur. Auch whrend meiner Recherchen in Großbritannien gab es Debatten ber die kulturellen Unterschiede zwischen den dort lebenden Menschen. Man diskutierte die Frage, ob Sikhs ihren Turban, Rastafaris ihre Mtze und muslimische Frauen ihren Schleier vor englischen Gerichten abnehmen mssten. Das brokratische Prozedere einer fremdenrechtlichen Meldung blieb mir im Vereinigten Kçnigreich erspart. Allerdings waren die Einreisekontrollen auf den Londoner Flughfen deutlich aufwndiger als in Wien-Schwechat. Nach den Anschlgen vom 7. Juli 2005 wurden auch die alltglichen Kontrollen intensiviert, zum Beispiel am Eingang zur British Library. In diesem Sommer ertappte ich mich selbst mehrmals bei paranoischen und rassistischen Blicken in die Gesichter von U-Bahn-Passagieren mit Rucksack und bei der Frage, ob es sich wohl um Einwanderer aus Pakistan handelte. Wer darf eine Grenze berqueren und wer nicht? Die Frage nach der Zugehçrigkeit oder Nicht-Zugehçrigkeit bestimmter Personen zu einem Gemeinwesen, und das Problem des Umgangs mit ethnischer Heterogenitt innerhalb politischer Verbnde gewinnen durch Immigrationsdebatten, aber auch durch die europische Integration zunehmend an Bedeutung. Mein Buch untersucht diese Thematik in historischer Perspektive. Der rechtliche und administrative Umgang mit ethnischen Unterschieden in zwei Imperien, also sowohl ethnisch als auch politisch heterogenen Rumen, nmlich im Britischen Weltreich und im Habsburgerreich des spten 19. und frhen 20. Jahrhunderts steht dabei im Zentrum. Differenzierungsmechanismen an den Außengrenzen sowie innerhalb der imperialen Angehçrigenverbnde sollen analysiert werden. Lassen sich Tendenzen zur Exklusion oder Inklusion bestimmter ethnischer Gruppen feststellen? Zielte man auf die rechtliche Gleichstellung aller Angehçrigen unabhngig von ihren ethnischen 9

Identitten? Oder wurde entweder in diskriminierender oder in anerkennender Absicht differenziert? Wie, wann und warum nderte sich der Umgang mit ethnischer Heterogenitt in den beiden imperialen Kontexten? Staatsangehçrigkeit und Staatsbrgerschaft: gegen West-Ost-Dichotomien Diese Fragen wird die folgende Untersuchung staatsangehçrigkeits- und staatsbrgerschaftsrechtlicher Entwicklungen beantworten. Das Buch trgt dadurch vor allem zur historiografischen Debatte ber die Rechtsinstitute bei, mittels derer Gesetzgeber eine Grenze zwischen In- und Auslndern ziehen und so das personale Fundament des Staates definieren. Die ltere, rechtshistorisch orientierte Forschung interessierte sich vor allem fr das spezifische Verhltnis zwischen Staat und Staatsvolk in der europischen Moderne, welches im Angehçrigkeitsrecht zum Ausdruck kommt.1 Jngere, historischsoziologisch fundierte Arbeiten stellen dagegen den Umgang mit ethnischen Differenzen ins Zentrum. Rogers Brubaker hat diesem Forschungszweig Bedeutung verschafft. In seinem franzçsisch-deutschen Vergleich entwickelt er die These, dass das deutsche Recht des ius sanguinis, nach dem Deutscher war, wer von Deutschen abstammte, von einem ethnisch-exklusiven Nationsverstndnis geprgt gewesen sei, whrend das strker dem ius soli folgende franzçsische Recht, nach dem die Geburt im Inland die Staatsangehçrigkeit begrnden konnte, auf ein politisch-inklusives Nationskonzept verweise.2 Diese Gegenberstellung hat Dieter Gosewinkel als simplifizierende Verkrzung kritisiert und in seiner Arbeit zum deutschen Fall das Abstammungsprinzip als Bestandteil einer modernen Rechtsordnung interpretiert, die zunchst unabhngig von ethnischen In- oder Exklusionsabsichten staatlichen Interessen folgte und erst im frhen 20. Jahrhundert nationalisiert und ethnisch-exklusiv aufgeladen wurde.3 Auch Arbeiten zum franzçsischen Fall haben gegen Brubaker die historische Komplexitt von rechtlichen Entwicklungen betont, die nicht unbedingt und eindeutig mit bestimmten Nationsvorstellungen in Zusammenhang gebracht werden kçnnten.4 Whrend das Staatsangehçrigkeitsrecht rein formal zwischen Angehçrigen und Nicht-Angehçrigen unterscheidet, wird der Status der Zugehçrigkeit im Staatsbrgerschaftsrecht mit materiellen Rechten gefllt. Die liberale Tradition schildert die Geschichte der Staatsbrgerschaft als kontinuierlichen Emanzipationsprozess, in dessen Verlauf durch die Ausdehnung brgerlicher, politischer und sozialer Rechte immer weitere Teile der Bevçlkerung in den 1 Grawert. Neuere Arbeiten untersuchen das Verhltnis zwischen Staat und Bevçlkerung eher in der administrativen Praxis, insbesondere bei der Erfassung von Individuen und im Pass- und Ausweiswesen. Caplan. Torpey. 2 Brubaker, Citizenship. Allerdings hat sich Brubaker spter von allzu groben Gegenberstellungen von „ethnic“ und „civic nationalism“ distanziert. Ders., Ethnicity without Groups. 3 Gosewinkel, Einbrgern und Ausschließen. 4 Noiriel, Etat, nation et immigration.

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Verband der gleichberechtigten Staatsbrger integriert werden.5 Die Dialektik von Inklusion und Exklusion, die kritische Studien betonen, trbt allerdings diese Erfolgsgeschichte. Einerseits fhrten exklusive Bestimmungen im Angehçrigkeitsrecht zum Ausschluss von der staatsbrgerlichen Egalisierung. Andererseits waren auch innerhalb der Angehçrigenverbnde Frauen und bestimmte ethnische Gruppen von Exklusionsmechanismen betroffen.6 Beim Umgang mit ethnischer Vielfalt innerhalb politischer Verbnde kann man zwischen assimilatorischen oder integrativen Anstzen, diskriminierenden Maßnahmen und einer Politik der Anerkennung unterscheiden. Assimilation erzwingt die Anpassung an eine vorgegebene Identitt, whrend die Gemeinsamkeiten im Fall von Integration in ergebnisoffenen Prozessen erst entstehen. Diskriminierung hingegen verschrft die Unterschiede und privilegiert oder benachteiligt bestimmte Gruppen. Anerkennung gesteht schließlich ein Recht auf die je eigene Identitt zu und garantiert die Gleichberechtigung der verschiedenen Gruppen.7 Imperien waren aufgrund ihrer Heterogenitt in besonderer Weise mit der Frage konfrontiert, wie sie rechtlich mit ethnischen Differenzen umgehen sollten. Umso berraschender ist es, dass sich die Forschung bisher fast ausschließlich auf nationalstaatliche Flle konzentrierte.8 Außerdem wurde zumeist entweder die Staatsangehçrigkeit oder die Staatsbrgerschaft untersucht, ohne diese eng miteinander verknpften Probleme zusammenhngend zu betrachten.9 Beide Unzulnglichkeiten, die Fixierung auf Nationalstaaten und die knstliche Eingrenzung des Gegenstands, berwindet diese Arbeit und trgt dadurch zur Weiterentwicklung der Forschungsfelder bei. Das Potenzial dieses Vorhabens beweist bereits eine flchtige berprfung der gngigen Gleichsetzung von Geburtsortsprinzip mit politischer Inklusion und von Abstammungsprinzip mit ethnischer Exklusion im Kontext der beiden imperialen Vergleichsflle. Whrend im britischen Recht das ius soli mit der Diskriminierung bestimmter ethnischer Gruppen zusammenfiel, folgte das çsterreichische Recht dem ius sanguinis und war gleichzeitig von Inklusion und von der Anerkennung ethnischer Differenzen geprgt. Die dichotomische Entgegensetzung muss also revidiert werden. Demzufolge ist auch eine kritische berprfung der herkçmmlichen Gegenberstellung von „modernen“, politisch-inklusiven Nationalstaaten in Westeuropa und „rckstndigen“, ethnisch-exklusiven Nationen in Osteuropa vonnçten. Diese Dichotomie lsst sich mindestens bis zu Friedrich Meineckes Unterscheidung von Staats- und Kulturnationen zurckverfolgen und infor5 In einem einflussreichen Aufsatz von 1950 skizzierte der britische Soziologe Marshall diese These. Eine Kritik an Marshall insbesondere mit Blick auf die Entwicklung in den britischen Dominions bietet Pearson, S. 989. 6 Fletcher. Appelt. Bader-Zaar. Dudink. Pierson, R. Piper. Soysal. Spinner. 7 Conrad, C. u. Kocka. Britz. Baubçck. Brems. Taylor. Gutman. Alderman. 8 Zum interessanten Fall eines ethnisch heterogenen Nationalstaats s. Argast. 9 In dieser Hinsicht stellen Fahrmeir, Citizens and Aliens, und Ders., Citizenship, Ausnahmen dar.

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miert letztlich auch Brubakers These.10 Sie ist nicht nur theoretisch hçchst fragwrdig, sondern auch empirisch nicht haltbar. Insbesondere der Blick auf das Britische Weltreich zeigt, dass auch angeblich politisch-inklusive Nationen eine ethnisch-exklusive und diskriminierende Politik betrieben. Die Zurckweisung des simplifizierenden West-Ost-Gegensatzes ist wesentlich in vier theoretischen, forschungspraktischen und methodischen Einwnden und Erweiterungen des Blickwinkels begrndet. Diese betreffen nicht nur die Untersuchung der Staatsangehçrigkeit, sondern auch das geschichtswissenschaftliche Arbeiten im Allgemeinen. Erstens ist es wichtig, den imperialen Kontext in die Betrachtung mit einzubeziehen; zweitens und damit zusammenhngend muss die Fokussierung der Geschichtsschreibung auf die Nation und den Nationalstaat aufgehoben werden; drittens gilt es, Annahmen ber ahistorische Gegenstze durch die Betonung von Wandel zu widerlegen; und viertens bietet insbesondere die Methode des Vergleichs eine Mçglichkeit, diese Ansprche einzulçsen.11 Theorien und Methoden: Imperiale, postkoloniale, transnationale und komparative Geschichte Es ist unerlsslich, die imperiale Dimension in eine Betrachtung der modernen europischen Geschichte mit einzubeziehen. Nicht nur im britischen und franzçsischen Fall fhrt die Nichtbercksichtigung des kolonialen Kontextes zu verkrzenden Verflschungen.12 Die europische Moderne war wesentlich von Imperien geprgt. Das verdeutlicht der Umstand, dass die Schweiz der einzige europische Nationalstaat ist, der in den letzten zwei Jahrhunderten weder als Peripherie noch als Metropole in eine imperiale Konstellation verwickelt war. Dennoch sind Untersuchungen, welche der imperialen Komplexitt metropolitaner und peripherer Entwicklungen gerecht werden, immer noch selten. Insofern versteht sich dieses Buch als Beitrag zu der in letzter Zeit verstrkt gefhrten Diskussion ber Imperien.13 Allerdings liegt ihr nichts ferner als die affirmativen Tçne, die Niall Ferguson in diese Debatte einge10 Meinecke. s.a. Kohn und Schieder. Ra’anan definiert als Grenze zwischen „nationalem“ Westen und „ethnischem“ Osten den Rhein. Gegen diese Dichotomie wendet sich Barkey : „The old ,ethnic east‘ and ,civic west‘ dichotomy does not hold; both political cultures had civic and ethnic components.“ Dies., Thinking, S. 108. 11 In Bezug auf das Staatsangehçrigkeitsrecht im europischen Vergleich tut dies Gosewinkel, Staatsangehçrigkeit und Nationszugehçrigkeit. Gosewinkels komparativer Ansatz argumentiert ebenfalls gegen die simplifizierende These vom West-Ost-Gegensatz und bercksichtigt die imperialen Kontexte. Insofern knpft die vorliegende Arbeit sowohl in inhaltlicher als auch in analytischer Hinsicht an diesen Ansatz an. 12 Zur Staatsangehçrigkeit in den franzçsischen Kolonien s. u. a. Weil. Saada. Zum deutschen Fall s. Wildenthal. 13 Nolte. Layne. Mnkler, Imperien. Steinmetz. Osterhammel, Imperien. Nach Barkey u. Hagen vernachlssigt die Forschung zu Imperien bisher die Frage, „how empires managed multiethnicity“. Dies., Conclusion, S. 182. Diese Lcke versucht die vorliegende Arbeit zu schließen.

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bracht hat.14 Die Arbeit zielt vielmehr auf eine Kritik imperialer Geschichte und auf eine Historisierung rassistischer Phnomene im Sinne Paul Gilroys.15 Durch eine ausgewogene und differenzierte historische Analyse will sie die Grundlage schaffen fr einen angemessenen Umgang mit dem imperialen Erbe, sowohl dem gerne erinnerten als auch dem gerne vergessenen, und fr eine stichhaltige Bewertung imperialer Tendenzen in der Gegenwart. In ihrer Konzentration auf Fragen der Identitt ist diese Untersuchung auch von der New Imperial History beeinflusst. Allerdings wird deren kulturgeschichtlicher Ansatz durch die Betonung rechtlicher Fragen erweitert. Außerdem zielen die neuen Imperialhistoriker und -historikerinnen, bei aller Bercksichtigung imperialer Wechselwirkungen, zumeist auf Prozesse in der Metropole und auf die Frage, wie periphere Phnomene sich beispielsweise auf die Identittsbildung im Vereinigten Kçnigreich auswirkten.16 Dieses Buch dezentriert stattdessen die historiografische Erzhlung, einerseits durch die komparative Weitung auf zwei imperiale Kontexte und andererseits dadurch, dass es die Entwicklungen in verschiedenen Teilen der beiden Reiche sowohl in ihrer wechselseitigen Bedingtheit als auch mit ihren lokalen Besonderheiten darstellt. Insofern steht die Arbeit Anstzen der postkolonialen Theorie nahe, insbesondere dem großen Anspruch, gegen die europische Selbstverortung in der Mitte der Welt anzuschreiben und die Rolle imperialer Peripherien außerhalb Europas zu betonen.17 Außerdem greift sie die These auf, dass im kolonialen Raum zwischen Innen und Außen ambivalente Identittspositionen des gleichzeitigen Dazugehçrens und Nichtdazugehçrens produziert wurden, die Homi Bhaba „split-identity effects“ nennt.18 Die zweite, wesentliche Perspektiverweiterung resultiert aus der Feststellung, dass nationale Einheiten nicht nur in heterogene imperiale Kontexte eingebettet, sondern auch in sich uneinheitlich waren. Obwohl wiederholt gezeigt wurde, dass die Identitt selbst der „klassischen“ westlichen Nationalstaaten in ihren kulturellen und sprachlichen, religiçsen und „rassischen“ Dimensionen niemals unumstritten war, impliziert die Rede vom Nationalstaat hufig die zumeist unreflektierte Annahme seiner ethnischen und anderweitigen Homogenitt. Die Analyse interner staatsbrgerschaftsrechtlicher Differenzierungsmechanismen verweist dagegen auf die ethnische Heterogenitt auch nationalstaatlicher Einheiten. Insofern war „die Nation“ 14 15 16 17

Ferguson. Zur Kritik an Ferguson s. Hirschhausen u. Leonhard, ,New Imperialism‘. Gilroy. Thompson. Burton. Colley. Conrad, S., Jenseits des Eurozentrismus. Chakrabarty. Im Hinblick auf das Staatsangehçrigkeitsrecht s. Conrad, S., Doppelte Marginalisierung, S. 167 f. Zur Frage, inwieweit postkoloniale Anstze auf sterreich-Ungarn bertragbar sind s. Feichtinger. 18 Bhaba, S. 91. Eine gedanklich hnliche Figur hat Agamben als „einschließende Ausschließung“ bezeichnet, wobei er an Carl Schmitts juristische und politiktheoretische Definition des Souverns und an die rçmische Rechtsfigur des „homo sacer“ anknpft. Dadurch baut er eine Brcke zur Rechtsgeschichte.

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durchaus nicht die einzige relevante Bezugsgrçße der historischen Entwicklung im 19. und 20. Jahrhundert. Deswegen kommt es darauf an, die Fixierung auf das Nationale zu relativieren und es in den Kontext alternativer Identittsund Kommunikationsstrukturen einzuordnen, wie es jngere, transnationale Anstze versuchen.19 Diesem Ziel dient die Unterscheidung nationalstaatlicher, etatistischer und imperialistischer Logiken, die es erlaubt, die supra- und infra-nationale Komplexitt des Staatsangehçrigkeits- und Staatsbrgerschaftsrechts zu erfassen. Diese Phnomene eignen sich insofern besonders fr eine transnationale Geschichte, als rechtliche Ex- und Inklusionsmechanismen im 19. und 20. Jahrhundert weltweit durchgesetzt wurden. Dabei kam es zu zahlreichen, nicht immer unumstrittenenen Transfers innerhalb und außerhalb Europas sowie zwischen verschiedenen Akteuren in den Metropolen und den Peripherien. Man kann von einem transnationalen Netzwerk sprechen, dessen Knoten die Untersuchung darstellt. Der dritte Einwand ist eine geschichtswissenschaftliche Selbstverstndlichkeit und kritisiert den ahistorischen Charakter der These von der WestOst-Dichotomie. Kontrastive historische Vergleiche verfestigen sich in der Rezeption oft zu einer Annahme zeitloser Unterschiede. Diese Gefahr hlt Historiker allerdings nicht davon ab, griffige Kontraste zu konstruieren, schon allein um der pointierten Thesen willen. Daraus ergibt sich die historiografische Aufgabe, immer wieder zu zeigen, dass sich auch Unterschiede verndern und selbst die Zukunft nie so bleiben kann, wie sie war. Deswegen achtet die Arbeit nicht nur auf das Neben- und Gegeneinander der drei genannten Logiken, sondern auch auf Verschiebungen, Vernderungen und Ablçsungen, in denen bestimmte Denk- und Handlungsmuster sich durchsetzten oder ihre Hegemonie einbßten. Die vierte Erweiterung des Blickwinkels bringt schließlich die Methode des Vergleichs mit sich. Sie ermçglicht Aussagen darber, ob die Typologie der nationalstaatlichen, etatistischen und imperialistischen Logiken verallgemeinerbar ist und ob parallele oder gegenlufige Vernderungsprozesse in beiden Imperien von hnlichen oder unterschiedlichen Faktoren herausgelçst wurden.20 Auf die Mçglichkeit, dass beiden Fllen gemeinsame Phnomene und Entwicklungen in Transfers und Verflechtungen begrndet sein konnten, wird man dabei trotz der relativ großen rumlichen Distanz zwischen den beiden Imperien achten mssen. Dieser Abstand war nicht nur ein geografischer. Er ergab sich auch aus den politischen Spannungen zwischen beiden Reichen, die sie schließlich zu 19 http://geschichte-transnational.clio-online.net (Stand: 5. 1. 2008). Hoerder. Grant geht allerdings zu weit, wenn er Imperien gleichsam als Geburtsorte transnationaler Bewegungen idealisiert. Cooper begrßt das zunehmende Interesse an Imperien, weil es zeige, dass „scholars and intellectuals are emerging from their obsession with the nation-state“. Ders., Empire Multiplied, S. 247. 20 Kaelble. Werner u. Zimmermann. Middell. Lorenz. Haupt u. Kocka. Welskopp. Matthes.

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Gegnern im Ersten Weltkrieg werden ließen. Daneben war die Diskrepanz auch in unterschiedlichen Selbstbildern begrndet, die explizit in Abgrenzung vom Gegenber konstruiert wurden. Die komparative Konstellation gewinnt gerade dadurch an Interesse, dass sie zwei Reiche vergleicht, die als Prototypen fr gegenstzliche Konzeptionen von Imperialitt im langen 19. Jahrhundert gelten kçnnen.21 Mit dem habsburgischen Fall steht ein kontinentales und zusammenhngendes Reich dem maritimen Britischen Weltreich mit seinen versprengten Territorien gegenber.22 Außerdem prgten – mit Konstitutionalismus und kodifiziertem rçmischen Recht im habsburgischen, ungeschriebener Verfassung und Common Law im britischen Fall – divergierende Rechtstraditionen die beiden Imperien. Auch in çkonomischer und machtpolitischer Hinsicht kam dem Britischen Weltreich und seiner Metropole London eine gnzlich andere Bedeutung zu als dem Habsburgerreich und Wien. Zwar legen diese fundamentalen Unterschiede einen kontrastierenden Vergleich nahe, aber jngste Forschungen haben demgegenber auch Gemeinsamkeiten der beiden Reiche betont.23 Einerseits begann die imperiale Expansion im britischen wie im habsburgischen Fall im 17. und endete mit der Desintegration im 20. Jahrhundert. Dabei hatten insbesondere die habsburgischen Erwerbungen in Bosnien und der Herzegowina einen den britischen Territorien vergleichbaren kolonialen Charakter.24 Andererseits standen die beiden Reiche um 1900 vor hnlichen Problemen. Denn in beiden Kontexten wurde nach einer Antwort auf die Frage gesucht, wie der Zusammenhalt und die Grçße der beherrschten Bevçlkerungen und Gebiete mit der wachsenden Bedeutung von Nationalismus und Demokratie vereinbart werden kçnnten.25 Aus diesen Beobachtungen resultierte in den letzten Jahren eine zunehmende Kritik an der dichotomisch angelegten Unterscheidung zwischen „modernen“ Imperien im Westen und „traditionalen“ Reichen im Osten Eu-

21 Nach Tilly ist „the extent of inequality between center and periphery“ ein wesentliches Kriterium fr verschiedene Typen der Imperialitt. Ders., S. 3. In hnlicher Weise bezeichnet Komlosy die „scharfe Trennung zwischen Mutterland und Kolonien“ als ein Spezifikum des Britischen Weltreichs im Vergleich mit sterreich-Ungarn. Dies., S. 57. Fr Cooper ist das Verhltnis von „incorporation and differentiation“ entscheidend. Ders., Empire Multiplied, S. 269. McGranahan und Stoler hingegen bezeichnen „degrees of tolerance, of difference, of domination, and of rights“ als wesentliche Unterscheidungsmerkmale. Dies., Preface, S. XI. 22 Karten 3, S. 258, und Karte 5, S. 267, zeigen die beiden Reiche. 23 Manche bezweifeln aufgrund der Diskrepanzen generell die Vergleichbarkeit west- und mittelosteuropischer Imperien. McGranahan u. Stoler stellen dieses Argument in die Schmuddelecke des (West-)Eurozentrismus, der flschlicherweise behauptet, der gleichsam einzig wahrhaft moderne Imperialismus sei der westliche. Dies., Preface, S. X. Zum wachsenden Interesse am Vergleich zwischen „land-based“ und „maritime empires“ Miller, The Value and Limits, S. 19 und 23 – 26. 24 Koller, S. 200. Komlosy, S. 10 und 28 f. Allerdings expandierte das Britische Weltreich im 19. Jahrhundert rasant, whrend sterreich-Ungarn sich kaum vergrçßerte. 25 Lieven, S. 165.

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ropas.26 Zugleich wurden die Gemeinsamkeiten beider Vergleichsflle als – so die hier verwendete Definition von Imperialitt – politisch und ethnisch heterogenen Reichen strker betont.27 Die Gliederung dieser Arbeit reflektiert die Ambivalenz zwischen hnlichkeiten und Diskrepanzen. Der erste Teil untersucht Phnomene, die in einzelnen Territorien der beiden Reiche gleichermaßen relevant waren, whrend sich der zweite Teil auf Unterschiede zwischen den beiden Imperien in ihrer Gesamtheit konzentriert. Dennoch birgt die schiere Grçße und Komplexitt der beiden zu vergleichenden Reiche das empirische Risiko, sich in inadquaten Gegenberstellungen zu verzetteln. Diese Gefahr erzwingt die Einbeziehung der imperialen Gesamtkontexte in die Betrachtung. Nur so kann man komparativen Schieflagen entgehen, die beispielsweise entstehen, wenn man das Vereinigte Kçnigreich mit sterreich-Ungarn vergliche.28 Wenn west-çstliche Dichotomien in Frage gestellt werden sollen, kann man auf ein komparatives Zusammendenken der zunchst als fundamental verschieden wahrgenommenen Umstnde westeuropischer und mittelosteuropischer Flle nicht verzichten. Gerade fr Imperien wurden solche Vergleiche in den letzten Jahren vermehrt gefordert, angeregt und skizziert.29 Allerdings fehlt es bisher an auf beiden Seiten empirisch fundierten und systematisch durchgearbeiteten Vergleichen. Diese Lcke zu schließen, ist eine der Aufgaben, die und der sich dieses Buch stellt. Die Analyse trifft dabei drei Vorsichtsmaßnahmen zum Schutz vor inadquaten komparativen Schlssen: Erstens konzentriert sich der Vergleich auf die leitende Frage nach dem rechtlichen und administrativen Umgang mit ethnischen Differenzen, welche die Untersuchung beider Imperien gleichermaßen instruiert. Zweitens sollen die Befunde immer wieder auf den ge26 Hobsbawm unterscheidet zwischen „colonial“ und „traditional empires“. Ders., The End of Empires. Lieven bezieht sich auf die Unterscheidung von „modern“ und „moribund“ Imperien, wobei er sterreich-Ungarn als „hybrid intermediate type“ bezeichnet. Ebd., S. 164. Miller distanziert sich von dieser Differenzierung und betont stattdessen, dass es falsch wre „to see … the Habsburg and Romanov empires, as a strictly traditional polity, totally deprived of the features of a modern state“. Ders., The Value and Limits, S. 20. 27 Zur Heterogenitt des Britischen Weltreichs s. u. a. Darwin, ,Britain’s Empires’. Zum habsburgischen Fall s. u. a. Maner. Zwischen Imperium, Empire und Reich wird im Folgenden begrifflich nicht unterschieden. Zur Diskussion dieser Begriffe s. Komlosy, S. 15. 28 Komlosy, S. 26 f, kritisiert solche Vergleiche anhand eines Beispiels, das mittels des unterschiedlichen Pro-Kopf-Einkommens ein „Entwicklungsgeflle“ zwischen dem Vereinigten Kçnigreich und dem Habsburgerreich konstatiert. Wenn diese Rechnung, so ihr Argument, die komplette Bevçlkerung des Britischen Weltreichs einbezçge, oder sich auf der anderen Seite auf die industrialisierten Kernlande der Monarchie beschrnkte, dann wre das „Entwicklungsgeflle“ weniger eindeutig. 29 Komlosy. McGranahan u. Stoler, Introduction. Ruthner. Miller, The Value and Limits. Barkey u. Hagen, Conclusion. Diese Verweise verdeutlichen den Schwung, den die Debatte ber Imperien in den letzten Jahren bekommen hat und auch die wachsende Bedeutung komparativer Anstze. Allerdings muss man feststellen, dass die Anstçße zur berbrckung der Kluft zwischen Ost und West meist von Spezialisten fr mittelosteuropische Imperien ausgehen.

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meinsamen Ausgangspunkt des Vergleichs, den ethnisch und politisch heterogenen Charakter beider Reiche, zurck bezogen werden. Dabei bedeutet politische Heterogenitt, dass die Reiche, anders als Staaten, nicht einheitlich regiert wurden, sondern sich aus rechtlich und administrativ unterschiedenen Territorien zusammensetzten.30 Die Komplexitt der Machtverteilung zwischen Metropole und Peripherien begrndet auch den Untersuchungszeitraum und damit die dritte Sicherheitsvorkehrung, nmlich die Synchronitt des Vergleichs. Dieser setzt mit dem Jahr 1867 ein, als die politische Struktur beider Reiche deutlich heterogener wurde: im habsburgischen Fall durch den Ausgleich zwischen sterreich und Ungarn und im britischen Fall durch den British North America Act, der Kanada weitgehende gesetzgeberische Autonomie zugestand. Die imperiale Struktur des Britischen Weltreichs war im Untersuchungszeitraum geprgt durch die politische, rechtliche und administrative Unterscheidung von vier Rumen: erstens den sogenannten Dominions, denen wie Kanada Selbstverwaltung zugestanden wurde; zweitens den Kolonien, die der Souvernitt der britischen Krone unterstanden, und unter denen Indien eine besondere Stellung einnahm; drittens den Protektoraten, die formal nicht zum britischen Hoheitsgebiet gerechnet und nur indirekt beherrscht wurden. Alle diese Territorien waren mehr oder weniger von der – viertens – imperialen Metropole, dem Vereinigten Kçnigreich, abhngig. In der politischen und administrativen Struktur des Habsburgerreichs hingegen war die Metropole deutlich schwcher ausgeprgt, und sowohl die çsterreichische als auch die ungarische Regierung agierten in inneren Angelegenheiten weitgehend unabhngig von der imperialen Obrigkeit, der lediglich Bosnien und die Herzegowina als koloniale Territorien direkt unterstellt waren.31 Der Erste Weltkrieg markiert das Ende der Untersuchung. 1918 begann die Desintegration beider Reiche, die im habsburgischen Fall mit katastrophaler Geschwindigkeit ablief, whrend die Auflçsung des Britischen Weltreichs mit der Loslçsung Irlands begann und allmhlich vonstatten ging.

30 Zur Unterscheidung von Reich und Staat s. Mnkler, Reich, Nation, Europa. Pierson, C. Eisenstadt, The Political Systems of Empire. 31 Die çsterreichische Regierung wurde auch als cisleithanische oder k.k. (kaiserlich-kçnigliche), die ungarische als transleithanische oder k.u. (kçniglich-ungarische) bezeichnet, whrend fr die gemeinsame Regierung der Ausdruck k.u.k. (kaiserlich und kçniglich) gebruchlich war.

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Ethnizitt: Versuch begrifflicher Klrungen Der Vergleich des Umgangs mit ethnischer Heterogenitt im Britischen Weltreich und im Habsburgerreich fhrt dazu, dass die Untersuchung einen weiten Begriff der Ethnizitt verwendet. Dieser umfasst die verschiedenen Formen ethnischer Differenzen in beiden imperialen Kontexten.32 Der zentrale Begriff „ethnisch“ soll deswegen im Rckgriff auf die umfangreiche wissenschaftliche Debatte kurz geklrt werden.33 Weil das gesamte semantische Feld des Ethnischen im Deutschen – beispielsweise „Volk“, „Stamm“ etc. – gleichsam flchendeckend vermint ist, haben die deutschsprachigen Sozialwissenschaften den Begriff der Ethnizitt – „ethnicity“ – aus dem angelschsischen Wissenschaftsdiskurs bernommen. Dieser Begriff erlaubt einige definitorische Sicherungen, die verhindern, dass er als primordiale oder essenzialistische Kategorie, als vorgegebenes und unabnderbares Grenzregime zwischen verschiedenen Gruppen von Menschen missverstanden wird. Denn die Annahme einer „,Unabwendbarkeit‘ der ethnischen Zugehçrigkeit birgt … in sich die Gefahr, dass das ewig ,Vçlkische‘ schlicht und einfach durch das zeitlos ,Ethnische‘ ersetzt wird“.34 Die erste Absicherung gegen ein essenzialistisches Verstndnis des Ethnischen betont, dass es bei der Bildung ethnischer Gruppen nicht so sehr darauf ankommt, dass deren Mitglieder aufgrund objektiver Kriterien zusammengehçren, sondern vielmehr darauf, dass diese Zusammengehçrigkeit angenommen oder geglaubt wird.35 Die Grundlage fr dieses ethnische Einheitsgefhl bilden nach den gngigsten soziologischen und anthropologischen Theorien kulturelle, religiçse und sprachliche Gemeinsamkeiten, die durch die Konstruktion einer gemeinsamen Geschichte und Herkunft zu einer ethnischen Identitt verdichtet werden. Ethnizitt ist also weniger kulturell determiniert als vielmehr sozial konstruiert. Dementsprechend richtet sich das Interesse der sogenannten Instrumentalisten auf die Interaktionsprozesse, die zur Herausbildung ethnischer Gruppen fhren, und auf die Trgerschichten – Ethnisierung durch Eliten „von oben“ oder als soziale Bewegung „von unten“ – und deren çkonomische und politische Interessen.36 Allerdings haben einige Forscher betont, dass die interessengeleitete Konstruktion ethnischer Identitten keineswegs aus dem Nichts heraus bewerkstelligt werden kann, sondern auf kulturelle Muster und Traditionen wie auf Institutionen angewiesen ist.37 Die zweite Sicherheitsschranke gegen ein Verstndnis der Ethnizitt als 32 In hnlicher Weise begrndet Wieland, S. 35, seine weite Definition des Ethnischen, die ihm den Vergleich zwischen Bosnien und Sdasien erlaubt. 33 Heinz. Zur Debatte ber Ethnizitt s. u. a. Jenkins. Guibernau. Ottersbach. Hutchinson. Erikson. Esser. 34 Giordano, S. 25. 35 Weber, S. 172 f. 36 Heckmann. 37 Smith, A.

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ursprngliches und unwandelbares Phnomen stellt die sogenannte Grenztheorie dar. Eine ethnische Gruppe konstituiert sich demnach nicht durch Identitt und Homogenitt im Inneren, sondern durch die Herstellung von Alteritt und Differenzen zu anderen Gruppen an den Außengrenzen. Ethnologische Anstze betonen dabei symbolische Kommunikationsprozesse und die Vernderbarkeit ethnischer Identitts- und Differenzmuster, die im Handeln der Beteiligten immer wieder aktualisiert werden mssen.38 Ein Vorteil dieser Theorien besteht darin, dass sie die innere Heterogenitt ethnischer Gruppen erklren kçnnen. Allerdings sind diese Anstze insofern problematisch, als sie im Extremfall jegliche inhaltliche Bestimmung der Ethnizitt verweigern und diese zu einem allgemeinen und unspezifischen Muster fr Gruppenbildung – „wir“ und „die anderen“ – machen. Eine dritte Mçglichkeit, sich gegen einen essenzialistischen Begriff der Ethnizitt abzusichern, bildet die Annahme, dass ethnische Differenzen nicht eindeutig fixierbar sind. Poststrukturalistische und postkoloniale Theoretiker weisen darauf hin, dass die imperiale Unterscheidung zwischen Kolonialherren und Kolonialuntertanen nicht zu eindeutigen Abgrenzungen fhrt, sondern uneindeutige und hybride Subjekte produziert.39 Diese Verunsicherung ethnischer Differenzordnungen reicht weiter als das Konzept multipler Identitten in anderen Ethnizittstheorien, die beispielsweise die Gleichzeitigkeit und Vereinbarkeit eines frnkischen, bayrischen, deutschen und europischen Zugehçrigkeitsgefhls postulieren. Der differenztheoretische und postkoloniale Ansatz behauptet dagegen die Mçglichkeit der Mischung von sich gegenseitig ausschließenden Identittspositionen. Diese dreifache Kritik an der objektiven Wahrheit, der Invariabilitt und der Eindeutigkeit ethnischer Identitt ergibt zusammen genommen eine Bestimmung, die ethnische Unterschiede als konstruiert, nderbar und unsicher begreift.40 In diesem Sinn wird im Folgenden von ethnischen Differenzen und Identitten die Rede sein. Von ethnischen Unterschieden spricht der Text insbesondere dann, wenn Gesetzgeber und Behçrden bestimmten Gruppen eine Zusammengehçrigkeit zuschrieben, die ber religiçse oder sprachliche Gemeinsamkeiten hinausreichte. Dabei spielten die Annahme einer gemeinsamen Abstammung und die offizielle Wahrnehmung von Zusammengehç38 Cohen, A. Barth. 39 Wieviorka. Bhaba. 40 Gegen eine solche Definition von ethnischen und anderen Identitten richtet sich die Kritik von Brubaker u. Cooper, Beyond ,Identity‘. Die Autoren befrchten, dass die „weichen“ Eigenschaften der Ethnizitt als nderbar und unsicher den Blick auf die „harten“ Effekte ethnischer Zuschreibungen trben. Diesem Argument kann man begegnen, indem man deutlich zwischen dem analytischen Begriff und dem, was die historischen Akteure unter ethnischer Identitt verstanden, unterscheidet. Auf diese Weise kann man – auch ohne die von Brubaker u. Cooper vorgeschlagenen Alternativbegriffe „identification“ und „groupness“ – die harschen Auswirkungen des Glaubens an unverrckbare Unterschiede beschreiben, ohne zu vergessen, dass gerade dieser Glaube erklrungsbedrftig ist und nicht gleichsam natrlich aus dem identitren Charakter der Ethnizitt resultiert.

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rigkeitsgefhlen eine bedeutende Rolle, wobei die historischen Akteure diese Identitten zumeist als vorgefundene und nicht hinterfragbare Tatsachen betrachteten. Dieser Arbeitsbegriff des Ethnischen ist vor allem in der Forschungsperspektive auf Recht und administrative Praxis und damit auf die Ethnizittsproduktion „von oben“ begrndet. Insofern werden die Hervorbringung und die Reproduktion ethnischer Identitten durch individuelle Akteure allenfalls peripher und im Rahmen einzelner Beispielflle in den Blick genommen. Inwiefern staatliche Eingriffe und Regierungstechniken die Etablierung ethnischer Differenzmuster prgten, wird hingegen detaillierter untersucht. Interessanterweise wurden dabei einige Fragen, die in der wissenschaftlichen Debatte heute noch relevant sind, bereits vor hundert Jahren intensiv von den offiziellen Stellen diskutiert. In sterreich stritten Statistiker und Politiker beispielsweise darum, ob die Feststellung der ethnischen Zugehçrigkeit auf dem subjektiven Bekenntnisprinzip oder auf objektiven Merkmalen basieren sollte. Der hier verwendete Arbeitsbegriff des Ethnischen betont die jeweils spezifischen Anknpfungspunkte fr die Herausbildung ethnischer Unterscheidungen. In diesem Zusammenhang ist die Diskrepanz zwischen ethno-kulturellen und „rassischen“ Differenzen von Bedeutung. Letztere basierten auf der Annahme biologischer Unterschiede, die zumeist als phnotypisch sichtoder feststellbar galten.41 Whrend man die ethno-kulturelle Identitt als erlernte oder erworbene und damit nderbare betrachten konnte, wurde die „rassische“ Zugehçrigkeit als angeborene und damit feststehende Eigenschaft angesehen. Unterscheidungen nach „rassischen“ Kriterien waren oft mit kolonialen Hierarchisierungen und pejorativen Kategorisierungen verknpft und schlossen die gleichberechtigte Anerkennung der „anderen Rasse“ aus.42 Insofern tendierten „rassische“ Differenzierungen zum Rassismus, also zur Diskriminierung der als fremd wahrgenommenen Gruppe.43 Diese historisch-deskriptive Charakterisierung des Begriffs soll hier gengen. Im Kontext des ostafrikanischen Beispiels wird sich die Untersuchung eingehender mit rassistischen Vorstellungen und Praktiken auseinandersetzen. Als analytisches Konzept taugt „Rasse“ wegen des implizierten Biolo41 Banton. Conze. Whrend im kolloquialen angelschsischen Sprachgebrauch „racial“ und „ethnic difference“ synonym verwendet werden, achtet man im Deutschen sorgsam darauf, den Begriff des „Rassischen“, wenn man ihn berhaupt verwendet, von dem des Ethnischen zu trennen. Außer dem semantischen Unterschied rechtfertigt der schlechte Geruch des deutschen Worts „Rasse“ diese begriffliche Hygiene. Untrennbar ist dieser Ausdruck mit der nationalsozialistischen Ideologie verknpft. Deswegen setzt die vorliegende Arbeit ihn und alle „rassisch“ aufgeladenen Bezeichnungen in distanzierende Anfhrungszeichen. 42 Allerdings gilt der Umkehrschluss hier nicht. Auch ethno-kulturelle Differenzmuster konnten von Vorurteilen und Hierarchisierungen geprgt sein. Fr den habsburgischen Kontext betonen dies Hoerder, S. 3. Kusber, S. 240. 43 Zum Rassismus als historischem Phnomen und als Konzept s. u. a. Fredrickson. Dankwortt. Miles.

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gismus ohnehin nicht. In analytischer Hinsicht sind „rassische“ Differenzen ebenso konstruiert, nderbar und unsicher wie ethnische Identitten.44 Deswegen begreift der Text „rassische“ Unterschiede als eine spezifische Ausprgung von ethnischen Differenzen. Zuletzt muss noch der Begriff des Nationalen von dem des Ethnischen unterschieden werden.45 Die wesentliche Differenz besteht darin, dass das Konzept des Nationalen der Sphre des Politischen und der Staatlichkeit nher steht.46 Dabei kçnnen Nationen in einigen Fllen mit einer ethnischen Gruppe kongruent sein, in anderen kommt es hingegen zu supra-ethnischen nationalen Integrationsprozessen. Deswegen ist es wichtig, ethnische Gruppen nicht als defizitre Nationen zu betrachten, was wiederum zur Dichotomie zwischen çstlichen, „rckstndigen“, außerstaatlichen, also ethnischen und westlichen, „modernen“, staatsgebundenen, also nationalen Identitten fhren wrde. Der qualitative Unterschied zwischen beiden ist keiner der Hçheroder Minderwertigkeit. Es gibt keine notwendige und irreversible Entwicklung von der ethnischen zur nationalen Identittsbildung. Interessant ist vielmehr die Frage, wann, unter welchen Bedingungen und auf welcher Ebene Politisierungs- und damit Nationalisierungsprozesse einsetzten und die Forderung nach unterschiedlichen Formen der politischen Selbststndigkeit erhoben wurde. Da es sich dabei um graduelle Entwicklungen handelt, kommt es zu bergangsphnomenen, fr die mitunter der Begriff ethno-national verwendet wird. Denn in Reichen nehmen Unabhngigkeitsforderungen oder Nationalismen oft komplexe Formen an, die das Narrativ der nationalen Emanzipation allein nicht zulnglich beschreiben kann.47 Nationalstaatliche, etatistische und imperialistische Logiken: Fragestellungen Den analytischen Rahmen des Vergleichs bildet die idealtypische Unterscheidung dreier Logiken der Entwicklung des Rechts und der administrativen Praxis im Umgang mit ethnischer Heterogenitt. Dabei wird der Begriff der Logik hier nicht in seiner spezifischen, syllogistischen, sondern in seiner kolloquialen Bedeutung verwendet. Insofern Logik sowohl auf Denkmuster

44 Auch „physical features“ kann man als kulturelle Konstrukte betrachten. Nash, S. 10 f. An der objektiven Falschheit „rassischer“ Differenzmuster besteht dagegen kein Zweifel: „Die Konstruktion von biologischen Menschenrassen, die sich dann kulturell hierarchisieren lassen, lsst sich wissenschaftlich nicht halten.“ Claussen, S. 2. Zur Debatte ber Rassismus s.a. Geulen, S. 15 – 19 und 42 – 47. 45 Zur Debatte ber Nation und Nationalismus s. u. a. Borggrfe u. Jansen. Weichlein. Kunze. Hroch, Das Europa der Nationen. Kriesi. Koselleck. Hobsbawm, Nationen und Nationalismus. 46 Erikson, S. 6 und 99. 47 Emerson. Rudolph. Pierson, R.. Kritik an unterkomplexen Gegenberstellungen von Reich und Nation ben Berger u. Miller, Nation-building.

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als auch – als Handlungslogik – auf Verhaltensmuster verweist, betont der Begriff die gleichzeitige Relevanz von Vorstellungen und Praktiken. Allerdings weist er auf ein grundlegendes Problem dieser Arbeit hin, in der die historischen Akteure mitunter gleichsam hinter den Logiken verschwinden. Individuelle Akteure tauchen zwar in einzelnen, beispielhaften Erzhlungen immer wieder auf, und die Entscheidungsspielrume bestimmter Akteursgruppen, insbesondere von Verwaltungseliten, kommen ebenfalls zur Sprache. Zudem werden Migrations- sowie Identittsbildungsprozesse, die letztlich auf den Handlungen oder Unterlassungen zahlreicher Menschen basieren, als ausschlaggebende Faktoren beschrieben. Aber systematisch bercksichtigt die Untersuchung die Mikroebene historischer Praktiken und Vorstellungen nicht. Das gilt auch fr die nur punktuell geschilderten Versuche individueller Akteure, den rechtlichen Rahmen zu unterlaufen und den administrativen Maßnahmen zu entkommen. Letztlich sind der Verzicht auf die ausfhrliche Darstellung der MikroDimension und die Konzentration auf Recht und Verwaltungspraxis dem Versuch geschuldet, ein weites und komplexes empirisches Feld zusammenhngend darzustellen. Allerdings muss trotz dieser pragmatischen Verkrzung der Eindruck vermieden werden, die freien oder gar willkrlichen Entscheidungen der Gesetzgeber und der Ministerialbeamten bestimmten den Lauf der Dinge. Im Gegenteil, die jeweils spezifische Position von Politikern und Administratoren innerhalb der komplexen imperialen Strukturen schrnkte ihren Handlungsspielraum ein. Machtverhltnisse, Rechtstraditionen, Migrationsbewegungen und Wahrnehmungsmuster prgten die Entscheidungen der politischen Akteure, die sich wiederum auf die Rahmenbedingungen auswirkten. Insofern kçnnen weder aus bestimmten Konstellationen gleichsam naturgesetzlich determinierte Resultate abgeleitet, noch darf die Bedeutung politischer Entscheidungstrger berbetont werden. Vielmehr kommt es darauf an, nicht mehr und nicht weniger zu zeigen, als dass es in imperialen Formationen verschiedene Mçglichkeiten gab, mit ethnischer Heterogenitt umzugehen, wobei die Betrachtung der Kontexte die Durchsetzung einer bestimmten Logik plausibel machen kann. Im Rckgriff auf die Literatur zu Staatsangehçrigkeit und Staatsbrgerschaft skizziert der folgende Abschnitt die Typologie der divergierenden Denk- und Handlungsmuster. Nach dem Durchgang durch die empirische Arbeit soll diese Typologie nochmals berprft und ergnzt, differenziert und gegebenenfalls revidiert werden. Den Ausgangspunkt vieler Studien bildet die nationalstaatliche Logik, die staatsbrgerschaftsrechtliche Binnenhomogenisierung und angehçrigkeitsrechtliche Abgrenzung des Staatsvolks miteinander verband.48 Am besten 48 Gosewinkel, Citizenship, Subjecthood, Nationality. Marshall. Zum Zusammenhang von Nationsbildung und innerer Homogenisierung in einem weiteren Sinn s.a. Mnkler, Reich, Nation, Europa, S. 65. Mnkler, S. 72, unterscheidet in seinem Text scharf zwischen Nation und Staat

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erforscht ist dieser Zusammenhang fr die Nationalisierung des franzçsischen Rechts im langen 19. Jahrhundert und fr die gleichsam nachgeholte Nationalisierung des deutschen Rechts im frhen 20. Jahrhundert.49 Diese Prozesse stellten zum einen durch die Ausdehnung politischer und sozialer Rechte, teilweise auch durch die Durchsetzung meist militrischer Pflichten, Rechtsgleichheit zwischen den Angehçrigen des Nationalstaats her.50 Dabei konnten ethnische Differenzen innerhalb des Staatsbrgerverbandes durch Assimilation verdrngt werden, oder, wie in multi-ethnischen Nationalstaaten, mehrere ethnische Gruppen eine nationale Einheit bilden.51 Gleichzeitig fhrten In- und Exklusionen an den Rndern des Angehçrigenverbandes zum anderen zur przisen Definition der nationalen Zugehçrigkeit. Dabei spielten Emigranten und ihre Nachkommen sowie mit Auslndern verheiratete Frauen, die entsprechend der nationalstaatlichen Logik in ihrer bisherigen Staatsangehçrigkeit verbleiben sollten, eine besondere Rolle. Fr Einwanderer war hingegen die Einbrgerungspraxis ausschlaggebend, wobei mitunter die ethnische Identitt der Immigranten darber entschied, ob sie als „Fremde“ ausgeschlossen oder als „Eigene“ aufgenommen wurden.52 Die Integration der Nationsmitglieder stand also im Zentrum der nationalstaatlichen Logik, wobei die Zugehçrigkeit als personale Qualitt der Betroffenen betrachtet wurde und unabhngig von deren Aufenthalts- und Wohnort war. Der etatistische Angehçrigenverband war dagegen wesentlich territorial definiert, da die entsprechende Logik die Kongruenz von Wohnbevçlkerung und Staatsvolk anstrebte. Dieses Denk- und Handlungsmuster wurde bisher vor allem im Kontext der deutschen Einzelstaaten im 19. Jahrhundert skizziert, wobei deren dezidiert anationales Selbstverstndnis eine bedeutende Rolle spielte.53 Die territoriale Prgung des Rechts war gemß der etatistischen Logik darin begrndet, dass Inlnder seitens der staatlichen Verwaltung leichter und effizienter kontrolliert werden konnten, wobei insbesondere die Durchsetzung der Wehrpflicht entscheidend war. Den Kern der etatistischen Logik bildete die in der Tradition des Aufgeklrten Absolutismus stehende rationalistische Vorstellung, dass alle angehçrigen Individuen in gleicher Weise dem Staat gegenber stehen sollten. Daraus resultierte ein Prozess der

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und wehrt sich gegen die weitverbreitete Annahme, dass beide Ordnungsmodelle gleichsam notwendig im Nationalstaat zusammenfallen mssen. Weil. Gosewinkel, Einbrgern und Ausschließen. Brubaker, Citizenship. Hippler. Flynn. Finlayson. Conrad, C. u. Kocka, J. Noiriel, Le creuset franÅais. Gosewinkel diskutiert die Auswandererfrage und die angehçrigkeitsrechtliche Position der Ehefrau fr den deutschen Fall im Kontext der Nationalisierung des Rechts. Gosewinkel, Einbrgern und Ausschließen, S. 178 – 190, 278 – 293 und 294 – 302. Zur ethnischen Exklusivitt der deutschen Einbrgerungspraxis s. ebd., S. 263 f und Trevisiol. Zu ethnischer Exklusion als nationalisierendem Prinzip im rumnischen und serbischen Recht s. Mller, D. Fahrmeir, Nineteenth-Century German Citizenships, S. 27 f und 67 f.

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staatsbrgerschaftsrechtlichen Egalisierung, der allerdings nicht so sehr eine Integration der einzelnen Angehçrigen zu einem Gesamtverband anstrebte, sondern in erster Linie die politischen, militrischen und çkonomischen Interessen des Staates durchsetzen sollte. Ethnische Differenzen waren im etatistischen Fall charakteristischerweise irrelevant. Sowohl die Kontrolle des Zugangs zum Staatsterritorium und zum Angehçrigenverband als auch die staatsbrgerschaftsrechtliche Egalisierung folgten dem Prinzip der ethnischen Neutralitt. Alle wurden unabhngig von ihrer ethnischen Identitt gleich behandelt. Wenn Konflikte zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen innerhalb des etatistischen Verbandes die staatliche Neutralitt stçrten, konnte die Verwaltung die Rolle eines supraethnischen Schiedsrichters annehmen, der die Gleichberechtigung der unterschiedlichen Bevçlkerungsteile garantierte. In diesem Fall kam es, wie vor allem die Entwicklung in sterreich im frhen 20. Jahrhundert zeigt, zu einer Politik der Anerkennung und zur Einfhrung ethnischer Differenzierungsmechanismen, die ein konfliktfreies Nebeneinander der verschiedenen Gruppen sicherstellen sollten.54 Die imperialistische Logik beruhte schließlich auf diskriminierenden Differenzierungen nach ethnischen Kriterien innerhalb eines Angehçrigenverbandes. Sie privilegierte eine Gruppe und benachteiligte andere. In kolonialen Kontexten kam der imperialistischen Logik große Bedeutung zu.55 Dieses Denk- und Handlungsmuster rckte die Frage ins Zentrum, wem Privilegien garantiert und wem sie verwehrt werden sollten. Dabei stand weniger das angehçrigkeitsrechtliche Problem des Zugangs zum meist ohnehin ethnisch heterogenen Angehçrigenverband, sondern vielmehr die Mechanik staatsbrgerschaftsrechtlicher Diskriminierung im Mittelpunkt. Whrend die imperialistische Logik also auf einer Hierarchisierung nach ethnischen Kriterien beruhte, fhrte die etatistische Logik zu einem Nebeneinander von Individuen oder ethnischen Gruppen, wohingegen die nationalstaatliche Logik auf die Integration aller Zugehçrigen abzielte. Wichtig ist, dass die drei Logiken zwar in gewisser Weise mit den drei politischen Organisationsformen – Nationalstaat, Staat und Reich – korrespondierten, aber nicht unbedingt mit diesen kongruierten. Am deutlichsten ist dies im Fall der imperialistischen Logik. Diese trat zwar zumeist in imperialen Kontexten auf, aber umgekehrt kam es nicht in jeder imperialen Konstellation zur Ausprgung imperialistischer Diskriminierungsmechanismen.56 Außerdem wurde 54 Zur Anerkennungspolitik im çsterreichischen Fall s. Stourzh, Die Gleichberechtigung der Nationalitten. Zur Bedeutung einer „principled tolerance of religious, cultural, and linguistic variations“ im Rahmen imperialer Formationen s. McGranahan u. Stoler, Introduction, S. 22. 55 Im kolonialen Kontext wurde das Staatsangehçrigkeitsrecht bisher nur vereinzelt untersucht. Oomen. Gosewinkel, Einbrgern und Ausschließen, S. 303 f. Wildenthal. Saada. 56 Insofern unterscheidet diese Arbeit zwischen dem spezifischeren Begriff imperialistisch, der an asymmetrische Machtbeziehungen gekoppelt ist, und dem allgemeineren Ausdruck imperial, der ethnisch und politisch heterogene Rume bezeichnet. Fr eine eingehende Diskussion des

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beispielsweise in Deutschland im frhen 20. Jahrhundert, also zeitgleich mit der Durchsetzung des nationalstaatlichen Musters, die polnische Bevçlkerung entsprechend der imperialistischen Logik diskriminiert und zugleich an etatistischen Traditionen festgehalten. Die drei Logiken des Umgangs mit ethnischer Heterogenitt konnten also in unterschiedlich verfassten politischen Einheiten und in verschiedenen Mischungsverhltnissen auftreten. Gerade deswegen orientiert sich der folgende Vergleich zweier Imperien am Analyseschema der drei Logiken, das eine Beschreibung der komplexen rechtlichen und administrativen Entwicklungen ermçglicht. Dabei wird die Frage im Zentrum stehen, in welchen Mischungsund Konfliktverhltnissen nationalstaatliche, etatistische und imperialistische Denk- und Handlungsmuster zueinander standen. Kann man Phasen definieren kann, in denen eine der drei Logiken das Recht und die administrative Praxis dominierte und bestimmte? Aus der Darstellung der drei Logiken ergeben sich eine Reihe von konkreten Fragen, welche die empirische Untersuchung leiten. Wurde das Staatsangehçrigkeitsrecht vom Geburtsorts- oder vom Abstammungsprinzip bestimmt? Wie wirkten sich diese Regelungen jeweils auf die Inklusion oder Exklusion von Einwanderern und Auswanderern aus? Spielten ethnische Unterschiede dabei eine Rolle? Bedeutsam war auch die rechtliche Position von Frauen, die einen Auslnder heirateten. Wechselten sie nach dem patriarchalen Prinzip der rechtlichen Einheitlichkeit der Familie in die Staatsangehçrigkeit ihres Ehemannes oder blieb ihr bisheriger Rechtsstatus erhalten? Einen weiteren empirischen Schwerpunkt bildet die Suche nach ethnisch-exklusiven Mechanismen im Einwanderungsrecht und in der administrativen Einbrgerungspraxis. Bei der Entwicklung des Staatsbrgerschaftsrechts steht die Frage im Zentrum, ob der Zugang zu politischen und sozialen Rechten ethnisch-neutral oder ethnisch-differenzierend geregelt wurde. Gab es innerhalb der Imperien unterschiedliche Rechtsstatus, die mehr oder weniger staatsbrgerliche Rechte transportierten? Falls nach ethnischen Kriterien differenziert wurde, geschah das in anerkennender oder diskriminierender Absicht? Wie begrndete man die jeweiligen Regelungen und Maßnahmen? Standen nationale Integrationsabsichten, staatliche Interessen oder imperialistische Hierarchisierungen im Vordergrund? Schließlich sollen die Antworten auf diese Fragen mithilfe der typologischen Unterscheidung zwischen den drei Logiken zusammengefasst und die staatsangehçrigkeits- und staatsbrgerschaftsrechtlichen Entwicklungen geImperialismus s. Bollinger. Schçllgen. Steinmetz, S. 339, differenziert zwischen Imperialismus als informeller und Kolonialismus als formeller Herrschaftsausbung. Diese Unterscheidung spielt zwar auch im Folgenden eine gewisse Rolle, aber die Untersuchung greift Steinmetz’ begriffliche Differenzierung nicht systematisch auf. Im Folgenden werden Kolonialimperien als imperialistische Formationen bezeichnet.

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deutet werden. Als Erklrungsfaktoren spielen zum einen politische Strukturen eine große Rolle. Diese Dimension umfasst sowohl die mehr oder weniger asymmetrische Machtverteilung zwischen Metropole und Peripherie als auch die Unterscheidung zwischen verbietenden und fçrdernden Regierungstechniken.57 Daneben waren zum anderen auch rechtliche und administrative Traditionen, kulturelle Wahrnehmungsmuster und Migrationsbewegungen relevant fr die Entwicklung der Staatsangehçrigkeit und der Staatsbrgerschaft. Forschungsliteratur, Quellen und Gliederung Die Geschichte des çsterreichischen Staatsangehçrigkeitsrechts zwischen 1867 und 1918 ist bisher wenig erforscht.58 Sowohl Hannelore Burger, welche die Einbrgerung von Juden in Cisleithanien untersucht, als auch Ulrike von Hirschhausen, die Recht und administrative Praxis in sterreich asymmetrisch mit Ungarn vergleicht, betonen den inklusiven Charakter der cisleithanischen Staatsangehçrigkeit, die verschiedenen ethnischen Gruppen in gleicher Weise offen stand.59 Daneben gibt es Studien zur ethnischen Differenzierung innerhalb des Staatsbrgerverbandes, die das çsterreichische Nationalittenrecht gleichsam als Vorbild einer Politik der Anerkennung darstellen.60 Eine zusammenfassende Analyse des habsburgischen Falls hingegen, die sowohl sterreich als auch Ungarn und insbesondere Bosnien mit einbezieht, fehlt bislang. Die Untersuchung wird zeigen, ob durch die Ausweitung auf den imperialen Gesamtkontext das Bild eines inklusiven und anerkennenden Staatsangehçrigkeits- und Staatsbrgerschaftsrechts revidiert werden muss. Außerdem kçnnten sich neue Perspektiven auf das in der Forschung umstrittene Verhltnis zwischen zentrifugalen, nationalistischen Tendenzen und zentripetalen, imperialen Kohsionskrften im Habsburgerreich ergeben.61 Die Forschung zum britischen Fall konzentriert sich zumeist auf das Ver-

57 Die Unterscheidung von fçrdernden und verbietenden Machtmechanismen geht auf Foucaults berlegungen zur Biomacht zurck. Foucault, Sicherheit, Territorium, Bevçlkerung, und Ders., Geburt der Biopolitik. Die Bedeutung dieser Differenz fr die Entwicklung des Staatsbrgerschaftsrechts betont Argast, S. 16 und 46 – 60, die im Sinn der Differenz zwischen Fçrderung und Verbot zwischen „gouvernementalen“ und „souvernen“ Herrschaftsformen unterscheidet. 58 Burger, Passwesen und Staatsbrgerschaft, erfasst die Entwicklung bis 1867. Hirschhausen, Von imperialer Inklusion zur nationalen Exklusion, beschftigt sich mit der darauffolgenden Periode. Daneben existieren ltere juristische Darstellungen. Goldemund. Seeler. Szlezak. 59 Burger, Heimatrecht und Staatsbrgerschaft. 60 Stourzh, The Multinational Empire Revisited. Ders., Die Gleichberechtigung der Nationalitten. Baier. Urbanitsch, Verwaltung und Rechtswesen. 61 Kritik an der „zum Multikulturalismus hochstilisierten“ Darstellung der ethnischen Heterogenitt des Habsburgerreichs ben Komlosy, S. 20, und Kusber. Zur Debatte ber das Verhltnis zwischen Zentrifugalitt und Zentripetalitt s. Berger u. Miller, Nation-building.

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einigte Kçnigreich.62 Umstritten ist dabei vor allem, wann die im 19. Jahrhundert prgende liberale Inklusivitt von ethnischen Exklusionstendenzen verdrngt wurde.63 Whrend David Cesarani und Ann Dummett bereits im frhen 20. Jahrhundert eine Ethnisierung des Rechts ausmachen, betont Mary Baldwin, dass insbesondere in der Einbrgerungspraxis und im Angehçrigkeitsrecht bis 1918 ethnische Differenzen irrelevant und ethnisch-neutrale Interessen des Staates ausschlaggebend waren.64 Seltener sind hingegen Studien, die den imperialen Gesamtkontext betrachten. Ann Dummett und Andrew Nicol kommen zu dem Ergebnis, dass die Spannung zwischen nationalen und imperialen Interessen zur Komplexitt und Uneindeutigkeit des Angehçrigkeitsrechts beitrug.65 Rieko Karatani interpretiert diesen Umstand als Beleg fr die Inklusivitt der britischen Staatsangehçrigkeit, weil die vielfltig abgestuften rechtlichen Status fr multiple Zugehçrigkeiten offen gewesen seien.66 Vor allem diese Inklusivittsthese soll im Folgenden kritisch berprft werden, denn insbesondere im kolonialen Kontext wre die Absenz von rechtlichen Exklusions- und Diskriminierungsmechanismen ein berraschender Befund. Deswegen wird die Entwicklung von Recht und administrativer Praxis in den imperialen Peripherien hier anhand dreier Beispiele systematisch mit einbezogen. Die Auswahl des Dominions Kanada, des Kaiserreichs Indien und des East Africa Protectorate soll die politische Heterogenitt des Britischen Weltreichs widerspiegeln. Whrend Untersuchungen zu Staatsangehçrigkeit und Staatsbrgerschaft im kolonialen Ostafrika bisher nicht vorliegen, hat A. N. Sinha fr den indischen Fall Diskriminierungen nach „rassischen“ Kriterien herausgearbeitet, welche nur „Weißen“ alle mit der britischen Staatsangehçrigkeit verbundenen Rechte zugestanden.67 Auch Patricia Roy, die die kanadische Entwicklung untersucht, betont die frhe Etablierung ethnisch-exklusiver Regelungen vor allem im Kontext der Immigration aus Asien.68 Es ist also zu vermuten, dass die rumliche Ausweitung der Untersuchung bisherige Forschungsergebnisse 62 Aus juristischer Perspektive s. Fransman. 63 Schçnwlder. Fahrmeir, Citizens and Aliens. 64 Baldwin. Cesarani, The Changing Character. Dummett, Citizenship and Nationality. Die meisten Arbeiten sprechen erst fr die Zeit nach 1945 von deutlichen Ethnisierungsprozessen. Weight. Paul. 65 Dummett u. Nicol, Subjects. 66 Karatani. Auch Gorman, S. 2, betont in seiner ideengeschichtlichen Untersuchung von britischen Konzepten imperialer Staatsbrgerschaft im spten 19. und frhen 20. Jahrhundert „efforts to integrate cultural, social, and political identities within a broader imperial identity“ und lsst das diesen Konzepten inhrente Diskriminierungspotenzial dabei weitgehend außer Acht. Zur Staatsbrgerschaft im imperialen Kontext s.a. McClelland u. Rose. 67 Sinha, A. konzentriert sich allerdings auf die Zeit nach 1945 und auf rechtliche Probleme im indisch-pakistanischen Teilungsprozess. Zur Debatte ber „whiteness“ s. Amesberger u. Halbmayr. 68 Roy.

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przisiert und widerlegt sowie neue Perspektiven auf die Fragen nach dem Verhltnis von Nation und Imperium und nach dem Umgang mit den kolonialen Untertanen im Britischen Weltreich erçffnet. Untersucht werden vor allem von staatlichen Institutionen produzierte Quellen, also Gesetzestexte und Verordnungen, Parlamentsdebatten und behçrdliche Aktenbestnde, fr den britischen Fall aus dem Home, dem Colonial, dem Foreign und dem India Office, fr den habsburgischen Fall aus dem cisleithanischen Innen- und dem çsterreichisch-ungarischen Außenministerium. Diese Auswahl ist in der Konzentration auf die Frage begrndet, wie Recht und Verwaltungspraxis mit ethnischer Heterogenitt umgingen. Aus demselben Grund beleuchtet die Arbeit die Rolle ethnischer Differenzen im Alltag allenfalls am Rande. Lediglich zeitgençssische Publikationen und die in den Behçrdenarchiven berlieferten Antrge und ußerungen außenstehender Akteure erlauben mitunter Einblicke in nicht-offizielle ffentlichkeiten, wobei selbst diese Dokumente hufig von regierungs- oder parteipolitischen Perspektiven geprgt waren. Die auf der Grundlage dieser spezifischen Quellen gewonnen Ergebnisse werden also sicherlich zum Verstndnis offizieller Denk- und Handlungsmuster beitragen. Man sollte sie aber nicht vorschnell und unvorsichtig verallgemeinern. Nach dieser Einschrnkung kçnnen die Analyse des genannten Materials und die Beantwortung der erwhnten Fragen beginnen. Im Zentrum des ersten Teils stehen unterschiedliche Territorien der beiden Reiche, wobei die Entwicklungen in Kanada und Ungarn, Indien und sterreich, sowie Ostafrika und Bosnien miteinander verglichen werden. Die Zuordnung dieser Beispielpaare beruht auf der Vermutung, dass sich signifikante hnlichkeiten im Sinne der Unterscheidung von nationalstaatlicher, etatistischer und imperialistischer Logik ergeben werden. Ein Abschnitt zum Vereinigten Kçnigreich, das sich einer klaren Zuordnung zu einem der drei Denkund Handlungsmuster entzieht, beendet den ersten Teil. Der zweite Teil analysiert und vergleicht in drei chronologisch gegliederten Abschnitten die Entwicklungen auf der Ebene der Gesamtreiche. Am Ende jedes Abschnitts finden sich Kapitel, die zunchst das Vorangegangene vergleichend zusammenfassen und die im Kontext der zuvor erarbeiteten Befunde Probleme vertiefend erçrtern, die fr den Umgang mit ethnischer Heterogenitt entscheidend waren. Diese Kapitel beschftigen sich mit dem Verhltnis zwischen Reich und Nation, mit der Produktion ethnischer Unterschiede, mit der Rolle rassistischer Vorstellungen, mit dem Verhltnis zwischen ethnischen und anderen Differenzmustern und mit der Unterscheidung von verbietenden und fçrdernden Machtmechanismen. Der Schluss wird letztlich die hier aufgeworfenen und in den empirischen Teilen behandelten Fragen zusammenfassend beantworten.

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Teil I: Nationalstaatliche, etatistische und imperialistische Logiken in verschiedenen Teilen der beiden Reiche

1. Nationalisierung: Kanada und Ungarn 1.1. ber Integrationsbemhungen und rassistische Exklusionen zu den Anfngen einer kanadischen Staatsangehçrigkeit Das Dominion of Canada entstand 1867 durch den British North America Act als Konfçderation mehrerer britischer Kolonien. In inneren Angelegenheiten genoss es weitgehende Unabhngigkeit von der imperialen Metropole. Das anglofone Oberkanada oder Ontario und das frankofone Unterkanada oder Quebec kamen dadurch unter eine gemeinsame Bundesregierung. Die fçderalen Konflikte zwischen dieser und den Regierungen der einzelnen Provinzen prgten von Beginn an die kanadische Politik. Im Zuge der Expansion nach Westen vermehrte sich das Konfliktpotenzial. 1869 und 1885 kam es bei der Aufnahme Manitobas in den kanadischen Bund zu Aufstnden der sogenannten Mtis, einer weitgehend franzçsischsprachigen Gruppe, die aus dem langjhrigen Zusammenleben von europischen Immigranten und indigenen Bevçlkerungsgruppen hervorgegangen war. Die Mtis forderten politische und kulturelle Privilegien und waren damit teilweise erfolgreich, obwohl die Regierung ihren Widerstand letztlich niederschlug. Auch die Integration der westlichsten Provinz British Columbia im Jahr 1871 fhrte zu zahlreichen Auseinandersetzungen, da die Provinz- und die Bundesregierung insbesondere bei der Migrationspolitik und im Umgang mit der indigenen Bevçlkerung fundamental unterschiedliche Anstze verfolgten. Sozial- und wirtschaftspolitische Divergenzen zwischen den sich abwechselnden konservativen und liberalen Regierungen bestimmten die kanadische Politik vor dem Ersten Weltkrieg. Daneben waren die Expansion nach Westen, der Bau der transkontinentalen Eisenbahnverbindung und die Einwanderung im Gefolge der Goldfunde in Klondike und der Besiedlung der Prrien in den neunziger Jahren entscheidend fr die Entwicklung Kanadas. Die indigene Bevçlkerung wurde in Reservate abgedrngt und die Ebenen zwischen den Seen und den Rocky Mountains zunehmend als rein „weißes“ Siedlungsgebiet definiert. Die Anwerbung von Einwanderern im Vereinigten Kçnigreich und in Westeuropa war insbesondere seit dem spten 19. Jahrhundert erfolgreich, wobei es zu sozialen und çkonomischen Konflikten zwischen den zuvor und den neu eingewanderten Europern kam. Dabei zeichnete sich eine zunehmende Diskrepanz zwischen imperialen und kanadischen Loyalitten ab. Die Ausprgung eines eigenstndigen Nationalbewusstseins war einerseits verknpft mit der Frage, ob sich Kanada mehr an das imperiale Mutterland oder eher an die Vereinigten Staaten binden sollte. Andererseits spielte die Aus30

einandersetzung um die Selbststndigkeit Irlands – nicht zuletzt aufgrund der Prsenz irischer Einwanderer – eine berragende Rolle bei der Entstehung national geprgter Argumentationsmuster in Kanada. Der Erste Weltkrieg trieb die Ambivalenz zwischen der pro-imperialen Untersttzung der britischen Kriegfhrung und der anti-imperialen Forderung nach mehr Selbststndigkeit fr Kanada gewissermaßen auf die Spitze. Einbrgerungspolitik und die rechtliche Inklusion der Immigranten Das Staatsangehçrigkeitsrecht in Kanada war weitgehend vom britischen Common Law bestimmt, das nach dem ius soli allen innerhalb des Herrschaftsbereichs der britischen Krone geborenen Personen den britischen Untertanenstatus verlieh. Dadurch integrierte das Recht die zweite Immigrantengeneration automatisch in den Staatsangehçrigenverband. Fr die Einbrgerung galten in Kanada allerdings spezielle Regelungen, die im Vergleich zu den im Vereinigten Kçnigreich geltenden Bestimmungen die Inklusion von Einwanderern erleichterten. Ein kanadisches Gesetz von 1881 verlangte abweichend vom britischen Naturalization Act von 1870 statt der dort vorgeschriebenen fnfjhrigen, nur eine dreijhrige Ansssigkeit als Bedingung fr die Einbrgerung.1 Auch die Gebhren fr die Naturalisation waren in Kanada mit 75 Cents deutlich niedriger als im Vereinigten Kçnigreich, wo die Einbrgerung 5 Pfund kostete.2 Den Willen zur zgigen Integration der Einwanderer in den britischen Staatsverband verdeutlicht auch die Art und Weise, wie sich das kanadische Parlament und die Regierung in Ottawa fr die Interessen insbesondere deutscher Immigranten einsetzten.3 1880 bergab die kanadische Regierung dem Colonial Office in London ein Memorandum, das „on behalf of the German naturalised subjects in Canada“ fr diese „as citizens of Canada, [who] pay our due proportion of taxes, perform all our various duties as such citizens, including militia service“ die Gleichberechtigung mit den anderen britischen Untertanen einforderte.4 Insbesondere wollten die eingebrgerten Deutschen im ganzen Britischen Weltreich als britische Untertanen gelten. Zudem verlangten sie unbegrenzt gltige Psse und baten um die Zusicherung diplomatischen Schutzes in Deutschland. 1 London, PRO, CO 383/23. s.a. Howell, S. 60 f. 2 London, PRO, FO 881/2306, Position of Aliens naturalized in British Colonies. Diese Information stammt aus einem Bericht des kanadischen Agrarministers Pope vom 15. 10. 1872, in dem er mit dem Argument der gnstigen Einbrgerungsbedingungen insbesondere Deutsche fr die Auswanderung nach Kanada zu gewinnen suchte: „It is not expedient … to make the naturalization of aliens within the limits of the dominion more difficult“. Die Gebhr im Vereinigten Kçnigreich betrug ungefhr ein Zwanzigstel, in Kanada ein Sechshundertstel des durchschnittlichen jhrlichen Lohneinkommens eines Arbeiters. 3 London, PRO, CO 45/851 und 852. Zur deutschen Einwanderung nach Kanada s. Wagner. 4 London, PRO, FO 83/799.

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Damit problematisierte das Memorandum die Ungltigkeit der kanadischen Einbrgerung im Rest des Empires und im Herkunftsland der Naturalisierten. Die Lçsung dieses Problems htte zum einen in einer reichsweiten Vereinheitlichung der Einbrgerungsgesetze und zum anderen in der Aushandlung eines Abkommens mit dem Deutschen Reich bestanden. Beide Maßnahmen htten die Verlngerung der fr die Einbrgerung in Kanada notwendigen Ansssigkeitsperiode auf fnf Jahre zur Folge gehabt und scheiterten daran, dass der kanadische Gesetzgeber nicht bereit war, die Naturalisation der Einwanderer zu erschweren.5 Immerhin kam das britische Außenministerium der Forderung nach zeitlich unbegrenzt gltigen Pssen noch 1880 entgegen. Allerdings konnten die Naturalisierten bei Besuchen in ihren Herkunftslndern auch weiterhin nicht auf britischen Schutz gegen die Wehrpflichtforderungen der dortigen Regierungen rechnen. Die Erleichterung der Einbrgerung war eine der Maßnahmen, mit denen die kanadische Regierung Immigrationsanreize schaffen wollte. Trotz aller Bemhungen blieben die Einwanderungszahlen in den ersten drei Dekaden nach 1867 jedoch hinter den Erwartungen zurck. Erst in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts siedelten mehr Einwanderer in den kanadischen Prrien, wobei die 1896 ins Amt gekommene Regierung unter Sir Wilfried Laurier sie massiv fçrderte (s. Diagramm 1).6 Bei den zwischen 1900 und 1914 aus den USA nach Kanada eingewanderten ca. 750.000 Menschen handelte es sich in den meisten Fllen um Re-Migranten, also um Personen, die zuvor von Kanada in die USA ausgewandert waren.7 Bei dieser Gruppe wird der enge Zusammenhang zwischen Einwanderungs- und Einbrgerungspolitik besonders deutlich. 1903 fhrte Kanada nmlich ein beschleunigtes Verfahren zur ReNaturalisation von Personen ein, die ihren britischen Untertanenstatus beispielsweise durch die Annahme der US-Staatsangehçrigkeit verloren hatten. Diese konnten bereits nach dreimonatiger Ansssigkeit in Kanada die Einbrgerung erlangen.8 Die erleichterte Rckeinbrgerung trug im kanadischen Fall zur Nationalisierung des Angehçrigkeitsrechts bei. Diese Tendenz bekrftigte ein Gesetz vom August 1914, das auch fr geschiedene oder verwitwete ehemalige Untertaninnen, die ihre britische Staatsangehçrigkeit durch Heirat mit einem 5 Die Fnf-Jahres-Frist schrieben die Abkommen zwischen den USA und dem Vereinigten Kçnigreich sowie dem Deutschen Reich, respektive den deutschen Einzelstaaten aus den sechziger und siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts gleichermaßen fest. Sie galt daher als internationaler Standard. London, PRO, FO 83/799, Colonial Office an Foreign Office, 5.1.1881. s.a. London, PRO, FO 881/2306, Colonial Office an Foreign Office, 27.5.1873. 6 Die Zahlen finden sich bei Scott, W., S. 520 – 524. In Prozent der Gesamtbevçlkerung (jeweils zum Beginn der Periode) betrug die Gesamtimmigration 1871 – 1880: 9,8 %, 1881 – 1890: 20,6 %, 1891 – 1900: 7,0 % und 1901 – 1910: 31,6 %. In der letzten Periode kamen mehr als die Hlfte, ca. 230.000, der kontinentaleuropischen Einwanderer aus der Habsburgermonarchie. 7 Knowles, S. 3 und 7 f. 8 Canada, An Act to amend the Acts relating to Naturalization and Aliens, 1903.

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*HVDPWLPPLJUDWLRQ *HVDPWLPPLJUDWLRQ   

$XV GHP8. 8. XQG XQG $XV GHP DQGHUHQ 7HLOHQ GHV DQGHUHQ 7HLOHQ GHV (PSLUH (PSLUH

  

$XV GHQ $XV GHQ86$ 86$

     

 

 

 

$XV $XV .RQWLQHQWDOHXURSD .RQWLQHQWDOHXURSD XQG GHP XQG GHPEULJHQ EULJHQ $XVODQG $XVODQG

Diagramm 1: Einwanderer in Kanada nach Herkunftslndern in absoluten Zahlen

Auslnder verloren hatten, ein beschleunigtes Verfahren zur Wiedereinbrgerung einfhrte.9 Die kanadische Einbrgerungspolitik folgte also einer nationalstaatlichen Logik. Sie war darauf ausgerichtet, allen Bewohnern den gleichen angehçrigkeitsrechtlichen Status und die gleichen damit verbundenen staatsbrgerlichen Rechte zuzugestehen. Davon profitierten zunchst alle Einwanderer gleichermaßen, unabhngig von ihrer ethnischen Identitt. Dass man vor allem „europische“ Immigranten im Sinne der nationalstaatlichen Binnenhomogenisierung den britischen Untertanen gleichstellen wollte, whrend man „Nicht-Weiße“ ausschloss, zeigt allerdings ein Blick auf die kanadische Migrationspolitik. Migrationspolitik und Exklusion der „Nicht-Weißen“ Die Frage, wer dazugehçren sollte und wer nicht, beantwortete im kanadischen Fall vor allem das Einwanderungsrecht. Die Verweigerung der Einreise bedeutete letztlich auch die Exklusion vom britischen Untertanenstatus und vom Genuss staatsbrgerlicher Rechte. Whrend die kanadische Regierung die „europische“ Einwanderung fçrderte, wiesen die Behçrden andere Gruppen an der Grenze ab.10 Dazu gehçrten zum einen „schwarze“ Migranten, 9 Diese Novelle wurde in bereinstimmung mit der Regierung in London beschlossen. London, PRO, HO 45/14522, Colonial Office an kanadische Regierung, 20.8.1914. 10 Allerdings differenzierte man bei den positiven Migrationsanreizen bereits sehr frh zwischen verschiedenen Gruppen europischer Einwanderer. Ein Bericht des k.u.k. Außenministeriums vermerkte 1901: „In der Besorgnis nmlich, die zunehmende ,Galician Immigration‘ kçnne in einzelnen Theilen des Landes ein berwiegen der Einwanderer gegenber der einheimischen

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die den 49. Breitengrad in Richtung Norden berqueren wollten.11 Die grçßte Gruppe jedoch, deren Immigration die Zeitgenossen lebhaft und kontrovers diskutierten, waren die „asiatischen“ Einwanderer, deren Zahl im frhen 20. Jahrhundert zunahm (s. Tabelle 1).12 Seit den achtziger Jahren versuchte die Provinz British Columbia wiederholt, die Immigration von Menschen aus Japan, China und Indien zu unterbinden.13 Im Zuge der Propaganda gegen die „asiatische“ Einwanderung, die um 1900 einen Hçhepunkt erreichte, wurde auch gefordert, die Einbrgerung von „Asiaten“ zu verbieten. Im Wesentlichen spielte sich die Auseinandersetzung um die „rassische“ Exklusion der „Asiaten“ jedoch im Bereich des Immigrationsrechts ab. Dabei kam es zu zahlreichen Konflikten zwischen der Provinzregierung in Victoria und der Bundesregierung in Ottawa, die am Prinzip der ethnischen Neutralitt des Rechts festhielt. Nach der Jahrhundertwende setzte sich die Forderung nach „rassischen“ Diskriminierungsmaßnahmen in einem von der Xenophobie der „weißen“ Bevçlkerung geprgten gesellschaftlichen Klima zunehmend durch.14 1907 beispielsweise veranstaltete die „Asiatic Exclusion League“ in Vancouver eine anti-asiatische Demonstration, in deren Verlauf es zu Krawallen kam. Die Demonstranten plnderten japanische und chinesische Geschfte.15 Eine Konsequenz dieser Vorflle war die 1908 eingefhrte Regelung, welche Japanern und „Indern“ die Einreise nur dann gestattete, wenn sie auf direktem Weg aus ihren Herkunftslndern nach Kanada reisten. Informelle Vereinbarungen mit den betroffenen Regierungen stellten zugleich sicher, dass solche direkten

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Bevçlkerung nach sich ziehen, hat die Regierung die galizischen Einwanderer von der fr Emigranten aus Europa den europischen Schiffsagenten eingerumten Bonification von 5 Dollars per Erwachsenen ausgeschlossen – eine Maßregel, gegen welche unser Vertreter vergebens protestiert hat.“ Wien, HHStA, Md, Adm. Reg., F 15, Ktn. 7, Memorandum ber Auswanderungsfragen, Mai 1901. „As unwelcome as black settlers were, no law was passed to exclude them, although administrators devised careful procedures to ensure that most applications submitted by black people were rejected.“ Knowles, S. 10. Scott, W., S. 526. Whrend die Zahlen japanischer Immigranten bei Scott, W. mit den Zahlen einreisender Japaner bei Roy, S. 270, identisch sind, weichen die Angaben zur chinesischen Immigration voneinander ab. Nach Roy reisten 1904 4.847 Chinesen nach Kanada ein, 1905 sank die Zahl drastisch auf 77, um ab 1908 wieder auf ber 2.000 zu steigen. Mçglicherweise ist diese Diskrepanz Scotts rassistischer Bedrohlichkeitshierarchie geschuldet, der zu Folge die „Japanese“ die grçßte Gefahr darstellten, whrend die chinesische Einwanderung nicht gleichermaßen Angst einflçßend war. London, IOR, Mss. Eur. D 819. In die gleiche Richtung zielten auch Gesetze, die Chinesen und Japaner vom Wahlrecht in British Columbia ausschlossen. Roy, S. XVI und 21 f. Diese Gesetze warfen die Frage auf, ob auch britische Untertanen chinesischer Abstammung vom Wahlrecht ausgeschlossen werden kçnnten. 1902 besttigte ein Gericht diese diskriminierende Gesetzgebung. Roy, S. 91 f und 154, spricht fr das frhe 20. Jahrhundert von einer Verschiebung innerhalb der Anti-Immigrations-Rhetorik von çkonomischen zu rassistischen Argumenten. Knowles, S. 36 f. Roy, S. 191.

Schiffsverbindungen nicht eingerichtet wurden.16 Die Wirksamkeit dieses Exklusionsmechanismus belegt Tabelle 1. Rechtlich entscheidend war jedoch das Einwanderungsgesetz von 1910, das der kanadischen Regierung erlaubte, „immigrants belonging to any race deemed unsuited to the climate or the requirements of Canada“ die Einreise zu verweigern. Dieses Gesetz verschrfte die Bestimmungen seines Vorgngers von 1906 auf drastische Weise und formulierte erstmals explizit ein „rassisches“ Exklusionskriterium.17 Staatsangehçrigkeitsrechtlich sind diese Exklusionsmechanismen deswegen besonders interessant und komplex, weil sie auch „indische“ Untertanen der britischen Krone betrafen, also Personen, die mit den kanadischen Briten denselben Angehçrigkeitsstatus teilten. Dennoch stieß diese Politik in der imperialen Metropole auf keinen grundstzlichen Widerstand. Im Gegenteil, eine Regierungskommission in London stellte 1914 fest: „In the early exclusion of Asiatics future historians will perhaps see the most important of all the results secured by the establishment of selfgovernment in the colonies.“18 Tabelle 1: Einwanderung von „Nicht-Europern“ nach Kanada in absoluten Zahlen „Negro“

„Chinese“

„Japanese“

„Hindoo“

1904/05

5

-

354

45

1905/06

42

18

1922

387

1906/07

108

92

2042

2124

1907/08

136

1884

7601

2623

1908/09

73

1887

495

6

1909/10

7

2156

271

10

1910/11

12

5278

437

5

1911/12

138

6247

765

3

16 Roy, S. 212. s.a. Knowles, S. 38. 17 Knowles, S. 32 f. Li, S. 137, spricht im kanadischen Kontext von „institutional racism“. Auf die damit verknpften rassistischen Denkmuster geht Kap. 3.3. genauer ein. 18 London, IOR, Mss. Eur. E 267/213, Practical Enquiry into the Nature of Citizenship in the British Empire and into the relation of its several Communities to each other, 1914, S. 120.

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Die Verhinderung der Immigration „indischer“ Untertanen Fr die Entwicklung des britischen Staatsangehçrigkeitsrechts ist der Ausschluss der „indischen“ Untertanen von besonderem Interesse, denn er verdeutlicht beispielhaft die Politik der Dominions, auch britischen Untertanen aufgrund ihrer ethnischen Identitt die Einwanderung zu verbieten. Auch in Neuseeland, Australien und in Sdafrika waren hnliche Exklusionsmechanismen wirksam. Dabei zielten die entsprechenden Gesetze explizit darauf, „nicht-weiße“ britische Untertanen von der Wahrnehmung der sozialen und politischen Rechte auszuschließen, von welchen nur die „europischen“ Bevçlkerungen der Dominions profitieren sollten.19 Politische und soziale Rechte wurden den britischen Untertanen nicht in ihrer Gesamtheit, sondern immer nur innerhalb bestimmter Territorien gewhrt. Der Untertanenstatus war eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung fr die Wahrnehmung staatsbrgerlicher Rechte im Britischen Weltreich. Zwischen Staatsangehçrigkeit und Staatsbrgerschaft trat der Wohnsitz in einem bestimmten Teil des Weltreichs als zustzliches Differenzkriterium. So konnte gewissen Gruppen von Untertanen die Wahrnehmung politischer und sozialer Rechte verwehrt werden, indem man ihnen den Zugang zu bestimmten Teilen des British Empire versperrte. Auch in Kanada entwickelte sich diese fr die Rechtsentwicklung der Dominions typische Parallelitt von ethnisch-exklusiver Immigrationspolitik und gleichzeitiger Ausdehnung der staatsbrgerlichen Rechte. Sie hatte eine rechtliche Heterogenisierung des britischen Untertanenverbandes zur Folge. Mithin vermittelte die britische Staatsangehçrigkeit allein keinerlei Anspruch auf staatsbrgerliche Gleichheit. Bei der Etablierung der Immigrationsrestriktionen stand die Frage im Zentrum, ob man die „rassischen“ Kriterien der Exklusion explizit formulieren oder implizit verschweigen sollte. Zumeist drngte die Regierung in London darauf, nur indirekt zwischen britischen Untertanen mit unterschiedlichen ethnischen Identitten zu diskriminieren. Zumindest formell wollte man an der Vorstellung eines einheitlichen Angehçrigenverbandes festhalten. Dabei zielte die britische Regierung darauf, das internationale Prestige des britischen Untertanenstatus zu schtzen und den Zusammenhalt des Weltreichs zu strken. In diesem Sinne informierte die kanadische Regierung im Vorfeld der ethnisch exklusiven Gesetzgebung von 1910 Delhi und London ber ihre Absichten, denn, 19 Besonders deutlich war dieser Konnex in Neuseeland ausgeprgt, das als Vorreiter bei der Etablierung politischer und sozialer Staatsbrgerrechte galt. Lusk. Reeves. 1893 fhrte Neuseeland das allgemeine Wahlrecht, auch fr Frauen, ein, und 1896 wurde das Old Age Pensions Law erlassen. Im gleichen Jahr verabschiedete das Parlament „An Act to prevent the Influx into New Zealand of Persons of Alien Race who are likely to be hurtful to the Public Welfare“. Interdepartmental Committee, S. 120.

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„because of the natives of India being British subjects, Sir Wilfried [kanadischer Ministerprsident, d. Vf.] had up to the present refused to enact any legislation affecting them. It was simply because of Sir Wilfried Laurier’s belief in the obligations which the British connection involved, that he had taken so strong a stand.“20

Zunchst versuchte die Regierung in Ottawa, die Exklusion von Einwanderern aus Asien als eine Maßnahme zu deren Schutz darzustellen. Die klimatischen Bedingungen und die starke Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt erlaube es den „asiatischen“ Einwanderern nicht, so das Argument, sich erfolgreich in Kanada zu etablieren. Deswegen sollte die indische Regierung in ihrer auf den Schutz der Emigranten gerichteten Gesetzgebung die Auswanderung verbieten.21 Diesen Vorschlag lehnte die Regierung in Delhi allerdings ab: „[It] appear[s] from Colonel Swayne’s reports that the position of the Sikhs and Hindus at present in British Columbia leaves little to be desired. He found that there was no justification for the statement that large numbers were unemployed and in distress. … it will be impossible in future to urge climatic considerations as a reason for discouraging, on humanitarian grounds, the emigration of Sikhs to British Columbia.“22

Diese Ablehnung war jedoch weder in einer generellen Skepsis gegenber den kanadischen Exklusionsabsichten noch im Anspruch auf rechtliche Gleichheit aller britischen Untertanen begrndet. Prinzipiell hatte die Regierung in Delhi keine Einwnde gegen den Ausschluss „indischer“ Untertanen, insbesondere solange nur arme Immigranten davon betroffen waren. Die im Gesetzentwurf vorgesehene Bestimmung, dass „immigrants may be required to possess a prescribed amount of money… which amount may vary according to the race, occupation or destination of such immigrant“, kam diesem Standpunkt Delhis entgegen.23 Whrend fr die indische Regierung das entscheidende Distinktionsmerkmal ein soziales war, zielte die Regierung in Ottawa auf „rassische“ Exklusion.24 Der kanadische Gesetzentwurf war „designed to check … any 20 London, IOR, L/PJ/6/888, file 3168, Bericht des kanadischen Vertreters Mackenzie King ber sein Gesprch mit dem Indienminister Morley in London im Mrz 1908. Dabei zitiert sich Mackenzie King an der zitierten Stelle selbst. Die Verpflichtung, welche die „British connection“ mit sich brachte, wurde im kanadischen Fall vor allem dadurch unterlaufen, dass aufgrund eines Vertrages mit Japan dessen Angehçrige rechtlich besser gestellt waren als „British Asiatic subjects“. Diese Praxis beschdigte, so das Argument, das internationale Prestige des britischen Untertanenstatus. London, IOR, L/PJ/6/864, file 1371, Mackenzie King’s confidential memo. s.a. ebd., L/PJ/6/888, file 3168. 21 London, IOR, L/PJ/6/864, file 1371, Mackenzie King an Morley, 14.4.1908. s.a. ebd., L/PJ/6/888, file 3168, Mackenzie King’s confidential memo on Indian immigration into Canada, Mai 1908. 22 London, IOR, L/PJ/6/864, file 1371, Governor-General an Colonial Office, 7.1.1909. 23 „[The Indian government] are content to let Canada refuse to receive British Indian subjects of the poorer classes.“ London, IOR, L/PJ/6/864, file 1371, Notiz zu einem Gesprch zwischen einem Vertreter der indischen Regierung und Mackenzie King, Mrz 1908. 24 In den erklrenden Bemerkungen zu dem Gesetzentwurf heißt es zur eben zitierten section 37

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sudden influx of immigrants whose habits of life, or physical or moral characteristics, are repugnant to Canadian ideals“.25 Des Weiteren wollte die Regierung die Zuwanderung auch deswegen verhindern, weil sie den Lebensstandard der kanadischen Bevçlkerung senken und die lokalen Arbeitsmrkte berlasten wrde. Man begrndete die rassistische Exklusionsabsicht des Gesetzes also auch mit sozialen und çkonomischen Argumenten. Das ist zwar wenig berraschend, denn die Warnung vor der sogenannten Lohndrckerei gehçrte zum gngigen Repertoire der Anti-Immigrations-Propaganda, aber die Beschreibung der dahinter liegenden gesellschaftlichen Utopie ist von weiterreichendem Interesse. Die Verknpfung von rassistischen und sozioçkonomischen Intentionen verdeutlicht die Gegenberstellung von zwei potenziellen Entwicklungspfaden insbesondere fr den kanadischen Westen. Auf der einen Seite ermçgliche, so die Prognose, der Import gnstiger Arbeitskrfte aus Asien eine rasante industrielle Entwicklung. Diese wrde wiederum eine große Kluft zwischen Armen und Reichen schaffen. Auf der anderen Seite, so der Gegenentwurf, kçnnten rassistische Immigrationsrestriktionen der allmhlichen Herausbildung einer weitgehend egalitren, agrarisch geprgten Gesellschaft den Weg ebnen. Im Sinne dieses Arguments zielte die kanadische Exklusionspolitik nicht nur auf die ethnische, sondern auch auf die soziale Homogenitt der Bevçlkerung. Nach Ansicht einiger Kanadier war es „a better thing for the Province of British Columbia that it should develop slowly, under conditions which permitted of the mass of the white population becoming the holders of small properties“. Nur so kçnnte man sicherstellen, dass die Bewohner auf Dauer „a stake in the community“, also ein Interesse am Gemeinwesen htten.26 Letztlich machte dieses Argument in ambivalenter Eleganz die demokratische Expansion politischer Partizipationsrechte auf mçglichst weite Kreise der Bevçlkerung von rassistischen Immigrationsrestriktionen und von der ethnischen Homogenitt der Bevçlkerung abhngig. Weil insbesondere der indischen Regierung daran gelegen war, dass diese ethnisch exklusive Politik nicht zu Maßnahmen fhrte, „which would publicly identify us with the policy of exclusion of Indians from other portions of the („amount may vary according to the race, occupation or destination“), dass hier der Begriff „class“ durch „race“ ersetzt worden sei, denn „under existing regulations an Asiatic is required to possess £ 40, and it is felt that this amount is not easily justified by the word ,class‘“. London, IOR, L/PJ/6/864, file 1371. Die erwhnte „existing regulation“ wurde Anfang 1908 auf dem Verordnungsweg eingefhrt. 25 Aus den erluternden Bemerkungen zu section 38 des Entwurfs. London, IOR, L/PJ/6/864, file 1371. In einer handschriftlichen Glosse dazu vermerkte ein Beamter des India Office: „,Canadian ideals‘ are not defined.“ 26 London, IOR, L/PJ/6/888, file 3168, Bericht Mackenzie Kings ber sein Gesprch mit Morley, Mrz 1908. Mackenzie King bezeichnet seine Rede an dieser Stelle als persçnliche Meinungsußerung, um die Differenz zur offiziellen Position der kanadischen Regierung zu markieren. Auch Pearson, S. 993, betont die Bedeutung von „egalitarian ideologies“ und „real and expansive … citizenship regimes“ in den Dominions.

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Empire“,27 war man zunchst bemht, die Einwanderung „indischer“ Untertanen nach Kanada informell zu verhindern. Diesem Zweck diente das Gebot, das die Einreise nach Kanada nur auf dem direkten Reiseweg erlaubte. Dadurch konnte allein die Canadian Pacific Railway Company Personen von Indien nach Kanada befçrdern. Dieses Unternehmen wies in Absprache mit der kanadischen Regierung seine Vertreter an, keine Tickets an „Inder“ zu verkaufen.28 Dieses Verbergen der ethnisch exklusiven Politik sollte Proteste vor allem „indischer“ Untertanen der britischen Krone verhindern, die sich gegen offensichtliche „rassische“ Exklusionen richteten. Zu solchen Protesten kam es im Mrz 1908, als die aus Indien in Vancouver eintreffenden Passagiere der „Monteagle were ordered to be deported by the Canadian Federal Authority“. Dieses Ereignis fhrte zu einer Demonstration von Indern in Vancouver, die gegen die Deportation und Exklusion ihrer „fellow subjects“ protestierten und die britische Regierung aufforderten, die Interessen der indischen Untertanen im ganzen Weltreich zu schtzen sowie ihre Gleichberechtigung zu garantieren. Andernfalls wrden „our brothers in India“ nicht bereit sein, die britische Herrschaft weiterhin zu tolerieren.29 Ethnische Differenzen im Innern: Frankokanadier und indigene Bevçlkerungen An den kanadischen Außengrenzen waren ethnische Differenzen auf verschiedene Weise relevant. Whrend „europische“ Immigranten rasch rechtlich integriert und kulturell assimiliert werden sollten, wies man „asiatische“ Einwanderer ab, weil sie als nicht assimilierbar galten. Das Problem des Umgangs mit ethnischer Heterogenitt stellte sich jedoch auch innerhalb des kanadischen Territoriums und zwar in mindestens zweierlei Hinsicht:30 Zum einen war die Differenz zwischen Anglo- und Frankokanadiern von Bedeu27 London, IOR, L/PJ/6/864, file 1371, indische Regierung an India Office, 20.5.1909. s.a. ebd., India Office an Colonial Office, 9.3.1910. 28 London, IOR, L/PJ/6/888, file 3168. Ein restriktives Einwanderungsgesetz dagegen, so argumentierte Mackenzie King im Sinne dieser Doppelmoral, „might appear to be directed against East Indians“. Ein anderer informeller Plan zur Entfernung indischer Untertanen aus Kanada wollte „the indigent unemployed East Indians in British Columbia“ nach Britisch-Honduras verfrachten. Dieses Vorhaben, indische Arbeiter en bloc an Plantagenbesitzer in Mittelamerika zu vermitteln, realisierte man allerdings nicht, wohl nicht zuletzt deswegen, weil die im Kontext dieses Plans gettigten Bestechungen ruchbar wurden. London, IOR, L/PJ/6/864, file 1371. 29 London, IOR, L/PJ/6/864, file 1371, indischer Vertreter Mdayran aus Vancouver an Indienminister Morley, 23.3.1908. s.a. ebd., L/PJ/6/888, file 3168, Mackenzie King’s confidential memo, S. 10. Zu diesem Fall fragte der Unterhausabgeordneten Wedgewood die britische Regierung am 25. 3. 1908, ob sie das Vorgehen der kanadischen Behçrden untersttze. Der damalige Kolonialminister Winston Churchill verweigerte eine Antwort. London, IOR, L/PJ/6/864, file 1371. 30 Nur am Rande sei darauf hingewiesen, dass die sozio-kulturelle Integration der europischen Immigranten – auch derjenigen aus dem Vereinigten Kçnigreich – keineswegs immer unproblematisch war. Knowles, S. 19, 35 und passim.

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tung. Die franzçsischsprachige Minderheit verfgte bereits seit 1867 innerhalb der Provinz Quebec, wo sie die Mehrheit bildete, ber weitgehende Autonomie in inneren Angelegenheiten. Auch darber hinaus genoss die frankofone, katholische Bevçlkerung im Sprachenrecht und bei der Organisation des konfessionellen Schulwesens gewisse Privilegien. Das kanadische Recht konstruierte diese „rights of cultural minorities“ allerdings zumeist als individuelle Ansprche. Ein kollektives Recht ethnischer Minderheiten auf Gleichberechtigung mit anderen Gruppen innerhalb der kanadischen Bevçlkerung existierte nicht.31 Whrend das Recht der Frankokanadier auf kulturelle Differenz weitgehend anerkannt war, verfuhr man mit der zweiten relevanten ethnischen Differenz, der zwischen den „weißen“ Siedlern und der autochthonen Bevçlkerung, den „Indianern“, anders. Was die Behandlung dieser Differenz anlangt, kann man innerhalb der kanadischen „Indianerpolitik“ vier Logiken oder Argumentationsmuster unterscheiden. Zum einen schloss die Regierung Vertrge mit Vertretern der indigenen Bevçlkerung, in denen diese die europische Landnahme akzeptierten, wofr man ihnen im Gegenzug zumeist den Schutz durch die britische Krone, Reservate und regelmßige Geldzahlungen zusicherte. Diese Vereinbarungen hnelten internationalen Abkommen zwischen souvernen Staaten, auch wenn die Regierung wiederholt betonte, dass die Vertragspraxis keine Anerkennung indigener Souvernitt implizierte. Aus diesen Vertrgen ergab sich die Notwendigkeit, rechtlich festzulegen, wer „Indian“ war und wer nicht, wer also Zugang zu Reservatsland und zu den erwhnten Zahlungen haben sollte und wer nicht.32 Dadurch entwickelte sich im kanadischen Recht unter der Bezeichnung „Indian status“ eine Art internes Angehçrigkeitsrecht.33 Abgesehen von den vertraglich zugesicherten Privilegien waren die sogenannten Indianer zunchst jedoch als britische Untertanen den „weißen“ Briten rechtlich gleichgestellt. Das belegt ein Gerichtsurteil von

31 Macklem, S. 62 f., u. a. zum Schutz der frankofonen Minderheit im Constitution Act von 1867. Allerdings war das Verhltnis der Frankokanadier zur englischsprachigen Mehrheit trotzdem nicht immer unproblematisch, wie die „Conscription Crises“ von 1917 verdeutlicht, als man der Bevçlkerung von Quebec vorwarf, dass sie sich der nationalen Pflicht des Kriegsdienstes entziehen wrde. Morton, S. 56 f. 32 Die letztlich auf den kolumbianischen Glauben daran, den Seeweg nach Indien gefunden zu haben, zurckgehende Bezeichnung „Indians“ fr die indigenen Bewohner Nordamerikas fhrte mitunter zu begrifflicher Verwirrung. Auf eine vom britischen Unterhaus initiierte Erfassung aller „Restriction[s] upon British Indian subjects in [the] Colonies“ von 1900 reagierte die kanadische Regierung mit einem „Memorandum as to the status etc. of ,British Indians‘ in the Dominion, but this relates to Indians who are natives of the Colony and not of British India“. London, IOR, L/PJ/5/462. 33 Smith, D., S. XVII und XXV. St. Germain, S. 11 f und 23. s.a. den Text der Royal Proclamation von 1763 in Getty, S. 29 – 38.

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1870, welches entschied, dass „Indians“, wenn sie die vorgeschriebene Vermçgensqualifikation erfllten, das Wahlrecht zustand.34 Die zweite Logik im Umgang mit der indigenen Bevçlkerung kann man als Integrationspolitik unter zivilisatorischem Vorzeichen beschreiben. Insbesondere Missionierung und Bildung sollten „elevate the red man and place him on a social and intellectual level with his white brother“.35 Der von einem Missionar begrndete „Onward and Upward Club“ war eine der Institutionen, die sich diesem Ziel verschrieben hatten. Seinen Statuten gemß wollte er „assist young educated Indians to practice in their lives their Christian profession, and to engage in those higher and more intellectual pursuits to which as members of a Christian and civilized community, they are both admitted and called … [and] promote social intercourse, and mutual respect and sympathy between the white and the Indian races, and … encourage the study of Indian history.“36

Gngiger waren allerdings Formulierungen, die weniger wechselseitigen Respekt und Anerkennung, als vielmehr die „rassische“ Inferioritt der „Indians“ betonten. Deren Assimilation an die „weiße“ Bevçlkerung bezeichneten einige als das einzige Mittel, um die indigene Bevçlkerung vor dem Untergang zu bewahren, der ihr – gemß sozialdarwinistischer Vorstellungen – ansonsten unausweichlich bevorstand: „If the Indian is to become a source of profit to the country it is clear that he must be amalgamated with the white population.“37 Der teilweise Erfolg dieser Politik fhrte zur Schaffung kolonialer Mischwesen (s. Abbildung 1), oder – in der zeitgençssischen Diktion – einer kleinen Gruppe von „well educated, enterprising and ambitious Indians who really belong to the life of the nation in no restricted sense“.38 Zu dieser Assimilationspolitik gehçrte einerseits die Unterdrckung indigener kultureller Praktiken – „the abolition of the wasteful and … pernicious Indian feast known as the ,Potlach‘ … [and] the heathenish dance called the ,Tamanawas‘, the celebration of which is attended with much that is disgus34 Slattery, S. 565 f. Allerdings erfllten wahrscheinlich nur sehr wenige Indianer die notwendigen Bedingungen, sodass ihr Zugang zum Wahlrecht eher theoretischer Natur war. berdies schloss der Indian Act von 1876 alle „status Indians“ vom Wahlrecht aus, indem er sie zu Kollektiveigentmern am Stammesvermçgen machte, wodurch die Erfllung der wahlrechtlichen Privatvermçgensqualifikation unmçglich wurde. 35 Canada, Annual Report of the Department of Indian Affairs, 1890, S. IX. Dieser Zivilisierungsdiskurs war hufig von der berzeugung getragen, dass die „Indians“ sich nicht freiwillig bilden lassen wrden. Man msse sie dazu zwingen. 1884 wurde die Schulpflicht eingefhrt und 1885 berichtet, dass an der Westkste von Vancouver Island „Indians“ einen Lehrer gefesselt und zwei Schuljungen befreit hatten, die der Lehrer zur Strafe fr hufiges Fehlen in der Schule festgehalten hatte. Canada, Annual Report of the Department of Indian Affairs, 1885, S. LVIII. s.a. St. Germain, S. 103 f und 106 f. Nichols, S. 225 f und 232 f. 36 Canada, Annual Report of the Department of Indian Affairs, 1890, S. 22 f. 37 Ebd., S. 165. „The goal of full civilization … was to be accompanied by the disappearance of Aboriginal communities.“ Carter, S. 116. s.a. Smith, D., S. XVII. St. Germain, S. 44, spricht von der Assimilation als „conversion of the Indians into whites“. 38 Scott, D., S. 622 f.

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Abb. 1: Unterwegs zur Zivilisation? „Group of Indians belonging to the Kwawkewlth Agency, B. C.“, aus: Annual Report of the Department of Indian Affairs, Ottawa 1901, S. 257.

ting“.39 Andererseits umfasste sie Maßnahmen, die auf die Aufhebung des „Indian status“ als besonderer Rechtsposition zielten.40 Dabei kam dem sogenannten „enfranchisement of Indians“ besondere Bedeutung zu. Es basierte entweder auf dem Erwerb von Land, das einem Einzelnen aus dem Stammesvermçgen als individuelles Eigentum zugewiesen wurde, oder auf dem Erwerb eines Universittsabschlusses.41 „Enfranchised Indians“, die sich an die Sesshaftigkeit und die Logik des individuellen Privatbesitzes angepasst hatten, verloren den „Indian status“ und waren rechtlich den „europischen“ britischen Untertanen gleichgestellt. Diese Egalisierung wertete man als Ausdruck der „Zivilisierung“ der „Indianer“ und ihrer graduellen Integration in die Gesellschaft der „weißen“ Siedler. „… the true interests of the aborigines and of the State alike require that every effort should be made to aid the red man in lifting himself out of his condition of tutelage and dependence, and that it is clearly our wisdom … to prepare him for a higher

39 Canada, Annual Report of the Department of Indian Affairs, 1885, S. LV. s.a. Smith, D., S. XVIIf. Auch die Einfhrung von Wahlen zu den „band councils“ wird teilweise als Versuch interpretiert, die Strukturen der indigenen Gesellschaften zu zerstçren. Nichols, S. 213. 40 Beispielsweise bestimmten die kanadischen Gesetze, dass „Indianerinnen“, die „Europer“ heirateten, den „Indian status“ verloren. Carter, S. 116 f. Nach 1869 wurde den „band councils“ das Recht verweigert, selbst zu bestimmen, wen sie als zugehçrig betrachteten. Allerdings konnten die Behçrden die Praxis der Aufnahme von „Europern“ oder „Halbindianern“ weder unterbinden noch effektiv kontrollieren. Nichols, S. 212. 41 Canada, The Indian Act, 1876. Smith, D., S. 111 f. s.a. Howell, S. 10. Scott, D., S. 619 f.

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civilization by encouraging him to assume the privileges and responsibilities of full citizenship.“42

Allerdings widersprachen dieser Zielsetzung einerseits Gesetze in den westlichen Provinzen und in New Brunswick, die „Indianer“ allein aufgrund ihrer ethnischen Identitt vom Wahlrecht ausschlossen. Andererseits wendeten die Behçrden das beschriebene Verfahren nur selten an.43 Hinzu kam, dass die „Indianer“ selbst hufig nicht bereit waren, ihren Stamm zu verlassen. Deswegen erwarben beispielsweise in der Provinz Ontario in den Jahren bis 1918 insgesamt kaum mehr als 100 „Indianer“ durch „enfranchisement“ die volle Staatsbrgerschaft.44 Neben der Logik der vertraglich zugesicherten Privilegien und der Integrations- oder Assimilationslogik existierte ein drittes, paternalistisches Argumentationsmuster. Die Indian Acts von 1876 und 1880 schrieben den „Indianern“ einen Sonderstatus zu, der sie einerseits vor bestimmten privatrechtlichen Verpflichtungen schtzte, sie andererseits aber, was Alkoholkonsum und Sexualverhalten anbelangt, strafrechtlichen Normen unterwarf, die fr den Rest der Bevçlkerung nicht galten.45 Zudem errichtete man eine besondere Verwaltungsstruktur fr die Reservate, die stark autokratisch geprgt war.46 Diese paternalistische Logik, welche die „Indianer“ gleichsam vor dem schlechten Einfluss der „europischen“ Einwanderer schtzen wollte, fhrte zur Etablierung rechtlicher Diskriminierungsmechanismen und zum „curtailment of civil liberties“.47 42 Canada, Report of the Department of the Interior for 1875. Zit. nach St. Germain, S. 44. Insbesondere erwarben „enfranchised Indians“ das Wahlrecht. Scott, D., S. 620. Vom erfolgreichen „enfranchisement“ einer Gruppe von „Wyandott Indians“ berichtet Canada, Annual Report of the Department of Indian Affairs, 1885, S. XIV. s.a. Smith, D., S. XIX. St. Germain, S. 40, 83 und 111 f. Nichols, S. 212. 43 Scott, D., S. 620. Harring, S. 214. 44 Brownlie, S. 34. Bereits in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts forderten „Indianer“ an der Westkste die Beendigung der „enfranchisement“ Bemhungen. Im Osten Kanadas wurden diese auch dadurch untergraben, dass sich mehrere einflussreiche „Indianer“ dagegen aussprachen. Nichols, S. 208 und 212. Als man Anfang der zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts die Mçglichkeit des zwangsweisen „enfranchisement“ einfhrte, protestierte eine Delegation der „Six Nations Indians“ gegen diese Maßnahme in London, was zur Rcknahme der entsprechenden Novelle beitrug. Miller, J., S. 310 f. 45 Ein gesetzliches Verbot der Polygamie lehnte das Department of Indian Affairs allerdings ab. Es sei unmçglich, so die Begrndung, festzulegen, welche von mehreren Frauen die einzige und welche Kinder legitim sein sollten. Canada, Annual Report of the Department of Indian Affairs, 1885, S. LXI. Zur Bestrafung chinesischer Einwanderer, die Opium an Indianer verkauft hatten s. ebd., S. LXIV. Scott, D., S. 618 f. Smith, D., S. XVII. Zur paternalistischen Protektionspolitik und zur „Aborigines’ Protection Society“ s. St. Germain, S. 100. 46 Harring, S. 107 und 263 f. Nichols, S. 207. Ein Beispiel fr diese autokratische Herrschaftsstruktur war die nach 1885 im Nordwesten eingefhrte Passpflicht fr Indianer, die sich außerhalb der Reservate aufhielten. Dieses Passsystem wurde ohne gesetzliche Grundlage administrativ durchgesetzt, weswegen Harring, S. 265, von der „extra-legal quality of law on the prairies“ spricht. 47 Smith, D., S. XXIII.

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Insbesondere die paternalistische, aber auch die anderen Logiken waren wesentlich von Stereotypen geprgt. Sie beruhten auf den europischen Vorstellungen ber die „Indianer“ und nicht auf den im alltglichen Kontakt gemachten Erfahrungen. Das zeigen beispielsweise die Auseinandersetzungen am Lower Fraser River zwischen „Chinesen“ und „Indianern“, die sich darber beschwerten, dass die Einwanderer aus Asien ihnen die Arbeitspltze in der Fischereiindustrie wegnhmen.48 Die „Indianer“ beteiligten sich wie andere Gruppen auch am Wettbewerb um çkonomische Ressourcen. Dabei wussten sie die Politikanstze der kanadischen Regierung, welche die „Indians“ vor allem als passive Hilfsempfnger imaginierte, durchaus aktiv zu nutzen. Der assimilierende und der paternalistische Ansatz waren auch fr das Selbstbild der kanadischen Zeitgenossen von großer Bedeutung. Gerade im Vergleich mit der als inhuman wahrgenommenen „Indianerpolitik“ der USA stellte man den kanadischen Umgang mit den autochthonen Amerikanern als besonders menschlich und gerecht dar. Die US-Politik zielte, so das Argument, letztlich auf die Ausrottung der indigenen Bevçlkerung. Die These von der moralischen berlegenheit der kanadischen „Indianerpolitik“ wurde lange Zeit auch in der Forschung vertreten, war in den letzten Jahren jedoch zunehmender Kritik ausgesetzt. Wenn die Effekte des Umgangs mit der indigenen Bevçlkerung im nçrdlichen Nordamerika milder ausfielen als im sdlichen, so kann man die neuere Literatur zusammenfassen, dann lag das nicht an den humanistischen Prinzipien der politischen Eliten in Kanada. Vielmehr waren unterschiedliche Rahmenbedingungen dafr verantwortlich wie beispielsweise die geringere und langsamere Immigration und die Sparsamkeit der kanadischen Regierung. Diese ging zumeist den billigen und pragmatischen Weg des geringsten Widerstandes und betrieb entgegen ihrer eigenen Behauptung keine gezielte und langfristige Bildungspolitik, was sich in der ex post Betrachtung als unintendierter Vorteil fr die indigenen Bevçlkerungen erwies.49 Dementsprechend war die kanadische „Indianerpolitik“ nicht nur „humane, just, and Christian“, wie die Thronrede von 1877 behauptete,50 sondern neben der vertraglichen, der assimilierenden und der paternalistischen auch von einer rassistischen Logik geprgt:

48 Canada, Annual Report of the Department of Indian Affairs, 1885, S. LX. 49 St. Germain, S. 3 f, 110, 121 und 165. St. Germain, S. 6, spricht von „official indifference“ gegenber der indigenen Bevçlkerung. „The result, however, was very much the same, with Indians killed by disease, impoverished, and deprived of their lands in both countries.“ Harring, S. 7. s.a. Nichols, S. XVI. Ders., S. 209 f., nennt auch Beispiele fr militrische Konflikte mit „Indianern“ im kanadischen Fall. s.a. Leighton, S. 107. 50 St Germain, S. 165.

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„Fundamental features of colonialism were present in Western Canada in the late nineteenth century, including … sharp social, economic, and spatial distinctions between the dominant and subordinate population.“51

Die rechtliche Grundlage dieser rassistischen Diskriminierungsmechanismen bildete die Rechtsposition des „Indian status“, der eigentlich aus der Vertragslogik und den paternalistisch begrndeten Indian Acts hervorgegangen war. Darauf aufbauend wies man der indigenen Bevçlkerung insbesondere durch die Verweigerung des Wahlrechts eine minderprivilegierte Position zu. Die „Aboriginal people … were British subjects but not citizens“.52 In den Argumentationen kam diese rassistische Logik immer dort zum Tragen, wo die Akteure das Paradigma der Zivilisier- und Erziehbarkeit ablehnten. Das tat beispielsweise 1904 der fr die „Indianerpolitik“ zustndige Minister im kanadischen Unterhaus. Er behauptete, dass „the red man … lacks the physical, mental or moral set-up to enable him to compete [with the white man]“.53 Die vertragliche, die assimilierende, die paternalistische und die rassistische Logik waren einerseits auf vielfltige Weise miteinander verknpft. Sozialdarwinistische Vorstellungen grundierten die Assimilationspolitik, und die Annahme indigener Inferioritt rechtfertigte den Paternalismus. Andererseits widersprachen sich die vier Denkmuster gegenseitig. Bereits den Zeitgenossen fiel auf, dass „the very system of banding Indians together on reservations militates against their conversion into citizens“. Dieses Problem kam im paradoxen Vorgehen der Indian Acts zum Ausdruck. Zunchst schafften sie das bis dahin zumindest theoretisch existierende Wahlrecht der „Indianer“ ab, um gleichzeitig ein Verfahren zu seiner Wiedergewinnung zu etablieren.54 Diese Widersprche charakterisierten den kanadischen Umgang mit der autochthonen Bevçlkerung. Man kann sie zumindest teilweise in einen rumlichen Unterschied und in ein Phasenmodell auflçsen. Um die Jahrhundertwende war die Assimilationspolitik im Osten Kanadas bedeutsam, whrend weiter westlich die paternalistische Logik und vor allem in British Columbia das rassistische Paradigma den Umgang mit den „Indianern“ prgten.55 Chronologisch kann man die Logik der quasi-vçlkerrechtlichen Vertrge als die lteste bezeichnen. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts ging man zur Assimilationspolitik ber, zu der sich in den siebziger und achtziger Jahren der Paternalismus der Indian Acts gesellte. Im ausgehenden 19. Jahr51 Carter, S. 102 f. 52 Carter, S. 117. Smith, D., S. XVIII. Harring, S. 107. Harring, S. 215, erwhnt „in the context of contemporary racism and rapid settlement“ auch Diskriminierungen der indigenen Bevçlkerung in der judikativen Praxis, wo zumeist die „europischen“ Siedler recht bekamen, auch wenn sie indianische Rechte verletzt hatten. 53 Sifton im kanadischen House of Commons, 18.7.1904. Zit. nach Hall, S. 126. 54 Canada, Annual Report of the Department of Indian Affairs, 1890, S. 165. s.a. Harring, S. 11 und 107. 55 St. Germain, S. 6. Harring, S. 214 f.

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hundert scheiterten diese Modelle einer „progressive partnership“ zwischen „Europern“ und „Indianern“, was letztlich den Weg ebnete fr eine Dominanz der rassistischen Logik im frhen 20. Jahrhundert.56 Im Umgang mit der indigenen Bevçlkerung waren also, ebenso wie bei den europischen Einwanderern, Anstze zur nationalstaatlichen Binnenhomogenisierung wirksam. Die Assimilationspolitik und das „enfranchisement“ zielten auf die staatsbrgerliche Gleichberechtigung aller britischen Untertanen in Kanada. Allerdings setzte sich diese Logik mittelfristig nicht durch, sondern machte zunehmend einer Politik der Exklusion nach ethnischen Kriterien Platz. Dieser Befund liefert neben der ausschließenden Migrationspolitik ein weiteres Indiz fr die Ethnisierung des kanadischen Rechts nach 1900. Die Etablierung einer eigenstndigen kanadischen Zugehçrigkeit Die Rechtsentwicklung in Kanada folgte also weitgehend dem nationalstaatlichen Muster von exklusiver Schrfung der Außengrenzen und rechtlicher Homogenisierung im Inneren. Durch die Ethnisierung des Rechts kam es jedoch gleichzeitig zum internen Ausschluss der indigenen Bevçlkerung als staatsbrgerlich minderprivilegierter Gruppe. Die „europischen“ Bewohner Kanadas profitierten dagegen von der allmhlichen Expansion des Wahlrechts und von der Einfhrung wohlfahrtsstaatlicher Mechanismen, also von politischen und sozialen Staatsbrgerrechten. Dabei stellte insbesondere die Einbrgerungspolitik sicher, dass auch nicht britische „Europer“ in den materiellrechtlich privilegierten Staatsbrgerverband integriert wurden. Aber gab es tatschlich eine in diesem Sinne auf Kanada bezogene Nationalisierung, obwohl keine besondere kanadische Staatsangehçrigkeit bestand und die Kanadier britische Untertanen waren? Parallel zum Streben der kanadischen Regierung nach mehr Unabhngigkeit von der imperialen Metropole lçste sich langsam ein kanadischer Staatsverband aus dem britischen Gesamtverband heraus. Diese Entwicklung endete erst nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Schaffung einer kanadischen Staatsangehçrigkeit.57 Allerdings erreichte sie bereits gegen Ende des hier untersuchten Zeitraums einen ersten Hçhepunkt im Einwanderungsgesetz von 1910. Damit dessen restriktive Bestimmungen nicht Personen trafen, die der Gesetzgeber als zu Kanada gehçrig betrachtete, nahm man eine bestimmte Gruppe von den Regelungen des Gesetzes aus und bezeichnete sie als „Canadian citizens“. Kanadische Brger im Sinne des Gesetzes waren alle in Kanada geborenen Personen, alle britischen Untertanen mit Wohnsitz in Kanada und alle in 56 Carter, S. 13 und 150 f. s.a. Scott, D., S. 593. Smith, D., S. XIX. Stanley, S. 13. Hall, S. 125. St. Germain. S. 3 f. Harring, S. 11. Nichols, S. 211 f, 245 und 250 f. 57 Kaplan, S. 7.

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Kanada eingebrgerten Personen. Verloren ging dieses kanadische Brgerrecht durch den Verlust des britischen Untertanenstatus oder durch die Aufgabe des Wohnsitzes in Kanada.58 In der Praxis fhrte dieses Gesetz zu Einreiseverboten und zu Abschiebungen, von denen auch britische Untertanen betroffen sein konnten. Dokumentiert sind die Flle eines „coloured seaman“, eines aus Ceylon stammenden und eines in Sdafrika eingebrgerten britischen Untertanen, die die kanadischen Behçrden ins Vereinigte Kçnigreich abschoben.59 Dieser Exklusionsmechanismus, der auch „weiße“ Briten betreffen konnte, und der Ausschluss „indischer“ Untertanen der britischen Krone etablierten 1910 die Vorform einer eigenstndigen kanadischen Staatsangehçrigkeit.

1.2. Von der Schaffung einer ungarischen Staatsangehçrigkeit ber die Magyarisierungspolitik zur Nationalisierung des Rechts Der çsterreichisch-ungarische Ausgleich von 1867 anerkannte die weitgehende Selbststndigkeit Ungarns unter dem habsburgischen Kçnig, der gleichzeitig Kaiser von sterreich war. Ungarn verfgte ber eine eigene Regierung sowie ein eigenes Parlament, den Reichstag. Diese bestimmten jenseits der gemeinsamen außenpolitischen, militrischen und fiskalpolitischen Angelegenheiten die ungarischen Belange. Innerhalb der Lnder der ungarischen Krone nahmen Kroatien-Slawonien und Fiume (heute: Rijeka in Kroatien) eine staatsrechtliche Sonderstellung ein. Ungarn selbst wurde nach 1867 zunehmend brokratisch zentralisiert, wodurch eine rechtlich weitgehend homogene Sphre entstand. Die ungarische Politik war geprgt von unterschiedlichen Vorstellungen ber den Grad der Unabhngigkeit vom Habsburgerreich. Die divergierenden 58 London, IOR, L/PJ/6/864, file 1371, indische Emigration nach Kanada, 1908 – 1910. Das „Canadian domicile“ wurde nach dreijhriger Ansssigkeit automatisch erworben und ging durch Niederlassung außerhalb Kanadas verloren. Insofern muss man der weitverbreiteten Annahme widersprechen, dass die Dominions bis in die vierziger Jahre des 20. Jahrhunderts hinein nicht rechtlich zwischen eigenen und britischen Angehçrigen im weiteren Sinn unterschieden htten. Pearson, S. 994. Abgesehen von der divergierenden Datierung unterscheidet Pearson, S. 1000 f, ganz hnlich wie die vorliegende Arbeit drei Prozesse in der Rechtsentwicklung der Dominions. Dabei standen einerseits der Unterschied zu den autochthonen Minderheiten („aboriginalization“), andererseits die Differenzproduktion insbesondere vis- -vis den „asiatischen“ Immigranten („ethnification“) und schließlich die Unterscheidung zwischen einheimischen und eingewanderten Briten („indigenization“) im Zentrum. 59 London, PRO, HO 144/22959. Eine Notiz aus dem Home Office bezeichnet diese Abschiebungen als „apparent application … of International law and practice to the relations between different parts of the British Empire“ und deswegen als „abhorrent“.

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Positionen in dieser Frage definierten die Struktur des Parteienspektrums. Allerdings konnten auch politische Gruppen mit unterschiedlichen Auffassungen miteinander koalieren. Nach den Regierungen von Ferenc De k und K lm n Tisza, der von 1875 bis 1890 kçniglich ungarischer Ministerprsident war, wechselten die Regierungschefs in krzeren Intervallen. Insgesamt vertraten alle großen Parteien einen mehr oder weniger elitren Liberalismus. Innerhalb der oft korrupten politischen Eliten traten mitunter Differenzen zwischen adligen Großgrundbesitzern und brgerlichen Industriellen auf. Diese politische Grundkonstellation vernderte sich bis 1918 kaum. Die gesellschaftlichen und çkonomischen Umstnde wandelten sich hingegen rapide. Abgesehen von einer schwerwiegenden Krise um 1873, die auch mit Hungerkatastrophen und Choleraepidemien verbunden war, steigerte sich das ungarische Sozialprodukt in der Ausgleichsra. Die Industrialisierung nahm zu und die Bevçlkerung wuchs. Da sich an der ußerst ungleichen Verteilung des Grundbesitzes wenig nderte, fhrte dieses Wachstum zu Landflucht und Urbanisierung sowie zu starken Auswanderungsbewegungen nach Cisleithanien und nach Nordamerika. Einschneidende Vernderungen brachte das Erstarken des Nationalismus im spten 19. und frhen 20. Jahrhundert mit sich. Es ußerte sich in den Millenniumsfeierlichkeiten von 1896 und anderen çffentlichen Inszenierungen. In diesem Zusammenhang gewannen nationale und ethnische Differenzen innerhalb der Bevçlkerung des ungarischen Staates zwischen Magyaren und Slowaken, Deutschen und Rumnen, Serben und Kroaten, Roma und Juden zunehmend an Bedeutung. Teilweise eskalierten die Konflikte zwischen den verschiedenen Gruppen, wobei insbesondere bei den deutsch-, serbischund rumnischsprachigen Minderheiten Kontakte zu ko-nationalen Bewegungen im Ausland eine Rolle spielten. Wiederholt fhrte die Agitation gegen jdische und romanisprachige Minoritten zu Gewaltttigkeiten. Die ungarische Regierung betrieb sptestens seit der Jahrhundertwende eine Magyarisierungspolitik. Im Bildungswesen und durch Namenswechsel wurde die Assimilation der nicht-ungarischsprachigen Gruppen gefçrdert. Die Verschrfung der nationalen Auseinandersetzungen trug mit dazu bei, dass sich nach 1900 die Krisen huften. 1903 kam es zu einem ernsthaften Konflikt mit der imperialen Metropole ber die Novellierung des Wehrrechts. Die Folge war politische Instabilitt, die, begleitet von Erntestreiks und Wahlrechtsdemonstrationen, 1913 in einem drohenden Generalstreik gipfelte. Schließlich geriet das Kçnigreich Ungarn mit dem Kriegsausbruch 1914 in seine finale Krise.

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Das Staatsangehçrigkeitsgesetz von 1879: Nationalisierung und Inklusion Ausgehend von dem Eifer, mit dem die ungarische Regierung nach dem Ausgleich von 1867 die eigenstndige Staatlichkeit Ungarns betonte, ist es verwunderlich, dass zwçlf Jahre vergingen, bevor die Regierung den Entwurf eines Staatsangehçrigkeitsgesetzes in den Reichstag einbrachte. Dieser orientierte sich stark am (nord)deutschen Vorbild von 1870.60 Das Gesetz regelte den Erwerb der Staatsangehçrigkeit durch Geburt nach dem ius sanguinis, wonach eheliche Kinder angehçrigkeitsrechtlich ihrem Vater folgten.61 hnlich patriarchal war der Erwerb der Angehçrigkeit durch Heirat geregelt. Auslndische Ehefrauen nahmen automatisch die ungarische Staatsangehçrigkeit ihres Mannes an. Die dritte Form des Erwerbs der ungarischen Staatsangehçrigkeit war die Einbrgerung. Voraussetzungen fr die Naturalisation waren Geschftsfhigkeit, Unbescholtenheit, die (zumindest in Aussicht gestellte) Aufnahme in eine ungarische Gemeinde, fnfjhriger Wohnsitz im Inland sowie die Entrichtung direkter Steuern in diesem Zeitraum und die Fhigkeit, sich selbst zu ernhren. ber Einbrgerungsantrge entschied der ungarische Innenminister und fr Kroatien-Slawonien der Banus, also der Leiter der kroatischen Exekutive. Außerdem regelte das Gesetz den Verlust der ungarischen Staatsangehçrigkeit. Auswanderer konnten aus dem Staatsverband entlassen werden, falls keine wehrrechtlichen Bedenken bestanden. Die Behçrden konnten ferner die Staatsangehçrigkeit aberkennen, wenn Auswanderer der Aufforderung, nach Ungarn zurckzukehren, nicht Folge leisteten oder in den Dienst fremder Staaten traten. Zehnjhriger Aufenthalt außerhalb sterreich-Ungarns zog den Verlust der Staatsangehçrigkeit nach sich. Daneben verloren schließlich Frauen die ungarische Staatsangehçrigkeit durch Heirat mit einem Auslnder. Diese Frauen konnten allerdings nach der Scheidung oder dem Tod ihres Ehemannes in einem erleichterten Wiedereinbrgerungsverfahren in die ungarische Angehçrigkeit zurckkehren. Dieses erleichterte Einbrgerungsverfahren stand auch Personen offen, die als Minderjhrige die Staatsangehçrigkeit verloren hatten, oder die durch zehnjhrige Abwesenheit oder Entlassung aus dem Staatsverband ausgeschieden waren. Die Regierung begrndete das Gesetz zum einen mit der Notwendigkeit, einheitlich und eindeutig zu regeln, wer ungarischer Staatsangehçriger sei und wer nicht. Dadurch wolle man Konflikte mit anderen Staaten vermeiden und die ungarischen Rechtsprinzipien „mit denen der westlichen Staaten, 60 Ungarn, GA L von 1879. Bernyi. Zum Vorbildcharakter des (nord)deutschen Gesetzes von 1870 s. Milner, S. 3. Polner, S. 234. 61 Das ius soli, also das Geburtsortsprinzip galt nach § 19 nur fr „in Ungarn Geborene und Findlinge“, solange nicht nachgewiesen werden konnte, dass sie eine andere Staatsangehçrigkeit besaßen. Zum Gesetz von 1879 s. Hirschhausen, Von imperialer Inklusion zur nationalen Exklusion, S. 13 f.

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namentlich aber mit denen der mit uns in nchster Nachbarschaft stehenden Staaten“ in bereinstimmung bringen.62 Außerdem solle das Gesetz den Verband zwischen sterreich und Ungarn bercksichtigen, ohne die ungarische Eigenstndigkeit zu beeintrchtigen. Einen weiteren Hauptgesichtspunkt des Gesetzes bilde der „Schutz der ungarischen Staatsinteressen“. Zu diesen Interessen rechnete die Regierung die „Verhinderung der Auswanderung“. Zurzeit sei lediglich „die Auswanderung der Szkler von Belang“, die „aus Not, des Broderwerbs willen“ das Land in Richtung Osten verließen. Zwar drohte das Gesetz diesen Emigranten mit dem Verlust der Staatsangehçrigkeit, aber die Regierung selbst ging nicht davon aus, die Auswanderungswilligen dadurch aufzuhalten. Die ungarische Staatsangehçrigkeit hatte fr Arme ohnehin wenig Bedeutung. In der Einwanderungspolitik erlaube das Gesetz hingegen, so die Regierung, die Realisierung eines anderen zentralen Anliegens: „Es liegt in unserem Interesse, dass einerseits die Einwanderung nicht erschwert werde, andererseits nur solche ungarische Staatsbrger werden, die voraussichtlich ntzliche Brger des ungarischen Staates werden.“63

In der ersten Ausschusssitzung zur Beratung des Gesetzes exponierte sich insbesondere der Abgeordnete Veßter als Kritiker des Regierungsentwurfs. Er monierte im Wesentlichen drei Punkte, die auch in allen folgenden Debatten entscheidend waren: Erstens forderte er, dass fr Einbrgerungen allein der ungarische Innenminister zustndig sein und die Sonderbehandlung Kroatiens gestrichen werden solle. Damit verlangte er die Abschaffung der Autonomierechte, welche der ungarisch-kroatische Ausgleich von 1868 diesen Lndern einrumte, und implizit die Eingliederung Kroatiens in den ungarischen Staat. Zweitens forderte Veßter, sterreich konsequent als Ausland zu behandeln. Und drittens kritisierte er, dass die Bestimmungen bezglich des Verlustes zu streng seien. „Seiner Ansicht nach msse jeder Ungar in dessen [des Staatsbrgerschaftsrechts] Besitz bleiben, solange er nicht selbst darauf verzichtet.“64 62 Pester Lloyd, 10. 10. 1879, Abendausgabe. Der Pester Lloyd, eine deutschsprachige liberale Tageszeitung, dient als Quelle fr die Reichstagsdebatten. Die Parlamentsberichte waren teilweise in wçrtlicher Rede abgefasst und sehr detailliert, sodass tendenziçse Verzerrungen weitgehend ausgeschlossen werden kçnnen. Zur Debatte ber das Gesetz von 1879 s. Csizmadia, S. 109 f. 63 Pester Lloyd, 10. 10. 1879, Abendausgabe. Bei den Einbrgerungsregelungen wich das Gesetz von 1879 wesentlich von dem ansonsten sehr hnlichen Gesetz von 1847/48 ab, das damals zwar von der Nationalversammlung beschlossen, aber nie umgesetzt worden war. Einerseits bestand der zentrale Unterschied darin, dass man 1879 die Einbrgerung der Exekutive bertrug, whrend sie 1848 in die Zustndigkeit von Landtag und Munizipien fallen sollte. Außerdem waren die Naturalisationsbestimmungen von 1848 restriktiver gefasst. Zum einen machte das ltere Gesetz teilweise Ungarischkenntnisse zur Bedingung und verbot die Einbrgerung von „auslndischen Juden“, zum anderen wurden den Eingebrgerten 1848 zahlreiche ungarische Staatsbrgerrechte verwehrt. Csizmadia, S. 105 f. 64 Pester Lloyd, 19.10.1879.

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Die Forderung nach einer Neuregelung der staatsrechtlichen Verhltnisse mit Kroatien lehnte die Mehrheit im Reichstag ab. Auf die zweite Forderung ging die ungarische Regierung dagegen teilweise ein, indem sie in der administrativen Praxis Cisleithanien, also die çsterreichische Reichshlfte, als Ausland behandelte.65 Die dritte Forderung schließlich untersttzten mehrere Abgeordnete im Plenum des ungarischen Reichstags. Wiederholt forderten sie, dass der Verlust der ungarischen Staatsangehçrigkeit nur auf Wunsch und mit Zustimmung der betroffenen Personen mçglich sein sollte.66 Zum grçßten Teil basierten diese Einwnde auf der Befrchtung, dass die Regierung die Verlustregelung auf ihr unliebsame politische Exilanten anwenden wrde. Aber man opponierte auch in einem strker nationalen Sinn gegen den automatischen Verlust der Staatsangehçrigkeit. So forderte ein Abgeordneter, dass man „eingeborene Staatsbrger“ von der Verlustregelung ausnehmen sollte. Ein anderer lehnte die Verlustregel mit „Rcksicht besonders auf die aus ihrem Vaterlande abwesenden Szkler“ ab, die als eine mit den Magyaren verwandte Volksgruppe galten.67 Die Verfechter des automatischen Verlustes verwiesen dagegen auf die notwendige Vermeidung internationaler Rechtskonflikte und das Staatsinteresse. Es sei ratsam und natrlich, „wenn der Staat verlangt, dass der Abwesende seine Staatsangehçrigkeit von Zeit zu Zeit kundgebe; das ist das Minimum dessen, was der Staat fordern muss“.68 Schließlich einigte man sich darauf, die Beibehaltung der ungarischen Staatsangehçrigkeit im Ausland und die Wiedereinbrgerung von Personen, die ihre Staatsangehçrigkeit beispielsweise durch Heirat mit einem Auslnder verloren hatten, wesentlich zu erleichtern.69 Infolgedessen betrachtete die ungarische Regierung einen Auswanderer, „falls irgendwelche Bande ihn noch hierher ziehen, auch weiter noch als Ungar“, wie es ein Kommentator im frhen 20. Jahrhundert formulierte.70 Die letztgenannten Bestimmungen wichen von den damals in Europa gngigen Rechtsvorstellungen ab. Dass Frauen, die durch Heirat ihre Staatsangehçrigkeit verloren hatten, als Geschiedenen oder Witwen die Rckkehr in ihre alte Staatsangehçrigkeit erleichtert werden sollte, war zwar eine weitverbreitete, aber selten erfllte Forderung. Man begrndete sie damit, dass die „angeborene“ nationale Zugehçrigkeit einer Person unabhngig von einem 65 Ungarn konnten folglich durch zehnjhrigen Aufenthalt in sterreich ihre Staatsangehçrigkeit verlieren. In Fllen, in denen die Betroffenen dadurch staatenlos wurden, etablierte sich die administrative Praxis der Rckbernahme in den ungarischen Staatsverband. 66 In diesem Sinn ußerten sich die Abgeordneten Veßter, Szederknyi, Mocs ry und Simonyi. Pester Lloyd, 29.10. und 4.11.1879. 67 Szederknyi und Veßter. Pester Lloyd, 29.10. und 5.11.1879. 68 Szil gyi. Pester Lloyd, 5.11.1879. 69 Die ungarische Staatsangehçrigkeit ging im Ausland nicht verloren, wenn man einer inlndischen Behçrde mitteilte, dass man die Staatsangehçrigkeit beibehalten wolle, wenn man sich in die Matrikel eines çsterreichisch-ungarischen Konsulats eintrug oder wenn man seinen Pass verlngern ließ. 70 Bernyi, S. 109.

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„bloß“ rechtlich-formalen Staatsangehçrigkeitswechsel fortbestand. Die nationale Verbindung sollte eine bevorzugte Behandlung der betroffenen Frauen gegenber anderen Auslnderinnen rechtfertigen.71 hnlich wurde fr die Auswanderer gefordert, dass deren dauerhafte nationale Bindung an die Heimat ihren rechtlichen Ausdruck in der Beibehaltung der Staatsangehçrigkeit finden msse. Anationale, an staatlichen Interessen orientierte Argumente betonten hingegen, dass eine Person, die sich durch Abwesenheit der staatlichen Kontrolle entzog, aus dem Staatsverband ausscheiden sollte. Die parlamentarische Beratung fhrte also zu einer strkeren Betonung nationaler Bindungen gegenber der formalen Logik des Rechts und gegenber etatistischen Staatsinteressen. Diese Nationalisierungstendenzen waren, wenn man von dem Verweis auf die Szkler absieht, nicht ethnisch aufgeladen. Das Nationsverstndnis, welches das Gesetz und die Debatte von 1879 weitgehend prgte, war ein supra-ethnisches. Allen wurde – das verdeutlicht die eigens betonte Absicht zur rechtlichen Integration von Immigranten – unabhngig von ihrer ethnischen Zugehçrigkeit der Zugang zur Staatsangehçrigkeit gleichermaßen ermçglicht. Magyarisierungspolitik und Ethnisierung des Nationsbegriffs Im Jahr der Verabschiedung des Staatsangehçrigkeitsgesetzes 1879 erhitzte neben der Theißberschwemmung und den danach einsetzenden nationalen Hilfsaktionen fr „die ungarischste aller ungarischen Stdte“ Szeged72 vor allem das Schulgesetz, das den obligatorischen Ungarischunterricht an allen Volksschulen einfhrte, die ffentlichkeit. Dieses Gesetz markierte den Anfang eines konfliktreichen Prozesses, in dessen Verlauf die Magyaren, als ethno-kulturelle Gruppe verstanden, zur staatstragenden Nation gemacht und die anderssprachigen Bevçlkerungen in Ungarn entweder assimiliert oder marginalisiert werden sollten. Ab 1879 traten „die nationalen, staatsbildenden Grundzge der ungarischen Schul- und Nationalittenpolitik deutlicher hervor“.73 Andere Forscher sprechen von einem „move to forced Magyarization“ im selben Jahr.74 Damit sind die Magyarisierungspolitik der ungarischen Regierung und die diesbezglichen Debatten angesprochen, die fr den 71 Polner, S. 234, betont, dass aus nationaler Pflicht des Staates diese Verlorenen „zurckgenommen“ werden mssten. Zu Parallelen in der deutschen Debatte ber die Staatsangehçrigkeit der Ehefrau und die Behandlung der Auswanderer s. Gosewinkel, Einbrgern und Ausschließen, S. 178 – 190, 278 – 293 und 294 – 302. 72 Freifeld, S. 241 f. 73 Puttkammer, S. 34. Allerdings betont Puttkammer, dass diese Nationalisierungsvorgaben des Gesetzgebers in der Praxis deutlich abgeschwcht wurden. 74 Freifeld, S. 244, beschreibt die Auseinandersetzung um das deutschsprachige Theater in Budapest, dessen Schließung der Stadtrat mit einer knappen Mehrheit betrieb. Das Theater berlebte gleichsam bis zum Dezember 1889, als es – gerchteweise aufgrund von Brandstiftung – niederbrannte. Judson, Introduction, S. 2, spricht fr den ungarischen Fall von „aggressive nationalizing policies“.

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Umgang mit ethnischer Heterogenitt entscheidend waren. Die Auswirkungen der magyarisierenden Assimilationspolitik verdeutlicht das Anwachsen des ungarisch-sprachigen Bevçlkerungsteils zwischen 1880 und 1910 von 44,9 % auf 54,6 % in Ungarn ohne Kroatien, whrend der Anteil der deutsch- und slowakisch-, rumnisch- und ukrainisch-, kroatisch- und serbischsprachigen Bevçlkerungen im selben Zeitraum abnahm oder konstant blieb.75 Besonders deutlich war die Tendenz zur Magyarisierung bei den ungarischen Juden ausgeprgt.76 Die kulturelle Assimilation verlief parallel zur rechtlichen Emanzipation der jdischen Bevçlkerung. Bereits 1867 wurden die Juden weitgehend und bis 1895 vollkommen den anderen ungarischen Staatsbrgern gleichgestellt.77 Allerdings verhinderten diese Homogenisierungsprozesse nicht das Aufflammen antisemitischer Feindseligkeiten. 1882 kam es in Folge der Ermordung eines Dienstmdchens im Dorf Tisza-Eszl r zu Ritualmordvorwrfen und anti-semitischen Ausschreitungen. Der Freispruch der Angeklagten im August 1883 hatte Unruhen in Budapest zur Folge.78 Die Implementierung der Magyarisierungspolitik bedeutete eine Abkehr vom Konzept der supra-ethnischen Nation. Dieses Konzept hatte die Verfassungsdiskussionen von 1848 und auch noch das ungarische Nationalittengesetz von 186879 sowie das Staatsangehçrigkeitsgesetz von 1879 weitgehend geprgt. Spter wurde es zunehmend von einer ethno-kulturellen Vorstellung der Nation verdrngt. Fr das spte 19. Jahrhundert kann man von einer Ethnisierung des Nationsbegriffs sprechen.80 Dies galt gleichermaßen fr die nicht-magyarischen Nationalitten, die sich seit Beginn des 20. Jahrhunderts 75 Fischer u. Gndisch, S. 138 f. Allerdings muss man darauf hinweisen, dass die genannten Zahlen nicht selten auf manipulierten Volkszhlungsergebnissen beruhen. Kann, S. 1319, widerspricht indirekt dieser Darstellung. Faktisch habe sich die Vorstellung vom „ungarischen Einheitsstaat“ aufgrund der Vernderungen in der ethnischen Bevçlkerungsstruktur in der zweiten Hlfte des 19. Jahrhunderts als Fiktion erwiesen. Ungarn sei stattdessen zu einem „Nationalittenstaat“ geworden. Zur Frage der Magyarisierung s.a. Kardy. Kontler. 76 Der Anteil der ungarischsprachigen Juden an den Juden in Ungarn insgesamt stieg nach 1880 kontinuierlich an, von 55,3 % im Jahr 1880 ber 62,6 % (1890) und 70,3 % (1900) auf 75,7 % im Jahr 1910. Die Zahlen beziehen sich auf Ungarn ohne Kroatien. Haber, S. 139. Allerdings weist Schçpflin darauf hin, dass die Integration der Juden eher extensiv als intensiv war und zumindest in der Wahrnehmung ethnische Differenzen zwischen Juden und Nicht-Juden fortbestanden. 77 Haber, S. 149 f. Ungvri. 78 Freifeld, S. 246 f. Der erwhnte Prozess verdeutlicht gleichzeitig die Existenz einer starken antiantisemitischen Position in Ungarn. Den Freispruch erwirkte der Verteidiger K roly Eçtvçs, ein prominenter Vertreter der Liberalen in Ungarn. 79 Zur ethnischen Neutralitt im Kontext von 1848 und im Nationalitten-Gesetz von 1868 s. Kçvr, S. 208 f. Allerdings betonte gerade das 1847/48 von der ungarischen Nationalversammlung beschlossene Gesetz zur Staatsangehçrigkeit eher ethnische Kriterien. Csizmadia, S. 105 f. Zu nationalen Konflikten im Kontext von 1848 s. Gerç, S. 92. 80 Szsz, Die Ziele und Mçglichkeiten, S. 332 f. Gogolk. Zur sogenannten Lex Apponyi von 1907, die unter anderem vorschrieb, „dass alle Schulen ber dem Eingang und in den Klassenzimmern das Wappen Ungarns sowie eine Aufschrift in ungarischer Sprache anzubringen hatten“ s. Puttkammer, S. 136

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verstrkt politisch organisierten und zunehmend offensiv ihre nationalen Interessen vertraten.81 Das Gesetz von 1886 ber die „massenweise[] Rckeinbrgerung der Cs ngo-Magyaren aus der Bukowina“ sttzt die Ethnisierungs-These. Damit waren die bereits erwhnten Szkler gemeint, deren Rckwanderung und Ansiedlung man politisch fçrderte. Das Gesetz erleichterte ihnen – „ohne Rcksicht darauf, wann sie selbst oder ihre Vorfahren ausgesiedelt sind“ – die Aufnahme in den ungarischen Staatsverband durch die Kosten- und Bedingungslosigkeit des Repatriierungs-Verfahrens.82 Rckwirkend schrieb dieses Gesetz also die Mçglichkeit der zeitlich unbegrenzten Weitergabe des Anspruchs auf die ungarische Staatsangehçrigkeit im Ausland fest, was man in der kurzen und nicht kontroversen Parlamentsdebatte mit der gemeinsamen Abstammung und Sprache begrndete.83 Das Gesetz diskriminierte also positiv nach ethnischen Kriterien, insofern es einer ethnisch definierten Gruppe rechtliche Privilegien einrumte. Die Rckbernahme ehemaliger Staatsangehçriger und die Migrationspolitik Die nationale und zunehmend ethnische Aufladung der Grenzen des ungarischen Angehçrigenverbandes zeigt sich auch in der administrativen Praxis bei der sogenannten Rckbernahme ehemaliger Ungarn, die sich in sterreich aufhielten. Flle, in denen unklar war, ob Personen zur cis- oder zur transleithanischen Reichshlfte gehçrten, konnten sehr kompliziert sein. Der Fall Singer eignet sich als Beispiel dafr. Im August 1888 wurde in Rohrbach, Bezirk Lilienfeld, ein streunendes Mdchen von der Polizei aufgegriffen. Nachforschungen ergaben, dass es sich um die im Juli 1878 im Wiener Gebrhaus zur Welt gekommene uneheliche Tochter der Anna Singer, Julia Singer, handelte. Die Behçrden hatten sie kurz zuvor der Schneiderin Sedlaczek in Hernals „bergeben“, von wo sie Reißaus genommen hatte. Um zu klren, wohin Julia Singer nach ihrer Festnahme „geschoben“ werden und welche Gemeinde in Zukunft fr ihre Versorgung aufkommen sollte, musste man feststellen, in welcher Gemeinde sie „zustndig“ war und das Heimatrecht besaß.84 Das Heimatrecht war eine Art kommunales Angehçrigkeitsrecht, das damals ausschließlich auf dem ius sanguinis basierte. Eine Person besaß das Heimatrecht in der Gemeinde, in der ihr Vater oder ihre uneheliche Mutter heimatberechtigt gewesen war. In die langwierigen Verhandlungen ber die Zustndigkeit der Julia Singer waren drei potenzielle Heimatgemeinden des Vaters ihrer unehelichen Mutter, Michael Singer, involviert, zwei in Ungarn und eine in Niederçsterreich. In der 81 82 83 84

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Schçdl, S. 10. s.a. Freifeld, S. 294 f. Ungarn, GA IV von 1886. Bernyi, S. 66. Pester Lloyd, 19.2.1886. Zum Fall Singer s. Wien, AVA, MdI, Allg., 8, Ktn 353, 23148 – 1896, 32285 – 1896 und 3844 – 1898.

einen ungarischen Gemeinde hatte Michael Singer jahrelang als Branntweinbrenner und „Regalienpchter“ gearbeitet und die dorthin zustndige Franziska Kanpi geheiratet. Außerdem hatte seine Tochter Anna im Wiener Gebrhaus einen von der dortigen israelitischen Gemeinde ausgestellten Heimatschein vorgelegt. Allerdings sprachen die ungarischen Behçrden diesem Dokument jegliche Beweiskraft ab, da Kultusgemeinden nicht berechtigt waren, Heimatscheine auszustellen. In der anderen ungarischen Gemeinde hatte Michael Singer ebenfalls mehrere Jahre gearbeitet, und dort lebte er auch seit 1887 bei seinem in der Gemeinde heimatberechtigten Sohn. In Niederçsterreich schließlich hatte Singer fast 20 Jahre lang das Schankgewerbe ausgebt. Der Gewerbeschein bezeichnete Singer als dort heimatberechtigt. Außerdem hatten die cisleithanischen Behçrden Hanns Salomon Singer, einen Sohn Michaels, in Niederçsterreich zur Landwehr eingezogen. Allerdings bestritten die çsterreichischen Stellen die Beweiskraft dieses Vorgangs, da man Hanns Singer mit Erlaubnis der zustndigen ungarischen Behçrde und als Fremden eingereiht habe. Das bestritt wiederum die ungarische Seite. Die çsterreichischen Stellen verwiesen zudem darauf, dass Michael Singer 1886 wegen Betrugs verurteilt und nach Ungarn abgeschoben worden war. Das belege, dass er in keiner çsterreichischen Gemeinde zustndig war. Jahrelang stritten sich cis- und transleithanische Behçrden ber das Heimatrecht und die Staatsangehçrigkeit der Familie Singer und letztlich darber, wer die Versorgungskosten von ber 2.000 Kronen fr die sieben unehelich in Wien geborenen Enkelkinder Michael Singers zu tragen hatte. Schließlich anerkannte das k.u. Innenministerium 1896 die ungarische Staatsangehçrigkeit Michael Singers und seiner Nachkommen. Dieses Beispiel zeigt, wie komplex sich die Feststellung der rechtlichen Zugehçrigkeit von Personen gestaltete, die auf der Suche nach Ein- und Auskommen ihre Wohnorte wechselten und dabei administrative Grenzen berquerten. Es zeigt zudem, wie sich die Interessen kommunaler und staatlicher Behçrden berlagerten und zum Teil widersprachen, wobei insbesondere die Erfllung der Wehrpflicht und die Zuweisung von Versorgungsansprchen eine Rolle spielten. Ab 1889 stieg die Zahl hnlich unklarer Flle, weil Ungarn nach dem Gesetz von 1879 durch zehnjhrigen Aufenthalt in sterreich ihre Staatsangehçrigkeit verloren. Falls sie nicht die çsterreichische Staatsbrgerschaft erwarben, wurden sie staatenlos. Deswegen kam es 1894 zu einer Vereinbarung zwischen der cis- und der transleithanischen Regierung. Die ungarische Seite sollte diese „vaterlandslos Gewordenen“, falls sich die Frage nach ihrer Versorgung stellte oder falls sie aufgrund ihrer Staatenlosigkeit nicht zur Wehrpflicht

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herangezogen werden konnten, auf Antrag der çsterreichischen Behçrden in den ungarischen Staatsverband „rckbernehmen“.85 Bis 1899 gab es mindestens zwçlf solcher Flle. Obwohl sich die ungarischen Behçrden mehrmals insbesondere gegen die bernahme von Versorgungskosten zu wehren versuchten, verweigerten sie nur in einem Fall die Rckbernahme, weil die ursprngliche ungarische Staatsangehçrigkeit des Betroffenen nicht feststand.86 Zwischen 1900 und 1918 nahm die Zahl der Rckbernahmeantrge und auch die der Ablehnungen zu.87 Die Reintegration in den ungarischen Staatsverband verweigerte man in diesen Fllen deswegen, weil die betroffenen Frauen ihre inzwischen wieder verlorene ungarische Staatsangehçrigkeit durch Heirat mit einem Ungarn erworben hatten. Der Sinn der Vereinbarung von 1894 bestehe aber darin, so das k.u. Innenministerium, „dass nur solche wieder in den Verband ihres frheren Heimatlandes aufgenommen werden mçgen, welche ursprnglich Brger dieses Staates gewesen sind“.88 In einem anderen Fall kam es nicht zur Rckbernahme, weil die „ursprngliche (abstammungsgemße) ungarische Staatsbrgerschaft“ der betroffenen Witwe nicht zweifelsfrei war.89 In der administrativen Praxis galt also der gleichsam bloß formal-rechtliche Erwerb der ungarischen Staatsangehçrigkeit durch Heirat als irrelevant. Nur dem Erwerb durch Abstammung wies man materielle Bedeutung zu. Weitere Belege fr die gleichzeitig und in Wechselwirkung mit der Ethnisierung verlaufende Nationalisierung des ungarischen Rechts liefert die Debatte ber die Emigration im Kontext der Auswanderungsgesetze von 1903 und 1909.90 Diese Gesetze zielten in erster Linie auf die Kontrolle und die Reduzierung der berseeischen Auswanderung, also darauf, dass, in den Worten eines Reichstagsabgeordneten, der „nationale[] Blutverlust … gestillt“ werde.91 Eine der radikalsten Maßnahmen in dieser Richtung war das Ende 1900 auf dem Verordnungsweg verhngte Auswanderungsverbot nach Brasi-

85 Wien, AVA, MdI, Allg., 8, Ktn 353, 3340 – 1894, Briefwechsel zwischen k.k. und k.u. Ministerium des Innern, Januar 1894. 86 Wien, AVA, MdI, Allg., 8, Ktn 353, Buchstaben A-St. In sechs Fllen ging es um die Wehrpflicht und in den anderen sechs Fllen um die Versorgung der Betroffenen. In wenigen Fllen ist die endgltige Entscheidung nicht berliefert. 87 Allein fr Personen, deren Nachnamen mit A oder N begannen, wurde in neunzehn Fllen die Rckeinbrgerung beantragt. Darunter waren sieben Wehrpflichts- und zwçlf Versorgungsflle. In einigen Fllen wurde der Antrag zurckgezogen oder nicht endgltig entschieden. In drei Fllen verweigerte das ungarische Innenministerium die Rckbernahme. Wien, AVA, MdI, Allg., 8, Ktn. 144 und 176, Buchstaben A und N. 88 Wien, AVA, MdI, Allg., 8, Ktn. 144, 75805 – 1917 und 74069 – 1917, Marie Adam. 89 Wien, AVA, MdI, Allg., 8, Ktn. 144, 11005 – 1917 und 6265 – 1917, Elisabeth Arthofer. 90 Ungarn, GA IV von 1903 und II von 1909. s. Wien, HHStA, Adm. Reg., F 15, Ktn. 31, Ungarisches Auswanderergesetz. 91 Hock. Pester Lloyd, 14. 11. 1908, S. 4.

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Diagramm 2: Nach den USA ausgewanderte Ungarn in absoluten Zahlen

lien.92 Solche Restriktionen ermçglichten die Gesetze von 1903 und 1909. Allerdings ist fraglich, ob die Verbote effektiv durchsetzbar waren. Die Zahl der Auswanderer nahm um die Jahrhundertwende stark zu (s. Diagramm 2).93 Vor diesem Hintergrund wurde mehrfach angeregt, die Rckwanderung emigrierter Ungarn strker zu fçrdern. Ein Memorandum des k.u.k. Außenministeriums von 1901 belegt, dass diese Bemhungen zumindest teilweise erfolgreich waren: „Von allen unseren Auswanderern sind die Ungarn – wenigstens sofern sie der christlichen Religion angehçren – diejenigen, die am meisten an ihrer Heimat hngen, sich am seltensten ihrer Nationalitt entußern, und gewçhnlich wieder nach Ungarn zurckkehren. Nicht dasselbe kann leider von den slavischen Nationalitten gesagt werden, deren Angehçrige, durch eine ußerst rege panslavistische Agitation irregeleitet, nur zu oft dem Vaterlande in kurzer Zeit entfremdet werden.“94

Interessanterweise bestritt dieses Memorandum im Fall von Juden sowie Kroaten, Slowaken und Serben einen gleichsam verinnerlichten Bezug zur ungarischen Nation, der die Auswanderer zur Heimkehr drngte. Dass die geringere Rckkehrerquote bei den nicht-magyarischen Nationalitten zumindest zum Teil auch in einer ethnisch differenzierenden Remigrationspo92 Wien, HHStA, Adm. Reg., F 15, Ktn 31, 106399 – 1900, k.u. Innenministerium an k.u.k. Außenministerium, 15.11.1900. 93 Das Diagramm basiert auf den Angaben in Bolognese-Leuchtenmller, S. 135 f. Neben den USA waren Kanada, Argentinien und Brasilien weitere Ziele der ungarischen bersee-Migration. Zwischen 1876 und 1910 sind 1. 422. 205 ungarische Staatsangehçrige in die USA, 6.056 nach Kanada, 264.460 nach Argentinien und 8.500 nach Brasilien ausgewandert. Horvath, S. 35. Alle Zahlen wurden als Differenz zwischen den Angaben fr sterreich-Ungarn als Ganzes und Cisleithanien im Besonderen errechnet. Sie beruhen auf den in den europischen Auswanderungshfen gefhrten Statistiken, bercksichtigen also weder Re- noch Transmigrationsbewegungen. 94 Wien, HHStA, Md, Adm. Reg., F 15, Ktn. 7, Memorandum ber Auswanderungsfragen, Mai 1901.

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litik der ungarischen oder der gemeinsamen Regierung begrndet war, zeigt ein Erlass des k.u.k. Außenministeriums von 1905. Zur bernahme von Heimreisekosten fr verarmte Ungarn hieß es dort, dass man diese nur bernehme, wenn die Betroffenen ihre ungarische Staatsangehçrigkeit nachweisen kçnnten. Im Fall von Personen „magyarischer Zunge“ allerdings „wird in der Regel schon die Kenntnis dieser Sprache gengen, um die Betreffenden als Nationale zu legitimieren“.95 Die Emigrationsgesetze enthielten allerdings keine ethnisch differenzierenden Bestimmungen. Neben der Mçglichkeit von Emigrationsrestriktionen und der Fçrderung der Rckwanderung zielten sie auf eine bessere Versorgung aller ungarischen Auswanderer im Ausland: „In erster Linie behufs teilweiser oder gnzlicher Deckung der Reisekosten jener Vermçgenslosen, die in ihr Vaterland zurckkehren wollen, ferner behufs Orientierung der Ausgewanderten im Auslande, Versorgung derselben mit Arbeit, Errichtung von Unterkunftshusern fr dieselben, zu wohlttigen Zwecken, behufs Fçrderung ihrer religiçsen und geistigen Bedrfnisse ist ein besonderer Fonds zu begrnden.“96

Dass man auch bei der Emigrantenuntersttzung zumindest zum Teil darauf achtete, dass alle ungarischen Staatsangehçrigen unabhngig von ihrer ethnischen Identitt gleichermaßen von den jeweiligen Maßnahmen profitieren konnten, verdeutlicht eine Informationsbroschre fr Auswanderer. Diese ließ der „Ungarische Hilfsverein“ in New York 1910 in einer Auflage von 100.000 Exemplaren drucken. Sie enthielt Informationen zum „ungarischen Asyl“, das den Emigranten als nicht-kommerzielle „Wohlttigkeits-Institution“ billige Verpflegung, „hygienische“ Unterknfte, eine Bibliothek mit ungarischen Bchern und Zeitungen sowie einen Arbeitsvermittlungsservice zur Verfgung stellte. Außerdem erwhnte die Broschre den Bevollmchtigten des Hilfsvereins, der bei den US-amerikanischen Immigrationskontrollen auf Ellis Island auf die Wahrung der Interessen der ungarischen Einwanderer achtete und diesen fr Ausknfte zur Verfgung stand: „Die Einwanderer handeln daher in ihrem eigenen Interesse, wenn sie noch vor Betreten des Ufers auf der Insel Ellis sich nach den [sic!] Bevollmchtigten des ungarischen Asyls erkundigen, der sie sofort in Schutz nimmt, sonst werden sie eventuell durch gewissenlose Leute nach Betreten des Ufers irregefhrt, betrogen und ausgebeutet.“

95 Wien, HHStA, Md, Adm. Reg., F 8, Ktn. 140, 34813 – 1905, Zirkularerlass, 1.5.1905. 96 Ungarn, GA IV von 1903, § 35. Dieser Fonds wurde aus dem Staatsbudget und den Passgebhreneinnahmen sowie von den Transportunternehmen und den Banken, welche die Geldheimsendungen abwickelten, getragen.

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Diese Informationen enthielt die Broschre sowohl auf Ungarisch als auch auf Deutsch, Slowakisch, Rumnisch, Serbisch, Kroatisch und Ruthenisch (s. Abbildung 2).97 Aufgrund der teilweise staatlich finanzierten Emigrantenuntersttzung verwies man in der çsterreichischen Debatte um die Auswandererpolitik wiederholt auf die ungarische Herangehensweise als positives Vorbild. Gruppen, die eine aktivere Untersttzung der Emigranten durch die çsterreichischen Behçrden forderten, skizzierten auch die Regelung der behçrdlichen Zustndigkeit in Ungarn als vorbildhaft. Whrend die Kompetenz in Auswanderungsfragen in Cisleithanien bei den k.k. Handels- und Innenministerien, den Kronlndern und beim k.u.k. Außenministerium zugleich lag, war in Ungarn „aus nationalpolitischen Grnden immer nur das kgl. ung. Ministerium des Innern kompetent“.98 Die von der ungarischen Regierung betriebene intensivere Untersttzung der Emigranten fhrte zu Beschwerden der k.u.k. Vertretungsbehçrden im Ausland ber die zustzlichen Aufgaben, die ihnen aufgebrdet werden sollten. Das fr die Konsulate zustndige Departement im k.u.k. Außenministerium betonte, dass die gemeinsamen Vertretungsbehçrden alle Angehçrigen der Monarchie in gleichem Maße untersttzen mssten und in ihrer administrativen Praxis die ungarischen Staatsangehçrigen nicht bevorzugt behandeln drften.99 Die ungarische Regierung versuchte also in mehrerlei Hinsicht, die Verbindung der Auswanderer zu ihrer „Heimat“ aufrecht zu erhalten. Dabei gab es auch Maßnahmen und Stimmen, die neben der ethnisch-neutralen, staatlichen die ethno-kulturell verstandene, nationale Zugehçrigkeit strker betonten. Ein Reichstagsabgeordneter forderte die Regierung auf, mehr Lehrer und Seelsorger zur Betreuung der Auswanderer zu schicken, damit diesen „ungarischer Geist eingeimpft“ werde.100 Diskriminierung nach ethnischen Kriterien im Wahlrecht Nachdem bisher die angehçrigkeitsrechtlichen Außengrenzen des Staatsverbands im Vordergrund standen, soll nun anhand der Debatte um die Reform des Wahlrechts die innere Gliederung dieses Verbandes nher untersucht werden. Nach dem ungarischen Zensuswahlrecht waren im spten 19. Jahrhundert etwa 6 % der Bevçlkerung wahlberechtigt.101 Seit der Jahrhundertwende wurden die Stimmen lauter, die eine Ausweitung der demokratischen Partizipation forderten. Einerseits verlangte die sozial-demokratische Ar97 Wien, HHStA, Md, Adm. Reg., F 15, Ktn. 31, 53313 – 1910 und 48793 – 1910. 98 Wien, HHStA, Md, Adm. Reg., F 15, Ktn. 31, çsterreichisch-ungarische Kolonialgesellschaft an k.u.k. Außenministerium, 31.8. 1917. 99 Wien, HHStA: Adm. Reg., F 15, Ktn. 31, 76645 – 1902, Ungarisches Auswanderungsgesetz. 100 Madar ß. Pester Lloyd, 13. und 14.11.1908. 101 Szsz, Inter-Ethnic Relations, S. 395 f. Fischer u. Gndisch, S. 130. Gerç, S. 50.

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Abb. 2: Die ungarische Nation im Ausland als vielsprachiger Verband (Ungarisch, Deutsch, Slowakisch, Rumnisch, Serbisch, Kroatisch und Ruthenisch): Deckblatt einer Informationsbroschre fr ungarische Auswanderer in den USA, 1910, aus: Wien, HHStA, Md, Admin. Reg., F 15, Auswanderung, Ktn. 31.

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beiterbewegung die Einfhrung des allgemeinen Wahlrechts und bekrftigte ihre Forderung in stetig anwachsenden Massendemonstrationen. Andererseits klagten die nicht-magyarischen Nationalitten zunehmend, dass ihnen das politische System eine angemessene Reprsentation verwehre.102 1908 brachte Gyula Andr ssy Jr. als Innenminister einen Gesetzentwurf in den Reichstag ein, der unter anderem das allgemeine Mnnerwahlrecht einfhren sollte. Andr ssy betonte dabei den supra-nationalen Charakter des ungarischen Staates. Die Reform wolle die Macht „ohne Unterschied der Nationalitten“ in die Hnde derer legen, die verstndig seien und Kultur htten und die mit dem „historischen Charakter des Staates“ sympathisierten. Aber auf Andr ssys Formeln „ungarischer Staat“ und „politische Nation“ reagierten insbesondere die rumnischsprachigen Vertreter im Reichstag mit „Lrm auf den Bnken der Nationalitten“. Einen wesentlichen Grund fr diesen Unmut verdeutlicht die dem Motivenbericht Andr ssys beigefgte Statistik. Sie zeigt, dass der Regierungsentwurf der ungarischsprachigen Bevçlkerung berproportional mehr Einfluss auf die Politik einrumte als den deutsch-, rumnisch-, serbisch- oder slowakischsprachigen Bevçlkerungsteilen. Laut Andr ssy sollte das Gesetz sicherstellen, dass „jene Schichte der Nation das Parlament beherrsche, welche mit all ihren Traditionen und Gefhlen an das Vaterland geknpft ist und welche in ihrem historischem Charakter die grçßte Kraft des ungarischen Staates bildet“. Es bestand kaum Zweifel daran, dass damit die Magyaren im ethno-kulturellen Sinn gemeint waren.103 Das Wahlrecht sollte sie privilegieren und die anderssprachigen nationalen Gruppen benachteiligen. Einerseits ermçglichte dies die Ungleichheit des vorgeschlagenen Wahlrechts, wonach bestimmten Personen gemß ihrer Bildung und ihres Vermçgens entweder eine, zwei oder drei Stimmen zugesprochen wurden, und andererseits die „Wahlkreisgeometrie“.104 Ein Zeitungskommentar, der hier exemplarisch zitiert werden soll, formulierte auf deutliche Weise die Sicherung einer magyarischen Mehrheit als Ziel der Reform: „Unter den speziellen Rassenbevçlkerungsverhltnissen Ungarns ist eine Wahlreform, die auf dem Prinzip der Verallgemeinerung des Wahlrechts beruht, eine umso delikatere Aufgabe, als hier die Erhaltung des Gleichgewichts im çffentlichen Leben 102 Gerç, S. 46 f. hnliche Klagen spielten auch in den Wahlrechtsdebatten von 1848, 1867 und 1874 eine gewisse Rolle. Gerç, S. 52, vertritt die These, dass das ungarische Wahlrecht insbesondere die rumnischsprachige und die ungarischsprachige Bevçlkerung benachteiligte, whrend es die deutschsprachigen Sachsen in Siebenbrgen und andere sprachliche Minderheiten bevorzugte. Diese These ist fr die rumnische Bevçlkerung (11,2 % der Whler und 16,1 % der Gesamtbevçlkerung) und fr die Sachsen (12,7 % und 10,4 %) plausibel belegt, whrend nach den genannten Zahlen die „Magyaren” (56,2 % und 54,5 %) nicht unterreprsentiert waren. 103 Pester Lloyd, 11.11.1908. 104 Gerç, S. 9 f und 53 f.

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nur bei gehçriger Sicherung des geschichtlichen Charakters des Staates und der Rassenhegemonie des Ungarntums denkbar ist.“105

Der Reichstag stimmte der Reform 1913 zu, aber das Gesetz kam aufgrund parlamentarischer Krisen und des Krieges nicht mehr zum Tragen.106

1.3. Nation und Reich: Anmerkungen zu einer komplizierten Beziehung Die staatsangehçrigkeits- und staatsbrgerschaftsrechtlichen Entwicklungen in Ungarn und Kanada hnelten einander. In beiden Fllen setzte sich letztlich eine nationalstaatliche Logik durch. Das zeigt zum einen die privilegierte Behandlung von Auswanderern oder von mit Fremden verheirateten Frauen, die man als Nationszugehçrige betrachtete, obwohl sie angehçrigkeitsrechtlich Auslnder waren. Zudem schrfte das Migrationsrecht die Grenzen der sich abzeichnenden nationalstaatlichen Verbnde, im Auswanderungsland Ungarn durch inklusive, im Einwanderungsland Kanada durch exklusive Mechanismen. In beiden Fllen wirkten außerdem staatsbrgerschaftsrechtliche Binnenhomogenisierungsprozesse. Allerdings verlief die Egalisierung in Ungarn bei der Gleichstellung der Juden erfolgreicher als bei der Ausdehnung des Wahlrechts. Auch in Kanada konnte die Gleichberechtigung der naturalisierten Deutschen und die Integration der „Indianer“ nur ansatzweise realisiert werden, whrend die Ausdehnung politischer und sozialer Rechte den Großteil der Bevçlkerung in einen egalitren Verband integrierte. In kultureller Hinsicht war in Ungarn die assimilierende Magyarisierungspolitik und in Kanada die Integration der „europischen“ Einwanderer bedeutsam. Zuletzt kam es sowohl im ungarischen als auch im kanadischen Kontext zu einer Ethnisierung des Nationsbegriffs nach der Jahrhundertwende. Dadurch gewannen ethnisch exklusive und diskriminierende Maßnahmen an Bedeutung und verdrngten anationale Argumentationen, die staatliche oder imperiale Interessen betont hatten. In Ungarn verdeutlichte die Debatte ber das Gesetz von 1879 diesen bergang von – verkrzt gesagt – etatistisch-rationalen Argumenten zu nationalistisch-emotionalen Impulsen. In Kanada fhrten die nationalstaatlichen Integrationsabsichten zudem zu direkten Konflikten mit der imperialen Metropole um die Naturalisationspraxis. 105 Balogh, S. 2. 106 Man dehnte das Wahlrecht also nicht aus. Insgesamt waren die staatsbrgerschaftsrechtlichen Binnenhomogenisierungsprozesse in Ungarn nur schwach ausgeprgt. Sowohl bei den politischen, als auch bei den sozialen Rechten blieben große Unterschiede zwischen verschiedenen Gruppen ungarischer Staatsbrger bestehen. Zu Egalisierungsprozessen und gegenlufigen Tendenzen in Ungarn s. Kçvr, S. 26 f, 36, 127 und 152 f.

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Unterschiede und hnlichkeiten: Sub-metropolitane und semi-periphere Rume Dieser Konflikt verdeutlicht, dass die imperiale Gesamtkonstellation im kanadischen Fall die Entwicklung des Rechts strker beeinflusste. Darin liegt der erste signifikante Unterschied zwischen beiden Fllen. Die unterschiedlich enge imperiale Verflechtung fand ihren deutlichsten Ausdruck darin, dass Ungarn ber einen eigenstndigen Angehçrigenverband verfgte und diesbezglich selbststndig Regelungen beschließen konnte. Die Vorform einer eigenstndigen kanadischen Angehçrigkeit wurde dagegen erst 1910 etabliert. Neben dem selben Angehçrigkeitsstatus teilte der Großteil der kanadischen Bevçlkerung, der aus der Metropole eingewandert war, mit den Briten im Vereinigten Kçnigreich auch die selbe ethnische Identitt. Aus diesen Grnden war der imperiale Einfluss im kanadischen Fall deutlicher ausgeprgt. Die Durchsetzung der imperialistischen Logik in anderen Teilen des Britischen Weltreichs im frhen 20. Jahrhundert strkte deswegen auch die rassistische Diskriminierung in Kanada. Diese Ungleichbehandlungen betrafen vor allem Einwanderer aus Asien, fr die ein funktionales quivalent im Auswanderungsland Ungarn fehlte. Insofern war auch die in beiden Fllen unterschiedliche Migrationsstruktur entscheidend. Die Position Kanadas als Einwanderungsland fhrte dazu, dass die Integration der „europischen“ Immigranten und deren rechtliche Gleichstellung eine besondere Rolle spielten. Man kann sagen, dass eine integrative Politik im Vordergrund stand, die – zumindest argumentativ – auch soziale Unterschiede berwinden sollte. Hier zeigt sich der zweite signifikante Unterschied zwischen den beiden Vergleichsfllen. In Kanada stand einerseits die Exklusion „asiatischer“ und andererseits die Integration „europischer“ Einwanderer im Vordergrund. Die nationalstaatliche Tendenz zur Herauslçsung aus dem imperialen Gesamtverband folgte aus diesen beiden politischen Zielen. Im Zentrum stand dabei ein integrativer Nationalismus, der nach 1900 zunehmend ethnisch grundiert war. Der ungarische Nationalismus war hingegen eher separatistisch geprgt. Die nationale Selbststndigkeit stand im Vordergrund. Die politische und soziale Integration der Bevçlkerung wurde dadurch gleichsam von der politischen Agenda verdrngt. Man hielt an stndischen Traditionen fest und die politische Partizipation wurde nicht ausgedehnt. Wie in Kanada setzte sich auch in Ungarn um 1900 ein ethnisch geprgter Nationsbegriff durch, unter anderem weil ltere, multi-ethnische Konzeptionen des Nationalen die sich herausbildenden politischen und sozialen Massen nicht mehr in ausreichendem Maße integrieren konnten. Zudem verdeckte die Betonung ethnischer Identitt, der man strkere Bindungskraft zuschrieb, das Ausbleiben rechtlicher Egalisierungsprozesse. Die Ethnisierung des Nationalen erschwerte oder verhinderte in beiden Fllen die rechtliche Integration ethnischer Minderheiten. Whrend noch im 63

19. Jahrhundert die Gleichstellung der Juden in Ungarn durchgesetzt wurde, diskriminierte die geplante Wahlrechtsreform im frhen 20. Jahrhundert nach ethnischen Kriterien. Auch beim „enfranchisement“ der kanadischen „Indianer“ kann man eine zeitlich mit der Ethnisierung um 1900 zusammenfallende Schwchung der Integrationsrhetorik und eine damit verbundene Strkung von Diskriminierungsmechanismen feststellen. Die zunchst auf die staatsrechtlich definierten Territorien Kanadas und Ungarns bezogenen multi-ethnisch inklusiven Nationskonzepte wurden also durch ein ethnischexklusives Verstndnis der nationalen Zugehçrigkeit verdrngt, das die ethnische Identitt einzelner Personen oder Gruppen zum entscheidenden Kriterium machte. Trotz der beiden erwhnten Unterschiede, der strkeren imperialen Einbindung im kanadischen Fall und der Differenz zwischen dem integrativen Nationalismus in Kanada und dem ungarischen Separatismus, folgten die angehçrigkeits- und staatsbrgerschaftsrechtlichen Entwicklungen in beiden Fllen einer nationalstaatlichen Logik. Worin war diese hnlichkeit begrndet? Diese Frage lenkt den Blick auf die spezifische Position Kanadas und Ungarns innerhalb des Britischen Welt- respektive des Habsburgerreichs. In beiden Fllen handelte es sich um nicht-metropolitane Territorien, die aufgrund des hohen Maßes an politischer Selbststndigkeit, das ihnen eingerumt wurde, als semi-peripher beschrieben werden kçnnen.107 Sowohl fr Ungarn als auch fr Kanada wurde 1867 der politische Handlungsspielraum durch den British North America Act und den çsterreichisch-ungarischen Ausgleich entschieden erweitert. Die weitreichende legislative Selbststndigkeit bildete die Voraussetzung fr die Implementierung einer nationalstaatlichen Logik unterhalb der imperialen Ebene. Fr den ungarischen Fall mit seiner langen Tradition nationaler Unabhngigkeitsforderungen ist es wenig berraschend, dass diese Entwicklung bereits nach 1867 zu greifen begann. Dass in Kanada sptestens um 1900 rechtliche Nationalisierungsprozesse einsetzten, relativiert dagegen die bisher weitverbreitete Betonung des Ersten Weltkriegs als Auslçser fr die kanadische Nationsbildung.108 Die sub-metropolitane und semi-periphere Mittelstellung Kanadas und Ungarns innerhalb der Imperien, also die staatsrechtlich-politische Position zwischen Privilegierung und Benachteiligung, fhrte dazu, dass sich in beiden Fllen eine nationalstaatliche Logik durchsetzte. In der Metropole und an den Peripherien gestaltete sich das Verhltnis zwischen nationalen Vorstellungen und imperialen Strukturen dagegen anders.

107 Auch Pearson, S. 995, betont die „semi-peripheral“ Position der Dominions. Berger u. Miller, Nation-building, S. 318, bezeichnen Ungarn als sich nationalisierendes „sub-empire“. 108 Darwin, Imperial Twilight.

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Metropole: „imperial nation“ gegen „colonial nationalism“ Whrend im Habsburgerreich imperialistische Asymmetrien nur schwach ausgeprgt waren, sodass man kaum von einer Metropole sprechen kann, genoss das Vereinigte Kçnigreich eindeutig eine metropolitane und privilegierte Stellung. Letztlich bestimmte das britische Parlament allein die politischen Entscheidungen auf der imperialen Ebene. Die Untertanen in den Dominions und den Kolonien hatten auf dessen Zusammensetzung keinerlei Einfluss. Whrend diese kolonialen Strukturen einerseits kritisiert wurden, gab es andererseits ein Interesse an der Aufrechterhaltung der imperialistischen Privilegien und der Strkung des imperialen Zusammenhalts. Deswegen verwehrten sich viele Vertreter der britischen Metropole gegen die Vorstellung des „colonial nationalism“, whrend andere mit dieser Idee sympathisierten. Nach dem von Richard Jebb geprgten Konzept sollten sich einzelne Nationalstaaten allmhlich aus dem imperialen Verband herauslçsen.109 Mit „colonial nations“ waren dabei vor allem die Dominions gemeint, also die mehrheitlich von „europischen“ Immigranten bewohnten Teile des Weltreichs. Da die ethnische Homogenitt der Bevçlkerungen fr den Erfolg der Nationalstaatsbildungen als entscheidend angesehen wurde, stand die Regulierung und Restriktion der intra-imperialen Migration im Zentrum des Konzepts. Den Dominions sollte es demnach insbesondere ermçglicht werden, die Immigration „indischer“ Untertanen der britischen Krone zu verbieten und die bereits anwesenden „indischen“ Einwanderer zu „repatriieren“, also in ihr Herkunftsland zurckzuschicken. Die Prsenz der indigenen Bevçlkerungen in den Dominions wurde dabei als zu vernachlssigendes Phnomen gleichsam verdrngt. Nur durch die Exklusion der „Inder“ kçnne, so Jebb, das Empire seinen eigentlichen Existenzzweck erfllen, die „promotion and protection of nation-states“.110 Die Durchsetzung der Gleichberechtigung aller britischen Untertanen unabhngig von ihrer ethnischen Identitt widersprach dieser Zielsetzung. Diese Vorstellungen prgten die kanadische Migrationspolitik. Da dem „colonial nationalism“ eine Tendenz zur territorialen Desintegration des Britischen Weltreichs inhrent war, widersprach er dem metropolitanen Interesse an imperialer Kohsion. Aus dieser Konstellation resultierten die Konflikte zwischen der kanadischen und der britischen Regierung. Britische Vertreter, die nicht mit den zentrifugalen Tendenzen kolonialer Nationalstaatsbildungen sympathisierten, favorisierten stattdessen eine Vorstellung, die man als imperialen Nationalismus bezeichnen kann. Dieser zielte auf die 109 Jebb, Studies in Colonial Nationalism. Zu Jebb und seinem Konzept s.a. Gorman, S. 146 f. 110 Jebb, The Imperial Problem of Asiatic Immigration, S. 594 f. Auch das mehrheitlich von „NichtWeißen“ bewohnte indische Territorium sollte unter dem Schutz und mit der Hilfe des British Empire in einen indischen Nationalstaat verwandelt werden.

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Etablierung einer „imperial citizenship“, welche die Gesamtheit der britischen Untertanen zusammenfassen und so zentripetale Wirkung entfalten sollte. J. R. Seeley formulierte diesen Gedanken. Er wollte das Britische Weltreich in einen Nationalstaat zusammenfassen, innerhalb dessen alle Untertanen an den politischen Entscheidungen auf der imperialen Ebene teilhaben und gleichberechtigt sein sollten. Eine Antwort auf die Frage, ob auch die „nichtweißen“ Bevçlkerungen in diesen rechtlichen Homogenisierungsprozess mit einbezogen werden sollten, blieb Seeley schuldig.111 1892 empfahl Albert Shaw, in gleicher Richtung argumentierend, den Fçderalismus US-amerikanischer Prgung als politisches Organisationsprinzip fr das Britische Weltreich. Als einen der grçßten Vorteile dieses Modells pries Shaw die „universality of citizenship“. Dass gerade „those Englishmen and Scotchmen and Irishmen who show courage and enterprise enough to go out and build up the British Empire“ von den staatsbrgerlichen Rechten und von der politischen Partizipation ausgeschlossen wrden, stelle eine ungesunde Anomalie dar. Seinen Gegenentwurf umschrieb er folgendermaßen: „an empire consisting of self-governing groups of Britishers, in which each individual one of ,God’s Englishmen‘ would have rights as extensive as any of his fellows“.112 Offensichtlich hatten „nicht-weiße“ britische Untertanen keinen Platz in dieser imperialen Bundesrepublik. Die Existenz von „indischen“ und „afrikanischen“ Untertanen blendete Shaw aus, ihre Position innerhalb des vorgeschlagenen reichsweiten Staatsbrgerverbandes erwhnte er nicht einmal als Problem.113 Die Vorstellung der „imperial citizenship“ zielte also letztlich nicht auf die staatsbrgerschaftsrechtliche Gleichbehandlung aller britischen Untertanen, sondern vielmehr auf die Integration der „weißen“ britischen Untertanen als imperialer Nation. Die „nicht-weißen“ Untertanen wurden davon implizit ausgeschlossen. Dieses Verbergen der ethnischen Exklusivitt solcher Anstze reproduziert teilweise auch die Forschung. Gorman rckt bei seiner Darstellung der Debatte ber die imperiale Staatsbrgerschaft inklusive und ethnisch-neutrale Gesichtspunkte in den Vordergrund und lsst das rassistische Diskriminierungspotenzial dieser Anstze weitgehend außer Acht.114 111 Seeley. 112 Shaw. s.a. Dicey. Pearson, S. 994, spricht von der Vorstellung einer „transnational British kin group“, betont aber zugleich die Differenz zwischen „British migrants“ und „citizens of British ancestry born in settler societies“, wobei der Schwerpunkt seiner Untersuchung auf der Zeit nach 1918 liegt. 113 Shaw. Eine hnliche Verdrngungsleistung vollbrachte Dicey, der eine „common citizenship“ fr alle US-Amerikaner und britischen Untertanen vorschlug. Diese „isopolity“ sollte „intensify throughout the whole English race the sentiment of national unity“. 114 Gorman, S. 26, spricht von der „tie between imperial citizenship and the racial ideal of ,whiteness‘“ in dem Sinn, wie hier von der „imperial nation“ der „Weißen“ die Rede ist, vor allem im Kontext der Ideen von Arnold White. Dort, wo rassistische Vorstellungen nicht explizit formuliert wurden, bersieht Gorman sie oder er versteckt sie hinter verharmlosenden Formulierungen. Zu Lionel Curtis schreibt er: „his proposals offered little immediate solace for

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Letztlich beruhte aber der imperiale in gleicher Weise wie der koloniale Nationalismus auf ethnischer Exklusion und rechtlicher Diskriminierung. Whrend der „colonial nationalism“ jedoch auf der Basis der territorialen Gliederung des Britischen Weltreichs zentrifugale Tendenzen entwickelte, betonte das Konzept der imperialen Nation „rassische“, also personale Kriterien der Zusammengehçrigkeit.115 Seine Vertreter wollten die „weißen“ britischen Untertanen in den verschiedenen Teilen des Reichs in einem rechtlich homogenen Verband zusammenfassen, um dadurch die Kohsion der imperialen Struktur zu strken. Anstze einer solchen Kooperation kamen vor 1918 in den zunchst „Colonial“, dann „Imperial Conferences“ genannten Beratungen zwischen den Regierungen des Vereinigten Kçnigreichs und der Dominions zum Tragen. Diese ermçglichten zumindest eine indirekte Partizipation der Whler in den „weißen“ Siedlungskolonien an den Entscheidungen auf imperialer Ebene. Die umfassende Durchsetzung des Konzepts der „imperial citizenship“ htte allerdings den Verlust der innerhalb der imperialistischen Struktur privilegierten Position des britischen Parlaments und seiner Whler im Vereinigten Kçnigreich zur Folge gehabt. Das ist einer der wesentlichen Grnde dafr, dass sich der imperiale Nationalismus letztlich nicht durchsetzte. Das Verhltnis zwischen nationalen Vorstellungen und imperialistischen Interessen innerhalb der britischen Metropole blieb also bis zum Ende des Ersten Weltkriegs ungeklrt und ambivalent. Man schwankte zwischen der Aufrechterhaltung der imperialistischen Machtasymmetrie, der Zusammenfassung der „weißen“ britischen Untertanen in einem rechtlich homogenen Personenverband und sympathisierte zugleich mit dem kolonialen Nationalismus. Letztlich setzte sich diese dritte Option 1931 mit dem Statut von Westminster durch, das den Dominions weitgehende Selbststndigkeit einrumte. Es bestimmte den weiteren Verlauf der allmhlichen Desintegration des Britischen Weltreichs. Peripherien: Unabhngigkeit, Autonomie, Gleichberechtigung Das ambivalente Verhltnis der britischen Metropole gegenber nationalistischen Vorstellungen war entscheidend in dem nationalen Konflikt begrndet, der innerhalb des Vereinigten Kçnigreichs von Großbritannien und Irthe Empire’s non-white subjects“. Ebd., S. 68. John Buchans Konzept der „imperial citizenship“ begreift Gorman als kosmopolitisch, obwohl er gleichzeitig feststellt: „(It must be emphasized that Buchan was certainly not a proponent of equal status for all, at least in the short term.)“ Ebd., S. 100. 115 Den wesentlichen Unterschied zwischen territorial und personal definierten Zugehçrigkeitskonzepten verkennen Berger u. Miller, Nation-building, S. 317 und 320, die fr das Britische Weltreich eine Nationalisierung des imperialen Kerns konstatieren und damit die britischen Inseln meinen. Diese Verkrzung der Problematik ist umso berraschender, als die Autoren selbst auf Seeleys Expansion of England verweisen.

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land selbst ausgetragen wurde.116 Allerdings fehlte es im irischen Fall, dessen Einfluss auf die zeitgençssischen Debatten ber Reich und Nation gar nicht hoch genug eingeschtzt werden kann, an der notwendigen gesetzgeberischen Selbststndigkeit, um eine nationalstaatliche Logik umzusetzen. Anders als den Dominions verweigerte man der sich herausbildenden irischen Nation die unter dem Schlagwort „Home Rule“ geforderte Eigenstndigkeit. Erst nach der konfrontativen Durchsetzung der Unabhngigkeit am Ende des Ersten Weltkriegs konnte Irland eine nationalstaatliche Logik implementieren.117 Von hnlicher Prominenz wie der irische im britischen war der tschechische Nationalismus im habsburgischen Kontext.118 Auch in diesem Fall setzte sich eine nationale Selbststndigkeit auf territorialer Grundlage erst nach 1918 durch. Allerdings garantierte der Mhrische Ausgleich von 1905 bereits zuvor der sich etablierenden tschechischen, oder in der offiziellen Diktion „bçhmischen“ Nation eine teilweise Autonomie. Der Ausgleich ermçglichte und erzwang die Definition eines nationalen Personenverbandes innerhalb des imperialen Zusammenhangs.119 Das Verhltnis des tschechischen Nationalismus zur imperialen Struktur war also sowohl von Konfrontation als auch von Kooperation geprgt, wobei sich die zentrifugalen Tendenzen – aufgrund der komplexen staatsrechtlichen Struktur sterreich-Ungarns – weniger gegen das habsburgische Reich als vielmehr gegen die cisleithanische Regierung richteten.120 Staatsrechtlich betrachtet entwickelten sich der irische und der tschechische Nationalismus in politisch homogenen Einheiten, im Vereinigten Kçnigreich auf der einen und in sterreich auf der anderen Seite. In beiden Fllen konnten Vertreter in die jeweiligen Parlamente nach London und nach Wien entsandt werden, deren Beschlsse fr das gesamte Staatsterritorium Gltigkeit beanspruchten. Insofern waren die irische und die tschechische Position im Unterschied zur sub-metropolitanen Stellung Kanadas und Ungarns von einem geringeren Grad an rechtlicher Selbststndigkeit geprgt. Dennoch schwankten auch das irische und das tschechische Verhltnis zum imperialen Gesamtzusammenhang des Britischen Welt- und des Habsburgerreichs zwischen Kooperation und Konfrontation. Besonders deutlich kam diese Ambivalenz im tschechischen Fall durch die unter der Oberhoheit des cisleithanischen Staats ausgebte teilweise Autonomie zum Ausdruck.

116 English. Biagini. Canny. Hart. 117 Allerdings verweigerte das britische Recht bis weit ins 20. Jahrhundert hinein dem eigenstndigen irischen Angehçrigenverband die Anerkennung. Irische Staatsangehçrige wurden im Vereinigten Kçnigreich automatisch wie britische Untertanen und nicht als Auslnder behandelt. 118 Wassertheurer. Koralka. Haslinger. Kwan. 119 In diesem Kontext begreift Judson, Introduction, S. 4 f, die Betonung der Sprache im tschechischen Nationalismus als eine Folge der staatlich-politischen Umstnde seiner Entstehung. 120 Sˇtaif.

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Die Formierung der indischen Nationalbewegung war dagegen von imperialistischen Machtasymmetrien und der kolonial-peripheren Situation Indiens im Britischen Weltreich geprgt. Neben den sub-metropolitanen Fllen und den Nationalismen, die sich innerhalb staatlich homogener, multi-nationaler Einheiten entwickelten, verweist das indische Beispiel auf eine dritte mçgliche Konstellation des Verhltnisses von Nation und Reich innerhalb imperialer Strukturen. Zwar forderten auch die Vertreter der indischen Nationalbewegung Autonomie und „Home Rule“, aber daneben betonten sie immer wieder den Anspruch auf die rechtliche Gleichheit aller britischen Untertanen unabhngig von ihrer ethnischen Identitt. Diese Appelle resultierten aus den imperialistischen Diskriminierungen, denen die indischen Untertanen der britischen Krone ausgesetzt waren und die den Gleichheitsversprechen der imperialen Metropole widersprachen.121 Die ausgeprgten kolonialen Benachteiligungen markieren den zentralen Unterschied zwischen der indischen Situation einerseits, und den irischen und tschechischen, sowie den kanadischen und ungarischen Fllen andererseits. Trotz dieser Diskrepanzen changierte jedoch auch die indische Nationalbewegung zwischen einer kooperativen und einer konfrontativen Haltung gegenber dem Britischen Weltreich. Nation und Reich: Alternativen zum Narrativ der nationalen Emanzipation Dieser kurze Durchgang durch verschiedene Konstellationen des Verhltnisses zwischen Nation und Reich verdeutlicht, dass Nationalisierungsprozesse in imperialen Kontexten entscheidend von der spezifischen Position beeinflusst wurden, welche die sich herausbildenden Nationen innerhalb der imperialen Strukturen einnahmen. Dementsprechend muss man verschiedene Typen der Nationalisierung mit je spezifischem Bezug zum imperialen Gesamtkontext unterscheiden. Das weitverbreitete Narrativ von der nationalen Emanzipation aus imperialer Unselbststndigkeit allein kann die Vielfalt nationaler Argumentations- und Handlungsmuster nicht angemessen erfassen. Dieses Emanzipationsmodell geht davon aus, dass die nationalstaatliche Kombination von Binnenhomogenisierung und exklusiver Schrfung der Außengrenzen eines nationalen Verbandes innerhalb einer ethnisch und politisch heterogenen, imperialen Konstellation zur allmhlichen Herauslçsung „der Nation“ aus dem Reich fhren muss. Deswegen werden nationalstaatliche Entwicklungen, diesem Narrativ zufolge, von Krften, die den imperialen Zusammenhang erhalten wollen, bekmpft.122 121 „Racial discrimination was a major formative influence behind the growth of nationalism in India in the nineteenth century.“ Bose, N., S. 1. 122 Rudolph. Emerson. Tilly, S. 7, formuliert diese These explizit im Hinblick auf den rechtlichen Status der Reichsbewohner, wobei seine Darstellung die Homogenisierungsprozesse als Demokratisierung bezeichnet und nicht als nationale tituliert: „… at an imperial scale their [the empires’] segmentation and reliance on indirect rule bar equal citizenship, binding consul-

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Diese Darstellung trifft zwar sicherlich auf bestimmte Phnomene zu, greift aber als allgemeine Erklrung zu kurz. Der ungarische und der kanadische Fall zeigen deutlich, dass sich unterhalb der imperialen Ebene nationalstaatliche Strukturen etablieren und mit der berwçlbenden Reichsstruktur koexistieren konnten.123 Zwar fhrten diese Prozesse mittel- und langfristig sowohl in Kanada als auch in Ungarn zur nationalen Selbststndigkeit, aber fr die Zeitgenossen war dieser Endpunkt der Entwicklung keineswegs absehbar und selbstverstndlich. In gewisser Weise kann man sagen, dass die spezifische Position Kanadas und Ungarns innerhalb der imperialen Kontexte die Nationalisierungsprozesse in beiden Fllen befçrderte. Deswegen reicht es nicht aus, Nationalisierungsprozesse ausschließlich als imperiale Desintegrationstendenzen zu beschreiben. Stattdessen sollte man ein differenzierteres Modell fr die Darstellung intra- und sub-imperialer Nationalismen entwickeln.124 Die Unterscheidungen von kooperativem und konfrontativem Verhalten gegenber dem imperialen Gesamtzusammenhang, von territorial oder personal definierten nationalen Zugehçrigkeiten sowie von multi-ethnisch inklusiven und ethnisch exklusiven Nationsbegriffen liefern dafr zentrale Ansatzpunkte. Daneben war es von entscheidender Bedeutung, ob die nationalistischen Forderungen aus einer kolonial-peripheren oder einer sub-metropolitanen Position heraus oder innerhalb eines staatlichhomogenen Reichsteils formuliert wurden. In jedem Fall prgte die imperiale

tation, and protection, if not necessarily breadth of membership. This definitional work helps specify what an imperial transition to democracy entails: either (a) the dismantling of the prior empire into segments within which regional institutions lend themselves to broad, equal citizenship …; or (b) the dissolution of indirect rule in favor of a more direct, uniform citizenship generating sets of ties between center and peripheries.“ Die These, dass sich Imperien gleichsam zwangslufig auflçsen, vertritt Motyl. Fr den habsburgischen Fall geht u. a. Wank von der gleichsam natrlichen Desintegration des Reichs aufgrund nationaler Unabhngigkeitsbestrebungen aus. Etwas differenzierter beurteilte der Zeitgenosse Jaszi den Zerfall des Habsburgerreichs. Das Scheitern des Versuchs, ein staatliches und supranationales Zusammengehçrigkeitsgefhl zu etablieren, fhrte ihm zufolge zur Desintegration des Reichs. 123 In diesem Sinn muss die Strkung nationaler Autonomierechte innerhalb von Imperien nicht als Desintegrationstendenz gewertet werden, sondern kann auch als „an asset in terms of maintaining ethnic loyalties, and hence in maintaining imperial cohesion“ gelten. Rudolph, S. 3 f. Zur nationalen Autonomie innerhalb eines multi-nationalen Staates als dem çsterreichischen Lçsungsweg und als Kompromiss zwischen Zentralismus und Nationalismus s. Rusinow. Die çsterreichisch-ungarische Lçsung war hingegen nach Rusinow die Konfçderation, whrend Ungarn den Weg der Assimilation ging. 124 Berger u. Miller, Nation-building, S. 317, wenden sich gegen die These, dass „nation-state formation in Europe (particularly East-Central Europe) was invariably undermining empires and that imperial elites were doing their best to block nation-building processes“. s.a. Cohen, G., Nationalist Politics, S. 241. Nach Miller, The Value and Limits, S. 22, muss die Nationalismusforschung im imperialen Kontext „interactions of multiple actors“ mit „possible alternative outcomes“ bercksichtigen.

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Struktur die sich herausbildenden Nationalbewegungen und lenkte sie durch Fçrderungen und Beschrnkungen in bestimmte Richtungen.125 Diese Vorschlge zur Differenzierung antworten auf eine in der historiografischen Debatte zuletzt vermehrt erhobene Forderung. Die mit dem Emanzipationsnarrativ verknpfte Annahme, die Desintegration der Imperien sei im Zeitalter des Nationalismus unausweichlich gewesen, msse, so der Anspruch, revidiert werden. Jngere Anstze betonen einerseits die imperialen Kohsionskrfte und andererseits die Mçglichkeit der Koexistenz nationaler Identitten und imperialer Loyalitten.126 Diese Koexistenz charakterisiert smtliche genannten Beispiele von intraund sub-imperialen Nationalismen. In allen Fllen traten kooperative und konfrontative Haltungen gegenber dem imperialen Gesamtkontext in je bestimmten Mischungsverhltnissen auf. Diese Ambivalenz prgte insbesondere die Forderungen der indischen Vertreter nach ethnisch-neutraler Gleichheit. In – vor dem Hintergrund des Emanzipationsnarratives – paradoxerweise verlangte eine kolonial-periphere Nationalbewegung Maßnahmen, die den imperialen Zusammenhalt htten strken kçnnen. Die Autonomie, die ethno-nationalen Gruppen in Cisleithanien eingerumt wurde, verweist ebenfalls auf die mçgliche Koexistenz von Nation und Reich. Dem indischen und dem çsterreichischen Fall widmet sich deswegen der folgende Abschnitt.

125 In diesem Sinn fhrt nach Barkey, Thinking, S. 100, die Auseinandersetzung mit der imperialen Geschichte dazu, dass „[t]he Western-based theoretical framework for modern nationbuilding has to be rethought“. 126 Leonhard u. Hirschhausen, Does the Empire strike back? Cole u. Unowsky, The Limits of Loyalty. Cohen, G., Nationalist Politics, S. 244. Canny. Dek, Beyond Nationalism. Der Zusammenbruch des Habsburgerreichs war Dek zufolge nicht in erster Linie eine Folge der zentrifugalen Nationalismen, sondern des verlorenen Krieges. Ders., The Fall of AustriaHungary.

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2. Etatistische Anstze: sterreich und Indien 2.1. Vom ethnisch neutralen Staat zur cisleithanischen Anerkennungspolitik In sterreich, Cisleithanien oder – nach dem offiziellen Vokabular – in den im Reichsrat vertretenen Kçnigreichen und Lndern bedeutete das Jahr 1867 einen Triumph des Liberalismus, allerdings nicht im nationalen Sinn wie in Ungarn, sondern im politischen und rechtlichen Sinn als Sieg des Liberalismus ber den Neoabsolutismus. Die Staatsgrundgesetze von 1867 garantierten den Brgern grundlegende Rechte und errichteten eine konstitutionelle Monarchie mit dem Reichsrat als Parlament. Deswegen bezeichnet man die Zeit bis zum Ersten Weltkrieg als Verfassungsra. Einige Elemente des Neoabsolutismus blieben auch nach 1867 bestehen, insbesondere die zentralisierte staatliche Verwaltung, also die Hauptmannschaften in den Bezirken und die Statthaltereien in den 15 Kronlndern. An der Spitze dieser Verwaltung standen die kaiserlich-kçnigliche Regierung unter dem çsterreichischen Ministerprsidenten in Wien und der çsterreichische Kaiser. Neben der staatlichen Verwaltung existierten in Cisleithanien die sogenannten autonomen Verwaltungen mit den in ihrer Selbststndigkeit gestrkten Gemeinden sowie den Bezirks- und Landesausschssen. Letztere regelten zusammen mit den Landtagen die inneren Angelegenheiten der Kronlnder. Die Judikative, in der Verfassungsra durch die Einrichtung des Reichsgerichts und des Verwaltungsgerichtshofs gestrkt, berwachte schließlich die Einhaltung der Verfassung und der Gesetze. In den meisten Kronlndern lebten ethnisch heterogene Bevçlkerungen; sie waren, um den zeitgençssischen und çsterreichgerechten Ausdruck zu verwenden, gemischtsprachig (Bçhmen, Mhren, Schlesien, Galizien, Bukowina, Steiermark, Krnten, Kstenland und Tirol), whrend nur einige weitgehend homogen deutsch- (Niederçsterreich, Oberçsterreich, Salzburg, Vorarlberg), kroatisch- (Dalmatien) oder slowenischsprachig (Krain) waren. Diese Ausgangslage machte im vom Nationalismus geprgten langen 19. Jahrhundert eine intensive politische Auseinandersetzung mit dem Problem ethnischer Heterogenitt unumgnglich. Zudem verstrkten Binnenwanderungsprozesse das vielfltige Nebeneinander. Diese waren wie die anderen signifikanten Migrationsbewegungen im spten 19. und frhen 20. Jahrhundert – die Saisonwanderung ins Deutsche Reich und die Emigration nach Nord- und Sdamerika – vor allem çkonomisch motiviert und fhrten große Teile der Landbevçlkerung in die industriellen und urbanen Zentren. Viele Stdte 73

wuchsen rasch, und insbesondere in Wien entwickelte sich eine spannungsgeladene kulturelle Mischung aus Massenunterhaltung, Hochkultur und Avantgarden. Whrend des Dualismus kam es zunchst zu einem wirtschaftlichen Boom in der sogenannten Grnderzeit, der mit dem Bçrsenkrach von 1873 abrupt und katastrophal endete. Doch die Wirtschaft erholte sich schnell und wuchs seit den spten siebziger Jahren relativ kontinuierlich bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Allerdings sollte das nicht darber hinwegtuschen, dass Hunger, Armut und Elend whrend der gesamten Verfassungsra weit verbreitet waren. Viele interpretierten diese Phnomene als Folgen der kapitalistischen Ausbeutung. Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts gewann die Arbeiterbewegung an Bedeutung. Obwohl die çsterreichische Sozialdemokratie spter bis in die Parlamente vordrang, blieb ihr der Zugang zur Regierungsmacht verwehrt. Diese hatten zunchst die vornehmlich deutschsprachigen Liberalen inne. Ab 1879 bernahm der konservative „Eiserne Ring“ die Regierungsmacht, der die Position der nicht-deutschsprachigen Nationalitten strkte und erste sozialpolitische Maßnahmen ergriff. 1897 begann mit der Badeni-Krise die Zeit der intensiven Nationalittenkonflikte, in der verschiedene Regierungen versuchten, in meist kurzen Amtsperioden die nationalen Auseinandersetzungen zu befrieden. Im frhen 20. Jahrhundert wurden das allgemeine Mnnerwahlrecht und soziale Staatsbrgerrechte eingefhrt. Diese Entwicklungen fielen mit der Herausbildung massendemokratischer und massenmedialer Strukturen zusammen, wobei sich die christlich-soziale und verschiedene nationale Bewegungen als neue Parteien etablierten und die politischen Auseinandersetzungen mit ihrer nationalistischen und teils antisemitischen Propaganda prgten. Gleichzeitig ußerten sich die Konflikte zwischen den nationalen Gruppen und die antisemitischen Ressentiments zunehmend in gewaltttigen Auseinandersetzungen. Die Verfassungsra endete nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs mit der Einrichtung autoritrer Regierungsstrukturen und letztlich mit der Desintegration der Habsburgermonarchie. Im Folgenden steht die Frage im Zentrum, wie sich in diesem Umfeld das Staatsangehçrigkeits- und das Staatsbrgerschaftsrecht entwickelten. Dabei gewinnt die Frage nach der Bedeutung nationalstaatlicher, etatistischer und imperialistischer Logiken besondere Relevanz vor dem Hintergrund der Forschungsdiskussion darber, ob eher nationale, zentrifugale Krfte oder gesamtstaatliche, zentripetale Tendenzen die çsterreichische Entwicklung dominierten.1 1 Einerseits wird in dieser Debatte der çsterreichische Staat ins Zentrum gerckt und vornehmlich untersucht, wie Eliten in Politik, Rechtsprechung und Verwaltung die çkonomischen, sozialen und nationalen Probleme zu bewltigen versuchten. Stourzh, Die Gleichberechtigung der Nationalitten. Andererseits betont man die Rolle der nationalen Bewegungen als Akteure und deren wachsende Bedeutung. King. Jngste Untersuchungen unterstreichen, dass trotz der nationalistischen Anstrengungen große Teile der Bevçlkerung national indifferent blieben. Zahra.

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Die Nicht-Nationalisierung des Staatsangehçrigkeitsrechts Zunchst kann man feststellen, dass der Gesetzgeber das Staatsangehçrigkeitsrecht in der Verfassungsra nicht vernderte. Obwohl das Staatsgrundgesetz von 1867 ein Ausfhrungsgesetz ber den Erwerb und den Verlust der çsterreichischen Staatsbrgerschaft angekndigt hatte, kam es nicht zu einer Novelle. Das ist verwunderlich, weil gerade das Staatsangehçrigkeitsrecht in vielen Fllen als rechtliches Instrument zur Inklusion oder Exklusion bestimmter ethnischer Gruppen in den oder aus dem Staatsverband diente. Warum also blieb es in Cisleithanien unverndert, whrend gleichzeitig die Frage der nationalen Zugehçrigkeit zunehmend an Bedeutung gewann? Warum war gerade dieser Rechtsbereich nicht von der Nationalisierung des Politischen betroffen, blieb gleichsam ausgespart? Es ergibt sich also die fr den Historiker problematische Aufgabe, erklren zu mssen, warum sich etwas nicht verndert hat. Zunchst aber sollte man die Gesetzeslage, so wie sie sich 1867 darstellte, rekonstruieren, um danach fragen zu kçnnen, welche nderungen vorgeschlagen wurden, wie sie begrndet waren und warum sie sich letztlich nicht durchsetzten. Im Wesentlichen bestimmte das Allgemeine Brgerliche Gesetzbuch (ABGB) von 1811 das çsterreichische Staatsangehçrigkeitsrecht bis 1918.2 Das çsterreichische Recht beruhte auf dem ius sanguinis, also dem Abstammungsprinzip, nach dem Kinder die Staatsangehçrigkeit ihrer Vter oder ihrer unehelichen Mtter gleichsam erbten. Nach diesem Rechtsprinzip wurden im Inland geborene Kinder von Einwanderern nicht in den Staatsangehçrigenverband integriert, whrend im Ausland geborene Kinder von Auswanderern in der Staatsangehçrigkeit ihrer Eltern verblieben. Allerdings wich das çsterreichische Recht in beiderlei Hinsicht durch spezielle Regelungen vom reinen Abstammungsprinzip ab. Zum einen bestimmte das ABGB, dass man die çsterreichische Staatsangehçrigkeit3 entweder durch den Antritt eines Gewerbes oder eines çffentlichen Amtes oder durch zehnjhrige Ansssigkeit im Inland automatisch erwarb. Insbesondere die letztgenannte Bestimmung, das sogenannte Domizilsprinzip, nach dem eine Person zu dem Staat gehçren sollte, auf dessen Territorium sie ansssig war, integrierte, anders als das ius sanguinis, Einwanderer und ihre Nach-

2 Ulbrich, S. 34 f. Seeler, S. 104. Burger, Passwesen und Staatsbrgerschaft, S. 168. Zum çsterreichischen Recht im 19. Jahrhundert s. Gosewinkel, Einbrgern und Ausschließen, S. 33 – 41. 3 Das çsterreichische Recht sprach von der çsterreichischen „Staatsbrgerschaft“ und bezeichnete damit den angehçrigkeitsrechtlichen Status. Diese Begriffswahl ist keineswegs irrelevant. Da die vorliegende Arbeit allerdings analytisch zwischen der Staatsangehçrigkeit als dem formalrechtlichen Status und der Staatsbrgerschaft als dessen materiell-rechtlichem Inhalt unterscheidet, wird auch im Kontext des çsterreichischen Rechts von Staatsangehçrigkeit die Rede sein. Zur analytischen Unterscheidung beider Begriffe s. Gosewinkel, Staatsbrgerschaft und Staatsangehçrigkeit.

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kommen in den Staatsangehçrigenverband. Der Gesetzgeber schaffte jedoch bis 1867 alle drei automatischen Erwerbsgrnde ab.4 Seit 1867 bestanden also keine rechtlichen Regelungen mehr, die Einwanderer und ihre Nachkommen automatisch in den çsterreichischen Staatsverband integriert htten. Die rechtliche Inklusion ließ sich nur mehr durch Einbrgerung erreichen. Nach dem ABGB lag die Einbrgerung im Ermessen der politischen Behçrden, die „das Vermçgen, die Erwerbsfhigkeit und das sittliche Betragen des Ansuchenden“ prften und dann, falls eine inlndische Gemeinde dem Bewerber die Aufnahme in den Heimatverband in Aussicht gestellt hatte, eine Naturalisationsurkunde ausstellten.5 Auffllig ist, dass man in sterreich eine bestimmte Dauer der Ansssigkeit im Inland – international blicherweise fnf Jahre – nicht zur Bedingung machte. Insofern waren die Naturalisationsbestimmungen vergleichsweise inklusiv gestaltet. Zustzlich vereinfachte die Reform des Heimatrechts von 1896 den Zugang zur çsterreichischen Staatsbrgerschaft, indem sie den Erwerb der Gemeindeangehçrigkeit erleichterte. Auch bei der Behandlung von Auswanderern wich das çsterreichische Recht vom ius sanguinis ab. Einerseits bestimmte das ABGB den automatischen Verlust der Staatsbrgerschaft durch zehnjhrigen Aufenthalt im Ausland. Andererseits verfgte das Auswanderungspatent von 1832, dass die Angehçrigkeit bereits durch die Auswanderung selbst, also beim berqueren der Staatsgrenze mit dem Willen, nicht zurckzukehren, verloren ging.6 Lediglich die Kinder dieser Auswanderer genossen insofern rechtliche Vorzge, als das Recht ihnen im Fall ihrer Rckkehr nach sterreich die sofortige Wiedererlangung der çsterreichischen Staatsangehçrigkeit ermçglichte.7 Das gleiche Gesetz verfgte, dass eine sterreicherin durch die Heirat mit einem Auslnder ihre çsterreichische Staatsangehçrigkeit verlieren sollte. Eine erleichterte Rckkehr in den çsterreichischen Staatsverband wurde diesen Frauen verwehrt. Das Auswanderungspatent bestimmte explizit, dass sie nach dem Tod ihres Ehemannes nur im Rahmen des allgemeinen Einbrgerungsverfahrens in ihre ursprngliche Staatsangehçrigkeit zurckkehren kçnnten.8 1833 wurde zudem der umgekehrte Fall dahin gehend geregelt, dass eine Auslnderin durch die Heirat mit einem sterreicher dessen 4 1833 machte ein Hofkanzleidekret den Erwerb der Staatangehçrigkeit durch zehnjhrige Ansssigkeit von einer behçrdlichen Genehmigung und von der Leistung des Untertaneneides abhngig, wodurch aus dem Automatismus ein der Einbrgerung sehr hnlicher Verwaltungsakt wurde. 1860 schaffte eine kaiserliche Verordnung den Erwerb durch Antritt eines Gewerbes ab. Und schließlich beschrnkten die Staatsgrundgesetze von 1867 den Zugang zu çffentlichen mtern auf Staatsangehçrige, wodurch der Erwerb durch Amtsantritt implizit abgeschafft wurde. Seeler. Burger, Passwesen und Staatsbrgerschaft. 5 sterreich, ABGB, § 30. Ulbrich, S. 35. Seeler, S. 104. 6 Milner, S. 56 f. 7 Seeler. Burger, Passwesen und Staatsbrgerschaft. 8 Karminski, S. 104 f.

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Staatsangehçrigkeit erwarb. Dies war der einzige Grund fr den automatischen Erwerb der çsterreichischen Staatsangehçrigkeit, der bis 1918 bestehen blieb. Diesen letzten Punkt, die angehçrigkeitsrechtliche Behandlung der Ehefrau, diskutierte man in sterreich vor 1918 kaum. Das ist insofern bemerkenswert, als die selbststndige Staatsangehçrigkeit der Ehefrau sowohl bei der Novellierung des britischen Rechts von 1914 als auch im Deutschen Reich 1913 eine entscheidende Rolle spielte.9 Dabei forderten Frauenrechtlerinnen, dass die Staatsangehçrigkeit der Frau im Sinne der Gleichberechtigung unabhngig sein sollte von der ihres Ehemannes. Die Frauen, so das Argument, hingen in gleichem Maße an ihrer Nation wie die Mnner. Deswegen sei es ungerecht, dass sie, wenn sie einen Auslnder heirateten, zum Wechsel ihrer Angehçrigkeit gezwungen wrden. Zumindest mssten besondere Regelungen den betroffenen Frauen als Geschiedenen oder Verwitweten die Rckkehr in ihre ursprngliche Staatsangehçrigkeit erleichtern. In den Diskussionen um die Reform des çsterreichischen ABGB in den Jahren 1908 und 1913 brachten die frauenrechtlichen Zeitschriften diese Punkte und Argumente jedoch nicht vor.10 Lediglich die Rezension eines vom internationalen brgerlichen Frauenbund herausgegebenen Buches zur „Stellung der Frau im Rechte der Kulturstaaten“ verwies auf das Problem: „Daß Staatsbrgerinnen, die einen Auslnder heiraten, die çsterreichische Staatsbrgerschaft verlieren, erscheint nach Leistungen, wie §591, gar nicht mehr aufregend, obwohl es eine sehr bçse Sache ist, die mit aller Energie bei Beratung des neuen Gesetzes bekmpft werden soll.“11

Der erwhnte § 591 verwehrte Frauen, neben Ordensmitgliedern, Minderjhrigen und „Sinnlosen, Blinden, Tauben oder Stummen“, bei Testamenten als Zeuginnen zu fungieren. Offensichtlich beschftigten sich die çsterreichischen Frauenrechtlerinnen mehr mit solchen Diskriminierungen – vor der ABGB-Novelle wurden das Vormundschafts-, Ehe-, Erb- und Vertragsrecht sowie die Zahlungsverpflichtungen unehelicher Vter intensiv diskutiert – und weniger mit der Frage, ob das Staatsangehçrigkeitsrecht ihr nationales Zugehçrigkeitsgefhl hinreichend bercksichtigte. Lediglich eine Publikation, welche die Rechtsstellung der Frauen im internationalen Vergleich behandelte, thematisierte das Problem. Die zur nationalstaatlichen Logik gehçrende Forderung nach der selbststndigen Staatsangehçrigkeit der Ehefrau wurde also aus der internationalen Debatte bernommen, whrend der cisleithanischen Rechtsdiskurs selbst sie 9 Gosewinkel, Einbrgern und Ausschließen, S. 194 – 303. Dummett u. Nicol, Subjects. 10 Winter. Die Reform des Allgemeinen Brgerlichen Gesetzbuches. Spitzer. F, E. v. H., H. Frth. Herzfelder. s.a. Healy, S. 13 f. 11 Die Stellung der Frau im Rechte der Kulturstaaten. Das Problem erwhnen auch Caro und Karminski.

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kaum problematisierte. Zudem verlor die Forderung in sterreich weitgehend ihren nationalen Hintergrund und behielt lediglich ihre emanzipatorische und auf Gleichberechtigung der Geschlechter zielende Verve. Dies weist darauf hin, dass nationale Vorstellungen die Entwicklung des çsterreichischen Staatsangehçrigkeitsrechts kaum beeinflussten. Vielmehr prgte die etatistische Logik das Recht, das in erster Linie auf die Kongruenz von Wohnbevçlkerung und Staatsvolk abzielte und dabei ethnisch-neutral vorging. Diesen Befund soll der folgende Abschnitt zur administrativen Behandlung von Auswanderern und Einwanderern genauer berprfen. Auswanderung: Die Rolle der Wehrpflicht und das Prinzip ethnischer Neutralitt Mehr als die angehçrigkeitsrechtliche Position der Ehefrau war die rechtliche Exklusion der Auswanderer Gegenstand çffentlicher Debatten, insbesondere vor dem Hintergrund der Emigration nach bersee. Wie gesagt, ging die çsterreichische Staatsangehçrigkeit durch Auswanderung und durch zehnjhrige Abwesenheit verloren. Gegen diese Regelungen wandte sich 1909 der çsterreichische Jurist Leopold von Caro in einer vom Verein fr Socialpolitik herausgegebene Schrift zur Emigrationsfrage. Er forderte vehement, den automatischen Verlust der Staatsangehçrigkeit durch Auswanderung abzuschaffen. Auswanderer sollten nach Mçglichkeit in der çsterreichischen Staatsangehçrigkeit verbleiben, oder man sollte ihnen zumindest die Rckkehr in ihre ursprngliche Zugehçrigkeit erleichtern.12 Im „Interesse des Staates und der Nationen“, forderte Caro, „das Band nicht locker werden zu lassen, das ihn [den Auswanderer] mit seiner ursprnglichen Heimat verbindet“.13 Dieses staatliche und multinational formulierte Interesse zielte vor allem auf die Errichtung „çsterreichischer Kolonien“ und die „Kolonisation fremder Staaten durch das eigene Volkstum“.14 Ein hnliches Anliegen verfolgte Anfang 1914 die çsterreichisch-ungarische Kolonialgesellschaft, der „einzige nicht-konfessionelle und nicht-nationale Auswandererfrsorgeverein“. „Da sterreich darauf verzichtete, Staatskolonisation zu betreiben, oder politische Kolonien zu erwerben, so muss es berseeische wirtschaftliche [Kolonisation] betreiben.“15 Die Kolonialgesellschaft versuchte mit ihrem Schreiben an das k.u.k. Außenministerium, die laufenden Verhandlungen ber ein Auswanderergesetz zu beeinflussen, und 12 Eine erleichterte Wiederaufnahme schlug auch Karminski, S. 3 f und 44 f, vor, allerdings nur fr Personen, welche durch den Verlust ihrer Staatsbrgerschaft staatenlos geworden waren, und mit gnzlich anderen Argumenten als Caro, nmlich um Rechtssicherheit zu schaffen. 13 Caro, S. 217 f und 229 f. Die ungarischen Auswanderergesetze von 1903 und 1909 erwhnte Caro, S. 11, als Vorbilder. 14 Caro, S. 181, 225 und passim. 15 Wien, HHStA, Md, Adm. Reg., F 15, Ktn. 10, 4161 – 1914, Kolonialgesellschaft an k.u.k. Außenministerium, 16.1.1914. Zur 1894 gegrndeten Kolonialgesellschaft s. Kolm, S. 25 f und 34.

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forderte unter anderem eine erleichterte Aufrechterhaltung der çsterreichischen Staatsangehçrigkeit im Ausland. Letztlich sollten dadurch „die Thesaurierung der Ersparnisse der Auswanderer in Staatsrenten, die Verbilligung und Sicherung der Geldheimsendungen … [und] die Ausbreitung des berseeischen Exports durch die Auswanderer“, also wirtschaftliche Interessen des çsterreichischen Staates gefçrdert werden. Deswegen drfe man, so die Kolonialgesellschaft, bei allem legitimen Interesse an der Erfllung der Wehrpflicht, nicht die gesamte Emigrationsbewegung militrischen Interessen opfern. Stattdessen forderte die Kolonialgesellschaft die „Erleichterung der Stellungs- und Waffenbungspflicht fr im Auslande zum Erwerbe sich Aufhaltende [und] die Erlassung einer Amnestie fr Wehrpflichtige, die in den kritischen Jahren 1912 und 1913 die Heimat verlassen haben“.16 Damit ist der springende Punkt dieser Auseinandersetzung angesprochen.17 Die Forderung nach Straffreiheit fr zurckkehrende Auswanderer, die ihre Wehrpflicht verletzt hatten, war bereits einige Jahre zuvor im Reichsrat mehrmals erhoben und wiederholt von der Regierung zurckgewiesen worden.18 Gleichsam naturgemß vertrat das k.u.k. Kriegsministerium in den interministeriellen Beratungen zum Auswanderergesetz „im Interesse der Wehrmacht“ die Gegenposition und sprach sich vehement gegen die Schaffung von Emigrationsanreizen aus, wozu die Vertreter des Kriegsministeriums auch die erleichterte Aufrechterhaltung der çsterreichischen Staatsangehçrigkeit im Ausland zhlten. Stattdessen forderten sie eine klare Einschrnkung der Auswanderungsfreiheit. Ein erster Anlauf zur Schaffung eines Auswanderergesetzes war bereits 1904 an diesen Interessengegenstzen gescheitert.19 Letztlich setzte sich in den Verhandlungen von 1913 der restriktive Standpunkt des Kriegsministeriums durch, und die Staatsangehçrigkeit ging weiterhin durch Auswanderung automatisch verloren.20 Bei der Exklusion der Emigranten kam es also zwischen 1867 und 1918 ebenfalls zu keinen gesetzlichen Vernderungen. 16 Wien, HHStA, Md, Adm. Reg., F 15, Ktn. 10, 24768 – 1914, Kolonialgesellschaft an k.u.k. Außenministerium, 28.3.1914. Der Zeitpunkt, zu dem diese Forderungen erhoben wurden, kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs, verweist einerseits auf die Bedeutung der imperialen Konkurrenz und der habsburgischen Großmachtambitionen und andererseits auf die Balkankriege von 1912 und 1913, die eine militrische Verwicklung der Habsburgermonarchie wahrscheinlich machten. Die Auswanderung in diesen Jahren kann als Strategie verstanden werden, mit der die Emigranten ihrem Einsatz im absehbaren Krieg entgehen wollten. 17 Auch Caro, S. 230, forderte „die Befreiung von der Stellungspflicht whrend des ganzen Aufenthaltes im Auslande fr alle im Ausland Geborenen und Wohnhaften“. 18 Interpellationen des Abgeordneten Zore, 1. 10. 1897 und 28. 4. 1898, und des Abgeordneten Biankini, 18. 10. 1898 und 22. 11. 1899, im çsterreichischen Reichsrat. 19 Wien, HHStA, Md, Adm. Reg., F 15, Ktn. 31, 42289 – 1908 und 85266 – 1911, Auswanderungsgesetz. 20 Am 7. 10. 1913 teilte das federfhrende k.k. Innenministerium den anderen beteiligten Ministerien mit, dass es wesentliche nderungen an dem bisherigen Entwurf vornehmen werde. Dazu gehçrte auch die Ermçglichung von zeitweisen Auswanderungsverboten. s. Wien, HHStA, Md, Adm. Reg., F 15, Ktn. 31, 72264 – 1913.

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Interessant ist jedoch, dass in der eben geschilderten Auseinandersetzung beide Seiten die staatlichen Interessen – einerseits çkonomische, andererseits militrische – in den Vordergrund rckten. Die Inklusion oder die Exklusion bestimmter ethnischer Gruppen strebten dagegen weder die Einen noch die Anderen an. Zwar wollte Caro die „nationalen Bindungen“ der Auswanderer an ihre Heimat strken, aber er sprach von „Nationen“ im Plural. Es sollte also nicht eine bestimmte çsterreichische Nationalitt privilegiert, sondern alle gleichberechtigt behandelt werden. Fr die auf der Erfllung der Wehrpflicht basierende Argumentation des Kriegsministeriums waren ethnische Identitten gnzlich irrelevant. Man kann also festhalten, dass die Entwicklung des Staatsangehçrigkeitsrechts in sterreich zum einen ausschlaggebend von staatlichen Interessen bestimmt und deswegen zum anderen von ethnischer Neutralitt geprgt war. Einwanderung: die Ablehnung ethnisch-exklusiver Bestimmungen Auch ber die rechtliche Behandlung der Einwanderer diskutierte man in der Verfassungsra. Der Staatswissenschaftler und sptere Reichsratsabgeordnete Emanuel Milner erklrte 1880 die Abschaffung des automatischen Erwerbs der Staatsbrgerschaft mit „dem Aufschwung des Staatsgedankens“. Weil die Staatsangehçrigkeit zunehmend staatsbrgerliche Rechte und Pflichten bertrage, msse ihr Erwerb einen Willensakt voraussetzen.21 hnlich erklrte der Jurist Albert Groedel die Abkehr vom Domizilsprinzip und datiert den Bedeutungszuwachs der Staatsangehçrigkeit auf die Mitte des 19. Jahrhunderts. Seitdem sei es fr den Staat entscheidend, genau bestimmen zu kçnnen, wer ihm angehçre und wer nicht, und doppelte Angehçrigkeiten zu verhindern.22 Beiden Bedrfnissen widersprach nach Groedel die automatische „Ersitzung“, die einen nicht staatlich kontrollierbaren Zugang zur Angehçrigkeit erçffnete. Generell sei der automatische Erwerb der Staatsangehçrigkeit nur dort vorgesehen, wo die Staaten, wie beispielsweise in Sdamerika, eine Populationspolitik betrieben.23 Im ausreichend bevçlkerten sterreich des ausgehenden 19. Jahrhunderts wre eine solche Politik dagegen unnçtig, und die bloße Anwendung des ius sanguinis das geeignete Mittel, um „Bestimmtheit in die Bevçlkerungsverhltnisse hineinzutragen“.24 Allerdings fhrte das reine Abstammungsprinzip dazu, dass grçßere Teile der Wohnbevçlkerung rechtlich nicht in den Staatsverband integriert wrden. Daraus entstnden, so Groedel, dem Staat Nachteile, da diese Personen zwar 21 Milner. 22 Groedel, S. 18 und 41. Groedel, S. 34, verweist auch darauf, dass der ungarische Gesetzgeber 1879 aus ebendiesen Grnden den automatischen Erwerb der Staatsangehçrigkeit abgeschafft hatte. 23 Groedel, S. 18 und 36. In diesem Sinn erklrte Groedel die Einfhrung des Domizilsprinzips im ABGB von 1811 mit der beabsichtigten Fçrderung der Einwanderung nach dem Bevçlkerungsschwund in der napoleonischen Zeit. 24 Groedel, S. 41.

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staatlichen Schutz und gewisse Rechte gençssen, aber nicht zum Wehrdienst verpflichtet wren. Dementsprechend forderte er, dass zumindest die Kinder von Einwanderern die çsterreichische Staatsangehçrigkeit erwerben mssten. Er schlug auf das britische Vorbild verweisend vor, dass die Angehçrigen der zweiten Immigrantengeneration nach dem ius soli die Staatsangehçrigkeit erwerben und – im Fall von doppelter Staatsangehçrigkeit – spter fr einen Staat optieren sollten.25 Im Zentrum von Groedels Argumentation stand der Staat mit seinen militrischen und wirtschaftlichen Interessen. Die ethnische Komposition der Staatsbevçlkerung war dabei irrelevant. Wesentlich war fr Groedel hingegen die zumindest annhernde Kongruenz von Wohnbevçlkerung und Staatsvolk. Daraus ergaben sich eine relative Offenheit gegenber Einwanderern und die Befrwortung der rechtlichen Integration der Immigranten. Diesen Vorstellungen widersprachen die Befrworter von Immigrationsverboten. Die Einwanderungsgegner stellten nicht die staatlichen Interessen in den Mittelpunkt, sondern behaupteten, durch Immigrationsrestriktionen die inlndischen Arbeiter vor Lohnkonkurrenz schtzen zu wollen. Dabei zielten die geforderten Verbote meist auf den Ausschluss bestimmter ethnischer Gruppen und sollten die ethnische Zusammensetzung der çsterreichischen Bevçlkerung beeinflussen. 1898 brachte der Abgeordnete Prochazka im Abgeordnetenhaus des Reichsrats einen Antrag auf ein „Verbot der Einwanderung chinesischer Kuli nach sterreich“ ein. „In Erwgung, dass durch den Ausbau der großsibirischen Eisenbahn die Gefahr nherrckt, dass chinesische Arbeiter, die sogenannten Kulis, seitens gewissenloser und habgieriger Großcapitalisten angeworben und zur Einwanderung nach sterreich veranlasst werden kçnnten [und] dass die çsterreichische Arbeiterschaft mit vollem Rechte, gleich den brigen Gesellschaftsclassen, den weitgehendsten staatlichen Schutz ihrer Interessen fordert, [wird die Regierung aufgefordert,] mit thunlichster Beschleunigung eine Gesetzesvorlage einzubringen, durch welche die Einwanderung der chinesischen Kuli nach sterreich auf das strengste verboten wird.“26

Dieser Antrag verdeutlicht selbst durch seine konjunktivischen Formulierungen die weitgehende Virtualitt der Gefahr, die er zu bannen versuchte. Dennoch brachte Prochazka, wiederholt auf rassistische ngste setzend, denselben Antrag noch zwei weitere Male ein, allerdings mit gleichermaßen geringem Erfolg. Forderungen nach der Exklusion einer anderen ethnischen Gruppe fanden allerdings breitere Untersttzung und wurden ber einen lngeren Zeitraum erhoben. Bereits Ende der achtziger Jahre erreichten den Reichsrat mehrere Petitionen, die ein Verbot der „Einwanderung und Niederlassung auslndischer Israeliten in sterreich“ forderten. ber zweitausend dieser Eingaben 25 Groedel, S. 43 f. 26 Abgeordnetenhaus des çsterreichischen Reichsrats, 14. Session, 1898, Nr. 334 der Beilagen.

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stammten von Initiativen aus fast allen Kronlndern mit insgesamt 37068 Unterschriften.27 In der Folge brachten mehrere Abgeordnete entsprechende Antrge auf ein Einwanderungsverbot fr „vornehmlich aus Russland kommende“ „auslndische Juden“ ein.28 Diese verdeutlichen zwar die Popularitt und die gesellschaftliche Verbreitung antisemitischer Ressentiments um die und nach der Jahrhundertwende, aber es war ihnen kein politischer Erfolg beschieden. Der Reichsrat wies alle Antrge ab. Weder die staatszentrierte, prinzipiell einwandererfreundliche und ethnisch-neutrale Position Groedels noch die antisemitisch geprgten, immigrationsfeindlichen und ethnisch-exklusiven Forderungen fhrten zu einer nderung der Rechtslage. Die Exklusion bestimmter Gruppen setzte sich nicht durch. Auf der anderen Seite blieb fr die rechtliche Inklusion der Einwanderer das Einbrgerungsverfahren zentral, weswegen diese administrative Praxis im Folgenden eingehender analysiert werden soll. Das Prinzip ethnischer Neutralitt in der Einbrgerungspraxis Um die Verwaltungspraxis beurteilen zu kçnnen, sind Informationen ber die Immigranten, die Antragsteller und die Eingebrgerten vonnçten. Aus dem rein zahlenmßigen Verhltnis dieser drei Gruppen lsst sich ersehen, ob die Einbrgerungspolitik tatschlich zu einer weitgehenden Kongruenz von Wohnbevçlkerung und Staatsvolk fhrte, oder ob stattdessen eine grçßere Gruppe von Einwanderern vom çsterreichischen Staatsverband ausgeschlossen blieb. Nhere Informationen zur ethnischen Zusammensetzung dieser drei Gruppen erlauben zudem Rckschlsse auf die Bedeutung ethnischer Differenzen in der Naturalisationspraxis. Zunchst zu den Zahlen auf der Ebene aller im Reichsrat vertretenen Kçnigreiche und Lnder : Zwischen 1885 und 1903 erwarben pro Jahr durchschnittlich 3354 Personen die çsterreichische Staatsangehçrigkeit durch Einbrgerung.29 Nach der Jahrhundertwende kam es zu einem signifikanten 27 Abgeordnetenhaus des çsterreichischen Reichsrats, 10. Session, 1891, Index. John, S. 97, betrachtet auch das „Verbot der Einwanderung chinesischer Kuli“ als antisemitischen Gesetzentwurf. Dieser an den US-amerikanischen Chinese Exclusion Act von 1882 angelehnte Vorschlag habe „Juden“ mit den „Asiatic Chinese“ in einen Topf geworfen „to make the former more ,foreign‘“. 28 1891 von Hauck, 1897, 1900 und 1901 von Schçnerer, 1898, 1899, 1900 und 1901 von Prochazka und 1905 von Fresl. Abgeordnetenhauses des çsterreichischen Reichsrats, 11. Session, 1897, 13. Session, 1898, 14. Session, 1898, 15. Session, 1899, 16. Session, 1900, 17. Session, 1907, Index. 29 Thon, S. 49. Bis zur Jahrhundertwende schwankte die Zahl der Einbrgerungen pro Jahr zwischen 2.000 und 4.000, wobei 1890 mit 2.380 und 1899 mit 2.562 Naturalisierten die Tiefst-, und 1887 mit 3.658 und 1897 mit 3.826 Eingebrgerten die Hçchststnde erreicht wurden. Thon, S. 49, nennt die Zahl der pro Jahr eingebrgerten Juden und deren prozentualen Anteil an der Gesamtheit der Eingebrgerten, woraus sich die Zahl der Einbrgerungen errechnen lsst. Allerdings widerspricht das Ergebnis dieser Rechnung der Tabelle bei Thon, S. 53. Nach Thon, S. 49, wurden zwischen 1893 und 1902 32.346 Personen eingebrgert, nach Thon, S. 53, waren es

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Tabelle 2: Auslndische Wohnbevçlkerung in sterreich Jahr

Personen mit auslndischem Geburtsort

Anteil an der Gesamtbevçlkerung

1869

204.914

1,0 %

1880

350.014

1,6 %

1890

411.342

1,7 %

1900

505.798

1,9 %

1910

631.515

2,2 %

Anstieg bis auf 6444 Naturalisationen im Jahr 1903.30 Diese Zahlen muss man nun mit der Anzahl der Einwanderer und ihrer Kinder, also der Auslnder, die dauerhaft in sterreich lebten, vergleichen. Deren Anzahl erfassten die çsterreichischen Volkszhlungen (s. Tabelle 2).31 Sowohl absolut als auch relativ nahm die Zahl der im Ausland geborenen Personen in sterreich kontinuierlich zu. Im Verhltnis zum Umfang der auslndischen Wohnbevçlkerung waren die Einbrgerungszahlen gering. Am Anfang des Jahrhunderts besaß jeder 50. Bewohner Cisleithaniens nicht die çsterreichische Staatsangehçrigkeit. Zwar muss man gewisse Verzerrungseffekte in Rechnung stellen, insbesondere das Interesse einiger Gezhlter daran, ihren angehçrigkeitsrechtlichen Status durch die Angabe eines auslndischen Geburtsorts zu verschleiern, um so der Wehrpflicht zu entgehen. Aber die Differenz zwischen der Zahl der Einwanderer und der Zahl der Eingebrgerten, die 1890 408.962 und 1900 503.666 betrug, bleibt trotzdem bemerkenswert hoch. nur 15.968 Personen. Diese Diskrepanz ist signifikant und rechtfertigt massive Zweifel an den Angaben. Allerdings kann man davon ausgehen, dass zumindest die angegebenen Relationen ungefhr den tatschlichen Verhltnissen entsprechen, wenn auch die absoluten Zahlen nicht zuverlssig sind. 30 Da die Statistik auch den Anteil jdischer Personen an den insgesamt Eingebrgerten angibt, bildet Diagramm 3 beide Grçßen zusammen ab. 31 Bolognese-Leuchtenmller. Als Anhaltspunkt fr den Umfang der im Inland ansssigen nichtstaatsangehçrigen Bevçlkerung dienen hier die in den cisleithanischen Volkszhlungen ermittelten Angaben ber in sterreich anwesende und im Ausland geborene Personen. Natrlich konnten auch Personen mit auslndischem Geburtsort çsterreichische Staatsangehçrige sein, entweder durch Abstammung oder durch Einbrgerung. Allerdings drfte die Zahl der im Ausland geborenen Kinder çsterreichischer Staatsangehçriger, die spter nach sterreich zurckkehrten, eher gering gewesen sein, und nach Tabelle 2 war auch die Zahl der Eingebrgerten nicht groß genug, um zu wesentlichen Abweichungen zu fhren. Andererseits erfasste die Kategorie der im Ausland Geborenen nicht die im Inland geborenen Auslnder. Diese Gruppe, die theoretisch noch dazugerechnet werden msste, war vermutlich grçßer als die beiden zuvor genannten Gruppen. Deswegen kann man die angegebenen Zahlen der im Ausland geborenen Personen als Richtschnur fr die Anzahl der in sterreich ansssigen Auslnder verwenden.

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Der grçßte Teil der Immigranten wurde also nicht in den çsterreichischen Staatsverband integriert. Daran drfte auch der Anstieg der Einbrgerungen im frhen 20. Jahrhundert nichts gendert haben, da die Zahl der Einwanderer zugleich um deutlich mehr als 100.000 anstieg. Die Verwaltungspraxis setzte also einerseits das meist mit der Wehrgerechtigkeit begrndete Ziel der Kongruenz von Wohnbevçlkerung und Staatsvolk nicht um.32 Andererseits verweist das Ansteigen der Einbrgerungszahlen nach 1900 auf ein verstrktes Bemhen um die Integration der Einwanderer. In diesem Sinn erleichterte auch die Reform des Heimatrechts von 1896 insbesondere vermçgenslosen Immigranten die Aufnahme in einen Gemeindeverband und damit den Erwerb der çsterreichischen Staatsbrgerschaft. Aufgrund fehlender Daten ber die Zahl der insgesamt gestellten Antrge ist es schwierig, genau festzustellen, nach welchen Kriterien die Behçrden Antragstellern die Einbrgerung gewhrten oder verweigerten. Die folgende Analyse sttzt sich vor allem auf Akten aus dem k.k. Innenministerium. Diese Behçrde beschftigte sich nur in besonderen Fllen mit Einbrgerungsfragen, ihre Unterlagen liefern also kein quantitativ reprsentatives Gesamtbild. Allerdings orientierte sich die Praxis der nachgeordneten Verwaltungen an den Ministerialentscheidungen, sodass deren Untersuchung erlaubt, zentrale Leitlinien der Einbrgerungspraxis herauszuarbeiten.33 Zunchst stellt sich die Frage nach der Rolle ethnischer Differenzen. Hinweise auf die ethnische Identitt der Einwanderer und der Naturalisierten kçnnen die Angaben zu ihren Herkunftslndern liefern. Allerdings fhrte man keine Einwanderungsstatistiken, denn zum einen betrachtete der Großteil der politischen und administrativen Eliten die Immigration nicht als Problem, und zum anderen war die berquerung der çsterreichischen Landgrenzen nur schwer zu kontrollieren. Genauere Informationen liegen fr die in den Jahren zwischen 1893 und 1902 eingebrgerten Personen vor: 60,0 % der Naturalisierten kamen aus Ungarn, 26,2 % aus dem Deutschen Reich, die meisten davon aus Preußen, Bayern und Sachsen, 4,7 % aus Russland, 3,4 % aus Italien und 1,0 % aus der Schweiz. Die brigen stammten aus der Trkei und den sdosteuropischen 32 Diese Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis schwchte lediglich der Umstand ab, dass ungefhr die Hlfte der Auslnder in sterreich ungarische Staatsangehçrige waren, die ohnehin zum Wehrdienst innerhalb der Monarchie verpflichtet waren. 1869 stammten 44 % und 1880 52 % der im Ausland geborenen Bevçlkerung aus Ungarn. In den spteren Volkszhlungen wurden die in Ungarn Geborenen nicht mehr gesondert erfasst. 33 Die Einbrgerungsentscheidungen trafen die Statthaltereien in den Kronlndern. In die Akten des k.k. Innenministeriums gelangten Naturalisationsflle insbesondere dann, wenn es zu Rekursen, also Einsprchen der Betroffenen kam, wenn die ungarische Regierung oder auslndische Verwaltungen involviert waren oder wenn Priester, Ordensleute und Religionslehrer die Einbrgerung beantragten. Die Akten fr das spte 19. Jahrhundert sind teilweise durch Brand beschdigt. Durchgesehen wurden fr den Zeitraum von 1870 bis 1899 Wien, AVA, MdI, Allg., 8, Ktn. 353, 354, 355 und 356 (Buchstaben A-Z), und fr den Zeitraum von 1900 bis 1918 ebd., Ktn. 144 und 176 (Buchstaben A und N). Dieser Bestand umfasst 111 Einbrgerungsflle.

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Diagramm 3: Einbrgerungen in sterreich und Anteil der eingebrgerten Juden in absoluten Zahlen

Staaten (2,3 %), aus Westeuropa (0,8 %) und aus den USA (0,4 %).34 Einwanderer, so kann man daraus schließen, kamen also vor allem aus den direkt angrenzenden Staaten nach sterreich. Dabei drfte die ethnische Zusammensetzung der Einwanderer – und auch der Eingebrgerten – ebenso heterogen gewesen sein wie die der Haupt-Herkunftslnder Ungarn und Russland. Die Forderungen nach einem Einwanderungsverbot fr Juden weisen darauf hin, dass diese Gruppe von Exklusionsmechanismen betroffen gewesen sein kçnnte. Fr die Jahre 1885 bis 1903 existieren Daten ber die Einbrgerung jdischer Personen (s. Diagramm 3).35 ber viele Jahre war der Anteil der Juden an den Einbrgerungen sehr hoch. 1888 erreichte er 35 %. Hannelore Burger fhrt diesen hohen Anteil auf Antrge von Juden zurck, die nach dem Ausgleich aus Ungarn nach sterreich einwanderten, wo die jdische Bevçlkerung bereits seit 1867 gleiche Rechte genoss.36 Sowohl im Verhltnis zum Anteil an der Gesamtbevçlkerung als auch im Verhltnis zur Zahl der eingebrgerten Juden in anderen Lndern, insbesondere im Deutschen Reich, naturalisierten die çsterreichischen Behçrden ungewçhnlich viele jdische Personen.37 Dementsprechend ist es unwahrscheinlich, dass antisemitische Muster die Einbrgerungspraxis in entscheidender Weise beeinflussten. Zweitens fllt auf, dass der Anteil der Juden an den insgesamt Eingebrgerten in den Jahren um die Jahrhundertwende signifikant sank, um dann ab 1902 wieder zu steigen. Ein Blick auf die Verteilung der jdischen Einbrgerungen zeigt, dass dieser Rckgang fast ausschließlich auf die niederçsterreichische 34 1,2 % der Naturalisierten kamen nach Thon, S. 53, aus anderen Staaten oder konnten nicht zugeordnet werden. 35 Die Darstellung basiert auf den Zahlen in Thon, S. 49. 36 Burger, Heimatrecht und Staatsbrgerschaft, S. 34 f. 37 Thon, S. 50 und 53. Burger, Heimatrecht und Staatsbrgerschaft, S. 35. Zum deutschen Fall s. Gosewinkel, Einbrgern und Ausschließen, S. 233 – 277.

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Naturalisationspolitik zurckzufhren ist, wo man 1897 420 und 1902 536 Juden einbrgerte, in den dazwischen liegenden vier Jahren aber insgesamt nur 377.38 Man kann also vermuten, dass die Einbrgerungspraxis in Niederçsterreich und in der dazugehçrigen Stadt Wien um 1900 antisemitisch geprgt war. Dieser exklusive Mechanismus wirkte jedoch nur ber wenige Jahre. Hinweise auf ein solches Muster liefern die Akten des k.k. Innenministeriums. 1898 wies die mhrische Statthalterei den Einbrgerungsantrag einer seit ihrer Geburt in Wien lebenden Jdin ab, der man dort die Aufnahme in den Gemeindeverband verwehrte. In diesem Zusammenhang beschwerte sich die Statthalterei ber eine „Unmasse von Gesuchen ganz fremder, mit dem Kronlande Mhren in gar keiner Beziehung stehenden Individuen …, welche … Aufnahmezusicherungen seitens einer der mhrischen politischen Judengemeinden erhielten“. Fr die Einbrgerung dieser Personen sollte, nach Auffassung Brnns (heute: Brno in Tschechien), eigentlich die Wiener Statthalterei zustndig sein. Offensichtlich mussten aber viele Juden aufgrund der Wiener Exklusionspolitik nach Mhren ausweichen, um die çsterreichische Staatsbrgerschaft erlangen zu kçnnen.39 Abgesehen davon finden sich in den Akten keine Hinweise auf antisemitische Entscheidungsmuster. Man wies jdische Bewerber ab, weil ihr Antrag nicht hinreichend begrndet war, weil sie strafrechtlich verurteilt worden waren, oder weil man frchtete, sie kçnnten der çffentlichen Frsorge zur Last fallen, aber nicht aufgrund ihrer jdischen Identitt.40 In einem Fall, in dem der Einbrgerungsbewerber den Behçrden vorwarf, sie htten „nur mit Rcksicht auf seine jdische Konfession unwahre Tatsachen … vorgebracht“, verfgte das Innenministerium eine nochmalige berprfung des Antrags, um den Antisemitismus-Vorwurf zu entkrften.41 Allenfalls gibt es Hinweise darauf, dass man die çkonomische Position nicht-jdischer Bewerber weniger streng prfte als die jdischer Antragsteller.42 Aber aufgrund der Nicht-Reprsentativitt des Quellenmaterials kann man daraus kein regelmßiges Muster ethnischer Exklusivitt ableiten.43 38 Thon, S. 51. 39 Der Rekurs von Adele Weiss wurde abgewiesen. Wien, AVA, MdI, Allg., 8, Ktn. 356, 26481 – 1898. Auch Karminski, S. 35 f, beklagte die teilweise „chicançse Verweigerung“ der Aufnahme in den Gemeindeverband. „Derartige Flle kommen namentlich in Zeiten, wo nationale und confessionelle Unduldsamkeit mancherorts das allzu laute Wort fhrt, bedauerlicherweise nicht selten vor.“ 40 Unzureichende Begrndung s. Rekurs des Moritz Augenfeld (Wien, AVA, MdI, Allg, 8, Ktn. 144, 30667 – 1914), Verurteilung s. Rekurs des Josef Amtmann (ebd., 3539 – 1906), nicht gesicherte Versorgung s. Rekurs des Moritz Adler (ebd., 55660 – 1902), des Sigmund Acht (ebd., 25584 – 1905) und des Salomon Adler (ebd., 49974 – 1905). 41 Ebd., 35544 – 1908 und 29787 – 1908, Rekurs des Bernhard Aufwerber. 42 Rekurs der Marie Alb (ebd., 54075 – 1906), des Raimondo Allegranzi (ebd., 45367 – 1906) und des Antonio Nordio (Wien, AVA, MdI, Allg, 8, Ktn. 176, 51923 – 1906). 43 Zur Neutralitt gegenber jdischen Einbrgerungsbewerbern s. Hirschhausen, Von imperialer

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Ethno-kulturelle, in erster Linie sprachliche Kriterien waren hingegen bei der Beurteilung italienischer Antragsteller relevant. In diesen Fllen war es fçrderlich, wenn die Betreffenden als „assimiliert“ gelten konnten, beispielsweise weil sie eine çsterreichische Mutter hatten oder kein Italienisch sprachen.44 Einen Einbrgerungsbewerber wies man ab, weil er „sofort an der Sprache als Italiener zu erkennen“ war.45 Allerdings gewannen diese Kriterien erst nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs an Bedeutung. Zuvor behandelten die Verwaltungen Antrge von Italienern zwar auch mit Skepsis, aber ausschlaggebend war dabei vor allem, ob die Antragsteller „italienisch national gesinnt“ oder Mitglieder in einem italienisch-nationalen Verein waren.46 Politische Aktivitten, die in den Augen der Behçrden die Loyalitt der Bewerber zum çsterreichischen Staat zweifelhaft erscheinen ließen, verhinderten in einigen Fllen auch die Einbrgerung von Sozialdemokraten. Der 1870 in Prag (heute: Praha in Tschechien) geborene, ungarische Staatsangehçrige Dr. Hugo Stark wurde nicht naturalisiert, weil der Brgermeister seines Wohnortes ihn als sozialistischen Agitator beschrieb.47 Auch das Kriterium der Unbescholtenheit handhabten die Behçrden streng. Dem 1841 in Ungarn geborenen Johann Martinek, der seit 1895 in Wien lebte, verweigerte man 1898 die Einbrgerung, weil er 1881 zu drei Tagen Arrest verurteilt worden war, nachdem er vier Glas Bier getrunken, aber nur zwei bezahlt hatte. Das Innenministerium empfahl, den negativen Bescheid

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Inklusion zur nationalen Exklusion, S. 9 f. Allerdings kann man nicht ausschließen, dass im Einzelfall hinter den explizierten nicht-konfessionellen und nicht-ethnischen Ablehnungsgrnden – wie bspw. Vorstrafen – antisemitische Motivationen verborgen waren. Manche Voraussetzungen wurden bei jdischen Einbrgerungsbewerbern besonders streng berprft. Ein eindeutiges Muster ethnischer Exklusion existierte allerdings nicht. Auch im recht speziellen Fall des „aus dem Sudan stammende[n] Neger[s] Leopold Surrer“, dessen Staatsbrgerschaft und Heimatzustndigkeit die Behçrden 1897 zu klren hatten, liefern die Akten kaum Hinweise auf rassistische Diskriminierungsabsichten. Das Ministerium beschied vergleichsweise lakonisch, dass Surrer nicht in Tirol, sondern in der Gemeinde Luxor heimatberechtigt sei und „die çsterr. Staatsbrgerschaft nicht besaß“. Wien, AVA, MdI, Allg., 8, Ktn. 353, 23724 – 1897. Zur „afrikanischen“ Diaspora in sterreich s. Sauer. Wien, AVA, MdI, Allg, 8, Ktn. 144, 71200 – 1917 und 66273 – 1917, Ulrich Agnese, s.a. ebd., 8075 – 1916 und 3725 – 1916, Ludwig Azzola. Ebd., 36098 – 1914, Anton Appolonia Zur restriktiveren Handhabung der Einbrgerung von Italienern im Vorfeld des Krieges s. Hirschhausen, Von imperialer Inklusion zur nationalen Exklusion, S. 17 f. Rekurs des Alfons Amodeo (Wien, AVA, MdI, Allg, 8, Ktn. 144, 13459 – 1914), der Franzisca Alberti (ebd., 19115 – 1911), des Arthur Aumaitre-Omet (ebd., 28423 – 1909) und des Ernst Alpron (ebd., 51078 – 1903). Wien, AVA, MdI, Allg., 8, Ktn. 353, 32097 – 1897. Zu diesem Fall s.a. Burger, Heimatrecht und Staatsbrgerschaft. s.a. Wien, AVA, MdI, Allg, 8, Ktn. 144, 39023 – 1912, Georg Aicher und ebd., Ktn. 176: 21742 – 1918, Michael Neszlusan.

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aufrecht zu erhalten, da sein „sittliches Betragen“ ihn nicht fr die çsterreichische Staatsangehçrigkeit qualifiziere.48 Von grçßter Bedeutung war „das Vermçgen [und] die Erwerbsfhigkeit“, also die finanzielle Lage der Bewerber. Der Novize in einem Benediktinerkloster bei Innsbruck und bayrische Staatsangehçrige Felix Schwarzfischer hatte 1897 einen Antrag auf Einbrgerung gestellt. Die Behçrden befrworteten seine Naturalisation, wobei sie nachdrcklich darauf hinwiesen, dass Schwarzmllers Vater sich verpflichtet habe, „im Falle der Erwerbsunfhigkeit seines Sohnes fr dessen Unterhalt mit 5000 fl gut zu stehen“.49 Weniger erfolgreich war der 1869 in Russland geborene Uhrmacher Josel Salmon Schchter, der in Przemys´l (heute in Polen) lebte und 1894 seine Einbrgerung bei der Statthalterei in Lemberg (heute: Lviv in der Ukraine) beantragte. Nach den Angaben der israelitischen Kultusgemeinde hatte Schchter ein jhrliches Einkommen von 600 Kronen und zustzlich ein Vermçgen von 3000 Kronen. Die Genossenschaft der Metallarbeiter besttigte, dass er durch den Ertrag seines Gewerbes sich und seine Familie erhalten kçnne. Zwei Gemeinderte versicherten zudem, dass Schchter Uhren im Wert von ungefhr 2000 Kronen in seinem Lager habe. Die Behçrden stellten allerdings fest, dass sein in den Steuerlisten angegebenes Betriebskapital lediglich 90 Kronen betrug. „Laut des Statthaltereireferates … war fr die Abweisung des Gesuchs Schchters die Erwgung maßgebend, dass derselbe sich erst seit dem Jahr 1890 in sterreich aufhalte und ein zur Grndung einer sicheren Existenz insbesondere fr den Fall der Arbeitsunfhigkeit hinreichendes Einkommen nicht besitzt, zumal derselbe den Besitz des Kapitales von 1000 fl nicht nachgewiesen hat.“50

Es gab zwar keine feste Richtlinie dafr, welches Vermçgen Einbrgerungsbewerber nachweisen mussten – im eben zitierten Fall waren die Anforderungen vergleichsweise hoch gesteckt –, aber insgesamt sind sicherlich viele Einbrgerungswillige an dieser Hrde gescheitert. Auch die Gemeinden achteten bei der Zusicherung der Aufnahme vor allem auf die finanzielle Lage der Bewerber, da sie einerseits ein fiskalisches Interesse an wohlhabenden Gemeindeangehçrigen hatten und andererseits armenrechtliche Verpflich48 Wien, AVA, MdI, Allg., 8, Ktn 353, 11473 – 1898 und 18693 – 1898. 49 Ebd., 23599 – 1897 und 25129 – 1897. fl bedeutet Gulden. 5000 Gulden waren 10000 Kronen. Der durchschnittliche Wochenlohn eines Arbeiters betrug zur damaligen Zeit um die 20 Kronen. 50 Ebd., 13653 – 1898. Nach Hirschhausen, Von imperialer Inklusion zur nationalen Exklusion, S. 11, orientierten sich die Behçrden „kaum an çkonomischen Kriterien“. Einige der hier zitierten Flle verweisen hingegen auf eine deutliche Relevanz çkonomischer Faktoren. Hirschhausen argumentiert auf der Basis eines teilweise anderen und insgesamt breiteren Quellenmaterials als die vorliegende Arbeit, hat dieses allerdings auch nur stichprobenartig untersucht. Ebd., S. 8. Die Befunde der vorliegenden Arbeit deuten eher darauf hin, dass „Klasse“ als Exklusionskriterium erst um die Jahrhundertwende – insbesondere im Kontext der Novellierung des Heimatrechts – an Bedeutung verlor.

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tungen vermeiden wollten.51 Allerdings beseitigte die Reform des Heimatrechts von 1896 diesen Exklusionsmechanismus, indem sie die Ersitzung der Gemeindeangehçrigkeit durch zehnjhrige Ansssigkeit verfgte. Diese Reform erleichterte die Aufnahme armer Einbrgerungsbewerber nach der Jahrhundertwende. Den gesetzlichen Kriterien der Unbescholtenheit und der Erwerbsfhigkeit fgte das Innenministerium auf administrativem Wege noch ein weiteres hinzu, nmlich die Ansssigkeit in sterreich. 1869 war es fr Abramo Azam noch relativ problemlos mçglich, seine und die Einbrgerung seiner drei Brder in sterreich zu erwirken. Die Azams waren griechisch-unierte Christen und lebten als wohlhabende Kaufleute in gypten. Durch die Naturalisation wollten sie sich die Protektion durch die k.u.k. Vertretungsbehçrden in gypten sichern. Der Antrag war erfolgreich. „Den vier Brdern Azam ist die çsterreichische Staatsbrgerschaft ertheilt worden, sie wurden gegen große Geldopfer in der Gemeinde Baden aufgenommen“.52 Im Zusammenhang dieses Falles wies das Außenministerium darauf hin, dass solche erkauften Einbrgerungen nicht im Interesse des Staates lgen und leicht zu internationalen Komplikationen fhren kçnnten. In der Folge betonte auch das Innenministerium, dass Einbrgerungsbewerber im Inland ansssig sein sollten, besonders deutlich im Zusammenhang mit der Naturalisation des persischen Staatsangehçrigen Leon Mackertich. 1893 gewhrte die niederçsterreichische Statthalterei in Wien dem 1850 in Isfahan geborenen Mackertich sowie seiner Frau und seinen beiden Tçchtern die Einbrgerung, nachdem ihnen die Gemeinde Stockerau die Aufnahme in den Gemeindeverband zugesichert hatte. Mackertich betrieb ein Exportgeschft in Smyrna (heute: Izmir in der Trkei), wo er auch ansssig war. Am 14. September 1894 verfgte daraufhin das Ministerium in einem Erlass „aus Anlass eines vorgekommenen Falles, dass einem persischen … Unterthan whrend seines nur vorbergehenden Aufenthalts in der diesseitigen Reichshlfte die çsterreichische Staatsbrgerschaft verliehen worden ist“, dass die Einbrgerung von Personen, die nicht in sterreich ansssig seien, „sondern in der Erwerbung der çsterr. Staatsbrgerschaft nur ein Mittel finden, um sich des çsterr. ungar. Consularschutzes in der Trkei zu versichern … nichts weniger als wnschenswert“ sei. In Zukunft sollten die Behçrden solche „Schein-Einbrgerungen“ besonders streng prfen, um Ablehnungsgrnde zu finden.53 Trotz dieser Verschrfung war allerdings weiterhin keine bestimmte Dauer der Ansssigkeit notwendig, um einen Antrag auf Einbrgerung stellen zu kçnnen. 51 Burger, Heimatrecht und Staatsbrgerschaft, S. 33. 52 Wien, HHStA, Md, Adm. Reg., F 57, Ktn. 9, Kanzlei Kafka an k.u.k. Außenministerium, 10.8.1870. 53 Wien, AVA, MdI, Allg., 8, Ktn 353, 9815 – 1894. Hervorhebung im Original. s.a. ebd., 31523 – 1897 und 2804 – 1898, Isaak Markus Sss und ebd., 2058 – 1898, Leiser Samuelowitsch Lipstadt.

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Was Hannelore Burger fr die Zeit vor 1867 feststellt, nmlich „daß Sprache, Religion und Kultur keine wesentlichen Kriterien bei der Staatsbrgerschaftserteilung waren“,54 gilt mit geringen Einschrnkungen auch fr die Zeit nach 1867. Mit Ausnahme der antisemitisch geprgten niederçsterreichischen Praxis um die Jahrhundertwende und der Behandlung italienischer Antragsteller nach 1914 waren ethnische Kriterien fr den Zugang zur çsterreichischen Staatsbrgerschaft nicht entscheidend. Im Zentrum standen vielmehr finanzielle und politische Interessen des Staates. Die çsterreichische Einbrgerungspraxis war mithin deutlich von einer etatistischen Logik geprgt. Staatsbrgerschaftsrecht: Anerkennende Differenzierungen im Mhrischen Ausgleich Bisher zeitigte die Untersuchung nur sprliche Hinweise auf eine Relevanz ethnischer Differenzen im cisleithanischen Kontext. Gilt dieser Befund auch fr die Entwicklung des Staatsbrgerschaftsrechts? Diese war zunchst ebenfalls von ethnischer Indifferenz und vor allem vom Gedanken der staatsbrgerlichen Gleichheit geprgt. Die Josephinischen Modernisierungsbestrebungen um die Wende zum 19. Jahrhundert hatten die rechtliche Egalitt ins Zentrum des Rechts gestellt. Sie prgte auch das ABGB.55 Das Josephinische Gleichheitsprinzip richtete sich gegen stndische Ungleichheiten. Aber dieses Prinzip wurde im Zuge national geprgter Auseinandersetzungen neu aufgeladen, interpretiert und angeeignet. Zunchst rckte das Staatsgrundgesetz ber die allgemeinen Rechte der Staatsbrger von 1867 die kulturelle Identitt in den Mittelpunkt. „Alle Volksstmme des Staates sind gleichberechtigt und jeder Volksstamm hat ein unverletzliches Recht auf Wahrung und Pflege seiner Nationalitt und Sprache. Die Gleichberechtigung aller landesblichen Sprachen in Schule, Amt und çffentlichem Leben wird vom Staat anerkannt.“56

Dieser Artikel griff auf berlegungen zurck, die bereits in den Verfassungsdiskussionen von 1848 eine Rolle gespielt hatten.57 Ethno-kulturelle Differenzen gewannen hier rechtliche Relevanz. Im Kern verpflichtete sich der Staat zur Nicht-Einmischung in Fragen der kulturellen Identitt. Artikel 19 zielte zunchst als individuelles Schutzrecht auf die Trennung der kulturellen von der politischen Sphre.58 „Volksstmme des Staates“ konnte auch bedeuten, dass die ethno-kulturellen Gruppen als kollektive Rechtssubjekte konstituierende Elemente des 54 55 56 57 58

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Burger, Passwesen und Staatsbrgerschaft, S. 172. Harrasowsky. Art. 19. Bernatzik, Baier, Verfassungsgesetze. Stourzh, Die Gleichberechtigung der Nationalitten. Baier.

Staates seien. Diese bertragung der rechtlichen Relevanz ethnischer Differenzen aus dem kulturellen in den politischen Bereich prgte als allmhlicher Prozess die Entwicklung des çsterreichischen Staatsbrgerschaftsrechts. Im Zuge dieses Transfers nahmen die ethno-kulturellen Gruppen, indem sie die Bhne des Politischen betraten, nationalen Charakter an. Das Staatsbrgerrecht auf Anerkennung der kulturellen Identitt und seine Einklagbarkeit vor den obersten Gerichten fhrten zu einer Flut von rechtlichen Auseinandersetzungen insbesondere in den Bereichen des Unterrichtswesens und der Verwaltungssprache.59 In diesem Kontext tauchten zahlreiche Fragen auf – wie kann die ethno-kulturelle Identitt einer Person definiert und festgestellt werden? Wann ist eine Sprache „landesblich“? Bilden die Juden einen eigenen „Volksstamm“? –, die zunchst die Rechtsprechung beantwortete. Dabei legten insbesondere der Verwaltungsgerichtshof und das Reichsgericht durch ihre Entscheidungen die juristischen Grundlagen fr die sptere legislative Implementierung anerkennender Differenzierungsmechanismen.60 Gleichzeitig setzten sich in weiterreichenden sozialen Prozessen nationale Identifikationsmuster immer strker durch. In Straßenkmpfen, Konsumboykotten, sowie in Konflikten um Schulen und andere kulturelle Einrichtungen wuchs der nationale Druck, sich eindeutig auf eine Identitt festzulegen.61 Diese Prozesse erschwerten das situationsabhngige Wechseln zwischen verschiedenen Zugehçrigkeiten oder das desinteressierte Sich-NichtFestlegen.62 Die Siedlungs-, Bevçlkerungs-, Migrations-, Sozial- und Bildungsstrukturen, sowie der Grad der politischen Mobilisierung der nationalen Gruppen gewannen dabei zunehmend an Bedeutung.63 Zunchst waren es vor allem die sozialen und kulturellen Eliten der nichthegemonialen Gruppen, die kulturelle Anerkennung einforderten und aktiv an der Schließung und Homogenisierung der jeweiligen nationalen Kollektive arbeiteten.64 Diese Nationalisierungsprozesse verunklarten die Unterscheidung von subalternen und hegemonialen Gruppen zunehmend und brachten letztlich auch das etatistische Ideal der supra-ethnischen Neutralitt ins Wanken, einerseits weil diese Neutralitt implizit auf der Hegemonie der deutschsprachigen Bevçlkerung beruht hatte, und andererseits weil auch die Verfechter der Supra-Nationalitt des Staates dem Nationalisierungsdruck 59 Russ. Baier. Stourzh, Die Gleichberechtigung der Nationalitten. Burger, Sprachenrecht und Sprachengerechtigkeit. Zahra. 60 Melichar. s.a. Stourzh, Die Gleichberechtigung der Nationalitten. 61 Wingfield. Winkler. Ther. Cohen, G., Nationalist Politics, S. 259 f. Burger, Heimatrecht und Staatsbrgerschaft, beklagt in diesem Zusammenhang einen Verlust der „Polyglossie“. s.a. King. 62 Jngste Studien betonen, dass trotz der nationalistischen Bestrebungen große Teile der Bevçlkerung national indifferent und leidenschaftslos blieben. Zahra. Judson, Guardians of the Nation. Cohen, G., Nationalist Politics, S. 260. 63 Nach Koralka formierte sich insbesondere in Bçhmen und Mhren aufgrund des hohen Industrialisierungs- und Bildungsgrads eine starke, tschechisch-nationale Massenbewegung. 64 Hroch, Social preconditions of national revival in Europe.

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ausgesetzt waren.65 Diese Prozesse machten eine Reformulierung der staatlichen Neutralitt in nationalen Fragen notwendig, die mit der bertragung des kulturellen Rechts auf Anerkennung ethno-kultureller Differenzen in den Bereich der politischen Rechte zusammenfiel. Um die Jahrhundertwende kam es in diesem Sinn zu einer Politisierung des Rechts auf kulturelle und nationale Differenz. Dieses wurde nicht mehr nur als individueller Anspruch verstanden, sondern strker auf die nationalen Gruppen als Kollektive und auf deren Autonomieforderungen bezogen.66 Der sogenannte Mhrische Ausgleich von 1905 ist der prominenteste Beleg fr diesen Prozess.67 Der Kompromiss, den man Ende 1905 in Mhren erzielte, umfasste vier Gesetze. Neben der Teilung der Schulaufsichtsbehçrden nach nationalen Kriterien und der Regelung der kommunalen Amtssprache wirkte sich der Mhrische Ausgleich in einer Novellierung der Landes- und der Landtagswahlordnung aus.68 Im Kern fhrte der Ausgleich zur Aufteilung der mhrischen Whlerschaften in Tschechen – oder in der Terminologie der Ausgleichsgesetze: Bçhmen – und Deutsche. Sowohl in den Landgemeinden als auch in den Stdten unterschied man Kandidaten und Whler nach ihrer nationalen Zugehçrigkeit. Auch die neu geschaffene vierte Whlerklasse, in der alle volljhrigen Mnner whlen durften, war entsprechend differenziert. Aus den Wahlen gingen auf diese Weise zwei nationale Kurien hervor, denen die Abgeordneten des mhrischen Landtags angehçrten. Trotz der Einfhrung einer allgemeinen Whlerklasse blieb das Klassenwahlrecht allerdings bestehen, nach dem die Stimmen der Whler unterschiedliches Gewicht hatten. Zum einen galt weiterhin ein Steuerzensus, der den Zugang zu den privilegierten Whlerklassen von Einkommen und Vermçgen abhngig machte. Zum anderen blieb die Kurie des Großgrundbesitzes im mhrischen Landtag bestehen. Die kleinste und wohlhabendste Whlergruppe entsandte ein Fnftel der mhrischen Landtagsabgeordneten. Neben der tschechischen und der deutschen bildeten die Abgeordneten des Großgrundbesitzes die dritte Kurie im Landtag. Durch ein System von qualifizierten Mehrheiten fr Landtagsbeschlsse zu Verfassungsnderungen und

65 In der Debatte ber Deutsch als Staatssprache in sterreich wurde immer wieder darauf verwiesen, dass es nicht notwendig sei, diesen Umstand zu explizieren, denn die herausgehobene Position des Deutschen ergebe sich gleichsam von selbst. Baier, S. 32 f. Stourzh, Die Gleichberechtigung der Nationalitten, S. 84 f. 66 Stourzh, The Multinational Empire Revisited. King, S. 5, behauptet in diesem Kontext, der „Habsburg state [has] embraced a cluster of nationhoods, by moving to institutionalize them as subcitizenships“. Diese Formulierung unterschtzt allerdings die Bedeutung der weiterhin einheitlich strukturierten çsterreichischen Staatsbrgerschaft. Die Debatte um die „innere Selbstndigkeit der Nationen“ in sterreich wurde auch beeinflusst von der englischen Diskussion ber die Regelung der irischen „Home Rule“. Strakosch-Graßmann, S. 97. 67 Skene. Herrnritt. Glassl. Malrˇ. 68 Glassl, S. 15 – 21.

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Fragen des Schul- und Gemeindewesens kam jeder dieser drei Kurien praktisch ein Vetorecht zu.69 Auf diese Weise wollten die Befrworter des Ausgleichs durch nationale Differenzierung die Gleichberechtigung der beiden Nationalitten garantieren und die politische Majorisierung der Minoritt verhindern. Dadurch wollten sie die nationalen Konflikte eindmmen und befrieden.70 Zum anderen sicherte die neue Landtagswahlordnung den Großgrundbesitzern ihre bisherige privilegierte Position. Beide Aspekte des Ausgleichs gehçren zusammen, denn der Versuch, die nationalen Konflikte durch Mechanismen ethnischer Differenzierung im Bereich der politischen Staatsbrgerrechte zu entschrfen, fiel mit der Debatte ber die Einfhrung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts und ber die Abschaffung stndischer und sozialer Privilegien zusammen. Aus dieser komplexen Konstellation ergaben sich je spezifische Interessenlagen fr die einzelnen sozial und national definierten Gruppen. Im Wesentlichen kam der Mhrische Ausgleich aus dieser Perspektive zustande, weil er mehreren Parteien erlaubte, aus ihrer Sicht Schlimmeres zu verhindern. Die Großgrundbesitzer konnten ihre privilegierte Stellung sichern, und die deutschen Vertreter eine Majorisierung durch die tschechischen Fraktionen in entscheidenden Fragen vermeiden. Die Stabilisierung der bisherigen Ordnung und die Verhinderung revolutionrer Umbrche rechtfertigten auch fr konservative tschechische Gruppen und fr die gesamtstaatlichen Eliten die Untersttzung des bi-nationalen Kompromisses. Innerhalb der mhrischen Politik waren es dementsprechend vor allem die Großgrundbesitzer, die das Zustandekommen des Ausgleichs forcierten und befrworteten. Eine besondere Rolle kam dabei der sogenannten Mittelpartei zu, die zwischen dem konservativen, eher bçhmisch orientierten und dem sogenannten verfassungstreuen, eher deutsch orientierten Adel eine Einigung herstellen konnte, der sich im Verlauf langwieriger Verhandlungen auch die deutschen Liberalen anschlossen.71 Angesichts des zahlenmßigen und wirtschaftlichen Wachstums der tschechischen Bevçlkerung frchteten die Liberalen um ihre bisherige Machtposition und glaubten durch die Zustimmung zum Ausgleich ihre Interessen langfristig besser sichern zu kçnnen.72 Innerhalb der tschechischen Parteien kam es in der Frage des Ausgleichs zu Konflikten. Whrend die sogenannten Alttschechen den Kompromiss untersttzten, kritisierten ihn die sogenannten Jungtschechen, da er in ihren Augen die Durchsetzung nationaler Interessen verhinderte.73 Die Jungtschechen 69 Luft, Politischer Pluralismus und Nationalismus. 70 Skene. Der Autor war als Vertreter der mhrischen Mittel- oder Großgrundbesitzerpartei maßgeblich am Zustandekommen des Ausgleichs beteiligt. 71 Das Zustandekommen der Mittelpartei verdankte sich nicht zuletzt dem Einwirken staatlicher und imperialer Eliten. Luft, Die Mittelpartei. Zur Position des Adels in Bçhmen s.a. Tçnsmeyer. Glassheim. 72 Glassl, S. 15 f. 73 Glassl, S. 10 f.

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forderten stattdessen das allgemeine und gleiche Wahlrecht, das zu einer deutlichen Dominanz, so ihr Argument, tschechischer Vertreter im mhrischen Landtag fhren wrde.74 Aus der entgegengesetzten Richtung kritisierten auch radikal-nationale deutsche Gruppen den Kompromiss, da ihrer Meinung nach die deutschen Interessen nicht hinreichend geschtzt seien. Sie forderten genauere Festlegungen hinsichtlich des nationalen Proporzes bei der Berufung von Beamten und bei der Vergabe von Subventionen und çffentlichen Auftrgen.75 Außerhalb des im Landtag vertretenen politischen Spektrums duldeten die Sozialdemokraten den Ausgleich, obwohl sie noch 1904 große Demonstrationen fr die Durchsetzung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts organisiert hatten.76 Die Befrworter des nationalen Kompromisses konnten auf die austromarxistischen Lçsungsvorschlge fr das çsterreichische Nationalittenproblem verweisen, die zum sozialdemokratischen Programm gehçrten. Diese Vorstellungen setzte der Mhrische Ausgleich zum Teil um.77 Doch auch diese Duldung durch weite Teile der Sozialdemokratie kann nicht darber hinwegtuschen, dass der Mhrische Ausgleich im Wesentlichen ein Projekt der wirtschaftlichen und politischen Eliten war, das „von oben“ formuliert und durchgesetzt wurde. Dafr spricht auch der Umstand, dass man die Ausgleichsgesetze weitgehend im Geheimen beriet und im Schnellverfahren beschloss, um eine çffentliche Auseinandersetzung darber zu verhindern.78 Allerdings trifft diese Charakterisierung des Ausgleichs als Elitenprojekt nicht den Kern der Sache, auf den ein blinder Punkt in den Argumentationsmustern hindeutet. Whrend die Befrworter in ihren çffentlichen ußerungen mit der zu erwartenden Eindmmung nationaler Konflikte und dem Minderheitenschutz argumentierten, whrend sie vermutlich eher intern darauf verwiesen, dass der Ausgleich auch die bisherige politische Ordnung erhalten wrde, kritisierten die Gegner des Kompromisses, dass er die Einfhrung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts verhindere. Fr die Kritiker stellte die Demokratisierung das allein geeignete Mittel zur berwindung der nationalen Streitereien dar. Denn nach allgemeinen und gleichen Wahlen wrde, so das Argument, die Auseinandersetzung zwischen den sozialen Klassen das „Phantom des nationalen Gedankens“ von der politischen Bhne verdrngen.79 74 In diesem Sinn forderte der Landtagsabgeordnete Koudela eine weitere Herabsetzung des Zensus in den Stdten und Landgemeinden und eine grçßere Anzahl von Abgeordneten fr die allgemeine Kurie. Wien, AVA, MdI, Prs., 31, Fasz. 2191, 6560 – 1904, Mhren, 1900 – 1904. 75 Freißler, S. 209 f. 76 Leser. Glassl, S. 10. Ucakar. 77 Springer, Der Kampf der sterreichischen Nationen um den Staat. Bauer. Leser. 78 Skene. Glassl, S. 7 f. 79 Adler, S. 48. Strakosch-Graßmann, S. 21 und 59. Im gleichen Sinn forderte der Abgeordnete Biankini in der Wahlrechtsdebatte im Reichsrat 1893: „Ich bin fr das allgemeine Wahlrecht, da

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Auffllig ist, dass im Rahmen dieser Debatten das Verhltniswahlrecht, das die politische Reprsentation der nationalen Minderheit gesichert htte, ohne bestimmte Privilegien und Zahlenrelationen festzulegen, kaum eine Rolle spielte.80 Dieser blinde Fleck macht deutlich, dass in den meisten Fllen weder das ethnisch differenzierende noch das allgemeine und gleiche Wahlrecht um ihrer selbst willen gefordert wurden. Vielmehr stellten sie Einstze dar, die bestimmte Akteure in komplexen Konstellationen abhngig von çkonomischen, sozialen und politischen Positionen mitunter auch fr partikulare Interessen instrumentalisierten.81 Dieser Befund ist fr den Vergleich bedeutsam, weil gerade die je spezifischen Konstellationen in Ungarn, Indien oder Ostafrika zur Ausprgung je besonderer Formen der ethnischen Differenzierung im Wahlrecht beitrugen. In sterreich war unter anderem die Tatsache prgend, dass der Mhrische Ausgleich, wie auch die spteren Kompromisse in der Bukowina 1910 und in Galizien 1914, die nationale Identitt personal definierten. Die nationale Zugehçrigkeit folgte zwar anderen Kriterien, aber einem hnlichen Muster wie die zur Großgrundbesitzerkurie.82 Nach dem Personalittsprinzip bezog sich die Aufteilung der Bevçlkerung in ethnische Gruppen auf die einzelnen Personen, unabhngig von deren Wohnort. Die nationalen Zugehçrigkeiten wirkten also als unterschiedliche personale Rechtsstatus innerhalb eines Territoriums. Im Fall des Mhrischen Ausgleichs bedeutete das, dass man das gesamte Land wahlrechtlich zweifach gliederte, einmal in tschechische und einmal in deutsche Wahlkreise. Fr die 20 Mandate der allgemeinen Whlerklasse resultierte diese Aufteilung in einer doppelten Kartografie (s. Karte 1). Das Personalittsprinzip fhrte praktisch zur Ausbildung eines Systems nationaler Listen, Matrikeln und Kataster, welche die Festschreibung der nationalen Identitt jedes Einzelnen ermçglichten.83 Sie erlaubten es, innerhalb eines Territoriums beim Zugang zu den Staatsbrgerrechten nach nationalen Kriterien zu differenzieren.

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ich die Wahrheit will, weil es den Sieg der Gerechtigkeit, der Gleichberechtigung, der Wahrheit fr alle Vçlker der Monarchie beschleunigen wird.“ Zit. nach Strakosch-Graßmann, S. 56. Bauer, S. 356, war einer der wenigen, die das Proportionalwahlrecht als Lçsungsvorschlag in die Debatte einbrachten. Deswegen konnten beispielsweise die deutsch-nationalen Vertreter in den verschiedenen Kronlndern und auf der gesamtstaatlichen Ebene gnzlich unterschiedliche Forderungen erheben. Die bçhmischen Deutschen strebten eine territoriale Aufteilung Bçhmens nach nationalen Kriterien an, whrend man derartige Lçsungen in Mhren aufgrund der andersartigen Siedlungsstruktur als unpraktikabel ablehnte, und in Tirol, wo die Deutschen gegenber den Italienern die politische Vormachtstellung in den autonomen Behçrden innehatten, versuchten sie die territoriale Aufteilung zu verhindern. Zu einem hnlichen Ausgleich auf kommunaler Ebene in Budweis (heute: Budeˇjovice in Tschechien) s. King, S. 137 f. Bernatzik, ber nationale Matriken. s.a. Stourzh, Ethnic Attribution.

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Karte 1: Personale Verteilung ethno-nationaler Differenzen: „Der mhrische Ausgleich 1905. 6 deutsche und 14 tschechische Wahlkreise“, nach: Sudetendeutscher Atlas, Mnchen 19552, Blatt 26.

Im Umfeld des Mhrischen Ausgleichs haben auch die Austromarxisten Karl Renner und Otto Bauer das Personalittsprinzip zur Lçsung des Nationalittenproblems vorgeschlagen.84 Allerdings gingen ihre Anstze weiter als das, was man 1905 in Mhren umsetzte. Beide versuchten in ihren Entwrfen, eine territoriale, supra-nationale, staatliche Gliederung mit einer personalen, nationalen Aufteilung zu verbinden. Renner wollte ein „doppeltes Netz in die Landkarte eintragen, ein çkonomisches und ein ethnisches“ und „die Bevçlkerung zweimal organisieren, einmal national, das andere Mal staatlich.“85 Vor allem Bauer verglich dabei den deterritorialen, personenbezogenen Charakter der nationalen Identitt mit der Struktur der konfessionellen Zugehçrigkeit. Neben der erwhnten Prgung durch die soziale Differenzierung im Wahlrecht bildete der Umgang mit konfessioneller Vielfalt ein zweites, zentrales Muster, das die personale Ausgestaltung der nationalen Kompromisse wesentlich beeinflusste. Im Gegensatz dazu beruhte die rechtliche Differenzierung nach dem Territorialittsprinzip auf der Unterscheidung ethnisch weitgehend homogener Gebiete. Diese Variante war 1907 bei der Einfhrung des allgemeinen Wahlrechts fr Mnner zum Reichsrat bestimmend. Dabei versuchte man, national homogene Wahlkreise zu schaffen. Generell wurden die Wahlkreise parallel zur sukzessiven Ausdehnung des Wahlrechts in den Reformen von 1882, 1895 und 1907 zunehmend national homogenisiert.86 Weiterreichende Anstze, welche die nationale Autonomie auf der Grundlage des Territorialittsprinzips verwirklichen wollten, basierten zumeist auf dem Gedanken des Kronlnderfçderalismus. Demnach sollten die Grenzen der Lnder an die der nationalen Siedlungsgebiete angepasst werden. Die Vorschlge des Juristen und rumnisch-national orientierten Politikers Aurel Popovici von 1905 zur

84 Bauer, S. 357 f. Springer, Der Kampf der sterreichischen Nationen um den Staat. 85 Springer, Grundlagen und Entwicklungsziele, S. 208. 86 Strakosch-Graßmann, S. 80 f. Ulbrich, S. 16. s.a. Ucakar. Winkler.

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Ausgestaltung der „Vereinigten Staaten von Groß-sterreich“ zielten in diese Richtung.87 Es ist unmittelbar einsichtig, dass diese territorialen, bundesstaatlichen Varianten der nationalen Autonomie die Einheitlichkeit des çsterreichischen Staates weit mehr beeintrchtigt htten, als die personalen Anstze der Austromarxisten, die neben der national-personalen Aufteilung die anationale, staatliche Einheit betonten. Im Nebeneinander von Personalitts- und Territorialittsprinzip kam also die mittelfristige Offenheit der Frage zum Ausdruck, inwieweit die Einheit des çsterreichischen Staates angesichts der Nationalisierung des Politischen gewahrt werden sollte und konnte. Die sozialen Staatsbrgerrechte und die Durchsetzung ethnischer Neutralitt Sowohl bei den kulturellen Rechten nach 1867, als auch bei den politischen Rechten nach 1900 setzten sich anerkennende Differenzierungsmechanismen nach ethnischen Kriterien zunehmend durch. Lsst sich fr den Bereich der sozialen Staatsbrgerrechte hnliches feststellen? Der Ausbau der sozialen Rechte in sterreich vollzog sich im Bereich der Arbeiterschutzgesetzgebung und des Sozialversicherungswesens mit der Arbeiter-Kranken- und Unfallversicherung 1888/89 und der Pensionsversicherung fr Angestellte 1906.88 Dabei spielten nationale Differenzierungen keine Rolle. Zwar kçnnte man argumentieren, dass beispielsweise die Nicht-Einbeziehung der land- und forstwirtschaftlichen Arbeiter in die Sozialversicherung, ein viel debattierter und kritisierter, doch bis zum Ende der Monarchie nicht genderter Umstand, implizit diejenigen Nationalitten benachteiligte, die in agrarisch geprgten Gebieten lebten, also beispielsweise die polnisch- und ukrainischsprachige Bevçlkerung.89 Aber das Problem, dass innerhalb des knappen Zehntels der çsterreichischen Bevçlkerung, das 1901 krankenversichert war, bestimmte Nationalitten ber- oder unterreprsentiert gewesen wren, kam in den çffentlichen und parlamentarischen Debatten ber die großen Sozialversicherungsvorlagen um die Jahrhundertwende nicht zur Sprache.90 Die Unfall- und Krankenversicherung erfasste die arbeitende Bevçlkerung nach Branchen, aber unabhngig von der ethnischen Zugehçrigkeit, brigens auch unabhngig vom angehçrigkeitsrechtlichen Status als Auslnder oder Staatsbrger. Ein aus Anlass der Weltausstellung in Paris 1900 herausgegebener Band ber die „Sociale Verwaltung in sterreich“ kam mit keinem Wort auf nationale Fragen zu sprechen.91 Gleiches gilt fr Friedrich Grtners 87 Popovici. 88 Eine Arbeiter-Alters- und Invalidittsversicherung, welche die sozialpolitischen Reformvorschlge der Jahre 1904, 1907 und 1911 forderten, kam dagegen nicht zustande. Konrad, S. 33. Hofmeister, S. 485, 533 f, 562 f und 596 f. 89 Kaan, S. 22. Hofmeister, S. 549, 601 f und 621. 90 Hofmeister, 611 f. 91 Special-Comit fr Socialçkonomie.

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fachjuristische Analyse der sozialpolitischen Reformplne von 1904. Grtner betonte, dass ein adquates Sozialversicherungswesen die freie Mobilitt der Versicherten zu gewhrleisten habe. Daraus folgt implizit, dass er die einheitliche und gleiche Behandlung aller Versicherten unabhngig von ihrer ethnischen Identitt befrwortete, da dieses Vorgehen die Freizgigkeit am besten garantieren konnte.92 Zwar verwiesen einzelne Kommentatoren – meist in polemischer Absicht – auf die ungleiche Verteilung der finanziellen Lasten und Leistungen unter den verschiedenen „Volksstmmen“. Anton Schubert behauptete 1906, dass die „Deutschçsterreicher“ im Durchschnitt deutlich mehr bezahlten, als sie zurckbekmen, wobei er sich im Wesentlichen auf das Steueraufkommen und staatliche Leistungen bezog.93 Auch im Zusammenhang mit der Besetzung von Posten innerhalb der Versicherungsanstalten wurden mitunter nationale Forderungen gestellt.94 Aber im Allgemeinen dominierten Branchenunterschiede und die Unterscheidung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern die Debatten ber die sozialen Staatsbrgerrechte. Die Regelung des modernen Sozialversicherungswesens betrachtete man als eine Aufgabe des ethnisch-neutralen Staates. Anders stellte sich die Situation bei den lteren Versorgungsstrukturen dar, also im Armenrecht. Die Armenhilfe fiel in die kommunale Zustndigkeit. Anspruch auf Armengeld hatten deswegen nur diejenigen bedrftigen Personen, die in der jeweiligen Gemeinde heimatberechtigt waren. Die Gemeindeangehçrigkeit oder das Heimatrecht erwarb man wie die Staatsangehçrigkeit entsprechend dem ius sanguinis durch Geburt oder durch Einbrgerung. Diese Regelung fhrte dazu, dass viele Binnenmigranten an ihrem Wohnort nicht heimatberechtigt waren und die Armenfrsorge nicht in Anspruch nehmen konnten. Deswegen schob man sie, sobald sie der Untersttzung bedurften, in ihre Heimatgemeinden ab. Seit 1863 konnten die Gemeinden nach freiem Ermessen die Aufnahme in den Gemeindeverband gewhren oder verweigern. Der Verdacht liegt nahe, dass zumindest einige Gemeinden mittels des Heimatrechts versuchten, Angehçrige bestimmter Nationalitten vom Gemeindeverband auszuschließen. Diese Vermutung soll fr die Zeitrume 1870 – 80 und 1890 – 1900 anhand derjenigen Flle berprft werden, in denen es zu Ministerialrekursen oder Verwaltungsgerichtsklagen kam. In diesen Fllen war den betroffenen Ge-

92 Grtner. 93 Schubert, S. 109. Der dritte Band dieses Werks schloss mit dem Satz: „Heil Deutschçsterreich ohne Enden!“ 94 In diesem Sinn interpellierte der Abgeordnete Prade 1891 die çsterreichische Regierung bezglich der Zusammensetzung des Vorstands der Arbeiterunfallsversicherungsanstalt in Bçhmen und der „Entsendung von vier Deutschen und zwei Tschechen in denselben“. Abgeordnetenhaus des çsterreichischen Reichsrats, Index, 11. Session, 1897.

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meinden die Verweigerung des Heimatrechts also wichtig genug, um dafr einen hohen administrativen und finanziellen Aufwand in Kauf zu nehmen.95 In beiden Zeitperioden bildete die Frage, welche Gemeinde fr die Verpflegungskosten einer Person aufzukommen habe, den hufigsten Anlass fr Auseinandersetzungen ber das Heimatrecht. Etwas seltener stritt man darum, in welcher Gemeinde eine Person stellungspflichtig sei und welche Gemeinde Heimatscheine oder andere Dokumente auszustellen habe. Zwischen 1870 und 1880 waren es in den meisten Fllen deutschsprachige Personen, deren Heimatrecht in Frage stand. Zwischen 1890 und 1900 waren Angehçrige verschiedener Gruppen gleichermaßen betroffen. Fr beide Zeitrume lsst sich kein bestimmtes Muster feststellen, nach dem beispielsweise mehrheitlich deutschsprachige Gemeinden die Aufnahme von tschechischsprachigen Zuwanderern verweigert htten. Die Analyse ergibt ein uneinheitliches Bild. Die Gemeinde Kaltenbrunn in Bçhmen (heute: Stud nky in Tschechien) wehrte sich gegen die Aufnahme der „taubstummen und blçdsinnigen“ Eleonora Ruderstein. Die Gemeinde Radkersburg (slowenisch: Radgona) in der Steiermark beharrte darauf, dass Franz Richter nach Graz zustndig sei. Man stritt darum, ob Leopold Ragani in Neufelden oder in Weitersfelden, beide Gemeinden in Oberçsterreich, heimatberechtigt, und ob Franz Foremny nach Polanka oder Gorajowice zustndig sei, beide Gemeinden in Galizien (heute in Polen). Die Stadt Wien wehrte sich gegen die Zuweisung Gustav Feilhauers. Man kçnnte die Liste beliebig verlngern. Feststeht, dass fr die Gemeinden in erster Linie finanzielle berlegungen im Vordergrund standen. Unabhngig von der ethnischen Zugehçrigkeit der betroffenen Personen versuchten sie, potenzielle Versorgungsverpflichtungen zu vermeiden. Die Novellierung des Heimatgesetzes 1896 fhrte zu einer entscheidenden Vernderung im Armenrecht. Sie bestimmte die Ersitzung des Heimatrechts durch zehnjhrigen Aufenthalt in einer Gemeinde.96 Nach dem neuen Gesetz war die Abschiebung Bedrftiger also nicht mehr ohne Weiteres mçglich. Die Regierung begrndete die Novelle damit, dass die Landgemeinden, in denen die meisten Binnenmigranten heimatberechtigt waren, die große Last der Armenversorgung nicht mehr tragen kçnnten. Es sei ungerecht, dass die großen industriellen Gemeinden, die von der Arbeitskraft der Zuwanderer profitierten, nicht fr deren Versorgung aufkommen mssten.97 Von dieser nderung war insbesondere der grçßte Migrationsmagnet sterreichs, die Stadt Wien betroffen, wo zahlreiche Auswrtige durch die

95 Wien, AVA, MdI, Allg., 11/4, Ktn. 413 und 414, Heimatrecht. 96 sterreich, RGBl. 1896, Nr. 105. s. Seeler, S. 114. 97 sterreich, Abgeordnetenhaus des Reichsrats, Nr. 969 der Beilagen, 11. Session, 1894, Motivenbericht zur Heimatrechtsnovelle. s.a. Wien, AVA, MdI, Allg., 11/4, Ktn 433, 27191 – 1904, Reaktion des k.k. Innenministeriums auf den Antrag des zweiten çsterreichischen Stdtetages vom 13. Juni 1904 um Aufhebung der Heimatrechtsnovelle von 1896.

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Novelle automatisch das Heimatrecht erwarben.98 Im frhen 20. Jahrhundert gab es einige Flle, in denen die Stadt Wien versuchte, insbesondere Tschechen vom Erwerb der Zustndigkeit in Wien abzuhalten. 1902 beschwerte sich der tschechische Reichsratsabgeordnete Dr. Placˇek beim k.k. Innenministerium darber, dass der Wiener Magistrat sich weigere, in „bçhmischer Sprache“ verfasste Antrge zu bearbeiten. In diesen Dokumenten forderten bçhmische Gemeinden die Stadt Wien dazu auf, das Heimatrecht von aus Bçhmen nach Wien bergesiedelten Personen anzuerkennen.99 Es ist sehr wahrscheinlich, insbesondere wenn man den politischen Rahmen dieser Vorgnge in Betracht zieht, dass die Stadt Wien auf den Ausschluss nicht-deutscher sterreicher vom Erwerb der Zustndigkeit abzielte.100 Wer in Wien das Brgerrecht erwerben wollte, musste nach dem Gemeindestatut von 1900 geloben „den deutschen Charakter der Stadt nach Krften aufrecht erhalten zu wollen“.101 Dr. Placˇeks Interpellation im Reichsrat und die antisemitische Ausrichtung der Wiener Stadtratsmehrheit um die Jahrhundertwende deuten darauf hin, dass vor allem Tschechen und Juden von derartigen Exklusionsbestrebungen betroffen waren.102 Diese Bestrebungen erklren auch den signifikanten Rckgang der Einbrgerungen jdischer Personen in Niederçsterreich um die Jahrhundertwende. Wenn der Wiener Magistrat jdischen Bewerbern die Zusicherung der Aufnahme in den Gemeindeverband verweigerte, konnten sie die Aufnahme in den çsterreichischen Staatsbrgerverband nicht erreichen. Allerdings verwiesen die Behçrden nie explizit auf die ethnische Identitt der Bewerber als Ablehnungsgrund. Die Beschwerden ber die Wiener Heimatrechtspolitik in den Jahren 1901 und 1902 gaben eher soziale Kriterien und finanzielle berlegungen als Grnde fr die Entscheidungen des Wiener Magistrats an.103 Auch die Beamten des k.k. Innenministeriums kamen zu dem

98 In Wien lebten bereits 1884 100.000 nicht gemeindeangehçrige Personen. Russ, S. 9. 99 Wien, AVA, MdI, Allg., 11/4, Ktn 433, 10597 – 1902. s.a. ebd., 35733 – 1907, Ministerialrekurs der Gemeinde Reichenau vom 15. 1. 1902 gegen die Wiener Statthaltereientscheidung betreffend das Heimatrecht der Josef Prochaska, Anton Stephanek, Franz Zak und Augustin Maxera. Allerdings stellten die Verfasser der Beschwerde fest, dass nicht alle deutschsprachigen Gemeinden sich so verhielten, und fhrten die Exklusionsbestrebungen Wiens auf „anti-sociale Engherzigkeit und communal-fiscalische Interessen“ zurck. 100 Zur ethnisch-exklusiven Politik des Wiener Magistrats s. John, S. 90 und 97 f. Zu Exklusion und Inklusion im Kontext der cisleithsnischen Binnenmigration generell s. Hahn. 101 Stourzh, Die Gleichberechtigung der Nationalitten, S. 113. Das „Brgerrecht“ war mit dem Heimatrecht nicht identisch. Es stellte eine besondere Form der Zugehçrigkeit zur Stadtgemeinde dar und wurde von der Kommune verliehen. Brger waren beispielsweise im stdtischen Wahlrecht besser gestellt als die einfachen Gemeindeangehçrigen, die nur das Heimatrecht besaßen. 102 Walz. 103 Wien, AVA, MdI, Allg., 11/4, Ktn 433, 40861 – 1901, 40862 – 1901 und 5787 – 1901. Beispielsweise nahm man Bewerber, deren Eltern einmal der Armenversorgung zur Last gefallen waren, nicht in den Gemeindeverband auf. Einige Witwen wurden abgewiesen, weil die Verwaltung die

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Schluss, dass sich „das geschilderte Vorgehen … begreiflicherweise gerade gegen die rmeren Schichten der Bevçlkerung richtet“.104 Trotz dieser expliziten sozialen Ablehnungsgrnde waren wahrscheinlich gleichzeitig und implizit auch ethnische Kriterien ausschlaggebend. Die Wiener Behçrden betrieben nur wenige Jahre lang diese ethnisch-exklusive Praxis. 1903 und 1904 lag der Anteil der Juden an den in den Wiener Gemeindeverband Aufgenommenen mit 5,4 % und 7,1 % bereits wieder ziemlich nah an und sogar ber dem Durchschnittswert mehrerer cisleithanischer Stdte mit 6,1 % und 6,5 %.105 Dass die Wiener Verwaltung die Exklusionstendenzen nur ber wenige Jahre aufrecht erhielt, lag wesentlich daran, dass die gesamtstaatlichen Behçrden ein derartiges Vorgehen nicht duldeten, denn es widersprach den Absichten der Heimatrechtsnovelle von 1896. Deswegen wies das k.k. Innenministerium die politischen Behçrden schon 1900 darauf hin, dass sie Versuchen der Gemeinden, Anspruchsberechtigte vom Heimatrecht auszuschließen, „durch rigoroseste Beurteilung“ im Instanzenweg entgegentreten sollten. Falls das nicht mçglich sei und die Entscheidungen der Gemeinden nominell nicht beanstandet werden kçnnten, sollten die politischen Behçrden auf informellem Weg ihren Einfluss geltend machen.106 Offiziell war fr die Auslegung der gesetzlichen Bestimmungen allerdings nicht das Ministerium, sondern die Judikative zustndig. 1906 entschied der Verwaltungsgerichtshof endgltig ber die aufgeworfenen Fragen. Auch die Judikative missbilligte die Praxis der Wiener Verwaltung und betonte im Interesse der Freizgigkeit der Staatsbrger und im Sinn der vom Gesetzgeber intendierten gerechteren Verteilung der Armenlast die Verpflichtung zur Aufnahme in den Gemeindeverband. In seiner Entscheidung betonte das Gericht, dass der aufnehmenden Gemeinde in Fllen, in denen der Anspruch auf das Heimatrecht durch zehnjhrigen Aufenthalt erworben wurde, kein Entscheidungsrecht zustehe. In diesen Fllen seien allein die politischen Behçrden zustndig.107 Im Bereich des Heimatrechts setzten also gesamtstaatliche Behçrden und Gerichte eine ethnisch-neutrale und nicht-exklusive Aufnahmepraxis teilweise gegen den Willen der Gemeindeverwaltungen durch.108 Damit war

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Zeit, die sie mit ihren Ehemnnern in Wien gewohnt hatten, nicht als freiwilligen Aufenthalt im Sinne der Heimatrechtsnovelle wertete. Ebd., 6982 – 1900, Interner Vermerk zu einem Bericht der niederçsterreichischen Statthalterei ber die Heimatrechtspraxis der Gemeinden, 17.2.1900. Angaben bei Thon, S. 58. Wien, AVA, MdI, Allg., 11/4, Ktn 433, 6982 – 1900. Ebd., 52534 – 1906. Einen hnlichen Konflikt – allerdings unter genau umgekehrten Vorzeichen – beschreibt van Rahden, S. 202 – 205, am Beispiel der Stadt Breslau (heute: Wrocław in Polen). Hier kam es im Kontext der Einbrgerungspraxis zu Auseinandersetzungen zwischen den staatlichen, preußischen Behçrden, die eine anti-semitische Exklusionspolitik verfolgten, und den kommu-

101

sptestens seit 1906 die Armenversorgung, wie auch die Ausgestaltung der modernen sozialen Staatsbrgerrechte vom Prinzip der ethnischen Neutralitt bestimmt.

2.2. Gleichheitsversprechen und „rassische“ Diskriminierung in Indien Nach der Meuterei, der Rebellion oder dem Aufstand – die Wahl der Bezeichnung richtet sich nach dem interpretativen und politischen Standpunkt der Sprechenden – gegen die britische East India Company im Jahr 1857 bernahm die Regierung in London 1858 die direkte Kontrolle ber weite Teile des sdasiatischen Subkontinents. Aus Anlass ihres Souvernittsantritts garantierte die Regierung im Namen der englischen Kçnigin den neuen indischen Untertanen – „of whatever race or creed“ – „equal and impartial protection of the law“.109 Am weitesten ausgebaut war das britisch-indische Rechts- und Verwaltungssystem, das gemß der Queen’s Proclamation ethnisch neutral sein sollte, in den sogenannten Presidencies Bengal, Madras (heute: Chennai) und Bombay (heute: Mumbai), den ltesten Sttzpunkten der Company-Herrschaft. Im Lauf des 18. und 19. Jahrhunderts hatte die Company auch den restlichen Subkontinent unter ihre Kontrolle gebracht. Lediglich die Territorien der sogenannten indischen Frstenstaaten blieben formal selbststndig; jedoch bestimmten britische Vertreter weitgehend ihre Politik. Dieses System der indirekten Herrschaft behielt man auch nach 1858 bei. 1876 wurde Kçnigin Victoria zur Kaiserin von Indien gekrçnt, wodurch der Anspruch der britischen Krone auf die Oberhoheit ber ganz Indien zum Ausdruck kam, also sowohl ber die Frstenstaaten als auch ber den direkt der britischen Verwaltung unterworfenen, Britisch-Indien genannten Teil. Die Politik territorialer Expansion setzte die neue britisch-indische Regierung fort. In nordwestlicher Richtung fhrte das zu militrischen Konflikten in Afghanistan und zur Rivalitt mit dem Russischen Reich, in çstlicher Richtung zur Annexion Burmas 1886 und zur Kollision mit franzçsischen Expansionsplnen in Sdostasien. Innerhalb Britisch-Indiens arbeitete die Regierung an der Konsolidierung der Verwaltung in den Provinzen und auf der zentralen Ebene. Empire-Benalen Behçrden, die in ihren Naturalisationsempfehlungen ethnisch-neutral verfuhren und sich an sozialen Kriterien und çkonomischen Interessen orientierten. 109 Proclamation by the Queen to the Princes, Chiefs, and the People of India, 1.11.1858. Keith, S. 382 f. Als Versprechen rechtlicher Gleichheit fr die indischen Untertanen seitens der britischen Regierung wurde und wird dieses Dokument immer wieder zitiert, wobei der Hinweis darauf, dass man diesem Anspruch kontinuierlich nicht gerecht wurde, oft unterbleibt.

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geisterte bezeichneten Indien nicht zuletzt deswegen als das Juwel des Britischen Weltreichs, weil sie die Administration auf dem Subkontinent fr besonders vorbildlich hielten. Eine bedeutende Rolle fr diese positive Selbsteinschtzung spielte der Indian Civil Service, also das Korps der in den allermeisten Fllen aus dem Vereinigten Kçnigreich rekrutierten Beamten, welche die herausgehobenen Positionen innerhalb der indischen Verwaltung einnahmen. Die Regierung Britisch-Indiens wurde vom Governor-General, der den Titel eines Vizekçnigs trug, geleitet. Den Governor-General ernannte die Regierung in London. Von dort aus versuchte das India Office als zustndiges Ministerium die indische Regierung, soweit das aus der Ferne mçglich war, zu dirigieren. Auf dem Umweg ber das britische Kabinett kontrollierte das Parlament in London die Regierung Indiens. Als oberster Gesetzgeber bestimmte das Parlament die politische Struktur Indiens, also gewissermaßen die Verfassung. Die Briten legitimierten ihre Herrschaft mittels zweier Rechtfertigungsstrategien. Whrend die eine orientalisierend die Differenz zwischen Indien und dem Mutterland betonte, zielte die andere langfristig auf eine Aufhebung der Unterschiede im Rahmen einer „Zivilisierung“ der indischen Bevçlkerung. Die Vertreter der ersten Richtung begrndeten die britische Herrschaft entweder mit dem Recht des Eroberers, ber die Besiegten zu herrschen, oder mit der Notwendigkeit, das Machtvakuum auszufllen, das nach dem Ende der Mogulherrschaft auf dem Subkontinent entstanden war. Die Verfechter des Zivilisierungsparadigmas rechtfertigten die britische Herrschaft dagegen von ihrem Ende her. Dieses sei dann gekommen, wenn die indische Bevçlkerung politisch, kulturell und çkonomisch so weit gereift sei, dass sie sich selbst regieren kçnne. Der innere Widerspruch dieses oft als liberal bezeichneten Paradigmas, das etwas rechtfertigte, indem es seine Abschaffung in Aussicht stellte, und der grundstzliche Widerspruch zwischen beiden Argumentationsmustern prgten die britische Herrschaft. Neben diesen ideologischen Auseinandersetzungen bestimmten çkonomische und militrische Interessen die britische Politik. Einerseits diente Indien als Absatzmarkt fr britische Produkte und als Investitionsmarkt fr britisches Kapital, andererseits als Lieferant von Rohstoffen und Arbeitsmigranten. Als „indentured labourers“ waren diese ihren Arbeitgebern in extremer Weise ausgeliefert. Im Zentrum der militrischen Interessen stand die indische Armee, die aus indischen Steuereinnahmen finanziert wurde und zum grçßten Teil aus indischen Soldaten bestand. Diese Armee kam in allen imperialen Konflikten zum Einsatz und trug wesentlich zur Aufrechterhaltung der Machtposition des Britischen Weltreichs bei. Im Inneren bildete die Armee das Fundament der autokratischen Verwaltung. Wiederholt kam es zu Aufstnden, Hungerunruhen und nach der Jahrhundertwende auch zu anarchistischen und nationalistischen Terroranschlgen. Die koloniale Obrigkeit schlug diese gewaltsam nieder und reagierte mit der Verschrfung repressiver Maßnahmen. 103

Sozial und kulturell wirkte sich die britische Herrschaft durch die bertragung europisch geprgter Modelle auf Indien aus. Sie trug zur Herausbildung verschiedener sozialer Gruppen – beispielsweise der Großgrundbesitzer durch das Permanent Settlement von 1793 – und zur Produktion ethnischer Differenzen – unter anderem zwischen „Europeans“ und „natives“ – bei. Teilweise kam es zur Durchkreuzung der genannten sozialen und ethnischen Unterschiede, wofr die „European vagrants“, die „Anglo-Indians“ und die nach britischem Muster ausgebildeten Inder in den „professional classes“ als Beispiele dienen kçnnen. Diese spielten bei der Herausbildung der indischen Nationalbewegung eine zentrale Rolle, die Mitspracherechte und seit der Jahrhundertwende verstrkt eine parlamentarische Selbstverwaltung Indiens forderte. Im Folgenden soll die Frage im Zentrum stehen, wie sich in diesem Spannungsfeld zwischen kolonialer Verwaltung und nationalen Forderungen der administrative und rechtliche Umgang mit ethnischen Differenzen entwickelte. Welche Rolle spielte die nationalstaatliche Logik von Binnenhomogenisierung und Exklusion, inwiefern waren etatistische Neutralittsprinzipien oder Anerkennungsmechanismen relevant? Und welche Bedeutung hatte die imperialistische Diskriminierungslogik? Die Reformen von 1918/19 und ethnische Differenzierungen im Wahlrecht Auf die Forderungen der indischen Nationalbewegung reagierte die Regierung mit der Integration von „Indern“ als Beamten und Richtern in den Verwaltungsapparat. Zugleich dehnte sie die politische Partizipation allmhlich aus, zunchst auf kommunaler Ebene, dann durch die Einfhrung von gesetzgebenden Rten und durch die Strkung der Rolle gewhlter Vertreter in diesen Kçrperschaften auch auf der Provinz- und der Gesamtstaatsebene. Diese Entwicklung gipfelte in den sogenannten Montagu-Chelmsford-Reformen von 1918/19. Die nach dem damaligen Secretary of State for India Edwin Montagu und dem Generalgouverneur und Vizekçnig Lord Chelmsford benannte Reform der indischen Verfassung folgte dem Gedanken, „that India could be reshaped in the image of England, that responsible government, as ,the best form of government that they [the English] know‘, should be extended to India“.110 Die Beratung der Reform begann 1916. Dabei begrndete man die Forderung nach mehr politischen Partizipationsrechten fr die indischen Bevçlkerungen nicht zuletzt mit den großen finanziellen und militrischen Beitrgen Indiens zur britischen Kriegsanstrengung.111 Montagu und Chelmsford fassten ihre Vorschlge in einem Bericht zusammen, der im Mai und Juni 1918 vom britischen 110 Metcalf, Ideologies, S. 225 f, zitiert an dieser Stelle den Bericht von Montagu und Chelmsford. 111 Schtzungsweise 60.000 „Indian soldiers“ kamen im Ersten Weltkrieg ums Leben. Bose, S., S. 98 f.

104

Kabinett beraten und im Juli verçffentlicht wurde. Er bildete die Grundlage des vom Parlament in London schließlich beschlossen Government of India Act von 1919. Die Debatten konzentrierten sich auf zwei Punkte. Einerseits diskutierte man heftig ber das adquate Mischungsverhltnis von demokratischer Regierung und kolonial-autokratischer Verwaltung. Andererseits und fr den Umgang mit ethnischer Heterogenitt entscheidend, stritten die Beteiligten um die konkrete Ausgestaltung des Wahlrechts und die Einfhrung ethnisch differenzierter Wahlkçrper. Tabelle 3: Verteilung der gewhlten Mitglieder der Gesetzgebenden Versammlung auf Provinzen und Wahlkçrper nach dem Government of India Act von 1919 Wahlkçrper Allgemein Muslime Sikhs Großgrund- Europer Indische besitzer Handelskammern Provinzen

Gesamt

Madras

10

3

-

1

1

1

16

Bombay

7

4

-

1

2

2

16

Bengal

6

6

-

1

3

1

17

United Pro- 8 vinces

6

-

1

1

-

16

Punjab

3

6

2

1

-

-

12

Bihar and Orissa

8

3

-

1

-

-

12

Central Provinces

4

1

-

1

-

-

6

Assam

2

1

-

-

1

-

4

Burma

3

-

-

-

1

-

4

Delhi

1

-

-

-

-

-

1

Ajmer Mer- 1 wara

-

-

-

-

-

1

Gesamt

30

2

7

9

4

105

53

105

105 der 144 Mitglieder der neuen Gesetzgebenden Versammlung fr Indien, so die letztlich verabschiedete Regelung, sollten gewhlt, die restlichen Parlamentarier von der Regierung ernannt werden. Die 105 durch Wahl vergebenen Mandate waren auf die Provinzen und auf verschiedene Whlergruppen verteilt (s. Tabelle 3).112 Nach dem Steuerzensus besaßen 900.000 Menschen das Wahlrecht, was ungefhr 0,5 % der Gesamtbevçlkerung entsprach.113 Frauen, Mnner unter 21 Jahren, „persons of unsound mind“ und Auslnder schloss das Gesetz vom Wahlrecht aus.114 Die Exklusion der Frauen rief Widerstnde hervor. „[N]umerous petitions from women of the educated classes“ forderten Gleichberechtigung oder zumindest das Wahlrecht fr Frauen mit Universittsabschlssen. Verschiedene Gruppen untersttzten diese Vorschlge, und der Chief Commissioner von Assam wollte „European women“ das Wahlrecht zugestehen. Das Komitee, welches die wahlrechtlichen Bestimmungen im Einzelnen ausarbeitete, war allerdings der Meinung, dass insbesondere „indische“ Frauen aufgrund ihrer „social condition“ und aufgrund der traditionellen Trennung von weiblichen und mnnlichen Sphren nicht politisch partizipieren sollten, und verwarf das vorgeschlagene Frauenwahlrecht. Die indische Regierung untersttzte diese Entscheidung. Lediglich Sir Sankaran Nair befrwortete das Frauenwahlrecht.115 Das Gesetz differenzierte sowohl nach sozialen als auch nach ethnischen Kriterien, wobei es Handelskammern und Großgrundbesitzern „special representation“ und Muslimen und Sikhs „communal representation“ zusicherte. Diese Mischung sozialer und ethnischer Distinktionsmerkmale im Wahlrecht wies auffallende hnlichkeiten mit der im Mhrischen Ausgleich geschaffenen Landeswahlordnung auf. Allerdings lehnten es die Zeitgenossen ab, hier eine Parallele zu sehen, da sterreich sich in ihren Augen nicht als Vorbild fr reprsentative demokratische Strukturen eignete: „Finally, what of the differences between races and creeds? … we must take them into account as presenting a feature of Indian society which is out of harmony with the ideas on which elsewhere in the world representative institutions rest.“ „[Responsible government] appeared only when the territorial principle had vanquished the tribal principle … The solitary examples that we can discover of opposing principle are those of Austria, a few of the smaller German states, and Cyprus. It is hardly necessary to explain why we dismiss these as irrelevant or unconvincing.“116 112 Menon, S. 53. Die Mitglieder der zweiten Kammer, die das Gesetz von 1919 vorsah, des Council of State, wurden nach einem hnlichen Muster bestimmt. 113 Menon, S. 144. Die konkrete Ausgestaltung des Wahlrechts berließ das Gesetz von 1919 der indischen Regierung. Robb, S. 109. 114 London, IOR, V/26/261/1, Report of the Franchise Committee, 1918 – 19, Calcutta 1919, S. 3. 115 London, IOR, L/PJ/3/695, Dispatches on Indian Constitutional Reforms, 5th Dispatch, Reaktion der indischen Regierung auf die Vorschlge des Southborough Komitees, S. 2. 116 The Montagu-Chelmsford Reform Proposals, S. XLII und 35. „It is a still bolder experiment to

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Die Frage, welchen Gruppen in den Wahlen zur indischen Gesetzgebenden Versammlung und zu den Provinz-Rten „communal representation“ zustehen sollte und welchen nicht, spielte in den Verhandlungen des Southborough Komitees eine große Rolle. Dieses Komitee beriet in den Jahren 1918 und 1919 die konkrete Ausgestaltung des Wahlrechts.117 Die folgende Analyse seiner Debatten konzentriert sich auf die gesamtindische Ebene sowie beispielhaft auf die United Provinces, also auf die bevçlkerungsreichste Provinz.118 Die ethnische Differenzierung bei Wahlen war in Indien nicht neu.119 Bereits die mit den Namen Morley und Minto verknpfte Reform von 1909 hatte muslimische Wahlkçrper eingefhrt. Dadurch trug sie einerseits dazu bei, dass sich der religiçse Unterschied zwischen Muslimen und Hindus zunehmend in eine ethnisch verstandene Differenz verwandelte.120 Andererseits strkte die Reform von 1909 die politische Bedeutung der Muslim League. Vertreter dieser Organisation und des Indian National Congress forderten

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118

119

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import principles into the elective system of India, which find no place in its Western prototype. To have special elective distinctions based on religious differences, is apparently a novel principle.“ Parker, S. 164. Auch diese Bemerkung, die sich auf die Reform der Legislative Councils in den Provinzen von 1909 bezog, macht deutlich, dass der mhrische Fall den britischen Zeitgenossen nicht gelufig war, und zeigt, dass sie sterreich ohnehin nicht als „Western prototype“ in Betracht gezogen htten. Das Gremium sollte feststellen, inwiefern „representation can be adequately and effectively secured by territorial electorates, or where circumstances seem to require it in order to secure adequate representation of minorities, of special interests or of backward classes, by (i) special or communal electorates; or (ii) reserving elective seats for special classes in plural constituencies; or (iii) nomination in such measure as the exigencies of fair and adequate representation entail …; or (iv) other expedients, for instance proportional representation.“ London, IOR, V/26/261/1, Report of the Franchise Committee, S. 1. Die Mitglieder des Komitees waren der Vorsitzende Lord Southborough, Sir Frank G. Sly, Sahibzada Aftad Ahmed Khan, Mr. W. M. Hailey, Babu Surendra Nath Banerjee, Mr. Malcolm N. Hogg und Mr. Srinivasa Sastri. s. Robb, S. 98 f. Der Zensus war auf der Provinzebene niedriger als fr die gesamtindischen Wahlen, sodass die Zahl der Wahlberechtigten in den Provinzen grçßer war. In den United Provinces genossen nach den Reformen von 1918/19 3,1 % der Bevçlkerung oder 1.374.000 Personen das Wahlrecht. London, IOR, V/26/261/1, Report of the Franchise Committee, S. 52. s.a. Menon, S. 25. Zur Differenzierung zwischen Hindus und Muslimen in der kommunalpolitischen Sphre sptestens seit dem Municipalities Act von 1883 s. Robinson, Separatism among Indian Muslims. Diese administrative und rechtliche Differenzierung hatte weitreichende identittspolitische Folgen. „… within the structure of the colonial political system, religion was defined as a form of ,ethnic identity‘, fixed, identifiable, and unconnected with the assertion of any principles of belief or political action.“ Metcalf, Ideologies, S. 224. „British social engineering through censuses helped create supra-local caste and religious categories through which the colonial state could distribute differential patronage. The ,depressed classes‘ and the ,Indian Muslims‘ were such constructs.“ Bose, S. 104. Man darf jedoch die fortdauernde Bedeutung synkretistischer Mischformen und fließender Grenzen zwischen Muslimen und Hindus vor allem im Alltag nicht unterschtzen. Juneja u. Pernau, Einleitung, S. 23.

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Ende 1916 gemeinsam „Home Rule“ fr Indien und legten einen eigenen Reformentwurf vor. Diesem zufolge sollte ein bestimmter Anteil der Sitze in den gesetzgebenden Gremien allein den Muslimen vorbehalten bleiben: im Council der United Provinces 30 % und in der indischen Legislative Assembly ein Drittel der Mandate. Diesen Abgeordneten sollte bei Beschlssen zu muslimischen Angelegenheiten ein Vetorecht zustehen, wenn sich drei Viertel der muslimischen Vertreter gegen die Mehrheit im jeweiligen Gremium stellten.121 Dieser Reformvorschlag war sicherlich eines der einflussreichsten von „various reform schemes – the proposals of Curtis, Gokhale, the Nineteen Members, … and other suggestions by Jinnah and the Aga Khan“, die zirkulierten, whrend Montagu und Chelmsford ihren Bericht ber die Reform der indischen Verfassung formulierten.122 Der Bericht akzeptierte das Prinzip der „communal representation“ fr die Muslime, lehnte es aber fr diejenigen Provinzen ab, in denen die Mehrheit der Bevçlkerung dem Islam angehçrte. Ferner betonte der Bericht, dass die wahlrechtliche Sonderbehandlung ethnischer Gruppen eine Ausnahme bleiben sollte. Zugleich sprachen sich Montagu und Chelmsford gegen das vorgeschlagene Vetorecht aus, weil sie befrchteten, dass dieses den Gesetzgebungsprozess lhmen kçnnte.123 Die Einrichtung eines muslimischen Wahlkçrpers war in den Beratungen kaum umstritten. Fast alle Provinzregierungen untersttzten diesen Vorschlag.124 Allerdings betonte die indische Regierung in einer Stellungnahme, dass 30 % der Mandate in den United Provinces, wo 14 % der Bevçlkerung Muslime waren, eine problematische berreprsentierung darstellten.125 Die Vertreter des Congress aus den United Provinces wiesen zudem darauf hin, dass man die „communal representation“ mçglichst bald durch das Proportionalwahlrecht ersetzen sollte, das ebenfalls die politische Reprsentation von Minderheiten garantieren kçnnte.126 121 Gleichsam als Gegenleistung verzichtete die Muslim League auf das Recht der Muslime, gleichzeitig im allgemeinen und im muslimischen Wahlkçrper abzustimmen, das ihnen nach dem Gesetz von 1909 zustand. A Scheme for Reforms, S. 1 und 4. Zum sogenannten LucknowPakt zwischen der Muslim Leage und dem National Congress s. Metcalf, Ideologies, S. 225. Bose, S. 128 f. Robb, S. 70 f. 122 Robb, S. 84. 123 The Montagu-Chelmsford Reform Proposals, S. XLIXf und 37. Man lobte den Kompromiss zwischen League und Congress als Beweis fr „the growing force of national feeling“, betonte aber zugleich, dass der Weg zur „unity of purpose or community of interest“ noch weit sei. Solange Feindseligkeiten zwischen den beiden Gruppen noch eine Gefahr darstellten, msse sich die indische Regierung das Recht vorbehalten „to deal with them impartially, as it alone can“. Ebd., S. XLIII und XLIV. 124 London, IOR, V/26/261/1, Report of the Franchise Committee, S. 7. The Montagu-Chelmsford Reform Proposals, S. 133 f. 125 London, IOR, L/PJ/3/695, Dispatches on Indian Constitutional Reforms, 5th Dispatch, S. 9. 126 Pandit Madan Mohan Malaviya and Pandit Moti Lal Nehru vom UP Provincial Congress Committee. London, IOR, V/26/261/2, Evidence taken before the Reforms Committee (Franchise), Bd. 1, Calcutta 1919, S. 110.

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Aus der entgegengesetzten Richtung kritisierten die Vertreter der United Provinces Muslim Defence Association, dass die Muslime das Recht, auch im allgemeinen Wahlkçrper zu whlen, verlieren und nicht mehr in allen Provinzen gesondert vertreten werden sollten. Um diesen Machtverlust und die in ihren Augen drohende Machtbernahme durch die „Hindu bureaucracy“ zu verhindern, wollten sie die Position des Vizekçnigs gleichsam als eines Unparteiischen strken. Zudem schlugen sie vor, dass sich der Rat der United Provinces zu je einem Drittel aus Christen, Muslimen und Hindus zusammensetzen solle.127 Das Southborough Komitee entschied letztlich, dass den Muslimen auch dort, wo sie in der Mehrheit waren, die „communal representation“ zustehen sollte, da sie aufgrund des Zensuswahlrechts unter den Wahlberechtigten eine Minderheit bildeten. In den United Provinces sah das Komitee 23 % der Mandate fr die muslimischen Vertreter vor.128 Auch Vertreter anderer Gruppen forderten vor dem Southborough Komitee separate Wahlkçrper. Der Montagu-Chelmsford-Bericht ging davon aus, dass man die „communal representation“, wenn man sie den Muslimen zugestehe, den Sikhs im Punjab nicht verweigern kçnne.129 Dieser Auffassung schloss sich der Bericht des Komitees an.130 Einige Gruppen waren mit ihren Forderungen weniger erfolgreich, beispielsweise die „Europeans“. Die „europischen“ Vertreter bestimmte kein „weißer“ Wahlkçrper, sondern die „europischen“ Handelskammern und Plantagenbesitzer, obwohl die „Europeans“ wiederholt „a separate electorate and representation in proportion to their importance rather than their numerical strength“ verlangt hatten. Die „europischen“ Vertreter versuchten diese Forderung zu untermauern, indem sie betonten, dass sie als Einzige mit dem System des „responsible government“ vertraut wren, und nur ihre Vertreter die breite „indische“ Bevçlkerung vor bergriffen seitens lokaler Eliten schtzen kçnnten.131 Der Montagu-Chelmsford-Bericht sprach sich allerdings eindeutig gegen einen separaten „europischen“ Wahlkçrper aus.132 Die Vertreter der British Indian Association schlugen dagegen vor, ausschließlich in ethnisch differenzierten Wahlkçrpern whlen zu lassen, und forderten „communal representation“ auch fr die „Europer“.133 Das 127 Ibni Ahmed and Saiyid Agha Haidar. Ebd., S. 112 f. 128 London, IOR, V/26/261/1, Report of the Franchise Committee, S. 7, 45 und 58 f. 129 The Montagu-Chelmsford Reform Proposals, S. XLIXf. und 37 f. Die Sikhs waren neben den Muslimen die einzige Gruppe, fr die der Bericht einen separaten Wahlkçrper empfahl. Alle anderen Gruppen sollten durch nominierte Vertreter reprsentiert werden. 130 London, IOR, V/26/261/1, Report of the Franchise Committee, S. 7. 131 London, IOR, L/PJ/3/695, Dispatches on Indian Constitutional Reforms, Dispatch on the Montagu-Chelmsford-Report, S. 2. 132 The Montagu-Chelmsford Reform Proposals, S. 37 f. Vielleicht war diese ablehnende Haltung nicht zuletzt darin begrndet, dass „Chelmsford believed that one of the basic problems in India was the racialist attitude of the European community“. Robb, S. 37. 133 Sheik Habibullah and Thakur Jagannath Bakhsh Singh. London, IOR, V/26/261/2, Evidence

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Southborough Komitee war der Meinung, dass zumindest auf der Provinzebene nicht allein die Handelskammern die „europischen“ Interessen vertreten kçnnten, da dieses Vorgehen Missionare, Angestellte und Lehrer ausschließen wrde. Letztlich schlug das Komitee die Einrichtung „europischer“ Wahlkçrper fr die Provinzen Madras, Bombay, Bengal, Bihar and Orissa und fr die United Provinces vor. Dort vertrat einer von 118 Abgeordneten die Interessen der „European British subjects“, die weniger als 0,1 % der Bevçlkerung ausmachten.134 Die „Anglo-Indians“ waren eine weitere Gruppe, deren „communal representation“ man diskutierte. Gemß dem Prinzip, separate Wahlkçrper nur ausnahmsweise einzurichten, sprachen sich Montagu und Chelmsford bei dieser Gruppe mit ihrer „intermediate position between the races of the East and West“ fr die Ernennung von Vertretern aus.135 Dem Vertreter der AngloIndian Federation reichte das nicht aus. Vor dem Southborough-Komitee forderte er, dass die „Anglo-Indian community“ nicht zuletzt aufgrund ihrer Loyalitt gegenber der britisch-indischen Regierung einen eigenen Wahlkçrper konstituieren sollte. Fr die Angehçrigen dieser Gruppe sollten zudem die Zahlung von Steuern und die Schriftkundigkeit allein den Zugang zum Wahlrecht begrnden. Ferner stellte er fest, dass „[h]is community would not like to be amalgamated with the non-domiciled Europeans, but they would prefer an amalgamated electorate to nomination“.136 Der Abschlussbericht des Komitees rumte schließlich den „Anglo-Indians“ lediglich in Madras und Bengal „communal representation“ ein, obwohl ein Mitglied dies auch fr Bombay und die United Provinces gefordert hatte. Im dortigen Gesetzgebenden Rat wurden die „Anglo-Indians“, die deutlich weniger als 0,1 % der taken before the Reforms Committee (Franchise), Bd. 1, Calcutta 1919, S. 99 f. Auch die „Anglo-Indians“ sollten nach diesen Vorstellungen gesondert reprsentiert werden. Hinter der Idee der „communal representation“ als allgemeinem Prinzip stand die Ablehnung der territorialen Einteilung der Wahlkreise, wie sie fr die allgemeine Whlerklasse vorgesehen war. Diese Territorialitt beruhte auf der Idee einer regionalen und ethnisch-neutralen Interessenvertretung. Auch die Provinzregierungen in Madras und Bombay hatten Vorschlge „based wholly on communal electorates“ fr Legislative Councils mit weitgehenden Vollmachten unterbreitet. Falls die Rte lediglich beratende Funktion haben wrden, schlugen sie alternativ ein Wahlrecht „based on a system of territorial representation with a communal electorate for Muhammedans only“ vor. Das Southborough-Komitee hielt jedoch am Prinzip der territorialen Wahlkreiseinteilung fest: „We have endeavoured to adopt the district as the territorial area for constituencies; it is a well recognized administrative unit, with generally homogenous interests, and affords the most convenient basis for the preparation of the electoral roll and the organization of electoral machinery.“ London, IOR, V/26/261/1, Report of the Franchise Committee, S. 3 und 6. 134 London, IOR, V/26/261/1, Report of the Franchise Committee, S. 7 f, 45 und 58 f. 135 The Montagu-Chelmsford Reform Proposals, S. 37 f. und 112. 136 C.T. Robbie. London, IOR, V/26/261/2, Evidence taken before the Reforms Committee (Franchise), Bd. 1, Calcutta 1919, S. 116. An dieser Stelle wird besonders deutlich, dass die Konstituierung eines eigenen Wahlkçrpers fr die verschiedenen Gruppen einen enormen Prestigegewinn bedeutete. Man wertete sie als Anerkennung der eigenen politischen Relevanz.

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Bevçlkerung ausmachten, von einem ernannten Abgeordneten vertreten.137 Auch Vertreter der „Indian Christians“ forderten einen eigenen Wahlkçrper, und das Southborough-Komitee beschloss die Einrichtung eines solchen in der Provinz Madras. In der Legislative Assembly und in den anderen Provinzen wurden sie lediglich durch ernannte Vertreter reprsentiert.138 Whrend die Bezeichnung der „Indian Christians“ als ethnische Gruppe problematisch ist, weil sie sich vor allem durch den religiçsen Unterschied von den nicht-christlichen „natives“ unterschieden, war die Kategorie der „Panchamas“ wesentlich von den Differenzierungen des indischen Kastenwesens und von sozialer Stratifizierung geprgt. Fr sie wurde in Madras „communal representation“ gefordert. Zwar bildeten diese sogenannten Unberhrbaren zahlenmßig keine Minderheit, aber aufgrund ihres niedrigen sozialen Status und Bildungsgrades ging man davon aus, die Reprsentation ihrer Interessen rechtlich garantieren zu mssen.139 Diesbezglich entspann sich ein interessanter Konflikt zwischen dem Southborough-Komitee und der indischen Regierung. Zwar war man sich darber einig, dass die „Panchamas“ nicht in der Legislative Assembly vertreten sein sollten, da auf der zentralen Ebene lokale Kastenunterschiede keine Rolle spielten.140 Aber auf der Provinzebene divergierten die Vorstellungen. Das Komitee, das ansonsten entgegen der Vorgaben Montagus und Chelmsfords bei der Einrichtung verschiedener Wahlkçrper großzgig vorging, war im Fall der Unberhrbaren sehr zurckhaltend. Erleichtert stellte das Komitee fest, dass man nur in Madras, „but fortunately in no other parts of India“, Regelungen zum Schutz dieser Gruppe gegen die „alleged ascendency of the Brahman“ forderte. Es wollte dementsprechend keine sozusagen unberhrbaren Wahlkçrper schaffen. Sieben nominierte Abgeordnete sollten die „Panchamas“ im Council vertreten.141 Die Regierung betonte dagegen das Protektionsbedrfnis dieser „outcastes“ und schlpfte selbst zugleich in die Rolle der Beschtzerin. Man msse ihnen, so die Regierung, „communal representation“ zugestehen, oder zumindest die Zahl ihrer nominierten Vertreter erhçhen.142 Letztlich einigte man sich auf eine Verdoppelung der Ernennungen fr die „Panchamas“.143 Daneben reprsentierten nominierte Vertreter auch andere Mitglieder der 137 London, IOR, V/26/261/1, Report of the Franchise Committee, S. 7, 45 und 58 f. 138 The Montagu-Chelmsford Reform Proposals, S. 37 f. London, IOR, V/26/261/1, Report of the Franchise Committee, S. 7, 45 und 58 f. Der Bevçlkerungsanteil der „Indian Christians“ in den United Provinces lag bei 0,3 %. Sie wurden im dortigen Rat von einem ernannten Abgeordneten vertreten. 139 London, IOR, L/PJ/3/695, Dispatches on Indian Constitutional Reforms, 5th Dispatch, S. 5 und 10 f. London, IOR, V/26/261/1, Report of the Franchise Committee, S. 7 f. s.a. Robb, S. 112 f. 140 Menon, S. 53. 141 London, IOR, V/26/261/1, Report of the Franchise Committee, S. 7. 142 London, IOR, L/PJ/3/695, Dispatches on Indian Constitutional Reforms, 5th Dispatch, S. 5 und 10 f. 143 Gordon, S. 445.

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„depressed classes“ in den Provinzrten. Im Council der United Provinces stand ihnen ein Sitz zu.144 Die Bevçlkerungen der „backward tracts“ vertraten ebenfalls ernannte Reprsentanten. Diese Gebiete nahm man von der Reform des politischen Systems aus und verwaltete sie weiterhin autokratisch. Denn, so der Montagu-Chelmsford-Bericht, „the population was primitive or politically immature, and there was as yet no material on which to found public institutions“.145 Die Liste der Gruppen, fr die man eine spezielle Form der Interessenvertretung diskutierte, ist damit jedoch lngst noch nicht vollstndig. „Claims for separate electorates were placed before us by numerous other communities, such as the Mahishyas of Bengal and Assam, the Marwaris of Calcutta, the Bengali domiciled community of Bihar and Orissa, the Ahoms of Assam, the Mahars of the Central Provinces, the Uriyas of Madras and the Parsis of Bombay.“146

Allerdings hat das Komitee den Forderungen nach „communal representation“ in diesen Fllen nicht entsprochen, whrend die Regierung fr einige dieser Gruppen Vertreter zu ernennen versprach. Aus den zitierten Debatten und Verhandlungen lassen sich zwei grundstzlich verschiedene Positionen herauskristallisieren. Auf der einen Seite bildete die Konstruktion eines einheitlichen und gesamtindischen Wahlkçrpers das Ziel, wobei man „communal representation“ nur vorbergehend und ausnahmsweise zulassen wollte. Diese Position vertraten Montagu und Chelmsford, die zumindest theoretisch die Modernisierung und Demokratisierung des politischen Systems in Indien auf der Grundlage supra-ethnischer Interessen anstrebten. Ethnische Differenzierungen im Wahlrecht – „the communal system stereotypes existing relations“ – waren ein Hindernis auf diesem Weg. Stattdessen formulierten Montagu und Chelmsford einen „appeal to Hindu and Muslim, Brahman and non-Brahman to cultivate a community of interest in the greater welfare of the whole“.147 Noch konsequenter vertrat dieselbe Position das Regierungsmitglied Nair in seinem Minderhei-

144 „It must be borne in mind that the total population of the provinces includes very large classes such as the ,depressed classes‘ and aborigines which furnish few or no voters and will be represented by nomination.“ London, IOR, V/26/261/1, Report of the Franchise Committee, S. 5. s.a. ebd., S. 58 f. 145 Menon, S. 48. London, IOR, V/26/261/1, Report of the Franchise Committee, S. 3. 146 Ebd., S. 7. Die Vertretung der folgenden Gruppen und Interessen wollte die indische Regierung durch Nominierungen gewhrleisten: „depressed classes, Anglo-Indians, Indian Christians, labour, excluded tracts, military interests, industrial interests, aborigines, domiciled bengalis, others“. London, IOR, L/PJ/3/695, Dispatches on Indian Constitutional Reform, 5th Dispatch, S. 5. 147 The Montagu-Chelmsford Reform Proposals, S. 37 und XLII. Durch Bildung und Industrialisierung htten bereits Prozesse eingesetzt, welche zur allmhlichen Einebnung der ethnischen Differenzen und zur Herausbildung eines „new sense of unity“ fhren wrden. Ebd., S. XXXVIf.

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tenvotum zur Verfassungsreform. Fr ihn war die politische Modernisierung die Voraussetzung fr die berwindung ethnischer Zwistigkeiten: „The troubles consequent upon the division of society by races, castes and creeds, far from being any impediment in the way of reform, calls imperatively for great political reforms; and there is good reason to believe that if the leaders of the various communities are left to compose the differences themselves, such conflicts will be far rarer, if they will not entirely disappear.“148

Die ußerungen anderer Vertreter der indischen Nationalbewegung bringen deutlicher zum Ausdruck, dass sich hinter dieser Hoffnung auf das mittelfristige Verschwinden ethnischer Zwistigkeiten das Ziel einer Nationalisierung der indischen Bevçlkerung verbarg. Sie forderten ein „feeling of unity“ und ein „feeling of Nationality“ und problematisierten die Existenz der „untouchables“, „whose thoughts must be Nationalised“, „[n]ot in a spirit of patronage nor of charity, but of recognition that each one of them is as much a citizen of the country as any other, …, until they are welded intellectually into the body-politic.“149 Die Vertreter der Gegenposition betonten, dass die ethnische und soziale Heterogenitt Indiens besondere Formen der Reprsentation unumgnglich mache. Auf dieser Seite kann man das Southborough-Komitee und die Mehrheit der indischen Regierung verorten.150 Obwohl beide der Hoffnung Ausdruck verliehen, dass „it will be possible at no distant date to merge all communities into one general electorate“,151 fçrderten sie mit ihren Entscheidungen die gruppenspezifische Interessenvertretung. Das Komitee befrwortete in mehreren Fllen die Einrichtung differenzierter Wahlkçrper und schrieb diesen einen politischen Erziehungseffekt zu. Generell zog es die „communal representation“ der Nominierung vor.152 Von diesem Privileg sollten allerdings, fasst man die Beschlsse des Komitees zusammen, in erster Linie die Muslime und die „Europer“, in geringerem Ausmaß auch die „Anglo-Indians“ und die „Indian Christians“, nicht aber die sogenannten Unberhrbaren profitieren.153 Daraus kann man ein 148 London, IOR, L/PJ/3/695, Dispatches on Indian Constitutional Reforms, Minute of dissent by Nair. 149 The Presidential Address, S. 6 und 7. An dieser Stelle zitiert der Autor Aiyar teilweise aus einer Rede Gokhales vor dem Indian National Congress in Madras. 150 Und damit auch Lord Chelmsford, der als Vizekçnig der indischen Regierung vorstand und in dieser Funktion sich selbst als Ko-Autor des Montagu-Chelmsford-Berichts widersprach. 151 London, IOR, V/26/261/1, Report of the Franchise Committee, S. 8. s.a. London, IOR, L/PJ/3/ 695, Dispatches on Indian Constitutional Reforms, 5th Dispatch, S. 1. Dass die Taktik der „communal representation“ nicht geeignet war, um das langfristige Ziel eines einheitlichen Elektorats zu erreichen, stellt Cohn fest: „[T]he effect [of communal representation], intended or not, was to heighten the difference between communities.“ Ders., India, S. 107. 152 London, IOR, V/26/261/1, Report of the Franchise Committee, S. 8. 153 Darauf, dass das Southborough-Komitee eher zur Privilegierung traditioneller Eliten tendierte als die indische Regierung, weist der Umstand hin, dass die Regierung sich (erfolgreich) dafr

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gewisses Misstrauen gegenber der hinduistischen Mehrheit in der indischen Bevçlkerung und ein Interesse an der Festschreibung sozialer Hierarchien ablesen. Die indische Regierung hingegen lehnte die Schaffung von „communal electorates“ ab, weil es nicht wnschenswert sei, „to stereotype the representation of the different interests in fixed proportions“.154 Stattdessen favorisierte sie Nominierungen – wohl nicht zuletzt deswegen, weil sie selbst diese Ernennungen vornahm – und inszenierte sich dabei als die Hterin der Interessen vor allem der „depressed classes“.155 Jenseits dieser beiden Positionen – „communal representation“ oder einheitlicher Wahlkçrper – spielte in der Wahlrechtsdebatte noch eine dritte Option eine gewisse Rolle: das Verhltniswahlrecht, welches die Reprsentation von Minderheiten innerhalb eines homogenen Wahlkçrpers ermçglichte. Die Vertreter des United Provinces Provincial Congress Committee erwhnten das Proportionalwahlrecht vor dem Southborough Komitee in diesem Sinn. Eine rudimentre Form der Verhltniswahl schlugen auch Montagu und Chelmsford in ihrem Bericht vor: „There may be cases in which nomination proves an unsuitable method of securing the representation of minorities. In such cases the committee should consider whether the needs of the case would be met by reserving to a particular community a certain number of seats in plural constituencies but with a general electoral roll.“156

Solche „plural constituencies“ richtete man auch tatschlich ein – vor allem in Madras und Bombay. Innerhalb dieser Wahlkreise errangen die bestplatzierten zwei, drei oder mehr Kandidaten je ein Mandat, sodass die Wahl von Minderheitenvertretern mçglich war.157 Progressive Stimmen in der Reformdebatte forderten darber hinausgehend, das Verhltniswahlrecht zum allgemeinen Prinzip zu machen:

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einsetzte, die vom Komitee vorgesehene Anzahl der Vertreter des Großgrundbesitzes („the representatives of landed and moneyed interests might proof to be too conservative“) zu reduzieren. London, IOR, L/PJ/3/695, Dispatches on Indian Constitutional Reforms, Dispatch on the Montagu-Chelmsford-Report, S. 39. s.a. London, IOR, V/26/261/1, Report of the Franchise Committee, S. 14. Allerdings war diese Ablehnung, welche die Durchsetzung des Prinzips territorialer Wahlkreise zur logischen Folge hatte, nicht einhellig. Es gab konservative Krfte innerhalb der Regierung, die das Territorialittsprinzip fr Indien ablehnten, letztlich setzten sich aber die liberalen Befrworter desselben weitgehend durch. Robb, S. 61 f. London, IOR, L/PJ/3/695, Dispatches on Indian Constitutional Reforms, 5th Dispatch, S. 1. In einem breiteren Kontext beschreibt Metcalf, Ideologies, S. 190, diese Strategie so: „Repudiating alike the urban ,mob‘ and Congresses’s claim to represent an India-wide constituency, the British sought out communities perceived as stable and unthreatening, securley under the control of ,natural leaders‘.“ The Montagu-Chelmsford Reform Proposals, S. 39. London, IOR, V/26/261/1, Report of the Franchise Committee, S. 6. s.a. Problems of Reform in the Government of India, S. 38.

„Proportional Representation is the only effective antidote against the cry for communal representation which, started by the Muhammedans is echoed from all sides. … In a country like India, inhabited as it is by people of various castes and religions, Proportional Representation is the only means by which it is possible adequately to secure electoral justice to the divergent elements that constitute the nation.“158

Zwar folgten die Montagu-Chelmsford-Reformen diesem Vorschlag nicht und hielten am Mehrheitswahlrecht in territorialen Wahlkreisen als grundlegendem Prinzip fest. Aber im Vergleich ist es dennoch interessant, dass die Proportionalwahl in Indien eine grçßere Rolle spielte, whrend sie im cisleithanischen Kontext kaum zur Sprache kam, obwohl man in beiden Fllen ein hnliches Problem verhandelte, nmlich wie man unter den Bedingungen ethnischer Heterogenitt die politische Reprsentation von Minderheiten garantieren kçnnte. Diese Fragestellung macht deutlich, dass das etatistische Prinzip anerkennender Differenzierung nach ethnischen Kriterien im Zentrum der Reformen stand. Insbesondere die indische Verwaltung sah sich dabei in der Rolle einer supra-ethnisch neutralen Schiedsrichterin. Gleichzeitig verweist die berreprsentation und Privilegierung der „Europeans“ auf Elemente der imperialistischen Diskriminierungslogik. Vor diesem Hintergrund kann man die Anerkennungsmechanismen auch als Strategie interpretieren, welche nach dem Motto „divide et impera“ die nationalstaatliche Binnenhomogenisierung verhindern sollte, die die indische Nationalbewegung anstrebte. Der Status der Inder im Empire: nationale Argumente In eben diesem Sinn verwiesen national gesinnte Teilnehmer in den Debatten ber Minderheitenschutz und ethnische Heterogenitt auf die zuknftige Aufhebung aller Unterschiede in der einen indischen Nation – „une et indivisible“. Die indische Nationalbewegung bildete den Motor dieses Diskurses, und der Indian National Congress war seine Institution. Allerdings kann man diese Bewegung mitnichten als eins und unteilbar beschreiben. Im frhen 20. Jahrhundert kam es zu einer Spaltung zwischen „moderaten“ und „extremen“ nationalen Krften. Auch im Kontext der Montagu-Chelmsford-Reformen stritten die beiden Fraktionen um das fr Indien richtige Mischungsverhltnis von demokratischer Teilhabe und kolonialer Autokratie. Wie sollte die Macht zwischen London, der britisch-indischen Kolonialverwaltung und den Provinzregierungen verteilt werden, die nach der Reform den gewhlten Provinzrten verantwortlich waren? Das Modell, das Montagu und Chelmsford vorschlugen, um eine allmhliche bertragung der Macht auf die demokratisch legitimierten Provinzregierungen zu bewerkstelligen, hieß 158 Ebd., S. 79. Mit diesem Vorschlag waren eine generelle Kritik am britischen Mehrheitswahlrecht und ein Verweis auf das deutsche Wahlrecht als positivem Vorbild verknpft. Ebd., S. 46 und 49.

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Dyarchie. Diese sah die Teilung der Regierungsgeschfte vor, wobei einen Teil weiterhin das Parlament in London, den anderen die Provinzrte kontrollieren wrden. Im Verlauf des Prozesses sollten Letztere immer mehr Verantwortung bernehmen.159 Damit war die Frage nach dem Verhltnis von kolonialer Machtausbung und nationaler Selbstbestimmung angesprochen. Die Zeitgenossen betrachteten diese gegen Ende des Ersten Weltkriegs im Zusammenhang der internationalen Debatten ber nationale Eigenstndigkeit. Vertreter der indischen Nationalbewegung forderten die Alliierten auf, das, was sie von ihren Gegnern forderten, auch selbst zu erfllen: „That which they claim for Poland, for Bohemia, for Italia Irredenta, for Alsace-Lorraine, for Serbia, for Montenegro, for Bosnia, for Herzegovina, they must claim also for Ireland and for India.“160 In dieser Frage lassen sich drei Positionen unterscheiden: Auf der einen Seite forderten vor allem die Gouverneure der indischen Provinzen fr sich selbst diktatorische Vollmachten innerhalb der Dyarchie. Diese Strkung der kolonialen Exekutive wrde helfen, so das Argument, die Einheitlichkeit und die Effizienz der Verwaltung aufrecht zu erhalten, und die breite indische Bevçlkerung gegenber autochthonen sogenannten Oligarchien in Schutz zu nehmen.161 Weniger altruistisch begrndete die Anglo-British Association dieselbe Forderung. Sie befrchtete ein Ende der britischen Herrschaft in Indien und eine Verletzung der çkonomischen Interessen des Vereinigten Kçnigreichs.162 Dass diese Forderungen den Intentionen des MontaguChelmsford-Berichts zuwiderliefen, betonte Nair in seinem Minderheitenvotum, das die zweite, gleichsam mittlere Position vertrat. Nair sprach sich fr die Aufrechterhaltung der Souvernitt Londons als Gegengewicht zur Machtflle der Kolonialverwaltung aus. Zugleich forderte er weiterreichende 159 London, IOR, L/PJ/3/695, Dispatches on Indian Constitutional Reforms, Dispatch on the Montagu-Chelmsford-Report, S. 5. In der letzten Konsequenz htte das das Ende der britischen Herrschaft ber Indien und eine radikale Vernderung der Verfassung des Empire bedeutet. Aber zunchst sollte die Macht nur allmhlich verlagert werden, ohne dass das Ende dieses Prozesses zur Sprache gekommen wre. Die Idee der Dyarchie ging auf einen think tank in London zurck – die sogenannte „round table“, auch als „Milner’s kindergarten“ bekannt – und wurde von der britischen Regierung befrwortet, die darin, laut Robb, S. 80, eine Mçglichkeit sah, Macht zu transferieren, ohne Kontrolle abzugeben. 160 Besant, India’s Hour of Destiny, S. 1 f. Dieses Zitat verdeutlicht auch die spezielle Rolle, welche der irische Fall im Kontext des Britischen Weltreichs spielte. Die irischen Forderungen nach „Home Rule“ rezipierte und untersttzte man sowohl in Kanada als auch in Indien, was der Name der Organisation verdeutlicht, der Annie Besant angehçrte: „Home Rule League“. Metcalf, Ideologies, S. 129. 161 London, IOR, L/PJ/3/695, Dispatches on Indian Constitutional Reforms, Minutes by Chelmsford, S. 2 f. Ebd., Dispatch on the Montagu-Chelmsford-Report, S. 37. Ebd., Minute of dissent by Nair, S. 4. 162 Dieses Argument untersttzten der ehemalige Gouverneur Bombays Lord Sydenham und die britische „Morning Post“. Es fand aber unter britischen Konservativen nicht ausreichend Anhnger, um effektiv Opposition gegen das Reformvorhaben mobilisieren zu kçnnen. Robb, S. 101 f.

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Befugnisse fr die den Rten verantwortlichen Provinzregierungen, insbesondere im Budgetrecht, damit diese effektiv „the increasing poverty of India“ bekmpfen kçnnten.163 Prinzipiell waren die moderaten Krfte jedoch zur Kooperation im Rahmen der Reformen bereit. Die von den extremen Nationalisten vertretene dritte Position dagegen lehnte eine Zusammenarbeit innerhalb des von Monatagu und Chelmsford abgesteckten Rahmens ab. Sie kritisierten deren Vorstellungen als „insufficiently progressive“ und forderten eine vollstndige Machtbertragung auf der Provinz- sowie eine teilweise Machtbertragung auf der zentralen Ebene.164 Parallel zur Frage nach der Position der indischen Untertanen innerhalb der indischen Verfassung debattierte man auch ber die rechtliche Stellung Indiens und der indischen Untertanen im Empire. Zentral war dabei die Vorstellung der Reziprozitt, nach der Rechte, die britische Untertanen aus anderen Teilen des Weltreichs in Indien genossen, auch indischen Untertanen im Rest des Empire zustehen sollten.165 Dabei ging es vor allem um die rechtlichen Diskriminierungen, denen indische Migranten in den Dominions ausgesetzt waren.166 Gopal Krishna Gokhale fragte 1910 mit Blick auf die Einwanderungspolitik Natals im gesetzgebenden Rat in Delhi: „First, what is the status of us Indians in this Empire? Secondly, what is the extent of the responsibility which lies on the Imperial Government to ensure to us just and humane and gradually even equal treatment in this Empire? And thirdly, how far are the self-governing members of this Empire bound by its cardinal principles?“167

Seit 1905 beschwerten sich indische Vertreter im Council vermehrt ber die Behandlung indischer Immigranten vor allem in den sdafrikanischen Kolonien Natal und Transvaal. Die indische Regierung versprach wiederholt, sich in London und bei den jeweiligen kolonialen Regierungen fr die Gleichberechtigung der indischen Untertanen einzusetzen.168 Allerdings verwendete 163 London, IOR, L/PJ/3/695, Dispatches on Indian Constitutional Reforms, Minute of dissent by Nair, S. 1 f, 5 und 18. 164 „The viceroy sent home an early summary of newspaper verdicts: some were disappointed, some reserved judgement, some condemned outright, but only the Times of India, the Civil and Military Gazette, the Rangoon Gazette, and two United Provinces papers (the Pioneer and the Indian Daily Telegraph) applauded the scheme.“ Robb, S. 100. 165 Beispielsweise hielt das Southborough-Komitee fest, dass „[T]he proposal to enfranchise persons domiciled elsewhere than in the United Kingdom will be subject to any action which may be taken in view of the reciprocity resolution passed at the Imperial Conference held in 1917.“ London, IOR, V/26/261/1, Report of the Franchise Committee, S. 91. 166 „With the award of self-government to colonies such as Natal, where an Indian and a white settler population uneasily coexisted, the British were … brought face to face with the question of India’s, and the Indian’s proper position within the larger empire.“ Metcalf, Ideologies, S. 216. 167 Indian Legislative Council, Bd. 48, S. 239, 25.2.1910. 168 Indian Legislative Council, Bd. 45, 18. 1. 1907, Anfrage von Nahab Baadur Khwaja Salimulla of Dacca und Beantwortung durch Finlay. Ebd., Bd. 46, 31. 1. 1908, Anfrage Ghokale und Antwort Finlay : „They [the Government of India] … have let no opportunity pass … of pleading the

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Vizekçnig Minto bei der Erçffnung des Gesetzgebenden Rates 1910 das Konzept der staatsbrgerlichen Gleichheit aller British subjects in ambivalenter Weise: „Important classes of the population [in India] are learning to realise their own position, to estimate for themselves their own intellectual capacities, and to compare their claims, for an equality of citizenship, with those of a ruling race ….“169

Whrend Minto die Vorstellung rechtlicher Gleichheit mit der Akzeptanz der je spezifischen Position in einer rassistischen Hierarchie verknpfte und dadurch entkrftete, entwarfen die indischen Vertreter im Rat einen Begriff von Egalitt jenseits von „rassischen“ Differenzierungen. Gokhale sprach im Februar 1910 von den „rights as citizens of the British Empire, solemnly and permanently secured to them [the Indian subjects] by the noble Proclamations by their beloved Sovereigns“.170 Ein anderes Ratsmitglied fragte rhetorisch: „Shall British citizenship be a by-word among the nations of the earth or a reality under which British Indians enjoy equal rights with other subjects of His Majesty the King-Emporer? Shall India be the dumping ground for other countries and the Indian alone debarred from enjoying the elementary rights of citizenship in the selfgoverning colonies of the Empire?“171

Ein weiterer indischer Vertreter entwarf eine universale Vorstellung staatsbrgerlicher Gleichheit und lehnte die Behauptung eines „leading Anglo-Indian journal“ ab, dass „Imperial citizenship … no right to wander and settle throughout the Empire“ bertragen wrde. Dabei verwies er auf „the ideals of citizenship propounded by some of the greatest British statesmen and administrators“.172 Am Ende dieser Debatte stimmte der Rat ber einen Antrag Gokhales ab, der den Vizekçnig ermchtigen sollte, die Emigration von Indern nach Natal zu verbieten, wenn den dort lebenden indischen Untertanen nicht die rechtliche Gleichheit mit allen anderen British subjects eingerumt wrde.

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cause of the different sections of the Indian community in South Africa whenever it appeared that the status and privileges of Indian emigrants as subjects of the British Empire were affected.“ Die indische Regierung sammelte Informationen ber die Diskriminierung „indischer“ Untertanen in den Dominions und bereitete 1910/11 ein diesbezgliches Memorandum fr die Imperial Conference vor. London, IOR, L/PJ/5/462. Indian Legislative Council, Bd. 48, S. 48, 25.1.1910. Ebd., S. 251, 25. 2. 1910, Gokhale. Ebd., S. 260, 25. 2. 1910, Subba Rao. Zum Begriff und zum Phnomen des Brgers und der Brgerlichkeit im indischen Kontext s.a. Pernau, Brger mit Turban. Indian Legislative Council, Bd. 48, S. 239, 25. 2. 1910, Sachchidananda Sinha. Sinha verurteilte die rassistische Politik der Dominions in deutlichen Worten und mit Blick auf eine humanistisch-pazifistische Utopie: „That this should be so in the twentieth century and in countries in which the type of civilization is what we understand by the word ,Christian‘ is distressing to those who – albeit in the remote future – look forward to the Parliament of men and the federation of the world.“ Ebd., S. 277.

Nachdem ein Vertreter der indischen Regierung versichert hatte, dass diese nichts dagegen einzuwenden htte, wurde der Antrag mit großer Mehrheit angenommen.173 Daraufhin brachte die Regierung im Mrz den Entwurf eines neuen Emigrationsgesetzes ein, der das Verbot der Emigration in bestimmte Lnder ermçglichte, wenn „the Governor General is dissatisfied with the treatment of free Indians“ in diesen Territorien.174 Eine Verordnung unter diesem Gesetz verbot schließlich am 1. April 1911 die Emigration nach Natal.175 Dadurch verwandelte sich die indische Auswanderungsgesetzgebung in ein Druckmittel gegenber den Dominions, um die rechtliche Gleichbehandlung der indischen mit den „europischen“ Untertanen der britischen Krone durchzusetzen. Dieses Vorhaben schlug fehl. Die Forschung erklrt dieses Scheitern damit, dass „[b]y that time [1911, d. Vf.] … the vision of an empire in which all of its members shared equally in its rights and privileges was no more“176. Die Befunde dieser Arbeit deuten stattdessen darauf hin, dass in den Auseinandersetzungen im indischen Council dem Konzept staatsbrgerlicher Gleichheit innerhalb des Empire erstmals substanzielle Bedeutung zukam. Allerdings erwies diese Gleichheit sich in dem Moment, in dem sie mehr sein sollte als ein Versprechen, als nicht durchsetzbar, auch nicht durch die Drohung mit einem Auswanderungsverbot.177 Immerhin ist es aber bemerkenswert, dass es zu einer Neuaufladung der Emigrationsgesetzgebung im Sinn der Gleichheitsforderung kam. Diese zielte auf die Durchsetzung des etatistischen Prinzips der ethnischen Neutralitt und die rechtliche Egalitt aller britischen Untertanen. Die frheren Auswanderungsgesetze hatten lediglich dazu gedient, die Gesundheit, die vertraglichen Rechte und die Rckkehr der indischen Arbeitsmigranten zu sichern, die man gleichsam als Gastarbeiter betrachtete. Zwar war auch in den Gesetzen von 1869, 1871 und 1883 die Mçglichkeit eines Auswanderungsverbots vorgesehen, aber nur im Fall von Seuchen, unzureichender Versorgung und mangelnder Rckkehrgarantien.178 Das „indenture“173 Indian Legislative Council, Bd. 48, S. 261, 25.2.1910. 174 Indian Legislative Council, Bd. 48, S. 575, 23.3.1910. Diese Novelle wurde am 22. 7. 1910 ohne weitere Debatte beschlossen. India, Act 14 of 1910, Emigration. 175 India, Regulation No. 2366 – 8, 1.4. 1911. Das Verbot wurde am 11. Juli desselben Jahres wirksam. Allerdings ist fraglich, inwiefern die indische Regierung die rechtliche Gleichheit aller Untertanen ernsthaft durchsetzen wollte. 1916 und 1917 verhinderte der Vizekçnig weitere Auswanderungsverbote und nahm damit Rcksicht auf die Interessen der Dominions und der imperialen Metropole. Robb, S. 42. 176 Metcalf, Ideologies, S. 219 177 Stattdessen verwendeten die militrischen Behçrden in Indien dieses Verbot danach als geeignetes Mittel, um die Abwanderung kriegsdienstfhiger Mnner zu unterbinden. Aus diesem Interesse resultierte 1917 ein generelles Emigrationsverbot. Robb, S. 42 f. 178 India, Act 6 von 1869, Emigration. Act 7 von 1871, Indian Emigration. Die Detailliertheit und die paternalistische Schutzintention der indischen Migrationsvorschriften kann eine Bestimmung aus dem Jahr 1886 beispielhaft verdeutlichen, die vorschrieb, dass auf einem Aus-

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System selbst – 1910 als sklavereihnliches System verdammt179 – und die Rechtsposition „indischer“ Empirebinnenmigranten lçsten in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts keine Kritik aus. In dieser Phase richteten sich die Forderungen der indischen Nationalbewegung im Kontext des „Native Volunteer Movement“ auf das Recht „indischer“ Untertanen, Waffen zu tragen, und im Zusammenhang der Ilbert-Bill-Debatte auf die Abschaffung der Differenzierung zwischen „Europeans“ und „natives“ im Strafprozessrecht.180 Die Ilbert-Bill-Debatte von 1883/84 und die imperialistische Diskriminierungslogik Der indische Code of Criminal Procedure betonte zwar einerseits die Gleichheit aller vor dem Gesetz, unabhngig von ihrer ethnischen Identitt, enthielt andererseits aber zwei Vorschriften, die zwischen „Weißen“ und „Nicht-Weißen“ differenzierten. Zum einen mussten angeklagte „European British subjects“ anders als „natives“ einem Friedensrichter vorgefhrt werden. Dieses Amt konnten nur „Europer“ bekleiden. Zum anderen hatten „europische“ Angeklagte das Recht auf ein Verfahren mit Jury, deren Mitglieder mindestens zur Hlfte ebenfalls „weiß“ sein mussten.181 Der wesentliche Zweck dieser Bestimmungen bestand darin, zu verhindern, dass „Inder“ ber Europer Recht sprachen.182 Ein erster Versuch, diese „rassische“ Diskriminierung zu relativieren, scheiterte 1872. Dennoch war es in den Presidencies mçglich, dass Inder ber Europer zu Gericht saßen.183 Insbesondere

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wandererschiff pro 500 Migranten mindestens ein Babyschnuller mitgefhrt werden msse. India, Regulation No. 94-E, 18.3.1886. General Rules and Orders under Enactments in force in British India. Calcutta 1907. Indian Legislative Council, Bd. 48, S. 239, 25. 2. 1910, Gokhale. s.a. Metcalf, Ideologies, S. 215 f. Innerhalb des sogenannten „indenture“-Systems warb man Arbeitskrfte in Indien an und setzte diese in den verschiedensten Weltregionen ein, wobei sie der „indenture“-Vertrag zur Ableistung einer gewissen Dienstzeit verpflichtete, innerhalb derer sie von ihren Arbeitgebern extrem abhngig waren. Northrup. Zur mikrohistorischen Aufarbeitung des Phnomens und zu den Widerstandspraktiken der „indentured labourers“ s. Mahase. Im Kontext dieser Auseinandersetzungen kam es auch zur Grndung des Indian National Congress 1886. Sinha, M., S. 69 f. Hirschmann, S. 3. India, Act 25 von 1861, Code of Criminal Procedure, ch. 2, sec. 25 und 39 ff sowie ch. 23, sec. 323. Aus dieser Absicht resultierten zwei Probleme. Einerseits leiteten einige „europische“ Angeklagte daraus ab, dass bestimmte Strafgesetze fr sie nicht gelten wrden. India, Act 22 von 1870, European British Subjects, widersprach deswegen explizit dieser Rechtsauffassung. Zum anderen beklagten Kommentatoren, dass die besondere Behandlung „europischer“ Angeklagter dazu fhrte, dass Anklagen wegen der Misshandlung „indischer“ Bediensteter meist fallen gelassen wurden. Sanyal, S. V. Diese Praxis wurde 1882 vom Gesetzgeber besttigt: „No Magistrate, unless he is a Justice of the Peace, and (except in the case of a Presidency Magistrate) unless he is a Magistrate of the first class and a European British subject, shall inquire into or try any charge against a European British subject.“ India, Act 10 von 1882, sec. 443.

im Landesinneren, „mufassil“ genannt, wo die Gerichtsbarkeit als unzuverlssig galt, hielt man jedoch daran fest, dass kein „native judge“ ein Urteil ber einen „Europer“ fllen durfte. Diese Diskrepanz fhrte wiederholt zu Problemen und lçste schließlich eine erneute Debatte ber die „rassische“ Diskriminierung im Strafprozessrecht aus.184 Im Februar 1883 brachte Courtenay Ilbert fr die Regierung einen Gesetzentwurf ein, der die „race distinctions, which are as invidious as they are unnecessary“, abschaffen sollte.185 In seiner Argumentation fr den Entwurf stellte Ilbert die Aufhebung aller ethnischen Differenzierungen im Recht und die Schaffung eines homogenen Rechtsraums als langfristiges Ziel britischer Politik in Indien dar, wobei er sowohl auf den Charter Act von 1833 als auch auf die Queen’s Proclamation von 1858 verwies.186 Die Vereinheitlichung der Judikatur, der Zugangsprfungen und Laufbahnen, die Aufhebung der Unterscheidung zwischen „Presidency Towns“ und „mufassil“ sowie die Gleichheit aller vor dem Gesetz seien von Beginn an wesentliche Ziele des modernen Strafprozessrechts in Indien gewesen. Inzwischen sei die Rechtspflege soweit modernisiert und standardisiert, dass man diese Ziele realisieren kçnne.187 Die Ersetzung der funktionalen Unterscheidung zwischen zuverlssigen Gerichten in den Presidencies und unzuverlssigen Gerichten im Hinterland durch „rassische“ Unterscheidungen stehe dieser Modernisierung 184 1881 wurde ein hochrangiger „nicht-weißer“ Richter von seinem Posten außerhalb der Presidencies abberufen, nachdem die ortsansssigen „Weißen“ nachdrcklich seine Versetzung gefordert hatten. London, IOR, L/PJ/6/44, file 1038. 1882 sollte Behari Lal Gupta, bisher Richter in Calcutta, zum Sessions Judge im Hinterland befçrdert werden. Er beschwerte sich darber, dass er nach seiner Befçrderung weniger Kompetenzen haben wrde als sein „weißer“ Stellvertreter. Metcalf, Ideologies, S. 204 f. s.a. Hirschmann, S. 25. Sinha, M., S. 36. Einen weiteren wesentlichen Auslçser fr die Reformversuche im Strafprozessrecht bildete die Personalknappheit des Indian Civil Service. Die Notwendigkeit, fr jedes Verfahren gegen „europische“ Angeklagte einen „europischen“ Richter zu beauftragen, fhrte zu immer grçßeren praktischen Problemen. Hirschmann, S. 23 und 39. 185 Indian Legislative Council, Bd. 22, S. 42, 2.2.1883. Nach Hirschmann war diese Behauptung unrichtig, da der ursprngliche Entwurf bereits ein Kompromiss war und die rechtliche Gleichheit nicht gnzlich durchsetzen sollte. In einer spteren Debatte, bei der Vorstellung des berarbeiteten Entwurfs, betonte Ilbert selbst: „In short, the principle of the Bill is the removal not of race-distinctions, but of race-disqualifications, which is a very different matter.“ Indian Legislative Council, Bd. 23, S. 4, 4.1.1884. Damit meinte er, dass bei der Beurteilung der persçnlichen Eignung eines Kandidaten fr das Richteramt dessen „rassische“ Zugehçrigkeit durchaus eine Rolle spielen kçnne. Mit seinen Formulierungen brachte Ilbert sowohl die Inder, die mehr Gleichheit wollten, als auch die Europer, die mehr Gleichstellung frchteten, gegen sich auf. Hirschmann, S. 37 f. 186 Indian Legislative Council, Bd. 23, S. 5, 4.1.1884. 187 Indian Legislative Council, Bd. 23, S. 6 und 15, 4.1.1884. s.a. London, IOR, V/27/140/3, History of the changes in the criminal and civil jurisdiction exercised by the courts in India over European British subjects, S. 18. Dort wird auch darauf verwiesen, dass bereits in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts die Vereinheitlichung des Rechtssystems als Bedingung fr die bertragung der Entscheidungsgewalt ber „Europer“ auf indische Richter formuliert wurde. Metcalf, Ideologies, S. 37.

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des Rechts im Wege und stelle im gesamten Weltreich eine Anomalie dar. Schließlich gipfelte Ilberts Argumentation in der Behauptung: „Our Empire is an Empire of law.“188 Die Mehrheit des Council untersttzte den Entwurf in der Hoffnung, er werde „that goodfeeling and cordiality between European and Native Civilians which are indispensable to their working together“ strken.189 Außerdem sollte die Novelle „assist them [the Natives of India] in their onward progress“.190 Auch „indische“ Vertreter verwiesen darauf, dass der Entwurf das Gleichheitsversprechen erfllen und die Zivilisierungsmisson fortfhren wrde.191 Die Gegner des Entwurfs verwiesen vor allem auf die Opposition der nichtoffiziellen „Europer“ in Indien gegen die Novelle. Zugleich vertraten sie die Meinung, dass die „Inder“ die rechtliche Gleichstellung nicht anstrebten. Diese Idee werde ihnen nur eingeredet.192 Der Vertreter der Handelskammer sprach sich gegen die Novelle aus, weil sie zum Abzug britischen Kapitals aus Indien fhren wrde.193 Außerdem, und hier lag der Schwerpunkt der Argumentation, gebe es im Hinterland, anders als in den Presidencies, keine die Justiz kontrollierende „europische“ ffentlichkeit, weswegen nur die bisherigen Privilegien „europische“ Angeklagte davor bewahren kçnnten, vor einem Richter „alien in thought and moral standard, and ignorant of the manners, customs and habits of the accused“ zu stehen und aufgrund ver188 Indian Legislative Council, Bd. 23, S. 16 und 21, 4.1.1884. Auch in Hongkong kçnnten, so Ilbert, „nicht-weiße“ Richter ber „weiße“ Angeklagte urteilen. 189 Indian Legislative Council, Bd. 22, S. 139, 9. 3. 1883, Quinton. 190 Ebd., S. 48 f, 7. 1. 1884, Sir A. Colvin. Auch Governor General Ripon, der Commander in Chief, Home Member Gibbs, der Lieutenant General von Bengal sowie Laha und Ahmed Khan sprachen sich im Council fr den Entwurf aus, Stewart und Hunter forderten Nachbesserungen. Ebd., S. 49 und 50 f. Die Gouverneure der Provinzen sprachen sich ebenfalls mehrheitlich fr den Entwurf aus. Hirschmann, S. 26 f und 80. 191 Kristodas Pal – nach Hirschmann, S. 77, der erste Vertreter der bengalischen Mittelklasse im Rat – beschrieb den Entwurf als „fostering human happiness under beneficient law, raising the weak and lowly to the level of the strong and high, and making equal law and equal justice the basis of political paramountcy in the world“. Indian Legislative Council, Bd. 22, S. 141, 9.3.1883. Amir Ali verwies auf einen Brief Victorias zur Queen’s Proclamation, in dem sie Lord Derby schrieb, dieses Dokument solle „the privileges which the Indians will receive on being placed on an equality with the subjects of the British Crown, and the prosperity following the train of civilization“ betonen. Ebd., Bd. 23, S. 24. Auf die Proclamation verwiesen auch viele Leitartikel indischer Zeitungen zur Ilbert-Bill. Hirschmann, S. 58. 192 Indian Legislative Council, Bd. 23, S. 34, 7. 1. 1884, Evans. Dieses paternalistische, auf die Relevanz personaler Ungleichheiten in der Tradition verweisende Argument wurde wiederholt vorgebracht. 193 „It [European capital] will not entrust itself to Native Indian management.“ Dass dieses Mißtrauen auf Vorurteilen beruhe, stellte nach Miller kein gltiges Gegenargument dar, denn „the result of the prejudice is a tangible factor, which cannot be denied, cannot be ignored, and which must in fact be acknowledged“. Miller erntete fr seine Rede Applaus vom Publikum, woraufhin der Vizekçnig die Zuschauer zur Ordnung rief. Indian Legislative Council, Bd. 22, S. 144, 9. 3. 1883, Miller.

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leumderischer Anklagen von „natives“ verurteilt zu werden.194 Die kulturelle Differenz zwischen „Indern“ und „Europern“ kçnne, so das Argument, auch keine englische Ausbildung berbrcken – „unless Christianity is a sham, and the belief in national character a delusion“.195 Dieses Argument macht das rassistische Verstndnis der Unterscheidung zwischen „Europeans“ und „natives“ deutlich, das die Wahrnehmung der Gegner des Entwurfs prgte. Diesen unberwindbaren Unterschied sollte eine Anekdote belegen, in der ein Mçrder „wholly unprovoked, ripped open a child, tore out its entrails, devoured them before the eyes of his still living victim, was apprehended actually red-handed, attempted no denial, and pleaded only the deliberate fulfilment of a vow to a goddess“. Ein „indischer“ Richter verurteilte den Mann zu lediglich drei Monaten Haft.196 Ein weiterer Einwand bezog sich auf Ilberts Formel vom „Empire of Law“, der die Gegner die Parole vom „Empire of Prestige“ entgegenstellten: „He [Ilbert] says our Empire is an Empire of law. He makes light of prestige, and his policy is to level it. What does history, the logic of facts, say to this? Was there ever a nation that maintained its supremacy by the righteousness of its laws?“197

194 Ebd., S. 155 f, 9. 3. 1883, Evans. Mit dem Fehlen çffentlicher Kontrolle im Hinterland argumentierte auch der Advocate General in Bombay, John Marriot, in seinem Schreiben an das India Office in London vom 19. 6. 1883: „There is also the belief that an Englishman if tried by a Native Judge upcountry away from his friends without European legal assistance and without a vigilant European Press might not have justice done to him.“ London, IOR, L/PJ/102, file 1253. Zur „europischen“ Angst vor verleumderischen Klagen und vor „indischen“ Richtern s.a. Hirschmann, S. 54 f und 121 f. 195 Indian Legislative Council, Bd. 22, S. 155 f, 9.3.1883. Evans betrachtete die kulturelle Differenz also als angeborene, „rassische“. Weniger extreme ußerungen vermieden diese Aufladung. Richter Pinhey forderte beispielsweise in seiner Stellungnahme Verbesserungen an dem Gesetzentwurf, betonte aber zugleich: „No Native of India ever has or ever will succeed in getting into the Covenanted Civil Service without residing some years in England, and consequently mixing in European society and acquiring a considerable knowledge of the manners and customs and habits of thought of Europeans.“ Eine kulturelle „Europisierung“ von „NichtWeißen“ war nach seiner Meinung also mçglich. Dementsprechend sprach sich Pinhey auch nicht gegen, sondern nur fr eine langsamere Verwirklichung der rechtlichen Gleichheit aus, fr eine allmhliche Modifizierung der „race distinctions … as they have already been modified from time to time“. London, IOR, L/PJ/6/102, file 1219, Minute by Mr. Justice Pinhey, 6.6.1883. 196 Indian Legislative Council, Bd. 23, S. 44 f, 7. 1. 1884, Thomas. Der Fall musste nach Thomas vor einem „europischen“ Richter neu verhandelt werden. Dieses Argument der Nicht-Eignung der „native judges“ persiflierte ein Befrworter der Bill in folgendem Gedicht: „As his [the native judge’s] mother’s not trained, like an English lady, / To play the piano, paint flowers, and dance, / And speak the French tongue as they speak it in France, / So of course it’s as clear as mud he’s unfitted / To say if it’s likely a crime was committed.“ Zit. nach Hirschmann, S. 302. 197 Indian Legislative Council, Bd. 23, S. 45, 7. 1. 1884, Thomas. Nicht das Recht, sondern „the battailons“ seien, so Thomas, „,the last logic of nations‘, and it is on them only that the law takes its stand“. hnlich argumentierte das ehemalige Regierungsmitglied Stephen in einem Leserbrief an die Times vom 1. 3. 1883: „[The Government of India] is essentially an absolute

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Schließlich versuchten die Gegner der Novelle, die „rassische“ Diskriminierung im Strafprozessrecht mit einem Verweis auf die Magna Charta zu rechtfertigen. Das in diesem Dokument jedem Englnder zugesicherte Recht, nur vor seinesgleichen als Richter gestellt zu werden, bedeute bertragen auf den indischen Kontext, dass „Inder“ nicht ber „Europer“ urteilen sollten:198 „Every Englishman carries with him the feeling that it is his birth-right to be tried by his peers, a right given to him by Magna Charta: ,Nullus liber homo capiatur vel imprisonetur … aut aliquo modo destruatur nec super eum ibimus nec super eum mittemus nisi per legale judicium parium suorum vel per legem terrae.‘ The Englishman feels that if tried by a Native he will not be tried by [durchgestrichen: for, d. Vf.] ,legale judicium parium suorum‘.“199

Dieses Argument ist deswegen besonders interessant, weil es die ursprngliche Gleichheit des Standes innerhalb der feudalen Ordnung auf die Gleichheit der „Rasse“ innerhalb der kolonialen Hierarchie bertrug und damit implizit die Erblichkeit des Adels mit der Vererbung der ethnischen Identitt gleich setzte. Diesen rechtshistorisch ausgesprochen gewagten Sprung kommentierte Ilbert mit der Bemerkung: „If I were disposed to approach the subject merely from an antiquarian point of view, I might say with perfect accuracy, that Magna Charta has as much to do with the Bill now before us as Domesday Book has to do with the Permanent Settlement.“200

Der Großteil der Debatte ber den Gesetzentwurf fand allerdings außerhalb des Councils statt. Die Ilbert-Bill fhrte zu einer politischen Mobilisierung, wie sie Indien unter britischer Herrschaft noch nicht erlebt hatte. Diese Bewegung erreichte auch London.201 Oder vielmehr nahm sie dort ihren Ausgang. Am 5. Februar 1883, drei Tage nach der Einbringung des Gesetzent-

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Government founded not on consent, but on conquest.“ Zit. nach Sinha, M., S. 39. s.a. Metcalf, Ideologies, S. 210. Indian Legislative Council, Bd. 23, S. 38, 7. 1. 1884, Evans. London, IOR, L/PJ/102, file 1253, Advocate General in Bombay, John Marriot, an India Office, 19.6.1883. Auch Marriot betonte die „rassischen“ Unterschiede zwischen „Europeans“ und „natives“, die eine rechtliche Homogenisierung nach europischem Vorbild in Indien unmçglich machten. Indian Legislative Council, Bd. 23, S. 16, 4. 1. 1884, Ilbert. Nichtsdestotrotz war das MagnaCharta-Argument in der Ilbert-Bill-Debatte weit verbreitet. Hirschmann, S. 119 f. Aber die Regierung distanzierte sich deutlich davon. Bei der Einbringung des Kompromisses gab der Governor General zu Protokoll: „This arrangement [der Kompromiss, d. Vf.] also gives no sanction to the theory to which I have already referred, that an Englishman possesses everywhere an inalienable right to be tried only before a Magistrate of his own race, a right which … is not recognised in other dominions of the British Crown, – in Ceylon or in China for instance“. Indian Legislative Council, Bd. 23, S. 57 f, 7.1.1884. Hirschmann bezeichnet die Agitation gegen das Gesetz als „white mutiny“. Zur Herausbildung von politischen ffentlichkeitsstrukturen in Indien und zur Polarisierung zwischen „weißen“ und anti-kolonialen Diskursen als Folgen der Ilbert-Bill-Debatte s. Sinha, M., S. 23 und 33 f.

wurfs, sagte die „Times“ in London die „intense unpopularity“ der Novelle voraus. Ein Leitartikel behauptete, dass die Aufgabe der „rassischen“ Privilegien fr „Europer“ die Aufgabe der Herrschaft ber Indien bedeute.202 In der Folge kam es in Indien zu zahlreichen Versammlungen gegen oder fr das Gesetz.203 Im Mrz grndete sich, finanziert von zahlreichen britisch-indischen Unternehmern, die „European and Anglo-Indian Defence Association“, die die Proteste organisierte. Ein Großteil der britischen Verwaltungsbeamten und die Mehrheit der „Anglo-Indians“ untersttzten die Opposition der nichtoffiziellen „Europer“.204 Eine besondere Rolle spielte in der Ilbert-Bill-Debatte die Geschlechterdifferenz. Einerseits verwiesen die Gegner auf die Gefhrdung „europischer“ Frauen, auch um die Opposition zu popularisieren und zu verbreitern. Eine Protestversammlung im Rathaus von Limehouse in London warb mit einem großen Außenplakat, das verkndete: „in opposition to Lord Ripon’s policy of placing Englishwomen under the criminal jurisdiction of polygamists – Native Magistrates“.205 Andererseits verwiesen die Gegner in ihrer Argumentation 202 Hirschmann, S. 41 f. Weitere britische Zeitungen folgten, wobei sich insbesondere „The Englishman“ aufseiten der Gegner und die „Pall Mall Gazette“ aufseiten der Befrworter des Gesetzes hervortaten. Einen Tag nach der „Times“, am 6. 2. 1883, machten die Zeitungen in Calcutta die Ilbert-Bill zum Thema. 203 Ebd., S. 52 f und 107 f. Am 28. 2. 1883 protestierten im Rathaus von Calcutta zwischen drei und fnftausend Personen gegen das Gesetzesvorhaben. Nach rassistischen Reden wre es fast zu Unruhen gekommen. Ebd., S. 63 f. Nach Angaben des „Statesman“ waren die Versammelten „nearly all white, of one creed, and claiming one nationality“ (Ausgabe vom 1. 3. 1883), whrend der „Englishman“ darauf hinwies, dass auch Kontinentaleuroper, Amerikaner und Juden anwesend gewesen seien. Zit. nach Hirschmann, S.63. Der Widerstand ußerte sich auch in sozialen Boykotts offizieller Empfnge seitens der britisch-indischen Eliten. Sinha, M., S. 55. Hirschmann, S. 231 f. „One of the ,wildest schemes‘ was probably the plan to kidnap Ripon. According to Buckland: ,A conspiracy had been formed by a number of men in Calcutta, who had bound themselves in the event of the Government adhering to the proposed legislation, to overpower the sentries at Government House, put the Viceroy on board a steamer at Chandpal Ghat, and send him to England via the Cape.‘“ Ebd., S. 239. 204 Ebd., S. 75, 109 f, 144 und 174. Die anglo-indische Zeitung „Daily News“ „spoke of a duty to promote imperial loyalty, a duty more important than selfish racial pride“, aber die meisten anglo-indischen Bltter sprachen sich gegen die Ilbert-Bill aus. Ebd., S. 40 f und 49 f. „According to one account some rural protest meetings had more Eurasians and Indian Christians at them than Europeans.“ Ebd., S. 145. Ein weiterer Beleg fr die Oppositionshaltung der Anglo-Indians findet sich in London, IOR, L/PJ/6/100, file 1049, Memorial of Eurasian and Anglo-Indian European British subjects, 1883. 205 Sinha, M., S. 52. In den Unterlagen des India Office finden sich zahlreiche Eingaben von „europischen“ Mnnern und Frauen an Kçnigin Victoria, die sich gegen die Ilbert-Bill aussprechen. Darunter ein mit „an Englishman“ unterzeichneter Brief, der berichtet, wie ein Inder versucht htte, eine „Europerin“ zu vergewaltigen, und der dieses Verhalten auf Lord Ripons Gleichberechtigungspolitik zurckfhrt. In einem mit „a loyal subject“ unterzeichneten Brief bat eine Englnderin die Kçnigin, das Gesetz zu verhindern. London, IOR, L/PJ/6/102, file 1262. s.a. ebd., L/PJ/6/100, file 1049, Memorial of Ladies resided in Bihar, 1.6.1883. Zu angeblichen Bedrohungen „europischer“ Frauen durch „indische“ Mnner s.a. Metcalf, Ideologies, S. 211 f.

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auf national-emanzipatorische, anti-koloniale und feministische Elemente im Diskurs der Befrworter, den sie so insgesamt als unnatrlich zu delegitimieren versuchten. Mrinalini Sinha bezeichnet das als Rationalisierung der „racial hierarchy on a supposedly more natural gender hierarchy“.206 Die Gegner der Novelle versuchten, auch im Mutterland des Weltreichs Widerstand zu mobilisieren, hatten dabei aber nur mßigen Erfolg. Zwar organisierte man Veranstaltungen, schrieb Petitionen und sammelte Unterschriften, aber beispielsweise weigerte sich das parlamentarische Komitee des englischen Gewerkschaftskongresses ausdrcklich, die Opposition gegen das Gesetz zu untersttzen.207 Die britische Regierung versuchte zunchst, sich nicht zu positionieren, verweigerte aber schließlich den Gegnern der Bill ihre Hilfe.208 Diese Haltung Londons ermçglichte es der indischen Regierung, ihr Gesicht zu wahren und einen Kompromiss durchzusetzen, der zumindest am Prinzip der rechtlichen Gleichheit festhielt. In ihrer endgltigen Fassung ermçglichte die Novelle zwar hochrangigen „indischen“ Richtern, ein Urteil ber „Europer“ zu fllen, gleichzeitig dehnte sie allerdings den Anspruch der „Europer“ auf ein Verfahren mit einer mindestens zur Hlfte „europischen“ Jury aus.209 In seiner Erklrung zu dem Kompromiss drckte der Vizekçnig sein Missfallen ber die Methoden und die Argumente der Opposition aus und hielt an der rechtlichen Gleichstellung als langfristigem Projekt fest.210 Trotz dieser Absichtserklrungen behielt allerdings auch die nchste Novellierung des Strafprozessrechts von 1898 die „rassische“ Diskriminierung bei.211 In der Debatte dieser Novelle forderten „indische“ Vertreter, den An206 Sinha, M., S. 33 f. s.a. Ballhatchet. Auch die Befrworter der Bill verwendeten hnliche argumentative Muster, wenn sie, wie Henry Beveridge, vorschlugen, dass „europische“ Frauen besonders behandelt werden sollten, sodass sie nicht vor einen „indischen“ Richter treten mssten. Ebd., S. 48 f. 207 Hirschmann, S. 192 f und 197. Die Amalgamated Society of Railway Servants of England, Scotland, and Wales sprach sich 1883 fr die Novelle aus, wobei ein Redner diese Position so begrndete: „we in this country would not like anyone to come from India and domineer over us“. Ebd., S. 196 f. 208 Hirschmann, S. 185 und 195. Ein mçglicher Grund fr dieses Verhalten der Regierung kçnnte die Nachwahl in Ipswich Anfang 1884 gewesen sein, in der die Konservativen die Ilbert-Bill thematisierten und letztlich verloren. Ebd., S. 244. 209 India, Act 3 von 1884. s.a. Indian Legislative Council, Bd. 22, S. 611 f, Statement des Governor General. Das India Office in London untersttzte diesen Kompromissvorschlag. London, IOR, L/PJ/6/105, file 1516. s.a. Sinha, M., S. 33 und 245 f. Insgesamt waren 1884 nur drei „indische“ Richter hochrangig genug um nach dem Gesetz Urteile ber „Europer“ sprechen zu kçnnen. Ebd., S. 37. 210 Indian Legislative Council, Bd. 23, S. 57 f, 7.1.1884. „I have observed that some of the most fundamental principles of just and righteous government have been ridiculed and denounced.“ Ebd., S. 58. Und gegen Thomas’ Argumentation, dass das Reich auf Gewalt und „conquest“ beruhe, stellte Lord Ripon „respect for the principles of justice“ ins Zentrum seiner Ausfhrungen. Ebd., S. 69. 211 India, Act 5 von 1898, sec. 443 f. Indian Legislative Council, Bd. 36, S. 358, 15. 10. 1897, Sir Henry Prinsep.

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spruch auf ein Verfahren mit Jury auch fr „natives“ zu erweitern, um so Egalitt herzustellen.212 Die Gegner dieses Vorschlags behaupteten daraufhin, dass Juryverfahren nur in einer ethnisch homogenen Gesellschaft sinnvoll seien: „For the success of a jury you require certain conditions, and those conditions are … that you have a homogenous people, a people who make their own laws, and who, moreover are determined that those laws shall be enforced.“213

Die „europische“ Bevçlkerung in Indien sei, so das Argument, in diesem Sinn homogen, whrend Heterogenitt die „nicht-europische“ Bevçlkerung prge. Die Debatte ber den Umgang mit ethnischer Differenz im Strafprozessrecht prgten fundamental unterschiedliche Anstze. Auf der einen Seite betonten die eher konservativen Gegner der rechtlichen Egalisierung die Unberbrckbarkeit der „rassischen“ Unterschiede zwischen „Europeans“ und „natives“. Zugleich hoben sie den notwendigerweise gewaltsamen Charakter der kolonialen Herrschaft hervor. Sie pldierten damit fr imperialistische Diskriminierungsmechanismen. Die eher liberale Gegenseite betonte stattdessen Bildung, Fortschritt und die Mçglichkeit, die sogenannte zivilisatorische Lcke zu schließen. Dabei versprachen ihre Vertreter im Sinn einer etatistischen Logik rechtliche Gleichheit und ethnische Neutralitt.214 Allerdings setzte sich die rechtliche Egalisierung weder unter liberalen Vorzeichen in den achtziger Jahren noch unter konservativen Vorzeichen in den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts durch. Die „rassische“ Diskriminierung im Strafprozessrecht hatte bis zum Ersten Weltkrieg Bestand. Dass sich in den Auseinandersetzungen die „europischen“ Teile der indischen ffentlichkeit fr die Beibehaltung der Diskriminierungsmechanismen einsetzten, whrend die Vertreter der indischen Nationalbewegung deren 212 Ebd., S. 321, 12. 3. 1898, Rai Bahadur Charlu. Charlu ging es vor allem um Verfahren nach sec. 124A des Indian Penal Code, also um Verbrechen gegen den Staat. Davon waren insbesondere regierungskritische Journalisten betroffen. Dieser Umstand verdeutlicht, dass die politische Lage und die ffentlichkeit gegen Ende des 19. Jahrhunderts zunehmend von Konflikten und Spannungen geprgt waren, worauf die Regierung mit Repressionen reagierte. 213 Indian Legislative Council, Bd. 37, S. 324, 12. 3. 1898, Chalmers im Namen der Regierung. Interessant ist auch die Folgerung, die der Redner aus der ethnischen Heterogenitt der Bevçlkerung zog: „in an Empire with at least 23 different nations and languages it is a mistake to lay down too iron a procedure for the prevention and punishment of crime“. Ebd., S. 169, 11.3.1898. 214 Metcalf, Ideologies, S. 203 f. „On the one side were ideals dear to the hearts of liberals: equality before the law, and the transformative power of education. … On the other side stood the bill’s opponents, who insisted on the essential difference of race, and argued for a legal system that would accommodate that difference.“ Ebd., S. 203 f. Die Politik der indischen Regierung unter Lord Ripon kann man auch im weiteren Sinn als liberal charakterisieren, wobei andere Maßnahmen den Versuch der Aufhebung der „rassischen“ Diskriminierung ergnzten – Abschwchung der Zensur, Rckzug aus Afghanistan, Strkung der lokalen Selbstverwaltung. Hirschmann, S. 14 f.

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Abschaffung forderten, ist wenig berraschend. Interessanter ist dagegen, dass sich Meinungsunterschiede innerhalb der Kolonialverwaltung abzeichneten. Whrend die administrativen Eliten dem Prinzip rechtlicher Gleichheit das Wort redeten, argumentierte ein großer Teil der „europischen“ Beamten auf den unteren Ebenen fr die Diskriminierung der indischen Untertanen.215 Letztlich zeigt die Ilbert-Bill-Debatte, dass die Differenz zwischen „natives“ und „Europeans“ zunehmend „rassisch“ aufgeladen wurde. Zudem belegt sie die wachsende Bedeutung der imperialistischen Diskriminierungslogik in Indien. Der ambivalente Rechtsstatus der Angehçrigen der indischen Frstenstaaten Auch die Angehçrigen der pseudo-souvernen indischen Frstenstaaten oder „Native States“ waren von rechtlicher Diskriminierung betroffen. Die Definition dieser Gruppe beruhte zunchst nicht auf „rassischen“, sondern auf rein formalen Kriterien. Anders als die meisten Bewohner Britisch-Indiens waren sie keine britischen Untertanen, sondern British protected persons.216 Diese Unterscheidung wirkte sich in der Frage der Jurisdiktion praktisch aus. Anders als die Angehçrigen der Frstenstaaten unterlagen Untertanen der britischen Krone, auch wenn sie sich in den Frstenstaaten aufhielten, der britisch-indischen Rechtsprechung. Allerdings setzten die Behçrden dieses Privileg insbesondere bei „European British subjects of Her Majesty, being Christians, resident in the Native States, Territories, and Chiefships“ durch. Diese sollten nicht der lokalen Rechtsprechung unterstehen.217 Nachdem 1858 „weißen“ Briten, die weder im Dienst der Company noch der Krone standen, die Einreise und die Ansiedlung in den Frstenstaaten erstmals erlaubt worden war, stellte sich Anfang des 20. Jahrhunderts die Frage, ob die Urenkel der ersten „weißen“ Immigranten von der lokalen Jurisdiktion ausgenommen bleiben sollten. Nach britischem Recht konnte man den Untertanenstatus im Ausland nur ber zwei Generationen weitergeben. Somit waren die Mitglieder der vierten Emigrantengeneration keine British subjects mehr, sondern rein formal Angehçrige des jeweiligen Frstenstaats.218 Zur Lçsung dieses Problems schlug die Verwaltung vor, die Weiter215 Auch Lord Ripon beobachtete und frchtete, dass sich im Indian Civil Service, einst geprgt vom Korpsgeist und von der paternalistischen Aufgabe, die indischen Untertanen zu beschtzen, zunehmend rassistische Meinungen verbreiteten. Hirschmann, S. 282. 216 „Their [the Native States’] territory is not British territory. Their subjects are not British subjects.“ Parker, S. 152. „[P]ersons enjoying Her Majesty’s protection, that expression shall include all subjects of the several princes and states in India“. UK, 53&54 Vict ch. 37, Foreign Jurisdiction Act, sec. 15. 217 Regulation No. 178-J, 23.9.1874. General Rules and Orders in British India, 1907. 218 „[S]ome of the native states have recently shown a tendency to assert their theoretical jurisdictional rights, and it is becoming increasingly probable that before long attempts may be made to exercise their powers over Europeans of the fourth generation within their limits.“ London, IOR, L/PJ/6/731, file 2469, indische Regierung an India Office, 27.07.1905.

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gabe des britischen Untertanenstatus im Ausland unbegrenzt zu ermçglichen. Dieses Vorhaben stieß auf Skepsis, weil es auch den „indischen“ British subjects den Anspruch auf britische Protektion im Ausland ber Generationen garantiert htte.219 Deswegen riet das India Office von einer formal-rechtlichen Regelung ab und prferierte eine administrative Lçsung: „I do not remember to have heard of any case relating to a great grandson of an European British subject in a native state, but I fancy if such a case presented itself and if the man was to all practical intents and purposes what would ordinarily be called a European we would arrange to exercise jurisdiction over him ourselves just as we would do over a European foreigner, and not leave him to the native courts.“220

Die Verwaltungspraxis verwandelte also die rechtlich-formale Unterscheidung zwischen britischen Untertanen und Angehçrigen der indischen Frstenstaaten in die praktisch wirksame „rassische“ Unterscheidung zwischen „Europeans“ und „natives“. Diese basierte im Wesentlichen auf administrativen ad hoc Entscheidungen. Die Verwaltung sicherte also in einer rechtlichen Grauzone die Privilegien der „Weißen“, die sie „Nicht-Weißen“ zugleich verwehrte. Letztlich war die Unterscheidung zwischen subjects und protected persons selbst uneindeutig. Das zeigen die Erklrungsnçte und Interpretationsprobleme, in welche die britischen Behçrden gerieten, wenn Angehçrige indischer Frstenstaaten die Naturalisation beantragten. Als protected persons waren sie nmlich weder Staatsangehçrige noch Auslnder, sondern nahmen eine prekre Zwischenposition ein. Wenn sie sich im Vereinigten Kçnigreich um die Einbrgerung bemhten, musste man ihren angehçrigkeitsrechtlichen Status aber eindeutig klren. Entweder waren sie subjects, dann bedurften sie nicht der Naturalisation, oder sie waren aliens, dann konnte man sie einbrgern. Ende 1889 beantragte der 23 Jahre alte, ledige und in London lebende Chirurg Kuman Bhabendra Narayan, ein „natural-born Subject of the State of His Highness the Maharajah of Kuch Behar“ beim Londoner Home Office die Aufnahme in den britischen Untertanenverband.221 Das Home Office, das den Antrag prinzipiell untersttzte, wandte sich daraufhin an das India Office mit der Frage, wie in einem solchen Fall zu verfahren wre. Die Beamten im India Office rumten zwar ein, dass „[i]t seems to be somewhat unfortunate, just now, that subjects of native states should be allowed to fall between two stools“, baten aber gleichzeitig darum, den Einbrgerungsantrag ohne Angabe von Grnden abzulehnen. Es sei inopportun, den angehçrigkeitsrechtlichen Status 219 London, IOR, L/PJ/6/731, file 2469. 220 London, IOR, L/PJ/6/702, file 2977, India Office Memo, 10. 2. 1905, Sir Dennis Fitzpatrick und Mr. H. H. Shepard. Rechtliche Unterscheidungen brchten nmlich, so das Memorandum weiter, die Gefahr mit sich, dass „persons with but little European blood in their veins“ in den Genuss von Privilegien kommen kçnnten. 221 Der Antrag und die Akten zu diesem Fall finden sich in London, PRO, HO 144/316/B7560.

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der Untertanen der indischen Frstenstaaten eindeutig festzulegen. Deswegen verbat sich das India Office „any allusion in refusing his application to the question of his Foreign or British Nationality“.222 Den Beamten aus dem Home Office waren diese Erklrungen zu unklar, weswegen sie um eindeutige Anweisungen fr derartige Flle baten. Allerdings zogen sie diese Anfrage „after discussion in committee and semi-official correspondence with India Office“ wieder zurck. In der Akte fehlen einige Seiten.223 Die Behçrden ließen den rechtlichen Status der Angehçrigen der Native States also absichtlich im Unklaren. Diese Unklarheit rumte ihnen einen maximalen Spielraum ein, wenn sie zu entscheiden hatten, wem bestimmte Rechte zustehen sollten und wem nicht. Insofern verbarg sich hinter der einschließenden Ausschließung der protected persons zwischen Zugehçrigkeit und Nicht-Zugehçrigkeit eine Diskriminierung nach „rassischen“ Kriterien. Einwanderungs- und Einbrgerungspolitik in Indien Abschließend soll nach der Relevanz ethnischer Unterschiede in der indischen Einwanderungs- und Einbrgerungspolitik gefragt werden. Die rechtliche Position von Einwanderern bestimmte der Foreigners Act von 1864. Dieser sah die Mçglichkeit der Abschiebung von Auslndern vor und unterwarf sie der polizeilichen Meldepflicht.224 Zunchts wandte man diese Bestimmungen vor allem auf europische Einwanderer an. Die Immigration aus dem nicht-europischen Ausland spielte erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts eine grçßere Rolle, als die chinesische Einwanderung nach Burma deutlich zunahm. In diesem Zusammenhang ist eine Anfrage der US-amerikanischen Regierung von 1886 interessant, die sich nach der Regulierung der „Chinese immigration“ im British Empire erkundigte. Diese Anfrage leitete das Foreign Office auch an die indische Regierung weiter, die darauf antwortete, dass „there are 222 London, PRO, HO 144/316/B7560, Home Office Notiz vom Januar 1900. s.a. die Aktenvermerke aus dem India Office in London, IOR, L/PJ/6/269, file 160 (29.01 – 08.05.1890). 223 London, PRO, HO 144/316/B7560. 224 India, Act 3 von 1864. Es ist interessant, wie dieses Gesetz „Foreigner“ definierte. Der Text von 1864 unterschied noch zwischen „natural-born subject[s] of Her Majesty“, die ihren Untertanenstatus qua iure sanguinis erworben hatten, und „native[s] of British India“, wobei das Gesetz alle Personen, die weder zur einen noch zur anderen Gruppe gehçrten, als Auslnder betrachtete. Einerseits waren nach dieser Definition im Vereinigten Kçnigreich geborene Personen zwar qua iure soli britische Untertanen, aber Auslnder im Sinne des indischen Rechts. Die vom Gesetz vorgesehene Regulierung ihrer Mobilitt stand in der Tradition des bis 1858 gltigen absoluten Einreiseverbots fr Europer, die nicht fr die Company ttig waren. Andererseits widersprach die Unterscheidung zwischen „natural-born subjects“ und „natives of British India“ dem angehçrigkeitsrechtlichen ius soli Prinzip, wonach in Britisch-Indien geborene Personen automatisch den Untertanenstatus erwarben. Erst 1915 wurde diese Anomalie beseitigt, indem ein Gesetz bestimmte, dass Personen, die nach dem Staatsangehçrigkeitsgesetz von 1914 oder durch Einbrgerung den Untertanenstatus erworben hatten, nicht als Auslnder zu betrachten seien. India, Act 3 von 1915, Foreigners Amendment.

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no such regulations in existence“.225 Auch auf anderweitige Immigrationsregulierungen oder gar auf eine ethnisch exklusive Einwanderungspolitik finden sich in den Quellen fr die Zeit bis zum Ersten Weltkrieg keine Hinweise. Dass die indischen Behçrden in der Immigrationspolitik weitestgehend ethnisch-neutral verfuhren, besttigt auch eine Untersuchung der Einbrgerungspraxis. In Indien konnte nach einem Gesetz von 1852 „any person whilst actually residing within British India“ die Naturalisation beantragen. Dieser Antrag musste lediglich „a short statement as to the origin and residence of the applicants and the purposes for which the applications were made“ enthalten.226 Generell beschftigten sich Gesetzgebung und Verwaltung nur wenig mit Einbrgerungsfragen. Bis 1914 regelte das Gesetz von 1852 die Naturalisation. Das lag zum einen daran, dass der britische Untertanenstatus in Indien bis zum Ende des Ersten Weltkriegs kaum staatsbrgerliche Rechte mit sich brachte. Die Einbrgerung war deswegen lediglich fr die çkonomischen Eliten oder fr Personen, die eine Stellung innerhalb der Verwaltung anstrebten, relevant.227 Zum anderen war die Zahl der Einwanderer deutlich geringer als beispielsweise in Kanada. Wegen dieser weitgehenden Irrelevanz der Einbrgerung und wegen der Zustndigkeit der Provinzbehçrden in Naturalisationsangelegenheiten finden sich kaum Informationen darber in den Unterlagen des India Office. Nur weil sich im Zuge der Beratungen ber eine reichsweite Vereinheitlichung der Einbrgerung die Regierung in London auch fr die indische Naturalisationspraxis interessierte, ist eine Aufstellung der Einbrgerungen fr die Jahre 1905 bis 1907 berliefert.228 In diesem Zeitraum wurden 99 Antrge gestellt und 85 bewilligt. Die meisten Antragsteller (24) stammten aus dem Osmanischen Reich, 18 Bewerber kamen aus China (und hatten sich in Burma niedergelassen), 14 aus Persien, acht aus Deutschland, je sieben aus Russland und aus indischen Frstenstaaten, vier aus Rumnien, drei aus Griechenland, je zwei aus Italien, sterreich-Ungarn, Dnemark und Goa und je einer aus Afghanistan, Bahrain, Kuwait, der Schweiz, Bulgarien und Abessinien. Diese Verteilung entsprach ungefhr den Immigrationsbewegungen. Die meisten Immigranten kamen aus dem vorder-, zentral- und fernasiatischen Raum nach Indien. Nur wenige nicht-britische Europer ließen sich dauerhaft in Indien nieder. Letztere – zumeist Missionare, Handwerker, Ingenieure, Hndler, Angestellte oder Unternehmer – beantragten allerdings mit grçßerer Wahrscheinlichkeit die Einbrgerung. Die meisten „nicht-europischen“ Einwanderer hatten

225 London, IOR, L/PJ/6/172, file 431. 226 London, IOR, L/PJ/6/249, file 616 und L/PJ/6/899, file 3884. 227 London, IOR, L/PS/18/D139, Memorandum eines Beamten aus Bombay zur Naturalisationspolitik, Dezember 1893. Das Memorandum verweist auf die Einbrgerung von Studenten aus den Frstenstaaten, die ihnen die Teilnahme an juristischen und medizinischen Prfungen und somit die Aufnahme in britisch-indische Dienste ermçglichte. 228 London, IOR, L/PJ/6/899, file 3884.

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keinen Grund, die Naturalisation anzustreben. Nur Landbesitzer, wohlhabende Hndler und Angestellte beantragten des fteren die Einbrgerung. Die Behçrden lehnten vier Bewerber aus dem Osmanischen Reich, drei aus Persien, zwei aus indischen Frstenstaaten, einen aus Deutschland, einen aus Russland, einen aus Griechenland, einen aus Goa und Haji Almas Sayed Yusuf Zavavi aus Abessinien ab. In den meisten Fllen begrndeten sie die Ablehnung damit, dass die Absicht, sich dauerhaft in Indien niederzulassen, zweifelhaft sei. Entweder hatten die Bewerber ihren Grundbesitz im Herkunftsland nicht aufgegeben oder in Indien noch keinen Grundbesitz erworben. Oder die Antragsteller wohnten nach Ansicht der Behçrden noch nicht lange genug in Indien. In einigen Fllen verließen die Antragsteller das Land, bevor die Behçrden ber ihre Antrge entschieden, oder bevor sie den Untertaneneid geleistet hatten. Aus der weitgehend der Verteilung der Antrge entsprechenden Verteilung der Ablehnungen auf die verschiedenen Herkunftslnder lsst sich kein bestimmtes Ex- oder Inklusionsmuster ablesen. Sowohl unter den eingebrgerten als auch unter den abgelehnten Personen befanden sich Christen und Muslime, Juden und Araber, Chinesen und Europer gleichermaßen. In der indischen Einbrgerungspolitik war also kein an ethnischen Differenzen orientiertes Muster der In- oder Exklusion wirksam. Die Behçrden achteten stattdessen vor allem auf eine dauerhafte Verbindung zum Aufnahmeland. Grund- oder Geschftsbesitz und andere çkonomische Interessen bildeten das ausschlaggebende Entscheidungskriterium. Ethnische Neutralitt und eine etatistische Logik prgten also die indische Einbrgerungspraxis. Diese Prinzipien charakterisierten auch die Position der Ilbert-Bill-Befrworter und letztlich ebenfalls die Forderungen der indischen Nationalbewegung nach rechtlicher Egalitt. In seiner anerkennenden Dimension kam das etatistische Denk- und Handlungsmuster hingegen in den Montagu-Chelmsford-Reformen zum Tragen. Deren ethnische Differenzierungen kann man allerdings auch als Versuch werten, nationalstaatliche Binnenhomogenisierungsprozesse zu verhindern. Die Reform von 1918/19 zeigte zudem diskriminierende Zge. Tendenzen zur imperialistischen Logik lassen sich daneben vor allem im Strafprozessrecht ausmachen, dessen Diskriminierung nach „rassischen“ Kriterien das indische Recht den gesamten Untersuchungszeitraum hindurch prgte. Auf der Ebene des Rechts und der administrativen Praxis waren also im indischen Fall imperialistische und etatistische Muster nebeneinander wirksam. Diese Gleichzeitigkeit und Ambivalenz kommt im Schwanken der indischen Regierung zwischen dem Gleichheitsversprechen Victorias, der Rolle als neutraler Schiedsrichterin ber der ethnisch heterogenen indischen Bevçlkerung und der Sicherung „europischer“ Privilegien zum Ausdruck.

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2.3. Produktion und Feststellung ethnischer Identitten Die Entwicklung des Angehçrigkeitsrechts in sterreich, so kann man zusammenfassen, folgte dagegen weitgehend der etatistischen Logik. Die Betonung militrischer und çkonomischer Interessen des Staates resultierte in einer ethnisch neutralen Politik und verhinderte eine Nationalisierung des cisleithanischen Rechts. Nationalistische und antisemitische Forderungen nach ethnischen Exklusionsmechanismen und nach dem dauerhaften Erhalt der Staatsangehçrigkeit im Ausland konnten sich gegen den Widerstand der staatlichen Behçrden nicht durchsetzen, die am anationalen Charakter des Rechts festhielten. Auch der Zugang zu den Staatsbrgerrechten war ethnischneutral geregelt. Lediglich im Wahlrecht und bei der kulturellen Autonomie bildeten sich nach 1900 anerkennende Differenzierungsmechanismen heraus. Diese Maßnahmen sollten zur Befriedung der Nationalittenkonflikte beitragen. Lokale Eliten nutzten sie auch, um ihre privilegierte Position zu wahren. Bei den sozialen Rechten blieben ethno-nationale Differenzen dagegen bedeutungslos. Die zentralstaatliche Verwaltung setzte das Prinzip der ethnischen Neutralitt gegen Widerstnde kommunaler Behçrden durch. Insgesamt bestimmte die supra-ethnische, etatistische Logik die Entwicklung, wobei anerkennende Differenzierungen und Autonomieregelungen nationalistischen Forderungen ein Stck weit entgegenkamen. Diese Ergebnisse betonen anders als ein Großteil der Forschung nicht so sehr den zum Niedergang fhrenden Konflikt zwischen zentripetalen und zentrifugalen Krften, sondern fokussieren vielmehr auf den ansatzweise gelungenen Versuch, die etatistische Logik an die im frhen 20. Jahrhundert gestiegene Bedeutung ethnonationaler Identitten anzupassen. Gemeinsamkeiten und Unterschiede: Konsistenz und Ambivalenz Auch in Indien dominierte die etatistische Logik das Handeln der Regierung. Wie in Cisleithanien standen dabei die rationalen Interessen des Staates im Vordergrund, mit denen man sowohl gegen die rassistischen Argumente „europischer“ als auch gegen die nationalistischen Forderungen „indischer“ Vertreter ankmpfte. Dieses Vorgehen verhinderte die Durchsetzung imperialistischer oder nationalstaatlicher Rechtslogiken. In beiden Fllen folgten die Behçrden dem Prinzip ethnischer Neutralitt und lteren administrativen Traditionen. In Indien konnte sich die Regierung dabei auf die Queen’s Proclamation von 1858 sowie auf utilitaristische und liberale Anstze berufen. Diese zielten zumindest langfristig auf die berwindung ethnischer Differenzen und die Herstellung rechtlicher Gleichheit. Die ethnisch-neutrale Verwaltungstradition in sterreich ging stattdessen auf den Aufgeklrten Absolutismus und die

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Reformpolitik Josephs II. zurck.229 Sowohl der Utilitarismus, der zahlreiche Anhnger in der indischen Brokratie hatte, die ihre Vorstellungen wie auf einem Experimentierfeld administrativer Techniken umzusetzen versuchten, als auch der Josephinismus wollten eine effiziente, rationale und gerechte Regierungs- oder Staatsmaschinerie aufbauen.230 Diese hnlichen Vorstellungen fhrten in beiden Fllen zur Einrichtung von – zumindest in ihrer Selbsteinschtzung – unersetzbaren und perfekt organisierten administrativen Apparaten, in denen standesbewusste Beamte zu funktionieren glaubten.231 Diese Verwalter wollten die ethnisch heterogene Bevçlkerung in einem einheitlichen Staatsverband zusammenfassen, und hielten die rechtliche Homogenitt fr das beste Mittel, um dieses Ziel zu erreichen. Deswegen beharrten die Behçrden in beiden Fllen weitestgehend auf dem etatistischen Prinzip der ethnischen Neutralitt. In diesem Sinn begrndete die indische Regierung in der Ilbert-Bill-Debatte den Versuch, rassistische Diskriminierungen zu beseitigen, und stellte sich die çsterreichische Regierung als ber den ethno-nationalen Differenzen stehende Schiedsrichterin dar. Allerdings war diesem Projekt in Indien deutlich weniger Erfolg beschieden als in Cisleithanien. Insbesondere wenn man die rechtliche Behandlung der Angehçrigen der indischen Frstenstaaten und das Staatsbrgerschaftsrecht betrachtet, zeigt sich, dass in Indien neben etatistischen auch imperialistische Muster wirksam waren. Zwar folgte die Verfassungsreform von 1918/19 mit ihren anerkennenden Differenzierungen mehr der etatistischen Logik. Aber zugleich schrieb sie wahlrechtliche Privilegien fr die „weißen“ Untertanen fest. Insofern sind Zweifel am Willen der indischen Regierung berechtigt, das Prinzip der ethnischen Neutralitt tatschlich durchzusetzen. Die Forschung unterscheidet diesbezglich hufig zwischen liberalen Anstzen, welche die britische Herrschaft gleichsam als Zivilisierungsdiktatur rechtfertigten und fr die ferne Zukunft universale Gleichheit in Aussicht stellten, und konservativen Argumentationen, welche das Recht des Eroberers auf koloniale Herrschaftsausbung betonten. Diese Gegenberstellung prgte zwar die zeitgençssischen Debatten, aber auf der Ebene der Gesetzgebung und der Verwaltung fhrten beide Anstze oft zu hnlichen Ergebnissen, wie die Privilegierung der „Weißen“ in den liberalen Reformen von 1918/19 zeigt. Liberale und konservative Strategien waren in der kolonialen Praxis untrennbar ineinander verwickelt. Deswegen prgten imperialistische und etatistische Muster in widersprchlicher Gleichzeitigkeit die indische Entwicklung. Aus dieser Perspektive erscheint die zunehmende Betonung des Prinzips 229 Himka. 230 Raman. 231 Wenn auch im Vergleich zur Grçße der Bevçlkerung die indische Verwaltung weniger umfangreich war als die çsterreichische, so war doch das staatstragende Bewusstsein in beiden Fllen gleich groß: „Everywhere in British India, social rank depended on official position“ und es gab insgesamt 77 genau abgestufte Dienstrnge innerhalb der indischen Beamtenhierarchie. Cannadine, S. 43.

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der ethnisch-neutralen Gleichberechtigung aller britischen Untertanen durch die indische Regierung im frhen 20. Jahrhundert als ein taktisches Mançver. Diese Politik reagierte auf das Erstarken der indischen Nationalbewegung, deren Forderungen man durch ethnisch-neutrales und anerkennendes Regierungshandeln gleichsam ausweichend entgegenkommen wollte. Die Figur des entgegenkommenden Ausweichens beschreibt ebenso treffend die Art und Weise, wie die çsterreichische Regierung die etatistische Logik an die gestiegene Bedeutung ethno-nationaler Identitten anpasste. Dennoch fallen deutliche Unterschiede zwischen beiden Fllen ins Auge. Whrend koloniale Ambivalenzen das Recht und die Verwaltungspraxis in Indien prgten, wirkte in sterreich ein konsistenterer Etatismus. Die cisleithanische Anerkennungspolitik war allenfalls insofern zweischneidig, als sie der Diskriminierungs- und Exklusionspolitik der habsburgischen Nachfolgestaaten den Weg ebnete. Diese beruhte auf objektiven Kriterien fr die Feststellung ethno-nationaler Identitten, die der Mhrische Ausgleich zum Teil entwickelte.232 Die konsistente etatistische Logik in Cisleithanien und die etatistisch-imperialistische Ambivalenz in Indien waren wesentlich in der jeweiligen Position begrndet, welche die beiden Vergleichsflle innerhalb der imperialen Gesamtkontexte einnahmen. sterreich bildete zwar nicht die Metropole des Habsburgerreichs, das generell wenig imperialistische Asymmetrien aufwies, befand sich aber definitiv nicht in einer peripheren Situation. Indien war dagegen eine Kolonie. Dieser Status erklrt die große Bedeutung, welche die indische Regierung ihrem intra-imperialen Prestige beimaß. Und er erklrt zum Teil auch die spezielle Bedeutung der „weißen“ Bevçlkerung, die aus der imperialen Metropole nach Indien gekommen war, und deren Privilegierung die indische Entwicklung so deutlich bestimmte. Diese Diskrepanzen relativieren ein Stck weit auch die hnlichkeiten, beispielsweise bei der Etablierung ethnisch differenzierender Mechanismen im mhrischen und im indischen Wahlrecht. Trotz dieser Unterschiede kann man aber hnliche Fragen an beide Flle richten, insbesondere zum Umgang mit ethnischer Heterogenitt und zu den anerkennend zwischen Hindus und Muslimen oder zwischen Deutschen und Tschechen differenzierenden Mechanismen. Welche Kriterien definierten die jeweiligen Identitten? Reagierten die Verwaltungen mit ihren Unterscheidungen auf bereits vorhandene Differenzen oder produzierten sie diese erst durch ihr Vorgehen? Wieso spielte das Verhltniswahlrecht als Mittel zum Schutz von Minderheiten in Indien eine grçßere Rolle als in sterreich? Und folgten die ethnischen Differenzierungen tatschlich einer etatistischen Gerechtigkeitslogik oder vielmehr dem politischen Kalkl des „divide et impera“

232 Stourzh, Ethnic Attribution. In genau entgegengesetzter Richtung argumentiert King, S. 15: „In becoming a legal category, nationhood had to loose some of its ethnic essence.“

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aufseiten der Regierungen?233 Diesen Fragen soll die folgende Analyse der Erfassung und Zuschreibung ethnischer Identitten in beiden Vergleichsfllen nachgehen. Die Produktion ethnischer Differenzen „von unten“ und „von oben“ Die vorliegende Arbeit betrachtet ethnische Differenzen als gewordene und gemachte und sie distanziert sich von essenzialistischen Theorien. ber weite Strecken sind fr die Untersuchung jedoch die Vorstellungen der Akteure ausschlaggebend, welche die Entwicklung des Rechts und der administrativen Praxis bestimmten. Diese gingen meist von der gleichsam natrlichen Gegebenheit ethnischer Identitten aus. Das Folgende will dagegen nach der Produktion und der Konstruktion ethnischer Unterschiede fragen. Denn um die These des „divide et impera“ bewerten zu kçnnen, muss man untersuchen, wie die Teilungen, die das Herrschen angeblich erleichterten, zuallererst entstanden. Dabei kann man zwischen zwei Aspekten der Differenzenproduktion unterscheiden, die entweder Identittsbildungsprozesse „von unten“ oder die Durchsetzung kategorialer Unterscheidungen „von oben“ betonen.234 In Indien waren vor allem zwei ethnische Differenzpaare fr die Entwicklung des Rechts und der administrativen Praxis entscheidend: die Gegenberstellung von „Europeans“ und „natives“ sowie die Unterscheidung von „Muslims“ und „Hindus“. Die Formierung und Durchsetzung der religiçs fundierten Identitten „der Muslime“ und „der Hindus“, die zunehmend einen ethnischen Charakter annahmen, hat die Forschung bereits eingehend untersucht. Dabei spielten erinnerungspolitische Initiativen zur Etablierung nationaler Feste, religiçse Reformbewegungen, Auseinandersetzungen auf kommunaler Ebene und Konflikte mit der britischen Kolonialobrigkeit eine große Rolle.235 Die politischen und kulturellen Diskrepanzen zwischen den beiden sich in wechselseitiger Abgrenzung voneinander formierenden ethnischen Gruppen waren hufig mit dem Schutz oder der Schlachtung von Khen, mit der Ausdifferenzierung der beiden Schriftsprachen Hindi und Urdu und mit der politischen Reprsentation auf kommunaler Ebene ver233 Die Fragen sind miteinander verknpft. In der Historiografie zum indischen Fall gilt Robinson als ein Vertreter der These, dass die Regierung den Unterschied zwischen Hindus und Muslimen vorfand. Dementsprechend lehnt er die divide et impera These ab, die davon ausgeht, dass die Briten nicht ein gespaltenes Land regierten, sondern die Bevçlkerung spalteten, um sie besser regieren zu kçnnen. 234 Barkey u. Hagen, Conclusion, S. 187, unterscheiden zwischen einer fr Westeuropa typischen Nationalisierung „from below“ und einer fr Osteuropa charakteristischen „from above“. Die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit zeigen, dass diese kontrastiv vergleichende These nicht haltbar ist. 235 Zur Erinnerungspolitik und Konstruktion nationaler Helden und Narrative trugen beispielsweise die von G. Tilak 1893 initiierten Feste zur Erinnerung an Shivaji bei, einen „MarathaFhrer“ aus dem 17. Jahrhundert. Cohn, India, S. 55. Zu den religiçsen Reformbewegungen s. Cohn, The Census, S. 27 f.

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knpft.236 Die Beitrge zur Konstruktion ethnischer Identitten „von unten“ speisten sich also aus verschiedenen Quellen. Dabei kam es zu einer zunehmenden Essenzialisierung der je eigenen Kultur, welche die Akteure immer mehr als objektiv von außen beobachtbare und feststellbare Entitt verstanden. Diese Entwicklung grndete letztlich in einer vernderten Eigenwahrnehmung der kolonialen Bevçlkerungen.237 Einige Anstze betonen dagegen „the structure of the colonial political system“ als wesentlichen Faktor fr die Etablierung von „Muslims“ und „Hindus“ als ethnischen Gruppen.238 Whrend weitgehende Einigkeit darber besteht, dass die britische Herrschaft in Indien zur Ethnisierung beitrug, ist umstritten, ob sie gezielt eine Politik des „divide et impera“ verfolgte. Diese These vertritt Michael Mann: „These communal identities and distinctions drove a wedge between the colonized groups and prevented them identifying the British as their common enemy.“239 Zwar brachten die Konflikte mit der britischen Kolonialobrigkeit im frhen 20. Jahrhundert, beispielsweise die Auseinandersetzung ber die Teilung Bengals oder die sogenannte „swaraj campaign“, also die Bewegung fr Selbstregierung, durchaus eine Verstrkung der ethnischen Differenz zwischen „Hindus“ und „Muslims“ mit sich.240 Aber gleichzeitig trugen diese Konflikte und die damit verbundene Abgrenzung von den britischen Kolonialherren auch zur Etablierung einer indischen Identitt bei, die sowohl „Hindus“ als auch „Muslims“ annehmen konnten. Die Politik der Regierung zeitigte also keine eindeutigen Auswirkungen. Einerseits betrachteten und beschrieben die britischen Administratoren die indische Nationalbewegung vorzugsweise als ethnisch gespalten und in traditionalen Kommunalismen verhaftet. Sie behaupteten, dass in Indien keine mit westlichen, modernen und integrativen Nationalismen vergleichbare politische Bewegung existierte.241 Andererseits betonte die administrative Praxis die Unterscheidung von „Europeans“ und „natives“ in mindestens ebenso starkem Maß wie die Differenz zwischen „Muslims“ und „Hindus“. Gleichzeitig verstrkten die ußerungen und Aktivitten der „europischen“ 236 Bose, S. 108. Robinson, Municipal Government and Muslim Separatism, S. 73 und 89 f. Die Rolle sozialer Unterschiede in diesen Differenzierungsprozessen betonen – insbesondere mit Blick auf die muslimischen Großgrundbesitzer in Nordindien – Robinson, Separatism among Indian Muslims, S. 66 f. und Bose, S. 118. 237 „Colonial peoples … begun to think of themselves in different terms“. Cohn, The Census, S. 28 f. 238 Metcalf, Ideologies, S. 186. 239 Mann, Torchbearers, S. 15. Auch andere unterstellen der britischen Verwaltung spaltende Intentionen s. Waligora, S. 143. Bose, S. 118. Einige Anstze bezweifeln dagegen, dass die britische Kolonialverwaltung die Herausbildung der ethnischen Differenz zwischen „Hindus“ und „Muslims“ bewusst fçrderte. Robinson, Separatism among Indian Muslims, S. 345 f. Cohn, The Census, S. 38 f. 240 Dazu und zur Rolle terroristischer Bewegungen s. Cohn, India, S. 106. Metcalf, Ideologies, S. 222. Bose, S. 106. 241 Fischer-Tin, National Education, Pulp Fiction, S. 247.

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ffentlichkeit in Indien den Unterschied zwischen „weiß“ und „nicht-weiß“, beispielsweise in der Debatte ber die Ilbert-Bill. In umgekehrter Richtung reproduzierten die Proteste von Vertretern der indischen Nationalbewegung gegen die Diskriminierungen ebenfalls die Unterscheidung von „Europeans“ und „natives“. Postkoloniale Anstze unterstreichen diese Transferprozesse, in denen die kolonialen Untertanen Vorstellungen und Wahrnehmungsmuster, welche die imperialistische Herrschaft prgten und legitimierten, bernahmen, bersetzten, vernderten und mit anderen Konzepten vermischten. Aus dieser Perspektive war der Begriff der nationalen Identitt selbst im indischen Kontext das Ergebnis von bertragungen, Adaptionen und Hybridisierungen. Die „divide et impera“ These ist also einerseits problematisch, weil sie der britischen Kolonialregierung ein zu planvolles Handeln unterstellt. Selbst wenn einige Administratoren die Differenz zwischen „Hindus“ und „Muslims“ gezielt verstrken wollten, waren diese Bestrebungen Teil einer insgesamt nicht konsistenten Politik. Andererseits unterschtzt die These vom Teilen, um zu herrschen, die Handlungsspielrume der kolonialen Bevçlkerungen, denen man nicht ohne Weiteres Identitten verordnen konnte. Die politische Absicht, durch die Spaltung der Bevçlkerung die Herrschaft zu sichern, kann die Etablierung der ethnischen Differenz zwischen „Hindus“ und „Muslims“ allenfalls teilweise erklren. Dennoch spielten Mechanismen der Differenzproduktion „von oben“ eine bedeutende Rolle. Das gilt insbesondere fr die in den Volkszhlungen verwendeten Identittskategorien (s. Karte 2.1 und 2.2).242 Diese bezogen sich sowohl auf die ethno-religiçsen Differenzen innerhalb der indischen Bevçlkerung als auch auf „rassische“ Zuordnungen, wobei die Statistiker Letztere im Verlauf der vier Zhlungen zwischen 1881 und 1911 immer detaillierter ausarbeiteten. Vor 1900 wandte man „rassische“ Kategorien vor allem bei der Erfassung der christlichen Bevçlkerung an und unterschied dabei zwischen „European“, „Eurasian“ und „Native“.243 Die Zwischenkategorie „Eurasian“, mitunter ist auch von „mixed race“ die Rede, verweist bereits auf die Unmçglichkeit einer klaren Trennung zwischen „Weißen“ und „Nicht-Weißen“. Nach 1900 unterschieden die Volkszhlungen innerhalb der indischen Bevçlkerung zustzlich zwischen sieben „rassischen“ Typen, die man an der variierenden Intensitt der blauen Hautpigmentierung erkennen wollte.244 242 Zur Rolle von Volkszhlungen fr ethnische und „rassische“ Differenzierungen s. Jenkins, S. 69 f. 243 London, IOR, V/15/18, Report of the Census of British India, 1881, S. 39. Ebd., V/15/33, General Report of the Census of India, 1891, S. 495 f. 1881 unterschied man bei der Erfassung der Sprachkenntnisse zwischen Englisch sprechenden und „purely British“ Personen. Ebd., S. 223 f. 244 London, IOR, V/15/89, Report of the Census of India, 1911, S. 383 f. s.a. ebd., V/15/18, Report of the Census of India, 1901. Zu den Volkszhlungen in Indien im Allgemeinen s. Cohn, India, und ders., The Census. Zur Rolle von „Rasse“ in den indischen Volkszhlungen s. Bayly.

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Karte 2.1 und 2.2: Territoriale Verteilung ethno-religiçser Differenzen: „Maps showing the distribution of Hindus and Muhammadans“, aus: Census of India, 1911, Bd. 1, Report, Calcutta 1913, S. 119 und 128.

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„Rassische“ Kategorien gewannen also im spten 19. und frhen 20. Jahrhundert an Relevanz: „Cultural differences, which had predominated British perceptions of India in the 18th and the first half of the 19th centuries were gradually replaced by a racial concept to explain the superiority of European over Asian people.“245

Diese Entwicklung grndete einerseits in dem Versuch, die imperialistische Machtasymmetrie zwischen „Europeans“ und „natives“ in eine rassistische Hierarchie zu bersetzen und sie dadurch zu naturalisieren.246 Allerdings war die zunehmende Bedeutung „rassischer“ Kategorien nicht allein dieser Absicht geschuldet. Um die Jahrhundertwende begann man ebenfalls, innerhalb der indischen Bevçlkerung rassistisch zu hierarchisieren. Dabei verknpften die Volkszhlungskategorien das sogenannte Kastensystem mit einer „rassischen“ Ordnung und erklrten die existierende gesellschaftliche Hierarchie mit dem Grad der „arischen Abstammung“.247 Diese Schematisierung, die auch religiçse Differenzen mit einbezog, betrieben die britischen Administratoren mit großem Aufwand. Sie waren davon berzeugt, dass sie die Bevçlkerung desto besser regieren kçnnten, je genauer sie diese einteilten. Dieses Projekt kann man als koloniale Umsetzung eines wesentlich auf „Rasse“ bezogenen enzyklopdischen Ordnungswillens interpretieren. Allerdings produzierte die Etablierung eines einheitlichen Differenzensystems in erster Linie Verwirrung. Einerseits sperrten sich die verschiedenen Kategorien gegen eine konsistente Zusammenfassung. Andererseits kollidierte der administrative Ordnungswille mit dem Handlungs- und Interpretationsspielraum der zu Erfassenden. Beispielsweise fhrten Gerchte, dass die Volkszhlungen Zwangsrekrutierungen oder steuerlichen Zwecken dienten, zur Verzerrung der Ergebnisse:

245 Mann, Torchbearers, S. 22. Ebd., S. 22 f, betont Mann allerdings auch die „inconsistencies of colonial concepts and constructions“ und die Vermischung von „Rasse“ und Kaste als Ordnungskategorien im britischen Verstndnis der indischen Gesellschaft als stark differenziert und hierarchisiert. Zur Rolle des sogenannten Kastensystems in der kolonialen Politik s. Waligora. Cohn, The Census. 246 „Although these categories may appear to have represented ,natural‘ differences of race or national origin, there was nothing natural or fixed about them. There was a constant need, therefore, to define and redefine the coloniser and the colonised.“ Sinha, M., S. 1. Collingham, S. 8. 247 „In the 1901 census, which was done under Risley’s direction, the questions of caste precedence and of race came together and Risley felt that through anthropometric measurement he had confirmed his hypothesis that social precedence was based on a scale of racial purity.“ Cohn, The Census, S. 43. Zu Herbert Risley und zur Bedeutung „rassischer“ Kategorien um 1900 s. Waligora, S. 149 f. Mann, Torchbearers, S. 23. Bayly, S. 127. Zur Konstruktion eines einheitlichen sozialen Klassifikationsschemas durch die britische Kolonialverwaltung s. Juneja u. Pernau, Einleitung, S. 41 f.

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„One report circulated that England had gotten so hot that the Queen desired that two virgins might be sent from each village to fan her day and night and the census was merely a subterfuge for the Queen’s orders.“248

Außerdem benutzten verschiedene Gruppen innerhalb der indischen Bevçlkerung die kolonialen Kategorisierungen, um in der neuen Hierarchie ihren bisherigen sozialen Status zu verbessern.249 Die Etablierung neuer Differenzmuster war ein umwegreicher Prozess, der langfristig verschiedenste Wirkungen entfaltete.250 Trotz dieser Ambivalenzen und Uneindeutigkeiten produzierten die Volkszhlungen letztlich ethnische Differenzen „von oben“ und verstrkten sowohl die Unterscheidung von „weiß“ und „nicht-weiß“ als auch die zwischen „Hindus“ und „Muslims“. Dabei vermischte sich die Implementierung ethnischer Differenzmuster „von oben“ mit Identifizierungsprozessen „von unten“. In diesem Wechselspiel etablierten sich langfristig neue Muster der Fremd- und Eigenwahrnehmung. Volkszhlungskriterien: „Rasse“ im Britischen Weltreich und Sprache in sterreich Auffllig ist im indischen Fall die zunehmende Bedeutung „rassischer“ Kategorien im Volkszhlungswesen. Diese Tendenz prgte auch die Statistiken, welche die Bevçlkerung des Britischen Weltreichs zahlenmßig zusammenfassten. Die erste reichsweite Zhlung fand 1871 statt. Sie beruhte auf keinem einheitlichen Schema ethnischer Differenzierung. In Kanada unterschied man zwischen „inhabitants … of English, … Welsh, … Scotch, … Irish, … Dutch, … German [and] … French nationality ; … Africans [and] Indians“. In den „West African settlements“ trennten die Statistiker zwischen „white“ und „black and coloured“. Die Bevçlkerung des Vereinigten Kçnigreichs setzte sich dem Bericht zufolge aus „Angles or Saxons, Scandinavians, and Celts, all of the Aryan stock“ zusammen.251 Zehn Jahre spter erfasste die Zhlung 248 Cohn, The Census, S. 37. 249 „[T]he formation of caste sabbas [eine Art Kastenvertretung, d. Vf.] and their petitions to have their caste status changed indicate this.“ Cohn, The Census, S. 44. Die Zuordnung zu einer Kaste hatte Konsequenzen fr mçgliche militrische Karrieren, fr Stipendien und fr andere Formen des Zugangs zu finanziellen Ressourcen. Bose, S. 108. Bayly, S. 122. Waligora, S. 143. 250 Insbesondere Cohn, The Census, S. 43 f, verweist auf die Rolle der langen Dauer. Zunchst drften sich die verwendeten Kategorien vor allem auf die Vorstellungen der beteiligten Administratoren ausgewirkt haben, da die einzelnen Personen in Indien nicht befragt wurden, sondern Verwaltungsbeamte die Listen ausfllten. Erst in allmhlichen Prozessen, in deren Verlauf die anfnglichen Ordnungsschemata in vielgestaltiger Weise umgeformt, adaptiert und interpretiert wurden, wirkten sie sich auf das Selbstverstndnis breiterer Bevçlkerungsschichten aus. 251 London, PRO, RG 30/4, Census for England and Wales, 1871, Bd. IV, S. IX, LXXVIf und 303.

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lediglich die Anzahl der Bewohner der verschiedenen Kolonien, ohne diese nach ethnischen Kriterien zu differenzieren. In den Berichten fr die Jahre 1891 und 1901 waren nur die „natives of the United Kingdom“ getrennt von den restlichen kolonialen Bevçlkerungen ausgewiesen, woraus man indirekt auf das Verhltnis zwischen „weißen“ und „nicht-weißen“ Bewohnern schließen konnte.252 Diese impliziten Angaben zu „rassischen“ Unterschieden waren der Statistischen Gesellschaft in London nicht przise genug. In einer Denkschrift von 1907 forderte sie eine detailliertere Differenzierung nach „rassischen“ Kriterien und genauere Datenerhebungen insbesondere zur „British and other white population“ in den Kolonien.253 Diesen Forderungen entsprach die Zhlung von 1911 insofern, als der Bericht eine Tabelle zur „Population distributed according to certain races“ enthielt. Diese unterschied zwischen „Europeans (or Whites)“, „Native Races“, „Half-Castes (or Mixed Races)“, „Indians“, „Chinese“, „Other Coloured Races“ und „Race not Stated“. Außerdem erfasste die Zhlung fr das Vereinigte Kçnigreich die „natives of India and Ceylon of Asiatic origin … separately from those of European parentage“. Fr Ostafrika trennte sie innerhalb der nicht indigenen Bevçlkerung die „Europeans“ von den „Asiatics“.254

Abb. 3: Die Przisierung der Volkszhlungsverfahren: Maschinenlesbare Volkszhlungskarte aus dem Vereinigten Kçnigreich, 1911, aus: London, PRO, RG 27/7.

252 London, PRO, RG 30/5 (1881). Ebd., RG 30/6 (1891). Ebd., RG 30/7 (1901). 253 London, PRO, RG 19/45, Memorandum der Statistischen Gesellschaft zur Vorbereitung der Volkszhlung von 1911, S. 122 f. „The omission (of the distinction of white and coloured) is the more significant as it represents a concession to racial sentiment of comparatively recent development, whether connected with the Ethiopian movement or not, does not, of course, appear in the reports.“ Ebd. 254 London, PRO, RG 30/8 (1911), S. 216, 292 und 370 f.

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Die frhen Zhlungen verwendeten also ungenaue und uneinheitliche Differenzmuster. Spter verzichtete die Statistik ganz auf diese. Erst im frhen 20. Jahrhundert fhrte man – auch auf Druck einer wissenschaftlichen ffentlichkeit – „rassische“ Kategorien in die reichsweiten Volkszhlungen ein. Dabei stand zunchst die Unterscheidung zwischen „Weißen“ und „NichtWeißen“ im Zentrum, die spter durch die Einfgung der Kategorie „Asiatics“ ergnzt wurde. Zugleich verschoben sich die Kriterien der Differenzierung von der geographischen Herkunft – „natives of the United Kingdom“ – ber die Abstammung – „European parentage“ – zu dezidiert rassistischen Konzepten – „Europeans (or Whites)“.255 Die Logik der imperialistischen Diskriminierung brachte die bipolare Differenz zwischen „Weiß“ und „Nicht-Weiß“ am deutlichsten zum Ausdruck. Diese reproduzierte die koloniale Machtasymmetrie. Auch die unterschiedenen Identittspositionen waren asymmetrisch konstruiert. Denn die „NichtWeißen“ nahmen, wenn man den Ausdruck ernst nimmt, innerhalb des Gegensatzpaares gar keine Identittsposition ein. Diese Gruppe wurde ausschließlich negativ ber ihre Nicht-Zugehçrigkeit zu den „Weißen“ definiert, welche demnach als Einzige eine Identitt im eigentlichen Sinn gleichsam besaßen.256 Weitere Unterscheidungen innerhalb der „Nicht-Weißen“ destabilisierten diese ungleiche Differenz zunchst nicht, solange die Unteilbarkeit und Eindeutigkeit der „weißen“ Identitt unangezweifelt blieb. Allerdings brachte eine zu hohe Anzahl von „nicht-weißen“ Kategorien die Bipolaritt der Differenz ins Wanken. Denn einerseits konnten dadurch auf der negativ definierten Seite der Dichotomie positive Identitten entstehen. Und andererseits drohte die Besonderheit der „Weißen“ in der Vielfalt der Differenzen verloren zu gehen. Die Entwicklung in Indien verdeutlicht diesen Vorgang. Whrend die Debatte ber das Strafprozessrecht im spten 19. Jahrhundert noch dichotomisch zwischen „Europern“ und „Nicht-Europern“ unterschied, machten die Reformen von 1918/19 die „Europer“ zwar zu einer privilegierten, aber eben zu einer Gruppe unter vielen. In sterreich spielten bipolare Dichotomien dagegen kaum eine Rolle. Stattdessen dominierten multipolare Differenzmuster. Diese beruhten auf den Sprachen als entscheidendem Kriterium fr die Produktion ethnischer Unterschiede. Da die Dichotomie zwischen Sprache und Nicht-Sprache unter Menschen sinnlos ist, wies die linguistische Differenzierung zwangslufig jeder Gruppe eine positive Identitt zu. Sprachliche Kriterien dominierten das çsterreichische Volkszhlungswesen. Rassistische Unterscheidungen, wie die zwischen „Ariern“ und „Juden“, die in den zeitgençssischen Debatten eben-

255 Dazu s.a. die Protokolle zweier Konferenzen zur Vorbereitung reichsweiter Volkszhlungen in London, PRO, RG 19/45 und RG 19/5. 256 Zur Bipolaritt der Unterscheidung s. Amesberger, S. 136. Sippel, Die Klassifizierung. Grundlegend zur dialektischen Asymmetrie des Gegensatzes s. Fanon.

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falls eine Rolle spielten, waren dagegen bedeutungslos.257 In der Zhlung von 1846 unterschied die Statistik noch zwischen Slawen und Romanen, Deutschen und „Angehçrige[n] ,asiatischer Stmme‘ (Magyaren, Juden, Zigeuner und Armenier)“.258 In der zweiten Hlfte des 19. Jahrhunderts setzten sich jedoch rein sprachliche Merkmale fr die Erfassung der „Volkszugehçrigkeit“ oder der „Nationalitt“ durch. Dabei spielten die Internationalen Statistischen Kongresse 1860 in London und 1872 in St. Petersburg eine entscheidende Rolle. Letzterer beschloss „die Sprachenerhebung als obligates Erhebungsmoment bei der Volkszhlung“.259 Allerdings legte der Beschluss nicht fest, ob die Sprache als Indikator der ethnischen oder nationalen Identitt gelten sollte. Innerhalb des Habsburgerreichs kann man dazu zwei Positionen unterscheiden. Einerseits sprachen sich insbesondere ungarische Vertreter im spten 19. Jahrhundert fr ein politisches Verstndnis der nationalen Zugehçrigkeit aus. Dieses betonte die Bedeutung der historisch gewachsenen Teile der Monarchie und schloss die Vorstellung einer mehrsprachigen „Nation“ nicht aus.260 Andererseits betonten Volkskundler die Relevanz nicht-sprachlicher Kriterien wie „gleicher Abstammung …, Gemeinsamkeit von Land, Race, Sprache, Gewohnheiten, Geschichte, Gesetzen und Religion“ fr die Feststellung ethnischer Zugehçrigkeit.261 Deswegen stellte die Sprache einen in den Augen vieler Statistiker unzureichenden Indikator fr die Feststellung der „Nationalitt“ dar. Sie betrachteten das sprachliche Kriterium gleichsam als Surrogat fr das, was sie eigentlich erfassen wollten. Die Durchsetzung linguistischer Kriterien bedeutete also keineswegs, dass „rassische“ Kategorien im çsterreichischen Fall vçllig irrelevant gewesen wren. Ein Gutachten fr die Statistische Permanenzkommission von 1874 unterstrich vielmehr die Bedeutung der „Rasse“. Allerdings, so der Gutachter Glatter, sei die „rassische“ Zugehçrigkeit objektiv schwer feststellbar, weswegen er sich stattdessen in einer berraschenden argumentativen Wendung fr die Erhebung des „nationalen Bekenntnisses“, also des subjektiven Zugehçrigkeitswillens, als Kriterium der ethnischen Identitt aussprach.262 257 Die erste explizit die „Rasse“ erfassende Volkszhlung fand 1923 in der Ersten Republik statt. Pircher, S. 106. 258 Brix, S. 75. 259 Brix, S. 83. s.a. ebd., S. 24 und 27 f. 260 Diese Position vertrat vor allem Josef Eçtvçs. Dennoch wurde in Ungarn ab 1880 die „Muttersprache“ in den Volkszhlungen erhoben. Brix, S. 14 und 80. 261 Russ, S. 5. s.a. Brix, S. 16 und 28. Zur Rolle der Ethnografie in der Differenzproduktion s. Bendix. 262 Brix, S. 96 f. Zur Bedeutung rassistischer und sozialdarwinistischer Theorien in der çsterreichischen Statistik s. ebd., S. 14 und 28. Auch der Verwaltungsgerichtshof betrachtete sprachliche Kriterien im Jahr 1881 mit Skepsis: „das … Tatbestandsmoment der Nationalitt [kann] den Volkszhlungsdaten berhaupt nicht entnommen werden, weil die Nationalitt als solche keinen Gegenstand der Volkszhlungsausweise bildet.“. Zit. nach Stourzh, Die Gleichberechtigung der Nationalitten, S. 74.

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Damit ist die zweite Frage angesprochen, die der Internationale Statistische Kongress von 1872 offen ließ. Glatters Gutachten beschftigte sich mit dem Problem, welche Sprache man erheben sollte: die „Muttersprache“ oder die „Umgangssprache“. Der einflussreiche çsterreichische Statistiker Ficker pldierte stattdessen fr die Erfassung der „Familiensprache“, die er als die im huslichen Bereich gesprochene Sprache definierte. Sie bildete nach Ficker einen Mittelweg zwischen der „Muttersprache“, welche das Registrieren von Assimilationsprozessen unmçglich machte, und der in der ffentlichkeit verwendeten „Umgangssprache“, deren Erhebung die Existenz sprachlicher Minderheiten verschleierte.263 Obwohl Wissenschaftler mehrheitlich die „Familiensprache“ als „Erhebungsmoment“ forderten, verfgte die cisleithanische Regierung 1880 die Erfassung der Umgangssprache in den Volkszhlungen.264 Gegen diesen Beschluss, an dem die Behçrden bis 1918 festhielten, protestierten vor allem Vertreter der tschechischen Nationalbewegung, die ohne Erfolg die „Muttersprache“ als Kriterium durchsetzen wollten.265 Die Volkszhlungen zwischen 1880 und 1910 erfassten also die Umgangssprache, wobei die Gezhlten sich fr eine von neun Sprachen entscheiden mussten: Deutsch, Bçhmisch-Mhrisch-Slowakisch, Polnisch, Ruthenisch, Slowenisch, Serbisch-Kroatisch, Italienisch-Ladinisch, Rumnisch und Magyarisch.266 Obwohl die cisleithanischen Behçrden wiederholt betonten, dass diese Angaben allein administrativen Zwecken dienten, wurden die Volkszhlungen dennoch zunehmend von nationalistischen Auseinandersetzungen begleitet und „als Ausdruck des Kampfes um nationale Suprematie“ verstanden.267 Die Vertreter der Nationalbewegungen fhrten „Einzelgefechte[n] um Haushaltungen, Familien, einzelne Seelen“, die entscheidend zur Strkung ethno-nationaler Differenzen beitrugen. Denn die Volkszhlungen zwangen Personen und Gruppen, die sich bisher nicht als einer bestimmten Nation zugehçrig betrachtet hatten, zur Angabe ihrer ethno-nationalen 263 Brix, S. 74. Ficker war seit 1873 Prsident der çsterreichischen Statistischen Zentralkommission und starb 1880. Ebd., S. 71. Zu seinem Gutachten von 1874, das sich deutlich von Glatters Meinung absetzte s. ebd., S. 94. Zu Volkszhlungen und Sprachenfrage s. Judson, Guardians of the Nation. 264 Brix, S. 98 f. s.a. Pircher, S. 104. 265 Brix, S. 63, 89 und 100. Die Volkszhlung von 1880 wurde als die erste „Nationalittenzhlung“ bezeichnet. Russ, S. 6. 266 Stourzh, Die Gleichberechtigung der Nationalitten, S. 82. Walz, S. 141. Brix, S. 100. Cohen, G., Nationalist Politics. In sterreich fllten, wie in Indien, „Zhlkommissre“ die Erfassungsbçgen aus. Lediglich in einigen Stdten berließ man die Eintragungen zunehmend den Befragten selbst. 1890 kam zudem erstmals eine „elektrische Zhlmaschine“ zum Einsatz. Brix, S. 30 f. Eine maschinenlesbare Volkszhlungskarte aus dem britischen Kontext zeigt Abbildung 3. 267 Brix, S. 29. s.a. ebd., S. 15 und 41. Die Volkszhlungsergebnisse wirkten sich sowohl auf die Feststellung der „Landesblichkeit“ einer Sprache in den einzelnen Kronlndern als auch auf die Berufung von Beamten, Richtern und Lehrern in bestimmten Regionen aus. Daraus resultierte das Interesse verschiedener Gruppen daran, auf die Ergebnisse Einfluss zu nehmen. Ebd., S. 39 und 60 f.

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Identitt.268 Als mehrsprachig durften sich die Gezhlten nicht bezeichnen, wodurch die Statistik polyvalente Identitten verdrngte. Außerdem schrnkte die staatliche Normierung die mçglichen nationalen Zuordnungen auf neun Kategorien ein und behinderte dadurch die Formierung anderer ethno-nationaler Einheiten.269 Insbesondere anerkannte die offizielle Erfassung die jdische nicht als eigenstndige Identitt. Mehrere çsterreichische Juden, die in der Volkszhlung von 1910 Jiddisch als ihre Sprache angegeben hatten, wurden mit Verwaltungsstrafen belegt. Obwohl ihr Vertreter vor Gericht darlegte, dass der jdische Volksstamm „von einer Reinheit der Abstammung [sei], deren sich kein anderes Volk rhmen kçnne“, entschied das Gericht, dass das Jiddische lediglich ein Dialekt sei. Deswegen kçnnten die Juden mangels einer einheitlichen nationalen Sprache nicht als „Volksstamm“ im Sinn des çsterreichischen Rechts gelten.270 Die nationalistischen Konflikte und das von manchen als unzureichend empfundene Differenzenschema trugen dazu bei, dass die Gezhlten die Angabe ihrer „Umgangssprache“ im frhen 20. Jahrhundert zunehmend als Ausdruck ihres subjektiven Bekenntnisses zu einer Nation verstanden. Diese Praxis unterlief den Willen der Brokratie, die sprachliche Zusammensetzung der Bevçlkerung objektiv zu erfassen.271 Feststellung individueller Zugehçrigkeit: Rechtsregeln oder Verwaltungsentscheidungen Whrend im çsterreichischen Volkszhlungswesen nach der Jahrhundertwende die subjektive Dimension der ethnischen Zugehçrigkeit strker zur Geltung kam, entwickelte sich die Feststellung der ethnischen Zugehçrigkeit von Einzelpersonen in entgegengesetzter Richtung.272 Die Trennung von Schul- und anderen Behçrden sowie der Wahlkçrper nach ethno-nationalen Kriterien erforderten die Feststellung der individuellen Zugehçrigkeit.273 Zunchst legten die diesbezglichen Gerichtsentscheidungen großen Wert auf 268 Brix, S. 14. s.a. ebd., S. 114. Demgegenber betonen Judson, Guardians of the Nation, und Zahra die fortdauernde Bedeutung nationaler Indifferenz in der Bevçlkerung. 269 „[D]ie Ladiner in Tirol erfahren Aehnliches, wie nicht minder die Slovaken, so dass die offizielle çsterreichische Statistik die Einen zu der italienischen, die anderen zu der ,bçhmischmhrischen‘ Nationalitt zhlt.“ Russ, S. 8. s.a. Brix, S. 110. 270 Zit. nach Stourzh, Die Gleichberechtigung der Nationalitten, S. 79 f. s.a. Walz, S. 131 und 142. Die Frage, ob die Juden eine eigene Nationalitt bildeten, war besonders komplex und umstritten, weil die jdischen sterreicher sich selbst darber uneinig waren. Whrend, grob gesprochen, orthodoxe Juden auch im Sinne des politischen Zionismus ihre nationale Eigenstndigkeit betonten, neigten liberale Juden dazu, ihre Identitt rein religiçs-konfessionell zu definieren und die deutsche als ihre nationale Zugehçrigkeit zu betrachten. Walz, S. 119 f. 271 In diesem Sinn schlug man auch vor, dass die Angabe der Umgangsprache ganz hnlich wie bei einer Wahl einzeln und geheim erfolgen sollte. Brix, S. 52 f. 272 Brix, S. 30, 46 und 53 f. 273 Stourzh, Die Gleichberechtigung der Nationalitten, S. 14.

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die Sprache und auf das subjektive Bekenntnis der betroffenen Personen.274 Um die Jahrhundertwende ging man jedoch auf vermeintlich objektivere Kriterien ber. Ein wesentlicher Grund dafr war die Sorge, dass Nicht-Nationszugehçrige durch absichtlich falsche Angaben die Behçrden oder die Wahlkçrper der anderen Nationalitt gleichsam unterwandern kçnnten. Neben der Sprache spielte deswegen die Abstammung eine immer grçßere Rolle.275 Außerdem zog man auch Indikatoren fr die sogenannte nationale Gesinnung der Betroffenen – ihr Engagement in nationalen Vereinen, ihre çffentlichen ußerungen oder die Schulwahl fr ihre Kinder – als objektiv feststellbare Kriterien heran, um strittige Flle zu entscheiden. Diese Tendenz zur Objektivierung der ethno-nationalen Zuordnung beschleunigte insbesondere der Mhrische Ausgleich von 1905. In Mhren fhrten die Behçrden sogenannte nationale Matrikeln und ein gesetzlich normiertes Verfahren zur Feststellung der ethno-nationalen Zugehçrigkeit ein. Die lokalen Behçrden teilten die Bevçlkerung in eine deutsche und eine tschechische Liste ein. Gegen ihre eigene und die Zuordnung anderer konnten die Staatsbrger Einspruch erheben. Nach Abschluss des Verfahrens galt die in den Listen festgeschriebene Nationalitt als rechtlich verbindlich. Im Vorfeld der Wahlen zum Reichsrat von 1907 gingen bei den mhrischen Behçrden nicht weniger als 3000 Beschwerden ber angeblich falsche ethno-nationale Zuordnungen ein. Die Beschwerdefhrer brachten ihre Klagen teilweise erfolgreich bis vors Reichsgericht. Daraufhin entwarf die Statthalterei einen Fragebogen, der anhand objektiv berprfbarer Sachverhalte die nationale Identitt erfassen und den administrativen Aufwand in der Zukunft verringern sollte.276 Whrend in sterreich komplexe brokratische Mechanismen und rechtliche Regelungen die Feststellung der ethno-nationalen Zugehçrigkeit ermçglichten, lçsten die britischen Behçrden dasselbe Problem auf andere Weise. Zum einen rckten sie nicht auf die einzelne Person bezogene Kriterien, wie das nationale Bekenntnis, das politische Engagement oder die Sprache ins Zentrum, sondern machten vor allem die territoriale Herkunft der Individuen, also entweder deren Geburtsort oder Wohnsitz, zum entscheidenden Kriterium. Eine Aufteilung der Bevçlkerung nach personalen Kriterien, wie man sie in Mhren praktizierte, wre in vielen Teilen des Britischen Weltreichs aufgrund der deutlich weitmaschigeren Verwaltungsstruktur nicht durchfhrbar gewesen. Deswegen rumten die Montagu-Chelmsford-Reformen dem Verhltniswahlrecht als Mittel des Minderheitenschutzes grçßere Bedeutung ein, als ihm in sterreich zukam. Denn im Vergleich zu anerken274 1881 entschied der Verwaltungsgerichtshof, dass Alois Formanek Deutscher sei, vor allem auf Grundlage der Tatsache, dass sich Formanek selbst als Deutscher bezeichnete. Ebd., S. 203. Stourzh bezeichnet diese Entscheidung als die „erste Bestimmung der ,Nationalitt‘ im altçsterreichischen Nationalittenrecht“. s.a. Brix, S. 29 und 48. 275 Baier, S. 72. Stourzh, Die Gleichberechtigung der Nationalitten, S. 206 f. 276 Stourzh, Ethnic Attribution, S. 74 f. Brix, S. 50 f.

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nenden, personalen Differenzierungen verursachte die Proportionalwahl deutlich weniger administrativen Aufwand. Außerdem war im britischen ius soli das Territorialprinzip verankert. Seinen Ausdruck fand es beispielsweise in der Definition der „European British subjects“ im indischen Strafprozessrecht: „The expression ,European British subjects‘ means in this Act: All subjects of Her Majesty, born, naturalized or domiciled in the United Kingdom of Great Britain and Ireland, or in any of the European, American, or Australian Colonies or Possessions of Her Majesty, or in the Colony of New Zealand, or in the Colony of the Cape of Good Hope or Natal. The children or grandchildren of any such person by legitimate descent.“277

Die geografische Herkunft aus Europa oder einem der Dominions sowie – zeitlich verlngert – die Abstammung von jemandem, der in diesen berwiegend von „Weißen“ bewohnten Territorien geboren war, diente als Kriterium der rechtlichen Zuordnung. Auf gleiche Weise definierten die Vorschlge des Southborough Komitees den Begriff „European“. Dabei bezogen sie allerdings neben der territorialen Dimension auch das Kriterium „European descent“ mit ein.278 Letztlich zielten diese rechtlichen Differenzierungen also auf „rassische“ Unterschiede. Deswegen ist neben den formal-rechtlichen Bestimmungen vor allem die Frage interessant, wie die Behçrden in der Praxis die ethnische Identitt von Einzelpersonen bestimmten. Die im indischen Strafprozessrecht vorgesehene Unterscheidung zwischen „europischen“ und anderen Geschworenen, beispielsweise, beruhte auf einer Liste, welche der Collector, also der Fiskalbeamte des jeweiligen Distrikts, anfertigte. Dieses Verzeichnis hielt fest „if the person belongs to either of the races“. Es wurde publiziert, und ganz hnlich wie im çsterreichischen Fall konnte man Einspruch gegen die Auffhrung oder die Nicht-Verzeichnung bestimmter Personen erheben. Allerdings war der Instanzenweg vergleichsweise kurz: „Any order of the Collector … in preparing or revising the list shall

277 India, Act 10 von 1871, ch. 7, sec. 71. Ilbert beschrieb diese Definition mit folgenden Worten: „It will be seen that the definition is somewhat arbitrary and artificial. It includes persons who are neither European nor British. It excludes persons who may be in all essential characteristics Englishmen, but who are not of legitimate descent.“ Indian Legislative Council, Bd. 22, S. 135, 9.3.1883. s.a. Sinha, M., S. 63. 278 „Every person of European descent in the male line, being a British subject and resident in British India, who either was born in or has a domicile in the British Isles, Canada, Newfoundland, Australia, New Zealand or the Union of South Africa, or whose father was so born or has or had, upon to the date of the birth of the person seeking registration as an elector, such a domicile.“ London, IOR, V/26/261/1, Report of the Franchise Committee, 1918 – 19, S. 91. Dieselbe Mischung territorialer und „rassischer“ Kriterien fand sich umgekehrt auch bei der Definition von „natives“ im kolonialen Recht: „,Native‘ means any person not of European descent who is a native of Southern Africa, or Central Africa.“ London, PRO, HO 144/462/ B32357, Matabeleland Order in Council, 1894.

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be final.“279 Zudem brdete das indische Recht in Fllen, in denen die Betroffenen ihre „rassische“ Zuordnung nicht akzeptierten, die Beweislast den Beschwerdefhrern und nicht den Behçrden auf.280 In Indien waren also vor allem die Entscheidungen der lokalen Behçrden ausschlaggebend. Dieses Muster bestimmte auch die Einteilung der ethnisch differenzierten Wahlkçrper in den Jahren 1918/19. Die Erklrung eines Whlers, dass er „European or Anglo-Indian“ sei, sollte der „officer charged with the preparation of the electoral roll“ akzeptieren, „unless he is satisfied that the declaration is not made in good faith“.281 Von Verwaltungsbeamten getroffene Vor-Ort-Entscheidungen prgten die ethnische Zuordnung von Einzelpersonen in Indien. Gleiches gilt auch fr andere Teile des Britischen Weltreichs.282 In sterreich regelten dagegen komplexe und kodifizierte Verfahren die Bestimmung der ethno-nationalen Zugehçrigkeit. Die Feststellung ethnischer Identitten funktionierte in sterreich und in Indien auf signifikant unterschiedliche Weise. Whrend in Cisleithanien personale Merkmale und geregelte Prozeduren die Zuordnung bestimmten, prgten im indischen Fall territoriale Kriterien die rechtlichformale Oberflche, unter der administrative ad hoc Entscheidungen „rassische“ Diskriminierungen implementierten. Diese Praxis beruhte wesentlich auf der Annahme, der Unterschied zwischen „Weißen“ und „Nicht-Weißen“ sei offensichtlich. „This made claims to European status by Indian-looking persons difficult to prove or disprove.“283

279 India, Act 25 von 1861, ch. 23, sec. 329 ff. 280 India, Act 10 von 1872, ch. 2, sec. 83. 281 London, IOR, V/26/261/1, Report of the Franchise Committee, 1918 – 19, S. 91. In gleicher Weise sollte auch ber die Zuordnung von Whlern zur Gruppe der „Sikhs“ entschieden werden. Ebd., S. 7. Teilweise handhabte man die Unterscheidungen nach ethnischen Kriterien innerhalb der „nicht-europischen“ Bevçlkerung sehr informell: „if a voter was challenged by a candidates’ representative … the village headman … would be able to identify him“. London, IOR, Mss. Eur. F 170/47, Select Committee on the Government of India Bill, S. 4. 282 „Uncertain domains of jurisdiction and ad hoc exemptions from the law on the basis of race and cultural difference are guiding and defining imperial principles“. McGranahan u. Stoler, Introduction, S. 10. In der Terminologie der vorliegenden Arbeit msste allerdings von „imperialist principles“ die Rede sein. 283 Hirschmann, S. 7. Nach Sinha, A., S. 75 f, musste man die Abstammung von einem im Vereinigten Kçnigreich geborenen Vater oder Großvater und damit den Anspruch auf den European British subject Status im indischen Strafprozessrecht insbesondere dann dokumentarisch belegen, wenn „the appearance of the prisoner“ nicht berzeugte.

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3. Imperialistische Situationen: Ostafrika und Bosnien 3.1. Koloniale Angehçrigkeit, Migrationsrestriktionen und Anstze einer Anerkennungspolitik in Bosnien und der Herzegowina Bosnien und die Herzegowina waren die einzigen kolonialen Besitzungen der Habsburgermonarchie. Der Berliner Kongress von 1878, der die auf das Osmanische Reich gerichteten Expansionsinteressen der Großmchte miteinander in Einklang bringen sollte, erlaubte sterreich-Ungarn die Okkupation der bisherigen trkischen Provinzen. Nach einem Abkommen zwischen Wien und der Hohen Pforte von 1879 blieb die formale Souvernitt des Sultans ber Bosnien und die Herzegowina bestehen, whrend sterreich-Ungarn die Verwaltung bernahm. Dieses internationale Einverstndnis mit der Okkupation sollte nicht darber hinwegtuschen, dass die Bevçlkerung der beiden Lnder, die an der Entscheidung nicht beteiligt war, Widerstand gegen die Besetzung leistete. Der Kampf gegen die großteils nach Partisanenart organisierten bosnischen Verbnde verzçgerte die habsburgische Landnahme und machte einen massiven Militreinsatz notwendig. Von Anfang an war die çsterreichisch-ungarische Verwaltung Bosniens von Gewalt geprgt. Dieses Mittel setzte die Regierung bei der Niederschlagung des Aufstands gegen die Einfhrung der Wehrpflicht in den Jahren 1881 und 1882 erneut ein. Auch die sptere gezielte Ansiedlung vor allem deutschsprachiger Ungarn in Bosnien und der Herzegowina verdeutlicht den gewaltsamen Eroberungscharakter der habsburgischen Herrschaft. Trotz der Widerstnde gelang es den k.u.k. Einheiten, die çsterreichischungarischen Hoheitsansprche sowie Ruhe, Sicherheit und Ordnung durchzusetzen. Danach ersetzten zivile Administrationsstrukturen allmhlich die militrische Verwaltung. Die Leitung der bosnischen Regierung bernahm das gemeinsame Finanzministerium. Sie beschftigte sich vor allem mit der Schaffung einer effizienten Verwaltung, der Fçrderung der Wirtschaft, dem Ausbau der Infrastruktur und des Schulwesens sowie der Durchsetzung eines Steuersystems, das diese Maßnahmen finanzieren sollte. Bis ins frhe 20. Jahrhundert folgte die bosnische Regierung dabei den Vorgaben Benjamin Kall ys, der von 1882 bis 1903 k.u.k. Finanzminister war. Dieser rechtfertigte die Okkupation Bosniens und der Herzegowina im Namen einer Zivilisierungsmission. Kall y war berzeugt, dass insbesondere Ungarn 151

– gleichsam als Scharnier zwischen Ost und West – die Aufgabe zufalle, den çstlichen Bevçlkerungen die westliche Moderne zu vermitteln. Diese Vermittlungsarbeit bernahm eine weitgehend autokratisch und rational organisierten Verwaltung, die einerseits das Land im technischen und çkonomischen Sinn modernisieren, und andererseits die sozialen und kulturellen Modernisierungswirkungen (zunchst) unterdrcken sollte. Deswegen war die habsburgische Administration von einem starken gesellschaftspolitischen Konservativismus geprgt. Sie hielt sowohl an der halbfeudalen Agrarordnung, als auch an großen Teilen des osmanisch geprgten Rechts fest. Dadurch perpetuierte die Regierung die sozio-konfessionelle Struktur der Bevçlkerung, die sich aus berwiegend muslimischen Eliten und eher katholischen oder orthodoxen Unter- und Mittelschichten zusammensetzte. Gleichzeitig unterbanden die Behçrden durch Zensur und Versammlungsverbote politische Aktivitten und beschrnkten durch ein striktes System aus Pass- und Migrationskontrollen die Mobilitt der Bevçlkerung. Einen besonderen Aspekt dieser kontrollierten Modernisierung bildeten die Versuche, ein bosnisches Nationalgefhl zu konstruieren und durchzusetzen, das supra-konfessionell die Unterschiede zwischen Muslimen, Katholiken und Orthodoxen berwinden sollte. Dementsprechend bildete die Gleichbehandlung aller Bewohner Bosniens unabhngig von ihrer konfessionellen Zugehçrigkeit ein zentrales Prinzip der habsburgischen Verwaltung. Die Haltung der autochthonen Bevçlkerung gegenber der Regierung schwankte zwischen Kooperation und Widerstand, wobei die Emigration – die Muslime gingen zumeist in die Trkei, die Serben und Kroaten in die USA – eine dritte Alternative darstellte. Trotz der Bemhungen um die Herstellung einer supra-konfessionellen bosnischen Nation kam es nach 1900 zu einer allmhlichen Ethnisierung der konfessionellen Unterschiede zwischen muslimischen Bosniaken, orthodoxen Serben und katholischen Kroaten. Als die Regierung nach 1903 die Restriktionen lockerte, setzte eine Politisierung breiterer Bevçlkerungskreise ein, die sich berwiegend in ethno-konfessionell getrennten Lesegesellschaften, Gesangsvereinen und Parteien vollzog. Ein wichtiges Thema der immer lebhafteren çffentlichen Debatten waren die Autonomieforderungen der religiçsen Gemeinschaften. 1909 gewhrte die Regierung den Muslimen Selbstverwaltung in inneren Angelegenheiten. Ein Jahr zuvor hatte sterreich-Ungarn Bosnien und die Herzegowina annektiert und damit die formale Souvernitt des Sultans beendet. Im Zuge der Annexion stellte die Regierung die Einfhrung verfassungsmßiger Einrichtungen in Aussicht. Dieses Versprechen erfllte sie 1910 mit dem bosnischen Landesstatut, das den Reprsentanten der bosnischen Parteien im Landtag politische Mitsprache einrumte. Allerdings blieb den Landesangehçrigen Bosniens und der Herzegowina die Partizipation an Entscheidungen auf imperialer Ebene verwehrt, whrend die çsterreichischen und ungarischen Staatsangehçrigen daran zumindest theoretisch ber die Delegationen der jeweiligen Parlamente beteiligt waren. Zudem war der bosnische Landtag, 152

anders als die Landtage der cisleithanischen Kronlnder, nicht autonom, sondern blieb – wie die gesamte bosnische Verwaltung – letztlich der Kontrolle des k.u.k. Finanzministeriums unterworfen. Trotz der Konstitutionalisierung beruhte die habsburgische Herrschaft weiterhin auf einer imperialistischen Machtasymmetrie. Innerhalb dieser kolonialen Situation wies das Recht den Landesangehçrigen Bosniens und der Herzegowina eine minderprivilegierte Position zu. Internationale Spannungen und die Kriege auf dem Balkan steigerten das dieser Situation ohnehin eigene Konfliktpotential. Immer çfter kam es innerhalb und außerhalb der verfassungsmßigen ffentlichkeit zu Konflikten. Anarchisten und Terroristen verstrkten ihre Aktivitten, und 1913 verhngte die Regierung fr kurze Zeit den Ausnahmezustand. Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs verschrfte die Probleme. Die meisten Landesangehçrigen erfllten gezwungener Maßen ihre Wehrpflicht, ein Teil der Bevçlkerung untersttzte dagegen die Kriegsgegner. Unterdessen intensivierten die habsburgischen Militrs durch Internierungen, Vertreibungen und Exekutionen die Gewaltsamkeit der Herrschaftsausbung. Die umstrittene Personalhoheit ber die Bevçlkerung Bosniens und der Herzegowina Zugleich mit der Okkupation Bosniens im Jahr 1878 stellte sich die rechtlich komplexe Frage, wie die innerhalb und außerhalb des Landes sich aufhaltenden Bosnier angehçrigkeitsrechtlich zu behandeln seien. Zunchst fhrte die Aufrechterhaltung der formalen Souvernitt des Sultans zu vçlkerrechtlichen Verwirrungen: „so liegt … die Entwicklung der Dinge darin, dass aus dem Titel der thatschlichen Herrschaft [sterreich-Ungarns] sich von selbst eine factische Staatshoheit heranbilden muß. Diese Entwicklung hat allerdings einen wenigstens formellen Rckschlag durch die Convention vom 21. April 1879 erfahren, welche, um die Besetzung eines Theiles des Sandschaks von Novi-Bazar im Einverstndnisse mit der Trkei zu regeln, zugleich es fr angemessen gefunden hat, gewisse formelle Rechte des Sultans allerdings nur taxativ aufzunehmen.“1

Der Berliner Vertrag, der die Okkupation Bosniens durch sterreich-Ungarn regelte, enthielt keine Bestimmungen ber das Recht der Bewohner, fr ihre bisherige trkische Staatsangehçrigkeit zu optieren.2 Dennoch anerkannten die habsburgischen Behçrden die trkische Staatsangehçrigkeit derjenigen Personen, die in den Jahren 1878 und 1879 ins Osmanische Reich auswan-

1 Abgeordnetenhaus des çsterreichischen Reichsrats, 9. Session, Nr. 119 der Beilagen, 16. 1. 1880, S. 1 f, Ausschussbericht zur Regierungsvorlage bzgl. der Verwaltung Bosniens. s.a. Donia, S. 10 f. 2 sterreich, RGBl., 1879, Nr. 43, Bosnien.

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derten. Alle anderen Bosnier verloren ihren trkischen Untertanenstatus.3 Ein Zirkularerlass des k.u.k. Außenministeriums vom 26. April 1879 bestimmte, dass allein die k.u.k. Vertretungsbehçrden den Bewohnern Bosniens Psse ausstellen durften.4 Und am 13. November 1881 verfgte die bosnische Regierung, dass die Landesangehçrigen in der Trkei der Jurisdiktion der k.u.k. Konsulate unterstehen sollten. Nach Valeria Heuberger waren damit „die Bosniaken im internationalen Verkehr den Angehçrigen der Monarchie gleichgestellt“.5 In der Praxis stellte sich die Situation allerdings nicht so eindeutig dar. Das Außenministerium in Wien konnte die Personalhoheit ber die Bosnier und Herzegowiner bis weit in die achtziger Jahre hinein nicht gnzlich gegenber den trkischen Behçrden durchsetzen.6 Am 17. Zi’l-Hidsche 1303, also am 4. oder am 16. September 1886 – nach dem gregorianischen Kalender – verfgte ein Erlass des trkischen Innenministeriums, der ber geheimdienstliche Ermittlungen in den Besitz des k.u.k. Außenministeriums gelangt war, dass „die Angehçrigen der Provinzen Egypten, Bosnien und Herzegowina, Tunis, Cypern, Bulgarien, Ostrumelien, Creta und Libanon in den Augen der Pfortenregierung ihre ottomanische Staatsangehçrigkeit durchaus nicht eingebßt“ htten. Diesen kçnnten weiterhin trkische Passpapiere ausgestellt werden. „[S]peziell sollen sogar solche Teskeres [Psse, d. Vf.] den erwhnten Bevçlkerungsclassen beim Ankaufe von Grundbesitz in den kaiserl. Provinzen [des Osmanischen Reichs] Erleichterungen gewhren und die Herkunft der Inhaber derselben soll ausdrcklich erwhnt werden.“ Daraufhin erkundigte sich das k.u.k. Außenministerium beim k.u.k. Finanzministerium, mit welchen Pssen die Landesangehçrigen im Ausland reisen sollten. In seiner Antwort betonte das Finanzministerium „zum wiederholten Male“, dass es an Bosnier ausgefertigte trkische Urkunden nicht als gltig anerkenne.7 Der Erlass des trkischen Innenministeriums zeigt auch, dass die 3 Wien, HHStA, Md, Pol. Arch., XXXX., Ktn 210, Schutzrecht ber Bosnier und Herzegowiner im Auslande, 1879 – 1882. 4 Zuvor hatten die habsburgischen Behçrden auch trkische Papiere anerkannt. Allerdings musste ein k.u.k. Konsulat diese vidieren, bevor ihre Inhaber nach Bosnien einreisen durften. Heuberger, S. 2393. 5 Ebd., S. 2393. 6 Wien, HHStA, Md, Adm. Reg., F61, Ktn 20, 7607 – 1884. Am 23. 3. 1884 berichtete die k.u.k. Gesandtschaft in Kairo, die trkische Regierung habe verfgt, bosnische Landesangehçrige weiterhin als trkische Untertanen zu behandeln. Daraus resultierten erneute diplomatische Auseinandersetzungen. Noch 1886 stellten die trkischen Konsulate in Triest und Ragusa Bosniern Psse aus. Ebd., 1228 – 1886. Die Position der k.u.k. Behçrden fhrte mit der Zeit zu einem generellen Misstrauen gegenber trkischen Personaldokumenten. 1911 wies das k.u.k. Außenministerium das Konsulat in Mitrovitza (heute: Mitrovitsa in Serbien/Kosovo) an, darauf zu achten, dass mit ottomanischen Papieren ausgestattete Personen auch bosnische Landesangehçrige sein kçnnten, in welchem Fall die entsprechenden Papiere einzuziehen seien. Ebd. 63226/ 7 – 1911. 7 Wien, HHStA, Md, Adm. Reg., F61, Ktn 20, 31127 – 1886, k.u.k. Finanzministerium an k.u.k. Außenministerium, 28.9.1886.

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osmanischen Behçrden die Auswanderung aus Bosnien fçrderten. Auf die Frage nach der rechtlichen Position derjenigen Personen, die nach 1879 in die Trkei auswanderten, wird die Untersuchung der bosnischen Migrationspolitik nher eingehen. Ein besonderes Beispiel fr eine angehçrigkeitsrechtliche Auseinandersetzung bildet der Fall des ehemaligen gyptischen Finanzministers Mohammed Hafiz Pascha. 1880 anerkannte ihn das k.u.k. Finanzministerium als bosnischen Landesangehçrigen und stellte ihm einen Pass aus. Mit diesem Dokument erhob Hafiz in gypten Anspruch auf den Schutz der k.u.k. Vertretungsbehçrden. Der k.u.k. Botschafter hegte offensichtlich große Zweifel an Hafiz’ bosnischer Herkunft – sein Vater und er selbst waren in gypten geboren und seine Mutter war „sogar … eine Felachin“. Der Botschafter vermutete, dass Hafiz sich den Pass besorgt hatte, um als çsterreichisch-ungarischer Schutzangehçriger die Steuerpflicht in gypten zu umgehen.8 Trotzdem bestanden die bosnischen Behçrden auf Hafiz’ angehçrigkeitsrechtlichem Status als Bosnier, was die gyptische Regierung „aufs Peinlichste berhrt[e]“. Sie stellte fest, dass gypten formal-rechtlich immer noch zum Osmanischen Reich gehçre, weswegen bosnische Landesangehçrige dort auch nach der Okkupation Bosniens durch sterreich-Ungarn als trkische Untertanen zu gelten htten. Die britischen Konsulate, so die gyptischen Behçrden, wrden im Fall von Zyprioten ebenso verfahren.9 Mohammed Hafiz erwirkte schließlich die Einbrgerung in sterreich, nachdem ihm Hietzing bei Wien die Aufnahme in den Gemeindeverband zugesichert hatte. Letztlich verschaffte ihm auch diese Investition nicht die erwnschte habsburgische Protektion, weil die Behçrden zu dem Schluss kamen, dass er trotz allem seine gyptische Landesangehçrigkeit nicht verloren habe.10 Auch mit anderen Staaten, die auf dem ehemaligen Gebiet des Osmanischen Reichs entstanden waren, kam es zu Konflikten um die Personalhoheit ber Individuen, die aus Bosnien stammten. Als der junge Nationalstaat Bulgarien versuchte, seine Bewohner der Wehrpflicht zu unterwerfen, baten einige um den Schutz der k.u.k. Behçrden, der ihnen als Bosniern zustnde. Die Beschwerden der bulgarischen Regierung ber dieses Vorgehen interpretierte der k.u.k. Botschafter als Angriff auf das Prestige der Habsburgermonarchie. 1882 reagierte er mit der Feststellung, dass er im Namen seiner Regierung das Schutzrecht ber alle in Bulgarien befindlichen Bosnier und Herzegowiner wahrnehmen wolle.11 Zwar setzten die k.u.k. Behçrden diesen Anspruch im konkreten Fall des Salomon A. Pinto gegenber den bulgari8 Ebd., 23287/7 – 1880, Botschaft in Kairo an k.u.k. Außenministerium, 5.12.1880. 9 Ebd., Botschaft in Kairo an k.u.k. Außenministerium, 9. 2. 1881 und 30.7.1881. Gleichzeitig mit der Okkupation Bosniens durch sterreich-Ungarn wurde im Berliner Abkommen von 1878 auch die Besetzung Zyperns durch das Britische Weltreich vereinbart. 10 Ebd., Botschaft in Kairo an k.u.k. Außenministerium, 8. 5. 1881 und 6.9.1881. 11 Wien, HHStA, Md, Adm. Reg., F61, Ktn 20, 1228/7 – 1882, Botschafter in Sofia an k.u.k. Außenministerium, 1.1.1882.

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schen Stellen durch. Intern regten sie aber zugleich an, die „angeblich[e] bosnische[r] Nationalitt“ von Passbewerbern in Zukunft genauestens zu prfen.12 Die bosnische Verwaltung reagierte zunchst ebenfalls ambivalent. Sie betonte einerseits das ihr allein zustehende Recht, ber die Landesangehçrigkeit von im Ausland lebenden Bosniern zu entscheiden. Damit wies die bosnische den Vorschlag der bulgarischen Regierung entrstet zurck, welche die Ansprche auf habsburgische Protektion selbst prfen wollte.13 Andererseits instruierte die bosnische Verwaltung die Unterbehçrden, bei der Ausstellung von Pssen an „in Bulgarien ansssige spanische Juden … nur mit der grçßten Behutsamkeit und Strenge“ vorzugehen.14 Diese Direktive fhrte in zahlreichen Fllen zur Nicht-Anerkennung der Landesangehçrigkeit und zur Verweigerung von Pssen. Die Betroffenen erbaten schließlich 1885 die „Wiederaufnahme in den bosnischen Heimatverband“. Diese Bitte verweigerte die Landesregierung. Die Antragsteller htten ihren Anspruch verwirkt, so die Begrndung, „indem sie, meist schon vor 50 – 60 Jahren nach Bulgarien ausgewandert waren, hierlands keinen Besitz zurckgelassen hatten, weder in den hierlndigen Volkszhlungslisten, noch in der israelitischen Cultusgemeinde als Angehçrige verzeichnet erscheinen, auch keinerlei communale oder Cultusbeitrge hierlands entrichteten, endlich auch nicht der seit 1882 im Occupationsgebiete gesetzlich eingefhrten Wehrpflicht nachgekommen waren. … um die hierlndische Angehçrigkeit wieder zu erwerben, [mssen die Bewerber] um dieselbe speciell einkommen und alle ihre mnnlichen Angehçrigen der Altersklassen 1862 – 1865 nachtrglich der hierlndigen Militrstellung unterziehen“.15

Diese Argumentation fasst mit der Bindung an das Land und der Erfllung der Wehr- sowie der Steuerpflicht die wesentlichen Kriterien der bosnischen Verwaltungspraxis zusammen. Ein weiteres Beispiel fr einen angehçrigkeitsrechtlichen Konflikt liefert der Fall des Luka Zrnic´, der 1881 aus Bosnien emigriert und als Lehrer an einem serbischen Gymnasium ttig war. 1896 hinderten die bosnischen Behçrden Zrnic´ bei der Rckkehr von einem Besuch in Bosnien am Grenzbertritt. Sie erklrten ihn „seines Passes verlustig … und [unterzogen ihn] der militrrztlichen Visitation“. Daraufhin beschwerte sich die serbische Regierung, welche die Auffassung vertrat, dass Zrnic´ serbischer Staatsange12 Ebd., 16190 – 1882, k.u.k. Außenministerium an Konsulat in Varna, 27.8.1882. 13 Ebd., 22890 – 1882, Notiz des k.u.k. Außenministeriums zu einem Brief des k.u.k. Finanzministeriums. 14 Ebd., 4295 – 1884, Weisung Z 896 I/BH, 18.2.1884. Die Weisung liegt einem Schreiben des k.u.k. Finanzministeriums an das k.u.k. Außenministerium bei, das sich auf die Staatsangehçrigkeit von H. J. Ahinon und Leon Finri bezieht. Beiden wurden ihre bereits ausgefertigten Psse wieder abgenommen. 15 Ebd., 29430 – 1886, Bericht der bosnischen Regierung, 5.1.1886.

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hçriger sei, beim k.u.k. Außenministerium und verlangte seine Freilassung. Die bosnischen Behçrden beanspruchten Zrnic´ demgegenber als bosnischen Wehrpflichtigen und betonten, dass „nach den fr Bosnien-Hercegovina bestehenden Bestimmungen die langjhrige Abwesenheit das Erlçschen der bosn. herc. Landesangehçrigkeit nicht nach sich zieht“: „Eine Ausnahme von der obigen allgemeinen Regel wurde in einem speciellen Falle hinsichtlich jener Personen gemacht, welche gelegentlich der, der Occupation Bosniens vorangegangenen Wirren das Land verlassen und sich in Serbien angesiedelt haben. In Betreff dieser Personen ist ber wiederholtes Ersuchen der serbischen Regierung und als ein besonderes Zugestndnis der letzteren gegenber die Bestimmung getroffen worden, dass diejenigen Auswanderer, welche vor dem Datum des Berliner-Vertrages, das ist vor dem 13. Juli 1878 sich in Serbien dauernd niedergelassen haben, nicht mehr als bosn. herc. Landesangehçrige, sondern als serbische Unterthanen angesehen werden.“16

Da Zrnic´ aber erst 1881 emigriert sei, unterliege er immer noch der bosnischen Wehrpflicht. Außerdem protestierten die bosnischen Behçrden scharf gegen die serbische Praxis, bosnischen Landesangehçrigen Psse auszustellen. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts fhrten die serbischen und die bosnischen Behçrden offensichtlich einen Wettbewerb um einzelne Wehrpflichtige, den sie auf dem Boden des Staatsangehçrigkeitsrechts austrugen. Ein letztes Beispiel fr die Aushandlung angehçrigkeitsrechtlicher Unklarheiten betrifft schließlich „ungefhr 90 trkische Zigeuner“, die sich 1906 beim k.u.k. Konsulat in Kairo als bosnische Landesangehçrige vorstellten und um die Heimsendung, respektive um finanzielle Untersttzung baten. Die habsburgischen Behçrden anerkannten zwar die ursprngliche Herkunft „dieser Leute“ aus Bosnien, betonten aber, dass diese sich bereits seit 40 Jahren im Ausland aufhielten. Einige der Betroffenen wurden 1902 „aus Tanger nach Bosnien instradiert, wo sie aber … erklrten, sich nicht als bosnische Angehçrige zu betrachten, da sie, respective ihre Vorfahren schon vor so langer Zeit Bosnien … verlassen haben“. Ihren Bitten entsprechend hatten die Behçrden den „trkischen Zigeunern“ damals Papiere ausgestellt, die ihnen die Ausreise in die Trkei ermçglichten. Das k.u.k. Außenministerium wies 1906 alle Vertretungsbehçrden an, diesen Personen, falls sie sich an ein Konsulat wenden sollten, die 1902 ausgestellten Papiere zu entziehen und ihnen jegliche Untersttzung zu verweigern.17 Zunchst zeigen diese Beispiele die Widersprchlichkeit der bosnischen Verwaltungspraxis in angehçrigkeitsrechtlichen Fragen. Whrend die Behçrden im Fall der „spanischen Juden“ aus Bulgarien und im Fall der „tr16 Wien, HHStA, Md, Adm. Reg., F61, Ktn 20, 45127 – 1896, k.u.k. Finanzministerium an k.u.k. Außenministerium, 2.10.1896. s.a. ebd., 38585 – 1896. 17 Wien, HHStA, Konsulatsarchiv Jerusalem, Ktn. 140, 43515 – 1906, Erlass des k.u.k. Außenministeriums, 18.6.1906.

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kischen Zigeuner“ behaupteten, die bosnische Zugehçrigkeit ginge durch langjhrige Abwesenheit verloren, konstatierten sie in den Fllen Zrnic´ und Hafiz das genaue Gegenteil. Da kein konsistentes, formal-rechtliches Muster die Verwaltungspraxis bestimmte, prgten andere Faktoren die behçrdlichen Entscheidungen. Dass ethnische Kriterien dabei eine Rolle spielten, zeigt die Exklusion der bulgarischen „Spaniolen“ und der „Zigeuner“. Allerdings minderten in diesen Fllen auch das Risiko internationaler Verwicklungen und die Mittellosigkeit der betroffenen Personen das Interesse der Behçrden an ihrer Inklusion. Daneben waren manchmal, der Fall Hafiz legt diesen Verdacht nahe, finanzielle Interessen einzelner Beamter oder Bestechung im Spiel. Insgesamt prgte jedoch vor allem das Interesse an einer mçglichst großen Anzahl von Steuerzahlern und insbesondere von Wehrpflichtigen die Entscheidungen der bosnischen Behçrden. Regelung des Erwerbs und Nicht-Regelung des Verlusts der Landesangehçrigkeit Neben angehçrigkeitsrechtlichen Konflikten mit anderen Staaten zeitigte die Okkupation Bosniens auch die Frage, ob dessen Bewohner als çsterreichische oder als ungarische Staatsangehçrige gelten sollten. Da die komplexe dualistische Konstruktion des Habsburgerreichs eine Einigung in dieser Frage unmçglich machte, kreierten die Behçrden fr die Okkupationsgebiete mit der bosnisch-herzegowinischen Landesangehçrigkeit einen eigenen angehçrigkeitsrechtlichen Status.18 Bereits 1880 erließ die Regierung Regeln fr den Erwerb und den Verlust der bosnischen Landesangehçrigkeit, die man allerdings erst 1908 im bosnischen Landesstatut gesetzlich verankerte.19 An der Erarbeitung dieser Regelungen waren alle drei gemeinsamen Ministerien beteiligt. Je nach Ressort vertraten sie verschiedene Standpunkte und Interessen. Dem Finanzministerium war in erster Linie daran gelegen, die 18 Dasselbe Problem stellte sich brigens auch bei der territorialen Zuordnung. Bosnien gehçrte weder zum cis- noch zum transleithanischen Staatsgebiet, sondern bildete ein gesondertes Territorium, fr das sich die mitunter verwendete Bezeichnung „Reichsland“ nicht durchsetzen konnte. Begrifflich ergibt sich hier eine Parallele zu den deutschen „Reichslndern“ Elsaß und Lothringen, deren Bewohner das deutsche Recht nach 1871 als „Reichsangehçrige“ bezeichnete, ein Status, der sich jenseits der Aufteilung in Einzelstaaten direkt auf das Deutsche Reich als Ganzes bezog. Vermutlich wollten im habsburgischen Kontext einige Juristen Bosnien eine hnliche Funktion zuweisen. Es sollte helfen, eine reichseinheitliche Rechtswirklichkeit zu stiften. Dass man letztlich die Bezeichnung „Landes-“ statt „Reichsangehçrige“ verwendete, zeigt jedoch, dass dieses Vorhaben erfolglos blieb. 19 Im Dezember 1895 fragte der Hamburger Senat beim k.u.k. Außenministerium an, wie Erwerb und Verlust der bosnischen Landesangehçrigkeit geregelt seien. In seiner Antwort verwies das Ministerium auf eine Auskunft des k.u.k. Finanzministeriums vom 10. 1. 1896, wonach „in Betreff des Erwerbes und Verlustes der bosn. herc. Landesangehçrigkeit auch gegenwrtig noch keine gesetzlichen Bestimmungen in Kraft getreten sind und in concreten Fllen noch immer nach jenen Grundstzen vorgegangen wird, welche in dem … Verordnungs-Entwurfe [von 1885, d. Vf.] enthalten sind.“ Wien, HHStA, Md, Adm. Reg., F61, Ktn 20, 148 und 1734 – 1896.

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rechtliche Integration von Zuwanderern zu regeln, um dadurch die „Heranziehung fremder Colonisten in das Land“ zu fçrdern. Das Außenministerium wollte die habsburgische Souvernitt ber Bosnien nicht nur als Territorial-, sondern auch als Personalhoheit festigen. Das Kriegsministerium zielte schließlich auf die Aufhebung des auslndischen Konsularschutzes fr in Bosnien lebende Personen, um so die Wehrpflicht vollstndig durchsetzen zu kçnnen. Außerdem wollte es die Ausweisung von „Agitatoren“, die gegen die habsburgische Okkupation polemisierten, erleichtern.20 Das Finanzministerium schlug die Einrichtung eines Einbrgerungsverfahrens vor, denn „[u]m … in Bezug auf die Anstellungsfhigkeit als Beamte, Lehrer, rzte etc. den Eingeborenen gleichgestellt zu werden, liegen bereits von einigen auslndischen Staatsangehçrigen Gesuche vor“. Das Ministerium wollte dabei den Zugang zur Landesangehçrigkeit mçglichst erleichtern. Seine Vorschlge wurden letztlich von allen Beteiligten befrwortet. Neben der Entlassung aus der bisherigen Angehçrigkeit, der Erwerbsfhigkeit sowie der „sittlichen und moralischen“ Eignung schrieb die Instruktion keine weiteren Bedingungen fr die Einbrgerung fest.21 Die Entlassung aus der Landesangehçrigkeit regelten die Behçrden dagegen nicht. „[B]ezglich der Auswanderung [nahm man] von der Aufstellung eines Regulativs Abstand“.22 Einerseits, so die Kommission in ihrem Bericht, sei die Auswanderung von Bosniern nach sterreich oder Ungarn „umsoweniger zu beschrnken …, als derlei Individuen fr unsere Wehrkraft nicht verloren gehen“. Andererseits bedrfe die rechtliche Position von „eingeborenen Bosniaken …, [die] in eines der Nachbarfrstenthmer gehen, dort die Staatsbrgerschaft erwerben und wieder in das Land zurckkehren“, ebenfalls keiner Klrung. „Fr diesen Fall kann die Landesregierung von dem jeder Regierung zustehenden Rechte Gebrauch machen und den politisch bedenklichen Fremden ausweisen“. „Die Regelung der Auswanderung der eingeborenen Bosniaken aus dem Lande in Staaten außerhalb der çsterr.-ungar. Monarchie wird endlich erst mit der Regelung

20 Ebd., 16581 – 1880, Protokoll der Sitzung zur Regelung der Ein- und Auswanderungsbedingungen in Bosnien und der Herzegowina, 21.8.1880. Anwesend waren Baron Krauß (Finanzministerium), Ritter Riedl von Riedenau (Ministerium des ußern) und Oberstleutnant-Auditor Glaser (Kriegsministerium). 21 Ebd., Protokoll und Entwurf einer Instruction ber die Erwerbung der Landesangehçrigkeit in Bosnien und der Herzegowina. Neben der behçrdlichen Bewilligung fhrte nach dem Entwurf nur die Verehelichung mit einem Landesangehçrigen zum Erwerb der Landesangehçrigkeit. Der ursprngliche, als Gesprchsgrundlage dienende Entwurf hatte noch weitere Bedingungen vorgesehen: die „Zusicherung der Aufnahme in eine Gemeinde“ und die „Genehmigung der Ansssigmachung“ durch die politischen Behçrden, sowie im Fall von çsterreichischen oder ungarischen Einwanderern eine Genehmigung des Reichskriegsministeriums oder des jeweiligen Ministeriums fr Landesverteidigung. 22 Ebd., k.u.k. Finanzministerium an k.u.k. Außenministerium, 26.8.1880.

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ihrer Wehrpflicht nothwendig werden, dann aber auch mit dem betreffenden Gesetze (Wehrgesetz) gleichzeitig erfolgen kçnnen.“23

Neben der Entlassung aus und dem Verlust der Landesangehçrigkeit blieb ein weiterer Bereich des Angehçrigkeitsrechts in dem Verordnungsentwurf von 1880 gnzlich unbercksichtigt, nmlich der Erwerb durch Geburt. Denn aufgrund der vçlkerrechtlichen Lage und gegen den Willen der habsburgischen Behçrden mussten sie sich die Personalhoheit ber die bosnische Bevçlkerung weiterhin mit der Hohen Pforte teilen.24 Deswegen regelte erst nach der Annexion das Landesstatut von 1910 den Erwerb durch Geburt. Es schrieb im Wesentlichen das ius sanguinis fest und erklrte ferner alle in Bosnien geborenen und aufgefundenen Kinder, sofern „ihre anderweitige Zugehçrigkeit nicht nachgewiesen ist“, zu Landesangehçrigen. Die bisherigen Bestimmungen ber Erwerb und Verlust blieben weiterhin gltig.25 Fr die „eingeborenen Bosniaken“ bedeutete das, dass sie bis 1910 keinen eindeutigen Rechtsstatus hatten. Formal waren sie weiterhin Untertanen des Sultans, und praktisch betrachteten die habsburgischen Behçrden sie als Landesangehçrige. Aber rechtlich belastbar war ihr Anspruch auf diesen angehçrigkeitsrechtlichen Status nicht. Diese Feststellung mag den Anschein einer juristischen Spitzfindigkeit erwecken, aber sie bedeutet nichts weniger, als dass die autochthone Bevçlkerung Bosniens in eine rechtliche Grauzone gerckt wurde, in der sie der weitestgehenden Willkr der habsburgischen Behçrden ausgesetzt war. In eine hnlich uneindeutige Rechtssphre gerieten auch die Bosnier, die nach Serbien oder Montenegro auswanderten, weil der Verlust der Landesangehçrigkeit durch Annahme einer fremden Staatsangehçrigkeit oder langjhrige Abwesenheit weder 1880 noch 1910 geregelt wurde.26 Aufgrund dieser Uneindeutigkeiten konnten die bosnischen Behçr23 Ebd., Kommissionsbericht. 24 Auf dieses Problem hatte das Außenministerium indirekt aufmerksam gemacht, indem es feststellte, dass eingewanderte trkische Untertanen in Bosnien nicht eingebrgert werden kçnnten, da sie staatsrechtlich nicht als Fremde zu betrachten seien. Das k.u.k. Finanzministerium reagierte auf diesen Hinweis mit der Feststellung, dass trkische Staatsangehçrige nur in ußerst seltenen Fllen nach Bosnien einwanderten, weswegen es „am passendsten schien, die ottomanischen Unterthanen gar nicht ausdrcklich zu erwhnen“. Ebd., 17782 – 1880, k.u.k. Finanzministerium an k.u.k. Außenministerium, 15.9.1880. 25 §§ 3 und 4. Bernatzik, Die çsterreichischen Verfassungsgesetze, S. 1037 f. Zu den „bisherigen Bestimmungen“ zhlte auch die Regel, wonach der Eintritt in den çffentlichen Dienst den Erwerb der Landesangehçrigkeit zur Folge hatte. Vrankic´, S. 31. 26 Lediglich das Wehrrecht enthielt Bestimmungen zur Entlassung aus der bosnischen Landesangehçrigkeit. Darauf verweist eine Anfrage der franzçsischen Botschaft, die sich erkundigte, ob Bosnier, um eine fremde Staatsangehçrigkeit erwerben zu kçnnen, eine Genehmigung des Sultans bençtigten. Das k.u.k. Außenministerium gab eine verneinende Antwort und stellte fest, die Einbrgerungswilligen bruchten „lediglich bei der competenten bosnisch-hercegovinischen Behçrde um die vorherige Entlassung aus der bosnisch-hercegovinischen Landesangehçrigkeit einschreiten“. Wien, HHStA, Md, Adm. Reg., F61, Ktn 20, 9420 – 1902, k.u.k. Finanzministerium an k.u.k. Außenministerium, 15.2.1902. Insofern waren die Auswanderer auch

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den die betroffenen Personen, wie der Kommissionsbericht und der Fall Zrnic´ zeigen, jederzeit entweder als Fremde zur Ausreise oder als Landesangehçrige zum Wehrdienst zwingen. Neben der Strkung der bosnischen Wirtschaftskraft durch „fremde Colonisten“ und andere Zuwanderer bestimmte vor allem das Interesse an der Strkung der „Wehrkraft“ und an einer mçglichst großen Zahl bosnischer Wehrpflichtiger die angehçrigkeitsrechtlichen Regelungen. Das verdeutlicht nicht zuletzt der Hinweis, dass zusammen mit der Wehrpflicht auch Bestimmungen eingefhrt werden sollten, welche die Auswanderung wehrfhiger Mnner verhinderten. Die Immigrationspolitik der (zunchst) offenen Tren Nach der Okkupation versuchten die bosnischen Behçrden ber mehrere Jahre eine Populationspolitik alten Stils zu betreiben, wie sie die habsburgische Politik in den vorangegangenen Jahrhunderten in verschiedenen Regionen praktiziert hatte. Ein Ziel war dabei die Wiederansiedlung der 100.000 bis 250.000 christlichen Flchtlinge, die whrend des Aufstands gegen die osmanische Herrschaft im Jahr 1875 vor allem die Herzegowina verlassen hatten.27 Allerdings war dieses Vorhaben nicht unmittelbar erfolgreich. Noch 1891 vermeldeten die Behçrden stolz einen Anstieg der „Ansuchen von hercegovinischen Flchtlingen in Montenegro um Repatriierung“, was sie vor allem auf die im Vergleich zu Montenegro bessere wirtschaftliche Lage in der Herzegowina zurckfhrten.28 Selbst ber 10 Jahre nach der bernahme der Verwaltung Bosniens und der Herzegowina durch sterreich-Ungarn war also ein Großteil der Flchtlinge von 1875 noch nicht zurckgekehrt. Die Ansiedlungspolitik zielte allerdings vor allem auf „fremde Colonisten“. Nach Tim Bittiger siedelte die habsburgische Verwaltung „around 9660 European [sic!] colonists, whom the administration had invited“, in Bosnien an. Diese entwickelten „successful agrarian entrepreneurism with modern agricultural techniques“.29 Den Kolonisten rumten die Behçrden Steuerprivilehinsichtlich des Verlusts der Landesangehçrigkeit durch Entlassung gnzlich von den Entscheidungen der Behçrden abhngig. 27 Velikonja, S. 118. In der Herzegowina wurde Serben zunchst sogar die Einrichtung selbststndiger militrischer Einheiten erlaubt, um ihre Rckkehr zu fçrdern. Donia, S. 9 und 32. 28 Wien, HHStA, Md, Adm. Reg., F61, Ktn 20, k.u.k. Finanzministerium an k.u.k. Außenministerium, 23. 10. 1891, vertraulicher Bericht zur Lage in Bosnien und der Herzegowina. 29 Bittiger, S. 18 f. Die Verwendung des Attributs „European“ fr die hier gemeinten Siedler ist bemerkenswert. Einerseits ist es zu unspezifisch und andererseits berflssig, denn man wre doch sehr berrascht, wenn die bosnischen Behçrden die Ansiedlung außereuropischer Bevçlkerungsgruppen gefçrdert htten. Wobei man nicht vergessen sollte, dass zumindest fr Cisleithanien die Anwerbung chinesischer Arbeitskrfte durchaus erwogen wurde. Aber das ist sicherlich nicht die Differenz, die hier markiert werden sollte. Vielmehr liegt der Verdacht nahe, dass sich in diesem Fall eine zeitgençssische Begrifflichkeit, welche die autochthone Bevçlkerung Bosniens als „nicht-europische“ verstand und den „europischen“ Einwanderern ge-

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gien ein und vermittelten ihnen Land zu gnstigen Konditionen.30 Neben diesen çkonomischen gab es auch strategisch motivierte Ansiedlungsplne. „[T]he Austro-Hungarian government entertained the idea of creating another barrier between Montenegro and Hercegovina by settlements of foreign colonists along the border“. Allerdings wurden diese Plne ebenso wenig realisiert wie ein tirolerisches Siedlungsprojekt von 1882.31 Das wohl prominenteste Ergebnis der habsburgischen Politik war die Kolonie Franzjosefsfeld, wo man in den achtziger Jahren deutschsprachige Protestanten aus Ungarn ansiedelte.32 Insgesamt erreichte diese Populationspolitik allerdings keinen allzu großen Umfang. Einerseits scheiterte sie an administrativen und finanziellen Schwierigkeiten und andererseits daran, dass die beiden Lnder zwar in der Vorstellung vieler Zeitgenossen, aber nicht in der Realitt unbevçlkert waren. Der Pester Lloyd verçffentlichte 1879 den Brief einer deutschsprachigen Dorfgemeinschaft aus Ungarn, die nach Bosnien bersiedeln wollte. Die Redaktion betonte in ihrer Reaktion, dass die Annahme, dort werde freies Land an Kolonisten verteilt, irrig sei.33 Nach der offiziellen Statistik wuchs die Bevçlkerung Bosniens und der Herzegowina zwischen 1879 und 1910 um fast 64 % oder 739.880 Menschen (s. Tabelle 4).34 Neben dem Wachstum der autochthonen Bevçlkerung resultierte dieser Zuwachs weniger aus der vergleichsweise unbedeutenden Einwanderung der ungefhr 10.000 Kolonisten als vielmehr aus dem Zuzug von Verwaltungsbeamten, Angestellten, Soldaten und Handeltreibenden. Dabei hielten sich viele dieser Migranten nur vorbergehend in Bosnien auf. Dass berhaupt Einwanderer in grçßerer Zahl nach Bosnien kamen, belegt Tabelle 4. Sie zeigt, dass whrend der habsburgischen Herrschaft die jdische Gemeinde merklich anwuchs. Daneben etablierten sich auch eine griechischkatholische, wohl ukrainischsprachige Diaspora sowie eine evangelische und reformierte, wohl zumeist deutschsprachige Immigrantengemeinde.35 Diese ethnische Heterogenitt der Einwanderungsstruktur lsst vermuten, dass in der bosnischen Immigrationspolitik ethnisch exklusive Mechanismen kaum eine Rolle spielten.

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genberstellte, in die Sekundrliteratur verirrt hat. Zur Wahrnehmung Bosniens als außereuropischem Territorium s. Koller, M., S. 199 f. Heimfelsen, S. 11, 113 f und passim. Allerdings sprach Heimfelsen eher von den nicht gehaltenen Versprechungen der k.u.k. Regierung und forderte mehr Untersttzung fr die Kolonisten. Er zhlte brigens 8.000 deutsche Kolonisten, ebd., S. 9, und widmete sein Buch „[m]einen lieben Stammesbrdern, die als Kolonisten in Bosnien leben“. Milojkovic´-Djuric´, S. 70. Milojkovic´-Djuric´, S. 72 f. s.a. Heimfelsen. Pester Lloyd, Freitag, 3.1.1879. Die Zahlen von Tabelle 4 sind entnommen aus Vrankic´, S. 2. Die 1879 noch unter „Sonstige“ zusammengefassten Glaubensgemeinschaften zhlten in absoluten Zahlen 1879 3.474 und 1910 24.674 Mitglieder.

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Tabelle 4: Bevçlkerung und religiçs-konfessionelle Gruppen in Bosnien und der Herzegowina Jahr

GesamtSerbischbevçlkerung orthodox

Musli- Rçmischmisch katholisch

Sonstige Israeli- Griechischtisch katholisch

Evangelisch, Reformiert

1879 1.158.164

42,9 %

38,7 % 18,1 %

0,3 %

(als

Sonstige

gezhlt)

1910 1.898.044

43,5 %

32,2 % 22,9 %



0,6 %

0,4 %

0,3 %

Leider liefern die Quellen keine detaillierten Erkenntnisse ber eventuelle exklusive oder inklusive Praktiken der bosnischen Behçrden. In den Unterlagen des k.u.k. Außenministeriums findet sich lediglich ein Hinweis auf soziale Ausschlusskriterien, welche das Vorgehen der bosnischen Behçrden bestimmten. 1881 veranlasste das k.u.k. Generalkonsulat in Smyrna auf eigene Kosten die Repatriierung des bosnischen Landesangehçrigen Sulejman Durakovic´. Auf Anfrage des k.u.k. Außenministeriums erklrte sich die bosnische Landesregierung zwar bereit, die in diesem Fall entstandenen Kosten zu bernehmen, wies aber zugleich darauf hin, dass sie dies in zuknftigen, hnlichen Fllen nicht tun wrde. Die bosnischen Behçrden htten kein Interesse daran, die Zahl subsistenzloser Individuen im Land zu erhçhen.36 Armut war also ein Ausschlusskriterium, das die Behçrden sicherlich nicht nur auf bosnische Remigranten sondern auch auf auslndische Einwanderer anwendeten. Daneben finden sich in den Akten des k.k. Innenministeriums Unterlagen zu drei Einbrgerungsfllen.37 Alle drei Kandidaten – Jakob Mattes, Jakob Stadlmayer und Jakob Sonntag – kamen aus Galizien. Sie waren unabhngig voneinander in den spten siebziger Jahren nach Russland ausgewandert und 1894 mit ihren Familien nach Bosnien gekommen. Jakob Mattes bergab die Verwaltung den „Colonisationsgrund ,Brez je‘ in der Gemeinde Zepc´ zur Bearbeitung“, Jakob Stadlmayer wurde ebenfalls „colonisiert“ und Jakob Sonntag „angesiedelt“. Interessanterweise wiesen die k.k. Behçrden in den ersten beiden Fllen explizit darauf hin, dass sowohl Mattes (Jahrgang 1864) als auch Stadlmayer (Jahrgang 1870) durch ihr Migrationsverhalten die çsterreichische wie die russische Wehrpflicht umgangen hatten. Sonntag (Jahrgang 1851) dagegen hatte seine Dienstpflicht in sterreich erfllt. Dass die bosnische Regierung trotzdem allen Dreien 1897 die Landesangehçrigkeit verlieh, zeigt, dass die bosnischen Behçrden bei der Einbrgerung nicht be36 Wien, HHStA, Md, Adm. Reg., F61, Ktn 20, k.u.k. Finanzministerium an k.u.k. Außenministerium, 22.4.1881. 37 Die diesbezglichen Unterlagen gelangten ans Wiener Innenministerium, weil es sich in allen drei Fllen um gebrtige sterreicher handelte, und geklrt werden musste, ob sie ihre çsterreichische Staatsbrgerschaft durch Auswanderung verloren hatten oder nicht. Die Akten der bosnischen Behçrden selbst, die detailliertere Ausknfte zur Naturalisationspraxis geben kçnnten, befinden sich in Sarajevo, und konnten vom Verfasser dieser Arbeit aus Zeitgrnden leider nicht eingesehen werden.

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sonders rigoros vorgingen. Zumindest teilten sie nicht die wehrrechtlichen Bedenken der cisleithanischen Stellen.38 Dieses Detail untersttzt die These, dass die bosnischen Behçrden jenseits der Exklusionen aufgrund von Armut keine restriktive Einwanderungspolitik betrieben. Solange die Einwanderer in der Lage waren, sich selbst zu versorgen, fçrderten die Behçrden die Immigration. Dabei strebte die Verwaltung in erster Linie die Ansiedlung deutschsprachiger Zuwanderer an, die sich als Landwirte etablieren wollten. Allerdings gibt es keine Anzeichen dafr, dass die Administration anderen ethnischen Gruppen gezielt den Zugang verwehrt htte. Die Emigrationspolitik der sich schließenden Tren Unter ganz anderen, deutlich restriktiven Vorzeichen stand die Auswanderungspolitik. Das Wehrgesetz von 1882 verbot die Emigration von „Stellungspflichtigen“ weitgehend. Wie ernst die Behçrden dieses Verbot nahmen, verdeutlicht bereits ein kurzer Blick auf die quantitative Prominenz des Betreffs „Verhinderung der Auswanderung Wehrpflichtiger“ in den Akten.39 Dabei konnten ber ganze Familien Auswanderungsverbote verhngt werden, wie in den Fllen Mehmedovic´ und Karadzˇic´, die je zwei wehrpflichtige Sçhne hatten.40 Oder das Verbot bezog sich nur auf einen Einzelnen, wie im Fall von Sabit Dizdarevic´. Nachdem seine Familie ins Osmanische Reich ausgereist war, verhafteten ihn die Behçrden beim illegalen Grenzbertritt.41 Auch jenseits der mit der Wehrpflicht verknpften Emigrationsverbote versuchten die bosnischen Behçrden seit Anfang der neunziger Jahre, die Auswanderung insbesondere der muslimischen Bevçlkerung zu verhindern.42 Sie wiesen Personen, die in Verdacht standen, Bosniern bei der Emigration behilflich zu sein, aus und ließen diese teilweise von der k.u.k. Vertretung in Konstantinopel berwachen. Generell stellten die Behçrden nur in Ausnahmefllen Auswandererpsse aus.43 1891 gingen zahlreiche Beschwerden ber die Verweigerung von Auswanderungsbewilligungen bei der bosnischen Landesregierung ein, die teilweise von der trkischen Regierung auf diplo-

38 Wien, AVA, MdI, Allg., 8, Ktn 353, 24321 – 1897 (Mattes), 24380 – 1897 und 39975 – 1897 (Stadlmayer), sowie 25301 – 1897 (Sonntag). In den Akten finden sich keine Hinweise auf die ethnische Identitt der drei Eingebrgerten. Die Flle deuten darauf hin, dass viele (ehemalige) sterreicher aus Russland nach Bosnien kamen. Heimfelsen, S. 11, zitiert „Ansiedler, die aus Russland nach Bosnien kamen“: „Als es in Russland nicht mehr mçglich schien, Religion und Sprache unseren Kindern und Kindeskindern zu erhalten, da kehrten wir in die Lnder des Kaisers Franz Josef zurck.“ 39 Wien, HHStA, Md, Adm. Reg., F61, Ktn 20. 40 Ebd., 15830 – 1889. 41 Ebd., 5790 – 1889. 42 Zur Emigration der bosnischen Muslime s. Koller, M., S 210 f. 43 Wien, HHStA, Md, Adm. Reg., F61, Ktn 20, 15830 – 1889, 46620 – 1892 und 51163 – 1901.

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matischem Weg bekrftigt wurden.44 Das nhrte den Verdacht der habsburgischen Behçrden, dass „man sich in Pfortenkreisen mit der Auswanderungsfrage eingehender beschftigt“ und dass „in trkischen politischen Kreisen vielleicht ohne directes Wissen der Regierung die Tendenz vorherrscht, die Auswanderung der Mohammedaner aus Bosnien und der Hercegovina zu begnstigen“.45 Dem Problem der muslimischen Emigration maß die bosnische Regierung so große Bedeutung bei, dass sie das k.u.k. Außenministerium bat, vertrauliche Nachforschungen anzustellen. Der Bericht des k.u.k. Botschafters in Konstantinopel besttigte die Befrchtungen der bosnischen Behçrden allerdings nicht. Er stellte im Gegenteil fest, dass die trkische Regierung die seit den spten achtziger Jahren zunehmende Einwanderung aus Bosnien als unerwnschtes Phnomen betrachte. Whrend die bosnischen Immigranten der Jahre 1878 und 1879 zumeist wohlhabend gewesen wren, kmen jetzt berwiegend arme Menschen, deren Versorgung und Ansiedlung die Regierung vor große Probleme stelle. Lediglich einzelne Personen versuchten, den Sultan zu einer strkeren Fçrderung der muslimischen Emigration aus Bosnien zu bewegen. Dazu werde es aber, so der Bericht, nicht kommen, wenn auch die trkischen Behçrden „aus Rcksichten fr die mohammedanische çffentliche Meinung“ ihre Ablehnung dieser Plne nicht offen zugeben kçnnten.46 Die bosnische Landesregierung versuchte auf vielfltige Weise, die Emigration der muslimischen Bevçlkerung zu verhindern oder zumindest einzuschrnken. Ihre Motive fr dieses Vorgehen erluterten die Behçrden in einem „Bericht zur politischen Lage“ von 1891. Die Zunahme der Auswanderung erklrte der Bericht einerseits mit politischen Grnden. Der Regierungswechsel in Konstantinopel habe zu dem Gercht gefhrt, dass der „Sandschak von Novibazar“ an Russland abgetreten werden solle. Der „echt orientalische Charakterzug, der der bosnischen Bevçlkerung wie allen Balkanvçlkern anhaftet“ und ihr „Hang zum Abenteuerlichen“ fhre dazu, dass die Muslime „starrsinnig“ an dieses Gercht glaubten. Andererseits nannte der Bericht vor allem çkonomische Motive. Insbesondere kleine Grundbe44 Ebd., 51163 – 1901. Die „Beschwerde eines gewissen Abdullah aus Bihacˇ gegen das Auftreten der bosnischen Behçrden gegen die Mohammedaner“ bergab der trkische Botschafter am 3. 8. 1901 dem k.u.k. Außenministerium. Der Beschwerdefhrer beklagte insbesondere die „Schwierigkeiten, welche den Passwerbern gemacht wrden“, und forderte den trkischen Großwesir auf, „dahin zu wirken, dass die Auswanderungspsse, um welche sich hundert Familienvter beworben htten, nunmehr ohne Zçgern ausgestellt werden“. 45 Ebd., 42400 – 1891, k.u.k. Finanzministerium an k.u.k. Außenministerium, 29.11.1891. 46 Ebd., 7006 – 1892, Vertraulicher Bericht des k.u.k. Botschafters Baron Calice aus Konstantinopel, 15.2.1892. Nach diesem Bericht stand sogar eine Remigrationsbewegung aus der Trkei nach Bosnien unmittelbar bevor. „Eine Anzahl [der bosnischen Einwanderer] ist aus diesen Grnden [Knappheit materieller Ressourcen, d. Vf.] bekanntlich wieder nach Bosnien zurckgekehrt; und nach den Informationen des Gewhrsmannes drften hnliche Dispositionen zur Rckkehr noch bei manchen anderen Zugewanderten bestehen.“

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sitzer verließen das Land, weil die wirtschaftliche Modernisierung ihre Existenz gefhrde: „Es ist an sich fr das Land kein Verlust, wenn Elemente dasselbe verlassen, die sich den neuen wirthschaftlichen Verhltnissen nicht anbequemen wollen, weil ihnen die Thatkraft mangelt mit eigener Arbeit den Kampf ums Dasein auszufechten.“

Die Eindmmung der Emigration durch die habsburgische Verwaltung wurzelte also nicht in merkantilistischen berzeugungen, sondern war vielmehr politisch motiviert: „Eine steigende Tendenz der mohammedanischen Auswanderungen bedeutet aber ohne Rcksicht auf den wirthschaftlichen Werth der Emigranten, fr das Land und seine Verwaltung in politischer Beziehung die Schwchung eines gutgesinnten Elements und trgt außerdem als moralischer Faktor wesentlich dazu bei, die ohnehin schon bestehende serbische Recrudescenz [Wiedererstarken, d. Vf.] … weiter zu bestrken.“

Als Maßnahmen gegen die Emigration empfahl der Bericht, „die rechtliche und materielle Lage der Bevçlkerung fortgesetzt zu verbessern, … friedliche Kulturarbeit … Entwicklung der wirtschaftlichen Hilfsquellen … [und] intellektuellen Fortschritt“.47 Trotz dieser Empfehlungen und trotz der Erschwerung der Auswanderung durch die Behçrden verließen zwischen 1878 und 1918 ungefhr 60.000 Muslime Bosnien.48 Der bergang zur Migrationspolitik der geschlossenen Tren Mit der „serbischen Recrudescenz“ sprach der Bericht von 1891 eine Entwicklung an, welche die bosnischen Behçrden stark beunruhigte. Die sich intensivierenden Aktivitten politischer Gruppen gegen die habsburgische Herrschaft veranlassten die Regierung, ab den frhen neunziger Jahren serbischen Staatsangehçrigen zunehmend den Zutritt zum bosnischen Territorium zu verwehren. 1892 wies sie den serbischen Theaterdirektor Folije Ilicˇic´ aus, weil er „aufwieglerische Reden“ gefhrt hatte. 1894 bat die serbische Gesandtschaft in Wien das k.u.k. Außenministerium „in Betreff sehr vieler Reclamationen“ der bosnischen Landesregierung an serbischen Reisepapieren darum, den Betroffenen, deren Psse inzwischen wie gefordert erneuert worden waren, nicht lnger die Einreise zu verweigern. Da die genannten Psse immer noch in den Akten liegen, kann man davon ausgehen, dass die Behçrden der serbischen Bitte nicht entsprachen.49 hnliche Restriktionen 47 Wien, HHStA, Md, Adm. Reg., F61, Ktn 20, 23. 10. 1891, vertraulicher Bericht zur politischen Lage in Bosnien und der Herzegowina. 48 Bittiger, S. 27. Donia, S. 30. Bittiger beziffert die Netto-Emigration auf 60.000, whrend Velikonja, S. 127, von 100.000 Emigranten spricht, wahrscheinlich ohne die Remigration zu bercksichtigen. 49 Wien, HHStA, Md, Adm. Reg., F61, Ktn 20, 29621 – 1892, 38237 – 1892 und 22931 – 1894,

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trafen auch oppositionelle Muslime. In diesen Fllen bedienten sich die Behçrden hufig eines administrativen Tricks. Sie erklrten politisch unliebsame Bosnier, nachdem diese das Land verlassen hatten, zu illegalen Auswanderern und untersagten ihnen daraufhin die Rckkehr.50 Im Lauf der Zeit intensivierte die Verwaltung diese Praxis. 1911 sandte die Landesregierung 55 Listen mit den Namen derjenigen Personen, die Bosnien „befugt oder unbefugt“ verlassen hatten und denen die Rckkehr nicht gestattet sei, an die k.u.k. Botschaft in Konstantinopel.51 Nochmals verschrft wurde diese Praxis nach Kriegsausbruch. Am 21. September 1916 aberkannte die bosnische Landesregierung allen „in das Ausland geflchtete[n] Personen“, die bis Ende Oktober nicht nach Bosnien zurckkehrten, die Landesangehçrigkeit. Dadurch verloren die Betroffenen ihre çffentlichen Befugnisse, Stellungen und Rechte.52 Whrend des Ersten Weltkriegs gab die bosnische Landesregierung die anfngliche Migrationspolitik der offenen Tren schließlich gnzlich auf und verkehrte sie in eine Politik der fast totalen Restriktion. Das politische Misstrauen gegenber Auswanderern war nun allgegenwrtig. Als das k.u.k. Kriegsministerium 1916 eine „allgemeine Aktion der Rckwanderung der in berseeische Lnder, insbesondere in die Vereinigten Staaten Nordamerikas ausgewanderten bosn.-herceg. Landesangehçrigen“ anregte, antworteten die Landesregierung und das k.u.k. Finanzministerium, dass deren Remigration „aus staatspolitischen Bedenken nicht zu fçrdern“ sei. „Diese Auswanderer sind nmlich teils Serbisch-Orthodoxe, teils solche katholische Kroaten, die bereits grçßtenteils von der sdslavischen Propaganda erfasst wurden, so dass die Rckkehr dieser wenig staatstreuen Elemente nach Bosnien und der Hercegovina gewiß nicht wnschenswert wre.“53

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serbische Gesandtschaft an k.u.k. Außenministerium, 24.5.1894. Die Akte enthlt zahlreiche Beschwerden der Gesandtschaft gegen die Behandlung serbischer Staatsangehçriger an der bosnischen Grenze oder gegen die Ausweisung von Serben aus Bosnien. Das k.u.k. Außenministerium verlieh diesen Beschwerden çfters Nachdruck, woraufhin sich das k.u.k. Finanzministerium und die bosnische Landesregierung durchgngig schtzend vor die lokalen Behçrden stellten. In manchen Fllen mussten allerdings trotzdem Fehler und administrative Willkr zugegeben werden. Donia, S. 164. 1892 leitete die k.u.k. Botschaft in Konstantinopel eine Beschwerde des bosnischen Landesangehçrigen Sarif Smailajic´ nach Wien weiter, dem seitens der bosnischen Landesregierung „die Rckkehr in die Heimat verwehrt wurde“. Wien, HHStA, Md, Adm. Reg., F61, Ktn 20, 36764 – 1892, k.u.k. Botschaft in Konstantinopel an k.u.k. Außenministerium, 6.9.1892. Unterlagen zu zahlreichen hnlich gelagerten Fllen finden sich auch ebd., F57, Ktn. 44. Wien, HHStA, Md, Adm. Reg., F57, Ktn. 44. Wien, AVA, MdI, Prs. 8, Fasz. 1553, 7814 – 1917 und 4028 – 1917. Wien, HHStA, Md, Adm. Reg., F15, Ktn. 10, 467 – 1916, k.u.k. Finanzministerium an k.u.k. Kriegsministerium, 24.5.1916. Allenfalls „Einzelrepatriierungen“ wollte die Landesregierung zulassen. Sie regte an, dass „die kroatischen Hilfsvereine in Bosnien und der Hercegovina

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Neben diesen politischen Bedenken standen, wie in Kriegszeiten nicht anders zu erwarten, wehrrechtliche Argumente im Vordergrund. In zwei Fllen war bereits 1913 das Problem aufgetreten, dass aus den USA zurckgekehrte Bosnier sich unter Verweis auf ihre US-amerikanische Staatsangehçrigkeit weigerten, der Wehrpflicht in Bosnien nachzukommen.54 ber die Ablehnung der Remigrationsfçrderung hinausgehend, forderte die bosnische Verwaltung 1916 praktisch ein generelles Auswanderungsverbot. Sie wollte an den Kriegsmaßnahmen in Friedenszeiten festhalten und die Emigration mnnlicher Landesangehçriger dauerhaft nicht nur bis zum 36., sondern bis zum 50. Lebensjahr untersagen. Interessanterweise begrndeten die Behçrden diese Forderung, in Umkehrung der Argumentation von 1891, mit wirtschaftspolitischen Motiven: „Nachdem die Regelung der Auswanderung aus Bosnien und der Hercegovina mit den hierfr in den beiden Staaten der Monarchie geltenden oder zu erlassenden Vorschriften in mçglichsten Einklang zu bringen sein wird, … wird sich das gemeinsame Finanzministerium gerne allen Vorschlgen anschließen, die auf die Strkung der Wehrkraft und die fr die wirtschaftliche Kraft des Staates nicht minder notwendige Erhaltung der ackerbau- und gewerbetreibenden Bevçlkerungsklassen abzielen.“55

Der Umgang mit ethno-religiçsen Differenzen Die Untersuchung hat bisher gezeigt, dass sich das Handeln der bosnischen Verwaltung zumeist am Prinzip der ethnischen Neutralitt orientierte. Doch auch in Bosnien gewannen die ethnischen Unterschiede zwischen bosnischen Muslimen, serbischen Orthodoxen und katholischen Kroaten zunehmend an Bedeutung, fr die Regierung wie fr die Fremd- und Selbstwahrnehmung der verschiedenen Bevçlkerungsgruppen (Abbildung 4). Der Frage nach dem administrativen und rechtlichen Umgang mit diesen Differenzen widmet sich der Rest dieses Kapitels. interessiert und ihre Bemhungen eventuell durch staatliche Mittel untersttzt werden“ kçnnten. 54 In diesen Fllen galt der 1870 zwischen sterreich-Ungarn und den USA abgeschlossene Vertrag, der nach dem allgemeinen Muster der sogenannten Bancroft-Vertrge bestimmte, dass die Einbrgerung von Auswanderern nach fnfjhrigem Aufenthalt im jeweils anderen Land gegenseitig als rechtlich bindend anerkannt werden wrde. sterreich, RGBl. 1871, Nr. 74. Allerdings bestritt die bosnische Regierung, dass dieser Vertrag fr Bosnien gltig wre, und verzichtete nur auf Drngen des k.u.k. Außenministeriums, und nachdem sie nachtrglich die Entlassung der beiden Betroffenen aus der Landesangehçrigkeit verfgt hatte, darauf, Spiro Radoc´ic´ und Mihajlo Ljubibratic´ zur Erfllung der Wehrpflicht zu zwingen. Diese Entscheidungen wurden vor Kriegsausbruch getroffen und das hier zitierte Schreiben datiert von vor dem Kriegseintritt der USA. 55 Wien, HHStA, Md, Adm. Reg., F15, Ktn. 10, 467 – 1916, k.u.k. Finanzministerium an k.u.k. Kriegsministerium, 24.5.1916.

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Abb. 4: Sichtbare Unterschiede? Ethnografische Zeichnungen: „Orthodoxe aus dem Sarajevsko Polje“ (Ladislaus Batakn), „Muslimische Frauen aus Mostar“ (Rudolf von Ottenfeld) und „Weiße Zigeuner“ (Ladislaus Batakn), verçffentlicht im sogenannten Kronprinzenwerk 1901, aus: M. Okuba u. M. Sˇosˇe, Bosnien-Herzogovina vor 100 Jahren in Wort und Bild, Tuzla 2004, S. 101, 107 und 115.

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Die Anfangszeit der habsburgischen Herrschaft war stark von der Idee religiçser und konfessioneller Neutralitt geprgt. Diese stellte die verschiedenen Gruppen gleichberechtigt nebeneinander und den Gedanken der Toleranz ins Zentrum.56 Die etatistische Logik der Neutralitt korrespondierte dabei mit dem rationalen und autoritren Selbstverstndnis der Verwaltung. Beides war in Bosnien eng mit dem Namen Benjamin von Kall ys, k.u.k. Finanzminister bis 1903, verbunden.57 Die administrative Rationalitt gipfelte in dem Versuch, eine supra-konfessionelle Identitt zu konstruieren und zu etablieren, welche die unterschiedlichen Gruppen in einem bosnischen Nationalbewusstsein, dem „Bosniakentum“, zusammenfhren sollte.58 Dementsprechend verbannten die Behçrden zunchst die einzelnen, gleichsam sektiererischen ethno-religiçsen Identitten aus der çffentlichen Sphre.59 Die Bevçlkerung sollte die çkonomischen Frchte der Modernisierungspolitik genießen und sich politisch weitestgehend passiv verhalten.60 Diese Sptform des Aufgeklrten Absolutismus scheiterte jedoch nicht nur am Unwillen von Teilen der Bevçlkerung, die sich nicht in die fr sie vorgesehene Rolle der passiven und formbaren Masse fgen wollten. Sie krankte auch an einem inneren Widerspruch. Die Verwaltung wollte einerseits alles bis ins Detail regeln und versprach andererseits, sich nicht in die inneren Angelegenheiten der verschiedenen Religionsgemeinschaften einzumischen.61 Zudem griffen die Behçrden im spten 19. Jahrhundert immer hufiger zur Taktik des Gegeneinander-Ausspielens der verschiedenen ethno-religiçsen Gruppen und brachten diese dadurch ins politische Spiel zurck.62 56 Bittiger, S. 19. Donia, S. 15. Velikonja, S. 135. Friedman, S. 62. Vrankic´, S. 3. 57 Donia, S. 14. Heuberger, S. 2384. Mehrmals wird auf ein Interview mit Kall y verwiesen, das der Daily Chronicle 1895 verçffentlichte. In diesem gab er sinngemß zu Protokoll, „that the AustroHungarian Empire had been given the task of bringing civilization to the peoples of the East. This ,cultural mission‘ would be achieved through rational administration.“ Velikonja, S. 120. 58 Heuberger, S. 2384. Bittiger, S. 11 und 31. Velikonja, S. 133. Milojkovic´-Djuric´, S. 7 f, 81 f, 120 f, 126 und 146 f. Dieses Ziel versuchten die habsburgischen Verwalter – fast kçnnte man glauben, die Nationalismusforschung der letzten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts wre ihnen gelufig gewesen – unter anderem durch die Vereinheitlichung der Sprache, durch die Grndung eines Nationalmuseums im Jahr 1888 und durch die Publikation der Zeitschrift „Nada“ zu erreichen. 59 Milojkovic´-Djuric´, S. 91, spricht von einer „policy of systematic suppression of any organization referring even remotely to any nationality“. Diese Politik ging so weit „to even restrict the use of ethnic designations, such as Srpski or Hrvatski“, bei der Benennung von Vereinen oder sonstigen Institutionen. 60 Velikonja, S. 134. Heuberger, S. 2384. Donia, S. 14. 61 Bittiger, S. 19. Nach Bittiger, S. 11, wurde auch das konfessionelle Schulwesen nach 1878 weitgehend beibehalten. In dem bereits erwhnten Interview mit Kall y von 1895 verglich dieser die bosnische Administration mit dem britischen Kolonialverwaltungsmodell der indirekten Herrschaft, das, anders als das assimilierende franzçsische Modell, an vorkolonialen Traditionen festhielt und mit den traditionellen Eliten – die in Bosnien muslimisch waren – kooperierte. Donia, S. 14. 62 Nach Donia, S. 50, untersttzten die Behçrden in den spten achtziger und den neunziger Jahren die Nationalisierung der bosnischen Muslime, um deren Position im Wettstreit der ethno-

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Das Scheitern der supra-ethnischen Neutralittslogik markiert der Politikwechsel nach Kall ys Ablçsung durch Istv n Baron Bfflrian, der bis 1912 k.u.k. Finanzminister war. „Buri n came to grips with political reality and strove to channel political activism in pro-Imperial directions rather than to outlaw it. He gradually liberalized the government’s supervision of ethnic organisations by allowing them to hold meetings, use the names of their appropriate nationalities, and form political associations.“63

Doch das Versagen der aufgeklrt absolutistischen Strategie zeichnete sich bereits im spten 19. Jahrhundert ab.64 Ein vertraulicher Bericht der bosnischen Regierung stellte 1891 ein „erhçhtes Selbstbewusstsein bei dem serbisch-orthodoxen Theile der Bevçlkerung“ fest, der zunehmend politische Forderungen erhob. Diesem Vorbild eiferten auch die Muslime nach, die – verngstigt von den serbischen Aktivitten – in die „Aufrechterhaltung ihrer religiçsen Starrheit“ flchteten. Sie strebten, so der Bericht, vor allem danach, ihre „religiçs-nationale Rechtssphre“ zu schtzen. Diese Entwicklungen erschwerten „in politischer Beziehung die bisherige absolute Bewegungslosigkeit [der Bevçlkerung, d. Vf.] zu erhalten“.65 Einen weiteren Beleg fr die wachsende Unzufriedenheit der bosnischen Muslime liefert eine Beschwerde von 1901, die beklagte, dass die bosnischen Behçrden „das muslimische Element in jeder Weise bedrcken“ und einzelne Beamte sich sehr brutal verhielten. Der Autor bat die trkische Regierung, der „schlechten Behandlung [seiner] Glaubensgenossen Einhalt zu thun“.66

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religiçsen Gruppen zu strken. Auch Heuberger, S. 2384, bezeichnet die „Rcksichtnahme auf die Muslime“ als einen wichtigen Grundzug von Kall ys Politik. Velikonja, S. 119, spricht von dem Versuch der habsburgischen Behçrden, die Katholiken und die Muslime fr sich zu gewinnen und gegen die Serben zu vereinen. Donia, S. 168. Heuberger, S. 2409 f. Velikonja, S. 134. Donia, S. 61, verweist auf Auseinandersetzungen im Jahr 1897, in denen die Muslime großteils erfolgreich forderten, dass die bosnischen Scharia-Gerichte ihre Entscheidungen weiterhin in Trkisch verfassen sollten, dass „Muslims serving in the Austrian army be identified by special insignias so that their religious customs could be fully respected“, dass eine Schule fr muslimische Mdchen eingerichtet, und dass muslimische und christliche Arbeiterinnen in der Teppichfabrik von Sarajevo strenger getrennt werden sollten. Bittiger, S. 33, betont die Bedeutung des nach 1878 anwachsenden Zeitungswesens, den Widerstand der Muslime gegen die Politik der sprachlichen Vereinheitlichung und ihr Festhalten an in lokalen Sprachvarianten verfassten Schulbchern. Ebd., S. 23. Milojkovic´-Djuric´, S. 48 f, unterstreicht die Rolle von Lesehallen und Gesangsvereinen. Wien, HHStA, Md, Adm. Reg., F61, Ktn 20, k.u.k. Finanzministerium an k.u.k. Außenministerium, 23. 10. 1891, vertraulicher Bericht zur politischen Lage in Bosnien und der Herzegowina. Den Beginn der politischen „Bewegung“ in beiden Gruppen fhrte der Bericht brigens auf Vorgnge jenseits der bosnischen Grenzen in Serbien und in der Trkei zurck, welche die Bosnier genau beobachteten. Die geschlechtliche Konnotation der Rollen, die der Bericht den ethnischen Gruppen zuwies – aktive Serben und passive Muslime –, kann hier nicht eingehend analysiert werden. Wien, HHStA, Md, Adm. Reg., F61, Ktn 20, 51163 – 1901, Beschwerde eines gewissen Abdullah

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Letztlich scheiterte der Versuch der Verwaltung, den verschiedenen religiçsen Differenzen ihre Bedeutung zu nehmen. Stattdessen kam es zur Ethnisierung, Politisierung und Nationalisierung der konfessionellen Identitten.67 Diese Prozesse ußerten sich vor allem in Konflikten ber Konversionen und ber die Frage, wie man den bertritt in eine andere Religionsgemeinschaft rechtlich regeln sollte. Außerdem spielten Forderungen nach kultureller und religiçser Autonomie eine entscheidende Rolle.68 1879 verbot die Landesregierung den Behçrden zunchst jegliches Einschreiten bei Konversionen. Sie erklrte Religionswechsel zu inneren Angelegenheiten der jeweils betroffenen Religionsgenossenschaften.69 Kurz darauf verfgte das Bezirksamt in Visoko, dass „den Mohammedanern, welche zum christlichen Glauben bertreten wollen, dieses dem Rechte nach zu thun nicht erlaubt ist“. Dieser Vorgang lçste Proteste von katholischer Seite aus, die 1880 „mit Rcksicht auf das der diesseitigen Regierung zustehende Recht der Einflussnahme auf die Verwaltung von Bosnien und der Herzegowina“ zu einer Interpellation im çsterreichischen Reichsrat fhrten.70 In seiner Antwort betonte der cisleithanische Ministerprsident Taaffe den Grundsatz der Glaubensfreiheit, der auch das Interventionsverbot von 1879 prge. „Das gemeinsame Ministerium erblickt … in der Enthaltung der Behçrden von jeder Einwirkung auf das gegenseitige Verhltniß der in Bosnien nebeneinander bestehenden Religionen und Glaubensbekenntnisse … das einzige Mittel, um die Ruhe der Gemther zu erhalten und die Verhltnisse sich friedlich entwickeln zu lassen.“

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aus Bihacˇ gegen das Auftreten der bosnischen Behçrden gegen die Mohammedaner. Der trkische Botschafter bergab diese am 3. 8. 1901 dem k.u.k. Außenministerium. Donia, S. 3 f, bezeichnet die Religion als wesentlichen Faktor der Ethnogenese in Bosnien und betont die sptestens der Jahrhundertwende berragende internationale Bedeutung des Nationalismus insbesondere auf dem Balkan. Ebd., S. 166 f. Marko, S. 6 f, spricht von der „emergence of a ,denominational nationality‘ conducive to a special ethnic national awareness extending beyond religious bonds and loyalties“. Deutlicher bezeichnet Velikonja, S. 122 f, diesen Vorgang als „nationalization of religious communities“. Zwischen 1878 und 1918 habe eine nationale Identitt die „religio-cultural identity“ ersetzt. Ebd., S. 1 f und 123. Nur „the Muslim Slavs failed to develop a specific and separate national identity“, was nach Velikonja, S. 123 und 131, im anationalen Charakter des Islam begrndet war. Im Gegensatz dazu kam es nach Donia, S. XII, trotz des Fehlens çkonomischer Ressourcen und einer intellektuellen Avantgarde zur Entstehung einer muslimischen Nationalbewegung. Donia, S. 30 und 129. Bittiger, S. 27. Marko, S. 6 f. Vrankic´, S. 644 f. Zirkularerlass der Landesregierung vom 6.10.1879. Zit. nach Vrankic´, S. 647 f. Nach Vrankic´, S. 650, planten katholische wie orthodoxe Institutionen die Missionierung der Muslime. In den meisten Fllen konvertierten Frauen zur Religion oder Konfession ihres Verlobten. Der Erlass von 1879 war, so Vrankic´, S. 648, „von .. Toleranz sowie der liberalen … Gesetzgebung getragen“. Außerdem beruhte er auf der Einsicht, dass die Normierung der Konversion ein kompliziertes Unterfangen war. Ebd., S. 653. Abgeordnetenhaus des çsterreichischen Reichsrats, 9. Session, S. 1892, 16. 3. 1880, Interpellation des Abgeordneten Richard Clam-Martinic und Genossen. s.a. Vrankic´, S. 648 f.

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Der Bezirkshauptmann von Visoko, der offensichtlich gegen dieses Prinzip der Nicht-Einmischung verstoßen habe, sei bereits von seinem Posten entfernt worden.71 Doch die Behçrden hielten nicht dauerhaft an der Politik der Nicht-Intervention fest. Die insbesondere vom katholischen Erzbischof von Sarajevo Josip Stadler betriebene Missionierungspolitik und die zunehmenden Proteste muslimischer Gruppen erzwangen schließlich eine offizielle Regelung der Konversion.72 Nach der Konversionsordnung von 1891 durften nur Personen, die ber 23 Jahre alt waren, die Religion wechseln. Zudem musste ein Seelsorger ihrer bisherigen Glaubensgemeinschaft besttigten, dass sie ihre Entscheidung aus freiem Willen getroffen hatten.73 Doch diese Verordnung beruhigte mitnichten die Situation.74 Obwohl die Konversion in Bosnien nie ein Massenphnomen war – insgesamt konvertierten zwischen 1878 und 1918 ungefhr 500 Muslime zum christlichen Glauben – trugen die einzelnen Flle massiv zur aggressiven Aufladung der interreligiçsen Atmosphre bei. Ein Kompromiss, der zur allseitigen Beruhigung gefhrt htte, konnte bis 1918 nicht gefunden werden.75 71 Abgeordnetenhaus des çsterreichischen Reichsrats, 9. Session, S. 3169 und 3171 f, 10.5.1880. Um die Politik der bosnischen Regierung genauer zu erlutern, fgte Taaffe hinzu, er erachte „unter den heutigen Verhltnissen, wo sich die drei Hauptreligionen in diesen Lndern noch so schroff entgegenstehen, den bertritt von der mohammedanischen Religion zum Christenthume, durch eine Normativverordnung zu regeln und diesbezglich den politischen Behçrden eine Ingerenz einzurumen, nicht fr rathsam, ja gar nicht fr zweckmßig“. Konversionen seien allein eine Angelegenheit der „geistlichen Vorstehungen, also des Odz´a und Imam, und des betreffenden christlichen Seelsorgers“. 72 Als katholische Geistliche 1890 die Konvertitin Useifa Belahmetovic´ versteckten und ihre Verwandten und muslimische Geistliche von ihr fernhielten, versprach Benjamin von Kall y angesichts der Proteste gegen die „Zwangstaufe muslimischer Mdchen“ die Konversionspraxis offiziell zu regeln. Vrankic´, S. 654 f. Bittiger, S. 23 f. Donia, S. 30 und 55 f. 73 Vrankic´, S. 657 f und 666 [sic!]. Bittiger, S. 24. Wie Vrankic´, S. 660, zu dem Schluss kommt, dass die Konversionsordnung darauf zielte, „die bisherige nominelle Freiheit der Konversion zu unterbinden und die theoretische Neutralitt der politischen Behçrden … aufzuheben“, ist unverstndlich. 74 Die katholische Hierarchie sah durch die Konversionsordnung ihre Interessen verletzt. Unter Einschaltung des Vatikans und der k.u.k. Regierung vereinbarte man 1893 vertraulich, dass die Behçrden auch Konversionen von ber Vierzehnjhrigen tolerieren wrden. Vrankic´, S. 661, 665 f und 670 f. Bittiger, S. 24. Diese Praxis lçste wiederum muslimische Proteste aus. 1903 entfernten die Behçrden eine muslimische Witwe, die mit ihren beiden Tçchtern zum Katholizismus konvertieren wollte, gewaltsam aus einem Kloster. Diese Frau wandte sich spter „aus einem Harem … [an] Erzbischof Stadler um Befreiung“. Vrankic´, S. 677 f. Daraufhin interpellierte ein Delegierter die k.u.k. Regierung, welche antwortete, dass ihres Erachtens keine Verletzung der individuellen Freiheit vorliege. Donia, S. 63 f. Zum Zusammenhang der Konversion Fata Omanovic´s von 1899 mit der Entstehung der muslimischen Autonomiebewegung s. Vrankic´, S. 675. Donia, S. 129. Interessant ist ferner, dass einige Akteure den Religionswechsel in Dalmatien oder Kroatien deklarierten, um so die Verordnung von 1891 zu umgehen. 75 Die Zahl 500 stammt von Bittiger, S. 24. Vrankic´, S. 686, vermeidet eine Quantifizierung des Phnomens und konstatiert stattdessen, dass die Katholiken am meisten Glubige verloren htten, whrend die Orthodoxen am erfolgreichsten missionierten. 1906 wurde eine Geldstrafe

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Bei der Durchsetzung der religiçsen Autonomie muss man zwei Prozesse unterscheiden. Zunchst strebte die habsburgische Verwaltung danach, die Religionsgemeinschaften organisatorisch von ihren außerhalb des Landes gelegenen Machtzentren zu trennen. Insbesondere wollten die bosnische und die k.u.k. Regierung die jeweiligen religiçsen Oberhupter selbst einsetzen. Die orthodoxe und die katholische Amtskirche wurden 1880 und 1881 in diesem Sinne reorganisiert.76 Auch die muslimische Hierarchie in Bosnien lçste sich 1882 weitgehend von Konstantinopel und akzeptierte die habsburgische Kontrolle.77 Spter drangen Vertreter der Religionsgemeinschaften auf Unabhngigkeit von der bosnischen Regierung. Am deutlichsten formulierten die SerbischOrthodoxen und die Muslime ihre Autonomieforderungen. 1905 sicherte die Verwaltung den orthodoxen Serben die Schul- und Kirchenautonomie zu.78 1909 trat nach langen Verhandlungen das muslimische Autonomiestatut in Kraft.79 Die muslimische Autonomie war aus zwei Grnden besonders problematisch. Zum einen forderten die bosnischen Muslime ein Mitspracherecht des Scheich-ul-Islam in Konstantinopel bei der Ernennung des Oberhaupts der bosnischen Muslime, des Reis-ul-Ulema. Dieses gewhrten die bosnischen Behçrden letztlich.80 Zum anderen argumentierten die muslimischen Vertreter, dass „Islam did not recognize the jurisdiction of unbelievers

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gegen Erzbischof Stadler wegen Verstoßes gegen die Konversionsordnung verhngt. Ebd., S. 678 f. Bittiger, S. 24. „Ebenfalls den amtlichen Statistiken zufolge, haben sich zwischen 1878 und 1916 nur 3 Personen als konfessionslos deklariert.“ Vrankic´, S. 687. Donia, S. 18 f. Vrankic´, S. 93 f und 390 f. Kesselring, S. 30 f, erwhnt die Vertrge sterreichUngarns mit dem kumenischen Patriarchen in Konstantinopel vom 28. 3. 1880, sowie mit dem Vatikan vom 8.6.1881. Danach berief der çsterreichische Kaiser Bischçfe und Metropoliten, die ihre Gehlter von der Regierung erhielten. Die genannten Vertrge sollten den Einfluss der orthodoxen Kirche in Belgrad und des Franziskanerordens zurckdrngen. Dies gelang allerdings nur mit mßigem Erfolg. Schmid, S. 659 f. Kesselring, S. 34. Bittiger, S. 20. Donia, S. 21 f. Nach 1882 wurde der Reis-ul-Ulema als religiçses Oberhaupt der Muslime in Bosnien durch die Behçrden eingesetzt und ein eigenstndiges islamisches Rechtssystem etabliert. Wien, HHStA, Md, Pol. Arch, XXXX., Ktn 210, Frage der Regelung des mohamedanischen Cultus in Bosnien und der Herzegowina, 1879 – 1885. Zur Durchsetzung des „ausschließlich geistliche[n] Wirkungskreis[es] des Chefs der bosnischen Ulemas“ s. ebd., Adm. Reg., F61, Ktn 20, 36154 – 1891, k.u.k. Außenministerium an k.u.k. Botschaft in Konstantinopel, 10.1.1891. In diesem Schreiben protestiert das Außenministerium dagegen, dass sich die trkischen Behçrden mit der Bitte um Informationen ber bosnische Einwanderer an den Reis-ul-Ulema gewandt hatten. Donia, S. 30 und 169. Vrankic´, S. 235 f. Nach Heuberger, S. 2410, begnstigte der Wechsel von Kall y zu Buri n die Verwirklichung der serbischen Autonomieforderungen. Kesselring, S. 33 f, weist auf einen Wechsel der Begrifflichkeit hin. Whrend vor 1905 nur von „(griechisch-) Orthodoxen“ die Rede war, verwendeten die Behçrden danach auch den Begriff „serbischorthodox“. s.a. Schmid, S. 669 f. Donia, S. 138 f und 172 f. Bittiger, S. 21 und 26. Schmid, S. 685 f. Kesselring, S. 34. Dass dieser Wunsch 1909 erfllt wurde, hing sicherlich damit zusammen, dass nach der Annexion von 1908 der Einfluss der Hohen Pforte fr die habsburgische Administration keine große Gefahr mehr darstellte. Donia, S. 174.

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over its religious organizations“.81 Deswegen wollten die bosnischen Muslime ihre Autonomie zunchst unabhngig von der Regierung als freiwillige Vereinigung organisieren.82 Das Statut von 1909 errichtete aber eine andere Struktur. Diese war eng an das Vorbild der autonomen Behçrden in Cisleithanien angelehnt. Die autonome Organisation der Muslime wurde in vier Ebenen unterteilt. Auf der untersten Ebene whlten (zumindest theoretisch) alle Mitglieder Reprsentanten, die dann Vertreter auf die jeweils nchsthçhere Ebene delegierten. An der Spitze stand die Landesversammlung in Sarajevo, zu deren Aufgaben es gehçrte, „to supervise schools, select textbooks, direct the management of vakuf properties, prepare an annual budget, and otherwise administer Islamic affairs“.83 In den Auseinandersetzungen um die Konversionen und die Autonomieforderungen organisierten sich die ethno-religiçsen Gruppen politisch. Sptestens mit den jeweiligen Parteibildungen kann man von nationalen Unterscheidungen sprechen. 1906 wurde eine muslimische National- oder Volkspartei (MNO) gegrndet, und 1907 eine serbische (SNO) sowie 1908 eine kroatische (HNZ), so dass „each ethnic group was represented by at least one party“.84 Ethno-religiçse Differenzierungen im bosnischen Landesstatut von 1910 Diesen Parteien schuf das bosnische Landesstatut von 1910 mit dem Landtag eine çffentliche Bhne. Vor der Untersuchung des Umgangs mit ethnischer Heterogenitt bei den politischen Staatsbrgerrechten sollen jedoch kurz die sozialen Rechte und die Wehrpflicht analysiert werden. Auch die bosnische Regierung arbeitete im frhen 20. Jahrhundert an der Einfhrung eines modernen Sozialversicherungswesens, welches das Armenrecht ergnzen sollte. 1909 trat das Gesetz ber die obligatorische Arbeiterkrankenversicherung in Kraft, das sich weitgehend am çsterreichischen Vorbild orientierte.85 hnlich wie in Cisleithanien spielten ethnische Differenzierungen dabei keine Rolle. Gleiches gilt fr die bosnische Armenverwaltung. Allerdings besaßen die sozialen Staatsbrgerrechte vor dem Ersten Weltkrieg ohnehin keine große 81 Donia, S. 141. Heuberger, S. 2383. 82 Ein serbischer Rechtsanwalt, der die muslimischen Vertreter in Budapest bei der Formulierung ihrer Forderungen untersttzte, regte dagegen an, sich eher an korporativen und reprsentativen Strukturen zu orientieren, „so that the autonomous bodies would be governmental institutions rather than private associations of members“. Donia, S. 139. 83 Donia, S. 174. 84 Donia, S. 181. Bittiger, S. 27. Donia, S. XIf und 175. Marko, S. 6 f. Hinzuzufgen wre noch die Grndung einer christlich-sozialen katholisch-kroatischen Partei durch Erzbischof Stadler im Jahr 1910. Donia, S. 175. Interessant ist ferner, dass die Grndung der MNO in Budapest vorbereitet wurde, wo 1900 ein Treffen bosnischer Muslime stattfand. Dort richteten sie ein stndiges Bro ein. Donia, S. 128 f. 85 Schmid, S. 655. Zu den Beratungen lud die Landesregierung Vertreter des k.u.k. Finanzministeriums, Unternehmer und Arbeiterdelegierte ein. Pester Lloyd, Donnerstag, 5. 11. 1908, S. 4.

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praktische Relevanz.86 Ganz anders verhielt es sich mit der Wehrpflicht, deren Erfllung ein zentrales Interesse der bosnischen Behçrden darstellte. Dabei waren ethno-religiçse Differenzierungen am Rande von Belang, beispielsweise bei der Freistellung von Geistlichen, der Eidesformel und im militrischen Alltag.87 Insgesamt zielte die rechtliche und administrative Ausgestaltung der Wehrpflicht darauf, alle gleichermaßen und unabhngig von ihrer ethno-religiçsen Zugehçrigkeit zum Dienst zu zwingen. Allerdings verweist die Durchsetzung der Wehrpflicht an sich auf die rechtliche Diskriminierung der bosnischen Landesangehçrigen gegenber den çsterreichischen und ungarischen Staatsangehçrigen. Denn obwohl sie zum Dienst in der gemeinsamen Armee verpflichtet waren, blieb den Bosniern die Partizipation an politischen Entscheidungen auf imperialer Ebene verwehrt. sterreicher und Ungarn dagegen waren ber die Delegationen der jeweiligen Parlamente zumindest theoretisch beteiligt. Gleichzeitig hatte der bosnische Landtag, anders als der Reichsrat in Wien und der Reichstag in Budapest, keinen Einfluss auf wichtige Gesetze. Das Wehrrecht beispielsweise regelten fr Bosnien kaiserliche Verordnungen in absolutistischer Manier. Zudem blieb die bosnische Gesetzgebung prinzipiell abhngig von der Zustimmung der k.u.k., der k.k. und der k.u. Regierungen.88 Dieses im Kern koloniale Verhltnis zwischen Bosnien und sterreichUngarn blieb auch nach der Annexion von 1908 bestehen. Diese begrndete die Regierung damit, dass nur die Erstreckung der habsburgischen Souvernitt auf Bosnien und die Herzegowina eine konstitutionelle Ordnung ermçglichte: „Durchdrungen von der unerschtterlichen berzeugung, dass die hohen kulturellen und politischen Zwecke, um derentwegen die çsterreichisch-ungarische Monarchie die Besetzung und Verwaltung Bosniens und der Herzegowina bernommen 86 Schmid, S. 643 f. 87 Von der Wehrpflicht befreit waren nach § 11 des Wehrgesetzes von 1881 „[a]usgeweihte Priester und Seelsorger aller gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgenossenschaften, bei den Mohamedanern die Mollahs, die dienenden Scheriatrichter, die Mudaris, welche regelmßig Vorlesungen halten, die geprften Imams und Hatibs, wenn sie ihre geistlichen Funktionen persçnlich ausben, dann die Schexch’s. Mçnche, welche nicht zu Priestern ausgeweiht sind, und Derwische haben auf diese Begnstigung nur dann Anspruch, wenn sie schon vor der Kundmachung dieses Gesetzes in den Klosterverband aufgenommen worden sind.“ Provisorisches Wehrgesetz fr Bosnien, S. 7 f. Zur Frage, ob die Eidesformel das Wort „apostolisch“ enthalten sollte und zur Einsetzung von Militr-Imamen s. Wien, HHStA, Md, Pol. Arch, XXXX., Ktn 209, Bosnisches Wehrgesetz, 1881 – 1886. Nach Donia, S. 61, wurde um 1900 auch die Forderung nach speziellen Uniformabzeichen fr muslimische Soldaten erfllt, „so that their religious customs could be fully respected“. 88 Bernatzik, Die çsterreichischen Verfassungsgesetze, S. 699 und 1037. Das Wehrgesetz fr Bosnien und die Herzegovina von 1912, S. 6 f. „Alle Regierungsvorlagen hatten vor ihrer Einbringung in den Landtag die Zustimmung der beiden Regierungen nçtig, und fr alle im Landtag beschlossenen Gesetzentwrfe musste erst die Zustimmung der beiden Regierungen eingeholt werden.“ Heuberger, S. 2418. Vrankic´, S. 31 und 47 f.

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hat, und die mit schweren Opfern erzielten Erfolge der bisherigen Verwaltung nur durch Gewhrung von ihren Bedrfnissen entsprechenden verfassungsmßigen Einrichtungen dauernd gesichert werden kçnnen, fr deren Erlassung aber die Schaffung einer klaren und unzweideutigen Rechtsstellung der beiden Lnder die unerlssliche Voraussetzung bildet, ….“89

Die bosnische Verfassung, im Februar 1910 oktroyiert, war stark von cisleithanischen Vorbildern geprgt.90 § 2 des Landesstatuts verfgte die Gleichheit aller Landesangehçrigen vor dem Gesetz und erklrte die supra-ethnische Neutralitt des Rechts zum leitenden Prinzip. Das Statut enthielt auch anerkennend differenzierende Bestimmungen. § 8 garantierte die Glaubensfreiheit, wobei er „die islamistische, die serbisch-orthodoxe, die rçmisch- und griechisch-katholische, die evangelische, Augsburger und helvetischer Konfession [und] die israelitische“ als staatlich anerkannte Glaubensgenossenschaften gesondert erwhnte. Diesen gewhrte § 9 das Recht, ihre inneren Angelegenheiten selbst zu verwalten. § 11 schließlich erinnerte deutlich an den Artikel 19 des çsterreichischen Staatsgrundgesetzes von 1867 und sicherte den Landesangehçrigen die „Wahrung der nationalen Eigenart und Sprache“ als individuelles Grundrecht zu.91 Am deutlichsten ausgeprgt waren die anerkennenden Differenzierungsmechanismen allerdings in der zugleich mit dem Landesstatut erlassenen Wahlordnung, welche die Zusammensetzung des bosnischen Landtags regelte.92 Alle mnnlichen Landesangehçrigen ber 23 Jahren genossen das aktive Wahlrecht.93 Dieses bten sie in drei Kurien aus. In der ersten Kurie whlten Großgrundbesitzer (1. Whlerklasse), wobei in diesem Fall auch Frauen durch Bevollmchtigte das Wahlrecht ausben durften, sowie Hochbesteuerte, Hochschulabsolventen, Geistliche, Beamte und nicht aktive Offiziere (2. Whlerklasse) 18 Abgeordnete. In der zweiten Kurie mit zwanzig Abgeordneten waren die brigen wahlberechtigten Stadt-, und in der dritten mit 34 Abgeordneten die Landgemeindebewohner zusammengefasst. Es galt also ein allgemeines und ungleiches Mnnerwahlrecht. 89 Allerhçchstes Handschreiben des Kaisers an die Ministerprsidenten sterreichs und Ungarns, 5.10.1908. Zit. nach Bernatzik, Die çsterreichischen Verfassungsgesetze, S. 1030. 90 Die bosnische Verfassung setzte sich aus dem Landesstatut, der Wahlordnung, der Geschftsordnung des Landtags, dem Vereinsgesetz und dem Gesetz ber die Bezirksrte zusammen. Heuberger, S. 2415. Donia, S. 169. Velikonja, S. 137. Vrankic´, S.30 und 44 f. 91 Bernatzik, Die çsterreichischen Verfassungsgesetze, S. 1037 f. Als anerkennende Regelung ist ferner § 10 zu nennen: „Die Anwendung der Scheriatrechtes in den Familien-, Ehe- und MulkErbrechtsangelegenheiten der Islamiten untereinander wird gewhrleistet.“ Heuberger, S. 2416. 92 Bei den bereits zuvor eingerichteten Reprsentativkçrperschaften unterhalb der Landesebene differenzierte man teilweise ebenfalls anerkennend nach ethno-religiçsen Kriterien. Heuberger, S. 2409 f. Schmid, S. 73 f. 93 Weitere Voraussetzungen waren die Eigenberechtigung und ein mindestens einjhriger Wohnsitz in Bosnien. Das Wahlrecht genossen außerdem alle çsterreichischen und ungarischen Staatsangehçrigen in bosnischen Diensten. Bernatzik, Die çsterreichischen Verfassungsgesetze, S. 1050 f.

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Die drei Kurien waren nach ethno-konfessionellen Kriterien unterteilt und „die Mandate auf die drei Hauptkonfessionen nach den Verhltniszahlen der Bevçlkerungsstatistik aufgeteilt“. Die „Katholiken“ bestimmten 16, die „Islamiten“ 24 und die „Serbisch-Orthodoxen“ 31 der insgesamt 72 gewhlten Abgeordneten des bosnischen Landtags. „Außerdem entfllt in der II. Kurie auf die Israeliten 1 Mandat.“94 Die Wahlordnung schuf also getrennte Wahlkçrper und unterteilte diese in der zweiten und dritten Kurie wiederum in territoriale Einerwahlkreise. Die Zuordnung erfolgte – hnlich wie in Mhren – durch Listen, welche die Bezirksmter anfertigten und auslegten. ber Einsprche gegen Eintragungen oder Nicht-Eintragungen entschied die Landesregierung. „Fr Kultusfragen betreffende Beschlsse mussten mindestens vier Fnftel der Landtagsmitglieder anwesend sein. Fr die Zustimmung zu einem Beschluss war das Einverstndnis von zwei Dritteln der Anwesenden erforderlich.“95

Diese Regelung rumte den serbisch-orthodoxen Abgeordneten ein Vetorecht in religiçsen Belangen ein. Beschlsse zu „Kultusfragen“ konnten gegen den Willen der jeweils betroffenen Gruppe nur dann durchgesetzt werden, wenn die beiden anderen Gruppen nahezu geschlossen dafr stimmten. Dieses Quasi-Veto und die Zuordnung der Whler zu ethno-nationalen Wahlkçrpern verdeutlichen, wie stark sich die bosnische Wahlordnung am mhrischen Vorbild orientierte.96 Allerdings konnte sie sich in der Praxis kaum bewhren. Der 1910 gewhlte Landtag fhrte in der Zeit der Balkankriege zunehmend aggressiv aufgeladene Debatten. Im Juli 1912 und im Mai 1913 – nach der Verhngung des Ausnahmezustandes – schloss die Regierung den Landtag, da man sich weder ber das Budget noch ber die Sprachenfrage einigen konnte. Zudem erhoben die Abgeordneten immer lautstarker Forderungen nach einer dem Parlament verantwortlichen Regierung und damit nach der weitreichenden Unabhngigkeit Bosniens von der habsburgischen Herrschaft. Nach dem Attentat auf 94 § 5 der Landeswahlordnung. Ebd., S. 1050 f. Heuberger, S. 2417 f. Nach Vrankic´, S. 45, waren die Katholiken und die Muslime leicht berreprsentiert. Personen, die keiner der genannten Religionsgenossenschaften angehçrten, beispielsweise evangelische Christen helvetischer Konfession, konnten sich einen Wahlkçrper aussuchen. Marko, S. 6 f, verweist auf ethnische Gruppen wie die Ruthenen oder die Roma, die von den anerkennenden Differenzierungen ausgeschlossen waren. Die auf den bosnischen Landtag bezogenen Angaben in der Literatur sind teilweise missverstndlich. Marko, S. 6 f, spricht von einem „senate“ wie von einer zweiten Kammer. Der Landtag war allerdings ein Einkammerparlament, das sich aus 20 Virilisten und den 72 gewhlten Abgeordneten zusammensetzte. Zu den 20 Notabeln, die qua Amt Mitglieder des Landtags waren, gehçrten der Chefrabbiner von Sarajevo, die Muftis von Sarajevo und Mostar, die vier orthodoxen und drei katholischen Bischçfe und die zwei Provinzialen des Franziskanerordens. Velikonja, S. 137. Vrankic´, S. 44. 95 Heuberger, S. 2417. 96 Marko, S. 6 f.

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den habsburgischen Kronprinzen wurde der Landtag im Juli 1914 ein drittes Mal geschlossen und im Februar 1915 endgltig aufgelçst.97

3.2. Recht und rassistische Diskriminierung in Britisch-Ostafrika Mit der bernahme der Verwaltung Britisch-Ostafrikas von der British East Africa Company im Jahr 1895 brachte die Londoner Regierung ein politisch und ethnisch sehr komplexes und heterogenes Territorium unter ihre Kontrolle. Einerseits bewohnten und beherrschten verschiedene afrikanische Gruppen die quatoriale Gegend im Osten des Kontinents. Andererseits regierte an der Kste und auf den vorgelagerten Inseln der arabische Sultan von Sansibar. Dort hatte sich auch eine einflussreiche Gruppe von indischen Hndlern niedergelassen. Das zuerst von Missionaren, Forschern und Abenteurern erregte britische Interesse an Ostafrika intensivierte sich durch die Bekmpfung des Sklavenhandels im indischen Ozean und durch den Wettlauf der europischen Mchte um Einfluss in Afrika. Bis 1890 einigten sich das Deutsche Reich und das Vereinigte Kçnigreich auf eine Abgrenzung ihrer Interessensphren. Formal anerkannten sie dabei die Souvernitt des Sultans ber die Inseln und ber einen 10 Meilen breiten Kstenstreifen. Die Formulierung, dass die Regierung in London 1895 mit der Errichtung des British East Africa Protectorate dieses Territorium unter ihre Kontrolle brachte, ist teilweise irrefhrend. Einerseits kontrollierte die Regierung das Sultanat Sansibar, das 1890 zum British Protected State erklrt wurde, nur indirekt und zusammen mit den dort ansssigen arabischen Eliten. Andererseits fehlten in den weiten und weitgehend unerschlossenen Gebieten auf dem Festland Strukturen zur effektiven Machtausbung. Das politische und çkonomische Interesse richtete sich zunchst vornehmlich auf das weit im Inneren des Kontinents liegende Uganda. Zwischen 1895 und 1901 wurde eine Eisenbahnlinie von der Kste zum dortigen Viktoria-See gebaut, die mitten durch das ostafrikanische Protektorat verlief. Dieses Projekt brachte Tausende von Arbeitern aus Indien nach Ostafrika, von denen einige vor allem als Bahnangestellte und Hndler dort blieben. Gleichzeitig setzte die Immigration europischer Siedler ein, die insbesondere im kenianischen Hochland Farmen und Plantagen errichteten. 1905 bernahm das Colonial Office die Zustndigkeit fr das Protektorat vom Foreign Office. Allmhlich intensivierte die Kolonialverwaltung die teilweise gewaltttigen Bemhungen zur Durchsetzung ihrer Herrschaft. Sie vertrieb afrikanische Bevçlkerungsgruppen wie die Massai oder die Nandi von ihrem Land, um dieses den europischen Kolonisten zur Verfgung zu stellen. Mit der Einfhrung der Httensteuer zwang die Verwaltung die afrikanischen 97 Heuberger, 2419 und 2421 f. Donia, S. 180.

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Bewohner des Protektorats zur Finanzierung der kolonialen Herrschaft und zugleich zur Aufnahme von Lohnarbeit, die mitunter den Charakter von Zwangsarbeit annahm. Die Wider- und Aufstnde gegen diese Maßnahmen schlug das britische Militr nieder. Parallel dazu sicherten sich die britischen Kolonialherren die Untersttzung und Kooperationsbereitschaft der lokalen Eliten und strkten so ihre Kontrolle ber die Bevçlkerung. Erst allmhlich formalisierte die britische Regierung die Verwaltungsstrukturen. 1906 wurde dem Governor ein Executive und 1907 ein Legislative Council zur Seite gestellt. Fortan stritten die europischen Siedler, die sich frh politisch organisierten, mit der Kolonialverwaltung um Einfluss und Macht. Dabei schwankte Letztere zwischen der Sympathie mit den Forderungen der Europer und der Rolle als paternalistische Beschtzerin der afrikanischen Bevçlkerung. Teilweise kann man auch zwischen einer eher proafrikanischen Position des Colonial Office in London und einer eher proeuropischen Position der Regierung in Mombasa und Nairobi unterscheiden. Zudem huften sich die Konflikte zwischen den europischen und den indischen Immigranten, deren Vertreter und Organisationen immer nachdrcklicher Gleichberechtigung und politische Partizipation forderten. In dieser Auseinandersetzung positionierten sich die offiziellen Stellen mehr oder weniger erfolgreich als neutrale Schiedsrichter. Die wesentlichen Streitpunkte bildeten die Immigrationsrestriktionen fr Inder, der Ausschluss nicht-europischer Grundbesitzer vom Hochland und die Einfhrung und Ausgestaltung eines Wahlrechts. Die afrikanischen Bevçlkerungsgruppen beteiligten sich wenig an diesen Auseinandersetzungen. Sie versuchten vielmehr, mit militrischen und juristischen Mitteln die Enteignung ihres Landes zu verhindern, und durch Streiks ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern. Diese Interventionen waren allerdings bis 1914 nur wenig koordiniert. Im Ersten Weltkrieg wurde Ostafrika zum Schauplatz von Kmpfen zwischen britischen und deutschen Einheiten. Die Kolonialverwaltung mobilisierte die gesamte Bevçlkerung. Der Krieg intensivierte die Konflikte um die Rechtspositionen der verschiedenen ethnischen Gruppen und um die Machtverteilung in Kenia. Staatsangehçrigkeit, Geburtsregister und Einbrgerung: Die Diskriminierung der indigenen Bevçlkerung und die Privilegierung der „Weißen“ Die Untersuchung des Angehçrigkeitsrechts im ostafrikanischen Kontext beginnt mit der Frage, inwiefern die Errichtung des britischen Protektorats 1895 den rechtlichen Status der Bevçlkerung vernderte. Die Behçrden beschftigten sich lediglich in einzelnen Fllen mit diesem formal-rechtlichen Problem.98 1901 beantworteten die britischen Law Officers in einer Stellung98 Weder bei der Grndung des Protektorats noch bei der bergabe der Zustndigkeit vom Foreign an das Colonial Office im Jahr 1905, nach der die Verwaltung des Protektorats nicht mehr

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nahme die Frage, ob die im Protektorat geborenen Kinder des bulgarischen Missionars M. Vladimir Verby und seiner englischen Ehefrau qua iure soli den britischen Untertanenstatus erwerben konnten. Entscheidend war dafr, ob „His Majesty …. exercise[s], in fact, dominion and sovereignty“. Im nominell dem Sultan von Sansibar unterstehenden Kstenstreifen, der rechtlich als Ausland galt, war das britische ius soli nicht wirksam.99 Fr das Hinterland kamen die Law Officers zum selben Schluss: „We are of opinion that the British East Africa Protectorate cannot be considered as a portion of His Majesty’s dominions so as to confer upon the children of aliens who may be born there the status of British subjects. … It has not yet been thought expedient to confer the status of British subjects upon the natives of Protectorates. Whether the time has come for such an exercise of sovereignty over all, or any, of the Protectorates as would make them, for all purposes, a portion of His Majesty’s dominions is a question of policy on which we are not called upon to advise.“100

Den angehçrigkeitsrechtlichen Status der afrikanischen Bewohner problematisierte dieses Dokument nur am Rande. 1913 verhandelte das ostafrikanische High Court diese Frage, als Angehçrige der Massai eine Klage gegen die Kolonialverwaltung einreichten. Die Massai hatten Teile des kenianischen Hochlands bewohnt, bevor sie 1904 in zwei Reservate umgesiedelt wurden. Diese Umsiedlung beruhte auf einer Vereinbarung zwischen britischen Reprsentanten und Vertretern der Massai, welche Letzteren die Nutzung der Reservate „so long as the Masai as a race shall exist“ zusicherte. Dennoch setzte die Verwaltung 1911 eine neue Vereinbarung durch und lçste eines der beiden Reservate auf. Gegen diese zweite Vereinbarung klagten einige Massai vor dem High Court.101 Das Gericht wies die Klage ab, ohne sich inhaltlich mit ihr zu beschftigen. Es stellte lediglich fest, dass die Massai ihre Rechtsansprche nicht vor ein britisches Gericht bringen kçnnten, da sie keine britischen Untertanen seien:

als internationale, sondern als reichsinterne Angelegenheit betrachtet wurde, problematisierten die Behçrden den angehçrigkeitsrechtlichen Status der Bewohner. 99 Anders als in Bosnien war die Teilung der Souvernitt mit dem Sultan von Sansibar fr die britischen Behçrden kein großes Problem. Im Unterschied zur Trkei aus habsburgischer Perspektive war Sansibar aus britischer Sicht keine auslndische Macht sondern vielmehr ein von ihnen kontrollierter „Protected State“. Zur vçlkerrechtlichen Frage nach dem Status von Kolonien und Protektoraten s. Fisch. 100 London, PRO, HO 45/10227/B36600, Law Officers an Foreign Office, Bericht von R. B. Finlay und Edward Carson, 5.6.1901. 101 Hughes, S. 5 und 90 f. Die Klger begrndeten ihre Beschwerde erstens damit, dass die Vertreter, welche den Vertrag von 1911 unterschrieben hatten, dazu nicht autorisiert gewesen seien. Zweitens zçgen die Massai aus der Vereinbarung keinen Nutzen, whrend die britische Administration vom Verkauf des gerumten Landes finanziell profitiere. Drittens habe vor der Unterzeichnung des Vertrags keine ausreichende Rechtsbelehrung stattgefunden. Viertens seien einige Vertreter der Massai zur Zustimmung gezwungen worden.

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„The judgement centred on the status of a protectorate, in which the King was said to exercise powers by virtue of the Foreign Jurisdiction Act of 1890. The Crown claimed that British East Africa was not actually British territory, and therefore the Maasai were not British subjects with any attendent rights of access to British law ….“102

Diese Entscheidung betrachtete die Massai in einer Art Rechtsfiktion als auslndische Macht und verstand deren Vereinbarung mit der britischen Administration als internationalen Vertrag, ber den britische Gerichte nicht verhandeln konnten.103 Auf diese Weise verweigerte man der afrikanischen Bevçlkerung den britischen Untertanenstatus. Whrend man ihr den Zugang zur Gerichtsbarkeit und andere Rechte verwehrte, brdete die Gesetzgebung ihr zugleich zahlreiche Pflichten auf. Diese Kombination widersprach der in der europischen Rechtstradition verankerten Symmetrie von staatsbrgerlichen Rechten und Pflichten. In Ostafrika verkehrte die Verwaltung dieses Muster, indem sie den afrikanischen Bewohnern kaum Rechte zugestand und ihnen zugleich, beispielsweise im Steuerrecht, mehr Pflichten abverlangte als den britischen Untertanen. „The idea that there may be an established system of law to which a man owes obedience, and that at any moment he may be deprived of the protection of that law, is an idea not easily accepted by English lawyers. It is made less difficult, if one re102 Hughes, S. 93. „But East Africa being a Protectorate in which the Crown has jurisdiction is in relation to the Crown a foreign country under its protection, and its native inhabitants are not subjects owing allegiance to the Crown, but protected foreigners, who, in return for that protection, owe obedience.“ Judgement of the High Court in the Case brought by the Masai Tribe against the Attorney-General of the East Africa Protectorate and Others, 26.5.1913. Zit. nach Hughes, S. 93. Interessant ist die begriffliche Unterscheidung zwischen „allegiance“ und „obedience“, welche die Differenz markierte zwischen der Loyalitt zur Krone, zu der britische Untertanen verpflichtet waren, und dem Gehorsam der Krone gegenber, zu dem die Protektoratsangehçrigen gezwungen wurden. Worin dieser Unterschied materiell-rechtlich bestehen sollte, blieb offen. Die Problematik und Ambivalenz dieser Argumentation verdeutlichte der Anwalt der Massai: „If the Masai took up arms against the Government they would be rebels, liable to penalties for treason, that is to say they have liabilities and equally the privileges of subjects.“ East African Law Reports 5, 1913, S. 80 f. Zit nach Hughes, S. 96. Im Zentrum dieses Arguments steht der Tatbestand des Verrats, „treason“, den eben nur britische Untertanen begehen konnten, denn nur sie waren zur Treue, „allegiance“, gegenber dem britischen Souvern verpflichtet. Daraus, dass diese Treue von den Massai gefordert wurde, zog ihr Anwalt den Schluss, dass ihnen auch die Rechte britischer Untertanen zustehen mssten. 103 Auch daraus ergab sich ein rechtlicher Widerspruch, auf den der Anwalt der Massai hinwies: Wenn die Vereinbarung einen internationalen Vertrag und damit einen „Act of State … [that] could not be challenged in a local court“ darstellte, dann drften umgekehrt diejenigen, die sich weigerten, die Vereinbarung zu erfllen, nicht durch eine polizeilich durchgesetzte Verordnung der Protektoratsverwaltung, sondern mssten ebenfalls durch einen „Act of State“, im Extremfall durch eine Kriegserklrung, zur Einhaltung des Vertrags gezwungen werden. Hughes, S. 92 f und 96. Interessant ist ferner der Vergleich mit der rechtlichen Beurteilung der Vertrge, welche die kanadische Regierung mit den „Indianern“ abgeschlossen hatte. In genau umgekehrter Weise betonte die kanadische Regierung, dass diese Vertrge keine internationalen seien, und versuchte, den Eindruck zu vermeiden, dass die „Indianer“ als souverne Mchte behandelt wrden. St. Germain, S. 23.

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members that the Protectorate is over a country in which a few dominant civilised men have to control a great multitude of the semi-barbarous.“ „[W]hen the State takes over the responsibility of a Protectorate over a territory inhabited by native tribes who largely outnumber the white population, its first duty is to secure the safety of the latter.“104

Diese Passagen aus der Urteilsbegrndung berechtigen zu der Schlussfolgerung, dass das Urteil „laid bare its [the Crown’s] race and class supremacism“.105 Auch das Berufungsgericht hielt an der Entscheidung und der Begrndung der ersten Instanz fest. Vor die hçchste Instanz, den Privy Council, wurde der Fall nicht gebracht, weil den Klgern sowohl die finanziellen Mittel als auch der Glaube an ihre Erfolgsaussichten fehlten. Mehrere Juristen und Kommentatoren in Ostafrika und im Vereinigten Kçnigreich kritisierten das Urteil nicht zuletzt deswegen, weil es rassistische Diskriminierungen legitimierte.106 Da nach der dominanten Rechtsauffassung im East Africa Protectorate Geborene den britischen Untertanenstatus nicht qua iure soli erwarben, drohten die Urenkel der Immigranten aus dem Vereinigten Kçnigreich aus dem britischen Angehçrigenverband heraus zu fallen. Im Ausland konnte der Untertanenstatus nur ber zwei Generationen weitergegeben werden. Deswegen hob der British Nationality and Status of Aliens Act von 1914 die Beschrnkung auf zwei Generationen fr Geburten in britischen Protektoraten auf. In einer Mischung aus ius soli und ius sanguinis bestimmte das Gesetz, dass britische Untertanen diesen Status berall dort unbegrenzt an ihre Nachkommen weiterreichen konnten, „where the Crown exercises jurisdiction over British subjects“. Diese Regelung war ethnisch-neutral formuliert. Sie erçffnete auch den Urgroßenkeln indischer Einwanderer den Zugang zur britischen Staatsangehçrigkeit. Ob die Betroffenen diesen Zugang tatschlich nutzen konnten, hing jedoch von der administrativen Praxis ab. Nur wenn ihre Geburt offiziell registriert wurde, konnten sie den Erwerb des Untertanenstatus dokumentarisch belegen. Die Registrationspraxis schloss „nicht-weiße“ britische Untertanen allerdings vom Erwerb der Staatsangehçrigkeit aus. Zum einen schrieben die Behçrden 1904 die Eintragung einer Geburt ins Register nur vor, wenn „either one or both parents are of European or American origin or descent“.107 Zum anderen zeigt ein Blick ins Geburtsregister, dass „Weiße“ dort kontinuierlich

104 105 106 107

Judgement of the High Court, 26.5.1913. Zit. nach Hughes, S. 97 f. Hughes, S. 98. Hughes, S. 96 und 99. Zur Kritik am Urteil s. ebd., S. 100 f. London, PRO, CO 630/1, Regulation Nr. 7 von 1904, Registration of Births and Deaths. s.a. ebd., FO 881/8173.

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Tabelle 5: Im East Africa Protectorate registrierte Geburten nach ethnischer und „rassischer“ Zugehçrigkeit der Eltern Jahr

„Weiße“

Inder

Araber und Somalis

„Swahili“

Afrikaner

Insgesamt registrierte Geburten

1905

63,1 %

12,3 %

9,6 %

4,1 %

10,9 %

73

1910

43,3 %

5,2 %

12,9 %

19,6 %

19,0 %

194

1915

100 %

0%

0%

0%

0%

89

berreprsentiert waren. Tabelle 5 verdeutlicht vor allem die Auswirkungen des Gesetzes von 1914 auf die Fhrung der Register, die ab 1915 die Geburten „nicht-weißer“ Kinder nicht mehr verzeichneten und diese vom Erwerb des britischen Untertanenstatus ausschlossen (s. Tabelle 5).108 Dadurch verkehrte die administrative Praxis ein ethnisch-neutral formuliertes Gesetz in einen Mechanismus rassistischer Diskriminierung, der den „weißen“ Bewohnern des Protektorats einen privilegierten Status sicherte und die restliche Bevçlkerung davon ausschloss. Die Einbrgerungspolitik – falls man davon sprechen kann, denn Naturalisationen waren in Ostafrika sehr selten – folgte einem hnlichen Muster. Fr den Zeitraum zwischen 1867 und 1918 ist nur ein einziger Fall berliefert. Der ledige und kinderlose persische Staatsangehçrige Henry Plummer Ishmael, Sohn des David und der Bhanu Ishmael, geboren in Shiraz, wohnhaft in Mombasa, wo er seit 11 Jahren bei der ostafrikanischen Zollverwaltung der britischen Krone diente, erwirkte 1906 im Alter von 23 Jahren die Aufnahme in den britischen Untertanenverband.109 Seinen Antrag bearbeitete das Innenministerium in London, denn die ostafrikanische Verwaltung konnte niemanden einbrgern.

108 London, PRO, RG 36/1 – 3. Als „Swahili“ werden hier nur diejenigen Kinder gezhlt, bei denen die Beamten diese Bezeichnung in der Rubrik „nationality“ eintrugen. „Over time, the use of the term Swahili has changed substantially. Early on it served as a euphemism for ,slave‘. During the colonial period, it distinguished a ,native‘ from a higher status ,nonnative‘.“ Anfang des 19. Jahrhunderts bezeichnete der Begriff vor allem die muslimischen Bewohner Mombasas. Zumeist wird mit „Swahili“ allgemeiner die Gruppe der arabisierten Afrikaner benannt. Eastman, S. 84 f. Gatheru, S. 15. Interessant ist ferner die Tendenz zur Einengung der ethnischen Kategorien und zur strkeren Betonung „rassischer“ Begriffe, die sich aus den Angaben zur „nationality“ der aus Indien kommenden Eltern herauslesen lsst. Whrend 1905 „Parsee“, „Hindoo“, „Punjabi“ oder „British-Indian“ angegeben wurde, dominierte 1910 die Kategorie „Indian“, teilweise wurde auch „Eurasian“ verwendet. 109 London, PRO, HO 144/828/142299. Wahrscheinlich wollte er eingebrgert werden, weil er sich als britischer Beamter vom Untertanenstatus berufliche Vorteile versprach.

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„No machinery has as yet been established by means of which an alien can become naturalized in the British East Africa Protectorate, or … in any other British Protectorate, with the exception of Southern Rhodesia, for which special provision was made by the Orders in Council of 7th March and 19th May, 1899.“110

1909 schlug der Vertreter der „europischen“ Siedler Captain Cowie im Legislative Council vor, ein Verfahren fr die Einbrgerung von Auslndern einzurichten. Der Crown Advocate wies jedoch darauf hin, dass das nicht mçglich war : „under the imperial Act an alien resident in a British Colony or possession can become naturalized, but this [British East Africa] is not held to be a British colony or possession for the purposes of the Act“.111 Da der britische Untertanenstatus im ostafrikanischen Protektorat kaum materielle Rechte mit sich brachte, wren Einbrgerungen ohnehin weitgehend sinnlos gewesen. Allerdings gewann die Frage der Einbrgerung gleichzeitig mit der materiell-rechtlichen Aufladung des Untertanenstatus an Bedeutung. Im Mai 1917 legte das Komitee zur Ausarbeitung einer Wahlordnung dem Legislative Council seinen Bericht vor. Dieser schlug vor, dass „every adult male British subject whether by birth or naturalisation of European origin“ wahlberechtigt sein sollte. „By European origin is meant whole blooded descent from European ancestors.“ Das Komitee wollte „Asiatics“, damit waren vor allem die in Ostafrika ansssigen britischen Untertanen aus Indien gemeint, und „Natives“ vom Wahlrecht ausschließen, gleichzeitig aber nicht-britischen Europern den Zugang zum Wahlrecht ermçglichen. „If the right to vote is restricted to British subjects it is felt that means should be provided whereby foreigners of European origin in the Protectorate may be enabled to become naturalised British subjects.“112

Dieses Zitat verdeutlicht, dass in Ostafrika nicht die angehçrigkeitsrechtliche Unterscheidung zwischen Untertanen und Auslndern, sondern die rassistische zwischen „Europern“ und „Nicht-Europern“ politisch ausschlaggebend war. Das Komitee forderte, die Einbrgerungspolitik an dieses Muster anzupassen und den „Europern“ Privilegien gegenber allen anderen Bewohnern des Protektorats einzurumen.

110 London, PRO, HO 45/10227/B36600, Law Officers an Foreign Office, Bericht von R. B. Finlay und Edward Carson, 5.6.1901. 111 East Africa Legislative Council, S. 373, 22.11.1909. 112 Ebd., S. 183 f, 24.5.1917.

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Migrationskontrolle: Exklusion der „Asiatics“ und Fçrderung der „Europeans“ Im ostafrikanischen Einwanderungsrecht spielte der angehçrigkeitsrechtliche Status der Migranten ebenfalls kaum eine Rolle. Vielmehr war die ethnische Identitt der Einwanderer ausschlaggebend. Die Behçrden verhalfen letztlich der Vorstellung von Kenia als einem „white man’s country“ zur Geltung, die auf der Exklusion aller „nicht-weißen“ Immigranten beruhte. Dieses Muster setze sich allerdings im Verlauf einer komplizierten migrationsrechtlichen Entwicklung erst allmhlich durch. Anfnglich bestimmten vor allem çkonomische Faktoren die Einwanderungspolitik. Die Verwaltung wollte durch die Immigration bestimmter Gruppen das wirtschaftliche Wachstum fçrdern. Die fr die Erschließung des Landes wichtige Eisenbahnlinie von Mombasa an der Kste ber Nairobi zum Viktoria-See (auch Victoria Nyanza) bauten vor allem Einwanderer aus dem Punjab, die man unter dem „indenture“-System nach Ostafrika gebracht hatte. Von den schtzungsweise 32.000 Arbeitern blieben etwa 6.000 nach Abschluss des Projekts im Land.113 Zudem verfolgten die Behçrden populationspolitische Plne zur Ansiedlung indischer Bauern. Die britische Regierung, große Teile der ostafrikanischen Protektoratsverwaltung und der Aga Khan untersttzen dieses Vorhaben. Man hoffte, dadurch ein Ventil fr die berbevçlkerung in Indien zu schaffen.114 Die Behçrden errichteten zwei Dçrfer fr die „indischen“ Siedler, und 1906 schickte Gouverneur Hayes Sadler einen Vertreter nach Indien, um dort Familien fr das Projekt anzuwerben. Allerdings fand der Abgesandte Waller kaum Kandidaten, die seiner Meinung nach geeignet und Erfolg versprechend gewesen wren. Zudem verweigerte das India Office dem Vorhaben seine Untersttzung, da es die Abwanderung wirtschaftlich erfolgreicher Bauern befrchtete. Auch die Kolonialverwaltung distanzierte sich zunehmend von den Plnen. Das Projekt scheiterte letztlich, und die beiden indischen Siedlungen konnten sich nicht dauerhaft etablieren.115 Plne zur indischen Kolonisierung Ostafrikas in einem anderen Sinn propagierte A. M. Jeevanjee. Der erste „Inder“ im Gesetzgebenden Rat empfahl 1910, das Protektorat als eine Kolonie ins britisch-indische Reich einzuglie113 Gatheru, S. 8 und 12. 114 Gregory, India and East Africa, S. 67 f. Ders., South Asians in East Africa, S. 238 f. Spter formulierten auch Churchill in seiner Funktion als Staatssekretr im Kolonialministerium und 1910 eine Kommission des britischen Parlaments hnliche Ideen. Gregory, East Africa, S. 86. 115 Gregory, East Africa, S. 70 f. Auch Plne zur Fçrderung der Immigration von Finnen und von „osteuropischen Juden“ scheiterten, obwohl der britische Kolonialminister Chamberlain 1902 die Schaffung eines „Jewish National Home in East Africa“ anregte. Wolff, S. 52 f. Gatheru, S. 25. Hughes, S. 27 f, erwhnt „several proposals for Jewish, Punjabi, socialist ,Freelander‘ and Finnish settlement“. Die Art des Widerstands der „europischen“ Siedler gegen diese Plne verdeutlicht deren Antisemitismus und Rassismus. Gatheru, S. 27.

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dern.116 hnliches wurde nach dem Ersten Weltkrieg fr Deutsch-Ostafrika vorgeschlagen. Dieses Vorhaben verstand man als „,test case‘ for the Indians’ position throughout the British Empire“. Es scheiterte nicht nur an der Opposition der „europischen“ Siedler in Ostafrika, sondern auch am Widerstand von Teilen der indischen Nationalbewegung. Diese wollten gemß ihrer anti-kolonialen berzeugungen Indien nicht zur Kolonialmacht machen.117 Der Legislative Council beschloss Ende 1918: „That notwithstanding the great services rendered to the Empire by India during the war, this Honourable Council dissents from the views … that the territory hitherto known as German East Africa should become an Indian Colony. That while sympathising with India’s ambition to obtain a degree of self-government in India, this Honourable Council considers that the interests of the African demand that he should be given the opportunity, which Indian competition denies, of filling the subordinate posts under European supervision, which technical education and contact with European civilization will qualify him to fulfill.“118

Innerhalb der britischen Kolonialpolitik kann man drei migrationspolitische Modelle unterscheiden. Das erste fçrderte die Einwanderung „indischer“ Arbeiter, zumeist unter dem „indenture“-System, wie beispielsweise in den karibischen Kolonien. Das zweite Modell konzentrierte sich auf den Schutz und die Entwicklung der indigenen Bevçlkerungen und fçrderte, wie beispielsweise in den westafrikanischen Kolonien, weder die Einwanderung aus Europa noch die aus Indien. Das dritte Modell schließlich basierte auf der Immigration „europischer“ Siedler und dem Verbot „indischer“ Einwanderung, wobei die „Europer“ die Fhrung der autochthonen Bevçlkerung bernehmen sollten.119 Diese Vorstellung prgte den Beschluss des Legislative Council von 1918 und letztlich auch das ostafrikanische Migrationsrecht. Dabei knpften die Behçrden an ltere, weitgehend ethnisch-neutrale Bestimmungen an und formten diese allmhlich in rassistische Exklusionsmechanismen um. Den ersten einwanderungsrechtlichen Vorschlag unterbreitete der britische Vertreter in Sansibar im Jahr 1903, der damals das ostafrikanische Protektorat verwaltete. Er war der Meinung, dass „the influx of destitute aliens … should … be checked“. Zunchst richteten sich die Exklusionsabsichten also vornehmlich gegen arme Immigranten. Dabei stand die Sorge im Vordergrund, dass deren Versorgung die Kassen der Kolonialverwaltung ber Gebhr in 116 Gatheru, S. 14. Dieser Vorschlag hatte nur geringe Erfolgschancen. Aber er war weniger abwegig, als man annehmen kçnnte. Ostafrika hatte Teile des indischen Rechtssystems und die indische Rupie als Zahlungsmittel bernommen. Das Protektorat Aden wurde ebenfalls von der indischen Regierung verwaltet. Zu Verbindungen zwischen Indien und Ostafrika s. Metcalf, Imperial Connections, S. 165 – 203. 117 Gregory, India and East Africa, S. 3, 156 f und 171 f. 118 East African Legislative Council, S. 243 f, 20.11. und 9.12.1918. 119 Mungeam, , S. 139.

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Anspruch nehmen kçnnte. Die ethnische Identitt der Einwanderer spielte dagegen kaum eine Rolle. Zu den aus Indien eingewanderten „indentured labourers“ hieß es lediglich: „With regard to the British Indian coolies … on their discharge from the Uganda Railway … I suggested … that when in future these coolies are allowed either to return to India on the completion of their contract or to remain in Africa, they should, when selecting the latter alternative, be obliged to deposit with the Railway authorities a sum sufficient to pay for their passage home in the event of their failing to obtain suitable and lucrative employment.“120

Das Außenministerium in London, das der vorgeschlagenen Verordnung zustimmen musste, wollte sich an den Einwanderungsbestimmungen der britischen Kolonien orientieren und erkundigte sich nach diesen. Das Kolonialministerium fasste seine umfangreiche Antwort folgendermaßen zusammen: „It will be seen from these papers that it has been almost the common practice for Colonial Governments to resort to legislation with a view to restricting the immigration into the Colonies of undesirables of various kinds, whether alien or not.“121

Die Frage, welche Kriterien ber die Unerwnschtheit von Einwanderern jeweils entschieden, ließ das Kolonialministerium offen. Interessant ist allerdings der Verweis darauf, dass die angehçrigkeitsrechtliche Position der Einwanderer – „whether alien or not“ – keine Rolle spielte. Dementsprechend konnten die Behçrden auch die Einreise von britischen Untertanen aus dem Vereinigten Kçnigreich verbieten. Allerdings richteten sich die kolonialen Immigrationsrestriktionen in den meisten Fllen gegen „Chinese“ oder „Asiatics“, womit auch britische Untertanen aus Indien gemeint sein konnten. Diese auf „rassischen“ Kriterien beruhende Exklusionspolitik der Kolonien akzeptierte das Colonial Office. Es betonte lediglich die Vorbildhaftigkeit des 1897 in Natal erlassenen Gesetzes, das die rassistische Exklusion hinter einem ethnisch-neutralen Kriterium verbarg: „Any person [shall be a prohibited immigrant] who, when asked to do so by any officer …, shall fail to himself write out and sign, in the characters of any language of Europe, an application to the Colonial Secretary ….“122

Das Kolonialministerium bestand darauf „that it was improper for a British Colony to exclude Indians, &c., as such, and that the principle of the Natal Act under which the restriction is based on the unfitness of 120 London, PRO, FO 107/129, Konsulatsbeamter Cave an Foreign Office, 1.6.1903. 121 Ebd., Colonial Office an Foreign Office, 11.6.1903. 122 Natal Act von 1897. London, PRO, FO 107/129, Colonial Office Memorandum on the proposed legislation for excluding undesirables and for expelling them from the new colonies, 1902.

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the immigrant from his pauper condition, ignorance, &c., should be followed. This was strongly represented by Mr. Chamberlain to the Colonial Premiers in 1897.“123

Damit untersttzte ein Teil der britischen Regierung die rassistischen Exklusionsabsichten und Argumentationen, die insbesondere die Migrationspolitik der Dominions bestimmten. Der Ausschluss von „destitute aliens“, den der Vertreter in Sansibar anregte, beruhte zunchst allerdings auf anderen Motiven. Man befrchtete, dass die Kolonialverwaltungen verarmte Einwanderer zunehmend in andere Teile des Britischen Weltreichs abschieben kçnnten: „Some general understanding on the subject seems the more necessary [as] one British Colony can hardly expel undesirables into another.“124 Diese Praxis intra-imperialer Abschiebungen schadete, so das Argument, dem Zusammenhalt des Weltreichs. Die Exklusion von „destitute aliens“ war jedoch zum Teil auch „rassisch“ motiviert. Man wollte insbesondere verarmte „Europer“ fernhalten, weil deren Prsenz nicht zum rassistischen berlegenheitsnarrativ passte, das die koloniale Herrschaft legitimierte: „[W]e have lately received consignments of others whose passages have been paid to this port by the Governments of Madagascar and Portugese East Africa; a batch of no less than sixteen Europeans, who stated that they were Italians and Austrians, but who, in the absence of papers, their consuls refused to recognize, were landed a short time ago, and, as they were found begging from natives, the Zanzibar Government … had to pay their passages to Bombay.“125

Aber dieses Detail war fr die Vertreter des Prinzips ethnischer Neutralitt in der britischen Regierung belanglos. Solange die geplanten Restriktionen alle Einwanderer unabhngig von ihrer ethnischen Zugehçrigkeit in gleicher Weise betrafen, hatten sie keine Einwnde. Diesen Standpunkt vertrat das India Office: „Lord George Hamilton would not be disposed to raise any objection to such legislation, if it were thought desirable by the local authorities, provided that the restrictions were applied to all immigrants alike, and did not involve any discrimination against Asiatics as such.“126 123 Ebd., S. 2. Das Memorandum verweist auf Beispiele aus Kanada, Sdafrika und Australien. 124 Ebd., S. 3. Das Colonial Office forderte die Regierung der Cape Colony in diesem Kontext auf „to restrict its lavish system of naturalization“. Ihre großzgige Einbrgerungspolitik fhre zu Konflikten mit den Behçrden im Transvaal, wo man eine restriktivere, rassistische Politik verfolgte. 125 London, PRO, FO 107/129, britische Vertretung in Sansibar, Mr. Sinclair, an Foreign Office, 17.3.1904. Dieses Zitat zeigt, dass die Abschiebung mittelloser „Europer“ innerhalb des Britischen Weltreichs gngige Praxis war. Dabei schoben die Behçrden Personen, deren Herkunft und angehçrigkeitsrechtliche Position sie nicht eindeutig feststellen konnten, offenbar meist nach Indien ab, weil dort keine Immigrationsrestriktionen existierten. 126 London, PRO, FO 107/129, India Office, Horace Whalpole, an Foreign Office, 10.9.1903.

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Auch das Foreign Office befrwortete eine Regelung, die unabhngig von der ethnischen Identitt und der Staatsangehçrigkeit allen „paupers“ die Einreise verwehrte. Dabei betonte das Außenministerium die Unabhngigkeit vom angehçrigkeitsrechtlichen Status, weil die in zahlreichen internationalen Vertrgen enthaltene Meistbegnstigungsklausel die britische Regierung im Protektorat Sansibar dazu verpflichtete, den Angehçrigen der anderen europischen Mchte die gleichen Rechte zuzugestehen wie den britischen Untertanen. Deswegen schlug das Foreign Office vor, nach internationalen Konsultationen die Immigration von „paupers“ zu verbieten, wobei dieses Verbot auch fr britische Untertanen gelten sollte.127 Das Außenministerium distanzierte sich ferner vom „drastic and illiberal character“ des in Natal erlassenen Gesetzes. Die ostafrikanische Migrationspolitik sollte sich stattdessen strker am US-amerikanischen Vorbild orientieren. Aufgrund dieser berzeugung setzte das Foreign Office medizinische Exklusionskriterien durch. Außerdem bestand es auf einem Asylrecht fr politisch Verfolgte.128 Mit diesen Vernderungen trat die Einwanderungsverordnung 1906 in Kraft. Alle Immigranten mussten seitdem den Besitz ausreichender finanzieller Mittel nachweisen. Falls sie dazu nicht in der Lage waren, sollten sie eine Kaution hinterlegen, mit der gegebenenfalls ihre Abschiebung bezahlt werden konnte. Fr „natives of Persia, Arabia (exclusive of the Levant), of the British, Italian, German, and Portugese Protectorates on the East Coast of Africa, and of the islands adjacent thereto, including Madagascar“ galt die Verordnung nicht. Die Behçrden wollten ihre Einreise und damit den Handelsverkehr in Sansibar nicht behindern. Die Regelungen betrafen jedoch „indische“ Immigranten, wobei diese lediglich eine Kaution von 50 Rupien hinterlegen mussten, whrend alle anderen, also insbesondere die „Europer“ 750 Rupien aufzubringen hatten.129

127 Ebd., Foreign Office Notiz, 11.6.1903. 128 Ebd., Foreign Office an britisches Konsulat in Sansibar, Juni 1904: „It must be remembered that Natal contains a large population of white settlers who regard the free immigration of nonEuropeans with peculiar jealousy which may account for the drastic and illiberal character of the measure.“ 129 Die ostafrikanische Immigrationsverordnung galt nicht fr britische oder verbndete Militrs, Regierungsbeauftragte und Personen mit einem konsularischen Beglaubigungsschreiben sowie deren Frauen und unter sechzehnjhrige Kinder. Vom Nachweis ausreichender finanzieller Mittel waren ferner Personen ausgenommen, die „ha[ve] been formerly domiciled in the Protectorate“. „Prohibited immigrants“ waren neben „person[s] without visible means of support“ „idiot[s]“, „person[s] suffering from a loathsome or dangerous contagious disease“, Verurteilte, Prostituierte, Zuhlter und „any person deemed by the Immigration Officer to be an undesirable immigrant“. Die letzte Bestimmung verdeutlicht den Entscheidungsspielraum der Beamten. Die Kaution konnten die Einwanderer zurck erhalten, wenn sie innerhalb einer Woche nachwiesen, dass sie sich selbst versorgen konnten. Den Betroffenen wurde bei ihrer Einreise ein Identittsdokument ausgestellt, das unter anderem ein Personensignallement enthielt. London, PRO, CO 630/2, Regulation Nr. 17 von 1906. Die ermßigte Kaution fr „indische“ Einwanderer erklrten die Behçrden in Sansibar mit dem billigeren Preis der

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Die Verordnung richtete sich zunchst also ethnisch-neutral gegen die Immigration von „paupers“. Die Protektoratsverwaltung entwickelte jedoch auf dieser Grundlage und mit Untersttzung des Colonial Office, das 1905 die Zustndigkeit fr das East Africa Protectorate vom Foreign Office bernommen hatte, eine ethnisch diskriminierende Migrationspolitik, welche die Einwanderung von „Europern“ fçrderte und die von „Nicht-Europern“ verhinderte. 1909 sprach sich der ostafrikanische Gouverneur gegenber dem Colonial Office gegen „any system of State-aided Indian immigration“ aus.130 1910 erleichterte man die Einreise fr „Weiße“, indem man die zu hinterlegende Kaution auf 375 Rupien halbierte.131 Im selben Jahr forderte der Vertreter der „europischen“ Siedler im Legislative Council, Lord Delamere, Maßnahmen, um „the settlement of Asiatics in this country“ zu verhindern.132 Eine Verordnung von 1913 erlaubte den Behçrden, illegale Immigranten unverzglich festzunehmen und zu inhaftieren.133 1915 wurde die Uganda Railway Company verpflichtet, die Repatriierung von Angehçrigen ihrer „indischen“ Angestellten zu bezahlen.134 Im gleichen Jahr verbot eine Verordnung die Einwanderung von „Somalis“.135 1916 forderte die Regierung die Behçrden zur strikten Durchsetzung der Immigrationsvorschriften auf. Insbesondere sollte die Kaution bezahlt werden, bevor die Einreisenden an Land gingen.136 1918 erleichterte man die Abschiebung von illegalen Immigranten und erhçhte die Kaution fr „Nicht-Weiße“ auf 100 Rupien.137 Im Verlauf dieser kontinuierlichen Restriktivierung setzte sich der Ausschluss „nicht-weißer“ Einwanderer allmhlich als leitendes Prinzip durch.

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Schiffspassage nach Indien. London, PRO, FO 107/129, Konsulat in Sansibar an Foreign Office, 17.3.1904. East Africa Executive Council, 12.3.1909. London, PRO, CO 630/2, Regulation Nr. 27 von 1910. Zustzlich wurde „weißen“ Immigranten ab 1910 ein halbes Jahr Zeit gegeben, ihr Auskommen in Ostafrika zu finden und nachzuweisen, whrend den anderen Einwanderern nur eine Woche zur Verfgung stand. East Africa Legislative Council, S. 447, 3.8. 1910. London, PRO, CO 630/3, Regulation Nr. 4 von 1913, Immigration Restriction Amendment. East Africa Legislative Council, S. 62, 31.3.1913. East Africa Executive Council, 22.1.1915. Ebd., 18. 9. 1915, 4. 4. 1916, 15. 6. 1916 und 11.1.1917. Diese Maßnahme hing mit dem Ersten Weltkrieg zusammen. „[L]anding of Somalis at Protectorate ports“ war „by virtue of military order under Martial Law“ verboten. Am 27. 2. 1917 sprach sich der Executive Council ferner gegen die „importation of Egyptian labour“ aus. East Africa Executive Council, 24. 6. 1916, 21. 7. 1916 und 10.5.1917. Zugleich garantierte die Regierung denjenigen Personen das Einreiserecht, die bereits seit fnf Jahren ihren Wohnsitz im Protektorat hatten. Zuvor hatte dafr die Etablierung des „domicile“ gengt, ohne dass eine spezifische Dauer vorgeschrieben gewesen wre. London, PRO, CO 630/ 3, Regulation Nr. 5 von 1918. Regulation Nr. 12 von 1918 ermchtigte den Gouverneur Ein- und Ausreiseverbote, sowie Ausweisungen und Internierungen zu verfgen. 1919 wurde zustzlich die Abschiebung von Immigranten ermçglicht, wenn diese innerhalb von 5 Jahren nach ihrer Einreise straffllig wurden. East Africa Legislative Council, S. 273, 7.4.1919. Dabei verwies man wiederholt darauf, dass das Vereinigte Kçnigreich und Kanada im Verlauf des Krieges hnliche Maßnahmen in Kraft gesetzt hatten.

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Entscheidend fr diese Entwicklung war die rassistische Haltung der „europischen“ Siedler.138 Diese imaginierten ein zuknftiges Ostafrika, in dem „weiße“ Kolonialherren ber die „schwarze“ Bevçlkerung herrschten. Fr Dritte war in dieser Phantasie kein Platz vorgesehen. Diese Vision betonten die Anhnger rassistischer Exklusionsmechanismen gegenber den çkonomischen Argumenten der Befrworter des Imports gnstiger Arbeitskrfte aus Asien. In den Jahren 1912 und 1913 trafen beide Fraktionen in der „Native Labour Commission“ aufeinander und suchten eine Antwort auf die Frage, wie man den Arbeitskrftemangel in Ostafrika am besten beheben kçnnte. Auf der einen Seite wurde gefordert, den Import „asiatischer“ Arbeitskrfte unter dem „indenture“-System einzustellen und stattdessen die indigene Bevçlkerung zur Aufnahme von Lohnarbeit zu zwingen: „our kind and just Government should as far as possible get them [the natives] trained and willing to work; so that we may be able to get our work easily done, and they at the same time may learn to become useful citizens.“139

In diesem Sinn ußerten sich vor allem die Vertreter der „europischen“ Siedler im Hochland, whrend die kstennahen Unternehmer und Plantagenbesitzer, sowie die meisten Verwaltungsbeamten fr die Anwerbung „asiatischer“ Arbeitskrfte pldierten. Sie taten das aus einem çkonomischen Kalkl heraus, wobei ihre Vorstellungen nicht weniger rassistisch waren, als die ihrer Gegner. Unter Verweis auf das sdafrikanische Beispiel stellten sie fest: „The results obtained from the imported Chinese had been good, and superior to the African.“ Ein anderer Vertreter begrndete den hçheren Preis der importierten Arbeitskrfte mit der Feststellung: „one Indian equalled ten Kikuyu“.140 Whrend der Minderheitenbericht der Native Labour Commission sich fr die Anwerbung von Arbeitern aus Asien aussprach,141 forderte die Mehrheit, 138 Zur Rolle der „weißen“ Siedler in Deutsch-Ostafrika s. Sçldenwagner. 139 London, PRO, CO 544/5, Native Labour Commission, 1912 – 13, S. 293, Ahmed Khan. Es ist interessant, wie hier, nicht allzu lange Zeit nach der stolz proklamierten Abschaffung der Sklaverei, etwas zumindest funktional hnliches – „to get our work easily done“ – in der Begrifflichkeit der Staatsbrgerschaft gefordert und befrwortet wird. 140 Ebd., S. 24 f und 132 f, Ingenieur Leslie Simpson und H. Addison. Ein anderer Redner bezeichnete die indigene Bevçlkerung in çkonomischer Manier als „one of our greatest assets“. Ebd., S. 262, Mr. J. M. Pearson, Labour Inspection Officer in Nairobi. Whrend die meisten Befrworter betonten, dass die Arbeiter nach dem Auslaufen ihres Vertrages zurckkehren mssten, meinte D. Waller, Director of Government Transport in Mombasa: „Whilst not advocating the policy of bringing them over as land-holders, he considered that they might be utilised with the help of English capital to develop such parts of the country as would otherwise remain undeveloped.“ Ebd., S. 91. 141 Ebd. S. 326. Das Minderheitenvotum stellte fest, der „local labour market“ sei nicht in der Lage ausreichend Arbeitskrfte fr die „planting enterprises on the Coast“ und fr „Public Works of exceptional magnitude“ zur Verfgung zu stellen. Außerdem forderte er, dass „if such labour cannot be imported with a condition insisting on compulsory repatriation, that condition should be waived“. Einig war man sich mit der Mehrheit der Kommission darin, dass kein

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Tabelle 6: Bevçlkerung des East Africa Protectorate nach „rassischer“ Zugehçrigkeit Jahr

„Europeans“

„Indians, Arabs and Others“

1901

506

35.000

1905

954

k.A.

1910/11

2.654 (1910)

20.986 (1911)

1914/16

5.438 (1914)

22.118 (1916)

dass man „indentured labourers“ nur in Ausnahmefllen nach Ostafrika holen sollte. Zudem msse ihre Repatriierung garantiert werden. Denn die „Asiatics“ htten einen „deteriorating effect morally upon the natives of the country“. Ihre Prsenz kçnnte zu einem „race problem in the future“ fhren. Deswegen befrwortete die Mehrheit stattdessen „the importation of European and African labour“.142 Whrend der Ausschluss der „Asiatics“ sich zunehmend durchsetzte, intensivierte die Verwaltung die Fçrderung der „europischen“ Einwanderung.143 Trotzdem wuchs die „europische“ Bevçlkerung nur langsam und blieb weit hinter dem Anteil anderer Immigrantengruppen zurck, whrend schtzungsweise 3.000.000 Afrikaner im Protektorat lebten (s. Tabelle 6).144 Um die Einwanderung „europischer“ Siedler zu fçrdern, stellte die Verwal-

Maximallohn zur Eindmmung des Wettbewerbs unter den Arbeitgebern eingefhrt werden sollte. Damit reagierte die Kommission auf vereinzelte Versuche der Behçrden, arbeitsrechtlich und lohnpolitisch einzugreifen. Insbesondere dem 1907 eingerichteten Department of Labour and Native Affairs warf man wiederholt vor, die Interessen der „Europer“ zu verletzen. Das Department versuchte, gewisse Rechte der „afrikanischen“ Arbeiter durchzusetzen. Mungeam, S.191 f. Gatheru, S. 30. 142 London, PRO, CO 544/5, Native Labour Commission, 1912 – 13, S. 325. Diese ethnisch exklusive Politik wurde auch auf der imperialen Ebene untersttzt. Das zeigt die Resolution XXI der Imperial War Conference vom 24.7.1918. Diese sagte zwar die rechtliche Gleichstellung aller britischen Untertanen und die Aufhebung von Migrationsrestriktionen zu, womit man den Forderungen indischer Vertreter entgegenkam. Zugleich hielt sie aber auch fest: „it is an inherent function of the Governments of the several communities of the British Commonwealth, including India, that each should enjoy complete control of the composition of its own population by means of restrictions of immigration from any of the other communities“. Zit. nach Gregory, India and East Africa, S. 181 f. 143 1902 wurde die „Society to Promote European Immigration“ gegrndet, deren Anliegen vom damaligen Gouverneur Sir Charles Eliot und von seinen Nachfolgern untersttzt wurde. Ebd., S. 71 f. 144 Die Zahlen stammen aus Wolff, S. 107. Sie basieren auf den offiziellen Statistiken. Der signifikante Rckgang der „indischen“ und „arabischen“ Bevçlkerung nach 1901 drfte auf die Remigration des grçßten Teils der Eisenbahnarbeiter nach der Fertigstellung der Bahnlinie zurckzufhren sein. Nach Hughes, S. 27, lebten 1911 3.175 Europer in Ostafrika, von denen lediglich 428 Siedler waren, whrend die brigen in der Verwaltung oder fr große Unternehmen arbeiteten.

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tung ihnen Land und Arbeitskrfte zu gnstigen Preisen zur Verfgung. Deswegen verfgte sie Enteignungen und Umsiedlungen der indigenen Bevçlkerungen sowie Steuererhçhungen und eine Registrierungspflicht. Diese Maßnahmen sollten die „afrikanische“ Bevçlkerung zur Aufnahme von Lohnarbeit zwingen.145 Diese Ziele konnte die Verwaltung allerdings nicht im gewnschten Umfang realisieren. Die Aufnahme zahlreicher „europischer“ Einwanderer blieb ein politischer Traum, whrend die Durchsetzung des Ausschlusses von „asiatischen“ Immigranten fr die Betroffenen ein ganz konkreter Albtraum war. Territoriale Segregation und Diskriminierung nach „rassischen“ Kriterien Eine Folge dieser Politik war die territoriale Segregation der Bevçlkerung nach „rassischen“ Kriterien. Da man das kenianische Hochland als besonders geeignet fr die Ansiedlung von „Europern“ ansah, wurde dieses Gebiet exklusiv den Siedlern vorbehalten. Verwaltungsmaßnahmen verdrngten die indigenen Bevçlkerungen und verwehrten nicht-europischen Immigranten den Zugang.146 Damit folgte die Kolonialverwaltung manchmal zçgernd, manchmal bereitwillig den Forderungen der „europischen“ Siedler.147 Sie 145 Hobley, S. 139 f. Wolff, S. XV, 47, 53 und 57. Abour, S. 21. Marsh u. Kingsnorth, S. 112 f und 116 f. Gatheru, S. 9, 25 und 30 f. Gatheru, S. 41 f, verweist insbesondere auf die Httensteuer, die East Africa Order in Council von 1902, welche die Regierung ermchtigte, ber den Grundbesitz im Protektorat weitgehend frei zu verfgen, und auf die Masters and Servants Ordinance von 1906, welche die afrikanischen Arbeitskrfte rechtlich in eine weitgehende Abhngigkeit von ihren Arbeitgebern zwang. Die „Registration of Natives“ mit Personenbeschreibung, Fingerabdrcken, Registrierungsnummer und Identittspapieren wurde 1915 beschlossen. London, PRO, CO 630/2, Regulation Nr. 15 von 1915. s.a. Abour, S. 21 f. Gatheru, S. 38. Paradoxerweise rechtfertigte die Regierung die Registrierungspflicht als Maßnahme zur Sicherung der Bewegungsfreiheit der „natives“: „it would also facilitate the freedom of the natives in moving about the Protectorate, and consequently would be the means of opening the minds of the natives to the advantages which were to be derived from being a citizen of the Protectorate generally“. East Africa Legislative Council, S. 104 f, 18.1.1915. Konkret wurde die Mobilitt der indigenen Bevçlkerung jedoch zunehmend eingeschrnkt. 1912 erklrte die Regierung, dass sich „natives“ nur dann außerhalb der Reservate aufhalten sollten, wenn sie entweder arbeiteten oder Arbeit suchten. Ebd., S. 41 f, 27.11.1912. 146 Bereits ab 1902 machte sich die koloniale Administration das Prinzip zu eigen, das Hochland den Europern vorzubehalten. Gregory, India and East Africa, S. 71 f und 92. Gatheru, S. 13. Hughes, S. 25. Anfnglich berlegte die Verwaltung, ob sie „Europer“ und „Afrikaner“ rumlich voneinander trennen oder nebeneinander leben lassen sollte, damit die „Afrikaner“ im Sinne der kolonialen Zivilisierungsmission von den „Europern“ lernen konnten. Hughes, S. 28 f. Doch das Land Committee, das 1904/05 unter dem Vorsitz des „europischen“ Siedlervertreters Lord Delamere tagte, befrwortete „segregating the races in the towns, reserving the highlands exclusively for Europeans, and confining Indian agricultural settlement to the lowlands“. Gregory, India and East Africa, S. 75. 147 Zur Enteignungs- und Umsiedlungspolitik und zur gewaltsamen Niederschlagung der Widerstnde dagegen s. Marsh, S. 133 f. Wolff, S. 61 f. Hughes, S. 5, 23 f und 45 f. Mungeam, S. 19 f. Hobley, S. 125 f. Der Text von Hobley, den er nach seiner Karriere in der ostafrikanischen Kolonialverwaltung verfasste, verdeutlicht auch, dass die europische Landnahme nicht nur

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beschrnkte die Bewegungsfreiheit der indigenen Bevçlkerung und zwang die „natives“ in die Reservate.148 Den „nicht-europischen“ Immigranten wurde der Erwerb von Boden im Hochland verboten. Diese privatrechtliche Diskriminierung nach ethnischen Kriterien lehnte die Ende 1905 ins Amt gekommene liberale Regierung in London zwar prinzipiell ab,149 aber sie verhinderte die Maßnahme nicht. Im Gegenteil, die britische Regierung gestand der ostafrikanischen Verwaltung „reasonable discretion“ in der Landpolitik zu.150 Daraufhin verankerte die Kolonialverwaltung ihre ethnisch-exklusive Politik gesetzlich. 1909 verbot eine Crown Lands Ordinance die Vergabe von Kronland an „Asiatics or Natives“. Sie rumte dem Gouverneur ein Vetorecht bei Landverkufen ein, das den Erwerb von Grundbesitz im Hochland durch Nicht-Europer verhindern sollte.151 1915 przisierte und verschrfte man diese Regelungen.152 Letztlich passte die

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die Vertreibung der indigenen Bevçlkerung, sondern auch die weitgehende Ausrottung der einheimischen Fauna zur Folge hatte. Die Tçtung von vier Lçwen bezeichnet Hobley ganz im Geiste eines quasi-aristokratischen Habitus im kolonialen Kontext als „quite an exciting afternoon’s sport“. Ebd., S. 135. Zu einzelnen Beamten, die von diesen Maßnahmen abrieten und teilweise indigene Gruppen in ihrem Widerstand untersttzten, sich aber nicht durchsetzen konnten s. Hughes, S. XV und 5. Zu Konflikten zwischen Siedlern und Verwaltung kam es beispielsweise hinsichtlich der Forderung, den Legislative Council ber die Einrichtung von Reservaten abstimmen zu lassen. Dadurch wollten die „Europer“ Einfluss auf die Festlegung der jeweiligen Grenzen nehmen. Zu diesem Zugestndnis war die Administration allerdings nicht bereit. East Africa Legislative Council, Question No. 8, 10 und 16 von 1907. Regulation Nr. 25 von 1902 erlaubte den Aufenthalt in bestimmten Gebieten nur mit Genehmigung. Regulation Nr. 1 von 1904, Removal of Natives within Special Districts, bestimmte: „In this Ordinance the term ,Native‘ means any Native of Africa not of European or American origin.“ London, PRO, CO 630/1. s.a. Regulation Nr. 17 von 1908, Provision for the removal of Natives. Nr. 18 von 1909, Removal of Native Political Offenders. Ebd., CO 630/2. Regulation Nr. 33 von 1918, Residence of Native Families on Farms and on Areas not included in Native Reserves. Ebd., CO 630/3. Es gab anfnglich auch Plne, den „Europern“ Reservate zuzuweisen, die aber bald verworfen wurden. Marsh, S. 134. Ende 1906 erließ Kolonialminister Elgin eine Instruktion, die gesetzliche Regelungen verbot, „whereby persons not of European birth or descent may be subjected to or made liable to any disabilities or restrictions to which persons of European birth or descent are … not subject“. Aber die ostafrikanische Kolonialverwaltung setzte die Exklusion indischer Investoren vom Hochland trotzdem und trotz der Proteste indischer Vertreter durch. Gregory, India and East Africa, S. 82 f. Ebd., S. 76. East Africa Executive Council, 6. 11. 1908 und 29.3.1909. Diese rechtliche Diskriminierung gegen „indische“ Untertanen der britischen Krone fhrte auch zu erfolglosen Protesten der indischen Regierung. London, IOR, L/PO/1/1A, Kenya, restriction of immigration, position of Indians etc. Von dem Vetorecht wurde 1913 Gebrauch gemacht, als man H. C. Smith den Verkauf seines Landes untersagte, da „owing to the settlement of European farms in the neighbourhood it is considered inadvisable to admit the transfer requested to any person of Asiatic origin“. East Africa Executive Council, 17.6.1913. Ein weiterer Fall ist der von Dhanpat Nand Lal, dem 1917 mitgeteilt wurde, dass „he will be required to vacate his present premises, and that no permission will be granted to him to re-erect his mill for his own use in any part of the European area“. East Africa Executive Council, 8.3. 1917. Die Novellierung des Kronlandsgesetzes von 1915 wurde auch vom Colonial Office in London

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Verwaltung die administrative Gliederung an die Grenzen der „rassischen“ Segregation an und bertrug die ethnischen Differenzen in Form von unterschiedlichen Farben kartografisch auf das Protektorat (s. Karte 4 auf S. 266).153 Die territoriale Segregation hatte nach dem Ersten Weltkrieg auch angehçrigkeitsrechtliche Folgen. 1920/21 wurde das East Africa Protectorate in die Kolonie und das Protektorat Kenia aufgeteilt. Whrend alle in der Kolonie geborenen Kinder qua iure soli den britischen Untertanenstatus erwarben, vermittelte die Geburt im Protektorat lediglich den minderprivilegierten Rechtsstatus einer British protected person. Die den „Europern“ vorbehaltenen Gebiete im Hochland gehçrten smtlich zur Kolonie, whrend das zum Protektorat erklrte Kstengebiet mehrheitlich „Nicht-Europer“ bewohnten. Somit fhrte die territoriale Segregation nach „rassischen“ Kriterien mittelfristig zu einer angehçrigkeitsrechtlichen Privilegierung der „Weißen“.154 Allerdings waren die Grenze zwischen Kolonie und Protektorat und die Trennlinien zwischen „europischen“ und „nicht-europischen“ Gebieten nicht durchgngig kongruent. Die angehçrigkeitsrechtliche Minderprivilegierung stellte mithin eine unabsichtliche, aber nicht unerwnschte Folge der Segregationspolitik des frhen 20. Jahrhunderts dar.155 Diese resultierte aus dem zeitgençssischen Bedrfnis nach rumlicher Trennung der „Rassen“, das weit ber die Unterscheidung von Hochland und Kste hinausgriff. Auch innerhalb der sich entwickelnden urbanen Zentren wurden den verschiedenen ethnischen Gruppen unterschiedliche Stadtviertel zugewiesen.156 Dabei kann man eine interessante argumentative Verschiebung

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abgesegnet. Sie sah unter anderem vor, dass die Fhrung der Farmen nur „Europern“ bertragen werden durfte, und dass der Gouverneur alle Grundbesitztransaktionen verbieten konnte, an denen Personen unterschiedlicher „Rasse“ beteiligt waren. Dadurch sollte der Gouverneur einerseits in die Lage versetzt werden, „to exercise control over any segregation of races which might be considered necessary“ und andererseits „[to] protect an ignorant native from entering into an improvident transaction with an unscrupulous person of the superior races“. „,Race‘ shall mean persons of European, Asiatic or African origin“. East Africa Legislative Council, 18. und 23.1.1915. London, PRO, CO 630/3, Regulation Nr. 12 von 1915. s.a. Gregory, India and East Africa, S. 80. Zudem erklrte die Crown Lands Ordinance von 1915 alle von „natives“ genutzten Gebiete zu Kronland und ermçglichte der Verwaltung, ber diese Territorien frei zu verfgen. Gatheru, S. 36. Wolff, S. 62 f. Hughes, S. 26. Im Februar 1917 beratschlagte der East Africa Legislative Council die Trennung der Administration von „native areas“ and „areas of white occupation“ und ein „scheme, accompanied by maps showing the suggested redistribution of the Protectorate into areas of white settlement and native occupation respectively“. Diese These formulieren Oyelaran u. Adediran fr alle afrikanischen Kolonien und Protektorate. Die Unterscheidung von Kolonie und Protektorat Kenia war im nominellen Fortbestehen der Souvernittsrechte des Sultans von Sansibar begrndet, weswegen der Kstenstreifen nicht fçrmlich annektiert und ins britische Hoheitsgebiet integriert werden konnte. In den Verkaufsvertrgen fr stdtische Grundstcke existierten teilweise Klauseln, die bestimmten „that no Asiatics or Africans except domestic servants would be allowed to reside on them“. East Africa Executive Council, 6.11.1908. Einige Gebiete wies man als „Indian residential plots“ aus. Ebd., 7.11.1916. In besonders paradoxen Fllen wurde „Asiatics“ zwar der

beobachten: „it looks as if, in time, residential qualifications should be rather educational and hygienic than racial“.157 Die Trennung der „Rassen“ wurde also immer weniger als Selbstzweck, sondern zunehmend aus medizinischen Grnden betrieben. Dieser neueren Argumentation entsprach der Plan fr die „commercial and residential segregation of races“ in Nairobi, den William Simpson 1913 entwickelte.158 Er war ebenfalls an der Formulierung der Public Health Bill beteiligt, die 1918 im Legislative Council mit „pure[] matters of health … [and] public peace“ begrndet und als ethnisch-neutrale Maßnahme vorgestellt wurde: „It is common ground that the standards of living of Europeans, Asiatics and Natives differ. Each community has a natural desire as far as possible to live among its fellows and not to be mixed up with members of other races. … The Bill … does not make any invidious distinctions between one race and another. It would be equally unlawful for a European to live in an Indian area or a Native to live in an Indian area as it would be for an Indian or Asiatic to live in a European area.“159

Das Prinzip der „rassischen“ Segregation prgte das alltgliche Leben in Ostafrika. Man etablierte eine Reihe von Diskriminierungsmechanismen, die man mit dem Begriff Apartheid zusammenfassen kann. Es gab Hotels, Restaurants und Clubs nur fr „Weiße“ und nach „Rassen“ getrennte Schulen, Zugabteile, Krankenhuser und Friedhçfe. Diese Orte und Strukturen erzwangen eine permanente Reproduktion rassistischer Hierarchisierungen zwischen „Europern“, „Arabern“, „Asiaten“ und „Afrikanern“ in der sozialen Praxis.160

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Erwerb von Grundstcken erlaubt, ihnen gleichzeitig aber deren Nutzung untersagt. Ebd., 21.6.1917. Zur Segregation in den Stdten, zur Zerstçrung von „slums“ und zur Aneignung der im Wert gestiegenen Grundstcke am Stadtrand durch „Europer“ s. Wolff, S. 66 f. East Africa Legislative Council, 24. 2. 1919, Gouverneur Northey. Gregory, India and East Africa, S. 93 und 180 f. Simpson war Dozent an der London School for Tropical Medicine und wurde von der ostafrikanischen Regierung beauftragt „to report on plague and health conditions in East Africa“. Im Juli 1913 legte er „a draft Public Health Bill“ vor. Simpson war berzeugt „that segregation and demolition of the Indian bazaar were necessary to eliminate a ,continual menace to the community‘.“ Ebd., S. 93. In den Beratungen des Stadtrats von Nairobi sprach sich insbesondere der indische Vertreter A. M. Jeevanjee gegen Simpsons Vorschlge aus und unterbreitete interessanterweise „a plan for development of areas along class lines“. Ebd., S. 180. Letztlich wurden Simpsons Plne nicht direkt umgesetzt. Der Basar blieb erhalten, und der Stadtrat beschloss „that both residential and commercial segregation of the three communities be achieved gradually by controlling future sale and lease of land“. Ebd., S. 181. s.a. East Africa Executive Council, 6.10.1917. Ebd., S. 222 f, 4.11.1918. Als weitere Begrndungen fr die Segregation wurden die „incompatability of character“ und „different susceptability of different races to disease“ angefhrt. Gatheru, S. 13, spricht von einer „economic-political stratification …. This meant that the Europeans enjoyed top priority as far as economic, political and social privileges were concerned. The Asians and Arabs were second, while the Kenyan African majority were third.“ s.a. Gregory, South Asians in East Africa, S. 3 und 22. Ders., India and East Africa, S. 89. Abour, S. 22 und 341 f. Diese grobe Hierarchisierung von drei oder vier ethnischen Gruppen setzte

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Das Konzept „rassischer“ Ungleichheit prgte auch das Recht. Neben den bereits erwhnten Diskriminierungen im Eigentums- und im Arbeitsrecht,161 sowie bei der Mobilittskontrolle, denen die „nicht-weiße“ Bevçlkerung unterworfen war, basierte ebenfalls das Steuerrecht auf Ungleichbehandlung. Direkte Steuern mussten nur „natives“ entrichten.162 Der Versuch, die „poll tax“ auch auf die nicht-afrikanischen Bewohner des Protektorats auszudehnen, traf 1912 auf den vehementen Widerstand „indischer“ und „europischer“ Vertreter. Diese beriefen sich dabei auf den Slogan der amerikanischen Revolution „no taxation without representation“.163 Das Strafprozessrecht differenzierte ebenfalls nach „rassischen“ Kriterien.164 Diese Diskriminierungen erklren die Milde, die Geschworene und Richter gegenber „europischen“ Angeklagten walten ließen. Einen „europischen“ Siedler, der einen seiner „boys“ ermordet hatte, verurteilte das Gericht 1908 zu zwei Monaten harter Arbeit.165 Weder theoretisch noch praktisch herrschte im British East

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sich mit der Zeit vollstndig durch. Die frhe Kolonialverwaltung hatte noch mit „arabischen“ oder „afrikanischen“ lokalen Eliten kooperiert und diesen Privilegien eingerumt. Diese feineren Distinktionen und Durchkreuzungen der rassistischen Hierarchie verschwanden nicht zuletzt aufgrund des wachsenden Einflusses der „europischen“ Siedler. In der Folge wurde deren Hierarchie-Vorstellung auch fr die anderen Gruppen handlungsleitend. Das Recht definierte die „rassische“ Dreiteilung so: „The term ,Native‘ means any native of Africa not being of European or Asiatic race or origin, and includes any Swahili or Somali.“ London, PRO, CO 630/2, Regulation Nr. 2 von 1910, Taxation of Natives. Probleme bereitete die Zuordnung der „Swahili“. Falls Personen die Klassifizierung als „Swahili“ anfechten wollten, lag die Beweislast bei ihnen. Ebd., Regulation Nr. 15 von 1910, Native Hut and Poll Tax Ordinance. Wobei „Arbeitsrecht“ ein Euphemismus ist. Zu den Details der Masters and Servants Ordinance s. Wolff, S. 102 f. Gatheru, S. 9 und 29. Abour, S. 21. Wolff, S. 99 f und 117. Bezeichnenderweise entstanden die entscheidenden Definitionen des Begriffs „native“ im Kontext des Steuerrechts. Die „nichtafrikanischen“ Bewohner des Protektorats mussten lediglich „municipal taxes“, also stdtische Steuern entrichten. East Africa Legislative Council, S. 469 f, 31.10. 1910. Selbst bei den indirekten Steuern kann man von Diskriminierung sprechen. Produkte, die vornehmlich die „europischen“ Siedler kauften, wie Maschinen, Saatgut und Zuchtvieh wurden 1904 aus wirtschaftspolitischen Grnden von einer allgemeinen Zollerhçhung ausgenommen. Wolff, S. 101. Unter diesem Motto forderten insbesondere die „Europer“ die Wahl von Vertretern in den Legislative Council, der zu diesem Zeitpunkt aus ernannten Mitgliedern bestand. Vor dem Hintergrund der steuerlichen Mehrbelastung der „natives“ erscheint die Formel „no taxation without representation“ nachgerade zynisch. East Africa Legislative Council, S. 6, 12. 2. 1912 und 5.3.1912. Gatheru, S. 29. Anklagen gegen „Weiße“ wurden vor hçheren Gerichten und vor Jurys „composed of Europeans or Americans“ verhandelt. London, PRO, CO 630/2, Regulation Nr. 5 von 1906. Das Strafprozessrecht orientierte sich dabei am indischen Vorbild. Spter ersetzte man „Europeans or Americans“ durch „persons of European origin or descent“, was die rassistische Intention noch deutlicher zum Ausdruck brachte. Ebd., CO 630/3, Regulation Nr. 6 von 1914. s.a. East Africa Legislative Council, 7. 10. 1907 und 16.11.1908. Das Strafprozessrecht privilegierte auch die „arabische“ Elite. Ebd., 16.6.1910. Abour, S. 345 f. Mungeam, S. 184. In einem anderen Fall wurde 1911 ein Siedler, der einen „Afrikaner“ erschossen hatte, von der Jury entgegen der Empfehlung des Richters freige-

Africa Protectorate Gleichheit vor dem Gesetz. Vielmehr erhob das koloniale Rechtssystem den Verstoß gegen dieses fundamentale Prinzip staatsbrgerlicher Egalitt zur Norm. Das gilt auch fr die militrischen und wehrrechtlichen Bestimmungen. 1905 schuf man selbstverwaltete Freiwilligenverbnde, deren Mitglieder „of European parentage“ sein mussten. „Eurasian British subjects“ und „Goanese or Parsis“ durften nur dann beitreten, wenn sie eine eigene „nichteuropische“ Einheit bildeten, die „europische“ Offiziere befehligten.166 Militrisch sttzte sich die britische Herrschaft in Ostafrika allerdings auf die dort stationierten Abteilungen der indischen Armee und die aus „afrikanischen“ Berufssoldaten bestehenden Einheiten der King’s African Rifles. Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurde die Wehrpflicht zunchst nur fr „natives“ eingefhrt. Die „Ordinance to provide for the Recruitment of Native Carriers for the Military Forces now operating in the Protectorate“ vom August 1915 verpflichtete die von der Verwaltung eingesetzten „headmen“ „to provide from their Reserves the number of men required“.167 Erst Ende 1915 verpflichtete die Regierung „every male person between the ages of 18 and 45“ zum „compulsory military and other service“.168 Gleichzeitig betonten die Regierungsvertreter bei der Einfhrung der allgemeinen Dienstpflicht, dass sie diese nicht auf „Europer“ anwenden wrden, solange sich ausreichend „Europer“ freiwillig meldeten.169 Offensichtlich wollte die Kolonialverwaltung eine wehrrechtliche Gleichbehandlung aller „rassischen“ Gruppen vermeiden. Es passte nicht zur imperialistischen Logik, die „weißen“ Herren einem Zwang zu unterwerfen. Deswegen betonte die Regierung, dass sie zugleich mit der Wehrpflicht den „Europern“ politische Partizipationsrechte

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sprochen. Dieser Vorgang fhrte zu empçrten Reaktionen im Colonial Office und in der britischen ffentlichkeit. Der Manchester Daily Guardian schrieb zu diesem Fall: „Some of the white colonists in British East Africa badly need to be taught that they are subjects, not kings.“ Zit. nach Hughes, S. 67. London, PRO, CO 630/2, Regulation Nr. 3 von 1905 und Nr. 9 von 1907, Volunteer Reserve. Die hçheren Offiziere wurden von den „europischen“ Freiwilligen gewhlt, die „nicht-europischen“ Freiwilligen hatten kein Stimmrecht. s.a. East Africa Legislative Council, 2.9.1907. Interessant ist ferner, dass auch „Europer“, die keine britische Untertanen waren, den Freiwilligenverbnden beitreten konnten. London, PRO, CO 630/2, Regulation Nr. 21 von 1910. fters beschwerte sich die Regierung ber die Disziplinlosigkeit der Freiwilligenverbnde. East Africa Legislative Council, 25.11.1912. Ebd., 23.8.1915. London, PRO, CO 630/3, Regulation Nr. 29 von 1915. In vçlkerrechtlicher Hinsicht interessant ist die Tatsache, dass diese Bestimmungen auch auf „natives“ angewandt wurden, die auf dem Territorium des Sultans von Sansibar lebten. Die Tatsache, dass „Afrikaner“ und „Nicht-Afrikaner“ nach unterschiedlichen Rechtsnormen eingezogen wurden, ist an sich bereits bemerkenswert. East Africa Legislative Council, S. 143, 2.12.1915. London, PRO, CO 630/3, Regulation Nr. 31 von 1915. Ausgenommen wurden auslndische Staatsangehçrige und „natives of a Protectorate of a Foreign Power“, whrend British protected persons der Wehrpflicht unterlagen. Nach dieser Verordnung konnten „Afrikaner“ nicht mehr nur zu Hilfs-, sondern auch zu militrischen Diensten herangezogen werden.

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einrumte. Dem ostafrikanischen „War Council“, dem die Wehrpflichtigen unterstanden, gehçrten gewhlte „europische“ Vertreter an.170 Aus der Wehrpflicht der anderen ethnischen Gruppen zog man dagegen keine politischen Konsequenzen. Erst Anfang 1917 beschloss die Regierung, die Wehrpflicht der „Europer“ konsequent durchzusetzen. Diese verweigerten sich zum Teil der Zwangsrekrutierung.171 Andere Teile der ostafrikanischen Bevçlkerung versuchten ebenfalls, sich der Einziehung zu entziehen. Als die Verwaltung im August 1918 von den Massai weitere Rekruten forderte, verweigerten diese sich. Die Regierung schickte Truppen, um die Erfllung der Wehrpflicht durchzusetzen. Durch eine „unfortunate affair at a Masai Village where the troops owing to a misunderstanding fired without orders“ kamen zwei Frauen und mehrere Tiere der Massai ums Leben.172 „As a retaliatory measure the Parko Muran [ein Teil der Masai, d. Vf.] attacked the recruiting camp at Ol Alunga at dawn on the 4th [of October]. They were immediately driven off without loss to the troops, leaving 14 dead and one wounded prisoner, and again retiring to the forest. These unfortunate occurrences were followed by the looting of a number of shops established in the Reserve.“173

Zudem tçteten die Aufstndischen mehrere „natives who were employed in the Reserve“ und berfielen benachbarte Gruppen und Dçrfer „causing the death of several natives while a number of cattle was lifted“. Nach gescheiterten 170 East Africa Legislative Council, 2.12.1915. Aufgrund der divergierenden Rechtsnormen unterstanden die „afrikanischen“ Wehrpflichtigen nicht dem War Council, sondern der imperialen Militrfhrung. Diese Unterscheidung brachte das Medaillendesign zum Ausdruck, das fr „chiefs and headmen“ eine imperiale Symbolik vorsah. Ebd., 14.12.1916. Interessanterweise lehnten die Behçrden den Vorschlag des War Council ab, das Wehrpflichtgesetz mit dem Adjektiv „National“ zu bezeichnen. Stattdessen nannte man das Gesetz „Compulsory Service Ordinance“, weil „the expression ,national‘ was not suitable to a British Protectorate, and … the term ,national service‘ would, moreover, have a different meaning in connection with the measure than that generally accepted in England.“ brigens verpflichtete das Gesetz auch Frauen zum „civil service“. 171 East Africa Executive Council, 1.2. und 21.3.1917. London, PRO, CO 630/3, Regulation Nr. 5 von 1917. Diese verfgte ein Ausreiseverbot fr „europische“ Wehrpflichtige. s.a. East Africa Legislative Council, 21.5.1917. In dieser Debatte verwehrte sich der amtierende Gouverneur Bowring gegen die Verwendung des Begriffs „conscripts“ fr „Europer“. 172 London, PRO, CO 544/10, Report on Native Affairs by the Chief Native Commissioner for the 12 Months Ending March 31st 1919, S. 3. Diese Aushebungen fanden auf Drngen der Militrs statt, obwohl die Regierung bereits 1916 festgestellt hatte, dass „the tribes in East Africa have already been completely drained of all suitable material by recruitment for the King’s African Rifles and the Carrier Corps, and it is deemed quite impracticable to enlist any further number to an extent which would be useful to His Majesty’s forces“. East Africa Executive Council, 14.8.1916. 173 Ebd., 4.11.1918. Peers, S. 6, erwhnt die Purko als einen der wichtigen Clans der Massai und beschreibt diese als „cores of loose and semi-permanent power blocs“. Die zitierte Kampfbeschreibung entspricht brigens auch der von Peers skizzierten Taktik der Massai. Ebd., S. 3 und 8 f.

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Verhandlungen schlug die Kolonialverwaltung den Aufstand mit militrischen Mitteln nieder. Dieser Krieg endete erst im Juni 1919.174 Rassistische Diskriminierungen im Wahlrecht Obwohl alle Teile der ostafrikanischen Bevçlkerung am Kriegseinsatz beteiligt waren, sollten nach Kriegsende vor allem die Europer fr ihre Leistungen mit politischen Partizipationsrechten belohnt werden.175 Die Debatte ber die politischen Staatsbrgerrechte war von Beginn an von rassistischen Hierarchisierungen geprgt. In den Auseinandersetzungen ber die Einfhrung eines Wahlrechts zum Legislative Council gegen Ende des Ersten Weltkriegs forderten die „Europer“ gewhlte Reprsentanten. Zugleich verlangten sie die Exklusion der indischen Bevçlkerung vom Wahlrecht. Deswegen kam es zum Konflikt mit „indischen“ Vertretern, die auf die Gleichberechtigung der britischen Untertanen aus Indien pochten.176 Der Ausschluss der „afrikanischen“ Bevçlkerung von den politischen Staatsbrgerrechten wurde dagegen kaum problematisiert. Deren Interessen sollten allenfalls ernannte Beamte oder Missionare im Council vertreten.177 Anfang 1917 setzte die Regierung ein Komitee ein, das einen Gesetzesentwurf erarbeiten sollte. Dabei unterschied bereits der Arbeitsauftrag zwischen „European non-official members“, die gewhlt werden sollten, und der „representation on this Honourable Council of the Asiatic, Arab and Native communities“.178 Im Mai empfahl das Komitee ein Wahlrecht fr „every adult male British subject whether by birth or naturalisation of European origin“. „Asiatics“ und „Natives“ sollten von diesem Recht keinen Gebrauch machen

174 London, PRO, CO 544/10, Report on Native Affairs, S. 3. 175 Gatheru, S. 39 f. 23.869 „Afrikaner“ hatten im Krieg ihr Leben verloren. Trotzdem, so Gatheru, verschlechterte sich die rechtliche Position der berlebenden nach dem Krieg. hnliches gilt fr die „indische“ Bevçlkerung. Zum Einsatz von „Indern“ insbesondere als Kraftfahrzeugfahrer s. East Africa Executive Council, 16.4. und 16.5.1918. Dennoch behaupteten „europische“ Vertreter, die „Inder“ htten sich vom Kriegsdienst ferngehalten und zugleich çkonomisch profitiert. Gregory, India and East Africa, S. 146 f. 176 Der Legislative Council existierte seit 1907 und seine Mitglieder wurden vom Gouverneur bestimmt. Neben sechs Regierungsmitgliedern waren zwei Reprsentanten der „europischen“ Siedler vertreten. 1909 wurde erstmals ein „indischer“ Vertreter in den Council berufen. Gatheru, S. 33. In den folgenden Jahren war dieser Posten aber mitunter vakant, weil die Regierung sich mit der Begrndung, dass es keine geeigneten Kandidaten gbe, weigerte, „Inder“ in den Council zu berufen. Seit 1911 hatten die „europischen“ Siedler die Wahl von Vertretern wiederholt gefordert, waren aber am Widerstand der Regierung und des Colonial Office gescheitert. East Africa Legislative Council, Februar und November 1917. s.a. Gatheru, S. 35 f. Die Entwicklung und rechtliche Ausgestaltung von Wahlmechanismen auf der kommunalen Ebene und bei der Bestimmung der „native chiefs“ kann aus Platzgrnden leider nicht in die Untersuchung mit einbezogen werden. 177 London, IOR, L/PO/1/1A. s.a. Gatheru, S. 36. 178 East Africa Legislative Council, Februar 1917.

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kçnnen.179 Zugleich lehnte das Komitee „any property or educational qualification“ ab. Man wollte mçglichst allen „weißen“ Bewohnern das Wahlrecht zugestehen. Deswegen sollte bereits die einjhrige Ansssigkeit innerhalb des Protektorats zur Aufnahme ins Whlerverzeichnis berechtigen. Das Komitee empfahl die Einrichtung von zehn Wahlkreisen. Diese sollten die unterschiedlichen çkonomischen Interessen der Hochland- und der Kstenbewohner abbilden. Auch fr die „Dutch“ Siedler war ein Wahlkreis vorgesehen.180 Die „indische“ Bevçlkerung sollten lediglich zwei ernannte Ratsmitglieder vertreten, whrend Regierungsmitglieder die „arabischen“ und „afrikanischen“ Interessen reprsentieren sollten. Schließlich hatte das Komitee auch „the pleasure of receiving a deputation of the East Africa Women’s League which urged the advisability and necessity of granting votes to women“. Die Entscheidung darber sollte aber dem nach den neuen Regeln gewhlten Council vorbehalten bleiben.181 Die Debatte ber die Vorschlge des Komitees machte die entgegengesetzten Positionen der „Europer“ und der „Inder“ deutlich. Lord Delamere, der prominenteste Vertreter der „weißen“ Hochlandsiedler, verknpfte die Wahlrechtsforderung mit dem Anspruch der „Europer“ auf Unabhngigkeit von London: „The really important thing to my mind is that the Colonial Office should avoid interference in the local affairs of this Protectorate.“ Mit „local affairs“ meinte er die inneren Angelegenheiten der „europischen“ Bevçlkerung, welche diese selbst regeln wollte. Fr die Belange der „other classes of the population“ sollte dagegen die britische Kolonialverwaltung zustndig bleiben. Delamere forderte also nicht weniger als die personale Trennung zweier Souvernittssphren innerhalb des ostafrikanischen Territoriums. Whrend die „Europer“ sich konstitutionell selbst regierten, sollte die „nicht-europische“ Bevçlkerung sich der absoluten Herrschaft der „weißen“ Beamten unterwerfen. Auch das Zugestndnis zweier ernannter „indischer“ Vertreter „should never be allowed to entrench one iota on the rights of Britons to govern a British Colony“.182 179 Gleichzeitig sollte aber nicht-britischen „Europern“ durch die Einfhrung von Einbrgerungsregeln der Zugang zum Wahlrecht ermçglicht werden, was die rassistische Intention verdeutlicht. Gleiches gilt fr die Definition von „origin“: „By European origin is meant whole blooded descent from European ancestors.“ East Africa Legislative Council, S. 183 f, 24.5.1917. 180 „The Committee is of opinion that in the present stage of the Protectorate’s development it is more important that interests be represented rather than individuals.“ Mit den „Dutch“ sind aus Sdafrika eingewanderte Hollnder gemeint, deren Sonderbehandlung die Reprsentation „of the Dutch and the English races … owing to the different uses to which each put the land“ garantieren sollte. East Africa Legislative Council, Mai 1917. 181 Ebd., S. 198, Mai 1917. s.a. London, IOR, L/PJ/6/702, file 2999. Das Frauenwahlrecht „subject to certain qualifications“ unterstzte auch der Gouverneur. East Africa Legislative Council, 20.11. 1917. 182 East Africa Legislative Council, 20.11.1917. Wrde die „europische“ Herrschaft nicht aufrechterhalten, sah Delamere „the advancement of Western Civilization in Africa“ gefhrdet. Diese Position vertrat auch ein Kommissionsbericht zum Wiederaufbau des Protektorats von

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Die Gegenposition vertraten „Nairobi Indians“ Anfang 1918 in einer an den britischen Kçnig und einige einflussreiche Persçnlichkeiten in Indien gerichteten Erklrung. Darin versprachen sie, die britische Kriegsfhrung weiterhin zu untersttzen, und forderten die Einsetzung eines Gouverneurs, der „sympathetic towards Indian aspirations and … strong enough to hold the scales even between the various communities“ sein sollte. Außerdem verlangten sie mindestens zwei Sitze im neuen Legislative Council.183 Die indischen Hoffnungen richteten sich also vor allem auf eine starke und ethnischneutrale Administration, welche ihre Gleichberechtigung gegen die Diskriminierungsforderungen der „Europer“ durchsetzen sollte. Diese beiden Positionen spiegelten sich auch innerhalb der kolonialen und imperialen Regierungen wieder. Der neu eingesetzte Gouverneur Northey machte sich die „europischen“ Forderungen weitgehend zu eigen: „I believe that in this Protectorate … British European preponderance in the Government is essential. The contention put forward by prominent Indians that they should be given equal representation in the Government, or Municipal Councils is untenable.“184

In dieser Haltung untersttze ihn das Colonial Office. Die indische Regierung und das India Office setzten sich dagegen – nicht zuletzt aufgrund der Proteste „indischer“ Vertreter in Ostafrika – fr deren Forderungen ein und versuchten allzu deutliche Diskriminierungen zu verhindern.185 Der Gesetzentwurf, der im April 1919 in den ostafrikanischen Legislative Council eingebracht wurde, entsprach weitgehend den Vorschlgen des Komitees und damit den Vorstellungen der „europischen“ Siedler. Die Mehrheit des Gesetzgebenden Rats lehnte die beantragte Reduzierung der Zahl der „indischen“ Vertreter auf einen ab und stimmte der Aufstockung der „europischen“ Mandate um eins auf elf zu.186 Ein Antrag, der das Wahlrecht auch

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1919, den maßgeblich „European unofficials“ formulierten: „In phrases that became notorious, it [der Bericht, d. Vf.] recommended the Indians’ exclusion … because their ,incurable repugnance to sanitation and hygiene‘, their ,antagonistic‘ philosophy, and their ,moral depravity‘ were ,damaging to the African‘.“ Gregory, India and East Africa, S. 182. Ebd., S. 184, betont auch die Intensitt, mit der die Auseinandersetzung von beiden Seiten gefhrt wurde: „After the Armistice when the revision of the Protectorate’s constitution was under consideration in the Colonial Office, both Europeans and Indians launched determined campaigns.“ East Africa Legislative Council, 24.2.1919. Nachdem Milner Long als Kolonialminister abgelçst hatte, war die Haltung des Colonial Office noch deutlicher pro-„europisch“. Gregory, India and East Africa, S. 185. Zur Haltung der indischen Regierung und des India Office s. ebd., S. 187 f: „When revision of the Protectorate legislature was under consideration, Montagu urged Milner to accord Indians elective representation at the same time as Europeans.“ s.a. London, IOR, L/PO/1/18, Briefwechsel zwischen India und Colonial Office, 1918/19. Lediglich zweijhrige Ansssigkeit und Englischkenntnisse wurden zu weiteren Voraussetzungen fr das passive Wahlrecht gemacht.

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„non-Europeans possessing certain educational qualifications“ zugestehen wollte, wurde mit großer Mehrheit abgewiesen. Mit knapper Mehrheit befrwortete der Council dagegen das allgemeine, aktive und passive Wahlrecht fr „europische“ Frauen.187 Mit diesen nderungen trat die Legislative Council Ordinance Mitte 1919 in Kraft.188 Sie brachte die „europischen“ Vorstellungen noch strker zur Geltung als der ursprngliche Entwurf. Einerseits war das ostafrikanische Wahlrecht, indem es sowohl geschlechtliche als auch soziale Differenzen berwand, ungewçhnlich inklusiv. Andererseits war das Wahlgesetz deutlich von rassistischen Diskriminierungen geprgt. Die politische Inklusivitt bezog sich ausschließlich auf die „europische“ Bevçlkerung.189 In der wahlrechtlichen Auseinandersetzung stellte sich auch die Frage, ob man dem Prinzip der „communal representation“ oder dem Grundsatz „one man – one vote“ folgen sollte. Die Logik dieses Problems demonstriert ein Gesprch zwischen Vertretern des Colonial Office, des India Office und der „europischen“ Siedler, das im April 1923 in London stattfand. ber weite Strecken nahm es die Form eines Streits zwischen dem Kolonistenvertreter Delamere und dem Indienminister Peel ber die im Raum stehende Forderung nach ethnisch-neutraler Gleichberechtigung an:190 187 East Africa Legislative Council, 8. und 9.4.1919. 188 London, PRO, CO 630/3, Regulation Nr. 22 von 1919, to Provide for the Election and Nomination of Members to the Legislative Council of the East Africa Protectorate. Ein Jahr spter nderte man das Wahlrecht nochmals in einem entscheidenden Punkt. Ab 1920 wurden die „indischen“ Vertreter nicht mehr ernannt, sondern gewhlt. Gregory, India and East Africa, S. 190. Gatheru, S. 36. 189 Diese Kombination charakterisierte auch die Rechtsentwicklung in den Dominions, wo, wie beispielsweise in Neuseeland, unter der Bedingung „rassischer“ Exklusion die Staatsbrgerrechte sozial inklusiv ausgestaltet wurden. 190 London, IOR, L/PO/1/1. Thema dieser Konferenz war der sogenannte Wood-Winterton-Report, der eine Neuausrichtung der Kolonialpolitik sondierte. Diese Neuorientierung hatte das Erstarken der Labour-Partei ausgelçst. Diese Entwicklung liegt jenseits des Untersuchungszeitraums, weswegen sich die Analyse auf das spezielle Problem der „communal representation“ beschrnkt. „Indischen“ Vertretern aus der Legislative Assembly in Delhi wurde die Teilnahme an diesem Gesprch verwehrt. London, IOR, L/PO/1/1A, India Office an Colonial Office, 18.6.1923. Hinter dem Konflikt zwischen Delamere und Peel stand die Frage, ob sich die britische Politik eher an den Vorstellungen der „europischen“ Siedler oder am Willen der indischen Regierung orientieren sollte, die als Garant der Gleichberechtigung gelten wollte. Das India Office wollte demonstrieren „that the British Government is the one independent Government which will do justice between all these warring religions and sects“. Deswegen warf Peel Delamere vor, die „europischen“ Siedler wrden den Umsturz der indischen Regierung befçrdern, weil ihre Diskriminierungspolitik die anti-britische Agitation der indischen Nationalbewegung erleichterte. Daraufhin fragte Delamere rhetorisch, ob man denn Afrika aufgeben solle, um Indien fr das Empire zu erhalten. Stattdessen unterschied Delamere zwischen der Gleichberechtigung Indiens als politischer Einheit innerhalb des Weltreichs und der individuellen Gleichberechtigung der indischen Untertanen: „when India was given the right to come and sit on the Councils of the Empire as an equal, it was India as a unit that was given that right and … the question of the place which the individual Indians should take in the Empire, as Indians and as voters, has never been settled.“

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Delamere: „… we feel that one of the difficulties is that if we admit Indians to any form of equality –“ Peel: „,Any form of equality‘?“ Delamere: „Can you have qualified equality?“ Peel: „That is what I am asking.“

Delamere argumentierte gegen die Gleichberechtigung der „indischen“ Untertanen der britischen Krone. Denn dieses Zugestndnis wrde auch die „natives“ und die „Araber“ ermuntern, politische Partizipation zu fordern. „I do feel … that it is very hard on them to mix them up in the white man’s politics if it means that they have a vote on a common electoral roll.“ Auf die folgende Frage, ob es denn mçglich wre, diesen Gruppen „representation on a communal basis“ einzurumen, antwortete Delamere, dass dies sicherlich der richtige Weg sei, wenn man den „Nicht-Weißen“ berhaupt politische Partizipation zumuten wolle. Peel regte an, das Wahlrecht von einem „education test“ abhngig zu machen, „so that they [die „nicht-europischen“ Whler, d. Vf.] would be, I will not say on a level with the white man, but on a respectable intellectual level“. Diesen Vorschlag lehnte Delamere ab. Die „Nicht-Europer“ seien „at present not fit to exercise the franchise“. Auf insistierende Nachfragen zog Delamere sich auf seine vorherige Position zurck, dass man den „Nicht-Europern“ irgendwann das Wahlrecht „on a limited communal basis“ einrumen kçnnte. „I do not think you should ever give them representation according to their numbers or anything like that.“ Diese Argumentation verdeutlicht, dass wahlrechtliche Differenzierungen, die im cisleithanischen Fall Ausdruck einer Politik der Anerkennung waren, auch rassistisch diskriminierend gemeint sein konnten. Insbesondere wenn Differenzierungen nach ethnischen Kriterien nicht auf dem fundamentalen Gedanken der rechtlichen Egalitt aufruhten, sondern von umfassenden Ungleichheits-Konzepten getragen wurden, dienten sie der Reproduktion rassistischer Hierarchisierungen und imperialistischer Diskriminierungen.

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3.3. Imperialistische Politik und Rassismus Von rechtlicher Diskriminierung betroffen waren in sterreich-Ungarn vor allem die bosnischen Landesangehçrigen. Anders als die çsterreichischen und ungarischen Staatsangehçrigen waren sie von jeglicher Partizipation an Entscheidungen auf der imperialen Ebene ausgeschlossen. Auch die angehçrigkeitsrechtliche Grauzone, in der die Landesangehçrigen standen, wirkte diskriminierend. In dieser brdete ihnen das Recht Pflichten auf, ohne den Landesangehçrigen den Zugang zu staatsbrgerlichen Rechten zu sichern. Insofern war in Bosnien eine imperialistische Logik wirksam, die allerdings auf angehçrigkeitsrechtlich-formalen und nicht auf „rassischen“ Kriterien beruhte. Innerhalb des Landesangehçrigenverbandes existierten keine Diskriminierungsmechanismen. Intern folgte die bosnische Regierung einer etatistischen Logik, die in der ethnisch-neutralen Immigrationspolitik und in der Egalitt des allgemeinen Mnnerwahlrecht von 1910 zum Ausdruck kam. hnlich wie in sterreich, verdrngte auch in Bosnien eine Politik der Anerkennung nach 1900 zunehmend das Prinzip der ethnischen Neutralitt. Im Zentrum der bosnischen Angehçrigkeits- und Staatsbrgerschaftspolitik standen die çkonomischen und militrischen Interessen des Staates. Daneben achteten die Behçrden vor allem auf die Loyalitt der verschiedenen sozialen und ethnischen Gruppen gegenber der habsburgischen Verwaltung. Diese hatte deutlich absolutistische und autoritr-restriktive Zge, wie die Untersuchung der Migrationspolitik zeigte. Der bosnische Fall war wesentlich etatistisch geprgt. Nur eingeschrnkt war daneben eine imperialistische Logik wirksam. In Britisch-Ostafrika wurde das Prinzip der ethnischen Neutralitt, dem die frhe Administration unter der gide des Foreign Office folgte, dagegen zunehmend von der imperialistischen Logik verdrngt. Nachdem das Colonial Office 1905 die Verwaltung bernommen hatte, bestimmte die Privilegierung der „europischen“ Siedler und die Diskriminierung der „afrikanischen“ und „indischen“ Bevçlkerung in immer strkerem Maße die Entwicklung des Rechts. Das fiskalische und militrische Interesse an einer einheitlichen Durchsetzung der Steuer- und spter auch der Wehrpflicht trat demgegenber zurck. Die rassistische Logik prgte auch die Einfhrung politischer Partizipationsrechte. Dabei wirkten Mechanismen ethnischer Differenzierung anders als in Bosnien nicht als Teil einer Anerkennungs-, sondern einer Diskriminierungspolitik. Diese Maßnahmen zielten letztlich auf die Durchsetzung und die Aufrechterhaltung der Dominanz der „weißen“ ber die „nichtweißen“ Bewohner des Protektorats. Staatsangehçrigkeit und Staatsbrgerschaft folgten in Ostafrika und in Bosnien also unterschiedlichen Denk- und Handlungsmustern. hnlichkeiten lassen sich dagegen bei der strikten Regulierung der Migration feststellen, die man auf einen beiden Fllen gemeinsamen kolonialen Absolutismus zurckfhren kann. Allerdings befreite man in Ostafrika die 206

„Europer“ zunehmend von diesen brokratischen Zwngen, whrend die restliche Bevçlkerung ihnen unterworfen blieb. Daneben entsprach die Grauzone der bosnischen Landesangehçrigkeit weitgehend der ambivalenten Position der Protektoratsbewohner, denen Pflichten auferlegt und zugleich Rechte verwehrt wurden. Diese Diskriminierungsmechanismen beruhten weniger auf rechtlich-formalen Unterscheidungen, als vielmehr auf administrativen Praktiken. Solche Verwaltungsmaßnahmen spielten bei der Durchsetzung der imperialistischen Logik in Ostafrika eine herausragende Rolle. Der bosnische Etatismus war dagegen strker mit legalistischen Mitteln verknpft. Whrend man in Bosnien eine ethnisch-neutrale und spter auch eine anerkennende Politik betrieb, dominierten in Ostafrika Diskriminierungen nach „rassischen“ Kriterien. Diese Ungleichbehandlung entsprach den Auffassungen der „europischen“ Siedler und korrespondierte mit der imperialistischen Machtasymmetrie im Britischen Weltreich. Die etatistische Logik in Bosnien hing dagegen eng mit aufgeklrt-absolutistischen Rechtstraditionen zusammen. Diese Faktoren erklren die deutlichen Diskrepanzen zwischen den angehçrigkeits- und staatsbrgerschaftsrechtlichen Entwicklungen in Ostafrika und in Bosnien. Rassistische Vorstellungen im langen 19. Jahrhundert Eine besondere Rolle spielten dabei die rassistischen Denkmuster, welche die politischen Entscheidungen und die berzeugungen der historischen Akteure prgten. Im britischen Fall dominierten rassistische Argumentationen die Debatten und die Entwicklungen. In der habsburgischen Rechts- und Verwaltungslogik spielten „rassische“ Kategorien dagegen kaum eine Rolle, obwohl rassistische Konzepte im sozialen Gesamtkontext durchaus virulent waren. Insbesondere die Forschung zum britischen Fall beschftigt sich mit den Beziehungen zwischen gesellschaftlichen Vorstellungen und politischen Entscheidungen. Ein Ansatz betont dabei die Popularitt und Massenwirksamkeit rassistischer Maßnahmen und Forderungen. Diesem Druck „von unten“ htten, so die These, die Regierungen in London und in einigen Dominions nur widerwillig und zçgernd nachgegeben. Andere Argumentationen ziehen die „rassische“ Neutralitt der offiziellen Politik dagegen in Zweifel und betonen, dass die Regierungen „von oben“ rassistische Hierarchisierungen implementierten.191 In der modernen Genealogie „rassischer“ Rangordnungskonzepte nehmen die Schriften Linns einen prominenten Platz ein. Linn begrndete im 18. Jahrhundert das zoologische Ordnungssystem. Auch fr menschliche Tiere entwickelte er eine Klassifikation. Nach der Pigmentierung ihrer Haut191 Gregory, India and East Africa, S. 178. Eine dezidierte Vertreterin der These, dass Xenophobien und Rassismen „von oben“ zumindest angeregt wurden, ist Roy.

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farbe unterschied er den „roten“ „homo americanus“, den „weißen“ „homo europaeus“, den „gelben“ „homo asiaticus“ und den „schwarzen“ „homo africanus“. Der „haarige“ „homo ferus“ und der „homo monstrosus“ komplettierten Linns Schema. Die letzte Kategorie fasste „deviant forms from several regions“ gleichsam in der Rubrik Sonstige zusammen.192 Etwas jngeren Datums und ebenfalls sehr einflussreich war Blumenbachs Einteilung der Menschheit nach Schdelformen in „kaukasische“, „thiopische“, „mongolische“, „malayische“ und „amerikanische“ Typen.193 Beide Klassifizierungsschemata – nach Hautfarbe oder nach Weltregion – haben das Verstndnis „rassischer“ Differenzen nachhaltig geprgt. Andere Unterscheidungsmuster orientierten sich an Augenfarben, Haaren oder Nasenformen. Diese erreichten aber nicht dieselbe Popularitt.194 Sptestens seit Anfang des 19. Jahrhunderts verknpfte man diese „rassischen“ Differenzmuster mit der Idee, dass eine „Rasse“ den anderen berlegen sei. Diese Superioritts-Vorstellung fhrte zur Etablierung rassistischer Hierarchien.195 Wie die aufklrerisch-enzyklopdische Konstruktion „rassischer“ Kategorien war auch die Entwicklung rassistischer Rangordnungen eng mit dem Kolonialismus verknpft. Einerseits brachten die Kolonisatoren „the booty that fueled the mania for classification“ nach Europa. Andererseits verfestigte sich die auf Sklaverei basierende Organisation der karibischen Plantagengesellschaften zu einer rassistischen Rangfolge.196 Dabei begriff man die ber- oder Unterlegenheit der verschiedenen „Rassen“ zunchst im Rahmen eines universalen Menschenbildes und eines Entwicklungs- und Erziehungsparadigmas. Dieses wurzelte in von Rousseau geprgten und oft als liberal bezeichneten Vorstellungen. Die „Eingeborenen“ waren demzufolge wie Kinder, die unter der Aufsicht und der pdagogischen Herrschaft der kolonialen Herren allmhlich den Grad der Zivilisation erreichen sollten, den jene fr sich reklamierten.197 Dieses Zivilisierungsparadigma dominierte den Rassismus in der ersten Hlfte des 19. Jahrhunderts. Danach trat ein anderes Verstndnis „rassischer“ Hierarchien in den Vordergrund. Dieses Modell trennte die verschiedenen „Rassen“ durch biologistisch verstandene Grenzen voneinander.198 Die Schriften Gobineaus und H. S. Chamberlains waren fr diese zweite Phase des rassistischen Denkens entscheidend. Gobineau erklrte 1853 „das Problem des Lebens und Todes der 192 193 194 195

Banton, S. 19 f. Ebd., S. 22. Berry u. Tischler, S. 34 f. Banton. S. 11. Die Schriften von Georges Cuvier um 1800 und Charles Hamilton Smith (1776 – 1859) exemplifizieren diese Entwicklung. Banton, S. 45 und 68 f. 196 Pierson, R., S. 3. Banton, S. 27 und 93. 197 Pallua, S. 98 f. Pierson, R., S. 5. Das hier vorgestellte Phasenmodell des rassistischen Diskurses sttzt sich weitgehend auf die berlegungen von Banton. 198 Zur Unterscheidung von liberalen und konservativen Anstzen in diesem Kontext s. Gregory, India and East Africa, S. 3 f.

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Nationen“ mithilfe unterschiedlicher Stadien der Mischung und Kreuzung verschiedener „Racen“. H. S. Chamberlain, der insbesondere „Arier“ und „Juden“ einander gegenberstellte, knpfte in verzerrender Weise an Darwins Konzept vom „Kampf ums berleben“ an. Er parallelisierte die menschliche Fortpflanzung mit der Tierzucht.199 Den bergang vom Zivilisierungsparadigma zum unberwindbaren Rangunterschied beschrieb der Gouverneur der Kapkolonie Lord Milner mit folgenden Worten: „A political equality of white and black is impossible. The white man must rule, because he is elevated by many, many steps above the black man; steps which it will take the latter centuries to climb, and which it is quite possible that the vast bulk of the black population may never be able to climb at all.“200

Im frhen 20. Jahrhundert begann schließlich eine dritte Phase des Rassismus, die man als die medizinische bezeichnen kann. „Volksgesundheit“ und „Eugenik“ waren zentrale Schlagwçrter und „,racial hygiene‘ became a slogan for a campaign to persuade people to wash themselves and to lead a healthy life“.201 Der bergang zur medizinischen Variante rassistischer Vorstellungen war eng mit der Etablierung fçrdernder Regierungstechniken verknpft. In Ostafrika fhrte er anfangs der zweiten Dekade des 20. Jahrhunderts dazu, dass man die Segregation der „Rassen“ zunehmend mit medizinischen und hygienischen Argumenten begrndete. Rassistische Argumentationen und die Praxis kolonialer Machtausbung in Ostafrika Zuvor spielten das Zivilisierungsparadigma und die Betonung unberwindbarer Rangunterschiede eine grçßere Rolle. In zivilisatorischer Absicht wollte man die „natives“ zur Arbeitsamkeit und zu einem moralischen Lebenswandel erziehen. Dieser pdagogische Impetus beruhte auf dem rassistischen Stereotyp, dass die „natives“ gleichsam von Natur aus faul und unmoralisch seien.202 „I am prepared to state definitely that we desire to make of the native a useful citizen, and that we consider the best means of doing so is to induce him to work … in such a 199 Zit. nach Claussen, S. 27 und 67. s.a. Berry u. Tischler, S. 52 f. Banton, S. 4, 37 f und 62 f. Vor allem in dieser Form wurden rassistische Konzepte auf dem Kontinent rezipiert und adaptiert. 200 Milner in einer Rede in Johannesburg, Mai 1903. Zit. nach Loveland, S. 63. 201 Banton, S. 92 f. Bashford, S. 24, untersucht die Auswirkungen und die Umsetzung dieses medizinischen Rassismus in Australien, wobei sie, hnlich wie die vorliegende Arbeit, betont, dass die rassistischen und eugenischen Vorstellungen „hegemonic interests“ dienten. 202 Zur Sexualmoral im ostafrikanischen Kontext s. Hughes, S. 60. Das ebenfalls zentrale Stereotyp der „natives“ als gleichsam von Natur aus gewaltttigen Menschen verwandte Gouverneur Eliot in einem Schreiben an den britischen Außenminister Landsdowne vom 19.4.1903. Darin vertrat er die berzeugung, dass die Kultur der Massai zerstçrt werden msse, weil „Masaidom … is a beastly, bloody system, founded on raiding and immorality“. Zit. nach ebd., S. 3.

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way as to ensure that [he is] not idling … by humane and properly regulated pressure.“203 „The native must be taught to realise that co-operation between the European and himself will be beneficial to both. He will learn to live in better and more sanitary surroundings – he must in time learn to be proud of his proper place in the world and ashamed of his former idleness.“204

Dieser „humane“ Arbeitszwang sollte auch zur moralischen Erziehung beitragen. Den Erfolg oder Misserfolg dieses Unterfangens verzeichneten die regelmßig publizierten Verbrechensstatistiken, welche die Verurteilungen von „Europeans“, „Asiatics“ und „Natives“ auflisteten. Der Bericht von 1911 vermeldete, dass „for the first time for 13 years there has been a check in the hitherto ever-expanding figures of convictions of natives“.205 Allerdings lieferte diese Statistik keine relativen Zahlen und ließ den Anteil der jeweiligen Gruppe an der Gesamtbevçlkerung außer Acht. Auf diese Weise konnte man trotz eines Anstiegs der Zahl der verurteilen „Europer“ um ber 300 % zwischen 1910/11 und 1913/14 darauf verweisen, dass diese in absoluten Zahlen am seltensten mit dem Gesetz in Konflikt gerieten.206 Hinter den Erziehungsmaßnahmen standen meist christlich geprgte Moralvorstellungen. Insbesondere die Friedfertigkeit und die Kontrolle des als ausschweifend imaginierten Sexuallebens der „natives“ lag den kolonialen Pdagogen am Herzen. Die Notwendigkeit solcher moralischen Bildungsanstrengungen begrndete man oft mit dem Verweis auf die in Indien gemachten Erfahrungen. Dort htte die bloße Vermittlung von Wissen und Techniken dazu gefhrt, dass die „nicht-weiße“ Bevçlkerung ihren „proper place“ nicht mehr kenne und akzeptiere.207 Die „Asiatics“ beurteilten „europische“ Vertreter des Zivilisierungsparadigmas mit besonderer Geringschtzung. Denn in Ostafrika, wo „indische“ und „europische“ Immigranten zugleich prsent waren, mussten die „Europer“ betonen, dass nur sie die „natives“ erziehen, zivilisieren und be203 East Africa Legislative Council, S. 164, 12. 2. 1917, Governor Belfield. Interessant ist die Verwendung des Begriffs „citizen“, den man im britischen Kontext meist vermied. Allerdings verweist der Begriff in diesem Zitat mitnichten auf staatsbrgerschaftsrechtliche Egalisierungsabsichten. 204 Ebd., 24. 2. 1919, Gouverneur Northey. Im Rahmen des Entwicklungs- und Zivilisierungsparadigmas argumentiert auch der ehemalige Kolonialbeamte Hobley. Er vergleicht die „natives“ mit den „skin-clad Britons“ vor fast 2000 Jahren, welche fr die rçmischen Eroberer ebenfalls wilde Barbaren gewesen seien. Erst die vierhundertjhrige Besatzung htte die Briten allmhlich zivilisiert. Ebd., S. 194 f. Allerdings klingt es zynisch, wenn Hobley, der in die Umsiedlung der Massai involviert war, eine „peaceful economic“ Entwicklung prognostiziert, unter der Bedingung, dass „the native question is dealt with on liberal lines, and the willing cooperation of the black millions is assured“. Ebd., S. 13. 205 London, PRO, CO 544/4, Annual Report of the East Africa Protectorate, 1910 – 11, S. 550. 206 London, PRO, CO 544/7, Annual Report of the East Africa Protectorate, 1913 – 14, S. 85. 207 East Africa Legislative Council, 18.2.1918. McLellan Wilson forderte in diesem Kontext eine Registrationspflicht fr „natives“, um deren Kontrolle zu intensivieren.

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herrschen konnten. Als man nach dem Ersten Weltkrieg den Vorschlag diskutierte, Deutsch-Ostafrika zur indischen Kolonie zu machen, sprach sich die berwiegende Mehrheit des Legislative Council dagegen aus.208 Diese Ablehnung begrndete man damit, dass allein die „weißen“ Kolonialherren „for Christianity and for Western Civilization“ einstehen konnten. Deswegen htten sie die Pflicht, die „natives“ vor den schdlichen Einflssen einer gleichsam orientalischen Kolonialverwaltung zu schtzen.209 Zugleich stellten sich die „Europer“ paradoxerweise als ideale Schiedsrichter dar, die sich gegenber den verschiedenen ostafrikanischen Bevçlkerungsgruppen neutral und fair verhielten. Dazu seien die potenziellen „indischen“ Kolonialverwalter gerade aufgrund ihrer tief verwurzelten Religiositt nicht in der Lage. Zudem seien die „Inder“ – „a poor class of petty traders“ – in keiner Weise produktiv ttig und deswegen „entirely parasitic on the native who grows the produce“.210 Deswegen mssten die „Europer“ die „natives“ vor indischer Ausbeutung bewahren. Implizit schwang in diesen Argumenten das positive Gegenbild der gerechten, wohlwollenden und hilfreichen „Europer“ mit. Diese mssten die Verantwortung fr die „natives“ bernehmen und drften sie nicht den „Indians [who] follow in all things a civilisation which is Eastern and opposed to ours“ berlassen.211 Auf diese Weise entwickelten die „europischen“ Vertreter – ausgehend vom Zivilisierungsparadigma – durch orientalisierende Stereotypisierungen und die Hierarchisierung unterschiedlicher Kulturen eine Begrndung fr rassistische Diskriminierungen und die Exklusion der „Inder“. Im Unterschied zu den zivilisatorischen Kolonialpdagogen rumten die Vertreter rassistischer Hierarchisierungsmodelle den ihrer Meinung nach niederen „Rassen“ keine Entwicklungsmçglichkeiten ein. Den „rassischen“ Unterschied hielten sie fr unberwindbar. Dieses Argument war oft mit der sozialdarwinistischen Schlussfolgerung verknpft, dass die unterlegene im Kampf mit der berlegenen „Rasse“ untergehen msse: „we should face the undoubted issue … that white mates black in a very few moves. … There can be no doubt that the Masai and many other tribes must go under. It is a prospect which I view with equanimity and a clear conscience.“212 208 „[T]his Honourable Council considers that the interests of the African demand that he should be given the opportunity, which Indian competition denies, of filling the subordinate posts under European supervision“, so der Wortlaut eines Antrags, den Hunter am 20. 11. 1918 einbrachte. East Africa Legislative Council, S. 243. 209 Ebd., S. 243, 9. 12. 1918, Hunter. 210 Ebd., S. 244 f, 9. 12. 1918, Clarke. 211 Resolution der „European Associations“, verçffentlicht im African Standard in Nairobi am 21. 12. 1918, unterzeichnet von Delamere, Rodwell, Hunter, Phelps und anderen. London, IOR, L/ PO/1/1A, Kenya, restriction of immigration, position of Indians. 212 Gouverneur Eliot in einem Schreiben an das Foreign Office von 1904. Zit. nach Wolff, S. 66. Das Verbum „mate“ bedeutet in diesem Zusammenhang „schachmatt setzen“ und nicht „paaren“. In diesem Sinn wurde die Situation der „afrikanischen“ Bevçlkerung auch hufig mit derje-

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In Ostafrika entfalteten medizinische, zivilisatorische und hierarchisierende Argumentationen mithin nebeneinander und gleichzeitig ihre rassistischen Wirkungen. Das anhand der wissenschaftlichen Debatten in Europa entwickelte Phasenmodell des Rassismus kann also nicht auf die koloniale Situation bertragen werden. Dort wurden vielmehr dieselben Forderungen und Maßnahmen auf unterschiedliche Weise begrndet. Dabei war es insbesondere fr die „natives“ letztlich gleichgltig, ob man sie zur Arbeit zwang, um sie zu zivilisieren, oder weil ihre „rassische“ Inferioritt die koloniale Zwangsausbung legitimierte. Zudem ließ sich, wie das oben zitierte Argument Milners zeigt, das Zivilisierungsparadigma ohne großen theoretischen Aufwand in die Annahme einer unwandelbaren „rassischen“ Hierarchie bersetzen, indem man die Erfllung der Zivilisierungsmission in die Unendlichkeit vertagte. Die Gleichzeitigkeit biologistischer und zivilisatorischer Argumentationsmuster verweist auf die Ambivalenz und die innere Widersprchlichkeit der kolonialen Herrschaft. Fr die Implementierung rassistischer Diskriminierungsmechanismen waren die Unterschiede zwischen den Legitimationsstrategien jedoch von vergleichsweise geringer Bedeutung.213 Koloniale und innereuropische Rassismen Die Unterscheidung eines kolonialen und eines kontinentalen oder innereuropischen Rassismus ist fr den Vergleich zwischen dem Britischen Weltreich und dem Habsburgerreich zentral.214 In der kolonialen Situation dominierten Vorstellungen, welche die Superioritt der „weißen“ Kolonialherren ber die „nicht-weißen“ Kolonialknechte betonten. Der kontinentale Rassismus beruhte dagegen auf der bersetzung religiçser oder sprachlicher Differenzen in „rassische“ Kategorien. Dadurch wurden die Unterschiede zwischen „Ariern“, „Juden“, „Germanen“, „Slawen“ und „Zigeunern“ radikalisiert.215 Diese anfnglich auf kulturellen Unterschieden basierenden Rassismen, wie der Antisemitismus, der Antislawismus oder der Antiziganismus, waren im Habsburgerreich von großer Bedeutung. Der britische Fall war dagegen strker vom kolonialen Hautfarbenrassismus geprgt. Daneben nigen der indigenen Bevçlkerung in Nordamerika verglichen. Hobley, S. 136, berichtet von einem Gesprch, in dem Theodore Roosevelt diesen Vergleich anstellte, der nach seiner Amtszeit als US-Prsident zum Jagen und zu journalistischen Recherchen nach Ostafrika gekommen war. 213 Pallua, S. 25 f. „In terms of general policy for Africa, the period of Liberal Government that was inaugurated in December 1905 saw considerable continuity with the Conservative policies that had preceded it.“ Mungeam, S. 154. 214 Kann, S. 164, unterscheidet zwischen außereuropischen Kolonialismen und innereuropischen, Quasi-Kolonialismen, die in deutlich geringerem Grad „rassische“ Diskriminierungen ausbildeten. In Bosnien lsst sich nach ihm keine eindeutig privilegierte ethnische Gruppe ausmachen. 215 Claussen, S. 16. Struve. Hund. Zur Unterscheidung von „cultural ethnocentrism“ und „physical ethnocentrism (racism)“ s. Pallua, S. 25 f.

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spielten in Ostafrika und im Vereinigten Kçnigreich auch antisemitische Ressentiments eine gewisse Rolle. Diese Rassismen hatten je spezifische Entstehungsgeschichten und wurden in der sozialen Praxis unterschiedlich ausgebt. Dennoch hnelten sie sich in wesentlichen Punkten. Sowohl auf der Basis ethno-kultureller als auch im engeren Sinn „rassischer“ Differenzen ließen sich rassistische Stereotype und Hierarchien konstruieren.216 Der koloniale und der innereuropische Rassismus entwickelten jedoch je spezifische Modi der Konstruktion und der Wahrnehmung „rassischer“ Unterschiede. Whrend die koloniale Variante auf der scheinbar sicheren und natrlichen, phnotypischen Sichtbarkeit von Differenzen beruhte, blieb die Definition der anfnglich kulturell fundierten, kontinentalen Unterscheidungen immer unsicher und prekr. Dass auch die phnotypische Sichtbarkeit nur eine scheinbare Sicherheit gewhrleistete, zeigt der Fall eines gewissen Archibald Washington Jackson. Diesen verurteilte ein Gericht in Greenwich, London, 1907 wegen „wandering abroad to beg and gather alms“. Er gab an, sein Vater sei ein „American negro“ und seine Mutter eine „Indian squaw“, die ihn im „Gurandeville Indian Territory near Texas, USA“ zur Welt gebracht habe. Die Behçrden betrachteten ihn deswegen als US-amerikanischen Staatsbrger und schoben in nach Verbßung seiner Strafe auf Regierungskosten in die USA ab. Dort nahm Jackson den Namen James Lone Hawk van Waalke an. 1936 verhafteten ihn die US-amerikanischen Immigrationsbehçrden beim Versuch, aus Kanada nach Washington State einzureisen. Die US-Behçrden identifizierten ihn als Charles Stanley Jarvis, Sohn eines irischen Vaters und einer schottischen Mutter, geboren in Sydenham, London. Eine schließlich aufgefundene Geburtsurkunde besttigte diese Angaben. Daraufhin akzeptierten die britischen Behçrden den Untertanenstatus von Jarvis, alias Jackson, alias van Waalke und bezahlten seine Rckreise ins Vereinigte Kçnigreich. Ein Londoner Polizeibeamter vermerkte in der Akte, dass Archibald oder James oder Charles „remarkable looks“ gehabt haben msse „to pass as half negro – half Indian“.217 Dieser Fall zeigt nicht nur, dass die Annahme, die „rassische“ Identitt sei aus der phnotypischen Erscheinung ablesbar, enttuscht werden konnte. Er verdeutlicht auch, dass die fr die Implementierung rassistischer

216 Daher ist es unsinnig, zu behaupten, der koloniale Rassismus basiere auf einem modernistischuniversalistischen Weltbild, whrend der kontinentale auf einem anti-modernen Partikularismus beruhe, wie Wieviorka, S. 292 f, das tut. 217 London, PRO, HO 382/18. Leider ist kein Bild von ihm berliefert. Die Akte enthlt jedoch einen letzten Brief, unterzeichnet mit James Lone Hawk van Waalke, den er 1938 aus Glasgow an das Home Office in London sandte und in dem er behauptet, die Identitt von Charles Jarvis nur angenommen zu haben und eigentlich in „Colmo, San Francisco County, California“ geboren zu sein. Er bat um die Finanzierung einer weiteren Atlantikberquerung, weil er sich so nach seinem Geburtsort und der Pazifikkste sehne. Offensichtlich schenkte niemand diesen Behauptungen Glauben. Wahrscheinlich starb Lone Hawk in Schottland.

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Diskriminierungen im britischen Fall so zentralen administrativen Vor-OrtEntscheidungen in die Irre gehen konnten. Noch grçßer war die Gefahr falscher Zuordnungen fr die innereuropischen Rassismen. Antisemiten und andere versuchten ebenfalls, phnotypische Charakteristika der „rassischen“ Unterschiede zu destillieren und zu definieren. Dabei verfolgte sie trotz genauester Messungen und Kategorisierungen stets die Angst vor Irrtmern. Deswegen prgte die Vorstellung vom „Feind“ – oft als „Parasit“ metaphorisiert – innerhalb des „gesunden Volkskçrpers“ den Antisemitismus. Dieser musste gleichsam permanent verfolgt und aufgesprt werden. Die Schriften Guido von Lists und Jçrg Lans von Liebenfels’ sind geradezu durchtrnkt von dieser Angst. Damit sind nur zwei der zahlreichen rassistischen Autoren genannt, die um 1910 in Wien publizierten.218 Rassistische Vorstellungen waren also auch in sterreich-Ungarn prsent. Es handelte sich dabei um ein beiden Fllen gemeinsames Phnomen, das in unterschiedlichen Ausprgungen auftrat.219 Allerdings ergab die Untersuchung der habsburgischen Flle kaum Hinweise auf eine administrative und rechtliche Implementierung rassistischer Diskriminierungsmechanismen. Wie kann man diese Diskrepanz erklren? Rassismus und Machtausbung Da die Diskriminierung nach „rassischen“ Kriterien im kolonialen Kontext am deutlichsten ausgeprgt war, ist es naheliegend, zunchst in Bosnien nach vergleichbaren Phnomenen zu suchen. Wie Ostafrika befand sich auch Bosnien in einer staatsrechtlich kolonialen Situation. Bosnien und die Herzegowina wurden, so ein Dokument aus dem cisleithanischen Abgeordnetenhaus, „von dem Monarchen nach Art einer Kronkolonie mit diktatorischer Gewalt beherrscht“.220 Zudem ließen sich in Bosnien ebenfalls eingewanderte Siedler, sogenannte Kolonisten, nieder. Trotz dieser hnlichkeiten mit dem ostafrikanischen Fall betrieb die bosnische Regierung aber keine rassistische Politik. Zwar spielte auch in der habsburgischen Kolonialverwaltung das Zivilisierungsparadigma eine entscheidende Rolle. Es ließ sich nahtlos mit der etatistischen Logik verknpfen.221 Man wollte „die Bevçlkerung zu einem menschenwrdigen Dasein erheben und Cultur und Wohlstand herauffhren“ 218 Hamann. Zur Rolle rassistischer Argumentationsmuster im ungarischen Kontext s. Turda. John, S. 89. 219 In diesem Kontext sprechen Lake u. Reynolds, Drawing the Global Colour Line, S. 3, vom „spread of whiteness as a transnational form of racial identification“. 220 Abgeordnetenhaus des çsterreichischen Reichsrats, 9. Session, Nr. 119 der Beilagen, Ausschussbericht zur Regierungsvorlage bzgl. der Verwaltung Bosniens und der Herzegowina, 16. 1. 1880, S. 1 f. brigens wurde Bosnien nach Milojkovic´-Djuric´, S. 2, von Zeitgenossen als „our European India“ bezeichnet. 221 Zum Zivilisierungsparadigma und zur Vorstellung eines gleichsam wohlwollenden Despotismus in Bosnien s. Kolm, S. 235 f.

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und die beiden Lnder „aus der bisherigen Verwahrlosung“ reißen.222 Aber anders als in Ostafrika begrndete die Regierung die rechtliche Diskriminierung der bosnischen Bevçlkerung nicht mit der Behauptung eines zivilisatorischen Rckstands. Die minderprivilegierte Position der Landesangehçrigen betrachtete man vielmehr als normwidrigen Zustand, der letztlich in der komplexen staatsrechtlichen Konstruktion des Dualismus begrndet war. Dementsprechend implementierte die Gesetzgebung in Bosnien selbst keine Diskriminierungsmechanismen, welche die immigrierten Siedler gegenber der einheimischen Bevçlkerung privilegiert htten. Mit der Prsenz rassistischer Vorstellungen im Britischen Weltreich und ihrer Absenz im Habsburgerreich kann man diese Unterschiede nicht erklren. Auch im habsburgischen Kontext waren rassistische Topoi verfgbar, auf welche die Behçrden htten zurckgreifen kçnnen. Andere Faktoren waren ausschlaggebend. Einerseits verringerte die Annahme der phnotypischen Sichtbarkeit „rassischer“ Unterschiede im britischen Fall den fr die Durchsetzung rassistischer Diskriminierungen notwendigen administrativen Aufwand. Andererseits, und das war entscheidend, verstrkten sich rassistische Argumentationen und imperialistische Machtstruktur im Britischen Weltreich wechselseitig. Der Rassismus passte gleichsam zu den politischen und çkonomischen Dominanzmechanismen und zur Gegenberstellung von „weißen“ Kolonialherren und „nicht-weißen“ Kolonialknechten. Die rassistischen Vorstellungen reproduzierten und legitimierten die imperialistische Struktur und umgekehrt. Deswegen wurden sie ins Recht und in die administrative Praxis inkorporiert. Im habsburgischen Kontext beeinflussten rassistische Argumentationsmuster dagegen weder die Gesetzgebung noch die hçheren Verwaltungsebenen. Vielmehr verhinderte deren fundamentale Prgung durch das etatistische Ideal der ethnischen Neutralitt die Verknpfung des Rechts mit rassistischen Hierarchisierungen. Diese htten außerdem der politischen Struktur des Dualismus widersprochen, die auf dem Konzept der Gleichrangigkeit beruhte. Und selbst in Bosnien fhrte die diktatorische Struktur der Machtausbung nicht zur Etablierung einer rassistischen Rangordnung. Die Herrschaft eines christlichen Reichs ber eine mehrheitlich muslimische Bevçlkerung htte durchaus Ansatzpunkte fr die Produktion einer rassistischen Hierarchie geboten. Aber im Umgang mit diesen religiçs-konfessionellen Differenzen nahmen die Behçrden einen dezidiert neutralen Standpunkt ein. Auch die Kolonisten genossen gegenber der einheimischen Bevçlkerung kaum Privilegien. Ihre Ansiedlung im Zuge einer neo-absolutistischen Populationspolitik sollte in erster Linie staatlichen Interessen dienen. Demge222 Abgeordnetenhaus des çsterreichischen Reichsrats, 9. Session, Nr. 119 der Beilagen, Ausschussbericht zur Regierungsvorlage bzgl. der Verwaltung Bosniens und der Herzegowina, 16. 1. 1880, S. 1 f.

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genber war die Position der „europischen“ Siedler in Ostafrika eine gnzlich andere und deutlich strker von rassistischen Hierarchisierungen geprgt. In Bosnien fehlte ein funktionales quivalent der „weißen“ Siedler im kenianischen Hochland, deren Bedeutung fr die Etablierung rassistischer Diskriminierungen man nicht berschtzen kann. Deswegen etablierte sich in Bosnien keine Unterscheidung zwischen Kolonialherren und Kolonialknechten nach „rassischen“ Kriterien. Vielmehr regierte eine absolutistisch-etatistische Verwaltung die bosnische Bevçlkerung. „Rassische“ Differenzen spielten dabei keine Rolle. Die Strukturen und die Traditionen der Machtausbung entschieden also darber, ob rassistische Vorstellungen zu rechtlichen und administrativen Diskriminierungen fhrten. Im ostafrikanischen und britischen Kontext verstrkten sich imperialistische Struktur und rassistische Hierarchien wechselseitig. Im bosnischen und habsburgischen Fall widersprachen dagegen die etatistischen Verwaltungstraditionen den rassistischen Vorstellungen. Dieses Argument relativiert die Bedeutung der Frage, ob rassistische Maßnahmen im britischen Fall eher „von unten“ eingefordert oder „von oben“ implementiert wurden. Die Untersuchung des ostafrikanischen Falls hat gezeigt, dass rassistische berzeugungen sowohl ein elitres als auch ein populres Phnomen waren. Man sollte die Unterscheidung zwischen offiziellen und nicht-offiziellen Akteuren nicht berstrapazieren. Ausschlaggebend war vielmehr – das zeigt der Vergleich –, ob sich rassistische Vorstellungen und politische Strukturen ent- oder widersprachen.

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4. Zwischen Nation, Staat und Empire: Das Vereinigte Kçnigreich

Das United Kingdom of Great Britain and Ireland war das Mutterland eines im spten 19. Jahrhundert rasch expandierenden Imperiums. Der Sinn, der Nutzen und die moralische Vertretbarkeit dieses kolonialen Projekts und seiner teilweise jingoistisch-populistischen Begleiterscheinungen waren bei den Zeitgenossen umstritten. Die çkonomische Dimension dieser Frage, ob das Mutterland im Saldo von seinen Kolonien profitierte oder eher fr sie bezahlen musste, spielte insbesondere am Anfang des 20. Jahrhunderts eine große Rolle. Damals, als die britische Vormachtstellung auf dem Weltmarkt zu schwinden drohte, forderte die „tariff reform campaign“ erfolglos, die bisherige Freihandelspolitik durch eine imperiale Schutzzollpolitik zu ersetzen, welche den reichsweiten Binnenmarkt strken sollte. Die militrischen Kosten, welche die Aufrechterhaltung der maritimen Dominanz verursachte, waren betrchtlich. Diese Dominanz gefhrdeten im frhen 20. Jahrhundert die deutsche Flottenpolitik und der japanische Sieg ber Russland sowie das Erstarken der USA. Letztlich konnte die britische Flotte die strategische Sicherheit der Kolonien nicht mehr garantieren. Dieser Umstand war einer der wesentlichen Grnde fr die allmhliche Entlassung der Dominions, also der „weißen“ Siedlungskolonien, in die Selbstverantwortung. Die damit zusammenhngende Debatte ber die Fortdauer des imperialen Verbands oder die wachsende Selbstndigkeit seiner Teile wurde auch innerhalb des United Kingdom gefhrt, das 1801 durch die Vereinigung der englisch-walisisch-schottischen Union mit Irland entstanden war. Die irische Forderungen nach „Home Rule“ und nationaler Unabhngigkeit fhrten zu hitzigen politischen Auseinandersetzungen und zu gewaltttigen Konflikten, die dank der irischen Einwanderer auch in England ausgetragen wurden. Neben der irischen Immigration waren migrationspolitisch vor allem die Einwanderung vom europischen Festland und die Emigration in die USA und in die Dominions von großer Bedeutung. Diese drei Wanderungsbewegungen wurden oft im Kontext der „sozialen Frage“ diskutiert, entweder als Ursache oder als Lçsung fr das Armutsproblem, das im Bild der wachsenden urbanen Slums seinen prgnantesten Ausdruck fand. Die Basis fr den Streit ber die ungleiche Verteilung politischer, sozialer und çkonomischer Ressourcen zwischen Arbeiterschaft, „middle class“ und Adel wurde durch die Ausdehnung des Wahlrechts und die massenmediale Popularisierung der Politik im spten 19. und frhen 20. Jahrhundert verbreitert. Die politische Kultur vernderte sich dadurch einschneidend, wh217

rend konservative und liberale Mehrheiten im Unterhaus des Parlaments einander ablçsten. Die privilegierte Position des Hochadels im Oberhaus wurde jedoch genauso beibehalten wie die monarchische Staatsform, mit der „Crown in Parliament“ als Souvern. Der Naturalization Act von 1870: Entfeudalisierung Zu den zeitlich weit zurckreichenden Kontinuitten im britischen Recht gehçrte die Staatsangehçrigkeitskonzeption, die mit dem Begriff des British subject in feudalen Traditionen des Common Law wurzelte. Die Bindung des Untertanen an den Souvern wurde als personales Verhltnis gedacht, innerhalb dessen beide einander wechselseitig „allegiance“, Treue, und „protection“, Schutz, schuldig waren. Am Kern dieser rechtlichen Konzeption nderte auch der Naturalization Act von 1870 nichts, der das britische Angehçrigkeitsrecht erstmals zusammenhngend kodifizierte. Aber in gewissen Bereichen, nmlich der rechtlichen Behandlung von Auswanderern, der Verhinderung doppelter Staatsangehçrigkeit, der angehçrigkeitsrechtlichen Einheitlichkeit der Familie, sowie der Rechtsposition von Auslndern, unternahm das Gesetz den Versuch, das britische Recht zu modernisieren.1 Die Novellierung des britischen Staatsangehçrigkeitsrechts von 1870 war notwendig geworden durch eine Vereinbarung zwischen dem Vereinigten Kçnigreich und den Vereinigten Staaten von Amerika von 1868. Darin sicherten sie sich gegenseitig zu, dass sie ehemals eigene Untertanen oder Staatsbrger, die ausgewandert und im jeweils anderen Staat naturalisiert worden waren, als Fremde behandeln und keine Loyalittsansprche gegenber solchen Personen geltend machen wrden.2 Die vorausgegangenen Konflikte mit den USA resultierten aus dem Umstand, dass britische Untertanen, die in den USA eingebrgert wurden, aufgrund des Common Law Prinzips der „indelible allegiance“ – also der Unauflçslichkeit des britischen Untertanenverhltnisses – weiterhin als British subjects angesehen wurden. Die Regelungen des britischen Statute Law, welche die patrilineare Weitergabe des Untertanenstatus im Ausland qua iure sanguinis ber zwei Generationen 1 Zu dieser Interpretation insbesondere Dummett u. Nicol, Subjects. 2 Diese Abmachung glich den sogenannten Bancroft-Vertrgen zwischen den USA und den deutschen Einzelstaaten. Fahrmeir, Citizens and Aliens, S. 50. Grawert, S. 233. Die USAwaren das Hauptziel britischer Emigranten. In der zweiten Hlfte des 19. Jahrhunderts emigrierten deutlich mehr als die Hlfte aller britischen Auswanderer in den nicht-britischen Teil Nordamerikas. Bis 1902 entfielen in den allermeisten Jahren deutlich ber 50 % der britischen Emigration auf die USA. Die anderen Auswanderungsziele, welche die Statistik auflistet, sind Kanada, Australien und Sdafrika. Zwischen 1861 und 1870 stieg die Anzahl der in die USA Emigrierenden im Trend. Fr 1870 gibt die Statistik die Zahl von 153.000 an. Mitchell, S. 81 f. Auf den Zusammenhang zwischen der quantitativen Zunahme der Emigration aufgrund neuer technischer Transportmçglichkeiten und der Novellierung des britischen Staatsangehçrigkeitsrechts wurde im Rahmen der Debatte des Gesetzes im Parlament mehrmals verwiesen. UK Parliament, Commons, Bd. 199, Sp. 1122 und 1128.

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vorsahen, fhrten dazu, dass die Gruppe der Personen mit doppelter, amerikanischer und britischer Staatsangehçrigkeit in den Vereinigten Staaten kontinuierlich wuchs. Die britische Marine reklamierte fr sich das Recht, solche Personen gemß der Praxis des „navy pressing“ zum Dienst auf britischen Kriegsschiffen zu zwingen, was die USA als Verletzung ihrer Souvernitt betrachteten.3 Die Einfhrung der Wehrpflicht im amerikanischen Brgerkrieg warf das Problem in neuer Form wieder auf. Viele amerikanische Staatsbrger beriefen sich nun auf ihren Status als britische Untertanen, um dem Dienst fr die Sdoder die Nordstaaten zu entgehen.4 Um diese Schwierigkeiten zu beseitigen, ermçglichte das Gesetz von 1870 den Verlust der britischen Staatsangehçrigkeit: Naturalisierte britische Untertanen, die ihre ursprngliche staatliche Zugehçrigkeit nicht aufgegeben hatten, und im Herrschaftsbereich der britischen Krone geborene Personen, die gleichzeitig qua iure sanguinis eine fremde Staatsangehçrigkeit erworben hatten, konnten nach 1870 durch eine „declaration of alienage“ auf den britischen Untertanenstatus verzichten.5 Ein nach 1870 im Ausland naturalisierter britischer Untertan verlor seine britische Staatsangehçrigkeit ipso facto.6 Mit diesen Regelungen wurde das Prinzip des unauflçslichen Bandes zwischen Souvern und Untertan aufgegeben. Das Problem der doppelten Staatsangehçrigkeit wurde auch grundlegender diskutiert: „[T]here prevail in different countries of Europe and in the United States of America various and differing modes of ascertaining who are and who are not to be regarded in the light of subjects or citizens.“7

Diese Bemerkung bezog sich vor allem auf den Unterschied zwischen ius soli und ius sanguinis. Wenn Kinder von Angehçrigen eines Staates, in dem das Blutrecht galt, im britischen Herrschaftsbereich, in dem das Bodenrecht galt, zur Welt kamen, erwarben sie bei ihrer Geburt zwei Staatsangehçrigkeiten. Die Wahrscheinlichkeit solcher Doppelloyalitten hatte im Lauf des 19. Jahr3 UK Parliament, Commons, Bd. 199, Sp. 1122 f. Bevan, S. 108. Grawert, S. 50 f und 233. Dieser Zwist war einer der Auslçser des britisch-amerikanischen Krieges von 1812. Im Krieg verschrfte sich das Problem, einerseits weil die britische Marine vermehrt amerikanische Staatsbrger zwangsverpflichtete und andererseits weil ausgewanderte British subjects oder deren Sçhne, die in den amerikanischen Militrdienst eingetreten waren, von der britischen Regierung als Verrter behandelt wurden, die ihre Treuepflicht gegenber dem britischen Souvern verletzt hatten. 4 „The experience, too, of the late Civil War in the United States had shown that under the present law persons who had acquired a double nationality would desire to obtain the advantages of both while accepting the burdens of neither.“ UK Parliament, Lords, Bd. 199, Sp. 1604 f, 10. 3. 1870, Lord Chancellor. 5 UK Acts, 33 Vict. ch. 14, sec. 3 und 4. 6 Es sei denn, er gab binnen zwei Jahren nach Inkrafttreten des Gesetzes eine „declaration of British nationality“ ab, wodurch er außerhalb des Staates, in dem er naturalisiert worden war, seinen britischen Untertanenstatus beibehalten konnte. UK Acts, 33 Vict. ch. 14, sec. 6. 7 UK Parliament, Lords, Bd. 199, Sp. 1119, 3. 3. 1870, Lord Chancellor.

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hunderts zugenommen, da mehrere europische Staaten das ius soli durch das ius sanguinis ersetzt hatten und da die zwischenstaatliche Migration stetig zunahm. Schon in der Kommission, die das Gesetz vorberaten hatte, war in diesem Punkt kein Konsens zustande gekommen. Eine Minderheit wollte empfehlen, dass auf britischem Boden geborene Kinder auslndischer Eltern nicht mehr die britische Staatsangehçrigkeit erwerben sollten.8 Diese Neuerung wurde auch in der Parlamentsdebatte mehrmals gefordert. Ein Abgeordneter stellte fest, dass ein allgemeingltiges ius soli „violated the principle of the Bill, which was that they should terminate the double allegiance“.9 Diese weitergehenden Reformvorschlge fanden allerdings keine Mehrheit.10 Das Gesetz sollte explizit keine „clear and well understood definition of what shall constitute the status of citizenship“ enthalten.11 Das Festhalten am Common Law Prinzip des ius soli wurde auch mit der integrierenden Wirkung des Bodenrechts begrndet, das den Kindern von Einwanderern automatisch den britischen Untertanenstatus verlieh.12 Die Probleme, die sich aus der Uneinheitlichkeit der angehçrigkeitsrechtlichen Bestimmungen in den verschiedenen Staaten ergaben, sollten „by international accord and treaty“, und nicht im Rahmen der britischen Gesetzgebung geregelt werden.13 Ein Redebeitrag sprach auch das eher zuknftige und in der Debatte selbst nur peripher behandelte Problem der Staatsangehçrigkeit im imperialen Kontext an: „But whether the son of an alien shall be considered a British subject, with power to be registered as an alien when he attains his majority, or whether he is considered as an alien, it is clear, when we come to deal with other countries, that as English subjects 8 UK Parliament, Commons, Bd. 199, Sp. 1133. Dabei bezogen sich die Kommissionsmitglieder auf das eingeschrnkte ius soli in der franzçsischen Gesetzgebung, die seit 1851 „declared French every person born in France of foreign parents, at least one of whom was also born in France“. Brubaker, Citizenship, S. 93. 9 UK Parliament, Commons, Bd. 200, Sp. 2020, 28. 4. 1870, Vernon Harcourt. Lord Westbury bedauerte, dass „the hardship of imposing nationality by the accidental place of birth would not be removed by the Bill“. UK Parliament, Lords, Bd 199, Sp. 1608, 10.3.1870. 10 Sie veranlassten lediglich den Lord Chancellor als Vertreter der Regierung, den Zweck der Gesetzesnovelle – „the question whether or not a man should be allowed to have a double nationality“, UK Parliament, Lords, Bd. 199, Sp. 1122, 3. 3. 1870, – vorsichtiger zu definieren: „The aim of the Bill … was to enable any person with a double allegiance to elect which country he would be a subject of.“ UK Parliament, Lords, Bd. 201, Sp. 390, 9.5.1870. 11 Ebd., Bd. 199, Sp. 1127, 3. 3. 1870, Lord Chancellor. Stattdessen ermçglichte es den mit zwei Staatsangehçrigkeiten geborenen Kindern eine Wahl zwischen den beiden Loyalitten nach Erlangung der Volljhrigkeit. Bis zu diesem Zeitpunkt besaßen sie beide Zugehçrigkeiten und sie mussten sich auch als Volljhrige nicht unbedingt entscheiden. 12 UK Parliament, Commons, Bd. 200, Sp. 2021 f, 28. 4. 1870, Sir Roundell Palmer. Palmer verwies in diesem Zusammenhang darauf, dass die zufllige Geburt von „transitory foreigners“ auf britischem Territorium sehr selten sei. Meist wurde das ius soli bei Kindern dauerhaft ansssiger Einwanderer wirksam. Er unterließ es auch nicht zu erwhnen, dass einige berhmte Politiker – beispielsweise Disraeli – auf diese Weise zu Briten geworden waren. 13 UK Parliament, Lords, Bd. 199, Sp. 1122, 3. 3. 1870, Lord Chancellor.

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are of all nations and all tongues, it would be extremely difficult in our Colonies to ascertain who is an Englishman; and the vast question of nationality is so interwoven with British interests in so many countries, ….“14

Ausgehend von der Frage, ob das ius soli auf britischem Gebiet ausnahmslos gelten sollte, verunklarte sich diese Rede nach dem mittigen Hauptsatz „it is clear“. Das British subject mutierte zuerst zum englischen Untertan und dann zum „Englishman“, wobei ausgerechnet dessen eindeutige Zuordnung im kolonialen Kontext durch nationale und sprachliche Verwirrung unmçglich wurde. In diesem prekren Durcheinander von rechtlichen, nationalen und kulturellen Kategorien wurden der Status des britischen Untertanen und seine Definition uneindeutig.15 Ein im britischen Recht neues Prinzip formulierte der zehnte Abschnitt des Naturalization Act ber den „National status of married women and infant children“. Dieser Abschnitt machte die staatsangehçrigkeitsrechtliche Einheitlichkeit der Familie zur rechtlichen Norm, „to amend our naturalization law, so as to make it conform more nearly to International law“.16 Ehefrau und minderjhrige Kinder sollten die Staatsangehçrigkeit des Ehemannes, respektive des Vaters teilen. Dies berhrte die angehçrigkeitsrechtlichen Folgen der Heirat. Zwar hatte schon vor 1870 eine Auslnderin, die einen Briten heiratete, dadurch den britischen Untertanenstatus erworben,17 aber in dem umgekehrten Fall einer Britin, die einen Auslnder heiratete, hatte die Frau bisher ihre britische Staatsangehçrigkeit beibehalten. Das neue Gesetz sah in diesen Fllen den Verlust des britischen Untertanenstatus vor. Gleichermaßen sollte die Ehefrau eines britischen Staatsangehçrigen, der im Ausland naturalisiert wurde, automatisch ihren bisherigen Status verlieren.18 Problematisch wurde die Position dieser Frauen im Fall einer Scheidung oder beim Tod ihres Ehemanns. Mehrere Parlamentarier forderten besondere Regelungen fr 14 UK Parliament, Lords, Bd. 199, Sp. 1133, 3. 3. 1870, Earl of Clarendon. 15 Auf dieser Grundlage entwickeln Dummett u. Nicol, Subjects, ihre These von der spezifischen Uneindeutigkeit des britischen Rechts, und Karatani die Annahme der besonderen Inklusivitt der britischen Staatsangehçrigkeit, die aufgrund ihrer gleichsam hybriden Eigenschaften eine Vielfalt von Identifikationsmçglichkeiten erçffne. Die vorliegende Arbeit mçchte demgegenber die Entwicklung des britischen Rechts mit dem Zusammentreffen etatistischer, nationalstaatlicher und imperialistischer Logiken in der imperialen Metropole erklren, was zunchst zu Spannungen und Ambivalenzen fhrte, mittelfristig aber nicht zur Etablierung ethnischer Inklusivitt oder Neutralitt beitrug. 16 UK Parliament, Commons, Bd. 200, Sp. 1741, 25. 4. 1870, Mr. Jessel. 17 Fahrmeir, Citizens and Aliens, S. 46. 18 Diesbezglich stellte sich die Frage, ob das auch fr geschiedene – „legally separated“ – Frauen gelten sollte. UK Parliament, Commons, Bd. 200, Sp. 1740, 25. 4. 1870, Mr. Alderman W. Lawrence. Diese Frage wurde als rein theoretisch zurckgewiesen, als „question of words not of things“. Ebd., Solicitor General. Das Problem bestand darin, dass das damalige Personenstandsrecht nicht klar zwischen geschieden und verheiratet unterschied. Demzufolge htte die Einbrgerung eines Mannes in den USA den Verlust der britischen Staatsangehçrigkeit seiner geschiedenen Frau im Vereinigten Kçnigreich nach sich ziehen kçnnen.

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solche Frauen, die ihnen die Rckkehr in die britische Staatsangehçrigkeit erleichtern wrden. Eine wenigstens teilweise selbstndige Staatsangehçrigkeit der Frau wurde im Sinn der „rights of women“ reklamiert.19 Dem hielt man entgegen, dass der rechtliche Status der Frau durch den Wechsel der staatlichen Zugehçrigkeit nicht berhrt wrde: „All the real rights and privileges of the parties were protected by the Bill. The only thing that was altered was the nationality.“ „… it was only political status ….“ „except, sentimentally, the legal status of the wife would not be altered by the act of her husband.“20

Diese Bemerkungen bezogen sich darauf, dass die Staatsangehçrigkeit im Wesentlichen politische Rechte bertrug, die Frauen ohnehin nicht zustanden. Das Besitz- und Erbrecht dagegen, sowie das Recht, ins Vereinigte Kçnigreich zurckzukehren und sich dort niederzulassen, waren vom angehçrigkeitsrechtlichen Status der Frau gnzlich unabhngig. Das Prinzip der angehçrigkeitsrechtlichen Einheitlichkeit der Familie betraf auch die minderjhrigen Kinder. Wenn ihr Vater den britischen Untertanenstatus durch Naturalisation erwarb oder ihn verlor, dann erstreckte sich diese Vernderung auch auf seine Kinder.21 Allerdings wurde dabei in manchen Fllen der Aufenthalts- und Wohnort der Kinder relevant.22 Die Staatsangehçrigkeit der minderjhrigen Kinder wurde nicht so bedingungslos der des Vaters angepasst wie bei der Ehefrau. Einer der wesentlichen Grnde dafr war, dass „they may, though under age, be in our Army or Navy“, und in diesem Fall sollten sie keineswegs vom britischen Recht zum Wechsel der Staatsangehçrigkeit gezwungen werden.23 Beide Gruppen, Frauen und Kinder, konnten, falls sie in die britische Staatsangehçrigkeit zurckkehren wollten, ein „certificate of re-admission to British nationality“ beantragen: „With regard to repatriation, the plan will be similar to naturalization, and power is given to widows and children to reclaim their original status.“24 Allerdings waren die Voraussetzungen fr die „readmission“ dieselben wie fr die Naturalisation. Frauen, die durch die Regelungen des Gesetzes ihren britischen Untertanenstatus verloren hatten, wur-

19 UK Parliament, Commons, Bd. 200, Sp. 1740, 25. 4. 1870, Mr. Kinnaird. 20 Ebd., Sp. 1741, 25. 4. 1870, Solicitor General, Sir Roundell Palmer und Mr. Jessel. 21 Im Fall einer verwitweten Mutter mit minderjhrigen Kindern war die Staatsangehçrigkeit der Mutter ausschlaggebend. UK Acts, 33 Vict. ch. 14, sec. 10.3. 22 Nur die Kinder eines naturalisierten British subject erwarben den britischen Untertanenstatus, die im Vereinigten Kçnigreich wohnten. UK Acts, 33 Vict. ch. 14, sec. 10.5. 23 UK Parliament, Bd. 199, Sp. 1124. Außerdem waren Sçhne durch den Verlust des britischen Untertanenstatus – im Gegensatz zu Frauen – in ihren zuknftigen politischen Rechten betroffen. UK Parliament, Commons, Bd. 200, Sp. 1741, 25. 4. 1870, Sir Roundell Palmer. 24 UK Parliament, Lords, Bd. 199, Sp. 1127, 3. 3. 1870, Lord Chancellor.

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den als aliens behandelt und genossen keine angehçrigkeitsrechtlichen Privilegien. Eine weitere Neuerung des Naturalization Act bestand darin, dass er Auslndern erlaubte, Grundeigentum zu erwerben und zu besitzen. Damit wurden die Fremden den Untertanen eigentumsrechtlich gleichgestellt.25 Mit dieser Regelung verknpft war die Verabschiedung von der feudalen Vorstellung, dass Grundbesitz – und nicht Staatsangehçrigkeit – das Recht auf politische Partizipation begrndete. Dieser Vorstellung war bereits durch die Wahlrechtsreform von 1832 teilweise ihre Wirksamkeit genommen worden. Nach 1870 ermçglichte allein die Staatsangehçrigkeit die politische Teilhabe. Das Gesetz bestimmte explizit, dass Grundbesitz „shall not qualify an alien for any office or for any municipal, parliamentary or other franchise“.26 Der Solicitor General erklrte diesbezglich, dass „the object of these provisoes was to preserve the distinction between the rights which an alien would acquire under the clause, and those further rights which he would acquire by naturalization“.27 Nach 1870 naturalisierte Auslnder sollten die gleichen politischen Rechte genießen wie alle anderen Untertanen: „… it was now proposed to give to naturalized aliens a great deal that they never had before, for it really incorporated them into the British body politic ….“28 Das Gesetz von 1870 stellte naturalisierte und „natural-born“ British subjects einander bei den politischen Rechten vollkommen gleich.29 Der Naturalization Act war nicht Gegenstand einer parteipolitischen Auseinandersetzung. Man war sich einig, dass das britische Recht im Zuge einer internationalen Angleichung modernisiert werden musste. Modernisierung bedeutete in diesem Zusammenhang vor allem eine Entfeudalisierung des britischen Staatsangehçrigkeitsrechts: Die Abschaffung des Prinzips der „indelible allegiance“ und die Politisierung des britischen Untertanenstatus, die mit der Entpolitisierung des Grundbesitzes einherging, stellten die entscheidenden Neuerungen dar, die ltere, feudale Elemente ersetzten. Einzelne forderten in der Parlamentsdebatte weitergehende Reformen wie die Einfhrung des ius sanguinis, das im Gegensatz zum traditionellen eng25 Der Naturalization Act beseitigte auch eine weitere rechtliche Unterscheidung zwischen „subjects“ und „aliens“. Diese hatten ab 1870 nicht mehr das Recht, vor Gericht auf einer „jury de medietate linguae“ zu bestehen. UK Acts, 33 Vict. ch. 14, sec. 5. Diese besondere Jury setzte sich je zur Hlfte aus Untertanen und Fremden zusammen. Die eigentumsrechtliche Neuerung hing in gewisser Weise damit zusammen, dass das Gesetz den Verlust des britischen Untertanenstatus ermçglichte. Htte der Gesetzgeber diese Neuerung eingefhrt, ohne gleichzeitig Auslndern den Grundbesitz zu erlauben, htten im Ausland Naturalisierte zusammen mit ihrer Staatsangehçrigkeit ihr Grundeigentum im Vereinigten Kçnigreich verloren. Lediglich britische Schiffe durften aliens auch nach 1870 nicht ihr eigen nennen. 26 UK Acts, 33 Vict. ch. 14, sec. 2. 27 UK Parliament, Commons, Bd. 200, Sp. 1735, 25. 4. 1870, Solicitor General. 28 Ebd., Sp. 1739, 25. 4. 1870, Solicitor General. Dieses Zitat zeigt deutlich die mit der Novelle verbundene grundlegende Modernisierung des britischen Rechts. 29 UK Acts, 33 Vict. ch. 14, sec. 7. UK Parliament, Bd. 199, Sp. 1124 f. und 1618.

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lischen ius soli Prinzip ein Element des rçmischen Rechts war. Diese Forderung kann also einerseits vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung um die Integration von Elementen des systematischen rçmischen Rechts in das britische Recht und um eine modernisierende Angleichung der britischen an die kontinentale Rechtsentwicklung verstanden werden.30 Andererseits kann man die wenigen, die forderten, dass der britische Untertanenstatus im Ausland durch Abstammung unbegrenzt vererbbar sein sollte, und diejenigen, die sich fr eine selbststndige Staatsangehçrigkeit der Ehefrau einsetzten, auch als frhe Advokaten einer nationalstaatlichen Logik betrachten. Allerdings konnten sich die Befrworter einer weiterreichenden Reform nicht durchsetzen. Der wesentliche Effekt des Gesetzes von 1870 bestand in der Entfeudalisierung und Territorialisierung des britischen Rechts: „Mit dieser Einschrnkung ist der Grundsatz der personalen und dauernden alligeance verlassen; der Kçnig erscheint als politische Institution, und demgemß wird das persçnlich-gegenseitige Schutz- und Treueverhltnis institutionell und territorial reduziert.“31

Die „dominions of the Crown“ im Sinne des britisch beherrschten Territoriums gewannen im Naturalization Act an Bedeutung fr den Untertanenstatus. Wer diese Gebiete verließ, konnte auf die britische Staatsangehçrigkeit verzichten oder verlor sie automatisch. Andererseits wurden die Nachkommen von Einwanderern durch das ius soli ins britische Staatsvolk integriert. Die Ausdehnung des britischen Herrschaftsbereichs bestimmte nach diesem doppelten Mechanismus unabhngig von ethnischen Kriterien, wer britischer 30 In dieser Richtung argumentierte insbesondere Lord Westbury, der wiederholt eine „law reform“ und die Kodifizierung des gesamten britischen Rechts, also die Ersetzung des Common Law und des Prinzips der Przedenzflle, Case Law, durch ein einheitliches und strukturiertes Gesetzeswerk nach kontinentalen Vorbildern forderte. Er leitete auch die Revision und Konsolidierung des Statute Law ein, die das grçßte Projekt rechtlicher Modernisierung im Vereinigten Kçnigreich in der zweiten Hlfte des 19. Jahrhunderts darstellte. Im Zentrum der Auseinandersetzung um ius soli oder ius sanguinis standen nicht so sehr die im Ausland geborenen Kinder britischer Untertanen, sondern vielmehr die im Inland geborenen Kinder von nur kurzfristig dort sich aufhaltenden Auslndern. Langfristig ansssige Fremde und deren Kinder konnten und sollten, so die Meinung der Gegner des Geburtsortsprinzips, durch die Naturalisation in die britische Staatsangehçrigkeit integriert werden. Dementsprechend forderte Lord Westbury auch eine Erleichterung der Naturalisationsbedingungen. Die Gegenberstellung von ius soli als Element des feudalen und ius sanguinis als Prinzip des rçmischen Rechts bernahm spter auch der Bericht der Regierungskommission zu Staatsangehçrigkeitsfragen. Inter-Departmental Committee, S. 6. Zum ius sanguinis als Element einer Modernisierung des Rechts im 19. Jahrhundert s.a. Gosewinkel, Einbrgern und Ausschließen, S. 423. 31 Grawert, S. 52, bezieht sich dabei auf eine Gerichtsentscheidung von 1886, die einem unter britischer Herrschaft geborenen Hannoveraner den britischen Untertanenstatus fr die Zeit nach der Trennung der beiden Kronen nicht zuerkannte. Diesen bergang verdeutlicht auch die schleichende Modifikation des Common Law durch ein angehngtes -s. Immer hufiger wurde neben der traditionellen Formulierung „dominion and allegiance“, was mit Herrschaft und Lehnspflicht oder Untertanentreue bersetzt werden kann, die in sich anachronistische Formel „dominions and allegiance“, also Gebiete und Treue, verwendet.

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Untertan war und wer nicht. Die Tatsache, dass deswegen die territoriale Expansion des Empire koloniale Untertanen in großer Zahl in die britische Staatsangehçrigkeit integrierte und die ethnische Heterogenitt des Untertanenverbandes kontinuierlich wuchs, spielte 1870 noch keine große Rolle. Einbrgerungsrecht und Naturalisationspraxis: Ethnisierung Vor dem Hintergrund der rechtlichen Gleichstellung von eingebrgerten und geborenen britischen Untertanen wurde in der Parlamentsdebatte von 1870 auch die Verschrfung der Naturalisationsbedingungen diskutiert. Der von der Regierung vorgelegte Gesetzentwurf hatte einen fnfjhrigen Wohnsitz im Vereinigten Kçnigreich oder fnf Jahre „in the service of the Crown“ als Voraussetzung fr die Einbrgerung vorgesehen.32 Nach der vorherigen Praxis waren drei Jahre ausreichend gewesen. Der Lord Chancellor begrndete diese Ausdehnung im Oberhaus zunchst damit, dass Preußen und die Vereinigten Staaten auch einen Zeitraum von fnf Jahren festgelegt htten. Dennoch beschlossen die Lords, den Gesetzestext in diesem Punkt abzundern, und an den herkçmmlichen drei Jahren festzuhalten.33 Diese nderung wurde im Unterhaus wieder rckgngig gemacht, indem auf die weitreichenden politischen Rechte verwiesen wurde, welche die Naturalisation nach dem neuen Gesetz verleihen wrde.34 Schließlich akzeptierten auch die Lords die Fnfjahresfrist, „[c]onsidering that naturalization would confer the full privileges of citizenship“.35 Neben dem fnfjhrigen Aufenthalt war die Absicht, den Wohnsitz beizubehalten, respektive den Dienst fortzusetzen, die einzige Einbrgerungsbedingung, die das Gesetz explizit formulierte. Allerdings war die Naturalisation ein Gnadenakt des britischen Souverns, den der Secretary of State for the Home Office im Namen der Krone nach eigenem Ermessen gewhrte oder verwehrte. Die Bewerber hatten, auch wenn sie alle Bedingungen erfllten, keinen Anspruch auf Einbrgerung.36 Allerdings wurde der Entscheidungsspielraum des Ministers insofern eingeschrnkt, als man ihm das Recht, Einbrgerungen zu widerrufen, nicht gewhrte. Dadurch wrde, so die Begrndung, eine starke rechtliche Ungleichheit zwischen „naturalized“ und „natural-born“ British subjects reetabliert und der Minister mit einer zu großen Machtflle ausgestattet.37 Andererseits bertrug das Gesetz dem Mi-

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UK Acts, 33 Vict. ch. 14, sec. 7. UK Parliament, Bd. 199, Sp. 1616. UK Parliament, Bd. 200, Sp. 1739. UK Parliament, Lords, Bd. 201, Sp. 390, 9. 5. 1870, Lord Chancellor. Dieser ußerung der kçniglichen Gnade entsprach aufseiten des Bewerbers die Verpflichtung, einen Untertaneneid, den „Oath of Allegiance“, zu leisten. Erst durch diesen Eid erlangte die Naturalisation rechtliche Gltigkeit. 37 UK Parliament, Bd. 199, Sp. 1616 f. Lord Westbury imaginierte in der Debatte sogar eine

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nister die Vollmacht, die administrativen Details der Naturalisationspraxis durch Verordnungen zu regeln.38 Ob dabei dem in der Debatte formulierten Ziel des Gesetzes – „The great object of the Bill being to throw the door open wide to foreigners, they [die Regierung, d. Vf.] should do so in no niggard spirit“39 – entsprochen wurde, soll im Folgenden eine eingehende Analyse der Einbrgerungspraxis zeigen. Im Vereinigten Kçnigreich wurden bis 1890 nur selten ber 300 Personen im Jahr eingebrgert. Whrend der neunziger Jahre nahm die Zahl der Einbrgerungen zu und am Anfang des 20. Jahrhunderts wurden ungefhr 900 Einbrgerungen jhrlich durchgefhrt. Diese Entwicklung lsst sich einerseits mit der gleichzeitigen Zunahme der Einwanderung ins Vereinigte Kçnigreich erklren. Andererseits hat sicherlich auch die Ausweitung der politischen und sozialen Staatsbrgerrechte im spten 19. und im frhen 20. Jahrhundert dazu beigetragen, dass die britische Staatsangehçrigkeit fr Auslnder im Vereinigten Kçnigreich erstrebenswerter wurde. Leider ist es fast unmçglich herauszufinden, in welcher Weise der große Entscheidungsspielraum von den Beamten des Innenministeriums genutzt wurde. Fr die Zeit vor 1903 lassen sich die Zahl der insgesamt gestellten Antrge und damit die Ablehnungsquote nicht ermitteln. Und fr den gesamten Zeitraum zwischen 1870 und 1914 sind lediglich 62 abgelehnte Antrge berliefert. Interessanterweise stammen mehr als die Hlfte aus den Jahren um die Jahrhundertwende, woraus man schließen kann, dass in dieser Zeit das Interesse der Brokratie am Einbrgerungsverfahren gestiegen ist. Diese Akten zeigen, dass in den neunziger Jahren das Home Office seine Nachforschungen zu Einbrgerungsbewerbern intensivierte. In dieser Zeit wurde es zur Routine, einen Polizeibericht zu jedem Bewerber anzufordern, und diese Berichte selbst wurden immer ausfhrlicher.40 Am hufigsten begrndete man die Ablehnungen damit, dass der Antragsteller wegen eines Verbrechens verurteilt worden sei oder im Verdacht stehe, ein Verbrechen begangen zu haben (14 Flle), oder dass die britischen Brgen, die den Antrag untersttzen, nicht vertrauenswrdig seien oder der Antrag scheinbar auf betrgerische Art und Weise zustande gekommen sei (13 Flle). Daneben wurden Antrge auch aufgrund republikanischer berzeugungen – wie im Fall von Carl Marx41 – und aus moralischen Grnden, wobei zumeist außereheliche Beziehungen eine Rolle spielten, abgewiesen. In anderen Fllen waren die Bewerber nicht lange genug im Inland ansssig, wollten sich nicht im

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Konstellation, in der ein Secretary of State einen naturalisierten Premierminister durch Widerrufung entmachten kçnnte. UK Parliament, Bd. 199, Sp. 1616. UK Parliament, Lords, Bd. 199, Sp. 1618, 10. 3. 1870, Lord Penzance. Fahrmeir, Citizens and Aliens, S. 93. London, PRO, HO 45/9366/36228. Der Polizeibericht vom August 1874 stellte fest: „This man has not been loyal to his own King and Country.“

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Vereinigten Kçnigreich niederlassen, hatten Schulden, waren bankrott oder beherrschten die englische Sprache nur mangelhaft. Hinsichtlich der Ablehnungsgrnde kann man grob zwischen staatsrechtlich-politischen und soziokulturellen Intentionen des Innenministeriums unterscheiden. Zum einen war den britischen Behçrden daran gelegen, Konflikte mit anderen Staaten zu vermeiden, weswegen man darauf achtete, dass die Eingebrgerten sich dauerhaft im Vereinigten Kçnigreich niederließen. Aus diesem Grund wies das Home Office den in Paris geborenen John Henry Exshaw 1885 darauf hin, dass er durch die Naturalisation, die ihm letztlich verweigert wurde, keinen Anspruch auf britische Protektion in Frankreich erwerben wrde, falls ihn die dortige Regierung als franzçsischen Staatsangehçrigen betrachtete.42 Eine staatsrechtliche Besonderheit bildete ferner das Prinzip, Angehçrige der indischen Frstenstaaten nicht einzubrgern, da diese zwar nicht als britische Untertanen, aber aufgrund der spezifischen Position der pseudo-souvernen Frstenstaaten auch nicht als Auslnder galten.43 Schließlich gab es noch Ablehnungen aus weltanschaulichen Grnden. Dem italienischen Staatsangehçrigen Ernesto Manara beispielsweise verwehrte man 1895 die Naturalisation, weil er auf Malta – ausgerechnet im „Victoria Hotel“ – betrunken vor Publikum ausgerufen hatte: „The Maltese people are ill-treated, and are being murdered by the government. … France for ever! And Russia for ever!“44 Whrend diese staatsrechtlich-politischen Intentionen seit 1870 durchgngig die britischen Einbrgerungsentscheidungen bestimmten, gewann der „good character“ der Bewerber erst in den neunziger Jahren an Bedeutung. Seit dieser Zeit achtete das Home Office verstrkt darauf, dass Verurteilten und sozial devianten Personen der Zugang zum britischen Untertanenstatus verwehrt blieb. Nach 1900 wurde schließlich das kulturelle Kriterium der Sprachkenntnis bedeutsam. Dadurch sollte gemß der Argumentation der zustndigen Beamten sichergestellt werden, dass die Bewerber sozial integriert und in der Lage waren, ihre politische Verantwortung als britische Untertanen wahrzunehmen. Noah Cohen war der erste Bewerber, dessen Antrag von 1901 aufgrund mangelnder Englischkenntnisse abgelehnt wurde.45 Diese zustzlichen Kriterien fhrten dazu, dass die Einbrgerung seit den neunziger Jahren restriktiver gehandhabt wurde. Die fr die Zeit nach 1903 vom Home Office selbst erfasste Ablehnungsrate besttigt diese Annahme. 1903 wurden 4,0 % der Antrge abgewiesen, danach stieg die Ableh-

42 London, PRO, HO 45/9580/85527A. 43 London, PRO, HO 144/316/B7560. Der Antrag von Kuman B. Narayan aus Kuch Behar wurde 1889 in Absprache mit dem India Office ohne Angabe von Grnden abgelehnt. 44 „At these expressions he was so excited that he knocked over two beer glasses“, fhrt der Polizeibericht fort. London, PRO, HO 144/383/B19917. 45 London, PRO, HO 144/625/B36331.

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nungsquote relativ kontinuierlich bis auf 13,9 % im Jahr 1908 und pendelte sich danach um 12 % herum ein.46 Die Annahme, dass von dieser Verschrfung der Naturalisationspraxis vor allem osteuropische Juden betroffen waren, ist insofern naheliegend, als diese Verschrfung zeitlich zusammenfiel mit der Debatte um ein restriktives Einwanderungsgesetz, das insbesondere die Immigration russischer und polnischer Juden verhindern sollte. Seit dem spten 19. Jahrhundert flohen mehr und mehr Juden aufgrund von Diskriminierungen und Pogromen aus dem russischen Reich ins Vereinigte Kçnigreich. Diese Migrationsbewegung wurde dort als Problem wahrgenommen. Es gab eine Anti-ImmigrationsKampagne, deren Propaganda die Einwanderung der „osteuropischen Juden“ als soziologische, çkonomische und biologische Gefahr fr die britische Bevçlkerung darstellte, und die zunehmend xenophobe und rassistische Zge annahm.47 Nicht zuletzt aufgrund dieser Agitation trat 1905 der restriktive Aliens Act in Kraft.48 Teilweise kann man die Auseinandersetzung um die jdische Einwanderung auch in der Naturalisationspraxis nachvollziehen. Polizeiberichte verwiesen auf die „Jewish persuasion“ eines Bewerbers oder stellten fest: „he is a Russian Jew“.49 Manche Bewerber wiesen auch selbst auf ihre jdische Abstammung hin. Israel Woods’ Eltern wurden in seinem Antrag als russische Staatsangehçrige und polnische Juden bezeichnet. Dieser Antrag von 1901 ist auch deswegen von besonderem Interesse, weil er entgegen der positiven Einschtzung des Polizeiberichts aufgrund einer anonymen Denunziation abgewiesen wurde.50 Unter den archivierten Ablehnungen finden sich einige Flle aus der Zeit um die Jahrhundertwende, in denen jdische Bewerber aufgrund sehr geringer Vergehen oder bloßer Verdchtigungen nicht naturalisiert wurden. Andererseits bedauerten die Beamten des Home Office selbst, das macht ein interner Vermerk deutlich, dass sie den Antrag von Abraham Leiba-Tartakovsky 1905 aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse abweisen mussten. Sein Anwalt wurde darauf hingewiesen, dass der Bewerber, nachdem er seine Englischkenntnisse verbessert habe, gerne einen erneuten Antrag stellen kçnne. Sicherlich war dieses amtliche Bedauern wesentlich darin begrndet, 46 1903: 4,0 %; 1904: 6,0 %; 1905: 9,2 %; 1906: 11,0 %; 1907: 11,0 %; 1908: 13,9 %; 1909: 7,8 %; 1910: 12,0 %; 1911: 12,1 %; 1912: 11,6 %; 1913: 12,8 %. London, PRO, HO 45/10537/154320/45, 11. 9. 1909, und PRO, HO 45/14736/11, September 1930. s.a. Baldwin. 47 Terwey, S. 61 f, beschreibt die zunehmende Kritik an der Einbrgerung von Juden in diesem Zeitraum. In diesem Kontext wurde auch erneut die Forderung nach einer Einfhrung des Abstammungsprinzips erhoben, um zu verhindern, dass die Kinder von Einwanderern den britischen Untertanenstatus erwarben. Baldwin, S. 65. 48 Holmes, Die Einwanderung nach Großbritannien. Cesarani, The Changing Character, S. 61 f. Fr eine detaillierte Analyse der britischen Politik der Migrationskontrolle im frhen 20. Jahrhundert s. Reinecke. 49 London, PRO, HO 144/354/B14881, Antrag Zelig Perelman, 1893. London, PRO, HO 144/467/ V31725, Antrag Jacob Richman, 1900. Beide Antrge wurden negativ beschieden. 50 London, PRO, HO 144/625/B36384.

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Abb. 5: Werbehandzettel einer Londoner Naturalisation Society, 1910, aus: London, PRO, HO 144/1102/198890.

dass Leiba-Tartakovsky ein wohlhabender Unternehmer und Immobilienbesitzer war.51 Der Antrag von Morris Prager, eines „journeyman tailor who cannot read or write“, wurde ohne Bedauern abgewiesen.52 Außerdem fllt auf, dass die Behçrden den sogenannten Naturalisation Societies, die hufig jdische Antragsteller vertraten, mit Ablehnung begegneten (s. Abbildung 5).53 Diese Vereine betrieben gegen regelmßige Beitragszahlungen die Einbrgerung ihrer Mitglieder. Im Fall von Marks Strom von 1896, der seine Brgen bestochen hatte, bedauerten das Home Office und die Polizeibehçrden, dass sie dem fr die Metropolitan Naturalization Society ttigen Anwalt S. Goldman eine Beteiligung an der betrgerischen Antragstellung nicht nachweisen konnten. Goldman wurde darauf hingewiesen, dass ihm bei einer weitern Unregelmßigkeit die Erlaubnis, in Einbrgerungsfllen ttig zu sein, entzogen werden wrde.54 Bereits in den achtziger Jahren hatte die Metropolitan Police in zwei Be-

51 London, PRO, HO 144/805/134516. 52 London, PRO, HO 144/853/151616, 1907. 53 London, PRO, HO 144/625/B36331. Noah Cohens Antrag wurde 1901 von der Metropolitan Naturalization Society, Israel Rabbinowitz’ Antrag, ebd., HO 144/807/135184, 1905, von der Spitalfields Naturalization Society eingebracht. 54 London, PRO, HO 144/403/B23051.

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richten an das Home Office auf die Ttigkeit der Societies hingewiesen, die in Zukunft die Anzahl der Antrge von „pauper aliens“ erhçhen wrde.55 1907 warf ein Home Office Memorandum dem Anwalt der Spitalfields Naturalization Society S. L. Lipshitz unsaubere Methoden vor. Allerdings unterschied dieses Dokument zwischen ehrbaren und zweifelhaften Naturalization Societies. In diesem Kontext riet es auch von einer Senkung der Einbrgerungsgebhr ab, weil diese Maßnahme zur Grndung weiterer dubioser Societies und dadurch zu einer Zunahme ungeeigneter Bewerbungen fhren wrde.56 Letztlich bezogen sich die explizit formulierten Vorbehalte der Behçrden aber eher auf den niedrigen sozialen Status der Antragsteller als auf deren ethnische Identitt. Dass die Praxis des Home Office insbesondere armen Juden den Zugang zur britischen Staatsangehçrigkeit zu verwehren versuchte, behaupteten dagegen zahlreiche Beschwerden jdischer Organisationen im Vereinigten Kçnigreich. Diese forderten seit 1892 wiederholt die Senkung der fr finanziell Schwache fast unerschwinglichen Gebhr von fnf Pfund. Diese Forderungen wurden seitens des Home Office regelmßig mit der Begrndung zurckgewiesen, dass die Gebhr dem Wert des britischen Untertanenstatus Ausdruck verleihen und die Fhigkeit des Bewerbers, sich und seine Familie zu versorgen, unter Beweis stellen solle. Erst 1913 wurde die Gebhr auf drei Pfund gesenkt. Der Jewish Chronicle bezeichnete diese Senkung als „substantial enough to create a feeling of satisfaction in a community which had previously been put off with blunt refusals“.57 Ebenso betrachteten jdische Interessenvertreter den Sprachtest als gezielt gegen jdische Bewerber gerichtetes Mittel. Auch in diesem Punkt kam das Home Office 1912 den jdischen Forderungen ein Stck weit entgegen, indem es versicherte, dass die Tests in Zukunft großzgiger gehandhabt werden wrden.58 Die Debatte ber die Einbrgerungspraxis war also seit den neunziger Jahren zunehmend von der Auseinandersetzung fr und wider die jdische Immigration geprgt. Einzelne Flle besttigen die Annahme, dass insbesondere armen osteuropischen Juden der Zugang zur britischen Staatsangehçrigkeit erschwert werden sollte, wobei diese Politik 1912/13 teilweise revidiert wurde. Dieser Befund soll kurz anhand einer Statistik berprft werden, die den Anteil jdischer Einbrgerungen an den insgesamt durch-

55 London, PRO, HO 45/9482/1749A. 56 London, PRO, HO 45/12183, Memorandum ber die Naturalisation Societies in Manchester, Leeds und London, 1907. Im Kontext der Diskussion ber die Naturalisationsgebhren im Jahr 1880 verweist Baldwin, S. 72 f, auf eine antisemitische Notiz eines Home Office Beamten, der sich fr die Erhçhung der Gebhr aussprach in der Hoffnung, dies wrde unliebsame jdische Bewerber abschrecken. 57 London, PRO, HO 45/12183, Naturalisation Fee, 1892 – 1913, Ausschnitt aus dem Jewish Chronicle vom 28.2.1913. Zur Debatte ber die Einbrgerungsgebhr s.a. Baldwin, S. 87 f. 58 London, PRO, HO 45/10687/226279.

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Diagramm 4: Einbrgerungen im Vereinigten Kçnigreich und Anteil der eingebrgerten Juden in absoluten Zahlen

gefhrten Naturalisationen jeweils fr den Monat September in Fnfjahresabstnden erfasst (s. Diagramm 4). 59 Diese Graphik untersttzt die Hypothese, dass die anti-jdisch aufgeladene Einwanderungsdebatte sich, wenn auch verzçgert, auf die britische Einbrgerungspraxis auswirkte und eine Tendenz zum Ausschluss von Juden nach sich zog. Es ist allerdings verwunderlich, dass noch im September 1904 weit mehr als die Hlfte der Eingebrgerten Juden waren. Erst zwischen 1904 und 1909 kam es zu einer signifikanten Reduktion des jdischen Anteils an den Einbrgerungen. Das Eingehen der britischen Behçrden auf die Forderungen jdischer Organisationen in den Jahren 1912 und 1913 zeitigte nach dieser Grafik keine wesentlichen Auswirkungen. Zusammenfassend kann man feststellen, dass die Einbrgerungspolitik im Vereinigten Kçnigreich zunchst von staatsrechtlichen und politischen Rcksichten, seit den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts zunehmend auch von sozialen und kulturellen Intentionen geprgt war.60 Dadurch gewannen 59 Diese Statistik basiert auf den Einbrgerungslisten in London, PRO, HO 45. Die Aussagekraft dieser Darstellung ist dadurch eingeschrnkt, dass keine Informationen zum jdischen Anteil an den Einbrgerungsbewerbungen vorliegen. Die Auswertung der Daten orientiert sich vor allem an den Vornamen der Bewerber, ihrer Eltern und ihrer Kinder. Personen, in deren Familie typisch jdische Namen wie Moses, Chaim, Deborah, Sarah etc. hufig vorkamen, wurden als Juden gezhlt. Ich mçchte zumindest in der Fußnote nicht verschweigen, dass mir bei dieser „Klassifikationsarbeit“ sehr seltsam zumute war. Dieses Namens-Kriterium ist sicherlich nicht przise, aber es reicht aus, um die Flle zu zhlen, in denen die jdische Identitt der Bewerber fr die Beamten im Home Office aus dem Antrag selbst ersichtlich war. 60 In gewisser Hinsicht gleicht diese Unterscheidung Baldwins, S. II, Differenzierung zwischen staatlichen und nationalen Implikationen der Einbrgerungspraxis. Whrend die vorliegende Arbeit allerdings zu dem Schluss kommt, dass die britische Naturalisationspolitik letztlich

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ethnische Kriterien in der Naturalisationspraxis an Bedeutung, wobei jedoch von einer eindeutigen Tendenz zur ethnischen Exklusivitt nicht die Rede sein kann. Die strkere Betonung kultureller, beispielsweise sprachlicher Kriterien in der administrativen Praxis widersprach der oben fr das Gesetz von 1870 festgestellten territorialisierenden Entfeudalisierung. Denn ber den Zugang zum britischen Untertanenstatus entschied nun nicht mehr bloß der dauerhafte Aufenthalt innerhalb oder außerhalb des britischen Herrschaftsgebiets, sondern auch die kulturelle Identitt der betroffenen Personen. Im frhen 20. Jahrhundert definierte eine spezifische Mischung von territorialen und personalen Kriterien die Grenzen des britischen Staatsangehçrigenverbandes und den Zugang zu staatsbrgerlichen Rechten. Staatsbrgerrechte und ethnische Exklusion im Vereinigten Kçnigreich Das Auseinanderfallen von Staatsangehçrigkeit und Staatsbrgerschaft wurde bereits im kanadischen Fall dargestellt. Der Umfang der politischen und sozialen Rechte eines britischen Untertanen variierte, je nachdem wo er ansssig war. Verlegte er seinen Wohnsitz beispielsweise von Madras nach London, erwarb er dadurch, falls er die vorgeschriebenen Vermçgensqualifikationen erfllte, das Wahlrecht zum britischen Parlament. Falls er spter nach Mombasa bersiedelte, verlor er dieses Recht wieder und ging berhaupt aller politischen Rechte verlustig, weil solche in Ostafrika nicht existierten. Immigrationsverbote fhrten also zum Ausschluss bestimmter Gruppen britischer Staatsangehçriger von der Staatsbrgerschaft. Auf diesen fr die Dominions typischen Exklusionsmechanismus wurde im Vereinigten Kçnigreich wiederholt verwiesen. Die Vorbildfunktion der Dominions und die sich daraus ergebenden Rckwirkungen kolonial-peripherer Prozesse auf Entwicklungen im Mutterland waren insbesondere ab dem frhen 20. Jahrhundert von berragender Bedeutung. Ethnische Differenzierungsmechanismen wurden dementsprechend auch im Vereinigten Kçnigreich etabliert, allerdings nicht in exklusiver, sondern in inklusiver Form als positiv diskriminierende Privilegierung bestimmter ethnischer Gruppen. Das Wahlrecht, das im langen 19. Jahrhundert in mehreren Reformen auf immer breitere Kreise der Bevçlkerung ausgedehnt wurde, bis im Representation of the People Act von 1918 das allgemeine Mnner- und ein eingeschrnktes Frauenwahlrecht eingefhrt wurden, war davon nicht betroffen.61 Alle britischen Untertanen, die ihren Wohnsitz im Vereinigten Kçnigreich hatten, waren gleichermaßen wahlberechtigt.62 Auch im Armenrecht

zwischen diesen beiden Polen changierte, betont Baldwin, S. 62 und 92, eindeutig die staatlichpolitischen Interessen und die damit verbundene ethnische Neutralitt. 61 Block u. Hostettler, S. 354. 62 Im Zuge der Reformen wurde auch die Zeit zwischen Niederlassung und Aufnahme ins Wahl-

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wurde nicht nach ethnischen Kriterien differenziert. Das Poor Law unterschied nicht einmal zwischen Untertanen und Fremden.63 Ebenso unterschiedslos inklusiv war der Unemployed Workmen Act von 1905 formuliert.64 Erst mit dem Old Age Pensions Act von 1908 und dem National Insurance Act von 1911 wurde die Differenz zwischen Staatsangehçrigen und Auslndern sozialrechtlich relevant.65 „The person must satisfy the Pension Authorities that for at least twenty years up to the date of the receipt of any sum on account of a Pension he has been a British subject, and has had his residence, as defined by regulations under this Act, in the United Kingdom.“66

Die Beschrnkung des Rentenanspruchs auf britische Untertanen stellte jedoch in Bezug auf Frauen, die aufgrund ihrer Heirat mit einem Fremden ihren britischen Untertanenstatus verloren hatten, ein Problem dar.67 Nach dem Tod ihres Ehemannes oder nach der Trennung oder Scheidung konnten sie nur durch Einbrgerung in den britischen Untertanenverband zurckkehren und ihren Anspruch auf eine Altersrente geltend machen. Die Gesetze von 1911, sowohl der zweite Old Age Pensions als auch der National Insurance Act enthielten eine diesbezgliche Ausnahmeregelung, die diesen ehemaligen Britinnen den Zugang zu staatlichen Sozialleistungen garantierte.68 Aber die Leistungsansprche setzten nicht nur den Untertanenstatus,

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register verkrzt, sodass aus anderen Teilen des Weltreichs Eingewanderte immer schneller in den „body politic“ integriert wurden. Seymour, S. 271. Morris, S. 87. „In England, Scotland, and Ireland … foreigners were considered ,casual poor‘, and had a right to relief wherever they happened to be.“ Fahrmeir, Citizens and Aliens, S. 171. Vor 1905 galten Fremde, die noch kein „legal settlement“ erworben hatten, gemß dem Poor Law als „irremovable“. Davey, S. 3 f. UK Acts, 5 Edw. 7 ch. 18. UK Acts, 8 Edw. 7 ch. 40 und 1&2 Geo. 5 ch. 55. Die Unterscheidung zwischen Untertanen und Fremden wurde, sowohl bei den Altersrenten als auch bei den Sozialversicherungsleistungen, genau dort rechtlich relevant, wo finanzielle Ansprche gegenber dem nationalen Haushalt entstanden. Da die Altersrenten komplett durch „moneys provided by parliament“ finanziert wurden, waren sie nur den britischen Untertanen zugnglich, whrend bei Leistungen nach dem Gesetz von 1911 im Fall von Auslndern der staatliche Zuschuss gestrichen wurde. Ein Abgeordneter bezeichnete diese Unterscheidung als ungerecht, weil Fremde dieselben Steuern zu zahlen hatten wie Staatsangehçrige: „I thought that the separate treatment of aliens was a mistake, and that any person domiciled in this country, of whatever nationality, ought to have the same position, because they were making the same provision.“ UK Parliament, Commons, Bd. 65, Sp. 1501, 29. 7. 1914, Mr. Holt. Zur Entwicklung der sozialen Staatsbrgerrechte im frhen 20. Jahrhundert s. Fahrmeir, Citizenship, S. 109 f. UK Acts, 8 Edw. 7 ch. 40, sec. 2(2). Hoare, S. 34. UK Acts, 1&2 Geo. 5 ch. 55, I.45.3. und 1&2 Geo. 5 ch. 16, 3.1. Hoare, S. 192, forderte eine noch weiterreichende Ausnahmeregelung: „In my opinon a woman who is by birth a British subject should not be disqualified for a pension by reason of having married an alien. Section 3(1) of the 1911 Act admits some women so circumstanced to the benefits of the Acts, but limits them to such as have lost their husbands by death, divorce, or desertion.“

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sondern auch einen langjhrigen Aufenthalt im Vereinigten Kçnigreich voraus. Zu diesem Punkt entspann sich eine eingehende Debatte, die deutlich macht, welche Gruppen profitieren sollten und welche nicht. Auf der einen Seite forderte man, dass ein Brite, der seinen Lebensabend „with his family in another part of the British Empire“ verbringen wollte, auch dort seine Rente beziehen kçnnen sollte.69 Auf der anderen Seite wurde bemerkt: „What of the British subjects in India: were those who were here now to be entitled to the pension? It might be that crowds of foreigners of the age of forty-five or fifty might come over here in the hope that, having resided in this country for the required time, they might get a pension.“70

Diese nur angedeuteten In- und Exklusionen nach potenziell ethnischen Kriterien fanden keinen Eingang in den Gesetzestext. Aber ein Vertreter der Regierung machte deutlich, dass sich hinter den ethnisch neutralen Kategorien des Untertanenstatus und des Wohnsitzes letztlich eine ethnisch definierte Zielgruppe verbarg: „They [die Berechtigten, d. Vf.] are to be British subjects resident in the United Kingdom for twenty years previously, which, of course, practically makes the provision for British subjects in every sense of the word.“71

Alle Untertanen, die aus anderen Teilen des Weltreichs ins United Kingdom einwanderten, sollten also ausgeschlossen werden. Umgekehrt wollte man aber garantieren, dass Remigranten, also Personen die nach lngerer Abwesenheit zurckkehrten, die sozialen Staatsbrgerrechte wahrnehmen konnten. Diesem Zweck diente die in Rechtskommentaren und in der Verwaltungspraxis etablierte Vorstellung von zeitweiser Abwesenheit, die den Zeitraum der Ansssigkeit nicht unterbrach, und die Einfhrung des Begriffs „home“ ins britische Recht.72 „The following definition of ,home‘ has been given:- ,A person’s home is that place or country in which, either he resides, with the intention of residence (animus man-

69 UK Parliament, Commons, Bd. 190, Sp. 1567 f, 23. 6. 1908, Mr. Austen Chamberlain. 70 Ebd., Bd. 191, Sp. 1359 f, 6. 7. 1908, Mr. Fell. Mit „foreigners“ waren hier wohl auch „indische“ Untertanen der britischen Krone gemeint. 71 UK Parliament, Lords, Bd. 192, Sp. 1339, 20. 7. 1908, Viscount Wolverhampton. 72 Damit wurde die strikte Definition von „residence“ als „uninterrupted … actual presence“ ausgehebelt. Evans, S. 95. Dass damit die britische Rechtsbegrifflichkeit durch Verwaltungsvorschriften radikal verndert wurde, entging nicht der rechtswissenschaftlich geschulten Aufmerksamkeit eines Mitglieds des Oberhauses: „But I gather that what is desired is that the Department that administers this Act is to have the right of ruling that the word ,residence‘, which I have always understood was a legal expression with a very strict interpretation, is to be considered in a sense not at presence known to the law.“ UK Parliament, Lords, Bd. 193, Sp. 1106, 28. 7. 1908, Lord Lansdowne.

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endi), or in which he has so resided, and with regard to which he retains either residence, or the intention of residence‘ (Dicey, Conflict of Laws, 81).“73

Eine Person konnte also auch dann ein Zuhause im Vereinigten Kçnigreich haben, wenn keinerlei „rights of property or occupation in respect of the place to which he looked as a residence upon his return“ existierten.74 Zwei Dinge sind an dieser dem deutschen Konzept von Heimat sehr hnlichen Begrifflichkeit besonders interessant. Zum einen die ihr immanente Vorstellung des Rckkehrens und zum anderen die Aufladung eines letzten Endes emotionalen Bezuges zum britischen Territorium mit rechtlicher Relevanz.75 Was damit intendiert war, verdeutlicht eine Bemerkung des Lord Chancellor : „There were a large number of cases – men … working … in the Colonies and in European countries, although practically their residence was in England. If they had a wife and children at home that would be their residence, but there was no reason why men should be deprived of their pensions, who had not homes in England, but had gone out from England to do work and then come back. The intention of the Government was that Englishmen, Scotsmen, and Irishmen should not be disqualified simply because they had not continuously resided in England during the twenty years.“76

Diese Auffassung war der Definition der Altersrente als „honourable recognition of services rendered to the State“ diametral entgegengesetzt.77 Personen, die im Ausland arbeiteten und Steuern zahlten, leisteten dem britischen Staat keinerlei Dienste. Sie sollten aber trotzdem Pensionen erhalten, weil sie „Englishmen, Scotsmen, and Irishmen“ waren, was nur in einem ethnischnationalen Sinn verstanden werden konnte. Durch die Verknpfung von Untertanenstatus und Wohnsitz als Zugangsvoraussetzungen sollten also einerseits die „nicht-britischen Briten“ ausgeschlossen werden, whrend andererseits die rechtliche Relevanz eines emotionalen Heimatbezuges die „britischen“, also die englischen, schottischen und irischen Briten inkludieren sollte. Unter der ethnisch-neutralen Oberflche des Gesetzes wirkten ethnische Exklusions- und Inklusionsabsichten. Insbesondere die positiv nach ethnischen Kriterien differenzierenden, inklusiven Mechanismen sind der 73 Evans, S. 32. 74 Hoare, S. 37. 75 Diese wenig fassbare Art der Zugehçrigkeit wurde in der Auslegung des Old Age Pensions Act rechtlich relevant. Es gab Verfahren, in denen das Gericht darber zu befinden hatte, ob eine Person zu einem bestimmten Zeitpunkt die Absicht hatte zurckzukehren oder nicht. Hoare, S. 38 f. Fr eine alte, alleinstehende Frau, die einige Jahre bei ihrer Schwester in den Vereinigten Staaten gelebt hatte, konnte die Beurteilung ihrer zurckliegenden Absichten zur existenziellen Frage werden, der Wert der Antwort bezifferte sich auf bis zu 5 Schillinge wçchentlich. 76 UK Parliament, Lords, Bd. 193, Sp. 1107, 28. 7. 1908, Viscount Wolverhampton. Nach der oben beschriebenen, weiten Definition htte auch die zweite von Wolverhampton angefhrte Gruppe ohne Frau und Kind zu Hause ihr „home“ im Vereinigten Kçnigreich gehabt. 77 Evans, S. 2.

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Forschung bisher entgangen, weswegen meist von einer Ethnisierung des Rechts im Vereinigten Kçnigreich erst fr die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg ausgegangen wird.78 Noch deutlichere Zge ethnischer Exklusionsabsichten trug die parallel zur Ausdehnung der sozialen Staatsbrgerrechte verlaufende Einfhrung von Immigrationsrestriktionen im Aliens Act von 1905. Das Gesetz fhrte Einwanderungskontrollen ein und ermçglichte die Abschiebung von „undesirable aliens“, also vor allem von Armen, Kranken und Verurteilten.79 Dass man dadurch beabsichtigte, bestimmten ethnischen Gruppen den Zugang zu verwehren, zeigt einerseits die xenophobe und rassistische Agitation beispielsweise der British Brothers League gegen die Immigration von Juden aus Osteuropa, die maßgeblich zur Verabschiedung des restriktiven Gesetzes beitrug.80 Aber auch im Parlament verwickelte man sich beim Versuch, den Antisemitismus-Vorwurf abzustreiten, in Widersprche: „The only class of immigrants to which I have any strong objection are Russians and Poles …. The question of race does not arise. …. The objection we have to them is that they are in a totally different state of civilisation from what we desire in this country ; that neither in race, religion, feeling, language, nor blood are they suitable or advantageous to us, and that they are by far the most destitute of all the aliens who come to these shores.”81

Widersprchlich blieb auch die Rede des Premierministers Balfour, der zunchst ethnisch-neutral feststellte, dass „… we have a right to keep out everybody who does not add to … the industrial, social, and intellectual strength of the community“, um danach doch noch auf „rassische“ Exklusionskriterien zu verweisen: „If there were a substitution of Poles for Britons, for example, though the Briton of the future might have the same laws, the same institutions and constitution, and the same 78 Auch die Untersuchung von Baldwin, S. 61, bersieht diesen Aspekt und betont die Neutralitt der britischen Politik insbesondere im Hinblick auf die ethnische Heterogenitt des Untertanenverbands. 79 UK Acts, 5 Edw. 7 ch. 13, sec. 3.1. 80 Holmes, Anti-Semitism in British Society, S. 26 f, 70 f und 89 f, spricht im Kontext der British Brothers League von „ethnocentric voices“, ebd., S. 91, und ausgeprgtem Antisemitismus. s.a. Bauerkmper. Cesarani, The Changing Character, S. 61. Die Immigration von „Asiaten“ und „Schwarzen“ blieb vor dem Ersten Weltkrieg quantitativ marginal. Holmes, John Bull’s Island, S. 31 f, 52 f und 77 f. 81 UK Parliament, Commons, Bd. 145, Sp. 761, 2. 5. 1905, Sidney Buxton. Es gab auch eindeutigere ußerungen, beispielsweise von Major Evans Gordon, der die Zunahme jdischer ArmengeldEmpfnger beklagte. UK Parliament, Bd. 145, Sp. 716. Oder das besonders illustre Beispiel des Berichts ber eine Sanittsinspektion in einer Bckerei: „The floor was as black as coal; the baker, a Russian Jew, who gave an English name, was dressed in a woman’s petticoat tied at the waist, and was kneading the dough on the black floor with his naked feet.“ Ein zweites, hnliches Beispiel betraf einen polnischen Juden. UK Parliament, Commons, Bd. 145, Sp. 787, 2. 5. 1905, Mr. Forde Ridley.

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historical traditions learned in the elementary schools, though all these things might be in the possession of the new nationality, that new nationality … would not be the nationality we should desire to be our heirs through the ages yet to come.“82

Aber ganz hnlich wie beim Old Age Pensions Act stand der Gesetzgeber vor dem Problem, dass auch Englnder, Schotten und Iren, insbesondere die in den Vereinigten Staaten naturalisierten Rckkehrer, von den Exklusionsmechanismen des Aliens Act erfasst werden konnten. Mehrere Abgeordnete sprachen sich dagegen aus, diese staatsangehçrigkeitsrechtlich fremden, aber ethnisch britischen Personen bei der Einreise den medizinischen und anderen Untersuchungen zu unterziehen, die das Gesetz vorsah: „… an Amendment should be put in after ,immigrant‘ to protect the case of the British born workman returning to visit his family“83 oder „to lay their bones in the sacred soil of their own country and in the graves of their forebears“.84 In der so beschriebenen Weise konnten sich nur jene Briten auf ihr Heimatland beziehen, bei denen „born“ mehr bedeutete als die bloße Geburt auf dem Territorium. Diese Mnner und Frauen stammten – im emphatischen Sinn – aus England, Schottland und Irland, und diese Abstammung stiftete einen emotionalen Bezug zur Heimat, der dem oben erwhnten Konzept von „home“ glich. Dieser Bezug war, so die berzeugung vieler Abgeordneter, hçher zu bewerten als ihr angehçrigkeitsrechtlicher Status als Auslnder.85 Dementsprechend wurde ein Amendment eingebracht, das den Einwanderer im Sinne des Gesetzes enger definieren wollte als „immigrant ,if he has not been born in the UK‘“.86 Dieser Vorschlag bedeutete nichts weniger als die Einfhrung der Geburt auf dem Territorium des Vereinigten Kçnigreichs als gesonderten Tatbestand ins britische Recht. Er zertrmmerte die bisher zumindest im Recht der imperialen Metropole aufrecht erhaltene Einheitlichkeit der „dominions of the British Crown“ und zerteilte die darauf qua iure soli basierende Gesamtheit der britischen Untertanen. Dieses Problem entging dem Attorney-General als juristischem Vertreter der Regierung nicht: „If they were to accept an Amendment of this kind they must apply it to all persons born in any part of 82 Ebd., Sp. 804 und 796, 2.5.1905. Im Kontext dieser ethnischen Diskriminierungsmechanismen wurde wiederholt auf die Dominions als Vorbilder verwiesen: „In the cases of Australia and New Zealand there has been a considerable immigration of Chinese, and it has been said that these people could not be assimilated with the white population and that if this immigration is not checked it will make the population of the country more Mongolian than Anglo-Saxon.” Ebd., Sp. 724 f, 2. 5. 1905, Mr. Herbert Samuel. 83 UK Parliament, Commons, Bd. 148, Sp. 305, 27. 6. 1905, Mr. Whitely. 84 UK Parliament, Commons, Bd. 148, Sp. 405 f, 27. 6. 1905, Mr. Flynn. 85 „Mr. Harwood said that cotton operatives would be shocked to know that if they became naturalized in America they would forfeit the precious right of calling themselves Englishmen. It might be sentimental, but sentiments was the strongest force in politics.” Ebd., Sp. 356, 11.7.1905. 86 UK Parliament, Commons, Bd. 148, Sp. 306, 27. 6. 1905, Mr. Whitely.

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His Majesty’s dominions.“87 Trotz dieses Einwands enthielt das Gesetz in seiner endgltigen Fassung folgenden Passus: „and leave to land shall not be refused merely on the ground of want of means to any immigrant who satisfies the immigration officer or board concerned with the case that he was born in the United Kingdom, his father being a British subject.“88

Hier wurde nicht nur das Vereinigte Kçnigreich als einzelnes Territorium innerhalb des britischen Herrschaftsgebiets besonders hervorgehoben, sondern mit den letzten sechs Worten wurde auch das Abstammungsprinzip erstmals fr auf britischem Boden geborene Personen relevant.89 Diese Kombination erlaubte Emigranten die Aufrechterhaltung ihrer rechtlichen Bindung ans Heimatland und strkte das ius soli im britischen Recht. Dadurch gewann im frhen 20. Jahrhundert eine auf das Vereinigte Kçnigreich bezogene nationalstaatliche Logik rechtlich an Bedeutung. Die ethnisch-neutrale Territorialisierungstendenz von 1870 wurde dadurch relativiert und die britische Staatsangehçrigkeit strker an die Eigenschaften der einzelnen Person geknpft. Fr diese Entwicklung war argumentativ die Figur der Heimkehrenden entscheidend, deren beabsichtigte Inklusion dazu fhrte, dass Mechanismen positiver ethnischer Diskriminierung Eingang ins Recht des Vereinigten Kçnigreichs fanden. Das Gesetz von 1914 zwischen Nation, Staat und Empire Diese Personalisierungs- und Nationalisierungstendenzen setzten sich im British Nationality and Status of Aliens Act von 1914 fort, der zum einen die angehçrigkeitsrechtliche Selbstndigkeit der Ehefrau strkte. Noch 1901 lehnte eine Regierungskommission die rechtliche Privilegierung ehemaliger Britinnen, die ihren Untertanenstatus beispielsweise durch Heirat verloren hatten, ab und hielt am Prinzip der rechtlichen Einheitlichkeit der Familie fest. Lediglich den Sçhnen dieser Frauen sollte durch spezielle Regelungen der Eintritt in den çffentlichen Dienst oder ins Militr ermçglicht werden.90 In der Sozialgesetzgebung von 1911 deutete sich bereits eine Durchsetzung der 87 Ebd., Bd. 149, Sp. 348, 11. 7. 1905, Mr. Finlay. 88 UK Acts, 5 Edw. 7 ch. 13, sec. 1.3. 89 Insofern haben Dummett u. Nicol, Subjects, S. 22, unrecht, wenn sie behaupten, dass bis 1981 „ancestry … for persons born on ,English soil‘“ rechtlich irrelevant gewesen sei. Im frhen 20. Jahrhundert fanden Elemente des ius sanguinis Eingang ins britische Recht. 90 Inter-Departmental Committee, S. 16 f. Die Forderungen bezglich der Kinder, die ihren britischen Untertanenstatus als Minderjhrige verloren hatten, erfllten die Abschnitte II.5.2 und III.12 des Gesetzes von 1914. Diese Kinder konnten durch Erklrung nach Erreichen der Volljhrigkeit den britischen Untertanenstatus zurckerlangen. Und die Einbrgerung Minderjhriger konnte der Secretary of State generell ohne Erfllung der vorgeschriebenen Naturalisationsbedingungen verfgen. Die Kinder einer verwitweten Britin, die einen Auslnder heiratete, verblieben in der britischen Staatsangehçrigkeit.

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selbstndigen Staatsangehçrigkeit der Ehefrau an.91 Zudem berief man sich 1914 auf das 1870 abgeschaffte Prinzip der „indelible allegiance“ als Beweis dafr, dass die angehçrigkeitsrechtliche Selbstndigkeit der Ehefrau in der britischen Rechtstradition verwurzelt sei. In einer ziemlich exakten Umkehrung der Argumentation von 1870 wurde behauptet: „There is no reason why a person should not have two nationalities.“92 Diese Position konnte sich letztendlich nicht gegen die Einwnde der Regierung durchsetzen.93 Allerdings kam man den Forderungen nach einer strkeren rechtlichen Unabhngigkeit der Ehefrau in einigen Punkten entgegen. Frauen, die aufgrund einer Heirat ihren britischen Untertanenstatus verloren hatten, konnten als Witwen oder Geschiedene ohne Erfllung der Wohnsitzbedingung re-naturalisiert werden, und die Kosten dieser Einbrgerung durften fnf Schillinge nicht bersteigen. Eine verheiratete Frau, deren Ehemann nach der Heirat auf die britische Staatsangehçrigkeit verzichtete, konnte durch eine Erklrung ihre bisherige staatliche Zugehçrigkeit beibehalten.94 Das Prinzip der angehçrigkeitsrechtlichen Einheitlichkeit der Familie wurde also nicht aufgegeben, aber seine Konsequenzen wurden abgeschwcht. Die betroffenen Frauen unterhielten auch nach ihrer Heirat als Fremde eine privilegierte Beziehung zum britischen Untertanenverband und die Verbindung zur Herkunftsnation wurde nicht mehr gnzlich zertrennt. Daneben trugen zwei Neuerungen bei den Einbrgerungsbestimmungen zur Nationalisierung des Rechts durch das Gesetz von 1914 bei. Zum einen wurde der Sprachtest, der in der Praxis bereits seit Jahren von Bedeutung gewesen war, gesetzlich verankert, wodurch das sprachlich-kulturelle Zugangskriterium juristisch aufgewertet wurde. Im Hinblick auf den imperialen Verband ergab sich daraus das Problem, dass man von Naturalisationskandidaten die Kenntnis einer Sprache verlangte, die dem grçßten Teil der britischen Untertanen selbst nicht gelufig war : „In India we have a population of 300,000,000, all of whom are British subjects and probably none the worse British subjects because most of them have no adequate 91 In der Debatte von 1914 wurde mehrfach auf den Zusammenhang mit dem Old Age Pensions Act verwiesen. UK Parliament, Commons, Bd. 65, Sp. 1462, 1470 f, 1492 und passim. 92 UK Parliament, Commons, Bd. 62, Sp. 1468 f, 13. 5. 1914, Mr. Dickinson. Das Gesetz wurde im Parlament nur kursorisch diskutiert und sehr schnell verabschiedet, da der Krieg direkt bevorstand. Es wurde am 7. August erlassen, also bereits nach dem britischen Ultimatum an das Deutsche Kaiserreich. 93 Der gngige, international-rechtliche Einwand lautete: „As to allow any woman to retain her own nationality when she deliberately marries an alien, if we did that we should be departing from the practice of the whole civilised world.“ UK Parliament, Commons, Bd. 65, Sp. 1466, 29. 7. 1914, Mr. Harcourt. Interessanter ist allerdings ein anderes Argument, das die Heirat mit einem Auslnder gleichsam als Kontamination der britischen Frau darstellte: „There are cases in which English women have married foreigners who are spies. Or they may be very undesirable persons to have as British subjects, and in these cases it is well the Secretary of State should have power to refuse British nationality.“ Ebd., Sp. 1481, 29. 7. 1914, Mr. McKenna. 94 UK Acts, 4&5 Geo. 5 ch. 17, sec. II.2.5, III.10 und III.19.1.(j).

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knowledge of the English language. If you turn to Nigeria, Canada, Sarawak, or the Straits Settlements, you will find millions of persons who are excellent British subjects and who have little or no knowledge of the English language.“95

Vor diesem Hintergrund stand der Versuch des Gesetzes, im Sinne einer nationalen Homogenisierung die Kenntnis des Englischen bei allen britischen Untertanen zumindest im Vereinigten Kçnigreich zu erzwingen, im Widerspruch zur multi-lingualen Heterogenitt des imperialen Gesamtverbandes.96 Zum anderen wurde 1914 die bereits 1870 geforderte Mçglichkeit geschaffen, Einbrgerungen rckgngig zu machen. Dass die diesbezgliche Bestimmung, welche die Regierung mit weitreichenden Vollmachten ausstattete, verabschiedet wurde, hing wesentlich mit dem bevorstehenden Kriegsausbruch zusammen, denn der Secretary of State sollte naturalisierte Deutsche ohne großen Aufwand in staatsangehçrigkeitsrechtlich Fremde zurckverwandeln und sie dann als „enemy aliens“ behandeln kçnnen.97 Im Jahr 1914 hatten deutsche Spione die osteuropischen Juden als Objekte der xenophoben Hysterie und als Alterittspartner bei der Konstruktion einer nationalen britischen Identitt ersetzt.98 „It was suddenly borne in upon the man in the street that naturalization does not and cannot change a man heart and soul – least of all an ex-German, in whom there is an inborne love of his Kaiser and his fatherland; ….“99

Die Strkung des Abstammungsprinzips schrfte ebenfalls die nationalisierenden Zge des Gesetzes von 1914. Zwar wurde einerseits das im Common Law verankerte ius soli Prinzip erstmals im Statute Law festgeschrieben und gleichzeitig die Weitergabe des britischen Untertanenstatus qua iure sanguinis im Ausland auf nur mehr eine, statt wie bisher zwei Generationen eingeschrnkt. Aber andererseits dehnte das Gesetz das Territorium, auf dem das ius soli fr die Kinder britischer Untertanen galt, deutlich aus:

95 UK Parliament, Commons, Bd. 65, Sp. 1475 f, 29. 7. 1914, Mr. Glyn-Jones. Zwar verfgte das Gesetz auch, dass der Sprachtest „in a Possession where any language is recognised as on an equality with the English language, with the substitution of the English language or that language for the English language“ durchgefhrt werden konnte, aber als mit dem Englischen gleichberechtigte Sprachen waren v. a. das Franzçsische in Kanada und die Sprache der Buren in Sdafrika gemeint, und nicht die zahlreichen außereuropischen Sprachen in den asiatischen und afrikanischen Teilen des Empire. 96 In den Worten von Cesarani, The Changing Character, S. 63: „The narrowing of ,Britishness‘ to a white, Christian, Anglo-Saxon identity“ verdrngte allmhlich die supra-ethnische Konzeption des British subject. 97 UK Parliament, Commons, Bd. 65, Sp. 1986. 98 Terwey, S. 83 – 86. 99 Odgers, S. 1. s.a. Holmes, John Bull’s Island, S. 97 f.

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„Provided that the child of a British subject … shall be deemed to have been born within His Majesty’s allegiance if born in a place where by treaty, capitulation, grant, usage, sufferance … His Majesty exercises jurisdiction over British subjects.“100

Das so definierte Gebiet umfasste neben den eigentlichen „dominions of the Crown“ auch alle indirekt beherrschten Gebiete, also die Protektorate, und alle Staaten, die eine exterritoriale britische Konsulargerichtsbarkeit anerkannten, wie beispielsweise das Osmanische oder das chinesische Kaiserreich.101 In allen diesen Territorien erwarben die Kinder eines britischen Elternteils – bemerkenswerterweise wurde hier keine geschlechtsspezifische Formulierung verwendet – die britische Staatsangehçrigkeit durch ein quasi ius soli, das mit einer ius sanguinis Bedingung verknpft war, denn alle anderen in diesen Gegenden geborenen Personen erwarben den britischen Untertanenstatus nicht. Ein Kommentator feierte diese Bestimmung als „great advance towards a wholesale adoption of the ius sanguinis“.102 Allerdings lsst sich aus diesen Neuregelungen keine ethnisch-exklusive nationalstaatliche Tendenz herauslesen, denn von der angehçrigkeitsrechtlichen Selbstndigkeit der Ehefrau und der Strkung des Abstammungsprinzips profitierten nach dem Buchstaben des Gesetzes alle Staatsangehçrigen gleichermaßen, unabhngig von ihrer geographischen Herkunft und ihrer ethnischen Identitt.103 Vorschlge, die explizit auf die Exklusion „nicht-weißer“ Untertanen von der britischen Staatsangehçrigkeit zielten, wurden nicht realisiert. Ein Unterhausabgeordneter regte an, „to leave out the words ,and allegiance‘ [nach: ,born within His Majesty’s dominions‘, d. Vf.] … and to insert instead thereof the words ,specified in the first Schedule of this Act‘“. In diesem ersten Anhang waren die Dominions, die „weißen“ Siedlungskolonien aufgelistet. Der Vorschlag htte also zur Folge gehabt, dass der britische Untertanenstatus nur mehr durch Geburt in den Teilen des Britischen Weltreichs erworben worden wre, die berwiegend von „Weißen“ bewohnt wurden. Das 100 UK Acts, 4&5 Geo. 5 ch. 17, sec. I.1.1. 101 Diese Regelung wurde ursprnglich vom britischen Außenministerium vorgeschlagen, um den privilegierten Rechtsstatus der britischen Untertanen und ihrer Nachkommen im Osmanischen Reich zu sichern. London, IOR, L/PJ/6/702, file 2977, Foreign Office an Home Office, 10.11.1904. 102 Odgers, S. 7. Insofern muss Baldwins, S. 69, Feststellung, dass „arguments for descent-based nationality laws … never developed into concrete legal proposals“, berdacht werden. Zu den zunehmenden Forderungen nach einer Einfhrung des ius sanguinis s.a. Terwey, S 201 f. 103 Gegen diese ethnische Neutralitt der Bestimmung erhob das India Office Einwnde und wies darauf hin, dass dadurch den Nachkommen britischer Untertanen „whether they are Asiatics or Europeans“ die dauerhafte Beibehaltung ihrer britischen Staatsangehçrigkeit in den indischen Frstenstaaten ermçglicht wrde. Von einer Vergrçßerung der Zahl „asiatischer“ Untertanen der britischen Krone riet die indische Regierung aber entschieden ab, denn sie befrchtete eine gleichzeitige Zunahme der Proteste gegen die rassistisch diskriminierende Politik der Dominions. London, IOR, L/PJ/6/731, file 2469, indische Regierung an India Office, 27.7.1905.

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Gesetz sollte so formuliert werden, dass es „will not in any way increase our responsibilities as regards our Oriental fellow subjects“.104 Noch klarer brachte ein Vertreter der Kapkolonie in seinem Kommentar zu dem Gesetzentwurf die rassistische Exklusionsabsicht zum Ausdruck. Er wollte sicherstellen, dass durch Geburt in einem Protektorat der Untertanenstatus qua iure soli nicht erworben wurde „as regards Native or non-European peoples“, whrend gleichzeitig „europische“ Briten in diesen Gebieten die britische Staatsangehçrigkeit von Generation zu Generation weitergeben kçnnen sollten.105 Diese Zitate verdeutlichen den Willen, allen „Nicht-Weißen“ den Zugang zu politischen oder sozialen Rechtsansprchen zu verwehren, die sich aus dem britischen Untertanenstatus ergeben konnten. Diese Position widersprach der im Aliens Act und in den Old Age Pension Acts wirksamen nationalstaatlichen Logik und der Tendenz zur Herausbildung eines auf das Vereinigte Kçnigreich bezogenen Angehçrigenverbandes.106 Stattdessen zielte sie im Sinne der imperialistischen Logik auf die rechtliche Privilegierung der „weißen“ Untertanen und den weitgehenden Ausschluss „Nicht-Weißer“ von der britischen Staatsangehçrigkeit und von den damit verknpften Rechten. Diese Position fand zwar im britischen Parlament keine Mehrheit, aber sie wurde von den Regierungen der Dominions vertreten, die auch auf die Formulierung des Gesetzes von 1914 einwirkten. Denn eines der wesentlichen Ziele des British Nationality and Status of Aliens Acts war die reichsweite Vereinheitlichung der Einbrgerungsbestimmungen, weswegen die Regelungen mit den Regierungen der selbstverwalteten Kolonien abgestimmt wurden. In diesen Verhandlungen setzten die Dominions ihre imperialistischen Vorstellungen weitgehend durch. Aufgrund dieser verschiedenen Einflsse prgte ein seltsames Nebeneinander von nationalstaatlicher, imperialistischer und auch etatistischer Logik das Gesetz von 1914. Auf der einen Seite sollten im Sinne der nationalstaatlichen Logik vor allem ehemalige Deutsche ausgeschlossen werden, whrend Briten und Britinnen aus dem Vereinigten Kçnigreich der Verbleib im Untertanenverband erleichtert wurde. Andererseits zeichnete sich eine rechtliche Privilegierung der „weißen“ britischen Untertanen im Mutterland und in den Dominions und damit die Implementierung einer imperialistischen Logik ab. 104 UK Parliament, Commons, Bd. 65, Sp. 1472, 29. 7. 1914, Mr. Gershom Stewart. Nur nebenbei sei bemerkt, dass gemß dem zitierten „Amendment“ auf dem Territorium des Vereinigten Kçnigreichs, das in dem genannten Anhang nicht genannt wurde, geborene Kinder nicht mehr den britischen Untertanenstatus erworben htten, was sicherlich nicht den Absichten von Mr. Stewart entsprach. 105 London, IOR, L/PJ/6/679, file 1155, Bericht des Attorney General der Kapkolonie, 7.12.1903. 106 Diesen Widerspruch verfehlt Komlosy, S. 58, die feststellt: „Großbritannien … verfolgte in seinen Kerngebieten eine nationalstaatliche Homogenisierung, aus der die Angehçrigen der Kolonien ausgeschlossen waren.“ Dabei bersieht sie das Problem der „weißen“ Bewohner der Kolonien, respektive die Frage, ob die „nationalstaatliche Homogenisierung“ sich territorial auf die „Kerngebiete“ oder personal auf die Gesamtheit der „weißen“ britischen Untertanen beziehen sollte.

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Diese Diskriminierungsabsichten wurden aber in dem Gesetz gleichsam versteckt, whrend man an der Oberflche am etatistischen Prinzip der rechtlichen Gleichbehandlung aller britischen Untertanen unabhngig von ihrer ethnischen Identitt festhielt. Zusammenfassung Recht und administrative Praxis im Vereinigten Kçnigreich waren im spten 19. Jahrhundert zunchst vom Willen zur Vermeidung doppelter Staatsangehçrigkeiten geprgt. Das fhrte im Zusammenspiel mit vçlkerrechtlichen Vereinbarungen dazu, dass der grçßte Teil der Bevçlkerung des Britischen Weltreichs den Untertanenstatus besaß, whrend Auswanderer – vor allem in den USA – ihn verloren. Um die Jahrhundertwende setzten allerdings Nationalisierungstendenzen ein, die mit der Strkung ethnischer Exklusionsmechanismen im Immigrationsrecht verknpft waren. Sie fanden in der rechtlichen Privilegierung ehemaliger Britinnen und Briten, die als Nationszugehçrige betrachtet wurden, ihren Ausdruck. Diese positiv diskriminierenden und inklusiven Regelungen insbesondere bei den sozialen Staatsbrgerrechten belegen, dass ethnische Kriterien bereits frher als bisher angenommen Eingang ins Recht der imperialen Metropole fanden. Der britische Gesetzgeber verfolgte nach 1900 eine Politik, die innerhalb der Gesamtheit der britischen Untertanen „rassisch“ diskriminierte, was der weitverbreiteten Annahme widerspricht, London habe insbesondere gegenber den Dominions auf dem Prinzip ethnischer Neutralitt beharrt. Vielmehr waren imperiale Wechselwirkungen fr die britische Rechtsentwicklung entscheidend, insbesondere fr das Gesetz von 1914, an dessen Entstehung auch die Regierungen in den Dominions und in Delhi beteiligt waren. Deswegen war das britische Recht, das zugleich fr das metropolitane Territorium des Vereinigten Kçnigreichs und fr das Britische Weltreich als Ganzes galt, von Ambivalenzen geprgt. Einerseits wurde eine auf die britischen Inseln bezogene nationalstaatliche Logik verfolgt. Andererseits sollte der imperiale Zusammenhalt gestrkt werden, was entweder die Durchsetzung des etatistischen Prinzips ethnischer Neutralitt oder die Implementierung der imperialistischen Logik nahe legte. Durch diese imperialen Implikationen wurde die nationalstaatliche Entwicklung im Vereinigten Kçnigreich gleichsam gestçrt. Das britische Recht war im frhen 20. Jahrhundert von Ungleichzeitigkeiten und Uneinheitlichkeiten geprgt.

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Teil II: Der Umgang mit ethnischen Differenzen im Britischen Weltreich und im Habsburgerreich

5. Ethnische Neutralitt im spten 19. Jahrhundert 5.1. Neutralitt der imperialen Politik im habsburgischen und im britischen Fall Nachdem der erste Teil den rechtlichen und administrativen Umgang mit ethnischen Differenzen in verschiedenen Territorien der beiden Reiche beschrieben und analysiert hat, vergleichen die folgenden Abschnitte die Imperien in ihrer Gesamtheit miteinander.1 Dabei steht die Behandlung von eigenen Staatsangehçrigen im Ausland im Zentrum, denn in dieser Frage agierten die beiden Reiche als politische Einheiten gegenber fremden Staaten. Des Weiteren sind die britischen Versuche, das Recht reichsweit zu vereinheitlichen, von besonderem Interesse. Dass die habsburgischen Behçrden eine solche Vereinheitlichung von Recht und Verwaltungspraxis nicht anstrebten, ist einem fundamentalen Unterschied in der politischen Struktur der beiden Reiche geschuldet. Der çsterreichisch-ungarische Dualismus spaltete die Politik des Habsburgerreichs und die Regierungen Cis- und Transleithaniens agierten in inneren Angelegenheiten weitgehend unabhngig von der gemeinsamen Regierung. Die staatsrechtliche Struktur des Britischen Weltreichs war dagegen hierarchischer. Die Regierung in London hatte einen großen Einfluss auf die Politik der Kolonien und auch der selbstregierten Dominions. Seinen angehçrigkeitsrechtlichen Ausdruck fand dieser Unterschied darin, dass im britischen Fall ein Rechtsstatus alle Untertanen der britischen Krone zusammenfasste, whrend im habsburgischen Fall çsterreichische Staatsbrger ungarischen Staatsangehçrigen und bosnischen Landesangehçrigen gegenberstanden. Etatistische Neutralitt neben nationalstaatlichen und imperialistischen Logiken Trotz dieses Unterschieds zeigten die beiden Imperien im spten 19. Jahrhundert grundlegende hnlichkeiten. Der Umgang mit ethnischen Differenzen im Innern war in beiden Fllen von einem Nebeneinander unterschiedlicher Logiken der Rechtsentwicklung geprgt, wobei das Prinzip der ethnischen Neutralitt zumindest auf der Ebene der Gesetzgebung vorherrschte. Die çsterreichischen Behçrden betrieben eine deutlich etatistisch geprgte Politik der supra-ethnischen Gleichbehandlung. Das ungarische Recht ent1 Fr kartografische Abbildungen der beiden Imperien s. Karten 3 und 5.

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wickelte sich dagegen entsprechend der nationalstaatlichen Logik, wobei im 19. Jahrhundert ein ethnisch-inklusiver, Differenzen berwçlbender Nationsbegriff dominierte. In Bosnien und der Herzegowina implementierte die Landesregierung schließlich ebenfalls etatistisch-neutrale Prinzipien. Lediglich in der imperialen Gesamtkonstellation zeigten sich imperialistische Zge, insofern als die Bewohner Bosniens rechtlich schlechter gestellt waren als Ungarn und sterreicher. In hnlicher Weise standen im Britischen Weltreich eine etatistische Logik ethnischer Neutralitt im Vereinigten Kçnigreich, zunchst ethnisch-inklusive, nationalstaatliche Denk- und Handlungsmuster in Kanada und eine ambivalente etatistisch-imperialistische Logik in Indien nebeneinander. Aus dieser Konstellation ergaben sich verschiedene Auseinandersetzungen zwischen den Verfechtern der ethnischen Neutralitt und den Vertretern einer ethnisch-exklusiven und „rassisch“ diskriminierenden Politik. In Indien fçrderte die gescheiterte Novellierung des Strafprozessrechts diesen Konflikt zutage. In Ostafrika prgten hnliche Meinungsverschiedenheiten die Auseinandersetzungen zwischen der bis 1905 vom Foreign Office geleiteten Administration und den „europischen“ Siedlern um den gleichsam angemessenen Grad der Diskriminierung. Und in Kanada zeigten sich dieselben Konfliktlinien im Widerstand der Bundesregierung gegen die rassistisch diskriminierende Gesetzgebung British Columbias. Insbesondere fr die indischen Untertanen der britischen Krone kristallisierte sich im ausgehenden 19. Jahrhundert ein deutlicher Widerspruch zwischen dem Gleichheitsversprechen von 1858 und der „rassisch“ exklusiven Einwanderungspolitik der Dominions heraus. Die Londoner Regierung versuchte dabei zumindest formal und mit immer weniger Erfolg, an ethnischneutralen Prinzipien festzuhalten. Die britische Rechtsentwicklung war im spten 19. Jahrhundert insofern von einem Erstarken imperialistisch-diskriminierender Mechanismen unter einer ethnisch-neutralen Oberflche geprgt. Unterschiedliche Traditionen der Rechtsbegriffe „subject“ und „Staatsbrger“ Dass im britischen Recht die gleichsam subkutanen Diskriminierungsmechanismen innerhalb des ethnisch heterogenen Angehçrigenverbandes strker ausgeprgt waren als im habsburgischen Fall, hing auch mit den unterschiedlichen Rechtstraditionen zusammen, aus welchen die jeweiligen Termini fr die Staatsangehçrigen – „British subjects“ und „çsterreichische Staatsbrger“ – stammten. Das Prinzip der rechtlichen Gleichheit aller Staatsangehçrigen, das im kontinentalen Verstndnis zumindest eine theoretische Schranke fr Diskriminierungen bildete, war im britischen Recht nicht verankert. Die britische Tradition wurde explizit als Gegenpol zum modernen, na247

poleonisch geprgten Recht in Frankreich dargestellt. Britische Rechtstheoretiker betonten, dass der Begriff des Brgers („citizen“) dem britischen Recht fremd sei, das stattdessen den Begriff Untertan („subject“) verwende. Das rçmische Recht, auf das der Code Napoleon zurckgriff, bildete die wesentliche Folie, von der man die britische Rechtstradition abgrenzte. Das Common Law wurde demgegenber als feudal und christlich geprgtes Recht verstanden. Deswegen spreche es von „allegiance“ im Sinne der feudalen Beziehung zwischen Kçnig und Untertan, innerhalb derer der eine schtzt und der andere gehorcht, und eben nicht von „citizenship“. Aus ebendiesem Grund verleihe der Status des britischen Untertanen an sich keine weiterreichenden brgerlichen, politischen und sozialen Staatsbrgerrechte, sondern nur den Anspruch auf Protektion, whrend andererseits den Untertanen außer dem Gehorsam keine weiteren Pflichten auferlegt wrden.2 Das çsterreichische Recht verwendete dagegen ganz bewusst den Begriff des „Staatsbrgers“.3 Das ABGB von 1811 hnelte deutlich dem rçmischen Vorbild und dem napoleonischen Pendant. Es war Teil der Josephinischen Modernisierungsbestrebungen, die darauf zielten, die rechtliche Gleichheit aller Staatsbrger gegen die Tradition stndischer Unterscheidungen durchzusetzen. In genau diesem Sinn folgten auch die Staatsgrundgesetze von 1867 dem gleichsam „republikanischen“ Modell, allerdings unter etatistischen, nicht-nationalstaatlichen Vorzeichen und im Rahmen einer konstitutionellen Monarchie. Sie sicherten allen çsterreichischen Staatsbrgern die gleichen staatsbrgerlichen Rechte zu und verpflichteten alle gleichermaßen zum Wehrdienst. Auch das ungarische Recht war in der Ausgleichsperiode von diesem Modell geprgt. Aufgrund der großen Bedeutung dieser Rechtstradition schwang in den Bezeichnungen der bosnisch-herzegowinischen Landesangehçrigen als „Reichsbrger minderen Rechts“ oder „Brger zweiter 2 Salmond. Henriques. Hart. Aus der feudalen Logik heraus wurde auch das britische ius soli erklrt. Die feudale Prgung des subject-Begriffs im Gegensatz zum modernen, mit dem Prinzip der Volkssouvernitt verknpften Staatsbrgerbegriff betonen auch Cesarani, The Changing Character, S. 58 f. Harzig, S. 210. Hansen, S. 38. Zur christlichen Prgung des britischen Rechts s. den Paragraf „Religion“ in Kap. 5.2. Zur Unterscheidung zwischen „citizen“ und „subject“ s.a. Gorman, S. 19 f. Allerdings erscheint Gormans, S. 18, Formulierung von einem „hybrid citizenship model of subjecthood“ gerade vor diesem Hintergrund zumindest als unglcklich. 3 Burger, Passwesen und Staatsbrgerschaft. Den Unterschied zwischen der „staatsbrgerlichen“ und der „untertnigen“ Rechtsauffassung unterstreicht auch Komlosy, S. 25: „Whrend Großbritannien seine kolonialen Untertanen auch dann, wenn sie brgerliche Rechte erhielten, nicht als Staatsbrger in den Gesamtstaat aufnahm, war dies in der Habsburgermonarchie selbstverstndlich.“ Diese Formulierung zeugt in zweierlei Hinsicht von Komlosys habsburgischer Perspektive. Zum einen unterschlgt sie die Exklusion der bosnischen Landesangehçrigen von der Staatsbrgerschaft. Zum anderen bertrgt sie das kontinentale Egalitts-Modell auf das britische Recht, wodurch Verzerrungen entstehen. Die kolonialen Untertanen konnten gar nicht von der britischen „Staatsbrgerschaft“ ausgeschlossen werden, weil diese nicht existierte. Rechtlich waren die „nicht-weißen“ und die „weißen“ Untertanen der britischen Krone einander gleichgestellt. Allerdings verlieh der British subject status an sich weder diesen noch jenen irgendwelche staatsbrgerlichen Rechte.

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Klasse“ immer ein gewisses Unbehagen mit.4 Die Juristen betrachteten die rechtliche Diskriminierung der Bosnier als normwidrigen Zustand. Man war nur bereit, diesen zu tolerieren, weil die Egalisierung allein durch einen riskanten Umbau des staatsrechtlich ußert komplexen çsterreichisch-ungarischen Ausgleichsgebudes zu erreichen gewesen wre. Der Unterschied in der Tradition der Rechtsbegriffe, zwischen der Betonung des Treueverhltnisses zwischen Souvern und Untertan im britischen und der Hervorhebung der rechtlichen Gleichheit aller Staatsbrger im habsburgischen Fall war insbesondere fr die divergierenden Rechtsentwicklungen im frhen 20. Jahrhundert von entscheidender Bedeutung. Der Schutz der Staatsangehçrigenim habsburgischen Fall: Ethnische Neutralitt Die Behandlung der eigenen Staatsangehçrigen im Ausland war im Fall sterreich-Ungarns zunchst von einem Unterschied zwischen den beiden dualistischen Partnern geprgt. In Ungarn waren Recht und Politik nationalstaatlich geprgt und deswegen strker am Erhalt der Staatsangehçrigkeit im Ausland und an den ungarischen Auswanderern interessiert. In sterreich strebte man dagegen, der etatistischen Logik entsprechend, eine weitgehende Kongruenz von Staatsvolk und Wohnbevçlkerung an, weswegen sich die cisleithanische Regierung weniger um die Auswanderer kmmerte. Allerdings bestand auch bei der çsterreichischen und insbesondere bei der gemeinsamen Regierung ein Interesse an der Aufrechterhaltung des Kontakts zu den Emigranten, wenn es sich dabei um Wehrpflichtige handelte. Dieses etatistische Interesse an der Erfllung der Wehrpflicht verdeutlicht auch die administrative Praxis der k.u.k. Konsulate, die sich vor allem mit Einberufungen, Musterungen und „Stellungssachen“ beschftigten.5 Wie intensiv die Behçrden dieses Interesse verfolgten, zeigt beispielsweise der Fall des Berthold Hanl aus Bçhmen, der Ende des 19. Jahrhunderts mit der Musikkapelle eines gewissen Herrn Hirsch in Sd- und Sdostasien unterwegs war. Insgesamt vier k.u.k. (General-) Konsulate befassten sich mit Hanls Stellungspflicht, nmlich die in Bombay, Rangoon, Calcutta und Singapur.6 Die militrische Erfassung durch die k.u.k. Vertretungsbehçrden betraf alle mnnlichen Staatsangehçrigen gleichermaßen und unabhngig von ihrer ethnischen Zugehçrigkeit. Mit dem Verweis auf dieses Prinzip der ethnischen Neutralitt reagierte auch die ungarische Regierung 1910 auf Beschwerden in Jerusalem ansssiger jdischer Ungarn, denen das Konsulat die Ausstellung neuer Psse verweigert hatte. Das Ministerium antwortete auf diese Be4 Schmid, S. 30. K.u.k. Finanzminister Buri n in der Sitzung des gemeinsamen Ministerrates, 27.9. 1918. Komjthy, S. 663. 5 Wien, HHStA, Konsulat Jerusalem, Ktn. 146. s.a. ebd., Md, Adm. Reg., F 8, Ktn. 140 und 141. 6 Wien, HHStA, Md, Adm. Reg., F 8, Ktn. 204, 46707 – 1899.

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schwerden, dass die neuen Passbestimmungen dem Interesse der Wehrpflicht dienten und fr alle Staatsangehçrigen gleichermaßen glten. Auch die israelitische Gemeinde in Jerusalem kçnne davon nicht ausgenommen werden.7 Die k.u.k. Vertretungsbehçrden in den USA arbeiteten ebenfalls mit Nachdruck daran, dass alle sich dort aufhaltenden çsterreichischen und ungarischen Staatsangehçrigen ihre Dienstpflicht erfllten. Allerdings erleichterte das Prinzip ethnischer Neutralitt diese Arbeit mitnichten. Auf einer Konsulatskonferenz wies man 1911 darauf hin, dass es „national einheitlichen Staaten“ leichter falle, die Wehrpflicht durchzusetzen. Fr das national uneinheitliche Habsburgerreich seien „nationale Vereine“ dagegen wenig hilfreich. Diese trgen zwar zur „zeitweisen Erhaltung der nationalen Eigenart unserer Auswanderer“ bei, seien aber als „Pflegesttten fr die Brgerpflichten dem Heimatlande gegenber“ nicht geeignet.8 Die Praxis der k.u.k. Vertretungsbehçrden war also entscheidend von supra-nationalen militrischen Interessen des Staates geprgt, folgte dem Prinzip der ethnischen Neutralitt und betrachtete nationale Kohsionskrfte mit Skepsis. Auch beim Schutz und der Untersttzung der eigenen Staatsangehçrigen im Ausland verfuhren die habsburgischen Behçrden ethnisch-neutral. Zumindest finden sich fr das spte 19. Jahrhundert kaum Hinweise auf ethnische Differenzierungen. Im Gegenteil, auch und gerade jdische sterreicher und Ungarn genossen im Ausland den vollen Schutz der k.u.k. Regierung. Die habsburgischen Vertretungsbehçrden behandelten diese Gruppe, die in sterreich-Ungarn hufig alltglichen Diskriminierungen ausgesetzt war und deren rechtliche Exklusion Reichsratsabgeordnete forderten und niedere Behçrden praktizierten, weitestgehend gleichberechtigt. In den siebziger Jahren versuchten trkische Behçrden infolge eines 1869 verabschiedeten Gesetzes, die Personalhoheit ber einige çsterreichisch-ungarische Schutzgenossen, die im Osmanischen Reich lebten, zu beanspruchen. Das k.u.k. Außenministerium und die Vertretungsbehçrden widersetzten sich diesen Bestrebungen, welche zu einem Verlust rechtlicher Privilegien aufseiten der Betroffenen gefhrt htten.9 In dieser Situation wahrte die gemeinsame Regierung die Interessen aller Schutzgenossen gleichermaßen. Diese Gruppe war ethnisch mindestens ebenso heterogen wie die Bevçlkerung des Habsburgerreichs und umfasste zahlreiche Juden.10 Die Schutzgenossenschaft war eine Rechtsposition, die sich aus den Vorrechten ergab, welche die trkische Regierung innerhalb ihres Territoriums den europischen Großmchten zugestand. Insbesondere nicht-muslimische Personen, welche die europischen Mchte als ihnen zugehçrig betrachteten, 7 Ebd., Ktn. 140, Bericht des k.u.k. Konsuls in Jerusalem, 25. 7. 1910, und Antwort des k.u.k. Außenministeriums, 7.12.1910. 8 Ebd., Ktn. 268, Protokoll der Konferenz der k.u.k. Konsuln in den USA, 1911. 9 Wien, HHStA, Md, Adm. Reg., F 57, Ktn. 9. 10 Dazu s. den folgenden Paragraf „Die ethnische Heterogenitt der bei den k.u.k. Konsulaten registrierten Personen“.

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genossen aufgrund dessen eine im Vergleich zur sonstigen osmanischen Bevçlkerung privilegierte Rechtsstellung. Nicht alle Schutzgenossen waren zugleich çsterreichische oder ungarische Staatsangehçrige. Im Jahr 1871 baten die trkischen Behçrden das Konsulat in Rustschuk (heute: Russe in Bulgarien) um ein Verzeichnis der „im Vilajete befindlichen k.u.k. Staatsangehçrigen und Unterthanen de facto“. Bei allen Personen, die den çsterreichischungarischen Schutz genossen, sollte die Rechtmßigkeit des Protektionsanspruchs berprft werden.11 Da „diese Maßregel … fr die Schutzbefohlenen leicht zum Schaden ausschlagen kann“, verwehrte der Konsul die Bitte. Stattdessen forderte er seine Vorgesetzten auf, deutlich zu machen, dass die Entscheidung ber die Zugehçrigkeit von mit Botschaftspssen ausgestatteten Personen nicht in der Kompetenz der trkischen Behçrden lge. Die k.u.k. Regierung solle dafr sorgen, „dass die çsterr. Unterthanen de facto von der so schwierigen und lstigen Nachweisung ber ihre Descendenz von çsterr. Stammeltern befreit“ wrden. Daraufhin wiederholte das habsburgische Außenministerium seine bereits 1869 gegenber der Hohen Pforte erhobene Forderung, die Rechtmßigkeit der Schutzgenossenschaft in Fllen, wo diese vor Inkrafttreten des trkischen Gesetzes bestand, zu akzeptieren. Außerdem liege die Beweislast bei der trkischen Seite, wenn sie die Personalhoheit ber Personen beanspruche, die einen von den k.u.k. Behçrden ausgestellten Pass besaßen.12 Damit garantierte die çsterreichisch-ungarische Regierung allen Schutzgenossen im Osmanischen Reich ihre Privilegien und wich vom etatistischen Modell der Kongruenz von Wohnbevçlkerung und Staatsvolk ab, denn die „Descendenz von çsterr. Stammeltern“ sicherte Emigranten ber mehrere Generationen den habsburgischen Schutz im Ausland. Zugleich versuchte die k.u.k. Regierung mit dem Beharren auf den Privilegien ihrer Schutzgenossen, ihre vçlkerrechtlichen Vorrechte gegenber Konstantinopel und ihr internationales Prestige zu wahren. Im Interesse dieses Prestiges und im Namen eines frsorglichen Humanitarismus wurde die çsterreichische Regierung im spten 19. Jahrhundert mehrmals aufgefordert, Auswanderer und deren Interessen zu schtzen. Als es im Winter 1876/77 in Rumnien zu antisemitischen Pogromen kam, wurden auch mehrere çsterreichische Familien aus ihren Dçrfern vertrieben. Dabei handelte es sich um seit langer Zeit im Ausland ansssige Emigranten. Ein Abgeordneter beschrieb im Reichsrat „Jammer und Elend“ der Betroffenen und forderte im Interesse der „Machtstellung der Monarchie“ die Regierung auf, diese zu beschtzen.13 Auch die „Bedrckungen“ galizischer Arbeiter in 11 Wien, HHStA, Md, Adm. Reg., F 57, Ktn. 9. 12 Ebd., Konsulat in Rustschuk an k.u.k. Botschaft in Konstantinopel, 3.5. 1871, und k.u.k. Außenministerium an Hohe Pforte, 6.9.1869. 13 Abgeordnetenhaus des çsterreichischen Reichsrats, S. 8147 f, 20. 1. 1877, Interpellation Dr. Promber.

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Rumnien lieferten einen Anlass fr einen Appell an die Regierung, sich fr die Interessen çsterreichischer Staatsbrger im Ausland einzusetzen.14 Zwar resultierte aus diesen Forderungen keine allgemeine angehçrigkeitsrechtliche und politische Linie, die Auswanderer verstrkt in Schutz genommen htte. Die Beispiele zeigen jedoch, dass Emigranten verschiedener ethnischer Identitt Anspruch auf Schutz durch die k.u.k. Behçrden erheben konnten und dass ihnen diese Protektion auch gewhrt wurde. Vergleichsweise intensiv gestalteten sich die Schutzbemhungen der Behçrden im Kampf gegen den „Mdchenhandel“. Der folgende Fall verdeutlicht die Ambivalenz dieses Protektionsgedankens auf besondere Weise. Im Alter von 16 Jahren verließ Sara Friedmann das Haus ihrer Eltern in Galizien und kehrte nicht zurck. Einige Jahre spter, 1895, erreichte ihren Vater ein Brief aus Konstantinopel, in dem sie berichtete, wie sie entfhrt und „an den Bordellbesitzer Menasche Gottmann verkauft“ worden sei. Sie bat ihren Vater, „die zu ihrer Befreiung aus Kupplerhnden erforderlichen Schritte bei den zustndigen Behçrden zu veranlassen“. Außerdem klagte die Briefschreiberin ber Misshandlungen und beschuldigte einige niedere Beamte des k.u.k. Konsulats in Konstantinopel, mit dem Bordellbesitzer zusammenzuarbeiten. Insbesondere aufgrund dieser Anschuldigungen suchten die Behçrden intensiv nach Sara Friedmann und fanden sie schließlich im „çffentlichen Bordell des Moische Gottmann“. Allerdings und zur berraschung der Konsulatsbeamten erklrte sie, „mit ihrer Lage vollkommen zufrieden zu sein“. Sie habe, nachdem sie ihre Eltern verlassen hatte, Josef Goldstaub kennengelernt. Dieser habe sie fr 100 Mark nach Konstantinopel und dort in einem Bordell untergebracht. Nach ihren Angaben hatte Josef Goldstaub den Brief in ihrem Namen und ohne ihr Wissen nach Galizien geschickt. Sara Friedmann widersetzte sich der von den Behçrden betriebenen „Heimsendung der Prostituierten“, wobei sie auch einen angehçrigkeitsrechtlichen Trick anwandte. „Um sich der Jurisdiktion des k.u.k. Consulats zu entziehen schtzte sie vor, dass sie die ottomanische Staatsangehçrigkeit erlangt habe.“ Allerdings ließen sich die Vertretungsbehçrden von den entsprechenden Dokumenten nicht beeindrucken. Weil sie minderjhrig war, konnte Sara Friedmann ohne die Zustimmung ihrer Eltern die Staatsangehçrigkeit nicht wechseln. Schließlich wurde sie zwangsweise und unter Eskorte nach Galizien „befçrdert“.15 In 14 Wien, AVA, MdI, Allg., 8/1, Ktn. 357, 31594 – 1893 und 4068 – 1894, Bericht der Statthalterei in Lemberg, 1893, und des k.u.k. Botschafters in Rumnien, 1894. 15 Ebd., 35850 – 1895, 6864 – 1896 und 9765 – 1896. Zu einem hnlichen Fall einer galizischen Jdin, die von „Mdchenhndlern“ verschleppt wurde s. ebd., Ktn. 206, 40741 – 1902. Obwohl Anna Kçnigsberg durch ihre 1899 in Kapstadt geschlossene Ehe mit dem Russen Aaron Daniel ihre çsterreichische Staatsbrgerschaft verloren hatte, half ihr das k.u.k. Konsulat in Buenos Aires. Dorthin hatte sie ihr Ehemann gebracht, um im „Frauenhaus der Lisa Feldmann … 7 Monate von dem Schandlohne seines Weibes“ zu leben. Anders als Sara Friedmann wehrte sich Anna Kçnigsberg nicht gegen die Hilfe des Konsulats. Nachdem sie sich aus dem Bordell befreit hatte, untersttzte das Konsulat sie bei ihrer Scheidung. Zudem verçffentlichten die Vertretungsbe-

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Fllen von „Mdchenhandel“ schtzten die k.u.k. Behçrden jdische sterreicherinnen also auch gegen deren Willen und selbst dann, wenn ihre Staatsangehçrigkeit zweifelhaft war. Die ethnische Heterogenitt der bei den k.u.k. Konsulaten registrierten Personen Die Frage nach der Zweifelhaftigkeit oder umgekehrt nach dem sicheren Nachweis der çsterreichischen und ungarischen Staatsangehçrigkeit im Ausland verweist schließlich auf die Praxis der konsularischen Registerfhrung. Die Eintragung in die Register bildete die administrative Grundlage fr den Anspruch auf Protektion und war deswegen von ausschlaggebender Bedeutung. Da die habsburgische Zugehçrigkeit insbesondere im Osmanischen Reich Privilegien mit sich brachte, sollen im Folgenden die dortigen konsularische Register untersucht werden. Im Konsularbezirk Beirut und den nachgeordneten mtern in Aleppo, Damaskus, Zypern, Haifa, Tripolis und Jaffa waren laut einem „Untertanenverzeichnis“ von 1866 insgesamt 125 Personen registriert. Diese gehçrten alle der „israelitischen“ Konfession an. In Tunis und Tripolis waren im selben Jahr zwanzig katholische, eine protestantische, eine griechisch-orthodoxe und 45 israelitische Familien registriert, die den Namen nach zum berwiegenden Teil aus den italienischsprachigen Gebieten der Monarchie stammten.16 Fr das frhe 20. Jahrhundert ist ein Register aus Marokko berliefert. 1915 unterzogen die dortigen Behçrden die „Schutzliste“ einer Revision, als sich abzeichnete, dass die franzçsische Regierung die Kontrolle ber das Territorium bernehmen wrde. Diese Liste erfasste vor allem Bedienstete der k.u.k. Konsulate und Angestellte çsterreichischer und ungarischer Unternehmen. Dieses Register zeigt, dass auch muslimische Personen, die weder die çsterreichische noch die ungarische Staatsangehçrigkeit besaßen, die Protektion der k.u.k. Regierung genießen konnten.17 Die habsburgischen Vertretungsbehçrden gewhrten also diplomatischen Schutz unabhngig von der religiçsen Zugehçrigkeit der Betroffenen. Zudem waren sie aufgefordert, den Staatsangehçrigen im Ausland ihr Recht auf freie Religionswahl zu garantieren. 1880 beschftigte sich das k.u.k. Außenministerium in Wien mit der vom Konsulat in Karthum aufgeworfenen Frage, wie mit Staatsangehçrigen zu verfahren sei, die zum Islam konvertieren wollten. In einer Weisung stellte das Ministerium fest, dass es sowohl nach der çsterreichischen als auch nach der ungarischen Gesetzeslage „gar keinem Zweifel [unterliege], dass der bertritt des Angehçrigen einer der beiden Reichshçrden ein Foto von Aaron Daniel zusammen mit einer allgemeinen Warnung vor „Mdchenhndlern“. 16 Wien, HHStA, Md, Adm. Reg., F 57, Ktn. 5, Untertanenverzeichnisse 1861 – 1870, Trkei. 17 Ebd., Ktn. 42, 47751 – 1914, 3786 – 1916 und 5810 – 1917.

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hlften zum mohamedanischen Glauben den Verlust der Staatsbrgerschaft in keiner Weise nach sich ziehen kann.“18 Vielmehr sollten die Konsulate den trkischen Behçrden gegenber darauf bestehen, dass der Religionswechsel nicht den bertritt in die trkische Staatsangehçrigkeit zur Folge habe. Muslimischen sterreichern und Ungarn stnden dieselben rechtlichen Privilegien zu wie den christlichen oder jdischen Angehçrigen der Habsburgermonarchie. Außerdem sollten die k.u.k. Vertretungsbehçrden darauf achten, dass Konversionen zum Islam in den Matrikeln der inlndischen Gemeinde vermerkt wrden, in der die Konvertiten heimatzustndig waren. Dadurch wollte man sicherstellen, dass die rechtlichen Ansprche der bisherigen Religionsgemeinschaften an die bergetretenen mit der Konversion erloschen. Die Behçrden waren mithin verpflichtet, „solche Staatsbrger nçtigenfalls in ihrer freien Wahl zu schtzen“.19 Auch die Register des k.u.k. Konsulats in Jerusalem sind berliefert. Dort waren zunchst 205 (1896) çsterreichische und ungarische Staatsangehçrige, dann 98 (1905), 73 (1911) und 148 (1914) registriert. In etwa 80 bis 90 % der Flle handelte es sich dabei um Juden.20 Dass man in der ersten Dekade des 20. Jahrhunderts immer weniger Personen registrierte, kçnnte in einer laxeren Handhabung der Registrierungspraxis sowohl seitens der Behçrden als auch seitens der Staatsangehçrigen begrndet gewesen sein. Zugleich kçnnte die Reduktion mit einer gewissen Skepsis der Behçrden gegenber zionistischen Einwanderern in Zusammenhang stehen. Die Intensivierung der Registrierungen im Jahr 1914 war direkt mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs verknpft. Dies verdeutlicht wiederum das Interesse der k.u.k. Regierung an Wehrpflichtigen im Ausland. Allein das Konsulat Jerusalem musterte in den Jahren nach dem Kriegsausbruch 22 ungarische und fnfzehn çsterreichische Staatsangehçrige (s. Abbildung 6).21 Dabei handelte es sich fast durchgngig um junge Mnner jdischen Glaubens. Dieser Befund belegt wiederum, dass die habsburgischen Behçrden im Ausland alle Staatsangehçrigen unabhngig von ihrer ethnischen und religiçsen Identitt sowohl hinsichtlich der Rechte als auch hinsichtlich der Pflichten gleich behandelten.

18 Wien, HHStA, Konsulat Jerusalem, Ktn. 141, Weisung des k.u.k. Außenministeriums, 3.5.1880. 19 Ebd. 20 Ebd., Ktn. 140 und 141. Die Zuordnung der Registrierten zum jdischen Glauben orientiert sich an den Vor- und Familiennamen der Betroffenen. 21 Ebd., Ktn. 146.

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Die k.u.k. Schutzgenossenschaft in Bulgarien: Tendenzen zur Exklusion von Juden Dennoch finden sich in den Quellen auch Belege fr die Wirksamkeit antijdischer Vorurteile innerhalb der habsburgischen Verwaltungspraxis. Gerade im Bezug auf die Wehrpflicht war der Vorwurf weit verbreitet, dass „die Israeliten“ mehr als andere sterreicher und Ungarn versuchten, sich derselben zu entziehen. Als die Polizei 1891 einen in den USA eingebrgerten jdischen Emigranten aus Galizien bei einem Heimatbesuch wegen Verletzung der Wehrpflicht verhaftete, gaben die Behçrden auf eine Beschwerde der USBotschaft hin zwar zu, dass in diesem Fall „eine Verletzung des Staatsvertrages vom 20. September 1870 … unterlaufen“ sei. Sie rechtfertigten aber gleichzeitig das illegale Vorgehen der Polizei mit dem Verweis darauf, „dass insbesondere Israeliten aus Galizien durch Auswanderung sich sehr hufig der Wehrpflicht zu entziehen suchen“.22 Denselben Topos verwandte der k.u.k. Konsul in Rustschuk. Auf den Vorwurf der bulgarischen Regierung, dass sich dort ansssige und angeblich nach Bosnien zustndige Juden als çsterreichische Schutzgenossen widerrechtlich der Wehrpflicht entzçgen, reagierte der Konsul mit einem Verweis auf „die bekannte Abneigung der osteuropischen Judenschaft gegen die Erfllung der Wehrpflicht“.23 Der Vorwurf der bulgarischen Regierung stand in Zusammenhang mit Versuchen des jungen Nationalstaats, am Anfang der achtziger Jahre die Privilegien der k.u.k. Schutzgenossen zu beschneiden oder die Personalhoheit ber sie zu beanspruchen und sie zum Wehrdienst heranzuziehen. Ganz hnlich wie in den Auseinandersetzungen mit der trkischen Regierung Anfang der siebziger Jahre interpretierten die k.u.k. Vertretungsbehçrden dieses Vorgehen zunchst als Angriff auf das Prestige der Habsburgermonarchie. Sie beharrten auf ihrem Protektionsrecht und auf den Privilegien der Schutzgenossen.24 Im speziellen Fall der bosnisch-herzegowinischen Landesangehçrigen jdischen Glaubens allerdings, in dessen Kontext der k.u.k. Konsul ber die Eigenschaften der „osteuropischen Judenschaft“ rsonierte, entzogen die Vertretungsbehçrden und die Landesregierung in Sarajevo den betroffenen Personen 1884 auf dem Verwaltungsweg ihre çsterreichischen Psse. Sie gingen ihrer Privilegien als k.u.k. Schutzgenossen verlustig.25 Dennoch kam es auch in den folgenden Jahren immer wieder zu Konflikten 22 Wien, AVA, MdI, Allg., 8/1, Ktn. 357, 12786 – 1891 und 16676 – 1891, k.k. Justizministerium an k.k. Innenministerium, 18. 6. 1891, Bericht der Statthalterei Lemberg, 5.8.1891. 23 Wien, HHStA, Md, Adm. Reg., F 61, Ktn 20, 2730 – 1884, k.u.k. Gesandtschaft in Sofia an k.u.k. Außenministerium, 24.1.1884. 24 Ebd., 1228 – 1882, k.u.k. Botschafter in Sofia an k.u.k. Außenministerium, 1.1.1882. s.a. ebd., 16190 – 1882. 25 Ebd., 2730 – 1884 und 4295 – 1884, k.u.k. Gesandtschaft in Sofia an k.u.k. Außenministerium, 24. 1. 1884, k.u.k. Finanzministerium, Abteilung fr Bosnien und Herzegowina, an k.u.k. Außenministerium, 18.2.1884. s.a. ebd., 29430 – 1885 und 1228 – 1886.

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zwischen der bulgarischen Regierung und den k.u.k. Vertretungsbehçrden um die Privilegien der çsterreichisch-ungarischen Schutzgenossen. 1911 beendete die çsterreichisch-bulgarische Konsularkonvention die Schutzgenossenschaft schließlich gnzlich. Diejenigen Schutzgenossen, die weder die çsterreichische noch die ungarische Staatsangehçrigkeit besaßen, verloren dadurch jeglichen Anspruch auf Protektion durch die k.u.k. Behçrden. Um das zu verhindern, bemhte sich die Botschaft in Sofia, untersttzt vom k.u.k. Außenministerium, um die Einbrgerung der Betroffenen in Cisleithanien. Sie schickte eine Liste nach Wien, auf der 41 Familien und Einzelpersonen verzeichnet waren, die sich um die Naturalisation bewarben. Die meisten davon waren jdischen Glaubens oder jdischer Herkunft.26 Aber das k.k. Innenministerium reagierte wenig kooperativ auf diese Anfrage. Letzten Endes verloren die ehemaligen Schutzgenossen jeglichen habsburgischen Zugehçrigkeitsstatus.27 Zwar waren die Vertretungsbehçrden teilweise auch nach 1911 noch bemht, die Betroffenen gegen Ansprche seitens der bulgarischen Regierung zu schtzen. Aber letztlich kam man zu dem Schluss, dass man den „Konflikt mit den bulgarischen Behçrden, in welchem wir ja doch den Krzeren ziehen wrden“, nicht riskieren sollte. Es wre „mit unserem Ansehen jedenfalls besser vereinbar, solche Elemente rechtzeitig aus freien Stcken abzustoßen“.28 Dieser Umgang der çsterreichisch-ungarischen Behçrden mit der Schutzgenossenschaft in Bulgarien belegt, dass die Verwaltungspraxis mitunter zur angehçrigkeitsrechtlichen Exklusion von Juden tendierte. Allerdings resultierte daraus kein allgemeines Abrcken vom Prinzip ethnischer Neutralitt. Im Gegenteil, das gemeinsame Außenministerium sowie die meisten Diplomaten und konsularischen Beamten bemhten sich intensiv um die betroffenen Schutzgenossen. Diese Bemhungen scheiterten letztlich am Widerstand und an der mangelnden Kooperationsbereitschaft der inlndischen Behçrden. Die gemeinsame Regierung und die meisten Auslandsvertretungen hielten jedoch bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs am Prinzip ethnischer Neutralitt fest. Die habsburgischen Behçrden betrieben dort, wo das Reich in seiner Gesamtheit nach Außen auftrat, also auf der imperialen Ebene, eine ethnisch-neutrale Politik. 26 Wien, HHStA, Md, Adm. Reg., F 57, Ktn. 42, 44405 – 1911. Die Liste umfasst Personen mit romani, armenisch, georgisch, serbisch, griechisch, italienisch und rumnisch klingenden Nachnamen. 27 Ebd., 60789 – 1911, k.k. Innenministeriums an k.u.k. Außenministerium, 19.9.1911. 28 Ebd., Beilage zum Bericht No. 1182/A der k.u.k. Botschaft in Konstantinopel, 16.3.1918. Anfang 1918 berlegten die Behçrden, wie sie mit den in Bulgarien sich aufhaltenden Armeniern verfahren sollten, die in der Trkei die çsterreichisch-ungarische Schutzgenossenschaft besaßen. Da diese seitens der trkischen Behçrden – gelinde gesagt – kein Wohlwollen erwarten konnten, schlug der k.u.k. Botschafter in Konstantinopel in diesem Fall „eine etwas weniger rigorçse Behandlung“ vor und empfahl „ihnen das Einschreiten um die Zuerkennung der çsterr. oder ungar. Staatsangehçrigkeit“ zu ermçglichen. Ebd., Brief an das k.u.k. Außenministerium, 16.3.1918.

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Abb. 6: Fotografien çsterreichischer und ungarischer Stellungspflichtiger in Jerusalem, 1914 – 1916, aus: Wien, HHStA, Konsulat Jerusalem, Ktn. 146.

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Karte 3: Das Habsburgerreich als Konglomerat von Territorien: Karte der çsterreichisch-ungarischen Monarchie, 1911, aus: Wien, HHStA, Kartensammlung

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Die British protected persons: einschließende Ausschließung von „Nicht-Weißen“ Die protected persons bildeten das rechtliche quivalent der habsburgischen Schutzgenossen im britischen Fall. Beide Rechtsinstitute wurzelten in den Privilegien fr Nicht-Muslime und in den Vorrechten der europischen Mchte im Osmanischen Reich. Interessanterweise reflektiert die Geschichtsschreibung zum habsburgischen Fall diesen Ursprung zumeist, whrend die Forschung zum britischen Fall ihn kaum erwhnt. Das liegt vor allem daran, dass die Schutzgenossenschaft sich gleichsam zusammen mit dem Osmanischen Reich langsam auflçste, wohingegen die Figur der British protected person im ausgehenden 19. Jahrhundert re-interpretiert wurde. Als minderprivilegierter britischer Angehçrigkeitsstatus erlangte sie nach der Jahrhundertwende große Bedeutung. Dabei kongruierte die Unterscheidung zwischen British subjects und protected persons weitgehend mit ethnischen Grenzziehungen. Im Foreign Jurisdiction Act von 1890 fasste der Begriff British protected person alle im Ausland den Schutz der britischen Krone genießenden Personen zusammen. Diese Definition funktionierte unabhngig von ethnischen Differenzierungen und entsprach der lteren Rechtstradition ethnischer Neutralitt im 19. Jahrhundert. Noch in den neunziger Jahren sprach ein Memorandum des britischen Außenministeriums in diesem Sinn von „Persons under British protection, styled, ,British-protected persons‘“. Zwar betonte dieses Schriftstck, dass die britischen Protegs „are not entitled to British nationality“, also keine britischen Untertanen seien. Zugleich unterstrich es aber den vçlkerrechtlichen, allein auf den diplomatischen Schutz im Ausland bezogenen Charakter dieses Rechtsstatus: „,British-protected persons‘ … are placed under British protection on account of certain local circumstances … and in virtue of certain Treaties, Capitulations, or usages.“ Problematisch war die Protektion dieser Personen vor allem in der Trkei, in gypten und in Marokko. Allerdings war man im britischen anders als im habsburgischen Fall schon in den neunziger Jahren zur Auflçsung dieses Rechtsstatus im osmanischen Kontext bereit. Den Versuch der trkischen Regierung, mit dem Staatsangehçrigkeitsgesetz von 1869 die Personalhoheit ber die Protegs der europischen Mchte zu erlangen, betrachteten die britischen Behçrden weitgehend als legitim. Das Memorandum stellte fest, dass man bisher zu vielen Personen die britische Protektion zugestanden habe. Mittelfristig sollten die Behçrden ihre Zahl durch eine Vernderung der Registrierungspraxis einschrnken. Deswegen betonte das Memorandum, dass der Anspruch auf britischen Schutz im Ausland nicht vererbt werden konnte. Nach dem Tod einer protected person sollten die Behçrden in Zukunft die Namen aller Familienmitglieder aus den Registern streichen. Letztlich wollte man nur noch Angestellte der britischen Regierung und nur fr die Dauer ihres aktiven Dienstes registrieren. Auf dem Protektionsanspruch der 259

bereits Registrierten sollten die Behçrden zwar bestehen. Aber falls die trkischen Behçrden in einzelnen Fllen die Legitimitt des Anspruchs in Zweifel zçgen, waren die britischen Vertretungsbehçrden angewiesen, nicht auf ihrem Protektionsrecht zu beharren, sondern im Regelfall den Betroffenen den Status einer British protected person zu entziehen.29 Gleichzeitig erwhnte das Memorandum auch die Dimension des Rechtsbegriffs, die nach der Jahrhundertwende die ltere, vçlkerrechtliche Definition berlagern sollte: „natives of States or places under British protection, such as the British spheres of influence in Africa, are also British-protected persons“. Allerdings, so das Foreign Office in den neunziger Jahren, stelle der Rechtsstatus dieser Personen bisher ein rein theoretisches Problem dar.30 Das war jedoch nicht ganz zutreffend, denn es gab im ausgehenden 19. Jahrhundert durchaus Diskussionen ber den Rechtsstatus von in britischen Protektoraten geborenen Personen. Diese Frage stellte sich paradoxerweise vor allem im Vereinigten Kçnigreich. Wenn aus den indischen Frstenstaaten stammende Personen dort die Einbrgerung beantragten, musste man nmlich klren, ob sie als aliens oder als British subjects zu behandeln waren.31 In einem solchen Fall von 1889/90 trafen die britischen Behçrden bewusst keine Entscheidung ber den angehçrigkeitsrechtlichen Status des Betroffenen und platzierten die Angehçrigen der Frstenstaaten in einem ambivalenten Raum zwischen „subjects“ und „aliens“, also zwischen Angehçrigkeit und NichtAngehçrigkeit oder „between two stools“.32 Zehn Jahre spter tauchte das Problem erneut auf. 1901 hielt ein Memorandum aus dem Home Office allerdings in deutlicheren Worten fest, dass „Birth in a British Protectorate is not equivalent as regards nationality to Birth in British Dominions“.33 Diese Rechtsauffassung war nicht unumstritten. So hieß es beispielsweise in einem Kommentar zum britischen Staatsangehçrigkeitsrecht von 1906: „A person, though not born in a place over which the King of England exercises direct sovereignty, if he is born in the dominions of a prince subject and doing homage to the King of England, is born within the King’s allegiance, and therefore a naturalborn subject and no alien; … such is … the condition of the subjects of the feudatory princes of India.“34 29 London, PRO, FO 881/6882, Memo on Nationality and Protection, Sir H. Bergne, 14. 10. 1892, revised in accordance with latest enactments, Mr. E. C. Hertslet, 30. 10. 1896, printed for the use of the Foreign Office, April 1897. 30 Ebd. 31 Dazu s. Paragraf „Der ambivalente Rechtsstatus der Angehçrigen der indischen Frstenstaaten“ in Kap. 2.2. 32 London, IOR, L/PJ/6/269, file 160, Glosse zum Einbrgerungsantrag von Kumar Bhabendra Narayan. 33 London, PRO, HO 144/462/B32357, Memo zur Naturalisation von K. S. Ranjitsinghi, Mr. Longley, 26.7.1901. 34 Henriques, S. 31. Interessanterweise vergleicht Henriques den angehçrigkeitsrechtlichen Status der Angehçrigen der indischen Frstenstaaten mit der frheren Position der Waliser im eng-

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Allerdings bestimmte die vom Home Office vertretene Position die angehçrigkeitsrechtliche Praxis. Die Juristen des India Office vertraten dieselbe Auffassung. 1899 stellten sie fest, dass Territorien, in denen die britische Regierung de facto die Souvernitt ausbte, trotzdem solange als Ausland zu betrachten seien, bis sie formell annektiert und in die „dominions of the Crown“ inkorporiert wrden.35 Die in diesen Protektoraten Geborenen waren „aliens for the purposes of English law … whatever may be their claims to protection under the Foreign Jurisdiction Act or otherwise“.36 Sie waren also einerseits Auslnder, hatten aber andererseits im Ausland denselben Anspruch auf diplomatischen Schutz wie britische Untertanen. Deswegen empfahl das Home Office Memorandum von 1901, auf einen gleichlautenden Vorschlag des Governor General of India von 1898 verweisend, den in den Protektoraten geborenen Personen gesetzlich den angehçrigkeitsrechtlichen Status von British protected persons zuzuweisen. Dieser Vorschlag wurde damals nicht realisiert. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg fand der Begriff der protected person Eingang in die britischen Staatsangehçrigkeitsgesetze – brigens ziemlich genau in der bereits 1901 skizzierten Definition. Dennoch verdeutlicht die Debatte, wie sich der Terminus der British protected person allmhlich aus dem osmanischen Kontext heraus lçste und in eine Kategorie fr die Angehçrigen der britischen Protektorate verwandelte. Dass die in den Protektoraten Geborenen keine British subjects waren, stellten auch die Law Officers fest, als sie sich zur Frage der Gltigkeit des ius soli in Ostafrika ußerten.37 Dabei machten sie deutlich, dass dieses Prinzip im Willen zum Ausschluss der „natives“ vom Untertanenstatus begrndet war : „It has not yet been thought expedient to confer the status of British subjects upon the natives of Protectorates.“38 Weder in Ostafrika noch in Indien hatten die „natives“ aus den Protektoraten und den Protected States also Zugang zum privilegierten britischen Untertanenstatus. Gleichzeitig sorgten Gesetzgebung und Verwaltungspraxis auf verschiedene Weisen dafr, dass „weiße“ British subjects und ihre Nachkommen in

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lischen Recht: „such was in former days the status of the Welsh, whose princes did homage to the King of England, until the time when their whole country was annexed in the reign of Edward I. … for ,whosoever is born within the fee of the King of England, though it be in another kingdom, is a natural-born subject‘ (7 Rep. 21b; Vaugh. 281.).“ London, PRO, HO 144/462/B32357, Memo by the Lords of the Judicial Committee of the Council of the Secretary of State for India, 27.1.1899. In ihrer Argumentation verwiesen die Lords auf den Fall „Staples vs the Queen“. In diesem wurde 1899 entschieden, dass ein British subject in einem Protektorat, in diesem Fall Matabeleland, nicht auf sein von der Magna Charta verbrieftes Recht auf ein Gerichtsverfahren mit Jury pochen kçnne, weil Protektorate auslndische Territorien bildeten. Ebd., Memo von Mr. Longley, 26.7.1901. Dazu s. Paragraf „Staatsangehçrigkeit, Geburtsregister und Einbrgerung” in Kap. 3.2. London, PRO, HO 45/10227/B36600, Law Officers an Foreign Office, Bericht von R. B. Finlay und Edward Carson, 5. 6. 1901, S. 3.

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denselben Territorien ihre britische Staatsangehçrigkeit und ihre rechtlichen Privilegien aufrecht erhalten konnten.39 Die Re-Interpretation der British protected person als minderprivilegierter Angehçrigkeitsstatus fhrte also zur rechtlichen Diskriminierung eines Großteils der „nicht-weißen“ Bevçlkerung des Britischen Weltreichs. Im selben Sinn wertet die Forschung die Einfhrung des Status der British protected person im Staatsangehçrigkeitsgesetz von 1948 ebenfalls als Ausdruck der Ethnisierung des Rechts und der Exklusion nach „rassischen“ Kriterien.40 Man kann also fr das frhe 20. Jahrhundert von einer ethnisch differenzierenden Neuaufladung des Begriffs der protected person und von einer Strkung rassistischer Diskriminierungsmechanismen im britischen Recht sprechen. Allerdings handelte es sich dabei nicht um eine einfache Exklusion, denn die Betroffenen wurden ja nicht zu Auslndern erklrt. Stattdessen wies man ihnen innerhalb des weiteren britischen Angehçrigenverbandes eine spezielle, minderprivilegierte Position zu. Dieser Mechanismus, den man in Anlehnung an Giorgio Agamben als „einschließende Ausschließung“ bezeichnen kann, stellt letztlich eine besonders radikale Form der Exklusion dar. Denn er verbannt die Betroffenen nicht in die Nicht-Zugehçrigkeit, sondern in einen Raum jenseits der Unterscheidung von Zugehçrigkeit und Nicht-Zugehçrigkeit. Damit stehen die protected persons gnzlich außerhalb der gngigen vçlkerrechtlichen Kategorien.41 Die zwischen Außen und Innen Ein/Ausgeschlossenen unterlagen zwar einerseits der vollen Personalhoheit der britischen Regierung, was die Durchsetzung der Wehrpflicht in Ostafrika belegt. Andererseits konnten sie aber ihre rechtlichen Ansprche gegenber derselben Regierung kaum durchsetzen, da sie keine britischen Untertanen waren. Einfacher gesagt, die inkludierend Exkludierten hatten alle Pflichten von Staatsangehçrigen zu tragen, genossen aber keine staatsbrgerlichen Rechte. Die Protektion der Untertanen: Ethnische Neutralitt auch im britischen Fall Die Aufladung des Begriffs der British protected person als Instrument rassistischer Diskriminierung weist bereits ins 20. Jahrhundert voraus. Die Quellen zum Umgang mit eigenen Staatsangehçrigen im Ausland im spten 19. Jahrhundert belegen dagegen, dass auch die britischen Behçrden, ganz hnlich wie die habsburgischen, bei der Vertretung der Interessen britischer Untertanen gegenber auslndischen Regierungen weitgehend ethnischneutral vorgingen. Das internationale Prestige der britischen Krone spielte 39 Dazu s. Paragraf „Das britische Staatsangehçrigkeitsgesetz von 1914“ in Kap. 6.1. und „Staatsangehçrigkeit, Geburtsregister und Einbrgerung“ in Kap. 3.2. 40 Dummett u. Nicol, Subjects. Cesarani, The Changing Character. Paul. 41 Agamben. Mit der Verwischung der Grenze zwischen Zugehçrigkeit und Nicht-Zugehçrigkeit eng verknpft war die Verunklarung des europischen Konzepts der Souvernitt im Kontext der indirekten kolonialen Herrschaft, die Pagden in rechtstheoretischer Perspektive beleuchtet.

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dabei eine große Rolle. Zwar verzichtete die britische Regierung weitgehend und freiwillig auf die Privilegien der British protected persons im Osmanischen Reich und setzte sich damit deutlich weniger fr diese ein als die k.u.k. Regierung fr ihre Schutzgenossen. Aber einerseits differenzierten die britischen Behçrden im Rahmen dieser Politik nicht nach ethnischen Kriterien. Andererseits waren die rechtlichen Privilegien der britischen Protegs gegenber der Hohen Pforte von geringer Bedeutung, weil London ber Protektorate und Kolonien ohnehin weite Teile des schrumpfenden Osmanischen Reichs im Mittelmeer, in gypten und auf der arabischen Halbinsel effektiv kontrollierte. Diese semi-koloniale Dominanz der britischen Krone im osmanischen Kontext war mit der christlich-muslimischen Differenz eng verknpft. Darum handhabten die britischen Behçrden Konversionen eigener Staatsangehçriger zum Islam mit deutlich weniger Gleichmut als die habsburgischen. Als am Morgen des 24. Juni 1882 der britische Untertan Guiseppe Idonio, vermutlich ein Malteser, zum Islam konvertieren wollte und sich – von zahlreichen gyptern begleitet – zur Moschee begab, herrschte große Aufregung in der Stadt Mansura im Nildelta. Der britische Konsul wandte sich umgehend an die gyptischen Behçrden und bat diese, die bevorstehende Konversionszeremonie zu unterbinden. Ihm sei, so berichtete er, nicht in erster Linie daran gelegen gewesen, Idonios bertritt zum Islam zu verhindern. Aber die große und aufgeregte Menschenansammlung habe eine Gefahr fr die çffentliche Ordnung dargestellt und die ortsansssigen „Europer“ htten ihn zum Eingreifen gedrngt. Am folgenden Tag wurde Idonio im Konsulatsgebude inhaftiert. Offensichtlich war er nicht von seinem Vorhaben abzubringen, Moslem zu werden. Daraufhin teilte der britische Konsul den Beschneidern mit, dass die Zirkumzision in Idonios Fall aufgrund seines Alters zum Tod fhren kçnne. Falls es dazu kme, wrde er sie persçnlich zur Verantwortung ziehen. Ob Idonio letztlich konvertierte, geht aus den Akten nicht hervor.42 Abgesehen von Einzelfllen nahmen die britischen Konsularbehçrden im spten 19. Jahrhundert jedoch eigene Untertanen weitestgehend unabhngig von deren ethnischer Identitt in Schutz oder versuchten dies zumindest. Drei Beispiele sollen diese These belegen. 1878 forderte der britische Konsul in Amoy (heute: Xiamen in China) unter Berufung auf die exterritoriale Jurisdiktion vergeblich die Herausgabe eines britischen Untertanen chinesischer Abstammung, den die çrtlichen Behçrden verhaftet hatten. In seinem Bericht markiert er sowohl seine eigene Beschtzerrolle als auch die Brutalitt der gegnerischen Partei auf deutlich orientalisierende Weise:

42 London, PRO, FO 926/17, Konsul in Mansura an britisches Vizekonsulat in Kairo, 24., 25. und 26.6.1882.

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„After some hours of expostulation he returned to the Consulate, and almost as he entered it a chair was set down at the door containing the corpse of the man he had endeavoured to save. He had been beaten to death in the Yamen.“43

Auf den ersten Blick weniger dramatisch wirkt das Engagement des britischen Konsuls Bennett in der franzçsischen Kolonie Reunion fr die dort lebenden Arbeiter aus Indien. In einer ausfhrlichen Korrespondenz mit der franzçsischen Kolonialverwaltung und dem Außenministerium in London setzte er sich 1889 nachdrcklich fr die Rechte der Immigranten. Diese waren als „indentured labourers“ auf die Zuckerrohrplantagen der Insel gekommen. Ihr rechtlicher Immigrantenstatus verpflichtete sie dazu, einem staatlich verwalteten Zwangsarbeitsmarkt zur Verfgung zu stehen. Bennett protestierte unter anderem gegen willkrliche Verhaftungen und intervenierte im Fall von zwei Frauen, die man gegen ihren Willen zur Arbeit zwang.44 Vor allem aber pochte er auf die Umsetzung des franzçsischen Staatsangehçrigkeitsgesetzes von 1889, das der zweiten, in der Kolonie geborenen Einwanderergeneration die franzçsische Staatsangehçrigkeit zugestand und sie rechtlich mit den anderen Inselbewohnern gleichstellte. Kolonialbehçrden und Plantagenbesitzer versuchten mit verschiedenen Mitteln, diese Egalisierung zu unterlaufen.45 Bennetts Engagement traf im India und im Foreign Office auf nur sehr geringe Kooperationsbereitschaft und bei der „europischen“ Bevçlkerung der Kolonie und den franzçsischen Behçrden auf offene Ablehnung. Trotzdem setzte sich der Konsul weiterhin, wenn auch mit mßigem Erfolg, und nach eigenen Angaben aus seinem Gerechtigkeitsgefhl heraus fr die indischen Einwanderer ein, denn „justice cares for none of these things“.46 Ein hufigeres Motiv fr den Schutz britischer Untertanen im Ausland stellte allerdings das internationale Prestige der britischen Krone dar. „The value and prestige of British nationality would considerably suffer“,47 frchtete ein britischer Konsulatsbeamter in Siam (heute: Thailand) im Jahr 1900, wenn die britischen Behçrden die rechtlichen Privilegien ihrer Untertanen aus Indien, Burma, den malaysischen Staaten und dem Vereinigten Kçnigreich nicht gegenber der çrtlichen Verwaltung durchsetzten. Auch in Siam hielten die Behçrden dabei zunchst an ethnisch-neutralen Prinzipien fest. Erst im 43 Ebd., FO 228/2156, Correspondence resp. British Protection to Anglo-Chinese in China, 1878 – 86. 44 London, IOR, L/PJ/6/387B, file 2118, Konsul Bennett an Foreign und India Office, November 1894, und an den Gouverneur von Reunion, August 1894. 45 Dieses Beispiel verdeutlicht auch, wie der von Brubaker, Citizenship, behauptete politischinklusive Charakter des franzçsischen Gesetzes in der kolonialen Praxis in sein Gegenteil verkehrt wurde. 46 London, IOR, L/PJ/6/387B, file 2118, Konsul Bennett an den Gouverneur von Reunion, 11.9.1894. 47 London, PRO, FO 881/8295, Bericht von Mr. Lyle anlsslich einer konsularischen Visite in Phre (Siam), November 1900.

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frhen 20. Jahrhundert implementierte man stattdessen eine ethnisch diskriminierende Politik. Zusammenfassung: Ethnische Neutralitt als prgendes Prinzip Fr das spte 19. Jahrhundert kann man also vor allem hnlichkeiten zwischen dem britischen und dem habsburgischen Fall feststellen. Bei der Behandlung und der Protektion der eigenen Staats- und Schutzangehçrigen folgten die Behçrden auf beiden Seiten des Vergleichs weitgehend ethnischneutralen Prinzipien. In beiden Fllen begrndete man dieses Vorgehen wiederholt mit dem Verweis auf das internationale Prestige. Die ethnische Neutralitt der diplomatischen und konsularischen Praxis war also vor allem einem Protektions- und Souvernittsmodell geschuldet, das man alteuropisch nennen kçnnte. Vçlkerrechtliche Fragen und zwischenstaatliche Beziehungen standen dabei im Zentrum. Fr dieses Denk- und Handlungsmuster war allein der formal-rechtliche Status einer Person ausschlaggebend. Die ethnische Identitt blieb dagegen weitgehend bedeutungslos. Insofern kann man auch von der Wirksamkeit einer etatistischen Logik in beiden Fllen sprechen. Denn die ethnische Neutralitt bildete kein Mittel zur nationalstaatlichen Integration einer multi-ethnischen politischen Einheit, sondern resultierte vielmehr aus einem Beharren auf lteren administrativen und diplomatischen Traditionen. Zur etatistischen Logik passt auch die Betonung militrischer Interessen im habsburgischen Fall. Im Britischen Weltreich, wo es keine allgemeine Wehrpflicht gab, fehlte diese. Dort verfolgten die Konsularbehçrden eher çkonomische Interessen, die sich aus globalen Arbeitsmigrationen und Handelsbeziehungen ergaben. Signifikante Unterschiede gab es auch beim Umgang mit religiçs-konfessionellen Differenzen. Whrend die habsburgische Praxis dem skularen Prinzip der freien Religionswahl folgte, war der britische Untertanenstatus enger mit der Zugehçrigkeit zum Christentum verknpft. Im Fall „europischer“ Untertanen fhrte dies zu behçrdlichen Versuchen, Konversionen zum Islam zu verhindern. Diese Praxis verweist wiederum auf die christlich-feudalen Wurzeln des Begriffs subject, der entsprechend der Tradition des Common Law nicht auf staatsbrgerliche Gleichheit hin angelegt war. Damit ist ein weiterer zentraler Unterschied zum çsterreichischen Fall angesprochen. Diese divergierenden Begriffstraditionen sind fr die Analyse der Entwicklungen nach der Jahrhundertwende von großer Bedeutung.

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Karte 4: Territoriale Segregation von „natives“, „forests“ und „europischen“ Siedlern: „The Colony and Protectorate of Kenya“, 1921 (Ausschnitt), aus: London, PRO, CO 1047/140.

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Karte 5: Das Britische als maritimes Weltreich: Karte des British Empire, 1895, aus: The Times Atlas, London 1895, S. 7 f.

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5.2. Ethnische Unterschiede und religiçse, soziale sowie geschlechtliche Differenzen Bevor sich die Untersuchung der weiteren Entwicklung von Recht und administrativer Praxis im frhen 20. Jahrhundert widmet, soll das Verhltnis zwischen ethnischen und anderen Unterscheidungskriterien zur Sprache kommen. Die Analyse zielt zwar in erster Linie auf die Mitte der großen Differenzen-Trias Klasse, Ethnizitt und Geschlecht. Aber diese Kategorien waren oft miteinander verknpft. Zudem spielten neben der im britischen Fall ausschlaggebenden Hautfarbe und der im habsburgischen Kontext entscheidenden Sprache auch Religion und Konfession eine große Rolle. Deswegen soll im Folgenden das Verhltnis zwischen ethnischen und religiçsen, sozialen und geschlechtlichen Differenzen ausgelotet werden. Dieses Verhltnis kann man zunchst als Nicht-Zusammenhang oder als Nebeneinander beschreiben. Diesem Verstndnis entsprechend betrachten einige Forschungen die verschiedenen Differenzschemata als analytisch trennbar. Je nach thematischem, regionalem oder historischem Kontext war demzufolge entweder die eine oder die andere Unterscheidung ausschlaggebend. In diesem Sinn argumentieren einige, dass in der kolonialen Situation die „rassische“ Differenz den Geschlechterunterschied berlagerte, was zur rechtlichen Gleichstellung „weißer“ Frauen und Mnner und zur rassistischen Aufladung geschlechterpolitischer Forderungen beitrug.48 Andere interpretieren das koloniale Projekt als Export sozialer Hierarchien aus der Metropole in die Peripherien, wo die Standesunterschiede gleichsam in „rassische“ Diskriminierungen bersetzt wurden.49 Eine weitere Forschungsrichtung geht davon aus, dass in unterschiedlichen Perioden jeweils andere Differenzkategorien zentral waren. Ihre Vertreter beschreiben, wie nationale Unterscheidungen religiçse oder soziale Distinktionen als dominierende Differenzierungs- und Hierarchisierungsmuster historisch abgelçst haben. So verfhrt die hufig vertretene These, dass durch die Ethnisierung und Politisierung religiçser Unterschiede ethno-nationale Identitten entstanden und an Bedeutung gewannen.50 Die neuere Forschung betont demgegenber strker die Gleichzeitigkeit und Untrennbarkeit der Kategorisierungen nach Geschlecht, Klasse, Ethni-

48 Zur Rolle rassistischer Vorstellungen in der „europischen“ Frauenbewegung in den Kolonien s. Terborg-Penn. Wildenthal. 49 Cannadine. 50 Im Vergleich zwischen Bosnien und Indien entwickelt diese These Wieland. In hnlicher Weise geht Werth, S. 51 und 54 f., davon aus, dass konfessionelle Identitten im 19. Jahrhundert die kulturelle Vielfalt eurasischer Imperien strukturierten, whrend spter Ethnizitt zum entscheidenden Kriterium avancierte. Zur Bedeutung konfessioneller Identitten in Cisleithanien s. Turij. Zum Zusammenhang von ethnischen und konfessionellen Identitten in Russland s. Burbank, S. 400.

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zitt und Sexualitt.51 Sie interpretiert die zuletzt erwhnten Ablçsungen als berlagerungen. Demzufolge blieben die mit anderen Differenzkategorien verbundenen, lteren Denk- und Handlungsmuster in ihren Reinterpretationen prsent und virulent, beispielsweise im Sinne einer Instrumentalisierung.52 Dieser Ansatz wre anderen Autorinnen und Autoren wiederum zu intentions- und subjektverhaftet. Sie suchen eher nach strukturellen Verknpfungen. Eine Ausprgung dieser Forschungsrichtung ließe sich als die Theorie von den korrespondierenden Subalternitten bezeichnen. Sie stellt ein hegemoniales Normenbndel – „weiß“, mnnlich, bourgeois, heterosexuell – seinen unterschiedlichen Abweichungen gegenber und untersucht, wie Letztere miteinander verknpft waren. Solche Verkettungen kçnnen metaphorisch funktionieren, beispielsweise wenn von „der Frau“ als „dem dunklen Kontinent“ oder von den „verweiblichten Bengalen“ die Rede war. Diese Verknpfungen, so die These, fhrten zu wechselseitigen Verstrkungen der Exklusionswirkung.53 Eine andere Forschungsperspektive betont dagegen die Widersprchlichkeit und Inkongruenz der gleichzeitig wirksamen Differenzmuster. Sie hebt hervor, wie sich „rassische“ und soziale Kategorien beispielsweise im Fall autochthoner Eliten und verarmter „Weißer“ im kolonialen Kontext durchkreuzten.54 Ihren Gipfel fanden diese Widersprche im Paradox des liberalen Zivilisierungsparadigmas. Dieses wollte den postulierten zivilisatorischen Abstand zwischen „Europern“ und „Nicht-Europern“ berwinden und 51 Pierson, R., S. 1. Werth, S. 55, spricht von wechselseitigen Beeinflussungen zwischen Religion und Ethnizitt im frhen 20. Jahrhundert. In hnlicher Weise verwehren sich Juneja u. Pernau, Einleitung, S. 27 f, gegen das Konzept der Religion als vormoderner Identittsstifterin, die in der Moderne von der Nation abgelçst worden sei. 52 In diesem Sinn meint Csky, S. 45, „man instrumentalisierte die nationale Ideologie fr die sozialpolitische Auseinandersetzung des Alltags“ in der Habsburgermonarchie. Komlosy, S. 20, spricht fr den habsburgischen Fall von einer „Verquickung ethnischer mit sozialer Schichtung“, welche „die Partizipation und Artikulationsmçglichkeiten der sozialen Unterklassen in jeder Hinsicht einschrnkte“. Weit verbreitet ist auch die These, das „rassische“ Superiorittsgefhl habe als Ausgleich fr die soziale Deklassierung der Arbeiterschaft in den imperialen Metropolen gedient. Augstein, S. 66. 53 Runge-Beneke. Sinha, M. Nagel, S. 89 f und 101, geht von der Gleichursprnglichkeit moderner Maskulinitt und moderner Nationalideologie aus. Sie behauptet, dass weibliche und gleichgeschlechtliche Sexualitt deswegen das Fundament des Nationalismus zersetzen kçnnten. Nach Juneja u. Pernau, Einleitung, S. 32 – 37, stabilisierte die Religion soziale Grenzziehungen und die Geschlechterpolaritt. Die Religion habe zugleich aber auch das Potenzial, so Juneja u. Pernau etwas kryptisch, zur Transzendierung der Geschlechtergrenzen beizutragen. 54 Fischer-Tin, Europische Seeleute. Cannadine. In diesem Sinn betont auch Sinha, M., S. 1, die Machtdifferenziale innerhalb der in sich heterogenen Gruppen der Kolonisierten und der Kolonisatoren nach Klasse und Geschlecht, sowie die Mçglichkeit von Allianzen ber die Grenze zwischen Kolonialherren und Kolonialuntertanen hinweg. Die Unmçglichkeit einer „clear division between ruler and ruled“ im kolonialen Kontext aufgrund der „constant judicial and political reassessments of the criteria for affiliation“ betonen auch McGranahan u. Stoler, Introduction, S. 10

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befrchtete zugleich ein Verschwimmen der „rassischen“ Grenzziehung zwischen Kolonialherren und gebildeten Kolonialuntertanen.55 Ein dritter Ansatz unterstreicht schließlich die Vermischung religiçser, „rassischer“, sozialer und geschlechtlicher Differenzkategorien und die Produktion einer gleichsam allumfassenden hierarchischen Schematisierung – insbesondere in Indien.56 Auch die empirische Untersuchung von Staatsangehçrigkeit und Staatsbrgerschaft liefert Hinweise auf das Verhltnis zwischen ethnischen und religiçsen, sozialen und geschlechtlichen Differenzkategorien, die das Folgende referieren und auf die eben skizzierten theoretischen Deutungsangebote beziehen soll. Religion Religiçse Unterschiede konnten im Kontext des britischen Staatsangehçrigkeitsrechts eine entscheidende Rolle spielen, nmlich dann, wenn es um die Gltigkeit polygamer oder potenziell polygamer Ehen ging. Wenn die Behçrden beispielsweise die nach muslimischem Recht und Ritus geschlossene Ehe eines britischen Untertanen nicht anerkannten, dann fhrte das dazu, dass seine im Ausland geborenen Kinder als illegitime Nachkommen die britische Staatsangehçrigkeit nicht erwarben. Diese Frage wurde 1897 aufgrund eines konkreten Falls diskutiert. Dabei ging es um den Rechtsstatus der Kinder von Isaac Aaron Abensur, einem „Jewish merchant of Moorish nationality“ in Tanger (heute: Tangier in Marokko), der 1896 den britischen Untertanenstatus erworben hatte.57 Die Historikerin Mary Baldwin spricht von einer Regel, nach der die Konsulate im Ausland geborene Kinder aus (potenziell) polygamen Ehen nicht in die britischen Register eintragen sollten. Sie interpretiert dies als Beleg dafr, dass die administrative Praxis darauf abzielte, langfristig im Ausland lebende Untertanen aus der britischen Staatsangehçrigkeit auszuschließen.58 Dem muss man in zweifacher Hinsicht widersprechen. Einerseits war diese „Regel“ keineswegs unumstritten. Sie wurde mitnichten durchgngig angewendet. Andererseits zielten die Befrworter der exklusiven Praxis deutlich auf den Ausschluss bestimmter ethnischer Gruppen und nicht aller im Ausland lebenden Briten. Dieser Hypothese kçnnte man wiederum mit Verweis auf den Fall Grant von 55 Mann, ,Torchbearers‘, S. 24, spricht in diesem Sinn von „the fear of the colonizers that the colonized might become civilized and, hence, equal“. 56 Zur Vermischung der Kategorien des sogenannten Kastenwesens mit religiçsen, sozialen und „rassischen“ Kategorien s. Bayly, S. 18 und 119 f. Zur Charakterisierung bestimmter Bevçlkerungsgruppen als „mnnlich“ oder „weiblich“ s. Rand. 57 London, PRO, FO 881/6944, Registration as British Subjects at Her Majesty’s Consulate at Tangier of the Infant Children of Isaac Aaron Abensur, and on the Legitimacy of Children of Burmese Marriages contracted by ,lex loci‘ in Siam, 1897. 58 Baldwin, S. 66 f. Im Sinne der hier verwendeten Terminologie beschreibt Baldwin die britische Praxis also als der etatistischen Logik folgend.

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1888 widersprechen. Auf diesen Fall bezogen sich die Beamten in der Debatte ber Abensurs Kinder. Grant war zum Islam konvertiert und hatte nach muslimischem Recht eine Marokkanerin geheiratet. Das britische Konsulat in Rabat verweigerte die Registrierung seiner Kinder mit der Begrndung, dass Grants Ehe „of polygamous character“ sei, obwohl er nur eine Frau hatte. Dieser Ausschluss der Kinder eines „weißen“ Briten vom Untertanenstatus ist allerdings weniger auf juristische Spitzfindigkeiten zurckzufhren, als vielmehr darauf, dass Grant in den Augen der Behçrden durch seine Konversion und seine Kinder durch ihre Abstammung von einer marokkanischen Mutter ihre ethnische Identitt als „Weiße“ verloren hatten. Deswegen verwehrte das Konsulat ihnen die britische Staatsangehçrigkeit. Die Auseinandersetzung zwischen den Befrwortern ethnischer Exklusionsmechanismen und den Vertretern einer ethnisch-neutralen Politik kann man anhand des Umgangs mit polygamen Ehen sehr gut nachvollziehen. Auf der einen Seite sollten nur Ehen anerkannt werden, welche die „conditio sine qua non of Christian marriage“ erfllten, „that it is the union of a man with a woman to the exclusion of all other unions, to live together to their joint lives’ end“. Solche Ehen kçnnten, so das Argument, nur christliche Wrdentrger als „presbyter sacris ordinibus constitutum“ schließen.59 Die Einwnde der britischen Vertretungsbehçrden in Marokko akzeptierten die Exklusionsbefrworter nicht. Das Konsulat wies einerseits darauf hin, dass man zwischen marokkanischen und eingewanderten spanischen Juden, nach deren zivilisierteren Gesetzen Polygamie faktisch unmçglich sei, unterscheiden msse – „it is of much importance to Jewish British subjects here“. Andererseits habe das Foreign Office in einem Fall von 1886 entschieden, dass Eheschließungen „between British subjects in Mahommedan countries by … Jewish Rabbis“ als „person[s] in Holy Orders“ gltig seien.60 Die Exklusionsbefrworter beharrten trotzdem auf der Ungltigkeit „jdischer“ Ehen und verwiesen darauf, dass ihre Interpretation in der englischen Rechtstradition wurzelte. Diese untersagte Ehen zwischen „Christen“ und „Juden“, gestattete aber verheirateten „Jdinnen“ nach ihrer Konversion, sich mit einem „Christen“ zu vermhlen. Denn das englische Recht, so das Argument, betrachtete die ursprngliche, „jdische“ Ehe als irrelevant und ungltig. Gerade diese Argumentation macht deutlich, dass es den Vertretern einer ethnisch-exklusiven Praxis nicht um die Durchsetzung der Monogamie ging. Vielmehr wollten sie ltere, religiçse Differenzierungen in ethnische Diskriminierungen umwandeln und die Kinder „nicht-christlicher“ Eltern von der britischen Staatsangehçrigkeit ausschließen.61 59 London, PRO, FO 881/6944. 60 Ebd. 61 Ebd. Die ethnisch-exklusive Position wurde zunchst offiziell vom Foreign Office vertreten, insbesondere vom Juristen Davidson, der, auch nachdem das Foreign Office seine ursprngliche Meinung revidiert hatte, gegen alle Einwnde daran festhielt. Die Argumente der Exklusions-

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Was damit gemeint war, verdeutlicht die Reaktion der ethnisch-neutralen Gegenseite: „if it [die Rechtsauffassung der Exklusionsbefrworter, d. Vf.] were correct, it followed that the children of the whole of Her Majesty’s Mahometan or Hindoo subjects, if born abroad out of India, were, in contemplation of English law, illegitimate“.62

Der Fall Abensur in Marokko war also verknpft mit der Frage der Integration oder Exklusion „indischer“ Emigranten in den britischen Untertanenverband. Diese Verknpfung unterstreicht die ethnisch-exklusive Absicht hinter der Betonung religiçser Unterschiede. Denn theoretisch, und unter Verletzung der Religionsfreiheit, htten die „indischen“ Auswanderer zwar durch die Konversion zum Christentum den Verbleib ihrer Nachkommen in der britischen Staatsangehçrigkeit erreichen kçnnen. Praktisch aber fhrte die Nicht-Anerkennung (potenziell) polygamer Ehen zu ihrem Ausschluss. Dieses ethnisch-exklusive Prinzip setzte sich 1897 jedoch nicht durch. Vielmehr herrschte die Meinung vor, „that there is a ius gentium in these matters, a comity which treats with tenderness, or at least, with toleration, the usages of a distinct people in this transaction of marriage“.63 Die Law Officers in London, welche die offizielle Rechtsauslegung definierten, hielten an der ethnischen Neutralitt fest und verfgten, gerade weil „[t]here are many parts of the British Dominions in which polygamous marriages are lawful“, dass „… for the purpose of inheriting nationality … a polygamous marriage by a subject of Her Majesty … must be treated as lawful“.64 Daraus folgte, dass die Kinder Abensurs, die nach seiner Einbrgerung zur Welt kamen, britische Untertanen waren. Solche bertragungen religiçser auf ethnische Diskriminierungen waren im britischen Fall nicht selten. In hnlicher Weise bersetzte ein Beamter des India Office „rassische“ in religiçse Unterschiede, als er in der Diskussion ber die rechtliche Diskriminierung „indischer“ Untertanen darauf hinwies, dass diese sich unabhngig vom angehçrigkeitsrechtlichen Status auf die „rassische“ Zugehçrigkeit der Betroffenen bezçge. Diese „rassische“ Diskribefrworter verdeutlichen auch, wie sehr das britische Staatsangehçrigkeitsrecht noch im spten 19. Jahrhundert von seinen christlichen Ursprngen geprgt war. 62 London, PRO, FO 881/6944. Dieses Zitat stammt aus einem Memo, das die in gemeinsamen Beratungen festgelegte Position der Rechtsexperten des Foreign und des India Office zusammenfasste. 63 Ebd., Dr. Tristram in einem Memo Lord Stowell zitierend, 9.2.1877. 64 Ebd., Law Officers Opinion, Mai 1897. Dieser Standpunkt unterschied zwischen der Ungltigkeit (potenziell) polygamer Ehen nach dem englische Recht im engeren Sinn und ihrer Anerkennung im Kontext angehçrigkeitsrechtlicher Fragen: „The fact that these children and grandchildren are the issue of polygamous marriages is not, in our opinion, decisive of the question of nationality. … The rules relating to the jurisdiction of the English Divorce Court, and to the succession to land in England, have not necessarily any application to questions of nationality.“

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minierung hnelte, so der Beamte, den „religious disabilities“ fr Katholiken, die frher das britische Recht geprgt htten.65 Auch im çsterreichischen Kontext griffen die Behçrden bei der ethnischen Differenzierung auf die Tradition religiçser Unterscheidungen zurck. Allerdings taten sie das nicht in diskriminierender, sondern in Konflikt mindernder Absicht. Ganz hnlich wie man die konfessionellen Verbnde mit Autonomie in inneren Angelegenheiten ausgestattet hatte, um Auseinandersetzungen zu vermeiden, sollte im frhen 20. Jahrhundert die ethno-nationale Autonomie die Konflikte zwischen den Nationalitten befrieden. Am deutlichsten kommt diese Kontinuitt in den Vorschlgen zur Erfassung der ethnonationalen Identitten zum Ausdruck. Diese sollten, ebenso wie die konfessionellen Zugehçrigkeiten, in Matrikeln festgeschrieben werden. Neben diesen bertragungen finden sich in beiden Imperien zahlreiche Flle, in denen die Produktion ethnischer Differenzen auf religiçs-konfessionellen Unterschieden beruhte. Der Katholizismus war wichtig fr die irische Identitt im Vereinigten Kçnigreich, im çsterreichischen Kontext spielte die griechisch-unierte Kirche eine große Rolle fr die sogenannte ruthenische Bevçlkerung, whrend die Differenz zwischen Katholiken und Protestanten in der ungarischen Nationsbildung bedeutsam war.66 Besonders klar zeigt der bosnische Fall den Zusammenhang zwischen religiçsen und ethnischen Differenzen. Dort bildete die Unterscheidung zwischen Katholiken, Orthodoxen und Muslimen die Grundlage fr die ethnische Differenzierung zwischen Kroaten, Serben und den mitunter als Bosniaken bezeichneten Muslimen. Auch in Indien beruhte die Produktion des ethnischen Unterschieds zwischen Hindus und Muslimen auf einer zunchst religiçsen Differenz. Die Analyse ethnisch differenzierender Mechanismen im Wahlrecht von 1918/19 hat gezeigt, dass dieses zudem den „indischen Christen“ eine besondere Position zuwies. Das Recht rumte ihnen gleichsam einen semi-privilegierten Status zwischen „Europern“ und „indischen“ Nicht-Christen ein. In dieser Mittelposition kreuzten sich religiçse und „rassische“ Kriterien. An dieser Kreuzung wird das Paradox des Zivilisierungs- und Missionsparadigmas offensichtlich. Einerseits unterstrich die Konversion zum Christentum den Anspruch auf rechtliche Gleichheit mit den „Europern“. Andererseits wollte man die „rassische“ Hierarchie nicht gnzlich aufgeben. Allerdings kam es nicht berall im Britischen Weltreich zu solchen Durchkreuzungen verschiedener und einander widersprechender Differenzierungen. Die gleichzeitige Auseinandersetzung um das Wahlrecht in Ostafrika war nicht von religiçsen, sondern ausschließlich von „rassischen“ Unterschieden zwischen „Europern“, „Indern“ und „Afrikanern“ geprgt. Zwar gab es auch dort sowohl Hindus und Muslime, als auch „afrikanische“ und „indische“

65 London, IOR, L/PJ/6/500, file 101, Entwurf eines Briefs an die indische Regierung, Oktober 1898. 66 Klimo.

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Christen, aber diese Kategorien spielten beim Zugang zum Wahlrecht keine Rolle. Besonders komplex gestaltete sich das Verhltnis zwischen religiçser und ethnischer Identitt im Fall der „Israeliten“ oder „Juden“. Zumeist geht man davon aus, dass der sozusagen modernere, rassistische Antisemitismus im Lauf des 19. Jahrhunderts den lteren, christlich geprgten Antijudaismus verdrngte. Aufgrund dessen betrachtete man die Juden zunehmend als „rassisch“ definierte Gruppe. Dieses Verstndnis prgte die Debatte ber den Aliens Act, die Forderung nach der Exklusion der „osteuropischen Juden“ und die Einbrgerungspolitik im Vereinigten Kçnigreich am Anfang des 20. Jahrhunderts. Auch im habsburgischen Kontext spielte der rassistische Antisemitismus – beispielsweise auf der Ebene lokaler Verwaltungen oder einiger k.u.k. Vertretungsbehçrden – eine gewisse Rolle. Die cisleithanische Regierung betonte dagegen stets den konfessionellen Charakter des israelitischen Verbandes. Jdische Versuche, die Anerkennung als ethno-nationale Gruppe durchzusetzen, scheiterten wiederholt an dem offiziellen Argument, dass das Jiddische ein deutscher Dialekt sei. Da die Israeliten keine eigene Sprache htten, kçnne man sie nicht als „Volksstamm“ im Sinne des Artikels 19 des Staatsgrundgesetzes von 1867 betrachten.67 Zusammenfassend kann man feststellen, dass religiçse Differenzen im britischen Fall eine grçßere Rolle spielten und enger mit „rassischen“ Hierarchisierungen verknpft waren als im habsburgischen. Diesen Befund besttigt auch der unterschiedliche Umgang mit „Europern“, die zum Islam konvertieren wollten.68 Sowohl das britische Recht als auch die administrative Praxis waren stark von christlichen Vorstellungen geprgt.69 Dort, wo die „rassischen“ Unterschiede die religiçsen nicht gnzlich berlagerten, gestand man „nicht-europischen“ Christen Privilegien zu. Zudem wollten einige Behçrdenvertreter den Erhalt der Staatsangehçrigkeit im Ausland von einer christlichen Eheschließung abhngig machen. Im strker vom Neutralittsprinzip geprgten habsburgischen Kontext spielten religiçse Differenzen dagegen fr den rechtlichen Umgang mit ethnischer Heterogenitt kaum eine Rolle. Eine Privilegierung von zum Christentum konvertierten Muslimen lehnten die bosnischen Behçrden beispielsweise explizit ab. Wenn man die gngige Gleichsetzung von Modernitt und Skularitt zum Maßstab nimmt, kommt man also zu dem Schluss, dass Recht und Verwaltungspraxis im britischen Fall deutlich weniger modern waren als im habsburgischen. 67 Walz. 68 Dazu s. die Paragrafen „Die Protektion der Untertanen: ethnische Neutralitt auch im britischen Fall“ und „Die ethnische Heterogenitt der bei den k.u.k. Konsulaten registrierten Personen“ in Kap. 5.1. 69 Steinmetz, S. 346, fhrt die bipolare Dichotomie zwischen „Weißen“ und „Schwarzen“ selbst auf christliche Wurzeln zurck. Gascoigne, S. 160, spricht von einem generellen „link between empires and Christianity“.

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Sozialer Status Anstatt die Muslime zu benachteiligen, garantierte die habsburgische Administration in Bosnien den zumeist muslimischen, grundbesitzenden Eliten ihre aus osmanischer Zeit stammende, bevorzugte Rechtsstellung. Die neue Landesregierung wollte die wohlhabenden Muslime dadurch fr sich gewinnen. Sie perpetuierte auf diese Weise die etablierte Kongruenz sozialer und ethno-religiçser Differenzen.70 Fr ein solches Zusammenfallen ethnischer und sozialer Unterschiede finden sich im habsburgischen Fall noch weitere Beispiele. So nahm die ruthenisch- oder ukrainischsprachige Bevçlkerung in Galizien eine sozial nachgeordnete Position ein. Das nach Vermçgen und Status diskriminierende Wahlrecht privilegierte die sozial und çkonomisch dominierende, vorwiegend polnischsprachige Bevçlkerungsgruppe beim Zugang zu den politischen Rechten. In hnlicher Weise htten sich auch die Differenzierungen nach Steueraufkommen und Bildungsgrad in der 1913 beschlossenen ungarischen Wahlrechtsreform diskriminierend ausgewirkt. Die Novelle sollte die rumnischsprachige Bevçlkerung benachteiligen, deutsch- und magyarischsprachige Gruppen aber bevorzugen. In diesen Fllen kam es also zu wechselseitigen Verstrkungen zwischen sozialen und ethnischen Unterschieden. Dabei fçrderte die weitgehende Kongruenz beider Differenzmuster einerseits die (Re-)Produktion der ethnischen Identitten. Andererseits erlaubte sie indirekte ethnische Diskriminierungen durch Unterscheidungen nach sozialen Kriterien. Das Zusammenfallen sozialer und „rassischer“ Unterschiede war im Britischen Weltreich ein weitverbreitetes Phnomen. Besonders deutlich trat es im Verhltnis zwischen „europischen“ Landbesitzern und „afrikanischen“ Landarbeitern in Ostafrika zutage.71 Teilweise versuchten Administratoren und Wissenschaftler gezielt, soziale und ethnische Differenzen in einem umfassenden Hierarchisierungsschema zur Deckung zu bringen. In Indien verfolgte die Verwaltung ein derartiges Projekt mit Obsession und großem Aufwand. Sie wollte das zumeist als Bevçlkerungseinteilung nach sozialen Kriterien verstandene Kastenwesen mit „rassischen“ Kategorien erklren. Dadurch konstruierten die britischen Beamten – in Zusammenarbeit mit Vertretern verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen und indischer Interessengruppen – eine gleichsam natrliche, unvernderbare, totale und hierarchische Gesellschaftsstruktur.72 Der Wunsch, in den imperialen Peripherien unverrckbare soziale Hier70 Dazu und zum Ausbleiben einer Landreform unter habsburgischer Verwaltung s. Koller, M., S. 212. 71 Banton, S. 168 f. 72 Bayly. Zum Konnex von religiçsen und sozialen Grenzziehungen in Indien s. Juneja u. Pernau, Einleitung, S. 36 – 43. s.a. Paragraf „Die Produktion ethnischer Differenzen ,von unten‘ und ,von oben‘“ in Kap. 2.3.

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archien einzurichten oder vorzufinden, hing eng mit dem weitverbreiteten Ideal einer organischen, bersichtlichen und lndlichen Gemeinschaft zusammen. Dort sollten alle ihren zugewiesenen Platz kennen und ohne Widerspruch akzeptieren. So seien, in der Vorstellung vieler Kolonisatoren, die sozialen Verhltnisse im Mutterland in der Vergangenheit gewesen, bevor die Modernisierung die angestammte Ordnung durcheinanderbrachte. Nach dem Vorbild dieser nostalgischen Utopie wollte man die Gesellschaften an den Rndern gestalten.73 Vor allem Mitglieder der britischen Gentry versuchten dieses Projekt umzusetzen. Sie pflegten in den Kolonien einen gutsherrlichen Lebensstil, den sie sich zu Hause nicht mehr leisten konnten und durften. Besonders krass bringt das der Fall eines „europischen“ Siedlers in Ostafrika zum Ausdruck, der einen „native“, den er des Schafdiebstahls verdchtigte, erschoss. Daraufhin sprach eine „weiße“ Jury ihn vom Vorwurf des Mordes frei. Eine liberale Tageszeitung in England kommentierte diesen Vorgang mit den Worten: „We cannot permit a class whose deadening domination is only now being lifted from the English countryside to practise a coarser despotism on the natives of Africa.“74 Dieses Zitat beschreibt genau die hier skizzierte bersetzung sozialer Hierarchien aus der Metropole in „rassische“ Diskriminierungen in den Peripherien.75 Nach David Cannadine reproduzierte man die hierarchische Sozialstruktur nicht nur in den afrikanischen Siedlungskolonien, sondern auch in den Dominions. Dort sollte die berkommene Ordnung allerdings innerhalb der immigrierten europischen Bevçlkerung wiederhergestellt werden. Diese These trifft vielleicht auf die Dominions im 18. und frhen 19. Jahrhundert zu. Fr die Zeit nach der Wende zum 20. Jahrhundert ist sie aber unhaltbar. In Kanada begrndete man die ethnisch-exklusive Einwanderungsgesetzgebung damit, dass eine sowohl „rassisch“ als auch sozial homogene Gesellschaft geschaffen werden sollte.76 Diese in den Dominions wirkmchtige egalitre 73 Cannadine. 74 Dieses Zitat aus dem Manchester Daily Guardian findet sich in Hughes, S. 69. Der britische Siedler, dessen Freispruch eine erhitzte çffentliche Debatte und Rassismusvorwrfe im Vereinigten Kçnigreich auslçste, war Galbraith Cole, ein Schwager von Lord Delamere, der ebenfalls als Exporteur eines feudalen Lebensstils gelten kann. Cannadine, S. 39. 75 Ein weiteres Beispiel fr eine solche bersetzungs- oder bertragungsleistung findet sich in der Debatte zur indischen Ilbert-Bill. Den Befrwortern der „rassischen“ Diskriminierung zwischen „natives“ und „European British subjects“ warf man vor, dass es sich bei den letzteren um eine „artificially defined circumscribed category of human beings“ handle. Darauf antwortete ein Gegner der Ilbert-Bill, dass jede rechtlich privilegierte Gruppe knstlich definiert sei. Er verglich die „rassische“ Diskriminierung zwischen „Europern“ und „Indern“ mit der stndischen Unterscheidung zwischen „Lords“ und „Commons“ in der Metropole, indem er an den Governor-General gewandt fortfuhr : „I fear that it will turn out that even His Excellency belongs to an artificially defined circumscribed category of human beings, not only as British subject, but as a peer of the realm.“ Indian Legislative Council, Bd. 23, S. 38, 7. 1. 1884, Evans. 76 Die Verknpfung von „rassischer“ Exklusion und egalitrer Sozialpolitik lsst sich auch fr Neuseeland nachvollziehen, dessen Politik man im Vereinigten Kçnigreich wiederholt als Beispiel fr die Realisierung einer egalitren Sozialutopie anfhrte. Cannadine erwhnt diese anti-

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Sozialutopie widersetzte sich der bersetzung sozialer in ethnische Hierarchien. Gleiches gilt fr die von der indischen Nationalbewegung postulierte supra-ethnische Rechtsgleichheit aller britischen Untertanen. Im indischen Kontext gestaltete sich das Verhltnis von sozialen und ethnischen Differenzen besonders komplex. Dort kollidierte die beschriebene quasi-einheimische Kasten-Hierarchie mit der Vorstellung von der „rassischen“ berlegenheit der europischen Kolonialherren, was zu berschneidungen und Widersprchen fhrte. Diese ußerten sich in der prekren Frage nach dem Status sowohl der „indischen“ Eliten als auch der sozial deklassierten „Europer“ in Indien.77 Mitunter blendeten die „Europer“ die Theorie der „rassischen“ Superioritt der „Weißen“ aus und anerkannten die Gleichrangigkeit hochstehender, wohlhabender oder gebildeter „Inder“.78 Diese Durchkreuzung „rassischer“ Diskriminierungen durch soziale Differenzierungen ußerte sich auch in den Regelungen des kanadischen Einwanderungsrechts. Diese erlaubten „Asiatics“ die Einreise, wenn sie ein bestimmtes Barvermçgen mit sich fhrten.79 Auch die Sprachtests, von denen der Zugang zu den Dominions hufig abhing, privilegierten gebildete und schlossen in erster Linie gering qualifizierte Immigranten aus.80 Aber aus diesen Beispielen lsst sich kein allgemeines Muster ableiten. Beispielsweise lehnten die „europischen“ Vertreter im indischen Legislative Council die Anerkennung der Gleichrangigkeit hochqualifizierter „indischer“ Richter in der Ilbert-Bill-Debatte Anfang der achtziger Jahre explizit ab. Allenfalls kann man sagen, dass soziale Differenzierungen die rassistischen Diskriminierungen im spten 19. Jahrhundert mitunter durchkreuzten. Nach 1900 traten die „rassischen“ Unterschiede jedoch deutlich in den Vordergrund. 1911 kritisierten britische Behçrdenvertreter die Sprachtests, weil sie

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hierarchischen Tendenzen zwar, unterschtzt aber ihre Bedeutung insbesondere fr die Zeit um und nach 1900. Fischer-Tin, Europische Seeleute. In einem hnlichen Kontext stand auch das Problem der verarmten „Europer“ in Ostafrika. Dazu s. Paragraf „Migrationskontrolle: Exklusion der ,Asiatics‘ und Fçrderung der ,Europeans‘“ in Kap. 3.2. Cannadine, S. 14 und 123, betont diesen Mechanismus, macht allerdings gleichzeitig deutlich, dass die Differenzierung nach sozialem Status innerhalb der indischen Bevçlkerung auf der kollektiven rechtlichen Diskriminierung aller „Nicht-Europer“ beruhte. Nur in individuellen Fllen konnten soziale Differenzkategorien ausschlaggebend sein. Eine Bestimmung von 1910 erlaubte Einwanderern „of Asiatic origin“ die Einreise nur, wenn sie 200$ bei sich hatten. London, IOR, L/PJ/6/864, file 1371, Indian Emigration into Canada, 1908 – 1910. Von „chinesischen“ Immigranten verlangte man ab 1900 eine Einreisegebhr von 100$, die 1903 auf 500$ erhçht wurde. London, IOR, L/PJ/6/861, file 1303, the imperial problem of Asiatic immigration, 1908. In hnlicher Weise differenzierte auch der Aliens Act von 1905 im Vereinigten Kçnigreich zwischen den „steerage“ und den wohlhabenden „cabin passengers“, die man von den restriktiven Regelungen des Gesetzes ausnahm. Interessanterweise enthielt das Gesetz gleichzeitig spezielle Regelungen, welche mittellose Auslnder, die aufgrund ethnonationaler Kriterien als Briten galten, von den Immigrationsrestriktionen befreiten. Zum Sprachtest als Mittel „rassischer“ Exklusion s. Lake, From Mississippi to Melbourne.

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den Ausschluss gebildeter „Inder“ nicht garantieren konnten.81 Im gleichen Jahr ersetzte man in der kanadischen Einwanderungsgesetzgebung das Wort „class“ als Exklusionskriterium durch „race and occupation“. 1917 stellte das India Office fest, dass selbst zwei wohlhabenden Indern die Einreise ins East Africa Protectorate verweigert worden war.82 Diese Diskriminierungen gegen „indische“ Untertanen mit hohem sozialen Status fhrten zu Protesten in Indien: „It is really deplorable that no Indian subject of His Majesty, – however high, cultured or influential he may be, – is permitted to enter some of his Majesty’s territories in South Africa without going through an education test and taking out a certificate of identity – a certificate which he has to show to every constable or any other petty officer who may be pleased to demand it. “83

Daneben beschwerten sich Vertreter der indischen Nationalbewegung im frhen 20. Jahrhundert zunehmend ber die diskriminierende Behandlung indischer Arbeiter in den Dominions. In gewisser Weise kann man von einander entgegengesetzten Prozessen sprechen, die zum selben Ergebnis fhrten. Whrend die Nationalbewegung in Indien soziale Statusunterschiede integrieren und nationale Solidaritt generieren wollte, betonte die Politik in den Dominions und den Kolonien die „rassische“ Zusammengehçrigkeit aller „indischen“ Untertanen unabhngig von anderweitigen Differenzen. Nationale oder ethnische Identitten verdrngten also nach der Jahrhundertwende die Bedeutung sozialer Unterschiede. hnliche Widersprche zwischen ethnischen und sozialen Hierarchien, wie sie in Indien auftraten, waren im çsterreichischen Fall kaum vorstellbar. Sie setzten Diskriminierungen nach ethnischen Kriterien voraus, die innerhalb der egalisierend wirkenden, etatistischen Logik Cisleithaniens nicht zustande kamen. Insgesamt waren ethnische Hierarchien im habsburgischen Kontext bei Weitem nicht so zentral wie im Britischen Weltreich. Stattdessen gab es insbesondere in sterreich ein Gegen- und Nebeneinander zwischen ethno-nationalen Solidaritten einerseits, die soziale Unterschiede innerhalb einer ethnischen Gruppe integrierten, und supra-ethnischen sozialen Interessen andererseits, die Statusgruppen ber ethno-nationale Grenzen hinweg miteinander verbanden. Deswegen galt die çsterreichische Sozialdemokratie als zentripetale Kraft, weil sie die gemeinsamen çkonomischen und politischen Interessen der tschechischen, deutschen, polnischen, italienischen usw. Arbeiter innerhalb Cisleithaniens betonte. Mit diesem Argument begrndeten 81 London, IOR, L/PJ/5/462. 82 London, IOR, L/PO/1/1A, Kenya, restriction of immigration, position of Indians. London, IOR, L/PJ/6/864, file 1371, Indian Emigration into Canada, 1908 – 1910. Interessanterweise begrndete man den begrifflichen Wechsel von Klasse zu „Rasse“ damit, dass „under existing regulations an Asiatic is required to possess £ 40, and it is felt that this amount is not easily justified by the word ,class‘.“ 83 Indian Legislative Council, Bd. 48, S. 282, 25. 2. 1910, Raja of Dighapatia.

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die Sozialdemokraten auch ihre langjhrige Forderung nach dem allgemeinen und gleichen Wahlrecht. Dadurch, so das Argument, wrde die Auseinandersetzung zwischen den sozialen Klassen das „Phantom des nationalen Gedankens“ von der politischen Bhne verdrngen.84 Das allgemeine Mnnerwahlrecht zum Reichsrat wurde 1906 eingefhrt. Die erhoffte Verdrngung ethno-nationaler Konflikte blieb jedoch aus. Dennoch kann man die – im europischen Vergleich brigens außergewçhnlich frhe – Verallgemeinerung der politischen Partizipationsrechte als Teil einer Politik betrachten, welche die politische Bedeutung ethnischer Unterschiede schmlern und soziale Differenzen hervorheben wollte. Zu diesem Muster passt das Vorgehen der çsterreichischen Regierung im Armenwesen und bei der Reform des Heimatrechts. Gerade bei den sozialen Rechten setzte die k.k. Regierung im frhen 20. Jahrhundert das Prinzip der ethnischen Neutralitt gegen Widerstnde lokaler Behçrden durch.85 Es deutet also einiges darauf hin, dass man nach der Jahrhundertwende in sterreich eine Politik verfolgte, welche das relative politische Gewicht ethno-nationaler und sozialer Differenzen zugunsten der Letzteren verschieben sollte. Dadurch wollte man die Kohsionskrfte des multi-ethnischen Staates strken und, so zumindest die Befrworter des allgemeinen Wahlrechts, eine ltere Politik verdrngen, die innerhalb der einzelnen Kronlnder verschiedene nationale Gruppen gegeneinander ausgespielt hatte: „Im brigen verfolgt die Wahlordnung fr Tirol den Zweck, die italienische Bevçlkerung Sdtirols mundtot zu machen, die Galiziens, die Herrschaft der Schlachta aufzurichten; in der Bukowina dachte man mit den rumnischen Bojaren zu regieren, in Triest hingegen wurde den brgerlichen Großhndlern die Vorherrschaft eingerumt. In Dalmatien versuchte man dem italienischen Elemente einigermaßen zur Bedeutung zu verhelfen, um die Slawen in Schach zu halten; in Bçhmen, Mhren und Schlesien sollte mehr oder minder das Gleichgewicht zwischen den Deutschen und den Slawen geschaffen und dem begterten Adel eine Art Vermittlerrolle zuteil werden.“86

Whrend die supra-ethnische Integration der unteren sozialen Schichten jedoch letztlich scheiterte – auch innerhalb der sozialdemokratischen Partei kam es zur Grndung von je eigenen ethno-nationalen Gruppen87 –, fiel es den traditionellen Eliten einfacher, ethnische Spaltungen zu vermeiden. Wenn die etatistische Egalisierungslogik ihre rechtlichen Privilegien bedrohte, koope84 Adler, S. 48. Entgegen dieser Annahme fhrte die Ausdehnung des Wahlrechts allerdings beispielsweise im lndlichen Galizien zu einer Verschrfung der nationalen Konflikte. 1898 kam es dort im Zusammenhang einer Nachwahl zum Reichsrat zu antisemitischen Ausschreitungen. Struve. 85 Dazu s. Paragraf „Die sozialen Staatsbrgerrechte und die Durchsetzung ethnischer Neutralitt“ in Kap. 2.1. 86 Strakosch-Graßmann, S. 21. s.a. ebd., S. 59. 87 Mommsen. King, S. 81 f.

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rierten die Adligen eng miteinander. Der Mhrische Ausgleich, den das obige Zitat zwar vergrçbert, aber durchaus treffend beschreibt, verdeutlicht diesen Vorgang. Er zeigt, wie innerhalb einer komplexen Konstellation von nebeneinander bestehenden Differenzierungsmustern die Befriedung des ethnonationalen Konflikts mit der Festschreibung sozialer Diskriminierung gleichsam erkauft wurde. Die in Indien bei der Reform des Wahlrechts von 1918/19 verfolgten Absichten waren zwar andere, aber das Ergebnis war verblffend hnlich. Dort differenzierte man ebenfalls sowohl nach ethnischen, als auch nach sozialen Kriterien. In beiden Fllen lautete die Begrndung, dass das Prinzip der „communal representation“ oder der getrennten Interessenvertretung fr ethnische und soziale Gruppen zugleich zu gelten habe. Geschlecht Geschlechtliche Differenzen spielten zunchst vor allem im Wahlrecht eine große Rolle.88 Die Forderung nach politischen Rechten fr Frauen wurde in beiden Fllen erhoben. Sie setzte sich zumeist jedoch erst nach 1918 durch. In Indien verweigerte das Recht auch danach den Frauen die politische Partizipation. Im Vereinigten Kçnigreich, in Kanada und in der neu gegrndeten deutsch-çsterreichischen Republik dagegen kam es nach dem Ersten Weltkrieg zur staatsbrgerschaftsrechtlichen Egalisierung und zur emanzipatorischen berwindung bisheriger Diskriminierungen. Diese Binnenhomogenisierungsprozesse beruhten auf einer verstrkten nationalstaatlichen Integration. Nicht zuletzt infolge des Krieges, den einige als gemeinsam bewltigte Aufgabe betrachteten, setzte man die nicht unumstrittene Reduzierung der rechtlichen Diskriminierung der Geschlechter durch.89 In allen drei Fllen war diese Inklusion der Frauen mit angehçrigkeitsrechtlichen Exklusionen nach ethnischen Kriterien verknpft. Im Vereinigten Kçnigreich wurde die Einbrgerungspraxis in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts deutlich antisemitisch aufgeladen. Kanada setzte seine restriktive Immigrationspolitik fort, die sich nach dem Krieg verstrkt gegen ostund sdeuropische Einwanderer richtete. „Deutsch-sterreich“, als einer der Nachfolgestaaten des Habsburgerreichs, war quasi definitionsgemß ein ethnisch-exklusiver Staat, dessen Regierung deutschsprachigen „Juden“ den Zugang zur Staatsangehçrigkeit verwehrte.90 Am deutlichsten ausgeprgt war der Konnex von geschlechtlicher Egalisierung und „rassischer“ Diskriminierung in Ostafrika. Dort wurde gleichzeitig die „indische“ und die „afrikani88 Zum Zusammenhang von Staatsbrgerschaft, Mnnlichkeit und Wehrpflicht in sterreich s. Hmmerle. 89 Andrew. 90 Zur ethnischen Exklusivitt der britischen Einbrgerungspraxis in den zwanziger Jahren s. Baldwin. Zum kanadischen Fall s. Knowles. Zu „Deutsch-sterreich“ s. Hirschhausen, Von imperialer Inklusion.

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sche“ Bevçlkerung vom Wahlrecht ausgeschlossen und die „europischen“ Frauen in die Gruppe der Wahlberechtigten integriert. Diese Konstellation weist darauf hin, dass im kolonialen Kontext die rassistische Diskriminierung mit der rechtlichen berwindung der Exklusion von Frauen in Zusammenhang stehen konnte. Diese Verknpfung der Integration von Frauen in die Staatsbrgerschaft mit Ausschlssen nach ethnischen Kriterien zeichnete sich bereits im Kontext der Frauenstimmrechtsagitation ab. In sterreich waren die Frauenrechtsverbnde weitgehend ethnisch-exklusive Vereine. Sie argumentierten zumeist stark nationalistisch. Beispielsweise betonten sie die Rolle der Frau als „deutscher Mutter“.91 Zwar htten auch innerhalb einer geschlechtlich definierten Gruppe hnliche supra-ethnische Solidarisierungs-Effekte greifen kçnnen, wie das in Anstzen bei den sozialen Interessengruppen der Fall war. Aber whrend internationale, also inter-staatliche Kooperationen zwischen britischen, çsterreichischen, franzçsischen, deutschen etc. Frauenverbnden eine wichtige Rolle spielten, gibt es fr eine Zusammenarbeit zwischen deutschen, tschechischen oder italienischen Interessenvertreterinnen innerhalb sterreichs kaum Anzeichen.92 Im Umgang der britischen Frauenrechtsbewegung mit der ethnischen Heterogenitt innerhalb des Weltreichs dominierten ebenfalls ethnische Exklusionsmuster. Die Forderung nach Gleichberechtigung fr alle Frauen unabhngig von ihrer „rassischen“ Identitt erhoben nur einzelne Vertreterinnen. Stattdessen begrndeten viele den Anspruch der „weißen“ Frauen auf Gleichberechtigung damit, dass deren „rassische“ Superioritt ber „nichtweiße“ Mnner, ihre besondere Bedeutung fr die Reproduktion der „weißen Rasse“ und ihre Verantwortung fr die Zivilisierung der „nicht-weißen“ Frauen rechtlich zur Geltung kommen msse.93 Auch bei der Forderung nach der angehçrigkeitsrechtlichen Selbstndigkeit der Ehefrau waren geschlechtliche Differenzen bedeutsam. Emanzipatorische Forderungen zielten auf die Aufgabe oder die Auflockerung des patriarchalen Prinzips, nach dem die Ehefrau die Staatsangehçrigkeit ihres Ehemannes teilen musste. Ungarn, Kanada und das Vereinigte Kçnigreich kamen diesen Forderungen entgegen. In allen drei Fllen war der rechtliche Gewichtsverlust der geschlechtlichen Differenz und die zunehmende angehçrigkeitsrechtliche Selbststndigkeit der Ehefrau mit Nationalisierungsten91 Zu „,Durchkreuzungen‘ und berschneidungen der beiden Identittskonstrukte Geschlecht und Nation“ im çsterreichischen Kontext s. Zettelbauer, S. 15. s.a. Zaar. Weitere Literaturhinweise zum Konnex von Frauenbewegung und Nation in sterreich finden sich bei Healy, S. 3. 92 Zur Frage der supra-nationalen weiblichen Solidaritt s. Healy, S. 4. 93 Zur rassistischen Begrndung der rechtlichen Gleichstellung „weißer“ Frauen s. Terborg, S. 44. Janiewski spricht davon, dass man insbesondere an der US-amerikanischen Frontier „weiße“ Prostituierte diskursiv mit „nicht-weißen“ Frauen gleichstellte. Sie betont die ambivalente Rolle von Frauen im kolonialen Kontext, die sie zugleich als imperialistische Agentinnen und als solidarische Helferinnen beschreibt.

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denzen verknpft. Diese ußerten sich insbesondere in der Betonung der „ursprnglichen“, national verstandenen und emotional aufgeladenen Zugehçrigkeit von Frauen, die Auslnder geheiratet hatten. Doch die Strkung der selbstndigen rechtlichen Identitt hatte nicht nur national-inklusive, sondern auch ethnisch-exklusive Effekte. Denn das Abrcken von der rechtlichen Einheitlichkeit der Familie fhrte dazu, dass mit „Europern“ verheiratete „nicht-europische“ Frauen nicht mehr wie bisher einen privilegierten Rechtsstatus erwarben. Das Recht behandelte sie zunehmend ihrer eigenen ethnischen Identitt entsprechend und unabhngig von der ihres Ehemannes. Diese Entwicklung fand ihren Ausdruck im kanadischen Einwanderungsgesetz von 1911. Es bestimmte, dass „a woman … shall not be held to have acquired Canadian citizenship by virtue of her husband being a Canadian citizen“.94 Die Durchsetzung emanzipatorischer Forderungen war also ein ambivalenter Prozess. Die rechtliche Inklusion von Frauen konnte mitunter ethnische Diskriminierungen verstrken. Am deutlichsten waren diese Diskriminierungsmechanismen allerdings dann, wenn es darum ging, sexuelle Kontakte zwischen Angehçrigen unterschiedlicher ethnischer Gruppen zu verbieten und sogenannte Mischehen zu verhindern. 1914 warnte ein Rundschreiben an die englischen Standesmter vor den Gefahren, denen sich „women of British nationality professing the Christian faith“ aussetzten, wenn sie „Moslems, Hindus and other subjects or citizens of countries where polygamy or concubinage is legal“ oder „African negroes“ ehelichten. Die Argumentation, welche offensichtlich wiederum religiçse Differenzen betonte, war in diesem Fall eine juristische. Das Schreiben verwies auf die schlechte Rechtsposition solcher Frauen in den Herkunftslndern ihrer Ehemnner, wo das britische Recht und die Verwaltung ihre Interessen kaum schtzen kçnnten.95 Ehen zwischen „weißen“ britischen Untertanen aus verschiedenen Teilen des Weltreichs fçrderten und erleichterten die Behçrden dagegen. Dadurch wollten sie gleichsam die Befriedigung der Nachfrage auf dem Heiratsmarkt innerhalb der selben ethnischen Gruppe ermçglichen.96 Die expliziten Verbote des Geschlechtsverkehrs zwischen Personen unterschiedlicher „rassischer“ Identitt diskriminierten sowohl nach ethnischen als auch nach geschlechtlichen Kriterien. Das Recht folgte der weitverbreiteten Akzeptanz sexueller Kontakte zwischen „weißen“ Mnnern und „nicht-weißen“ Frauen. In dieser Konstellation widersprachen sich Geschlechterordnung und „rassische“ Hierarchie nicht.97 Der mnnliche, aktive Part fiel dem 94 London, IOR, L/PJ/6/864, file 1371, Indian Emigration into Canada. 95 London, PRO, RG 41/7, Marriage of English women with Hindoos, Rundschreiben des RegistrarGeneral, 19.1.1914. Zur Frage der sogenannten Mischehen s. Becker. 96 London, PRO, CO 630/3, East Africa Protectorate, Regulation Nr. 38 von 1915, to facilitate marriages between British subjects resident in the Protectorate and British subjects resident in the United Kingdom. 97 Mitunter verstrkte und perpetuierte die koloniale Ordnung Formen der sexuellen Diskrimi-

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Vertreter der vermeintlich hçherstehenden „Rasse“ zu. Die umgekehrte Konstellation jedoch verwirrte die etablierten Hierarchien. In Ostafrika bedrohte das Gesetz „any white woman who voluntarily permits any native to have unlawful carnal connection with her“ mit bis zu fnf Jahren Gefngnis. Das gleiche Strafmaß traf mnnliche „natives“, die mit „weißen“ Frauen Sex hatten oder zu haben versuchten.98 Die ostafrikanische Verwaltung wollte diese Bestimmung auf alle „non-European“, also auch auf „indische“ Mnner ausdehnen und „rape by a native on a white woman“ mit der Todesstrafe ahnden. Das Colonial Office lehnte diese Verschrfung allerdings ab.99 Trotzdem konnte in Ostafrika schon die Vermutung sexueller Absichten fr „Nicht-Weiße“ tçdlich sein. 1908 brachte der „europische“ Siedler Grogan einen „Rikshaboy“ um, nachdem sich seine Schwester ber die Art, wie dieser sie ansah, beschwert hatte.100 Whrend man das – mitunter vermeintliche – auf „weiße“ Frauen gerichtete sexuelle Begehren „afrikanischer“ Mnner auf illegale oder legale Weise streng bestrafte, wurde die Sexualitt von „Europerinnen“ in den Kolonien einer strikten Kontrolle unterworfen. 1912 wies die ostafrikanische Verwaltung die Polizei an, einen detaillierten Bericht ber Mrs. Thompson anzufertigen, „[a] Swedish woman cohabiting with Indians in Nairobi“. Es ist allerdings nicht klar, ob die im selben Jahr eingefhrte Mçglichkeit, „undesirable white women“ durch einen einfachen Verwaltungsbeschluss des Landes zu verweisen, mit diesem Fall in Zusammenhang stand.101 Whrend also im Wahl- und im Angehçrigkeitsrecht der Abbau mnnlicher Privilegien mit einer Intensivierung ethnischer Exklusionen verknpft war, verstrkten sich geschlechtliche und ethnische Diskriminierungen bei den sexuellen Verboten und Kontrollen wechselseitig.102 Zunehmende Bedeutung ethnischer Differenzen nach der Jahrhundertwende Ethnische und religiçse, soziale und geschlechtliche Differenzen waren also auf unterschiedliche Art und Weise miteinander verknpft. Dabei kam es zu berlappungen, Transfers, wechselseitigen Verstrkungen und Inkongruen-

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nierung. 1907 wurde das Konkubinat von der offiziellen Abschaffung der Sklaverei in Ostafrika explizit ausgenommen. London, PRO, CO 630/2, Regulation Nr. 7 von 1907, for the abolition of the Legal Status of Slavery. 1918 entschied die britische Kolonialverwaltung im Hinblick auf eine Praxis, die heute große Aufmerksamkeit erregt und Abscheu hervorruft, „that no steps to abolish the practice of circumcizing girls should be taken“. East Africa Executive Council, 31.10. 1918. London, PRO, CO 630/3, Regulation Nr. 7 von 1913, to amend the Criminal Laws in relation to Rape and other Sexual Offences. East Africa Legislative Council, 27. und 31.3.1913. Grogan wurde daraufhin zu zwei Monaten schwerer Arbeit verurteilt. Abour, S. 345. East Africa Executive Council, 10.6. und 28.10.1912. Zur Sexualitt und zur sexuellen Kontrolle als Einstzen im kolonialen Machtgeflle s. Ballhatchet, S. 1, der „the preservation of the structure of power“ als „fundamental concern“ der imperialistischen Sexualittsordnung herausarbeitet.

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zen. Insbesondere diese Widersprche bieten der historischen Forschung ein weites und lohnendes Feld. Sie zeigen, dass der Unterschied zwischen „weißen“ Kolonialherren und „nicht-weißen“ Kolonialuntertanen, dessen Eindeutigkeit das imperialistische Denk- und Handlungsmuster postulierte und durchsetzen wollte, durchaus nicht immer stabil und klar war. Die vorliegende Arbeit stellt allerdings die Frage ins Zentrum, welche Differenzierungsmechanismen das Recht und die administrative Praxis im spten 19. und frhen 20. Jahrhundert prgten. Dabei ist vor allem entscheidend, wie Gesetzgeber, Richter und Verwaltungsbeamte ethnische Unterschiede wahrnahmen, und welche Vorstellungen ihre Entscheidungen leiteten. Diese Akteure gingen jedoch – insbesondere im britischen Fall – in ihrer berwiegenden Mehrheit von der Stabilitt und Klarheit ethnischer Differenzen aus. Das Verwirrungspotenzial des Verhltnisses zwischen den verschiedenen Differenzierungskategorien ist also fr diese Frage weniger relevant. Zentral ist dagegen die allmhliche Verlagerung des rechtlichen und administrativen Gewichts von religiçsen, sozialen und geschlechtlichen auf ethnische Unterschiede. Dort, wo unterschiedliche Differenzkategorien miteinander in Konflikt gerieten, also beispielsweise bei „nicht-europischen“ Frauen, die mit „Europern“ verheiratet waren, oder bei gebildeten, wohlhabenden oder zum Christentum konvertierten „Nicht-Europern“, rckte nach der Jahrhundertwende zunehmend die ethnische Identitt der Betroffenen in den Vordergrund. Ihre anderen Eigenschaften verloren demgegenber an Bedeutung. Diese Entwicklung kann man als Ethnisierung des Rechts und der administrativen Praxis bezeichnen. Im britischen Fall war sie besonders deutlich ausgeprgt. Der nchste Abschnitt soll der Frage nachgehen, inwiefern man auch fr den habsburgischen Kontext im frhen 20. Jahrhundert von Ethnisierungstendenzen sprechen kann. Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede lassen sich fr diesen Zeitraum zwischen den beiden Fllen feststellen?

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6. Die Ethnisierung des Rechts im frhen 20. Jahrhundert 6.1. Imperialistische Logik im britischen und Nebeneinander unterschiedlicher Logiken im habsburgischen Fall Im spten 19. Jahrhundert bestimmte das Prinzip der ethnischen Neutralitt das zumindest oberflchlich konsistente Recht in beiden Fllen. Diese Einheitlichkeit brach jedoch im frhen 20. Jahrhundert auseinander. Im habsburgischen Fall grndete diese Entwicklung in der politischen Heterogenitt des Reichs. Sobald einer der beiden dualistischen Partner vom gemeinsamen Weg abwich, kam es fast automatisch zu divergierenden Logiken innerhalb des Habsburgerreichs. Insofern war es eher ein Zufall, der im spten 19. Jahrhundert dafr sorgte, dass die etatistische Logik in sterreich und die nationalstaatliche, ethnisch-inklusive Logik in Ungarn mit der ethnischen Neutralitt ein hnliches Prinzip verfolgten. Im frhen 20. Jahrhundert endete diese Gemeinsamkeit. Die wachsende Bedeutung Bosniens als drittem Teil des Habsburgerreichs trug zustzlich zu einem verstrkten Nebeneinander verschiedener rechtlicher Logiken bei. Im Britischen Weltreich blieben Recht und administrative Praxis insofern konsistent, als die im spten 19. Jahrhundert bereits subkutan wirksame imperialistische Logik der Diskriminierung nach 1900 zum umstrittenen, jedoch dominierenden Modell avancierte. Aufgrund dieser Diskriminierungslogik wuchs die rechtliche Heterogenitt innerhalb des britischen Untertanenverbandes, der nach ethnischen Kriterien in bevor- und benachteiligte Gruppen zerteilt wurde. Divergierende Logiken im habsburgischen und Diskriminierungslogik im britischen Fall Im Habsburgerreich machte die Ethnisierung des Rechts nach der Jahrhundertwende die Unterschiede zwischen der çsterreichischen und der ungarischen Entwicklung offensichtlich. Whrend sich im ungarischen Fall eine ethnisch-exklusive nationalstaatliche Logik durchsetzte, die teilweise auch Diskriminierungstendenzen aufwies, hielt man in sterreich – und auch in Bosnien – entweder am etatistischen Prinzip der ethnischen Neutralitt fest oder implementierte eine Politik der Anerkennung. Zugleich diskriminierte das Recht die Landesangehçrigen Bosniens und der Herzegowina innerhalb der imperialen Gesamtkonstellation. Im frhen 20. Jahrhundert bestimmte 285

also kein einheitliches Prinzip mehr die Rechtsentwicklung im habsburgischen Kontext. Keine der drei Logiken dominierte. Vielmehr prgte ein unentschiedenes Nebeneinander unterschiedlicher Denk- und Handlungsmuster die Situation. Im Britischen Weltreich setzte sich im frhen 20. Jahrhundert dagegen die imperialistische Logik der Diskriminierung nach „rassischen“ Kriterien als hegemoniales Prinzip durch, sowohl in einzelnen Territorien als auch in der imperialen Gesamtkonstellation. Am besten verdeutlicht diesen Prozess die Entwicklung im East Africa Protectorate. Dort implementierte die Verwaltung – nach einer ethnisch-neutralen Anfangsphase – ab 1905 rassistische Diskriminierungs- und Exklusionsmechanismen. Auch die nationalstaatliche Logik in Kanada tendierte nach der Jahrhundertwende zu rechtlichen Diskriminierungen und vor allem zu einer ausgeprgten ethnischen Exklusivitt in der Migrationspolitik. Im Fall des Vereinigten Kçnigreichs ußerte sich die Ethnisierung und Nationalisierung des Rechts hingegen in positiven und inklusiven Diskriminierungen. Bestimmten Personen rumten die Gesetze aufgrund ihrer ethnischen Identitt rechtliche Privilegien ein. Lediglich in Indien spielte die etatistische Logik auch im frhen 20. Jahrhundert noch eine gewisse Rolle, sowohl in ihrer ethnisch-neutralen als auch in ihrer anerkennenden Variante. Dabei blieb in ambivalenter Gleichzeitigkeit auch die imperialistische Logik weiterhin prgend. Auch im britischen Kontext wirkten also die drei divergierenden Logiken synchron und nebeneinander. Allerdings teilten alle vier hier untersuchten britischen Territorien zwei grundlegende Zge. Einerseits tendierten sie zu Diskriminierungen und andererseits betrieben sie eine Politik der ethnischen Exklusivitt. Dieser Befund legt die Vermutung nahe, dass sich innerhalb der imperialen Gesamtkonstellation die imperialistische Logik als hegemoniales Prinzip durchsetzte. Das britische Staatsangehçrigkeitsgesetz von 1914: Rechtliche Diskriminierung Der zentrale Zweck der Novellierung des Angehçrigkeitsrechts von 1914 war die reichsweite Vereinheitlichung der Naturalisationsbestimmungen.1 Eine Einbrgerung sollte nicht mehr bloß in dem Territorium Gltigkeit besitzen, dessen jeweilige Regierung sie gewhrt hatte. Bisher waren die Naturalisierten in den anderen Teilen des Britischen Weltreichs weiterhin als Auslnder behandelt worden. Zunchst galten auch nach dem Naturalization Act von 1870 vom Home Office vollzogene Einbrgerungen lediglich innerhalb der Grenzen des Vereinigten Kçnigreichs. 1893 widersprachen allerdings die Law Officers dieser Rechtsauffassung. In einer Verlautbarung forderten sie, dass im Vereinigten Kçnigreich eingebrgerte Personen berall als britische Untertanen 1 Dazu s. Paragraf „Das Gesetz von 1914 zwischen Nation, Staat und Empire“ in Abschnitt 4.

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gelten sollten. Diese Meinung rief Widerspruch seitens der Regierungen in Indien und in den Dominions hervor. Daraufhin schlug die Regierung in London vor, reichsweit einheitliche Einbrgerungsbestimmungen zu erlassen.2 Dadurch wollte man einen einheitlichen angehçrigkeitsrechtlichen Status fr alle Untertanen der britischen Krone gemß der Formel „a British subject anywhere is a British subject everywhere“ schaffen und den Zusammenhalt des British Empire strken. Allerdings fhrte die Ausgestaltung eines einheitlichen Einbrgerungsverfahrens zu Auseinandersetzungen entlang dreier Konfliktlinien. Zunchst brachte der Vorschlag erneut die Uneinigkeit zwischen London und Ottawa bezglich der notwendigen Ansssigkeitsperiode – drei oder fnf Jahre – zutage.3 Dabei konfligierten nationalstaatliche kanadische mit imperialen Interessen.4 Dahinter lag letztlich der Widerspruch zwischen dem Konzept des „colonial nationalism“ und der Vorstellung einer imperialen Fçderation, in der die Gesamtheit der „weißen“ britischen Untertanen die politische Vormachtstellung einnehmen sollte.5 Die zweite Konfliktlinie verlief zwischen den Vertretern des Vereinigten Kçnigreichs und denjenigen Dominions, die „rassische“ Exklusionskriterien in den gemeinsamen Einbrgerungsbestimmungen festschreiben wollten. So forderte ein sdafrikanischer Vertreter, dass „a distinction should be drawn between applicants of European descent and those of non-European descent“.6 London widersetzte sich diesen Forderungen nach expliziter „rassischer“ Diskriminierung. Allerdings beruhte diese Opposition nicht auf dem Prinzip der supra-ethnischen Neutralitt. Die Vertreter der Londoner Regierung wollten explizite „rassische“ Diskriminierungen zwar vermeiden, folgten gleichzeitig aber einem Denkmuster, das den Begriff des „British subject“ implizit und automatisch mit „whiteness“ verknpfte. Die Frage nach der Rechtsstellung „nicht-weißer“ britischer Untertanen verdrngte man und wollte man nicht problematisieren.7 Deswegen reagierte der damalige britische Innenminister Herbert Gladstone 1907 auf die rassistischen Forderungen einiger Dominions nicht mit Empçrung, sondern mit dem Hinweis darauf, dass das Vereinigte Kçnigreich bisher „extremely few persons of non-European descent“ eingebrgert habe. Gladstone schlug vor, dass die Dominions den Ausschluss von „Nicht-Wei2 London, IOR, L/PJ/6/343, file 692. 3 Dazu s. Paragraf „Einbrgerungspolitik und die rechtliche Inklusion der Immigranten“ in Kap. 1.1. 4 Colonial Conference 1907, Bd. 55, S. 533 f. 5 Dazu s. Paragraf „Metropole: ,imperial nation‘ gegen ,colonial nationalism‘“ in Kap. 1.3. 6 Colonial Conference 1907, S. 794 – 799, Report of the Attorney General of the Cape Colony, Victor Sampson, 6./7.4.1904. Der Vertreter des Transvaal, General Botha, schlug vor, dass Einbrgerungen nur im Fall von „Europern“ reichsweit gltig sein sollten. Ebd., S. 536. 7 Eine hnliche Denkweise prgte die Texte von Seeley und Shaw. s. Paragraf „Metropole: ,imperial nation‘ gegen ,colonial nationalism‘“ in Kap. 1.3.

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ßen“ durch ihre Einwanderungsgesetzgebung erreichen kçnnten. Sie seien durch nichts gezwungen, alle britischen Untertanen unabhngig von ihrer ethnischen Identitt gleich zu behandeln.8 Noch deutlicher formulierte Innenminister Winston Churchill 1911 dieselbe Position: „Nothing now proposed would affect the validity and effectiveness of local laws regulating immigration or the like or differentiating between classes of British subjects.“9 Diese Formulierung erinnert deutlich an die Rechtstradition des Begriffs „subject“, der nicht mit staatsbrgerschaftsrechtlicher Egalisierung verknpft war und Diskriminierungen nicht ausschloss. Entlang der zweiten Konfliktlinie fochten die Parteien also nicht um Prinzipien, sondern lediglich um die formale Ausgestaltung der Diskriminierungen. Die britische Regierung wollte dabei explizite Formulierungen vermeiden. Das Versprechen rechtlicher Gleichheit, die man insbesondere den indischen Untertanen der britischen Krone in Aussicht gestellt hatte, wollte die Londoner Regierung nicht zu offensichtlich konterkarieren. Damit ist der dritte Konflikt zwischen der britischen und der indischen Regierung angesprochen. Delhi thematisierte aus einer Abwehrhaltung heraus das Gleichheitsversprechen. Die Regierung von Indien befrchtete, dass „difficulties would arise from the grant to foreign Asiatics of certificates of naturalization to have effect beyond British India“. Zugleich bemerkte sie, es sei nicht „advisable to grant the privileges of universal citizenship to foreign Europeans and deny them to foreign Asiatics“.10 Denn beide Vorgehensweisen wrden verdeutlichen, dass das britische Recht den „Asiatics“ die rechtliche Gleichstellung mit den „europischen“ Untertanen verweigerte. „[T]he English self-governing colonies … seem determined not to admit Chinese and other Asiatics to the privilege of citizen-ship“.11 Delhi befrchtete, dass die Novellierung des britischen Angehçrigkeitsrechts Proteste der indischen Nationalbewegung gegen die rassistische Diskriminierungspolitik der Dominions auslçsen kçnnte. Deswegen wollte die indische Regierung die Verleihung des britischen Untertanenstatus an weitere „Asiaten“ vermeiden. Das India Office in London wies diesen Einwand mit einer interessanten Begrndung zurck. In einer handschriftlichen Anmerkung verwies ein Beamter auf die Tradition des Rechtsbegriffs „subject“ und 8 Colonial Conference 1907, S. 181 und 538 f. Das Paradebeispiel fr einen migrationsrechtlichen Exklusionsmechanismus bildete der „literacy test“, wie ihn Natal handhabte. Einreisewillige mussten dort die Kenntnis einer europischen Sprache nachweisen. Welche Sprache jeweils geprft wurde, ob Bulgarisch, Englisch oder Portugiesisch, bestimmte der Immigrationsbeamte von Fall zu Fall. Lake, From Mississippi to Melbourne. 9 Ollivier, S. 86 f. Trotz dieser und hnlicher ußerungen fllt das Urteil, das insbesondere klassisch politikgeschichtliche Studien ber Churchill fllen, sehr positiv aus. Hyam, S. 41, schreibt beispielsweise, Churchill war als Minister „invariably directed towards fairness, justice, pragmatism, and racial reconciliation“. Dem muss hier widersprochen werden. 10 London, IOR, L/PJ/6/714, file 923, indische Regierung an India Office, 16.3.1905. 11 London, IOR, L/PJ/6/500, file 101, indische Regierung an India Office, 1.9.1898.

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bemerkte, „citizen-ship“ sei „an ambiguous phrase that has probably given rise to a confusion of thought“. Man drfe den britischen Untertanenstatus eben nicht mit der Idee der rechtlichen Gleichheit aller Staatsbrger vermengen. Die geplante Novellierung des Staatsangehçrigkeitsrechts wrde demgegenber sicherlich deutlich machen, dass von einer rechtlichen Gleichheit aller British subjects nicht die Rede sein kçnne.12 Das Ergebnis dieser Auseinandersetzungen war der British Nationality and Status of Aliens Act von 1914. Eine wesentliche Bestimmung dieses Gesetzes, versteckt in einem seiner letzten Abschnitte, verfgte: „Nothing in this Act shall take away or abridge any power vested in, or exercisable by, the Legislature or Government of any British Possession, or affect the operation of any law at present in force which has been passed in exercise of such a power, or prevent any such Legislature or Government from treating differently different classes of British subjects.“13

Diese Formulierung macht deutlich, welche Position sich letztlich durchsetzte. Weder die von der indischen Regierung in die Debatte eingebrachte Vorstellung der supra-ethnischen Gleichberechtigung aller britischen Untertanen noch eine dem nationalstaatlichen Muster folgende Homogenisierungspolitik, wie sie Kanada betrieb, prgten letzten Endes das Gesetz von 1914. Die imperialistische Logik der rassistischen Diskriminierung, wie sie in der Position der sdafrikanischen Regierungen zum Ausdruck kam, bestimmte das britische Recht im frhen 20. Jahrhundert. Sie fhrte zur Spaltung des Untertanenverbandes in privilegierte „Weiße“ und weitgehend rechtlose „NichtWeiße“.14 Whrend die imperiale Metropole diese Mechanismen im spten 19. Jahrhundert lediglich unterhalb einer ethnisch-neutralen Oberflche tolerierte, verankerte man die Mçglichkeit zur rechtlichen Diskriminierung 1914 im britischen Staatsangehçrigkeitsrecht. Die Diskriminierungspolitik der Dominions und die indischen Gleichheitsforderungen Der wesentliche Konflikt spielte sich also zwischen den rassistischen Diskriminierungsabsichten der Dominions und der Gleichheitsforderung der indischen Nationalbewegung ab. Deswegen soll das Folgende die zentralen Punkte dieser beiden Handlungs- und Argumentationsmuster genauer be12 Ebd. Außerdem, so argumentierte das India Office weiter, htten die Einwanderungsverbote der Dominions mit dem Untertanenstatus nichts zu tun und beruhten allein auf „rassischen“ Kategorien: „Those disabilities are commonly imposed on persons of certain races, whether British subjects or not.“ 13 UK Acts, 4&5 Geo. 5 ch. 17, sec. III.26.1. 14 Damit setzte der British Nationality and Status of Aliens Act eine Entwicklung fort, die der Paragraf „Die British protected persons: einschließende Ausschließung von ,Nicht-Weißen‘“ in Kap. 5.1. skizziert.

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leuchteten. Die Diskriminierungspolitik kann ein Memorandum zum rechtlichen Status „indischer“ Untertanen in den Dominions veranschaulichen. Diese Denkschrift hatten das India und das Colonial Office gemeinsam als Diskussionsgrundlage fr die Imperial Conference von 1911 erarbeitet. Das Dokument und insbesondere die Notizen und Kommentare der Londoner Regierungsbeamten dazu belegen, dass es sich bei der Diskriminierungslogik nicht – wie große Teile der Forschung annehmen – um ein radikales, kolonialperipheres Phnomen handelte, dem die eigentlich der ethnischen Neutralitt zuneigende imperiale Metropole mit Skepsis gegenberstand.15 Zwar vertrat auch dieses Memorandum den Standpunkt, dass die kolonialen Gesetze „indische“ Untertanen nicht explizit aufgrund „rassischer“ Kriterien benachteiligen sollten. Gleichzeitig vermerkte aber ein Beamter handschriftlich: „It is useless to attempt to veil the fact that the policy of building up new nations of European blood within the Empire is absolutely incompatible with the idea that every British subject, whatever his race, shall have free right of ingress to any part of the Empire.“16

Hier ist die Politik des „colonial nationalism“, wie sie Richard Jebb formuliert hatte, noch einmal drastisch auf den Punkt gebracht. Allerdings sollten die Dominions die daraus resultierende rassistische Exklusionspolitik hinter ethnisch-neutralen Mechanismen und Kriterien verstecken. Denn das zentrifugale Potenzial der Diskriminierungen sollte den Gesamtverband der britischen Untertanen nicht gnzlich zertrennen. Das „educational … criterion“ (s. Abbildung 7) eignete sich scheinbar fr diesen Zweck, „although in its application to individual cases it admits of being administered so as to exclude Indians on racial grounds“.17 Allerdings entging den Ministerialbeamten nicht, dass gebildete „indische“ Untertanen diese „rassische“ Schranke berspringen konnten. Die rassistische Exklusionsabsicht drohte irgendwann offensichtlich zu werden:

15 Gorman geht davon aus, dass London einen ethnisch-neutralen Standpunkt vertrat, verwickelt sich allerdings in Widersprche: „The Colonial Office believed … liberal ideals should flourish throughout the Empire. Note that this did not mean that all people were to be treated equally ; non-whites generally did not enjoy the same full citizenship rights as whites. Rather, it meant that all subjects should be given the opportunity to participate in Empire, whether as ,bearers of civilization‘ or as pupils. Thus, policies of exclusion were officially unacceptable to London.“ Ebd., S. 159. Den genau entgegengesetzten – und konsistenteren – Standpunkt vertritt Gregory, India and East Africa, S. 178. Nach ihm kann man anhand des ostafrikanischen Beispiels gleichsam das wahre, rassistische Gesicht der britischen Kolonialpolitik herausarbeiten. Anders als in Sdafrika kçnne sich der britische Rassismus hier nicht hinter den Buren verstecken: „British policy in East Africa would thus afford a significant illustration of the imperial attitude towards the racial question in general.“ 16 London, IOR, L/PJ/5/462, Memo, Sir Herbert Risley, 1911. 17 Ebd.

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Abb. 7: Familienleben und Minority Report: Schreibtest des Naturalisationskandidaten Benjamin Goldberg, 1912, aus: London, PRO, HO 144/971/B36646. „And as soon as the test is worked so as to exclude an educated Indian Mr Ghandi will get his innings. He will say ,Here is Mr. Chose, B.A., B.L., Barrister-at-Law, an accomplished scholar and a learned lawyer who wishes to practise his profession in the Orange Free State. He knows Sanskrit, English, French and German, and all the languages of a liberal education. He was asked to write 50 words in Swedish! How many Englishman know Swedish?‘ And so on, the various strings of agitation being skilfully pulled in India and England.“18 18 Ebd., Vertraulicher Brief von Sir Herbert Risley, Secretary des Judicial and Public Departments

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Deswegen regten die Beamten inoffiziell an, dem kanadischen Beispiel zu folgen und Immigranten aufgrund ihrer Herkunft aus einem bestimmten Lngengradspektrum die Einreise zu verweigern. Dabei sollte das „domicile“ der betreffenden Personen ausschlaggebend sein. Ein „Immigration Officer would be empowered to determine questions of domicile“. Dadurch wollte man die Exklusion von „Europeans“ verhindern, die in derselben Gegend ihren Wohnsitz hatten.19 Bei der Entwicklung von Camouflagemechanismen fr rassistische Diskriminierungen waren die britischen Behçrden sehr einfallsreich. Allerdings beruhten die verschiedenen Tricks alle darauf, dass letztlich ein mit weitreichenden Entscheidungsbefugnissen ausgestatteter Verwaltungsbeamter auf der Grundlage der phnotypischen Erscheinung der Betroffenen die Entscheidung fllte. So wollte man sicher stellen, dass das Recht nicht gleichsam aus Versehen „Weiße“ von den fr sie vorgesehenen Privilegien ausschloss. Gegen diese Diskriminierungen protestierten die Vertreter der indischen Nationalbewegung heftig. 1910 erstellte Gokhale in der Legislative Assembly gleichsam einen Katalog der „galling and degrading indignities and humiliations on His Majesty’s Indian subjects“: das sklavereihnliche „indenture“System, die schlechte Behandlung durch die Arbeitgeber, Sonderbesteuerungen, die Verweigerung des Wahlrechts, die Einschrnkung des Rechts auf Grunderwerb, die Zuweisung von speziellen Wohngebieten, Einreiseverbote und gewaltsame Vertreibungen listete er als die gravierendsten Ungerechtigkeiten auf.20 Gleichzeitig betonte Gokhale „the depth and intensity of public feeling that has been aroused in this country in all quarters“ aufgrund dieser Diskriminierungen. Vertreter der Nationalbewegung drohten wiederholt mit Unruhen in Indien, falls die Dominions ihre Exklusionspolitik, fr die man London verantwortlich machte, intensivierten.21 Im Mrz 1908 ordneten die kanadischen Behçrden die Deportation einer Gruppe indischer Einwanderer an, die mit der Monteagle nach Vancouver gekommen waren. Daraufhin kam es zu Demonstrationen „indischer“ Untertanen in British Columbia. Ein Vertreter sandte eine telegrafische Protestnote an das India Office in London:

im India Office, an den Assistant Secretary Malcolm Seton, 11.5.1911. Anstelle des Sprachtests schlgt Risley eine an der kanadischen Gesetzgebung orientierte Alternative vor, die „will exclude Indians without differentiating against them by excluding them as a race … by excluding as unsuited etc. all persons domiciled between such and such degrees of latitude and longitude“. Bei dem Verfasser dieses Briefes handelt es sich um denselben Risley, dessen Versuche, „rassische“ und Kastenordnungen im Kontext der indischen Volkszhlungen in einem hierarchischem System zu vereinen, im Paragraf „Die Produktion ethnischer Differenzen ,von unten‘ und ,von oben‘“ in Kap. 2.3. beschrieben wurden. 19 London, IOR: L/PJ/5/462, Risley an Seton, 11.5.1911. 20 Indian Legislative Council, 25. 2. 1910, Mr. Gokhale. 21 Indian Legislative Council, 31. 1. 1908, Mr. Gokhale.

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„mass meeting natives of india protest deportation exclusion from canada british subjects claim government protection throughout empire if our interest overlooked brothers in india must neccss [sic!] resent your governments neglect“22

Die Vertreter der indischen Regierung reagierten auf diese Proteste mit der Zusicherung, sich fr eine Verbesserung der rechtlichen und allgemeinen Position der „indischen“ Untertanen in den Dominions einzusetzen. Die Regierung in Delhi versprach also, die Interessen „ihrer“ Untertanen zu schtzen, in ganz hnlicher Weise wie die Imperien nach Außen die Interessen ihrer „Angehçrigen“ vertraten. Fr die indische Regierung war die Diskriminierungspolitik der Dominions in erster Linie ein Problem ihres eigenen, nicht internationalen, sondern intra-imperialen Prestiges. Erst in zweiter Linie stellen ihre Vertreter die Frage nach „status and privileges of Indian emigrants as subjects of the British Empire“.23 Doch whrend die indische Regierung mit dieser Formulierung im Rahmen der anti-egalitren Tradition des Begriffs „subjects“ verblieb, argumentierten die Vertreter der indischen Nationalbewegung auf geradezu exzessive Weise mit den Begriffen „citizen“ und „citizenship“.24 Sie forderten die Gleichbe-

Abb. 8: Einreise verweigert: Indische Passagiere an Bord der Komagata Maru in Vancouver, B.C., James L. Quiney, 1914, aus: City of Vancouver Archive, CVA 7 – 125. 22 London, IOR, L/PJ/6/864, file 1371, Telegramm des indischen Vertreters Mdayram aus Vancouver an den Secretary of State for India Morley, 23.3.1908. Im Kontext des „Monteagle incident“ kam es auch zu einer parlamentarischen Anfrage im House of Commons am 25.3.1908. Zu dem hnlich gelagerten Fall der Komagata Maru von 1914 (Abbildung 8) s. Johnston. 23 Indian Legislative Council, 31. 1. 1908, Antwort Mr. Finlay auf eine Frage von Mr. Gokhale. 24 Indian Legislative Council, 25.2.1910. Die Begriffe wurden allein in der Debatte dieses Tages fnfmal von Gokhale, einmal von Chitnavis und siebenmal von Sinha verwendet.

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rechtigung aller britischen Untertanen unabhngig von ihren ethnischen Identitten auf der Grundlage des Konzepts staatsbrgerschaftsrechtlicher Homogenisierung und Egalisierung. Sie verwendeten die Begriffe mithin so, wie sie im franzçsischen und auch im çsterreichischen Kontext gebruchlich waren.25 Einige markierten den Unterschied zwischen der egalitren „citizenship“- und der untertnigen „allegiance“-Logik sogar explizit. Zwei Redner verwiesen dabei auf eine Aussage Lord Curzons im britischen Oberhaus: „… these are wise words and lay down the only sound and healthy ideal of citizenship on which the great British Empire can exist as a real political unit. Set aside this ideal and the Empire will be reduced to a mere agglomeration of States and the nominal allegiance to the Crown will not be sufficient to stop its disintegration.“26

Diese Vorstellung einer rechtlichen Egalisierung innerhalb des multi-ethnischen Untertanenverbandes auf der Grundlage einer etatistischen, ethnischneutralen Logik lehnte die Gegenseite ab. Sie behauptete stattdessen, ethnische Homogenitt sei eine unabdingbare Voraussetzung fr staatsbrgerschaftsrechtliche Binnenhomogenisierung. Diesem Diktum folgte die ethnisch-exklusive, nationalstaatliche Logik, welche die kanadische Rechtsentwicklung im frhen 20. Jahrhundert bestimmte. In hnlicher Weise wirkte sie auch in den anderen Dominions. In Neuseeland beispielsweise verknpfte man die Einfhrung politischer und sozialer Staatsbrgerrechte explizit mit einer „rassisch“ exklusiven Migrationspolitik.27 Dasselbe Argument vertrat auch Richard Jebb, wenn er die „promotion and protection of nation-states” zum historischen Zweck des Britischen Weltreichs erklrte. Die ethnische Homogenisierung der verschiedenen Reichsteile beschrieb er dabei als wesentliches Mittel zur Erreichung dieses Ziels.28 Die Umsetzung dieser natio-

25 Es ist bezeichnend, dass Gorman in seinem Buch ber „imperial citizenship“ diese innerhalb der indischen Nationalbewegung geprgte Konzeption nicht bercksichtigt. 26 Indian Legislative Council, 25. 2. 1910, Sachchidananda Sinha. Nach Sinha hatte Curzon „equal citizenship [as] the only basis upon which you will expect the loyalty of an Asiatic population to an alien rule to be permanently developed or maintained“ bezeichnet. Dass ausgerechnet Curzon, der fr die Teilung Bengals im Jahr 1905 als indischer Vizekçnig verantwortlich war, hier eine Rolle als Stichwortgeber fr die Gleichheitsforderung spielte, kann man als Ironie der Geschichte auffassen. 27 Lusk. Ein hnliches Argument tauchte auch in der Debatte ber das indische Strafprozessrecht auf. 1898 forderten beide Seiten, die Jury und der Angeklagte mssten dieselbe ethnische Identitt teilen, weil ein Juryverfahren nur innerhalb einer ethnisch homogenen Gruppe sinnvoll sei. Zur Vorstellung von kultureller Homogenitt als Voraussetzung staatsbrgerschaftsrechtlicher Egalisierung s.a. Stapleton. Stapleton, S. 152, unterscheidet in der zeitgençssischen Debatte zwischen dem Konzept des „patriotism“, das im nationalen Sinn kulturelle Homogenitt betonte, und einem Begriff von „citizenship“, der den Staat ber die Nation stellte und mit kultureller Heterogenitt vereinbar war. 28 Jebb, The Imperial Problem of Asiatic Immigration, S. 594 f. s. London, IOR, L/PJ/6/861, file 1303.

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nalstaatlichen Politik ethnischer Exklusion seitens der Dominions fhrte, solange sie sich nicht gnzlich aus dem Britischen Weltreich herauslçsten, zwangslufig zu Diskriminierungen innerhalb des britischen Untertanenverbandes nach ethnischen Kriterien. Auf diese Weise trug die Exklusionspolitik der Dominions maßgeblich zur Durchsetzung der imperialistischen Diskriminierungslogik auf der Ebene des imperialen Rechts bei. Die Politik der Anerkennung ethnischer Differenzen in sterreich und in Indien Die Vorstellung, dass rechtliche Homogenisierung ethnische Homogenitt voraussetzt, spielte im habsburgischen Kontext kaum eine Rolle. Sie prgte allenfalls die assimilatorische Magyarisierungspolitik in Ungarn. In Cisleithanien und auch in Bosnien waren dagegen diametral entgegengesetzte Konzepte bestimmend. Fr den çsterreichischen Fall formulierte Artikel 19 des Staatsgrundgesetzes ber die allgemeinen Rechte der Staatsbrger von 1867 ein Recht auf ethno-kulturelle Differenz.29 Zunchst wirkte dieser Artikel als individuelles Recht auf die Verwendung der eigenen Sprache im Verkehr mit den Behçrden und im staatlichen Schulunterricht.30 Um die Jahrhundertwende kam es zu einer Kollektivierung dieses Rechts auf nationale Differenz. Die „Nationalitten“ agierten nun als Gruppen in der rechtlich-politischen Sphre und forderten „nationale Autonomie“.31 Die Aufteilung der Schulrte in Bçhmen 1890 sowie der Whlerschaft in Mhren 1905 und in der Bukowina 1910 nach nationalen Zugehçrigkeiten veranschaulichen diesen Prozess. Auf der imperialen Ebene diskutierte man zwei Organisationsprinzipien fr die nationale Autonomie: das Territorialitts- und das Personalittsprinzip. Nach dem territorialen Modell sollten in einem fçderalen Staat die Grenzen der einzelnen Bundesstaaten mit denen der nationalen Siedlungsgebiete kongruieren.32 Diese territorialen Lçsungsvorschlge entsprachen zumindest teilweise der Idee, dass staatsbrgerschaftsrechtliche Gleichberechtigung ethnische Homogenitt voraussetzte. Im bçhmischen Ausgleich von 1890 und 1905 in Mhren kam dagegen das Personalittsprinzip zum Tragen. Mittels nationaler Listen, Matrikeln und Kataster teilte man die Bevçlkerung in nationale Gruppen ein. Das Beispiel des Mhrischen Ausgleichs macht deutlich, dass dieser Differenzierungsmechanismus darauf zielte, die Gleichberechtigung der verschiedenen nationalen 29 „Alle Volksstmme des Staates sind gleichberechtigt und jeder Volksstamm hat ein unverletzliches Recht auf Wahrung und Pflege seiner Nationalitt und Sprache. Die Gleichberechtigung aller landesblichen Sprachen in Schule, Amt und çffentlichem Leben wird vom Staat anerkannt.“ 30 Russ. Baier. Stourzh, Die Gleichberechtigung. Burger, Sprachenrecht. 31 Stourzh, The Multinational Empire Revisited. 32 Popovici. Fischhof.

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Gruppen zu garantieren und die politische Majorisierung der Minoritt zu verhindern. Auf der Grundlage dieser personalisierten Variante einer Politik der Anerkennung ethnischer Differenz haben auch Karl Renner und Otto Bauer ihre Vorschlge fr die rechtliche Ausgestaltung der nationalen Autonomie in sterreich formuliert. Neben diesen territorialen und personalen, auf nationale Autonomie zielenden Konzepten pldierten die Vertreter einer dritten Denkrichtung fr einen Zugang zum Wahlrecht unabhngig von ethno-nationalen Identitten. Das Prinzip der ethnischen Neutralitt kçnnte, so das Argument, die nationalen Gegenstze auf der Ebene des gemeinsamen, supra-nationalen Staates integrieren. Auf diese Weise wrde die Auseinandersetzung zwischen den sozialen Klassen das „Phantom des nationalen Gedankens“ von der politischen Bhne verdrngen.33 Jedenfalls spielte der im britischen Fall so entscheidende Gedanke, dass ethnische Heterogenitt staatsbrgerschaftsrechtliche Egalisierung unmçglich mache, im habsburgischen Fall kaum eine Rolle. Umgekehrt waren Anstze zu einer Politik der Anerkennung im Britischen Weltreich kaum relevant. Lediglich das indische Wahlrecht von 1918/19 und seine Vorlufer wandten das Prinzip der „communal representation“ an. Und in der Debatte ber die Einfhrung reprsentativer Institutionen in Ostafrika diskutierte man hnliche Vorschlge. Allerdings waren diese Anstze in beiden Fllen eng mit „rassischen“ Diskriminierungen verknpft. In Indien prgte die Privilegierung der „Weißen“ die Wahlrechtsordnung. Und in Ostafrika zogen die Vertreter der „europischen“ Siedler die „communal representation“ nur dann in Betracht, wenn sie dadurch aus ihrer Sicht Schlimmeres, also ein ethnisch-neutrales und gleiches Wahlrecht insbesondere fr die „indischen“ Bewohner des Protektorats verhindern konnten. Gleichzeitig spielte in der Diskussion und teilweise in der Ausgestaltung des indischen Wahlrechts das Proportional- oder Verhltniswahlrecht als Mittel zur Sicherung der politischen Reprsentation von ethnischen Minderheiten eine wesentlich wichtigere Rolle als in sterreich, wo man diese Variante kaum diskutierte. Das Verhltniswahlrecht erlaubt den Schutz ethnischer (und anderer) Minderheiten, ohne dass man rechtlich zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen differenzieren musste. Man konnte das Proportionalwahlrecht also, anders gesagt, ethnisch-neutral formulieren. Dieser Befund spricht dafr, dass im britischen Fall die klare Alternative zwischen ethnischer Neutralitt und rassistischer Diskriminierung im Zentrum der Auseinandersetzungen stand. In sterreich-Ungarn war das Spektrum der Mçglichkeiten im Umgang mit ethnischen Unterschieden dagegen – insbesondere durch die Politik der Anerkennung, die zwar ethnisch differenzierte, aber nicht diskriminierte – deutlich weiter und komplexer angelegt.

33 Adler, S. 48.

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Die k.u.k. Konsulate zwischen çsterreichischem Staat und ungarischer Nation Zu diesem Ergebnis kommt auch die Analyse der Behandlung der çsterreichischen und ungarischen Staatsangehçrigen im Ausland. Einerseits hielten die k.u.k. Vertretungsbehçrden im frhen 20. Jahrhundert weitgehend am Prinzip der ethnischen Neutralitt fest. Andererseits wandelte sich die konsularische Praxis in einigen wesentlichen Punkten. Dabei zeichneten sich verschiedene Tendenzen ab, die in divergierenden emigrationspolitischen Anstzen wurzelten.34 In sterreich standen die ethnisch-neutralen, militrischen und çkonomischen Interessen des Staates im Zentrum. Deswegen setzte sich zunehmend eine restriktive Politik durch, die vor allem auf die Verhinderung von Emigration zielte. In Ungarn spielten dagegen neben Restriktionen die Auswandererfrsorge und die Fçrderung der Rckwanderung eine grçßere Rolle. Dabei argumentierten die ungarischen Behçrden meist im Sinne einer nationalstaatlichen Logik. Generell intensivierten die habsburgischen Konsulate im frhen 20. Jahrhundert die Auswandererbetreuung. Insbesondere in den beiden Amerikas erhçhte man die Zahl der Vertretungsbehçrden und stellte diesen mehr finanzielle Mittel zur Verfgung. Das Budget der k.u.k. Konsulate in den USA fr die Rechtsschutzarbeit, also fr die Vertretung der Interessen çsterreichischer und ungarischer Staatsangehçriger vor US-amerikanischen Gerichten wuchs schrittweise von 5.750 Kronen im Jahr 1907 auf 24.000 (1909), 30.000 (1911) und schließlich 47.500 Kronen im Jahr 1912.35 Der Anstieg der Auswandererzahlen und die Intensivierung der Betreuung vermehrten den Arbeitsaufwand der Vertretungsbehçrden. Deswegen forderten diese wiederholt eine Aufstockung der Ressourcen und die Einrichtung neuer Konsulate.36 Fr Argentinien verlangte das cisleithanische Handelsministerium wegen der „durch die Auswanderung und die regere Gestaltung unserer commerciellen und sonstigen wirtschaftlichen Beziehungen herbeigefhrte[n] anhaltende[n] und bedeutende[n] Zunahme der Agenden unserer Consularmter“ eine Aufstockung des Personals vom k.u.k. Außenministerium.37 34 Zur Migration in der spten Habsburgermonarchie s. Steidl. 35 Wien, HHStA, Md, Adm. Reg., F8, Ktn. 267, Credite fr intensivere Schutzerteilung in Nordamerika, 36668 – 1907, 38148 – 1909, 36023 – 1911, 73977 – 1912. Die k.u.k. Konsulate in den USA befanden sich in New York, Pittsburgh, Cleveland, Chicago, Philadelphia und San Francisco. 1912 standen auch den kanadischen k.u.k. Konsulaten in Winnipeg und Montreal erstmals 12.000 Kronen fr die Rechtsschutzarbeit zur Verfgung. 36 Ebd., Ktn. 268, 66336 – 1912, k.u.k. Botschaft in Washington an k.u.k. Außenministerium, 2.9.1912. Die Forderungen nach einer Aufstockung der finanziellen Mittel und nach der Grndung neuer Konsulate unterftterte man mit Angaben darber, wie viele Angehçrige welcher Nationalitt jeweils in einer Stadt wohnten. In dem zitierten Brief wird beispielsweise fr Milwaukee festgehalten, dass dort 1905 2.028 Bçhmen, 943 Polen, 2.952 sonstige sterreicher und 1.627 Ungarn lebten. 37 Ebd., Ktn 261, 23425 – 1912, k.k. Handelsministerium an k.u.k. Außenministerium, 22.4.1912.

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Neben dem erwhnten Rechtsschutz eigener Staatsangehçriger „in Verlassenschafts- und Unfallsachen“, also bei Erbangelegenheiten und Schadenersatzansprchen gegenber Arbeitgebern, waren die k.u.k. Konsulate vor allem mit „Maßnahmen zwecks zahlreicher Erfllung der Stellungspflicht“ befasst. In zunehmendem Maße arbeiteten sie auch an der „mçglichste[n] Behtung unserer Konationalen vor aussaugenden Elementen“.38 Im Rahmen dieser Frsorge gewhrte man den Emigranten Untersttzungszahlungen oder bezahlte ihnen im Extremfall und wenn mçglich die Repatriierung, also die Heimreise.39 Zu diesen Betreuungsmaßnahmen gehçrte auch die Ko-Finanzierung seitens des k.k. Handelsministeriums und das k.u. Innenministeriums von Auswandererheimen in New York, die çsterreichische und ungarische „Hilfsvereine“ unterhielten. Die jhrlichen Zuwendungen wuchsen von je 2.500 Kronen im Jahr 1901 auf 12.500 Kronen fr das ungarische Auswandererheim und auf 10.0000 Kronen fr die çsterreichischen Einrichtungen „Leo Haus“ und „St. Joseph’s Home“ im Jahr 1910.40 Auch in Argentinien konzentrierte sich die Arbeit der k.u.k. Konsulate auf militrische Angelegenheiten, auf den Rechtsschutz und auf Hilfen fr „in Not geraten[e]“ Arbeiter. Diese baten die Konsulate „um Untersttzungen, sei es nur durch Geld, Unterbringung in Krankenhusern u. dgl.“.41 Die folgende Schilderung eines solchen Falls konsularischer Frsorge soll genauer beleuchten, nach welchen Prinzipien die k.u.k. Vertretungsbehçrden eigene Staatsangehçrige im Ausland behandelten. Im Mrz 1912 erreichte ein Telegramm aus Buenos Aires das k.u.k. Außenministerium: „Behufs Vermeidung weiterer Skandale muss Konsulat dringendst Repatriierung angeblich von Landesregierung Bukowina entsendeter 200 rumnischer Saisonarbeiter, welche auf Heimkehr bestehen, mit der Samstag abgehenden Eugenia verfgen, obgleich Billets nur teilweise bezahlt.“42

Diese Gruppe von Emigranten, deren Rckkehr die Behçrden so plçtzlich finanzieren mussten, hatte der k.u.k. Konsul Hoenning bereits in einem frheren Bericht erwhnt. Auf dem Schiff, mit dem er nach Argentinien gekommen war, reisten auch etwa 1400 Emigranten: „Ruthenen, Rumnen, 38 Ebd., Ktn. 268, Protokoll der Konsulatskonferenz in Washington, 1911. 39 Wien, HHStA, Md, Adm. Reg., F 15, Ktn. 7, Memorandum ber Auswanderungsfragen, Mai 1901. 40 Aus diesen Zahlen kann man auch ablesen, dass die ungarische Regierung in der Auswandererfrsorge strker engagiert war als die çsterreichische. Das k.u. Innenministerium bernahm 1910 zustzlich die Garantie eines Darlehens von 160.000 Kronen fr den ungarischen Hilfsverein in New York. Ebd. Wien, HHStA, Md, Adm. Reg., F 15, Ktn. 31, 75166 – 1910, k.u. Innenministerium an k.u.k. Außenministerium, 14.9.1910. Ebd., 56090 – 1910, Ausweise ber die çsterreichischen Auswandererheime, 30.8.1910. 41 Wien, HHStA, Md, Adm. Reg., F 8, Ktn. 261, 3321 – 1912, Bericht ber die Dienstreise des Konsular-Attachs Fuchs nach C rdoba, Santa F, Paran , Chaco und Corrientes. 42 Ebd., F 15, Ktn. 36, k.u.k Konsulat in Buenos Aires an k.u.k. Außenministerium, 7.3.1912.

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Croaten, Russen, Syrier, Spanier und Italiener“. „Unter ihnen interessierte mich bald eine Gruppe von 270 – meist jungen – Leuten in Bauerntracht, die von drei erster Classe Passagieren ,gemanaged‘ nach Argentinien reisten.“ Dabei handelte es sich um Major Gruber, Herrn Negrusz und den Sekretr der Raiffeisenkassen in der Bukowina Dr. Stratyjczuk, welche die Arbeitsmigranten zum Ernteeinsatz in Argentinien begleiteten.43 Diese Aktion hatte der Landesausschuss in Czernowitz (HVa^wSgw, HVa^_Sgl, Cerna˘ut¸i oder Czerniowce, heute in der Ukraine) initiiert und mitorganisiert. Die autonome Behçrde hoffte, dass der Arbeitslohn aus Sdamerika die Armut der heimischen Familien lindern kçnnte. Gleichzeitig sollten die Betreuer sicherstellen, dass die Emigranten nach getaner Arbeit zurckkehrten und dem „Vaterland“ nicht verloren gingen.44 Die „Manager“ verfolgten allerdings eigene Plne und hatten vor, einen Teil des Lohns „ihrer“ Arbeiter fr sich zu behalten. „Streng vertraulich mçchte ich noch beifgen, dass die ,Unternehmer‘ mehreren Passagieren auf dem Dampfer auch angedeutet haben, sie wrden sich eventuell in Argentinien ankaufen und ihr Land dann an die mitgebrachten Bauern verpachten.“45

Die Funktionre, denen sich in Buenos Aires Herr Lukasiewicz zugesellte, wollten also in der Fremde die Kopie eines heimischen Landguts einrichten und selbst die Rolle von Großgrundbesitzern bernehmen. Dieses Vorhaben scheiterte allerdings ebenso wie das gesamte Projekt der gesteuerten, transkontinentalen Arbeitsmigration. Das Scheitern resultierte nach dem Bericht eines k.u.k. Konsulatsbeamten aus mehreren Umstnden. Zum einen misstrauten die argentinischen Behçrden und Arbeitgeber den Profitabsichten der vier Betreuer, einerlei ob diese in eigenem Interesse oder im Dienste ihrer Auftraggeber in Czernowitz handelten. Insbesondere das Beharren der „Manager“ darauf, dass die Gruppe zusammenbleiben sollte, erschwerte den Einsatz der Arbeitskrfte. Außerdem zielte die argentinische Regierung auf die dauerhafte Ansiedlung von Einwanderern. Der bukowinische Landesausschuss verfolgte dagegen eigene çkonomische Interessen und zweckentfremdete die argentinischen Maßnahmen zur Fçrderung der Immigration, wie Versorgungseinrichtungen und Arbeitsvermittlung, um die saisonale Arbeitsmigration zu erleichtern. Daneben scheiterte das Unternehmen auch an ganz praktischen Grnden. Die Arbeitsmigranten trafen zu spt in Argentinien ein, etliche Wochen nach Beginn der Ernte. Zudem konnten sie an vielen Tagen wegen schlechten Wetters und Maschinenschden nicht arbeiten. Diese Schden hatten sie, wie ein Farmer berichtete, entweder absichtlich oder aus Unkenntnis selbst verursacht. Außerdem gaben einige Arbeiter ihren Tageslohn unverzglich fr Alkohol aus, anstatt fr ihre Rckreise zu sparen. Schließlich erkannte der Bericht einen entscheidenden Grund fr das Schei43 Ebd., Bericht von Konsul Hoenning aus Buenos Aires, 20.2.1912. 44 Ebd., Bericht des k.u.k. Konsulatsbeamten Fuchs, 8.2.1912. 45 Ebd., Anmerkungen Hoennings zum Bericht von Fuchs.

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tern darin, „dass die Leute wussten, dass sie sowohl in den offiziellen Reiseleitern, als auch in der Einwanderungsbehçrde einen festen Rckhalt hatten. Bei der geringsten Beschwerde liefen sie von der Arbeit weg.“ Die „Ruthenen“, wie der Bericht sie bezeichnete, begrndeten das Verlassen ihrer Arbeitgeber wiederholt mit dem Hinweis auf die ihnen in der Bukowina gemachten Zusagen. Sie beschwerten sich ber das Essen46 und ber die Nichteinhaltung der Sonntagsruhe. Außerdem bestanden sie auf einer maximalen tglichen Arbeitszeit von zehn Stunden, was ihrer Vermittelbarkeit an argentinische Arbeitgeber nicht zutrglich war. Der k.u.k. Konsulatsbeamte wies die Schuld am Scheitern des Unternehmens vor allem den bukowinischen Arbeitern zu. Am Ende seines Berichts regte er fr den Fall weiterer Unternehmungen dieser Art an: „Durch die heimische Stelle mssten die Leute gehçrig ausgewhlt, nur bestes, nchternes, verhltnismssig intelligentes Material hergesendet werden.“47 Konsul Hoenning bte dagegen Kritik an den Organisatoren der Aktion. Er warf ihnen vor, die Migranten auszubeuten. Denn diese mussten – nach seiner Rechnung – den Lohn von fnf Monaten allein fr die Rckzahlung der vorgeschossenen Reisekosten verwenden, insbesondere weil die Funktionre circa ein Drittel ihres Lohns einbehielten. In diesem Aspekt hnelte das hier angewandte Modell dem System der „indentured labour“. Es war, so der Konsul, ein schlechtes Geschft fr den „schwer arbeitende[n] Bauer[n] – und nur dessen Wohl kann auf unser Interesse Anspruch erheben“.48 Das Unternehmen endete in einer Auseinandersetzung zwischen dem k.u.k. Außenministerium, dem k.k. Innen- und dem Handelsministerium sowie dem bukowinischen Landesausschuss darber, wer die Kosten fr die Heimreise der 160 Migranten bernehmen sollte. Derweil versorgten die argentinischen Einwandererbehçrden die çsterreichischen Staatsbrger als Arbeitslose in Buenos Aires. Diese weigerten sich, lnger in Argentinien zu bleiben. Letztlich bernahm das Arbeitsvermittlungsamt des Landesausschusses die Repatriierungskosten. Das Handelsministerium stellte abschließend fest: „Eine Wiederholung des Unternehmens pro 1912 ist dem Berichte zu Folge nicht geplant.“49 Dieser migrationspolitische Versuch, eine Art transkontinentaler Saisonwanderung zu initiieren, stellte sicherlich einen Sonderfall dar und machte in 46 „Das Essen sei nicht nach ihrem Geschmack, da sie entgegen den ihnen in Europa gemachten Versprechungen statt Kaffee herbe Mate, statt Polenta nur Fleisch von Hammeln, statt Brot nur harte Weizenkuchen (das hier landesbliche, ,galetta‘ benannte ungesuerte Weizenbrot) bekmen.“ Ebd., Bericht des k.u.k. Konsulatsbeamten Fuchs, 8.2.1912. 47 Ebd., Bericht des k.u.k. Konsulatsbeamten Fuchs, 8.2.1912. 48 Ebd., Anmerkungen Hoennings zum Bericht von Fuchs. 49 Ebd., Landesausschuss der Bukowina an Landeshauptmann von Hormuzaki, 6. 3. 1912, Notiz zu einem Telefonat zwischen k.u.k. Außenministerium und k.k. Handelsministerium, 7. 3. 1912, k.u.k. Konsulat in Buenos Aires an k.u.k. Außenministerium, 10. 3. 1912, k.u.k. Außenministerium an k.k. Handelsministerium, 13. 3. 1912, und Einsichtsakt des Handelsministeriums.

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Cisleithanien keine Schule. Aber anhand dieses Falls kann man sehr gut die wesentlichen Konzepte und Ziele beschreiben, welche den cisleithanischen Umgang mit Auswanderung und mit den eigenen Staatsangehçrigen im Ausland prgten. Einerseits frchteten die Behçrden, dass Emigranten fr das „Vaterland“ verloren gehen kçnnten. Insbesondere die Auswanderung junger Mnner kçnnte den militrischen Interessen des Staates schaden. Andererseits wollte man das çsterreichische „Menschenmaterial“ im çkonomischen Interesse des Staates gewinnbringend ins Ausland vermitteln. Und ein dritter Ansatz betonte die Frsorgepflicht des Staates gegenber den Emigranten, der insbesondere die Angehçrigen niederer sozialer Schichten vor Ausbeutung schtzen msse. Letztlich setzte sich die Skepsis gegenber einer Fçrderung der Emigration durch. 1904 fasste das k.k. Innenministerium die çsterreichische Politik wie folgt zusammen: „Die Regierung trachtet die Auswanderung einzuschrnken, im Interesse der Wehrkraft des Staates, ferner mit Rcksicht auf die volkswirtschaftlichen Nachteile, welche eine regelmßige große Auswanderung nach sich zieht, endlich mit Rcksicht auf den Umstand, dass die Auswanderung erfahrungsgemss vielen Auswanderern persçnlich zum Verderben gereicht.“50

Die ungarische Emigrationspolitik und deren Begrndung unterschieden sich wesentlich von diesem çsterreichischen Ansatz. Whrend die cisleithanischen Quellen, unabhngig davon, ob sie fr oder gegen die Auswanderung argumentierten, immer die Interessen des Staates ins Zentrum stellten, war die Debatte in Transleithanien strker von nationalen berlegungen bestimmt. Die ungarische Auswandererpolitik und Tendenzen zur ethnischen Diskriminierung Bei der Behandlung der eigenen Staatsangehçrigen im Ausland folgten die ungarischen Behçrden der nationalstaatlichen Logik. Sie wollten die nationale Bindung in der Fremde aufrecht erhalten. Generell engagierte sich Budapest strker fr „seine“ Auswanderer als Wien. Die ungarische Regierung untersttzte die Emigranten mit Informationsbroschren, Heimen, Lehrern und Seelsorgern. Ein Abgeordneter forderte im Reichstag, dass sich der Staat insbesondere um die Migranten aus den niederen sozialen Schichten kmmern solle. Man msse „[d]ie kranke Seele der ersteren [der industriellen Arbeiter] … durch patriotische Lehren, welche durch den Klerus, die Lehrer und volkstmliche Schriften verbreitet werden sollen,“ gleichsam heilen. Er beklagte, dass den Kindern der Auswanderer in den USA nicht genug „ungarischer Geist eingeimpft“ werde, und dass die k.u.k. Konsulate, die berdies 50 Wien, HHStA, Md, Adm. Reg., F 15, Ktn 8, 34607 – 1904, k.k. Innenministerium an k.u.k. Außenministerium, 9.5.1904. Diese Information sollten an die US-Botschaft weitergeleitet werden, die sich nach den Maßstben der cisleithanischen Emigrationspolitik erkundigt hatte.

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zu wenige ungarischsprachige Beamte beschftigten, sich nicht ausreichend fr die Interessen der Emigranten einsetzten: „Ihre Ttigkeit scheint sich darin zu erschçpfen, dass sie die Stellungspflichtigen in Evidenz halten und eventuell assentieren“.51 Diese etatistische Konzentration auf die Durchsetzung der Wehrpflicht erachteten sowohl der Reichstag als auch die Regierung als unzureichend. Budapest forderte das k.u.k. Außenministerium 1900 auf, sich intensiver um die Auswanderer zu kmmern: „Nachdem ferner meines Ermessens die Regierung sich vor der Aufgabe nicht verschließen darf, die in die Fremde gerathenen Staatsbrger vor dem gnzlichen Ruin, wenn mçglich, zu retten, beehre ich mich E. E. erg. zu ersuchen, unsere betreffenden Vertretungen anweisen zu wollen, diesen Auswanderern in ihrer bedauernswerthen Lage jedwede mçgliche Untersttzung angedeihen zu lassen, und sofern deren Lage auf andere Weise nicht ertrglich zu machen wre, bezglich deren Heimbefçrderung unter Angabe der hieraus erwachsenden Kosten ehestens einen Bericht vorzulegen.“52

Die Bereitschaft zur bernahme der Kosten war ein entscheidender Punkt. Die Einrichtung eines speziellen Fonds fr die Versorgung der Auswanderer im Jahr 1903 sicherte die Deckung dieser Kosten fr ungarische Staatsangehçrige. In sterreich kam es dagegen meist zu langwierigen Verhandlungen darber, welche Behçrde fr die entstandenen Auslagen aufzukommen hatte. Deswegen prften die k.u.k. Konsulate die Identitt von bedrftigen sterreichern in jedem einzelnen Fall sehr genau, bevor sie Hilfe gewhrten. Die Bedrftigen mussten Psse, Arbeitsbcher oder Heimatscheine vorlegen, um Untersttzung zu bekommen.53 Ungarische Auswanderer konnten ihren Anspruch auf Untersttzung dagegen einfach nachweisen: „Hinsichtlich ungarischer

51 Pester Lloyd, 14. 11. 1908, S. 4, Madar ß in der Spezialdebatte des Auswanderergesetzes. 52 Wien, HHStA, Md, Adm. Reg., F 15, Ktn. 31, 106399 – 1900, k.u. Innenministerium an k.u.k. Außenministerium, 15.11. 1900. 53 Wien, HHStA, Md, Adm. Reg., F8, Ktn. 140, 51980 – 1908, Zirkularschreiben k.u.k. Außenministerium an Vertretungsbehçrden, 3.9.1908. Besonders wichtig war der Nachweis der Heimatzustndigkeit in einer çsterreichischen Gemeinde, da diese dann letztlich zur bernahme der Kosten verpflichtet war. Noch 1905 hatten bei „Mangel von Legitimationspapieren“ Angaben zu den „heimatliche[n] locale[n] Verhltnisse[n]“ oder der „Dialect der Repatrianden“ ausgereicht, um den Anspruch auf Untersttzung nachzuweisen. Ebd., 34813 – 1905, Zirkularschreiben k.u.k. Außenministerium an Vertretungsbehçrden, 1.5.1905. 1914 verschrfte man die Regelungen weiter. Zur „strikten Danachachtung“ verfgte das k.u.k. Außenministerium auf Bitte des k.k. Innenministeriums, dass Repatriierungen lediglich dann erfolgen drften, „wenn die in Frage kommende Person in der Lage ist, ihre çsterreichische Staatsangehçrigkeit durch wenigstens eines der nachstehend bezeichneten Legitimationsdokumente zweifellos nachzuweisen: 1. Reisepaß; 2. Heimatschein; 3. von der politischen Bezirks- oder Polizeibehçrde mit der Reiselegitimationsklausel versehenes Dienst- oder Arbeitsbuch“. Ebd., 17823 – 1914, Zirkularschreiben k.u.k. Außenministeriums an Vertretungsbehçrden, 14.4.1914.

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Staatsangehçriger magyarischer Zunge wird in der Regel schon die Kenntnis dieser Sprache gengen, um die Betreffenden als nationale zu legitimieren.“54 Diese Bestimmung verweist auf die Ethnisierung des ungarischen Nationsbegriffs im frhen 20. Jahrhundert. Denn sie verwehrte allen slowakisch-, rumnisch-, deutsch-, serbisch-, roma- und kroatischsprachigen Ungarn den einfachen Zugang zur konsularischen Untersttzung. Einen weiteren Hinweis in derselben Richtung liefert ein Artikel von 1909 ber die Erçffnung des ungarischen Auswandererheims in New York. Der Bericht bezeichnet es als „Heim fr Arpad’s Sçhne“.55 Dieser metaphorische Bezug auf „Arpad“ – und nicht auf die ethnisch-inklusiveren Alternativen Stephan oder auf die Stephanskrone – verdeutlicht, dass zumindest Teile der ffentlichkeit die ungarische Emigrantenuntersttzung einer ethnisch exklusiven, magyarischen Zielgruppe vorbehalten wollten (s. Abbildung 9). Den Vorwurf, dass die k.u.k. Vertretungsbehçrden bestimmte ethnische Gruppen privilegierten, erhoben Vertreter der kroatischsprachigen Emigranten. Diese Gruppe ist deswegen besonders interessant, weil sie çsterreichische Staatsbrger aus Dalmatien und ungarische Staatsangehçrige aus Kroatien-Slawonien in sich vereinte. 1904 interpellierte der dalmatinische Reichsratsabgeordnete Biankini die çsterreichische Regierung. Er warf ihr vor, dass die k.u.k. Konsulate in den USA die kroatischen Emigranten diskriminierten. Bereits zuvor war das k.u.k. Außenministerium auf kroatische Zeitungsmeldungen aufmerksam geworden, die berichteten, „dass kroatische Auswanderer gegenber Deutschen und Magyaren manche Zurcksetzung erfahren. Sie mssen sich im Verkehr mit den Beamten der Konsulate der englischen oder der deutschen Sprache bedienen und werden, wenn sie Untersttzung suchen, mit der Bemerkung abgewiesen, ein Konsulat sei kein Armenhaus, whrend Deutschen und Ungarn gegenber nicht mit Gelduntersttzungen gespart werde.“56

Daraufhin forderte das Ministerium den Botschafter in Washington auf, zu diesen Vorwrfen Stellung zu nehmen. Die Botschaft antwortete, dass einige Konsulatsbeamte durchaus des Kroatischen – wenn auch nicht perfekt, so doch in ausreichendem Maße – mchtig seien. Außerdem machte die Botschaft US-amerikanische Unternehmer und Anwlte fr die Vorwrfe verantwortlich. Diese seien darber verrgert, dass die k.u.k. Vertretungsbehçrden sie an der „Ausbeutung“ der kroatischen Einwanderer hinderten.57 54 Ebd., 34813 – 1905, Zirkularschreiben k.u.k. Außenministerium an Vertretungsbehçrden, 1.5.1905. Diese Bestimmung blieb bis 1918 in Kraft. 55 New Yorker Revue, Sonntag, 21.11.1909. s. Wien, HHStA, Md, Admin. Reg., F 15, Ktn. 31. 56 Wien, HHStA, Md, Adm. Reg., F 8, Ktn 267, 74360 – 1904. 57 Die kroatischsprachige Zeitung „Narodni List“ publizierte am 20. 1. 1907 einen Brief von Kosto Unkovic´-Meic´ aus Valparaiso, Indiana, der sich darber beschwerte, dass die k.u.k. Vertretungsbehçrden die kroatischen Einwanderer, „welche heute dem amerikanischen Capitalismus

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Abb. 9: Ethnisierung der ungarischen Nation im Ausland: Artikel „Heim fr Arpad’s Sçhne“ und Abbildung des ungarischen Einwandererheims in New York, in: New Yorker Revue, Sonntag, 21. 11. 1909, aus: Wien, HHStA, Md, Admin. Reg., F 15, Auswanderung, Ktn. 31.

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Deswegen versuchten sie, den Konsulaten durch falsche Vorwrfe zu schaden. Auch die cisleithanische Regierung war im Reichsrat bemht, die Vorwrfe auszurumen. Sie versprach zudem im Namen des k.u.k. Außenministeriums die Einstellung zustzlicher kroatischsprachiger Konsulatsbeamter.58 Dem ungarischen Einwanderer-Heim in New York warf man 1910 ebenfalls Diskriminierungen vor. Der dortige k.u.k. Generalkonsul stellte daraufhin fest, dass „jedem aus Ungarn kommenden Einwanderer ohne Unterschied der Nationalitt Rat, Schutz, Hilfe und Untersttzung zuteil wird. Eine Bevorzugung der magyarischen Einwanderer findet ebenso wenig statt wie eine Zurcksetzung der Slaven, Kroaten, Deutschen oder Rumnen ungarischer Staatsangehçrigkeit“.59

Diese Auseinandersetzungen verdeutlichen unterschiedliche Muster im Umgang mit ethnischer Heterogenitt. Auf der einen Seite beschuldigte man die Behçrden der Privilegierung einer bestimmten ethno-nationalen Gruppe und der Diskriminierung anderssprachiger Nationalitten. Dieses Muster spielte auch in den Debatten ber die ungarische Auswandererpolitik eine Rolle. Es passt zur ethnisch-exklusiven Aufladung der nationalstaatlichen Logik im ungarischen Fall. Allerdings tendierte die konsularische Praxis nur in Ausnahmen zur ethnischen Exklusivitt. Denn auf der anderen Seite hielten das k.u.k. Außenministerium und die meisten Konsulatsbeamten in den Leitlinien ihrer Politik und in deren praktischer Umsetzung am Prinzip der ethnischen Neutralitt fest. Diesen etatistischen, ethnisch-neutralen Standpunkt formulierten die Zurckweisungen der kroatischen Diskriminierungsvorwrfe und verdeutlichen die Versuche, die dafr urschlichen Mngel zu beheben. Die Bereitschaft der çsterreichischen Regierung, mehr kroatischsprachige Konsulatsbeamte einzustellen, verweist auf eine dritte Art des Umgangs mit ethnischer Heterogenitt. Diese versuchte im Sinn einer Politik der Anerkennung, nicht nur alle Individuen unabhngig von ihrer ethnischen Identitt gleich, sondern alle ethno-nationalen Kollektive ihrer Eigenart entsprechend und gleichberechtigt zu behandeln.

auf Gnade und Ungnade ausgeliefert sind“, nicht ausreichend schtzten. Ebd., Ktn. 268: 26431 – 1907. 58 Ebd., Ktn. 267, 74360 – 1904. 59 Wien, HHStA: Md, Adm. Reg., F 15, Ktn. 31, 68229 – 1910. Hervorhebungen im Original.

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Die Rolle ethnischer Differenzen in der Praxis der k.u.k. Konsulate Nach der Jahrhundertwende gewann die ethnische Vielfalt der çsterreichischen und ungarischen Staatsangehçrigen fr die k.u.k. Vertretungsbehçrden an Bedeutung. 1901 fassten sie die „Angehçrige[n] der çsterr.ungar. Monarchie nach den Nationalitten in den Vereinigten Staaten“ statistisch zusammen: 65.000 „Deutsch-sterreicher“, 400.000 „Tschechen“, 350.000 „Polen und galizische Juden“, 150.000 „Ruthenen“, 55.000 „Slovenen“, 15.000 „sterr. Croaten und Dalmatiner“, 5.000 „Italiener“, 200.000 „Magyaren u. deutsche Ungarn“ und 60.000 „Ungar. Croaten“ hielten sich damals in den USA auf.60 Auch fr 1913 ist eine ethnisch differenzierende Emigrantenstatistik berliefert, die zwischen „Deutschen, Bçhmen, Slowaken, Polen, Ruthenen, SerboKroaten und Slowenen, Italienern, Rumnen, Magyaren, Juden und Sonstigen“ unterschied.61 Es fllt auf, dass angehçrigkeitsrechtliche zugunsten ethnischer Unterschiede an Bedeutung verloren. Whrend man 1901 noch zwischen çsterreichischen und ungarischen Kroaten und Deutschen differenzierte, konzentrierte man sich 1913 strker auf ethno-national definierte Gruppen. Die Behçrden erfassten auch den Alphabetisierungsgrad der Emigranten und die Verteilung der unterschiedlichen Gruppen auf verschiedene Lnder. Diese Daten sollten die k.u.k. Konsulate wohl in die Lage versetzen, ihre Personalausstattung den sprachlichen Bedrfnissen der jeweiligen Auswanderergruppen anzupassen. Bei der Differenzierung der Staatsangehçrigen im Ausland spielten allerdings nicht allein sprachliche Kriterien eine Rolle. Die Vertretungsbehçrden bercksichtigten auch religiçs-konfessionelle Differenzen. Beide Zhlungen nannten die „Juden“ als besondere Gruppe. Zudem versuchten die Behçrden, die Beibehaltung konfessioneller Identitten im Ausland zu erleichtern. 1901 wies das k.u.k. Außenministerium darauf hin, dass es in Kanada an katholischen Schulen fr die habsburgischen Emigranten mangele. Das Ministerium bemerkte ferner „[i]n confessioneller Beziehung …, dass die eingewanderten griechisch-katholischen Ruthenen wegen des Mangels an Geistlichen, vielfach der orthodoxen und presbyterianischen Propaganda anheimfallen“.62 Auf diese Weise exportierten die k.u.k. Vertretungsbehçrden die cisleithanische Anerkennungspolitik, die auf den Erhalt ethno-kultureller Identitten abzielte. Zugleich exportierten die Auswanderer die ethno-nationalen Konflikte ihrer Herkunftsregionen. So gelangten typisch cisleithanische Muster anti60 Wien, HHStA, Md, Adm. Reg., F 15, Ktn. 7, Memorandum ber Auswanderungsfragen, Mai 1901. 61 Ebd., Ktn. 31, 75669 – 1913, k.k. Innenministerium an k.u.k. Außenministerium, 20.11.1913. 62 Wien, HHStA, Md, Adm. Reg., F 15, Ktn. 7, Memorandum ber Auswanderungsfragen, Mai 1901.

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semitischer Ressentiments quasi im mentalen Gepck der Emigranten beispielsweise nach Argentinien. Das zeigt die Auseinandersetzung um den Vizekonsul Dr. Wolff im dortigen C rdoba. Gegen die Ernennung des wohlhabenden Arztes Wolff hatte einer der „deutschen Professoren an der Universitt in C rdoba, namens Dr. Harperath … durch Verfassung von Petitionen, welche er von einer Reihe von Arbeitern unterfertigen liess“, protestiert. Wie so oft ging es auch in diesem Konflikt um die Zuteilung administrativer Positionen. Den Verdacht, dass dabei Antisemitismus im Spiel war, legen – noch mehr als die dem Namen nach mçgliche jdische Herkunft des Amtsinhabers – der Habitus und die Zusammensetzung seiner Gegner nahe: „Etwa 80 Arbeiter czechischer Zunge haben sich unter seiner [Harperaths] Fuehrung zu einem Hilfsverein auf Gegenseitigkeit zusammengetan. Nach den von verschiedenen Seiten in Erfahrung gebrachten Aeusserungen besteht der Zweck dieses Vereins jedoch lediglich in der Abhaltung von Trinkgelagen.“63

Aufflligerweise erwhnte der Bericht zwar die deutsche Identitt Harperaths und die tschechische Nationalitt der „Arbeiter“, schwieg sich ber die ethnische Identitt Wolffs aber aus. Daraus kann man auf die nationalistische Gesinnung von Wolffs Opponenten schließen. Die Mischung aus burschenschaftlichen und christlichsozial-genossenschaftlichen Formen der Soziabilitt, die ihren „Verein“ prgte, weist in dieselbe Richtung. Offensichtlich konnten die deutschen und die tschechischen Nationalisten in der Fremde und angesichts eines gemeinsamen Gegners ihre heimatlichen Konflikte berwinden. Fr die Frage, wie die k.u.k. Vertretungsbehçrden mit ethnischer Heterogenitt umgingen, ist entscheidend, dass der Bericht in zahlreichen Formulierungen und in seinem gesamten Gestus eine deutliche Ablehnung, fast einen gewissen Ekel gegenber Harperath, der „gewiss nicht faehig [sei], die Stelle eines k.u.k. Vizekonsul zu bekleiden“, und seinem „Verein“ erkennen lsst.64 Den Vizekonsul Wolff schilderte der Bericht dagegen als Landbesitzer, Kunstkenner und idealen Vertreter sterreich-Ungarns. Er verhielt sich den Behçrden gegenber sehr loyal und identifizierte sich mit der ethnisch heterogenen Monarchie so sehr, dass seine eigene ethnische Identitt gleichsam bedeutungslos wurde. Gerade das machte ihn zu einem geeigneten Vertreter sterreich-Ungarns. Diese Betonung supra-ethnischer Gleichgltigkeit als persçnlicher Qualifikation verdeutlicht nochmals, dass Neutralitt als leitendes Prinzip die Praxis der k.u.k. Vertretungsbehçrden auch im frhen 20. Jahrhundert bestimmte. Diskriminierungen nach ethnischen Kriterien nahmen die k.u.k. Behçrden zumeist als ihnen fremde Phnomene wahr. Mit solchen Dingen mussten sie 63 Ebd., F 8, Ktn. 261, 3321 – 1912, Bericht ber die Dienstreise des Konsular-Attachs Fuchs nach C rdoba, Santa F, Paran , Chaco und Corrientes. 64 Ebd.

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sich auseinandersetzen, sie selbst waren aber nicht dafr verantwortlich. Dieses Denkmuster prgte den Umgang mit rassistischen Exklusionsabsichten in den Einwanderungslndern, die man sorgfltig registrierte, weil sie die Migrationsmuster beeinflussten. 1916 erreichte folgender Bericht das k.u.k. Außenministerium: „Bei einem Festessen im canadischen Klub Toronto usserte sich der Prsident der canadischen Wasserstrassen A.G. MAGRATH, dass nach dem Kriege die Deutschen und sterreicher als Einwanderer willkommen sein werden, wogegen man die Italiener und Balkanvçlker ausschliessen solle.“65

Ein Jahr spter wurde aus den Vereinigten Staaten ein umgekehrter Trend vermeldet. Durch den Krieg habe sich eine gewisse Russophilie durchgesetzt und „die Union ihr Herz fr die ,unterdrckten kleinen Nationen‘ entdeckt“, weswegen „slawische“ Immigranten nun weniger als zuvor diskriminiert wrden: „Sodann ist ein Moment in Wegfall gekommen, welches bei dem gewaltigen Anteil unserer Slawen an der Einwanderung nach der Union von grosser Bedeutung war und das ihrem dauernden Aufgehen in der nordamerikanischen Bevçlkerung frher erfolgreich entgegenarbeitete. Es ist die grosse Abneigung gegen unsere, als Lohndrcker und als Verschlechterer der amerikanischen Rassenmischung betrachteten slawischen Einwanderer, die, mit Ausnahme der Tschechen, kulturell gewiss unter dem Durchschnitt der brigen weissen Einwanderung stehen, soweit diese nicht aus Osteuropa kommt.“66

Dieser von einer nicht-behçrdlichen Organisation verfasste Bericht belegt die Existenz und Wirksamkeit rassistischer Hierarchisierungen im Umfeld der habsburgischen Auswandererpolitik. Er zeigt, dass die k.u.k. Vertretungsbehçrden die Vertreter derartiger Positionen nicht immer – so wie Dr. Harperath in C rdoba – als ungeeignete Gesprchspartner behandelten. Auch einige Konsulatsbeamte fhrten rassistische Reden. Beispielsweise spielte das antisemitische Stereotyp ber „die bekannte Abneigung der osteuropischen Judenschaft gegen die Erfllung der Wehrpflicht“ eine gewisse Rolle.67 Auch gegenber den „slavischen Nationalitten“ hegten manche Behçrdenvertreter ein starkes Misstrauen, das im folgenden Zitat mit staatspolitischen Bedenken gerechtfertigt wird: „Nicht dasselbe [dass sie hufig in ihre Heimat zurckkehren, d. Vf.] kann leider von den slavischen Nationalitten gesagt werden, deren Angehçrige, durch eine ußerst 65 Wien, HHStA, Md, Adm. Reg., F 15, Ktn. 10, 66530 – 1916, çsterreichisch-ungarische Kolonialgesellschaft an k.u.k. Außenministerium, 15.3.1916. 66 Ebd., çsterreichisch-ungarische Kolonialgesellschaft an k.u.k. Außenministerium, 31.8.1917. 67 Wien, HHStA, Md, Adm. Reg., F 61, Ktn 20, 2730 – 1884, k.u.k. Gesandtschaft in Sofia an k.u.k. Außenministerium, 24.1. 1884. s. Paragraf „Die k.u.k. Schutzgenossenschaft in Bulgarien: Tendenzen zur Exklusion von Juden“ in Kap. 5.1.

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rege panslavistische Agitation irregeleitet, nur zu oft dem Vaterlande … entfremdet werden.“68

Die Dominanz des Prinzips ethnischer Neutralitt bedeutete also nicht, dass rassistische Argumentationen gnzlich irrelevant gewesen wren. Sie bedeutete lediglich, dass die Gesetzgebung gar nicht und die administrative Praxis kaum nach ethnischen Kriterien differenzierte. In der konsularischen Praxis waren dabei sowohl anerkennende als auch, gleichsam subkutan, diskriminierende Differenzierungsmechanismen wirksam. Das Nebeneinander verschiedener Logiken, das den Umgang mit ethnischer Heterogenitt im Inneren der Habsburgermonarchie prgte, spiegelte sich in der Praxis der k.u.k. Vertretungsbehçrden. Einerseits entwickelten sich – nicht nur, aber insbesondere durch die Nationalisierung der ungarischen Emigrationspolitik – Muster ethnischer Exklusion und Diskriminierung. Andererseits etablierten sich zugleich administrative Praktiken, die der etatistischen Anerkennungslogik folgten. Die Dominanz des ethnisch-neutralen Prinzips in der Praxis der k.u.k. Vertretungsbehçrden blieb unterm Strich allerdings unbestritten. Recht und administrative Praxis im Innern der Habsburgermonarchie folgten am Anfang des 20. Jahrhunderts dagegen nicht mehr einer bestimmten Logik. Sie entwickelten sich vielmehr in verschiedene Richtungen und orientierten sich dabei an widersprchlichen Denk- und Handlungsmustern. Ethnische Differenzierung in der Praxis der britischen Konsularbehçrden Whrend die habsburgischen Behçrden bei der Behandlung der eigenen Staatsangehçrigen im Ausland weiterhin und weitgehend am Prinzip der ethnischen Neutralitt festhielten und lediglich daneben alternative Tendenzen zuließen, prgten im britischen Fall rassistische Diskriminierungen sowohl das Recht als auch die konsularische Praxis im frhen 20. Jahrhundert. Zunchst stellt sich die Frage, inwiefern man beim Erhalt der britischen Staatsangehçrigkeit im Ausland nach ethnischen Kriterien differenzierte. Den Erwerb des britischen Untertanenstatus qua iure sanguinis, also durch Abstammung von einem britischen Vater, konnten die Betroffenen nur durch einen dokumentarischen Beleg der Geburt nachweisen. Eine Untersuchung der konsularischen Geburtsregister kann Aufschluss darber geben, wem die Behçrden diesen Nachweis ermçglichten und wem nicht. Dafr muss man Konsulatsbezirke auswhlen, in denen die britische Bevçlkerung ethnisch heterogen war. Zudem sollten die Beispiele die vçlkerrechtlichen Differenzen zwischen verschiedenen auslndischen Territorien – nicht-koloniales und semi-koloniales Ausland sowie auslndische Kolonie – widerspiegeln. Die franzçsische Kolonie Reunion im Indischen Ozean, wo 68 Wien, HHStA, Md, Adm. Reg., F 15, Ktn. 7, Memorandum ber Auswanderungsfragen, Mai 1901.

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zahlreiche „indentured labourers“ aus Indien lebten, erfllt diese Kriterien ebenso wie die Westkste der USA. In diesem souvernen, fremden Staat hielten sich sowohl europische Einwanderer als auch aus Hongkong und aus Indien stammende Immigranten auf. Siam, das heutige Thailand, bildet den dritten Beispielfall. Die Politik dieses semi-kolonialen, nur nominal souvernen Staats wurde stark von der britischen und der franzçsischen Regierung beeinflusst. Zudem musste Siam den europischen Mchten die extra-territoriale Jurisdiktion ber ihre Staatsangehçrigen zugestehen. Auf dem siamesischen Territorium lebten sowohl Geschftsleute und Ingenieure aus dem Vereinigten Kçnigreich als auch britische Einwanderer aus Indien, Singapur, dem heutigen Malaysia und Hongkong. Da die Registereintrge weder die Sprache oder die Religion noch die geographische Herkunft der Eltern erfassten, orientiert sich die Analyse an den Namen, also an einem teilweise unsicheren Kriterium fr die ethnische Identitt. Es erlaubt allerdings eine hinreichend zuverlssige Identifizierung „indischer“ und „chinesischer“ Migranten, die im Raum des Indischen und des Pazifischen Ozeans neben den „Europern“ die maßgebliche Gruppe britischer Untertanen bildeten. Tabelle 7 zeigt den Anteil „nicht-europischer“ Untertanen an den insgesamt registrierten Geburten.69 Tabelle 7: Anteil der „Nicht-Europer“ an den in den Konsulaten in Reunion, an der US-Westkste und in Siam registrierten Geburten britischer Untertanen in absoluten Zahlen Konsulatsbezirk

Reunion

USWestkste

Siam

Zeitraum 1871 – 75

0 von 1

0 von 14

0 von 11

1881 – 85

0 von 3

0 von 24

0 von 28

1891 – 95

0 von 0

0 von 37

0 von 27

1901 – 05

0 von 2

0 von 26

4 von 58

1911 – 15

3 von 4

0 von 30

2 von 61

Gesamt:

3 von 10

0 von 131

6 von 185

69 London, PRO, GRO, F 615 – 617, F 620 – 622, F 626 – 628, F 634 – 638 und F 642 – 644, Consular Birth Indices aus Reunion, San Francisco, Portland, Bangkok und Chieng Mai.

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Die insgesamt sehr niedrige Zahl von Registrierungen in Reunion erlaubt fr diesen Fall kaum quantitative Aussagen. Aber wenn man die Forderungen des britischen Konsuls Bennett aus den neunziger Jahren bedenkt, dass die Kolonialverwaltung die franzçsische Staatsangehçrigkeit der zweiten „indischen“ Immigrantengeneration anerkennen sollte,70 fllt auf, dass die britischen Behçrden deren Geburten nicht registrierten. Die konsularischen Register dokumentierten mithin die britische Staatsangehçrigkeit dieser Personen nicht, obwohl sie ihnen rechtlich zugestanden htte. Die Behçrden machten dadurch den Nachkommen der „indischen“ Immigranten den Nachweis ihres britischen Untertanenstatus unmçglich und schlossen sie praktisch aus dem Untertanenverband aus.71 An der US-amerikanischen Westkste registrierten die Konsulate deutlich mehr Geburten. In dieser Gegend ist die Nicht-Registrierung von britischen Immigranten aus Asien signifikant. Allerdings erfasste man auch nicht alle Kinder von Einwanderern aus dem Vereinigten Kçnigreich, deren Zahl die konsularisch registrierten 131 Geburten weit bertroffen haben drfte. Dieser Befund deutet darauf hin, dass der britische Untertanenstatus in den USA keine materiell-rechtlichen Vorteile mit sich brachte, weswegen kaum Interesse an der Registrierung bestand. Die auffllige Absenz „asiatischer“ Immigranten war zudem vermutlich im fehlenden Wissen ber die Mçglichkeit der Registrierung bei den Untertanen aus Asien begrndet. Gleichzeitig bemhten sich die britischen Behçrden wohl ebenfalls kaum um deren Registrierung. Die interessantesten Ergebnisse liefert die Betrachtung des siamesischen Falls. Obwohl die Gesamtzahl der britischen Untertanen dort deutlich geringer war als an der US-amerikanischen Westkste, registrierten die Konsulate mehr Geburten. Das lag sicherlich daran, dass die britische Staatsangehçrigkeit in Siam entscheidende Privilegien mit sich brachte. Sie garantierte den Zugang zur britischen Konsularjurisdiktion und die Befreiung von der siamesischen Steuer- und Wehrpflicht. Außerdem belegt die Registrierung von „indischen“ Untertanen, dass im siamesischen Kontext auch „nicht-europische Briten“ um die Mçglichkeit und die Vorteile der konsularischen Erfassung wussten und sich um diese bemhten. Deswegen kann man in diesem Fall die geringe Zahl der registrierten „asiatischen“ Immigranten als Ergebnis einer ethnisch-exklusiven konsularischen Praxis interpretieren. Im frhen 20. Jahrhundert, das legt das Sinken des „nicht-europischen“ Anteils zwischen 1901 und 1911 nahe, intensivierten die Behçrden die ethnische Exklusion. Diese kurze Analyse besttigt zunchst die Annahme, dass die Konsulate berwiegend „weiße“ britische Untertanen registrierten. Die 70 Dazu s. Paragraf „Die Protektion der Untertanen: ethnische Neutralitt auch im britischen Fall“ in Kap. 5.1. 71 Zwei der drei zwischen 1911 – 15 registrierten Geburten „nicht-europischer“ Kinder – ganz abgesehen davon, dass die Zahl der „indischen“ Einwanderer zu diesem Zeitpunkt bereits viel grçßer gewesen sein drfte – betrafen den Namen nach Kinder arabischer Hndler oder Grundbesitzer : Cassim, Hosmar I., Cassim, Hassan I.

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Namen „nicht-weißer“ Untertanen fanden dagegen nur sehr selten Eingang in die offiziellen Register. Auf diese Weise trug die konsularische Praxis zur Ethnisierung der britischen Staatsangehçrigkeit und zur Exklusion „nichteuropischer“ Briten vom Untertanenstatus bei. Diesen Befund soll die folgende eingehendere und qualitative Analyse der Registrationspraxis in Siam berprfen. Konsularische Register britischer Untertanen in Siam: Die Exklusion von „Asiatics“ In Siam bestand großes Interesse an der Nachweisbarkeit des britischen Untertanenstatus. Dieses richtete sich noch mehr auf die Aufnahme erwachsener Migranten in die konsularischen Register als auf die Registrierung von Geburten. Das Registrationszertifikat bot als entscheidendes Dokument Schutz vor dem Zugriff der siamesischen Behçrden, die insbesondere die Personalhoheit ber die „nicht-weißen“ Briten beanspruchten. Die siamesische Verwaltung strebte deswegen danach, die Registrierung dieser Personen zu verhindern. Dieses Vorgehen zwang die britischen Behçrden, sich detailliert mit der Frage auseinanderzusetzen, ob und unter welchen Bedingungen man britische Untertanen in Siam registrieren sollte. Eine vertrakte vçlkerrechtliche Konstellation komplizierte dieses Problem. Das an Siam angrenzende Burma wurde 1886 offiziell in das Britische Reich eingegliedert und verlor damit seine Unabhngigkeit. Daraus ergab sich die Frage, ob Personen, die vor 1886 aus Burma nach Siam eingewandert waren, als britische Untertanen zu betrachten seien oder nicht. Diese Migranten bildeten die mit Abstand grçßte Gruppe „asiatischer“ Briten in Siam. Zunchst beschloss das Foreign Office 1896, die Betroffenen nicht als britische Untertanen zu registrieren. Denn, so das britische Außenministerium, „the extension of our lists of protected British (Asiatic) subjects is not to be desired“.72 In einem anderen Punkt kam man den Bestrebungen der siamesischen Behçrden ebenfalls entgegen: Beamte des Foreign Office sprachen den britischen Registrationszertifikaten jeglichen juristischen Wert ab. Da zahlreiche geflschte Zertifikate in Umlauf seien, und der Handel mit diesen Flschungen floriere, kçnne man von den siamesischen Gerichten nicht verlangen, die Zertifikate als gltige Dokumente anzuerkennen. Insbesondere wenn „asiatische“ Personen mit solchen Zertifikaten ihren Anspruch auf britische Protektion belegen wollten, sei es verstndlich, dass man ihnen keinen Glauben schenke.73 Diese Auffassung ermçglichte den siamesischen Behçrden die effektive Durchsetzung der Personalhoheit ber alle „asiatischen“ Briten. Zu-

72 London, PRO, FO 881/7550, Registration in Siam (1896 – 1900). 73 Ebd.

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gleich stellte die britische Seite sicher, dass „weiße“ Untertanen weiterhin vor dem siamesischen Zugriff geschtzt waren. In der Frage nach dem angehçrigkeitsrechtlichen Status der vor 1886 nach Siam eingewanderten Burmesen kamen Rechtsexperten der britischen Regierung 1897 allerdings zu einem anderen Ergebnis als das Foreign Office. Auf Anregung der Law Officers anerkannten das Foreign und das India Office letztlich den Umstand, dass durch die Annexion Burmas nach gltigem Recht alle burmesischen Untertanen die britische Staatsangehçrigkeit erworben hatten. Das galt auch fr diejenigen, die zu diesem Zeitpunkt nicht in Siam ansssig waren. Diese Festlegung entbehrte allerdings aus zwei Grnden jeglicher Eindeutigkeit. Zum einen existierte kein burmesisches Angehçrigkeitsgesetz, dass die Gruppe der burmesischen Staatsangehçrigen im Jahr 1886 definiert htte. Zum anderen blieb offen, ob Personen, die durch die Annexion Burmas den Untertanenstatus erworben hatten, diesen qua iure sanguinis an ihre in Siam geborene Nachkommen weitergeben kçnnten. Die Rechtsexperten empfahlen, von Fall zu Fall und im Einvernehmen mit den siamesischen Behçrden zu entscheiden, wer in Siam als britischer Untertan gelten sollte und wer nicht.74 1899 vereinbarte die britische mit der siamesischen Regierung, „natives of Burmah or the British Shan States, who became domiciled in Siam before the 1st January, 1886“ nicht als britische Staatsangehçrige zu betrachten. Alle anderen „persons of Asiatic descent born in the Queen’s dominions“ sollten als britische Untertanen gelten.75 Bei genauem Nachlesen stellt man fest, dass die britische Regierung damit den in Siam, also außerhalb des Herrschaftsbereichs der britischen Krone, geborenen Nachkommen der „nicht-weißen“ Untertanen das Recht zur Registrierung entzog. Die Vereinbarung machte den Betroffenen den Nachweis ihrer britischen Staatsangehçrigkeit unmçglich, obwohl sie rechtlich Anspruch auf diesen Status hatten. Allerdings entzogen die britischen Behçrden nicht allen „asiatischen“ Untertanen die Protektion. Wiederholt betonten sie, dass die Entscheidung, wer als britischer Staatsangehçriger zu behandeln war und wer nicht, im freien Ermessen der Konsulatsbeamten liegen sollte. Umstritten war vor allem der Status einerseits von Personen, die sich nicht rechtzeitig gemß der britischen Registration Ordinance ins Register hatten eingetragen lassen, und andererseits von britischen Untertanen, die ohne Pass nach Siam eingereist waren.76 Vom Ermessensspielraum der konsularischen 74 London, PRO, FO 881/6944, Registration in Siam (1892 – 1897). 75 London, PRO, FO 881/8295, Registration of British Subjects in Siam, 1901. 76 Ebd., britischer Vertreter in Bangkok Archer an Außenminister Lansdowne, 19.7.1901. Der Akte liegt ein Passformular bei: „Passport for travel of British subjects in Siam“. Es erfasste den Namen des Passinhabers, den Namen seines Vaters, Alter, Wohnsitz, Beruf, „race“, mitgefhrte Waffen und besondere Kennzeichen. Die siamesischen Grenzwachen ließen passlose Untertanen entgegen einer Vereinbarung von 1883 ungehindert passieren. Danach verweigerten die Behçrden ihnen die Anerkennung als britische Untertanen, da sie ihren Status nicht belegen konnten.

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Beamten sollten dabei, neben den „europischen“ Briten, zwei Gruppen profitieren: zum einen nach englischen Maßstben erzogene Burmesen, die fr britische Unternehmen in Siam ttig waren, und zum anderen einige „Shan headmen“, die zu den ltesten Verbndeten der Briten in der Region zhlten.77 Wenn diesen die Anerkennung ihres britischen Untertanenstatus verweigert wrde, kçnnte das zu „loss of British prestige and indignation among British subjects“ fhren.78 Dieses Argument der Botschaft in Bangkok veranlasste das Londoner Außenministerium zu der Entscheidung, in Fllen von „Shan headmen“, denen aufgrund der Vereinbarung von 1899 der Untertanenstatus nicht zustand, die siamesischen Behçrden um eine Ausnahme zu bitten. Die „headmen“ sollten weiterhin als Briten gelten „till they die out“.79 In der Frage der Personen, die sich nicht rechtzeitig registriert hatten, schlug das Foreign Office einen schrferen Ton an: Es sei nicht Sache der siamesischen Regierung, britische Rechtsvorschriften zu interpretieren. Die Entscheidung darber, wer britischer Untertan sei und wer nicht, liege allein bei der britischen Regierung.80 Allerdings berließen die britischen Behçrden diese Entscheidung im Fall von „Nicht-Weißen“ weitgehend widerspruchslos der siamesischen Verwaltung. In den Akten sind zwei Flle aus dem Jahr 1907 berliefert, in denen die siamesischen Behçrden britische Registrationszertifikate einzogen. Sie verweigerten den Betroffenen – „Payatoga U, a shan [eingefgt, d. Vf.]“ und „Puetory Novta, or Suty, a resident of Hbun Yuon“ – die Anerkennung als britische Untertanen. Der britische Vertreter beschwerte sich zwar im zweiten Fall ber das eigenmchtige und unrechtmßige Vorgehen der siamesischen Verwaltung, besttigte letztlich aber doch deren Entscheidung.81 1914 warfen siamesische Zwangsrekrutierungen erneut die Frage auf, in77 London, PRO, FO 881/8295, Konsul Beckett aus Chieng Mai an Botschafter Archer in Bangkok, 20. 12. 1900 und 23.7.1901. Beckett stellte in seiner Argumentation einen in Rangoon nach englischen Maßstben erzogenen Burmesen, der in Siam bei einem britischen Unternehmen angestellt war, und einen „peddling Shan“ einander beispielhaft gegenber. Becketts Meinung nach sollte das Konsulat die Privilegierung des gebildeten Angestellten durchsetzen, whrend es auf der Anerkennung des Bettlers als Brite nicht bestehen sollte. 78 Ebd., Beckett an Archer, 23.7.1901. In einem hnlichen Sinn argumentierte der Bericht des britischen Konsulatsbeamten Lyle ber seinen Consular Visit in Phre vom November 1900. Ebd. Lyle erklrte das Vorgehen der lokalen Behçrden gegen „nicht-weiße“ britische Untertanen im Kontext eines Machtkonflikts zwischen ethnischen Gruppen. Die siamesische Verwaltung versuche zunehmend, einflussreiche Posten mit „individuals of Siamese origin“ zu besetzen, und alle Fremden unter ihre Personalhoheit zu bringen. Lyle befrchtete, dass diese Praxis der NichtAnerkennung des britischen Untertanenstatus sich auch auf das Steuerwesen auswirken wrde, und Steuereintreiber britische Untertanen unter Druck setzen kçnnten. Falls die britischen Behçrden diesen Bestrebungen nicht entgegentrten, wrde „[t]he value and prestige of British nationality“ nachhaltig darunter leiden. 79 Ebd., Notiz des Foreign Office Beamten W. Maycock, 14.10.1901 80 Ebd., Außenminister Lansdowne an Archer, 11.12.1901. 81 London, PRO, FO 821/80, Konsulatsbeamter Crosby aus Muarg Juim an Vizekonsul Stringer in Chieng Mai, 4.1.1907.

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wieweit man „nicht-weiße“ britische Untertanen vor dem Zugriff der lokalen Behçrden schtzen sollte. Whrend ein britischer Vertreter forderte, allen „Asiatic British subjects“ entsprechende Dokumente auszustellen,82 argumentierten die hçheren Stellen sehr theoretisch, dass nach europischem Verstndnis der angehçrigkeitsrechtliche Status einer Person unabhngig von Zertifikaten Bestand habe. Diese Sichtweise msse man den siamesischen Behçrden nahe bringen: „They think that by issuing a Certificate we actually, in some semi-magical way, convert a person, who otherwise would be a Siamese subject, into a British subject.“ Praktisch wies man die Konsulatsbeamten jedoch an, bei der Ausstellung von Zertifikaten sehr vorsichtig vorzugehen und nicht alle Ansprche auf britischen Schutz ohne genaue Prfung anzuerkennen.83 Dadurch kamen nur in sehr wenige „Nicht-Europer“ in den Genuss der britischen Protektion. Effektiv verweigerten die Behçrden den meisten „nicht-weißen“ britischen Untertanen die ihnen theoretisch zustehenden Privilegien. Um die Jahrhundertwende fhrte die Betonung des internationalen Prestiges der britischen Krone dazu, dass die britischen Vertretungsbehçrden – neben den Interessen der „europischen“ Untertanen – auch einige „NichtEuroper“ schtzten. In den folgenden Jahren konzentrierte sich die konsularische Praxis dagegen zunehmend auf die Protektion der „Weißen“ und verwehrte anderen Gruppen den Zugang zu rechtlichen Privilegien. Diese Entwicklung trug zu einer deutlichen Ethnisierung der britischen Staatsangehçrigkeit bei. Auch beim Umgang mit eigenen Staatsangehçrigen im Ausland setzte sich die Tendenz zur rassistischen Diskriminierung im frhen 20. Jahrhundert durch. Zusammenfassung: Ethnisierung im frhen 20. Jahrhundert In beiden Fllen verloren vçlkerrechtliche Fragen und das Argument des außenpolitischen Prestiges nach der Jahrhundertwende an Bedeutung. Zugleich gewannen intra-imperiale Probleme und ethnische Differenzen innerhalb der Angehçrigenverbnde an Gewicht. Dieser Prozess der Ethnisierung im frhen 20. Jahrhundert fhrte allerdings in den zwei Reichen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Whrend sich im Britischen Weltreich die rassistische Diskriminierungslogik durchsetzte, etablierte sich in sterreich-Ungarn ein Nebeneinander von ethnischer Neutralitt, Anerkennungspolitik und Diskriminierungstendenzen.84 Die Untersuchung der Gesamtimperien besttigt also die fr einzelne Territorien erarbeiteten Befunde. 82 Ebd., Konsulatsbeamter Le May an Vizekonsul Wood in Chieng Mai, 21.3. 1914. 83 London, PRO, FO 821/80, Wood an Le May, 26.3.1914. 84 Zu einem hnlichen Schluss kommt Komlosy, S. 56, in ihrer komparativen Skizze: „Das Britische Empire zog … eine klare Trennlinie zwischen Brgern des Reichskerns und kolonialen Untertanen“. Damit beschreibt sie die Durchsetzung der imperialistischen Logik, wobei ihre Unterscheidung zwischen „Brgern des Reichskerns“ und „kolonialen Untertanen“ die Zen-

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Dafr, dass sich die Ethnisierung in beiden Fllen unterschiedlich auswirkte, waren – neben den im vorigen Abschnitt erwhnten divergierenden britischen und habsburgischen Rechtstraditionen – vor allem die jeweiligen politischen Strukturen der beiden Reiche verantwortlich. Der habsburgische Dualismus ermçglichte und befçrderte die Parallelitt widersprchlicher Logiken. Nur in der Praxis der k.u.k. Konsulate prallten das ungarische, nationalstaatliche und das çsterreichische, etatistische Denk- und Handlungsmuster aufeinander. Im britischen Fall war es dagegen notwendig, sich intra-imperial auf eine Logik zu einigen. Das lag zum einen daran, dass der britische Untertanenstatus das Weltreich angehçrigkeitsrechtlich zusammenband. Zum anderen war die Regierung in London zugleich fr das Vereinigte Kçnigreich und fr das Britische Weltreich als Ganzes verantwortlich. In diesem Umstand kommt die hierarchische Struktur zum Ausdruck, die das Britische Weltreich im Unterschied zum Habsburgerreich charakterisierte. Diese Hierarchie trug ebenfalls zur Durchsetzung der imperialistischen Logik bei. Ein weiterer entscheidender Faktor war die Prsenz und die politische Bedeutung „weißer“ britischer Untertanen in den verschiedenen Teilen des Weltreichs. Die Migration aus dem Vereinigten Kçnigreich in die Dominions, die Kolonien, die Protektorate und nach Indien fhrte – ebenso wie die politische Struktur des Reichs – dazu, dass trotz der geographischen Distanzen die intra-imperialen Verflechtungen im britischen Fall viel enger und ausschlaggebender waren als im habsburgischen. Die intra-imperialen Verflechtungen bildeten eine wesentliche Voraussetzung dafr, dass die Ethnisierung des Rechts nach der Jahrhundertwende im britischen Fall zur Durchsetzung der imperialistischen Logik fhrte. Die Frage, ob dabei die Metropole oder die Peripherien die Entwicklung des Rechts und der administrativen Praxis auf der imperialen Ebene bestimmten, ist deswegen letztlich sinnlos.85 Die hier vorgestellten Befunde betonen eher die Relevanz von Semi-Peripherien. Es war der Standpunkt der Dominions, der sich in der Debatte um das Staatsangehçrigkeitsgesetz von 1914 durchsetzte. Und die Politik der siamesischen Regierung hatte entscheidenden Einfluss auf die Ethnisierung der konsularischen Praxis. Allerdings wre es irrefhrend, den Peripherien, Semi-Peripherien und der Metropole gegenstzliche Absichten zu unterstellen. Die Untersuchung hat gezeigt, dass es – wenn man von den Forderungen der indischen Nationalbewegung absieht –

tralitt der rassistischen Hierarchisierung verfehlt. Fr den habsburgischen Fall betont Komlosy Integration und Autonomie als wesentliche Charakteristika, womit sie der çsterreichisch-ungarischen Komplexitt nicht ganz gerecht wird. Ebd., S. 58. Den fundamentalen Unterschied zwischen dem Habsburgerreich und dem Britischen Weltreich beschreiben auf einer abstrakten Ebene McGranahan u. Stoler, Introduction, S. 22: „Imperial formations practiced tolerance and discrimination to different degrees.“ 85 Zu dieser Diskussion s. Gorman. S. 12.

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kaum grundstzliche Widerstnde gegen die Implementierung rassistischer Diskriminierungsmechanismen gab.

6.2. Biomacht und Ethnisierung: Spaltung der Bevçlkerung im Britischen Weltreich und Spaltung der Macht in sterreich Im frhen 20. Jahrhundert gewannen sowohl im Britischen Weltreich als auch in sterreich-Ungarn ethnische Differenzen in Recht, Verwaltungspraxis und Politik an Bedeutung. Diese Ethnisierung wirkte sich jedoch in beiden Fllen unterschiedlich aus. Im britischen Kontext setzte sich die imperialistische Logik der rassistischen Diskriminierung weitgehend durch, whrend das Habsburgerreich vom Nebeneinander etatistischer, ethnisch-neutraler und anerkennender Logiken in sterreich, des nationalstaatlichen Musters in Ungarn und der imperialistischen Logik in Bosnien und der Herzegowina geprgt war. Vom Gegensatz zwischen liberaler und autoritrer Politik zur Mischung von fçrdernden und verbietenden Machtmechanismen Dieser Befund widerspricht offensichtlich der herkçmmlichen Charakterisierung des britischen Falls als Paradebeispiel fr Liberalitt und des Habsburgerreichs als „Vçlkerkerker“ und Hort autoritrer Herrschaftsformen. Das Ergebnis des Vergleichs fhrt zu einer Revision dieser Annahmen. Im Folgenden sollen allerdings nicht nur in einer Art Umkehrung bisheriger historiografischer Schemata die illiberalen Eigenschaften des Britischen Weltreichs und der gleichsam anti-autoritre Charakter sterreich-Ungarns herausgestellt werden. Vielmehr kommt es darauf an, das Gegensatzpaar liberal-autoritr, das eng mit der Ost-West-Dichotomie verknpft ist, selbst zu kritisieren.86 An seiner Stelle wird ein alternatives Interpretationsmodell entwickelt, das die Benennung sowohl von hnlichkeiten als auch von Unterschieden erlaubt, ohne die Letzteren zu einem kategorischen Gegensatz zu bersteigern. Michel Foucaults Konzept der Biomacht kann als Grundlage fr einen solchen Analyserahmen dienen.87 Allerdings muss man diesen Ansatz ergnzen und auf einen Teil seines theoretischen und politischen Potenzials verzichten, um ihn fr die historiografische Arbeit brauch- und fruchtbar zu machen. Foucaults Anmerkungen zur „Macht, leben zu machen oder in den Tod zu stoßen“ oder ber den Moment, in dem „das Leben und Besserleben … 86 Burbank, S. 399. Geulen, S. 37 f. 87 Die Relevanz dieses Ansatzes fr die Untersuchung staatsangehçrigkeits- und staatsbrgerschaftsrechtlicher Entwicklungen hat Argast, S. 16 und 46 – 60, betont.

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der Individuen wirklich erstmals … fr das Eingreifen der Regierung relevant“ wurden, verblieben in einem unfertigen Stadium.88 Drei Argumentationsfden lassen sich unterscheiden. Erstens markiert die „biologische Modernittsschwelle“ den bergang von auf Souvernitt basierenden Herrschaftsmechanismen – Macht ber Leben und Tod – zu einer auf die Erhaltung und Fçrderung des Lebens gerichteten Machtstruktur : die Trias Souvernitt-Tod-Gesetz wird durch das Dreieck Biomacht-LebenNorm ersetzt, das die Einzelnen nicht mehr als Rechtssubjekte, sondern als Lebewesen oder Bedrfnissubjekte einbindet.89 Zweitens und damit zusammenhngend richtet sich die Biomacht auf die Bevçlkerung als neues politisches Problem, und zwar auf die Bevçlkerung als biologische Art – Geburtenrate, Migrationsbewegungen, Sterberate – und als ffentlichkeit – demokratische Prozesse, çffentliche Meinung.90 Dabei werden mittels neuer Wissensformationen und Methoden – Demografie, Statistik, Stochastik und Prognostik – Bewegungen in der Bevçlkerung erfasst und normalisiert.91 Drittens ergibt sich aus einer Synopse von Foucaults Anmerkungen zur Biomacht, zum Sicherheitsdispositiv und zur liberalen Gouvernementalitt eine spezifische Form der Machtausbung, die auf der Annahme natrlicher und spontaner Gegebenheiten und Prozesse beruht.92 Die biopolitische Regierung sttzt sich auf und nutzt diese Krfte, indem sie sie indirekt beeinflusst. Gleichzeitig setzt die Natrlichkeit dieser Prozesse ihr Grenzen, da sie nicht gegen, sondern nur mit diesen Krften regieren kann.93 Fr die Untersuchung von Staatsangehçrigkeit und Staatsbrgerschaft ist vor allem die Unterscheidung von souvernen und biopolitischen oder gouvernementalen Machtstrukturen zentral, wobei die ersten eher „,reglementieren‘, ,verordnen‘ und ,herrschen‘“, die zweiten dagegen „,laisser-faire‘, ,anspornen‘ und ,anreizen‘“ betonen.94 In diesem Sinn und der Einfachheit halber wird im Fol88 Foucault, Sexualitt und Wahrheit I, S. 134. Ders., Sicherheit, Territorium, Bevçlkerung, S. 486. Die angekndigte Einordnung der Biomacht in den grçßeren Rahmen der liberalen Gouvernementalitt, die fr das Folgende zentral ist, blieb Foucault schuldig. Zu diesem Zusammenhang s. Lemke, S. 80 und 82. 89 Foucault, Sexualitt und Wahrheit I, S. 138. Lemke, S. 80. 90 Foucault, Sicherheit, Territorium, Bevçlkerung, S. 115. Diese Betonung der Bevçlkerung im Kontext der Biomacht korrespondiert mit dem fr die Geschichte der Staatsangehçrigkeit konstitutiven bergang vom Territorial- zum Personenverbandsstaat. Grawert. 91 Foucault, Sicherheit, Territorium, Bevçlkerung, S. 96 f. Ders., Geburt der Biopolitik, S. 41 f. Die Bedeutung des Zusammenhangs zwischen Wissensformationen und Biomacht unterstreicht Lemke, S. 80 f und 83. Diese Dimension spielt hier nur eine nachgeordnete Rolle. Die Diskussion der Ethnizittserfassung (s. Paragraf „Volkszhlungskriterien: ,Rasse‘ im Britischen Weltreich und Sprache in sterreich“ in Kap. 2.3.) verweist auf ihre Relevanz. Zu Statistik und Biomacht s.a. Schmidt. 92 „Es handelt sich dabei nicht um Prozesse der Natur selbst, verstanden als Natur der Welt, sondern um eine Natrlichkeit, die fr die Beziehungen der Menschen untereinander spezifisch ist.“ Foucault, Sicherheit, Territorium, Bevçlkerung, S. 500 f. 93 Foucault, Sicherheit, Territorium, Bevçlkerung, S. 110. Ders., Geburt der Biopolitik, S. 33 f. 94 Lemke, S. 80. Zu dieser Unterscheidung s.a. Argast, S. 20, 324 f und 332.

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genden zwischen verbietenden und fçrdernden Machtmechanismen unterschieden. Allerdings gilt es, drei Missverstndnisse zu vermeiden. Erstens kam es an der „biopolitischen Modernittsschwelle“ nicht zu einer Ablçsung lterer Verbote durch modernere Fçrderungen. Vielmehr traten die beiden Herrschaftsmodi sptestens seit dem 18. Jahrhundert, also seit der Etablierung fçrdernder Machtstrukturen, nebeneinander und in unterschiedlichen Mischungsverhltnissen auf.95 Zweitens ist mit Machtmechanismen mehr gemeint als bloß die Absichten politischer Eliten, die sich gleichsam nach unten auswirken. Zu den Machtstrukturen gehçren vielmehr auch Formen der Selbstregierung, welche die Handlungsweisen und -spielrume sowohl der „Oberen“ als auch der „Unteren“ prgen. Drittens unterscheidet sich der hier verwendete Ansatz von einigen heutzutage kursierenden und prominent platzierten Biomacht-Konzepten.96 Insbesondere distanziert er sich von Giorgio Agambens Meinung, das „Lager“ sei das „Paradigma der biopolitischen Moderne“.97 Stattdessen wird im Folgenden das „System der Krankenversicherung und der Alterssicherung“ ins Zentrum der Biomacht gestellt.98 Durch diese Akzentverschiebung verliert das Konzept vielleicht an Attraktivitt. Allerdings bringt die unscheinbarere Unterscheidung von verbietenden und fçrdernden Machtstrukturen im Gegenzug ein zentrales politisches Anliegen des Biomacht-Begriffs anschaulicher zum Ausdruck. Die Umsetzung liberaler Reformen, so kçnnte man das Argument knapp zusammenfassen, reduzierte – historisch betrachtet – nicht das Maß der Machtausbung und des Zwangs.99 Vielmehr fhrte die Durchsetzung des 95 Souvernitts- und Bio-Macht erscheinen bei Foucault teils als historisch aufeinanderfolgende, teils als rein analytisch unterschiedene Machtmechanismen. Ders., Sicherheit, Territorium, Bevçlkerung, S. 19 f, 78, 161, 345 und 419. Geburt der Biopolitik, S. 38, 43, 58 und 375 f. Lemke, S. 82, betont demgegenber die Gleichzeitigkeit beider Herrschaftsmodi: „Sie [die Politik] vervielfacht ihre Mçglichkeiten, indem sie neben den direkten Formen der autoritativen Steuerung nun ber viele indirekte Mechanismen der Anreizung und Anleitung, der Vorsorge und Vorhersage, der Moralisierung und Normalisierung verfgt.“ 96 „Offenbar meint jeder etwas anderes, wenn von Biopolitik die Rede ist.“ Lemke, S. 73. Ein besonders uninspirierendes Beispiel ist John Gledhill. Er verweist auf den „shift to bio-power“, der in Westeuropa nach der Etablierung der „civic nation“ stattgefunden, in Osteuropa dagegen zur Herausbildung der „ethnic nation“ gefhrt habe, und reproduziert damit die herkçmmliche Ost-West-Dichotomie. Demgegenber entschieden anregender ist Christian Geulens, S. 374, These, dass um 1900 ein „biopolitische[r] Diskurs“ die politische Semantik des Nationalen zerstçrt habe. 97 Agamben unterscheidet zwischen „bios“ und „zoe“, und nicht, wie Foucault, zwischen Bio- und Thanatomacht. Zur Kritik an Agamben s.a. Sarasin. Lemke, S. 85. 98 Foucault, In Verteidigung der Gesellschaft, S. 296. Lemke, S. 84. 99 Vor diesem Hintergrund ist folgende Bemerkung zu verstehen: „Das Ausmaß an Freiheit zwischen einem System und einem anderen zu messen hat … faktisch nicht viel Sinn. Und man erkennt nicht, welche Art von Beweis, welche Art von Messung oder Maß man anwenden kçnnte.“ Foucault, Geburt der Biopolitik, S. 96.

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Liberalismus zur Etablierung neuer, andersgearteter, biopolitischer oder fçrdernder Regierungstechniken. Eine machtfreie Zukunft wird – dystopisch gesprochen – unmçglich bleiben. Biomacht und Ethnisierung Das Konzept der Biomacht ist fr diese Arbeit nicht nur deswegen hilfreich, weil es mit seiner Kritik am Gegensatz liberal-autoritr zur Dekonstruktion der West-Ost-Dichotomie beitrgt. Der theoretische Ansatz ist darber hinaus fr die Fragestellungen dieses Buches fruchtbar, weil er die fçrdernden Machtstrukturen mit ethnischen Differenzierungen verknpft. Dabei lassen sich drei Argumentationslinien unterscheiden. Die erste verweist auf den „biologischen Staatsrassismus“, der sich im spten 19. Jahrhundert gegen einen radikalen und sozialrevolutionren Rassendiskurs gewandt und dessen Bewegung im Sinn der liberalen Gouvernementalitt kanalisiert und umgeleitet habe.100 Diese Erklrung wiederholt letztlich auf wenig berraschende Weise die ltere und allenfalls teilweise haltbare historiografische These, der Imperialismus habe von der sozialen Frage ablenken sollen.101 Interessanter ist die zweite Argumentationslinie, die behauptet, der Rassismus legitimiere das staatliche Tçten im Kontext fçrdernder Machtstrukturen, die ja auf den Erhalt und die Verbesserung des Lebens abzielen. In diesem Sinn zieht der Rassismus „die Zsur zwischen dem, was leben, und dem, was sterben muss“.102 Etwas unaufgeregter kann man auch sagen, dass rassistische Kriterien Exklusionen rechtfertigten und darber entschieden, wer von Fçrderungen profitieren und wer von ihnen ausgeschlossen werden sollte. In dieser Formulierung beschreibt das Argument ziemlich treffend die Regelung des Zugangs zu den politischen und sozialen Staatsbrgerrechten im Britischen Weltreich. Gemß der dritten Argumentationslinie resultierten ethnische und nationale Identittsbildungsprozesse aus Integrationsbedrfnissen, die als natrlich wahrgenommen wurden, und durften deswegen im Rahmen fçrdernder Machtstrukturen nicht unterdrckt werden.103 Diese These passt auf den habsburgischen Vergleichsfall. Sie taugt insbesondere zur Beschreibung der cisleithanischen Nationalittenpolitik, die mit schul-, sprachen- und wahlrechtlichen Maßnahmen die Herausbildung und Strkung ethno-nationaler Identitten fçrderte. Diese kurze Darstellung der Verknpfungen zwischen biopolitischen Machtstrukturen und Ethnisierungsprozessen deutet bereits an, dass eine 100 Foucault, In Verteidigung der Gesellschaft, S. 81 f. 101 Neben verschiedenen marxistischen Versionen dieser These s.a. Semmel. 102 Foucault, In Verteidigung der Gesellschaft, S. 301. s.a. Sarasin. Gutirrez Rodrguez. Lemke, S. 84. 103 Foucault, Sicherheit, Territorium, Bevçlkerung, S. 504. Ders., Geburt der Biopolitik, S. 90 und 334 f.

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genauere Untersuchung der Mischungsverhltnisse von verbietenden und fçrdernden Herrschaftsmodi, die im Folgenden geleistet werden soll, fr den Vergleich der staatsbrgerschafts- und staatsangehçrigkeitsrechtlichen Entwicklungen im Britischen Weltreich und in sterreich-Ungarn erhellend sein kann. Verbietende oder fçrdernde Migrationspolitik Dabei lenkt die in den Quellen selbst verwendete Begrifflichkeit den Blick zunchst auf die habsburgische Migrationspolitik. Es fllt nmlich auf, dass gerade Migrationsbewegungen von den Regierungen als natrliche, çkonomisch induzierte Phnomene verstanden wurden, die man, ganz im Sinne der liberalen Gouvernementalitt, lediglich steuern und nicht unterbinden konnte. So wurde 1908 im ungarischen Reichstag in der Debatte ber das Auswanderergesetz argumentiert, dass die Emigration sich nicht durch Gesetze verhindern ließe, denn sie sei eine Folge der internationalen „Disparitt der Arbeitslçhne“. Deswegen kçnne nur eine gute Wirtschaftspolitik zur Lçsung des Problems beitragen. Diese habe „ohne Verletzung des Rechtes auf Freizgigkeit zu erfolgen … (Beifall).“104 Noch deutlicher veranschaulicht der 1913 vom k.k. Handelsministerium erarbeitete Entwurf eines Auswanderungsgesetzes den Zusammenhang von fçrdernder Machtstruktur und Migrationspolitik. Er erklrte einleitend: „Bewegungen, die sich aus dem Leben der Vçlker und aus der Gestaltung der Staaten ergeben, werden durch Gesetze weder geschaffen noch beseitigt. Sie mssen als Tatsachen hingenommen werden, vom Gange der Welt gezeitigt und ihrerseits den Zug der Zeit bestimmend.“105

Der „Strom der Auswanderer“ wird hier als eine natrliche Kraft geschildert, die „richtig gelenkt werden“ sollte, wobei insbesondere die „Verbindung mit dem Heimatlande“ aufrecht erhalten werden msse.106 Das Handelsministerium wollte dadurch die çsterreichische Schifffahrt, den Gterexport nach

104 Pester Lloyd, Freitag, 13.11.1908, S. 4, Reden von Beck und Bern th. Generell fllt in Becks Beitrag seine Betonung der Auswanderung als wirtschaftspolitischem Problem und der Bevçlkerung als Wirtschaftsfaktor auf. Er berechnete den fr Ungarn durch die Emigration entstandenen Verlust, indem er die Arbeitskraft jedes Arbeiters mit 800 Kronen „kapitalisiert[e]“ und die mitgenommenen Ersparnisse in seine Kalkulation mit einbezog. Der durch den Arbeitskrftemangel infolge der Emigration entstandene Schaden fr Industrie und Landwirtschaft kçnne nur, so Beck, durch eine liberale Wirtschaftspolitik und durch eine „gesellschaftliche Propagationsliga“, die durch Aufklrung zu einem kooperativen Zusammenwirken von Staat und Gesellschaft beitragen sollte, aufgefangen werden. 105 Wien, HHStA, Md, Adm. Reg., F 15, Ktn. 10, 75669 – 1913, Entwurf eines çsterreichischen Auswanderungsgesetzes von 1913, allgemeine Erluterungen, S. 29. 106 Ebd., S. 51.

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Amerika und die Devisentransfers fçrdern. Die Auswanderung sollte insgesamt „fr die Monarchie nutzbringender gestaltet“ werden.107 Die diametral entgegengesetzte Position vertrat das k.u.k. Kriegsministerium, das den Entwurf kritisierte, weil er „die Freizgigkeit der Person in weitgehendem Maße angedeihen [lasse], den Auswanderer schtz[e]“ und „in erster und letzter Linie … den Interessen des Arbeiters“ Rechnung trage. Demgegenber msse die „Kriegsverwaltung“ im Interesse der „Wehrkraft“ des Staates – und ganz im Sinn der verbietenden Machtstruktur – „auf eine Einengung der Auswanderungsfreiheit“ hinwirken.108 Der restriktive Standpunkt des Kriegsministeriums setzte sich schließlich weitgehend durch und die endgltige Fassung enthielt unter anderem ein Verbot der Anwerbung von Ansiedlern ins Ausland. Eine Ausnahme sollte nur im Fall europischer Lnder mçglich sein, deren „Regierung die Rechtssicherheit, [sowie] die Wahrung der Nationalitt und Konfession … gewhrleistet“.109 An dieser Stelle kam das ursprngliche Anliegen des Handelsministeriums, die Emigranten zu schtzen und zu fçrdern, noch zum Tragen. Interessanterweise war es in dieser Konstellation mit der Absicht verknpft, die jeweilige ethnische Identitt der Auswanderer – „Nationalitt und Konfession“ – in der Diaspora zu bewahren. Fr die Zwecke des Kriegsministeriums und im Rahmen der verbietenden Machtstruktur waren ethnische Zugehçrigkeiten dagegen bedeutungslos. Alle unterlagen unabhngig von ihrer ethno-nationalen Zugehçrigkeit in gleicher Weise der Wehrpflicht. Diese war leichter durchzusetzen, solange sich die Wehrpflichtigen im Inland aufhielten, weswegen die Auswanderung verhindert werden sollte. Betrachtet man die Migrationspolitik im Britischen Weltreich, stçßt man auf der Suche nach Verboten und Fçrderungen zunchst auf die Restriktionen fr „Inder“ in den Dominions. Eine andere migrationspolitische Maßnahme, die vor allem die „indischen“ Untertanen betraf, war das System der „indentured labour“, das zwar die Migration von Arbeitskrften fçrderte, diese aber einem strikten und rigiden Kontrollsystem unterwarf. Noch weniger passt das Partizip fçrdernd zu den Umsiedlungsmaßnahmen, von denen die „nicht weißen“ Bevçlkerungen in Ostafrika betroffen waren. Diese kurze Aufzhlung zeigt bereits, dass die Migrationspolitik im britischen Kontext nach ethnischen Kriterien differenzierte und bestimmte Instrumente nur auf spezielle Gruppen anwandte. Whrend die „nicht-weißen“ Untertanen Verboten, Kontrollen und Zwang unterworfen wurden, profitierten die „weißen“ Briten von Fçrderungen. In großem Umfang wurden Anreize geschaffen, welche die Emigration von 107 Wien, HHStA, Md, Adm. Reg., F 15, Ktn. 7, Memorandum ber Auswanderungsfragen, Mai 1901. 108 Wien, HHStA, Md, Adm. Reg., F 15, Ktn. 10, 18118 – 1913, k.u.k. Kriegsministerium an k.u.k. Außenministerium, 11.3.1913. 109 Wien, HHStA, Md, Adm. Reg., F 15, Ktn. 10, 75669 – 1913, Entwurf eines çsterreichischen Auswanderungsgesetzes von 1913.

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„Weißen“ nach Kanada, nach Ostafrika und anderswohin fçrderten. Auch die Durchsetzung rechtlicher Privilegien fr „weiße“ britische Untertanen im semi-kolonialen Ausland, wie sie fr den siamesischen Fall beschrieben wurde, passt in dieses Muster, insofern sie den „Europern“ Vorteile und Rechtsicherheit verschaffte, whrend die nach Siam einwandernden „indischen“ Untertanen rechtliche Unsicherheit in Kauf nehmen mussten. Die Migrationspolitik im Britischen Weltreich war also von rassistischen Diskriminierungen geprgt. Die „weißen“ britischen Untertanen profitierten von Fçrderungen, whrend die „nicht-weißen“ Untertanen Verboten unterworfen wurden. Insofern kongruierte die Unterscheidung zwischen fçrdernden und verbietenden Machtmechanismen im britischen Fall mit ethnischen Grenzziehungen. Staatsbrgerrechte und ethnische Differenzierungen Ein hnlicher Befund ergibt sich fr den Zugang zu den politischen und sozialen Staatsbrgerrechten, dem zweiten Bereich, der hier exemplarisch untersucht werden soll. Die Einfhrung und die Ausweitung staatsbrgerlicher Rechte waren Elemente der fçrdernden Machtstruktur, wobei die politischen Rechte die Bevçlkerung als ffentlichkeit betrafen und die sozialen Rechte – insbesondere die staatlich garantierte Versorgung der Armen, Alten und Kranken – auf die Bevçlkerung als biologische Art zielten. Im Britischen Weltreich kamen vor allem „Europer“ in den Genuss politischer und sozialer Rechte, whrend „Nicht-Europer“ von der Wahrnehmung dieser Rechte ausgeschlossen blieben. Der Widerstand gegen diese diskriminierende Politik blieb erfolglos, und die Forderung nach einer ethnisch-neutralen Gleichbehandlung aller britischen Untertanen verhallte weitgehend ungehçrt. Entweder wurden die „nicht-weißen“ britischen Untertanen explizit vom Wahlrecht ausgeschlossen, wie die „Inder“ in einigen sdafrikanischen Kolonien oder die „Indianer“ in einigen kanadischen Provinzen, oder ihnen wurde der Zugang zu den Teilen des Reichs verwehrt, wo britischen Untertanen weitreichende staatsbrgerliche Rechte zustanden, nmlich zu den Dominions. Zugleich existierten in den mehrheitlich von „nicht-europischen“ Bevçlkerungen bewohnten Territorien, wie beispielsweise in Indien und in Ostafrika, bis zum Ende des Ersten Weltkriegs kaum politische Partizipations- und soziale Versorgungsrechte. Auch im Vereinigten Kçnigreich wurde vor allem bei den sozialen Rechten nach ethnischen Kriterien diskriminiert. In der Debatte um den Old Age Pensions Act musste die Regierung im britischen Unterhaus versichern, dass nur „British subjects in every sense of the word“ Anspruch auf die staatliche Fçrderung haben wrden.110 Im britischen Fall fiel also die Unterscheidung zwischen verbietenden und fçrdernden Machtstrukturen auch beim Zugang 110 UK Parliament, Lords, Bd. 192, Sp. 1339, 20.7.1908, Viscount Wolverhampton.

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zu staatsbrgerlichen Rechten mit der „rassischen“ Trennlinie zwischen „weißen“ und „nicht-weißen“ Untertanen zusammen. Im habsburgischen Kontext ergibt die Untersuchung dagegen ein anderes Bild. Zwar fhrte die ungarische Magyarisierungspolitik, dem nationalstaatlichen Muster folgend, zum Versuch, Diskriminierungsmechanismen nach ethnischen Kriterien ins Wahlrecht einzufhren. Und zwar wurden den bosnisch-herzegowinischen Landesangehçrigen Partizipationsrechte verweigert. Aber in sterreich tendierte die Entwicklung gerade im Bezug auf die politischen Staatsbrgerrechte – beispielsweise in Mhren und in der Bukowina – zur Etablierung einer Politik der Anerkennung, die darauf zielte, die Gleichberechtigung verschiedener ethno-nationaler Gruppen zu garantieren.111 Diese Anerkennung ethnischer Differenzen wurde durch kulturelle Autonomierechte, vor allem durch Artikel 19 des Staatsgrundgesetzes von 1867, sowie durch die Sprachen- und Schulpolitik garantiert. Hinsichtlich der sozialen Rechte dagegen beharrte die cisleithanische Regierung auf dem Prinzip der ethnischen Neutralitt. Bei der Armenversorgung und im Heimatrecht unterband die Zentralverwaltung Versuche lokaler Behçrden, den Zugang zu çffentlichen Untersttzungen ethnisch diskriminierend zu gestalten. Stattdessen wurde die Gleichbehandlung aller Staatsbrger unabhngig von ihrer ethnischen Identitt durchgesetzt. Im çsterreichischen Fall waren also bei der Etablierung fçrdernder Machtmechanismen etatistische Anerkennungs- und Neutralittsprinzipien wirksam. Whrend die Bevçlkerung „als ffentlichkeit“, also hinsichtlich der politischen und kulturellen Rechte, anerkennend differenziert wurde, behandelte man die Bevçlkerung „als biologische Art“, also bei den sozialen Versorgungsrechten, ethnisch-neutral.112 Biomacht und Ethnisierung im britischen und im çsterreichischen Fall Der Durchgang durch das empirische Material produziert ein komplexes Bild des Zusammenhangs von verbietenden und fçrdernden Machtstrukturen mit ethnischen Differenzierungen. Im çsterreichischen Fall korrespondierten verbietende Machtmechanismen mit ethnischer Neutralitt. Diese Konstellation kam insbesondere in der Position des k.u.k. Kriegsministeriums zum Ausdruck. Die Befrworter einer fçrdernden Migrationspolitik legten demgegenber Wert auf die Aufrechterhaltung ethnischer Identitten und auf anerkennende Differenzierungen. Gleichzeitig wurde bei der Fçrderung der Bevçlkerung als ffentlichkeit eine Politik der Anerkennung implementiert, whrend man die Bevçlkerung als biologische Art ethnisch-neutral behan111 Zum Konnex von Demokratie, ffentlichkeit und „the mediation of ethnic conflict“ ußert sich Lieven, S. 189 f. 112 Die Unterscheidung zwischen der Bevçlkerung als biologischer Art und als ffentlichkeit entspricht brigens Karl Renners Vorschlag, die Bevçlkerung zweimal zu organisieren, einerseits çkonomisch-staatlich, andererseits ethnisch-national. Springer, Grundlagen und Entwicklungsziele, S. 208.

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delte. Im britischen Fall ist das Ergebnis dagegen eindeutiger. Sowohl bei der Migrationspolitik als auch beim Zugang zu politischen und sozialen Staatsbrgerrechten stellten rassistische Diskriminierungen sicher, dass „Weiße“ von Fçrderungen profitierten, whrend „Nicht-Weiße“ Verboten unterworfen wurden. Das Argument, dass rassistische Kriterien den Ausschluss gewisser Gruppen von fçrdernden Machtmechanismen rechtfertigten, trifft auf den britischen Fall in vollem Umfang zu. Fçrdernde Machtstruktur und rassistische Exklusion waren eng miteinander verknpft. Je intensiver die Fçrderung der „weißen“ Untertanen, desto radikaler die Exklusion der „Nicht-Weißen“, respektive die Spaltung der Bevçlkerung.113 Im habsburgischen Kontext kam es dagegen weder zu einer rassistischen Trennung der Bevçlkerung noch zu einem vergleichbaren Ausbau fçrdernder Machtmechanismen. Diesen Unterschied verdeutlicht die zumindest „weißen“ Briten teilweise eingerumte Mçglichkeit, den Dienst im Ersten Weltkrieg aus Gewissensgrnden zu verweigern. hnliches wre in sterreich-Ungarn schwer vorstellbar gewesen. Dort spielten Zwnge und Verbote, die unabhngig von ethnischen Differenzen auf die gesamte Bevçlkerung angewandt wurden, eine grçßere Rolle. Wie die Auseinandersetzung zwischen Kriegs- und Handelsministerium zeigt, war der habsburgische Fall von einem Neben- und Gegeneinander verbietender und fçrdernder Strukturen, respektive von einer Spaltung der Macht geprgt.114 Dieser Umstand und die Verknpfung des verbietenden Herrschaftsmodus mit dem Prinzip der ethnischen Neutralitt trugen dazu bei, dass rassistische Diskriminierungsmechanismen in sterreich-Ungarn bedeutungslos blieben. Zwar unterlagen – zumindest theoretisch – alle Staatsbrger der Wehrpflicht, aber eben alle gleichermaßen und ohne Ansehen der ethno-nationalen Zugehçrigkeit. Im britischen Fall dagegen war es zwar mçglich, den Kriegsdienst zu verweigern, aber diese Option stand mitnichten allen Untertanen offen. Um dieses komparative Argument zu veranschaulichen, muss man sich nur vorstellen, wie die Behçrden mit einem „nicht-weißen“ Bewohner Ostafrikas verfahren wren, der sich gegenber Zwangsrekrutierungsmaßnahmen auf sein Gewissen berufen htte. Der fr den britischen Fall beschriebene Konnex von Fçrderung und rassistischer Exklusion kam im Habsburgerreich nicht zum Tragen. Dort spielte 113 Eine hnliche Spaltung – allerdings entlang geschlechtlicher anstelle ethnischer Differenzlinien – skizziert Argast, S. 20 und 332, die anhand des Schweizer Staatsbrgerrechts argumentiert, dass Mnner von gouvernementalen Mechanismen erfasst wurden, whrend Frauen souvernen Strukturen unterworfen blieben. 114 Eine vergleichbare Auseinandersetzung zwischen Institutionen, die im Spannungsfeld zwischen Fçrderung und Verbot unterschiedliche Positionen vertraten, identifiziert Argast, S. 324 f, im Schweizer Kontext. Ihr zufolge hielten Gemeinden und Stimmvolk an souvernen Strukturen fest, whrend liberale Kantone und Bundesstaat gouvernementale Mechanismen propagierten.

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dagegen – insbesondere im çsterreichischen Kontext – die Fçrderung von ethnischen und nationalen Identittsbildungsprozessen in der Bevçlkerung als ffentlichkeit eine große Rolle. Gleichzeitig vermied man ethnische Differenzierungen bei der sozialen Frsorge. Die spezifische Mischung von Verboten und Fçrderungen verhalf also im habsburgischen Fall ethnischneutralen und anerkennenden Anstzen zu Bedeutung, whrend das grçßere Gewicht fçrdernder Machtstrukturen im britischen Fall die Durchsetzung rassistischer Diskriminierungen vorantrieb.

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7. Der Krieg und der Umgang mit ethnischen Differenzen

Der bisher verfolgte Ansatz bei der Untersuchung des Umgangs mit ethnischer Heterogenitt im britischen und im habsburgischen Fall versuchte, eine dichotomische Gegenberstellung von West und Ost zu vermeiden. Auf der Ebene der Gesamtreiche wurde dabei ein beiden Fllen gemeinsamer Prozess der Ethnisierung des Rechts und der administrativen Praxis um die Jahrhundertwende beschrieben. Dieser fhrte allerdings im Habsburgerreich zu einem Nebeneinander von etatistischer, nationalstaatlicher und imperialistischer Logik, whrend sich im Britischen Weltreich das imperialistische Denkund Handlungsmuster als dominierendes Prinzip durchsetzte. Brachte der Erste Weltkrieg eine mit der Jahrhundertwende vergleichbare Zsur in der Entwicklung des Staatsangehçrigkeits- und Staatsbrgerschaftsrechts mit sich? Wie wirkte sich der Krieg, der das Ende des hier untersuchten Zeitraums markiert, auf die In- oder Exklusion bestimmter Gruppen und auf die Mechanismen ethnischer Differenzierung aus? sterreich-Ungarn, der Krieg und ein kurzer Ausblick auf seine Folgen Im habsburgischen Fall fhrte der Ausbruch des Ersten Weltkriegs zunchst dazu, dass die vom k.u.k. Kriegsministerium geforderte ethnisch-neutrale Durchsetzung der Wehrpflicht, wie sie in der Debatte ber das Auswanderergesetz zum Ausdruck kam, bestimmend wurde. Alle çsterreichischen Staatsbrger, ungarischen Staatsangehçrigen und bosnischen Landesangehçrigen sollten gleichermaßen Wehrdienst leisten. Insofern brachte der Krieg eine Intensivierung der etatistischen Logik mit sich, indem eine gestrkte Exekutive den militrischen Interessen des imperialen Gesamtverbandes zur Geltung verhalf. Damit war auch eine zunehmende Dominanz verbietender Machtstrukturen verbunden, die das bisherige Mischungsverhltnis von Fçrderungen und Verboten ablçste und die daraus resultierenden anerkennenden Differenzierungen verdrngte. Die Durchsetzung des Prinzips ethnischer Neutralitt bei der Wehrpflicht begleitete keine entsprechende supra-ethnische Expansion staatsbrgerlicher Rechte. Im Gegenteil, durch die weitgehende Aufhebung des konstitutionellen Systems und der Parlamente gingen smtliche politischen Partizipationsrechte weitestgehend verloren. Dadurch wurde auch den Versuchen, im mhrischen, bukowinischen und bosnischen Wahlrecht eine Politik der Anerkennung zu implementieren, ein Ende gesetzt. 327

Diese anerkennend differenzierenden Mechanismen passten ohnehin nicht mehr zur Kriegspolitik eines Reiches, das versuchte, alle Angehçrigen direkt fr seine Zwecke zu mobilisieren und intermedire Loyalittsinstanzen wie die ethno-nationalen Verbnde auszuschalten.1 Zwar strkten diese Strategie und die dazugehçrige Propaganda im Verlauf des Kriegs imperiale Loyalitten und Zugehçrigkeitsgefhle.2 Aber diese zentripetale Tendenz konterkarierten die teilweise gegen bestimmte ethnische Gruppen gerichteten Gewaltexzesse, welche die militrischen Aktionen begleiteten oder ein Teil von ihnen waren.3 Gleichzeitig fçrderten die feindlichen Mchte gezielt die Radikalisierung zentrifugaler Nationalismen.4 Diese Umstnde erschwerten die Aufrechterhaltung des multi-ethnischen Gesamtverbands zunehmend. Zusammen mit dem verlorenen Krieg fhrte dies letztlich zum Zerfall des Habsburgerreichs und zur Grndung von nationalen Nachfolgestaaten auf seinem Territorium. Dadurch kam es indirekt infolge des Ersten Weltkriegs zu einem Wandel in der Entwicklung des Staatsangehçrigkeits- und Staatsbrgerschaftsrechts, denn zeitgleich mit dem Habsburgerreich verschwand auch die cisleithanische Tradition der ethnischen Neutralitt und der Anerkennung. Die meisten der Nachfolgestaaten implementierten eine ethnisch-exklusive, teilweise rassistisch aufgeladene nationalstaatliche Logik, von der das ungarische Recht bereits vor 1918 geprgt gewesen war. Den Wechsel zur Exklusionspolitik verdeutlicht das Beispiel „Deutschsterreichs“. Dort dehnte man einerseits durch die Einfhrung des Frauenwahlrechts die staatsbrgerliche Egalitt aus und verwehrte andererseits durch angehçrigkeitsrechtliche Maßnahmen insbesondere deutschsprachigen Juden den Zugang zum neu konstituierten nationalen Staatsverband.5 Da die meisten Nachfolgestaaten eine solche antisemitische Exklusionspolitik betrieben, brachte der Erste Weltkrieg insbesondere die habsburgischen Juden, die zum großen Teil staatenlos wurden, in eine sehr prekre Situation. Dieser Wandel folgte allerdings in erster Linie aus der politischen Neuordnung Mittelosteuropas nach 1918 und wurde nicht vom Krieg selbst ausgelçst. Rckblickend kçnnte man zwar aus dem schnellen bergang zur nationalstaatlichen Logik schließen, dass weder das Prinzip der ethnischen Neutralitt noch die Politik der Anerkennung vor 1918 in weitverbreiteten und tief verwurzelten berzeugungen begrndet waren, sondern lediglich von 1 Lieven, S. 196, argumentiert, die çsterreichische Politik sei „most humane and civilized [and] likely in the long run … to limit inter-ethnic conflict“ gewesen, zugleich aber ungeeignet, den Herausforderungen des Krieges zu begegnen – „however, hardly the … best designed to maximize the state’s military and fiscal ressources“. 2 Dek. Healy, S. 34 f. 3 Rauchensteiner, S. 178 f, spricht von Maßnahmen der militrischen Behçrden, die gezielt gegen „Tschechen, Polen, Ruthenen und Sdslawen“ gerichtet waren s.a. Jaszi, S. 16. Holzer. Hagen. 4 „It was in the course of preparations for the Great War and during it that the empires started to play the ethnic card against their imperial rivals so actively.“ Miller, The Value and Limits, S. 31. 5 Hirschhausen, Von imperialer Inklusion, S. 17 f. Stourzh, Ethnic Attribution.

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einer kleinen administrativen Elite durchgesetzt und aufrechterhalten wurden. Analytisch ist es jedoch sinnvoller, festzustellen, dass durch das Ende der imperialen Gesamtkonstellation die politischen Bedingungen wegfielen, unter denen vor dem Krieg die etatistische Logik sowohl eine mçgliche als auch eine sinnvolle Option gewesen war. Zugleich kam es zu einschneidenden Vernderungen im internationalen Umfeld. Die Revolution in Russland verstrkte anti-monarchische Bestrebungen, und die US-amerikanische Politik, die das Selbstbestimmungsrecht der Vçlker betonte, fçrderte nationalistische Tendenzen. Deswegen wre die Implementierung einer etatistischen Logik gleichsam gegen den allgemeinen Trend fr die Nachfolgestaaten riskant gewesen. Außerdem herrschte die berzeugung vor, dass die Festigung der neuen staatlichen Identitt und die Bewltigung der notwendigen Integrationsleistungen am ehesten mit einer nationalstaatlichen Logik zu bewerkstelligen waren. Diese vernderten Rahmenbedingungen fhrten dazu, dass das etatistische Prinzip der ethnischen Neutralitt und die Politik der Anerkennung ihre bisherige Bedeutung verloren. Allerdings kam es nicht zu einer Umkehrung der bereits im frhen 20. Jahrhundert einsetzenden Ethnisierung des Rechts und der administrativen Praxis.6 Im Gegenteil, der Krieg beschleunigte diesen Ethnisierungsprozess. Wehrpflicht, Wahlrecht und Diskriminierung im Britischen Weltreich Im britischen Fall nderte der gewonnene Krieg dagegen kurzfristig nichts an der imperialen Konstellation. Zwar setzte mit der Strkung der irischen Unabhngigkeit und der wachsenden Selbstndigkeit der Dominions whrend des Ersten Weltkriegs ein langfristiger Desintegrationsprozess ein. Aber in der Entwicklung des Rechts und der administrativen Praxis fhrte der Krieg zu keiner wesentlichen Vernderung, sondern eher zu einer Intensivierung der imperialistischen Logik. Am deutlichsten lsst sich dies am ostafrikanischen Beispiel nachvollziehen. Zwar wurde die zunchst nur ber die „afrikanische“ Bevçlkerung verhngte Wehrpflicht spter auch auf die „europischen“ Siedler ausgedehnt. Aber bei den politischen Partizipationsrechten, die eigentlich mit den militrischen Staatsbrgerpflichten korrespondieren sollten, wurden nur die „Europer“ bercksichtigt. Der Logik rassistischer Diskriminierung folgend, erhielten die „weißen“ Bewohner des Protektorats gleiche staatsbrgerliche Pflichten und Rechte, whrend man den „Nicht-Weißen“ die Rechte verwehrte. Dadurch kam es letztlich zur rechtlichen und politischen Durchsetzung des vor allem von den „europischen“ Siedlern vertretenen Modells der „weißen“ Suprematie in Ostafrika. Der Zusammenhang von Wehrpflicht und Wahlrecht wurde auch im ka6 Diese Kontinuitt ber die politische Zsur des Kriegs hinaus betont Stourzh, Ethnic Attribution.

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nadischen Fall betont. Hier kam es insbesondere durch die Einfhrung des Frauenwahlrechts zu einer Fortsetzung der nationalstaatlichen Binnenhomogenisierungsprozesse, wobei 1917 zunchst Frauen, die als Krankenschwestern Dienst taten, oder deren Mnner, Sçhne, Brder und Vter Soldaten waren, das Wahlrecht zugestanden wurde, bevor man 1918 alle Frauen ins Wahlvolk integrierte.7 In die staatsbrgerliche Egalisierung nicht einbezogen wurden hingegen die „Indianer“. Zunchst verweigerte man den „non-enfranchised Indians“, also dem grçßten Teil der indigenen Bevçlkerung, der nicht das offizielle Integrationsverfahren durchlaufen hatte, das Recht, sich freiwillig zum Militrdienst zu melden. Im weiteren Verlauf des Krieges jedoch wurde 1916/17 die Wehrpflicht aller „Indianer“ beschlossen und durchgesetzt. Gleichzeitig verfgte die kanadische Regierung, dass im aktiven Dienst stehenden indianischen Soldaten das Wahlrecht zustehen sollte. Jenseits ihrer Dienstzeit sollten die „non-enfranchised Indians“ hingegen weiterhin von der „Canadian citizenship“ ausgeschlossen bleiben, auch wenn sie der Wehrpflicht entsprochen hatten. Einige „Indianer“ weigerten sich, der Dienstpflicht nachzukommen, solange ihnen nicht „the same rights as other Canadians“ zugestanden wrden. Darauf reagierte die Regierung mit der Bestimmung, dass „indianische“ Soldaten nicht in „combat situations“ eingesetzt werden sollten.8 Vor allem dieser Ausschluss der indigenen Bevçlkerung von der staatsbrgerschaftsrechtlichen Binnenhomogenisierung rechtfertigt die Feststellung, dass der Erste Weltkrieg im kanadischen Fall zur Intensivierung imperialistischer Diskriminierungen beitrug. Daneben wurden auch die nationalstaatliche Logik und die migrationsrechtlichen Exklusionsmechanismen verstrkt, die in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts nicht mehr nur auf „asiatische“, sondern zunehmend auch auf Immigranten aus Sd- und Osteuropa angewandt wurden.9 Auch im Vereinigten Kçnigreich zeitigte die Einfhrung der Wehrpflicht whrend des Krieges rechtliche Egalisierungsprozesse. Der Representation of the People Act von 1918 fhrte das allgemeine Wahlrecht ein. Diese Intensivierung der nationalstaatlichen Logik ging einher mit einer generellen Strkung der nationalen Identitt.10 Gleichzeitig traten auch die Mechanismen ethnischer Exklusion strker in den Vordergrund. Eine direkt mit dem Krieg verbundene Maßnahme in diesem Sinn war die spezielle Anwendung des Aliens Restriction Act von 1914 auf „Asiatics“. Diese verdeutlicht zugleich, wie die rassistische Politik der Dominions auf die administrative Praxis in der 7 Andrew, S. 96. 8 Nichols, S. 254 – 256. Nach Pearson, S. 993, fhrte der Krieg auch zu einer verstrkten Integration der indigenen Bevçlkerung. Dieser These muss auf der Grundlage der hier vorgestellten Befunde widersprochen werden. 9 Knowles. 10 Mller, S. Zum Zusammenhang von Krieg, Frauenwahlrecht und Nationalisierung der Frauenbewegung im Vereinigten Kçnigreich s. Gullace.

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Metropole gleichsam abfrbte. Die staatlichen Kontrollmaßnahmen, die das Gesetz fr „feindliche“ Auslnder verfgte, wurden 1917 auf alle „Asiatics“ ausgedehnt, unabhngig davon, ob sie verbndeten oder feindlichen Staaten angehçrten. Im entsprechenden Zirkularerlass des Home Office an die Polizeibehçrden vom 28. Februar 1917 war von Fremden mit folgenden „nationalities, viz: Chinese, Japanese, Siamese, Persians, Egyptians“ die Rede. Die Aufzhlung verschiedener Staatsangehçrigkeiten sollte verschleiern „that Asiatics are aimed at“.11 Allerdings blieben britische Untertanen insbesondere aus Indien von der genannten Regelung ausgenommen. Im Vereinigten Kçnigreich wurden – anders als in den Dominions – nach 1914 keine Kontrollmaßnahmen ergriffen, die innerhalb der Gesamtheit der britischen Untertanen nach „rassischen“ Kriterien diskriminierten. Dies geschah jedoch verstrkt in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts mit den Regelungen zur speziellen Kontrolle und Registrierung von „coloured seamen“, die auch „nicht-weiße“ britische Untertanen betrafen.12 Diese Bestimmungen kçnnen in gewisser Weise als Vorlufer der rassistischen Diskriminierungsmechanismen gelten, die nach dem Zweiten Weltkrieg ins britische Recht eingefhrt wurden und immer deutlicher zwischen „weißen“ britischen Untertanen, denen das Recht auf Einreise ins Vereinigte Kçnigreich eingerumt wurde, und „nicht-weißen“ Untertanen, denen dieses Recht verwehrt blieb, diskriminierten.13 In der Einbrgerungspraxis kann man fr die zwanziger Jahre ebenfalls von einer deutlich verstrkten Tendenz zur Exklusion bestimmter ethnischer Gruppen sprechen, wovon insbesondere „Juden“ und „Osteuroper“ betroffen waren.14 Fr den indischen Fall lsst sich ein Zusammenhang zwischen dem Beitrag der Bevçlkerung des Subkontinents zur britischen Kriegsleistung und der Expansion der politischen Staatsbrgerrechte nach 1918 feststellen. Zwar wurde in Indien keine Wehrpflicht eingefhrt, weil die Regierung sich vor anti-kolonialen Aufstnden Waffen tragender „natives“ frchtete. Aber die personelle und finanzielle Untersttzung fr die britische Kriegfhrung aus Indien war dennoch enorm.15 Den Vertretern der Nationalbewegung wurde whrend des Krieges gleichsam als Gegenleistung dafr eine rechtliche 11 London, PRO, HO 45/10836/330000. 12 London, PRO, HO 213/777, The Origins of HO Documents of Identity (for Aliens). s.a. Cesarani, Anti-alienism in Britain after the First World War. Dummett u. Nicol, Subjects, S. 145 f und 160 f. 13 Zur Ethnisierung des britischen Rechts nach 1945 s. Paul. Dummett u. Nicol, Subjects. Cesarani, The Changing Character. 14 Zur sogenannten „Russian Rule“ in der britischen Naturalisationspraxis in den zwanziger Jahren s. Baldwin. 15 Auf die zweifellos wichtige Frage, welche Auswirkungen der Einsatz „nicht-weißer“ Soldaten in Europa auf das „europische“ Bewusstsein und die Wahrnehmung „rassischer“ Unterschiede hatte, kann hier nicht nher eingegangen werden. s. dazu Koller, C. Zur Rolle und Bedeutung der indischen Armee im Britischen Weltreich s. Metcalf, Imperial Connections, S. 68 – 135.

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Besserstellung in Aussicht gestellt. Gleichzeitig intensivierte man jedoch die administrative Kontrolle der Bevçlkerung, die Zensur und die Unterdrckung missliebiger, insbesondere nationalistischer Meinungen. Das in der Montagu-Chelmsford-Reform teilweise eingelçste Versprechen einer Ausdehnung der politischen Partizipationsrechte fhrte nicht zur supraethnischen Egalisierung. Vielmehr implementierte die Reform anerkennende Differenzierungsmechanismen und verstrkte zudem die imperialistische Privilegierung der „weißen“ britischen Untertanen. Nach dem Krieg kam man den Forderungen von Vertretern der indischen Nationalbewegung nach „Home Rule“ und nach der Abschaffung rassistischer Diskriminierungen also nur in sehr eingeschrnktem Maße entgegen.16 Whrend auf der Imperial War Conference von 1917 den Vertretern des India Office noch die rechtliche Gleichstellung der „indischen“ Untertanen in Aussicht gestellt worden war, beschloss die Nachfolgekonferenz von 1918 eine Resolution, welche das Recht der Dominions garantierte, die imperiale Binnenmigration uneingeschrnkt zu reglementieren, und so die Diskriminierung der „indischen“ Untertanen perpetuierte.17 Diese Konferenzen und das 1917 eingerichtete Imperial War Cabinet in London, das die Regierungen der Dominions an der Kriegsplanung beteiligte, waren der institutionelle Ausdruck fr die Intensivierung der Kooperation innerhalb des Weltreichs, die der Krieg herbeifhrte. Die als gemeinsame Last wahrgenommene Kriegsleistung fhrte zu einer Strkung des imperialen Zusammengehçrigkeitsgefhls. Es ist jedoch fraglich, ob nicht gleichzeitige Integrationsprozesse, die innerhalb der Dominions abliefen, die gemeinsame britische Identitt unterminierten. Die politische Selbstndigkeit wurde durch den Umstand, dass die metropolitane Regierung die Dominions wie Verbndete behandelte, gestrkt, und es kam im Kontext des Krieges zu einer Intensivierung der nationalstaatlichen Logik in den Dominions. Dazu gehçrte auch eine Verschrfung der rassistischen Exklusions- und Diskriminierungspolitik. Deswegen ist es fraglich, inwieweit die durch den Krieg gestrkte Identifikation mit dem Britischen Weltreich alle britischen Untertanen gleichermaßen erfasste. Zwar mussten alle den militrischen Interessen der imperialen Metropole dienen, was in gewisser Weise der etatistischen Logik der supra-ethnischen Neutralitt zu neuer Bedeutung verhalf. Aber diese bergreifende Verpflichtung wirkte sich nicht als ethnisch-neutrale staatbrgerschaftsrechtliche Egalisierung aus. Im Gegenteil, die Ausdehnung der politischen Partizipationsrechte gegen Kriegsende oder nach dem Krieg war meist verbunden mit einer Strkung der imperialistischen Logik rassistischer Diskriminierung.

16 The Montagu-Chelmsford Reform Proposals, S. 133 f. Besant, S. 1 f. 17 Gregory, India and East Africa, S. 181 f.

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Insofern fhrte der Krieg im britischen Fall nicht zu einem Bruch in der Rechtsentwicklung, sondern intensivierte vielmehr die zuvor vorhandenen Tendenzen: die imperialistische Logik auf der Ebene des Weltreichs; die nationalstaatliche Logik in den Dominions; die Gleichzeitigkeit von Diskriminierung und Anerkennungspolitik in Indien; und das Schwanken zwischen nationalstaatlicher Logik und Aufrechterhaltung des imperialen Gesamtverbandes im Vereinigten Kçnigreich. Diese Konstellation prgte die weitere Entwicklung des Staatsangehçrigkeitsrechts im sich langsam auflçsenden Britischen Weltreich im 20. Jahrhundert, die maßgeblich von imperialen Problemen und Traditionen beeinflusst wurde. Dazu gehçrt der rechtliche Sonderstatus, der irischen Staatsangehçrigen bis zum heutigen Tag im Vereinigten Kçnigreich eingerumt wird. Auch die Vertreibung der indischen Bevçlkerung aus Uganda im Jahr 1972 war in der imperialen Ausgangskonstellation begrndet.18 Schließlich wurzelte die Trennung der Bevçlkerung Sdasiens in einen indischen und einen pakistanischen Staatsverband im Jahr 1947 ebenfalls in Maßnahmen der britischen Kolonialmacht wie der wahlrechtlichen Differenzierung zwischen Muslimen und Hindus. Der Krieg als Katalysator bestehender Entwicklungen Zusammenfassend kann man auf die eingangs gestellten Fragen antworten, dass der Erste Weltkrieg durchaus keinen einschneidenden Bruch in der staatsangehçrigkeits- und staatsbrgerschaftsrechtlichen Entwicklung darstellte. Vielmehr beschleunigte und intensivierte er Prozesse, die mit der Ethnisierung des Rechts und der administrativen Praxis um die Jahrhundertwende ihren Anfang genommen hatten. Deswegen markiert nicht der Krieg, sondern die schwindende Bedeutung ethnisch-neutraler Prinzipien und die gleichzeitige Implementierung von ethnisch differenzierenden Logiken um 1900 die entscheidende Zsur. Zwar folgten im habsburgischen Fall auf den Krieg radikale politische Umwlzungen und die katastrophal rasante Desintegration des Reichs, aber die Grundtendenz der Ethnisierung wurde auch in den Nachfolgestaaten nach 1918 beibehalten. Sie wurde einerseits dadurch verstrkt, dass die etatistische Logik der ethnischen Neutralitt, die im cisleithanischen Fall so bedeutsam gewesen war, nach Kriegsende praktisch kaum mehr eine Rolle spielte. Andererseits vernderte sich die Richtung des Ethnisierungsprozesses, indem die cisleithanische Variante einer differenzierenden Anerkennungspolitik weitgehend verschwand, und sich die transleithanische Variante einer ethnisch-exklusiven nationalstaatlichen Logik in den meisten Nachfolgestaaten durchsetzte.19 18 Zu damit verknpften Problemen der angehçrigkeitsrechtlichen Entwicklung in den ehemaligen Kolonien s. Mamdani. 19 Wesentlich ist, dass sowohl die Anerkennungspolitik als auch die ethnisch-exklusive Logik

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Im britischen Fall war es hingegen die imperialistische Logik der Diskriminierung nach „rassischen“ Kriterien, die durch den Krieg intensiviert wurde. Zentral war dabei der Zusammenhang von Demokratisierung und Diskriminierung. Gerade die Ausweitung politischer Partizipationsrechte in Ostafrika, in Indien und in Kanada fhrte zur Verstrkung rassistischer Diskriminierungsmechanismen. Insgesamt gesehen kann man also auch im britischen Recht von einer kontinuierlichen Ethnisierungstendenz sprechen. Diese setzte im frhen 20. Jahrhundert ein und wirkte sich auch noch auf die „rassisch“-exklusive Immigrationsgesetzgebung des Vereinigten Kçnigreichs in den sechziger und siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts aus.

rechtlich nach ethnischen Kriterien differenzierten. In genau diesem Sinn betont Stourzh, Ethnic Attribution, die Kontinuitten vom Mhrischen Ausgleich von 1905 zur antisemitischen Angehçrigkeitspolitik der ersten Republik von 1920.

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Schluss: Ergebnisse, Erklrungsanstze, Thesen

Der Vergleich des rechtlichen und administrativen Umgangs mit ethnischen Differenzen im Britischen Weltreich und im Habsburgerreich zwischen 1867 und 1918 fhrt zur Feststellung eines fundamentalen Unterschieds zwischen beiden Imperien im frhen 20. Jahrhundert. Im britischen Fall setzte sich das imperialistische Denk- und Handlungsmuster der Diskriminierung zwischen „Weißen“ und „Nicht-Weißen“ durch. Im habsburgischen Fall kam es dagegen zum Nebeneinander einer etatistischen Logik im çsterreichischen und einer nationalstaatlichen Logik im ungarischen Kontext, whrend in Bosnien etatistische Prinzipien und imperialistische Diskriminierungen zugleich von Bedeutung waren. Typen von Imperialitt jenseits der Ost-West-Dichotomie Lsst sich dieser Befund nicht letztlich darauf zurckfhren, dass man es im britischen Fall mit einem modernen und maritimen Kolonialreich und im habsburgischen mit einem traditionalen Kontinentalreich zu tun hat? Liefert der Vergleich also das letztlich wenig berraschende Ergebnis, dass unterschiedliche Imperien auch unterschiedlich mit ethnischer Heterogenitt umgingen? Ganz so einfach lassen sich die Befunde nicht auf den Begriff bringen, denn neben den Unterschieden gab es auch hnlichkeiten. Zum einen hat die Untersuchung ergeben, dass sich Recht und administrative Praxis im spten 19. Jahrhundert sowohl im britischen als auch im habsburgischen Fall weitgehend am etatistischen Prinzip der Neutralitt orientierten. Daneben haben die Vergleiche zwischen einzelnen Teilen der beiden Reiche eher hnlichkeiten als Unterschiede zutage gefçrdert. Außerdem haben sie gezeigt, dass man bei der Untersuchung von Imperien immer deren Heterogenitt in Rechnung stellen und mit Aussagen ber globale Eigenschaften der Reiche vorsichtig sein muss. Deswegen ist es auch wenig sinnvoll, die beiden Flle gleichsam als antipodische Enden einer Imperialittsskala zu betrachten, die von einer deutlichen bis zu einer schwachen Trennung zwischen Zentrum und Peripherie, oder von Diskriminierung bis Annerkennung reicht.1 Zwar sind beide Di1 Tilly. Komlosy. McGranahan u. Stoler. Lieven. Cooper, Empire Multiplied. s. Fußnote 21 der Einleitung.

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mensionen wichtig zur Beschreibung der Unterschiede zwischen dem britischen und dem habsburgischen Fall, aber zur Beschreibung von komplexen imperialen Kontexten reichen bipolare Schemata allein nicht aus. Das kann man anhand des Modells nachvollziehen, demzufolge Imperien entweder eher der Integration – und damit im theoretischen Extremfall der Nationalstaatlichkeit – oder eher der Differenzierung zuneigen. Gerade der Vergleich zwischen dem Britischen Weltreich und sterreich-Ungarn hat demgegenber gezeigt, dass es wichtig ist, zwischen mindestens zwei Arten der Differenzierung zu unterscheiden, nmlich einer anerkennenden und einer diskriminierenden. Und auch auf der anderen Seite gibt es mit der etatistischen Egalisierung eine Alternative zur nationalstaatlichen Integration. Aufbauend auf den drei Logiken des Umgangs mit ethnischer Heterogenitt kann man ein gleichsam vierfltiges Raster zur Erfassung verschiedener Formen der Imperialitt entwickeln. Dieses erlaubt eine deutlich przisere Beschreibung als die gngige Unterscheidung zwischen modernen, maritimen Kolonial- und traditionalen Kontinentalreichen. Diese auf dem meist sehr unspezifisch verwendeten Gegensatz Moderne-Tradition basierende Trennung reproduziert nicht nur die berkommene West-Ost-Dichotomie, sie versperrt auch den Blick auf signifikante Differenzen zwischen den verschiedenen Kolonial- oder Kontinentalreichen untereinander einerseits und fr wesentliche Gemeinsamkeiten zwischen westlichen und çstlichen Imperien andererseits.2 Deswegen wird hier ein Analyserahmen vorgeschlagen, der sich gleichsam zwischen den vier Ecken der nationalstaatlichen Integration, der staatlichen Egalisierung, der etatistischen Anerkennung und der imperialistischen Diskriminierung aufspannt. In diesem Spannungsfeld kçnnen die anderen Imperien des frhen 20. Jahrhunderts ebenfalls verortet werden, wenn auch hier nur vorlufig und andeutungsweise. Im osmanischen Fall muss dabei das „Millet“-System, das Aspekte der Anerkennungslogik aufweist, bercksichtigt werden.3 Fr den franzçsischen Fall war eine gewisse Spannung zwischen Egalisierungsvorstellungen und Diskriminierungspraktiken – beispielsweise gegenber den algerischen Muslimen – charakteristisch, wobei eine genauere Untersuchung weiterer Teile des Kolonialreichs vermutlich ein komplexeres Bild ergeben wrde.4 Das deutsche Kolonialreich war von Diskriminierungen geprgt, whrend gleichzeitig etatistische Traditionen fortwirkten und in der Metropole die nationalstaatliche Integration vorangetrieben wurde.5 Im russischen 2 Gegen die Dichotomie von modernen und traditionalen Imperien wendet sich auch Miller, The Value and Limits, S. 21. Zu Anstzen fr Imperienvergleiche, welche diese Gegenberstellung berwinden, s. Komlosy. Berger u. Miller, Nation-building. 3 Komlosy. Lieven, S. 192 – 196. Werth, S. 53. 4 Saada. Weil. Cooper, Empire Multiplied, S. 269 f. 5 Gosewinke, Einbrgern und Auschließen. hnlich argumentiert auch Wildenthal, wobei sie die Sonderstellung, die jenseits der rassistischen Diskriminierung den mit „weißen“ Mnnern

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Fall kann man schließlich von einem gewissen Rechtspluralismus sprechen, der nach konfessionellen, ethnischen und anderen Kriterien differenzierte und anerkennende Wirkungen entfaltete, wobei im frhen 20. Jahrhundert stndisch geprgte Diskriminierungen ebenfalls eine Rolle spielten und nationalstaatliche Integrationsprozesse im Kern des Imperiums einsetzten.6 Der britische Fall hingegen nherte sich im selben Zeitraum gleichsam der Diskriminierungsecke, whrend das habsburgische Reich sich von der Egalisierung zur Anerkennung bewegte – mit imperialistischen Tendenzen in Bosnien – und vor allem durch die Unterschiedlichkeit seiner Teile geprgt war, wobei dem nationalstaatlichen Muster in Ungarn besondere Bedeutung zukam. Der Zweiervergleich zwischen dem britischen und dem habsburgischen Fall ist gerade deswegen so erhellend, weil er sehr eindrcklich die Unzulnglichkeit der Gegenberstellung von modernen Imperien im Westen und traditionalen Reichen im Osten zeigt.7 Ein berraschendes Ergebnis des Vergleichs besteht darin, dass die rechtlichen Anstze, die den Umgang mit ethnischer Heterogenitt im çsterreichischen Kontext prgten, also Neutralitt und Anerkennung, weder auf rassistischen Diskriminierungen noch auf ethnischer Exklusivitt beruhten und somit aus heutiger Perspektive gleichsam moderner erscheinen als die im britischen Fall bestimmende imperialistische Logik.8 Allerdings handelt es sich dabei um eine Modernitt mit Einschrnkungen, wenn man sie im landlufigen Sinn von Emanzipation und Demokratisierung versteht. Denn einerseits war die Etablierung anerkennender Differenzierungsmechanismen, beispielsweise im Mhrischen Ausgleich, mit dem Festhalten an der rechtlichen Privilegierung sozialer Eliten verbunden und andererseits trug die etatistisch geprgte Verwaltung autokratische Zge. Diesen Befund veranschaulicht insbesondere das bosnische Beispiel, er gilt aber bis zu einem gewissen Grad auch fr den cisleithanischen Kontext. Der Verweis auf autokratische Regierungsformen ist jedoch unter Umstnden irrefhrend, weil er gerade in der habsburgisch-britischen Vergleichskonstellation allzu leicht in die gngige, aber trgerische Gegenberstellung von autoritr und liberal bersetzt werden kann.9 Zunchst fhrt dieser Gegensatz in die Irre, weil er eng mit der letztlich normativen Struktur der Ost-West-Dichotomie verknpft ist. Außerdem bleibt er begrifflich un-

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rechtlich verbundenen „nicht-weißen“ Frauen eingerumt wurde, weniger als Fortwirken etatistischer Denkmuster betrachtet, sondern mit dem Primat geschlechtlicher ber „rassische“ Diskriminierungsmechanismen erklrt. Werth. Burbank, S. 400 – 403 und 429. Lieven, S. 180 f. Zur Nationalisierung der Metropole s. Berger u. Miller, Nation-building, S. 318 – 320. Kritik an dieser These bt Burbank, S. 404 – 406. Diese Form der Ost-West-Dichotomie vertritt u. a. Steinmetz, S. 342 – 345. Zur Aktualitt des çsterreichischen Umgangs mit ethnischer Heterogenitt s. Lieven, S. 188 f. In einem hnlichen Sinn fordert Burbank, S. 399, „to shift our discussion … away from ideological formulations such as autocracy versus democracy“.

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scharf, insbesondere wenn die Adjektive auf ganze Gesellschaftsformationen angewendet werden. Wenn die britische Gesellschaft des spten 19. und frhen 20. Jahrhunderts als liberal bezeichnet wird, dann ist damit zumeist und gngigerweise gemeint, dass kaum staatlicher Zwang ausgebt wurde, und dass demokratische und zivilgesellschaftliche Strukturen von großer Relevanz waren. Demgegenber wre die autoritr geprgte çsterreichische Gesellschaft staatlichen Zwangsmaßnahmen unterworfen, undemokratisch und fast militrisch organisiert gewesen. Man bemerkt sehr schnell, dass die Gegenberstellung in dieser extrem pauschalisierten Form nicht zutreffend ist. Was beispielsweise nicht ins Bild passt, ist die Einfhrung des allgemeinen Mnnerwahlrechts in Cisleithanien im Jahr 1906. Auch darber hinaus haben jngere Forschungen die wachsende Bedeutung zivilgesellschaftlicher Strukturen im spten Habsburgerreich betont.10 Umgekehrt kann man die Annahme der Liberalitt der britischen Gesellschaft ebenfalls mit guten Argumenten kritisieren. Außerdem wird schnell deutlich, dass sie auf dem Ausblenden des imperialen Kontextes beruht, wodurch der Vergleich mit dem Habsburgerreich zu hinken beginnt. Bezieht man insbesondere die kolonialen Peripherien mit in die Betrachtung ein, muss die britische Liberalitt stark relativiert werden. Das ist letztlich eine banale und keinesfalls neue Feststellung. Sie ist aber deswegen wichtig, weil sie erklren kann, warum der Befund berrascht, dass hinsichtlich des Umgangs mit ethnischer Heterogenitt das Recht und die Verwaltungspraxis im habsburgischen Fall gleichsam moderner gewesen seien als im britischen.11 Letztlich grndet diese berraschung in der impliziten Annahme einer typisch westeuropischen Liberalitt, welche vom autoritren Charakter des habsburgischen Falls abgegrenzt wird. In dieser Gegenberstellung sind die Begriffe liberal und modern, sowie andererseits autoritr und traditional eng miteinander verknpft.12 Ein zentrales Ergebnis des Vergleichs besteht aber darin, dass diese Entgegensetzung nicht haltbar ist, was wiederum bedeutet, dass die Modernitt des habsburgischen Falls gar nicht so berraschend ist. Viel mehr ist die Tatsache verwunderlich, dass die Annahme der – im positiven und emphatischen Sinne – Modernitt des britischen Falls immer noch so weit, die Kunde von der Modernitt beispielsweise der josephinischen Traditionen im habsburgischen Kontext hingegen so wenig verbreitet ist. Diese Ausblendungen und berbetonungen hngen eng mit der dichotomischen und normativen Struktur der Begriffspaare liberal-autoritr und modern-traditional zusammen. Wenn man sie – insbesondere komparativ – 10 s. Unowsky, The Pomp and Politics of Patriotism. Lieven, S. 190. Cohen, G., Nationalist Politics, S. 244. 11 Es sei denn, man begreift den Rassismus nicht als Irrweg, sondern als ureigensten Bestandteil der Moderne, s. Geulen, S. 42. 12 Der Begriff der Modernitt kann hier nicht angemessen und ausfhrlich diskutiert werden, stattdessen sei lediglich verwiesen auf Eisenstadt, Multiple Modernities.

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auf konkrete Beispiele anwendet, reduzieren sie die historische Komplexitt und berdecken hnlichkeiten zwischen den angenommenerweise so unterschiedlichen Fllen. Deswegen ist es wichtig, andere analytische Begriffe zu entwickeln, welche die tatschlichen Unterschiede zu erfassen erlauben – wobei man an die Rolle der parlamentarischen Tradition im britischen und die Bedeutung des Militrs im habsburgischen Kontext denken kçnnte –, ohne diese zu einer dichotomischen Entgegensetzung zu bersteigern. Die vorgeschlagene Unterscheidung von fçrdernden und verbietenden Machtmechanismen bietet eine Mçglichkeit, die beiden Flle angemessener zu analysieren, wobei hnlichkeiten sichtbar und zugleich Unterschiede benannt werden kçnnen. Auf diese Weise berwindet der Vergleich zwischen dem Britischen Weltreich und dem Habsburgerreich gngige west-çstliche Dichotomien. Einerseits blieb das britische Rechtsdenken noch im frhen 20. Jahrhundert feudalen Traditionen verhaftet, whrend das Recht im habsburgischen Kontext nachhaltig reformiert worden war. Andererseits fhrt insbesondere die Erweiterung der Forschungsperspektive auf die imperialen Kontexte zu der Erkenntnis, dass die Gegenberstellung von politischer Inklusion im Westen und ethnischer Exklusion im Osten nicht haltbar ist. Zum einen waren das Recht und die administrative Praxis im westlichen Fall des Britischen Weltreichs im frhen 20. Jahrhundert deutlich von ethnischer Exklusion und rassistischer Diskriminierung bestimmt. Zum anderen prgten Vorstellungen von supra-ethnischer Neutralitt und Gleichberechtigung den çstlichen Fall des Habsburgerreichs insbesondere im cisleithanischen Kontext. Insofern wrde der Vergleich zu einer Umkehr der gngigen Annahme fhren. Allerdings zeitigte die Analyse auch Ergebnisse, die einer solchen Umkehrung widersprechen. Insbesondere fr den kanadischen Fall kann man von politisch-inklusiven Wirkungen des Rechts sprechen, und hnliches ließe sich auch fr das Vereinigte Kçnigreich zeigen. Andererseits gab es in Ungarn deutliche ethnisch-exklusive Tendenzen. Auch in sterreich setzte sich, interessanter- und seltsamerweise gerade in Folge der Anerkennungspolitik, zunehmend ein ethnisch-exklusives Verstndnis der nationalen Zugehçrigkeit zu den verschiedenen cisleithanischen Nationalitten durch. Der wesentliche Einwand gegen den West-Ost-Gegensatz besteht mithin nicht in der Feststellung, dass die Umkehrung seiner Wertungen – der „moderne Osten“ und der „rckstndige Westen“ – eine adquatere Interpretationsgrundlage abgeben wrde. Die zentrale Kritik bezieht sich stattdessen auf den ahistorischen Charakter der dichotomischen These, auf die implizite Unterstellung ihrer dauerhaften Geltung und letztlich auf ihren normativen Charakter. Diese Arbeit hat demgegenber deutlich gemacht, dass sich die Dinge nderten. In Ungarn wandelte sich das supra-ethnische in ein ethnischexklusives Nationsverstndnis, in Kanada schlug die Inklusion von „europischen“ Einwanderern in die Exklusion „asiatischer“ Immigranten um, in sterreich wurden die Nationalitten zunehmend als ethnisch-exklusive 339

Kollektive definiert, und im britischen Fall verdrngte die imperialistische Diskriminierungslogik allmhlich ltere, ethnisch-neutrale Denk- und Handlungsmuster. Verknpfungen und Erklrungen Die zu pauschale und letztlich normative Unterscheidung von westlicher Modernitt und çstlicher Traditionalitt ist also ungeeignet, um die festgestellten Unterschiede zwischen dem habsburgischen und dem britischen Fall zu erklren. Wenn man Zusammenhnge erkennen und Erklrungen entwickeln will, kommt es stattdessen darauf an, die Umstnde und Prozesse genauer zu untersuchen, die im Einzelnen zur Dominanz der imperialistischen Logik im Britischen Weltreich und zur Etablierung etatistisch-anerkennender Muster im habsburgischen Kontext fhrten und beitrugen. Diesen Unterschied kann man einerseits mit kontextuellen Faktoren erklren. Ganz wesentlich haben die jeweiligen Expansionsdynamiken auf die Rechtsentwicklung in den beiden Reichen eingewirkt. Die Durchsetzung der imperialistischen Diskriminierung im britischen Fall hing eng mit der rasanten Expansion des Weltreichs in den Jahrzehnten um die Jahrhundertwende und mit dem bergang von eher informellen Mustern imperialer Dominanz zur formalen Kolonialherrschaft zusammen. Eine zweite Erklrung liefert die spezifische Bedeutung, die im Britischen Weltreich der Binnenmigration zukam. Mehrfach wurde in der Untersuchung die Rolle der „europischen“ Siedler in den Kolonien betont und auf das Problem des Umgangs mit den „indischen“ Migranten, insbesondere in den Dominions, hingewiesen. Funktionale quivalente fr diese Wanderungsbewegungen fehlten im habsburgischen Kontext. Man kann zudem argumentieren, dass sowohl die rasante Ausdehnung des Britischen Weltreichs als auch der Umfang der Migrationsbewegungen zwischen den geografisch ber den gesamten Globus verteilten Territorien des Empires dazu fhrten, dass Menschen, die zuvor durch große rumliche Distanzen voneinander getrennt waren, ziemlich plçtzlich und unvermittelt miteinander in Kontakt kamen. Diese Situation wirkte sich entscheidend auf die Wahrnehmung ethnischer Differenzen aus. Einerseits trug sie zur weitverbreiteten Annahme bei, dass die ethnische Identitt aus der phnotypischen Erscheinung einer Person abgelesen werden kçnne. Andererseits fhrte sie zur Dominanz bi- oder tripolarer Differenzierungsschemata – zwischen „Weißen“ und „Nicht-Weißen“ oder zwischen „Europeans“, „Asiatics“ und „Africans“ – im britischen Fall.13 Diese beiden Entwicklungen ebneten der Implementierung rassistischer Diskriminierungsmechanismen den Weg.

13 Von einem „overarching binarism“ moderner Imperien spricht auch Steinmetz, S. 345, im Unterschied zur Multiethnizitt von – in seiner Begrifflichkeit – traditionalen Reichen. Cooper,

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Das Habsburgerreich expandierte hingegen im Untersuchungszeitraum mit der Okkupation und Annexion Bosniens und der Herzegowina in vergleichsweise bescheidenem Umfang. Sein Territorium war in allmhlichen Inkorporationsprozessen gewachsen und umfasste einen geografisch zusammenhngenden Raum, innerhalb dessen es sptestens seit dem 18. Jahrhundert eine Tradition des multipolaren Nebeneinanders verschiedensprachiger Gruppen gab und die Mehrsprachigkeit keine Seltenheit war. Unter anderem deswegen wurde im habsburgischen Fall die Feststellung der ethnischen Identitt als schwierig angesehen. Sowohl die Multipolaritt als auch die Komplexitt dieser Differenzstrukturen trugen dazu bei, dass sich insbesondere in Cisleithanien elaboriertere Muster ethnischer Unterscheidungen herausbildeten als das einfache Schwarz-Weiß der rassistischen Diskriminierung. Die Situation, in der die im spten 19. und frhen 20. Jahrhundert entscheidenden Wahrnehmungsmuster ethnischer Differenzen geprgt wurden, war im britischen Kontext eine gnzlich andere als im habsburgischen. Man kann also nicht sagen, dass die britische Bevçlkerung heterogener gewesen sei als die habsburgische, vielmehr kommt es darauf an, dass sich die Regeln fr das identittspolitische Spiel von Vertrautheit und Fremdheit in beiden Fllen unterschieden. Neben diesen kontextuellen kçnnen auch endogene Faktoren, die mit dem inhaltlichen Schwerpunkt dieser Arbeit, der Staatsangehçrigkeit und der Staatsbrgerschaft im Recht und in der administrativen Praxis, in einem engeren Zusammenhang stehen, zur Erklrung des Unterschieds zwischen dem britischen und dem habsburgischen Fall herangezogen werden. Zum einen spielten die divergierenden Rechtstraditionen eine entscheidende Rolle. Der Begriff des British subject mit seiner feudalen Tradition und seinen christlichen Wurzeln erleichterte rechtliche Diskriminierungen, whrend die frhe Betonung staatsbrgerlicher Gleichheit im habsburgischen Fall eher dem Prinzip der ethnischen Neutralitt entsprach. Zum anderen, und das ist ein zentraler Punkt, unterschied sich die politische Struktur der beiden Imperien fundamental. Innerhalb des Britischen Weltreichs war die Macht imperialistisch-asymmetrisch verteilt, und alle Peripherien waren mehr oder weniger von der Metropole abhngig. Im habsburgischen Dualismus hingegen standen sich die çsterreichische und die ungarische Regierung als gleichberechtigte Partner gegenber, whrend die sie imperial berwçlbende gemeinsame Regierung kaum als imperialistische Metropole bezeichnet werden kann. Auch innerhalb Cisleithaniens existierten mit den autonomen Verwaltungen in den Kronlndern politische Akteure, die dem Einfluss der Wiener Regierung Grenzen setzten.14 Lediglich fr Bosnien kann man von einem kolonial-asymmetrischen Machtverhltnis sprechen. Empire Multiplied, S. 268, verwendet fr Kolonialreiche die Formulierung „,otherness‘ carried to an extreme“. 14 Lieven, S. 188.

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Diese Unterschiede in der politischen Struktur waren in dreierlei Hinsicht von grçßter Bedeutung: Erstens fhrten sie dazu, dass imperiale Verflechtungen im britischen Fall eine grçßere Rolle spielten als im habsburgischen, wo die Entwicklungen des Rechts und der administrativen Praxis in den verschiedenen Teilen weitgehend unabhngig voneinander verliefen.15 Diese Diskrepanz drckte sich auch in der Einheitlichkeit – wenn man von den British protected persons einmal absieht – des britischen Angehçrigkeitsstatus einerseits und in der Existenz dreier angehçrigkeitsrechtlicher Status im habsburgischen Kontext andererseits aus. Die engere imperiale Verflechtung und die Fhrungsrolle, welche der Regierung in London zukam, waren letztlich auch dafr verantwortlich, dass im britischen Fall eine einzige Logik des Umgangs mit ethnischer Heterogenitt, nmlich die imperialistische, das Recht im frhen 20. Jahrhundert dominierte. In dieser Frage stimmten die Absichten der Metropole und der Regierungen in den Dominions berein.16 Positionen, die von schwcheren Akteuren vertreten wurden, wie den Vertretern der indischen Nationalbewegung, teilweise auch der indischen Regierung, oder den Untersttzern einer imperialismuskritischen Denkrichtung in der Metropole, konnten sich demgegenber nicht behaupten. Die dualistische Struktur sterreich-Ungarns verhinderte dagegen die Etablierung einer den gesamten imperialen Zusammenhang dominierenden Rechtslogik und fçrderte das Nebeneinander unterschiedlicher Anstze im Umgang mit ethnischer Heterogenitt. Zweitens war der Unterschied der politischen Strukturen auch im Hinblick auf die Entwicklungen in den einzelnen Reichsteilen von grçßter Bedeutung, welche von der jeweiligen staatsrechtlich-politischen Position innerhalb des imperialen Gesamtkontextes geprgt wurden. So muss beispielsweise die Forderung der indischen Nationalbewegung nach supra-ethnischer Gleichberechtigung vor dem Hintergrund der kolonial-peripheren Situation verstanden werden. Einen vergleichbaren Anspruch htten Vertreter von nationalen Parteien im cisleithanischen Kontext aufgrund der fehlenden kolonialen Struktur kaum sinnvoll formulieren kçnnen. Drittens war die imperialistische Machtasymmetrie im britischen Fall der entscheidende Grund dafr, dass sich ethnisch-neutrale Anstze rechtlicher Egalisierung nicht durchsetzen konnten, da sie der auf Ungleichheit basierenden politischen Struktur des Weltreichs widersprachen. Diese war ausschlaggebend dafr, dass rassistische Hierarchievorstellungen, die der imperialistischen Asymmetrie entsprachen, Eingang ins britische Recht fanden. Die widersprchlichen Begrndungen fr diese Hierarchisierung – die Annahme eines zivilisatorischen Vorsprungs einerseits und die einer angeborenen Superioritt der „Weißen“ andererseits – waren dabei wie die sprich15 Komlosy, S. 33 und 55 f. 16 Lieven, S. 183, spricht von „a common and thoroughly racialist pride in ,Britishness‘“ als einen wesentlichen Faktor fr den Zusammenhalt des Britischen Weltreichs.

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wçrtlichen zwei Seiten derselben Medaille. Diese Ambivalenz ußerte sich im indischen Kontext in der gleichzeitigen Verfolgung einer imperialistischen Logik und etatistischer Anstze, wobei ernsthafte Versuche, Diskriminierungen zu beseitigen, erst nach dem Ersten Weltkrieg einsetzten. Von vergleichbarer Bedeutung wie die imperialistische Machtasymmetrie im britischen Fall war die Prgung des Rechts und der administrativen Praxis durch die Tradition des Aufgeklrten Absolutismus im habsburgischen Kontext, die gnzlich andere Auswirkungen zeitigte. Insbesondere in sterreich fhrten das Konzept der rechtlichen Gleichheit aller, also der Versuch, eine ethnisch heterogene Bevçlkerung in einer politischen Einheit zusammenzufassen, und die Betonung der çkonomischen und militrischen Interessen des Staates zunchst zur Befolgung einer etatistischen, ethnisch-neutralen Logik. Im Kontext der wachsenden Bedeutung ethnischer Differenzen und nationaler Autonomieforderungen wurde das Prinzip ethnischer Neutralitt teilweise durch eine Politik der Anerkennung ersetzt, die vor allem auf die Befriedung nationaler Konflikte abzielte. Diese differenzierte zwar auch nach ethnischen Kriterien, aber in ganz anderer Weise und Absicht als die imperialistische Diskriminierungslogik. Zu den eher berraschenden Ergebnissen des Vergleichs gehçrt, dass die indische Regierung in einem ausweichenden Eingehen auf Forderungen der Nationalbewegung ebenfalls anerkennende Differenzierungsmechanismen etablierte, die in utilitaristischen Verwaltungstraditionen wurzelten, welche der aufgeklrt-absolutistischen Prgung des habsburgischen Falls hnlich waren. Die Ethnisierung des Rechts um die Jahrhundertwende Interessant ist dabei, dass sowohl die Durchsetzung imperialistischer Diskriminierungen als auch die Etablierung anerkennender Differenzierungen ethnischen Unterschieden im Recht und in der Verwaltungspraxis wachsende Bedeutung verschafften. In diesem Sinn kann man fr die Zeit um 1900 von einer Ethnisierung des Rechts sprechen, denn um die Jahrhundertwende gewannen ethnische Exklusionen in Kanada und Ungarn, sowie bei den sozialen Staatsbrgerrechten im Vereinigten Kçnigreich an Relevanz, wuchs die Bedeutung ethnischer Identitten im Wahlrecht der çsterreichischen Lnder und der indischen Provinzen, und vollzog sich die Wende hin zu rassistischen Diskriminierungen in Ostafrika. Diese Ethnisierung vollzog sich letztlich unabhngig davon, ob das Angehçrigkeitsrecht wie im britischen Kontext vom ius soli oder wie im habsburgischen vom ius sanguinis bestimmt wurde. Im Britischen Recht wurden ethnische Differenzen auf territorialer Grundlage konstruiert. Die Privilegierung von ehemaligen britischen Untertanen, die ins Vereinigte Kçnigreich zurckkehrten, im Rahmen der Sozialgesetzgebung, die Regulierung des Zugangs zu den Territorien, innerhalb derer der britische Untertanenstatus materielle Staatsbrgerrechte mit sich brachte, und die auf der Unterschei343

dung zwischen Kolonien und Protektoraten beruhende Differenzierung zwischen British subjects und protected persons veranschaulichen diesen Mechanismus. Die ethnischen Exklusions- und die rassistischen Diskriminierungsabsichten wurden dabei oft nicht explizit formuliert, sondern durch administrative Vor-Ort-Entscheidungen implementiert, die auf der Annahme der phnotypischen Sichtbarkeit ethnischer Zugehçrigkeit beruhten. Insofern ermçglichte gerade die territoriale Prgung des britischen Rechts dessen rassistische Aufladung unter einer weitgehend ethnisch-neutralen Oberflche. Im habsburgischen Kontext wurde das Recht dagegen auf personaler Grundlage ethnisiert, auf der auch das ius sanguinis beruhte. Die in sterreich entwickelten komplexen Verfahren zur Feststellung ethno-nationaler Identitten betonten das subjektive Bekenntnis der einzelnen Person und sprachliche Kriterien, wobei spter auch die Nationalitt der Eltern an Bedeutung gewann. Diese Entwicklungen zeigen, dass ethnische Differenzierungen im Recht und in der administrativen Praxis sowohl auf der Basis des Abstammungsprinzips als auch – und das ist eine wesentliche Erkenntnis des Vergleichs – auf der des Geburtsortsprinzips durchgesetzt werden konnten. Erklrungsbedrftig bleibt die signifikante Zsur, der Bruch um 1900.17 Zunchst ist es interessant, dass die Ethnisierung in beiden Fllen auf hnlichen Entwicklungen beruhte. Dabei waren die ethnischen Identitten diesem Prozess nicht vorgngig, sondern wurden in dessen Verlauf teilweise durch die Neuinterpretation und Adaption lterer Differenzmuster erst produziert. Den spezifischen historischen Kontext der Herausbildung und der wachsenden Bedeutung ethnischer Differenzen im spten 19. Jahrhundert bildeten Prozesse der Mobilisierung – Migration, Kolonisierung, Aufbrechen bisheriger Sozialstrukturen – und die sich daraus ergebende Notwendigkeit, neue Bindungen zu schaffen. Dabei kam es mitunter zur Konkurrenz zwischen ethnischen und sozialen Solidaritten, wobei auch die Absicht, von sozialen Konflikten abzulenken, zur Betonung ethnischer Differenzen beigetragen hat. Die genannten Mobilisierungsprozesse weisen darauf hin, dass die Globalisierungswelle des spten 19. Jahrhunderts fr die Ethnisierung entscheidend war. Einerseits fhrte sie zur Ausdehnung, Beschleunigung und Intensivierung von Migrationsbewegungen und andererseits zu einem regen Austausch von Konzepten, was der internationale Transfer rassistischer Vorstellungen verdeutlicht. Diese globale Vernetzung war ein wesentlicher Grund dafr, dass in verschiedenen Regionen simultan Ethnisierungsprozesse abliefen.18

17 Diese Zsur betont auch Geulen, S. 28 f, fr Deutschland und die USA. Um 1900 seien der nationalistische und der rassistische Diskurs eine Verbindung miteinander eingegangen, die es erlaubte, nationale Integration und imperialistische Expansion miteinander zu versçhnen. Ders., S. 14. 18 Osterhammel u. Petersson. Zur Herausbildung ethnischer Identitten als Folge von Modernisierungsprozessen s. Esser, S. 244, und Rudolph. Berger u. Miller, Nation-building, S. 317,

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Zudem verhalfen das quantitative Anwachsen der zu integrierenden Personenverbnde und die Ausweitung politischer Partizipation ethnischen Differenzen zu wachsender Bedeutung. Im kanadischen und ungarischen Fall wurde deutlich, dass dabei ethnisch-exklusiven Identittskonzepten eine grçßere Kohsionskraft unterstellt wurde als lteren, multi-ethnischen Anstzen. Dies kann auch als Effekt der Ablçsung eines elitren Politikverstndnisses durch eine populre politische Kultur verstanden werden. Ein Aspekt dieses bergangs bestand darin, dass Fragen der Souvernitt, der Eindeutigkeit des Rechts sowie seiner außenpolitischen und vçlkerrechtlichen Implikationen an Relevanz verloren. Gleichzeitig gewann das Problem der ethnischen Heterogenitt im Inneren der beiden Reiche an Bedeutung. Besonders deutlich kam dieser bergang im ostafrikanischen Fall bei der bergabe der Zustndigkeit vom Foreign Office an das Colonial Office und der damit verbundenen Ersetzung einer ethnisch-neutralen durch eine imperialistische Logik zum Ausdruck. Ein weiterer Aspekt der Popularisierung des Politischen war die Expansion politischer Staatsbrgerrechte. In Mhren, Indien und Bosnien wurden ethnisch differenzierende Anerkennungsmechanismen in Wahlrechtsreformen etabliert. In Kanada war das „enfranchisement“ der „Indianer“ schon vom Begriff her eng an den Zugang zu politischen Rechten gekoppelt. Die ungarische Wahlrechtsreform ließ ethnisch diskriminierende Tendenzen erkennen. Und im Vereinigten Kçnigreich wurden die restriktivere Handhabung und die strkere Betonung ethnischer Kriterien in der Naturalisationspraxis damit begrndet, dass der Untertanenstatus politische Rechte bertrug. In allen Fllen waren also Demokratisierungs- mit Ethnisierungsprozessen verknpft. Die Ausdehnung der politischen Partizipation und das Prinzip ethnischer Neutralitt ließen sich hingegen nicht in gleicher Weise miteinander verbinden.19 Allerdings gestalteten sich die im Kontext der Demokratisierung ausgelçsten Ethnisierungsprozesse in den verschiedenen Fllen auf unterschiedliche Weise. Die Pfade der Ethnisierung entsprachen unterschiedlichen Antworten auf die Frage, wie unter den Bedingungen der zunehmenden Relevanz ethnischer Identittsmuster ein ethnisch heterogener imperialer Zusammenhang aufrecht erhalten werden kçnnte. Im Britischen Weltreich lag der Schwerpunkt auf der Integration und Privilegierung der „weißen“ Untertanen innerhalb einer sogenannten „imperial nation“ sowie auf der Diskriminierung der „Nicht-Weißen“. Im Habsburgerreich hingegen beschrnkte sich der

nennen „means of transport and communication [and] migration within and between empires“ als wesentliche Auslçser fr Nationalisierungs- und Ethnisierungsprozesse. 19 Zum Zusammenhang von Demokratie und Ethnisierung s. Mann, The Dark Side of Democracy. King, S. 48 f und 80 f. Cooper, Empire Multiplied, S. 270. Lake u. Reynolds, Drawing the Global Colour Line, S. 9, beschreiben diese Beziehung fr den kolonialen Kontext so: „[i]n the figure of the white man, the imperialist became a democrat and the democrat an imperialist“.

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imperiale Zusammenhang auf die gemeinsame Regierung, die weitgehend dem Prinzip ethnischer Neutralitt verhaftet blieb, whrend in sterreich eine Politik der Anerkennung ethnischer Differenzen betrieben wurde und in Ungarn Assimilation und Exklusion den Umgang mit ethnischen Differenzen prgten. Dieser unterschiedliche Umgang mit ethnischer Heterogenitt kann mithilfe der Unterscheidung von verbietenden und fçrdernden Machtmechanismen erklrt werden. Die politische Partizipation und die sozio-çkonomische Teilhabe wurden im frhen 20. Jahrhundert im britischen Kontext effektiv und nachhaltig ausgedehnt. Diese Entwicklung war eng mit dem rassistischen Ausschluss der „nicht-weißen“ Bevçlkerung verknpft. Im Habsburgerreich spielte die fçrdernde Machtausbung zwar auch eine zunehmende Rolle, aber gleichzeitig hielt man insbesondere bei der Durchsetzung der militrischen Interessen des Staates an verbietenden Machtmechanismen fest, die auf die gesamte Bevçlkerung gleichermaßen angewandt wurden. Aus diesem Grund kam die enge Verknpfung von fçrdernden Machtwirkungen und rassistischen Ausschlssen im habsburgischen Fall nicht zum Tragen, sondern die gesamte Bevçlkerung war in gleicher Weise einerseits von Verboten und Vorschriften und andererseits – insbesondere in sterreich – von Fçrderungen betroffen. Das britische Beispiel verdeutlicht außerdem, dass sich verbietende Gesetze und fçrdernde Maßnahmen gerade bei der Durchsetzung rassistischer Diskriminierungen wechselseitig verstrken konnten. Deswegen sollte die Unterscheidung zwischen ethnisch-neutralem Recht und rassistischen Maßnahmen nicht berbetont werden. Der Behauptung, dass im Sinn dieser Diskrepanz insbesondere im weiteren Verlauf des 20. Jahrhunderts rassistische Vorstellungen nur unter Umgehung des Rechts politisch umgesetzt werden konnten, widerspricht die hier vertretene These, dass Recht und Ethnisierung miteinander vereinbar, ja, sogar eng ineinander verflochten waren.20 In je spezifischen Konstellationen beeinflussten sich rechtliche Strukturen und Ethnisierungsprozesse wechselseitig. Man kann also fr das frhe 20. Jahrhundert von einer Ethnisierung rechtsstaatlicher Vorstellungen und Mechanismen sprechen. Diese Feststellung verdeutlicht nochmals die Bedeutung der Jahrhundertwende als Zsur in der Entwicklung des Rechts und der administrativen Praxis. Dieser Befund ist insofern bemerkenswert, als die Forschung den Bruch bisher zumeist mit dem Ersten Weltkrieg in Zusammenhang bringt, respektive auf 1914/18 datiert.21 Demgegenber wird hier die Bedeutung des 20 Zur These von der Durchsetzung rassistischer Politik außerhalb der rechtsstaatlichen Ordnung s. Neumann. Zum Verhltnis von rechtsstaatlicher Ordnung und rassistischer Politik im Kontext des Nationalsozialismus s.a. Gosewinkel, Einbrgern und Ausschließen, S. 369 – 420. 21 Argast datiert im Schweizer Fall den bergang von einer auf Integration gerichteten zu einer xenophoben und exkludierenden Politik auf 1914/18. Allerdings beschreibt sie diesen als

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Weltkriegs als Zsur der politischen Geschichte zwar nicht bestritten, aber nachdrcklich darauf hingewiesen, dass unterschiedliche Perspektiven und Fragestellungen zu unterschiedlichen Periodisierungen fhren. In diesem Sinn fr die mittel- und lngerfristigen rechts- und kulturgeschichtlichen Prozesse, die hier beschrieben werden, die Jahrhundertwende der entscheidende Einschnitt. Um 1900 nahmen neue Entwicklungen und Vernderungen ihren Anfang, die zum Teil durch den Krieg und dessen Folgen intensiviert oder beschleunigt wurden, aber ihre Richtung nicht mehr nderten. Aber ist der Weltkrieg, so kçnnte man fragen, nicht schon alleine deswegen entscheidend, weil er den Zerfall der Habsburgermonarchie nach sich zog? Sicherlich brachten die Auflçsung sterreich-Ungarns und die Grndung neuer Staaten wichtige nderungen mit sich, insbesondere verlor in diesem Moment das etatistische Prinzip der Anerkennung ethnischer Differenzen schlagartig seine Bedeutung. Allerdings setzten die Nachfolgestaaten den Prozess der Ethnisierung des Rechts und der administrativen Praxis fort, wenn auch zumeist unter ethnisch-exklusiven Vorzeichen. Dabei knpften sie – besonders deutlich ist das im ungarischen Fall – an Vorkriegsentwicklungen an. In den anderen neu entstandenen Staaten lassen sich ebenfalls Kontinuitten feststellen.22 In diesem Sinn hatte der Weltkrieg zwar weitreichende politische Folgen, aber fr die Entwicklung des Rechts und der administrativen Praxis bildete das Abweichen vom Prinzip der ethnischen Neutralitt um 1900 die grundlegende Zsur. Der Zerfall sterreich-Ungarns und das Fortbestehen des Britischen Weltreichs Mit dem Verweis auf den Ersten Weltkrieg ist auch die Frage angesprochen, ob die Ergebnisse des hier angestellten Vergleichs erklren kçnnen, warum das Britische Weltreich anders als das Habsburgerreich den Krieg gleichsam berlebt hat. Zunchst muss man gerade in diesem Zusammenhang eine anachronistische ex post Perspektive vermeiden. Wenn man die Sptphase der Monarchie von ihrem katastrophalen Ende her begreift, luft man Gefahr, die Ost-West-Dichotomie zu reproduzieren. Das traditionale Reich habe, so das denkbare Argument, im Gegensatz zum britischen Kolonialreich an der Moderne scheitern mssen. Die Auflçsung des „nachtrgliche und von oben verordnete Ethnisierung“, ebd., S. 303, und sieht insbesondere auf der diskursiven Ebene keine Zsur, sondern eine Dynamisierung bereits vorhandener Tendenzen, ebd., S. 319 – 321. Zuletzt betonte Fahrmeir, Citizenship, S. 118 – 123, die Bedeutung des Bruchs um 1918. Er spricht fr die Zeit zwischen 1870 und 1918 von einer zunehmenden Ethnisierung der Staatsbrgerschaft, die sich nach dem Ersten Weltkrieg radikalisiert und eine neue Qualitt erhalten habe. Diese Periodisierung beruht allerdings auf einer weitgehenden Nicht-Bercksichtigung kolonialer und imperialer Zusammenhnge, also letztlich auf einer eurozentrischen Perspektive. 22 Diese Kontinuitt betont Stourzh, Ethnic Attribution.

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Habsburgerreichs war aber aus der Perspektive des frhen 20. Jahrhunderts mitnichten unausweichlich. Gerade die jngere Forschung betont die zentripetalen Krfte – Loyalitt gegenber dem Herrscherhaus und imperiale Zugehçrigkeitsgefhle – und die politische, soziale und çkonomische Dynamik, die das Habsburgerreich im frhen 20. Jahrhundert prgten.23 Umgekehrt galt der Fortbestand des Britischen Weltreichs, das von einigen kritischen Zeitgenossen als Auslaufmodell betrachtet und abgelehnt wurde, keineswegs als gesichert. Außerdem fhrte der Erste Weltkrieg auch im britischen Fall zu einem entscheidenden Riss. Mit der Loslçsung Irlands aus dem imperialen Zusammenhang zerbrach die Metropole des Weltreichs und begann letztlich auch dessen Auflçsung.24 Dass diese Desintegration sich allmhlich und in einem Zeitraum von ber 50 Jahren vollzog, kann, das hat die Untersuchung gezeigt, nicht darin begrndet gewesen sein, dass die kolonialen Untertanen mehr Freiheiten und Vorteile genossen htten oder fairer behandelt worden wren als die ethnisch heterogene Bevçlkerung sterreich-Ungarns, und sich deswegen der imperialen Metropole gegenber loyaler verhielten. Auch die Artikulation nationaler Autonomieforderungen war im britischen Kontext nicht leichter mçglich oder zog weniger harsche Konsequenzen nach sich. Ein in irgendeiner Form gerechterer Umgang mit ethnischer Heterogenitt war nicht der Grund dafr, dass sich das Britische Weltreich langsamer auflçste als das Habsburgerreich. Allenfalls kann man argumentieren, dass die Dominanz der imperialistischen Diskriminierung mit der hierarchischen politischen Struktur des Empire korrespondierte, was dieser eine gewisse Stabilitt verlieh. Im Gegensatz dazu wirkte das habsburgische Lavieren im Spannungsfeld widersprchlicher Logiken destabilisierend auf den politischen Zusammenhalt des Reichs. Außerdem zwang die Betonung der supra-ethnischen Neutralitt die gemeinsame Regierung sterreich-Ungarns dazu, die gleiche Distanz gegenber allen Bevçlkerungsgruppen zu wahren. Daraus resultierte eine mangelnde Untersttzung der etatistischen Anstze seitens der Bevçlkerung und der autonomen Verwaltungen. Die ethnisch-exklusive Politik des Wiener Magistrats und die wiederholte Wahl Luegers zum Brgermeister, obwohl die zentrale Verwaltung ihn und seine antisemitischen und nationalistischen Tçne ablehnte, verdeutlichen dies.

23 Unowsky, The Pomp and Politics of Patriotism, S. 184. Cohen, G., Neither Absolutism nor Anarchy. 24 Hyam bezeichnet das Britische Weltreich bereits fr die Zeit ab 1918 als dysfunktional. Zur Vorgeschichte der irischen Loslçsung vom Vereinigten Kçnigreich s. Biagini. Zum Brger- oder Unabhngigkeitskrieg selbst s. Hart. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Hart diese militrischen Auseinandersetzungen als ethnischen Machtkampf bezeichnet, und dass hnlichkeiten in den Formen der Gewaltanwendung zwischen dem irischen Fall und zeitgleichen Gewaltexzessen in Sdosteuropa herausgearbeitet wurden. s. Keisinger, S. 141 f.

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Die imperialistische Politik wurde im britischen Fall hingegen zumindest von den meisten „weißen“ Untertanen untersttzt und befrwortet. Aus dieser Beobachtung ergibt sich der Schluss, dass die Logik der Diskriminierung im frhen 20. Jahrhundert eher imstande war, die Widersprche zwischen Nationalisierung und Demokratisierung einerseits, sowie imperialer Heterogenitt andererseits zu berdecken oder sie in einen paradoxen Einklang zu bringen. Die etatistischen Anstze der Neutralitt und der Anerkennung vermochten das nicht im selben Maß. berzeugender lassen sich der Zerfall sterreich-Ungarns und das Fortbestehen des Britischen Weltreichs allerdings mit Prozessen erklren, die fern der Rechtsentwicklung abliefen. Es waren der Erste Weltkrieg und sein Ausgang, die zum Ende der Habsburgermonarchie fhrten. Dieses eigentlich banale Argument fhrt zur kontrafaktischen Frage, was wohl passiert wre, wenn der Krieg nicht stattgefunden htte, oder wenn sterreich-Ungarn zu den Siegermchten gehçrt htte. Letztlich sind derlei Fragen mßig, aber es ist dennoch zumindest wahrscheinlich, dass ohne den Krieg das Ende im Herbst 1918 noch nicht gekommen wre. Schließlich wurden zuvor bereits Modelle diskutiert, nach denen einzelnen Teilen der Monarchie unter Beibehaltung der Souvernitt der Krone weitergehende Autonomierechte zuerkannt werden sollten.25 Diese Plne entsprachen dem spteren, tatschlichen Verlauf der Auflçsung des Britischen Weltreichs zumindest im Ansatz. Und die politischen Einheiten, die aus einer solchen Entwicklung hervorgegangen wren, wren vermutlich genauso knstlich und instabil gewesen wie die meisten Nachfolgestaaten des Britischen Weltreichs. Diese Beobachtung weist darauf hin, dass sich aus den unterschiedlichen Zeitpunkten der Desintegration des Habsburgerreichs und des Britischen Weltreichs kein fundamentaler Unterschied ableiten lsst. Letztlich kann man die Auflçsung in beiden Fllen auf die Bedeutung von und den Umgang mit Nationalisierungsprozessen zurckfhren, die quasi als Motoren die Desintegration vorantrieben, whrend Kriege sie als Katalysatoren beschleunigten.26

25 Lieven, S. 190 f, betrachtet die cisleithanische Nationalittenpolitik und die Demokratisierung als wesentliche Grnde fr den vergleichsweise friedlichen Zerfall der Monarchie im November 1918. 26 Komlosy, S. 13, 22 und 36, beschreibt die Nationalisierungsprozesse als endogenen „Motor“ und den Krieg als exogenen „Katalysator“ der Auflçsung des Habsburgerreichs. s.a. Lieven, S. 190 und 199. Zur Rolle des Kalten Krieges fr die Auflçsung des Britischen Weltreichs s. Hyam.

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Reiche, Staaten, Nationalstaaten und die drei Logiken Allerdings ist das Argument, das Anwachsen zentrifugaler, nationalistischer Krfte habe zum Zerfall der Imperien gefhrt, dann unzulnglich und unterkomplex, wenn es von einer prinzipiell konfrontativen Entgegensetzung von Reich und Nation ausgeht. Demgegenber wird hier im Einklang mit der jngeren Forschung die Existenz zentripetaler, kooperativer Nationalismen betont, die den imperialen Rahmen letztlich stabilisierten und von diesem profitierten.27 Dadurch trugen Imperien zur Etablierung von Nationalismen und diese umgekehrt zum Erhalt der Reiche bei.28 Die Nationalisierung der imperialen Metropole im Vereinigten Kçnigreich verdeutlicht diesen Zusammenhang. Aber auch in den Dominions lassen sich hnliche Phnomene beobachten, und dass das Verhltnis der indischen Nationalbewegung zum imperialen Kontext keines der prinzipiellen Gegnerschaft war, hat die Untersuchung ebenfalls gezeigt. Im Habsburgerreich kam es hingegen nicht zu einer Nationalisierung der Metropole. Dieser Umstand kann auch als Grund fr die im Vergleich zum britischen Fall frhere Auflçsung des imperialen Zusammenhangs betrachtet werden.29 Der deutschsprachigen Bevçlkerung sterreich-Ungarns eine hnliche Position zuzuweisen wie den „Englishmen and Scotchmen and Irishmen“ im britischen Fall, htte der politischen und ethnischen Struktur des Habsburgerreichs widersprochen.30 Stattdessen spielten kooperative Nationalismen in semi-peripheren Rumen, in Ungarn, in Mhren, in Kroatien oder in Galizien, eine herausragende Rolle. In gewisser Weise kann man dabei insbesondere fr Cisleithanien von einem performativen Widerspruch der Politik der Anerkennung sprechen. Denn um die Gleichberechtigung oder die Gleich-Gltigkeit der verschiedenen „Volksstmme“ zu erreichen, war es nçtig, diese zuallererst als politische Akteure und als ethnische Einheiten hervorzurufen. Die etatistische Politik war gezwungen, sich potenzielle Gegner zu schaffen. Die Ethnisierung des Rechts und der administrativen Praxis kann in diesem Sinn einerseits als 27 Die Unterscheidung von kooperativen und konfrontativen Nationalismen ist eng mit der gngigeren zwischen gemßigten und radikalen Nationalisten verknpft. Komlosy, S. 40. Insofern ist es interessant, dass auch diese Trennung zunehmend von Arbeiten verworfen wird, die im Einzelnen aufzeigen, wie individuelle Akteure sich – je nach Situation – sowohl des radikalen als auch des gemßigten Registers bedienen konnten. Cole u. Unowsky, The Limits of Loyalty. Canny. Andere Forschungen betonen zudem, dass ein Teil der Bevçlkerung allen Nationalisierungsversuchen des frhen 20. Jahrhunderts zum Trotz national indifferent und leidenschaftslos blieb. Judson, Guardians of the Nation. Zahra. 28 Berger u. Miller, Nation-building, S. 317. 29 Cooper, Empire Multiplied, S. 270. Berger u. Miller, Nation-building, S. 321. 30 Lieven, S. 188. Berger u. Miller, Nation-building, S. 318 f und 321. Dem widerspricht Hoerder, S. 5, zumindest teilweise. Er identifiziert „manoevers to increase the hegemony of the GermanAustrian lands“ und eine „intensified Austrian-German national self-definition“ im spten 19. Jahrhundert.

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zentripetaler Faktor gewertet werden, weil sie als Politik der Anerkennung einen Ausgleich zwischen den verschiedenen Bevçlkerungsgruppen in Aussicht stellte und den Zusammenhalt sicherte. Andererseits und gleichzeitig wirkte sie aber zentrifugal, insofern sie Nationalisierungsprozesse fçrderte, auf die die Nachfolgestaaten nach 1918 aufbauten. Fr das viel diskutierte Verhltnis zwischen zentripetalen und zentrifugalen Krften in der Sptphase der Habsburgermonarchie ergibt sich daraus, dass die beiden weniger klar voneinander unterschieden werden kçnnen, als bislang zumeist angenommen wurde. Die Vorstellung von dem imperialen Kontext ußerlichen nationalen Krften, die das Reich unweigerlich zerreißen mussten, ist unzulnglich. Vielmehr geht es darum, zu analysieren, wie sich in und mit Hilfe von Reichen Nationalismen entwickelten, die unter gewissen Umstnden zur Auflçsung des imperialen Zusammenhangs beitragen konnten. Im habsburgischen Fall gehçrte vor allem der Erste Weltkrieg zu diesen Umstnden. Die Frage, ob vor dessen Ausbruch zentripetale oder zentrifugale Krfte berwogen, lsst sich letztlich nicht sinnvoll beantworten, weil die beiden zu eng miteinander verschrnkt waren. Eine hnliche Verschrnkung ist auch der Grund dafr, dass es im Rahmen der spteren und langsameren Desintegration des Britischen Weltreichs unmçglich ist, den genauen Zeitpunkt des bergangs von der imperialen Situation zur Konstellation postkolonialer und nationaler Staaten zu bestimmen. Dennoch kann man fr das 20. Jahrhundert eine eindeutige und weitreichende Tendenz zur Durchsetzung nationalstaatlicher Formen der politischen Organisation konstatieren, wobei nicht vergessen werden sollte, dass gleichzeitig auch neo-imperiale und multi-nationale Gebilde wie die Sowjetunion und Jugoslawien entstanden. Vor allem aber muss man bercksichtigen, dass die Nationalstaaten des 20. Jahrhunderts dem Anspruch eines politisch und national homogenen Gemeinwesens mitnichten entsprachen. Das lag nicht zuletzt daran, dass es sich in den meisten Fllen um post-imperiale politische Einheiten handelte, die ihr imperiales Erbe zwar leugneten, aber nicht abstreifen konnten. Das verdeutlicht insbesondere die Entwicklung des Rechts im Vereinigten Kçnigreich, die bis ins spte 20. Jahrhundert von der Frage geprgt war, wie mit ehemaligen kolonialen Untertanen zu verfahren sei. Dabei konzentrierten sich die Debatten meist darauf, ob und wie ihnen der Zutritt zum ehemaligen Mutterland verwehrt werden kçnnte. Auch die Entwicklungen in den habsburgischen Nachfolgestaaten wurden noch lange nach 1918 von Fragen des Umgangs mit ethnischer Heterogenitt und mithin von typisch imperialen Problemen geprgt.31 Die Tatsache, dass diese Staaten, ebenso wie das Vereinigte Kçnigreich, keine gleichsam reinen Nationalstaaten waren, verweist darauf, dass die idealtypische Beschreibung von Nationalstaaten an sich problematisch ist. Diese wurden am Beginn der Untersuchung im Gegensatz 31 Komlosy, S. 11.

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zu den politisch und ethnisch heterogenen Reichen als politisch und national homogene politische Einheiten charakterisiert. Nach der Auseinandersetzung mit zwei Imperien kommt die Arbeit am Ende jedoch zu dem Schluss, dass diese nationalstaatliche Struktur in konkreten historischen Konstellationen weit weniger deutlich ausgeprgt war als in der Theorie.32 Am besten lsst sich diese These unter Rckgriff auf die drei Logiken erhrten. Zunchst kommt hier ein Problem der Begrifflichkeit zum Tragen, die eine unter Umstnden verwirrende Nhe zwischen imperialistischer Logik und imperialer Struktur, sowie zwischen nationalstaatlicher Logik und Nationalstaat nahe legt. Die Untersuchung hat allerdings ergeben, dass die nationalstaatliche Logik auch in imperialen Kontexten wirksam werden konnte. Umgekehrt spielten Elemente der imperialistischen Logik auch in nationalstaatlichen Kontexten eine gewisse Rolle, beispielsweise bei der Implementierung von Diskriminierungsmechanismen gegenber Minderheiten in den habsburgischen Nachfolgestaaten. Im Hinblick auf die drei Logiken des Umgangs mit ethnischer Heterogenitt gibt es also keinen kategorischen, sondern eher einen graduellen Unterschied zwischen Imperien und Nationalstaaten. Da wie dort treten zumeist alle drei Logiken in spannungsreichen Mischungsverhltnissen auf, auch wenn die nationalstaatliche Integrationslogik in imperialen Kontexten zurcktritt, und umgekehrt die imperialistische Diskriminierungslogik in nationalstaatlichen Kontexten nicht dominiert. Die Logiken des Umgangs mit ethnischer Heterogenitt sind also nie gleichsam in Reinform anzutreffen. Ebenso wenig gibt es einen Nationalstaat, der dem Idealtypus politischer und nationaler Homogenitt vollauf entsprechen wrde. Die verschiedenen Denk- und Handlungsmuster mischten sich in den meisten Fllen. Insbesondere fr Ungarn im spten 19. Jahrhundert ist es schwierig zu entscheiden, ob eher eine etatistische oder eine ethnisch-inklusive nationalstaatliche Logik wirksam war. Letztlich basiert diese Unterscheidung darauf, ob in den jeweiligen Debatten eher nationale Vorstellungen oder staatliche Interessen betont wurden. Auch der indische Kontext war von einer Ambivalenz zwischen etatistischen und imperialistischen Denk- und Handlungsmustern geprgt, und im Vereinigten Kçnigreich waren alle drei Muster gleichzeitig relevant. hnliches gilt fr den çsterreichischen Fall, wo trotz der egalisierenden Wirkungen des etatistischen Denk- und Handlungsmusters rechtliche Privilegierungen nach sozialem Kriterien fortbestanden. Auch die zur nationalstaatlichen Logik gehçrige rechtliche Binnenhomogenisierung wurde in Kanada nicht gnzlich durchgesetzt, weil imperialistische Tendenzen gleichzeitig wirksam waren. Da diese Vermischungen charakteristisch blieben, wre es fr den weiteren Verlauf des 20. Jahrhunderts irre fhrend zu behaupten, die nationalstaatliche 32 Burbank, S. 397, spricht vom „nation-state“ als „a short-lived phenomenon but a long-lived construct“.

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Logik und der Nationalstaat htten sich durchgesetzt. Zutreffender ist die Feststellung, dass das politische Ordnungsmuster des Nationalstaats und damit korrespondierend die nationalstaatliche Logik der Integration zu dominierenden Modellen wurden. Allerdings hat die Untersuchung gezeigt, dass zwischen prgenden Modellen und in der Praxis implementierten Maßnahmen deutlich unterschieden werden muss. Daran anknpfend kann man feststellen, dass auch die dritte, etatistische Logik der Neutralitt oder der Anerkennung, die mit dem politisch homogenen und national indifferenten Staat korrespondiert, im weiteren Verlauf des scheinbar nationalstaatlich geprgten 20. Jahrhunderts – anders als man vermuten kçnnte – nicht verschwand. Die Untersuchung hat gezeigt, wie wichtig die Bercksichtigung dieses oft bersehenen Modells zwischen imperialen und nationalstaatlichen Strukturen ist. Die etatistische Logik blieb auch nach 1918 relevant, beispielsweise in der Formel von der Einheit in Vielfalt im unabhngigen Indien, in der US-amerikanischen „affirmative action“ Gesetzgebung seit den sechziger Jahren und in der kanadischen Politik gegenber verschiedenen Einwanderergruppen im spten 20. Jahrhundert. Insofern trgt die Erweiterung der Forschungsperspektive auf Imperien zu einer Kritik der bisherigen Untersuchungen nationalstaatlicher Flle bei. Sie regt, auch ber den Kontext von Staatsangehçrigkeit und Staatsbrgerschaft hinaus, eine Neubewertung der Flle an, die man bisher vielleicht zu selbstverstndlich als nationalstaatliche betrachtet hat, wodurch ihre imperialistischen und etatistischen Zge aus dem Blick gerieten. Obwohl die drei Logiken selten in Reinform auftraten, hat sich die Unterscheidung dennoch als analytisch fruchtbares Instrumentarium erwiesen und kann insofern als Beitrag zur weiteren Forschung ber Staatsangehçrigkeit und Staatsbrgerschaft gelten. Damit ist die Hoffnung verbunden, weitere, differenziertere und ebenfalls ber den nationalstaatlichen Tellerrand hinausblickende Analysen anzuregen. Zum einen hat sich gezeigt, dass die Einbeziehung der imperialistischen Diskriminierungslogik, welche die bisher zumeist auf Nationalstaaten fokussierte Forschung vernachlssigt hat, unerlsslich ist. Insbesondere fr den britischen Fall sollte die Bedeutung dieses Denk- und Handlungsmusters, anders als bisher, auch fr das frhe 20. Jahrhundert nicht unterschtzt werden. Die Einbeziehung der etatistischen Logik ist ebenfalls von grçßter Bedeutung. Sie offenbart einerseits berraschende hnlichkeiten zwischen sterreich und Indien und erlaubt es andererseits – durch den Hinweis auf das weitgehende Fehlen respektive auf die Marginalisierung etatistischer Anstze im britischen Kontext – gerade im Vergleich den imperialistischen Charakter des britischen Rechts deutlicher herauszuarbeiten. Außerdem verweist das etatistische Denk- und Handlungsmuster auf die Verschrnkungen zwischen imperial-zentripetalen und national-zentrifugalen Tendenzen. Die Untersuchung hat auch einige Charakteristika und Kennzeichen der verschiedenen Denk- und Handlungsmuster herausgearbeitet, welche die 353

Forschung bisher noch nicht deutlich formuliert hat. Zum einen beruhte die imperialistische Logik der Diskriminierung nicht durchgngig auf ethnischen Kategorien. Im habsburgischen Kontext, wo sie lediglich in Bosnien eine gewisse Rolle spielte, entschieden formal angehçrigkeitsrechtliche Kriterien ber die Zugehçrigkeit oder Nicht-Zugehçrigkeit zur privilegierten Gruppe, was sicherlich in der stark etatistischen Prgung der bosnischen Verwaltung begrndet war. Einen weiteren interessanten Befund stellt der Mechanismus der einschließenden Ausschließung dar, der in der angehçrigkeitsrechtlichen Grauzone zum Ausdruck kam, in welche die bosnisch-herzegowinischen Landesangehçrigen gerckt wurden. In ganz hnlicher Weise verwies das Recht die British protected persons in einen ambivalenten Raum zwischen Innen und Außen und auf einen unklaren Status zwischen Untertanen und Fremden. Diese einschließende Ausschließung, die den Behçrden letztlich den Zugriff auf die Betroffenen sicherte, ohne dass diese rechtliche Ansprche erworben htten, kann als Charakteristikum der imperialistischen Logik bezeichnet werden. Des Weiteren waren im von imperialistischer Machtasymmetrie geprgten britischen Fall die Diskriminierungsmechanismen anders als in Bosnien deutlich von rassistischen Hierarchisierungen bestimmt. Diese waren interessanterweise mitunter so stark ausgeprgt, dass sie die formalrechtliche Differenz zwischen Angehçrigen und Nicht-Angehçrigen gnzlich berlagerten. In diesem Sinn kam es im ostafrikanischen Kontext dazu, dass „weißen“ Nicht-Untertanen rechtliche Privilegien zugestanden wurden, whrend sie „nicht-weißen“ Untertanen verwehrt blieben. Als ein zentrales Charakteristikum der zweiten, etatistischen Logik wurde eingangs die angestrebte Kongruenz von Wohnbevçlkerung und Staatsvolk genannt. Die Untersuchung hat gezeigt, dass dieses Ziel eher in der Rechtstheorie von Bedeutung war, whrend es die administrative Praxis beispielsweise bei der Einbrgerung in sterreich weniger deutlich prgte. Von großer praktischer Bedeutung waren hingegen die Betonung der çkonomischen und militrischen Interessen des Staates, die zentrale Stellung der Verwaltungsbrokratie, die mitunter autokratische Zge trug wie beispielsweise in Bosnien, und die Absicht, eine ethnisch heterogene Bevçlkerung in einer politischen Einheit zusammenzufassen. In dieser Hinsicht kann die etatistische Logik auch als Strategie des ausweichenden Entgegenkommens gegenber nationalistischen Forderungen verstanden werden. Besonders in Indien, aber auch in sterreich kam ihr im frhen 20. Jahrhundert diese Funktion zu. Dabei muss man zwischen zwei Ausprgungen des etatistischen Umgangs mit ethnischer Heterogenitt unterscheiden. Einerseits konnte sie auf dem Prinzip der ethnischen Neutralitt beruhen, andererseits auf einer Politik der Anerkennung ethnischer Differenzen. Fr die Betrachtung der nationalstaatlichen Logik ist schließlich zunchst entscheidend, dass diese auch innerhalb imperialer Kontexte wirksam werden konnte, und zwar insbesondere innerhalb sub-metropolitaner und semi-pe354

ripherer Territorien. Außerdem hat die Arbeit gezeigt, dass die Schließung der Außengrenzen des nationalstaatlichen Personenverbandes nicht nur durch exklusive, sondern auch durch inkludierende Maßnahmen fr Auswanderer und Heimkehrer bewerkstelligt werden konnte. Zuletzt ist der Hinweis von großer Bedeutung, dass rechtliche Nationalisierungsprozesse sowohl auf mono- als auch auf multi-ethnischen oder ethnisch-inklusiven Nationsvorstellungen beruhen konnten. Nicht jeder ethnisch heterogene politische Zusammenhang muss automatisch als Staat oder als Reich aufgefasst werden. Dieses Phnomen des multi-ethnischen Nationalstaats – beispielhaft kann man auf Kanada verweisen – hat die Forschung bisher vernachlssigt. Die Przisierung des analytischen Instrumentariums fr die Untersuchung von Staatsangehçrigkeit, Staatsbrgerschaft und den Umgang mit ethnischer Heterogenitt stellt ein wesentliches Ergebnis der Untersuchung dar. Außerdem hat der Vergleich fr das frhe 20. Jahrhundert den imperialistischen, rassistisch diskriminierenden Charakter des Rechts und der administrativen Praxis im Britischen Weltreich und das Neben- und Gegeneinander unterschiedlicher Denk- und Handlungsmuster im Habsburgerreich herausgearbeitet. Gleichzeitig widerlegt die komparative Konstellation die Annahme einer west-çstlichen Dichotomie zwischen politischer Inklusivitt und ethnischer Exklusivitt. Stattdessen zeigt die Untersuchung, wie ethnische Unterschiede in beiden Imperien um die Jahrhundertwende an rechtlicher Bedeutung gewannen. Daraus ergibt sich zuletzt die These, dass die Ethnisierung des Rechts um 1900 weltweit Wirksamkeit entfaltete.

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Verzeichnis der Abbildungen, Karten, Tabellen und Diagramme

Abbildung 1: „Group of Indians belonging to the Kwawkewlth Agency, B. C.“, 42 aus: Annual Report of the Department of Indian Affairs for the Year ended June 30 1901, Ottawa 1901, S. 257. Abbildung 2: Deckblatt einer Informationsbroschre fr ungarische Auswanderer in den USA, 1910, aus: Wien, HHStA, Md, Admin. Reg., F 15, Auswanderung, Ktn. 31.

60

Abbildung 3: Maschinenlesbare Volkszhlungskarte aus dem Vereinigten Kçnigreich, 1911, aus: London, PRO, RG 27/7.

142

169 Abbildung 4: „Orthodoxe aus dem Sarajevsko Polje“ (Ladislaus Batakn), „Mohammedanische Frauen aus Mostar“ (Rudolf von Ottenfeld), „Weiße Zigeuner“ (Ladislaus Batakn). Zuerst publiziert in: Die çsterreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild. Bosnien und Hercegovina, Alfred Bçder, k. und k. Hof- und Universittsbuchhndler, Wien 1901. Wiederverçffentlicht in: M. Okuba u. M. Sˇosˇe, Bosnien-Herzogovina vor 100 Jahren in Wort und Bild, Tuzla, 2004, S. 101, 107 und 115. Abbildung 5: Werbehandzettel einer Londoner Naturalisation Society, 1910, aus: London, PRO, HO 144/1102/198890.

229

Abbildung 6: Fotografien çsterreichischer und ungarischer Stellungspflichti- 257 ger in Jerusalem, 1914 – 1916, aus: Wien, HHStA, Konsulat Jerusalem, Ktn. 146. Abbildung 7: Schreibtest des Naturalisationskandidaten Benjamin Goldberg, 291 1912, aus: London, PRO, HO 144/971/B36646. Abbildung 8: Indische Passagiere an Bord der Komagata Maru in Vancouver, 293 B.C., James L. Quiney, 1914, aus: City of Vancouver Archive, CVA 7 – 125. Abbildung 9: Artikel „Heim fr Arpad’s Sçhne“ und Abbildung des ungarischen Einwandererheims in New York, in: New Yorker Revue, Sonntag, 21. 11. 1909, aus: Wien, HHStA, Md, Admin. Reg., F 15, Auswanderung, Ktn. 31.

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Karte 1:

Der mhrische Ausgleich 1905. 6 deutsche und 14 tschechische Wahlkreise, nach: Sudetendeutscher Atlas, Hg. von E. Meynen, Mnchen 19552, Blatt 26.

Karte 2:

„Maps showing the distribution of Hindus and Muhammadans“, 139 aus: Census of India, 1911, Bd. 1, Report, Calcutta 1913, S. 119 und 128.

Karte 3:

Karte der çsterreichisch-ungarischen Monarchie, 1911, aus: Wien, HHStA, Kartensammlung

Karte 4:

„The Colony and Protectorate of Kenya“, 1921 (Ausschnitt), aus: 266 London, PRO: CO 1047/140.

Karte 5

Karte des British Empire, 1895, aus: The Times Atlas, London 1895, S. 7 f.

267

Tabelle 1:

Einwanderung von „Nicht-Europern“ nach Kanada in absoluten Zahlen

35

Tabelle 2:

Auslndische Wohnbevçlkerung in sterreich

83

Tabelle 3:

Verteilung der gewhlten Mitglieder der Gesetzgebenden Versammlung auf Provinzen und Wahlkçrper nach dem Government of India Act von 1919

105

Tabelle 4:

Bevçlkerung und religiçs-konfessionelle Gruppen in Bosnien und der Herzegowina

163

Tabelle 5:

Im East Africa Protectorate registrierte Geburten nach ethnischer und „rassischer“ Zugehçrigkeit der Eltern

184

Tabelle 6:

Bevçlkerung des East Africa Protectorate nach „rassischer“ Zugehçrigkeit

193

Tabelle 7:

310 Anteil der „Nicht-Europer“ an den in den Konsulaten in Reunion, an der US-Westkste und in Siam registrierten Geburten britischer Untertanen in absoluten Zahlen

358

96

258

Diagramm 1: Einwanderer in Kanada nach Herkunftslndern in absoluten Zahlen

33

Diagramm 2: Nach den USA ausgewanderte Ungarn in absoluten Zahlen

57

Diagramm 3: Einbrgerungen in sterreich und Anteil der eingebrgerten Juden in absoluten Zahlen

85

Diagramm 4: Einbrgerungen im Vereinigten Kçnigreich und Anteil der ein- 231 gebrgerten Juden in absoluten Zahlen

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Abkrzungen ABGB k.k. k.u. k.u.k.

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Allgemeines Brgerliches Gesetzbuch Kaiserlich-kçniglich (çsterreichisch) Kçniglich-ungarisch Kaiserlich und kçniglich (çsterreichisch-ungarisch)

Quellen- und Literaturverzeichnis Archive London, Public Records Office (PRO) Colonial Office (CO) Foreign Office (FO) Home Office (HO) Registrar General (RG) General Registrar’s Office (GRO) London, India Office Records (IOR) Public and Judicial (L/PJ) Privat Office Papers (L/PO) Official Publications (V) European Manuscripts (Mss. Eur.) Wien, sterreichisches Staatsarchiv Haus-, Hof- und Staatsarchiv (HHStA) Ministerium des ußern (Md), Administrative Registratur (Adm. Reg.) F 8: Konsulate F 15: Auswanderung F 57: Untertanen, Staatsangehçrigkeit F 61: Bosnien und Herzegowina Ministerium des ußern (Md), Politisches Archiv (Pol. Arch.) XXXX.: Interna 1848 – 1918 Konsulatsarchiv Jerusalem Allgemeines Verwaltungsarchiv (AVA) Ministerium des Innern (MdI), Allgemeine Reihe (Allg.) 8: Staatsbrgerschaft 11: Heimatrecht Ministerium des Innern (MdI), Prsidiale Reihe (Prs.) 8: Staatsbrgerschaft 31: Landtage

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Gesetze Canada The Indian Act, 1876. An Act to amend the Acts relating to Naturalization and Aliens, 1903. Immigration Act, 1910. India Act 25 Act 3 Act 6 Act 22 Act 7 Act 10 Act 10 Act 3 Act 5 Act 14 Act 3

of 1861 of 1864 of 1869 of 1870 of 1871 of 1871 of 1872 of 1884 of 1898 of 1910 of 1915

(Code of Criminal Procedure) (Foreigners) (Emigration) (European British Subjects) (Indian Emigration)

(Code of Criminal Procedure) (Emigration) (Foreigners Amendment)

sterreich Allgemeines Brgerliches Gesetzbuch (ABGB) RGBl. 1871, Nr. 74 (Bancroft-Vertrag) RGBl. 1879, Nr. 43 (Bosnien) RGBl. 1896, Nr. 105 (Heimatrecht) Ungarn GA L GA IV GA IV GA II

von 1879 von 1886 von 1903 von 1909

UK 33 Vict. ch. 14 53&54 Vict. c. 7 5 Edw. 7 ch. 18 5 Edw. 7 ch. 13 8 Edw. 7 ch. 40 1&2 Geo. 5 ch. 55 4&5 Geo. 5 ch. 17

Naturalization (1870) Foreign Jurisdiction Act (1890) Unemployed Workmen (1905) Aliens (1905) Old Age Pension (1908) National Insurance (1911) British Nationality and Status of Aliens (1914)

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(Staatsangehçrigkeit) (Rckeinbrgerung) (Auswanderung) (Auswanderung)

Amtliche Verçffentlichungen Canada Annual Report of the Department of Indian Affairs, Ottawa 1885. Annual Report of the Department of Indian Affairs, Ottawa 1890. East Africa East Africa Legislative Council: London, PRO, CO 544/2 und 6, Minutes of the Legislative Council. East Africa Executive Council: London, PRO, CO 544/3 und 14, Minutes of the Executive Council. India Indian Legislative Council: (Abstract of the) Proceedings of the Council of the Governor General of India, assembled for the purpose of making laws and regulations, Calcutta. General Rules and Orders made under Enactments in force in British India, Calcutta 1915. General Rules and Orders under Enactments in force in British India, Calcutta 1907. sterreich Abgeordnetenhaus des çsterreichischen Reichsrats: Stenographische Protokolle der Sitzungen des Abgeordnetenhauses des Reichsrats, Wien. Das Wehrgesetz fr Bosnien und die Herzegovina von 1912. Erlutert von Oberst Carl Czapp, Wien 1912. Provisorisches Wehrgesetz fr Bosnien und die Herzegovina und Instruction zur Ausfhrung desselben, Wien 1881. UK UK Parliament, Commons und Lords: The Parliamentary Debates, House of Commons, House of Lords, London. Colonial Conference 1907, Command Paper No. 3524, House of Commons, London. Report of the inter-departmental Committee to consider the Doubts and Difficulties in connexion with the Acts relating to Naturalization, London 1901.

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Arbeiterbewegung, Sozialdemokratie 59, 74, 87, 94, 126, 180, 278f. Argentinien 57, 297–300, 307 „Arier“ 140f., 143, 209, 212 Armenien, Armenier 144, 256 Armenrecht, Armenhilfe – in sterreich 55, 88, 98–102, 279, 323f. – im Vereinigten Kçnigreich 232f., 236 Asiatic Exclusion League 34 Assam 105f., 112 Assimilation 11, 23, 39, 41, 45f., 48, 52f., 62, 70, 87, 145, 170, 237, 295, 346 Asyl, Asylrecht 190 Ausgleich – bukowinischer (1910) 95, 295, 324, 327 – galizischer (1914) 95 – mhrischer (1905) 68, 92–96, 106, 135, 147, 178, 280, 295f., 323, 337 – çsterreichisch-ungarischer (1867) 17, 47, 49, 63, 158, 215, 246, 249, 316, 341f. – ungarisch-kroatischer (1868) 50 Auslnder 25, 83, 97, 128f., 130, 159, 188, 218f., 223, 233, 236, 240, 260f., 330f. Ausschließung, einschließende 13, 129f., 160f., 182, 259, 262, 354 Außenministerium, k.u.k. 28, 57–59, 78, 89, 154, 157, 159, 165, 188, 190, 241, 250f., 253, 256, 300, 303, 305f. Austromarxismus 94f., 97 Auswanderung, Auswanderer 23, 25, 62f.

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– bosnische 152–155, 157, 159–161, 164–169 – britische 33, 217f., 310, 316, 323 – indische 118–120, 179, 272, 310 – çsterreichische 73f., 76, 78–80, 215, 298–300, 306, 308 – ungarische 48–52, 56–59, 151, 301–305, 306 Auswanderungsgesetze – indische 118–120 – çsterreichische 76, 78f., 321f. – ungarische 56–58, 321 Australien 36, 148, 189, 209, 218, 237 Autonomie 17, 40, 50, 68–71, 92, 97, 133, 152, 172, 174f., 273, 295f., 323, 341, 343 Baden bei Wien 89 Bahrain 131 Balkankriege 79, 153, 178, 348 Bancroft-Vertrge 32, 168, 218, 255 Beirut 253 Bekenntnisprinzip 20, 144, 146f., 344 Bengal 102, 110, 112, 137 Berliner Kongress (1878) 151, 153, 155, 157 Bihar and Orissa 110, 112 Binnenhomogenisierung 22, 33, 46, 62, 69, 104, 115, 132, 280, 294, 330 Biomacht, fçrdernde Macht, s.a. Souvernittsmacht 26, 28, 32f., 79, 166, 209, 297, 317–326, 339, 346 Bçhmen 73, 95, 98f., 116, 249, 279, 295 Bombay 102, 109f., 112, 114, 189, 249 Bosnien-Herzegowina 15, 17, 116, 151–179, 181, 214–216, 268, 273, 275, 285, 337, 341 Bosnische – Landesangehçrigkeit 154–161, 176, 206, 248f., 255, 354 – Regierung 151f., 156, 158, 163, 165, 167, 172, 189 Botschaften und Konsulate

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– britische 155, 259f., 262–265, 271, 309–315 – çsterreichisch-ungarische 59, 155, 164f., 249f., 252–255, 297–309 Brasilien 56f. Breslau 101 Britische Regierung 35f., 65, 116, 126, 131, 195, 207, 246f., 262f., 288, 316, 341f. Britisches Weltreich 15, 17, 27, 36, 62f., 65–69, 103, 115–117, 121, 123, 135, 170, 181f., 189, 204f., 207, 246f., 267, 316, 329–333, 335, 337, 340f., 348f., 351 British – Brothers League 236 – Columbia 30, 34, 37f., 45, 247, 292 – East Africa Company 179 – East India Company 102, 128, 130 – Indian Association 109 – Nationality and Status of Aliens Act, s. Staatsangehçrigkeitsgesetze – North America Act 17, 30, 63 – Protected Person 128f., 196, 199, 259–262, 341, 343, 354 – Subject 36f., 45, 117–120, 181f., 199, 218, 221, 239f., 246–248, 265, 287–289, 293, 341f. Brnn 86 Budapest 52f., 175 Budweis 95 Bukowina 73, 279, 298–300 Bulgarien 131, 154–156, 255f. Burma 102, 130f., 312 Calcutta 112, 121, 125, 249 Canadian Pacific Railway Company 39 Cape Colony 242 Census, s. Volkszhlung Central Provinces 112 Ceylon 47, 124 China, Chinesen 34, 44, 130–132, 142, 161, 192, 241, 265 Christlichsoziale 74, 175, 307

Citizen, citizenship 31, 38, 43, 45f., 66, 118, 192, 209f., 220, 225, 248, 288f., 294 Code Napoleon 248 Colonial nationalism 65, 67, 287, 290, 294 Colonial Office 28, 31, 179f., 188, 191, 203–206, 283, 345 Common Law 15, 31, 218, 220, 224, 248, 339 Communal representation 106–113, 204f., 280, 296 C rdoba 307 Czernowitz 299 Dnemark 131 Dalmatien 73, 173, 279, 303, 306 Demokratie, Partizipation 15, 38, 59, 69, 94, 104–106, 112, 115, 180, 200, 205f., 217, 333, 337f., 345 Depressed classes 111f., 114 Deutsche, deutschsprachige Bevçlkerung 31, 48, 53, 61, 92, 95, 99, 135, 147, 151, 162, 275, 350 Deutsches Reich 10, 23, 25, 32, 73, 84f., 106, 131f., 158, 179f., 225, 336 Deutschnationale 73, 94f., 98 Diskriminierung 10f., 20, 24f., 27, 34, 43–45, 59, 61–63, 66f., 102, 117, 120f., 123, 130, 135, 143, 149, 176, 179, 180, 183f., 194–200, 204–207, 215, 247, 249f., 262, 268, 276, 286, 288–295, 301, 326, 335f. Diskriminierung, positive 53, 232, 234f., 238, 286 domicile, Domizilsprinzip, s. Wohnort Dominions 17, 35f., 47, 65, 67, 117–119, 148, 189, 204, 207, 217, 232, 237, 241f., 247, 276, 278, 287, 289–295, 316, 329, 332, 340f. Dualismus, s. Ausgleich, çsterreichischungarischer

East African High Court 181f. East African Women’s League 200 Ehen, rechtliche Gltigkeit von 270–272, 282 Einbrgerungsverfahren, Einbrgerungspraxis 23, 25 – in Bosnien 159, 163f. – in britischen Kolonien 189, 286f. – in Indien 131f. – in Kanada 31–33, 34, 46, 62, 287 – in sterreich 76, 78, 82–90, 98, 155, 256 – in Ostafrika 184–186, 200 – in Ungarn 49, 51, 53 – im Vereinigten Kçnigreich 31, 129f., 222f., 225–232, 239f., 280, 286f., 331 Einwanderung, Einwanderer 25, 62f. – in Bosnien 161–164 – in Indien 130f. – in Kanada 27, 30–32, 33–39, 280, 282, 292, 308 – in sterreich 75f., 80–85 – in Ostafrika 179f., 186–194 – in Ungarn 50, 52 – im Vereinigten Kçnigreich 217, 226, 228, 351 Einwanderungsgesetze 25 – im Britischen Weltreich 188, 288, 322f., 343 – in Kanada 35, 37f., 46f., 277f., 330 – in sterreich 81f. – in Ostafrika 188–190 – im Vereinigten Kçnigreich, s. Aliens Act Elsass-Lothringen 116, 158 Emigration, s. Auswanderung Empire, s. Reich Enfranchisement of Indians 42f., 45f., 64, 345 „Englishmen“ 66, 124f., 221, 235, 350 Etatismus, etatistische Logik 14, 21–26, 78–82, 90f., 115, 127, 132–135, 170, 206, 214f., 242f., 246–248, 265, 294,

389

297, 300, 305, 327, 336f., 343, 349, 353–355 Ethnisierung 46, 52–54, 56, 62f., 135–137, 152, 172, 232, 236, 243, 262, 278, 284f., 303, 311, 315, 329, 333, 343–347, 350f., 355 Ethnizitt, ethnische Differenz 9f., 18–21, 28, 48, 90f., 96, 104, 106f., 121–123, 135f., 143, 145, 152, 168, 184, 207f., 268, 310, 340, 344, 350 „Eurasian“ 138, 199 „European“ 104, 106, 109f., 120, 123, 128f., 136–138, 140, 142f., 161, 179f., 183, 185, 199, 202, 210, 287 „European“, Definition von 148, 185, 198 European and Anglo-Indian Defence Association 125 „European settlers“, s. Siedler „European vagrants“ 104, 189, 269, 277 Exklusion 9–11, 23, 25, 27, 339 – von „Africans“ 33f., 182, 201f. – von Armen 37, 86, 88f., 100f., 168, 187, 189f., 230, 236 – von „Asiatics“ 27, 34–39, 62, 185, 188, 195f., 202, 242, 288, 311f., 314, 330 – von Bosniern 152f., 206, 215, 246, 248f., 323 – von Chinesen 34f., 81f., 188 – von Deutschen 240 – von Frauen 11, 77, 106 – von „Indern“ 35, 36–39, 65, 117, 180, 187, 201, 211, 234, 260, 272, 278, 292, 311, 322, 332 – von „Indianern“ 41, 43, 323, 330 – von Juden 50, 81f., 85, 100, 156, 158, 228–231, 255f., 280, 328, 331 – von Kranken 190, 236 – von nicht-ungarischsprachigen Ungarn 59–62, 303, 305, 323 – von „Nicht-Weißen“ 33, 36, 66, 129, 180, 183–186, 191, 206, 241f., 261f., 287, 290, 296, 311, 315, 323f., 331, 345 – von politischen Gegnern 51, 87, 166f., 226f.

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– – – – –

von Serben 166f. von Tschechen 100 von „Unberhrbaren“ 113 von Verurteilten 87f., 190, 226f., 236 von „Zigeunern“ 158

Familie, angehçrigkeitsrechtliche Einheitlichkeit der 23, 25, 49, 218, 221f., 238f. Feststellung von ethnischen Identitten 20, 28, 40, 42, 58, 91, 95f., 135–149, 273, 303, 339, 341, 344 Finanzministerium, k.u.k. 151, 153f., 158f., 167 Fiume 47 Foreign Jurisdiction Act 182, 259, 261 Foreign Office 28, 32, 179, 188, 190, 206, 247, 264, 312–314 Frankokanadier 39f. Frankreich 10, 23, 102, 170, 227, 248, 310, 336 Franzjosefsfeld 162 Frauen, Frauenbewegung, s.a. Staatsangehçrigkeit der Ehefrau 11, 23, 25, 36, 52, 56, 77, 100f., 106, 125, 177, 200, 204, 222, 233, 280–282, 328, 330 Fremde, s. Auslnder Galizien 33f., 73, 88, 99, 163, 252, 255, 275, 279 Geburtsortsprinzip, ius soli 10f., 25, 31, 46, 81, 130, 147f., 181, 183, 196, 219–221, 224, 237f., 240f., 261, 343f. Geburtsregister 183f., 270, 309–312 Geschlecht 77f., 106, 125, 171, 204, 209f., 241, 268, 280–283 Gesetzgebender Rat – in Indien 117–119, 121f. – in Ostafrika 179, 186f., 201–204 Gleichberechtigung, Egalisierung 9, 11, 23f., 38, 42, 90, 102, 118f., 132, 247, 280, 289, 294, 341 Gleichheit vor dem Gesetz, Verstçße gegen die

– in Indien, s. Ilbert-Bill – in Ostafrika 182, 195f., 198f. Goa 131f., 199 Gorajowice 99 Gouvernementalitt, s. Biomacht Government of India Act (1919) 105 Graz 99 Griechenland 131f. Habsburgerreich 15, 17, 63, 68, 151, 158, 176, 246, 258, 327–329, 335, 337, 340f., 348f., 351 Habsburgische Nachfolgestaaten 135, 280, 328f., 347, 351f. Hamburg 158 Handelsministerium, k.k. 59, 297, 300, 321f. Heimatrecht 54f., 76, 84, 89, 98–101, 254, 279, 302, 324 Hernals 54 Heterogenitt 9–11, 13, 16f., 19, 22, 25, 27, 36, 39, 53, 69, 73, 105, 113, 115, 112, 127, 162, 179, 225, 240, 269, 285, 345, 355 Hietzing 155 Hindus 37, 107–109, 112f., 135–138, 141, 272 Hollnder 200 Home 234f., 237 Home Office 28, 129f., 225, 227, 230, 261 Home Rule 68f., 107, 116, 217, 332 Homogenitt 13, 19, 38, 47, 53, 65–69, 81, 91, 96f., 109, 112, 116, 121, 124, 127, 134, 240, 276, 294f., 351–353 Honduras 39 Hongkong 121, 124, 310 Hybriditt 13, 19, 41, 104, 107, 110, 123, 138, 209, 221, 248 Hygiene 58, 190, 197, 203, 209 Identitt 13, 18f., 21, 90, 107, 136–138, 141, 143, 152, 170, 240, 268, 320, 340f. Ilbert-Bill 120–128, 132, 134, 138, 143, 148, 247, 276f.

Immigration, s. Einwanderung Imperial Conferences 67, 117, 193, 290, 332 Imperial nation 65–67, 287, 345 Imperialismus 24f., 320, 340 Imperialistische Logik 14, 21–26, 63, 67, 104, 115, 120, 127f., 132–134, 143, 205f., 242f., 247, 284, 289, 295, 329f., 332f., 336f., 349, 352–355 Imperium, s. Reich Indentured labour 103, 119f., 186–188, 192f., 264, 292, 300, 310, 322 India Office 28, 103, 126, 129f., 189f., 203–205, 288 Indian – Acts 41, 43, 45 – Civil Service 103f., 121, 127f. – National Congress 107f., 115, 120 – Status 40, 42, 45 „Indianer“ 30, 40–46, 62f., 182, 211–213, 330 Indien 17, 27, 34, 65, 69, 102–132, 133f., 136–141, 143, 179, 186f., 204, 211, 214, 261, 268, 272f., 286, 331f., 343, 353 Indische – Christen 109–113, 125, 273 – Frstenstaaten 102, 128–130, 131f., 134, 227, 241, 260 – Regierung 36–39, 106, 111, 113, 117f., 132, 135, 195, 203, 288, 293, 341 Inklusion 9–11, 23, 25–27, 31, 49, 70, 75f., 80, 204, 221, 282, 339, 355 Innenministerium – k.k. 28, 59, 79, 84, 86–89, 100f. – k.u. 55f., 59, 256 Innsbruck 88 Integration 11, 21, 23–25, 31, 33, 39, 42, 52, 62f., 66, 81, 84, 152, 159, 220, 329, 336, 344f. Ipswich 126 Irland 17, 30, 68, 116, 273, 329, 333, 348 Isfahan 89 Islam, s. Muslime

391

Israeliten, s. Juden Italien 116, 131 Italiener, italienischsprachige Bevçlkerung 84, 87, 95, 189 ius sanguinis, s. Abstammungsprinzip ius soli, s. Geburtsortsprinzip Japan, Japaner 34f., 37, 217, 331 Jerusalem 249f., 254 Josephinismus, Aufgeklrter Absolutismus 23, 90, 133f., 170f., 207, 248, 338, 343 Juden 48, 50, 53, 57, 62f., 82, 85f., 91, 100, 125, 132, 143, 146, 156–158, 162, 178, 186, 209, 212, 228–231, 236, 249–252, 254–256, 271, 274, 306, 328 Jury 120, 126f., 198f., 223, 294 Krnten 73 Kairo 154 Kaltenbrunn 99 Kanada 17, 27, 30–47, 57, 116, 141, 182, 189, 191, 247, 286, 292f., 308, 339, 353 Karibik 187, 208 Karthum 253 Kasten, s.a. soziale Differenzen 111, 114, 140f., 275, 277 Katholiken 152, 172–175, 178 Klondike 30 Kolonialgesellschaft, çsterreichisch-ungarische 78f. Kolonie, koloniale Situation 17, 19, 24, 65, 103, 115, 123, 134f., 151–153, 176, 179f., 187f., 206, 208, 212, 214, 268, 281 Konservativ 30, 74, 90, 114, 126f., 134, 152, 208 Konskription, s. Wehrpflicht Konstantinopel 252 Konversion 172f., 253f., 263, 271, 273f. Krain 73 Kriegsministerium, k.u.k. 79f., 159, 167, 322

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Kroaten, kroatischsprachige Bevçlkerung 48, 53, 57, 152, 167f., 303 Kroatien-Slawonien 47, 49–51, 173 Kronlnder 73, 95–97, 153, 279, 341 Kuch Behar 129 Kstenland 73 Kuwait 131 Labour Party 204 Lemberg 88 Lex Apponyi 53 Liberal, Liberalismus 30, 48, 73f., 93, 103, 114, 127, 133f., 195, 208, 290, 317, 319f., 337–339 London 15, 124f., 129, 204, 213 Lower Fraser River 44 Luxor 87 Madagaskar 189f. Madras 102, 109–112, 114 Mdchenhandel 252f. Mhren 73, 86, 92–95, 147, 279 Mhrische Mittelpartei 93 Magna Charta 123f. Magyaren, ungarischsprachige Bevçlkerung 48, 51, 53, 61, 275 Magyarisierung 48, 52–54, 62, 295 Malta 227, 263 Manitoba 30 Mansura 263 Massai 179, 181f., 200f., 209–211 Marokko 253, 259, 270f. Matrikel 95, 147, 178, 254, 273, 295 Mtis 30 Militrpflicht, s. Wehrpflicht Mission, Missionare 41, 110, 131, 173, 179, 201, 273 Mitrovitza 154 Modernitt 11, 15f., 21, 90, 112, 121, 137, 152, 166, 223f., 247f., 274, 276, 336–339, 347 Mombasa 180, 184, 186 Monteagle 39, 292f. Montenegro 116, 160–162

Muslim Defence Association 108 Muslim League 107f. Muslime 106–110, 112–114, 132, 135, 136–138, 141, 152, 164–168, 171–175, 178, 184, 253f., 263, 272 Nairobi 180, 186, 197, 273 Natal, s.a. Sdafrika 117–119, 188, 190 Nation 10, 21, 28, 51–53, 59, 61, 62–71, 77f., 80, 91, 108, 112f., 114–116, 123, 138, 147, 152, 269, 320, 339, 355 Nationalbewegung – bosnisch-muslimische 152, 171–173, 175 – deutsche 48, 74, 98 – indische 39, 68f., 71, 104, 107f., 113–117, 120, 125, 127, 132f., 135, 137f., 186, 203f., 277f., 288f., 292, 316, 341 – irische 68 – italienische 87 – kroatische 152, 175 – rumnische 48, 53f., 61 – serbische 48, 53f., 152, 166, 171, 175 – slowakische 53f. – tschechische 68, 91, 93f., 145 Nationalismus 15, 21, 26, 30, 48, 62, 67, 70f., 73f., 90f., 97, 103, 116f., 133, 137, 145f., 170, 172, 250, 282, 307, 328f., 350, 354 Nationalittengesetz, ungarisches (1868) 53 Nationalstaat 11, 13f., 17, 70, 336, 351f. Nationalstaatliche Logik 21–26, 32f., 46, 49, 51f., 56, 62f., 69, 77, 104, 133, 223, 238, 242f., 246, 280, 282f., 289, 294, 297, 301f., 305, 328–330, 332, 336, 352–355 „Native“ – in Indien 104, 111, 120, 123, 128f., 136–138, 140 – in Afrika 179–181, 190, 199, 205f., 210 „Native“, Definition von 148, 195, 198

Native Labour Commission 192 Naturalisation, s. Einbrgerung Naturalization Act, s. Staatsangehçrigkeitsgesetze Neoabsolutismus 73, 176, 206, 215f. Neufelden 99 Neuseeland 36, 204, 237, 276, 294 New Brunswick 43 New Imperial History 13 New York 58, 298, 303f. Niederçsterreich 54, 73, 85f., 100 Novi Pazar 153, 165 Oberçsterreich 73, 99 sterreich 17, 24, 48, 50f., 59, 73–102, 106, 115, 133, 189, 205f., 285, 295f., 339 sterreichische Regierung 73, 100f., 135, 305 Ontario 30, 43 Onward and Upward Club 41 Orientalismus 103, 113, 122f., 165, 211, 236, 264, 315 Orthodoxe 152, 172–175, 178 Osmanisches Reich, Trkei 84, 89, 131, 151, 153–155, 164–166, 171, 241, 250–254, 259, 336 Ostafrika 27, 142, 179–205, 216, 261, 280f., 283, 286 Ostafrikanische Regierung 180f., 187, 195 Ottawa 34 Pakistan 333 „Panchamas“ 111 Parliament, Houses of 65, 67, 103, 115 „Parsees“ 199 Psse, Ausweise 10, 31f., 43, 51, 55, 99, 130, 152, 154–157, 164–166, 190, 194, 249, 251, 278, 302, 312, 313–315, 331 Permanent Settlement (1793) 104, 124 Persien 89, 131f., 190 Personalitt, personale Kriterien fr Identittszuschreibungen 23, 67f.,

393

70, 95f., 107, 122, 143, 147–149, 178, 200, 232, 238, 242, 295f., 344 Pester Lloyd 50, 162 Phnotypische Sichtbarkeit 20f., 149, 169, 208, 212–215, 292, 340, 344 Polanka 99 Polen, polnischsprachige Bevçlkerung 25, 97, 275 Polygamie 43, 125, 270f., 282 Poor Law, s. Armenrecht Postkoloniale Theorie 13, 19, 138 Potlach 41 Prag 87 Privy Council 183 Protektion, s. Schutz Protektorat, Protected State, s.a. indische Frstenstaaten 17, 179–183, 185, 196, 200, 241, 260 Przemys´l 88 Punjab 109, 186 Quebec 30, 40 Queen’s Proclamation 102, 121f., 133 Rabat 271 Radkersburg 99 Ragusa 154 Rangoon 249 „Rasse“ 20f., 27, 34–39, 41, 61f., 67, 102, 106, 120f., 124, 129, 138, 140–142, 144, 148, 196, 207f. Rassismus 13, 20, 28, 34f., 38, 41, 44–46, 62, 66, 109, 118, 123, 125–128, 133, 140, 143f., 183, 185, 187, 189, 192f., 197f., 201, 204f., 206–216, 236f., 268, 282, 309, 320f., 340f., 344, 347, 354 Register, konsularische 51, 253 – in Bulgarien 255f. – im Osmanischen Reich 250f., 253f., 259f., 270f. – in Siam 312–315 Reich 9, 11–13, 15–17, 21f., 24, 27f., 62–71, 335–340, 350–355

394

Reichsgericht, çsterreichisches 73, 91, 147 Reichsrat, çsterreichischer 73, 81, 172 Reichstag, ungarischer 47, 50–52, 61 Religion, Konfession 18, 57, 96, 102, 107, 111, 114, 118, 123, 136, 138, 152, 168, 171f., 177, 210, 215, 248, 253f., 263, 265, 268, 270–274, 306 Reunion 264f., 309–311 Rohrbach 54 Roma, romanisprachige Bevçlkerung 48 Rçmisches Recht, kodifiziertes Recht 15, 147, 149, 223, 248 Rckbernahme ungarischer Staatsangehçriger 54–56 Rumnen, rumnischsprachige Bevçlkerung 48, 53, 61, 275 Rumnien 131, 251f. Russland, Russisches Reich 16, 82, 84f., 102, 131f., 163, 165, 329, 336f. Rustschuk 251, 255 Ruthenen, ukrainischsprachige Bevçlkerung 53, 97, 162, 273, 275, 300 Salzburg 73 Sansibar 179, 181, 187, 190, 196, 199 Sarajevo 173, 175 Schlesien 73, 279 Schub, s. Abschiebung Schulwesen, Schulrecht – in Bosnien 151, 170f., 174f. – in Kanada 40f. – in sterreich 91–93, 146, 324 – in Ungarn 48, 52f. Schutz von Staatsangehçrigen im Ausland 31f., 89, 128f., 155f., 227, 250–254, 259, 298, 312–315 Schutzgenossen, çsterreichisch-ungarische 250f., 253–256 Schweiz 12, 84, 131 Segregation, Reservate 30, 40, 43, 45, 111f., 181, 194–197, 209, 292 Serben, serbischsprachige Bevçlkerung 48, 53, 57, 61, 152, 166–168, 171

Serbien 116, 156f., 160, 166 „Shan“ 313f. Shiraz 184 Siam 264f., 310–315, 323 Siedler – in Ostafrika 179f., 183, 186f., 192f., 198f., 203–207, 247, 276, 340 – in Bosnien 151, 159, 161–163, 214f. Sikhs 37, 106, 109, 149 Singapur 249, 310 Slowaken, slowakischsprachige Bevçlkerung 48, 53, 57, 61 Smyrna 89, 163 „Somalis“ 191 Southborough-Komitee 107, 109–111, 113, 117, 148 Souvernittsmacht, verbietende Macht, s.a. Biomacht 26, 79, 168, 297, 317–326, 338, 346 Soziale Differenzen 37f., 48, 50, 63, 88f., 92–94, 101, 104, 106, 113f., 124, 137, 152, 163, 179f., 184, 197f., 204, 217, 229, 268, 275–280, 337, 344 Sprachenrecht – in Bosnien 171, 177f. – in sterreich 91f., 100, 145, 324, 344 – in Kanada 40 Sprachtest, educational criterion 188, 205, 227, 230, 239f., 277f., 288, 290–292 Staat, Regierung, Verwaltung, s.a. Etatismus 17, 21, 23f., 73, 96–98, 111f., 115, 133f., 151f., 170, 179f., 353f. Staatenlosigkeit 51, 55, 78 Staatsangehçrige im Ausland 23, 246 – bosnische 155f., 167 – britische 128, 218, 238, 270, 272 – çsterreichische 78–80, 133, 249–259, 297–301 – ungarische 51, 53, 58, 84, 249–259, 301–305 Staatsangehçrigkeit 10, 80, 223 – der Ehefrau 23, 25, 32f., 49, 51, 56, 62, 76f., 221f., 238f., 243, 282f.

– doppelte 49f., 80f., 218–220, 239, 243 – umstrittene 153–157, 160, 180f., 250, 260f., 313 Staatsangehçrigkeit, Verlust der – in Bosnien 156–159 – in Kanada 47 – in sterreich 76, 78f. – in Ungarn 49f. – im Vereinigten Kçnigreich 219 Staatsangehçrigkeitsgesetze – sterreich: ABGB (1811) 75f., 80 – UK: Naturalization Act (1870) 31, 218–225, 286 – UK: British Nationality and Status of Aliens Act (1914) 77, 130, 183f., 238–243, 286–289, 316 – Ungarn (1847/48) 50, 53 – Ungarn (1879) 49–52, 53, 62, 80 – Ungarn: Rckeinbrgerung der Cs ngo (1886) 53 Staatsangehçrigkeitsrecht – britisches 26f., 31, 35f., 68, 81, 128, 181f., 232, 247, 261f., 288, 343f., 351 – deutsches 10, 23, 49, 52, 77, 101 – franzçsisches 10, 23, 220, 264, 311 – indisches 27 – kanadisches 27, 31, 35, 46, 62, 282 – çsterreichisches 26, 75–78, 158, 344 – trkisches 153, 250f., 254, 259 – ungarisches 26, 62 Staatsbrgerrechte 10f., 23, 25, 38, 73, 131, 133, 182, 185, 226, 248, 323f., 345 – brgerliche, s. Gleichheit – politische, s. Wahlrecht – soziale, s.a. Armenrecht – soziale, in Bosnien 175 – soziale, in Kanada 46, 62 – soziale, in sterreich 74, 97–102, 133, 324 – soziale, in Ungarn 62 – soziale, im Vereinigten Kçnigreich 233–236, 243, 323 Staatsbrgerschaft 10f., 25, 36, 66, 73,

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75, 80, 90, 92, 118f., 182, 232, 247f., 263, 341 Staatsgrundgesetze, çsterreichische 73, 75, 90, 248, 295, 324 Statistische – Gesellschaft, London 142 – Kongresse, Internationale 144f. – Zentralkommission 145 Statut von Westminster (1931) 67 Steiermark 73, 99 Steuern, Steuerpflicht 31, 88, 98, 103, 110, 140, 151, 155–158, 161f., 179f., 182, 194, 198, 206, 233, 235, 292, 311, 314 Stockerau 89 Sdafrika 36, 47, 189, 192, 200, 287 Sdrhodesien 185 „Swahili“ 184, 198 Szeged 52 Szkler 50–52, 54 Territorialitt, territoriale Kriterien fr Identittszuschreibungen 23, 67f., 70, 106f., 109f., 114, 139, 143, 147–149, 200, 224, 232, 242, 292, 295, 343f. Theiß 52 Tirol 73, 87, 95, 162, 279 Tisza-Eszl r 53 Traditionalitt, Rckstndigkeit 11, 15f., 21, 122, 137, 336f., 347 Transfer 14, 104, 106, 138, 232, 243, 330, 341, 344 Transnationalitt 14 Transvaal, s.a. Sdafrika 117 Triest 154, 279 Tschechen, tschechischsprachige Bevçlkerung 92f., 99f., 135, 147 Tunis 253 Uganda 179, 333 Unabhngigkeit, Selbstndigkeit 21, 30, 46f., 49f., 62f., 70, 104, 116, 186, 200, 329

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Ungarische Regierung 17, 48, 59, 249f., 301 Ungarischer Hilfsverein 58 Ungarn 17, 47–62, 84f., 144, 151, 162, 273, 285, 337, 339 United Provinces 107–111 USA, s. Vereinigte Staaten von Amerika Utilitarismus 133f., 343 Vancouver 34, 39, 41, 292 Vatikan 173f. Verein fr Socialpolitik 78 Vereinigte Staaten von Amerika 30, 32, 44, 48, 57, 66, 73, 82, 85, 130, 152, 167f., 190, 213, 218f., 225, 250, 255, 297, 308, 310f., 329, 353 Vereinigtes Kçnigreich 17, 28, 30f., 47, 62, 65, 67, 103, 116, 126, 129, 141, 179, 183, 191, 217–243, 260, 286, 331, 339, 351 Vergleich, historische Komparatistik 11, 13–17, 95, 115, 344, 355 Verhltniswahlrecht 95, 107f., 114f., 135, 147f., 296 Vertretungsbehçrden, s. Botschaften Verwaltungsgerichtshof, çsterreichischer 73, 91, 101, 144, 147 Victoria 34 Viktoria-See 179, 186 Visoko 172f. Volksstamm 90f., 98, 274, 295, 350 Volkszhlung – in Bosnien 156 – im Britischen Weltreich 141–143 – in Indien 138–141 – in sterreich 83, 143–146 – in Ostafrika 142 – in Ungarn 53, 144 – im Vereinigten Kçnigreich 141f. Vor-Ort-Entscheidungen, administrative 129, 149, 207, 214, 292, 313, 344 Vorarlberg 73

Wahlrecht 95, 280 – in Bosnien 152, 177f., 206 – in Indien 95, 104–115, 132, 134f., 143, 273, 280, 296, 332 – in Kanada 34, 40–43, 45f., 62, 280, 323, 330 – in sterreich 74, 92–96, 133, 135, 146f., 279f., 323, 328, 338 – in Ostafrika 95, 180, 185, 198, 201–206, 232, 273f., 281, 296, 323, 329 – in Ungarn 48, 59–63, 95, 275, 323 – im Vereinigten Kçnigreich 223, 232, 280, 330 Wehrpflicht, Wehrdienst 23 – in Bosnien 151, 153, 156, 158–161, 164, 168, 176 – in Indien 103, 119, 140, 331 – in Kanada 31, 330 – in sterreich 79f., 99, 248f., 254f., 327 – in Ostafrika 199–201, 206, 329 – in Ungarn 48, 55, 254 – im Vereinigten Kçnigreich 325 „weiß“, Whiteness 27, 33, 36, 41, 66f.,

120, 138, 141–143, 149, 206, 208, 212, 214, 271, 282, 287, 340f., 354 Weitersfelden 99 Weltausstellung in Paris (1900) 97 Weltkrieg – Erster 15, 17, 31, 40, 48, 62f., 68, 74, 79, 104, 116, 153, 167, 178–180, 187, 191, 199–201, 239f., 254, 280, 325, 327–334, 346f., 349 – Zweiter 46, 261 Westafrika 141, 187 Wien 15, 54f., 74, 86f., 99–101, 214, 348 Wohnort, Domizilsprinzip 36, 46, 75f., 80, 89, 147, 190f., 235, 292 Xenophobie 34, 207, 240 Zepc´ 163 „Zigeuner“ 157f., 212 Zivilisierung 41f., 45, 103, 113, 118, 122f., 127, 134, 151, 170, 176f., 183, 186, 203, 208–212, 214f., 269, 273, 282, 341 Zypern 106, 154f., 253

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Personenregister Abensur, Isaac A. 270f. Agamben, Giorgio 13, 262, 319 Andr ssy Jr., Gyula 61 Azam, Abramo 89 Baldwin, Mary 27, 270 Bauer, Otto 95, 296 Belfield, Henry 210 Bennett, C. W. 264, 311 Bhaba, Homi 13 Biankini, Juraj 79, 94f., 303 Bittiger, Tim 161 Blumenbach, Johann F. 208 Bowring, Charles 200 Brubaker, Rogers 10, 12 Burger, Hannelore 26, 85, 90 Bfflrian, Istv n 171, 175, 249 Cannadine, David 276 Caro, Leopold von 78, 80 Cesarani, David 27 Chamberlain, Houston St. 208f. Chamberlain, Joseph 186, 189 Chelmsford, Frederick 104, 108, 110, 112–115, 117 Churchill, Winston 39, 186, 288 Cohen, Noah 227 Cowie 185 Curtis, Lionel 108 Curzon, George 294 De k, Ferenc 47 Delamere, Hugh Ch. 191, 194, 200, 204f., 211, 276 Dicey, A. V. 66 Dizdarevic´, Sabit 164 Dummett, Ann 27 Durakovic´, Sulejman 163

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Elgin, Victor B. 195 Eliot, Charles 211 Eçtvçs, Josef 144 Eçtvçs, K roly 53 Evans Gordon, William 236 Exshaw, John H. 227 Feilhauer, Gustav 99 Ferguson, Niall 12 Ficker, Adolph 145 Foremny, Franz 99 Foucault, Michel 317 Friedman, Sara 252 Grtner, Friedrich 97f. Gandhi, Mohandas K. 291 Gilroy, Paul 13 Gladstone, Herbert 287 Glatter, Ed. 144f. Gobineau, Arthur de 208 Gokhale, Gopal K. 107, 113, 117–119, 292, 294 Goldman, S. 229 Goldstaub, Josef 252 Gorman, David 66 Gosewinkel, Dieter 10 Gottmann, Menasche 252 Grant, Abdulkerim 270f. Groedel, Albert 80–82 Grogan 283 Gruber 299 Gupta, Behari L. 121 Hafiz, Mohammad 155, 158 Hamilton, George 189 Hanl, Berthold 249 Harperath 307f. Hayes Sadler, James 186 Heuberger, Valeria 154

Hirschhausen, Ulrike von 26 Hobley, C. W. 194f., 210, 212 Hoenning 299f.

Montagu, Edwin 104, 108, 110, 112, 114f., 117, 203 Morley, John 37f., 107

Idonio, Guiseppe 263 Ilbert, Courtenay 121, 123f., 147 Ilicˇic´, Folije 166 Ishmael, Henry P. 184

Nair, Sankaran 106, 112, 116 Narayan, Kuman B. 129 Negrusz 299 Nicol, Andrew 27 Northey, Edward 203, 210 Novta, Puetory 314

Jackson, Archibald W. 213 Jarvis, Charles St. 213 Jebb, Richard 65, 290, 294 Jeevanjee, A. M. 186, 197 Jinnah, Muhammad A. 107 Kall y, Benjamin 151, 170f., 173, 175 Kanpi, Franziska 54 Karadzˇic´ 164 Karatani, Rieko 27 Lansdowne, Henry P.-F. 234 Laurier, Wilfried 32, 37 Leiba-Tartakovsky, Abraham 228 Liebenfels, Jçrg L. von 214 Linn, Carl 207f. Lipshitz, S. L. 230 List, Guido von 214 Long, Walter 203 Lueger, Karl 348 Lukasiewicz 299 Mackenzie King, William L. 37f. Mackertich, Leon 89 Magrath, A. G. 308 Manara, Ernesto 227 Mann, Michael 137 Marriot, John 122, 124 Martinek, Johann 87 Mattes, Jakob 163 Mehmedovic´ 164 Meinecke, Friedrich 11 Milner, Emanuel 80 Milner, Alfred 203, 209, 212 Minto, Gilbert J. 107, 117f.

Pal, Kristodas 122 Palmer, Roundell 220, 222 Peel, William R. W. 204f. Placˇek 100 Pinto, Salomon A. 155f. Popovici, Aurel 96f. Prager, Morris 229 Prochazka, Julius 81 Ragani, Leopold 99 Renner, Karl 95, 296 Richter, Franz 99 Ripon, George R. 122, 125–128 Risley, Herbert 140, 291f. Roosevelt, Theodore 212 Rousseau, Jean-Jacques 208 Roy, Patricia 27 Ruderstein, Eleonora 99 Schchter, Josel S. 88 Schmitt, Carl 13 Schçnerer, Georg von 82 Schubert, Anton 98 Schwarzfischer, Felix 88 Sedlaczek 54 Seeley, John R. 66 Shaw, Albert 66 Sifton, Clifford 45 Simpson, William 197 Singer, Anna 54f. Singer, Hanns S. 55 Singer, Julia 54 Singer, Michael 54f.

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Sinha, A. N. 27 Sinha, Mrinalini 125 Sinha, Sachchidananda 118, 294 Skene, Alfred von 93 Sonntag, Jakob 163 Southborough, Francis H. 106 Stadler, Josip 173–175 Stadlmayer, Jakob 163 Stark, Hugo 87 Stratyjczuk 299 Strom, Marks 229 Surrer, Leopold 87 Swayne 37 Taaffe, Eduard 172f. Thompson 283

Tilak, G. 136 Tisza, K lm n 47 U., Payatoga 314 Verby, Vladimir 181 Veßter 50 Victoria 102, 122, 125, 132, 141 Waalke, James L. H. van 213 Waller 186, 192 Westbury, Richard B. 224f. White, Arnold 66 Wolff 307 Woods, Israel 228 Zavavi, Almas S. Y. 132 Zrnic´, Luka 156–158, 161

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