Unternehmerische Gestaltungsfreiheit versus aufsichtsrechtliche Regulierung: Der Vorstand in Banken- und Versicherungsunternehmen im Spannungsfeld zwischen unternehmerischer Gestaltungsfreiheit und aufsichtsrechtlicher Regulierung [1 ed.] 9783428550531, 9783428150533

In den vergangenen Jahren hat das überaus komplexe Finanzaufsichtsrecht richtungsweisende Reformen erfahren. Diese führt

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Unternehmerische Gestaltungsfreiheit versus aufsichtsrechtliche Regulierung: Der Vorstand in Banken- und Versicherungsunternehmen im Spannungsfeld zwischen unternehmerischer Gestaltungsfreiheit und aufsichtsrechtlicher Regulierung [1 ed.]
 9783428550531, 9783428150533

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Schriften zum Wirtschaftsrecht Band 289

Unternehmerische Gestaltungsfreiheit versus aufsichtsrechtliche Regulierung Der Vorstand in Banken- und Versicherungsunternehmen im Spannungsfeld zwischen unternehmerischer Gestaltungsfreiheit und aufsichtsrechtlicher Regulierung

Von

Stefan Bührle

Duncker & Humblot · Berlin

Meinen Eltern

STEFAN BÜHRLE

Unternehmerische Gestaltungsfreiheit versus aufsichtsrechtliche Regulierung

Schriften zum Wirtschaftsrecht Band 289

Unternehmerische Gestaltungsfreiheit versus aufsichtsrechtliche Regulierung Der Vorstand in Banken- und Versicherungsunternehmen im Spannungsfeld zwischen unternehmerischer Gestaltungsfreiheit und aufsichtsrechtlicher Regulierung

Von

Stefan Bührle

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen hat diese Arbeit im Jahre 2015 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

D21 Alle Rechte vorbehalten

© 2016 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany

ISSN 0582-026X ISBN 978-3-428-15053-3 (Print) ISBN 978-3-428-55053-1 (E-Book) ISBN 978-3-428-85053-2 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2015/2016 von der Juristischen Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen als Dissertation angenommen. Literatur und Rechtsprechung konnten bis einschließlich April 2016 berücksichtigt werden. Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater Herrn Professor Dr. Jens-Hinrich Binder. Die hervorragende Betreuung während und außerhalb sehr hilfreicher Doktorandenseminare waren zweifelsohne Grundvoraussetzung für das Gelingen meiner Arbeit. Dank gebührt darüber hinaus Herrn Dr. Thomas N. Broichhausen für die zahlreichen konstruktiven Gespräche und Diskussionen im Rahmen der Themenfindung wie auch während der Schreibphase. Für das Korrekturlesen möchte ich mich schließlich herzlich bei Ralf und Verena Bührle bedanken. Frankfurt am Main, im Juli 2016

Stefan Bührle

Inhaltsübersicht Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

Kapitel 1 Bestandsaufnahme ausgewählter aufsichtsrechtlicher (Neu-)Regelungen

35

A. Zunahme aufsichtsrechtlicher Geschäftsleiterpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 B. Gesteigertes aufsichtsbehördliches Einflussnahmepotential auf die unternehmerische Tätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 C. Weitere Einschränkungen der unternehmerischen Handlungsautonomie im Bankensektor durch die „Trennbankenregulierung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 D. Bewertung und Folgen des Regulierungs- und Beaufsichtigungstrends . . . . . . . . . . . . 69

Kapitel 2 Geschäftsleiterermessen und Pflichtenbindung im regulierten Banken- und Versicherungssektor – Eine Gratwanderung zwischen Handlungsautonomie und Haftungsgefahren

72

A. Die Problematik des prinzipienbasierten Regulierungsansatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 B. Handlungsautonomie versus Pflichtenbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 C. Haftungsrechtliche Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154

Kapitel 3 Prozedurale Anforderungen an Organentscheidungsprozesse im regulierten Banken- und Versicherungssektor

156

A. Zu untersuchende Organentscheidungsprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 B. Verhaltensleitlinien in Bezug auf die Auslegung und Anwendung prinzipienbasierter Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158

10

Inhaltsübersicht

C. Verhaltensanforderungen bei aufsichtsbehördlicher Einflussnahme . . . . . . . . . . . . . . . 213 D. Schlussfolgernde Thesen in haftungsrechtlicher Hinsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 Dokumente und Materialien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263

Inhaltsverzeichnis Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 I. Hintergrund der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 1. Die wesentlichen Ursachen der Krise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 2. Die Neuausrichtung des Bank- und Versicherungsaufsichtsrechtes . . . . . . . . . . 22 a) Die Rechtfertigung aufsichtsrechtlicher Regulierung und die Gewährleistungsverantwortung des Staates für die Stabilität der Finanzmärkte . . . . . . . 22 b) Kriseninduzierte Reformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 c) Die Neuausrichtung der Finanzmarktaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 aa) Die „European Supervisory Authorities“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 bb) Die Überwachung und Beaufsichtigung des nationalen Banken- und Versicherungssektors durch die BaFin und die EZB . . . . . . . . . . . . . . . . 29 (1) Das neue Aufsichtsregime im Bankensektor – Single Supervisory Mechanism (SSM) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 (2) Versicherungsaufsicht durch die BaFin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 II. Zielsetzung der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 III. Begriffsbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 1. Aufsichtsunterworfene Bank- und Versicherungsunternehmen . . . . . . . . . . . . . 33 2. Die „jeweils zuständige Aufsichtsbehörde“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33

Kapitel 1 Bestandsaufnahme ausgewählter aufsichtsrechtlicher (Neu-)Regelungen

35

A. Zunahme aufsichtsrechtlicher Geschäftsleiterpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 I. Aufsichtsspezifische Verdichtung allgemeiner verbandsrechtlicher Geschäftsleiterpflichten durch prinzipienbasierte Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 1. Geschäftsorganisationspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 a) § 91 Abs. 2 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 b) Aufsichtsrechtliche Spezifizierungen, § 25a KWG/§§ 23 ff. VAG . . . . . . . . 38 aa) Aufsichtsrechtliche Organisationsvorgaben als Ausdruck des prinzipiengeleiteten Regulierungstrends . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 (1) Normierung von konkreten aufsichtsspezifischen Zielvorgaben und abstrakt gehaltenen Organisations- bzw. Verhaltensangaben . . . . . . 39 (2) Konkretisierung einzelner Organisationsvorgaben durch zahlreiche unbestimmte Rechtsbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39

12

Inhaltsverzeichnis bb) Erweiterung der Geschäftsleiterverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 cc) Gesteigerte Haftungs- und Sanktionsgefahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 2. Das Verhältnis von nationalem Gesellschafts- und Aufsichtsrecht . . . . . . . . . . 43 a) Normenhierarchie und Normenspezialität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 b) Das aufsichtsrechtliche Spezialitätsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 II. Geschäftsleiterpflichten in der Krise – Das Sanierungs- und Abwicklungsregime 46 1. Das Sanierungs- und Abwicklungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 a) Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 b) Sanierungsplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 aa) Pflicht zur Erstellung von Sanierungsplänen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 bb) Prüfung und Bewertung von Sanierungsplänen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 c) Abwicklungsplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 aa) Die Abwicklungsplanung durch die FMSA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 bb) Bewertung der Abwicklungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 d) Verlagerung originär unternehmerischer Strategieentscheidungen auf die jeweils zuständigen Behörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 aa) Sanierungs- und Abwicklungsmängel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 bb) Einflussnahmepotential durch Frühinterventionsmaßnahmen . . . . . . . . . 54 cc) Folge dieser Eingriffsbefugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 2. Sanierungs- und Abwicklungsplanung im Versicherungsaufsichtsrecht . . . . . . 55

B. Gesteigertes aufsichtsbehördliches Einflussnahmepotential auf die unternehmerische Tätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 I. Aufsichtsrechtliche Kontrolle unternehmerischer Entscheidungen . . . . . . . . . . . . 57 II. Qualitative Eignungsvoraussetzungen als Grundlage für aufsichtsbehördliche Einwirkungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 1. Zuverlässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 2. Fachliche Eignung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 3. Aufsichtsbehördliche Einflussnahme auf das Geschäftsleiterverhalten . . . . . . . 62 a) Formelle Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 b) Informelle Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 III. Spezifische Aufsichtsbefugnisse der EZB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 C. Weitere Einschränkungen der unternehmerischen Handlungsautonomie im Bankensektor durch die „Trennbankenregulierung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 D. Bewertung und Folgen des Regulierungs- und Beaufsichtigungstrends . . . . . . . . . . . . 69

Inhaltsverzeichnis

13

Kapitel 2 Geschäftsleiterermessen und Pflichtenbindung im regulierten Banken- und Versicherungssektor – Eine Gratwanderung zwischen Handlungsautonomie und Haftungsgefahren

72

A. Die Problematik des prinzipienbasierten Regulierungsansatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 I. Regeln versus Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 1. Abgrenzung nach dem Geltungsanspruch einer Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 2. Abgrenzung nach dem Generalitätsgrad einer Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 3. Der prinzipienorientierte Regulierungsansatz des Finanzaufsichtsrechtes . . . . . 75 II. Wesentliche Elemente des prinzipiengeleiteten Regelungskonzeptes im Bank- und Versicherungsaufsichtsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 1. Normstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 2. Unmittelbare rechtliche Bindungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 3. Flexibilität der Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 III. Folgen des prinzipiengeleiteten Regulierungsansatzes aus Sicht des aufsichtsunterworfenen Normadressaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 B. Handlungsautonomie versus Pflichtenbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 I. Die unternehmerische Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 1. Charakteristika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 a) Die risikobehaftete bzw. unter Unsicherheit getroffene Entscheidung . . . . . 82 b) Die zukunftsbezogene Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 c) Erkenntnisse aus der betriebswirtschaftlichen Entscheidungslehre . . . . . . . . 83 2. Bewertung der vertretenen Ansichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 II. Rechtsbindung im regulierten Banken- und Versicherungssektor . . . . . . . . . . . . . 85 1. Grundlagen der Rechtsbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 a) Rechtsbindung aufgrund des Legalitätsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 aa) Die Differenzierung zwischen Innen- und Außenverhältnis . . . . . . . . . . 86 bb) Die (Innen-)Pflicht des Geschäftsleiters zur sorgfältigen Unternehmensführung als disponible Größe? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 (1) Allgemeine Leitungsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 (2) Umfassende Legalitätspflicht auch im Innenverhältnis . . . . . . . . . . . 89 cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 b) Rechtsbindung aufgrund unmittelbarer Inpflichtnahme der Geschäftsleitung 92 aa) Aufsichtsrechtliche Außenverbindlichkeit versus gesellschaftsrechtliche Innenpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 bb) Die doppelte Pflichtenbindung des Geschäftsleiters aufsichtsunterworfener Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 cc) Unmittelbare gesetzliche Inpflichtnahme der Geschäftsleiter als Grenze der Verantwortungsdelegation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96

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Inhaltsverzeichnis 2. Rechtsbindung im Rahmen exekutiver Norm- und Standardsetzung (insb. durch die Aufsichtsbehörden) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 a) Exekutive Normsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 aa) Informelle Initiativregulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 (1) Grünbücher der EU-Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 (2) Initiativregulierung auf globaler Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 bb) Exekutive Normsetzung durch die Aufsichtsbehörden . . . . . . . . . . . . . . 98 (1) Aufsichtsbehördliche Normsetzung durch die BaFin . . . . . . . . . . . . 98 (2) Aufsichtsbehördliche Normsetzungsbefugnisse durch die ESAs . . . 99 (a) Technische Regulierungs- und Durchführungsstandards . . . . . . . 99 (b) Technical Advices und Feedback Statements . . . . . . . . . . . . . . . 100 (3) Normsetzung durch die EZB im Bereich des Bankenaufsichtsrechtes 101 cc) Ergebnis – Exekutive Normsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 b) Exekutive Standardsetzung im Banken- und Versicherungssektor . . . . . . . . 102 aa) Verlautbarungen der BaFin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 (1) Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 (2) Bindungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 bb) Verlautbarungen auf europäischer Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 (1) Empfehlungen der EU-Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 (2) Verlautbarungen der ESAs auf Stufe 3 des Lamfalussy-Verfahrens 108 (aa) Rechtsnatur und Bindungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 (bb) Keine rechtliche Bindungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 (cc) Faktische Bindungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 cc) Standardsetzung durch die EZB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 dd) Ergebnis – Exekutive Standardsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 c) Reichweite der Norminterpretationskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 3. Ergebnis: Rechtsbindung im regulierten Banken- und Versicherungssektor . . . 116 III. Konsequenzen für den Anwendungsbereich der Business Judgment Rule im Rahmen rechtlich gebundener Entscheidungen mit tatbestandlichem Beurteilungsspielraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 1. Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 2. Anwendbarkeit der Business Judgment Rule im Rahmen von Entscheidungsfindungs- und -vorbereitungsprozessen bei unklarer Rechtslage? . . . . . . . . . . . 118 a) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 aa) Direkte Anwendung der Business Judgment Rule . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 bb) Analoge oder modifizierte Anwendung der Business Judgment Rule . . 119 cc) Keine Anwendbarkeit der Business Judgment Rule . . . . . . . . . . . . . . . . 121 dd) Erfordernis einer Legal Judgment Rule als Vorstufe zur Business Judgment Rule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121

Inhaltsverzeichnis

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b) Handlungs-, Beurteilungs- bzw. Ermessensspielräume bei unbestimmten Rechtsbegriffen im Verwaltungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 aa) Ermessensentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 bb) Unbestimmte Rechtsbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 cc) Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 c) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 3. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 a) Keine unmittelbare Anwendbarkeit der Business Judgment Rule bei rechtlich gebundenen Pflichtaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 b) Analoge bzw. modifizierte Anwendbarkeit der Business Judgment Rule oder Beurteilungsspielraum als begründungspflichtige Ausnahme? . . . . . . . . . . . 126 aa) Vergleichbarkeit der Sachverhalte und Interessenlage . . . . . . . . . . . . . . 127 (1) Vergleichbarer Unsicherheits- bzw. Risikofaktor . . . . . . . . . . . . . . . 127 (2) Kein Erfahrungsvorsprung des Geschäftsleiters? . . . . . . . . . . . . . . . 128 (3) Keine Notwendigkeit zur Förderung des unternehmerischen Wagemutes? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 (4) Unterschiede in Bezug auf eine gerechte Risikoverteilung im Innenverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 bb) Planwidrige Regelungslücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 IV. Anwendungsbereich der Business Judgment Rule im Rahmen lediglich faktisch bindender aufsichtsbehördlicher Standards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 V. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 C. Haftungsrechtliche Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 I. Pflichtgemäßes oder entschuldigendes Verhalten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 II. Verhaltens- bzw. Schuldmaßstab im Rahmen der Geschäftsleiterinnenhaftung nach § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 1. Die gegenwärtig strenge Rechtsirrtumslehre des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 2. Die Vertretbarkeitslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 3. Die Optimierungslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 4. Die Flexibilitätstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 5. Die Grundsätze zum vermeidbaren Verbotsirrtum im Strafrecht . . . . . . . . . . . . 141 6. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 a) Die Vertretbarkeitsthese als unzulässige Privilegierung des Geschäftsleiters 142 b) Die Dilemmasituation im Rahmen der strengen Rechtsirrtumslehre . . . . . . . 143 c) Erfordernis einer gerechten Risikoverteilung im Innenverhältnis . . . . . . . . . 143 d) Notwendigkeit eines flexiblen Lösungsansatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 aa) Optimierungslehre versus Flexibilitätstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 bb) Unterstützungsthese – verstärkte unmittelbare Inpflichtnahme der Geschäftsleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 7. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146

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Inhaltsverzeichnis III. Geschäftsleiteraußenhaftung gegenüber Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 IV. Straf- und ordnungswidrigkeitsrechtliche Haftungsgefahren . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 a) § 266 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 b) § 54a KWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 c) § 130 OWiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 d) Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 2. Anforderungen an eine strafrechtlich relevante Pflichtverletzung . . . . . . . . . . . 151 a) Erfordernis einer gravierenden Pflichtverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 b) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 3. Maßstab und Kriterien im Bereich der unklaren Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . 153 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154

D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154

Kapitel 3 Prozedurale Anforderungen an Organentscheidungsprozesse im regulierten Banken- und Versicherungssektor

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A. Zu untersuchende Organentscheidungsprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 I. Fall 1: Verhaltensleitlinien in Bezug auf die Auslegung und Anwendung prinzipienbasierter Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 II. Fall 2: Verhaltensleitlinien bei aufsichtsbehördlicher Einflussnahme . . . . . . . . . . 157 B. Verhaltensleitlinien in Bezug auf die Auslegung und Anwendung prinzipienbasierter Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 I. Einzelfallspezifische Ermittlung der jeweiligen Entscheidungsgrundlage . . . . . . . 160 II. Umfang der Informationsbeschaffung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 1. Einzelfallspezifische Bestimmung des konkreten Informationsbedarfs . . . . . . . 161 2. Eingeschränkter rechtlicher Beratungsbedarf bei Geschäftsleitern aufsichtsunterworfener Bank- und Versicherungsunternehmen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 a) Mindestmaß an Qualifikationsanforderungen als allgemeine Grenze rechtlichen Beratungsbedarfs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 b) Konkretisierung der unklaren Rechtslage durch aufsichtsbehördliche Verlautbarungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 aa) Konkretisierung des Sorgfaltsmaßstabes durch aufsichtsbehördliche Verlautbarungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 bb) Haftungsprivilegierung durch Befolgung aufsichtsbehördlicher Verlautbarungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 cc) Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166

Inhaltsverzeichnis

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III. Verfahren der Einholung und Überprüfung von Rechtsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 1. Anforderungen in Bezug auf den Rechtsberater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 a) Unabhängigkeit des Rechtsberaters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 aa) Unabhängigkeit der eigenen Rechtsabteilung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 bb) Aufsichtsrechtliche Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 (1) Zulässigkeit der Beratung durch unternehmensinterne Juristen im Rahmen der Vergütungsvorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 (2) Aufsichtsrechtliche Beratung durch die Compliance-Funktion . . . . 170 (3) Keine pauschale Unabhängigkeit unternehmensinterner Rechtsberater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 cc) Einzelfallbezogene Abwägung in Bezug auf das Unabhängigkeitskriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 dd) Interne versus externe Rechtsberatung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 ee) Kein Verlust der Unabhängigkeit aufgrund Vorbefassung mit dem Entscheidungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 b) Fachliche Qualifikation des Rechtsberaters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 2. Informationsversorgungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 3. Plausibilitätskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 a) Allgemeine Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 b) Aufsichtsspezifische Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 aa) Beachtung aufsichtsbehördlicher Verlautbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 bb) Interaktion mit den Aufsichtsbehörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 cc) Beachtung des Proportionalitätsgrundsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 IV. Handeln auf der Grundlage der festgestellten Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 1. Allgemeine Leitprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 a) Historische Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 b) Das Gesellschafts- bzw. Unternehmensinteresse als Bezugspunkt für ein interessenpluralistisches Leitbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 c) Die Shareholder-Value-orientierte Unternehmenspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . 187 d) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 aa) Allgemeine Zielkonzeption des Bank- und Versicherungsaufsichtsrechts 189 (1) Bankenaufsichtsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 (2) Versicherungsaufsichtsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 (3) Schnittmenge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 bb) Ziel einer dauerhaften Rentabilität als zwingender Leitungsgrundsatz

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cc) Shareholder Value und Gewinnmaximierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 (1) Keine ausschließliche Berücksichtigung von Aktionärsinteressen zugunsten kurzfristiger Gewinnmaximierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194

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Inhaltsverzeichnis (2) Erfordernis eines langfristig orientierten, mit dem Aufsichtsrecht kompatiblen Shareholder-Value-Konzeptes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 (a) Verbandsrechtliche Betrachtungsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 (b) Aufsichtsrechtliche Betrachtungsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 (aa) Fehlen einer ausdrücklichen Kollisionsregelung . . . . . . . . . . 199 (bb) Vorrang des Aufsichtsrechtes? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 (cc) Grundrechte als Grenze verbandsexogener Zielvorgaben . . . 199 (dd) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 e) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 2. Abwägung bestehender Chancen und Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 a) Das Vorhandensein einer herrschenden Rechtsprechungsansicht . . . . . . . . . 206 aa) Herrschende Rechtsprechungsansicht identifiziert . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 bb) Herrschende Rechtsprechungsansicht existiert, wurde jedoch nicht korrekt identifiziert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 b) Sonderfall: Die beabsichtigte Herbeiführung einer Rechtsprechungsänderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 c) Herrschende Rechtsprechungspraxis ist nicht vorhanden . . . . . . . . . . . . . . . 208 aa) Untergesetzliche Rechtsprechung vorhanden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 bb) Lediglich Behördenpraxis vorhanden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 d) Höchstmaß an Rechtsunsicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 e) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 V. Dokumentationspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 VI. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212

C. Verhaltensanforderungen bei aufsichtsbehördlicher Einflussnahme . . . . . . . . . . . . . . . 213 I. Verfassungsrechtliche Grenzen aufsichtsbehördlicher Einflussnahme . . . . . . . . . . 213 1. Betroffene Grundrechtspositionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 a) Der Schutz freier unternehmerischer Betätigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 aa) Nationaler Grundrechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 bb) Europäischer Grundrechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 b) Der Schutz der Eigentumsgarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 aa) Nationaler Grundrechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 bb) Europäischer Grundrechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 2. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 3. Einzelfallspezifische Bestimmung aufsichtsrechtlicher Einwirkungen . . . . . . . 218 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 II. Konsequenzen für die verbandsrechtliche Pflichten- und Kompetenzordnung . . . 220 1. Pflicht zur Identifizierung unzulässiger aufsichtsrechtlicher Einwirkungen . . . 220 a) Grundzüge des Aufsichtshandelns auf der Ebene der Rechtsdurchsetzung 221 aa) Aufsichtsbehördliches Ermessen hinsichtlich der Frage, „ob“ und „wie“ Maßnahmen ergriffen werden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221

Inhaltsverzeichnis

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bb) Verpflichtung zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes . . . . . 222 cc) Der Proportionalitätsgrundsatz und die risikoorientierte Aufsicht . . . . . 222 b) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 2. Pflicht zur Abwehr unzulässiger aufsichtsbehördlicher Einwirkungen? . . . . . . 224 a) Keine rechtlich gebundene Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 b) Ermessensentscheidung des Geschäftsleiters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 3. Pflicht zur Vornahme einer umfassenden Abwägungsentscheidung . . . . . . . . . 227 4. Infrage kommende Abwehrmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 a) Differenzierung zwischen informellen und formellen aufsichtsbehördlichen Einwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 b) Differenzierung zwischen der jeweils handelnden Behörde . . . . . . . . . . . . . 229 aa) BaFin als zuständige Aufsichtsbehörde (Bank- und Versicherungsaufsichtsrecht) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 bb) Sonderfall: BaFin als zuständige Behörde im Rahmen des SSM (Bankenaufsichtsrecht) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 cc) EZB als zuständige Aufsichtsbehörde (Bankenaufsichtsrecht) . . . . . . . . 230 5. Daraus resultierende Verhaltensleitlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 a) Informelle Abstimmung mit der Aufsichtsbehörde möglich . . . . . . . . . . . . . 230 b) Informelle Abstimmung nicht möglich oder nicht zielführend . . . . . . . . . . . 231 c) Besonders schwerwiegende Eingriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 d) Pflicht zur Aufrechterhaltung der verbandsrechtlichen Kompetenzordnung 232 III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 D. Schlussfolgernde Thesen in haftungsrechtlicher Hinsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 I. Kernprobleme und Ursachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 II. Reformbedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 1. Notwendigkeit einer Legal Judgment Rule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 2. Notwendigkeit von Kollisionsregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 III. Lösungsansätze de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 IV. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 Dokumente und Materialien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263

Einführung I. Hintergrund der Untersuchung „It takes 20 years to build a reputation and five minutes to ruin it. If you think about that, you’ll do things differently.“ Dieser berühmte Satz von Warren Buffet trifft wie kein zweiter auf die Entwicklungen der vergangenen Jahre in der internationalen Finanzbranche zu. Geprägt waren diese von der sog. „Subprimekrise“, mit der im Sommer 2007 die globale Banken- und Finanzkrise als Teil der Weltwirtschaftskrise begann. 1. Die wesentlichen Ursachen der Krise Die Aufarbeitung der Krise deckte schließlich zahlreiche Mängel und Schwächen in Form von Fehlverhalten und Systemfehlern auf, die heute als Ursache und Auslöser der Krise angesehen werden. Neben unzureichendem Eigenkapital von Kreditinstituten spielten in diesem Zusammenhang insbesondere Mängel in der Aufsicht, fehlende Markttransparenz, unzureichendes Risikomanagement, GovernanceProbleme bei Banken sowie falsche Anreizsetzung für Investment-Banker eine maßgebliche Rolle.1 Erhebliche Mängel in der Aufsicht rührten insbesondere daher, dass die von den Bankinstituten zwischengeschalteten Zweckgesellschaften der Bankenaufsicht entzogen waren und deren Liquidität durch meist kurzfristige Refinanzierungszusagen gesichert war.2 Die Beurteilung von Umfang und Lage von Kreditrisiken waren durch dieses System nahezu unmöglich geworden. Darüber hinaus führten Mängel in den jeweiligen Rating-Methoden sowie bestehende Interessenkonflikte zwischen Bewertungs- und Beratungsgeschäft dazu, dass die Ratingagenturen die Ausfallrisiken bei den durch zweitklassige Hypotheken besicherten Instrumenten deutlich unterschätzten.3 Regulierungs- und Aufsichtsbehörden konzentrierten sich zudem überwiegend auf die mikroprudentielle Aufsicht – d. h. die Überwachung einzelner 1 Vgl. zu den Ursachen und Lehren der Finanzkrise insbesondere den Bericht der HighLevel Group on Financial Supervision in the EU vom 25. Februar 2009 (de Larosière-Bericht); European Commission, Economic Crisis in Europe: Causes, Consequences and Responses, EUROPEAN ECONOMY 7/2009; speziell in Bezug auf das Thema Corporate Governance vgl. OECD, Corporate Governance and the Financial Crisis: Key Findings and Main Messages, Juni 2009. 2 Vgl. Fischer, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, § 125, Rn. 67. 3 de Larosière-Bericht, Rn. 19 ff.

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Einführung

Institute – und nicht genügend auf die makrosystemischen Gefahren einer Ansteckung durch korrelierte horizontale Schocks.4 Auch wurde die Fähigkeit der Finanzunternehmen, die eingegangenen Risiken zu managen, insgesamt eklatant überschätzt. Dies führte zu einem Fehlverständnis der Interaktion zwischen Kredit und notwendiger Liquidität.5 Eine zunehmende Fokussierung auf Renditen sowie falsche Anreizsetzungen in Bezug auf die Vergütungsstrukturen hatten darüber hinaus zur Folge, dass oftmals großzügig über bestehende Risiken hochkomplexer Investitionsmöglichkeiten hinweggesehen wurde.6 2. Die Neuausrichtung des Bank- und Versicherungsaufsichtsrechtes Auf der Grundlage der umfangreichen Analysen zu den Ursachen und Auslösern der Krise erfuhr das Bank- und Versicherungsaufsichtsrecht in den vergangenen Jahren eine wesentliche Neuausrichtung.7 a) Die Rechtfertigung aufsichtsrechtlicher Regulierung und die Gewährleistungsverantwortung des Staates für die Stabilität der Finanzmärkte Eine umfassende Regulierung privatrechtlich strukturierter Bank- und Versicherungsinstitute ist oftmals mit erheblichen Einschränkungen in Bezug auf die Berechtigung, über wirtschaftliche Handlungen selbst entscheiden zu können, verbunden und bedürfen einer Rechtfertigung. In diesem Zusammenhang spielt die Bedeutung eines funktionierenden Finanzsystems eine wichtige Rolle. Denn nur durch ein solches ist ein gesundes Wirtschaftswachstum und damit einhergehend gesellschaftlicher Wohlstand zu gewährleisten.8 Dies wird besonders deutlich, wenn man sich die volkswirtschaftlichen Funktionen von Finanzinstituten vor Augen hält. Speziell zu nennen sind die Zahlungsverkehrsfunktion, die Kreditfunktion sowie die 4

de Larosière-Bericht, Rn. 25 ff. de Larosière-Bericht, Rn. 8 ff. 6 Vgl. de Larosière-Bericht, Rn. 24: „Die Vergütungs- und Anreizstrukturen innerhalb der Finanzinstitute trugen zur exzessiven Risikoübernahme bei, indem sie die kurzfristige Ausweitung des Volumens an (risikoträchtigen) Geschäftsabschlüssen stärker honorierten als die langfristige Rentabilität der Anlagen. Dass die Aktionäre Druck auf die Geschäftsleitungen ausübten, hohe Aktienkurse und Dividenden für die Anleger zu erzielen, führte außerdem dazu, dass der Erfolg vieler Unternehmen nur noch daran gemessen wurde, ob die Gewinnerwartungen für das nächste Quartal übertroffen wurden.“ Das Versagen der Bankenmanager spiegelte sich wider in einer Reihe von spektakulären Fällen von Missmanagement auf nationaler Ebene. Zu nennen sind etwa die Fälle IKB, HRE, WestLB, HSH-Nordbank und Bayern LB im Zuge des Kaufs der maroden Hypo Alpe Adria. 7 Vgl. allgemein zur Funktion und Legitimation der Wirtschaftsaufsicht, Ludwig, Branchenspezifische Wirtschaftsaufsicht und Corporate Governance, S. 201 ff. 8 Vaubel, Zur Finanzmarktkrise: Die Verantwortung des Staates, 2008, S. 10; Becker, ZG 2009, 123, 125. 5

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Fähigkeit zur Risikoverlagerung bzw. Risikoabsicherung.9 Denn die globale geldbasierte Volkswirtschaft hängt überwiegend von einem funktionierenden Geldkreislauf privater und öffentlicher Banken ab.10 Geschäftsideen bedürfen denknotwendigerweise Kapital, um in die Realität umgesetzt zu werden. Die Zusammenführung von Innovationen und Kapital gehört deshalb zu den essentiellen Funktionen des Finanzmarktes, in dessen zentralen Segmenten, dem Kapital-, Geld-, Devisenund Derivatemarkt sich Angebot und Nachfrage nach Geld und geldwerten Titeln treffen.11 Handlungs- und Innovationsfähigkeit stehen insofern in einem Abhängigkeitsverhältnis zu der Funktionsfähigkeit stabiler Finanzmärkte und einer positiven wirtschaftlichen Gesamtentwicklung.12 Deshalb muss das Finanzsystem in der Lage sein, unerwarteten Entwicklungen auf makroökonomischer Ebene zu widerstehen.13 Die Gewährleistung der Finanzmarktstabilität ist mithin als eine der elementaren Staatsaufgaben anzusehen.14 Auf nationaler Ebene kommt dies in § 6 Abs. 2 und 4 KWG sowie in § 294 Abs. 1 und 2 VAG zum Ausdruck. Diese Vorschriften erheben die Funktionsfähigkeit bzw. Stabilität des Finanzmarktes und den Anlegerschutz (im Bankenaufsichtsrecht) bzw. den Schutz der Versicherungsnehmer (vorrangige Schutzrichtung des Versicherungsaufsichtsrechtes) in den Rang konnexer Zentralziele15 des Bank- und Versicherungsaufsichtsrechtes und stellen gleichzeitig die wichtigsten Rechtfertigungsgründe der aufsichtsrechtlichen Regulierung und Beaufsichtigung im Banken- und Versicherungssektor dar.16 9

Becker, ZG 2009, 123, 125 f. Vgl. BT-Drs. 3, 2563, S. 2: „Da alle wesentlichen Zweige der Volkswirtschaft auf das Kreditgewerbe als Kreditgeber und Geldsammelstelle angewiesen sind, greifen Störungen in diesem Wirtschaftszweig leicht auf die gesamte Volkswirtschaft über.“ 11 Höfling, Gutachten F zum 68. DJT, 2010, F 9. Fischer, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, Einf. Rn. 121; Weber-Rey, ZGR 2010, 543, 547. 12 Becker, ZG 2009, 123, 125 f.; Hellwig, Systemic Risk in the Financial Sector, S. 35 ff. 13 Vgl. hierzu ausführlich Hellwig, Systemic Risk in Financial Sector, S. 35 ff. 14 Höfling, Gutachten F zum 68. DJT, 2010, F 9. Zur Definition der „Finanzstabilität“ vgl. Deutsche Bundesbank, Finanzstabilitätsbericht 2012, S. 5: „Die Bundesbank definiert Finanzstabilität als die Fähigkeit des Finanzsystems, die zentrale makroökonomische Funktion – insbesondere die effiziente Allokation finanzieller Mittel und Risiken sowie die Bereitstellung einer leistungsfähigen Finanzinfrastruktur – jederzeit reibungslos zu erfüllen und dies gerade auch in Stresssituationen und Umbruchphasen.“ 15 Höfling, Gutachten F zum 68. DJT, 2010, F 9. 16 Neben diesen Zentralzielen aufsichtsrechtlicher Regulierung wird die ausführliche Regulierung des Banken- und Versicherungssektors auf einzelne bereichsspezifische Rechtfertigungsargumente gestützt. Für die Rechtfertigung der Regulierung aufsichtsunterworfener Banken wird dabei u. a. die sog. Fristentransformation angeführt. Formell kurzfristig angenommene Geldanlagen werden in langfristige Kredite umgewandelt. Wenn es den Banken nicht gelingt eine Anschlussfinanzierung sicherzustellen, kann dies im schlimmsten Fall zu einer Insolvenz des betroffenen Instituts führen. Vgl. hierzu etwa Hellwig, Systemische Risiken, 1998, S. 5 ff. Zur Transformation langfristiger Hypothekenforderungen über Zweckgesellschaften als Ursache der Finanzkrise vgl. Sachverständigenrat, Jahresgutachten 2007/2008, S. 89: „Die 10

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b) Kriseninduzierte Reformen Neben neuen Eigenkapitalanforderungen sind zahlreiche Corporate-Governancebezogene Regelungen in den Vordergrund der Diskussionen gerückt. Allgemein wird unter dem Begriff Corporate Governance das „System, nach dem Unternehmen geführt und kontrolliert werden“, verstanden.17 Aufgrund der Leitungsverantwortung des Geschäftsleiters nach § 76 AktG ist dieser primär dazu angehalten, für eine verantwortliche, qualifizierte, transparente und auf Dauer ausgerichtete Unternehmensführung Sorge zu tragen.18 Hierzu gehört es, Maßnahmen und Aktivitäten zu ergreifen, die der Sicherstellung und Einhaltung sämtlicher interner wie externer Regelungen sowie der Erreichung der Unternehmensziele dienen.19 Miteinander konfligierende Interessengruppen sollen zum Zwecke einer guten Unternehmensführung, zu der auch die Außenwahrnehmung der Gesellschaft gehört, in Einklang gebracht werden.20 Nach klassischem Verständnis konzentriert sich das Kernproblem von Corporate Governance auf das Verhältnis von Anteilseignern und Managegrößte Bedrohung für die Statik des Finanzsystems war jedoch die massive Fristentransformation durch Quasi-Banken (Conduits und Structured Investment Vehicles). Sie sorgten dafür, dass die langfristigen US-Hypotheken in sehr kurzfristige Titel (Asset-Backed Commercial Paper) transformiert wurden. Anders als regulierte Banken hielten diese Vehikel kein Eigenkapital vor und sie vernachlässigten das Risiko, dass sich für die von ihnen emittierten Titel keine Erwerber mehr finden ließen.“ Darüber hinaus werden die Gefahr von unkontrolliertem Geldabfluss durch sog. „Bank-Runs“ sowie systemische Gefahren angeführt, die durch die Schieflage einzelner systemrelevanten Institute bestehen können („too big too fail“ bzw. „too interconnected to fail“). Vgl. hierzu etwa Binder, Bankenintervention und Bankenabwicklung in Deutschland, S. 7 ff.; ders., Bankeninsolvenzen im Spannungsfeld zwischen Bankaufsichts- und Insolvenzrecht, 2005, S. 120 f., 433 ff. Für die Rechtfertigung der Regulierung aufsichtsunterworfener Versicherungen werden neben der sog. Risikoallokation (Risikotransfer auf die Versicherungen zugunsten einzelner Wirtschaftssubjekte) auch die asymmetrische Informationsverteilung (Informationsdiskrepanz zwischen Versicherungsnehmern und Versicherungsunternehmen: Versicherungsnehmer fällt es regelmäßig schwer Ausfallrisiken und wirtschaftliche Lage des Versicherungsunternehmens zu beurteilen. Versicherungsunternehmen wissen über die Situation ihrer Kunden weniger gut Bescheid als diese selbst.) sowie systemrelevante Gefahren (Erhebliche Ausfälle eines Versicherungszweiges können dazu führen, dass im Kollektiv andere Wirtschaftssubjekte Schaden erleiden. Darüber hinaus stellen Versicherer auch vielfältige Formen der Fremd- und Eigenmittelfinanzierung zur Verfügung und gehören zu den größten institutionellen Anlegern.) angeführt. Vgl. zur Rechtfertigung der Regulierung des Versicherungssektors etwa Nguyen/ Molinari, in: WHL Nr. 9, 2009. 17 Europäische Kommission, GRÜNBUCH Europäischer Corporate Governance-Rahmen, 05. 04. 2011, S. 2; Bericht des Ausschusses zu den Finanzaspekten der Corporate Governance („Cadbury Report“), 1992, S. 15. Speziell bezogen auf den Bankensektor, vgl. Basler Ausschuss für Bankenaufsicht, Guidelines, Corporate Governance principles for banks, July 2015, S. 3: „Corporate governance determines the allocation of authority and responsibilities by which the business and affairs of a bank are carried out by its board and senior management“. 18 Louven/Raapke, VersR 2012, 257. 19 Fleischer, in: Spindler/Stilz, Aktiengesetz, § 76 Rn. 15 ff., Spindler, in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, § 76, Rn. 15 ff., Grützner/Jakob, in: Grützner/Jakob, Compliance von A-Z: „Corporate Governance“. 20 Koch, in: Hüffer, Aktiengesetz, § 76, Rn. 37.

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ment.21 Im aufsichtsrechtlichen Kontext tritt erschwerend hinzu, dass die traditionelle Bezugsgröße für alle mit der Leitung eines Unternehmens zusammenhängenden Pflichten mit den aufsichtsrechtlich verfolgten Schutzzielen verschieden ist.22 Mit anderen Worten stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, inwieweit Gläubigerschutzgesichtspunkte und der Schutz der Stabilität des Finanzsystems mit dem Unternehmens- bzw. Gesellschaftsinteresse als primärem Bezugspunkt des Leitungsauftrages in Einklang zu bringen ist. Bereits vor der Krise wurde durch das Regulierungspaket „Basel II“ im aufsichtsunterworfenen Bankensektor die interne Corporate Governance23 erstmals in größerem Umfang zu einem eigenständigen Anknüpfungspunkt der aufsichtsrechtlichen Regulierung und Überwachung erhoben.24 In den vergangenen Jahren weitete sich dieser Trend auf den gesamten Finanzdienstleistungssektor aus.25 Um die Effektivität der Aufsicht zu stärken, erfolgte beispielsweise auf Vorschlag des Joint Forum in Basel26 sowie einer Arbeitsgruppe der G 20 eine Harmonisierung unterschiedlicher Regulierungen und Beaufsichtigungen im Bereich des Finanzdienstleistungssektors.27 So wurde etwa durch die VAG-Novelle 2008 die Vorschrift des § 64a VAG28 für den beaufsichtigten Versicherungssektor eingeführt. Seit dem 01. Januar 2016 sind die versicherungsrechtlichen Geschäftsorganisationsvorgaben nunmehr in einem eigenen Abschnitt des Versicherungsaufsichtsgesetzes (§§ 23 – 34 VAG) geregelt und stellen neben der bankenrechtlichen Pendantregelung des § 25a KWG bis heute die zentrale Rechtsgrundlage für die positive Formulierung um21 Vgl. hierzu auch Ludwig, Branchenspezifische Wirtschaftsaufsicht und Corporate Governance, S. 21 f., 31. 22 Binder, ZGR 2015, 667, 704; Ludwig, Branchenspezifische Wirtschaftsaufsicht und Corporate Governance, S. 21 f., 31, 39 ff. 23 Vgl. zur internen Corporate Governance Ludwig, Branchenspezifische Wirtschaftsaufsicht und Corporate Governance, S. 60 ff. 24 Vgl. Basler Ausschuss für Bankenaufsicht, Internationale Konvergenz der Eigenkapitalmessung und Eigenkapitalanforderungen. Überarbeitete Rahmenvereinbarung – Umfassende Version, Juni 2006, Rn. 728 ff. („Überwachung durch Geschäftsleitung und oberstes Verwaltungsorgan“), Rn. 732 ff. („Umfassende Beurteilung der Risiken“), Rn. 744 ff. („Überprüfung der internen Kontrollen“). Vgl. hierzu näher Binder, in: Romeike, Rechtliche Grundlagen des Risikomanagements, 2007, S. 133, 144. Siehe auch bereits Basler Ausschuss für Bankenaufsicht, Verbesserung der Unternehmensführung in Banken, September 1999. 25 Die „Stärkung der Corporate Governance“ titulierte die EU-Kommission in ihrem Grünbuch zur Corporate Governance in Finanzinstituten sogar als „Herzstück des (…) Programms zur Finanzmarktreform und Krisenverhütung“, vgl. EU-Kommission, Grünbuch zur Corporate Governance in Finanzinstituten und Vergütungspolitik vom 02. Juni 2010, KOM (284) endg. S. 2. 26 Das Joint Forum setzt sich aus dem Basler Ausschuss für Bankenaufsicht, der International Organization of Securities Commission (IOSCO) und der International Association of Insurance Supervisors (IAIS) zusammen. 27 Vgl. G 20 Working Group 1, Enhancing Sound Regulation and Strengthening Transparency, Final Report, 25. 03. 2009, S. 10. 28 Eingeführt am 01. 01. 2008 durch G. v. 23. 12. 2007, BGBl. I, S. 3248.

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fangreicher, zunehmend prinzipienartig formulierter Geschäftsleiterpflichten dar. Neben der Zunahme aufsichtsrechtlicher Geschäftsleiterpflichten führten auch neue Anforderungen an die Vergütungssysteme von Bankinstituten und Versicherungsunternehmen zu einer weiteren Verdichtung des materiellen Aufsichtsrechtes.29 Dieser Regulierungstrend wurde zuletzt im Wesentlichen durch die nationale Umsetzung der umfangreichen europäischen Regulierungspakte „CRD IV/CRR“ bzw. durch die (vorzeitige) nationale Umsetzung der „Solvency-II-Richtlinie“ weiter verstärkt.30 Aufsichtsrechtliche Vorgaben sind nunmehr geprägt von einem prinzipienorientierten Regulierungsansatz. Mit der Abkehr von einer ursprünglich regelbasierten Aufsicht wurde in der finanzaufsichtsrechtlichen Regulierungs- und Beaufsichtigungspraxis ein Paradigmenwechsel eingeläutet, der an die letztverpflichteten Unternehmensleiter zunehmend erhöhte Anforderungen bezüglich der Entscheidungsprozesse innerhalb der Unternehmen stellt.31 Darüber hinaus umfasst das aufsichtsbehördliche Überprüfungsverfahren quasi auch die gesamten qualitativen Aspekte der Unternehmensleitung, indem beispielsweise auch wesentliche unternehmerische Entscheidungen der aufsichtsbehördlichen Kontrolle unterzogen werden.32 Das Bank- und Versicherungsaufsichtsrecht greift deshalb mehr denn je auch in die gesellschaftsrechtlich geprägte Organisationsverfassung aufsichtsunterworfener Finanzdienstleistungsunternehmen ein. Einerseits werden verbandsrechtliche Einzelregelungen durch spezialgesetzliches Sonderrecht substituiert, andererseits führt die Zunahme allein am öffentlichen Interesse ausgerichteter aufsichtsrechtlicher Einwirkungen zu einem erheblichen Spannungsverhältnis mit Blick auf die grundlegenden Wertungen des Verbandsrechtes.33 Dies unterstreicht zudem die bereits durch das sog. „Gesetz zur Ab29

Vgl. § 25a Abs. 1 Nr. 6 sowie Abs. 5 KWG, sowie die darauf gestützte Verordnung über die aufsichtsrechtlichen Anforderungen an Vergütungssysteme von Instituten vom 16. 12. 2013 (InstitutsVergV), BGBl. I, S. 4270. Zur Parallelregelung im Versicherungsaufsichtsrecht vgl. § 25 VAG und die auf Grund des § 34 Absatz 2 Satz 1 in Verbindung mit Satz 6 des Versicherungsaufsichtsgesetzes vom 1. April 2015 gestützte Verordnung über die aufsichtsrechtlichen Anforderungen an Vergütungssysteme im Versicherungsbereich (Versicherungsvergütungsverordnung – VersVergV), VersVergV vom 18. April 2016, BGBl. I, S. 763. 30 Vgl. Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2013/36/EU über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen und zur Anpassung des Aufsichtsrechts an die Verordnung (EU) Nr. 575/2013 über Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen (CRD IV-Umsetzungsgesetz) vom 28. 08. 2013, BGBl. I S. 3395. 31 Vgl. hierzu bspw. die Regierungsbegründung zur 9. Novelle zur Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes, BT-Drs. 16/6518, S. 1; BaFin, Anschreiben zum Rundschreiben 18/ 2005 v. 20. 12. 2005; vgl. hierzu auch ausführlich unten Kapitel 2, A. sowie Kapitel 3. 32 Vgl. hierzu den durch das CRD-IV-Umsetzungsgesetz zuletzt geänderten § 6b KWG sowie Art. 36 der Solvency-II-Richtlinie, deren Anforderungen durch das Gesetz zur Modernisierung der Finanzaufsicht über Versicherungen in § 294 Abs. 5 VAG in das nationale Recht umgesetzt wurden. 33 So auch Binder, ZGR. 2013, 760, 764.

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schirmung von Risiken und zur Planung der Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Finanzgruppen“ eingeführte Sanierungs- und Abwicklungsplanung, die mit Wirkung zum 01. Januar 2015 ausführlich in einem separaten Sanierungs- und Abwicklungsgesetz geregelt ist.34 Schließlich ist zuletzt die Trennbankenregulierung in den Mittelpunkt der Diskussionen gerückt. Durch die Pflicht zur Trennung von Wertpapier- und sonstigem Bankgeschäft droht das Aufsichtsrecht zunehmend auch auf die unternehmerische Grundausrichtung der Geschäftsstrategie privater Finanzinstitute einzuwirken. Zu befürchten ist, dass Aufsichtsbehörden sich künftig vermehrt auf umfangreiche Ermächtigungsgrundlagen stützen und gegebenenfalls bestimmte Geschäftstätigkeiten komplett verbieten können. Das Universalbankensystem wird infrage gestellt. Somit hat die Trennbankenregulierung das Potential künftig die größte aufsichtsrechtliche Einflussnahme, nicht nur auf die unternehmerische Tätigkeit der Geschäftsleiter bzw. die Geschäftsmodelle aufsichtsunterworfener Banken, sondern auch auf die Binnenorganisation der betroffenen Unternehmen zu haben.35 Erkennbar reagierten die internationale Standardsetzung36 und, in Rezeption derselben, die europäische Regulierung37 durch die Reformbestrebungen der vergangenen Jahre verstärkt auf tatsächliche oder auch vermeintliche Schwächen der Unternehmensführung und Kontrolle der Geschäftsleitung.38 So führte die EUKommission beispielsweise aus: „Nachhaltiges Wachstum ist ohne Verantwortungsbewusstsein und gesundes Risikomanagement im Unternehmen nicht denkbar.“39 Im Ergebnis hat dies zu einer Intensivierung der Finanzaufsicht ge34 Durch Beschluss des Deutschen Bundestages vom 06. 11. 2014 wurde das Sanierungsund Abwicklungsgesetz (SAG) als Teil des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2014/59/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Festlegung eines Rahmens für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Richtlinie 82/891/EWG des Rates, der Richtlinien 2001/24/EG, 2002/47/EG, 2004/ 25/EG, 2005/56/EG, 2007/36/EG, 2011/35/EU, 2012/30/EU und 2013/36/EU sowie der Verordnungen (EU) Nr. 1093/2010 und (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates (BRRD-Umsetzungsgesetz) verabschiedet, BGBl. I, S. 2091. 35 Zwar ist der Rechtsetzungsprozess bzgl. der Trennbankenregulierung bereits eingeleitet und teilweise sogar schon abgeschlossen, doch sind die praktische Umsetzung und die damit verbundenen Auswirkungen gegenwärtig noch nicht absehbar. Vgl. hierzu auch Binder, ZGR 2015, 667, 699 ff. 36 Vgl. bspw. die „Principles for enhancing corporate governance“ (Oktober 2010) die Neufassung unter dem Titel „Corporate Governance principles for banks“ (Juli 2015) des Basler Ausschusses für Bankenaufsicht; OECD, Corporate Governance and the Financial Crisis: Conclusions and Emerging Good Practices to Enhance Implementation of the Principles, 24. 02. 2010; in Bezug auf Vergütungsfragen, vgl. Financial Stability Board, Principles for Sound Compensation Practices and Implementing Standards, 2009. 37 Etwa durch die CRD IV-Richtlinie im Bankensektor oder die Solvency-II-Richtlinie im Versicherungssektor. 38 Vgl. hierzu auch Binder, ZGR 2015, 667 ff. 39 EU-Kommission, Grünbuch Corporate Governance in Finanzinstituten und Vergütungspolitik vom 02. 06. 2010 KOM(2010) 284, endg., S. 2.

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führt, die mit erheblichen Einwirkungen auf unternehmerische Entscheidungen verbunden ist. c) Die Neuausrichtung der Finanzmarktaufsicht Des Weiteren erfuhr das Recht der Beaufsichtigung von Versicherungs- und Bankinstituten durch die Aufsichtsbehörden eine rigorose Reform. aa) Die „European Supervisory Authorities“ So wurde auf europäischer Ebene am 01. 01. 2011 das Europäische System der Finanzaufsicht (European System of Financial Supervision – ESFS) geschaffen. Dieses ist ein Netzwerk, das aus den nationalen Aufsichtsbehörden der 27 EUMitgliedstaaten, den drei europäischen Aufsichtsbehörden (European Supervisory Authorities – ESAs)40 sowie dem Europäischen Ausschuss für Systemrisiken (European Systemic Risk Board – ESRB) besteht. Es zeichnet sich durch zwei verschiedene Aufsichtsbereiche aus: die makroprudentielle und die mikroprudentielle Aufsicht. Die makroprudentielle Aufsicht obliegt dem ESRB. Ziel ist es, für die Abwendung oder Eindämmung von Systemrisiken41 zugunsten der Finanzstabilität zu sorgen.42 Stärker mit der in dieser Arbeit zu untersuchenden Fragestellung verzahnt ist die mikroprudentielle Aufsicht. Ihr obliegt die Solvenz- und Marktaufsicht. Sie wird seit dem 01. 01. 2011 von den ESAs gemeinsam mit den nationalen Behörden wahrgenommen. Letzteren obliegt dabei nach wie vor die eigentliche Bank- und Versicherungsaufsicht.43 Die ESAs sollen hingegen in erster Linie für eine größere Harmonisierung und kohärentere Anwendung von Vorschriften auf Finanzinstitute und -märkte in der Union sorgen.44 Den europäischen Finanzaufsichtsbehörden kommen 40

Dies sind seit dem 01. 01. 2011 die Europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA), die Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersvorsorge (EIOPA) und die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtbehörde (ESMA). 41 Unter Systemrisiken werden dabei Risiken einer Beeinträchtigung für das Finanzsystem verstanden, die das Potential schwerwiegender negativer Folgewirkungen für den Binnenmarkt und die Realwirtschaft beinhalten, vgl. Art. 2 c) S. 1 ESFS-VO. 42 Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1092/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 über die Finanzaufsicht der Europäischen Union auf Makroebene und zur Errichtung eines Europäischen Ausschusses für Systemrisiken (ESFS-VO). Auf globaler Ebene sind der Internationale Währungsfonds (IWF) und der Finanzstabilitätsrat FSB (Financial Stability Board) mit der Überwachung der Risikolage und Risikoentwicklung im weltweiten Finanzsystem befasst. 43 Peters, WM 2014, 396 f. 44 Zu den Aufgaben und Befugnissen der ESAs vgl. ausführlich unten Kapitel 2, B. II. 2. a), bb) (2) sowie Kapitel 2, B. II. 2. b) bb) (2).

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dabei weitreichende Befugnisse zu. Neben der Befugnis zur Entwicklung bzw. zum Entwurf von technischen Regulierungs- und Durchführungsstandards sind dies auf Stufe 3 des Lamfalussy-Verfahrens die Befugnis zum Erstellen von Leitlinien und Empfehlungen45 sowie im Einzelfall die Befugnis zum Erlass von Beschlüssen gegenüber nationalen Aufsichtsbehörden und auch Finanzinstituten46.47 bb) Die Überwachung und Beaufsichtigung des nationalen Bankenund Versicherungssektors durch die BaFin und die EZB (1) Das neue Aufsichtsregime im Bankensektor – Single Supervisory Mechanism (SSM) Bis zum 04. November 2014 lag die unmittelbare Überwachung und Beaufsichtigung von Bank- und Versicherungsunternehmen allein im Kompetenzbereich der nationalen Aufsichtsbehörden. Da die Staatsschuldenkrise in Europa jedoch gezeigt hat, dass allein das ESFS wohl nicht ausreicht, die Finanzstabilität im Euroraum dauerhaft zu gewährleisten, wurde im Bereich des Bankenaufsichtsrechtes durch die Einführung eines einheitlichen europäischen Bankenaufsichtsmechanismus (Single Supervisory Mechanism – SSM)48 ein neues Aufsichtsnetzwerk geschaffen.49 Hierdurch sind der EZB weitreichende Kompetenzen übertragen worden, die bisweilen in den Aufgaben- und Kompetenzbereich der nationalen Aufsichtsbehörden fallen.50 45 Vgl. Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 (EBA-Verordnung), 1094/2010 (EIOPA-Verordnungen), jew. Art. 8 Abs. 2 c) i. V. m Art. 16, Art. 8 Abs. 2 d) i. V. m Art. 17 Abs. 3 und Erwägungsgrund 26 Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 bzw. Erwägungsgrund 25 Verordnung (EU) Nr. 1094/2010. 46 Vgl. ESA-Verordnungen, jew. Art. 8 Abs. 2 e), f). i. V. m Art. 17 Abs. 4; 18 Abs. 3 u. 4; 19 Abs. 3 u. 4. 47 Darüber hinaus steht den europäischen Aufsichtsbehörden auch die Kompetenz zur Abgabe von Stellungnahmen gegenüber Rat, Parlament und Kommission, die Beschaffung von Informationen, die Entwicklung gemeinsamer Methoden sowie die Schaffung einer zentral zugänglichen Datenbank der registrierten Finanzinstitute zu, vgl. ESA-Verordnungen, jew. Art. 8 Abs. 2 g) bis j). Den ESAs kommen somit Kompetenzen im Bereich der Regulierung sowie im Bereich der Beaufsichtigung zu. Vgl. hierzu ausführlich unten Kapitel 2, B. II. 48 Verordnung (EU) Nr. 1024/2013 des Rates vom 15. Oktober 2013 zur Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute auf die Europäische Zentralbank (SSM-VO). 49 Vgl. hierzu ausführlich Berger, WM 2015, 501 ff. 50 Vgl. Schäfer, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, § 6, Rn. 6: Bisweilen konnte „die Einflussnahme der Bundesbank treffend als quantitative Aufsicht, die der BaFin als qualitative Aufsicht bezeichnet“ werden. Nach der neuen Zuständigkeitsordnung bleibt der Aufgabenbereich der Deutschen Bundesbank weitestgehend unberührt, während wesentliche Aufgaben und Befugnisse der BaFin nunmehr von der EZB wahrgenommen werden, vgl. Art. 5 SSM-VO sowie § 7 KWG. Zu den Hauptaufgaben des Mandats der EZB als europäische Bankaufsichtsbehörde vgl. etwa Binder, Banking Union and the Governance of Credit Institutions, SAFE Working Paper No. 96, S. 6 ff.

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Von dem einheitlichen Aufsichtsmechanismus werden grundsätzlich alle Kreditinstitute, Finanzholdinggesellschaften, gemischten Finanzholdinggesellschaften und Finanzkonglomerate erfasst, die in einem teilnehmenden Mitgliedstaat niedergelassen sind.51 Nach Art. 4 der SSM-VO ist die EZB künftig für nahezu den gesamten Bereich der mikroprudentiellen Aufsichtsaufgaben zuständig.52 Lediglich der EZB nicht übertragene Aufsichtsaufgaben sollen weiterhin durch die jeweils zuständigen nationalen Behörden, in Deutschland mithin primär durch die BaFin, wahrgenommen werden.53 Obwohl die SSM-Verordnung der EZB die aufsichtsrechtliche Verantwortung für alle Banken im Geltungsbereich des SSM überträgt, wird die EZB die direkte Aufsicht jedoch nur über die als „bedeutend“ eingestuften Institute übernehmen, vgl. Art. 6 Abs. 4 SSM-VO.54 Für alle anderen Bankinstitute wird grundsätzlich weiter die BaFin zuständig sein, vgl. Art. 6 Abs. 6 SSM-VO.55 Allerdings enthält Art. 6 Abs. 5 SSM-VO wiederum eine Reihe von Ausnahmen bezüglich dieser Zuständigkeitsordnung. Beispielsweise hat die EZB nach Art. 6 Abs. 5 a) SSM-VO die Befugnis, Verordnungen, Leitlinien und allgemeine Anweisungen zu erlassen, auf deren Grundlage die BaFin die Aufsicht ausführen muss. Darüber hinaus hat die EZB nach Art. 6 Abs. 5 b) SSM-VO die jederzeitige Möglichkeit, zur Sicherstellung der kohärenten Anwendung hoher Aufsichtsstandards die Aufsicht auch über weniger bedeutende Institute an sich zu ziehen. Insofern kann bei der EZB von einer mit-

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Nicht in den Anwendungsbereich des SSM fallen hingegen insbesondere bestimmte öffentliche oder als gemeinnützig anerkannte Kreditinstitute, in Deutschland etwa die Kreditanstalt für Wiederaufbau. 52 Beispielsweise wird die EZB die Einhaltung der Eigenkapitalanforderungen und die Angemessenheit des Kapitals im Verhältnis zum Risikoprofil eines Kreditinstituts überwachen und für die Beaufsichtigung auf konsolidierter Basis zuständig sein. 53 Nach Erwägungsgrund 28 der SSM-VO zählen dazu „die Befugnis zur Entgegennahme von Mitteilungen der Kreditinstitute im Zusammenhang mit dem Niederlassungsrecht und der Dienstleistungsfreiheit, die Beaufsichtigung von Einrichtungen, die keine Kreditinstitute im Sinne des Unionsrechts sind, die aber nach nationalem Recht wie Kreditinstitute zu beaufsichtigen sind, die Beaufsichtigung von Kreditinstituten aus Drittländern, die in der Union eine Zweigstelle errichten oder grenzüberschreitend Dienstleistungen erbringen, die Überwachung von Zahlungsdienstleistungen, die Durchführung der täglichen Überprüfung von Kreditinstituten, die Wahrnehmung der Funktionen der zuständigen Behörden in Bezug auf Kreditinstitute hinsichtlich der Märkte für Finanzinstrumente und die Bekämpfung des Missbrauchs des Finanzsystems für Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung sowie der Verbraucherschutz.“ 54 Als bedeutend gelten nach der Verordnung stets Institute, deren konsolidierte Bilanzsumme 30 Mrd. E übersteigt; deren konsolidierte Bilanzsumme mindestens 5 Mrd. E beträgt und mehr als 20 % des Bruttoinlandsprodukts des Mitgliedstaates entspricht, in dem sie ihre Niederlassung haben; oder für die öffentliche Finanzhilfen durch die ESFS oder den ESM direkt beantragt oder entgegengenommen wurden. Vgl. ergänzend auch Teil IV der SSM-Rahmenverordnung. Dieser Abschnitt enthält weitere umfangreiche Regelungen zur Bestimmung der Institute als „bedeutend“. 55 Der SSM zeichnet sich insofern dadurch aus, dass dieser Aufsichtsansatz stärker durch quantitative Elemente geprägt ist, als dies bisher der Fall war.

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telbaren Aufsicht aller europäischen Banken gesprochen werden.56 Somit erfolgte de lege lata zumindest im Bankensektor ein wesentlicher struktureller Umbruch von der bis dato national und dezentral organisierten Bankenaufsicht hin zu einem einheitlichen europäisch geprägten Aufsichtsmechanismus, in dem die nationalen Aufseher unter Leitung der EZB gemeinsam Aufsicht betreiben.57 Übergeordnetes Ziel dieser Entwicklung ist es, der Aufsicht einen umfassenden, grenzüberschreitenden Überblick über Risiken in der europäischen Bankenunion zu gewähren und einheitliche Aufsichtsstandards in den teilnehmenden EU-Mitgliedstaaten zu schaffen.58 Die EZB hat im Rahmen des Anwendungsbereiches des SSM dieselben Befugnisse, die den nationalen Aufsichtsbehörden auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsakte des Unionsrechts zugewiesen wurden. Nach Art. 9 Abs. 1 SSM-VO gilt sie insoweit als „zuständige“ oder „benannte“ Behörde. Stehen den nationalen Aufsichtsbehörden nach nationalem Recht Befugnisse zu, die der EZB nicht übertragen wurden, kann diese im Rahmen der ihr im SSM obliegenden Aufgaben die nationalen Aufsichtsbehörden nach Art. 9 Unterabs. 3 SSM-VO anweisen, von diesen Befugnissen Gebrauch zu machen.59 Im Rahmen des SSM besteht ein umfassendes Kooperationsverhältnis zwischen der EZB und den nationalen Behörden, den ESAs sowie dem Europäischen Ausschuss für Systemrisiken (ESRB) und den anderen Behörden, die Teil des ESFS sind und in der Union für eine angemessene Regulierung und Beaufsichtigung sorgen.60 (2) Versicherungsaufsicht durch die BaFin Im Gegensatz zum Bankenaufsichtsrecht gibt es gegenwärtig im Versicherungssektor noch keine europaweit einheitlichen Aufsichtsmechanismen. Die eigentliche Aufsicht über nationale Versicherungsunternehmen obliegt insoweit unabhängig von Größe und Bedeutung nach wie vor der BaFin. Beispielsweise sammelt sie Informationen, wertet sie aus und beobachtet den Geschäftsbetrieb des Versicherers, um Missständen vorzubeugen oder solche rechtzeitig zu erkennen.61 Treten Missstände auf, schreitet die Aufsichtsbehörde, ggf. unter Zuhilfenahme ihres um56

Vgl. Peters, WM 2014, 396, 399. König, BB Die erste Seite 2015, Nr. 3. 58 Vgl. ausführlich zum Zielprogramm Binder, ZBB 2013, 297 ff. 59 Vgl. zu den weiteren Befugnissen der EZB unten Kapitel 1, B. III. 60 Vgl. insbesondere Art. 3 und 6 SSM-VO. Darüber hinaus enthält die SSM-Rahmenverordnung nähere Bestimmungen in Bezug auf die Zusammenarbeit der verschiedenen Aufsichtsbehörden innerhalb des SSM. Des Weiteren arbeitet die EZB mit den nationalen Aufsichtsbehörden der nicht am SSM teilnehmenden Mitgliedstaaten sowie – unter Beachtung der internationalen Aufgaben der EBA – mit internationalen Organisationen wie der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF), dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) oder dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und den Aufsichtsbehörden und Verwaltungen von Drittstaaten zusammen, vgl. Art. 7 und 8 SSM-VO. 61 BaFin, Die BaFin stellt sich vor, S. 5. 57

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fassenden Einflussnahme-, Sanktions- und Maßnahmeninstrumentariums, ein, um möglichst schnell wieder geordnete Verhältnisse herzustellen.

II. Zielsetzung der Untersuchung Wie sich im Rahmen der in Kapitel 1 folgenden Bestandsaufnahme ausgewählter regulatorischer Bespiele des Aufsichtsrechtes zeigen wird, stellt der gegenwärtige Regulierungs- und Beaufsichtigungstrend die Leitungsorgane aufsichtsunterworfener Unternehmen zunehmend vor neue Herausforderungen. Zum einen führt die massive Ausdehnung prinzipienartig formulierter Geschäftsleiterpflichten zu einer größeren unternehmerischen Freiheit der letztverantwortlich handelnden Leitungsorgane und mithin gleichsam zu gesteigerten Haftungsgefahren bei der Auslegung und Anwendung derartiger Vorgaben. Andererseits greift das Aufsichtsrecht mehr denn je in die gesellschaftsrechtlich geprägte Organisationsverfassung privatrechtlich strukturierter Bank- und Versicherungsunternehmen ein. Das Gewinnstreben privater Finanzmarktakteure soll in Wahrnehmung ihrer verfassungsrechtlich geschützten Unternehmens- bzw. Berufs- und Eigentumsfreiheiten auf eigene Chance und eigenes Risiko erfolgen, ohne dass der Steuerbürger für etwaige Fehler derselben einzustehen hat.62 Dieses Spannungsverhältnis zwischen der unternehmerischen Gestaltungsfreiheit, der verbandsrechtlichen Pflichten- und Kompetenzordnung und der aufsichtsrechtlichen Regulierung und Beaufsichtigung wirft eine Vielzahl von Fragestellungen auf, die in dieser Arbeit anhand ausgewählter Beispiele aus dem Banken- und Versicherungssektor herauszuarbeiten und zu analysieren sind. Mit den Untersuchungen in dieser Arbeit wird deshalb das Ziel verfolgt, verlässliche praxisrelevante Entscheidungsleitlinien für die Geschäftsleiter zu entwickeln, um den neuen aufsichtsrechtlichen Herausforderungen gerecht zu werden. Zu diesem Zweck werden zunächst in Kapitel 1 aktuelle Regulierungs- und Beaufsichtigungstrends und deren Auswirkungen auf die aufsichtsunterworfenen Bank- und Versicherungsunternehmen bzw. deren Geschäftsleiter einer Analyse unterzogen. In Kapitel 2 wird es sodann um die Untersuchung des prinzipiengeleiteten Regulierungstrends gehen. Vordergründig werden dazu die Auswirkungen dieses vom Gesetzgeber gewählten Regelungsansatzes auf die Handlungsautonomie der Geschäftsleiter sowie auf die haftungsrechtlichen Gefahren für dieselben eruiert. Schließlich wird in Kapitel 3 der Versuch unternommen, verlässliche praxisrelevante Entscheidungsleitlinien für die Geschäftsleiter zu entwickeln, um den neuen aufsichtsrechtlichen Herausforderungen gerecht zu werden. Hierbei wird insbesondere zwischen den prozeduralen Anforderungen im Hinblick auf die Auslegung und Anwendung prinzipienartig geregelter aufsichtsgesetzlicher Vorgaben unter 62 Höfling, Gutachten F zum 68. DJT, 2010, F 58; P. Kirchhof, in: Depenheuer, Eigentumsverfassung und Finanzkrise, 2009, S. 7, 9.

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Rechtsunsicherheit und den Verhaltensanforderungen nach erfolgter informeller wie formeller aufsichtsbehördlicher Einflussnahme zu unterscheiden sein.

III. Begriffsbestimmungen 1. Aufsichtsunterworfene Bank- und Versicherungsunternehmen In dieser Arbeit wird an vielen Stellen allgemein von sog. „aufsichtsunterworfenen Bank- und Versicherungsunternehmen“ gesprochen. Im Gegensatz zum allgemeinen Verbands- bzw. Gesellschaftsrecht ist das Bank- und Versicherungsaufsichtsrecht branchenunabhängig ausgestaltet. Das Kreditwesengesetz sowie das Versicherungsaufsichtsgesetz sind rechtsformunabhängig konzipiert.63 Beispielsweise umfasst der sachliche Anwendungsbereich des KWG Kredit- und Finanzdienstleistungsinstitute in Form von Kapitalgesellschaften, Personengesellschaften, Genossenschaften, Stiftungen oder auch Anstalten des öffentlichen Rechtes.64 Auch § 1 Abs. 1 VAG knüpft lediglich allgemein an Unternehmen an, die den Betrieb von Versicherungsgeschäften zum Gegenstand haben und nicht Träger der Sozialversicherung sind, ohne von vornherein den Anwendungsbereich auf eine bestimmte Rechtsform zu beschränken. Im Rahmen der nachfolgenden Untersuchungen wird jedoch häufig das bereits angesprochene Spannungsverhältnis zwischen Aufsichtsund Gesellschafts- bzw. Verbandsrecht Gegenstand wesentlicher Untersuchungen sein. Sofern also in dieser Arbeit von aufsichtsunterworfenen (Bank- und Versicherungs-)Unternehmen die Rede ist, sind hierunter solche in der Rechtsform der Aktiengesellschaft gemeint. Demzufolge ist unter Verbands- bzw. Gesellschaftsrecht das Aktienrecht auf der Grundlage des Aktiengesetzbuches zu verstehen. 2. Die „jeweils zuständige Aufsichtsbehörde“ Sofern im Laufe der weiteren Ausführungen allgemein von der oder den „Aufsichtsbehörden“ bzw. von den „jeweils zuständigen Aufsichtsbehörden“ die Rede ist und dieselben nicht ausdrücklich mit ihrer spezifischen Bezeichnung genannt werden, ist zu differenzieren. Handelt es sich bei dem aufsichtsunterworfenen Bankunternehmen um ein nach den oben genannten Kriterien als „bedeutend“ eingestuftes Institut und/oder obliegt die spezifische Aufsichtsaufgabe bzw. Aufsichtsbefugnis nunmehr nach der SSM-VO der EZB, so ist mit der oder den „Aufsichtsbehörden“ bzw. den „jeweils zuständigen Aufsichtsbehörden“ die EZB gemeint.65 In Fällen, in 63 Vgl. etwa Brogl, in: Reischauer/Kleinhans, KWG-Kommentar, Erg.-Lfg. 3/14, § 1, S. 22 ff., Anm. 10. 64 Vgl. hierzu ausführlich Rümker/Winterfeld, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, § 124. 65 Vgl. zum Zuständigkeitsbereich der EZB nochmals ausführlich oben Einführung, I. 2. c) bb).

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denen die spezifische Aufsichtsaufgabe bzw. Aufsichtsbefugnis nach wie vor den national zuständigen Aufsichtsbehörden obliegt, sowie allgemein im Bereich des Versicherungsaufsichtsrechtes ist damit die BaFin gemeint.

Kapitel 1

Bestandsaufnahme ausgewählter aufsichtsrechtlicher (Neu-)Regelungen Aufgrund der durch die Finanzkrise offengelegten Mängel und Schwächen1 erfuhr das qualitative Aufsichtsrecht in den vergangenen Jahren durch zahlreiche Reformen wie beispielsweise durch das CRD-IV-Paket, das Trennbankengesetz, das BRRD-Umsetzungsgesetz sowie durch Solvency II weitreichende Veränderungen. Nachfolgend gilt es deshalb, im Rahmen einer Bestandsaufnahme anhand ausgewählter Beispiele aus dem Bereich der internen Corporate Governance aufsichtsunterworfener Bank- und Versicherungsunternehmen den gegenwärtigen Regulierungstrend und damit verbundene Problemfelder darzustellen und näher zu konturieren. Die dadurch gewonnenen Ergebnisse sollen schließlich als Grundlage für die weiteren Untersuchungen in dieser Arbeit (in Kapitel 2 und Kapitel 3) in Bezug auf das Spannungsfeld zwischen der unternehmerischen Gestaltungsfreiheit und der aufsichtsrechtlichen Regulierung dienen. Zunächst einmal wird aufzuzeigen sein, dass im aufsichtsunterworfenen Bankenund Versicherungssektor eine beträchtliche Überlagerung mit allgemeinen verbandsrechtlichen Pflichtenkatalogen festzustellen ist (vgl. hierzu nachfolgend „A. I.“). Exemplarisch wird hier insbesondere auf die aufsichtsspezifische Verdichtung und Modifikation von Organisations- und Überwachungspflichten einzugehen sein. Diese sind, wie sich zeigen wird, durch eine Vielzahl an unbestimmt formulierten Begrifflichkeiten gekennzeichnet. Der „prinzipienbasierte Regulierungstrend“ führt dabei zunehmend zu dem Paradoxon, dass die Handlungsautonomie der Geschäftsleiter einerseits erweitert und zugleich – aufgrund steigender Rechtsunsicherheitsmomente – faktisch verkürzt wird, indem die Haftungsgefahren für die Leitungsorgane steigen und zunehmend ein Interaktionsprozess zwischen aufsichtsunterworfenem Unternehmen und zuständiger (Aufsichts-)Behörde stattzufinden hat. Anschließend werden die Entwicklungen in Bezug auf diverse Geschäftsleiterpflichten in bzw. zur Prävention einer Unternehmenskrise näher zu untersuchen sein. Hierfür eignen sich insbesondere die neu eingeführten Regelungen zur Sanierungsund Abwicklungsplanung durch das BRRD-Umsetzungsgesetz, die erhebliches Konfliktpotential eröffnen (vgl. hierzu nachfolgend „A. II.“).2 Zum einen wird der 1

Vgl. zu den Ursachen und Lehren der Finanzkrise nochmals oben Einführung, I. De lege lata gibt es noch keine vergleichbaren gesetzlichen Vorgaben im Versicherungssektor. Allerding unterliegen auch systemrelevante Versicherer bereits jetzt den entsprechenden Vorgaben des FSB zur Sanierungs- und Abwicklungsplanung, vgl. hierzu unten in 2

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Kap. 1: Bestandsaufnahme ausgewählter aufsichtsrechtlicher (Neu-)Regelungen

krisenbezogene Pflichtenkatalog für Geschäftsleiter aufsichtsunterworfener Unternehmen ausgeweitet, indem diese nunmehr im Krisenfall unmittelbar für die Erstellung, die Implementierung und die Aktualisierung des Sanierungsplans sowie für dessen Umsetzung in die Verantwortung genommen werden. Zum anderen eröffnet der den jeweils zuständigen Behörden zustehende Beurteilungs- und Ermessensspielraum bei der Bewertung der Sanierungspläne bzw. bei der Bewertung der Abwickelbarkeit betroffener Institute und Gruppen in Verbindung mit den umfassenden Maßnahmebefugnissen erhebliche Spannungsfelder, was die verbandsrechtliche Pflichten- und Kompetenzordnung betrifft. Des Weiteren sind die Intensivierungen im Bereich der aufsichtsbehördlichen Kontrolle und damit verbunden das gesteigerte aufsichtsbehördliche Einflussnahmepotential zu untersuchen (vgl. hierzu nachfolgend „B.“). Auch diese führen zunehmend zu einem Konflikt mit der verbandsrechtlichen Pflichten- und Kompetenzenordnung. Diese teils sehr grundrechtsintensiven Einwirkungsmöglichkeiten führen schließlich zu weiteren Spannungen im Hinblick auf die autonome Geschäftsleitertätigkeit. Schließlich erfährt der Bankensektor gegenwärtig durch die sog. „Trennbankenregulierung“ weitere die unternehmerische Handlungsautonomie einschränkende Regulierungsmaßnahmen (vgl. hierzu nachfolgend „C.“). Hierdurch droht die grundlegende Geschäftsstrategie von betroffenen Bankinstituten wesentlich durch Vorgaben von Gesetzesrang beeinflusst zu werden. Weite diskretionäre Ermessensspielräume von den jeweils zuständigen Aufsichtsbehörden führen darüber hinaus zu einer immer mehr erforderlichen Interaktion zwischen aufsichtsunterworfenen Unternehmen und den jeweils zuständigen Aufsichtsbehörden.

A. Zunahme aufsichtsrechtlicher Geschäftsleiterpflichten I. Aufsichtsspezifische Verdichtung allgemeiner verbandsrechtlicher Geschäftsleiterpflichten durch prinzipienbasierte Vorgaben 1. Geschäftsorganisationspflichten Zu den zentralen Geschäftsleiterpflichten im Bereich der internen Corporate Governance gehören insbesondere die organisatorischen Anforderungen in Bezug auf die Geschäftsorganisation der Gesellschaft.

diesem Kapitel A. II. 3. Darüber hinaus legte die EU-Kommission bereits im Jahr 2012 ein entsprechendes Konsultationspapier bzgl. einer Ausdehnung des Abwicklungsregimes auf andere Finanzinstitute als Banken vor, vgl. EU-Kommission, DG Binnenmarkt und Dienstleistungen, Consultation on a possible recovery and resolution framework for financial institutions other than banks, 5. 10. 2012.

A. Zunahme aufsichtsrechtlicher Geschäftsleiterpflichten

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a) § 91 Abs. 2 AktG Neben dem allgemeinen Pflichtengehalt, den der Vorstand im Rahmen seiner Organisationsverantwortung als Ausfluss der allgemeinen Leitungspflicht nach § 76 Abs. 1 AktG zu erfüllen hat, kommt in diesem Zusammenhang insbesondere auch der aktienrechtlichen Grundnorm nach § 91 Abs. 2 AktG elementare Bedeutung zu.3 Mit der Einführung dieser Vorschrift hat der Gesetzgeber durch das KonTraG4 auf die zahlreichen Unternehmenskrisen in den Neunzigern reagiert und die Vorgabe eines Ziels für die Organisation, nämlich die frühzeitige Erkennung von bestandsgefährdenden Entwicklungen sowie deren Umsetzung durch geeignete Maßnahmen, wie insbesondere durch ein Überwachungssystem, gesetzlich normiert.5 Auf der ersten Stufe des § 91 Abs. 2 AktG ist der Vorstand zunächst dazu verpflichtet, die Früherkennung bestandsgefährdender Entwicklungen durch geeignete Maßnahmen zu gewährleisten, wobei unter „Entwicklungen“ unternehmensspezifische nachteilige Veränderungen6 zu verstehen sind, die sich bestandsgefährdend, mithin auf die Vermögens-, Ertrags- oder Finanzlage der AG in negativer Hinsicht wesentlich auswirken können.7 Auf der zweiten Stufe wird ein Überwachungssystem vorgeschrieben, mit dessen Hilfe überprüft werden soll, ob die eingeleiteten Maßnahmen auf der ersten Stufe eingehalten werden.8 Im Einzelnen äußerst umstritten ist jedoch die Frage, was unter dem in § 91 Abs. 2 AktG „insbesondere“ vorgeschriebenen Überwachungssystem zu verstehen ist. Teilweise wird hieraus die Verpflichtung zur Errichtung eines „Risk Managements“ gefolgert9, während die wohl ganz h. M. davon ausgeht, dass es vielmehr im Ermessen des Leitungsorganes steht, ob ein solches „allgemeines Risikomanagementsystem“ einzurichten ist10.

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Binder, ZGR 2013, 760, 767 f.; vgl. hierzu allgemein Fleischer, in: Spindler/Stilz, Aktiengesetz, § 76, Rn. 15 ff. und § 91, Rn. 29 ff.; Kort, in: Großkommentar zum Aktiengesetz, § 76, Rn. 35; Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, § 93, Rn. 67, 83. 4 Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich vom 27. 04. 1998, BGBI. I, S. 786. 5 Spindler, in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, § 91 Rn. 15. 6 Blasche, CCZ 2009, 62, 63; J. Hüffer, in: FS Imhoff, 1998, S. 91, 98 f.; Seibert, in: FS Bezzenberger, 2000, S. 427, 437. 7 BT-Drs. 13/9712, S. 15. 8 Müller-Michaels, in: Hölters, Aktiengesetz, § 91, Rn. 9. 9 Berg, AG 2007, 271; Lück, DB 1998, 8 f.; ders., DB 1998, 1925; Preußner/Becker, NZG 2002, 846, 848 ff. 10 Fleischer, in: Spindler/Stilz, Aktiengesetz, § 91, Rn. 34 ff.; Kort, in: Großkommentar zum Aktiengesetz, § 91, Rn. 51, 55 ff.; Spindler, in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, § 91, Rn. 20 ff.; Baums, ZGR 2011, 218, 272 f.; Blasche, CCZ 2009, 62, 64; Bunting, ZIP 2012, 357, 358; Dreher, in: FS Hüffer, 2010, S. 161, 162 ff.

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Kap. 1: Bestandsaufnahme ausgewählter aufsichtsrechtlicher (Neu-)Regelungen

b) Aufsichtsrechtliche Spezifizierungen, § 25a KWG/§§ 23 ff. VAG Weitaus detaillierter und komplexer sind die Geschäftsorganisationspflichten im aufsichtsunterworfenen Banken- und Versicherungssektor ausgestaltet. Im Bereich des Bankenaufsichtsrechtes ergeben sich diesbezügliche Geschäftsleiterpflichten primär aus § 25a sowie aus § 25c Abs. 3 – 5 KWG. Insbesondere durch das jüngst erfolgte Gesetz zur Umsetzung der europarechtlichen CRD-IV-Richtlinie erfuhr diese Vorschrift eine redaktionelle11 Neufassung, deren Vorgaben durch das „Trennbankengesetz“ weiter verdichtet wurden. Das versicherungsrechtliche Pendant hierzu stellte bis vor kurzem § 64a VAG dar. Mit Wirkung zum 01. Januar 2016 wurden die versicherungsrechtlichen Geschäftsorganisationsvorgaben durch das „Gesetz zur Modernisierung der Finanzaufsicht über Versicherungen“12 nunmehr in einem eigenen Abschnitt 3 (§§ 23 – 34 VAG) richtliniengetreu neu formuliert13 und teilweise ergänzt.14 Inhaltliche Veränderungen ergeben sich insoweit lediglich hinsichtlich der Einstufung des internen Kontrollsystems als Teil des Risikomanagements.15

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Vgl. hierzu BR-Drs. 510/12, S. 139 ff. Vgl. ausführlich zum CRD-IV-Maßnahmenpaket Hanten, in: Reischauer/Kleinhans, KWG-Kommentar, Erg.-Lfg. 1/15, § 1 Vorbem. S. 1 ff. 12 Gesetz zur Modernisierung der Finanzaufsicht über Versicherungen vom 01. April 2015, BGBl. I S. 434. Durch das „Gesetz zur Modernisierung der Finanzaufsicht über Versicherungen“ ist im Versicherungsaufsichtsrecht mit Wirkung zum 01. Januar 2016 eine weitestgehend identische Umsetzung der Solvency-II-Richtlinie in das nationale Recht erfolgt, die künftig durch ausführliche Governance-Vorgaben in Form von Rechtsakten der Kommission oder Rechtsverordnungen ergänzt werden, vgl. BT-Drs. 18/2956, S. 239. 13 Durch die Neuregelungen in Bezug auf die Geschäftsorganisation wurde das Ziel verfolgt, die dort formulierten Pflichten im Gegensatz zur Vorgängervorschrift des § 64a VAG inhaltlich zu verfeinern, vgl. BT-Drs. 18/2956, S. 238. Die organisatorische Umsetzung von Geschäftsorganisationsvorgaben erfolgt darüber hinaus nunmehr durch sog. „GovernanceFunktionen“, vgl. Erwägungsgrund 30 der Solvency-II-Richtlinie. Unter den Funktionen wird dabei eine interne Kapazität innerhalb der Geschäftsorganisation zur Übernahme praktischer Aufgaben verstanden. Die in der Solvency-II-Richtlinie angesprochenen vier Funktionen gelten als sog. „Schlüsselfunktionen“ und damit auch als wichtige und kritische Funktionen, vgl. Erwägungsgrund 33 der Solvency-II-Richtlinie. Versicherungsunternehmen müssen deshalb nunmehr die Einhaltung der rechtlichen Vorgaben durch die „Compliance-Funktion“ als Teil des internen Kontrollsystems im gesamten Unternehmen sicherstellen (§ 29 VAG bzw. Art. 46 Solvency-II-Richtlinie), durch das „Risikomanagement“ sämtliche Risiken einschließlich aller Rechtsrisiken in einem einheitlichen System erfassen und steuern (§ 26 VAG bzw. Art. 44 Solvency-II-Richtlinie), durch die „interne Revision“ alle Unternehmensbereiche im Hinblick auf mögliche Rechtsverstöße überprüfen (§ 30 VAG bzw. Art. 47 Solvency-II-Richtlinie) sowie eine versicherungsmathematische Funktion errichten (§ 31 VAG bzw. Art. 48 Solvency-IIRichtlinie). 14 Vgl. BT-Drs. 18/2956, S. 238 f. 15 Diese Anforderung ist nun in § 29 VAG geregelt und stellt somit keinen Unterfall des Risikomanagements mehr dar. Stattdessen ist die sog. „Risiko- und Solvabilitätsbeurteilung“ (Own Risk and Solvency Assessment) als neue Aufgabe des Risikomanagements hinzugekommen.

A. Zunahme aufsichtsrechtlicher Geschäftsleiterpflichten

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aa) Aufsichtsrechtliche Organisationsvorgaben als Ausdruck des prinzipiengeleiteten Regulierungstrends Im Rahmen der aufsichtsspezifischen Organisationsvorgaben kommt der seit geraumer Zeit eingeleitete Paradigmenwechsel – weg von einem ursprünglich regelbasierten Regulierungskonzept hin zu einem auf Prinzipien basierenden Regulierungsansatz – besonders deutlich zum Ausdruck. (1) Normierung von konkreten aufsichtsspezifischen Zielvorgaben und abstrakt gehaltenen Organisations- bzw. Verhaltensangaben § 25a KWG bzw. §§ 23 ff. VAG normieren an vielen Stellen aufsichtsrechtliche Zielvorgaben, die jeweils durch ein oder mehrere abstrakt formulierte Verhaltensangaben ergänzt werden.16 So begründet beispielsweise § 25a Abs. 1 Satz 1 und 2 KWG für den Bankensektor die Geschäftsleiterverantwortung in Bezug auf eine „ordnungsgemäße Geschäftsorganisation“ (abstrakte Verhaltens-/Organisationsvorgabe), „die die Einhaltung der vom Institut zu beachtenden gesetzlichen Bestimmungen und der betriebswirtschaftlichen Notwendigkeiten gewährleistet“ (bankaufsichtsrechtliche Zielvorgabe des § 25a KWG). Parallel hierzu muss gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 VAG die versicherungsrechtliche „Geschäftsorganisation“ (abstrakte Verhaltensvorgabe) „neben der Einhaltung der von den Versicherungsunternehmen zu beachtenden Gesetze, Verordnungen und aufsichtsbehördlichen Anforderungen“ auch „eine solide und umsichtige Leitung des Unternehmens gewährleisten“ (aufsichtsrechtliche Zielvorgaben). Nach Satz 3 gehört hierzu neben der Einhaltung aller aufsichtsrechtlichen Anforderungen in Bezug auf die Geschäftsorganisation insbesondere auch „eine angemessene, transparente Organisationsstruktur mit einer klaren Zuweisung und einer angemessenen Trennung der Zuständigkeiten sowie ein wirksames unternehmensinternes Kommunikationssystem“ (abstrakte Verhaltensvorgaben). Dieses Spezifikum des prinzipiengeleiteten Regulierungstrends zieht sich wie ein „roter Faden“ durch die gesamten aufsichtsrechtlichen Organisationsanforderungen.17 (2) Konkretisierung einzelner Organisationsvorgaben durch zahlreiche unbestimmte Rechtsbegriffe Im Gegensatz zur aktienrechtlichen Grundnorm werden die zur Umsetzung der jeweiligen aufsichtsspezifischen Zielvorgabe erforderlichen Organisationsanforderungen durch zahlreiche aufsichtsrechtliche Geschäftsleiterpflichten konkretisiert. Auffallend, und wiederum Ausdruck des auf Prinzipien beruhenden Aufsichtsrechts 16

Vgl. hierzu auch Wundenberg, Compliance, S. 48 ff. So muss eine ordnungsmäßige Geschäftsorganisation nach § 25a Abs. 1 Satz 3 KWG beispielsweise „ein angemessenes und wirksames Risikomanagement umfassen“ (abstrakte Verhaltensvorgabe), „auf dessen Basis ein Institut die Risikotragfähigkeit laufend sicherzustellen hat“ (aufsichtsrechtliche Zielvorgabe). 17

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Kap. 1: Bestandsaufnahme ausgewählter aufsichtsrechtlicher (Neu-)Regelungen

ist deren hohes Abstraktionsniveau.18 So muss beispielsweise ein angemessenes und wirksames Risikomanagement als Teil der ordnungsgemäßen Geschäftsorganisation insbesondere die Festlegung von Strategien (§ 25a Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 KWG), ein Verfahren zur Ermittlung und Sicherstellung der Risikotragfähigkeit (§ 25a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 KWG), die Einrichtung interner Kontrollverfahren mit einem internen Kontrollsystem und einer Internen Revision (§ 25a Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 KWG), eine angemessene personelle und technisch-organisatorische Ausstattung des Instituts (§ 25a Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 KWG) sowie die Festlegung eines angemessenen Notfallkonzepts, insbesondere für „IT-Systeme“ (§ 25a Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 KWG), umfassen.19 Die bankaufsichtsrechtlichen Organisationsvorgaben nach § 25a KWG haben darüber hinaus jüngst weitere überaus detaillierte und komplexe Erweiterungen erfahren, indem durch die Einführung des § 25c KWG aufsichtsrechtliche Geschäftsleiterpflichten mit Blick auf die Leitungsfunktion sowie einzelne weitere Organisationspflichten gesetzlich kodifiziert wurden.20 Kennzeichnend ist wiederum, dass der Gesetzgeber trotz der hohen Regelungsdichte auf eine Vielzahl von unbestimmt formulierten Begrifflichkeiten, wie beispielsweise „geeignetes“ internes Steuerungs- und Kontrollsystem, „ausreichende“ unternehmensinterne Kommunikation, „aussagefähige“ Berichterstattung, „angemessene“ und „transparente“ Unternehmensstruktur, „angemessene“ Stresstests oder auch „angemessene“ Verfahren und Konzepte, zurückgegriffen hat. Diese exemplarisch dargestellten gesetzlich normierten Anforderungen können nicht gänzlich isoliert betrachtet werden, sondern bedingen sich teilweise gegen18

Vgl. hierzu auch Binder, ZGR 2015, 667, 702 f. Ein wirksames Risikomanagementsystem muss nach § 26 Abs. 1 S. 2 VAG (ähnlich der bankenspezifischen Pendantregelung) „die Strategien, Prozesse und internen Meldeverfahren umfassen, die erforderlich sind, um Risiken, denen das Unternehmen tatsächlich oder möglicherweise ausgesetzt ist, zu identifizieren, zu bewerten, zu überwachen und zu steuern sowie aussagefähig über diese Risiken zu berichten.“ 20 Durch das CRD-IV-Umsetzungsgesetz sowie das Gesetz zur Abschirmung von Risiken und zur Planung der Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Finanzgruppen wurden in § 25c KWG umfangreiche Vorgaben in Bezug auf die aufsichtsrechtlichen Geschäftsleiterpflichten aus der CRD IV und der CRR sowie wesentliche Mindestanforderungen der Bundesanstalt und aus den „EBA Guidelines on Internal Governance“ in das deutsche Bankenaufsichtsrecht übernommen. Parallel hierzu wurden aufgrund des am 13. 08. 2013 in Kraft getretenen Gesetzes zur Abschirmung von Risiken und zur Planung der Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Finanzgruppen auch im Bereich des Versicherungsaufsichtsrechtes konkrete Leitlinien für eine ordnungsgemäße Geschäftsorganisation und ein angemessenes und wirksames Risikomanagement in einem neuen Abs. 7 des § 64a VAG aufgenommen. Damit wurden im Wesentlichen die aus dem Rundschreiben 3/2009 der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen (BaFin) „Mindestanforderung an das Risikomanagement (MaRisk VA)“ konkretisierten „Compliance“-Vorschriften, gesetzlich kodifiziert. Allerdings wurde § 64a Abs. 7 VAG nicht wörtlich in das neue VAG übernommen. Gemäß der neuen Konzeption des VAG, die darauf zielt, Detailregelungen nicht mehr im VAG zu formulieren, sollen derartige Vorgaben künftig in den delegierten Rechtsakten der Kommission oder in Rechtsverordnungen geregelt werden, vgl. BT-Drs. 18/2956, S. 239. 19

A. Zunahme aufsichtsrechtlicher Geschäftsleiterpflichten

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seitig und stellen in der Zusammenschau wesentliche aufsichtsrechtliche Mindestanforderungen in Bezug auf die Ordnungsmäßigkeit der Geschäfts- bzw. Unternehmensführung dar,21 die darüber hinaus durch die von der BaFin formulierten und veröffentlichten „Mindestanforderungen an das Risikomanagement“ (kurz: „MaRisk“) oder auch durch diverse „Auslegungsentscheidungen“22 und mithin durch untergesetzliche Verwaltungsvorschriften konkretisiert werden.23 Trotz einzelner spezifischer Unterschiede können die hier dargestellten aufsichtsrechtlichen Vorgaben aus Bank- und Versicherungsaufsichtsrecht hinsichtlich Umfang und Detaillierungsgrad durchaus miteinander verglichen werden.24 bb) Erweiterung der Geschäftsleiterverantwortung Die dargestellten spezialgesetzlich normierten Anforderungen an eine ordnungsgemäße Geschäftsorganisation haben sich in den vergangenen Jahren mithin zu einem äußerst komplexen und aufgrund der hohen Regelungsdichte nur schwer zu durchleuchtenden Pflichtenkatalog entwickelt. Der auf Prinzipien basierende Regulierungs- und Beaufsichtigungstrend impliziert eine Vielzahl von abstrakt formulierten Vorgaben an die Geschäftsorganisation, ohne jedoch weiter gehende betriebswirtschaftliche Anforderungen, wie z. B. die Ziele der Effektivität und Effizienz des Wirtschaftens, die renditeorientierte Unternehmensführung oder die Steigerung des Shareholder Value, zu berücksichtigen.25 Verantwortlich für die Umsetzung dieser qualitativen Vorgaben sind die Geschäftsleiter aufsichtsunterworfener Unternehmen, vgl. § 25a Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 25c Abs. 3 Nr. 4 KWG, § 23 Abs. 2 VAG. Rechtlich gesehen handelt es sich hierbei

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So in Bezug auf § 25a KWG jedoch hinsichtlich der versicherungsrechtlichen Pendantvorschriften verallgemeinerungsfähig Braun/Wolfgarten, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, § 25a, Rn. 28 f. 22 Mit dem Inkrafttreten des neuen Versicherungsaufsichtsgesetzes am 1. Januar 2016 und der damit verbundenen Umsetzung der Solvency-II-Richtlinie ist die bisherige Rechtsgrundlage für die MaRisk VA entfallen, weshalb das Rundschreiben 3/2009 zu den aufsichtsrechtlichen Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk VA) mit Ablauf des 31. Dezember 2015 aufgehoben wurde. Die BaFin führt die einschlägigen zur Vorbereitung auf Solvency II erstellten Veröffentlichungen zur Geschäftsorganisation und vorausschauenden Beurteilung der eigenen Risiken ab 1. Januar 2016 als Auslegungsentscheidungen fort und wird diese künftig kontinuierlich weiterentwickeln. Die Auslegungsentscheidungen betreffen zwar nur die unter Solvency II fallenden Unternehmen, die BaFin erwartet jedoch auch von den anderen Unternehmen, dass sie mindestens die bisherigen Anforderungen erfüllen. Die BaFin wird aufgrund der Erfahrungen des Jahres 2016 prüfen, ob und inwieweit für die nicht von Solvency II erfassten Unternehmen eigenständige Hinweise angezeigt sind. Vgl. hierzu https:// www.bafin.de/DE/Aufsicht/VersichererPensionsfonds/Governance/governance_artikel.html. 23 Binder, ZGR 2013, 760, 767. 24 Vgl. beispielsweise auch Louven/Raapke, VersR 2012, 257, 262; Armbrüster, VersR 2009, 1293. 25 Braun/Wolfgarten, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, § 25a, Rn. 28 f.

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Kap. 1: Bestandsaufnahme ausgewählter aufsichtsrechtlicher (Neu-)Regelungen

um eine nicht delegierbare Gesamtverantwortung.26 Dies bedeutet freilich nicht, dass die Geschäftsleiter sämtliche Vorgaben eigenständig ausführen müssen. Sofern nicht ausdrücklich im Gesetz festgeschrieben, können vielmehr einzelne Tätigkeiten – unter Berücksichtigung u. U. bestehender weiterer gesetzlicher Vorgaben, vgl. z. B. § 32 VAG – durchaus auch von unterhalb der Geschäftsleitung tätigen Ebenen oder auch von externen Dritten ausgeführt werden.27 Wichtig und entscheidend ist jedoch, dass die Letztverantwortung stets die Geschäftsleiter in Gesamtverantwortung trifft.28 cc) Gesteigerte Haftungs- und Sanktionsgefahren Die Geschäftsleiter von Bank- und Versicherungsunternehmen stehen somit vor der Herausforderung, die ständig zunehmende Anzahl komplexer rechtlicher und im hohen Maße auslegungsbedürftiger Vorgaben aufsichtskonform und sorgfaltsgerecht in die Praxis umzusetzen.29 Der Umgang mit erheblichen rechtlichen Unsicherheiten und den damit verbundenen gesteigerten Haftungs- und Sanktionsgefahren ist die Konsequenz der Neuausrichtung des Aufsichtsrechtes. Neben einer verbandsrechtlichen Schadensersatzhaftung von Leitungsorganen gegenüber der Gesellschaft nach § 93 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. Abs. 1 Satz 1 AktG sieht das Aufsichtsrecht ein eigenes Sanktionensystem vor, das insbesondere aufsichtsbehördliche Anordnungs- und Abberufungsverlangen sowie eine straf- und ordnungswidrigkeitenrechtliche Haftung für Verstöße vorsieht.30 Verbandsrechtliche und aufsichtsrechtliche Sanktionensysteme schließen sich dabei gegenseitig nicht aus, sondern können koexistieren. Konflikte können sich jedoch im Hinblick auf die zunehmende Überformung der gesellschaftsrechtlichen Organisationsverfassung durch wesensfremde aufsichtsrechtliche Vorgaben ergeben. Denn die Schutzziele des Bank- und Versicherungsaufsichtsrechtes, Gläubigerschutz und Schutz der Stabilität der Finanzsysteme, sind mit dem Unternehmens- bzw. Gesellschaftsinteresse einer Aktiengesellschaft verschieden. In Fällen, in denen das Aufsichtsrecht zu organisatorischen Entscheidungen zwingt, die betriebswirtschaftlich nicht angezeigt sind, besteht auf der Ebene

26 Bitterwolf, in: Reischauer/Kleinhans, KWG-Kommentar, Erg.-Lfg. 5/15, § 25a, S. 11 f., Anm. 4. Vgl. allgemein zur Delegationsfähigkeit von Geschäftsleiterpflichten Müller, NZABeilage 2014, 30, 34 ff. 27 Braun/Wolfgarten, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, § 25a, Rn. 71; Bürkle, VersR 2009, 866, 870; vgl. auch § 32 VAG. 28 Vgl. Braun/Wolfgarten, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, § 25a, Rn. 67 ff.; Bürkle, VersR 2009, 866, 870 f.; Louven/Ernst, VersR 2014, 151, 159; BT-Drs. 17/12601, S. 44; Art. 40 Solvency-II-Richtlinie. Vgl. hierzu ausführlich unten Kapitel 2, B. II. 1. c). 29 Vgl. auch Nietsch, ZGR 2015, 631, 632, der in diesem Zusammenhang von einer „zunehmenden Verrechtlichung unternehmerischen Handelns“ im Gefolge der Finanzkrise spricht. 30 Vgl. zum aufsichtsbehördlichen Sanktionensystem unten Kapitel 1, B. II. und III. Zur (verbandsrechtlichen) Geschäftsleiteraußenhaftung sowie zur Frage strafrechtlicher Haftungsgefahren vgl. unten Kapitel 2, C. III. und IV.

A. Zunahme aufsichtsrechtlicher Geschäftsleiterpflichten

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der Rechtsdurchsetzung insofern Sanktionsdisparität.31 Konkret droht die Gefahr, dass Geschäftsleiter aufgrund des vom aufsichtsrechtlichen Sanktionensystem ausgehenden Befolgungsdrucks die von der Aufsicht verbandsexogen gesetzten Anforderungskataloge systematisch und stupide in die Praxis umsetzen, anstatt sich mit der Binnenorganisation der Gesellschaft, mit dem tatsächlich vorhandenen Risikoprofil und, in Reaktion auf festgestellte und tatsächliche Sachprobleme, in reflektierender Art und Weise auseinanderzusetzen.32 Resultat dieser Verhaltensweise könnte sein, dass das handelnde Leitungsorgan zwar aufsichtskonform, aus verbandsrechtlicher Perspektive jedoch sorgfaltspflichtwidrig handelt, weil etwa das aufsichtsseitig geforderte Verhalten im spezifischen Einzelfall tatsächlich nicht sachadäquat und mithin nicht im Interesse des betroffenen Finanzdienstleistungsinstituts ist.33 Mit anderen Worten verbirgt sich dahinter die Frage, ob es angemessen sein könnte, hinsichtlich des geschuldeten Pflichteninhalts stärker als nach traditioneller Sichtweise zwischen der Rechtsbindung der Gesellschaft und den darauf bezogenen Geschäftsleiterpflichten zu trennen.34 2. Das Verhältnis von nationalem Gesellschafts- und Aufsichtsrecht Wie die vorstehende Bewertung ausgewählter aufsichtsrechtlicher (Neu-)Regelungen zeigt, verdichten das Bank- und Versicherungsaufsichtsrecht, geprägt durch zahlreiche kriseninduzierte Reformen, zunehmend allgemeine verbandsrechtliche (hier aktienrechtliche) Pflichtenkataloge. Aufgrund der Koexistenz materiellrechtlicher Pflichten, die zumindest partiell an denselben Sachverhalt anknüpfen, sowie des Bestehens sowohl aktienrechtlicher als auch aufsichtsrechtlicher Sanktionsinstrumentarien erlangt die Frage des Normenverhältnisses von Aktien- und Aufsichtsrecht in diesen Fällen zunehmend an Bedeutung. a) Normenhierarchie und Normenspezialität Bei Aktiengesellschaften im Banken- und Versicherungssektor besteht grundsätzlich die Verpflichtung, sowohl die gesetzlich normierten Pflichten des Aktien-

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Binder, ZGR 2015, 667, 705 ff. Binder, ZGR 2015, 667, 707. 33 Zutreffend führt Binder in diesem Zusammenhang aus, dass in diesen Fällen regelmäßig ein scheinbar aufsichtskonformes Verhalten auch nicht im Interesse der Gläubiger oder der Systemstabilität sein wird. Im Extremfall hätte dies zur Konsequenz, dass die strenge Einhaltung der aufsichtsrechtlichen Anforderungskataloge dazu führen könnte, die mit diesen verfolgten Zielen (System- und Gläubigerschutz) bewusst zu gefährden, vgl. nochmals Binder, ZGR 2015, 667, 706 f. 34 Fraglich ist, inwieweit die verbandsrechtliche Innenhaftung von aufsichtsrechtlichen Einwirkungen abhängt, vgl. hierzu auch Binder, ZGR 2013, 760, 799 sowie unten Kapitel 2, C. sowie Kapitel 3. 32

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Kap. 1: Bestandsaufnahme ausgewählter aufsichtsrechtlicher (Neu-)Regelungen

rechts als auch die des Aufsichtsrechts einzuhalten.35 Wie anhand der Organisationsanforderungen sowie der Vergütungsregelungen dargestellt, bestehen oftmals im Bereich des Finanzaufsichtsrechtes gegenüber dem allgemeinen Aktienrecht spezifische, auf die Besonderheiten des Banken- und Versicherungssektors zugeschnittene Rechtspflichten. Knüpfen zwei koexistierende Normen an denselben Sachverhalt an, stellt sich methodisch betrachtet die Frage der Normenhierarchie und Spezialität, mithin nach dem rechtsdogmatischen Verhältnis dieser Normen zueinander. Von der hierarchischen Einordnung von Normen ist die Frage der Spezialität verschiedener (jedoch in der Normenhierarchie gleichrangiger) Normen zueinander zu unterscheiden. Der Spezialitätsgrundsatz beschreibt den Vorrang der besonderen gegenüber der allgemeineren Norm und ist Ausdruck der differenzierten Regelungsintensitäten innerhalb des Rechts.36 Immer dann, wenn zwei Normen inhaltlich einen gleichen Sachverhalt regeln und aus dem Sinnzusammenhang heraus eine Rechtsnorm im Verhältnis zu einer anderen Rechtsnorm als Sonderregelung zu verstehen und zu behandeln ist, kann bei der als Sonderregelung zu verstehenden Rechtsnorm von der spezielleren gesprochen werden.37 b) Das aufsichtsrechtliche Spezialitätsverhältnis Nach ganz herrschender Meinung überlagert das Aufsichtsrecht als spezielleres Recht das allgemeine Aktienrecht, soweit die entsprechenden spezielleren aufsichtsrechtlichen Vorgaben des KWG bzw. VAG Aktiengesellschaften erfassen.38 Begründet wird dies unter anderem mit einem Vergleich am Beispiel des Verhältnisses von Mitbestimmungsrecht zum Aktienrecht.39 Darüber hinaus spricht für einen uneingeschränkten Geltungsanspruch des Aufsichtsrechtes auch die Existenz eines eigenen aufsichtsrechtlichen Sanktionensystems, das aus Eingriffs- und Anordnungsbefugnissen sowie absichernden straf- bzw. ordnungswidrigkeitsrechtlichen Haftungsnormen besteht.40 Diesem Spezialitätsverhältnis zwischen Aufsichts- und Aktienrecht ist zuzustimmen, sofern es sich um eine Überlagerung allgemeiner verbandsrechtlicher Vorgaben durch spezifische aufsichtsgesetzlich normierte Pflichten handelt.41 Zu 35

Vgl. auch Weber-Rey, ZGR 2010, 543, 564. Vgl. in Bezug auf das schweizerische Recht, jedoch verallgemeinerungsfähig, Emmenegger, Bankorganisationsrecht, S. 90. 37 Vgl. Emmenegger, Bankorganisationsrecht, S. 91. 38 So Binder, ZGR 2013, 760, 785 f.; Louven/Raapke, VersR 2012, 257, 268; Dreher, ZGR 2010, 496, 502; Armbrüster, VersR 2009, 1293, 1295; Bürkle, VersR 2009, 866, 871; WeberRey, AG 2008, 345, 358. 39 Vgl. Dreher, ZGR 2010, 496, 502. 40 Vgl. Binder, ZGR 2013, 760, 785. 41 Wie die weiteren Untersuchungen in dieser Arbeit jedoch zeigen werden, sind dem Geltungsanspruch des Aufsichtsrechtes de lege lata durchaus Grenzen gesetzt. Das Auf36

A. Zunahme aufsichtsrechtlicher Geschäftsleiterpflichten

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beachten ist jedoch, dass es sich hierbei nicht um eine klassische Spezialität im Sinne der Methodenlehre, sondern vielmehr um ein atypisches, aufsichtsrechtliches Spezialitätsverhältnis handelt.42 Denn ein echtes Verhältnis von lex specialis zu lex generalis im Verständnis der Methodenlehre setzt voraus, dass der Anwendungsbereich der spezielleren Norm vollständig in demjenigen der allgemeineren Norm aufgeht, mithin grundsätzlich ein Deckungsverhältnis in Bezug auf die jeweiligen Tatbestandsmerkmale der konkurrierenden Normen besteht und die speziellere Norm darüber hinaus noch weitere spezifische Anforderungen normiert.43 Bei dem Verhältnis zwischen Aufsichts- und Aktienrecht besteht schon der wesentliche Unterschied, dass Normen des Aktiengesetztes pauschal für alle Aktiengesellschaften gelten, wohingegen aufsichtsrechtliche Normen des KWG und VAG nicht zwangsläufig an diese Rechtsform anknüpfen, vgl. § 1 KWG bzw. § 1 VAG. Insofern besteht zwischen der aufsichtsrechtlichen und der aktienrechtlichen Norm nicht stets ein absolutes Deckungsverhältnis, sondern lediglich eine sachliche Schnittmenge. c) Ergebnis Sofern aufsichtsrechtliche Vorgaben trotz ihrer weitaus höheren Regelungsdichte allgemeine verbandsrechtliche Grundsätze letztlich systemkonform konkretisieren,44 kann hinsichtlich der Bestimmung des Normenverhältnisses auf den Grundsatz der lex specialis zurückgegriffen werden.45

sichtsrecht darf insoweit nicht zu einer vollständigen „Umpolung“ der allgemeinen verbandsrechtlichen Pflichten- und Kompetenzordnung führen. Vgl. hierzu ausführlich unten Kapitel 3, B. IV sowie Kapitel 3, C. I. und II. 42 Zum Vorrang aufsichtsrechtlicher gegenüber verbandsrechtlicher Anforderungen aufgrund eines bankenspezifischen Spezialitätsverhältnisses am Beispiel des schweizerischen Rechtes vgl. Emmenegger, Bankorganisationsrecht, S. 162 ff. Die Verneinung eines klassischen Spezialitätsverhältnisses von lex specialis zu lex generalis am Beispiel des schweizerischen Aufsichtsrechts ist uneingeschränkt auf das deutsche übertragbar. 43 Larenz, Methodenlehre, S. 266; Emmenegger, Bankorganisationsrecht, S. 163. 44 Binder, ZGR 2013, 760, 767. 45 So Binder, ZGR 2013, 760, 785 f.; Louven/Raapke, VersR 2012, 257, 268; Dreher, ZGR 2010, 496, 502; Armbrüster, VersR 2009, 1293, 1295; Bürkle, VersR 2009, 866, 871; Weber-Rey, AG 2008, 345, 358. Dieses „atypische Spezialitätsverhältnis“ sagt hingegen noch nichts über das generelle Verhältnis zwischen Aufsichts- und allgemeinem Verbandsrecht aus. Insbesondere in Kapitel 3 dieser Dissertation wird das Verhältnis zwischen Aufsichtsrecht und Aktienrecht – speziell im Zusammenhang mit den sich dadurch ergebenden Spannungen in unterschiedlichen Sachverhaltskonstellationen – immer wieder Gegenstand der Untersuchungen sein. Einerseits wird sich zeigen, dass die Grundprinzipien des Aktienrechtes in Bezug auf die Leitmaxime der Geschäftsleiter gerade nicht hinter dem allein dem öffentlichen Interesse verpflichteten Aufsichtsrechts zurücktreten. Des Weiteren wird dargelegt, dass auch dem Aufsichtsrecht, insbesondere im Zusammenhang mit der aufsichtsbehördlichen Einflussnahme auf aufsichtsunterworfene Unternehmen, verfassungsrechtliche Grenzen gesetzt sind, wenn durch die behördliche Einflussnahme die Verletzung der aktienrechtlichen und verfassungsrechtlichen Grundordnung droht.

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Kap. 1: Bestandsaufnahme ausgewählter aufsichtsrechtlicher (Neu-)Regelungen

II. Geschäftsleiterpflichten in der Krise – Das Sanierungs- und Abwicklungsregime Während der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise wurden beispiellose staatliche Rettungspakete geschnürt, um ein völliges Zusammenbrechen der Finanzmärkte mit nicht vorhersehbaren Folgen zu vermeiden. Mit dem Ziel, zukünftig existenzbedrohende Situationen von Instituten abzuwenden bzw. diese im Ernstfall in einem geordneten Verfahren entweder zu sanieren oder abzuwickeln, ohne auf die Hilfe des Steuerzahlers angewiesen zu sein,46 wurden jüngst neue regulatorische Vorgaben formuliert. Aufgrund zahlreicher und umfassender Ermächtigungsgrundlagen die den jeweils zuständigen Aufsichts- und Abwicklungsbehörden erhebliche Beurteilungsspielräume auf Tatbestandsseite, wie auch umfangreiche Umsetzungs- bzw. Ermessensspielräume auf Ebene der Rechtsdurchsetzung einräumen, besteht ein enormes Potential durch hoheitliche Eingriffe und Einwirkungsmöglichkeiten Einfluss auf originär unternehmerische Entscheidungen auszuüben. Bereits am 4. November 2011 haben sich die G-20-Staaten nach Vorarbeit des Financial Stability Board darauf verständigt, dass für sog. „Globally Systemically Important Financial Institutions“ (G-SIFIs) bis Ende 2012 und im Anschluss auch für „Nationally Systemically Important Financial Institutions“ (N-SIFIs) Sanierungsund Abwicklungspläne zu erstellen sind.47 Seit dem 13. August 2013 sind in der Bundesrepublik Deutschland bereits durch das „Trennbankengesetz“ europäische Richtlinienvorgaben im Bankensektor vorgreifend in das KWG transformiert worden.48 Mit Wirkung zum 1. Januar 2015 wurden die diesbezüglichen Regelungen nunmehr durch das Sanierungs- und Abwicklungsgesetz ersetzt.49 Primär sollten mit den aufsichtsrechtlichen Vorschriften mit Blick auf die Sanierungs- und Abwicklungsplanung präventiv wirkende Maßnahmen ergriffen werden, um einer eventuell möglichen Insolvenzsituation vorzubeugen. 46

Binder, ZBB 2015, 153, 154; ders., ZHR 179 (2015), 83, 93 ff. Um sicherzustellen, dass künftig kein Finanzinstitut „zu groß zu scheitern“ („too big to fail“) ist, und um sicherzustellen, dass die Steuerzahler nicht für die Kosten einer Abwicklung aufkommen müssen, billigten die G-20-Staaten im Rahmen ihrer Abschlusserklärung zum Gipfeltreffen in Cannes die vom FSB erstellten sog. „Key Attributes of Effective Resolution Regimes of Financial Institutions“, die den internationalen Rahmen für die Entwicklung von Sanierungs- und Abwicklungsplänen auf nationaler Ebene bilden. Vgl. hierzu Ziff. 28 der Abschlusserklärung, abrufbar unter: http://www.bundesregierung.de/Content/DE/_Anlagen/ G8_G20/G20-Cannes-abschlusserklaerung-deutsch.pdf?__blob=publicationFile&v=2. 48 Das Financial Stability Board (FSB) hat im Oktober 2011 Standards für die geordnete Abwicklung von Finanzunternehmen beschlossen, die sog. „Key Attributes of Effective Resolution Regimes for Financial Institutions“ (Key Attributes). Auf der Grundlage dieser internationalen Standards hat die Europäische Kommission am 6. Juni 2012 einen Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung eines Rahmens für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen (Sanierungs- und Abwicklungsrichtlinie) veröffentlicht. 49 Sanierungs- und Abwicklungsgesetz vom 10. Dezember 2014 (BGBl. I, S. 2091). 47

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1. Das Sanierungs- und Abwicklungsgesetz Am 6. November 2014 wurde das sog. BRRD-Umsetzungsgesetz vom Bundestag beschlossen. Wesentlicher Bestandteil des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2014/59/EU (Bank Recovery and Resolution Directive, BRRD)50 ist das Sanierungsund Abwicklungsgesetz (SAG). Hierdurch wird das Ziel verfolgt, ein unionseinheitliches systematisches Regelwerk zur Sanierungs- und Abwicklungsplanung zu schaffen. Das SAG bündelt insoweit teils die bereits oben dargestellten Regelungen zur Sanierungs- und Abwicklungsplanung des KWG und ergänzt und aktualisiert diese im Hinblick auf die BRRD-Richtlinie. Wesentliche Neuerungen ergeben sich durch das BRRD-Umsetzungsgesetz insbesondere hinsichtlich der Erweiterung des Anwendungsbereichs sowie durch neuartige Eingriffsinstrumente, die darauf abzielen eine systemschonende Abwicklung auch großer, komplexer und international stark vernetzter Institute und Institutsgruppen zu ermöglichen.51 Die umfangreichen und detaillierten Vorgaben und Verfahren zur Sanierungs- und Abwicklungsplanung werden zudem durch von der EBA zu erarbeitende Leitlinien sowie durch technische Regulierungsstandards in den nächsten Jahren noch weiter ausdifferenziert werden.52 a) Anwendungsbereich Die Pflicht zur Erstellung von Sanierungsplänen nach § 12 SAG trifft nunmehr nicht nur die systemrelevanten Institute. Vielmehr unterliegen alle in § 1 SAG genannten Institute den in §§ 12 – 18 SAG formulierten Vorgaben, sofern nicht der Befreiungstatbestand nach § 20 SAG greift. Hiernach können alle Institute, die Mitglied in einem institutsbezogenen Sicherungssystem sind und nicht unter die in § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 6 SAG statuierten Voraussetzungen fallen, bei der Aufsichtsbehörde eine Befreiung der Verpflichtung zur Erstellung eines Sanierungsplanes beantragen.53 Des Weiteren kann die Aufsichtsbehörde im Einvernehmen mit der Deutschen Bundesbank nach § 19 SAG die Anforderungen zur Erstellung, Fortschreibung und Aktualisierung von Sanierungsplänen bei kleineren, nicht systemrelevanten Instituten individuell unter Berücksichtigung des Proportionalitätsgrundsatzes beschränken. 50 Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2014/59/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Festlegung eines Rahmens für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Richtlinie 82/891/EWG des Rates, der Richtlinien 2001/24/EG, 2002/47/EG, 2004/25/EG, 2005/56/EG, 2007/36/EG, 2011/ 35/EU, 2012/30/EU und 2013/36/EU sowie der Verordnungen (EU) Nr. 1093/2010 und (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates. Vgl. hierzu ausführlich Binder, ZBB 2015, 153, 159 ff. 51 Vgl. hierzu etwa Binder, ZBB 2015, 154; ders., ZHR 179 (2015), 83, 93 ff. 52 Binder, ZBB 2015, 153, 160; vgl. im Einzelnen Art. 4 Abs. 5, Abs. 6 sowie Abs. 7 BRRD. 53 Diese Möglichkeit besteht in Deutschland insbesondere für Sparkassen, Volksbanken und Raiffeisenbanken, die in dem jeweiligen Verbundsystem verankert sind.

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Kap. 1: Bestandsaufnahme ausgewählter aufsichtsrechtlicher (Neu-)Regelungen

b) Sanierungsplanung aa) Pflicht zur Erstellung von Sanierungsplänen Die Vorschriften zur Sanierungsplanung sind in den §§ 12 ff. SAG geregelt. Nach § 12 Abs. 1 SAG werden faktisch alle Institute zur Aufstellung eines Sanierungsplanes verpflichtet. In diesem ist darzulegen, mit welchen von dem Institut zu treffenden Maßnahmen die finanzielle Stabilität gesichert oder wiederhergestellt werden kann, wenn sich das Institut in einem „Krisenfall“ befindet. § 13 SAG definiert umfangreiche Anforderungen in Bezug auf die wesentlichen Bestandteile des Sanierungsplanes, wobei dessen Ausgestaltung von der Größe, Komplexität und Vernetzung des Instituts oder der Gruppe sowie von der Art, dem Umfang und der Komplexität des Geschäftsmodells und des damit einhergehenden Risikos abhängig ist.54 Inhalt und Umfang der Sanierungspläne entsprechen im Wesentlichen den in der MaSan normierten wichtigsten Kerninhalten. Neben einer strategischen Analyse des Instituts oder der Gruppe müssen die Sanierungspläne auch eine Darstellung von Belastungsszenarien, die eine Krise für das betreffende Institut oder die Gruppe auslösen können, eine Definition geeigneter Indikatoren zur rechtzeitigen Einleitung von Handlungsoptionen sowie die Identifizierung geeigneter Handlungsoptionen inklusive detaillierter Auswirkungs- und Umsetzungsanalysen enthalten.55 Die strategische Analyse eines Instituts oder der Gruppe hat dabei eine Darstellung der Unternehmensstruktur und des Geschäftsmodells, die Benennung der wesentlichen Geschäftsaktivitäten und kritischen Funktionen sowie eine Beschreibung der internen und externen Vernetzungsstrukturen zu enthalten (§ 13 Abs. 2 Nr. 2 SAG). Darauf basierend wird im Rahmen der Belastungsanalyse untersucht, welche Szenarien einen wesentlichen nachteiligen Einfluss auf das Kreditinstitut haben. Die Belastungsszenarien sollen dabei sowohl systemweite Ereignisse als auch das einzelne Institut oder die ganze Gruppe betreffende Ereignisse beinhalten, welche die instituts- oder gruppenspezifischen Gefährdungspotentiale abbilden (§ 13 Abs. 2 Nr. 7 SAG). Schließlich gilt es auf der Grundlage der Belastungsanalyse geeignete qualitative und quantitative Indikatoren festzulegen, die es dem Kreditinstitut erlauben, rechtzeitig geeignete Handlungsoptionen einzuleiten, um die Finanzstärke wiederherzustellen und somit die Überlebensfähigkeit zu sichern (§ 13 Abs. 2 Nr. 6 SAG).

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Deutlich wird in diesem Zusammenhang, dass die Sanierungspläne individuell auf das spezifische Institut zu erstellen sind, es mithin keinen einheitlichen „Mustersanierungsplan“ geben kann, der für eine Vielzahl von Instituten passend ist. Vgl. hierzu auch Binder, ZBB 2015, 153, 160. 55 Sanierungspläne müssen darüber hinaus eine Zusammenfassung der wesentlichen Inhalte des Sanierungsplans einschließlich einer Bewertung der Sanierungsfähigkeit des Instituts oder der Gruppe (§ 13 Abs. 2 Nr. 1 SAG), eine Prüfung der Wirksamkeit und Umsetzbarkeit des Sanierungsplans anhand der Belastungsszenarien (§ 13 Abs. 2 Nr. 8 SAG) sowie die Erarbeitung von Sanierungs- und Governance-Strukturen (§ 13 Abs. 2 Nr. 9 und 10 SAG) enthalten.

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Auf der strategischen Analyse und der Belastungsanalyse aufbauend gilt es, darüber hinaus Handlungsoptionen zur Einleitung der Sanierungsmaßnahmen zu erarbeiten. Diese müssen stets darauf ausgerichtet sein, im Krisenfall die finanzielle Stabilität zu sichern oder wiederherzustellen (§ 13 Abs. 2 Nr. 3 SAG). Deshalb hat neben der Identifizierung dieser Handlungsoptionen noch eine detaillierte Auswirkungs- (§ 13 Abs. 2 Nr. 4 SAG) und Umsetzungsanalyse (§ 13 Abs. 2 Nr. 5 SAG) derselben zu erfolgen. Nach § 13 Abs. 4 SAG müssen die Sanierungspläne darüber hinaus die Überlebensfähigkeit und finanzielle Solidität des Instituts oder der Gruppe mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht nur kurzfristig, sondern nachhaltig sichern oder wiederherstellen. Weiterhin ist es wichtig, dass die Handlungsoptionen im Krisenfall wirksam umgesetzt werden können, und zwar unter größtmöglicher Vermeidung von wesentlichen negativen Auswirkungen auf das Finanzsystem. Dies hat der Sanierungsplan nachvollziehbar darzulegen.56 Weitere Detailregelungen enthält § 14 SAG hinsichtlich der Ausgestaltung von Gruppensanierungsplänen. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, dass der Gruppensanierungsplan die gesamte Gruppe umfassen, also nach § 14 Abs. 2 SAG Handlungsoptionen beinhalten muss, die sowohl auf die Ebene des übergeordneten Unternehmens als auch auf nachgeordnete Unternehmen bezogen sind. Zusätzlich können ausweislich der Gesetzesbegründung diese umfangreichen Anforderungen durch Verlautbarungen in Form von Rundschreiben der zuständigen Behörde weiter konkretisiert werden. Darüber hinaus erhält auf europäischer Ebene nach Art. 5 Abs. 10 der BRRD-Richtlinie die EBA durch Verordnungsermächtigung der Kommission die Möglichkeit zum Erlass technischer Standards. Die Verantwortlichkeit für die Erstellung, die Implementierung und die Aktualisierung des Sanierungsplans sowie für dessen Umsetzung im Krisenfall obliegt weiterhin jedem Geschäftsleiter und zwar unabhängig von etwaigen internen Zuständigkeitsregelungen, vgl. § 13 Abs. 5 SAG. bb) Prüfung und Bewertung von Sanierungsplänen Die Prüfung und Bewertung der Sanierungspläne obliegt der zuständigen Aufsichtsbehörde im Einvernehmen mit der Deutschen Bundesbank, vgl. § 15 Abs. 2 SAG. Durch dieses Verfahren soll die Tauglichkeit und Umsetzbarkeit der im Sanierungsplan vorgesehenen Maßnahmen zur Erreichung des Ziels, das betreffende Institut bzw. die Gruppe zügig und unter Vermeidung systemischer Risiken finanziell nachhaltig zu stabilisieren, überprüft werden.57 Bei der Bewertung wird nach Satz 2 die Aufsichtsbehörde auch die Angemessenheit der Kapital- und Refinanzierungsstruktur im Verhältnis zur Komplexität der Organisationsstruktur und des Risiko56 57

BT-Drs. 18/2575, S. 148. Vgl. hierzu etwa Binder, ZBB 2015, 153, 161.

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Kap. 1: Bestandsaufnahme ausgewählter aufsichtsrechtlicher (Neu-)Regelungen

profils des Instituts oder der Gruppe beurteilen. Schließlich gibt die zuständige Aufsichtsbehörde den Sanierungsplan an die Abwicklungsbehörde – in Deutschland ist dies die Bundesanstalt für Finanzmarktstabilisierung58 – weiter, die diesen im Hinblick auf Maßnahmen überprüft, die sich nachteilig auf die Abwicklungsfähigkeit des Instituts oder der Gruppe auswirken könnten, vgl. § 15 Abs. 1 Satz 1 SAG. c) Abwicklungsplanung aa) Die Abwicklungsplanung durch die FMSA Die Abwicklungsplanung erfolgt schließlich durch die Abwicklungsbehörde.59 Nach § 40 Abs. 1 SAG wird die Pflicht der Abwicklungsbehörde begründet, Abwicklungspläne auf Einzelinstitutsebene unabhängig von dessen systemischer Relevanz zu erstellen. Hierbei stimmt sie sich sowohl mit der Aufsichtsbehörde (Satz 2) als auch mit den Abwicklungsbehörden der Mitgliedstaaten und Drittstaaten, in denen sich bedeutende Zweigniederlassungen befinden, ab, soweit Belange der bedeutenden Zweigniederlassung betroffen sind (Satz 3). § 40 Abs. 2 SAG formuliert dabei analog zum Sanierungsplan bestimmte Grundanforderungen an den Inhalt des Abwicklungsplanes, die durch einen nicht abschießenden Anforderungskatalog in Abs. 3 weiter ergänzt werden. Zu den wesentlichen Inhalten eines Abwicklungsplanes gehören dabei u. a. Ausführungen dazu, wie kritische Funktionen und Kerngeschäftsbereiche im erforderlichen Umfang rechtlich und wirtschaftlich von anderen Funktionen getrennt werden könnten, um deren Fortführung nach einem Ausfall des Instituts zu gewährleisten (§ 40 Abs. 3 Nr. 3 SAG); eine detaillierte Darstellung der gemäß § 57 vorgenommenen Bewertung der Abwicklungsfähigkeit (§ 40 Abs. 3 Nr. 6 SAG); eine Beschreibung wesentlicher Abwicklungshindernisse und etwaiger nach § 59 Abs. 4 verlangter Maßnahmen zum Abbau oder zur Beseitigung von Hindernissen für die Abwicklungsfähigkeit, die im Rahmen der nach § 57 vorgenommenen Bewertung festgestellt wurden (§ 40 Abs. 3 Nr. 7 SAG); Erläuterungen zu kritischen wechselseitigen Abhängigkeiten (Vernetzungsanalyse) (§ 40 Abs. 3 Nr. 12 SAG) oder auch eine Beschreibung der wesentlichen Prozesse und Systeme zur Fortführung des Geschäftsbetriebs des Instituts (§ 40 Abs. 3 Nr. 17 SAG). Die Abwicklungsplanung ist dabei kein einmaliger Prozess. Vielmehr bestimmt § 40 Abs. 4 SAG eine mindestens einmal pro Jahr durchzuführende Überprüfung und 58

Vgl. BT-Drs. 18/2575, S. 145. Nach gefestigtem Aufbau ihrer Strukturen soll die Abwicklungsbehörde in einem zweiten Schritt als Anstalt in der Anstalt auf die BaFin übertragen werden. Hierdurch sollen Synergien mit der bestehenden Allfinanzaufsicht gehoben werden. 59 Innerhalb der Bankenunion übernimmt der „Ausschuss für die einheitliche Abwicklung“ (Single Resolution Board, SRB) die Zuständigkeit für die Abwicklungsplanung hinsichtlich der der EZB unterstellten Institute (Art. 7 Abs. 2 i. V. m. Art. 8 SRM-VO). Hierbei kann er die jeweils zuständigen nationalen Abwicklungsbehörden, die im Übrigen zuständig bleiben (Art. 7 Abs. 3 i. V. m. Art. 9 SRM-VO), zur Vorlage von Entwürfen auffordern (Art. 8 Abs. 2 S. 2 SRM-VO). Vgl. hierzu auch Binder, ZBB 2015, 153, 162.

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ggf. Aktualisierung des Plans, vgl. § 40 Abs. 4 Satz 1 SAG. Dasselbe gilt nach Satz 2 auch bei wesentlichen Änderungen der Rechts- oder Organisationsstruktur des Instituts, seiner Geschäftstätigkeit oder seiner Finanzlage, die sich nicht unwesentlich auf die Wirkungsweise des Abwicklungsplans auswirken oder in sonstiger Weise dessen Änderung erforderlich machen können. Auch werden nach § 42 SAG umfassende Mitwirkungspflichten des Instituts bei der Erstellung und Aktualisierung des Abwicklungsplans begründet. bb) Bewertung der Abwicklungsfähigkeit Die Abwicklungsbehörde bewertet, inwieweit ein Institut, das keiner Gruppe angehört, die einer Beaufsichtigung auf konsolidierter Basis unterliegt, abwicklungsfähig ist, und stimmt sich dabei mit der Aufsichtsbehörde sowie ggf. mit den Abwicklungsbehörden der Mitgliedstaaten und der Drittstaaten ab, in denen sich bedeutende Zweigniederlassungen befinden, soweit Belange dieser bedeutenden Zweigniederlassungen betroffen sind, vgl. § 57 Abs. 1 SAG. § 57 Abs. 2 SAG enthält eine Legaldefinition des Begriffs „abwicklungsfähig“. Zusammengefasst gilt ein Institut dann als abwicklungsfähig, wenn es nach geltendem Insolvenzrecht abwickelbar ist oder die Abwicklung unter Einsatz von Abwicklungsinstrumenten erfolgen kann. Die einzelnen im SAG genannten Kriterien werden dabei durch technische Regulierungsstandards weiter konkretisiert.60 d) Verlagerung originär unternehmerischer Strategieentscheidungen auf die jeweils zuständigen Behörden aa) Sanierungs- und Abwicklungsmängel Bei der Prüfung und Bewertung von Sanierungsplänen sowie bei der Bewertung der Abwicklungsfähigkeit von Instituten und Institutsgruppen steht den jeweils zuständigen Behörden bereits auf Tatbestandsseite ein erstaunlich weiter Beurteilungsspielraum zu. Die Spielräume für die jeweils vorgelegten Pläne und Szenarien scheinen nahezu unbegrenzt. Mangels praktischer Erfahrungswerte bestehen gegenwärtig keine rechtssicheren und handhabbaren Kriterien um Sanierungs- und Abwicklungshindernisse festzustellen bzw. diese Begrifflichkeiten auszufüllen.61 Zudem tritt hinzu, dass unterschiedlich strukturierte Institute, je nach Größe, Komplexität, Geschäftsmodell und Vernetzung im Rahmen des globalen Finanzmarktes, spezifische und individuelle für die jeweils gegebenen Umstände zugeschnittene Maßnahmen und Kriterien bedürfen, um gleich effektive Sanierungsmodelle aufzustellen bzw. im Ernstfall eine effiziente und möglichst reibungslose Abwicklung zu gewährleisten. Vor diesem Hintergrund darf durchaus bezweifelt werden, ob es der künftigen Aufsichtspraxis gelingt, die unternehmensindividuellen 60 61

Vgl. BT-Drs. 18/2575, S. 161. Binder, ZGR 2013, 760, 779.

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Kap. 1: Bestandsaufnahme ausgewählter aufsichtsrechtlicher (Neu-)Regelungen

Gegebenheiten adäquat zu berücksichtigen oder sich vielmehr die Gefahr realisiert, geprägt und getrieben von den vergangenen Krisenentwicklungen, den nationalen und auch europäischen Bankensektor zu weitreichenden Restrukturierungen zu zwingen, deren Auswirkungen im Hinblick auf das verfolgte Ziel von Systemstabilität ungewiss sind.62 Das Ausmaß des Einflusses auf originär unternehmerische Entscheidungen ist immens. Denn den jeweils zuständigen Aufsichts- und Abwicklungsbehörden stehen darüber hinaus auch umfassende Ermessensspielräume auf Ebene der Rechtsdurchsetzung zu, die es ermöglichen, den behördlichen Willen wirkungsvoll und umfassend durchzusetzen. Dies unterstreichen die behördlichen Maßnahmenkataloge bei Mängeln in Sanierungsplänen bzw. wesentlichen Hindernissen in Bezug auf die Abwicklungsfähigkeit.63 Die jeweils zuständigen Behörden besitzen die Kompetenz, unter Fristsetzung zur Beseitigung von Mängeln des Sanierungsplans (§ 16 Abs. 1 SAG) bzw. bei identifizierten Abwicklungshindernissen (§ 59 Abs. 1 SAG) entsprechende Maßnahmen von den betroffenen Instituten zu verlangen. Diese Maßnahmen können teils sehr weitreichend sein. Beispielsweise regelt § 16 Abs. 3 bis 6 SAG mögliche Maßnahmen zur Beseitigung von Sanierungshindernissen, wenn die festgestellten Mängel auf Sanierungshindernisse deuten, die sich nicht durch eine Nachbesserung des Sanierungsplanes beheben lassen.64 Nach § 16 Abs. 4 SAG kann die Aufsichtsbehörde von einem Institut oder übergeordneten Unternehmen insbesondere verlangen, dass es das Risikoprofil einschließlich des Liquiditätsrisikos verringert (Nr. 1), Maßnahmen trifft, um die rechtzeitige Einleitung von Rekapitalisierungsmaßnahmen zu ermöglichen (Nr. 2), die Geschäftsstrategie und die Organisationsstruktur überprüft (Nr. 3), Korrekturen an der Refinanzierungsstrategie vornimmt, um die Widerstandsfähigkeit der wesentlichen Geschäftsaktivitäten und kritischen Funktionen zu erhöhen (Nr. 4), oder die Organisation der Unternehmensführung so ändert, dass Handlungsoptionen aus dem Sanierungsplan rechtzeitig und zügig umgesetzt werden können (Nr. 5). Ersichtlich gehen diese Eingriffsbefugnisse weit über eine bloße Veränderung des Sanierungsplanes hinaus und beziehen sich zunehmend auf die originäre Geschäftstätigkeit des betroffenen Unternehmens.65 Darüber hinaus besteht ausdrücklich auch weiterhin die Befugnis der Aufsichtsbehörde, Maßnahmen nach dem Kreditwesengesetz und den §§ 36 bis 39 SAG zu erlassen.66 Der Maßnahmenkatalog bei identifizierten Abwicklungshindernissen steht dem bei festgestellten Sanierungshindernissen in nichts nach. Bei festgestellten Abwicklungshindernissen wird anstatt der Aufsichtsbehörde jedoch nunmehr die zu62 Ausführlich zum Thema Sanierungs- und Abwicklungsplanung, Binder, ZHR 179 (2015), 83, 132; ders., ZBB 2015, 153 ff. 63 Vgl. hierzu auch Binder, ZBB 2015, 153, 161 ff. 64 BT-Drs. 18/2575, S. 149. 65 BT-Drs. 18/2575, S. 149. 66 Vgl. hierzu in diesem Kapitel nachfolgend A. II. 1. d) bb).

A. Zunahme aufsichtsrechtlicher Geschäftsleiterpflichten

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ständige Abwicklungsbehörde zu entsprechenden Maßnahmen ermächtigt. Nach Erhalt der Mitteilung gemäß § 59 Abs. 1 SAG besteht für das betroffene Institut die Möglichkeit, der Abwicklungsbehörde geeignete Maßnahmen vorzuschlagen, um die zuvor festgestellten Abwicklungshindernisse zu beseitigen, § 59 Abs. 2 SAG. Daraufhin erfolgt im Hinblick auf die Eignung der vom Institut vorgeschlagenen Maßnahmen eine Bewertung der Abwicklungsbehörde nach § 59 Abs. 3 SAG. Auf dieser Grundlage kann die Abwicklungsbehörde nach Abs. 4 anordnen, entweder die vom Institut vorgeschlagenen Maßnahmen umzusetzen oder selbst Maßnahmen zu bestimmen. Zum Instrumentarium der Abwicklungsbehörde gehört dabei ein umfassendes Maßnahmenpaket nach § 59 Abs. 6 SAG. Angeordnet werden kann der Abschluss oder die Änderung von Vereinbarungen über eine gruppeninterne finanzielle Unterstützung (Nr. 1); der Abschluss von Dienstleistungsvereinbarungen über die Sicherstellung kritischer Funktionen (Nr. 2); die Begrenzung der maximalen individuellen und aggregierten Risikopositionen (Nr. 3)67; die Erfüllung zusätzlicher, für Zwecke der Abwicklungsplanung relevanter Informationspflichten in regelmäßigen oder unregelmäßigen Abständen (Nr. 4); die Veräußerung von Vermögensgegenständen (Nr. 5); die Einschränkung oder die Einstellung bestehender oder geplanter Geschäftsaktivitäten oder des Vertriebs neuer oder existierender Produkte (Nr. 6); die Änderung der rechtlichen oder operativen Strukturen des Instituts, um die Komplexität zu reduzieren und um zu gewährleisten, dass kritische Funktionen durch die Anwendung der Abwicklungsinstrumente rechtlich und operativ von anderen Funktionen getrennt werden können (Nr. 7); die Errichtung einer Mutterfinanzholdinggesellschaft oder einer gemischten Mutterfinanzholdinggesellschaft in einem Mitgliedstaat oder einer EU-Finanzholdinggesellschaft (Nr. 8); die Begebung berücksichtigungsfähiger Verbindlichkeiten oder die Vornahme alternativer Maßnahmen, um die Anforderungen nach § 49 zu erfüllen (Nr. 9)68, sowie, wenn es sich bei einem Institut um ein Tochterunternehmen einer gemischten Holdinggesellschaft handelt, die Errichtung einer getrennten Finanzholdinggesellschaft seitens dieser gemischten Holdinggesellschaft zur Kontrolle des Instituts, soweit dies erforderlich ist, um die Abwicklung des Instituts zu erleichtern und zu verhindern, dass die Anwendung der in Teil 4 vorgesehenen Abwicklungsinstrumente und -befugnisse sich negativ auf die nicht im Finanzsektor operierenden Teile der Gruppe auswirkt (Nr. 10).

67 Dies gilt unbeschadet der Regelungen über Großkredite, auch für berücksichtigungsfähige Verbindlichkeiten im Sinne des § 91 Abs. 1 SAG, die gegenüber anderen Instituten bestehen, es sei denn, es handelt sich um Verbindlichkeiten gegenüber einem gruppenangehörigen Unternehmen. 68 Nach § 59 Abs. 6 Nr. 9 Hs. 2 SAG gehört zu den alternativen Maßnahmen insbesondere der Versuch, die Bedingungen ausstehender berücksichtigungsfähiger Verbindlichkeiten, Kernkapital- oder Ergänzungskapitalinstrumente mit dem Ziel nachzuverhandeln, dass Entscheidungen der Abwicklungsbehörde nach dem maßgeblichen Recht Anerkennung finden.

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Kap. 1: Bestandsaufnahme ausgewählter aufsichtsrechtlicher (Neu-)Regelungen

bb) Einflussnahmepotential durch Frühinterventionsmaßnahmen Schließlich besitzen nunmehr die zuständigen Aufsichtsbehörden auch weitreichende Eingriffsbefugnisse bei einer signifikanten Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation des Instituts sowie bei Verstößen gegen die Anforderungen der Verordnung (EU) Nr. 575/2013, gegen Vorschriften des Kreditwesengesetzes oder bei Verstößen gegen einen der Artikel 3 bis 7, 14 bis 17 und 24, 25 und 26 der Verordnung (EU) Nr. 600/2014, vgl. § 36 Abs. 1 Satz 1 SAG. § 36 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 a) bis g) enthält dabei einen nicht abschließenden Maßnahmenkatalog, der von der bloßen Aufforderung zur Aktualisierung des Sanierungsplanes gemäß § 12 Abs. 4 SAG (Nr. 1) bis hin zum Verlangen der Änderung der Geschäftsstrategie sowie der rechtlichen und operativen Strukturen des Unternehmens reicht. Darüber hinaus kann die Aufsichtsbehörde nach § 36 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 SAG vom betroffenen Institut verlangen, dass einer oder mehrere der Geschäftsleiter des Instituts abberufen werden, sofern sie gemäß den Vorschriften des KWG für die Erfüllung ihrer Aufgaben nicht geeignet sind. Sind die Maßnahmen nach § 36 SAG nicht ausreichend, die signifikant verschlechterte wirtschaftliche Situation des Instituts zu verbessern oder die Verstöße gegen die in § 36 Abs. 1 genannten Rechtsvorschriften zu beseitigen, kann die Aufsichtsbehörde nach § 37 SAG gegenüber dem Institut auch die Abberufung einzelner oder aller Geschäftsleiter anordnen. Schließlich besteht nach § 38 SAG auch die Möglichkeit der Aufsichtsbehörde, einen vorläufigen Verwalter mit Befugnissen nach Satz 2 einzusetzen, der entweder die Geschäftsleitung des Instituts vorübergehend ablöst oder vorübergehend mit ihr zusammenarbeitet, wenn wiederum die Maßnahmen nach § 37 SAG nicht ausreichend sind. cc) Folge dieser Eingriffsbefugnisse Die Ausdehnung dieser exemplarisch dargelegten behördlichen Eingriffsbefugnisse legt einen massiven Konflikt mit der verbandsrechtlichen Pflichten- und Kompetenzenordnung offen. Einerseits sind die Spielräume für die Bewertung der jeweils vorgelegten Szenarien und Pläne durch die Aufsicht bislang kaum begrenzt.69 Problematisch ist darüber hinaus, dass die aufsichtsbehördlichen Eingriffsbefugnisse im Rahmen der Sanierungs- und Abwicklungsplanung zum Teil zu tiefgreifenden Eingriffen in die Berufsausübungsfreiheit sowie die Eigentumsfreiheit ermächtigen.70 Der steigende Einfluss der jeweils zuständigen Behörden auf die Unternehmensstrukturen aufsichtsunterworfener Institute, auf Grundlage der ihnen im Zusammenhang mit der Sanierungs- und Abwicklungsplanung eingeräumten Kom69

So in Bezug auf das Sanierungs- und Abwicklungsrecht nach dem Trennbankengesetz, jedoch auf die de lege lata geltende Rechtslage übertragbar Binder, ZGR 2013, 760, 779. 70 BT-Drs. 17/12601, S. 36, 38; Binder, ZGR 2013, 760, 779; vgl. allgemein zu aufsichtsrechtlichen Eingriffen in Anteilseignerrechte durch Sanierungsmaßnahmen rechtsvergleichend auch Alexander, 9 JCLS (2009), 61 ff.; Hüpkes, 17 J. Fin. Reg. & Comp. (2009), 277, 283 ff.

A. Zunahme aufsichtsrechtlicher Geschäftsleiterpflichten

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petenzen, führt dabei zu einer Verlagerung der Verantwortung für die Ausgestaltung der Unternehmensorganisation von der Geschäftsleitung auf die Aufsichtsbehörden; an die Stelle des Geschäftsleiterermessens tritt dann die Ermessensausübung durch die handelnde Behörde.71 Originär unternehmerische sowie im Extremfall auch Grundlagenentscheidungen werden auf die Behörden verlagert.72 Denn diese können beispielsweise von ihrem umfangreichen Sanktionsinstrumentarium Gebrauch machen, um gezielt – unter Ausübung von Sanktionsdruck – den Geschäftsleiter zu grundlegenden Neustrukturierungen zu veranlassen, die unter dem Deckmantel der Schutzrichtungen des Aufsichtsrechtes nahezu grenzenlos erscheinen.73 Dies ist nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des BGH, dass grundlegende unternehmerische Entscheidungen der Kernkompetenz der Hauptversammlung zuzuordnen sind, kritisch zu beurteilen.74 2. Sanierungs- und Abwicklungsplanung im Versicherungsaufsichtsrecht Gegenwärtig existieren im deutschen VAG keine Regelungen zur Sanierung und Abwicklung von Versicherungsunternehmen.75 Auch auf europäischer Ebene ist zurzeit kein konkretes Gesetz in Planung.76 Allerding gelten die Abwicklungsregelungen, die das Financial Stability Board (FSB) Ende 2011 in seinen „Key Attributes of Effective Resolution Regimes for Financial Institutions“ aufgestellt hat, nicht nur für Bankinstitute sondern grundsätzlich auch für Versicherungsunternehmen. Diese sind gegenwärtig auf sog. systemrelevante Versicherer (Global Sys-

71

Binder, ZBB 2015, 153, 164; ders., ZGR 2013, 760, 779. Binder, ZBB 2015, 153, 164; ders., ZGR 2013, 760, 779; zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung derartiger Maßnahmen, vgl. BT-Drs. 18/1575, S. 163 f. 73 So auch Binder, ZGR 2013, 760, 779; vgl. zu dieser Problematik ausführlich auch unten Kapitel 1 unten B. II. 4. 74 BGH NJW 1982, 1703 ff. („Holzmüller“); BGH NZG 2004, 571, 574 (Gelatine I); NZG 2004, 575, 578 (Gelatine II). 75 Auch enthält das Gesetz zur Modernisierung der Finanzaufsicht über Versicherungen keine diesbezüglichen Regelungen. 76 Gabriel Bernardino, der Vorsitzende der Europäischen Versicherungsaufsichtsbehörde EIOPA hat jedoch dieses Thema in einem Brief an die Europäische Kommission vom 06. Februar 2015 aufgegriffen und eine EU-Initiative zur Festlegung harmonisierter Anforderungen an Sanierungs- und Abwicklungspläne für Versicherer vorgeschlagen. Der Wortlaut des Briefes ist abrufbar unter: https://eiopa.europa.eu/Publications/Other%20Documents/ EIOPA15 – 165 %20Letter%20to%20Commissioner%20Jonathan%20Hill%20 %28GBE%29. pdf. Zudem legte die EU-Kommission bereits im Jahr 2012 ein entsprechendes Konsultationspapier bzgl. einer Ausdehnung des Abwicklungsregimes auf andere Finanzinstitute als Banken vor, vgl. EU-Kommission, DG Binnenmarkt und Dienstleistungen, Consultation on a possible recovery and resolution framework for financial institutions other than banks, 5. 10. 2012. 72

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Kap. 1: Bestandsaufnahme ausgewählter aufsichtsrechtlicher (Neu-)Regelungen

temically Important Insurers, sog. „G-SIIs“) beschränkt.77 Die Key Attributes wurden jüngst am 15. Oktober 2014 durch weitere sektorspezifische Anleitungen ergänzt. Für die Versicherungen relevant sind insbesondere die in Annex 2 genannten versicherungsspezifischen Modifikationen der Key Attributes, die zugleich als Vervollständigung der Anforderungen an global systemrelevante Versicherungsunternehmen (G-SIIs) zu Recovery & Resolution entsprechend den vom FSB/IAIS am 18. Juli 2013 herausgegebenen „Policy Measures“ zu verstehen sind.78 Trotz fehlender gesetzlicher Regelung hat die Umsetzung der Sanierungs- und Abwicklungsstandards bereits begonnen. So hat das FSB den nationalen Aufsichtsbehörden aufgegeben, bis 2014 für jedes G-SII-Institut eine Krisenmanagementgruppe einzurichten. Darüber hinaus musste jedes betroffene Institut bis Ende 2014 Sanierungspläne erarbeiten. Gleichzeitig oblag es den Krisenmanagementgruppen, entsprechende Abwicklungspläne aufzustellen. Inhaltlich entsprechen die grundlegenden Anforderungen zu den Sanierungs- und Abwicklungsplänen im Wesentlichen denen der Banken.79 So haben Versicherungsunternehmen selbst Sanierungspläne aufzustellen, die auf der Basis diverser Stressszenarien entwickelt werden und von den zuständigen nationalen Aufsichtsbehörden überprüft werden. Zu den von den Krisenmanagement-Teams zu erarbeitenden Abwicklungsplänen gehören unter anderem die Identifizierung der Versicherungsnehmer, die unter den Schutzschirm von entsprechenden Sicherungseinrichtungen fallen, und derjenigen, die von diesem Schutz nicht profitieren, die Prüfung der Qualität der Vermögenswerte, die Vorbereitung von Bestandsübertragungen, die Sicherstellung der Fortführung oder ordnungsmäßigen Rückführung jeglicher Portfolien an Derivaten, versicherungsmathematische Annahmen für die Ermittlung der versicherungstechnischen Rückstellungen und die entsprechende unabhängige aktuarielle Ermittlung des Veräußerungswertes sowie die Schätzung des Ergebnisses für jede Klasse von Versicherungsnehmern im Zuge der Auflösung zum Schutz der Versicherungsnehmer. Die Aufsichtsbehörden sollen schließlich regelmäßig für alle systemrelevanten Versicherer die Abwickelbarkeit auf der Grundlage der entsprechenden Abwick77 Systemrelevante Versicherer werden durch das FSB bestimmt. Hierzu veröffentlicht das FSB jährlich aktualisierte Listen. Die aktuelle Liste ist abrufbar unter: http://www.financialstabi lityboard.org/wp-content/uploads/pr_141106a.pdf. 78 Vgl. PWC, Aktuelle Informationen – Solvency II-Newsletter, August 2014, abrufbar unter: http://blogs.pwc.de/solvency-2/allgemein/das-fsb-konkretisiert-die-umsetzung-der-anfor derungen-zu-recovery-resolution-fuer-versicherungen/449/. 79 Auch die vorstehenden für die im Bankensektor geltenden Regelungen des Sanierungsund Abwicklungsgesetzes beruhen im Wesentlichen auf Vorgaben der Key Attributes of Effective Resolution Regimes for Financial Institutions des Financial Stability Board. Das SAG setzt zwar unmittelbar die europäische Sanierungs- und Abwicklungsrichtlinie um, die ihrerseits jedoch die Vorgaben der Key Attributes in der EU umsetzt. Vgl. hierzu auch die Ausführungen des FSB: „The twelve Key Attributes remain the umbrella standard for resolution regimes covering financial institutions of all types that could be systemic in failure.“, abrufbar unter: http://www.financialstabilityboard.org/2014/10/r_141015/.

B. Gesteigertes aufsichtsbehördliches Einflussnahmepotential

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lungsstrategien und des operationalen Abwicklungsplanes bewerten (KA 10). Des Weiteren stehen den Aufsichtsbehörden auch umfangreiche Rechte und Möglichkeiten zur Einflussnahme und Abwicklung betroffener Institute zu (KA 3). Diese entsprechen im Wesentlichen wiederum den oben bereits dargestellten Befugnissen der zuständigen Behörden im Bereich aufsichtsunterworfener Bankunternehmen. Anhang 2 der KAs bestimmt darüber hinaus diverse versicherungsspezifische Modifikationen (Ziff. 4 Annex 2 der KAs). Bei der Auswahl und Anwendung des weiten Maßnahmeninstrumentariums haben die Aufsichtsbehörden hier insbesondere versicherungsspezifische Besonderheiten zu berücksichtigen (Ziff. 4.2 Annex 2 der KAs). Da dieses Eingriffsportfolio, ähnlich wie im Bereich des Bankenaufsichtsrechtes, sehr weit reicht, drohen künftig ebenfalls tiefreichende Einschnitte in die unternehmerische Tätigkeit aufsichtsunterworfener (systemrelevanter) Versicherungsinstitute.80

B. Gesteigertes aufsichtsbehördliches Einflussnahmepotential auf die unternehmerische Tätigkeit I. Aufsichtsrechtliche Kontrolle unternehmerischer Entscheidungen Durch die nationale Umsetzung der CRD-IV-Richtlinie bzw. durch die Umsetzung der Solvency-II-Vorgaben wurden und werden im aufsichtsunterworfenen Banken- und Versicherungssektor zahlreiche neue qualitative Anforderungen für regulierte Unternehmen und deren Geschäftsleiter in das deutsche Recht transformiert. Exemplarisch sei an dieser Stelle nochmals auf den umfangreichen Pflichtenkatalog nach § 25c Abs. 3 KWG hingewiesen.81 Hiernach müssen die Geschäftsleiter von regulierten Bankunternehmen nunmehr im Rahmen ihrer Gesamtverantwortung die Grundsätze einer ordnungsgemäßen Geschäftsführung beschließen, die die erforderliche Sorgfalt bei der Führung des Instituts gewährleisten und insbesondere eine Aufgabentrennung in der Organisation und Maßnahmen festlegen, um Interessenkonflikten vorzubeugen, sowie für die Umsetzung dieser Grundsätze Sorge tragen (Nr. 1). Sie müssen zudem die Wirksamkeit dieser Grundsätze überwachen und regelmäßig bewerten (Nr. 2), der Festlegung der Strategien und den Risiken, insbesondere den Adressenausfallrisiken, den Marktrisiken und den operationellen Risiken, ausreichend Zeit widmen (Nr. 3), für eine angemessene und transparente Unternehmensstruktur sorgen, die sich an den Strategien des Unternehmens ausrichtet und der für ein wirksames Risikomanagement erforderlichen Transparenz der Geschäftsaktivitäten des Instituts Rechnung trägt, und die hierfür erforderliche Kenntnis über die Unternehmensstruktur und die damit 80

Vgl. hierzu nochmals in diesem Kapitel oben A. II. 1. d). Vgl. zur gesteigerten Bedeutung der Erfüllung organisatorischer Pflichten aufgrund des CRD IV-Umsetzungsgesetzes, Albert, in: Reischauer/Kleinhans, KWG-Kommentar, Erg.Lfg. 4/13, § 33, S. 41 f., Anm. 31. 81

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Kap. 1: Bestandsaufnahme ausgewählter aufsichtsrechtlicher (Neu-)Regelungen

verbundenen Risiken besitzen (Nr. 4), die Richtigkeit des Rechnungswesens und der Finanzberichterstattung sicherstellen (Nr. 5) sowie die Prozesse hinsichtlich Offenlegung und Kommunikation überwachen (Nr. 6). Hinzu kommt, dass diese qualitativen Vorschriften ein hohes Maß an Auslegungsbedürftigkeit aufweisen. Die Abkehr von einer eher regelbasierten Aufsicht hin zu einer prinzipiengeleiteten Aufsicht führt deshalb dazu, dass vermehrt nur noch allgemeine Grundsätze formuliert werden, die in der Praxis angemessen und unternehmensindividuell umgesetzt werden müssen.82 Da die Geschäftsleiter nach § 76 Abs. 1 AktG die Gesellschaft unter eigener Verantwortung zu leiten haben, müssen sie deshalb als Letztverpflichtete83 im Rahmen ihrer Leitungs- und Führungstätigkeit eine umfassende rechtliche Selbsteinschätzung vornehmen, um die jeweils formulierten aufsichtsrechtlichen Zielvorgaben adäquat in die Unternehmenspraxis umzusetzen.84 Hierzu steht ihnen regelmäßig ein breiter Ermessensspielraum zu.85 Die Ausdehnung qualitativer Vorgaben und damit verbundene gesteigerte Geschäftsleiteranforderungen, die zudem die gesamte beaufsichtigte Geschäftstätigkeit aufsichtsunterworfener Banken und Versicherungen zu betreffen scheinen, bewirken ein enormes aufsichtsbehördliches Einflussnahmepotential. Dies unterstreicht der jüngst eingeführte § 6b KWG. Mit dieser Vorschrift wurden die umfassenden Anforderungen der CRD-IV-Richtlinie in Bezug auf den aufsichtsrechtlichen Überprüfungs- und Evaluierungsprozess in das deutsche Recht umgesetzt und damit erstmals die Aufgaben der Bankenaufsicht im Rahmen des bankaufsichtlichen Überprüfungsprozesses klar definiert.86 Nach § 6b Abs. 1 KWG beurteilt die Aufsichtsbehörde im Rahmen der Beaufsichtigung die Regelungen, Strategien, Verfahren und Prozesse, die ein Institut zur Einhaltung der aufsichtlichen Anforderungen geschaffen hat, und beurteilt die Risiken, denen es ausgesetzt ist oder sein 82

Vgl. Hufeld, BaFin Fachartikel zu Solvency-II, 02. 12. 2013, abrufbar unter: http://www. bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Fachartikel/2013/fa_bj_2013_12_solvency_II. html?nn=5610628. 83 Vgl. bspw. auch Art. 40 der Solvency-II-Richtlinie: „Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass das Verwaltungs-, Management- oder Aufsichtsorgan des Versicherungs- oder Rückversicherungsunternehmens die letztendliche Verantwortlichkeit für die Einhaltung der gemäß dieser Richtlinie erlassenen Rechts- und Verwaltungsvorschriften durch das betreffende Unternehmen hat.“ 84 Bürkle, VersR 2013, 792, 793. 85 Vgl. zur Frage der dogmatischen Begründung dieses Ermessensspielraums im Rahmen rechtlicher Unsicherheiten ausführlich unten Kapitel 2, B. 86 Der bankaufsichtliche Überprüfungsprozess (Supervisory Review Process (SRP)), der die quantitativen Mindestkapitalanforderungen der Säule 1 um ein qualitatives Element ergänzt, beruht auf Säule 2 des Basel II-Reformpakets. Hierbei geht es entscheidend darum, das Gesamtrisiko eines Instituts und die wesentlichen Einflussfaktoren auf dessen Risikosituation zu identifizieren und bankenaufsichtlich zu würdigen. Im Mittelpunkt des SRP stehen das Risikomanagement einschließlich der Prozesse zur Sicherstellung der Risikotragfähigkeit der Kreditinstitute (ICAAP) sowie deren fortlaufende Überprüfung und Bewertung durch die Aufsicht (SREP). Vgl. hierzu ausführlich den Bericht der BaFin/Deutsche Bundesbank, Risikoorientierte Aufsicht nach Umsetzung der zweiten Säule von Basel II, Stand: 27. 08. 2009.

B. Gesteigertes aufsichtsbehördliches Einflussnahmepotential

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könnte (Nr. 1), sowie die Risiken für das Finanzsystem (Nr. 2). Auf dieser Grundlage bewertet die Aufsichtsbehörde schließlich zusammenfassend und zukunftsgerichtet, ob die von einem Institut geschaffenen Regelungen, Strategien, Verfahren und Prozesse sowie seine Liquiditäts- und Eigenmittelausstattung ein angemessenes und wirksames Risikomanagement und eine solide Risikoabdeckung gewährleisten, vgl. § 6b Abs. 2 Satz 1KWG. Neben Kreditrisiken, Marktrisiken und operationellen Risiken berücksichtigt sie dabei insbesondere auch das Geschäftsmodell (§ 6b Abs. 2 Satz 2 Nr. 10 KWG) sowie die Regelungen zur Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Geschäftsführung eines Instituts, die Art und Weise ihrer Implementierung und praktischen Durchführung sowie die Fähigkeit der Mitglieder des Leitungsorgans zur Erfüllung ihrer Pflichten (§ 6b Abs. 2 Satz 2 Nr. 14 KWG). Auch im Bereich des Versicherungsaufsichtsrechtes sind durch die geplanten Neuerungen vergleichbar weitgehende Regulierungstendenzen zu erkennen. Denn nach § 294 Abs. 5 Satz 1 VAG prüft und beurteilt die Aufsichtsbehörde zukünftig regelmäßig die Strategien, Prozesse und Meldeverfahren, die von den Versicherungsunternehmen zwecks Einhaltung der gemäß der Richtlinie 2009/138/EG erlassenen Rechts- und Verwaltungsvorschriften festgelegt wurden (aufsichtliches Überprüfungsverfahren). Dabei umfasst dieses Überprüfungsverfahren nach § 294 Abs. 5 Satz 2 VAG die Bewertung der qualitativen Anforderungen hinsichtlich der Geschäftsorganisation, die Bewertung der Risiken, denen die Unternehmen ausgesetzt sind oder sein könnten, und die Bewertung der Fähigkeit der Unternehmen, diese Risiken unter Berücksichtigung des jeweiligen Geschäftsumfelds zu beurteilen und ihnen standzuhalten. Die laufende qualitative Überprüfung durch die Aufsichtsbehörde umfasst mithin die gesamte Geschäftstätigkeit aufsichtsunterworfener Unternehmen, einschließlich wesentlicher Grundfragen der Geschäftsstrategie.87 Dies führt dazu, dass einerseits inhaltliche Aspekte unternehmerischer Grundentscheidungen somit in die aufsichtsbehördliche Bewertung miteinbezogen und von der Billigung der Aufsichtsbehörde abhängig gemacht werden und andererseits der unternehmerische Ermessens-, Beurteilungs- bzw. Handlungsspielraum der Geschäftsleiter massiv eingeschränkt wird.88 Besonders deutlich wird diese Erkenntnis, wenn man sich die systematische Verknüpfung mit den qualitativen Eignungsvoraussetzungen und das damit verbundene aufsichtsbehördliche Sanktionensystem vergegenwärtigt.89 Die hier dargestellten aufsichtsseitigen Einwirkungsmöglichkeiten stellen keinesfalls ein rein theoretisches Problem dar. Denn ausweislich Art. 36 Abs. 5 der Solvency-IIRichtlinie müssen die Aufsichtsbehörden die erforderlichen Befugnisse haben, um die Versicherungs- und Rückversicherungsunternehmen auffordern zu können, die

87 88 89

Binder, ZGR 2013, 760, 780. Binder, ZGR 2013, 760, 780. Vgl. hierzu in diesem Kapitel nachfolgend B. II.

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Kap. 1: Bestandsaufnahme ausgewählter aufsichtsrechtlicher (Neu-)Regelungen

im Rahmen des aufsichtlichen Überprüfungsverfahrens festgestellten Schwächen oder Mängel zu beheben.90 Durch die aufsichtsbehördliche Kontrolle unternehmerischer Entscheidungen entsteht ein erhebliches Konfliktpotential mit den allgemeinen Leitprinzipien, an denen sich Geschäftsleiter bei ihrer Tätigkeit zu orientieren haben. Denn Aufsichtsbehörden nehmen nach § 4 Abs. 4 FinDAG ihre Aufgaben und Befugnisse bekanntlich nur im öffentlichen Interesse, sprich in Orientierung an den aufsichtsrechtlichen Zielvorgaben, wahr, wohingegen Geschäftsleiter von Aktiengesellschaften sich primär am Unternehmensinteresse zu orientieren haben.91

II. Qualitative Eignungsvoraussetzungen als Grundlage für aufsichtsbehördliche Einwirkungsmöglichkeiten Im allgemeinen Aktienrecht ist es anerkannt, dass Vorstand nur sein kann, wer in persönlicher und fachlicher Hinsicht die nötigen Qualifikationen für sein Amt mitbringt.92 Voraussetzung ist, dass die infrage kommende Leitungsperson die Fähigkeit besitzt, unternehmerisch zu handeln, und die grundlegenden wirtschaftlichen Zusammenhänge der unternehmensspezifischen Tätigkeit der Gesellschaft ohne fremde Hilfe erfassen kann.93 Geschäftsleiter aufsichtsunterworfener Bank- und Versicherungsunternehmen müssen für die Leitung eines Instituts fachlich geeignet und zuverlässig sein (§ 25c Abs. 1 Satz 1 KWG bzw. § 24 Abs. 1 Satz 2 VAG) und der Wahrnehmung ihrer Aufgaben ausreichend Zeit widmen (nur § 25c Abs. 1 Satz 1 KWG). Die Erfordernisse der persönlichen Zuverlässigkeit (vgl. hierzu nachfolgend „1.“) und fachlichen Eignung (vgl. hierzu nachfolgend „2.“) an Geschäftsleiter spielen eine zentrale Rolle im Hinblick auf die Sicherheit und Funktionsfähigkeit der zu leitenden Unternehmen und stellen darüber hinaus die Basis für die aufsichts90 Vgl. auch die Aussagen des BaFin-Exekutiv-Direktors Raimund Rösler zu CRD IV: „Wenn das CRD-IV-Paket vorrangig eine EU-weite Harmonisierung der Bankenaufsicht zum Ziel hat, ist es nur folgerichtig, dass dies auch die Eingriffs- und Sanktionsrechte der Aufsichtsbehörden umfasst. Bankenaufsicht spielt sich nun einmal nicht nur in sonnigen Phasen ab. Gerade in den Momenten, in denen Institute – und manchmal auch ganze Volkswirtschaften – am Abgrund stehen, müssen wir in der Lage sein, in kürzester Zeit äußerst schwierige und weitreichende Entscheidungen zu treffen.“ Abrufbar unter: http://www.bafin.de/SharedDocs/Ve roeffentlichungen/DE/Fachartikel/2013/fa_bj_2013_05_crd_iv.html. 91 Vgl. hierzu ausführlich unten in Kapitel 3, B. IV. sowie Kapitel 3, C. I. und II. 92 Spindler, in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, § 84, Rn. 39; Fleischer, in: Spindler/Stilz, Aktiengesetz, § 84, Rn. 106 ff.; Weber, in: Hölters, Aktiengesetz, § 84, Rn. 73, 75. 93 Spindler, in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, § 84, Rn. 39; OLG München NZG 2006, 313 (hiernach muss ein Vorstand beispielsweise die Fähigkeit besitzen, Unternehmenskrisen bzw. Sanierungsfälle zu bewältigen); OLG Stuttgart GmbHR 1957, 59, 60 (hiernach muss ein Vorstand die notwendigen Kenntnisse zur adäquaten Leitung der Geschäfte besitzen).

B. Gesteigertes aufsichtsbehördliches Einflussnahmepotential

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rechtliche Kontrolle dar.94 Denn die Geschäftsleiter regulierter Banken- und Versicherungen sind Adressaten wesentlicher aufsichtsrechtlicher Pflichten nach dem KWG und VAG sowie von aufsichtsbehördlichen Maßnahmen.95 In Extremfällen können beispielsweise Mängel bei der Zuverlässigkeit oder der fachlichen Eignung den Entzug der Erlaubnis oder die Abberufung von Geschäftsleitern begründen.96 1. Zuverlässigkeit Das Merkmal der persönlichen Zuverlässigkeit hat seinen Ursprung im Gewerberecht, dessen Fehlen auch nach § 35 GewO die Untersagung der Ausübung eines Gewerbes rechtfertigen kann.97 Anknüpfungspunkt sind dabei die charakterlichen Eigenschaften der (potentiellen) Geschäftsleiter. Deshalb ist ein solcher jedenfalls dann nicht (mehr) als zuverlässig anzusehen, wenn der Betreffende nach dem Gesamtbild seines Verhaltens und seiner Persönlichkeit nicht die Gewähr dafür bietet, dass er seine Tätigkeit rechtmäßig, ordnungsgemäß und redlich ausüben wird.98 Da es keine pauschale Unzuverlässigkeit gibt, müssen sich die Tatsachen, aus denen sich die Unzuverlässigkeit ergeben soll, auf das konkret ausgeübte Gewerbe beziehen, wobei auf die Besonderheiten der Geschäfte eines Kredit- oder Finanzdienstleistungsinstituts sowie die Größe des Unternehmens und die besonders hohe Vertrauensempfindlichkeit dieser Branche abzustellen ist.99

94 Vgl. Albert, in: Reischauer/Kleinhans, KWG-Kommentar, Erg.-Lfg. 4/13, § 33, S. 12 f., Anm. 11; Fischer, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, § 33, Rn. 30. 95 Geschäftsleiter aufsichtsunterworfener Unternehmen sind dabei entweder unmittelbar Adressaten aufsichtsrechtlicher Pflichten aus dem KWG bzw. VAG sowie von aufsichtsbehördlichen Maßnahmen oder auch mittelbare Adressaten als gesetzliche Vertreter der zu leitenden Gesellschaft. Vgl. hierzu beispielsweise die Organisationsanforderungen nach § 25a Abs. 1 KWG bzw. § 23 Abs. 1 VAG, die in ihren jeweiligen Satz 1 zunächst eine an das Unternehmen gerichtete Pflicht normieren und in Satz 2 hierfür den Geschäftsleiter unmittelbar in Verantwortung nehmen. 96 So bspw. bei schweren und nachhaltigen Gesetzesverstößen oder auch in Fällen unzureichender Überwachung und Kontrolle der Risiken oder sonstige Verletzung der Organisationspflichten nach § 25a Abs. 1 KWG bzw. §§ 23 ff. VAG, gemessen an den jeweiligen aufsichtsbehördlichen Anforderungen, vgl. hierzu auch Fischer, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, § 36, Rn. 33. 97 Albert, in: Reischauer/Kleinhans, KWG-Kommentar, Erg.-Lfg. 4/13, § 33, S. 28 ff., Anm. 25 ff. 98 Vgl. Fischer, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, § 33, Rn. 35; Louven/Raapke, VersR 2012, 257, 258 m. w. Nachw. 99 Fischer, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, § 33, Rn. 35 f.; Marcks, in: Landmann/ Rohmer, Gewerbeordnung, 67. Ergänzungslieferung 2014, § 35, Rn. 28 ff.

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Kap. 1: Bestandsaufnahme ausgewählter aufsichtsrechtlicher (Neu-)Regelungen

2. Fachliche Eignung Die fachliche Eignung setzt nach der jeweiligen Vorschrift voraus, dass die Geschäftsleiter in ausreichendem Maß theoretische und praktische Kenntnisse in den betreffenden Geschäften sowie Leitungserfahrung haben, vgl. § 25c Abs. 1 Satz 2 KWG bzw. § 24 Abs. 1 VAG.100 Diese Voraussetzungen sollen nach den Regelvermutungen jedenfalls dann vorliegen, wenn eine dreijährige leitende Tätigkeit bei einem Institut (§ 25c Abs. 1 Satz 3 KWG) bzw. bei einem Versicherungsunternehmen (§ 24 Abs. 1 Satz 4 VAG) von vergleichbarer Größe und Geschäftsart nachgewiesen wird. 3. Aufsichtsbehördliche Einflussnahme auf das Geschäftsleiterverhalten Für Aktiengesellschaften stellen die qualitativen Eignungsvoraussetzungen grundsätzlich systemkonforme Konkretisierungen allgemeiner verbandsrechtlicher Vorgaben dar.101 Problematisch ist hingegen, dass die Qualifikationsanforderungen an Geschäftsleiter, insbesondere das Merkmal der „Zuverlässigkeit“, in der aufsichtsbehördlichen Praxis als Anknüpfungspunkt für eine umfassende Bewertung102 des Geschäftsleiterverhaltens dient.103 Aufsichtsbehörden würdigen dabei unter dem Gesichtspunkt der Schutzzwecke des Aufsichtsrechtes104 insbesondere auch sämtliche Aspekte der Leitungs- und Geschäftsführungsaufgaben.105 Qualifikationsmängel können sich mithin auch ergeben, wenn die Aufsichtsbehörden bei ihrer Bewertung zu dem Ergebnis kommen, dass die zu überprüfende Leitungsperson nicht oder nicht mehr für eine allgemeine wirtschaftliche Geschäftsführung fähig ist.106 In diesem Fall stehen den jeweils zuständigen Aufsichtsbehörden weitreichende Durchsetzungskompetenzen zu.

100 Vgl. hierzu etwa Albert, in: Reischauer/Kleinhans, KWG-Kommentar, Erg.-Lfg. 4/13, § 33, S. 58 ff., Anm. 52 ff. 101 Binder, ZGR 2013, 760, 773; Louven/Raapke, VersR 2012, 257. 102 Vgl. hierzu Fischer, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, § 36, Rn. 34 ff. Nach Fischer stützt sich die Verwaltungspraxis der BaFin bei Abberufungsverlangen und Verwarnungen regelmäßig auf Feststellungen des Jahresabschlussprüfers oder eines Sonderprüfers. Die Feststellungen des Prüfers macht sich die BaFin insofern inhaltlich voll zu eigen. Dies sei jedoch deshalb problematisch, weil der Jahresabschlussprüfer und auch der Sonderprüfer regelmäßig lediglich eine Situation bzw. die objektiven Verhältnisse des Instituts feststellen, jedoch meist keine hinreichenden Feststellungen zur Vermeidbarkeit, Vorwerfbarkeit und persönlichen Zurechnung treffen. 103 Binder, ZGR 2013, 760, 774. 104 Nach § 4 Abs. 4 FinDAG nimmt die Bundesanstalt ihre Aufgaben und Befugnisse nur im öffentlichen Interesse wahr. 105 Binder, ZGR 2013, 760, 774. 106 Fischer, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, § 33, Rn. 38 ff. sowie § 36, Rn. 33 ff.

B. Gesteigertes aufsichtsbehördliches Einflussnahmepotential

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a) Formelle Maßnahmen Im Extremfall sind die zuständigen Aufsichtsbehörden dazu berechtigt, gegenüber dem beaufsichtigten Unternehmen die Abberufung von Geschäftsleitern zu verlangen und diesen auch die Ausübung ihrer Tätigkeit zu untersagen (vgl. für den Bankensektor § 36 Abs. 1 i. V. m. §§ 35 Abs. 2 Nr. 3, 33 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 4 KWG und für den Versicherungssektor § 303 Abs. 1 und Abs. 2 ggf. i. V. m. § 24 VAG) bzw. als Ultima Ratio die Aufhebung der Erlaubnis zum Geschäftsbetrieb zu verlangen (vgl. für den Bankensektor § 35 Abs. 2 Nr. 3 i. V. m. § 33 Abs. Nr. 2 und Nr. 4 KWG bzw. für den Versicherungssektor § 304 Abs. 3 Nr. 1 i. V. m. § 11 Abs. 1 Nr. 2 VAG). Laut dem Jahresbericht der BaFin aus dem Jahr 2013 gab es im aufsichtsunterworfenen Bankensektor insgesamt 116 gravierende Beanstandungen/Schreiben, wohingegen lediglich ein informelles Abberufungsverlangen sowie acht Verwarnungen gegenüber Geschäftsleitern zu verzeichnen waren.107 Formelle Maßnahmen, wie Abberufungsverlangen, Tätigkeitsuntersagungen oder auch Verwarnungen, scheinen somit in der Praxis tatsächlich wenig relevant. Bei genauerem Hinsehen verfälschen diese Zahlen jedoch die tatsächlichen praktischen Auswirkungen dieser schwerwiegenden Instrumentarien deutlich. b) Informelle Maßnahmen Denn faktisch kann die Aufsichtsbehörde allein durch die Existenz derartiger Sanktionsinstrumentarien und unter Zuhilfenahme rein informellen Handelns erheblichen Druck auf die Geschäftsleiter ausüben und somit auch gezielt deren Verhalten beeinflussen.108 Bei der Beurteilung der qualitativen Eignungsvoraussetzungen wird den Aufsichtsbehörden in der Praxis ein sehr weiter Beurteilungsspielraum zugestanden.109 Ein Abberufungsverlangen kommt beispielsweise dann in Betracht, wenn ein Geschäftsleiter einen vorsätzlichen oder leichtfertigen Verstoß gegen aufsichtsrechtliche Gesetze, gegen die zur Durchführung der Aufsichtsgesetze erlassenen Verordnungen oder auch gegen Anordnungen der Aufsichtsbehörde begangen hat und trotz vorheriger Verwarnung durch die Aufsichtsbehörde sein Verhalten weiter fortsetzt. Durch den Passus „Anordnungen der Aufsichtsbehörde“ wird deutlich, dass insbesondere auch die Kooperationsbereitschaft der Geschäftsleiter gegenüber der Aufsichtsbehörde maßgeblichen Einfluss auf die Bewertung der Zuverlässigkeit und fachlichen Eignung der Leitungsorgane hat.110 Kritisch ist in diesem Zusammenhang, dass die aufsichtsrechtliche Praxis sowie Instanzgerichte teilweise dazu neigen, auch aufsichtsbehördliche Äußerungen, wie beispielsweise Verlautbarungen, hinsichtlich der Bindungswirkung mit Gesetzen und Verordnungen

107 108 109 110

Vgl. Jahresbericht der BaFin 2013, S. 109. Fischer, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, § 33, Rn. 32. Fischer, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, § 36, Rn. 33 ff. Binder, ZGR 2013, 760, 774.

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Kap. 1: Bestandsaufnahme ausgewählter aufsichtsrechtlicher (Neu-)Regelungen

gleichzustellen.111 Insofern droht die Gefahr, dass die Abberufungsgründe der Unzuverlässigkeit und fachlichen Eignung als „Auffangbecken“112 für wirtschaftlich nicht relevante Gesetzesverstöße dienen. Dass mithin zu befürchten ist, dass bereits eine aufsichtsbehördliche Sanktionsandrohung regelmäßig ausreichen wird, um beim Geschäftsleiter erhebliche Befolgungsanreize auszulösen und diesem in letzter Konsequenz ein aufsichtsbehördlich gewolltes Verhalten aufzuzwingen, wird besonders durch einen Artikel der BaFin in ihrem Jahresbericht aus dem Jahr 2010 deutlich. In diesem führt sie aus, dass im Bereich der Maßnahmen gegen Geschäftsleiter und gegen Mitglieder von Verwaltungs- und Aufsichtsorganen von Instituten häufig bereits ein informelles Aufsichtshandeln zu den gewünschten Ergebnissen führte und deshalb in diesen Fällen ein formales Abberufungsverlangen nicht mehr notwendig war.113 Zu diesen rein informellen Maßnahmen gehören beispielsweise Hinweise, Belehrungen, Ermahnungen, formlose Ersuchen sowie der schlichte Dialog zwischen Aufsichtsbehörde und Adressat der Maßnahme.114 In der Regel fordert die Aufsichtsbehörde zu bestimmten Vorkommnissen bzw. Geschäftsvorfällen Informationen von den betroffenen Adressaten an, teilt diesen daraufhin ihre eigene Ansicht mit, spricht gegebenenfalls Mahnungen aus und droht im Falle des Nichtbefolgens unter Umständen sogar mit mehr oder weniger weit reichenden Konsequenzen.115 Selbst das informelle Verwaltungsverfahren kann mithin zu einer immensen Druckausübung seitens der Aufsichtsbehörden führen.116 Eine derartige Aufsichtspraxis führt regelmäßig zu tiefgreifenden, rechtsstaatlich fragwürdigen Eingriffen.117 Denn trotz der zumindest theoretischen Möglichkeit, eventuell drohende Abberufungsverlangen gerichtlich überprüfen zu lassen, machte in der Vergangenheit so gut wie kein Betroffener aufgrund der ihm drohenden wirtschaftlichen und beruflichen Existenzgefährdung von dieser Möglichkeit Gebrauch.118

111

So Samm, in: Beck/Samm/Kokemoor, KWG, § 36, Rn. 18a. Vgl. Samm, in: Beck/Samm/Kokemoor, KWG, § 36, Rn. 94. 113 Vgl. Jahresbericht der BaFin 2010, S. 166. 114 Vgl. BaFin, Ziel, Leitbild und Strategien der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, S. 5, 8; Glawischnig/Quinke, in: Reischauer/Kleinhans, KWG-Kommentar, Erg.Lfg. 8/14, § 36, S. 86 f. Anm. 95 ff. 115 Vgl. Fischer, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, Einf., Rn. 154. 116 Glawischnig/Quinke, in: Reischauer/Kleinhans, KWG-Kommentar, Erg.-Lfg. 8/14, § 36, S. 11 f. Anm. 3. 117 Ähnlich Ludwig, Branchenspezifische Wirtschaftsaufsicht und Corporate Governance, S. 286 f. 118 Vgl. Fischer, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, Einf., Rn. 155. 112

B. Gesteigertes aufsichtsbehördliches Einflussnahmepotential

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III. Spezifische Aufsichtsbefugnisse der EZB In die Kategorie des zunehmenden aufsichtsbehördlichen Einflussnahmepotentials gehört darüber hinaus auch das der EZB zustehende spezifische Maßnahmeninstrumentarium. Neben den Befugnissen, die den nationalen Aufsichtsbehörden auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsakte des Unionsrechts zugewiesen wurden, sowie den Einflussnahmemöglichkeiten gegenüber den nationalen Aufsichtsbehörden stehen der EZB nunmehr auch die in Kapitel III der SSM-VO genannten spezifischen Aufsichts- und Untersuchungsbefugnisse zu.119 Im hier behandelten Zusammenhang sind dabei insbesondere die Aufsichtsbefugnisse, die der EZB im Rahmen ihrer Aufsichtstätigkeit unmittelbar gegenüber bedeutenden Instituten zustehen, gemeint. Zur Wahrnehmung der ihr durch Art. 4 Abs. 1 SSM-VO übertragenen Aufgaben und unbeschadet anderer ihr übertragener Befugnisse verfügt die EZB über die Möglichkeit, jedes Kreditinstitut und jede Finanzholdinggesellschaft oder gemischte Finanzholdinggesellschaft in den teilnehmenden Mitgliedstaaten zu verpflichten, frühzeitig Maßnahmen zu ergreifen, die erforderlich sind, etwaigen Problemen zu begegnen, vgl. Art. 16 Abs. 1 SSM-VO. Die einzelnen in Art. 16 Abs. 2 SSM-VO genannten Maßnahmen betreffen wiederum umfassende, teils originär unternehmerische Entscheidungen.120 So hat die EZB beispielsweise zum Zwecke der Erfüllung des Art. 9 Abs. 1 SSM-VO die Befugnis eine Verstärkung der Regelungen, Verfahren, Mechanismen und Strategien zu verlangen (Art. 16 Abs. 2 b) SSM-VO) sowie die Geschäftsbereiche, die Tätigkeiten oder das Netz von Instituten einzuschränken oder zu begrenzen oder die Veräußerung von Geschäftszweigen, die für die Solidität des Instituts mit zu großen Risiken verbunden sind, zu verlangen (Art. 16 Abs. 2 e) SSM-VO).121 Bevor die EZB ihre Aufsichtsbefugnisse bezüglich bedeutender Kreditinstitute ausübt, kann sie auch in Betracht ziehen, die Probleme zunächst informell anzugehen, z. B. indem sie eine Besprechung mit dem Leitungsorgan des Kreditinstituts durchführt oder ein aufsichtliches Schreiben versendet.122 Die Wahl der spezifischen Maßnahme hängt dabei maßgeblich von Kriterien wie der Schwere der Mängel, dem vorgesehenen zeitlichen Rahmen, dem Maß, in dem sich das Kreditinstitut der Mängel bewusst ist, der Fähigkeit und Verlässlichkeit des Leitungsorgans und der Verfügbarkeit von Personal, Kapital und 119 Vgl. nochmals allgemein zur Überwachung und Beaufsichtigung des nationalen Bankensektors durch die EZB nach dem SSM oben Einführung, I. 2. c) bb) (1). 120 Binder, Banking Union and the Governance of Credit Institutions, SAFE Working Paper No. 96, S. 9 f. 121 Darüber hinaus kann die EZB Institute verpflichten, Risikokomponenten und Risiken, die nicht vom einschlägigen Aufsichtsrecht erfasst sind, mit zusätzlichen Eigenmitteln zu unterlegen (Art. 16 Abs. 2 a) SSM-VO) oder auch Mitglieder des Leitungsorgans von Kreditinstituten, die den Anforderungen der Rechtsakte nach Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 nicht entsprechen, jederzeit abberufen (Art. 16 Abs. 2, m) SSM-VO). Vgl. zur fortlaufenden Überwachung von Kreditinstituten durch die EZB sowie zu den neuen Durchsetzungsmechanismen Binder, Banking Union and the Governance of Credit Institutions, SAFE Working Paper No. 96, S. 9 ff. 122 Vgl. EZB, Leitfaden zur Bankenaufsicht, September 2014, Rn. 78.

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Kap. 1: Bestandsaufnahme ausgewählter aufsichtsrechtlicher (Neu-)Regelungen

technischen Mitteln innerhalb des Kreditinstituts ab.123 Die Ausübung der Aufsichtsbefugnisse wird überwacht, indem die EZB zeitnah überprüft, ob das Kreditinstitut die Empfehlungen, die Aufsichtsmaßnahmen oder andere ihm auferlegte Aufsichtsbeschlüsse umsetzt.124 Hier wird nochmals die Dimension des aufsichtsbehördlichen Einflussnahmepotentials deutlich. Grundlegende originär unternehmerische Entscheidungen drohen vermehrt von der Billigung einer allein dem öffentlichen Interesse verpflichteten Aufsicht abhängig gemacht zu werden. Denn wenn die regulatorischen Anforderungen aus Sicht der Aufsichtsbehörden vermeintlich nicht erfüllt wurden und das Fehlverhalten eines Kreditinstituts und/oder seines Leitungsorgans sanktionswürdig ist, kann die EZB künftig auch bestimmte Verwaltungssanktionen nach Art. 18 SSM-VO erlassen. Durch die neu geschaffene Bankenunion wird mithin mehr denn je Einfluss auf die interne Corporate Governance von aufsichtsunterworfenen Kreditinstituten ausgeübt.125

C. Weitere Einschränkungen der unternehmerischen Handlungsautonomie im Bankensektor durch die „Trennbankenregulierung“ Durch das am 31. Januar 2014 in Kraft getretene „Trennbankengesetz“ wurden in der Bundesrepublik Deutschland Regelungen gesetzlich statuiert, die neben der Sanierungs- und Abwicklungsplanung sowie der Normierung von strafbewehrten Geschäftsleiterpflichten insbesondere auch die Ausgliederung spekulativer Geschäfte zur Abschirmung von Risiken zum Gegenstand haben.126 Neben den de lege lata geltenden nationalen Regelungen im KWG (vgl. nachfolgend) existiert auch auf europäischer Ebene ein Verordnungsentwurf127der Europäischen Kommission vom 29. Januar 2014 in Bezug auf die Trennbankenregulierung; darüber hinaus haben sich die EU-Finanzminister am 19. Juni 2015 ebenfalls auf einen entsprechenden Vorschlag128 („allgemeine Ausrichtung“) geeinigt. Unter sog. „Trennbankenregeln“ 123

Vgl. EZB, Leitfaden zur Bankenaufsicht, September 2014, Rn. 79. Vgl. EZB, Leitfaden zur Bankenaufsicht, September 2014, Rn. 80. 125 Binder, Banking Union and the Governance of Credit Institutions, SAFE Working Paper No. 96, S. 12 ff. 126 Inhaltlich orientieren sich diese Regelungen an den Empfehlungen des von einer hochrangigen Expertengruppe verfassten „Liikanan-Reports“, sog. Hochrangige Expertengruppe zur Untersuchung möglicher Strukturreformen im EU-Bankensektor, Schlussbericht, Brüssel, 2. Oktober 2012. 127 Vgl. Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über strukturelle Maßnahmen zur Erhöhung der Widerstandsfähigkeit von Kreditinstituten in der Union vom 29. 01. 2014, COM/2014/043 final – 2014/0020 (COD). 128 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über strukturelle Maßnahmen zur Erhöhung der Widerstandsfähigkeit von Kreditinstituten in der Union („allgemeine Ausrichtung“) vom 19. Juni 2015. 124

C. Weitere Einschränkungen durch die „Trennbankenregulierung“

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versteht man im Allgemeinen die Pflicht zur Trennung von Wertpapier- und sonstigem Bankgeschäft, also das Verbot, die Erbringung bestimmter Leistungen im Wertpapieremissions-, Wertpapierkommissions-, Eigen- und Depotgeschäft (sog. Investment Banking) mit der bankbetrieblichen Leistungserstellung im Bereich des Einlagen- und Kreditgeschäfts (sog. Commercial Banking) zu kombinieren.129 Hierdurch soll zuvörderst die Solvenz der Institute und eine nachhaltige Stabilisierung der Finanzmärkte sichergestellt werden.130 Künftig soll insbesondere auch vermieden werden, dass Einlagen von Bürgern dazu genutzt werden, spekulative Hochrisikostrategien auf eigene Rechnung ohne die unter Marktbedingungen angemessene Risikoprämie auf Fremdkapital zu finanzieren.131 Eine Spartentrennung soll darüber hinaus auch noch die Abwicklung in Not geratener Risikogeschäfte ermöglichen, ohne das hierzu massive staatliche Rettungspakete vonnöten sind.132 Aufgrund des noch offenen europäischen Rechtsetzungsverfahrens sind die konkreten Auswirkungen der Bankenregulierung auf die (Neu-)Ausrichtung der Geschäftsstrategien aufsichtsunterworfener Bankunternehmen noch keiner detaillierten Analyse zugänglich. Zukünftig könnten diese Regelungen jedoch die drastischste Form der Einflussnahme auf die Organisationsfreiheit darstellen.133 Um die Aufsichtsziele zu verwirklichen stehen den zuständigen Aufsichtsbehörden bereits de lege lata umfangreiche Ermächtigungsgrundlagen zu, die es denselben ermöglichen zu bestimmen, welche Geschäfte verboten und welche erlaubt sind.134 Die umfangreichen Ermächtigungen der zuständigen Aufsichtsbehörden zur Überprüfung und Bewertung, zur Anordnung der Abspaltung bzw. zum Verbot bestimmter Geschäftsaktivitäten sind darüber hinaus bisweilen kaum begrenzt. Die Unbestimmtheit diesbezüglicher Rechtsgrundlagen führt zu einem fragwürdig großen diskretionären Ermessensspielraum der Aufsichtsbehörden.135 In der Praxis wird 129 Möslein, BKR 2013, 397. Vgl. allgemein zur Struktur des Bankensektors Rümker/ Winterfeld, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, § 124, Rn. 76 ff. 130 Vgl. BT-Drs. 17/12601, S. 2; Möslein, BKR 2013, 397, 398. 131 Vgl. BT-Drs. 17/12601, S. 2. Vgl. zu den ökonomischen Grundlagen von Trennbankensystemen etwa Lehmann/Rehahn, WM 2014, 1793 f.; Altvater/Schweinitz, WM 2013, 625 f. 132 Vgl. BT-Drs. 17/12601, S. 2. Vgl. nochmals allgemein zur Rechtfertigung aufsichtsrechtlicher Regulierung oben Einführung, I. 2. a). 133 Binder, ZGR 2015, 667, 699. 134 Beispielsweise liegt es de lege lata gemäß § 3 Abs. 4 KWG im Ermessen der zuständigen Aufsichtsbehörden, auch an sich erlaubte Geschäftsarten zu verbieten und anzuordnen, dass die Geschäfte einzustellen oder auf ein Finanzhandelsinstitut im Sinne des § 25 f Abs. 1 KWG zu übertragen sind, wenn zu besorgen ist, dass sie die Solvenz der jeweiligen Verbotsadressaten zu gefährden drohen. 135 Vgl. hierzu beispielsweise auch die Bedenken der deutschen Kreditwirtschaft hinsichtlich des Verordnungsentwurfes: Die Deutsche Kreditwirtschaft, Stellungnahme zum Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über strukturelle Maßnahmen zur Erhöhung der Widerstandsfähigkeit von Kreditinstituten in der Union vom 29. Januar 2014; COM (2014) 43 final, 14. März 2014, S. 5. Hinsichtlich des nationalen Trennbankengesetzes vgl. Die Deutsche Kreditwirtschaft, Stellungnahme zum Entwurf eines

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Kap. 1: Bestandsaufnahme ausgewählter aufsichtsrechtlicher (Neu-)Regelungen

deshalb wohl künftig auch in diesem Bereich vermehrt eine Interaktion zwischen Institut und zuständiger Aufsichtsbehörde notwendig sein. Um das Kooperationsverhältnis mit der Aufsicht nicht zu sehr zu belasten und drohenden Sanktionen sowie möglichen Reputationsverlusten vorzubeugen droht die Gefahr, dass aufsichtsunterworfene Kreditinstitute die Entwicklung ihres Geschäftsmodells nicht mehr ausschließlich an den gesetzlichen Vorgaben entwickeln, sondern vermehrt von aufsichtsbehördlichen Vorstellungen abhängig machen werden. Geschäftsleiter sind dann verstärkt auf eine voraussagbare Bewertung der Aufsichtsbehörden angewiesen.136 Dies führt einerseits zu einer immensen Intensivierung rechtlicher Unsicherheiten bei den verantwortlichen Aufsichtsadressaten und andererseits zu erheblichen Einflussnahmemöglichkeiten industriepolitischer Eingriffe.137 Verstärkt wird diese Erkenntnis darüber hinaus, wenn man sich vergegenwärtigt, dass der Betrieb von Geschäften im Sinne des § 3 KWG auch nach § 54 KWG strafbewehrt ist. Diese aufsichtlichen Eingriffsbefugnisse, verbunden mit den bereits oben angesprochenen aufsichtsbehördlichen Durchsetzungsmechanismen in Bezug auf die Geschäftsleiter, stellen massive Einschnitte in die unternehmerische Freiheit sowie den Eigentumsschutz dar.138 Rechtsstaatlich besonders kritisch zu beurteilen ist hierbei die Tatsache, dass weder die nationale Regelung nach § 3 Abs. 4 KWG noch Art. 9 und 10 VO-E bzw. nach Art. 8139, 8a und 10 VO-E („allgemeine Ausrichtung“ Gesetzes zur Abschirmung von Risiken und zur Planung der Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Finanzgruppen (BT-Drucks. 17/12601), 17. April 2013, S. 18. 136 Vgl. Die Deutsche Kreditwirtschaft, Stellungnahme zum Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über strukturelle Maßnahmen zur Erhöhung der Widerstandsfähigkeit von Kreditinstituten in der Union vom 29. Januar 2014; COM (2014) 43 final, 14. März 2014, S. 5. 137 Vgl. Die Deutsche Kreditwirtschaft, Stellungnahme zum Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über strukturelle Maßnahmen zur Erhöhung der Widerstandsfähigkeit von Kreditinstituten in der Union vom 29. Januar 2014; COM (2014) 43 final, 14. März 2014, S. 5: „Im Rahmen des einheitlichen Bankaufsichtsmechanismus (SSM) würde die EZB damit einen ,Blankoscheck‘ zur Durchführung weitreichender Strukturreformen erhalten. Nicht mehr das Entstehen neuer Bedürfnisse nach Finanzdienstleistungen würde in Zukunft die Entwicklung des Bankgeschäfts bestimmen, sondern die Vorstellungen, die Mitarbeiter der Aufsichtsbehörden mit dem Bankgeschäft verbinden. Es besteht die Gefahr, dass das Bankgeschäft dann zu einem statischen Gebilde erstarrt, das die Bedürfnisse der kreditnehmenden Wirtschaft immer schlechter wird erfüllen können.“ 138 Hinsichtlich des Verordnungsentwurfes vgl. Die Deutsche Kreditwirtschaft, Stellungnahme zum Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über strukturelle Maßnahmen zur Erhöhung der Widerstandsfähigkeit von Kreditinstituten in der Union vom 29. Januar 2014; COM (2014) 43 final, 14. März 2014, S. 6 ff.; hinsichtlich des Trennbankengesetztes vgl. Die Deutsche Kreditwirtschaft, Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Abschirmung von Risiken und zur Planung der Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Finanzgruppen (BT-Drucks. 17/12601), 17. April 2013, S. 18. 139 Die in Art. 10 VO-E („allgemeine Ausrichtung“ des Rates vom 19. 06. 2015) genannten Befugnisse der jeweils zuständigen Behörde beziehen sich nach dem Wortlaut lediglich auf sog. Kernkreditinstitute der Kapitalklasse 2 gemäß Art. 4a Abs. 2 VO-E („allgemeine Ausrichtung“ des Rates vom 19. 06. 2015). Doch kann die jeweils zuständige Behörde unter den Voraus-

D. Bewertung und Folgen des Regulierungs- und Beaufsichtigungstrends

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des Rates vom 19. 06. 2015) eine konkrete Gefährdungssituation voraussetzen, um einschneidende Maßnahmen zu treffen, die erkenntlich das Geschäftsmodell und mithin die grundsätzliche Strukturierung und Ausrichtung der Geschäftstätigkeit aufsichtsunterworfener Kreditinstitute betreffen.140 Im Ergebnis führt dies zu einer Einschränkung grundlegender Ermessensspielräume. Die unternehmerische Freiheit und auch das Recht auf Eigentum von Anteilseignern werden eingeschränkt, indem diese beispielsweise in einer derartigen Situation nicht frei über ihr Eigentum entscheiden können.141

D. Bewertung und Folgen des Regulierungsund Beaufsichtigungstrends Durch zahlreiche kriseninduzierte Reformen wurde und wird versucht, die durch die weltweite Finanzkrise aufgezeigten Schwächen zu beseitigen. Der hier dargestellte Regulierungs- und Beaufsichtigungstrend führt zu einer Reihe von Problemfeldern, die im Wesentlichen in zwei Kategorien aufgegliedert werden können. Erstens besteht eine massive Ausdehnung von Geschäftsleiterpflichten durch prinzipienbasierte aufsichtsrechtliche Normen. Exemplarisch hierfür stehen insbesondere die an sich systemkonformen Konkretisierungen und Verdichtungen allgemeiner aktienrechtlichen Geschäftsleiterpflichten, wie sie oben anhand der allgemeinen Organisationsanforderungen sowie anhand der Pflichtenkataloge in Bezug auf die Sanierungsplanung dargestellt wurden.142 Diese meist sehr offen und weit formulierten Tatbestände führen zunehmend zu einer Ausweitung der Handlungsautonomie der Geschäftsleitung und schränken zugleich dieselbe faktisch ein. Die damit verbundenen Auswirkungen auf den Pflichten- und Sorgfaltsmaßstab, an dem das Handeln der Geschäftsleiter gemessen wird, sind erheblich.143 Mehr Verantwortung bedeutet auch höhere Haftungsrisiken. Dies gilt insbesondere, wenn man sich die erheblichen Rechtsunsicherheiten speziell im Bereich des Bank- und Versicherungsaufsichtsrechtes vergegenwärtigt. Das hohe Regulierungstempo der versetzungen des Art. 8 Abs. 4 VO-E („allgemeine Ausrichtung“ des Rates vom 19. 06. 2015) auch Unternehmen der Kapitalklasse 1 den Unternehmen der Gruppe der Kapitalklasse 2 zuordnen. 140 Voraussetzung derartiger aufsichtsbehördlicher Eingriffe ist nämlich lediglich die Sorge, dass bestimmte Geschäfte die Solvenz des CRR-Kreditinstitut gefährden (§ 3 Abs. 4 KWG) bzw. dass mit Blick auf die in Art. 1 VO-E genannten Ziele die finanzielle Stabilität des Kernkreditinstituts oder des Finanzsystems der Union als Ganzes gefährdet ist (Art. 10 Abs. 1 VO-E) bzw. dass die in Art. 6b Abs. 3 VO-E („allgemeine Ausrichtung“ des Rates vom 19. 06. 2015) genannten Indikatoren darauf hindeuten, dass bestimmte Handelsaktivitäten mit einem übermäßig hohen Risiko verbunden sind (Art. 10 Abs. 1 VO-E („allgemeine Ausrichtung“ des Rates vom 19. 06. 2015)). 141 Vgl. auch Verordnungsentwurf COM/2014/043 final – 2014/0020 (COD), S. 24. 142 Vgl. nochmals in diesem Kapitel oben A. I. und II. 143 Vgl. hierzu auch Binder, ZGR 2013, 760, 782 f.

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Kap. 1: Bestandsaufnahme ausgewählter aufsichtsrechtlicher (Neu-)Regelungen

gangenen Jahre führte zu zahlreichen Änderungen und Modifikationen im Bereich des qualitativen Aufsichtsrechtes. Prinzipienartige Vorgaben sind im hohen Maße auslegungsbedürftig und werden darüber hinaus noch häufig durch zahlreiche (untergesetzliche) aufsichtsbehördliche Veröffentlichungen ergänzt und konkretisiert. Diese enthalten ihrerseits wiederum eine Vielzahl an unbestimmt formulierten Begrifflichkeiten. Geschäftsleiter stehen deshalb nunmehr vor der Herausforderung, diesen unbestimmten Pflichtenmaßstab zu konkretisieren, sprich die aufsichtsrechtlichen Vorgaben korrekt auszulegen und anzuwenden.144 Dies wird in der Praxis oftmals erst im Rahmen eines mehrstufigen Abstimmungsprozesses zwischen den jeweils betroffenen Aufsichtsadressaten und den jeweils zuständigen Aufsichtsbehörden möglich sein.145 Durch die Einwirkungen des Aufsichtsrechtes können sich hierbei erhebliche Spannungen insbesondere im Hinblick auf die Bestimmung des Bezugsrahmens des verbandsrechtlichen Leitungsauftrages ergeben, die das angesprochene Unsicherheitsmomentum weiter verstärken.146 Denn das Aufsichtsrecht selbst ist bekanntlich allein dem öffentlichen Interesse verpflichtet, von dem ein Gesellschafts- bzw. Unternehmensinteresse gerade nicht erfasst ist.147 Diese Zieldisparität zwischen Aufsichts- und Verbandsrecht steigert die Rechtsunsicherheit im Rahmen der Auslegung generalklauselartiger Vorgaben erheblich.148 Zweitens ist das Einflussnahmepotential der jeweils zuständigen Bank- und Versicherungsaufsichtsbehörden eklatant gestiegen. Die Ausdehnung der Beaufsichtigung und Bewertung des Geschäftsleiterverhaltens durch die zuständigen Aufsichtsbehörden, verbunden mit den oben dargestellten Einwirkungsmöglichkeiten, führt dazu, dass inhaltliche Aspekte unternehmerischer Grundentscheidungen somit in die aufsichtsbehördliche Bewertung miteinbezogen und von der Billigung der Aufsichtsbehörde abhängig gemacht werden und infolgedessen die Handlungsautonomie der letztverpflichteten Geschäftsleiter massiv eingeschränkt wird. Hierdurch drohen darüber hinaus Grundwertungen des Gesellschaftsrechtes durch das öffentliche Interesse an integren Finanzmärkten infrage gestellt zu werden. Dieser gesteigerte Einfluss aufsichtsbehördlicher Einwirkungsmöglichkeiten wird durch die Regelungen zur Sanierungs- und Abwicklungsplanung sowie künftig vermutlich durch die Trennbankenregulierung weiter verstärkt. Denn auch diese Vorgaben ermächtigen die zuständigen Behörden, Grundfragen der Geschäfts- und Unternehmensorganisation samt Grundlagenentscheidungen der aufsichtlichen 144

Spindler, in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, § 76, Rn. 63. Binder, ZGR 2013, 760, 782; Wundenberg, Compliance, S. 90 f.; vgl. hierzu auch EIOPA, Leitlinien zum aufsichtlichen Überprüfungsverfahren, Leitlinie 5, S. 5. 146 Vgl. hierzu auch Dreher, ZGR 2010, 496, 539: „Denn auch in beaufsichtigten Bereichen gilt jenseits der Sonderregelungen allgemeines Aktienrecht. Hier ist die Gefahr groß, dass Aufsichtsbehörden durch selbstgeschaffenes „Aufsichtsbehördenrecht“ – Beispiel MaRisk – oder im Weg der bloßen Aufsichtspraxis das allgemeine Aktienrecht und die dort noch bestehenden Freiheiten verdrängen.“ 147 Binder, ZGR 2013, 760, 783; Dreher, ZGR 2010, 496, 539 f. 148 Binder, ZGR 2015, 667, 704; ders., ZGR 2013, 760, 781 ff. 145

D. Bewertung und Folgen des Regulierungs- und Beaufsichtigungstrends

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Überprüfung und Bewertung zu unterziehen.149 Hierdurch werden innerverbandliche Organisationsentscheidungen der Geschäftsleiter an verbandsexogenen Zielen des Aufsichtsrechtes gemessen.150 Durch den kaum mehr beschränkten Überwachungsund Durchsetzungsauftrag an die zuständigen Aufsichtsbehörden auf nationaler wie europäischer Ebene droht die Gefahr, dass die jeweils handelnden Leitungsorgane verstärkt dem aufsichtsbehördlichen Willen gegenüber der betriebswirtschaftlichen Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit Vorrang einräumen werden.151 Darüber hinaus steht den jeweils zuständigen Behörden insbesondere bei der Bewertung der Sanierungs- und Abwicklungsfähigkeit sowie der Bestimmung nunmehr verbotener spekulativer Geschäfte ein enormer Ermessens- und Beurteilungsspielraum zu. Defizite können durch weitreichende Maßnahmen derselben beseitigt werden. Diese umfassen u. a. auch grundlegende Umstrukturierungen betroffener Bankinstitute und im Falle der Sanierungs- und Abwicklungsplanung auch von Versicherern. Die Folge sind massive Konflikte mit der verbandsrechtlichen Pflichten- und Kompetenzordnung.

149 150 151

Binder, ZBB 2015, 153, 163 f. Binder, ZGR 2013, 760, 782. So auch Binder, ZGR 2015, 667, 707.

Kapitel 2

Geschäftsleiterermessen und Pflichtenbindung im regulierten Banken- und Versicherungssektor – Eine Gratwanderung zwischen Handlungsautonomie und Haftungsgefahren Vorstände in Unternehmen müssen tagtäglich eine Vielzahl verschiedener und teils weitreichender Entscheidungen treffen. Durch die zunehmende Intensivierung aufsichtsrechtlicher Vorgaben wird dabei speziell im Banken- und Versicherungssektor der unternehmerische Handlungsspielraum der Leitungsorgane maßgeblich beeinflusst. Auf den ersten Blick drängt sich zunächst die Vermutung auf, dass bei der Fülle an gesetzlich normierten Vorgaben die Gefahr von haftungsrelevanten unternehmerischen Fehlentscheidungen auf ein Minimum reduziert wird. Bei genauerem Hinsehen erkennt man jedoch schnell, dass der in den letzten Jahren eingeleitete Trend zu einer stärker prinzipienorientierten Regulierung und Beaufsichtigung genau das Gegenteil bewirkt. Gesetzlich normierte Vorgaben, die an die Institute und immer mehr auch unmittelbar an die Geschäftsleiter selbst adressiert sind, weisen teils ein hohes Maß an Komplexität auf, was nicht zuletzt auf das erhebliche Abstraktionsniveau derartiger Vorschriften zurückzuführen ist. Was die Leitungsorgane z. B. im Rahmen der „ordnungsgemäßen Geschäftsorganisation“ oder auch bei der Erstellung von Sanierungsplänen beachten müssen, um den jeweiligen aufsichtsspezifischen Anforderungen gerecht zu werden, lässt sich meist allein mit den jeweiligen gesetzlichen Vorgaben nicht mit abschließender Sicherheit beurteilen. Auch die Zuhilfenahme aufsichtsbehördlicher Verlautbarungen, die teils explizit darauf ausgelegt sind, für aufsichtsunterworfene Unternehmen einen „flexiblen und praxisnahen Rahmen“1 zur Konkretisierung aufsichtsgesetzlicher Normen zu bieten, ändern hieran nichts, zumal diese selbst zahlreiche Öffnungsklauseln und offen formulierte Prinzipien enthalten. Die Auswirkungen des prinzipiengeleiteten Regulierungs- und Beaufsichtigungstrends im Hinblick auf die Handlungsautonomie bzw. der Pflichtenbindung aufsichtsunterworfener Leitungsorgane speziell im Rahmen rechtlicher Unsicherheitsmomente bedürfen deshalb einer näheren Untersuchung.

1 Vgl. bspw. Rundschreiben 10/2012 (BA) – Mindestanforderungen an das Risikomanagement – MaRisk (BA), AT 1, Ziff. 1.

A. Die Problematik des prinzipienbasierten Regulierungsansatzes

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A. Die Problematik des prinzipienbasierten Regulierungsansatzes Die Handlungsautonomie von aufsichtsunterworfenen Bank- und Versicherungsinstituten sowie deren Geschäftsleitern ist in zweierlei Hinsicht limitiert. Zum einen beschneiden gesetzlich normierte Vorgaben die Geschäftstätigkeit (gesetzgeberische Regulierung). Zum anderen kann auch durch die aufsichtsbehördliche Tätigkeit erheblicher Einfluss ausgeübt werden (behördliche Beaufsichtigung und Regulierung). Auf gesetzgeberischer Ebene hat der prinzipienorientierte Regulierungsansatz dazu geführt, dass aufsichtsgesetzliche Vorgaben zunehmend Begrifflichkeiten wie „geeignet“, „angemessen“ oder auch „adäquat“ enthalten. Diese in hohem Maße unbestimmten und deshalb auslegungsbedürftigen Rechtsbegriffe erhöhen zunehmend das Rechtsunsicherheitsmomentum im Bereich des qualitativen Bank- und Versicherungsaufsichtsrechts. Nachfolgend gilt es deshalb, das Regelungskonzept des prinzipiengeleiteten Regulierungstrends im aufsichtsunterworfenen Banken- und Versicherungssektor näher zu durchleuchten. Um dieses Regulierungsmodell näher zu definieren und erste Erkenntnisse zum Bindungsgrad des auf Prinzipien beruhenden Aufsichtsrechtes im Finanzdienstleistungssektor zu gewinnen, bietet es sich zunächst an, in rechtsdogmatischer Hinsicht zwischen Regeln und Prinzipien zu differenzieren (nachfolgend „I.“). Auf dieser Grundlage werden die wesentlichen Elemente des prinzipienorientierten Regulierungsmodells herausgearbeitet (nachfolgend „II.“), um schließlich die Folgen desselben für die aufsichtsunterworfenen Normadressaten zu bestimmen (nachfolgend „III.“).

I. Regeln versus Prinzipien Der prinzipiengeleitete Regulierungsansatz ist von dem sog. regelbasierten Regulierungsmodell zu unterscheiden. In rechtsdogmatischer Hinsicht gibt es eine Vielzahl von Theorien und darauf basierenden Differenzierungen, um Regeln von Prinzipien abzugrenzen.2 1. Abgrenzung nach dem Geltungsanspruch einer Norm Vertreten wird, dass sich eine Regel durch eine „Alles-oder-nichts-Anwendbarkeit“ auszeichne, während ein Prinzip lediglich einen unverbindlichen Grund für eine

2 Vgl. hierzu ausführlich Wundenberg, Compliance, S. 38 ff.; Binder, Regulierungsinstrumente und Regulierungsstrategien im Kapitalgesellschaftsrecht, 2012, S. 174 ff., 191 ff.

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Kap. 2: Geschäftsleiterermessen und Pflichtenbindung

spezifische Einzelfallentscheidung darstelle.3 Mit anderen Worten geben Regeln ein eindeutiges Gebot vor, die entweder erfüllt werden können oder eben nicht.4 Für Prinzipien hingegen sei es immanent, dass sie für die konkrete Entscheidung zwar ursächlich sein können, diese jedoch nicht final und abschließend vorgeben.5 Auch werden Prinzipien als „Optimierungsgebote“ definiert, die in unterschiedlichen Graden erfüllt werden können, wobei das „gebotene Maß ihrer Erfüllung nicht nur von den tatsächlichen, sondern auch von den rechtlichen Möglichkeiten abhängt“.6 Prinzipien statuieren nach der teils als sog. „strenge Trennungsthese“ bezeichneten Theorie mithin lediglich „prima facie Gebote“7, die es gebieten, dass „etwas in einem möglichst hohen Maße realisiert wird“.8 2. Abgrenzung nach dem Generalitätsgrad einer Norm Andere stellen bei der Differenzierung zwischen Regel und Prinzip auf den Generalitätsgrad der jeweiligen Norm ab. Der wesentliche Unterschied zu der „strengen Trennungsthese“ besteht darin, dass es nach den Vertretern dieser Ansicht neben eindeutigen Regeln und Prinzipien auch zahlreiche „Zwitternormen“ geben kann.9 Charakteristisch für Prinzipien sei hiernach ein relativ hoher Grad an Generalität. Je eher sich der Norm ein konkretes Verhaltensgebot auf Tatbestandsseite sowie eine konkrete Rechtsfolge entnehmen lasse, desto eher handle es sich um eine Regel.10 Umgekehrt kennzeichne ein Prinzip ein besonders hohes Maß an Unbestimmtheit.11 Von den Vertretern, die die Abgrenzung anhand der Generalität der Norm vornehmen, werden darauf aufbauend verschiedene Kriterien vorgeschlagen, 3

Dworkin, Bürgerrechte ernstgenommen, S. 56. Dworkin, Bürgerrechte ernstgenommen, S. 56, 60. Ähnlich Pensik, JZ 1989, 105, 107 f., der zwischen gesetzgeberischen Ziel- und Verhaltensvorgaben differenziert. Prinzipien seien als Zielvorgaben zu qualifizieren, deren Erreichen im Ermessen des Normadressaten stehe, wohingegen Regeln erkennbar zum Vorschein bringen, was verboten und was erlaubt sei um den Gesetzeszweck zu erfüllen. 5 Dworkin, Bürgerrechte ernstgenommen, S. 56, 60. 6 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 75. 7 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 87 ff. 8 Vgl. Wundenberg, Compliance, S. 41. 9 Nach Black sind beispielsweise drei unterschiedliche Normkategorien zu unterscheiden: 1. eine sog. „bright line rule“ mit einem lediglich quantitativen Kriterium; 2. eine „principle rule“, die lediglich den Zweck der Vorschrift zum Ausdruck bringt, darüber hinaus jedoch offen formuliert ist; 3. eine „complex/detailed rule“, die sich dadurch auszeichnet, dass sie zahlreiche Prämissen enthält, unter welchen Voraussetzungen eine Regel anwendbar ist. So Black, Capital Markets Law Journal (2008), 425, 437; ähnlich Raz, 81 Yale Law Journal (1982), 823, 838; Ehrlich/Posner, 3 Journal of Legal Studies (1974), 257, 258. 10 Vgl. Cunningham, 60 Vanderbilt Law Review (2007), 1411, 1417: „Rules and principles are best conceived as residing along a continuum according to a provision’s relative vagueness.“ 11 Vgl. bspw. Garstka, in: Koch, Juristische Methodenlehre und analytische Philosophie, S. 96, 144; Schmidt, in: Behrends/Dießelhorst/Dreier, Rechtsdogmatik und praktische Vernunft, S. 231, 235. 4

A. Die Problematik des prinzipienbasierten Regulierungsansatzes

75

mit deren Hilfe zwischen Regeln und Prinzipien zu differenzieren sei. Nach Kaplow beispielsweise sollen Regeln und Prinzipien nach der Bestimmtheit des vom Gesetzgeber vorgegebenen Handlungsprogramms abzugrenzen sein.12 Black hingegen differenziert anhand von Kriterien wie dem Grad der Präzision bzw. der Vagheit der Norm, der Einfachheit bzw. Komplexität sowie deren Ein- bzw. Mehrdeutigkeit.13 3. Der prinzipienorientierte Regulierungsansatz des Finanzaufsichtsrechtes Die vorstehenden rechtsdogmatischen Differenzierungsansätze liefern eine Vielzahl von Kriterien, anhand derer eine Regel von einem Prinzip abgegrenzt werden kann. Im Ergebnis kann jedenfalls festgehalten werden, dass prinzipiengeleitete Regelungskonzepte dazu führen, dass gesetzliche Vorgaben nicht nur durch eine einzig richtige Handlungsentscheidung in rechtmäßiger Art und Weise in die Praxis umgesetzt werden können. Definiert der Gesetzgeber – wie im Bereich des qualitativen Aufsichtsrechtes geschehen – Normen, die zwar das mit der Vorschrift verfolgte Ziel konkret bestimmen, ohne jedoch gleichzeitig eindeutige Verhaltensangaben zu nennen, so gesteht er dem jeweiligen Normadressaten einen Umsetzungsspielraum zu.14 Dieser ist als eine Art flexible Größe anzusehen, der maßgeblich durch Charakteristika wie die Bestimmtheit des vom Gesetzgeber vorgegebenen Handlungsprogramms, der Grad der Präzision bzw. der Vagheit der Norm sowie der Ein- bzw. Mehrdeutigkeit gesetzlicher Vorgaben beeinflusst wird. Insofern verbietet es sich im vorliegenden Zusammenhang, exklusiv auf ein einziges Kriterium abzustellen, um eine Regel von einem Prinzip abzugrenzen.15 Im Bereich des Bank- und Versicherungsaufsichtsrechtes werden zudem bekanntlich abstrakt formulierte Vorgaben durch zahlreiche – meist aufsichtsbehördliche – Verlautbarungen ergänzt und konkretisiert. Dieses dem Finanzaufsichtsrecht immanente Spezifikum kann im Einzelfall dazu führen, dass sich vermeintlich eindeutige (gesetzliche) Prinzipien immer mehr zu festen Regeln entwickeln.16 Die Herausbildung von anerkannten Branchenstandards, einheitlichen Behördenpraxen oder auch gefestigten Rechtsprechungen sowie sich verdichtenden einheitlichen Literaturmeinungen kann 12

Kaplow, 42 Duke Law Journal (1992), 557 f. Black, Rules and Regulators, S. 22 ff.; dies., 3 Capital Markets Law Journal (2008), 425, 436 ff. Nach Black soll dabei insbesondere der Grad der Komplexität bzw. die Vagheit der Norm zur Differenzierung tauglich sein. 14 Vgl. bspw. nochmals oben Kapitel 1, A. I. 1. b) bb). 15 Vgl. auch Binder, Regulierungsinstrumente und Regulierungsstrategien im Kapitalgesellschaftsrecht, S. 200: Regeln und Standards (bzw. Prinzipien) lassen sich nicht trennscharf und abschließend kategorisieren. „In dieser Hinsicht wirkt sich bereits aus, daß die Kategorien keine Dichotomie, sondern ein beliebig abstufungsfähiges Kontinuum beschreiben, so daß klare Abgrenzungen unmöglich und Aussagen zu strukturimmanenten Merkmalen von Regeln und Standards schon deshalb nur annäherungsweise formulierbar sind.“ 16 Vgl. hierzu U. H. Schneider, in: GS Gruson, S. 369, 374; Binder, Regulierungsinstrumente und Regulierungsstrategien im Kapitalgesellschaftsrecht, S. 197 ff. 13

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Kap. 2: Geschäftsleiterermessen und Pflichtenbindung

auch im Bereich eines prinzipienorientierten Regulierungsansatzes zu mehr Rechtssicherheit und damit einhergehend zu engeren Umsetzungsspielräumen bei der Verwirklichung von aufsichtsgesetzlich normierten Zielvorgaben führen.17 Zusammenfassend lässt sich der prinzipiengeleitete Regulierungstrend im Bereich des Finanzaufsichtsrechtes deshalb am ehesten als die Normierung von Zielnormen einordnen. Regelmäßig weisen sie einen hohen Grad an Generalität auf, d. h., dass sie hinsichtlich der zur Verwirklichung der aufsichtsrechtlichen Zielvorgaben gebotenen Verhaltensweisen einen relativ niedrigen Festsetzungsgehalt haben, jedoch das verfolgte Regelungsziel eindeutig und konkret zum Ausdruck bringen.18

II. Wesentliche Elemente des prinzipiengeleiteten Regelungskonzeptes im Bank- und Versicherungsaufsichtsrecht Der auf Prinzipien basierende Regulierungsansatz impliziert eine Vielzahl an Vorund Nachteilen sowie Chancen und Risiken.19 1. Normstruktur Wie gezeigt, beruhen prinzipienbasierte Vorschriften im Gegensatz zu regelbasierten Normen gerade nicht auf präskriptiven, also detailgetreuen, klar formulierten Verhaltensvorgaben.20 Vielmehr stellen sie lediglich meist vage formulierte Grundsätze bzw. Standards auf, an denen sich der Adressat zu orientieren hat, um die damit bezweckten Regulierungsziele zu verwirklichen.21 Der Generalitätsgrad der Norm kann dabei unterschiedlich stark ausgeprägt sein. Ein Prinzip kann im Extremfall ausschließlich eine Zielvorgabe formulieren, ohne dabei zu definieren, wie diese Zielvorgabe in der Praxis zu verwirklichen ist.22 Andererseits können sich Prinzipien und Regeln, wie dargestellt, im Laufe der Zeit auch einander annähern. Prinzipien können insofern als eine flexible Größe, Regeln als eine feste Größe bezeichnet werden.23 17

Vgl. hierzu auch Wundenberg, Compliance, S. 52 f. Zutreffend Wundenberg, Compliance, S. 53 f. 19 Vgl. hierzu ausführlich Nguyen/Bach, WHL 2009, Diskussionspapier Nr. 18, S. 6 ff. 20 Nguyen/Bach, WHL 2009, Diskussionspapier Nr. 18, S. 4. 21 Bürkle, VersR 2011, 1469, 1476. 22 Wundenberg, Compliance, S. 55. 23 Vgl. Wundenberg, Compliance, S. 55: „… typische Eigenschaft eines Prinzips ist, dass dieses gleitende Verhaltensanforderungen aufstellt.“ (…) „Rechtstechnisch lässt sich das beschriebene Phänomen, dass Zielvorgaben in gradueller Weise erfüllbar sind und gleitende Anforderungen aufstellen, durch eine komparative Normstruktur erklären.“ (…) „Kennzeichnend für eine komparative Norm ist dessen ,je-desto‘-Struktur …“ 18

A. Die Problematik des prinzipienbasierten Regulierungsansatzes

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2. Unmittelbare rechtliche Bindungswirkung Dessen ungeachtet darf hieraus nicht etwa geschlossen werden, dass Prinzipien weniger Geltungswirkung beanspruchen, als dies bei Regeln der Fall ist. Denn auch auslegungsbedürftige gesetzlich normierte Vorgaben sind dem unmittelbar geltenden Recht zuzuordnen, das sanktionierbare Verhaltensanforderungen aufstellt.24 Dies zeigt schon die Existenz eines eigenen umfangreichen aufsichtsrechtlichen Sanktionensystems, das aus Eingriffs- und Anordnungsbefugnissen sowie aus absichernden straf- bzw. ordnungswidrigkeitsrechtlichen Haftungsnormen besteht.25 Gleichwohl drängt sich die Vermutung auf, dass im Rahmen des prinzipiengeleiteten Rechtes dem aufsichtsunterworfenen Normadressaten trotz grundsätzlich bestehender unmittelbarer Rechtsbindung ein gerichtlich nur beschränkt überprüfbarer Handlungs-, Beurteilungs- bzw. Ermessensspielraum zusteht.26 3. Flexibilität der Norm Prinzipienorientierte Regulierungsansätze bringen darüber hinaus gegenüber regelbasierten Vorgaben eine größere Flexibilität mit sich. Werden lediglich aufsichtsrechtliche Zielvorgaben formuliert, die auf eine Verhaltenssteuerung des Normadressaten abzielen, so sind diese im Hinblick auf Änderungen, beispielsweise in Form von Störungen in der Finanzwirtschaft oder von neuen internationalen und branchenübergreifenden Entwicklungen, eher anpassungsfähig bzw. können entsprechend den jeweiligen Gegebenheiten des Umfeldes verschieden ausgelegt werden.27 Auf der anderen Seite wird dem Rechtsanwender dadurch ermöglicht, unternehmensspezifische Verhältnisse bei der Auslegung und vor allem Anwendung diesbezüglicher Vorgaben zu berücksichtigen.28 Im Bereich des Finanzaufsichtsrechtes wird diesem Grundsatz insbesondere mit dem sog. Proportionalitätsprinzip Rechnung getragen. Hiernach müssen sowohl die regulatorischen Anforderungen an die aufsichtsunterworfenen Unternehmen als auch die Vorschriften, die sich an die Aufsichtsinstanzen und den Beaufsichtigungsprozess richten, in einer Art und Weise erfüllt bzw. angewendet werden, die der Wesensart, der Komplexität und dem

24

Wundenberg, Compliance, S. 58. Binder, ZGR 2013, 760, 785. 26 Vgl. hierzu ausführlich unten Kapitel 2, B. und C. sowie Kapitel 3. Ausführlich zum Begriff des unternehmerischen Ermessens Scholl, Vorstandshaftung und Vorstandsermessen, S. 143 ff. 27 Bürkle, WM 2012, 878, 880; Dreher, VersR 2008, 998, 1000. 28 Nguyen/Bach, WHL 2009, Diskussionspapier Nr. 18, S. 5; vgl. auch Eidgenössisches Finanzdepartement EFD, Bundesamt für Privatversicherungen BPV, Strategie der Versicherungsaufsicht in der Schweiz, 2006, Ziff. 4.2: „… die Aufsicht pocht nicht auf die Erfüllung von in der Regel statischen und mit viel Bürokratie verbundenen Regeln und Vorschriften, sondern definiert übergeordnete Richtlinien, deren Erfüllung in der Verantwortung, vor allem aber im ureigensten Interesse des einzelnen Versicherungsunternehmens selber liegt.“ 25

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Kap. 2: Geschäftsleiterermessen und Pflichtenbindung

Umfang der geschäftsimmanenten Risiken des beaufsichtigten Unternehmens angemessen sind.29 Die größere Flexibilität des prinzipienbasierten Regulierungsansatzes bewirkt mithin ein hohes Maß an Interpretations- und Handlungsspielraum auf Seiten des Rechtsanwenders.30 Aus Sicht des Staates und der Aufsichtsbehörden bringt diese Art der Regulierung darüber hinaus den Vorteil mit sich, ein weites Spektrum an Fallkonstellationen zu umfassen, was insbesondere die Gefahr von Umgehungen durch den Normadressaten deutlich minimiert.31

III. Folgen des prinzipiengeleiteten Regulierungsansatzes aus Sicht des aufsichtsunterworfenen Normadressaten Mit der Schaffung eines flexiblen Rechtsrahmens hat der Gesetzgeber ein Regelungskonzept gewählt, das es ermöglicht, aufsichtsunterworfene Banken und Versicherungsunternehmen umfassend und individuell zu der Einhaltung aufsichtsrechtlicher Vorgaben zu verpflichten.32 Die vermeintlich positive Entwicklung der durch das hohe Abstraktionsniveau gewonnenen Dehnbarkeit von Gesetzen geht jedoch auf Seiten der Verpflichteten zulasten der Rechtssicherheit. Denn regelbasierte Vorgaben lassen nahezu keinen Beurteilungsspielraum zu. Sie sind klar definiert und fördern darüber hinaus auch ein gewisses Maß an Vorhersehbarkeit und Einheitlichkeit aufsichtsbehördlichen Handelns.33 Schließlich wird das geforderte Verhalten ex ante vom Gesetzgeber vorgeschrieben.34 Der prinzipiengeleitete Regulierungsansatz führt hingegen im Ergebnis zu einer Verantwortungsdelegation zulasten des aufsichtsunterworfenen Adressaten hinsichtlich der Definition des vom Normadressaten gebotenen Verhaltens.35 Künftig stehen deshalb aufsichtsunterworfene Unternehmen und insbesondere deren Geschäftsleiter als Letztverpflichtete vor neuen Herausforderungen bei der Konkretisierung des unternehmerischen Handlungsspielraumes. Größere Spielräume bei der Auslegung und Anwendung des 29

Vgl. hierzu ausführlich aus Sicht der aufsichtsunterworfenen Unternehmen und deren Geschäftsleiter Kapitel 3, B. III. 3. b) cc) sowie aus Sicht der Aufsicht Kapitel 3, C. II. 1. a) cc). 30 Bürkle, VersR 2011, 1469, 1476 f. 31 Vgl. hierzu OECD-Wirtschaftsbericht 2010, S. 109: „Der Spielraum für die Aufsicht sollte über die Überwachung der Erfüllung quantitativer Anforderungen hinaus erweitert werden. Regulierungs-Arbitrage sollte durch Annäherung an eine stärker prinzipienbasierte Regulierung verhindert werden. Die Bankenaufsicht sollte klarer als in der Vergangenheit auf die Risiken eingehen, die mit bestimmten Geschäftsstrategien verbunden sind.“ 32 Vgl. hierzu auch Ludwig, Branchenspezifische Wirtschaftsaufsicht und Corporate Governance, S. 85, der bzgl. des Ordnungsrahmens der Corporate Governance flexible Regelungen fordert, die dazu geeignet sind, sich den Gegebenheiten und den Bedürfnissen der zusammenwachsenden Märkte anzupassen. 33 Nguyen/Bach, WHL 2009, Diskussionspapier Nr. 18, S. 4. 34 Wundenberg, Compliance, S. 57. 35 Wundenberg, Compliance, S. 57.

A. Die Problematik des prinzipienbasierten Regulierungsansatzes

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Rechtes erfordern verstärkt eine der unternehmerischen Entscheidung vorgelagerte rechtliche Selbsteinschätzung, die nicht nur spezifische Einzelfragen betrifft, sondern vielmehr zunehmend die gesamte Geschäftstätigkeit umfasst.36 Die damit einhergehenden Haftungsgefahren für Leitungsorgane können durchaus als bedrohlich bezeichnet werden.37 Dies verdeutlicht insbesondere die im regulierten Finanzsektor übliche Praxis, dass vage bzw. in hohem Maße auslegungsbedürftige regulatorische Normen darüber hinaus noch durch zahlreiche meist ergebnisorientiert formulierte Verlautbarungen von exekutiven und teilweise privatrechtlich organisierten Norm- und Standardsettern ergänzt werden. Denn auch Letztere lassen den aufsichtsverpflichteten Adressaten ein hohes Maß an Gestaltungsfreiheit hinsichtlich ihrer praktischen Umsetzung. Mit anderen Worten hat sich das auf Prinzipien basierte Aufsichtsrecht gegenwärtig aufgrund der ausufernden präskriptiven Subordnungen zu einem hochkomplexen Regelwerk entwickelt.38 Das gebotene aufsichtskonforme und sorgfaltsgerechte Verhalten wird mithin nicht mehr einseitig vom Gesetzgeber diktiert, sondern erst durch eine Interaktion39 zwischen Aufsichtsbehörden und Marktteilnehmern auf der Grundlage konkretisierungsbedürftiger Prinzipien nach und nach entwickelt.40 Durch dieses Kooperationsverhältnis wird darüber hinaus der Unsicherheitsfaktor bezüglich des jeweils rechtlich gebotenen Verhaltens zur Umsetzung aufsichtsrechtlicher Vorgaben weiter verstärkt. Denn Aufgabe der jeweiligen Aufsichtsbehörden ist es, zugunsten des öffentlichen Interesses an integren Finanzmärkten die Einhaltung aufsichtsrechtlicher Gebote sicherzustellen und ggf. unter Zuhilfenahme der umfangreichen aufsichtsbehördlichen Einflussnahme-, Sanktions- und Maßnahmeinstrumentarien durchzusetzen. Die Geschäftsleiter aufsichtsunterworfener Aktiengesellschaften sind jedoch bekanntlich insbesondere verbandsendogenen Interessen verpflichtet.41 Da den Aufsichtsadressaten bei der Einhaltung und Umsetzung dieses Regelwerkes im Allgemeinen kein eindeutiger objektiver Maßstab in Bezug auf den Grad 36

Bürkle, VersR 2013, 792, 793; ders., WM 2012, 878, 880. Zur ökonomischen Begründung verschärfter Haftung für Finanzmanager, vgl. Merkt, in: FS Hommelhoff, 2012, S. 711, 719 ff. 38 Nguyen/Bach, WHL 2009, Diskussionspapier Nr. 18, S. 7. 39 Vgl. hierzu die Ausführungen der CEBS, Consultation Paper Application of the Supervisory Review Process under Pillar 2 (CP03 revised), S. 2 f.: „Institutions should ,own‘, develop and manage their risk management processes; the ICAAP belongs to the institution and supervisors should not dictate how it is applied. The task of the supervisory authority is to review and evaluate the ICAAP and the soundness of the internal processes within which it is used.“ (…) „The dialogue between an institution and its supervisor is a key part of the supervisory review process. This paper highlights the respective involvement of supervisory authorities and institutions and the interaction between them, with the aim of making this dialogue clear and consistent. The dialogue should embrace all aspects of business risk and control risk, including risk management systems, internal control systems and internal governance. In order to ensure transparency and consistency in the dialogue, and to promote convergence of supervisory practices, the supervisory processes have been laid out in detail.“ 40 Wundenberg, Compliance, S. 71. 41 Vgl. hierzu ausführlich unten Kapitel 3, B. IV. bzw. Kapitel 3, C. I. und II. 37

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Kap. 2: Geschäftsleiterermessen und Pflichtenbindung

der Normerfüllung zusteht, stellt sich die Frage, inwieweit diesen im Rahmen ihres Ermessens-, Handlungs-, Beurteilungs- oder Interpretationsspielraumes ein von Haftungsgefahren freier Korridor zusteht. Denn mehr Handlungsfreiheit bedingt im Gegenzug erhöhte Anforderungen an die Entscheidungsprozesse innerhalb der Unternehmen und steigert gleichzeitig die Gefahr von Fehlbeurteilungen.42 Steigende Verunsicherung bei Vorständen, auch und vor allem im Hinblick auf die wachsende Gefahr einer möglichen persönlichen Haftung gegenüber der zu leitenden Gesellschaft43, sind die logischen Konsequenzen des gegenwärtigen Regulierungstrends. Deshalb gilt es nachfolgend zu erörtern, inwieweit die gestiegenen Anforderungen hinsichtlich der Auslegung und Anwendung prinzipienbasierter Vorgaben mit der grundsätzlichen Verpflichtung von Geschäftsleitern, im Rahmen einer sorgfältigen Unternehmensführung nach § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG für die Einhaltung von Recht und Gesetz zu sorgen, zu vereinbaren ist.

B. Handlungsautonomie versus Pflichtenbindung Stehen dem Geschäftsleiter bei der Wahrnehmung seiner Leitungsaufgabe, gemäß § 76 Abs. 1 AktG die Gesellschaft unter eigener Verantwortung – d. h. selbstständig und nach eigenem Ermessen – zu leiten, mehrere unternehmerische Handlungsoptionen zu, so ist es spätestens seit der berühmten ARAG-GarmenbeckEntscheidung des BGH aus dem Jahre 1997 unstreitig, „dass dem Vorstand bei der Leitung der Geschäfte des Gesellschaftsunternehmens ein weiter Handlungsspielraum zugebilligt werden muss, ohne den eine unternehmerische Tätigkeit schlechterdings nicht denkbar ist. Dazu gehört neben dem bewussten Eingehen geschäftlicher Risiken grundsätzlich auch die Gefahr von Fehlbeurteilungen und Fehleinschätzungen, der jeder Unternehmensleiter, mag er auch noch so verantwortungsbewusst handeln, ausgesetzt ist.“44 Mit der Einführung des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG hat der deutsche Gesetzgeber dieses „Geschäftsleiterermessen“ durch das Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG) in Form einer Haftungsprivile42 Der Gesetzgeber selbst hatte dies bereits anlässlich des Neunten VAG-Änderungsgesetzes formuliert: „Diese Form der Regulierung gibt den beaufsichtigten Unternehmen durch den Verzicht auf starre gesetzliche Vorgaben mehr Handlungsfreiheit. Im Gegenzug müssen erhöhte Anforderungen an die Entscheidungsprozesse innerhalb der Unternehmen gestellt werden.“ Vgl. BT-Drs. 16/6518, S. 10. So auch Bürkle, VersR 2013, 792, 798. 43 In der Regel konzentrieren sich die Haftungsgefahren der Geschäftsleiter auf die jeweils zu leitende Gesellschaft. Diese Haftungskonzentration ist damit zu begründen, dass das handelnde Organ jeweils nur gegenüber der Gesellschaft organschaftliche Pflichten besitzt. Eine unmittelbare Außenhaftung gegenüber Dritten besteht regelmäßig nur in absoluten Ausnahmefällen. Vgl. hierzu unten Kapitel 2, C. III. 44 BGH NJW 1997, 1926, 1927.

B. Handlungsautonomie versus Pflichtenbindung

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gierung erstmals gesetzlich kodifiziert. Hiernach liegt eine Pflichtverletzung dann nicht vor, wenn das Vorstandsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln. Sind folgende fünf Kriterien kumulativ erfüllt, handelt der Geschäftsleiter nach der Gesetzesbegründung45 sowie in Anlehnung an den Wortlaut mithin rechtmäßig: „unternehmerische Entscheidung“, „Handeln zum Wohle der Gesellschaft“, „Handeln ohne Sonderinteressen und sachfremde Einflüsse“, „Handeln auf der Grundlage angemessener Information“ und „Handeln in gutem Glauben“. § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG erfasst somit im Rahmen unternehmerischer Entscheidungen einen Korridor zwischen überzogener Risikoaversion einerseits und überzogener Risikoaffinität andererseits.46 Denn Geschäftsleiter sollen für Fehlbeurteilungen im Rahmen ihres rechtmäßigen Ermessensspielraumes gegenüber ihrer Gesellschaft nicht haften und auch keine sonstigen Sanktionen47, die an das Vorliegen einer Pflichtverletzung anknüpfen, befürchten müssen.48

I. Die unternehmerische Entscheidung Die Fahrt in den „sicheren Hafen“ ist den Leitungsorganen jedoch nur im Rahmen „unternehmerischer Entscheidungen“ gestattet.49 Der Gesetzgeber definiert die unternehmerische Entscheidung als eine infolge ihrer Zukunftsbezogenheit durch Prognosen und nicht justiziable Einschätzungen geprägte Entscheidung.50 Doch was ist hierunter genau zu verstehen? Aus der sehr vage formulierten Umschreibung in der Gesetzesbegründung kann jedenfalls noch nicht viel gewonnen werden. Sie dient allenfalls als erster Anhaltspunkt zur Definierung der unternehmerischen Entscheidung in Abgrenzung von nicht unternehmerischen Entscheidungen. In den vergangenen Jahren hat es deshalb in der rechtswissenschaftlichen Literatur zahlreiche Versuche gegeben, den Begriff der unternehmerischen Entscheidung durch einschränkende Kriterien weiter zu konkretisieren.

45

Vgl. BT-Drs. 15/5092, S. 11. Zutreffend Langenbucher, DStR 2005, 2083 f.; Bürkle, VersR 2013, 792, 794. Vgl. hierzu auch die Gesetzesbegründung (UMAG), BT-Drs. 15/5092 S. 11: Hiernach soll durch die Einführung der Business Judgment Rule eine Erfolgshaftung der Organmitglieder gegenüber der Gesellschaft ausscheiden, also für Fehler im Rahmen des unternehmerischen Entscheidungsspielraums nicht gehaftet werden. 47 Vgl. z. B. die Gefahr der Abberufung des Vorstandes durch den Aufsichtsrat nach § 84 Abs. 3 AktG. 48 BT-Drs. 15/5092 S. 14. 49 Vgl. zum Begriff der „unternehmerischen Entscheidung“ auch Nietsch, ZGR 2015, 631, 638 ff.; Scholl, Vorstandshaftung und Vorstandsermessen, S. 189 ff. 50 Begr. BT-Drs. 15/5092 S. 11. 46

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Kap. 2: Geschäftsleiterermessen und Pflichtenbindung

1. Charakteristika a) Die risikobehaftete bzw. unter Unsicherheit getroffene Entscheidung Größtenteils Einigkeit besteht in der rechtswissenschaftlichen Literatur, dass die unternehmerische Entscheidung grundsätzlich risikobehaftet ist bzw. aufgrund verschiedener ungewisser Faktoren unter Unsicherheit getroffen wird.51 b) Die zukunftsbezogene Entscheidung Äußerst umstritten ist hingegen, ob das Merkmal der „Zukunftsbezogenheit“ notwendigerweise Voraussetzung für die Bestimmung der unternehmerischen Entscheidung ist. Einer Ansicht nach ist entscheidend, dass es sich um Prognoseentscheidungen handelt, also um solche, deren ökonomischer Sinn von künftigen Entwicklungen und ihrer Beurteilung abhängt.52 Doch vermag dem Merkmal der Zukunftsbezogenheit zur Bestimmung der unternehmerischen Entscheidung nach den Gegenstimmen im Ergebnis allenfalls eine Art Indizwirkung in Form einer bloß begriffstypischen Charakteristik zukommen. Denn unternehmerische Entscheidungen seien unter gewissen Umständen auch in Fällen gegeben, die sich nicht typischerweise durch Prognosen und daraus resultierende Unsicherheitsmomente kennzeichnen. So beispielsweise bei der Ausübung von bilanziellen Wahlrechten, die kaum prognostische Elemente enthalten, wohl aber der unternehmenspolitischen Entscheidung zuzurechnen und vom Gesetz gerade eröffnet sind.53 Weiter wird in diesem Zusammenhang auf das Mannesmann-Urteil54 des BGH abgestellt. Hiernach wurde bei der Entscheidung über die Vorstandsvergütung als Belohnung für vergangene Leistungen eine unternehmerische Entscheidung des Aufsichtsrats angenommen.55 Teils wird daraus gefolgert, dass die Zukunftsbezogenheit nicht unabdingbarer Bestandteil einer unternehmerischen Entscheidung sein müsse.56 Aller-

51

Vgl. Spindler, in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, § 93, Rn. 41; zur Entscheidung unter Unsicherheit: Koch, in: Hüffer, Aktiengesetz, § 93, Rn. 18; Dauner-Lieb, in: FS Röhricht, 2005, S. 83 ff.; Hoor, DStR 2004, 2104, 2105; dazu, dass unternehmerische Entscheidungen immer ein gewisses Risiko enthalten: Semler, in: FS Ulmer, 2003, S. 627 f.; Kock/Dinkel, NZG 2004, 441, 442; zur Ansicht, dass keine eindeutige Beurteilung möglich ist, was richtig und was falsch ist: Ihrig, WM 2004, 2098, 2104. 52 So Koch, in: Hüffer, Aktiengesetz, § 93, Rn. 16, 18. Diese Argumentation erscheint auf den ersten Blick durchaus plausibel und nachvollziehbar. Denn Haftungsbegrenzungen für Verstöße scheinen in Fällen, in denen Entscheidungen nicht mit einer unvermeidbaren Ungewissheit aufgrund ihrer fehlenden Zukunftsbezogenheit behaftet sind, nicht notwendig. 53 Spindler, in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, § 93, Rn. 42; Langenbucher, DStR 2005, 2083, 2086; Hopt/Roth, in: Großkommentar zum Aktiengesetz, § 93, Rn. 84. 54 BGHSt 50, 331 = NJW 2006, 522. 55 BGHSt 50, 331, 338 f. = NJW 2006, 522, 523 f. 56 Hopt/Roth, in: Großkommentar zum Aktiengesetz, § 93, Rn. 84; Langenbucher, DStR 2005, 2083, 2086; vgl. auch Thümmel, DB 2004, 471, 472, sowie Paefgen, AG 2004, 245, 251:

B. Handlungsautonomie versus Pflichtenbindung

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dings dürfe auch nicht verkannt werden, dass Entscheidungen über Sachverhalte, die in der Vergangenheit liegen, durchaus auch zukunftsbezogene Elemente beinhalten können, wie beispielsweise im Fall einer bilanziellen Darstellung, wenn damit etwa die Wirkung auf Gläubiger, den Kapitalmarkt, den Staat oder die Öffentlichkeit beeinflusst werden soll.57 Nach Hölters wirken sich sogar jegliche unternehmerischen Entscheidungen darüber, wie Sachverhalte zu behandeln sind, die in der Vergangenheit liegen, stets auf die Situation des Unternehmens in der Zukunft aus.58 Wiederum andere versuchen den Begriff der unternehmerischen Entscheidung vor dem Hintergrund der gesteigerten Haftungsgefahren aufgrund drohender Rückschaufehler zu bestimmen. Denn es komme – was durchaus zutreffend ist – bei der Beurteilung der Frage, ob die Grenzen des Ermessens eingehalten wurden, auf die Ex-ante-Perspektive, also den Zeitpunkt der Entscheidungsfindung an.59 Hierdurch soll vermieden werden, dass aus dem Eintritt eines unter Umständen sehr hohen Schadens auf eine unzulässige Überschreitung des Ermessensspielraumes geschlossen wird.60 Eine unternehmerische Entscheidung sei deshalb nur dann anzunehmen, wenn bei der Beurteilung des in der Vergangenheit liegenden Verhaltens von Geschäftsleitern die Gefahr besonderer Verzerrungen bestehe (Gefahr der sog. richterlichen „hindsight bias“61).62 Doch sei auch dieser Schluss nicht zwingend, da sich ein solcher Fehler auch bei nicht zukunftsbezogenen Entscheidungen ergeben könne. So haben die Erfahrungen der vergangenen Jahre gezeigt, dass beispielsweise Abfindungszahlungen für Vorstände je nach Entwicklung des wirtschaftlichen Umfeldes in der öffentlichen Wahrnehmung durchaus differenziert bewertet werden können.63 c) Erkenntnisse aus der betriebswirtschaftlichen Entscheidungslehre Schließlich wird neben den bereits in der Gesetzesbegründung auftauchenden Merkmalen noch der Versuch unternommen, die unternehmerische Entscheidung Hiernach treffe die Definition „durch Prognosen geprägte Zukunftsbezogenheit“ auch auf verbotene Kartellabsprachen oder Verbrechen zu. 57 Zutreffend Spindler, in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, § 93, Rn. 42. 58 So Hölters, in: Hölters, Aktiengesetz, § 93, Rn. 30. 59 Beispielsweise können auch weitere Kreditvergaben an einen Kreditnehmer mit äußerst schlechter Kreditwürdigkeit vertretbar sein, wenn damit einhergehend die Erfolgschancen in Bezug auf die Sanierung des gesamten Kreditengagements steigen. Vgl. BGHSt 47, 148, 153 = WM 2002, 225, 230; OLG Frankfurt a.M. AG 2008, 453, 456; Blasche, WM 2011, 343, 344. 60 Vgl. in Bezug auf das Risiko im Rahmen der Kreditvergabe BVerfG WM 2010, 1663; Fleischer, NJW 2010, 1504, 1506. 61 Zu „hindsight bias“ vgl. Scholl, Vorstandshaftung und Vorstandsermessen, S. 171 ff.; Klöhn, in: Kapitalmarkt, Spekulation und Behavioral Finance, 2006, S. 228; Schäfer/Ott, in: Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 4. Aufl., 2005, S. 67 f.; Fleischer, ZGR 2001, 1, 24; ders, in: FS Wiedemann, 2002, S. 827, 832, 841; ders., ZIP 2004, 685, 691 ff. 62 Fleischer, in: FS Immenga, S. 575 ff.; Schäfer, ZIP 2005, 1253, 1256. 63 So, Koch, ZGR 2006, 769, 788.

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Kap. 2: Geschäftsleiterermessen und Pflichtenbindung

mithilfe der Erkenntnisse aus der betriebswirtschaftlichen Entscheidungslehre zu definieren. So könne beispielsweise – angelehnt an die Erkenntnisse der Betriebswirtschaftslehre – eine unternehmerische Entscheidung als bewusste Auswahl einer unternehmerischen Handlungsmöglichkeit von besonderer wirtschaftlicher Tragweite aus mehreren Alternativen verstanden werden, wobei sich diese Tragweite entweder aus dem Umfang oder Risiko für die Vermögens- oder Ertragslage des Unternehmen ergeben könne oder aber aus deren prägender Beeinflussung der zukünftigen Gesamtentwicklung des Unternehmens.64 2. Bewertung der vertretenen Ansichten Selbstverständlich wird sich ein Großteil der oben dargestellten Charakteristika in einer Vielzahl von unternehmerischen Entscheidungen im Sinne von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG wiederfinden. Doch weisen die einzelnen Merkmale auch zahlreiche Unschärfen auf. In die Zukunft gerichtete Entscheidungen, verbunden mit hohen Risiken und Unsicherheitsmomenten im Zeitpunkt der Entscheidungsfindung, kennzeichnen eine nahezu unbegrenzte Anzahl von Verhaltensweisen. Festzuhalten ist indes, dass eine unternehmerische Entscheidung zwingend ein gewisses Risiko bzw. eine Unsicherheit impliziert. Voraussetzung ist weiter, dass von vornherein mehrere Handlungs- oder Erkenntnismöglichkeiten bestehen, aus denen bewusst eine oder mehrere Alternativen ausgewählt werden können.65 Denn anderenfalls bestehen schon gar keine Unsicherheitsmomente und damit einhergehend kein Bedürfnis nach einer haftungsrechtlichen Begrenzung. Zweifelsohne spielen im Rahmen unternehmerischer Entscheidungen auch zukunftsbezogene Prognosen eine wichtige Rolle. Eine Vielzahl der zu treffenden Entscheidungen von Geschäftsleitern ist geprägt von meist unvorhersehbaren künftigen Entwicklungen und erfordert somit eine in die Zukunft gerichtete subjektive Wahrscheinlichkeitsbewertung.66 Durchaus zweifelhaft ist jedoch, ob man das Kriterium der „Zukunftsbezogenheit“ tatsächlich als begriffsnotwendiges Merkmal einer unternehmerischen Entscheidung ansehen kann. Diese Einordnung würde jedenfalls ein sehr weites Begriffsverständnis der Zukunftsbezogenheit voraussetzen. Gerade beim oben dargestellten Beispiel der Gewährung von Vorstandsvergütungen als Belohnung für vergangene Leistungen spielen jedoch auch überwiegend vergangenheitsorientierte Faktoren eine Rolle. Die teils vorgebrachten Argumente, dass auch derartige Entscheidungen zukunftsgerichtete Bestandteile, wie beispielsweise die Anreizwirkung für das zukünftige Management67, beinhalten 64 Mutter, in: Unternehmerische Entscheidung, S. 23; Heermann, AG 1998, 201, 203; Schneider, DB 2005, 707, 711; Spindler, in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, § 93, Rn. 42. 65 So Mutter, in: Unternehmerische Entscheidung, S. 23; Semler, in: FS Ulmer, 2003, S. 626. 66 Vgl. auch Spindler, AG 2006, 677, 689. 67 So Spindler, in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, § 93, Rn. 42.

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können, lassen sich zwar nicht von der Hand weisen, legen jedoch das Merkmal der Zukunftsbezogenheit im Ergebnis zu weit aus. In der hier vertretenen Ansicht wird deshalb davon ausgegangen, dass eine unternehmerische Entscheidung nicht begriffsnotwendig zukunftsbezogen sein muss, die Zukunftsbezogenheit jedoch häufiger Bestandteil einer solchen Entscheidung ist, weshalb es als Indiz für eine solche angesehen werden kann. Auch der Versuch, die unternehmerische Entscheidung mithilfe betriebswirtschaftlicher Erkenntnisse weiter einzugrenzen, vermag nicht auszureichen. Die Regeln der betriebswirtschaftlichen Entscheidungslehre können zwar hilfreich im Hinblick auf die Unternehmenspraxis bei der Auswahl verschiedener Handlungsalternativen im Rahmen von Organentscheidungsprozessen sein; eine bindende juristische Verwendbarkeit als haftungsbegründende Pflicht, ist jedoch unangebracht.68

II. Rechtsbindung im regulierten Bankenund Versicherungssektor Da der Versuch, die unternehmerische Entscheidung mithilfe von handhabbaren Tatbestandsmerkmalen zu definieren, mithin nahezu unmöglich erscheint, wird diese Begrifflichkeit vornehmlich so verstanden, dass sich der Vorstand jedenfalls dann nicht auf die in § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG normierte Haftungsprivilegierung berufen kann, wenn er im Rahmen seiner Leitungsverantwortung einer Rechtsbindung unterliegt. Denn ausweislich der Begründung des Regierungsentwurfs ist die unternehmerische Entscheidung von der Beachtung gesetzlicher, satzungsmäßiger oder anstellungsvertraglicher Pflichten ohne tatbestandlichen Beurteilungsspielraum, also von rechtlich gebundenen Entscheidungen, zu unterscheiden.69 Fraglich ist hingegen, wann eine derartige rechtlich gebundene Entscheidung im Rahmen aufsichtsrechtlicher Vorgaben vorliegt und mithin den Anwendungsbereich der Business Judgment Rule ausschließt. 1. Grundlagen der Rechtsbindung Die Bindung des Geschäftsleiters an das Recht und Gesetz wird in der aufsichtsrechtlichen Literatur oftmals mit der aus dem Aktienrecht bekannten Legalitätspflicht in Verbindung gebracht, häufig jedoch ohne die Grundlagen dieser Pflicht genauer zu durchleuchten.70 68 Zutreffend Mutter, in: Unternehmerische Entscheidungen und Haftung des Aufsichtsrats der Aktiengesellschaft, 1994, S. 206; Semler, in: FS Ulmer, 2003, S. 626. 69 Begr. RegE UMAG BT-Drucks. 15/5092, S. 11. 70 Vgl. Louven/Ernst, VersR, 2014, 151, 152; Langenbucher, ZBB 2013, 16, 20 ff.; dies., ZHR 176 (2012), 652, 662; dies., ZGR 2010, 75 ff.; Merkt, in: FS Hommelhoff, 2012, 11, 712 f., 718; Noack/Zetsche, in: FS Hopt, 2010, S. 2283 ff., 2293.

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Kap. 2: Geschäftsleiterermessen und Pflichtenbindung

a) Rechtsbindung aufgrund des Legalitätsprinzips Die ganz überwiegende Meinung in Literatur und Rechtsprechung leitet aus der generalklauselartig formulierten Pflicht zur sorgfältigen Unternehmensführung nach § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG das Gebot ab, für die Einhaltung von Recht und Gesetz zu sorgen. Mit anderen Worten muss sich der Vorstand bei der Wahrnehmung seiner organschaftlichen Aufgaben stets im Rahmen des rechtlich Erlaubten bewegen.71 Dieses teils sogar als „Kardinalpflicht“72 bezeichnetes Gebot umfasst nach herrschender Ansicht alle Bereiche des Rechts, da Rechtsnormen insofern nicht in unterschiedliche qualitative „Klassen“ kategorisiert werden können.73 Gemeinhin wird unter der sog. Legalitätspflicht also eine Bindung der Leitungsorgane an verpflichtende Vorgaben aus dem Aktiengesetz und aus der Satzung und Geschäftsordnung der Gesellschaft (sog. „interne Pflichtenbindung“) sowie an alle Rechtsvorschriften außerhalb des Aktiengesetzes (sog. „externe Pflichtenbindung“) verstanden.74 aa) Die Differenzierung zwischen Innen- und Außenverhältnis Um sich den Grundlagen der Rechtsbindung mittels des Legalitätsprinzips weiter zu nähern, ist es jedoch notwendig, sich zunächst einmal die Unterschiede zwischen dem Innen- und dem Außenverhältnis zu vergegenwärtigen. Im Falle eines Gesetzesverstoßes durch den Geschäftsleiter ist zunächst einmal das sog. Außenverhältnis von Bedeutung. So kann eine Verletzung an sich rechtlich bindender Vorgaben entweder das Verhältnis zwischen dem handelnden Geschäftsleiter zu Dritten oder das des Unternehmens, dem diese Verletzung zugerechnet wird, zu Dritten oder beide zusammen betreffen.75 Das Innenverhältnis bezeichnet hingegen das Rechtsverhältnis von Leitungsorganen zu der jeweils zu leitenden Gesellschaft. Anknüpfungspunkt für die Begründung der Legalitätspflicht ist in erster Linie die Pflichtenbindung des Unternehmens selbst.76 Denn nach der herrschenden Meinung führt die Pflichtverletzung des Vorstands im Außenverhältnis im Allgemeinen zu71 BGH ZIP 1996, 2017, 2019 = NJW 1997, 130, 132; Fleischer, CCZ 2008, 1 f.; ders., ZIP 2005, 141, 144; ders., in: Fleischer, Hdb. des Vorstandsrechts, § 7, Rn. 13; ders., in: Spindler/ Stilz, Aktiengesetz, § 93, Rn. 23; Bicker, AG 2012, 542, 543; Spindler, in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, § 93, Rn. 73 ff. 72 Vgl. Fleischer, in: Spindler/Stilz, Aktiengesetz, § 93, Rn. 14. 73 Zutreffend Spindler, in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, § 93, Rn. 74; Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, § 93, Rn. 71; Fleischer, in: Spindler/ Stilz, Aktiengesetz, § 93, Rn. 23; ders., ZIP 2005, 141, 149; Ihrig, WM 2004, 2098, 2105; a. A. wohl Paefgen, in: Unternehmerische Entscheidungen und Rechtsbindung der Organe in der AG, 2002, S. 25. 74 So beispielweise Fleischer, ZIP 2005, 141, 142; ders., in: Spindler/Stilz, Aktiengesetz, § 93, Rn. 14 ff. 75 Dreher, in: FS Konzen, 2006, S. 85, 94. 76 Binder, ZGR 2013, 760, 786.

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gleich auch zu einem Pflichtverstoß im Innenverhältnis zur Gesellschaft.77 Hiernach wird mithin die Außenverantwortlichkeit der Gesellschaft, d. h. die externe Rechtsbindung der Gesellschaft, in die Innenbeziehung zwischen Vorstand und Gesellschaft transportiert.78 Die aktienrechtliche Legalitätspflicht betrifft mithin in erster Linie das sog. Innenverhältnis. Diese lässt sich grundsätzlich in zwei Gruppen kategorisieren. Zum einen verpflichtet sie den Geschäftsleiter selbst, sich rechtstreu mit den gesetzlichen Bindungen der zu leitenden Gesellschaft zu verhalten, andererseits begründet sie auch eine Pflicht, Verstöße gegen externe Pflichten der Gesellschaft durch ihre Mitarbeiter sowie durch andere Gesellschaftsorgane zu verhindern (sog. „Legalitätskontrolle“).79 Im aufsichtsunterworfenen Banken- und Versicherungssektor lässt sich diese Erkenntnis auf § 25a Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 c) KWG bzw. auf § 29 VAG stützen. Nach diesen Vorschriften haben die jeweiligen Aufsichtsadressaten die Aufgabe, als Teil des internen Kontrollsystems eine Compliance-Funktion einzurichten bzw. für eine ordnungsgemäße Compliance-Organisation zu sorgen. Unter dem Begriff Corporate Compliance werden allgemein unternehmerische Strategien zur Verhinderung von Verstößen gegen Gesetz, Satzung und unternehmensinterne Geschäftsführungsregelungen durch organisatorische Maßnahmen verstanden.80 Hiermit wird das Ziel verfolgt, Risiken aus der Nichtbefolgung rechtlicher Vorgaben entgegenzuwirken, indem die Compliance-Funktion die Geschäftsleitung bei der Ausgestaltung entsprechender Maßnahmen unterstützt und zudem die Maßnahmen an sich bewertet und deren Qualität und Angemessenheit sichert und überwacht.81 Die Legalitätspflicht des Geschäftsleiters kann damit sowohl durch ein positives Tun als auch durch ein Unterlassen verletzt werden.82 Fraglich ist jedoch, ob die aus der Legalitätspflicht resultierende Rechtsbindung generell als Leitprinzip des Vorstandshandelns angesehen werden kann oder viel77 BGHZ 133, 370, 375; BGH NJW 1988, 1321, 1323; Habersack, in: FS U. H. Schneider, 2011, S. 429, 431 f.; Hopt/Roth, in: Großkommentar zum Aktiengesetz, § 93, Rn. 73 ff., 133; Kort, in: Großkommentar zum Aktiengesetz, § 76, Rn. 47; Poelzig/Thole, ZGR 2010, 836, 838; Thole, ZHR 173 (2009), 504, 506. 78 Thole, ZHR 173 (2009), 504, 509: „Der Geschäftsleiter übernimmt die Pflicht der Gesellschaft nicht als eigene, wohl aber muss er gegenüber der Gesellschaft für eine ordnungsgemäße Wahrung der Rechtsbindung Sorge tragen.“ 79 Thole, ZHR 173 (2009), 504, 509 f.; Dreher, in: FS Konzen, 2006, S. 85, 97 f.; Kort, NZG 2008, 81, 83; Fleischer, BB 2008, 1070, 1071. 80 Vgl. Hölters, in: Hölters, Aktiengesetz, § 93, Rn. 91. 81 BT-Drs. 17/10974, S. 108; vgl. auch EBA Guidelines on Internal Governance (GL 44), 27. Sept. 2011, III Title II Nr. 28. Nach § 29 Abs. 2 VAG hat die Compliance-Funktion neben der sich aus § 29 Abs. 1 VAG ergebenden Überwachungsaufgabe auch eine Beratungs-, eine Risikokontroll- und eine Frühwarnaufgabe. 82 Zutreffend Thole, ZHR 173 (2009), 504, 510: „Es kann – im Ansatz – keinen Unterschied machen, ob der Rechtsbruch durch ein eigenes Tun des Geschäftsleiters oder durch sein Unterlassen zustande kommt, obwohl er als Leitungsorgan die Rechtsmacht hat, solche Verstöße zu verhindern.“

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mehr Sonderfälle denkbar sind, die Durchbrechungen als möglich oder gar zwingend erscheinen lassen. Führt mit anderen Worten also tatsächlich jegliche Verletzung gesetzlich normierter Vorgaben im Außenverhältnis zwangsläufig zu einer Pflichtverletzung im Innenverhältnis? Ausgangspunkt nachfolgender Überlegungen stellt insofern der unterschiedliche Pflichteninhalt zwischen Außen- und Innenverhältnis dar. So betrifft die Legalitätspflicht im Außenverhältnis das rechtmäßige Verhalten im Hinblick auf vorgegebene rechtliche Prinzipien und Standards, wohingegen die Pflicht zur sorgfältigen Unternehmensleitung einen im Einzelfall erst noch zu konkretisierenden Pflichtenstandard aufstellt.83 bb) Die (Innen-)Pflicht des Geschäftsleiters zur sorgfältigen Unternehmensführung als disponible Größe? Aufgrund dessen könnte die im Innenverhältnis geltende Pflicht zur sorgfältigen Unternehmensleitung als disponible Größe angesehen werden, wenn sich beispielsweise der Rechtsbruch für die Gesellschaft als nützlicher als die Einhaltung der Gesetze erweist. Wenn dem so ist, könnte auch die Auslegung und Anwendung an sich rechtlich verbindlicher Normen durch die Geschäftsleiter im Verhältnis zur Gesellschaft eine unternehmerische Entscheidung darstellen. Das Außen- und Innenverhältnis wäre mithin durch unterschiedliche Haftungsmaßstäbe geprägt. (1) Allgemeine Leitungsgrundsätze Der Inhalt des allgemeine Pflichtenmaßstabs, an dem das Handeln der Geschäftsleiter gemessen wird, ist im Aktienrecht durch die §§ 76, 91, 93 AktG nur andeutungsweise ausgestaltet und im Übrigen in hohem Maße umstritten.84 Die Meinungsvielfalt reicht dabei von der Pflicht zur Maximierung von Unternehmensbzw. Marktwert (sog. „Shareholder-Value-Ansatz“85) bis hin zu einem interessenpluralistischen Leitbild, indem dem Leitungsorgan ein breiter Ermessensspielraum zur Herstellung „praktischer Konkordanz“ zwischen miteinander konfligierenden Interessengruppen zugestanden wird (sog. „Stakeholder-Value-Ansatz“86). Anknüpfungspunkt der geführten Diskussionen ist das sog. „Unternehmensinteresse“ bzw. „Gesellschaftsinteresse“. So vertreten die Befürworter eines interessenpluralistischen Leitbildes, dass dem Gemeinwohlinteresse eine eigenständige Bedeutung

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Dreher, in: FS Konzen, 2006, S. 85, 94. Zum Thema „Leitprinzipien“ sowie zu der Frage nach dem Verhältnis zwischen Aufsichts- und Verbandsrecht (hier insbesondere Aktienrecht) vgl. ausführlich unten Kapitel 3, B. IV. sowie Kapitel 3, C. I. und II. 85 So etwa Mülbert, in: FS Röhricht, 2005, S. 421, 424 ff., 433 ff.; ders., ZGR 1997, 129, 156 ff. 86 So etwa Koch, in: Hüffer, Aktiengesetz, § 76, Rn. 30 ff. 84

B. Handlungsautonomie versus Pflichtenbindung

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im Rahmen des Vorstandshandelns zukommt.87 Hiernach liegt es auf der Hand, dass die Rechtsbindung der Gesellschaft und die durch sie verkörperten Steuerungsziele auch binnengesellschaftlich Beachtung finden.88 Demgegenüber könnte der Shareholder-Value-Ansatz dafür sprechen, dass im Einzelfall zugunsten der Gesellschaft Ausnahmen in Bezug auf die Rechtsbindung bestehen, sofern die Vorteile eines Rechtsverstoßes die durch die Pflichtverletzung drohenden Nachteile überwiegen. Doch gehen selbst die Vertreter eines eher gewinnorientierten Leitungsansatzes meist davon aus, dass dennoch die gesetzlichen Spielregeln eingehalten werden müssen, und dies selbst dann, wenn man der Ansicht ist, dass die soziale Verantwortung des Unternehmens alleine darin bestehe, die Profite zu erhöhen.89 Was die Bestimmung des Pflichteninhaltes betrifft, kann deshalb nicht darauf geschlossen werden, dass die im Innenverhältnis geltende Pflicht zur sorgfältigen Unternehmensleitung als disponible Größe anzusehen ist. (2) Umfassende Legalitätspflicht auch im Innenverhältnis Kann hieraus nun geschlossen werden, dass im Rahmen der Legalitätspflicht ein Gleichauf zwischen Innen- und Außenverhältnis besteht? Teilweise wird eine umfassende Rechtsbindung des Geschäftsleiters gemäß der Legalitätspflicht pauschal mit der Schadensgeneigtheit gesetzwidrigen Verhaltens begründet. Der Gesellschaft können infolge der Gesetzesverletzung Nachteile in Form von Schadensersatzzahlungen, Geldbußen oder auch der Minderung ihres Rufs und ihrer Geschäftschancen erwachsen.90 Unter Umständen sind jedoch durchaus auch Konstellationen denkbar, in denen eine Gesetzesverletzung im Außenverhältnis für das Unternehmen mehr Vor- als Nachteile mit sich bringt. Analog zur Theorie des „efficient breach of contract“91 könnte deshalb eine Pflichtenbindung im Innenverhältnis zwischen Geschäftsleiter und zu leitender Gesellschaft im Einzelfall nicht oder nur in abgeschwächter Form bestehen. Jedenfalls ist die Begründung einer umfassenden Legalitätspflicht mittels des Arguments der Schadensgeneigtheit rechtswidrigen Verhaltens nicht zu folgen. Denn in unzulässiger Weise wird hier erkennbar vom Vorliegen eines Schadens auf den Pflichtverstoß geschlossen und mithin die Ebene der Sorgfaltspflichtverletzung auf haftungsbegründender Seite mit derjenigen des Schadens auf der Rechtsfolgenseite vermengt.92 87

Zum Meinungsbild vgl. ausführlich unten Kapitel 3, B. IV. Thole, ZHR 173 (2009), 504, 514; Fleischer, in: Fleischer, Hdb. des Vorstandsrechts, § 1, Rn. 35. 89 Friedmann, Capitalism and Freedom (Ausgabe 1982), S. 133; vgl. hierzu auch Fleischer, AG 2001, 171, 176. Teilweise wird der Maxime „Gewinnmaximierung“ auch nur ein Gewichtungsvorrang eingeräumt, so bspw. Fleischer, in: Fleischer, Hdb. des Vorstandsrechts, § 1, Rn. 35. 90 Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, § 93, Rn. 34. 91 Vgl. hierzu Craswell, Southern California Law Review, 61 (1988), S. 633 ff.; Kronman/ Posner, The Economics of Contract Law, 1979. 92 Habersack, in: FS U. H. Schneider, 2011, S. 429, 433 f. 88

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Kap. 2: Geschäftsleiterermessen und Pflichtenbindung

Eine umfassende Rechtsbindung könnte sich jedoch aus den aktienrechtlichen Vorschriften gemäß §§ 82 Abs. 2, 93 Abs. 4 Satz 1, 241 Nr. 3, 396 AktG ergeben. Argumentiert wird, dass die in diesen Vorschriften enthaltenen aktienrechtlichen Wertungen zum Ausdruck bringen, dass Rechtsverletzungen durch den Vorstand nicht geduldet werden.93 Auch das Bank- und das Versicherungsaufsichtsrecht enthalten spezialgesetzliche Normierungen, die auf eine umfassende Pflichtenbindung der Leitungsorgane gegenüber der jeweils zu leitenden Gesellschaft hindeuten, so z. B. § 36 Abs. 2 KWG. Hiernach kann die Bundesanstalt die Abberufung eines Geschäftsleiters auch verlangen und diesem Geschäftsleiter auch die Ausübung seiner Tätigkeit bei Instituten in der Rechtsform einer juristischen Person untersagen, wenn dieser vorsätzlich oder leichtfertig gegen die dort genannten Bestimmungen verstoßen hat und trotz Verwarnung durch die Bundesanstalt dieses Verhalten fortsetzt.94 Gleichzeitig bestimmt § 36 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 35 Abs. 2 Nr. 6 KWG, dass bei nachhaltigen Verstößen gegen Bestimmungen des KWG, des Geldwäschegesetzes, des Wertpapierhandelsgesetzes oder die zur Durchführung dieser Gesetze erlassenen Verordnungen oder Anordnungen durch das Institut die zuständige Aufsichtsbehörde, statt dem Institut die Erlaubnis zu entziehen, auch die Abberufung der verantwortlichen Geschäftsleiter verlangen und diesen Geschäftsleitern auch die Ausübung ihrer Tätigkeit bei Instituten in der Rechtsform einer juristischen Person untersagen kann. Dass das Aktienrecht und auch das Aufsichtsrecht Instrumentarien enthält, um Verstöße gegen überwiegend zum Schutz der Gläubiger oder allgemein der dem öffentlichen Interesse dienenden Vorschriften angemessen sanktionieren zu können, sagt jedoch noch nichts über die Rechtsbindung im Innenverhältnis zwischen Geschäftsleiter und zu leitender Gesellschaft aus.95 So bringt beispielsweise § 396 AktG allenfalls zum Ausdruck, dass der Vorstand nicht die Gefahr einer Auflösung der zu leitenden Gesellschaft herbeiführen darf.96 Auch mit den §§ 35, 36 KWG lässt sich eine umfassende Legalitätspflicht der Geschäftsleiter nicht begründen. Denn deren primärer Zweck besteht gerade nicht darin die Pflichtenbindung der Leitungsorgane gegenüber der Gesellschaft zu garantieren, sondern vielmehr zu verhindern, dass zunächst zugelassene Institute, die die bankaufsichtlichen Anforderungen nicht erfüllen oder sonst eine Gefahr für die Gläubiger darstellen, weiterhin Bankgeschäfte abschließen oder Finanzdienstleistungen erbringen dürfen97 bzw. ungeeignete Geschäftsleiter aus dieser Funktion zu entfernen98. Im Bank- und Versicherungsaufsichtsrecht besteht zudem die Besonderheit, dass die zuständigen Behörden bekanntlich ihre Aufgaben lediglich im öffentlichen Interesse wahrnehmen, welches das im Innenverhältnis zu berücksichtigende Gesellschafts- bzw. Unternehmensinteresse gerade nicht umfasst. 93 94 95 96 97 98

Vgl. hierzu Thole, ZHR 173 (2009), 504, 514 ff.; Fleischer, ZIP 2005, 141, 148 f. Zur Parallelvorschrift im Versicherungsaufsichtsgesetz vgl. § 303 Abs. 2 Nr. 2 VAG. Habersack, in: FS U. H. Schneider, 2011, S. 429, 434. Habersack, in: FS U. H. Schneider, 2011, S. 429, 434. Fischer, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, § 35, Rn. 1. Fischer, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, § 36, Rn. 1.

B. Handlungsautonomie versus Pflichtenbindung

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Letzteres spielt jedoch eine maßgebliche Rolle zur Bestimmung des Pflichtenmaßstabes im Innenverhältnis zur Gesellschaft. Sofern das Aufsichtsrecht bei Verstößen gegen dasselbe zu aufsichtsbehördlichen Eingriffs- und Sanktionsmaßnahmen ermächtigt, die gegen das Institut oder den Geschäftsleiter gerichtet sind, kommt damit nur zum Ausdruck, dass es keine Verstöße der aufsichtsrechtlich verpflichteten Normadressaten im Außenverhältnis gegenüber der Aufsicht duldet. Eine umfassende Pflicht zur Legalität auch im Innenverhältnis gegenüber der zu leitenden Gesellschaft kann hiermit jedoch nicht begründet werden. Gleichwohl ist der Akzeptanz nützlicher Pflichtverletzungen aus generalpräventiven bzw. verhaltenssteuernden Gesichtspunkten eine Absage zu erteilen.99 Insoweit kann den oben genannten Vorschriften sowie insbesondere auch den aufsichtsspezifischen Wertungen eine gewisse Ausstrahlungswirkung auf den Haftungstatbestand des § 93 Abs. 2 AktG zugesprochen werden, wenngleich diese Wertungen sich auf allgemeine Erwägungen wie das Allgemeininteresse an der Rechtsbefolgung und die Überlegung stützen, dass die juristische Person im Allgemeinen und so auch im Zusammenhang mit der Regelbefolgung auf das Handeln natürlicher Personen angewiesen ist.100 Ließe man einen „efficient breach of law“ tatsächlich zu, läge eine Situation vor, in der sich der handelnde Geschäftsleiter – anders als die natürliche Person, die vor der Frage steht, ob sie um ökonomischer oder sonstiger Vorteile willen die sie selbst treffende Gefahr rechtswidrigen Verhaltens sehenden Auges in Kauf nimmt – in der komfortablen Situation befände, weder für die ökonomischen Folgen der Gesetzesverletzung einstehen zu müssen noch der moralischen Last einer für eigene Rechnung begangenen Gesetzesverletzung zu unterliegen.101 Unternehmerische Handlungsautonomie besteht mithin nur innerhalb des gesetzlich vorgegebenen (rechtmäßigen) Pflichtenrahmens (sog. „Law-asLimit“-Theorie102).103

99 So auch Habersack, in: FS U. H. Schneider, 2011, S. 429, 434 f.; Thole, ZHR 173 (2009), 504, 514 ff.: „Wenn man davon ausgeht, dass die Erfüllung der an das Unternehmen gerichteten gesetzlichen Rechtsvorgaben aus Sicht des Gesetzgebers sozial erwünscht ist und dass vielfach ein Vollzugsinteresse im Hinblick auf die Durchsetzung des an die Gesellschaft gerichteten Verhaltensgebots besteht, dann erzielt die Ablehnung einer Lehre von den nützlichen Pflichtverletzungen zumindest im Regelfall auch gewünschte Präventions- und Verhaltenssteuerungseffekte.“ Vgl. auch Shavell, The Foundation of Economic Analysis of Law, 2004, S. 488 f. 100 Zutreffend Habersack, in: FS U. H. Schneider, S. 429, 434 f. 101 Thole, ZHR 173 (2009), 504, 516 f.; Habersack, in: FS U. H. Schneider, 2011, S. 429, 435. 102 Vgl. hierzu ausführlich Fleischer, ZIP 2005, 141, 147 mit weiteren, auch rechtsvergleichenden Nachweisen. 103 Fleischer, in: Spindler/Stilz, Aktiengesetz, § 93, Rn. 37.

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Kap. 2: Geschäftsleiterermessen und Pflichtenbindung

cc) Ergebnis Das aktienrechtliche Legalitätsprinzip betrifft mithin in erster Linie die Pflichtenbindung des Unternehmens selbst. Tatsächlich folgt insoweit, dass in Fällen, in denen die Autonomie der Gesellschaft durch rechtliche Vorgaben begrenzt ist, grundsätzlich Gleiches auch für die Kompetenz des Vorstandes, die Gesellschaft unter eigener Verantwortung zu leiten, gilt.104 Der Legalitätspflicht ist deshalb grundsätzlich105 gegenüber der allgemeinen Pflicht des Geschäftsleiters, Gewinn zu erwirtschaften und Schaden von der Gesellschaft abzuwenden, Vorrang einzuräumen, und dies selbst dann, wenn ein bewusster Verstoß nach Abwägung aller Vorund Nachteile für die Gesellschaft vorteilhaft erscheint.106 b) Rechtsbindung aufgrund unmittelbarer Inpflichtnahme der Geschäftsleitung In rechtsdogmatischer Hinsicht bedarf es dieser Legalitätspflicht als Anknüpfungspunkt für eine Geschäftsleiterbindung an aufsichtsgesetzliche Vorgaben jedoch in vielen Fällen überhaupt nicht. Wie gezeigt, richten sich diese – mit Ausnahme der Maßnahmen im Rahmen und aufgrund der qualitativen Bewertung der „Regelungen“, „Strategien“, „Verfahren“ und „Prozesse“, die ein Institut zur Einhaltung der aufsichtlichen Anforderungen geschaffen hat, sowie der Risikostruktur nach § 6b KWG – nunmehr ausschließlich unmittelbar an die Geschäftsleiter aufsichtsunterworfener Unternehmen.107 Teilweise wird hierin lediglich auf den deklaratorischen Charakter der ohnehin bestehenden Pflicht des Vorstandes, im Außenverhältnis sämtliche Rechtsvorschriften einzuhalten, die das Unternehmen als Rechtssubjekt treffen, abgestellt.108 Derartige Verhaltensgebote haben jedoch mit der vorstehend 104 Spindler, in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, § 76, Rn. 68; Thole, ZHR 173 (2009), 504, 516. 105 Gleichwohl schließt diese Erkenntnis nicht von vornherein aus, dass jede nachträglich festgestellte Pflichtverletzung, beispielsweise im Rahmen des Handelns unter rechtlicher Unsicherheit, auch gleichzeitig zu einem haftungsrelevanten Verhalten im Innenverhältnis zur Gesellschaft führt, vgl. hierzu ausführlich unten Kapitel 2, B. III., IV.; Kapitel 2, C. sowie Kapitel 3. 106 Thole, ZHR 173 (2009), 504, 517 f.; Fleischer, ZIP 2005, 141, 148; Ihrig, WM 2004, 2098, 2104; Fleischer, in: Fleischer, Hdb. des Vorstandsrechts, § 7, Rn. 22. 107 In dieser Arbeit betrifft dies neben den allgemeinen Geschäftsorganisationsanforderungen nach den § 25a Abs. 1 Satz 2 KWG, § 23 Abs. 2 VAG n. F. auch die Verantwortung für die Angemessenheit der Vergütungssysteme für Geschäftsleiter sowie Mitarbeiter (§ 25a Abs. 1 Satz 3 Nr. 6 i. V. m. Abs. 5 KWG i. V. m. InstitutsVergV) bzw. für Geschäftsleiter, Mitarbeiter und Aufsichtsratsmitglieder (§ 25 VAG) sowie die Verantwortlichkeit für die Erstellung, die Implementierung und die Aktualisierung des Sanierungsplans sowie für dessen Umsetzung im Krisenfall nach § 13 Abs. 5 SAG. Vgl. auch Binder, ZGR 2013, 760, 766 ff., 786. 108 So T. Schneider, in: Möglichkeiten und Grenzen der Umsetzung der gesellschaftsrechtlichen und bankenaufsichtsrechtlichen Anforderungen an Risikomanagement auf Gruppenebene, S. 42, Fn. 117, 130.

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dargestellten Legalitätspflicht nichts zu tun, da sie eben nur das verbandsrechtliche Innenverhältnis betreffen. Wendet sich eine aufsichtsgesetzliche Pflicht ausdrücklich an die Leitungsorgane, so begründet sie vielmehr eine unmittelbare Außenverbindlichkeit derselben gegenüber den jeweils zuständigen Aufsichtsbehörden und löst insofern den damit einhergehenden Befolgungszwang der Adressaten aus.109 aa) Aufsichtsrechtliche Außenverbindlichkeit versus gesellschaftsrechtliche Innenpflicht Fraglich ist, ob und inwieweit die unmittelbare Inpflichtnahme der Geschäftsleiter – auch und gerade im Hinblick auf mögliche Haftungsfolgen derselben – vom Gesellschaftsrecht abweichende Lösungen erzwingt oder jedenfalls nahelegt.110 Denn für den handelnden Geschäftsleiter erhöht sich durch das umfassende Sanktioneninstrumentarium, das den jeweils zuständigen Aufsichtsbehörden nunmehr auf der Ebene der Rechtsdurchsetzung – sowohl gegenüber den aufsichtsunterworfenen Unternehmen als auch unmittelbar gegenüber den Geschäftsleitern – zusteht, erheblich die Gefahr selbst in Haftung genommen zu werden.111 Aus verbandsrechtlicher Sicht führt dies zu deutlichen Systemspannungen zwischen den aufsichtsrechtlichen Schutzgütern (Einleger- bzw. Schutz der Versicherten sowie Systemstabilität) einerseits und dem Gesellschafts- bzw. Unternehmensinteresse andererseits. Dieser Befund tritt besonders deutlich hervor, wenn das Aufsichtsrecht zu organisatorischen Entscheidungen zwingt, die betriebswirtschaftlich nicht veranlasst sind.112 Bereits aufgrund dieser bestehenden Zieldisparität ist ein Automatismus zwischen der Verletzung aufsichtsrechtlicher Pflichten und einer potentiellen verbandsrechtlichen Innenhaftung nicht gegeben. Mit anderen Worten entfaltet die Legalitätspflicht in Fällen der unmittelbaren Inpflichtnahme der Leitungsorgane lediglich eine Implikation für die Frage, inwieweit ein Rechtsverstoß gegen die aufsichtsgesetzliche Pflicht zu einer Innenhaftung gegenüber der Gesellschaft führt.113 Gleichwohl ist es auch nicht von vornherein ausgeschlossen, dass in Fällen, 109

Zutreffend Binder, ZGR 2013, 760, 785 f.; Wundenberg, Compliance, S. 128. Vgl. hierzu unten Kapitel 2, C. III. 111 So z. B. im Rahmen der Missstandsaufsicht nach § 6 Abs. 3 Satz 1 KWG: „Die Bundesanstalt kann im Rahmen der ihr gesetzlich zugewiesenen Aufgaben gegenüber den Instituten und ihren Geschäftsleitern Anordnungen treffen, die geeignet und erforderlich sind, um Verstöße gegen aufsichtsrechtliche Bestimmungen zu verhindern oder zu unterbinden oder um Missstände in einem Institut zu verhindern oder zu beseitigen, welche die Sicherheit der dem Institut anvertrauten Vermögenswerte gefährden können oder die ordnungsgemäße Durchführung der Bankgeschäfte oder Finanzdienstleistungen beeinträchtigen.“ Beziehungsweise nach § 298 Abs. 1 Satz 1 VAG: „Gegenüber Erstversicherungsunternehmen, den Mitgliedern ihres Vorstands sowie sonstigen Geschäftsleitern und den die Erstversicherungsunternehmen kontrollierenden Personen kann die Aufsichtsbehörde alle Maßnahmen ergreifen, die geeignet und erforderlich sind, um Missstände zu vermeiden oder zu beseitigen.“ 112 Binder, ZGR 2015, 667, 706 f. 113 Binder, ZGR 2013, 760, 786. 110

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in denen das materielle Aufsichtsrecht die Geschäftsleiter unmittelbar in die Pflicht nimmt und zuwiderhandelnde Organentscheidungen in rechtmäßiger Art und Weise durch aufsichtsrechtliche Sanktionen geahndet werden, dies regelmäßig zu einer Innenhaftung des Geschäftsleiters gegenüber der zu leitenden Gesellschaft nach § 92 Abs. 2 Satz 1 AktG führt, sofern dieser dadurch ein Schaden entstanden ist.114 bb) Die doppelte Pflichtenbindung des Geschäftsleiters aufsichtsunterworfener Unternehmen Im Ergebnis führt die durch die unmittelbare Inpflichtnahme des Geschäftsleiters begründete Außenverbindlichkeit dazu, dass dieser zum einen gegenüber der zu leitenden Gesellschaft den primären aus § 76 AktG resultierenden verbandsendogenen Interessen verpflichtet ist und zum anderen gegenüber der Aufsicht im Rahmen der Wahrnehmung aufsichtsrechtlicher Vorgaben verbandsexogenen Interessen ausgesetzt ist. Der Verantwortungsbereich, das damit verbundene Pflichtenprogramm sowie die damit einhergehenden Haftungsgefahren wurden hierdurch massiv erweitert. Zwingt das Aufsichtsrecht zu Maßnahmen die im Einzelfall aus verbandsendogener Perspektive nicht mehr angemessen erscheinen, droht dem letztverantwortlichen Leitungsorgan die verbandsrechtliche Innenhaftung nach § 93 Abs. 2 S. 1 AktG. Umgekehrt setzt er sich der Gefahr aufsichtsrechtlicher Sanktionen aus, wenn er die von der Aufsicht verbandsexogen gesetzten Anforderungskataloge nicht in die Praxis umsetzt, weil etwa gute Gründe für die Annahme sprechen, dass dies im Einzelfall nicht sachadäquat sein könnte.115 cc) Unmittelbare gesetzliche Inpflichtnahme der Geschäftsleiter als Grenze der Verantwortungsdelegation Zudem kommt der unmittelbaren Inpflichtnahme der Geschäftsleitung durch den Gesetzgeber die Bedeutung zu, dass der Zulässigkeit der Verantwortungsdelegation in diesen Fällen Grenzen gesetzt sind. Zum Kernbereich der unveräußerlichen Leitungsaufgaben116 gehören neben den Kernfunktionen der Unternehmensplanung, 114 Binder, ZGR 2013, 760. 799 f.; Blasche, WM 2011, 343 ff.; vgl. hierzu auch unten Kapitel 3, D. 115 Binder, ZGR 2015, 667, 707. 116 Handelt es sich bei dem zu leitenden Unternehmen um eine Aktiengesellschaft, so bestimmt § 76 Abs. 1 AktG das Recht und die Pflicht, die Gesellschaft zu leiten. Abstrakt formuliert ist unter der Leitung eines Unternehmens ein Prozess zu verstehen, der eine Fülle von Entscheidungen umfasst und die strategische Führungsfunktion des Unternehmens bezeichnet. Vgl. hierzu m.w. Nachw. Spindler, in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, § 76, Rn. 15 f. In Abgrenzung zu der in § 77 AktG normierten Geschäftsführungsbefugnis handelt es sich bei der Leitung der Gesellschaft um einen nicht veräußerlichen Kernbereich von Geschäftsführungsbefugnissen. So etwa Spindler, in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, § 77, Rn. 5; Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, § 76, Rn. 45; Kort, in: Großkommentar zum Aktiengesetz, § 76, Rn. 32a, 49 ff.

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der Unternehmenskoordination und des Unternehmenscontrollings die Besetzung von Führungsstellen sowie die Vornahme von Geschäften mit außergewöhnlichem Charakter oder besonders hohem Risiko, insbesondere auch Einzelaufgaben, die dem Vorstand als Organ durch das Gesetz ausdrücklich zugewiesen wurden.117 In diesen Fällen scheidet folglich eine vollumfängliche Delegation an einzelne Vorstandsmitglieder sowie an nachgelagerte Ebenen wie auch externe Dritte aus. So ist beispielsweise der MaRisk (BA) sowie Art. 40 der Solvency-II-Richtlinie zu entnehmen, dass alle Geschäftsleiter, unabhängig von der internen Zuständigkeitsregelung, für die ordnungsgemäße Geschäftsorganisation und deren Weiterentwicklung verantwortlich sind.118 Gleiches gilt auch für das Erstellen, die Implementierung und die Aktualisierung des Sanierungsplans sowie für dessen Umsetzung im Krisenfall.119 Gleichwohl kann hieraus noch nicht geschlossen werden, dass eine Delegation dieser Aufgaben vollumfänglich ausgeschlossen ist. Es wäre utopisch anzunehmen, die Geschäftsleiter müssen jegliche Leitungsaufgaben selbst wahrnehmen. Im Rahmen der vertikalen Delegation erfolgt jedoch aufgrund der ressortunabhängigen Gesamtverantwortung, dass der ressortmäßig nicht zuständige Geschäftsleiter eine allgemeine Überwachungspflicht und im Falle der Nichteinhaltung wesentlicher Pflichten durch den zuständigen Geschäftsleiter gegebenenfalls auch eine Eingriffspflicht über die Geschäftsbereiche der anderen Geschäftsleiter hat.120 Auch kann es je nach Größe des aufsichtsunterworfenen Unternehmens sinnvoll sein, gewisse Aufgaben und Pflichten an nachgeordnete Ebenen oder auch externe Dritte zu übertragen.121 In Fällen, in denen die Geschäftsleiter jedoch unmittelbar verpflichtet werden, muss stets die unmittelbare Einbindung der Geschäftsleitung auch in delegierte Bereiche gewährleistet sein.122 Die zulässigen Tätigkeiten im Bereich nachgeordneter Ebenen oder auch externer Dritter werden sich deshalb regelmäßig auf Unterstützungs-, Beratungs- oder auch Vorbereitungshandlungen beschränken.123

117

Spindler, in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, § 76, Rn. 18. Rundschreiben 10/2012 (BA) – Mindestanforderungen an das Risikomanagement – MaRisk, AT 3, Ziff. 1 Satz 1. Vgl. auch das inzwischen aufgehobene Rundschreiben 3/2009 (VA) – Aufsichtsrechtliche Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk VA), 6, S. 1. 119 Rundschreiben 3/2014 (BA) – Mindestanforderungen an die Ausgestaltung von Sanierungsplänen (MaSan), D. Ziff. 1 Satz 1. 120 Braun/Wolfgarten, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, § 25a, Rn. 68; Knierim, in: Handbuch Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 4. Aufl., 2014, A., Rn. 39 f. 121 Vgl. bspw. Rundschreiben 10/2012 (BA) – Mindestanforderungen an das Risikomanagement – MaRisk, AT 3, Ziff. 1 Satz 2: „Diese Verantwortung bezieht sich unter Berücksichtigung ausgelagerter Aktivitäten und Prozesse auf alle wesentlichen Elemente des Risikomanagements.“ 122 Braun/Wolfgarten, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, § 25a, Rn. 71. 123 Braun/Wolfgarten, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, § 25a, Rn. 71. 118

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c) Zwischenergebnis Eine Rechtsbindung des Geschäftsleiters kann also zunächst in zweierlei Hinsicht gegeben sein. Es gilt deshalb zu unterscheiden, ob sich aufsichtsgesetzliche Vorgaben unmittelbar an die Geschäftsleiter oder vielmehr allgemein an die aufsichtsunterworfenen Institute richten. Bei Letzteren stellt die Legalitätspflicht einen eigenständigen Anknüpfungspunkt für die Vorstandsbindung an aufsichtsgesetzliche Vorgaben dar, wohingegen im ersten Fall die Legalitätspflicht lediglich eine Implikation für die Haftung des Geschäftsleiters gegenüber der Gesellschaft im Innenverhältnis darstellt, weil eine Bindungswirkung hier bereits aus der unmittelbaren Adressatenstellung der Leitungsorgane folgt.124 Folge der durch die „doppelte Inpflichtnahme“ des Geschäftsleiters begründeten Außenverbindlichkeit gegenüber der Aufsicht ist neben der Ausdehnung des Verantwortungsbereiches auch und insbesondere eine Erweiterung der Geschäftsleiterhaftung. Fehlender Interessengleichlauf zwischen Gesellschafts- und Aufsichtsrecht führt darüber hinaus zu Sanktionsdisparität auf Rechtsdurchsetzungsebene. Im Falle der unmittelbaren Inpflichtnahme der Geschäftsleiter handelt es sich zudem um Kernaufgaben der letztverantwortlichen Geschäftsleitung, deren vollständige Delegationsmöglichkeit sowohl vertikal als auch horizontal ausgeschlossen ist.125 2. Rechtsbindung im Rahmen exekutiver Norm- und Standardsetzung (insb. durch die Aufsichtsbehörden) Mehrfach erwähnt wurde bereits, dass das hochkomplexe und technisierte Geschäftsfeld der Finanzmarktaufsicht durch jüngste Reformbestrebungen, zunehmend auch durch administrativ gesetzte Normen und Standards geprägt wird.126 Zahlreiche Verlautbarungen nationaler wie auch europäischer und globaler Standard- und Normsetzer erlangen deshalb im regulierten Banken- und Versicherungssektor erheblich an Bedeutung. Die administrative Norm- und Standardsetzung vollzieht sich auf nationaler Ebene durch die entsprechenden Aufsichtsbehörden, überwiegend in Form von Rechtsverordnungen sowie durch die Rundschreibenpraxis der BaFin. Auf europäischer Ebene handeln die zuständigen Akteure dahingegen insbesondere in Form von Verordnungen, Beschlüssen oder auch Leitlinien und Empfehlungen. Die jeweilige Bindungswirkung und Bedeutung der einzelnen Handlungsformen bedarf deshalb – nicht zuletzt auch im Hinblick auf die Bestimmung des Sorgfalts- und 124

Zutreffend Binder, ZGR 2013, 760, 786. Im Bereich des Versicherungsaufsichtsrechtes stellt dies Art. 40 der Solvency-IIRichtlinie ausdrücklich klar: „Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass das Verwaltungs-, Management- oder Aufsichtsorgan des Versicherungs- oder Rückversicherungsunternehmens die letztendliche Verantwortlichkeit für die Einhaltung der gemäß dieser Richtlinie erlassenen Rechts- und Verwaltungsvorschriften durch das betreffende Unternehmen hat.“ 126 So auch Gurlit, ZHR 177 (2013), 862, 869. 125

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Pflichtenmaßstabs der letztverantwortlichen Leitungsorgane – einer näheren Begutachtung. a) Exekutive Normsetzung Gegenstand nachfolgender Untersuchungen im Bereich der exekutiven Normsetzung sind sowohl vorbereitende informelle, den Gesetzgebungsprozess einleitende Texte der EU-Kommission und internationaler Gremien (nachfolgend „Initiativregulierung“ genannt) sowie rechtsverbindliche Normsetzungsbefugnisse nationaler und europäischer Aufsichtsbehörden. aa) Informelle Initiativregulierung (1) Grünbücher der EU-Kommission Die von der EU-Kommission herausgegebenen sog. „Grünbücher“ sind der Initiativregulierung zuzuordnen.127 Sie sollen in erster Linie auf europäischer Ebene den Anstoß zu einer Debatte zu einem bestimmten Thema geben und den Konsultationsprozess einleiten.128 Oft geben Grünbücher den Anstoß für neue Rechtsvorschriften, die dann in Weißbüchern erläutert werden. Diese auf Stufe 1 des Lamfalussy-Verfahrens veröffentlichten Konsultationsdokumente lassen die neuesten Regulierungstrends am Anfang des Gesetzgebungsverfahrens erkennen und sind der politischen Rahmenrechtsetzung zuzuordnen ohne selbst Rechtsakte darzustellen. Eine Bindungswirkung derartiger Diskussionspapiere kann deshalb von vornherein ausgeschlossen werden. Allerdings haben aufsichtsunterworfene Unternehmen und deren Geschäftsleiter bereits in diesem frühen Stadium die Möglichkeit, durch eigene Stellungnahmen instituts- bzw. branchenspezifische Interessen zu vertreten und somit neu geplante Regulierungsvorhaben auf europäischer Ebene mit zu beeinflussen.129 (2) Initiativregulierung auf globaler Ebene Die Regulierung der internationalen Finanzmärkte erfolgt darüber hinaus auch durch aufsichtsrechtliche Standard- und Normsetzung auf globaler Ebene. Zu den bedeutendsten globalen Gremien gehören die Internationale Vereinigung der Versicherungsaufsichtsbehörden (International Association of Insurance Supervisors – 127 Eine Übersicht zu den vergangenen und aktuellen Regulierungsvorhaben ist abrufbar auf der Homepage der Europäischen Kommission unter: http://ec.europa.eu/green-papers/index_de. htm. 128 Weber-Rey/Balzer, in: Hopt/Wohlmannstetter, Corporate Governance von Banken, S. 433. 129 Diese Stellungnahmen werden auf Stufe 2 des Lamfalussy-Verfahrens von den jeweils zuständigen ESAs in sog. „Feedback Statements“ veröffentlicht. Vgl. hierzu unten Kapitel 2, B. II. 2. a) bb) (2) (b).

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IAIS), die Internationale Vereinigung der Wertpapieraufsichtsbehörden (International Organization of Securities Commissions – IOSCO) und nicht zuletzt der Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht (Basel Committee on Banking Supervision – BCBS). Mit dem Ziel der Einführung möglichst einheitlicher Aufsichtsstandards schlossen sich beispielsweise im Falle des BCBS die Zentralbanken und Aufsichtsbehörden der G-10-Staaten durch einen informellen Akt zu staatlich-privaten Expertengremien zusammen.130 Dass eine unmittelbare rechtliche Bindungswirkung von Veröffentlichungen dieser Gremien deshalb von vornherein nicht gegeben ist, liegt auf der Hand. Kennzeichnend ist vielmehr ein hohes Maß an Informalität und die Prädominanz dieser professionellen Standardsetter.131 Dennoch haben sich in der internationalen Finanzwirtschaft Verlautbarungen dieser globalen Gremien inzwischen zu anerkannten Verhaltensstandards für aufsichtsunterworfene Institute und deren Geschäftsleiter entwickelt.132 Besonders deutlich wird dies, wenn man sich vor Augen hält, dass die zunächst unverbindlichen Aufsichtsregeln des Baseler Ausschusses von 1988 (Basel I), von 2004 (Basel II) und von 2010 (Basel III) ausnahmslos in das europäische Recht übernommen und anschließend ins deutsche Recht umgesetzt wurden.133 Da sich die internationalen Expertengremien zunehmend zu weltweiten Standardsettern entwickeln, lassen sich mithin für betroffene Institute frühzeitig Regulierungstrends erkennen. Rechtliche Bindungswirkung erlangen diese jedoch erst mit der grundsätzlich freiwilligen Umsetzung in das nationale Recht.134 bb) Exekutive Normsetzung durch die Aufsichtsbehörden (1) Aufsichtsbehördliche Normsetzung durch die BaFin In der Bundesrepublik Deutschland werden die gesetzlich normierten aufsichtsrechtlichen Vorgaben des KWG, SAG bzw. VAG durch zahlreiche Rechtsverordnungen ergänzt. Exemplarisch hierfür stehen beispielsweise die Institutsvergütungsverordnung (InstitutsVergV) für den Bankensektor sowie die Versicherungsvergütungsverordnung (VersVergV) für den Versicherungssektor, die die jeweiligen aufsichtsgesetzlich normierten Vorgaben umfangreich und detailliert komplettieren. Die Normsetzung in Form von Rechtsverordnungen erfolgt auf nationaler Ebene dabei entweder durch das Bundesministerium der Finanzen, durch die Bundesregierung oder durch Aufsichtsbehörden.135 Vielerorts ermächtigen beispielsweise aufsichtsgesetzliche Vorgaben zur Subdelegation des Verordnungser130

Vgl. Becker, ZG 2009, 123, 130 ff. Höfling, Gutachten F zum 68. DJT, 2010, F 34. 132 Vgl. Becker, ZG 2009, 123, 131. 133 Vgl. hierzu auch Höfling, Gutachten F zum 68. DJT, 2010, F 34. 134 Vgl. Becker, ZG 2009, 123, 132. 135 Vgl. hierzu beispielsweise Schäfer, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, § 6, Rn. 10 ff. 131

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lasses an die BaFin.136 Im Bereich der Bankenaufsicht benötigt diese wiederum häufig das Einvernehmen der Deutschen Bundesbank; darüber hinaus sind auch regelmäßig die Spitzenverbände der Finanzinstitute anzuhören.137 Sofern für den konkreten Einzelfall vorhanden, sind Verordnungen für die jeweiligen rechtsunterworfenen Adressaten unmittelbar bindend. (2) Aufsichtsbehördliche Normsetzungsbefugnisse durch die ESAs (a) Technische Regulierungs- und Durchführungsstandards Auf europäischer Ebene erfolgt die Standard- und Normsetzung durch Exekutivbehörden, insbesondere durch die europäischen Aufsichtsbehörden (European Supervisory Authorities – sog. ESAs) auf Stufe 2 und Stufe 3 des LamfalussyVerfahrens. Den Normsetzungskompetenzen sind dabei insbesondere die Befugnisse auf Stufe 2 zuzuordnen. Im Gegensatz zu der BaFin kommt den ESAs zwar keine eigenständige Rechtsbzw. Normsetzungsbefugnis zu. Dennoch spielen sie eine wichtige Rolle im Bereich der administrativen Normsetzung auf europäischer Ebene. Die europäischen Aufsichtsbehörden werden durch ihre jeweiligen Verordnungen unmittelbar in den europäischen Gesetzgebungsprozess mit eingebunden. Zur Verwirklichung des Ziels einer Vereinheitlichung der Rechtsanwendung auf europäischer Ebene werden sie im Bereich der in Art. 1 Abs. 2 der jeweiligen ESA-VO genannten Gesetzgebungsakte ermächtigt, technische Regulierungs-138 und Durchführungsstandards139 zu erarbeiten und vorzubereiten, vgl. Art. 10 sowie Art. 15 der jeweiligen ESA-VO. Bei den technischen Regulierungsstandards handelt es sich um delegierte Rechtsakte i. S. v. Art. 290 AEUV. Hier werden der EU-Kommission vom europäischen Gesetzgeber Befugnisse zum Erlass von Maßnahmen übertragen, die er selbst erlassen könnte. Sie dienen im Wesentlichen der Ergänzung oder Änderung bestehender nicht wesentlicher Normen und dürfen nach Art. 10 Unterabs. 2 der jeweiligen ESA-VO nur technische Fragen regeln.140 Technische Durchführungsstandards hingegen fallen unter Art. 291 AEUV. Hiernach ergreifen die Mitgliedstaaten alle zur Durchführung der verbindlichen

136

Vgl. Verordnung zur Übertragung von Befugnissen zum Erlass von Rechtsverordnungen auf die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht vom 13. Dezember 2002 (BGBl. 2003 I, S. 3), die durch Art. 2 der Verordnung vom 19. Dezember 2014 (BGBl. I, S. 2336) geändert worden ist. 137 Gurlit, ZHR 177 (2013), 862, 870. 138 Die jeweils erlassenen technischen Regulierungsstandards sind auf der Homepage der jeweiligen ESA abrufbar. 139 Die jeweils erlassenen technischen Durchführungsstandards sind auf der Homepage der jeweiligen ESA abrufbar. 140 Vgl. hierzu auch Burgard/Heimann, in: Dauses, EU-Wirtschaftsrecht, E. IV., Rn. 32.

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Rechtsakte der Union erforderlichen Maßnahmen nach innerstaatlichem Recht.141 Im Gegensatz zu den technischen Regulierungsstandards unterliegen die Durchführungsrechtsakte nicht der Kontrolle durch das Parlament oder den Rat, sondern vielmehr der Kontrolle der Mitgliedstaaten.142 Diese Standards können von der EU-Kommission genehmigt werden und in Form von Beschlüssen oder Verordnungen verbindliche Wirkung entfalten.143 Die Letztentscheidungskompetenz obliegt mithin stets der Kommission. Allerdings kommt den europäischen Aufsichtsbehörden das Initiativrecht zu.144 Denn Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 8 sowie Art. 15 Abs. 1 Unterabs. 7 der jeweiligen ESA-Verordnungen bestimmen, dass die Kommission den Inhalt der von den ESAs vorgelegten Standards nicht abändern darf, ohne dies vorher mit der jeweiligen Initiativbehörde abgestimmt zu haben. Dieses verpflichtende Kooperationsverfahren verdeutlicht das hohe Einflussnahmepotential europäischer Aufsichtsbehörden im Hinblick auf das europäische Rechtsetzungsverfahren – trotz der grundsätzlich fehlenden eigenständigen Rechtsetzungskompetenz.145 (b) Technical Advices und Feedback Statements Weiter können die ESAs auf Stufe 2 des Lamfalussy-Verfahrens sog. „Technical Advices“ und „Feedback Statements“ veröffentlichen. Bei den Advices handelt es sich um Veröffentlichungen, die der EU-Kommission bei der Umsetzung der Rahmenregelungen helfen sollen. Mithin kann hier von Ratschlägen gesprochen werden, die die Meinung der ESAs zu bestimmten Problempunkten bei den geplanten Durchführungsrichtlinien bzw. Verordnungen der Kommission widerspiegeln.146 In den Feedback Statements sind zum einen die Meinungen von diversen Marktteilnehmern zu spezifischen Fragestellungen, die im Konsultationsverfahren aufgekommen und erarbeitet wurden, und zum anderen der Standpunkt der ESAs zu diesen Meinungen erkennbar. Diese Texte richten sich in erster Linie an die EU-Kommission und nicht direkt an die Marktteilnehmer. Den Stufe-2-Dokumenten kommt dabei keine eigenständige Rechtsqualität zu.147 Teils wird vertreten, dass diese Verlautbarungen im Rahmen der historischen Auslegung bei der Auslegung von

141

Die EU-Kommission kann also lediglich anstelle der Mitgliedstaaten aus Gründen der unionseinheitlichen Durchsetzung notwendige Durchführungsakte erlassen, vgl. Art. 291 Abs. 2 AEUV. 142 So auch Burgard/Heimann, in: Dauses, EU-Wirtschaftsrecht, E. IV., Rn. 34 f. 143 Vgl. Art. 288 Abs. 1 und Abs. 4 AEUV. 144 Gurlit, ZHR 177 (2013), 862, 873; Weber-Rey/Horak, WM 2013, 721, 723 f. 145 Gurlit, ZHR 177 (2013), 862, 873 f.; Rötting/Lang, EuZW 2012, 8, 10; Lehmann/ Manger-Nestler, ZBB 2011, 2, 10; Michel, DÖV 2011, 728, 730 f. 146 Die Advices werden im fortschreitenden Gesetzgebungsprozess ständig überarbeitet. 147 Hupka, WM 2009, S. 1351, 1354; Hupka, GPR 2008, 286, 288; Kalss, Europäische Methodenlehre, § 20, Rn. 19; Weber-Rey/Balzer, in: Hopt/Wohlmannstetter, Corporate Governance von Banken, S. 447.

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Durchführungsmaßnahmen herangezogen werden können.148 Allerdings spielt diese Art von Auslegungsmethode auf europäischer Ebene lediglich eine untergeordnete Rolle.149 Europäische Rechtsakte stellen nicht zuletzt aufgrund der unterschiedlichen Interessen der beteiligten Mitgliedstaaten im Ergebnis einen Kompromiss dar, was einen Rückschluss auf den historischen Willen des Gesetzgebers deutlich erschwert bzw. entwertet.150 Vielmehr ermöglichen Advices und Feedback Statements es den betroffenen Unternehmen, Regulierungstendenzen im Rechtsetzungsverfahren zu erkennen, sich frühzeitig auf solche einzustellen und in gewissem Maße durch eigene Meinungsäußerungen Einfluss auszuüben.151 Eine unmittelbare Rechtsbindung für die aufsichtsunterworfenen Unternehmen und deren Geschäftsleiter besteht jedoch nicht. (3) Normsetzung durch die EZB im Bereich des Bankenaufsichtsrechtes Im Bereich des Bankenaufsichtsrechtes ist durch den Single Supervisory Mechanism (SSM) mit der EZB ein weiterer europäischer Akteur auf den Plan getreten. Der EZB wurden hier ausdrücklich auch Normsetzungsbefugnisse in Form einer Ermächtigung zum Verordnungserlass eingeräumt.152 Allerdings reicht diese gemäß Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 2 Satz 3 SSM-VO nur so weit, wie dies für die Gestaltung oder Festlegung der Modalitäten zur Wahrnehmung der ihr durch die vorliegende Verordnung übertragenen Aufgaben erforderlich ist. Auch der exekutiven Normsetzungsbefugnis der EZB kommt mithin keine eigenständige Regulierungstätigkeit zu.153 cc) Ergebnis – Exekutive Normsetzung In den vergangenen Jahren haben exekutive Normsetzer im Bereich des Finanzaufsichtsrechtes deutlich an Bedeutung gewonnen. Insbesondere mit der Gründung und Errichtung der European Supervisory Authorities sind aus den ehemaligen Stufe-3-Ausschüssen rechtlich verselbstständigte Akteure entstanden, deren Einfluss auf den Gesetzgebungsprozess durch die Möglichkeit der Erarbeitung von rechtsverbindlichen Standards erheblich gestiegen ist.154 Wesentliche Teile des Aufsichtsrechtes werden mithin nicht mehr ausschließlich vom parlamentarischen Gesetzgeber, sondern vielmehr maßgeblich durch exekutive Aufsichtsbehörden 148

Vgl. hierzu Möllers, ZEuP 2008, S. 480, 489 f. Vgl. zur historischen Auslegung des Gemeinschaftsrechts, Bleckmann/Pieper, in: Dauses, EU-Wirtschaftsrecht, B. I. Rechtsquellen, Rn. 40 ff. 150 So auch Hupka, GPR 2008, 286, 288; Weber-Rey/Balzer, in: Hopt/Wohlmannstetter, Corporate Governance von Banken, S. 447. 151 Ebenso Weber-Rey/Balzer, in: Hopt/Wohlmannstetter, Corporate Governance von Banken, S. 447. 152 Vgl. Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 2 SSM-VO. 153 Vgl. auch Gurlit, ZHR 177 (2013), 862, 877. 154 So auch Gurlit, ZHR 177 (2013), 862, 871 ff. 149

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mitgestaltet.155 Unmittelbare rechtliche Bindungswirkung entfalten dabei die auf nationaler Ebene erlassenen Rechtsverordnungen, die von den ESAs erarbeiteten technischen Regulierungs- und Durchführungsstandards, die die Kommission als Beschluss oder Verordnung verabschiedet hat, sowie die von der EZB ggf. erlassenen Verordnungen. b) Exekutive Standardsetzung im Banken- und Versicherungssektor Neben der Tätigkeit der Aufsichtsbehörden als exekutive Normsetzer veröffentlichen diese auch zahlreiche Verlautbarungen, die nicht dem eigentlichen Gesetzgebungsverfahren zuzuordnen sind, sondern vielmehr bestehendes rechtsverbindliches Recht ergänzen und konkretisieren. Wichtige Beispiele sind hier insbesondere die Rundschreibenpraxis der BaFin sowie Empfehlungen und Leitlinien der ESAs und – de lege ferenda – der EZB. Inwieweit eine irgendwie geartete Rechtsbindung auch im Hinblick auf diese Texte besteht, ist rechtsdogmatisch anhand der Rechtsnatur und Bindungswirkung zu untersuchen. aa) Verlautbarungen der BaFin Die BaFin veröffentlicht in ihrer Tätigkeit als nationale Finanzaufsichtsbehörde verschiedenste Texte, die sich an Kreditinstitute und Versicherungsunternehmen richten und zur Präzisierung gesetzlicher Rahmenregelungen (insb. prinzipienartig formulierter Normen) dienen sollen. Sie verwendet dabei Begrifflichkeiten wie z. B. „Rundschreiben“, „Merkblatt“, „Empfehlungen“, „Leitfaden“ oder auch nur „Auslegungsentscheidungen“. Insbesondere spielen die sog. Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk BA für den Bankensektor), die Mindestanforderungen an die Ausgestaltung von Sanierungsplänen (MaSan) sowie die Auslegungsentscheidungen der BaFin in Bezug auf Solvency II für die in diesem Kapitel zu behandelnde Thematik eine wichtige Rolle. Allein die Verwendung der Bezeichnung „Rundschreiben“ oder „Auslegungsentscheidungen“ lässt aber noch keinen Rückschluss auf deren Rechtsnatur und Bindungswirkung zu, zumal auch diese Begrifflichkeiten in den entsprechenden Finanzmarktaufsichtsgesetzen bisweilen keine Erwähnung finden. (1) Rechtsnatur Vor allem die Rundschreibenpraxis der BaFin hat in den vergangenen Jahren erheblich an rechtspraktischer Bedeutung gewonnen. Wie in Kapitel 1 dargelegt, wurden beispielsweise große Teile der MaRisk durch jüngste Reformen in verbindliches nationales Recht transformiert. An vielen Stellen gehen die in den aufsichtsbehördlichen Verlautbarungen definierten Anforderungen über die qualitativen

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Gurlit, ZHR 177 (2013), 862, 870 f.

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Anforderungen der gesetzlichen Grundlage hinaus.156 Zudem wird die BaFin auch künftig die Auslegungsentscheidungen, die zur Vorbereitung auf Solvency II erstellt wurden, kontinuierlich weiterentwickeln.157 Neben dem spezifischen parlamentarischen Recht existiert mithin ein umfangreiches, durch die Aufsichtsbehörden selbst geschaffenes Aufsichtsrecht.158 Denkbar wäre deshalb, aufsichtsbehördliche Verlautbarungen der BaFin als bindende Rechtsetzung zu qualifizieren.159 Staatliche Rechtsetzung kann jedoch nur durch die besonders hierfür berufenen Organe des Staates erfolgen.160 Dabei kann die Rechtsetzung entweder im Wege der förmlichen Gesetzgebung, nämlich durch die gesetzgebenden Körperschaften, oder durch andere Organe vorgenommen werden, sofern diese von der Verfassung oder von förmlichen Gesetzen in zulässiger Weise hierfür berufen worden sind.161 Die Bundesanstalt ist eine selbstständige Anstalt des öffentlichen Rechts und unterliegt der Rechts- und Fachaufsicht des Bundesministeriums der Finanzen. Bei ihrer Rundschreibenpraxis kommt das Kooperationsverhältnis zwischen der Finanzaufsicht und den jeweils aufsichtsunterworfenen Unternehmen zum Ausdruck. So hatte die Bankenaufsicht bereits im Jahr 2003 den Arbeitskreis „Umsetzung Basel II“ und darauf basierend verschiedene Fachgremien gegründet, um die nationale Implementierung von Basel II und der dazu ergangenen EU-Richtlinien vorzubereiten.162 Dem Fachgremium „MaRisk“ gehören beispielsweise Experten aus kleineren und größeren Instituten, Prüfer, Verbandsvertreter und Aufseher an, denen es obliegt, die Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk) laufend praxisgerecht zu verbessern und weiterzuentwickeln.163 Da die Bankenaufsicht mithin kein gesetzgebendes Organ des Staates ist, müsste sie vom Gesetzgeber zum Erlass von Rechtsverordnungen ermächtigt werden, um mit ihren Verlautbarungen unmittelbare Außenwirkung zu erzeugen, vgl. Art. 80 Abs. 1 GG.

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Dreher, ZGR 2010, 496, 506. Eine Übersicht der Auslegungsentscheidungen ist auf der Homepage der BaFin abrufbar unter: http://www.bafin.de/DE/Aufsicht/VersichererPensionsfonds/Aufsichtsregime/Rechts grundlagenLeitlinien/rechtsgrundlagen_node.html#doc7461888bodyText7. 158 Dreher, ZGR 2010, 496, 506. 159 So wohl Hellstern, in: Luz/Neus/Scharpf/Schneider/Weber, KWG, § 25a, Rn. 41. 160 Maunz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Art. 80, Rn. 1. 161 Maunz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Art. 80, Rn. 1. 162 Vgl. hierzu die Ausführungen der BaFin unter: http://www.bafin.de/DE/Aufsicht/Ban kenFinanzdienstleister/Fachgremien/fachgremien_node.html. 163 Vgl. hierzu die Ausführungen der BaFin unter: http://www.bafin.de/DE/Aufsicht/Ban kenFinanzdienstleister/Fachgremien/MaRisk/marisk_node.html. Als weiteres Beispiel für den Kooperationsprozess kann angeführt werden, dass vor einem Verordnungserlass durch die Aufsichtsbehörde regelmäßig die Spitzenverbände der Finanzinstitute oder auch der Versicherungsbeirat anzuhören sind. Vgl. hierzu mit weiteren Beispielen Gurlit, ZHR 177 (2013), 862, 870, 887. 157

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Kap. 2: Geschäftsleiterermessen und Pflichtenbindung

Eine solche Verordnungsermächtigung liegt bei der Rundschreibenpraxis der BaFin jedoch bisweilen nicht vor.164 Inhaltlich regeln die Verlautbarungen der BaFin jedoch keineswegs bloß innerverwaltungsrechtliche Rechtssätze. Beispielsweise deuten die Formulierungen in Rundschreiben der BaFin darauf hin, regulierten Unternehmen rechtliche Vorgaben machen zu wollen165 und insbesondere aufsichtsrechtliche Normen konkretisieren166 zu wollen.167 Intention zahlreicher Verlautbarungen ist mithin, regelmäßig auf eine Verhaltensbeeinflussung der Aufsichtsadressaten abzuzielen.168 Insofern könnte hier von normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften gesprochen werden. Bei einer normkonkretisierenden Vorschrift besteht hinsichtlich Typus und Voraussetzungen Ähnlichkeit mit Verordnungen.169 Als besonderer Fall eines Beurteilungsspielraumes werden Behörden ermächtigt, Rechtsnormen für eine Vielzahl von zukünftigen Fällen letztverbindlich zu konkretisieren.170 Voraussetzung ist jedoch, dass eine derartige Letztentscheidungsbefugnis der BaFin überhaupt besteht. Eine diesbezügliche Ermächtigung liegt jedoch gerade nicht vor. Mangels Legitimation zur Setzung außenverbindlicher Rechtsgrundsätze stuft die ganz überwiegende Meinung deshalb die Rundschreibenpraxis der BaFin zu Recht

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Im Hinblick auf die Konkretisierung der Vorgaben des § 64a VAG a. F. hat die BaFin sogar bewusst auf die Einräumung einer Verordnungsermächtigung verzichtet. Vgl. Bürkle, VersR 2009, S. 866, 867; Protokoll Nr. 16/73 der Sitzung des Finanzausschusses des Deutschen Bundestags am 22. 10. 2007, S. 14; Weber-Rey/Balzer, in: Hopt/Wohlmannstetter, Corporate Governance von Banken, S. 459. 165 Vgl. Rundschreiben 10/2012 (BA) – Mindestanforderungen an das Risikomanagement – (MaRisk BA), AT 1, Rn. 1: „Dieses Rundschreiben gibt auf der Grundlage des § 25a Abs. 1 des Kreditwesengesetzes (KWG) einen flexiblen und praxisnahen Rahmen für die Ausgestaltung des Risikomanagements der Institute vor.“ Vgl. auch nochmals das inzwischen aufgehobene Rundschreiben 3/2009 (VA) – Aufsichtsrechtliche Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk VA), 2., Ziff. 1: „Mit dem Rundschreiben legt die Aufsichtsbehörde aufsichtsrechtliche Mindestanforderungen für das Risikomanagement der genannten Unternehmen bzw. Unternehmensgruppen und Konzerne fest.“ 166 Vgl. Rundschreiben 3/2009 (VA) – Aufsichtsrechtliche Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk VA), 1., Ziff. 1: „Dieses Rundschreiben konkretisiert die Regelungen des § 64a und des § 104s VAG i. V. m. Artikel 9 der Richtlinie 2002/87/EG (sog. Finanzkonglomerate-Richtlinie) und gibt einen flexiblen und praxisnahen Rahmen für die Ausgestaltung des Risikomanagements der beaufsichtigten Unternehmen, Gruppen und Finanzkonglomerate vor.“ Vgl. auch Rundschreiben 10/2012 (BA) – Mindestanforderungen an das Risikomanagement – (MaRisk BA), AT 1, Ziff. 1: „Es präzisiert ferner die Anforderungen des § 25a Abs. 1a und Abs. 2 KWG (Risikomanagement a Ruf Gruppenebene, Outsourcing).“ 167 Vgl. auch Weber-Rey/Balzer, in: Hopt/Wohlmannstetter, Corporate Governance von Banken, S. 456. 168 Zutreffend Gurlit, ZHR 177 (2013), 862, 894 f. 169 Michael, VersR 2010, 141, 144 f. 170 BVerwGE 72, 300, 320 f.; 107, 338; 110, 216 ff., 218 f.; 114, 342; 129, 209 Rn. 12; vgl. auch Gurlit, ZHR 177 (2013), 862, 895.

B. Handlungsautonomie versus Pflichtenbindung

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als sog. norminterpretierende Verwaltungsvorschriften ein,171 die auf der Grundlage bestehender Rechtsnormen innerbehördlich bindende Anweisungen über die Auslegung und Anwendung von Gesetzen enthalten.172 (2) Bindungswirkung Aufsichtsbehördliche Verlautbarungen der BaFin entfalten mithin weder gegenüber beaufsichtigten Unternehmen noch gegenüber Geschäftsleitern unmittelbare Bindungswirkung, sondern spiegeln lediglich die Verwaltungsmeinung norminterpretierend wider.173 Ihnen kommt dabei eine Art ermessenslenkende Funktion zu.174 Auch sind die Gerichte nicht an derartige Verlautbarungen gebunden.175 Allerdings können diese Texte eine Selbstbindung der Verwaltung auslösen mit der Folge, dass die BaFin selbst nicht willkürlich zum Nachteil betroffener Institute abweichen darf.176 Zu unterscheiden ist die Selbstbindung der Verwaltung mit sog. selbstverpflichtenden Regelungssätzen. Bei internen selbstverpflichtenden Regelungsansätzen werden gesellschafts- oder auch verbandsinterne Best-Practice-Kodizes gebildet, die den Rechtsunterworfenen durch freiwillige Erklärung an diese bindet.177 Externe selbstverpflichtende Regelungssätze werden hingegen durch unternehmensexterne Dritte verfasst.178 Bindungswirkung erlangen derartige Regelungssätze durch eine entsprechende gesetzlich normierte Pflicht zur Abgabe einer Entsprechenserklärung nach § 161 AktG (sog. „Complain-or-explain-Prinzip“).179 Mangels einer dem § 161 AktG vergleichbaren aufsichtsrechtlichen Regelung handelt es sich bei den Verlautbarungen der BaFin jedoch regelmäßig nicht um selbstverpflichtende Regelungssätze, sofern aufsichtsunterworfene Unternehmen

171 Braun/Wolfgarten, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, § 25a KWG, Rn. 35; Weber-Rey/Balzer, in: Hopt/Wohlmannstetter, Corporate Governance von Banken, S. 456 f.; Bürkle, VersR 2009, S. 866, 868; Fischer, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, BankrechtsHandbuch, § 126, Rn. 14; Mülbert, BKR 2006, S. 349, 353; Langen/Schielke/Zöll, BB 2009, S. 2479, 2480 f.; Schmitz-Lippert/Schneider, WPg 2005, S. 1353, 1356 a. E.; kritisch: Michael, VersR 2010, S. 141, 142; Langenbucher, ZBB, 2013, 16, 20. 172 Bonk/Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 1, Rn. 214. 173 Vgl. nochmals oben Kapitel 2, B. II. 2. b); so auch Bitterwolf, in: Reischauer/Kleinhans, KWG-Kommentar, Erg.-Lfg. 5/15, § 25a, S. 14, Anm. 6a; Bürkle, in: Bürkle, Compliance in Versicherungsunternehmen, § 1, Rn. 105; ders., VersR 2009, 866, 867 f. 174 Vgl. Weber-Rey, ZGR 2010, 543, 556. 175 VGH Kassel WM 2007, 392, 393. 176 Maurer, in: Allgemeines Verwaltungsrecht, 16. Aufl., 2006, § 24, Rn. 20 ff.; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 40, Rn. 104; Bürkle, VersR 2009, 866, 886; Weber-Rey/Balzer, in: Hopt/Wohlmannstetter, Corporate Governance von Banken, S. 457. 177 Vgl. Weber-Rey, ZGR 2010, 543, 557. 178 So beispielsweise der deutsche Corporate-Governance-Kodex. 179 Vgl. Weber-Rey, ZGR 2010, 543, 557.

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Kap. 2: Geschäftsleiterermessen und Pflichtenbindung

sich nicht selbst an die Einhaltung von aufsichtsbehördlichen Verlautbarungen durch die Abgabe einer entsprechenden Verpflichtungserklärung binden.180 Weder die Rundschreiben noch die Auslegungsentscheidungen der BaFin haben mithin den Wirkungsgrad, materielle Aufsichtsstandards zu ergänzen bzw. zu erweitern, geschweige denn zu begründen.181 Unter Umständen sind derartige Texte jedoch dazu geeignet Branchenstandards aufzustellen, wenn eine dauerhafte Befolgung dieser aufsichtsbehördlichen Vorgaben gegeben ist.182 Trotz des beschränkten Geltungsanspruches kommt den Veröffentlichungen der BaFin in der Praxis eine erhebliche faktische Bindungswirkung zu. Zwar können allein Verstöße gegen Verlautbarungen der BaFin aufgrund des Grundsatzes des Vorbehaltes des Gesetzes keine informellen oder formellen Sanktionen zur Folge haben, da allein das Gesetzesrecht dazu geeignet ist, sanktionsbewehrte Befolgungspflichten festzulegen.183 Doch droht in der Aufsichtspraxis bei Nichterfüllung der aufsichtsbehördlichen Anforderungen, dass allein ein Androhen von Maßnahmen durch die BaFin genügen wird, um eine nicht unerhebliche Steuerungswirkung bei den betroffenen Unternehmen bzw. deren handelnden Leitungsorganen auszulösen.184 Regelmäßig werden deshalb in der Praxis die Aufsichtsadressaten bemüht sein, auch nicht bindende Verlautbarungen der BaFin zu befolgen. Durch diese Durchsetzungsmacht der BaFin erlangt die aufsichtsbehördliche Meinung gewissermaßen den Rang einer eigenen Rechtsqualität, die in der Literatur teils als „selbstgeschaffenes Aufsichtsbehördenrecht“ bezeichnet wird.185 Konkret droht dadurch die Gefahr, dass das geltende Verbandsrecht und dort bestehende Freiheiten vermehrt durch Aufsichtsbehördenrecht mit beschränktem Geltungsanspruch verdrängt werden.186 Aufgrund dieser erheblichen faktischen Bindungswirkung an Verlautbarungen der BaFin entstehen zunehmend Bedenken im Hinblick auf den verfassungsrechtlich verankerten Gewaltenteilungsgrundsatz. Wie bereits erwähnt, bedürfen rechtsetzende Maßnahmen von Behörden einer ausreichend bestimmten Ermächtigung nach Art. 80 GG. Beispielsweise zeigt die MaRisk für Kreditinstitute, dass das „auf180 Die Bundesregierung holte beispielsweise von acht großen deutschen Banken und den drei größten deutschen Versicherungsunternehmen zur Umsetzung neuer Vergütungssysteme entsprechende Selbstverpflichtungserklärungen bzgl. der Einhaltung der BaFin-Rundschreiben 22/2009 (BA) vom 21. 12. 2009 und 23/2009 (VA) vom 21. 12. 2009 (jeweils zu den aufsichtsrechtlichen Anforderungen an die Vergütungssysteme von Instituten und im Versicherungsbereich) ein und legte erst im Anschluss am 9. Februar 2010 den Entwurf für ein Gesetz über die aufsichtsrechtlichen Anforderungen an die Vergütungssysteme von Versicherungsunternehmen vor. Vgl. hierzu auch Weber-Rey, ZGR 2010, 543, 578 f. 181 Gurlit, ZHR 177 (2013), 862, 897. 182 BGH NZG 2002, S. 195, 196; Armbrüster, VersR 2009, S. 1293, 1297; Bürkle, VersR 2009, 866, 872; Weber-Rey/Balzer, in: Hopt/Wohlmannstetter, Corporate Governance von Banken, S. 458. 183 Blasche, WM 2010, 343, 347. 184 Vgl. hierzu nochmals oben Kapitel 1, B. II. 185 Vgl. Dreher, ZGR 2010, 496, 506, 539 m. w. Nachw. 186 Dreher, ZGR 2010, 496, 539.

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sichtsbehördliche Aufsichtsrecht“ häufig über die gesetzlichen Vorgaben oder, sofern vorhanden, die gesetzlichen Ermächtigungen hinaus geht.187 Auch kann bei Veröffentlichungen der BaFin oftmals eine vorzeitige Umsetzung internationaler Vorgaben beobachtet werden, ohne dass diesbezügliche Regulierungsgebiete eine gesetzliche Grundlage aufweisen. So wurden beispielsweise in der Vergangenheit durch die Überarbeitung der MaRisk BA188 die „Principles for Sound Compensation Practices“189 des FSF sowie die „High-level Principles for Remuneration Policies des CEBS“190 umgesetzt, obwohl § 25a KWG noch gar keine gesetzliche Regelung in Bezug auf Vergütungssysteme enthielt.191 Derartige Praktiken sind verfassungsrechtlich äußerst bedenklich. Deshalb sind die jüngsten Entwicklungen, bei denen wesentliche Teile der MaRisk gesetzlich normiert wurden, zu begrüßen.192 bb) Verlautbarungen auf europäischer Ebene Neben nationalen Verlautbarungen der BaFin erfolgt die finanzmarktregulierende Standardsetzung darüber hinaus auch zunehmend auf europäischer Ebene. Dabei gilt es insbesondere zwischen Verlautbarungen der EU-Kommission sowie solchen der europäischen Aufsichtsbehörden zu unterscheiden. (1) Empfehlungen der EU-Kommission Die Unionsorgane können nach Art. 288 Abs. 5 AEUV Empfehlungen und Stellungnahmen veröffentlichen. Häufig wird die Möglichkeit, Empfehlungen zu veröffentlichen, von der EU-Kommission aufgrund ihrer besonderen fachlichen Kompetenz und ihrer Funktion als Initiativ- und Koordinierungsorgan wahrgenommen.193 Empfehlungen sind nach Art. 288 Abs. 5 AEUV „nicht verbindlich“ und begründen mithin keine rechtliche Bindungswirkung gegenüber dem oder den Adressaten.194 Zu beachten ist, dass das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung auch für unverbindliche Rechtshandlungen gilt.195 Unionsorganen steht deshalb nur 187

Vgl. hierzu insb. Dreher, ZversWiss 2009, 187, 216 f. Rundschreiben 15/2009 (BA) vom 14. 08. 2009. 189 FSF, Principles for Sound Compensation Practices vom 02. 04. 2009. 190 High-level principles for Remuneration Policies vom 20. 04. 2009. 191 Vgl. hierzu auch Weber-Rey/Balzer, in: Hopt/Wohlmannstetter, Corporate Governance von Banken, S. 459 f. 192 Vgl. hierzu nochmals oben Kapitel 1, A. I. sowie Kapitel 1, B. I. 193 Vgl. Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 288, Rn. 203. 194 Adressat von Empfehlungen sind meist die Mitgliedstaaten, können jedoch in einigen vertraglich geregelten Fällen auch Einzelpersonen bzw. Unternehmen sein. 195 So die wohl h. M.: Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 288, Rn. 200; Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 288, Rn. 97; Schroeder, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 249 EGV, Rn. 140; a. A.: Weber-Rey/Balzer, in: Hopt/ Wohlmannstetter, Corporate Governance von Banken, S. 434. 188

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Kap. 2: Geschäftsleiterermessen und Pflichtenbindung

im Rahmen der ihnen gegebenen Sachkompetenzen immer auch die Kompetenz zur Abgabe von Empfehlungen und Stellungnahmen zu.196 Aufgrund der fehlenden Verbindlichkeit von Empfehlungen der EU-Kommission wird häufig von sog. „soft law“197 oder auch von „mittelbar verpflichtenden Regelungssätzen“ gesprochen.198 Jedoch können diese auch nicht als rechtlich völlig bedeutungslos angesehen werden. Der EuGH hat zu dieser Problematik entschieden, dass nationale Gerichte bei der Auslegung innerstaatlicher, Gemeinschaftsrecht durchführender Rechtsvorschriften oder zur Ergänzung verbindlicher gemeinschaftlicher Vorschriften diese Empfehlungen heranzuziehen haben.199 Insofern kann von einer indirekten Rechtswirkung gesprochen werden.200 Empfehlungen der Kommission führen häufig auch zu bindendem Recht. Ihnen kommt mithin erhebliche Steuerungskraft in Bezug auf das Verhalten der Adressaten zu,201 und sie wirken in rechtsgestaltender Weise auf den gemeinsamen Markt ein.202 Darüber hinaus ergibt sich aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes eine gewisse Bindung des erlassenden Organs an die jeweils veröffentlichten Empfehlungen; eine grundlose Änderung der Rechtsauffassung durch die Kommission wird schwer möglich sein, wenn ein Adressat der jeweiligen Empfehlung gefolgt ist.203 (2) Verlautbarungen der ESAs auf Stufe 3 des Lamfalussy-Verfahrens Auf europäischer Ebene erfolgt die aufsichtsbehördliche Standardsetzung in Form von Verlautbarungen insbesondere auch durch die ESAs auf Stufe 3 des Lamfalussy-Verfahrens. Stufe-3-Texte sind sog. Leitlinien und Empfehlungen, die sich sowohl an die jeweils nationalen Aufsichtsbehörden als auch an Bank- und Versicherungsunternehmen richten können und der Rechtsauslegung und Norm196 Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 288, Rn. 200. 197 Zum Begriff „soft law“ vgl. Bergmann, in: Bergmann, Handlexikon der Europäischen Union, 4. Aufl., 2012: „Soft law ist ein zunächst im Völkerrecht eingeführter, heute auch in anderen Rechtsbereichen verwendeter Begriff für Grundsätze, Empfehlungen oder Verhaltensregeln, deren Nichtbeachtung keine unmittelbaren rechtlichen Folgen hat.“ Vgl. ausführlich zu dieser Begrifflichkeit Schwarze, EuR 2011, 3 ff. 198 Vgl. Weber-Rey, ZGR 2010, 543, 554 ff. 199 EuGH, Rs. C-322/88, Grimaldi, Slg. 1989, 4407. 200 So auch Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 288, Rn. 206. 201 Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 288, Rn. 208; vgl. auch Weber-Rey/Balzer, in: Hopt/Wohlmannstetter, Corporate Governance von Banken, S. 435: Die Gemeinschaftstreue sorgt dafür, dass die Mitgliedstaaten an die Beachtung der Empfehlungen gehalten sind; auch aus psychologischen Gründen befolgen die Adressaten Empfehlungen der EU-Organe. 202 Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 288, Rn. 205. 203 Zutreffend Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 288, Rn. 206.

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konkretisierung dienen. In den nicht von den technischen Regulierungs- und Durchführungsstandards abgedeckten Bereichen haben die jeweils zuständigen ESAs die Befugnis, selbst Leitlinien204 (sog. „Guidelines“) und Empfehlungen205 (sog. „Recommendations“) zu erlassen. Von dieser Ermächtigung haben sie in den vergangenen Jahren häufig Gebrauch gemacht und das europäische Aufsichtsrecht, z. B. im Bereich der internen Corporate Governance von Bank- und Versicherungsunternehmen, durch die Veröffentlichung zahlreicher Standards maßgeblich mitbeeinflusst. Im Gegensatz zu den Empfehlungen, die dem jeweiligen Adressaten ein bestimmtes Verhalten vorschlagen, konkretisieren Leitlinien aufsichtsrechtliche Normen und begründen darüber hinaus eine aufsichtsbehördliche Vorstellung in Bezug auf den Inhalt der rechtlich gebotenen Anforderungen.206 Diese Form des aufsichtsbehördlichen Handelns soll in den nicht von technischen Standards abgedeckten Bereichen zum Einsatz kommen, wenngleich die Empfehlungen und Leitlinien gegenständlich in den durch Art. 1 Abs. 2 und 3 der jeweiligen ESA-VO umschriebenen Tätigkeitsbereich fallen müssen.207 Nach Art. 16 Abs. 3 der jeweiligen ESA-Verordnungen haben die zuständigen nationalen Aufsichtsbehörden sowie die aufsichtsunterworfenen Bank- und Versicherungsunternehmen alle erforderlichen Anstrengungen zu unternehmen, um den Leitlinien und Empfehlungen nachzukommen. Diese Formulierung legt eine unmittelbare rechtliche Bindungswirkung nahe. (aa) Rechtsnatur und Bindungswirkung Die europäische Bankenaufsichtsbehörde beschreibt den Status ihrer Leitlinien zur internen Governance wie folgt: „In den Leitlinien wird dargelegt, was die EBA unter angemessenen Aufsichtspraktiken im Europäischen System der Finanzaufsicht versteht bzw. wie nach ihrer Auffassung das Unionsrecht in einem bestimmten Bereich anzuwenden ist. EBA erwartet daher von allen zuständigen Behörden und Finanzmarktteilnehmern, an die diese Leitlinien gerichtet sind, dass sie diese befolgen, sofern sie nichts anderes angegeben haben. Dazu sollten die zuständigen Behörden die an sie gerichteten Leitlinien gegebenenfalls in ihre Aufsichtspraktiken (z. B. durch Änderung ihres Rechtsrahmens oder ihrer Aufsichtsvorschriften und/

204 Ein Überblick über alle Guidelines der EIOPA ist abrufbar unter: https://eiopa.europa.eu/ regulation-supervision/guidelines. Ein Überblick über Guidelines der EBA im Bereich der internen Corporate Governance ist abrufbar unter: https://www.eba.europa.eu/regulation-and-poli cy/internal-governance. 205 Empfehlungen der EIOPA sind abrufbar unter: https://eiopa.europa.eu/Pages/Standards/ Standards-Guidelines-and-Recommendations.aspx. Empfehlungen der EBA sind abrufbar unter: https://www.eba.europa.eu/regulation-and-policy/internal-governance/-/activity-list/vShI 4QUWIDgt/more. 206 EuGH Slg. 2006, I-5529, Rn. 60 f.; Gurlit, ZHR 177 (2013), 862, 875; Thomas, EuR 2009, 423, 424; v. Graevenitz, EuZW 2013, 169. 207 Vgl. Erwägungsgrund 26 der EBA-VO sowie Erwägungsgrund 25 der EIOPA-VO. So auch Gurlit, ZHR 177 (2013), 862, 875.

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oder Veränderungen in ihren Lenkungs- bzw. Aufsichtsprozessen) integrieren, einschließlich solcher Leitlinien in diesem Dokument, die in erster Linie an Institute gerichtet sind.“208

Aus dieser Formulierung heraus kann zunächst der wesentliche Unterschied zu den Verlautbarungen der BaFin festgestellt werden: Die nationalen Aufsichtsbehörden bringen wie gezeigt durch ihre Texte eine eigene Verwaltungspraxis zum Ausdruck,209 die ESAs hingegen lediglich ihre eigene Ansicht zur Aufsichtspraxis nationaler Behörden.210 Allerdings lässt dies noch keinen Rückschluss zu, was die Rechtsqualität derartiger Texte betrifft. In der rechtswissenschaftlichen Literatur wird diese Frage unterschiedlich beurteilt. Teilweise wird von sekundären Rechtsquellen211 oder „Maßnahmen mit normativem Charakter“212, teils auch von einer eigenen untergesetzlichen Normenkategorie213 gesprochen. Auch hinsichtlich der Reichweite der Bindungswirkung gehen die Meinungen weit auseinander. Vertreten wird, dass Verlautbarungen der ESAs gänzlich unverbindlich214, faktisch bindend215 oder vergleichbar mit Verlautbarungen nationaler Aufsichtsbehörden216 sind. (bb) Keine rechtliche Bindungswirkung Die ESAs sind keine eigenständigen (Legislativ-)Organe der Union.217 Mithin kommen den Guidelines und Recommendations dieser Behörden mangels eigenständiger Gesetzgebungskompetenz konsequenterweise auch keine unmittelbare rechtliche Bindungswirkung zu.218 Auch kann die Nichteinhaltung von Leitlinien 208

Ziff. 2. 209

Vgl. EBA-Leitlinien zur Internen Governance (GL 44), 27. September 2011, S. 2,

Vgl. hierzu nochmals oben Kapitel 2, B. II. 2. b) aa). So auch Weber-Rey/Balzer, in: Hopt/Wohlmannstetter, S. 448; in Bezug auf vorbereitende Leitlinien zur Solvency-II-Umsetzung der EIOPA vgl. Bürkle, VersR 2014, 529, 530: „Es geht hier also nicht nur um eine Vorbereitung auf Solvency II, sondern zugleich vorab um eine Verankerung aufsichtsbehördlicher Vorstellungen in der Praxis.“ 211 So Möllers, NZG 2010, 285, 289; Möllers/Harrer/Krüger, WM 2011, 1537; Michel, DÖV 2011, 728, 732. 212 So Sonder, BKR 2012, 8, 9. 213 So Thomas, EuR 2009, 423; Lehmann/Manger-Nestler, EuZW 2010, 87, 90. 214 Duve/Keller, BB 2006, 2425 ff. 215 Ferran, Building an EU Securities Market, S. 100 216 Kalss, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre 2006, § 20, Rn. 25. 217 Die Organe der Union sind abschließend in Art. 13 EUV geregelt. Vgl. auch Bürkle, VersR 2014, 529, 531: „Da sie im Gegensatz zur Kommission aber über keine originäre Rechtsetzungskompetenz verfügt, kann sie im Rahmen von Leitlinien daher erst recht nicht durch ihre Auslegung den Anwendungsbereich des europäischen Sekundärrechts oder insoweit neue Inhalte beschreiben.“ 218 Vgl. Schlussbericht des Ausschusses der Weisen über die Regulierung der europäischen Wertpapiermärkte, 2001, S. 47: „Das Ergebnis dieser Arbeiten wäre nicht verbindlich, wenngleich es zweifellos einen maßgeblichen Einfluss hätte.“ EBA Guidelines on Internal Governance (GL 44), vom 27. 09. 2011, S. 58: „EBA guidelines are not legally binding.“ Vgl. auch EuGH, Urteil v. 18. 05. 2006, Rs. C-397/03 P, Slg. 2006, I-4429 Rz. 60 f.: Bei Leitlinien der Kommission soll es sich um „Verhaltensnormen mit allgemeiner Geltung“ handeln mit der 210

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und Empfehlungen nicht mittels eines rechtlich verbindlichen Verfahrens durchgesetzt werden. Zwar sieht Art. 17 Abs. 1 der jeweiligen ESA-VO ein Verfahren zur Durchsetzung von EU-Recht vor. Doch bezieht sich dieses lediglich auf die in Stufe 1 und Stufe 2 des Lamfalussy-Verfahrens erlassenen Rechtsakte der Union, einschließlich der technischen Regulierungs- und Durchführungsstandards. Eine Bindungswirkung gegenüber Marktteilnehmern könnte sich jedoch aufgrund Gewohnheitsrecht oder Handelsgebrauch ergeben.219 Aufgrund der rapiden Fortentwicklung des Aufsichtsrechts werden Empfehlungen und Leitlinien jedoch ständig den jeweiligen Gegebenheiten angepasst, weshalb eine Entwicklung zum Gewohnheitsrecht aufgrund dauernder Übung220 nahezu ausgeschlossen ist. Auch das für den Handelsgebrauch erforderliche Element der gleichmäßigen, einheitlichen und freiwilligen Übung über einen gewissen Zeitraum221 wird deshalb regelmäßig nicht gegeben sein.222 Schließlich ist auch eine Bindungswirkung abzulehnen, die mit europäischen Normungen im Wege von normenkonkretisierenden Verweisungen aufgrund bisweilen nicht vorhandener Verweisungen auf die ESA-Texte in Richtlinien vergleichbar wäre.223 Für eine grundsätzliche Unverbindlichkeit von Leitlinien spricht darüber hinaus, dass der deutsche Gesetzgeber künftig in § 324 Abs. 1 Satz 2 VAG im Einklang mit Art. 71 Abs. 2 Satz 2 Solvency-II-Richtlinie normiert, dass die nationale Aufsichtsbehörde den Inhalt von Leitlinien lediglich „berücksichtigen“ muss.224 Deshalb sind auch Empfehlungen und Richtlinien als „soft law“ bzw. lediglich „mittelbar verpflichtende Regelungssätze“ anzusehen.225 (cc) Faktische Bindungswirkung Trotz der fehlenden unmittelbaren Rechtsbindung kommt den Guidelines und Recommendations in der Aufsichtspraxis ebenfalls eine teils erhebliche faktische Wirkung zu.226 Dies bringt bereits die Formulierung von Art. 16 Abs. 3 Satz 1 der

Folge, dass hiervon nicht ohne weiteres abgewichen werden darf; eine entsprechende Bindungswirkung bestehe jedoch nicht. 219 Vgl. hierzu Hupka, GPR 2008, 286, 290. 220 Vgl. zu den Voraussetzungen des Gewohnheitsrechts BGH Beschluß NJW 1962, 2054. 221 Vgl. zu den Voraussetzungen des Handelsbrauchs BGH NJW 1952, 257; RGZ 110, 47, 48; 118, 139, 140; Schmidt, in: Münchener Kommentar zum HGB, 3. Aufl., 2013, § 346, Rn. 11 ff. 222 So auch Hupka, GPR 2008, 286, 290. 223 Vgl. hierzu Hupka, GPR 2008, 286, 291. 224 Vgl. hierzu auch Bürkle, VersR 2014, 529, 532. 225 Vgl. Köndgen, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre 2006, S. 65, 86 ff.; WeberRey/Balzer, in: Hopt/Wohlmannstetter, Corporate Governance von Banken, S. 432; Weber-Rey, ZGR 2010, 543, 554 ff.; Burgard/Heimann, in: Dauses, EU-Wirtschaftsrecht, E. IV., Rn. 37 ff.; Rötting/Lang, EuZW 2012, 8, 10. 226 Weber-Rey/Horak, WM 2013, 721, 724 f.

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jeweiligen ESA-Verordnung zum Ausdruck.227 Weiterhin ist jede zuständige nationale (Aufsichts-)Behörde verpflichtet, innerhalb von zwei Monaten nach der Herausgabe einer Leitlinie oder Empfehlung zu bestätigen, ob sie dieser Leitlinie oder Empfehlung nachkommt oder nachzukommen beabsichtigt, Art. 16 Abs. 3 Unterabs. 1 Satz 1 der jeweiligen ESA-VO. Kommt eine zuständige Behörde der Leitlinie oder Empfehlung nicht nach oder beabsichtigt sie nicht, dieser nachzukommen, hat sie dies der Behörde unter Angabe der Gründe mitzuteilen, Art. 16 Abs. 3 Unterabs. 1 Satz 2 der jeweiligen ESA-VO (sog. Comply-or-explain-Mechanismus). Gegenüber den jeweiligen Aufsichtsbehörden der Mitgliedstaaten begründet dieses Verfahren mithin eine Art rechtliche Befassungspflicht.228 Zusätzlich können die ESAs erheblichen Druck229 auf die nationalen Aufsichtsbehörden ausüben, indem die Tatsache, dass einer Leitlinie oder Empfehlung nicht nachgekommen wird oder beabsichtigt wird, einer solchen nicht nachzukommen – u. U. inklusive der von der nationalen Aufsichtsbehörde genannten Begründung – veröffentlicht wird, Art. 16 Abs. 3 Unterabs. 2 Satz 2 der jeweiligen ESA-VO. Auch betroffene Institute können nach Art. 16 Abs. 3 Unterabs. 3 der jeweiligen ESA-VO u. U. dazu angehalten werden, auf klare und ausführliche Weise Bericht darüber zu erstatten, ob sie einer Leitlinie oder Empfehlung nachkommen.230 Ein „naming and shaming“, wie dies bei der Nichtbefolgung durch nationale Aufsichtsbehörden der Fall ist, kommt mangels Ermächtigung in den ESA-Verordnungen gegenüber aufsichtsunterworfenen Unternehmen hingegen nicht in Betracht. Guidelines und Recommendations können mithin trotz der fehlenden Rechtsverbindlichkeit eine faktische Außenwirkung und damit einhergehend einen Befolgungszwang für aufsichtsunterworfene Unternehmen und deren handelnde Organe auslösen. Denn mit der Nichtbefolgung bzw. Abweichung von den Leitlinien und Empfehlungen seitens der Unternehmen geht einerseits stets die Gefahr einher, dass die jeweils national zuständigen Aufsichtsbehörden, die ihrerseits die jeweiligen Guidelines und Recommendations nach einer „Comply-Erklärung“ anwenden, hoheitliche Maßnahmen einleiten werden.231 Zudem ist gegenwärtig die Tendenz zu erkennen, dass sich Leitlinien nicht mehr ausschließlich an die nationalen Aufsichtsbehörden richten, sondern vielmehr zunehmend konkrete Verpflichtungen direkt an aufsichtsunterworfene Unternehmen formuliert werden.232 In Verbindung mit der möglichen Berichtspflicht nach § 16 Abs. 3 Unterabs. 3 der jeweiligen ESAVO desavouiert dies neben dem Proportionalitätsprinzip auch die Rolle der natio227 „Die zuständigen Behörden und Finanzinstitute unternehmen alle erforderlichen Anstrengungen, um diesen Leitlinien und Empfehlungen nachzukommen.“ 228 Gurlit, ZHR 177 (2013), 862, 876. 229 So auch Weber-Rey/Balzer, in: Hopt/Wohlmannstetter, Corporate Governance von Banken, S. 448; Baur/Boegl, BKR 2011, 178, 183. 230 Vgl. hierzu etwa Sasserath-Alberti/Hartig, VersR 2012, 524, 530. 231 Zutreffend Bürkle, VersR 2014, 529, 532. 232 So beginnt beispielsweise ein Großteil der formulierten Leitlinien zum Governance System der EIOPA vom 14. 09. 2015 mit den Worten „Das Unternehmen sollte …“

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nalen Aufsichtsbehörden als eigentliche Primäradressaten derartiger Leitlinien.233 Wie bereits in Kapitel 1 dargelegt, kann so allein das informelle Androhen formeller Maßnahmen im Hinblick auf die mögliche Marktresonanz und Reputationsfolgen regelmäßig ausreichen, um die gewünschte Steuerungswirkung beim Aufsichtsadressaten zu erzielen.234 cc) Standardsetzung durch die EZB Die Neustrukturierung der Bankenaufsicht hat dazu geführt, dass mit der EZB ein weiterer Standardsetzer mit Befugnissen zum Erlass von Leitlinien und Empfehlungen ausgestattet wurde. Insofern scheint ein Konfliktpotential mit den Befugnissen und Entscheidungsprozessen der EBA vorprogrammiert. Doch soll auch zukünftig das Erstellen von technischen Standards, Leitlinien und Empfehlungen die Hauptaufgabe der EBA bleiben, wohingegen die EZB in erster Linie deren Standards vollziehen soll.235 Denn nach Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 2 Satz 2 SSM-VO unterliegt die EZB „insbesondere den von der EBA ausgearbeiteten und von der Kommission gemäß den Artikeln 10 bis 15 der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 erlassenen verbindlichen technischen Regulierungs- und Durchführungsstandards, dem Artikel 16 der genannten Verordnung sowie den Bestimmungen jener Verordnung zum von der EBA im Einklang mit jener Verordnung ausgearbeiteten europäischen Aufsichtshandbuch“. Die Gefahr divergierender aufsichtsbehördlicher Standards dürften deshalb vor diesem Hintergrund als gering eingestuft werden.236 Betätigt die EZB sich dennoch als konkurrierender Standardsetter, kann sie nur insoweit Leitlinien und Empfehlungen erlassen, wie dies für die Wahrnehmung ihrer spezifischen Vollzugsaufgaben im SSM erforderlich ist.237 dd) Ergebnis – Exekutive Standardsetzung Die Internationalisierung der Finanzmärkte sowie die Entwicklungen während der globalen Finanz- und Weltwirtschaftskrise führten dazu, dass neben gesetzlich normierten bzw. unmittelbar verpflichtenden Vorschriften zunehmend auch mittelbar verpflichtende Regulierungsinstrumentarien eingesetzt werden. Derartige Re233

Dreher, WM 2015, 649, 652. Vgl. hierzu nochmals oben Kapitel 1, B. II. So auch Dreher, WM 2015, 649, 652. 235 Gleichwohl benötigen formale Beschlüsse in den EBA-Gremien künftig eine doppelte Mehrheit. Sowohl eine Mehrheit der SSM-Mitgliedstaaten als auch eine Mehrheit der NichtSSM-Staaten müssen zustimmen, vgl. Art. 44 EBA-VO. Zum eventuellen Konfliktpotential im Rahmen des Rechtsetzungsprozesses vgl. Ferran/Babis, The European Single Supervisory Mechanism, University of Cambridge Faculty of Law Research Paper No. 10/2013; Tröger, The Single Supervisory Mechanism – Panacea or Quack Banking Regulation?, European Business Organization Law Review, Forthcoming SAFE Working Paper No. 27. 236 Zutreffend Gurlit, ZHR 177 (2013), 862, 878. 237 Gurlit, ZHR 177 (2013), 862, 878. 234

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Kap. 2: Geschäftsleiterermessen und Pflichtenbindung

gelungsformen werden regelmäßig nicht von Legislativorganen, sondern meist von der Exekutive (z. B. Verwaltungsbehörden, von der Exekutive eingesetzte Gremien, internationale Gremien oder auch private Vereinigungen und Verbände) erlassen.238 Häufig werden sie als „soft law“ oder auch „mittelbar verpflichtende Regelungssätze“239 bezeichnet. Die Intention von mittelbar verpflichtenden Regulierungsansätzen ist schnell erklärt. Die Kapitalmärkte und ihre wachsende Bedeutung für die Unternehmen in der Finanzdienstleistungsbranche haben in den vergangenen Jahren durch die Auswirkungen der Krise wesentliche Veränderungen erfahren. Bestehende Rechtsrahmen mussten schnellst möglich auf die veränderten Umstände angepasst werden. Der Ruf nach einheitlichen, grenzüberschreitenden Marktstandards wurde lauter. Ein schnelles Handeln war erforderlich, um negative Entwicklungen einzudämmen und verlorengegangenes Vertrauen wiederherzustellen. Mittels oft langwieriger Gesetzgebungsverfahren schien dies oftmals nicht möglich. Die Regulierungstendenzen der vergangenen Jahre können mithin als situationsgetriebene Regelungssätze bezeichnet werden. Mit dem Ziel, durch Krisen offengelegte Missstände punktuell und schnell zu beheben, wurden deshalb in den vergangenen Jahren vermehrt derartige meist nur faktisch bindende, situationsgetriebene Regulierungsinstrumentarien eingesetzt.240 Eine unmittelbare Bindungswirkung entfalten dabei weder die aufsichtsbehördlichen Verlautbarungen der BaFin noch die Empfehlungen der Kommission, noch die Leitlinien und Empfehlungen der ESAs bzw. der EZB. Faktisch kann hingegen von einer teils erheblichen Steuerungs- und Lenkungsfunktion gesprochen werden, deren Bindungswirkung im Einzelfall unterschiedlich stark ausgeprägt sein kann. Zunehmend droht deshalb das wesensfremde „aufsichtsbehördliche Aufsichtsrecht“ geltendes Verbandsrecht zu verdrängen. c) Reichweite der Norminterpretationskompetenz Aufsichtsbehördliche Standards sollen vermehrt aufsichtsgesetzliche Vorgaben und Pflichten interpretieren und konkretisieren. Mangels unmittelbarer rechtlicher Bindungswirkung derartiger Texte können diese von vornherein schon gar nicht dazu geeignet sein, über die gesetzlich normierten Vorgaben hinaus weitere letztverbindliche Pflichten zu begründen.241 Allein die in der Praxis vorhandene faktische Bindungswirkung darf nach geltendem Recht jedoch nicht zu einem Standardisierungsspielraum der jeweils zuständigen Aufsichtsbehörden führen, die in irgendeiner Weise eine Bindung der Gerichte bzw. eine lediglich eingeschränkte gerichtliche Überprüfbarkeit dieser Verlautbarungen auslösen.242 Vielmehr gebietet das Gebot 238 239 240 241 242

Vgl. Weber-Rey, ZGR 2010, 543, 554 ff. So beispielsweise Weber-Rey, ZGR 2010, 543, 554 ff. Vgl. hierzu auch Weber-Rey, ZGR 2010, 543, 553. Vgl. hierzu nochmals Gurlit, ZHR 177 (2013), 862, 894 ff. VGH Kassel, WM 2007, 392, 393.

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des effektiven Rechtsschutzes, dass Rechtsbegriffe grundsätzlich sowohl in rechtlicher als auch in tatsächlicher Hinsicht gerichtlich voll überprüfbar sind.243 Ausnahmen sind nur dann denkbar, wenn den jeweils zuständigen Aufsichtsbehörden eine rechtsverbindliche Letztentscheidungsermächtigung von Gesetzes wegen zugesprochen wird – was de lege lata im Bereich des Bank- und Versicherungsaufsichtsrechtes gerade nicht der Fall ist – oder aber die Auslegung der jeweiligen Norm ergibt, dass den Behörden ein Beurteilungsspielraum zuzugestehen ist.244 Letzteres soll dann der Fall sein, wenn eine gerichtliche Überprüfung die Rechtsprechung an ihre Funktionsgrenzen stößt.245 Anhaltspunkte für die Beschränkung der gerichtlichen Kontrolle können dabei der prognostische Gehalt der infrage stehenden Verwaltungsentscheidung, eine besondere Sachkunde der Behörde oder etwa ein qualifiziertes administratives Entscheidungsverfahren darstellen.246 Die im vorliegenden Zusammenhang untersuchten bank- und versicherungsaufsichtsrechtlichen Vorgaben in Bezug auf spezifische aufsichtsgesetzlich normierte Verhaltens- und Organisationsvorgaben vermögen den in der Rechtsprechung entwickelten funktionellrechtlichen Kriterien jedoch nicht gerecht zu werden. Tatsächlich zeichnen sich die Anforderungen des Finanzdienstleistungs-Unternehmensrechtes für die Geschäftsleiter von Finanzintermediären zunehmend durch ein besonderes Maß an Komplexität aus. Auf den ersten Blick liegt insofern eine gerichtlich nur beschränkt überprüfbare Aufsichtsbehördenentscheidung bzw. Norminterpretationskompetenz der jeweils zuständigen Aufsichtsbehörde nahe. Jedoch darf nicht außer Acht gelassen werden, dass den Aufsichtsbehörden gerade nicht die Kompetenz zugesprochen wurde, neue Pflichten zu statuieren.247 Zudem erfordert die Konkretisierung aufsichtsbehördlicher Anforderungen gerade keinen besonderen technisch-wissenschaftlichen Sachverstand oder ist etwa durch politische, außerrechtliche Wertungsspielräume geprägt.248 Der Konflikt zwischen allgemeinen verbandsrechtlichen Grundwertungen durch das Aufsichtsrecht und die damit eng verknüpfte Gefahr, dass das geltende Verbandsrecht und dort bestehende Freiheiten vermehrt durch Aufsichtsbehördenrecht mit beschränktem Geltungsanspruch verdrängt werden, zwingt vielmehr dazu, aufsichtsbehördliche Standards der vollen gerichtlichen Überprüfung zu unterwerfen. Mit anderen Worten darf der jeweils zuständigen Aufsichtsbehörde

243

Schmidt-Aßmann/Schenk, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Einl. Rn. 186. BVerwGE 130, 180; BVerwGE 92, 340, 348. 245 Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu ausgeführt: „Unbestimmte Rechtsbegriffe können allerdings wegen hoher Komplexität oder besonderer Dynamik der geregelten Materie so vage und ihre Konkretisierung im Nachvollzug der Verwaltungsentscheidung so schwierig sein, daß die gerichtliche Kontrolle an die Funktionsgrenzen der Rechtsprechung stößt.“ Vgl. BVerfGE 84, 34 50. 246 Schmidt-Aßmann/Schenk, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Einl. Rn. 188 m.w. Nachw. 247 VGH Kassel, WM 2007, 392, 393; Weber-Rey/Balzer, in: Hopt/Wohlmannstetter, Corporate Governance von Banken, S. 456 f. m.w. Nachw. 248 Überzeugend Gurlit, ZHR 177 (2013), 862, 896. 244

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Kap. 2: Geschäftsleiterermessen und Pflichtenbindung

nicht die Kompetenz zugesprochen werden, Aufsichtsgesetze letztverbindlich zu konkretisieren.249 3. Ergebnis: Rechtsbindung im regulierten Banken- und Versicherungssektor Grundsätzlich sind Geschäftsleiter also an alle Vorgaben von Gesetzesrang rechtlich gebunden. Hierzu zählen neben gesetzlich normierten nationalen Vorschriften auch das europäische Primär- und Sekundärrecht. Eine unmittelbare rechtliche Bindungswirkung hinsichtlich exekutiver Verlautbarungen besteht hingegen nicht, wenngleich diese unter Umständen einen nicht unerheblichen faktischen Befolgungszwang auslösen können.

III. Konsequenzen für den Anwendungsbereich der Business Judgment Rule im Rahmen rechtlich gebundener Entscheidungen mit tatbestandlichem Beurteilungsspielraum 1. Problemaufriss Im Rahmen der Wahrnehmung bzw. Umsetzung rechtlich normierter Vorgaben von Gesetzesrang scheint der Anwendungsbereich der Business Judgment Rule zunächst ausgeschlossen. Denn wie festgestellt, ändert der prinzipiengeleitete Regulierungsansatz trotz seines hohen Abstraktionsniveaus sowie daraus resultierender Umsetzungsspielräume für die Normadressaten nichts an deren rechtlicher Verbindlichkeit. Streng genommen liegt insofern nach der oben vorgenommenen Differenzierung gerade keine unternehmerische Entscheidung mehr vor. Ausweislich der Gesetzesbegründung soll es nämlich für illegales Verhalten keinen sicheren Hafen im Sinne einer haftungstatbestandlichen Freistellung geben.250 Darüber hinaus ist § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG auch nicht bei Verstößen gegen die Treuepflicht, die sich neben anstellungsvertraglichen Pflichten auch aus der Stellung der Geschäftsleiter

249

Wie bereits oben in Kapitel 1 dargelegt, führt der kaum mehr begrenzte Überwachungsund Durchsetzungsauftrag an die zuständigen Aufsichtsbehörden auf nationaler und europäischer Ebene vermehrt zu hoheitlichen Eingriffen und Einwirkungsmöglichkeiten auf originär unternehmerische Entscheidungen. Die damit verbundene Gefahr von erheblichen Grundrechtsverkürzungen indizieren geradezu, dass eine Kontrollbegrenzung der Gerichte bzw. eine Zubilligung der Norminterpretationskompetenz der Aufsichtsbehörden gerade nicht angebracht ist. Zum beschränkten Geltungsanspruch des Aufsichtsrechtes, vgl. insb. auch unten Kapitel 3, B. IV. sowie Kapitel 3, C. I. 250 BT-Drs. 15/5092 S. 11.

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als Organ und Treuhänder fremden Vermögens ergeben kann, anwendbar.251 Ob dem handelnden Leitungsorgan mithin tatsächlich die Haftungsprivilegierung in Form der Business Judgment Rule verwehrt ist, obwohl der prinzipiengeleitete Regulierungstrend in der Praxis erhebliche Handlungs- und Umsetzungsspielräume gewährt, ist eine Frage, die nach den bisherigen Untersuchungen keineswegs eindeutig beantwortet werden kann. Denn in vielen der genannten Bereiche der Rechtsbindung sind Konstellationen denkbar, die deutliche Parallelen zur unternehmerischen Entscheidung – insbesondere in Bezug auf erhebliche Unsicherheits- und Risikofaktoren bei zu treffenden Leitungsentscheidungen – aufweisen. Insofern sieht sich der Geschäftsleiter aus haftungsrechtlicher Sicht sehr ähnlichen Gefahren ausgesetzt, wie sie vom Anwendungsbereich des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG erfasst werden.252 So z. B. in Konstellationen, in denen selbst nach Einholung von Rechtsrat noch Unklarheiten in rechtlicher Hinsicht bestehen. Auch der vorbildlichste und gewissenhafteste Manager kann mit abschließender Sicherheit nicht von Anfang an beurteilen, was genau unter gesetzlich normierten Begrifflichkeiten wie einer „ordnungsgemäßen Geschäftsorganisation“ oder einem „angemessenen und wirksamen Risikomanagement“ zu verstehen ist. Dies gilt umso mehr, wenn man sich vor Augen hält, dass eine Vielzahl von Vorgaben des qualitativen Aufsichtsrechts erst seit kurzem existiert und dementsprechend auch noch keine gefestigte Rechtsprechungspraxis besteht. Gesetzesänderungen bzw. Neudefinierungen der Rechtsmaterie im Bereich des qualitativen Aufsichtsrechtes bedingen geradezu diverse Ungewissheiten in Bezug auf die künftige Rechtsanwendung durch die Aufsichtsbehörden sowie im Hinblick auf die Rechtsprechung und führen in letzter Konsequenz auch häufig zu divergierenden Rechtsmeinungen im Schrifttum.253 Exemplarisch für die hohe Komplexität und daraus resultierende Rechtsunsicherheiten für den Rechtsanwender ist die Pflicht zur Aufstellung von Sanierungsplänen. Diese fordert wie gezeigt nunmehr eine zukunftsgerichtete Beurteilung der Geschäftsleiter in Bezug auf effektive Handlungsoptionen des Instituts im Krisenfall sowie eine darauf basierende Auswirkungs- und Umsetzungsanalyse, vgl. § 13 Abs. 2 Nr. 3, 4 und 5 SAG. Kann von den jeweils verpflichteten Leitungsorganen tatsächlich verlangt werden, für in der Zukunft liegende mögliche Krisenszenarien vermeintlich effektive Handlungsoptionen und deren Auswirkungen vorherzusehen und zu definieren, ohne in den Genuss eines von Haftungsgefahren befreiten Beurteilungsspielraumes zu kommen? Klarheit besteht insoweit lediglich, dass eine Anwendung der Business Judgment Rule im Rahmen rechtlich gebundener Entscheidungen ohne Handlungs-, Beurtei-

251 BGHSt 50, 331, 339 = NJW 2006, 522, 524 – Mannesmann; Spindler, in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, § 93, Rn. 5; Hopt/Roth, in: Großkommentar zum Aktiengesetz, § 93, Rn. 73. 252 So auch Bachmann, ZHR 177 (2013), 1, 8. 253 Vgl. Spindler, in: FS Canaris, Bd. 2, 2007, S. 403, 421; Buck-Heeb, BB 2013, 2247, 2249.

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Kap. 2: Geschäftsleiterermessen und Pflichtenbindung

lungs- bzw. Ermessensspielraum ausgeschlossen ist.254 In diesen Fällen unterliegen die Rechtsanwender der strikten Pflichtenbindung, da die Auslegung der infrage stehenden Norm regelmäßig nur eine rechtmäßige Handlungsmöglichkeit zulässt. In allen übrigen Fällen bedarf es einer weiteren Überprüfung. Gegenstand der nachfolgenden Untersuchungen wird deshalb die Anwendbarkeit von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG im Rahmen dieser juristischen Grauzone sein. Konkret stellt sich die Frage, ob die Ermittlung der Rechtslage, sprich der eigentliche Entscheidungsfindungs- und -vorbereitungsprozess bei unklarer Rechtslage, eine gebundene, die Business Judgment Rule ausschließende Entscheidung darstellt oder dem Vorstand vielmehr ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Handlungs-, Beurteilungs- bzw. Ermessensspielraum gemäß bzw. vergleichbar den Grundsätzen der Business Judgment Rule zusteht. 2. Anwendbarkeit der Business Judgment Rule im Rahmen von Entscheidungsfindungs- und -vorbereitungsprozessen bei unklarer Rechtslage? Komplexe Geschäftsbereiche in ihren unterschiedlichsten Facetten erfordern flexible rechtliche Rahmenbedingungen, um möglichst viele Sachverhalte zu erfassen und der stetigen Entwicklung der wirtschaftlichen Verhältnisse gerecht zu werden.255 Dementsprechend sehen sich Geschäftsleiter angesichts des zunehmend prinzipienbasierten Aufsichtsrechts immer häufiger gesteigerten Unsicherheiten bei der Auslegung und Anwendung von unbestimmten Rechtsbegriffen ausgesetzt.256 Auf der einen Seite führen mehrdeutige Formulierungen zwar zu einem größeren Entscheidungshorizont für Geschäftsleiter; auf der anderen Seite wachsen jedoch gleichfalls die Gefahren von haftungsrelevanten Fehlinterpretationen. Einer überzogenen Risikoaversion könnte deshalb entgegengewirkt werden, wenn sich Vorstände bei der Auslegung und Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe – also im Bereich rechtlicher Unsicherheiten – auf die Business Judgment Rule berufen könnten. Diese Problematik der vorgelagerten aufsichtsrechtlichen Selbsteinschätzung257 wird in der Rechtswissenschaft differenziert beurteilt.

254

Vgl. nochmals BT. Drs. 15/5092, S. 11: „Unternehmerische Entscheidungen sind infolge ihrer Zukunftsbezogenheit durch Prognosen und nicht justiziable Einschätzungen geprägt. Dies unterscheidet sie von der Beachtung gesetzlicher, satzungsmäßiger oder anstellungsvertraglicher Pflichten ohne tatbestandlichen Beurteilungsspielraum.“ Vgl. hierzu auch Scholl, Vorstandshaftung und Vorstandsermessen, S. 199 ff. 255 Ähnlich Dreher, VersR 2008, 998, 1000, 1002; Louven/Raapke, VersR 2012, 257, 264. 256 Vorständen obliegt es in diesem Zusammenhang die Konsequenzen der Handlungsalternativen zu prognostizieren, vgl. Scholl, Vorstandshaftung und Vorstandsermessen, S. 226 f. 257 So Bürkle, VersR 2013, 792.

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a) Meinungsstand aa) Direkte Anwendung der Business Judgment Rule Teilweise wird vertreten, dass sich der Vorstand auch bei gesetzlich normierten Pflichtaufgaben auf § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG berufen könne.258 Von einer direkten Anwendung ging wohl vereinzelt auch die Rechtsprechung aus, indem beispielsweise das OLG Frankfurt auch für die Schaffung einer Organisationsstruktur dem Geschäftsleiter ein Ermessen gemäß der Business Judgment Rule zugestand.259 Die direkte Anwendung des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG bei unklarer Rechtslage basiert auf der Vorstellung, dass den Leitungsorganen immer dann ein unternehmerischer Ermessensspielraum zuzugestehen ist, wenn sie im Rahmen der zu treffenden Entscheidungen mehrere Handlungsalternativen haben. Teils wurde deshalb vorgeschlagen, das Merkmal der „unternehmerischen Entscheidung“ weit auszulegen260, durch den Begriff „Ermessensentscheidung“ zu ersetzen261 oder sogar als ganz überflüssig262 anzusehen. bb) Analoge oder modifizierte Anwendung der Business Judgment Rule Andere wollen die Business Judgment Rule zumindest entsprechend oder in modifizierter Form anwenden. Zu beachten sei, dass es sich bei prinzipienbasiert geregelten Normen des Aufsichtsrechts um normativ verbindlich vorgegebene Ziele mit Ermessensspielräumen handle, die jedoch im Gegensatz zu allgemeinen Geschäftsführungsaufgaben nicht im vollständigen Belieben des Geschäftsleiters stünden.263 Insofern bestehe hier der wesentliche Unterschied zu der „unternehmerischen Entscheidung“ i. S. v. § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG. Denn diese zeichne sich dadurch aus, dass es sich um Maßnahmen handle, „die man machen, aber auch lassen kann“.264 Pflichtaufgaben seien jedoch stets zu erfüllen.

258

Für eine direkte Anwendung wohl Kort, NZG 2008, 81, 83; Preußner, NZG 2008, 574, 575; Kocher, CCZ 2009, 215, 217. 259 OLG Frankfurt, AG, 2008, 435, 455: „Mangels Geltung der vorgenannten MaRisK ist ihnen hierbei entsprechend der grundlegenden Entscheidung Arag/Garmenbeck des Bundesgerichtshofs (BGHZ 135, S. 244 ff = BGH WM 97, 970 ff = NJW 97, 1926 ff) wiederum ein Ermessensspielraum und eine Ermessensgrenze einzuräumen und lediglich bei deren Überschreitung im Sinne einer Unverantwortlichkeit der Organisationsstruktur kann hieraus eine Haftung erfolgen.“ 260 Gehb/Heckelmann, ZRP, 2005, 145, 146; Bosch/Lange, JZ 2009, 225, 230; Hopt/Roth, in: Großkommentar zum Aktiengesetz, § 93, Rn. 76, 80. 261 Vgl. Bachmann, ZHR 177 (2013), 1, 8. 262 Hauschka, ZRP 2004, 65, 66. 263 So Armbrüster, VersR 2009, 1293, 1298. 264 So Lutter, DZWiR 2011, 265, 267; vgl. auch Holle, AG 2011, 778, 782; Louven/Raapke, VersR 2012, 257, 265.

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Kap. 2: Geschäftsleiterermessen und Pflichtenbindung

Die analoge oder auch modifizierte Anwendung wird vor allem mit dem Argument begründet, dass Leitungsorgane häufig selbst mit Hilfe von qualifizierten Rechtsberatern die Rechtslage nicht mit abschließender Sicherheit beurteilen könnten.265 Lasse eine Rechtsnorm aufgrund unbestimmter Begrifflichkeiten mehrere Handlungsalternativen zu, bestehe ein Beurteilungs- und Ermessensspielraum, der die entsprechende Anwendung der Business Judgment Rule trotz bestehender Rechtsbindung an Gesetze rechtfertige.266 Zwar soll in diesen Fällen eine strikte Bindung in Bezug auf die Frage, „ob“ ein Handeln erforderlich sei, anzunehmen sein; im Hinblick auf das „Wie“ der Umsetzung gesetzlich normierter Vorgaben solle dem Geschäftsleiter der „sichere Hafen“ des § 93Abs. 1 Satz 2 AktG jedoch zugutekommen.267 Zumindest seien die Wertungen der Business Judgment Rule in Fällen rechtlicher Unklarheiten heranzuziehen. Business Judgment und Legal Judgment würden in vielerlei Hinsicht Parallelen aufweisen, indem beispielsweise rechtliche Einschätzungen genauso fehleranfällig seien wie völlig ungebundene geschäftspolitische Entscheidungen.268 Vereinzelt wird deshalb die Business Judgment Rule sogar als allgemeines Prinzip verstanden, das stets bei bestehenden Beurteilungsspielräumen heranzuziehen sei.269 Methodisch seien die einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG jedoch restriktiv auszulegen.270 Auch soll die gerichtliche Überprüfung von Legal Judgments nicht so stark einzugrenzen sein, wie dies bei rechtlich ungebundenen unternehmerischen Entscheidungen der Fall ist.271 Pflichtwidriges Vorstandshandeln soll dementsprechend bereits dann vorliegen, wenn sich die getroffene Entscheidung nicht mehr innerhalb des Beurteilungsspielraumes bewege und somit erkennbar die Gefahr bestehe, dass die jewei265

Fleischer, in: Spindler/Stilz, Aktiengesetz, § 93, Rn. 29 f.; Kocher, CCZ 2009, 215, 217; Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, § 93, Rn. 19, 75; Cahn, WM 2013, 1293, 1294 ff. Spindler, in: FS Canaris, Bd. 2, 2007, 403, 414 f. 266 Vgl. Fleischer, in: Spindler/Stilz, Aktiengesetz, § 93, Rn. 30; Cahn, WM 2013, 1293, 1294 ff. Kocher, CCZ 2009, 215, 217; Nietsch, ZGR 2015, 631, 652 ff. Vgl. auch Scholl, Vorstandshaftung und Vorstandsermessen, S. 200 f., der bzgl. der Anwendung der Business Judgment Rule im Rahmen rechtlich gebundener Entscheidungen nach dem Schutzzweck der Norm differenziert und die Anwendung von § 93 Abs. 1 S. 2 AktG dann verneint, wenn die infrage stehende Norm drittschützenden Charakter besitzt und nicht als Ausprägung der allgemeinen Leitungs- und Sorgfaltspflicht ggü. der zu leitenden Gesellschaft angesehen werden könne. 267 So beispielsweise Hauschka, GmbHR 2007, 11, 13; Khanian, KSzW 2010, 127, 129; Kort, in: FS Hopt, 2010, S. 983, 990 f.; Spindler, in: FS Hüffer, 2010, S. 985, 993; Spindler, in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, § 93, Rn. 45, 75; Thole, ZHR (2009), 504, 523; Fleischer, in: Spindler/Stilz, Aktiengesetz, § 93, Rn. 69. 268 Thole, ZHR (2009), 504, 523 f.; Spindler, in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, § 93, Rn. 75. 269 In diese Richtung tendierend Cahn, Der Konzern 2015, 105 ff.; Louven/Ernst, VersR 2014, 151, 157. 270 Vgl. Armbrüster, VersR 2009, 1293, 1298. 271 Scholl, Vorstandshaftung und Vorstandsermessen, S. 199 ff.; Louven/Raapke, VersR 2012, 257, 265.

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ligen gesetzlich normierten Pflichten und Ziele nicht mehr erreicht werden können.272 cc) Keine Anwendbarkeit der Business Judgment Rule Wiederum andere erkennen zwar einen Handlungs- bzw. Beurteilungsspielraum für Geschäftsleiter bei unklarer Rechtslage an, verneinen jedoch gleichzeitig eine Anwendbarkeit des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG.273 Im Rahmen gesetzlich determinierter Pflichtaufgaben stelle ein eigener Ermessensspielraum des Vorstands einen begründungspflichtigen Ausnahmefall dar, wohingegen bei unternehmerischen Entscheidungen sich das Ermessen kraft Natur der Sache ergebe.274 „Legal decisions“ und „business decisions“ können jedenfalls nicht gleich gesetzt werden. Ob eine unternehmerische Entscheidung tatsächlich vorliege, sei allein anhand objektiver Kriterien zu beurteilen. Immer dann, wenn eine Maßnahme eines Organmitglieds durch die Gerichte als gebundene Entscheidung qualifiziert werde, sei die Business Judgment Rule nicht anwendbar. Allerdings soll in Fällen, in denen der Entscheidungsträger im Vorfeld der getroffenen Maßnahme alles getan habe, um ein pflichtwidriges Verhalten auszuschließen, ein zum Ersatz verpflichtendes Verhalten nicht vorliegen.275 Unbilligkeiten sollen dann durch den im Zivilrecht geltenden Grundsatz des Rechtsirrtums ausgeglichen werden.276 dd) Erfordernis einer Legal Judgment Rule als Vorstufe zur Business Judgment Rule Schließlich plädierte Bürkle jüngst dafür, dass aufgrund der Intensivierung prinzipienbasierter Regulierung im Bereich des Versicherungsaufsichtsrechts durch die Umsetzung von Solvency II die Schaffung einer Legal Judgment Rule de lege ferenda begrüßenswert sei.277 Unbestimmt formulierte Vorgaben führten zu größerer unternehmerischer Freiheit, weshalb von Geschäftsleitern bei der eigenverantwortlichen Umsetzung derartiger Norminhalte eine aufsichtsrechtliche Selbsteinschätzung gefordert werde, die zwangsläufig einen Beurteilungsspielraum auslöse.278 Insbesondere solle dadurch den rechtlichen Unsicherheiten im Stadium der Entscheidungsvorbereitung, also bei der Auslegung und Anwendung unklarer 272

Louven/Raapke, VersR 2012, 257, 265; Armbrüster, VersR 2009, 1293, 1298; Louven/ Ernst, VersR 2014, 151, 157. 273 Habersack, in: Karlsruher Forum 2009: Managerhaftung, 2010, S. 5, 17, 30; Wagner, BB 2012, 651, 653; DB 2011, 99 ff.; Bachmann, ZHR 177 (2013), 1, 8; Holle, AG 2011, 778, 780 ff.; Schneider, DB 2011, 99, 100. 274 Habersack, in: Karlsruher Forum 2009: Managerhaftung 2010, S. 5, 17, 30. 275 Dreher, in: FS Konzen, 2006, 85, 94; Schneider, DB 2011, 99, 100. 276 Vgl. Buck-Heeb, BB 2013, 2247, 2252, 2257; Wagner, BB 2012, 651, 653. 277 Bürkle, VersR 2013, 792, 793 ff. Kritisch: Buck-Heeb, BB 2013, 2247, 2252, 2257. 278 Bürkle, VersR 2013, 792.

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Kap. 2: Geschäftsleiterermessen und Pflichtenbindung

Rechtsbegriffe vor dem eigentlichen Business Judgment, Rechnung getragen werden.279 Die Grundsätze der Business Judgment Rule sollten dabei eine belastbare gesellschaftsrechtliche Grundlage für die Legal Judgment Rule sein, wenngleich aufsichtsrechtliche Modifikationen zu berücksichtigen seien.280 b) Handlungs-, Beurteilungs- bzw. Ermessensspielräume bei unbestimmten Rechtsbegriffen im Verwaltungsrecht Eine der hier zu untersuchenden Fragestellung vergleichbare Problematik ist im Bereich des Verwaltungsrechtes zu finden. Denn auch verwaltungsrechtliche Exekutivbehörden stehen häufig vor der Herausforderung, den jeweils zu treffenden Inhalt aus unbestimmt formulierten gesetzlichen Vorgaben zu ermitteln. Deshalb stellt sich im Verwaltungsrecht die Frage, inwiefern eine rechtliche Bindung der Verwaltung an unklar formulierte gesetzliche Vorgaben besteht und darauf basierende Verwaltungsentscheidungen der gerichtlichen Kontrolle unterliegen. aa) Ermessensentscheidungen Geht es um die Überprüfung verwaltungsbehördlicher Ermessensentscheidungen, so unterliegen diese nur einer beschränkten gerichtlichen Überprüfung, vgl. § 114 Satz 1 VwGO. Die gerichtliche Überprüfung beschränkt sich hier lediglich auf die allgemeinen Voraussetzungen der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes, die Überschreitung der Grenzen des Ermessens sowie die Frage, ob von der Ermächtigung zweckwidrig Gebrauch gemacht wurde.281 Eine Zweckmäßigkeitskontrolle findet hingegen nicht statt. bb) Unbestimmte Rechtsbegriffe Nach inzwischen gefestigter Auffassung sind die Gerichte hingegen grundsätzlich nicht an die behördlichen Feststellungen und Wertungen bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe gebunden.282 Dies wird vor allem mit der verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgarantie nach Art. 19 Abs. 4 GG begründet.283 Diese gebiete, dass sich die vollständige verwaltungsgerichtliche Kontrolle im Rahmen unbestimmter Rechtsbegriffe sowohl auf die Bestimmung des Sinngehalts der Norm 279

Bürkle, VersR 2013, 792, 795. Bürkle, VersR 2013, 792, 802. 281 Vgl. hierzu Redeker, in: Redeker/v. Oertzen Verwaltungsgerichtsordnung, § 114 VwGO, Rn. 12 ff.; Gerhardt, in: Schoch/Schneider/Bier, Verwaltungsgerichtsordnung, § 114 VwGO, Rn. 4 ff. 282 BVerfG NVwZ 2011, 1062, Rn. 68; DVBl 2012, 230; BVerfGE 64, 261, 279; 84, 34, 49 f. = NJW 1991, 2005; 101, 106, 122 f. = NJW 2000, 1175; NJW 2001, 1121, 1123; BVerwGE 39, 197, 203 = NJW 1972, 596; Schoch, Jura 2003, 612, 614. 283 BVerfGE 129, 1, 20 ; BVerfG (K) NVwZ 2012, 694, Rn. 22. 280

B. Handlungsautonomie versus Pflichtenbindung

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als auch auf die Feststellung der Tatsachengrundlagen und die Anwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs auf die im Einzelfall festgestellten Tatsachen erstrecke.284 Eine gerichtliche Bindung an tatsächliche oder rechtliche Feststellungen der Verwaltung wird jedoch im Gegensatz zu klassischen Ermessensentscheidungen nur in absoluten Ausnahmefällen für möglich erachtet.285 Eine Grenze der Überprüfung ist stets dann zu ziehen, „wo das materielle Recht in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise das Entscheidungsverhalten nicht vollständig determiniert und der Verwaltung einen Einschätzungs- und Auswahlspielraum belässt.“286 Diese Ausnahmen müssen sich „ausdrücklich aus dem Gesetz ergeben oder durch Auslegung hinreichend deutlich zu ermitteln sein“ und bedürfen „stets eines hinreichend gewichtigen, am Grundsatz eines wirksamen Rechtsschutzes ausgerichteten Sachgrundes.“287 Beispielsweise wurden derartige Beurteilungsspielräume im Bereich des Umwelt- und Wirtschaftsverwaltungsrechts bei der Untersuchung von Prognoseentscheidungen und Risikobewertungen anerkannt.288 In den anerkannten Ausnahmefällen ist die gerichtliche Kontrolle darauf beschränkt, zu überprüfen, ob Verfahrensfehler begangen wurden, anzuwendendes Recht verkannt wurde, von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen wurde, allgemeingültige Bewertungsmaßstäbe verletzt wurden oder sachfremde Erwägungen die Entscheidung beeinflusst haben.289 cc) Schlussfolgerung Räumt der Gesetzgeber der Exekutive im Rahmen des Verwaltungsrechtes ein Ermessen ein, so besteht – je nach Umfang der Ermessensermächtigung – ein teils beachtenswerter, gerichtlich nicht überprüfbarer Handlungs- bzw. Beurteilungsspielraum für die Verwaltung. Bei der Auslegung und Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe hingegen besteht grundsätzlich eine strikte rechtliche Bindung der Exekutivbehörden, was die Ermittlung des einzig zutreffenden Inhalts betrifft, 284 BVerfGE 64, 261, 279; 103, 142, 156; BVerwGE 94, 307, 309; VGH München BayVBl 1993, 49, 50. Im Rahmen der Bemühungen um einen „schlanken Staat“ wurde zwar überlegt, eine gerichtliche Kontrolle im Rahmen auslegungsbedürftiger bzw. unklar formulierter Norminhalte auszuschließen, vgl. Sachverständigenrat „Schlanker Staat“, Abschlussbericht, Bd. 1, 2. Aufl., 1998, S. 191. Diesbezügliche Überlegungen finden jedoch bis heute keine gesetzliche Grundlage. 285 BVerfGE 64, 261, 279; 84, 34, 49 f.; 88, 40, 56 f.; 101, 106, 122 f.; 103, 142, 156 f.; auch BVerfG (K) NJW 2003, 2303, 2304; 2004, 2725, 2726. 286 Vgl. BVerfGE 88, 40, 61 = NVwZ 1993, NVWZ 1993, 666; BVerfGE 103, 142, 156 f. = NJW 2001, 1121 = NVwZ 2002, 852 L; BVerfGE 116, 1, 18 = NJW 2006, 2613 = NVwZ 2006, 1156 L. 287 BVerfGE 129, 1, 22 f. m. w. Nachw. = NVwZ 2011, 1062; BVerfG (K) NVwZ 2012, 694, Rn. 24, 26. 288 BVerwGE 79, 208, 213 ff.; BVerwGE 82, 295, 299 ff.; vgl. auch Spindler, in: FS Canaris, Bd. 2, 2007, 403, 416 m. w. Bsp. u. Nachw. 289 BVerfGE 84, 34, 54; BVerwGE 97, 203, 209; vgl. auch Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 40, Rn. 220 ff.; Wahl, NVwZ 1991, 409, 414 ff.

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Kap. 2: Geschäftsleiterermessen und Pflichtenbindung

weshalb deren Entscheidungen der vollen gerichtlichen Kontrolle unterliegen.290 Ausnahmsweise kann der Verwaltung eine Art Letztentscheidungskompetenz zugesprochen werden, wenn dies entweder gesetzlich vorgesehen ist oder sich eine solche durch Auslegung ermitteln lässt und ein sachlicher Grund dies rechtfertigt. Mithin sind hier durchaus Parallelen zur oben dargestellten Problematik zu erkennen. Im Ergebnis ist festzustellen, dass eine strikte Pflichtenbindung im Rahmen rechtlicher Unsicherheiten bzw. bei unklarer Rechtslage weder im Verwaltungs- noch im Gesellschafts- bzw. Aufsichtsrecht angebracht erscheint. c) Zwischenfazit Wie die dargelegte Meinungsvielfalt zeigt, werden verschiedene dogmatische Begründungsansätze vertreten, um dem Geschäftsleiter auch im Rahmen rechtlich gebundener Entscheidungen ein haftungsfreies Ermessen zuzugestehen. Selbst die Vertreter, die den Anwendungsbereich der Business Judgment Rule gänzlich für den Bereich rechtlicher Unsicherheiten bei der Auslegung und Anwendung gesetzlich normierter Vorgaben ausschließen wollen, sehen gleichwohl Platz für ein gewisses „Quasi-Ermessen“ aufsichtsunterworfener Leitungsorgane. In letzter Konsequenz muss dies bedeuten, dass jedenfalls dann kein „illegales Verhalten“ vorliegen kann, wenn zur Erfüllung einer gesetzlichen Pflicht ex ante mehrere Wege gangbar erscheinen.291 Gleichwohl wird dieses Ergebnis nicht pauschal für alle Fälle des Handelns unter rechtlicher Unsicherheit übernommen werden können, ohne im Einzelfall den Verhaltensmaßstab des Geschäftsleiters noch näher zu differenzieren.292 Praktische Relevanz erlangt die Frage der dogmatischen Begründung eines solchen haftungsfreien Spielraumes im Zusammenhang mit einer gegebenenfalls möglichen Innenhaftung von Leitungsorganen gegenüber der Gesellschaft nach § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG. Letzten Endes geht es hier um die Frage, ob bei einer anerkannten Durchbrechung der Pflichtenbindung bereits der Vorwurf der Pflichtwidrigkeit293 entfällt oder „nur“ ein entschuldbarer Irrtum294 gegeben ist.295 Denn diese Frage ist bei den Vertretern, die die Business Judgment Rule analog oder in modi-

290

Vgl. auch Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 40, Rn. 147. Bachmann, ZHR 177 (2013), 1, 8; ders., WM 2015, 105, 107, 112. 292 Vgl. hierzu ausführlich unten Kapitel 3. 293 Vgl. Dreher, in: FS Konzen, 2006, S. 85, 93; Fleischer, in: FS Hüffer, 2010, S. 187, 199; ders., in: Spindler/Stilz, Aktiengesetz, § 93, Rn. 32; ders., BB 2008, 1070, 1071; Langenbucher, ZBB 2013, 16, 19; Selter, AG 2012, 11, 12; U. H. Schneider, DB 2011, 99; Spindler, in: FS Canaris, Bd. 2, 2007, S. 403, 421; Thole, ZHR 173 (2009), 504, 524; Bürkle, VersR 2013, 792, 794, 796. 294 So Strohn, ZHR 176 (2012), 137 f. 295 Vgl. auch Buck-Heeb, BB 2013, 2247, 2254. 291

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fizierter Form anwenden wollen, ebenso wenig abschließend geklärt wie bei der Lösung über den im Zivilrecht geltenden Gedanken des Rechtsirrtums.296 3. Bewertung a) Keine unmittelbare Anwendbarkeit der Business Judgment Rule bei rechtlich gebundenen Pflichtaufgaben Die Begründung des Gesetzgebers könnte zunächst für eine direkte Anwendung des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG sprechen, indem den Geschäftsleitern der „Safe Harbour“ lediglich für die „Beachtung gesetzlicher, satzungsmäßiger oder anstellungsvertraglicher Pflichten ohne tatbestandlichen Beurteilungsspielraum“297 verwehrt sein soll. Diese Formulierung grenzt mit abschließender Sicherheit jedoch lediglich die Anwendung der Business Judgment Rule bei gesetzlich normierter strikter Pflichtenbindung aus.298 Dies wiederum erfordert, dass Vorgaben so eindeutig formuliert sind, dass es von vornherein keine Bedenken geben kann, inwiefern Geschäftsleiter sich zu verhalten haben. Die zu treffende Handlung muss mithin klar als die einzig richtige bzw. gesetzeskonforme Alternative erkennbar sein. Auf eine generelle Anwendung der Haftungsprivilegierung des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG bei Pflichtaufgaben, die unklar formuliert sind und mithin lediglich prinzipienartig Vorstandspflichten umschreiben, kann aus erwähnter Formulierung der Gesetzesbegründung jedoch nicht geschlossen werden.299 Auch ein historischer Blick auf die Materialien zur Entstehungsgeschichte der Norm bringt für die Beantwortung der vorliegenden Frage keine Klarheit. Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zum UMAG forderten BDI, BDA, DIHK, GDV und BdB im Rahmen einer gemeinsamen Stellungnahme, den Begriff der unternehmerischen Entscheidung durch die Formulierung „Geschäftsführungsmaßnahmen, bei denen Vorstandsmitgliedern ein Ermessen eingeräumt ist“300, zu ersetzen. Allerdings sucht man vergeblich nach einer entsprechenden Begründung für diese Forderung. Ob hiermit also bezweckt wurde, eine deutlichere Abgrenzung zu gesetzlich determinierten Pflichtaufgaben zu finden, oder vielmehr hervorgehoben werden sollte, dass die Business Judgment Rule immer dann Anwendung finden soll, wenn eine Maßnahme von Leitungsorganen Spielraum aufgrund mehrdeutiger Gesetzesformulierungen zulässt, ist unklar.301 296

416 ff. 297

Vgl. hierzu unten Kapitel 2, C. I. Vgl. auch Spindler, in: FS Canaris, Bd. 2, 2007, 403,

BT-Drs. 15/5092 S. 11. Vgl. auch Holle, AG 2011, 778, 780. 299 Vgl. auch Holle, AG 2011, 778, 780. 300 Bundesverband der Deutschen Industrie, Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Deutscher Industrie- und Handelskammertag, Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft, Bundesverband deutscher Banken, Gemeinsame Stellungnahme vom 02. 04. 2004 zum UMAG-RefE, S. 1 f., 7 f. 301 Eine Auseinandersetzung des Gesetzgebers mit dieser Forderung hat wohl nicht stattgefunden. So auch Holle, AG 2011, 778, 780. 298

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Kap. 2: Geschäftsleiterermessen und Pflichtenbindung

Geht es um die Frage der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe im Rahmen von aufsichtsrechtlich normierten Pflichtaufgaben, so handelt es sich richtigerweise nicht um eine klassische betriebswirtschaftliche Entscheidung des Leitungsorgans, sondern um eine rechtliche Frage.302 Dem jeweiligen Geschäftsleiter obliegt hier zunächst lediglich die Pflicht, die für die konkrete Entscheidungssituation erforderliche Auslegung der unklaren Rechtslage in juristischer Hinsicht richtig einzuschätzen.303 Der Begriff „unternehmerisch“ impliziert jedoch schon in sprachlicher Hinsicht eine geschäftliche bzw. betriebswirtschaftliche Komponente der Entscheidung.304 Durch die Haftungsprivilegierung der Business Judgment Rule soll schließlich der Gefahr vorgebeugt werden, dass gewisse „business decisions“ der Geschäftsleitung ex post der gerichtlichen Kontrolle unterliegen. Es liegt auf der Hand, dass Richter in der Regel nicht mit abschließender Sicherheit die „Richtigkeit“ einer Leitungsorganentscheidung aus Ex-ante-Sicht überprüfen können, schließlich handelt es sich bei diesen Personen um juristische Fachkräfte, denen regelmäßig schon die Nähe zum (ggf. geschädigten) Unternehmen sowie zur jeweiligen Unternehmensbranche und mithin auch das notwendige Detailwissen fehlt. Die Gefahr, unternehmerische Entscheidungen einer gerichtlichen Kontrolle mit der ihr eigenen Ex-post-Sicht zu unterziehen, besteht im Rahmen rechtlicher Unsicherheiten bei der Auslegung und Anwendung mehrdeutig formulierter gesetzlicher Vorgaben – so wird sich zeigen – jedoch nicht im selben Umfang wie im Rahmen der vom Anwendungsbereich des § 93 Abs. 1 Satz 2 erfassten Fälle. Vor diesem Hintergrund ist eine direkte Anwendung des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG im hier zu behandelnden Zusammenhang nicht angebracht bzw. vom Wortlaut „unternehmerische Entscheidung“ nicht mehr gedeckt.305 b) Analoge bzw. modifizierte Anwendbarkeit der Business Judgment Rule oder Beurteilungsspielraum als begründungspflichtige Ausnahme? De lege lata stellt sich mithin die Frage, ob ein von Haftungsgefahren befreiter Handlungs-, Beurteilungs- bzw. Ermessensspielraum für Geschäftsleiter bei Entscheidungsvorbereitungs- bzw. Entscheidungsfindungsprozessen dogmatisch über eine analoge bzw. modifizierte Anwendung der Business Judgment Rule begründet werden kann oder ob diese Spielräume vielmehr mit der Frage der Haftungsprivilegierung nach § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG nichts zu tun haben und Unbilligkeiten über die Lehre vom Rechtsirrtum zu lösen sind. 302

Vgl. insb. Bürkle, VersR 2013, 792 ff.; Buck-Heeb, BB 2013, 2247, 2249. Vgl. nochmals zu den Parallelen im Verwaltungsrecht oben Kapitel 2, B. III. 2. b). 304 Vgl. auch Habersack, in: Karlsruher Forum 2009: Managerhaftung 2010, S. 5, 15: Unternehmerischen Charakter einer Entscheidung hat die Gewichtung der in der Entscheidung zu berücksichtigenden verschiedenen Interessen wie z. B. Aktionärs- und Stakeholder-Interessen, also mithin die Konkretisierung des Gesellschafts- und Unternehmensinteresses. 305 Zutreffend Buck-Heeb, BB 2013, 2247, 2252. Ähnlich: Habersack, in: Karlsruher Forum 2009: Managerhaftung 2010, S. 5, 15 ff. 303

B. Handlungsautonomie versus Pflichtenbindung

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Bei einer Analogie handelt es sich um die Übertragung der für einen Tatbestand im Gesetz vorgesehenen Regel auf einen anderen, aber rechtsähnlichen Tatbestand. Vorliegend könnte ein Fall der sog. Einzelanalogie vorliegen. Hierbei wird die Rechtsfolge einer Norm auf einen vergleichbaren Fall übertragen. Mit der herrschenden Meinung kommt eine Analogie dann in Betracht, „wenn das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke306 enthält und der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht so weit mit dem Tatbestand vergleichbar ist, den der Gesetzgeber geregelt hat, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen“.307 aa) Vergleichbarkeit der Sachverhalte und Interessenlage (1) Vergleichbarer Unsicherheits- bzw. Risikofaktor Für eine Analogie, d. h. für die Anwendung des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG in entsprechender Weise bzw. mit gegebenenfalls modifizierten Tatbestandsvoraussetzungen auf den Fall der rechtlichen Unsicherheiten bei der Auslegung und Anwendung mehrdeutig formulierter gesetzlich gebundener Pflichtaufgaben spricht zunächst, dass die Anwendung der Business Judgment Rule bei unternehmerischen Entscheidungen gerade aufgrund bestehender Unsicherheiten und Risiken im Zeitpunkt der Entscheidung ihre Rechtfertigung findet. Steht das Leitungsorgan eines Bank- oder Versicherungsunternehmens nun vor der Aufgabe zu beurteilen, was unter einer „ordnungsgemäßen Geschäftsorganisation“ oder einem „angemessenen Risikomanagement“ im spezifischen Einzelfall zu verstehen ist bzw. welche Maßnahmen für die Gewährleistung der jeweiligen Vorgaben tatsächlich erforderlich sind, so ist es unumstritten, dass auch bereits im Stadium der Entscheidungsfindungsund -vorbereitungsprozesse vor dem Hintergrund ungewisser künftiger Entwicklungen erhebliche Unsicherheiten und Risiken gegeben sind.308 Es liegt gerade in der Natur der (Vorbereitungs-)Entscheidung, dass insbesondere im Rahmen präventiv zu treffender Maßnahmen, zu denen auch die Pflicht zur Einhaltung von Geschäftsorganisationsvorgaben gehört309, auch prognostische Faktoren eine erhebliche Rolle 306

Vgl. dazu BGHZ 149, 165, 174 ; Larenz, Methodenlehre S. 194 ff.; Canaris, in: FS Bydlinski, 2002, S. 47, 82 ff. 307 BGH NJW 2003, 1932, 1933. 308 Nietsch, ZGR 2015, 631, 655 ff.; Bachmann, ZHR 177 (2013), 1, 8; Bürkle, VersR 2013, 792, 794; Louven/Ernst, VersR 2014, 151, 157. 309 Zum Normzweck bzw. zu den Zielen der Anforderungen nach § 25a Abs. 1 KWG vgl. Braun/Wolfgarten, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, § 25a, Rn. 28 ff.; vgl. hierzu auch BT-Drs. 17/12601, S. 1 ff.: Hier lässt sich besonders deutlich erkennen, dass der Regulierungstrend der vergangenen Jahre maßgeblich von den Krisenentwicklungen seit 2007 geprägt ist und präventiv versucht wird, zukünftig derartige Turbulenzen im Finanzmarkt durch regulatorische Maßnahmen zu vermeiden bzw. für den Fall eines zweiten „Lehman Brothers“

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Kap. 2: Geschäftsleiterermessen und Pflichtenbindung

spielen.310 Insofern bestehen ersichtlich Parallelen zur unternehmerischen Entscheidung.311 Deshalb kann eine Rechtsbindung und ein damit einhergehender Ausschluss eines Handlungs-, Beurteilungs- bzw. Ermessensspielraumes nur für Fälle bestehen, in denen ein rechtskonformes Alternativverhalten mangels verschiedener Auslegungsmöglichkeiten von vornherein ausgeschlossen ist.312 Dies erscheint im Rahmen des qualitativen Aufsichtsrechtes gegenwärtig in den wenigsten Fällen möglich. Sofern jedoch der gesetzliche Wortlaut bei an sich gebundenen Entscheidungen durch unbestimmte Formulierungen Unklarheiten hervorruft, die sich selbst durch vorherige Einholung von rechtlichem Rat nicht beseitigen lassen, ist ein zuverlässiges Legal Judgment für den Geschäftsleiter objektiv nicht möglich313, da niemand im Zeitpunkt des Entscheidungsvorbereitungsprozesses vorhersehen kann, wie sich beispielsweise die höchstrichterliche Rechtsprechung in den zu treffenden Rechtsfragen – insbesondere im Rahmen neuer qualitativer Vorgaben des Finanzaufsichtsrechtes – entwickeln wird.314 Hierfür spricht auch die Formulierung des BGH in der ARAG/Garmenbeck-Entscheidung, in der festgestellt wurde, dass selbst der verantwortungsbewussteste Unternehmensleiter ständig auch der Gefahr von Fehlbeurteilungen und Fehleinschätzungen ausgesetzt ist und ihm somit grundsätzlich ein weiter Handlungsspielraum zuzugestehen ist.315 Die für eine Analogie notwendige Voraussetzung der Vergleichbarkeit der Sachverhalte ist mithin durchaus plausibel begründbar, wenngleich nicht frei von gewissen Schwächen. (2) Kein Erfahrungsvorsprung des Geschäftsleiters? Gegen eine Analogie des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG könnte sprechen, dass, wie angeführt wird, bei einer unklaren rechtlichen Einschätzung im Gegensatz zu einer unklaren unternehmerischen Einschätzung eine eingeschränkte gerichtliche Überprüfung nicht notwendig sei, da hier das Gericht über Rechtsfragen und gerade nicht über unternehmerische Detailfragen, bei denen originär unternehmerischer Sach-

einen Flächenbrand im Finanzsystem durch beispielsweise eine geordnete Abwicklung von Instituten zu verhindern. 310 Spindler, in: FS Canaris, Bd. 2, 2007, S. 403, 411, 414. 311 Vgl. auch Cahn, Der Konzern 2015, 105, 108; ders., WM 2013, 1293, 1294 ff. 312 Bürkle, VersR 2013, 792, 794; Bachmann ZHR 177 (2013), 1, 8; Bosch/Lange, JZ 2009, 225, 230; Eckhold, ZBB 2012, 364, 367 f.; Lutter, ZIP 2007, 841, 843; S. Schneider, DB 2005, 707, 710; U. Schneider, DB 2011, 99, 100; Loritz/Wagner, DStR 2012, 2189, 2191. Vgl. hierzu auch nochmals die Regierungsbegründung zum UMAG, wonach den Geschäftsleitern der „Safe Harbour“ lediglich für die „Beachtung gesetzlicher, satzungsmäßiger oder anstellungsvertraglicher Pflichten ohne tatbestandlichen Beurteilungsspielraum“ verwehrt sein soll, BTDrs. 15/5092 S. 11. 313 Koch/Krämer, AG 2012, 498, 499; zustimmend: Bürkle, VersR 2013, 792, 795. 314 Bürkle, VersR 2013, 792, 795. 315 BGH NJW 1997, 1926, 1927.

B. Handlungsautonomie versus Pflichtenbindung

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verstand notwendig sei, urteile.316 Mangels Erfahrungsvorsprungs von Geschäftsleitern bei rechtlichen Unklarheiten bestehe deshalb insofern auch keine Gefahr von gerichtlichen Rückschaufehlern.317 Zwar geht es im hier zu untersuchenden Zusammenhang tatsächlich weniger um klassische unternehmerische Entscheidungen, sondern vielmehr um rechtliche Beurteilungen der zwingend einzuhaltenden gesetzlichen Mindestanforderungen an spezifische Pflichten, doch können klare Grenzen zwischen der vorgelagerten rechtlichen und der nachfolgenden unternehmerischen Entscheidung schlichtweg nicht gezogen werden. Die vorgelagerte Ermittlung der rechtlichen Gegebenheiten und der darauf basierenden Handlungsalternativen stellt vielmehr eine Art „rechtlichen Filter“ auf dem Weg in die vom Gesetzgeber eröffnete Handlungsautonomie des Geschäftsleiters bei der Umsetzung aufsichtsrechtlicher Vorgaben dar.318 Denn wie bereits erwähnt, ist dem illegal handelnden Geschäftsleiter die Einfahrt in den sicheren Hafen des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG verwehrt. Leitungsorgane müssen deshalb denknotwendigerweise zunächst auch im Rahmen klassischer „business decisions“ die jeweiligen rechtlichen Umstände ermitteln.319 Systematisch gesehen kann bei der rechtlichen Bewertung gesetzlich normierter Vorgaben somit von einem integralen Bestandteil der Business Judgment Rule gesprochen werden, die die obligatorische Vorfrage der rechtlichen Gebundenheit klärt, deren Fehlen als negatives Tatbestandsmerkmal den Anwendungsbereich des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG gerade erst eröffnet.320 Darüber hinaus bewirkt der vom Gesetzgeber gewählte Weg einer prinzipiengeleiteten Regulierung und das damit einhergehende Proportionalitätsprinzip, dass der Rechtsanwender unternehmensspezifische Verhältnisse bei der Auslegung und vor allem Anwendung diesbezüglicher Vorgaben berücksichtigen kann und in letzter Konsequenz auch berücksichtigen muss. Insofern kann hier durchaus auch im Bereich der zunehmend geforderten rechtlichen Selbsteinschätzung bei der Auslegung und Anwendung unklar formulierter qualitativer Vorgaben von einem gewissen Erfahrungsvorsprung der letztverpflichteten Leitungsorgane gesprochen werden. Eine Gefahr richterlicher Rückschaufehler kann mithin in letzter Konsequenz auch im hier zu untersuchenden Zusammenhang nicht vollumfänglich ausgeschlossen werden. (3) Keine Notwendigkeit zur Förderung des unternehmerischen Wagemutes? Auch das vereinzelt vorgebrachte Argument, dass es im Gegensatz zum Business Judgment beim Legal Judgment nicht um die Förderung von unternehmerischem 316

Binder, AG 2008, 274, 284. Langenbucher, ZBB 2013, 16, 22; dies., in: FS Lwowski, 2014, S. 333, 340. 318 Zutreffend Bürkle, VersR 2013, 792, 795. 319 BGH VersR 1997, 886, 888 f. = NJW 1997, 1926, 1928; Langenbucher, ZBB 2013, 16, 22; Spindler, in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, § 93, Rn. 77 ff.; Strohn, DB 2012, 1193, 1195. 320 Bürkle, VersR 2013, 792, 795. 317

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Kap. 2: Geschäftsleiterermessen und Pflichtenbindung

Wagemut geht, vermag nicht vollumfänglich zu überzeugen.321 Zwar steht dem Vorstand im Rahmen allgemeiner unternehmerischer Maßnahmen grundsätzlich ein weitaus größerer Ermessensspielraum zu, was zur Folge hat, dass er vor dem Hintergrund drohender Haftungsgefahren unter Umständen entgegen dem Gesellschaftswohl gänzlich von riskanten Geschäften Abstand nimmt.322 Doch droht eine überzogene Risikoaversion auch im Rahmen rechtlich gebundener Entscheidungen, sofern jedenfalls mehrere Handlungsalternativen als rechtlich vertretbar erscheinen. Die Furcht, zunehmend höheren Haftungsgefahren ausgesetzt zu sein, kann durchaus zu einer übertriebenen Vorsicht bei der Umsetzung aufsichtsgesetzlicher Vorgaben führen. Dies hätte unter Umständen zur Folge, dass wichtige Organentscheidungsprozesse durch überzogene interne Corporate-Governance-Anforderungen deutlich verlangsamt würden, was letztendlich nichts mit der Förderung des Gesellschaftswohles zu tun haben kann, zumal ein „Zuviel“ an Governanceanforderungen meist mit einem deutlichen „Mehr“ an Kosten verbunden sein wird und dies im Extremfall etwa als Verschwendung des Gesellschaftsvermögens angesehen werden kann. Gerade hier wird nochmals der fließende Übergang zwischen der vorgelagerten rechtlichen und der sich unmittelbar anschließenden unternehmerischen Entscheidung besonders deutlich. (4) Unterschiede in Bezug auf eine gerechte Risikoverteilung im Innenverhältnis Unterschiede ergeben sich hingegen, wenn man sich die jeweiligen Interessenslagen hinsichtlich der Wahrnehmung unternehmerischer und gesetzlich normierter Pflichtaufgaben vergegenwärtigt. Dass unternehmerische Geschäftsführungsmaßnahmen im Rahmen des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG nur einer eingeschränkten gerichtlichen Überprüfbarkeit unterliegen sollen, hat zur Folge, dass das Risiko von Fehlentscheidungen hier auf die Aktionäre als Herren der Gesellschaft abgewälzt wird, der Vorstand mithin geringeren Gefahren einer Innenhaftung nach § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG ausgesetzt sein soll. Dieser Risikoverlagerung liegt die Erkenntnis zugrunde, dass Leitungsorgane durchaus auch dazu berechtigt und unter Umständen sogar verpflichtet sind, im Interesse der Aktionäre bzw. zur Förderung des Gesellschaftswohls unternehmerische Risiken einzugehen.323 Im Rahmen der Pflicht zur Einhaltung gesetzlich normierter Vorgaben bestehen jedoch durchaus Unterschiede hinsichtlich der gebotenen Risikoverteilung. Denn Geschäftsleiter handeln in diesem Fall nicht nur ausschließlich im Interesse des Prinzipals aufgrund ihrer primären Leitungsaufgabe der treuhänderischen fremdnützigen Vermögensverwaltung für die Gesellschaft, sondern auch deshalb, weil der Gesetzgeber sie hierzu unmittelbar verpflichtet.324

321 322 323 324

In diese Richtung tendierend jedoch Holle, AG 2011, 778, 782. Vgl. Holle, AG 2011, 778, 782. Zutreffend Holle, AG 2011, 778, 782. Holle, AG 2011, 778, 782.

B. Handlungsautonomie versus Pflichtenbindung

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Betrachtet man beispielsweise die oben dargestellten Geschäftsleiterpflichten in Bezug auf die Geschäftsorganisationsvorgaben, dann wird klar, dass zunächst die entsprechenden aufsichtsgesetzlichen Vorgaben das Institut selbst verpflichten. Nach § 25a Abs. 1 Satz 1 KWG muss ein „Institut“ über eine ordnungsgemäße Geschäftsorganisation verfügen. Gleiches gilt für § 23 VAG: „Versicherungsunternehmen“ müssen über eine Geschäftsorganisation verfügen, die wirksam und ordnungsgemäß ist (…). Erst in den jeweiligen Sätzen 2 der genannten Vorschriften wird die jeweilige Umsetzungsverantwortlichkeit der Geschäftsleiter formuliert. Ein weiteres Beispiel stellt die Pflicht zum Aufstellen der Sanierungspläne dar. Diese richtet sich nach § 12 Abs. 1 Satz 1 SAG ebenfalls zunächst an die Institute, bevor § 13 Abs. 5 SAG schließlich die unmittelbare Umsetzungsverantwortlichkeit der Geschäftsleiter für die Erstellung, die Implementierung und die Aktualisierung des Sanierungsplans sowie für dessen Umsetzung im Krisenfall begründet wird. Insofern formuliert das Aufsichtsrecht im Außenverhältnis eine Doppelverpflichtung der aufsichtsunterworfenen Unternehmen und ihrer Geschäftsleiter gegenüber der Aufsicht.325Als Korrelat hierzu kann die jeweils zuständige Aufsichtsbehörde bei identifizierten Verstößen sowohl gegen die Institute als auch unmittelbar gegen die Geschäftsleiter Maßnahmen treffen.326 Insofern kann von einer aufsichtsrechtlichen „Doppelanknüpfung“327 gesprochen werden, die sich in allen Fällen wiederfindet, in denen das Aufsichtsrecht ausdrücklich die Geschäftsleiter in die Verantwortung nimmt. Setzt der unmittelbar verpflichtete Geschäftsleiter mithin im Außenverhältnis gegenüber der Aufsicht die Geschäftsorganisationsanforderungen nicht adäquat in die Praxis um, verstößt nicht nur er gegen unmittelbar geltendes Aufsichtsrecht, sondern auch das Institut selbst. Insofern handelt er einerseits im Interesse des Prinzipals in Bezug auf die ordnungsgemäße Umsetzung aufsichtsgesetzlicher Vorgaben und gleichzeitig im Eigeninteresse zur Vermeidung unmittelbar gegen ihn selbst gerichteter aufsichtsbehördlicher Sanktionen. Auch im Rahmen von Vorgaben zu vermeintlich gesellschaftsfremden Belangen, die entweder der Gesellschaft im Allgemeininteresse auferlegt und über die Legalitätspflicht ins Binnenverhältnis transportiert werden oder die den jeweiligen Leitungsorgane unmittelbar auferlegt werden, handeln die Geschäftsleiter nicht ausschließlich im Interesse des Prinzipals.328 So hat die Regulierung des Finanzmarktes beispielsweise zum Zweck, ein stabiles Finanzsystem zu gewährleisten, und soll darüber hinaus auch dem Anleger- bzw. Versichertenschutz dienen.329 Aufsichtsbehörden nehmen zudem nach § 4 Abs. 4 FinDAG ihre Aufgaben allein im öffent325

Wundenberg, Compliance, S. 127. Vgl. hierzu nochmals oben Kapitel 1, B. II. und III. 327 Wundenberg, Compliance, S. 127. 328 Ähnlich: Holle, AG 2011, 778, 782; Fleischer, ZIP 2005, 141, 144; Habersack, in: FS U. H. Schneider, 2011, S. 429, 431 f. 329 Vgl. zur Schutzrichtung der aufsichtsrechtlichen Regulierung ausführlich unten Kapitel 3. 326

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Kap. 2: Geschäftsleiterermessen und Pflichtenbindung

lichen Interesse wahr, von dem ein wie auch immer geartetes Unternehmens- bzw. Gesellschaftsinteresse gerade nicht umfasst ist. Leitungsorgane aufsichtsunterworfener Bank- und Versicherungsunternehmen sind mithin weder ausschließlich für die Gesellschaft tätig, noch handeln sie im ausschließlichen Eigeninteresse. Insofern bestehen jedenfalls in Bezug auf die hier dargestellte Interessenlage hinsichtlich einer angemessenen Risikoverteilung zwischen Vorstand und dem zu leitenden Unternehmen durchaus Unterschiede zwischen der klassischen unternehmerischen Entscheidung und der Entscheidung unter Unsicherheit bei unklarer Rechtslage. bb) Planwidrige Regelungslücke Einer entsprechenden Anwendung der Business Judgment Rule könnte weiter das Erfordernis einer planwidrigen Regelungslücke entgegenstehen. Festzuhalten ist zunächst, dass das Gesetz de lege lata den Fall eines gerichtlich nur beschränkt überprüfbaren Ermessensspielraumes im Rahmen des Legal Judgment nicht positiv regelt und mithin eine Gesetzeslücke besteht. Diese tatsächlich bestehende Gesetzeslücke müsste jedoch weiter in Form einer „planwidrigen Unvollständigkeit“330 gegeben sein. Ob eine solche vorliegt, ist vom Standpunkt des Gesetzes und der ihm zugrunde liegenden Regelungsabsicht zu beurteilen; mit anderen Worten muss das Gesetz, gemessen an seiner eigenen Regelungsabsicht, unvollständig sein.331 Wie der Gesetzesbegründung zu entnehmen ist, ging der Gesetzgeber jedoch davon aus, dass es im Falle eines Verstoßes gegen rechtlich gebundene Entscheidungen im Einzelfall an einem Verschulden fehlen kann, wenngleich es keinen sichere Hafen in Form einer haftungstatbestandlichen Freistellung geben soll.332 Hieraus kann durchaus gedeutet werden, dass der Gesetzgeber es ganz bewusst unterlassen hat, eine Haftungsprivilegierung beim fehlerhaften Legal Judgment gesetzlich zu normieren. Insofern sprechen gute Gründe gegen die Annahme einer planwidrigen Regelungslücke. c) Stellungnahme Festzuhalten bleibt, dass sowohl für eine analoge Anwendung des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG als auch für einen begründungspflichtigen Handlungs-, Beurteilungsbzw. Ermessensspielraum sui generis außerhalb des Anwendungsbereichs gute Gründe sprechen, wenngleich sich die für eine analoge Anwendung der Business Judgment Rule notwendige Planwidrigkeit der Regelungslücke aufgrund der Ge-

330 331 332

BGH NJW 1981, 1726, 1727. BGH GRUR 2002, 238, 241. BT-Drs. 15/5092 S. 11

B. Handlungsautonomie versus Pflichtenbindung

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setzesbegründung zum UMAG nur schwer begründen lässt.333 Einigkeit besteht jedenfalls insofern – und das zu Recht –, als den Geschäftsleitern auch im Stadium der Entscheidungsvorbereitung und Entscheidungsfindung im Hinblick auf die Frage, „wie“ eine Pflicht umzusetzen ist, ein gewisser Handlungsspielraum zuzugestehen ist. In Fällen, in denen die Leitungsorgane vor der Herausforderung der Auslegung und Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe im Rahmen des überwiegend prinzipienbasierten Aufsichtsrecht stehen, d. h. mehrere Handlungsalternativen in Betracht kommen, muss den Gerichten eine vollständige gerichtliche Überprüfung verwehrt sein. Denn auch im Rahmen der Amtshaftung nach § 839 BGB löst nicht jeder Rechtsirrtum des Beamten eine Haftung aus.334 Zwischen der Exekutive und dem privaten Rechtsanwender können insofern keine Unterschiede hinsichtlich der Gefahr von Fehlbeurteilungen bestehen. Es ist nicht einzusehen, weshalb aufsichtsunterworfene Geschäftsleiter strengeren Haftungsgrundsätzen ausgesetzt sein sollen als für den Staat handelnde, in Exekutivbehörden beschäftigte Beamte.335 Eine strikte Pflichtenbindung besteht im Rahmen grundsätzlich gebundener, jedoch auslegungsbedürftiger Entscheidungen allerdings im Hinblick auf die Frage, „ob“ eine gesetzlich normierte Pflicht überhaupt wahrgenommen und umgesetzt werden muss.336

IV. Anwendungsbereich der Business Judgment Rule im Rahmen lediglich faktisch bindender aufsichtsbehördlicher Standards Verstöße gegen aufsichtsrechtlich verpflichtende Vorgaben haben den Ausschluss des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG zur Folge. Ungeklärt ist jedoch weiterhin, ob dies auch für die lediglich faktisch bindenden aufsichtsrechtlichen Vorgaben gilt. Relevanz beansprucht diese Fragestellung insbesondere für die Rundschreibenpraxis der BaFin sowie für die Guidelines und Recommendations der European Supervisory Authorities sowie (ggf. zukünftig) der EZB. Das Argument der rechtlichen Gebundenheit kann im Rahmen lediglich mittelbar verpflichtender Vorgaben jedenfalls nicht als Argument für einen Ausschluss der Business Judgment Rule herangezogen werden.337 Problematisch sind jedoch Fälle, in denen die als „soft law“ bezeichneten Texte das bindende Gesetzesrecht im aufsichtsunterworfenen Banken- und Versi333 Vgl. zudem nochmals die Ausführungen in Bezug auf die bestehenden Unterschiede hinsichtlich einer gerechten Risikoverteilung im Innenverhältnis zwischen den Geschäftsleitern und den von diesen zu leitenden Gesellschaften in Kapitel 2, B. III. 2. b) aa) (4). 334 Papier, in: Münchener Kommentar zum BGB, § 839, Rn. 289. 335 Vgl. hierzu auch Bürkle, VersR 2013, 792, 797. 336 Eine Stellungnahme zur Frage, ob die Schaffung einer Legal Judgment Rule de lege ferenda wünschenswert oder gar erforderlich ist, soll im Rahmen der Schlussbetrachtung am Ende dieser Arbeit erfolgen. 337 Vgl. in Bezug auf die Rundschreiben der BaFin: Blasche, WM 2010, 343, 347; Braun/ Wolfgarten, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, § 25a, Rn. 48; Dengler, WM 2014, 2032, 2037; in Bezug auf die Guidelines der ESAs: Bürkle, VersR 2014, 529, 532 f.

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Kap. 2: Geschäftsleiterermessen und Pflichtenbindung

cherungssektor (wenn auch unverbindlich) konkretisieren bzw. ergänzen.338 Denn im Einzelfall sind dadurch Konstellationen denkbar, in denen ein Abweichen von lediglich faktisch bindenden Verlautbarungen gleichzeitig zu einem Verstoß gegen unmittelbar bindendes Gesetzesrecht führen. In diesen Fällen kann nach hier vertretener Ansicht aufgrund vorstehender Untersuchungen der Geschäftsleiter nicht in den Genuss des „sichern Hafens“ der Business Judgment Rule kommen.339 In allen anderen Fällen kann nicht von einem direkten Ausschluss der Business Judgment Rule ausgegangen werden.340 Festzuhalten bleibt an dieser Stelle jedenfalls, dass der Umfang des den Geschäftsleitern zuzubilligenden Ermessens bei der Auslegung und Anwendung aufsichtsbehördlicher Verlautbarungen keinesfalls hinter dem Beurteilungsspielraum im Rahmen rechtlich bindender, jedoch auslegungsbedürftiger Vorgaben zurückstehen darf. Jegliches andere Verständnis würde dazu führen, die „lediglich“ faktisch bindenden aufsichtsbehördlichen Verlautbarungen in den Rang „übergesetzlicher“ Standards zu erheben, mit der Folge, dass das selbst geschaffene „Aufsichtsbehördenrecht“ im Einzelfall doch dazu geeignet ist, die gesellschaftsrechtliche Grundordnung zu überlagern.341

V. Ergebnis Im Gegensatz zu klassischen unternehmerischen Entscheidungen erzeugen prinzipiengeleitete Normen grundsätzlich eine Bindungswirkung gegenüber dem Normadressaten, wenngleich sie hinsichtlich ihrer Umsetzung – wie im Fall der klassischen „business decisions“ – den handelnden Leitungsorganen erhebliche Handlungsspielräume einräumen, die darüber hinaus im Einzelfall einen von Haftungsgefahren befreiten Korridor für die Geschäftsleiter gegenüber der zu leitenden Gesellschaft außerhalb des Anwendungsbereiches des § 93 Abs. 1 S. 2 AktG erzeugen.

338 Wie bereits oben dargelegt, sollen nach Ansicht der BaFin die Rundschreiben dem Rechtsanwender einen flexiblen und praxisnahen Rahmen für die Ausgestaltung des bestehenden Gesetzesrechtes bieten, indem sie zur Gesetzesinterpretation herangezogen werden können und dadurch ihre wesentliche Relevanz erlangen. Im Gegensatz hierzu richten sich die Guidelines der ESAs in erster Linie an die nationalen Aufsichtsbehörden mit dem Ziel, für europaeinheitliche Aufsichtsstandards zu sorgen. Guidelines und Recommendations stellen insofern häufig die Urschrift für Verlautbarungen national zuständiger Aufsichtsbehörden dar, die das bindende Gesetzesrecht für den Rechtsanwender interpretieren. 339 So auch Blasche, WM 2010, 343, 347; Dengler, WM 2014, 2032, 2037 f. 340 Blasche, WM 2010, 343, 347; Dengler, WM 2014, 2032, 2037 f. 341 Vgl. hierzu nochmals oben Kapitel 2, B. II. sowie explizit zum beschränkten Geltungsanspruch des Aufsichtsrechtes unten Kapitel 3, B. IV und Kapitel 3, C. I.

C. Haftungsrechtliche Rechtsfolgen

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C. Haftungsrechtliche Rechtsfolgen De lege lata stellt sich nunmehr jedoch die Frage, wie sich der hier vertretene Handlungs-, Beurteilungs- bzw. Ermessensspielraum sui generis außerhalb der Business Judgment Rule in haftungsrechtlicher Hinsicht auswirkt. Ungeklärt ist, ob dann, wenn sich der Geschäftsleiter für einen rechtlich vertretbaren Weg entscheidet, bereits der Vorwurf der Pflichtwidrigkeit entfällt oder ob im Einzelfall ein lediglich entschuldbares Verhalten vorliegt (vgl. hierzu nachfolgend „I.“). Weiter stellt sich die Frage, wann ein Verstoß gegen gesetzlich gebundene aufsichtsrechtliche Vorgaben bei bestehender Rechtsunsicherheit einen haftungsrelevanten Tatbestand darstellt, der rechtlich als „nicht mehr vertretbar“ angesehen werden kann; unterliegen mit anderen Worten Geschäftsleiter im Rahmen rechtlich gebundener Entscheidungen mit Beurteilungsspielräumen strengeren Haftungsmaßstäben als im Rahmen klassischer unternehmerischer Entscheidungen bei denen § 93 Abs. 1 S. 2 AktG Anwendung findet? (vgl. hierzu nachfolgend „II.“). Auch bedarf die Frage, ob und wenn ja inwiefern unterschiedliche Haftungsmaßstäbe zwischen der Geschäftsleiterinnenund -außenhaftung anzusetzen sind, einer Begutachtung, (vgl. hierzu nachfolgend „III.“). Schließlich wird noch auf die Straf- und ordnungswidrigkeitsrechtlichen Haftungsgefahren der Geschäftsleiter eingegangen (vgl. hierzu nachfolgend „IV.“).

I. Pflichtgemäßes oder entschuldigendes Verhalten? Wurde ein Handlungs-, Beurteilungs- bzw. Ermessensspielraum sui generis dogmatisch begründet, sagt dies noch nichts darüber aus, ob im Rahmen dieser Ausnahmen zur Rechtsbindung bei rechtlich vertretbarem Handeln bereits das Vorliegen einer Pflichtverletzung342 entfällt oder vielmehr „lediglich“ kein Verschulden343 gegeben ist. Im Rahmen unternehmerischer Leitungsentscheidungen gibt der Gesetzeswortlaut in Art. 93 Abs. 1 Satz 2 AktG die Antwort dieser Frage vor. Hiernach soll, sofern alle übrigen Voraussetzungen gegeben sind, eine Pflichtverletzung nicht vorliegen. Wie bereits festgestellt, handelt es sich trotz rechtlicher Unsicherheiten bei der Auslegung und Anwendung prinzipienbasierter Vorgaben um grundsätzlich rechtlich gebundene Entscheidungen, die insbesondere im Hinblick auf die Intention einer Risikoverteilung zwischen Geschäftsleitung und zu leitender Gesellschaft von der unternehmerischen Entscheidung abzugrenzen sind. Stellt sich im Nachhinein heraus, dass der Vorstand zwar alle gebotenen Verhaltensleitlinien korrekt beachtet und dennoch unter der bestehenden Restunsicherheit eine rechtlich 342

Dreher, in: FS Konzen, 2006, S. 85, 93; Fleischer, in: FS Hüffer, 2010, S. 187, 199; ders., in: Spindler/Stilz, Aktiengesetz, § 93 AktG, Rn. 32; ders., BB 2008, 1070, 1071; Selter, AG 2012, 11, 12; U. H. Schneider, DB 2011, 99; Spindler, in: FS Canaris, Bd. 2, 2007, S. 403, 421; Thole, ZHR 173 (2009), 504, 524; Habersack, in: FS U. H. Schneider, 2011, S. 437; Bürkle, VersR 2013, 792, 794 und 796. 343 So beispielsweise Strohn, ZHR 176 (2012), 137 f.

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Kap. 2: Geschäftsleiterermessen und Pflichtenbindung

falsche Entscheidung getroffen hat, so ändert dies nichts an der grundsätzlich bestehenden Verletzung gesetzlich normierter Vorgaben. Insofern kann ein derartiges Verhalten eigentlich nicht mehr pflichtgemäß sein. Dennoch wird in der Literatur zunehmend gefordert, dass das Vorliegen eines vertretbaren Rechtsirrtums bereits den Vorwurf pflichtwidrigen Verhaltens beseitigen soll. Insbesondere soll dadurch eine die Abberufung legitimierende Pflichtverletzung ausgeschlossen werden.344 Es sei nicht einzusehen, weshalb ein an sich rechtskonformes sorgfaltspflichtgemäßes Verhalten unter Unsicherheit nur die Haftung des Geschäftsleiters wegen fehlenden Verschuldens ausschließen solle, ihn aber dennoch der Gefahr des Bestellungswiderrufs nach § 84 Abs. 3 AktG aussetze, der gerade kein Verschulden, sondern nur eine Pflichtverletzung voraussetze.345 Tatsächlich besteht in diesen Fällen in der Praxis jedoch de facto gar keine Gefahr hinsichtlich eines Bestellungswiderrufs. Denn nach § 84 Abs. 3 Satz 1 AktG kann der Aufsichtsrat die Bestellung zum Vorstandsmitglied und die Ernennung zum Vorsitzenden des Vorstands nur dann widerrufen, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Ein solcher Grund ist namentlich in Fällen grober Pflichtverletzung, der Unfähigkeit zur ordnungsmäßigen Geschäftsführung oder bei Vertrauensentzug durch die Hauptversammlung gegeben, § 84 Abs. 3 Satz 2 AktG. Durch die Beschränkung des Widerrufsrechtes wird gerade die vom Gesetz angestrebte Unabhängigkeit des Vorstands nach § 76 AktG während der Dauer seines Amtes gesichert.346 Soll der Vorstand abberufen werden, muss eine Beurteilung nach den besonderen Umständen des Einzelfalls ergeben, dass der Gesellschaft die Beibehaltung des Vorstandsmitglieds bis zum Ablauf seiner Amtszeit nicht mehr zuzumuten ist.347 Sind derartig schwerwiegende Gründe tatsächlich gegeben, dann liegt es auf der Hand, dass schon gar kein „gangbares Verhalten“ des Vorstandes gegeben sein kann, das in irgendeiner Weise durch eine Haftungsprivilegierung geschützt werden soll. Umgekehrt fehlt es in allen anderen Fällen der rechtlichen Vertretbarkeit des Handelns regelmäßig an dem Vorliegen eines wichtigen Grundes und mithin auch an einer die Abberufung legitimierenden Pflichtverletzung nach § 84 Abs. 3 AktG. Insofern ist de lege lata im Einklang mit der Gesetzesbegründung davon auszugehen, dass es im Rahmen einer haftungsprivilegierenden Ausnahme zum Grundsatz der Rechtsbindung im Einzelfall „lediglich“ an einem Verschulden fehlen kann, diese jedoch nicht bereits das Vorliegen einer Pflichtverletzung beseitigt.348

344

So beispielsweise Habersack, in: FS U. H. Schneider, 2011, S. 437. So Bürkle, VersR 2013, 792, 796. 346 Zur h. M. vgl. stellvertretend Fleischer, in: Spindler/Stilz, Aktiengesetz, § 84, Rn. 99; Spindler, in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, § 84, Rn. 125; Kort, in: Großkommentar zum Aktiengesetz, § 84, Rn. 136; OLG München, NZG 2006, 313 f. 347 Spindler, in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, § 84, Rn. 128 m. w. Nachw. 348 Vgl. nochmals BT-Drs. 15/5092, S. 11; ähnlich: Buck-Heeb, BB 2013, 2247, 2254. 345

C. Haftungsrechtliche Rechtsfolgen

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II. Verhaltens- bzw. Schuldmaßstab im Rahmen der Geschäftsleiterinnenhaftung nach § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG Vorstandsmitglieder, die ihre Pflichten verletzen, sind der Gesellschaft zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet, § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG. Hinsichtlich des Schuldmaßstabes, der ebenfalls wie nach § 276 Abs. 1 Satz 2 BGB einen typisierten Schuldmaßstab darstellt, kommt es darauf an, ob das Vorstandsmitglied die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters missachtet hat.349 Fraglich ist, ob und wenn ja wann in dem hier favorisierten Weg eines Beurteilungsspielraumes sui generis außerhalb des Anwendungsbereiches der Business Judgment Rule, der Geschäftsleiter im Rahmen der Auslegung und Anwendung prinzipienbasierter Vorgaben entschuldbar geirrt hat. Nach der wohl herrschenden Meinung stellt die sog. „Vorsatztheorie“ den dogmatischen Ausgangspunkt für einen „Rechtsirrtum“ dar.350 Vorsätzlich tatbestandlich handelt demnach nur derjenige, dem die Rechtswidrigkeit auch bewusst ist.351 Ungeklärt und äußerst umstritten ist hingegen die Frage, wie groß die von Haftungsgefahren befreite Handlungsautonomie des Geschäftsleiters bei bestehenden rechtlichen Unsicherheiten im Einzelfall ist. Die hier favorisierte Ansicht der Nichtanwendung der Business Judgment Rule legt dabei die Vermutung nahe, dass im Rahmen gesetzlich gebundener Entscheidungen, ein gegenüber unternehmerischen Entscheidungen strengerer Sorgfalts- und Haftungsmaßstab gelten muss. 1. Die gegenwärtig strenge Rechtsirrtumslehre des BGH Nach ständiger Rechtsprechung sind an das Vorliegen eines unverschuldeten Rechtsirrtums strenge Maßstäbe anzulegen, wobei der Schuldner die Rechtslage sorgfältig prüfen, soweit erforderlich Rechtsrat einholen und die höchstrichterliche Rechtsprechung sorgfältig beachten muss.352 Ein schuldhaftes Handeln soll dabei nach gegenwärtig geltender Ansicht des BGH bereits dann vorliegen, wenn der Betreffende „mit der Möglichkeit rechnen musste, dass das zuständige Gericht einen anderen Rechtsstandpunkt einnimmt“353. Ein Für-möglich-Halten sei bereits dann anzunehmen, wenn ein dem Schuldner günstiges Urteil eines OLG ergangen ist, weil der Schuldner aufgrund der umstrittenen Rechtsfrage mit einer abweichenden

349

Vgl. Spindler, in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, § 93, Rn. 176. So die h. M., etwa BGH NJW 2002, 3255; Mayer-Maly, AcP 170 (1970), 133, 153; Medicus/Lorenz, Schuldrecht I, Rn. 366. 351 Grundmann, in: Münchener Kommentar zum BGB, § 276, Rn. 158. 352 Vgl. Buck-Heeb, BKR 2011, 441, 443; BGHZ 89, 296, 303; BGH ZIP 1994, 1350, 1351; BGH WM 2001, 2012, 2014; BGH WM 2006, 2011, Rn. 19; ZIP 2010, 1335, Rn. 3. 353 BeckRS 2013, 07619, Rn. 12. 350

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Kap. 2: Geschäftsleiterermessen und Pflichtenbindung

Entscheidung des BGH oder eines anderen Gerichts rechnen muss.354 Einem Geschäftsleiter soll es hiernach also verwehrt sein, sich gegenüber der Gesellschaft auf einen Rechtsirrtum zu berufen, selbst wenn er bei der Bildung seiner eigenen Rechtsauffassung grundsätzlich sorgfältig umgegangen ist.355 Diese teilweise als sog. „Risikotheorie“356 bezeichnete Ansicht hat zur Folge, dass das Risiko eines von der tatsächlich gewählten Rechtsansicht abweichenden Urteils primär auf das handelnde Geschäftsleitungsorgan abgewälzt wird.357 Das Risiko, das sich daraus ergibt, dass eine Rechtsfrage höchstrichterlich noch nicht geklärt ist, soll nicht dem Gläubiger zugeschoben werden.358 Lediglich in Fällen, in denen der Schuldner fremde Interessen zu wahren hat und andernfalls einem unlösbaren Pflichtenwiderstreit ausgesetzt ist, sollen nach einer älteren Entscheidung des BGH die strengen Regeln des Rechtsirrtums zugunsten des „Irrenden“ entschärft werden.359 Hiernach soll ein schuldhaftes Verhalten nicht schon dann vorliegen, wenn der Irrende allein mit der Möglichkeit rechnen musste, dass das Gericht einen anderen Rechtsstandpunkt einnimmt360, vielmehr soll dem Irrenden bei Rechtszweifeln über das Vorliegen eines wichtigen Grundes ein Beurteilungsspielraum zustehen.361 Habe er sein Urteil über die zweifelhafte Rechtslage mit Sorgfalt gebildet, „kann ihm nichts angelastet werden, wenn er gleichwohl irrt“.362 Unklar ist jedoch, worin dieser Pflichtenwiderstreit bestehen soll und was gelten soll, wenn ein Pflichtenwiderstreit nicht vorliegt.363 Fraglich ist, ob die Heranziehung dieser strengen Grundsätze im vorliegenden Zusammenhang tatsächlich sachgerecht erscheint. Hiergegen wird eingewandt, dass Aktiengesellschaften und deren Organe zwar das Risiko von Fehlbeurteilungen im Verhältnis zu außenstehenden Dritten zu tragen hätten, die Grundsätze des Rechtsirrtums jedoch nicht im Innenverhältnis zwischen Gesellschaft und ihren Leitungsorganen gelten sollten, da für die Erfüllung der Pflichten gegenüber der 354

Vgl. BGH NJW 1974, 1903, 1905: „Die rechtskräftigen Entscheidungen eines OLG, mag es auch dasjenige sein, das für die nachfolgenden Prozesse zuständig ist, genügen nicht, um dem Schuldner die Gewißheit zu geben, das OLG habe die Rechtslage zutreffend beurteilt und er müsse nicht mit einer abweichenden Entscheidung anderer Gerichte oder des BGH rechnen.“ Vgl. auch BGH NJW 1983, 2318, 2321; RGZ 105, 356, 359; Ernst, in: Münchener Kommentar zum BGB, § 286 BGB, Rn. 112. 355 Vgl. hierzu Buck-Heeb, BB 2013, 2247, 2250. 356 So Buck-Heeb, BB 2013, 2247, 2250. 357 BGH BB 2011, 2960 ff., Rn. 16 und 18. 358 BGH NJW 1972, 1045. 359 So Wagner, BB 2012, 651, 653; zur Pflicht des Wohnungseigentumsverwalters zur Prüfung von Rechtsfragen vgl. BGH NJW 1996, 1216, 1218; kritisch hierzu: Buck-Heeb, BB 2013, 2247, 2253. 360 So aber BGH Beschluss, BeckRS 2013, 07619, Rz. 12; BGHZ 131, 346 = NJW 1996, 1216; BGH NJW 2010, 2339 = NZG 2010, 873. 361 BGH Beschluß NJW 1996, 1216, 1218. 362 BGH Beschluß NJW 1996, 1216, 1218. 363 Vgl. Buck-Heeb, BB 2013, 2247, 2253.

C. Haftungsrechtliche Rechtsfolgen

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Gesellschaft der Maßstab nach § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG gelte, der gerade keine Risikohaftung darstelle, und die Rechtsprechung eine Zurechnung des Beraterverschuldens nach § 278 BGB ausschließe.364 Für eine umfängliche Risikoverteilung zulasten des Geschäftsleiters gebe es deshalb tatsächlich keinen Grund. Denn es wäre wenig einleuchtend, ausgerechnet das Organmitglied der Haftung nach § 278 BGB zu unterwerfen, wenn dem von ihm zusätzlich eingeschalteten Dritten die gleiche Fehleinschätzung der Rechtslage unterläuft, wie dem Rechtsberater, den der Vorstand im Namen der Gesellschaft beauftragt hat.365 Vielmehr sei vorzugswürdig dem Unternehmen die Gefahr einer abweichenden Gerichtsentscheidung bei unklarer Rechtslage aufzubürden. Schließlich sei dieses auch die Begünstigte, sofern sich die vertretene Rechtsmeinung im Nachhinein als zutreffend erweist.366 2. Die Vertretbarkeitslehre Die wohl herrschende Meinung in der Literatur vertritt deshalb die Ansicht, dass bereits ein vertretbares Handeln des Geschäftsleiters eine Innenhaftung ausschließe. Leitungsorgane seien dazu angehalten, wenn nicht sogar verpflichtet367, einen für die Gesellschaft günstigen Rechtsstandpunkt einzunehmen.368 Erforderlich, aber auch ausreichend soll sein, zu lokalisieren, „was (gerade) noch geht“369 und mithin die getroffene Entscheidung „nicht geradezu unvertretbar“370 erscheinen lasse. Ein ähnlicher Maßstab wird auch in der arbeitsrechtlichen Rechtsprechung des BAG herangezogen: „Ist die Rechtslage nicht eindeutig und beruht der Ausspruch der Kündigung auf einem vertretbaren Rechtsstandpunkt, handelt der kündigende Arbeitgeber solange nicht fahrlässig, wie er auf die Wirksamkeit seiner Kündigung vertrauen darf“.371 Die Vertretbarkeitstheorie fußt auf der Annahme, dass bereits die Ermittlung der Rechtslage eine unternehmerische Entscheidung darstelle bzw. bei der Vielzahl an Parallelen zwischen Legal und Business Judgment eine Anwendung des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG zumindest in entsprechender Weise erfolgen solle bzw. dem ihr zugrunde liegenden Rechtsgedanken nach anzuwenden sei.372 Trotz der nicht von der Hand zu weisenden Parallelen zwischen Legal und Business Judgment ist die Sachund Interessenlage – wie oben bereits dargelegt – nicht identisch. Der Geschäftsleiter 364

Cahn, WM 2013, 1293, 1295. Cahn, Der Konzern 2015, 105, 106 f. 366 Zutreffend Buck-Heeb, BB 2013, 2247, 2250. 367 So andeutungsweise Langenbucher, ZBB 2013, 17, 22. 368 Hopt/Roth, in: Großkommentar zum Aktiengesetz, § 93, Rn. 113; Fleischer, ZIP 2005, 141, 149. 369 Langenbucher, ZBB 2013, 17, 22. 370 Zimmermann, WM 2008, 433, 435; Spindler, in: FS Canaris, Bd. 2, 2007, S. 403, 421. 371 NZA 2012, 377, 381. 372 Vgl. hierzu nochmals oben Kapitel 2, B. III. 2. a) bb). 365

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Kap. 2: Geschäftsleiterermessen und Pflichtenbindung

handelt im Rahmen der Erfüllung gesetzlich gebundener Vorgaben gerade nicht nur ausschließlich im Interesse des Prinzipals, sondern auch deshalb, weil der Gesetzgeber ihn hierzu verpflichtet. 3. Die Optimierungslehre Speziell für den Bereich des Bankenaufsichtsrechtes wurde deshalb jüngst die sog. „Optimierungsthese“ aufgestellt. Geschäftsleiter seien im Rahmen des prinzipienbasierten Aufsichtsrechts dazu verpflichtet, sich nicht nur um eine lediglich vertretbare Rechtsauslegung, sondern vielmehr um die am besten vertretbare Rechtsmeinung zu bemühen.373 Aufgabe und Ziel sei es, das gesetzgeberisch formulierte Aufsichtsprinzip möglichst optimal zu verwirklichen.374 Lasse sich dies nicht zuverlässig ermitteln, so müsse die ausgewählte Handlungsentscheidung jedenfalls mindestens genauso gut vertretbar sein wie konkurrierende Interpretationen.375 Die gegenüber der Vertretbarkeitslehre gesteigerten Anforderungen seien deshalb als gerechtfertigt anzusehen, weil im Bereich des qualitativen Bankenaufsichtsrechtes bereits durch Basel II damit begonnen worden sei, die betroffenen Institute in den Prozess der Beaufsichtigung miteinzubeziehen, indem der Gesetzgeber, beispielsweise durch die Nutzung bankeigener Ratingverfahren im Rahmen der Aufsicht, bewusst von einem binär ausgerichteten Regelkanon abgewichen sei und nunmehr hinsichtlich der Erreichung der vorgegebenen Aufsichtsziele verstärkt auf eine Kooperation zwischen beaufsichtigtem Institut und Regulator setze.376 In Fällen, in denen der Gesetzgeber die rechtsunterworfene Gesellschaft in den Rechtsermittlungsprozess miteinbinde, verlange der Schutzzweck prinzipienartiger Normen nach einer Mitarbeit der Gesellschaft.377 Der Sorgfaltspflicht des Geschäftsleiters hinsichtlich der Pflicht zur Rechtsbefolgung sei in diesen Fällen lediglich dann genüge getan, wenn die zugrunde gelegte Rechtsmeinung mit der zu ermittelnden Gerichtspraxis im Einklang stehe.378 4. Die Flexibilitätstheorie Schließlich wird noch ein flexibler Lösungsansatz vertreten. Angeführt wird, dass zwar prinzipiell eine Risikoverteilung zulasten der Gesellschaft zu begrüßen sei, andererseits die Vertretbarkeitstheorie zu weit gehe. Eine Durchbrechung des Legalitätsprinzips bereits bei nicht völliger Unvertretbarkeit der für das Unternehmen günstigsten Rechtsansicht führe zu einer pauschalen Vertretbarkeitsschwelle, die 373 374 375 376 377 378

Langenbucher, ZBB 2013, 17, 22. Langenbucher, ZBB 2013, 17, 22. Langenbucher, ZBB 2013, 17, 22. Langenbucher, ZBB 2013, 17, 22. Langenbucher, in: FS Lwowski 2014, S. 333, S. 344. Langenbucher, in: FS Lwowski 2014, S. 333, S. 344.

C. Haftungsrechtliche Rechtsfolgen

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dazu geeignet sei, das Legalitätsprinzip auszuhöhlen.379 Aufgrund dessen soll in Bezug auf die Frage der haftungsbegünstigenden Vertretbarkeit des Handelns ein flexibler Lösungsansatz zu favorisieren sein.380 Anzuknüpfen sei an die Dimension der bestehenden Unsicherheit hinsichtlich der festzustellenden Rechtsfrage.381 Mit anderen Worten verlagert sich das Risiko einer Fehlbeurteilung zulasten des Geschäftsführers, je gefestigter das Meinungsbild in Rechtsprechung und Literatur ist.382 5. Die Grundsätze zum vermeidbaren Verbotsirrtum im Strafrecht Mit der hier infrage stehenden Problematik vergleichbar sind die im Strafrecht entwickelten Kriterien für das Vorliegen eines vermeidbaren Verbotsirrtums. Nach § 17 Satz 1 StGB handelt der Täter ohne Schuld, wenn ihm bei Begehung der Tat die Einsicht, Unrecht zu tun, fehlt und er diesen Irrtum nicht vermeiden konnte. Nach der Rechtsprechung des BGH sollen an das Vorliegen eines derartigen Irrtums strengere Anforderungen zu stellen sein als bei der Tatfahrlässigkeit.383 Notwendig sei es, sich vor jedem Verhalten bewusst zu machen, „ob es mit den Sätzen des rechtlichen Sollens in Einklang steht“.384 Hierzu bedürfe es gewisser Gewissensanspannungen, wobei das erforderliche Maß nach den Umständen des Falles und nach dem Lebensund Berufskreis des Einzelnen zu beurteilen sei.385 Der Täter müsse darüber hinaus auch alle intellektuellen Erkenntnismittel einsetzen.386 Ähnlich wie bei der strengen Lehre zum zivilrechtlichen Rechtsirrtum soll eine ausreichende Unrechtseinsicht bereits dann vorliegen, „wenn der Täter bei der Begehung der Tat mit der Möglichkeit rechnet, Unrecht zu tun, und dies billigend in Kauf nimmt“.387 Gegen diesen strengen Standpunkt des BGH wird vermehrt eingewandt, dass es faktisch nicht möglich sei, sich ständig bewusst reflektierend die Frage nach der Vereinbarkeit eigenen Verhaltens mit den rechtlichen Sollensätzen zu stellen.388 In der Tat scheint auch die Rechtsprechung in Zweifelsfällen nicht uneingeschränkt den strengen Anforderungen an einen vermeidbaren Verbotsirrtum zu folgen. So sei es

379

So Thole, ZHR 173 (2009), 504, 522. Dreher, in: FS Konzen, 2006, S. 85: „bewegliche Schranke“. 381 Vgl. hierzu auch Bachmann, ZHR (177), 2013, 1, 8. 382 So auch Thole, 173 (2009), 504, 524: „Je gefestigter die Rechtsprechung, umso höher sind die Anforderungen, so dass es eben keine allgemeine Vertretbarkeitsschwelle gibt.“ 383 BGHSt 4, 236, 237, 243; BGH NJW 1966, 842. 384 BGH NJW 1952, 593, 594. 385 BGH NJW 1952, 593, 594. 386 Vgl. Sternberg-Lieben/Schuster, in: Schönke/Schröder, StGB, § 17, Rn. 14, 16. 387 BGH NJW 2011, 1236, 1239. 388 Vgl. Sternberg-Lieben/Schuster, in: Schönke/Schröder, StGB, § 17, Rn. 15. 380

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Kap. 2: Geschäftsleiterermessen und Pflichtenbindung

zwar erforderlich, je nach individueller Rechtskenntnis Auskünfte einzuholen.389 Doch soll beispielsweise ein Verschulden dann zu verneinen sein, „wenn eine unrichtige Stellungnahme bei Gesetzesbestimmungen erfolgt, die für die Auslegung Zweifel in sich tragen oder Unklarheiten über die Tragweite des Wortlauts enthalten, besonders dann, wenn diese Bestimmungen neu und die Zweifelsfragen noch ungeklärt sind“.390 Des Weiteren fordert die wohl herrschende Ansicht, im Falle divergierender (gleichrangiger) Gerichtsurteile danach zu fragen, ob es dem Täter zuzumuten war, die jeweilige Handlung bis zur Klärung der Rechtslage zu unterlassen.391 6. Stellungnahme Wie nachfolgende Ausführungen zeigen werden, ist es nicht angebracht, alleine aufgrund der Tatsache, dass eine Fehleinschätzung in Bezug auf die Rechtslage vorliegt, für die letztverpflichteten Leitungsorgane pauschal einen strengeren Verhaltens- bzw. Schuldmaßstab anzulegen als hinsichtlich der Haftung für Fehler bei unternehmerischen Entscheidungen.392 Vielmehr kann eine gerechte Risikoverteilung zwischen dem Geschäftsleiter und zu leitendem Unternehmen nur dann erreicht werden, wenn der Verhaltens- bzw. Schuldmaßstab desselben situationsabhängig und für den jeweils spezifischen Einzelfall individuell definiert wird.393 a) Die Vertretbarkeitsthese als unzulässige Privilegierung des Geschäftsleiters Ein gerade noch vertretbares Handeln zugunsten des Unternehmens führt zu der Gefahr, dem Geschäftsleiter einen „nützlichen Gesetzesverstoß“ zu gestatten.394 Dies wiederum würde zu einer nicht einsehbaren Privilegierung desselben führen, indem er weder für die ökonomischen Folgen noch für die moralische Last einer für eigene Rechnung begangenen Gesetzesverletzung einzustehen hätte, da er selbst im Falle einer möglichen Außenhaftung gegenüber gesellschaftsfremden Dritten seinen Regressschaden im Wege des Aufwendungsersatzes der Gesellschaft aufhalsen könnte.395 389

Vgl. jeweils mit zahlreichen Nachw. Sternberg-Lieben/Schuster, in: Schönke/Schröder, StGB, § 17, Rn. 18; Joecks, in: Münchener Kommentar zum StGB, § 17, Rn. 58 ff. 390 So OLG Braunschweig Beschluß NJW 1951, 811, 812 unter Verweis auf RGZ 107, 118; 133 142; 135, 110; RG DR 39, 1084. 391 OLG Stuttgart NJW 1967, 122; Sternberg-Lieben/Schuster, in: Schönke/Schröder, StGB, § 17, Rn. 21. 392 Zutreffend Cahn, Der Konzern 2015, 105, 107 ff. 393 So auch Cahn, Der Konzern 2015, 105, 108. 394 Thole, ZHR 173, (2009), 504, 516. 395 Zutreffend Habersack, in: FS U. H. Schneider, 2011, S. 429, 435.

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b) Die Dilemmasituation im Rahmen der strengen Rechtsirrtumslehre Bei Zugrundelegung der strengen Voraussetzungen des BGH zum Rechtsirrtum befände sich der Geschäftsleiter hingegen in einer Art „Dilemmasituation“. Handelt das Leitungsorgan zugunsten des Unternehmens „gerade noch vertretbar“, obwohl er mit einer abweichenden Gerichtsentscheidung „rechnen musste“, so haftet die Gesellschaft nach außen und wird versuchen, das handelnde Organ mit dem Argument, „es hätte präventiv die für die Gesellschaft ungünstigere Rechtsansicht wählen müssen“, in Regress zu nehmen.396 Umgekehrt bestünde auch ein Haftungsrisiko bei der Wahl einer eher konservativen, jedoch für die Gesellschaft ungünstigeren Rechtsansicht. Denn dann könnte der Geschäftsleiter unter Umständen einer Innenregresshaftung aufgrund Sorgfaltspflichtverletzung ausgesetzt sein, wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass er eventuell doch die vermeintlich riskantere, für das Unternehmen günstigere Rechtsansicht hätte wählen dürfen.397 Aus ähnlichen Erwägungen ging auch der V. Zivilsenat des BGH in einer Entscheidung davon aus, dass einem Verwalter398, der die Interessen Dritter wahrnimmt, bei Rechtszweifeln ein Beurteilungsspielraum zustehe, mit der Folge, dass ihm ein Irrtum dann nicht angelastet werden könne, wenn er seine Rechtsmeinung mit Sorgfalt gebildet hat.399 Auch in der kartellrechtlichen Rechtsprechung wendet der BGH die strengen Anforderungen an einen Rechtsirrtum nicht ausschließlich an.400 c) Erfordernis einer gerechten Risikoverteilung im Innenverhältnis Da der Geschäftsleiter im Rahmen seiner Verpflichtung zur Einhaltung rechtlich gebundener, jedoch in hohem Maße auslegungsbedürftiger aufsichtsrechtlicher Vorgaben, wie bereits oben dargelegt, weder ausschließlich im Interesse des Prinzipals noch im bloßen Eigeninteresse handelt,401 ist eine einseitige Risikoverteilung gemäß den vertretenen Extremansichten deshalb richtigerweise nicht angebracht. 396

Buck-Heeb, BB 2013, 2247, 2251. Buck-Heeb, BB 2013, 2247, 2251. 398 In dieser Entscheidung befasst sich der BGH mit der Pflicht des Wohnungseigentumsverwalters zur Prüfung von Rechtsfragen und der Frage wann bzw. unter welchen Voraussetzungen dieser für das Risiko eines Rechtsirrtums einzustehen hat. 399 Vgl. BGH NJW 1996, 1216, 1218: „Die strengen Voraussetzungen, die die Rechtsprechung an die Entschuldbarkeit eines Rechtsirrtums des Schuldners gestellt hat, gehen auf die Überlegung zurück, daß derjenige schuldhaft handelt, der seine Interessen trotz zweifelhafter Rechtslage auf Kosten fremder Rechte wahrnimmt“. 400 Vgl. hierzu Buck-Heeb, BB 2013, 2247, 2254; die strengen Anforderungen an einen Rechtsirrtum beziehen sich auf Entscheidungen, „in denen das Risiko der zweifelhaften Rechtslage nicht dem Gegenüber zugeschoben werden können soll. Dabei geht es nicht – wie hier – um das Innenverhältnis.“ 401 Geht es um die Erfüllung gesetzlich normierter Vorgaben, handeln Leitungsorgane im Rahmen des Finanzdienstleistungsaufsichtsrechtes einerseits für die Gesellschaft und andererseits auch im eigenen Interesse der unmittelbaren Pflichtenerfüllung gegenüber der Aufsicht. 397

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Kap. 2: Geschäftsleiterermessen und Pflichtenbindung

Denn vermehrt begründen aufsichtsgesetzliche Vorgaben im Außenverhältnis gegenüber der Aufsicht eine Doppelanknüpfung mit der Folge, dass in Fällen, in denen der unmittelbar verpflichtete Geschäftsleiter den gesetzlichen Anforderungskatalog nicht adäquat in die Praxis umsetzt, nicht nur er gegen unmittelbar geltendes Aufsichtsrecht verstößt, sondern auch das Institut selbst.402 Insofern handelt er einerseits im Interesse des Prinzipals in Bezug auf die ordnungsgemäße Umsetzung aufsichtsgesetzlicher Vorgaben und gleichzeitig im Eigeninteresse zur Vermeidung unmittelbar gegen ihn selbst gerichteter aufsichtsbehördlicher Sanktionen. d) Notwendigkeit eines flexiblen Lösungsansatzes aa) Optimierungslehre versus Flexibilitätstheorie Langenbucher fordert im Rahmen ihrer Optimierungsthese, dass bei gegebener Unklarheit der zu lösenden Rechtsfrage eine Kommunikation zwischen Rechtsberater und Normadressat stattzufinden habe, bei der der Auftrag laute, nach der am besten vertretbaren Ansicht zu suchen.403 Betrachtet man den Maßstab „optimal“ als feste Größe, würden insoweit keine Unterschiede zu der vom BGH vertretenen Anforderung an die Lehre zum Rechtsirrtum bestehen.404 Doch geht selbst Langenbucher davon aus, dass eine spätere abweichende Gerichtsentscheidung unschädlich, d. h. ohne haftungsrechtliche Konsequenzen bleiben soll, wenn der Vorstand im Rahmen seiner Plausibilisierung des erhaltenen Rechtsrates dokumentiert hat, dass er innerhalb eines Spektrums vertretbarer Rechtsmeinungen die aus seiner Sicht am besten vertretbare Rechtsansicht zugrunde gelegt hat.405 Insofern bestehen hinsichtlich der vom verantwortlichen Leitungsorgan zu fordernden Anstrengungen in Bezug auf die Ermittlung der vermeintlich korrekten Rechtslage im Ergebnis keine qualitativen Unterschiede zwischen der Optimierungslehre und der Flexibilitätstheorie. Je eher sich eine herrschende rechtssichere Meinung herausfiltern lässt, desto eher ist der Normadressat dazu verpflichtet, diesen Weg zu gehen. Entscheidet er sich dennoch für eine andere Rechtsansicht, ist es auch gerechtfertigt, ihm das Haftungsrisiko aufzubürden. Entscheidet sich der Geschäftsleiter für den vermeintlich sichersten Weg und lässt sich dieser auch überzeugend begründen, so liegt auch keine Sorgfaltspflichtverletzung vor, die der Gesellschaft einen möglichen Innenregress ermöglichen würde, selbst wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass eine für die Gesellschaft günstigere Rechtsansicht auch hätte vertreten werden können. Aufgrund zahlreicher neuer qualitativer Vorgaben des Aufsichtsrechtes wird 402

Wundenberg, Compliance, S. 127. Vgl. nochmals Langenbucher, ZBB 2013, 16, 23. Ähnlich wohl auch die Ansicht der Generalanwältin Kokott in einem kartellrechtlichen EuGH-Verfahren aus dem Jahre 2013, vgl. BeckRS 2013, 80441, Rn. 46: Ein unvermeidbarer Verbotsirrtum kann „nur dann angenommen werden, wenn das betroffene Unternehmen alles ihm Mögliche und Zumutbare getan hat, um den ihm zur Last gelegten Verstoß gegen das Unionskartellrecht zu vermeiden.“ 404 Vgl. hierzu nochmals oben Kapitel 2, C. II. 1. 405 Langenbucher, ZBB 2013, 16, 23. 403

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jedoch häufig eine vermeintlich herrschende Meinung schlichtweg nicht zu ermitteln sein. Dies gilt umso mehr, wenn noch keine Rechtsprechungspraxis für das infrage stehende Rechtsproblem besteht. In diesem Fall der maximalen Rechtsunsicherheit kann nicht mehr gefordert werden als eine sorgfältige Auseinandersetzung mit der Rechtsfrage und eine darauf basierende vertretbare Handlungsentscheidung. Ein „vertretbares“ Handeln kann mithin im konkreten Einzelfall durchaus auch das „optimale“ Verhalten sein. Je gefestigter die Rechtsmeinung, desto „gebundener“ ist die Entscheidung und desto eher ist eine Risikoverteilung zulasten des Geschäftsleiters im Innenverhältnis angebracht. Ein optimales Handeln kann insofern lediglich als eine flexible Größe angesehen werden, deren spezifische Anforderungen vom Grad der bestehenden Rechtsunsicherheit abhängig sind. Nur dann kann die grundsätzlich gebotene gerechte Risikoverteilung zwischen handelndem Leitungsorgan und zu leitender Gesellschaft sichergestellt werden. bb) Unterstützungsthese – verstärkte unmittelbare Inpflichtnahme der Geschäftsleitung Wie gezeigt, begründet die verstärkte unmittelbare Inpflichtnahme der Geschäftsleitung sowie die damit verknüpfte doppelte Pflichtenbindung derselben zunehmend eine dem Gesellschafts- bzw. Unternehmensinteresse fremde Außenverbindlichkeit gegenüber der Aufsicht und führt neben der Ausdehnung des Verantwortungsbereiches auch und insbesondere zu einer Erweiterung von Haftungsgefahren.406 Nicht selten werden die letztverpflichteten Leitungsorgane künftig mit Situationen konfrontiert sein, in denen die Aufsicht ein Verhalten fordert, dass im Einzelfall betriebswirtschaftlich nicht angezeigt ist.407 Die damit einhergehende Rechtsunsicherheit bei der Auslegung und Anwendung aufsichtsrechtlicher Vorgaben erfordert geradezu einen gewissen Spielraum bzw. Flexibilität im Hinblick auf die Bestimmung des Verhaltens- bzw. Schuldmaßstabes des handelnden Geschäftsleiters. Es ist nicht einsehbar, weshalb die ohnehin schon bestehende Ausdehnung der Geschäftsleiterverantwortung zusätzlich noch an dem strengen Haftungsmaßstab nach der Rechtsirrtumslehre des BGH gemessen werden soll. Gerade im Finanzdienstleistungsaufsichtsrecht haben die Entwicklungen und Reformen der vergangenen Jahre dazu geführt, dass das Irrtumsrisiko bei Rechtsfragen dem Fehlerrisiko im Rahmen unternehmerischer Entscheidungen in nichts nachsteht.408 Sowohl der prinzipiengeleitete Regulierungstrend als auch die bestehende Zieldisparität zwischen Verbandsinteresse einerseits und Aufsichtsinteresse andererseits sorgen dafür, dass eine im Vorhinein erkennbare richtige Antwort, auch im Bereich

406

Vgl. hierzu nochmals oben Kapitel 2, B. II. 1. Vgl. hierzu nochmals Binder, ZGR 2015, 667, 706 f. 408 Zwar nicht speziell auf den Finanzdienstleistungssektor bezogen, jedoch im Ergebnis übereinstimmend Cahn, Der Konzern 2015, 105, 108. 407

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Kap. 2: Geschäftsleiterermessen und Pflichtenbindung

rechtlicher Fragen, und damit eigentlich gebundener Entscheidungen, in der Praxis in vielen Fällen kaum möglich sein wird.409 7. Ergebnis Ob sich ein Geschäftsleiter im Innenverhältnis gegenüber der Gesellschaft nun auf einen Rechtsirrtum berufen und ihm mithin kein Verschulden zur Last gelegt werden kann, ist am Grad bestehender Unsicherheiten zu beurteilen. So kann nicht zwangsläufig jeder nachträglich festgestellte Verstoß gegen aufsichtsrechtliche Vorgaben eine Innenhaftung zur Folge haben. Vielmehr ist im konkreten Einzelfall für eine gerechte Risikoverteilung zwischen dem zu leitenden Unternehmen und dem leitenden Organ zu sorgen. Je klarer die Rechtslage, desto eher ist eine Risikoverteilung zulasten des Geschäftsleiters gerechtfertigt bzw. desto strenger sind die Anforderungen hinsichtlich des zur Entlastung führenden Verhaltens.410 Trotz der hier vertretenen Unabwendbarkeit der Business Judgment Rule im Rahmen rechtlich gebundener Entscheidungen unter Rechtsunsicherheit, ist es im Ergebnis nicht angebracht hinsichtlich des gebotenen Sorgfaltsmaßstabes des Geschäftsleiters, pauschal strengere Anforderungen nach den Grundsätzen der Rechtsirrtumslehre des BGH aufzustellen, als dies im Rahmen unternehmerischer Entscheidungen der Fall ist.411 Festzuhalten bleibt indes, dass ein haftungsfreier Raum für Leitungsorgane bei bewusstem Rechtsbruch im Bereich der Befolgung und Wahrnehmung aufsichtsrechtlicher Vorgaben nicht besteht. Zwar wird teilweise auch jenseits von Fällen notstandsähnlicher Situationen ein bewusster Rechtsbruch für möglich oder gar geboten gehalten.412 Dies soll beispielsweise dann gelten, wenn ein Bagatellverstoß oder aufgrund eines unklaren Schutzzweckes der Norm der bewusste Rechtsbruch nicht schwerer wiege als die wirtschaftlichen Folgen einer Gesetzesverletzung – gemessen an der Verfolgung unternehmerischer Interessen.413 Regelmäßig wird jedoch im Hinblick auf das umfangreiche Sanktioneninstrumentarium des Aufsichtsrechtes und die Schutzrichtung desselben sowie angesichts der durch den Rechtsbruch herbeigeführten Rufschäden ein derartiges Abwägungsverhältnis im regulierten Banken- und Versicherungssektor nur schwer begründbar sein. 409

Ähnlich Binder, ZGR 2015, 667, 702 ff.; Cahn, Der Konzern 2015, 105, 108. Welche Auswirkungen dies auf die zu berücksichtigenden Interessen im Rahmen des Entscheidungsfindungsprozesses hat, ist in Kapitel 3 näher zu untersuchen. 411 Im Ergebnis ähnlich, jedoch für eine analoge Anwendung der Business Judgment Rule plädierend Cahn, Der Konzern 2015, 105, 111, der in diesem Zusammenhang die These aufstellt, dass § 93 Abs. 1 S. 2 AktG schon gar keine Haftungsprivilegierung für unternehmerische Entscheidungen statuiere, sondern vielmehr Elemente eines ordnungsgemäßen Entscheidungsprozesses formuliere und zugleich darstelle, dass die Beurteilung des Verhaltens von Organmitgliedern aus der Sicht des Zeitpunkts der Entscheidung erfolgen müsse und eine Haftung nicht auf nachträgliche bessere Kenntnis gestützt werden könne. 412 Habersack, in: FS U. H. Schneider, 2011, S. 429, 439. 413 Habersack, in: FS U. H. Schneider, 2011, S. 429, 439. 410

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III. Geschäftsleiteraußenhaftung gegenüber Dritten Neben der Haftung von Vorstandsmitgliedern gegenüber der Gesellschaft kommt unter strengen414 Voraussetzungen auch eine Außenhaftung von Leitungsorganen gegenüber Dritten in Betracht. Ein Anspruch unmittelbar gegenüber dem Geschäftsleiter kann jedoch nicht auf § 93 AktG gestützt werden, da dieser alleine die Innenhaftung betrifft.415 Liegt eine haftungsrelevante Pflichtverletzung vor, so können dadurch außer der Gesellschaft auch die Aktionäre, die Gläubiger und sonstige Dritte geschädigt sein, weil z. B. ein Vermögensschaden der Gesellschaft zu einer Entwertung von Aktien führen kann oder der erlittene Vermögensschaden die Zugriffsmöglichkeiten der Gläubiger verkürzt.416 Denkbare Ansprüche können Dritte insbesondere auf § 280 Abs. 1 i. V. m. § 311 Abs. 3 BGB stützen, wenn bei den Vertragsverhandlungen ein besonderes Vertrauen des Vertragspartners gegenüber dem Vorstandsmitglied persönlich besteht.417 Darüber hinaus können Aktionären wie auch Dritten im Einzelfall Ansprüche aus dem Deliktsrecht zustehen. Grundsätzlich denkbar sind Ansprüche aus § 823 Abs. 1 BGB wegen Verletzung eines Mitgliedschaftsrechtes oder einer jedermann treffenden Verkehrspflicht sowie Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB wegen Verletzung eines Schutzgesetzes418 bzw. § 826 BGB bei vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung.

IV. Straf- und ordnungswidrigkeitsrechtliche Haftungsgefahren Im Zuge der Finanzkrise ist darüber hinaus die strafrechtliche Verantwortung des Geschäftsleiters aufsichtsunterworfener Finanzdienstleistungsunternehmen zunehmend in den Vordergrund der Diskussionen gerückt.419 In diesem Zusammenhang zu 414 Die restriktive Behandlung einer Organaußenhaftung beruht auf dem Grundsatz der Haftungskonzentration. Vgl. hierzu auch Hopt/Roth, in: Großkommentar zum Aktiengesetz, § 93, Rn. 624 ff, 648 ff. 415 BGHZ 124, 366 (375) = NJW 1994, 1801; Spindler, in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, § 93, Rn. 299; Fleischer, in: Spindler/Stilz, Aktiengesetz, § 93, Rn. 307; ders., ZGR 2004, 437, 443; Scholl, Vorstandshaftung und Vorstandsermessen S. 47. 416 Vgl. Spindler, in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, § 93, Rn. 298. 417 Spindler, in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, § 93, Rn. 321; Koch, in: Hüffer, Aktiengesetz, § 93, Rn. 67. 418 Als relevante Schutzgesetzverletzung sind vor allem gewisse Strafvorschriften wie beispielsweise der Straftatbestand der Untreue nach § 266 StGB von Bedeutung. Für den Schutzgesetzcharakter ggü. Dritten vgl. beispielsweise BGH NJW 2009, 3173 (für Garantenpflicht des Innenrevisionsleiters); NJW 1996, 1535, 1536 (für GmbH-Geschäftsführer). Für den Schutzgesetzcharakter ggü. Aktionären vgl. beispielsweise OLG Celle GmbHR 2006, 377, 387; OLG Frankfurt NJW-RR 2003, 1532, 1537. a.A.: Hopt/Roth, in: Großkommentar zum Aktiengesetz, § 93, Rn. 632 f. 419 Vgl. bspw. BT-Drs. 17/12601, S. 2 f.: In der Begründung zum „Trennbankengesetz“ wird die Notwendigkeit der Einführung neuer strafrechtlicher Tatbestände im Bereich des

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nennen ist etwa der jüngst in das deutsche Bankaufsichtsrecht eingeführte Straftatbestand gemäß § 54a KWG420, welcher eine Pflichtverletzung im Bereich des Risikomanagements unter Sanktion setzt, sowie der altbekannte und immer noch äußerst umstrittene Untreuetatbestand (§ 266 StGB). Darüber hinaus spielt im Bereich der Vorstandshaftung auch das Ordnungswidrigkeitsrecht, insbesondere in Gestalt des § 130 OWiG, eine wichtige Rolle. Die vorstehend genannten Tatbestände haben dabei gemein, dass sie an eine Pflichtverletzung außerhalb des Strafrechtes anknüpfen. Besonders problematisch und deshalb Gegenstand nachfolgender Überlegungen ist in diesem Zusammenhang die Frage, wann ein Verstoß gegen die generalklauselartig formulierten Vorgaben des prinzipiengeleiteten qualitativen Aufsichtsrechtes eine strafrechtlich relevante Pflichtverletzung darstellen kann. Hierbei ist insbesondere dem strafrechtlichen Bestimmtheitsgebot nach Art. 103 Abs. 2 GG sowie dem Ultima-Ratio-Charakter des Strafrechtes elementare Bedeutung beizumessen. 1. Grundlagen a) § 266 StGB Im Rahmen des Wirtschaftsstrafrechtes kommt dem Tatbestand der Untreue nach § 266 StGB häufig die Funktion als Auffangtatbestand zu. Unter Strafe gestellt wird die vorsätzliche Verletzung der Pflicht zur Betreuung fremder Vermögensinteressen mit der Folge einer Benachteiligung des zu betreuenden Vermögens. Dieses Vermögensdelikt421 ist jedoch keineswegs frei von verfassungsrechtlichen Bedenken. Insbesondere ist die Treubruchsvariante nach § 266 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 StGB durch die Verwendung von Begrifflichkeiten wie z. B. „Treueverhältnis“ oder „Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen“ durch ein hohes Maß an Unbestimmtheit geprägt, zumal sie noch nicht einmal ein Tatbestandsmerkmal in Gestalt Aufsichtsrechtes wie folgt legitimiert: „Es bestehen unzureichende Möglichkeiten, Geschäftsleiter von Kreditinstituten, Finanzdienstleistungsinstituten und Versicherungsunternehmen strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen, wenn das Institut bzw. das Versicherungsunternehmen durch Missmanagement in eine Schieflage geraten ist. Die bestehenden Tatbestände des Kern- und Nebenstrafrechts setzen in ihrem Schutzzweck und dem strafbewehrten Verhalten andere Schwerpunkte. Pflichtverletzungen im Risikomanagement, mit denen nicht nur die Stabilität des einzelnen Instituts, sondern des Finanzsystems als Ganzem auf dem Spiel steht, werden nicht bewehrt. Unternehmenskrisen im Banken- und Versicherungssektor führen zu Verwerfungen auf den Finanzmärkten und belasten im Fall von staatlichen Stützungsmaßnahmen die öffentlichen Haushalte.“ Zur strafrechtlichen Verantwortung der Geschäftsleiter im Rahmen der Finanzkrise, vgl. auch Scholl, Vorstandshaftung und Vorstandsermessen, S. 454 ff. 420 Durch das Trennbankengesetz wurde in § 142 VAG a. F. auch im Versicherungsaufsichtsrecht eine nahezu identische Pendantvorschrift eingeführt, die jedoch im Rahmen der jüngsten VAG-Novelle nicht übernommen wurde. 421 BVerfGE 126, 170 = NStZ 2010, 626 (627).

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eines Tätigkeitswortes enthält, das die eigentliche „Tat“ beschreibt.422 Die unscharfe Tatbestandsstruktur scheint geradezu prädestiniert, um eine Pflicht strafrechtlich zu sanktionieren, die normalerweise lediglich einen Schadensersatzanspruch auszulösen vermag.423 Insbesondere im Bereich der Wirtschaftskriminalität droht der Untreuetatbestand deshalb dazu missbraucht zu werden, die Verletzung außerstrafrechtlicher Pflichten zu kriminalisieren.424 b) § 54a KWG Jüngst hat zudem mit dem „Trennbankengesetz“ eine neue Strafvorschrift Einzug in das Bankaufsichtsrecht gefunden. Zweck dieser Neuerung soll sein, repressiv begangene Pflichtverletzungen im Risikomanagement, die neben der Stabilität einzelner Institute auch die Stabilität und Funktionsfähigkeit des Finanzsystems gefährden können, strafrechtlich zu sanktionieren sowie präventiv Geschäftsleiter in Banken zur Vermeidung zukünftiger Unternehmenskrisen durch Missstände im Risikomanagement anzuhalten.425 Strafbar soll demnach sein, wer entgegen wesentlichen in § 25c Abs. 4a oder § 25c Abs. 4b Satz 2 KWG normierten Sicherstellungspflichten nicht dafür Sorge trägt, dass ein Institut oder eine dort genannte Gruppe über eine dort genannte Strategie, einen dort genannten Prozess, ein dort genanntes Verfahren, eine dort genannte Funktion oder ein dort genanntes Konzept verfügt … … und hierdurch eine Bestandsgefährdung des Instituts, des übergeordneten Unternehmens oder eines gruppenangehörigen Instituts herbeiführt (§ 54a KWG). Nach Absatz 3 dieser Norm ist die Tat jedoch nur dann strafbar, wenn die Bundesanstalt dem Täter durch Anordnung nach § 25c Abs. 4c die Beseitigung des Verstoßes gegen § 25c Abs. 4a oder § 25c Abs. 4b Satz 2 aufgegeben hat, der Täter dieser vollziehbaren Anordnung zuwiderhandelt und hierdurch die Bestandsgefährdung herbeigeführt hat (§ 54a Abs. 3 KWG). 422

Dierlamm, in: Münchener Kommentar zum StGB, § 266, Rn. 3; vgl. auch H. Mayer, Die Untreue, S. 337, der diese Konturenlosigkeit mit folgenden Worten beschreibt: „Sofern nicht einer der klassischen alten Fälle der Untreue vorliegt, weiß kein Gericht und keine Anklagebehörde, ob § 266 StGB vorliegt oder nicht.“ 423 Werner, CCZ 2011, 201. 424 Ransiek/Hüls, ZGR 2009, 163; Werner, CCZ 2011, 201. 425 Vgl. BT-Drs. 17/12601, S. 28: „Die Wahrung einer ordnungsgemäßen Geschäftsorganisation und eines angemessenen und wirksamen Risikomanagements durch aufsichts- und strafrechtliche Regelungen dient nicht nur der Sicherung der angetrauten Vermögenswerte und der ordnungsgemäßen Durchführung der Bank- und Versicherungsgeschäfte und Finanzdienstleistungen, sondern auch der Stabilität des Finanzsystems und der Vermeidung von Nachteilen für die Gesamtwirtschaft durch Missstände im Kredit-, Finanzdienstleistungs- und Versicherungswesen. Vor diesem Hintergrund regelt der Gesetzentwurf die individuelle Strafbarkeit der Geschäftsleiter für Missstände im Risikomanagement, sofern in der Folge eine Instituts- bzw. Unternehmenskrise eintritt und damit eine Gefahr für die Stabilität der Märkte geschaffen wird.“

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Problematisch und insoweit verfassungsrechtlich bedenklich ist dieser aufsichtsrechtliche Straftatbestand wiederum in Bezug auf den in Art. 103 Abs. 2 GG normierten strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz. Denn die in § 25c Abs. 4a KWG oder § 25c Abs. 4b Satz 2 KWG normierten Geschäftsleiterpflichten stellen ein klassisches Beispiel des prinzipiengeleiteten Regulierungstrends dar. Begrifflichkeiten wie „konsistente Risikostrategie“, „wesentliche Geschäftsaktivität“, „angemessene personelle und technische Ausstattung“ oder „geeignetes Limitsystem“ sind aufgrund ihrer Unbestimmtheit in hohem Maße auslegungsbedürftig. Aufgrund der freiheitsgewährleistenden Funktion des Art. 103 Abs. 2 GG erfordert dieser jedoch hinsichtlich der Bestimmtheit der Strafnorm, dass jeder vorhersehen können soll, welches Verhalten verboten und mit Strafe bedroht ist.426 Darüber hinaus ist bedenklich, dass es nach Absatz 3 der Strafvorschrift die BaFin letztlich in der Hand hat, durch Erlass eines Verwaltungsaktes über eine strafrechtlich relevante Pflichtverletzung zu entscheiden.427 Zwar soll es möglich sein, eine Strafandrohung an Verstöße gegen Verwaltungsakte anzuknüpfen.428 Doch verlangt Art. 103 Abs. 2 GG aus dem Gedanken der parlamentarischen Steuerungsverpflichtung, dass das Gesetz selbst Typus und Regelungsumfang des Verwaltungsakts jedenfalls so weit festlegt, wie der Verstoß gegen die entsprechende Verhaltenspflicht strafbewehrt werden soll.429 Ob diese Voraussetzungen hier vorliegen, darf aufgrund der Prinzipienorientierung der hier betrachteten Pflichten durchaus bezweifelt werden.430 c) § 130 OWiG Im Bereich der Geschäftsleiterhaftung spielt weiter das Ordnungswidrigkeitsrecht eine bedeutende Rolle. Im vorliegenden Zusammenhang zu nennen ist dabei insbesondere § 130 OWiG. Diese Norm sanktioniert eine Verletzung der Aufsichtspflichten in Betrieben und Unternehmen und setzt ein Unterlassen derjenigen Aufsichtsmaßnahmen voraus, die erforderlich und zumutbar sind, um der Gefahr von Zuwiderhandlungen gegen betriebs- und unternehmensbezogene Pflichten zu begegnen. Aufsichtspflichten können sich dabei insbesondere aus Spezialnormen, aus Gerichtsentscheidungen zur Konkretisierung von Sorgfaltspflichten sowie aus dem allgemeinen Grundsatz ergeben, dass bestimmte Lebensverhältnisse die Verantwortung für das Verhalten anderer Personen begründen.431 Wiederum werden die strafrechtlich relevanten Pflichtverletzungen nicht im Tatbestand des § 130 OWiG beschrieben. Dies mag zwar damit zu rechtfertigen sein, dass die Art der notwen426

Vgl. BVerfG NJW 2010, 3209, 3210; NJW 1987, 3175. Zutreffend Ahlbrecht, BKR 2014, 98, 102; Kasiske, ZIS 2013, 257, 261. 428 BVerfGE 78, 374, 382 f.; OLG Saarbrücken NJW 1988, 368. 429 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Art. 103 Abs. 2, Rn. 219. 430 Ahlbrecht, BKR 2014, 98, 102. 431 Vgl. Bohnert, in: Bohnert, OWiG, § 130, Rn. 17. 427

C. Haftungsrechtliche Rechtsfolgen

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digen Aufsichtsmaßnahmen von den Umständen des einzelnen Falles abhängt,432 ändert jedoch gleichzeitig nichts an der Tatsache, dass die Unbestimmtheit des Tatbestandes sowie der Bezugnahme auf Pflichtvorgaben außerhalb des OWiG zu erheblichen Unsicherheitsmomenten hinsichtlich der Bestimmung eines sanktionswürdigen Verhaltens führt. d) Folgerungen Die hier nur kurz dargestellten Bedenken gegen die exemplarisch ausgewählten Straftatbestände sowie gegen § 130 OWiG haben die Gemeinsamkeit, dass sie alle ein hohes Maß an Unbestimmtheit aufweisen und jeweils (aufsichtsrechtliche) Pflichtverletzungen außerhalb des Strafrechtes bzw. Ordnungswidrigkeitenrechtes unter Sanktion stellen. Dies wirft mehr denn je die Frage auf, wann eine Pflichtverletzung außerstrafrechtlicher und meist in hohem Maße auslegungsbedürftiger Bezugsnormen ein strafrechtlich relevantes bzw. sanktionswürdiges Verhalten darstellen kann und somit u. U. gleichzeitig eine Geschäftsleiteraußenhaftung begründen kann. 2. Anforderungen an eine strafrechtlich relevante Pflichtverletzung Das prinzipienbasierte Aufsichtsrecht eröffnet in der Praxis mehr denn je die Gefahr haftungsrechtlicher Pflichtverletzungen durch die aufsichtsunterworfenen Rechtsanwender. Da die dargestellten Straf- und Ordnungwidrigkeitstatbestände meist eine Verletzung dieser spezialgesetzlich spezifizierten Pflichten sanktionieren, droht die Gefahr eines Gleichlaufes zwischen zivil- und strafrechtlicher Haftung von Leitungsorganen. Eine identische Behandlung zivil- und strafrechtlicher Pflichtverletzungen widerspricht jedoch dem Ultima-Ratio-Charakter des Strafrechtes. Hiernach ist es verfassungsrechtlich geboten, dass der Gesetzgeber grundsätzlich auf gleich wirksame, aber das Grundrecht nicht oder weniger stark einschränkende Mittel zurückzugreifen hat.433 Mit anderen Worten soll nicht jede Fehlentscheidung des Managements strafrechtliche Relevanz entwickeln.434 Insofern kann der Grundsatz einer sog. „asymmetrischen Akzessorietät“ aufgestellt werden, so dass ein zivilrechtlich erlaubtes Verhalten nicht zu einem strafrechtlichen Verbot führen kann, während ein Verstoß gegen eine außerstrafrechtliche Pflicht gleichwohl ohne strafrechtliche Konsequenzen bleiben kann, etwa weil noch andere Möglichkeiten der Sanktionierung zur Verfügung stehen oder zusätzliche Voraussetzungen zu fordern sind.435 Denn eine Pflichtverletzung ist grundsätzlich nur dann als strafwürdig zu qualifizieren, wenn in ihr ein besonderer Handlungs- und Gesinnungs432 433 434 435

Rogall, in: Karlsruher Kommentar zum OWiG, § 130, Rn. 41. Vgl. Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB, Vorbemerkungen zu den §§ 13 ff., Rn. 10a. Ahlbrecht, BKR 2014, 98, 103. Zutreffend Dierlamm, in: Münchener Kommentar zum StGB, § 266, Rn. 14.

152

Kap. 2: Geschäftsleiterermessen und Pflichtenbindung

unwert zum Ausdruck kommt, die beide das Verhalten des Täters als sozialethisch besonders verwerflich erscheinen lassen.436 a) Erfordernis einer gravierenden Pflichtverletzung Im Rahmen des Untreuetatbestandes hat der BGH deshalb teilweise das Vorliegen einer „gravierenden Pflichtverletzung“ verlangt.437 Jedenfalls in Fällen, in denen dem Vorstand ein breiter Spielraum unternehmerischen Ermessens zuzubilligen ist, sowie im Rahmen von Prognoseentscheidungen soll eine Pflichtverletzung nur dann zu einer Strafbarkeit führen, wenn sie eine gewisse Qualität erreicht.438 Ob eine Pflichtverletzung gravierend ist, soll aufgrund einer Gesamtschau insbesondere gesellschaftsrechtlicher Kriterien festgestellt werden, wozu etwa eine fehlende Nähe zum Unternehmensgegenstand, Unangemessenheit im Hinblick auf die Ertrags- und Vermögenslage, fehlende innerbetriebliche Transparenz sowie das Vorliegen sachwidriger Motive, namentlich die Verfolgung rein persönlicher Präferenzen, zählen.439 In der sog. „Mannesmann/Vodafone“-Entscheidung vertrat hingegen der 3. Strafsenat des BGH, dass im Zusammenhang mit aktienrechtlichen Vergütungsentscheidungen eine „gravierende Pflichtverletzung“ für den Untreuetatbestand nicht erforderlich sei.440 Ob die zur Bestimmung der „gravierenden Pflichtverletzung“ aufgestellten Kriterien für unternehmensbezogene Sachverhalte tatsächlich dazu geeignet sind, den Kernbereich möglicher Pflichtverletzungen mit Konturen zu versehen und näher zu konkretisieren, ist nicht unumstritten.441 Eingewandt wird beispielsweise, dass insbesondere bei dem Kriterium „Unangemessenheit im Hinblick auf die Ertrags- und Vermögenslage“ die Gefahr einer puren „Klassenjustiz“ drohe, wenn das dem Organ anvertraute Vermögen sehr groß sei.442 b) Bewertung Insbesondere im Wirtschaftsstrafrecht ist in Bezug auf die Beurteilung einer Pflichtverletzung eine gewisse Qualität derselben zu fordern. Ob eine solche nun als „gravierend“ zu bezeichnen ist bzw. die vom 1. Strafsenat des BGH aufgestellten 436

119 f.

Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB, Vorbemerkungen zu den §§ 13 ff., Rn. 11, 52 ff.,

437 BGHSt 46, 30 = NJW 2000, 2364 = NStZ 2000, 655; BGHSt 47, 187 = NJW 2002, 1585 = NStZ 2002, 322; BGHSt 47, 148 = NJW 2002, 1211 = NStZ 2002, 262; LG Düsseldorf NJW 2004, 3275 (Mannesmann). 438 BGHSt 47, 187 = NJW 2002, 1585; NJW 2006, 453; BGHSt 50, 331. 439 BGH NJW 2002, 1585, 1587. 440 BGH NStZ 2006, 214, 217: „Die Entscheidung zur Unternehmensspende betrifft einen in keiner Weise vergleichbaren Sachverhalt.“ 441 Vgl. beispielsweise Schünemann, NStZ 2005, 473, 476, dem zufolge die Forderung einer „gravierenden Pflichtverletzung“ „alles andere als ein dogmatischer Zauberhut“ ist. 442 Schünemann, NStZ 2005, 473, 476.

C. Haftungsrechtliche Rechtsfolgen

153

Kriterien pauschal dazu geeignet sind, der strafrechtlich relevanten Pflichtverletzung im Rahmen wirtschaftsrechtlicher Sachverhalte Konturen zu verleihen, darf aufgrund der Vielzahl von verschiedenen denkbaren Sachverhaltskonstellationen im Bereich der Vorstandshaftung bezweifelt werden. Denn wie bereits oben dargestellt, handelt es sich bei der hier untersuchten Problematik gerade nicht um klassische unternehmerische Entscheidungen. Zu fordern ist jedenfalls, die Fälle pflichtwidrigen Handelns auf klare und deutliche, sprich evidente Verstöße zu beschränken.443 Denn nur dann kann vermieden werden, dass eine außerstrafrechtliche Pflichtverletzung stets zu einem strafbewehrten Verhalten führt. Ebenso kann hierdurch vermieden werden, dass eine Geschäftsleiteraußenhaftung die gebotene „Ausnahme“ bleibt und sich eben nicht zur „Regel“ entwickelt. 3. Maßstab und Kriterien im Bereich der unklaren Rechtslage Im Rahmen des Untreuetatbestandes ist anerkannt, dass dann, wenn Vorstandspflichten lediglich generalklauselartig umrissen sind, dem Betroffenen im Zweifel weite Einschätzungs- und Entscheidungsspielräume zuzugestehen sind.444 Ein strafrechtlich relevantes Handeln kann vor dem Hintergrund des Ultima-RatioCharakters deshalb nur dann angenommen werden, wenn es gegen Maßstäbe und Regeln verstößt, die bereits zum Zeitpunkt des Handelns klar erkennbar waren.445 Dies kann beispielsweise dann der Fall sein, wenn bewusst entgegen vorhandenen fachgerichtlichen Entscheidungen Maßnahmen getroffen werden, die die Auslegung der infrage stehenden Norm als nicht mehr vertretbar erscheinen lassen.446 Dem widerspricht auch nicht die oben vertretene Ansicht, dass ein entschuldigender Rechtsirrtum pauschal nicht schon bei einem lediglich vertretbaren Handeln angenommen werden kann. Denn im Rahmen der gesellschaftsrechtlichen Innenhaftung von Geschäftsleitern gegenüber den zu leitenden Unternehmen ging es primär um eine gerechte Risikoverteilung zwischen Gesellschaft und Leitungsorgan. Hier wiederum steht die Schwelle zur persönlichen strafrechtlichen (und ggf. i. V. m. § 823 Abs. 2 BGB zur unmittelbaren zivilrechtlichen Außen-)Verantwortlichkeit des Geschäftsleiters infrage.447 Handelt der verpflichtete Normadressat in tatsächlicher wie auch rechtlicher Hinsicht bei der Auslegung und Anwendung prinzipienbasierter Normen (strafrechtlich) vertretbar, d. h. nicht evident unvertretbar, so würde die Annahme einer strafrechtlich relevanten Pflichtverletzung die Untergrenze der zivilrechtlichen Befugnisnormen unter Verstoß gegen die Akzessorietät 443

So in Bezug auf den Untreuetatbestand, BVerfG NJW 2010, 3209, 3215. Vgl. stellvertretend Perron, in: Schönke/Schröder, StGB, § 266, Rn. 19b m. w. Nachw. 445 Zutreffend Perron, in: Schönke/Schröder, StGB, § 266, Rn. 19b. 446 Perron, in: Schönke/Schröder, StGB, § 266, Rn. 19b; Dierlamm, in: Münchener Kommentar zum StGB, § 266, Rn. 173; Mosiek, wistra 03, 373, Otto, in: FS Tiedemann, S. 699; Rönnau, ZStW 119, 917. 447 Zu den einzelnen Strafzwecken „Spezialprävention“, „Generalprävention“, „Sühne und Vergeltung“ vgl. ausführlich Miebach, in: Münchener Kommentar zum StGB, § 46, Rn. 24 ff. 444

154

Kap. 2: Geschäftsleiterermessen und Pflichtenbindung

des Strafrechts unterschreiten.448 Insofern muss gelten: Je unklarer die Rechtslage, desto geringer sind die Anforderungen an eine strafrechtliche Vertretbarkeit. 4. Ergebnis Neben der Haftung von Vorstandsmitgliedern gegenüber der Gesellschaft kommen unter strengen Voraussetzungen auch eine Außenhaftung derselben gegenüber Aktionären und sonstigen Dritten sowie eine strafrechtliche Haftung in Betracht. Ein strafrechtliches relevantes sowie eine die unmittelbare zivilrechtliche Außenhaftung begründendes Verhalten ist regelmäßig jedoch nur dann anzunehmen, wenn ein evidenter Verstoß gegeben ist. Nur so kann eine verfassungsrechtlich bedenkliche Ausweitung der Geschäftsleiterhaftungsgefahren vermieden werden.

D. Zusammenfassung Der auf Prinzipien basierende Regulierungstrend hat eine massive Ausweitung der Handlungsautonomie von Geschäftsleitern aufsichtsunterworfener Bank- und Versicherungsunternehmen in Bezug auf die Einschätzung des rechtlich gebotenen Verhaltens zur Folge. Die Letztverantwortung für die Auslegung und Anwendung komplexer, meist sehr offen und weit formulierter Tatbestände begünstigt dabei zunehmend auch die Fehleranfälligkeit des Geschäftsleiterverhaltens. Denn grundsätzlich sind die Leitungsorgane zur Einhaltung und Umsetzung aller aufsichtsrechtlichen Vorgaben von Gesetzesrang verpflichtet. Hinsichtlich der das Aufsichtsrecht ergänzenden und konkretisierenden Verlautbarungen exekutiver Standardsetter besteht darüber hinaus eine Art rechtliche Befassungspflicht, die im Einzelfall einen erheblichen faktischen Bindungs- und Befolgungszwang auslösen kann. Da dem Geschäftsleiter im Innenverhältnis zu der zu leitenden Gesellschaft nicht das volle Risiko der Rechtmäßigkeit und Aufsichtskonformität seines Verhaltens aufgebürdet werden kann, ist ihm ein Beurteilungsspielraum bei unsicherer Rechtslage zuzugestehen. Sofern es sich um die Verwirklichung rechtlich gebundener Entscheidungen geht, kann ein solcher dogmatisch weder durch eine direkte noch durch eine analoge Anwendung der Business Judgment Rule begründet werden. Liegt ein Fall des Handelns unter bestehender Rechtsunsicherheit vor, kann es hingegen an einem schuldhaften Verhalten fehlen. Hinsichtlich der Bestimmung des anzulegenden Verhaltens- bzw. Schuldmaßstabes ist im konkreten Einzelfall eine spezifische Beurteilung vonnöten, die sich an dem Vorliegen des Maßes und Grades der bestehenden Rechtsunsicherheit orientiert. Dabei gilt: Je gefestigter die Rechtsmeinung, desto „gebundener“ ist die Entscheidung und desto eher ist eine Risikoverteilung zulasten der Gesellschaft im Innenverhältnis angebracht. Ein 448

Dierlamm, in: Münchener Kommentar zum StGB, § 266, Rn. 173.

D. Zusammenfassung

155

Gleichlauf zwischen der Außenhaftung der Gesellschaft und der Binnenhaftung des Geschäftsleiters muss deshalb nicht stets gegeben sein. So kann ein nachträglich festgestellter Verstoß zwar die Gesellschaft nach außen hin haften lassen, eine Binnenhaftung des Geschäftsleiters hingegen aufgrund der gebotenen gerechten internen Risikoverteilung beim Handeln unter Rechtsunsicherheit unangebracht sein. Neben der Gefahr einer Geschäftsleiterinnenhaftung kann ein Verstoß gegen das Aufsichtsrecht auch eine Geschäftsleiteraußenhaftung begründen und darüber hinaus im Extremfall ein strafrechtlich relevantes Verhalten darstellen. Häufig knüpft dabei die unmittelbare Außenhaftung an eine Schutzgesetzverletzung in Form eines Straftatbestandes an. Im Gegensatz zur Binnenhaftung ist im Rahmen der Außenhaftung sowie der strafrechtlichen Verantwortlichkeit des handelnden Leitungsorganes ein anderer Haftungsmaßstab anzulegen. Lediglich evidente Verstöße vermögen vor dem Hintergrund des Ultima-Ratio-Gedankens dazu geeignet sein, einen nachträglich festgestellten Verstoß in diesem Zusammenhang zu sanktionieren.

Kapitel 3

Prozedurale Anforderungen an Organentscheidungsprozesse im regulierten Banken- und Versicherungssektor Die jüngsten Entwicklungen im Aufsichtsrecht setzen vermehrt an entscheidungsfindungsprozessbezogenen Anforderungen an und verzichten auf eine unmittelbar, final konzipierte Einwirkung auf das jeweilige Entscheidungsergebnis.1 Die Verwendung zahlreicher unbestimmter Rechtsbegriffe lassen dem letztverantwortlichen Geschäftsleiter weite Umsetzungsspielräume, denen die Unsicherheit innewohnt, mögliche Konsequenzen – auch und vor allem im Hinblick auf ein möglicherweise drohendes Einschreiten der jeweils zuständigen Aufsichtsbehörden – in vollem Umfang ex ante vorherzusehen und zu ermitteln.2 Dies wirft die Frage auf, welche prozedurale Anforderungen an die Organentscheidungsprozesse von Geschäftsleitern im aufsichtsunterworfenen Banken- und Versicherungssektor zu stellen sind, um dem handelnden Leitungsorgan eine rechtssichere Selbsteinschätzung im Rahmen des prinzipienbasierten Aufsichtsrechtes zu bieten. Sowohl das Gesellschafts- als auch das Aufsichtsrecht enthalten diesbezüglich keine abschließenden Regelungen. Vielmehr sind nach dem tradierten Organisationsverfassungsrecht die Voraussetzungen für Entscheidungsprozesse sowie wesentliche Ablauffragen der Selbstorganisation des Geschäftsleiters zugewiesen, indem er sich beispielsweise nach § 77 Abs. 2 AktG eine Geschäftsordnung geben kann.

A. Zu untersuchende Organentscheidungsprozesse Nachfolgend soll dabei insbesondere zwischen zwei verschiedenen Organentscheidungsprozessen differenziert werden.

1 Vgl. dazu eingehend Binder, Regulierungsinstrumente und Regulierungsstrategien im Kapitalgesellschaftsrecht, 2012, S. 336 ff.; ders., AG 2012, 885 ff.; ders., ZGR 2007, 745 ff. 2 Ähnlich Scholl, Vorstandshaftung und Vorstandsermessen, S. 226 f., der darlegt, dass die Hauptaufgabe im Entscheidungsprozess eines Leitungsorgans ist, die Konsequenzen der Handlungsalternativen zu prognostizieren.

A. Zu untersuchende Organentscheidungsprozesse

157

I. Fall 1: Verhaltensleitlinien in Bezug auf die Auslegung und Anwendung prinzipienbasierter Normen Zum einen stellt sich die Frage, welche prozeduralen Anforderungen an Geschäftsleiter zu stellen sind, damit sie ihren Handlungs-, Beurteilungs- und Ermessensspielraum in Bezug auf die Auslegung und Anwendung prinzipienbasierter Normen sorgfaltspflichtgemäß ausfüllen. Wie bereits mehrfach erwähnt, handelt es sich hier nicht um einen Fall klassischer unternehmerischer Entscheidung, sondern vielmehr um eine dieser Entscheidung unmittelbar vorgelagerte rechtliche Einschätzung mehrerer denkbarer Handlungsalternativen, mithin um verfahrensmäßige Anforderungen im Stadium der Entscheidungsfindung bzw. Entscheidungsvorbereitung bei tatsächlich bestehender rechtlicher Unsicherheit. Rechtsdogmatisch geht es in diesem Zusammenhang um die Bestimmung des Sorgfaltsmaßstabs, den die jeweils verantwortlichen Leitungsorgane sorgfaltspflichtgemäß erfüllen müssen.3 In den meisten Fällen wird hier der Vorwurf der Fahrlässigkeit im Raum stehen, der bekanntlich immer dann erfüllt ist, wenn der handelnde Entscheidungsträger die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt, § 276 BGB. Was müssen die Geschäftsleiter mithin beachten, um ihre eigenen Haftungsgefahren gegenüber der Gesellschaft bei bestehender Rechtsunsicherheit auf ein Minimum zu reduzieren?

II. Fall 2: Verhaltensleitlinien bei aufsichtsbehördlicher Einflussnahme Die in „Fall 2“ zu untersuchenden Anforderungen an die Organentscheidungsprozesse knüpfen unmittelbar an „Fall 1“ an. Konkret geht es hierbei um das Konfliktpotential, das sich ergibt, wenn im Rahmen der Ermittlung der rechtlichen Gegebenheiten ein Abstimmungsprozess mit den allein dem öffentlichen Interesse verpflichteten Aufsichtsbehörden stattfindet und das aufsichtsunterworfene Unternehmen bzw. die dieses jeweils leitenden Personen aufgrund verbandsendogener Erwägungen eine divergierende Rechtsansicht vertreten. In diesem Fall wird die zuständige Aufsichtsbehörde aktiv Einfluss ausüben, wenn nach ihrer Ansicht verpflichtende Vorgaben nicht oder nicht ausreichend von den aufsichtsunterworfenen Unternehmen durch deren Leitungsorgane in die Praxis umgesetzt werden bzw. wurden. Zu untersuchen ist, ob in Konstellationen, in denen die jeweils zuständige Aufsichtsbehörde bereits informelle oder auch formelle Maßnahmen ergriffen hat bzw. den Einsatz derselben angekündigt hat, Prüfungs-, Klärungs- oder gar Abwehrpflichten des Leitungsorgans bestehen. Auch diesbezüglich soll das Ziel verfolgt werden, verlässliche prozedurale Leitlinien für Geschäftsleiter aufzustellen, um das im regulierten Finanzdienstleistungssektor bestehende Spannungsfeld zwischen den unterschiedlichen Interessen, die ein Geschäftsleiter einerseits und die jeweils 3

Strohn, ZHR 176 (2012), 137.

158

Kap. 3: Prozedurale Anforderungen an Organentscheidungsprozesse

zuständige Aufsichtsbehörde andererseits bei der Wahrnehmung ihrer jeweiligen Pflichten und Kompetenzen zu berücksichtigen haben, sorgfaltspflichtgemäß aufzulösen. Problematisch ist einerseits, dass derartige Einflussnahmen unter Umständen tiefgreifende, grundrechtseinschränkende Wirkungen entfalten können, die nicht nur die unternehmerische Freiheit beeinträchtigen, sondern im Falle von Konflikten mit der verbandsrechtlichen Kompetenzordnung auch Anteilseignergrundrechte4 verletzen. Andererseits ist das Aufsichtsrecht mehr denn je von einem Kooperationsverhältnis zwischen aufsichtsunterworfenen Unternehmen und den jeweils zuständigen Aufsichtsbehörden geprägt. In Bezug auf die Sicherstellung dieses Verhältnisses könnte es deshalb im konkreten Einzelfall durchaus auch sinnvoll und geboten sein, gewisse aufsichtsbehördliche Einwirkungen zulasten verbandsendogener Interessen zu dulden.

B. Verhaltensleitlinien in Bezug auf die Auslegung und Anwendung prinzipienbasierter Normen In Bezug auf die Prozeduralisierung von unternehmerischen Entscheidungen gibt die Business Judgment Rule erste Anhaltspunkte hinsichtlich der Konkretisierung der Anforderungen an entscheidungsprozessbezogene Organentscheidungen.5 Für gesetzlich gebundene Entscheidungen fehlt es hingegen bislang an vergleichbaren gesetzlichen Regelungen.6 Eine uneingeschränkte Übernahme der Grundsätze für unternehmerische Entscheidungen, auch für das Handeln unter bestehender Rechtsunsicherheit im Rahmen gesetzlich gebundener Entscheidungen, erscheint vor dem Hintergrund der in Kapitel 2 bereits herausgearbeiteten tatsächlich bestehenden Unterschiede7 unangebracht. Dennoch ist die Business Judgment Rule dazu geeignet, entscheidende Hinweise darauf zu geben, welche Anforderungen an die Organmitglieder im Falle unbestimmter Rechtsbegriffe und damit einhergehender Rechtsunsicherheiten zu stellen sind.8 Hierfür sprechen zunächst die vielen Paral4

Beispielsweise gewährleistet Art. 14 GG auch das gesellschaftsrechtlich vermittelte Anteilseigentum in Form von Aktien. Aufgrund dessen stehen dem Aktionär auch Leitungsbefugnisse, beispielsweise in Gestalt von Stimmrechten in der Hauptversammlung, sowie Ansprüche auf Gewinnbeteiligung und Liquidationsquoten zu. Vgl. hierzu ausführlich unten Kapitel 3, C. I. 1. b). 5 Zu den Voraussetzungen der Anwendbarkeit der Business Judgment Rule vgl. nochmals oben Kapitel 2, B. 6 Zum Erfordernis einer gesetzlichen Kodifizierung der Business Judgment Rule vgl. insb. Bürkle, VersR 2013, 792 ff.; ablehnend Buck-Heeb, BB 2013, 2247 ff. 7 So insbesondere im Hinblick auf eine gerechte Risikoverteilung im Innenverhältnis. Vgl. hierzu nochmals die Ausführungen in Kapitel 2, B. III. 2. 8 So etwa Bürkle, VersR 2013, 792, 795 ff.; Bachmann, ZHR 177 (2013), 1, 8; Thole, ZHR 173 (2009), 504, 522 f. Vgl. auch Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, § 93, Rn. 19, mit dem noch weitergehenden Verständnis, dass die Grundsätze der Business Judgment Rule direkt Anwendung finden, wenn und soweit eine gesetzlich gebundene

B. Verhaltensleitlinien in Bezug auf prinzipienbasierte Normen

159

lelen zwischen den Problemen des Handelns unter Rechtsunsicherheit trotz grundsätzlich bestehender Rechtsbindung und den durch die Business Judgment Rule erfassten Fallkonstellationen.9 Beiden Sachverhalten ist insbesondere das Risiko von Fehlentscheidungen immanent, wenn von vornherein mehrere Handlungsalternativen bestehen und vom Geschäftsleiter eine Prognoseentscheidung abverlangt wird.10 Zudem setzen sowohl die Erfüllung gesetzlich gebundener Entscheidungen als auch klassische unternehmerische Entscheidungen voraus, dass zunächst die rechtlichen Gegebenheiten ermittelt werden.11 Zu Recht wird die zwingend notwendige rechtliche Einschätzung deshalb als systematisch integraler Bestandteil der Business Judgment Rule bezeichnet, mit der Folge, dass das „Legal Judgment“ primär an die prozeduralen Anforderungen der Business Judgment Rule anknüpft.12 Mit anderen Worten stellt die rechtliche Einschätzung ein der unternehmerischen Entscheidung vorgelagertes Element dar.13 Insofern liegt es nahe, die Tatbestandsmerkmale der Business Judgment Rule sowie die richterrechtlichen Konkretisierungen dieser Kriterien, trotz ihrer grundsätzlichen Unanwendbarkeit, im vorliegenden Zusammenhang zumindest als Basis und Anhaltspunkt in Bezug auf die prozeduralen Anforderungen an Organentscheidungsprozesse im Stadium der Entscheidungsvorbereitung bzw. Entscheidungsfindung heranzuziehen.14 Die prozeduralen Anforderungen an Organentscheidungsprozesse bei bestehender Rechtsunsicherheit ergeben sich mithin primär aus dem Gesellschaftsrecht. Die dadurch gewonnenen Ergebnisse sind schließlich durch einzelfallbezogene aufsichtsrechtliche Spezifikationen weiter zu konkretisieren.15 Im Ergebnis wird sich herausstellen, dass im Einzelfall bei Einhaltung aller verhaltensbezogenen Voraussetzungen die Haftung Entscheidung zukunftsbezogene und prognoseabhängige Elemente enthält. Einschränkend Hopt/Roth, in: Großkommentar zum Aktiengesetz, § 93, Rn. 120 ff. Hiernach soll im Rahmen der Wahrnehmung von gesetzlich normierten Pflichtaufgaben die einen Auslegungsspielraum offen lassen, nur ein eingeschränkter Beurteilungs- bzw. Handlungsspielraum bestehen, der objektiv richterlich voll nachprüfbar sein muss und den Rückgriff auf die allgemeinen Grenzen der Business Judgment Rule verbietet. 9 Binder, AG 2012, 885, 887; ders., AG 2008, 274 ff.; Fleischer, in: FS Hüffer, 2010, S. 187 ff. Vgl. auch Cahn, Der Konzern 2015, 105 ff., der in der Business Judgment Rule einen allgemeinen Sorgfaltsmaßstab sieht, der gleichermaßen für unternehmerische, wie auch für rechtlich gebundene Entscheidungen mit Beurteilungsspielraum gelte. 10 Cahn/Müchler, BKR 2013, 45, 52; Thole, ZHR 173 (2009), 504, 523. 11 Langenbucher, ZBB 2013, 16, 22; Strohn, DB 2012, 1193, 1195. 12 Bürkle, VersR 792, 795; Selter, AG 2012, 11, 13. 13 Bürkle, VersR 792, 795; Selter, AG 2012, 11, 13. 14 So besteht auch im wohl überwiegenden Schrifttum inzwischen weitestgehend Einigkeit, dass bspw. die Mindestanforderungen, unter denen Vertrauen auf Expertenrat als schutzbedürftig anerkannt werden kann, inhaltlich in beiden Fällen nahezu identisch sind. Vgl. Strohn, ZHR 176 (2012), 137 ff.; Lang/Balzer, WM 2012, 1167 ff.; Binder, AG 2012, 885, 890 ff.; ders., AG 2008, 274, 280 ff.; Fleischer, in: FS Hüffer, 2010, S. 187; grundlegend anderer Ansicht Wagner, BB 2012, 651, 653, der im Rahmen der Business Judgment Rule hinsichtlich der erforderlichen Informationsbasis weniger strenge Anforderungen stellt. 15 Vgl. auch Bürkle, VersR 2013, 792, 799.

160

Kap. 3: Prozedurale Anforderungen an Organentscheidungsprozesse

eines Geschäftsleiters bei scheinbar pflichtgemäßem Verhalten trotz ex-post festgestellter objektiver Pflichtwidrigkeit entfällt.

I. Einzelfallspezifische Ermittlung der jeweiligen Entscheidungsgrundlage Ausgangspunkt einer jeden Entscheidung ist es, auf der Grundlage verschiedener Handlungsoptionen die jeweiligen tatsächlichen und rechtlichen Umstände zu bestimmen.16 Diese aus der ARAG-Garmenbeck-Entscheidung des BGH herrührende Voraussetzung zur Bestimmung der Entscheidungsgrundlage wurde vom 2. Zivilsenat in einer späteren Entscheidung weiter konkretisiert: Hiernach „hat der Geschäftsführer in der konkreten Entscheidungssituation alle verfügbaren Informationsquellen tatsächlicher und rechtlicher Art auszuschöpfen und auf dieser Grundlage die Vor- und Nachteile der bestehenden Handlungsoptionen sorgfältig abzuschätzen und den erkennbaren Risiken Rechnung zu tragen.“17 Zunächst obliegt es also dem jeweiligen Leitungsorgan des aufsichtsunterworfenen Unternehmens, die konkrete einzelfallspezifische18 Entscheidungssituation selbstständig zu ermitteln. In der Praxis wird dieses jedoch häufig vor allem im Hinblick auf die Bestimmung der rechtlichen Umstände an seine Grenzen stoßen. Denn erstens sind viele Geschäftsleiter keine ausgebildeten Juristen und zweitens wird es selbst dem als Vorstand handelnden Vorzeigejuristen regelmäßig nicht möglich sein, stets die jeweilige rechtliche Lage als die „einzig richtige“ zu ermitteln. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund der rapiden Weiterentwicklung des hochkomplexen Aufsichtsrechts in der regulierten Finanzdienstleistungsbranche. Stößt der Geschäftsleiter also hinsichtlich der Einschätzung der rechtlichen Lage an seine Kompetenzgrenzen, führt dies nicht etwa zum Verlust seiner persönlichen Eignung, sondern kann und muss gegebenenfalls durch die Einholung adäquaten Rechtsrats kompensiert werden, damit er seinen spezifischen Sorgfaltsanforderungen nach § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG gerecht wird.19

16 Vgl. BGH NZG 2009, 117; NZG 2008, 751; VersR 1997, 886, 888 f. = NJW 1997, 1926, 1928; Goette, ZGR 2008, 436, 448; Spindler, in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, § 93, Rn. 77; Strohn, DB 2012, 1193, 1195. 17 BGH NJW, 2008, 3361, 3362; Goette, in: FS 50 Jahre BGH, S. 123, 140 f. 18 Goette, ZHR 175 (2011), 388, 396; Koch, ZGR 2006, 796, 789; Decker, GmbHR 2014, 72, 73 19 BGH NZG, 2012, 672, 673; BGH NJW 2007, 2118, 2120; OLG Stuttgart NZG 2010, 141, 143; Spindler, in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, § 93, Rn. 77 ff.; Hopt/Roth, in: Großkommentar zum Aktiengesetz, § 93, Rn. 109 f.; Binder, ZGR 2012, 757, 769 f.; ders., AG 2012, 885, 888.

B. Verhaltensleitlinien in Bezug auf prinzipienbasierte Normen

161

II. Umfang der Informationsbeschaffung Die oben genannte Formulierung „alle verfügbaren Informationsquellen“ deutet auf eine allumfassende Informationsbeschaffungspflicht des Geschäftsleiters hin.20 1. Einzelfallspezifische Bestimmung des konkreten Informationsbedarfs Eine vollumfängliche Pflicht zur Informationsbeschaffung im Stadium der Entscheidungsvorbereitung hätte zur Konsequenz, dass der Vorstand stets, d. h. ohne Differenzierung spezifischer Besonderheiten der jeweils gegebenen konkreten Entscheidungssituation, viel Zeit und Aufwand aufbringen müsste, um seinen Sorgfaltsanforderungen nach § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG gerecht zu werden. Eine derartig starre prozedurale Anforderung im Hinblick auf Entscheidungsvorbereitungsprozesse erscheint im Hinblick auf den Facettenreichtum an denkbaren Organentscheidungsprozessen sowie im Hinblick auf das Erfordernis eines oftmals notwendigen schnellen Handelns im Rechtsverkehr nicht angemessen. Ein Vergleich zu § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG zeigt, dass im Rahmen unternehmerischer Entscheidungen auf der Grundlage „angemessener“ Informationen zu handeln ist.21 Der Begriff der Angemessenheit lässt dabei viel Spielraum für eine einzelfallspezifische Auslegung, um gerade der Vielfalt denkbarer „Entscheidungen“ gerecht zu werden. Insofern müssen zur Bestimmung des Umfangs der Informationsbeschaffung verschiedene Komponenten, wie beispielsweise zeitliche Umstände, Art und Bedeutung der zu treffenden Entscheidung, tatsächliche und rechtliche Möglichkeiten des Informationszugangs und das Verhältnis von Informationsbeschaffungskosten und dem voraussichtlichen Informationsnutzen, Berücksichtigung finden.22 Geschäftsleitern obliegt es mithin, im Rahmen einer vorgelagerten Selbsteinschätzung zunächst eigenständig die Angemessenheit des Informationsbeschaffungsumfangs unter Berücksichtigung betriebswirtschaftlich anerkannter Verhaltensmaßstäbe zu ermitteln.23 Gestützt wird diese Ansicht insofern, als das Angemessenheitskriterium in § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG mit dem Merkmal „vernünftigerweise annehmen durfte“ um eine objektive Komponente ergänzt wird.24 Das Vorstandsmitglied muss also aus objektiver Ex-ante-Sicht vernünftigerweise davon ausgehen dürfen, dass seine In-

20

Vgl. nochmals BGH NJW, 2008, 3361, 3362. Vgl. hierzu etwa Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, § 93, Rn. 32 ff.; Hopt/Roth, in: Großkommentar zum Aktiengesetz, § 93, Rn. 104 ff. 22 BT-Drs. 15/5092, S. 12; Fleischer, in: Spindler/Stilz, Aktiengesetz, § 93, Rn. 70 ff.; Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, § 93, Rn. 33; Hopt/Roth, in: Großkommentar zum Aktiengesetz, § 93, Rn. 105 ff.; Hölters, in: Hölters, Aktiengesetz, § 93, Rn. 34; Fleischer, ZIP 2004, 685, 691; Koch, ZGR 2006, 769, 789. 23 Vgl. hierzu auch Louven/Ernst, VersR 2014, 151, 158. 24 Fleischer, in: Spindler/Stilz, Aktiengesetz, § 93, Rn. 75; Hölters, in: Hölters, Aktiengesetz, § 93, Rn. 35. 21

162

Kap. 3: Prozedurale Anforderungen an Organentscheidungsprozesse

formationsgrundlage angemessen ist.25 Regelmäßig wird dabei gelten, dass die Bedeutung und Wichtigkeit der Entscheidung für das jeweilige Unternehmen den Umfang und den Detaillierungsgrad der adäquaten Informationsbeschaffungspflicht maßgeblich bestimmt.26 In Extremfällen kann dies gleichwohl bedeuten, dass dann, wenn die konkrete Entscheidungssituation schnelles Handeln erfordert, weil beispielsweise anderenfalls erhebliche wirtschaftliche Nachteile oder gar strafrechtliche Haftungsgefahren drohen, eine oberflächliche summarische Informationsbeschaffung zur Entscheidungsvorbereitung durchaus ausreichen kann. Dies zeigt schon die Begründung des Gesetzgebers, der ausdrücklich den Informationsumfang vom jeweiligen Zeitvorlauf der zu treffenden Entscheidung abhängig macht und darüber hinaus selbst davon ausgeht, dass auch ein Unterlassen im Einzelfall als pflichtwidrig angesehen werden kann.27 Gleichwohl muss selbstverständlich auch in diesen Fällen die Informationsbeschaffung im Hinblick auf die konkrete Entscheidungssituation angemessen, nachvollziehbar und vernünftig sein.28 Umgekehrt kann auch gelten, dass in Fällen besonderer wirtschaftlicher Tragweite und darauf basierender Unsicherheitsmomente und einer entsprechenden Komplexität Rechtsrat und gegebenenfalls Rat in Bezug auf wirtschaftliche und steuerliche Fragen eingeholt werden muss.29 Denn oftmals sind Rechts- und Tatfragen eng miteinander verknüpft.30 Der jeweils erforderliche Informationsumfang korreliert mithin grundsätzlich mit dem jeweiligen Zuschnitt des Prüfungsgegenstandes.31 2. Eingeschränkter rechtlicher Beratungsbedarf bei Geschäftsleitern aufsichtsunterworfener Bank- und Versicherungsunternehmen? Fraglich bleibt jedoch, in welchen Fällen der Geschäftsleiter sachkundigen Rechtsrat einholen kann oder sogar muss, um seinen Haftungsgefahren nach § 93 Abs. 2 AktG entgegenzuwirken.

25 Hölters, in: Hölters, Aktiengesetz, § 93, Rn. 35; Fleischer, in: Spindler/Stilz, Aktiengesetz, § 93, Rn. 74. 26 Zutreffend Louven/Ernst, VersR 2014, 151, 157. 27 BT-Drs. 15/5092, S. 11 f. 28 Louven/Ernst, VersR 2014, 151, 157 f. 29 Vgl. OLG Stuttgart, 25. 11. 2009 – 20 U 5/09, WM 2010, 120 ff.; so auch Buck-Heeb, BB 2013, 2247, 2255. 30 So Fleischer, NZG 2010, 121, 124; vgl. auch Fleischer, in: Spindler/Stilz, Aktiengesetz, § 93, Rn. 29, der im Hinblick auf die Einschätzung der Rechtslage ggf. die Einholung einer zweiten Meinung nach dem Vier-Augen-Prinzip fordert. 31 Sander/Schneider, ZGR 2013, 725, 751; Strohn, ZHR 176 (2012), 137, 139.

B. Verhaltensleitlinien in Bezug auf prinzipienbasierte Normen

163

a) Mindestmaß an Qualifikationsanforderungen als allgemeine Grenze rechtlichen Beratungsbedarfs Das Versicherungsaufsichts- sowie das Kreditwesengesetz stellen besondere Ansprüche an die Qualifikation der Geschäftsleiter, die über die allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Anforderungen deutlich hinausgehen.32 Die fachliche Eignung gemäß § 25c Abs. 1 Satz 2 KWG bzw. § 24 Abs. 1 Satz 2 und 3 VAG setzen in ausreichendem Maße theoretische und praktische Kenntnisse in Bank- bzw. Versicherungsgeschäften sowie Leitungserfahrung voraus.33 Gemäß § 25c Abs. 1 Satz 3 KWG bzw. § 24 Abs. 1 Satz 4 VAG ist die fachliche Eignung dann gegeben, wenn ein Geschäftsleiter eine dreijährige leitende Tätigkeit bei einem Bank- bzw. Versicherungsunternehmen von vergleichbarer Größe und Geschäftsart nachweisen kann. Diese qualitativen Anforderungen werden durch die BaFin weiter konkretisiert, indem die fachliche Eignung in einem angemessenen Verhältnis zur Größe, systematischen Relevanz des Unternehmens sowie zu Art, Umfang, Komplexität und Risikogehalt der Geschäftsaktivitäten des Unternehmens stehen soll.34 Jeder Geschäftsleiter muss mithin über gehobene allgemeine Kenntnisse in den Geschäftsbereichen, auf die sich die Erlaubnis erstreckt, verfügen, verbunden mit eingehenden Spezialkenntnissen auf Geschäftsgebieten, die das Unternehmen betreiben will.35 Gleichwohl kann jedoch, insbesondere in großen Bank- und Versicherungsunternehmen, nicht verlangt werden, dass der Geschäftsleiter in allen Geschäftsbereichen stets über Spezialkenntnisse verfügt.36 Aus diesen Sorgfaltsanforderungen an Leitungsorgane aufsichtsunterworfener Finanzdienstleistungsunternehmen lässt sich ableiten, dass der Einholung von Rechtsrat durchaus gewisse Grenzen gesetzt sind.37 In Fällen, in denen die jeweilige 32

Vgl. hierzu nochmals oben Kapitel 1, B. II. Angemessene Qualifikationen, Erfahrungen, Kenntnisse sind insbesondere in Bereichen wie Versicherungs- und Finanzmärkte, Geschäftsstrategie und Geschäftsmodell, GovernanceSystem, Finanzanalyse und versicherungsmathematische Analyse sowie regulatorische Rahmen und Anforderungen vonnöten, die die Mitglieder des Leitungsorgans während ihrer Amtszeit weiter pflegen und vertiefen müssen. Vgl. hierzu EIOPA, Leitlinien zum Governance System 08/2013, S. 8 sowie EBA-Leitlinien zur Internen Governance (GL 44) vom 27. September 2011, S. 16 f. 34 Vgl. BaFin, Merkblatt für die Prüfung der fachlichen Eignung und Zuverlässigkeit von Geschäftsleitern gemäß VAG, KWG, ZAG und InvG vom 20. Februar 2013, A), I. 1. 35 Vgl. Fischer, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, § 33, Rn. 56. 36 Zutreffend Fischer, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, § 33, Rn. 56: Ausreichend sei es, „wenn die Geschäftsleiter über gehobene allgemeine Kenntnisse und Erfahrungen im Bank- und Finanzdienstleistungsgeschäft verfügen und Spezialkenntnisse bei jeweils mindestens einem Geschäftsleiter für die von dem Institut geplanten bzw. betriebenen Geschäftsarten nachgewiesen werden.“ 37 Ähnlich Binder, AG 2012, 885, 891: „Ist das Organmitglied selbst in der Lage, entsprechende Beurteilungen vorzunehmen, so bedarf es von vornherein nicht der Einschaltung externer Berater, Gutachter o. Ä.: eine pauschale Pflicht zur Einbindung rechts- oder sonst fachkundiger Personen ist nicht begründbar.“ 33

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Kap. 3: Prozedurale Anforderungen an Organentscheidungsprozesse

Kompetenz bzw. fachliche Qualifikation der Geschäftsleiter ausreicht, obliegt es diesen, selbstständig und ohne vorherige Einholung von Rechtsrat zu handeln.38 Denn grundsätzlich gehört das Verbot, Gesellschaftsvermögen zu verschwenden, zu den wesentlichen Sorgfaltspflichten eines jeden Vorstands.39 Pflichtwidrig – und mithin als Verschwendung des Gesellschaftsvermögens – ist nämlich insbesondere auch der Abschluss eines für die Gesellschaft nutzlosen Beratervertrages anzusehen.40 Gleiches muss in diesem Zusammenhang für überflüssige Beratungsverträge gelten, sofern der jeweilige Geschäftsleiter aufgrund seiner den aufsichtsrechtlichen Vorgaben entsprechenden fachlichen Eignung zu einer autonomen Beurteilung in der Lage ist bzw. sein müsste.41 Mithin kann sowohl der Verzicht auf die Einholung von Rechtsrat im Falle fehlender persönlicher Kompetenz als auch die Einholung von Rechtsrat im Falle hinreichender Eigenkompetenz eine schadensersatzbegründende Handlung darstellen.42 b) Konkretisierung der unklaren Rechtslage durch aufsichtsbehördliche Verlautbarungen? Im Rahmen des aufsichtsunterworfenen Banken- und Versicherungssektors werden bekanntlich eine Vielzahl von gesetzlichen Pflichtenkatalogen durch aufsichtsbehördliche Verlautbarungen ergänzt und konkretisiert. Sofern solche Konkretisierungen im Rahmen der zu prüfenden spezifischen Rechtsfrage bestehen, könnte dies den Beratungsbedarf der jeweiligen Geschäftsleiter einschränken. Wenn nun die strikte Befolgung aufsichtsbehördlicher Verlautbarungen eine Art „Safe Harbour“ begründen würde, könnte ein zusätzlicher Expertenrat als Verschwendung des Gesellschaftsvermögens angesehen werden. aa) Konkretisierung des Sorgfaltsmaßstabes durch aufsichtsbehördliche Verlautbarungen? Aufsichtsbehördliche Verlautbarungen entfalten jedoch bekanntlich mangels entsprechender Gesetzesqualität keine Außenwirkung und können mithin auch nicht 38 So auch Bürkle, VersR 2013, 792, 799; Müller, NZG, 2012, 981, 982; vgl. auch Binder, AG 2012, 885, 889 f.: Vom Vorstand kann zwar verlangt werden, bestehende rechtliche Anforderungen aufzuklären, eine Pflicht, jegliche rechtliche Zweifel zu erkennen, bestehe jedoch nicht. 39 Fleischer, in: Fleischer, Hdb. des Vorstandsrechts, § 7, Rn. 71; ders., in Spindler/Stilz, Aktiengesetz, § 93, Rn. 90; Bachmann, NZG 2013, 1121 ff.; Hopt/Roth, in: Großkommentar zum Aktiengesetz, § 93, Rn. 190 f. 40 Vgl. BGH NJW 1997, 741: Unternehmensberatung durch Rechtsreferendar; Fleischer, in: Fleischer, Hdb. des Vorstandsrechts, § 7 Rn. 71; ders., in: Spindler/Stilz, Aktiengesetz, § 93, Rn. 90. 41 Bürkle, VersR 2013, 792, 799; für entsprechende Restriktionen in diesem Bereich plädiert Fleischer, KSzW 2013, 3, 6, 7. 42 Sander/Schneider, ZGR 2013, 725, 748.

B. Verhaltensleitlinien in Bezug auf prinzipienbasierte Normen

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unmittelbar dem Pflichtenkatalog des Geschäftsleiters zugeordnet werden.43 Somit liegt es auf der Hand, dass nach dem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes Verstöße gegen aufsichtsbehördliche Verlautbarungen zunächst keine unmittelbaren Sanktionen zur Folge haben können.44 Dennoch wird teilweise angenommen, dass bei allgemeiner Beachtung aufsichtsbehördlicher Verlautbarungen diese als Branchenstandard qualifiziert werden können und dadurch auch den Pflichtenkatalog bzw. den Sorgfaltsmaßstab des Geschäftsleiters zu konkretisieren geeignet sind.45 Deshalb könne beispielsweise die MaRisk in der Praxis durchaus als verbindliche Richtlinie angesehen werden.46 Diese Ansicht widerspricht jedoch der Einordnung aufsichtsbehördlicher Vorgaben als „soft law“. Sofern es um die Rundschreibenpraxis der BaFin geht, ist anerkannt, dass diese allenfalls zu einer Selbstbindung derselben führen kann.47 Gegen eine Einordnung aufsichtsbehördlicher Verlautbarungen als Konkretisierung des Sorgfaltsmaßstabes spricht zudem, dass teilweise deren Regelungen zwar konkrete Organisations- und Verfahrensvorgaben beinhalten, andererseits jedoch auch weit über den Wortlaut der jeweiligen gesetzlich normierten Vorgaben hinausgehen.48 bb) Haftungsprivilegierung durch Befolgung aufsichtsbehördlicher Verlautbarungen? Da insofern aufsichtsbehördliche Verlautbarungen von vornherein nicht zu einer generellen Konkretisierung der vom Geschäftsleiter anzuwendenden Sorgfalt führen können, stellt sich die Frage, ob die Befolgung derselben dann überhaupt noch dazu geeignet sein kann, eine Art „Safe Harbour“ für die Geschäftsleiter zu begründen. Ausweislich § 6 Abs. 2 KWG ist Hauptziel der Bankenaufsicht, Missständen im Kreditwesen entgegenzuwirken, die (1) die Sicherheit der den Instituten anvertrauten Vermögenswerte gefährden, (2) die ordnungsgemäße Durchführung der Bankgeschäfte beeinträchtigen oder (3) erhebliche Nachteile für die Gesamtwirtschaft nach sich ziehen können. Im Bereich des Versicherungsaufsichtsrechts geht es primär darum, die Belange der Versicherten und der Begünstigten von Versicherungsleistungen ausreichend zu wahren, vgl. § 294 Abs. 1 VAG. Gemäß § 298 Abs. 1 Satz 1 VAG gehört es darüber hinaus auch zu den Zielen der laufenden Aufsicht, Missstände zu vermeiden und zu beseitigen. Zu diesen Zwecken verfolgt die Bank- und Versicherungsaufsicht einen risikoorientierten Aufsichtsansatz, der im Zuge jüngster Reformen zunehmend die gesamte Geschäftstätigkeit der Unternehmen und deren Geschäftsleiter umfasst. Eine Verantwortung dahingehend, dass es den Aufsichts43

Vgl. hierzu nochmal oben Kapitel 2, B. II. 2. b). Blasche, WM 2011, 343, 347. 45 BGHSt 47, 148, 152 = WM 2002, 225, 229; Fischer, in: Krieger/Schneider, Handbuch der Managerhaftung, § 29, Rn. 21. 46 Fischer, in: Krieger/Schneider, Handbuch der Managerhaftung, § 29, Rn. 21. 47 Vgl. nochmals oben Kapitel 2, B. II. 2. b) aa). 48 Dengler, WM 2014, 2032, 2039. 44

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Kap. 3: Prozedurale Anforderungen an Organentscheidungsprozesse

behörden durch ihre Verlautbarungen obliegt, einen verpflichtenden unternehmensspezifischen Anforderungskatalog in Bezug auf gesetzlich normierte Vorgaben zu entwerfen, ginge jedoch zu weit.49 Dies gilt umso mehr, wenn man sich den im Aufsichtsrecht geltenden Proportionalitätsgrundsatz vergegenwärtigt. Durch den prinzipiengeleiteten Regulierungstrend wird gerade den Aufsichtsadressaten ermöglicht und auch auferlegt, unternehmensindividuelle Spezifikationen bei der Auslegung und Anwendung des Pflichtenprogrammes zu berücksichtigen. Diese unternehmensindividuellen Erfordernisse können dabei im Einzelfall weit über das jeweilige Anforderungsprofil der aufsichtsbehördlichen Verlautbarungen hinausgehen.50 Bei der Konkretisierung des Leitungsauftrages des Geschäftsleiters, mithin auch bei der Berücksichtigung unternehmensindividueller Besonderheiten, spielen außerdem auch verbandsendogene Interessen eine erhebliche Rolle, die von der allein dem öffentlichen Interesse verpflichteten Aufsicht gerade nicht umfasst werden. Entscheidend ist jedoch, dass aufsichtsbehördliche Verlautbarungen, wie in Kapitel 2 bereits ausführlich erörtert, keinerlei rechtliche Bindungswirkung entfalten und gerichtlich auch voll überprüfbar sind – mit anderen Worten den Aufsichtsbehörden keine abschließende Norminterpretationskompetenz zugesprochen werden kann. Im Ergebnis spricht dies gegen die Annahme der Einhaltung aufsichtsbehördlicher Verlautbarungen als „Safe Harbour“. Darüber hinaus ist es anerkannt, dass öffentlich-rechtliche Vorgaben nach einem allgemeinen haftungsrechtlichen Grundsatz die im Verkehr erforderliche Sorgfalt weder verbindlich noch abschließend definieren.51 Die Befolgung aufsichtsbehördlicher Verlautbarungen begründet mithin keinen pauschalen „Safe Harbour“ für den Rechtsanwender. Demzufolge kann die Existenz derartiger Texte in Bezug auf eine spezifische Rechtsfrage im Rahmen des Erkenntnisbereichs auch nicht zu einer Einschränkung des damit verbundenen rechtlichen Beratungsbedarfs führen. cc) Schlussfolgerung Schlussfolgernd lässt sich damit zusammenfassen, dass die Einholung von Rechts- bzw. Expertenrat immer dann zulässig und auch geboten ist, wenn die konkrete Entscheidungssituation es erfordert, die fehlende Expertise des Geschäftsleiters auszugleichen.52 Dies wird regelmäßig dann der Fall sein, wenn es sich um eine besonders komplexe rechtliche Beurteilung handelt, die Rechtslage unklar und umstritten ist oder beispielsweise die Tragweite und Bedeutung der jeweiligen

49 50 51 52

Zutreffend Dengler, WM 2014, 2032, 2039. Dengler, WM 2014, 2032, 2039. Schäfer/Zeller, ZBB 2009, 1706, 1710; Dengler, WM 2014, 2032, 2039. Binder, AG 2012, 885, 888, 891; Bürkle, VersR 2013, 792, 799.

B. Verhaltensleitlinien in Bezug auf prinzipienbasierte Normen

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Entscheidung eine umfassendere Informationsbeschaffung rechtlich erfordert.53 Das Bedürfnis an zusätzlicher rechtlicher Beratung ist mithin an den Grad der Komplexität der Entscheidung gekoppelt und steigt mit dieser gleichermaßen, was in Extremfällen bis hin zu einer strikten Pflichtenbindung hinsichtlich der Frage, „ob“ Rechtsrat eingeholt werden muss, führen kann.54 Insofern gehört es zum gebotenen Sorgfaltsmaßstab des jeweiligen Geschäftsleiters, eine gewisse Sensibilität mitzubringen, um mangelnde eigene Expertise zu erkennen.55 Die Existenz aufsichtsbehördlicher Verlautbarungen zur infrage stehenden Problematik führt indes nicht zu einer Einschränkung des rechtlichen Beratungsbedarfs.

III. Verfahren der Einholung und Überprüfung von Rechtsrat Kommt der Geschäftsleiter zu dem Schluss, dass die jeweilige Entscheidungssituation seine Kompetenzen überschreitet, so stellt sich die Frage des „Wie“ und der „Art und Weise“ der Einholung von Rechtsrat. In der sog. ISION-Entscheidung hat der BGH im Jahr 2011 diese Organpflichten bei der Rechtsermittlung erstmals näher skizziert. Hiernach kann der Organvertreter diesen strengen Anforderungen nur gerecht werden, „wenn er sich unter umfassender Darstellung der Verhältnisse der Gesellschaft und Offenlegung der erforderlichen Unterlagen von einem unabhängigen, für die zu klärende Frage fachlich qualifizierten Berufsträger beraten lässt und den erteilten Rechtsrat einer sorgfältigen Plausibilitätskontrolle unterzieht.“56 1. Anforderungen in Bezug auf den Rechtsberater Zunächst obliegt es dem Geschäftsleiter, gewisse prozedurale Vorgaben für die Auswahl eines adäquaten Rechtsberaters sowie dessen Informationsversorgung zu beachten. a) Unabhängigkeit des Rechtsberaters Eine der essentiellen Voraussetzungen, die das Leitungsorgan bei der Auswahl von Rechtsberatern zu beachten hat, ist deren „Unabhängigkeit“.57 Diese ist jedenfalls dann gegeben, wenn im konkreten Einzelfall keine Gefahr von Interes53 Vgl. BGH NZG, 2007, 545, 547; OLG Stuttgart, NZG 2010, 141, 144; Buck-Heeb, BB 2013, 2247, 2255; Louven/Ernst, VersR, 2014, 151, 158; Spindler, in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, § 93, Rn. 78; Fleischer, NZG 2010, 121, 122. 54 Zutreffend Buck-Heeb, BB 2013, 2247, 2255. 55 Binder, AG 2008, 274, 283; ders., AG 2012, 885, 890; Strohn, ZHR 176 (2012), 137, 139; ders., CCZ 2013, 177, 180; Sander/Schneider, ZGR 2013, 725, 748; andeutungsweise auch BGH NJW 2007, 2118, 2120. 56 BGH NZG 2011, 1271, 1273. 57 BGH NZG 2011, 1271.

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Kap. 3: Prozedurale Anforderungen an Organentscheidungsprozesse

senskonflikten droht bzw. der Experte bei seiner beratenden Tätigkeit keinerlei Eigeninteressen verfolgt und Anhaltspunkte fehlen, dass er unprofessionell handelt oder bestechlich ist.58 Beauftragt der Geschäftsleiter externe Spezialisten, erscheinen Bedenken im Hinblick auf das Unabhängigkeitskriterium regelmäßig unbegründet.59 Fraglich und umstritten ist hingegen, ob das handelnde Leitungsorgan sich im Einzelfall auf die Beratung durch die eigene unternehmensinterne Rechtsabteilung beschränken kann. aa) Unabhängigkeit der eigenen Rechtsabteilung? Bei der Beratung durch Inhouse- bzw. Unternehmensjuristen der eigenen Rechtsabteilung stellt sich die Frage, ob dann noch von einer unabhängigen Rechtsberatung ausgegangen werden kann. Teilweise wird in der rechtswissenschaftlichen Literatur60 und Judikatur61 vertreten, dass aufgrund eines bestehenden Näheverhältnisses zwischen Unternehmen und eigener Rechtsabteilung eine Unabhängigkeit nicht mehr gegeben sei. Dem externen Berater soll aufgrund der fehlenden Weisungsabhängigkeit jedenfalls der höhere Entlastungswert beigemessen sein.62 Der BGH hat in seiner ISION-Entscheidung zu diesem Punkt selbst keine eindeutige Stellung bezogen. Im konkreten Fall forderte der zweite Zivilsenat zwar die Einholung einer weiteren, „vor allem unabhängigen Meinung“, was wiederum für das Erfordernis eines externen Rechtsrats sprechen könnte.63 Allerdings lag dieser Überzeugung die Einschätzung zugrunde, dass ein Aufsichtsratsmitglied des Unternehmens, das gleichzeitig Mitglied der beauftragten Kanzlei war, theoretisch Einfluss auf den Inhalt des von der Kanzlei erteilten Rechtsrats hätte nehmen können.64 Der eigenen Rechtsabteilung kommt in der Praxis unter anderem die Aufgabe zu, die Unternehmensleitung und die Fachbereiche bei der Ermittlung und Bewertung relevanter Rechtsrisiken zu unterstützen, über die Einhaltung der rechtlichen Rahmenbedingungen der unternehmerischen Tätigkeit zu wachen oder auch ganz allgemein als „Wächter des Rechts“65 bzw. als „rechtliches Gewissen“66 des Unter58 Kirch-Heim/Samson, wistra 2008, 81, 83; Bürkle, VersR 2013, 792, 800; Ritter, in: Schüppen/Schaub, Münchener Anwaltshandbuch Aktienrecht, § 24, Rn. 14; Louven/Ernst, VersR 2014, 151, 158. 59 So auch Louven/Ernst, VersR 2014, 151, 158. 60 E. Vetter, EWiR 2011, 793, 794. 61 Vgl. beispw. BGH NJW 1982, 938, 939. 62 So Hölters, in: Hölters, Aktiengesetz, § 93, Rn. 249. 63 BGH NZG 2011, 1271, 1272. 64 Vgl. BGH NZG 2011, 1271, 1272: „Allein der Umstand, dass es denkbar erscheine, dass der Bekl. zu 3 als Mitglied der Kanzlei Einfluss auf die Begutachtung genommen habe, reiche aus, den Vorstandsmitgliedern sehr hohe Sorgfaltspflichten aufzuerlegen.“ 65 Schwung, BB 2007, 2419, 2421. 66 Kremer/Vormizeele, AG 2011, 245, 246.

B. Verhaltensleitlinien in Bezug auf prinzipienbasierte Normen

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nehmens dieses als solches bzw. dessen Leitungsorgane bei der Beurteilung juristischer Probleme zu unterstützen.67 Zwar ist es durchaus denkbar, dass Syndikusanwälten auch unternehmerisch-strategische Aufgaben zukommen können,68 doch unterliegen diese gleichermaßen wie auch externe Rechtsberater den standesrechtlichen Geboten zur Wahrung der anwaltlichen Unabhängigkeit.69 So entschied auch der BGH bereits im Jahre 1999, dass der Syndikusanwalt zum einen als Arbeitnehmer, der keine Unabhängigkeit besitzt, sondern dem Prinzip der Über- und Unterordnung unterliegt, und zum anderen als freier, unabhängiger Anwalt anzusehen ist.70 Eine pauschale Ablehnung der eigenen Rechtsabteilung in Bezug auf das Unabhängigkeitskriterium ist deshalb im Einklang mit der herrschenden Ansicht abzulehnen.71 Denn wirtschaftliche Abhängigkeiten sind sowohl bei externen wie auch bei Inhouse-Juristen prinzipiell denkbar. Auch im Bereich eines freien Dienstvertrages besteht ein Gefährdungspotential in Form eines durch Anweisungen des Ratsuchenden möglichen Einflussnahmepotentials.72 bb) Aufsichtsrechtliche Besonderheiten (1) Zulässigkeit der Beratung durch unternehmensinterne Juristen im Rahmen der Vergütungsvorgaben Im Bereich des Finanzaufsichtsrechtes wird auf nationaler Ebene die Beratung durch unternehmensinterne Juristen ausdrücklich als zulässig erachtet. Beispielsweise haben nach § 6 VersVergV bzw. § 14 InstitutsVergV die Bank- und Versicherungsunternehmen darauf hinzuwirken, dass bestehende (Alt-)Verträge, die mit der jeweils gültigen Verordnung nicht vereinbar sind, auf der Grundlage einer für Dritte nachvollziehbaren fundierten juristischen Begutachtung der Rechtslage und unter Berücksichtigung der konkreten Erfolgsaussichten anzupassen sind, soweit dies rechtlich zulässig ist. Im Rahmen dieser vergütungsrechtlichen Anpassungen ist 67 Vgl. hierzu auch Wagner, BB 2012, 651, 654 ff.; Hauschka/Spiekermann, in: Hauschka, Corporate Compliance, § 15, Rn. 1 ff.; Strohn, ZHR 176 (2012) 137, 140 f.; zu den Aufgaben der internen Rechtsabteilung vgl. auch „Rechtsabteilungs-Report 2011/12“, S. 19, abrufbar unter: http://www.frankfurt-main.ihk.de/imperia/md/content/pdf/recht/folien_general_counsel_ benchmarking_report_2011.pdf. 68 So Hommerich, AnwBI 2009, 406, 407. 69 Vgl. insb. §§ 1, 43a BRAO, so zutreffend Binder, AG 2012, 885, 892; Bicker, AG 2014, 8, 10 f. 70 BGH VersR 2000, 595 = NJW 199, 1715. 71 Binder, AG 2012, 885, 892; ders., ZGR 2012, 757, 771; Buck-Heeb, BKR 2011, 441, 447; Fleischer, NZG 2010, 121, 123 f.; Kiefner/Krämer, AG 2012, 498, 501 ff.; Kirch-Heim/ Samson, wistra 2008, 81, 84; Lang/Balzer, WM 2012, 1167, 1174; Merkt/Mylich, NZG 2012, 525, 528; Peters, AG 2010, 810, 816; Selter, AG 2012, 11 15; Wagner, BB 2012, 651, 654 ff.; Bürkle, VersR 2013, 792, 800; Louven/Ernst, VersR 2014, 151, 158. 72 Sander/Schneider, ZGR 2013, 725, 751.

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Kap. 3: Prozedurale Anforderungen an Organentscheidungsprozesse

anerkannt, dass die „fundierte juristische Begutachtung der Rechtslage“ auch durch interne sachkundige Mitarbeiter des Unternehmens erfolgen kann.73 (2) Aufsichtsrechtliche Beratung durch die Compliance-Funktion Für eine Unabhängigkeit der eigenen Rechtsabteilung aufsichtsunterworfener Unternehmen spricht darüber hinaus auch die Pflicht zur Einrichtung einer aufsichtsrechtlich erforderlichen Compliance-Funktion.74 Gemäß § 46 Abs. 2 Satz 1 der Solvency-II-Richtlinie bzw. nach § 29 Abs. 2 VAG ist die aufsichtsrechtliche Unterstützung und Beratung der Geschäftsleitung eine der zentralen Aufgaben der Compliance-Funktion. Nach der behördlichen Ansicht der BaFin gilt gleiches auch im Bereich des Versicherungsaufsichtsrechtes, vgl. AT 4.4.2, Ziff. 1, Satz 3 MaRisk (BA). Aufgrund der Tatsache, dass die Compliance-Funktion anerkanntermaßen auch durch eigene Arbeitnehmer wahrgenommen werden kann,75 wird deshalb der Schluss gezogen, dass eine interne Beratung den Anforderungen an eine ordnungsgemäße aufsichtsrechtliche Selbsteinschätzung genüge.76 (3) Keine pauschale Unabhängigkeit unternehmensinterner Rechtsberater Eine „klare rechtliche Grundlage“ für die Begründung der generellen Unabhängigkeit unternehmensinterner Rechtsabteilungen kann hieraus jedoch nicht abgeleitet werden.77 Zutreffend ist, dass es durchaus gewisse Konstellationen geben kann, in denen der Geschäftsleiter sich auf internen Rechtsrat beschränken kann. Allerdings beziehen sich vorstehend genannten aufsichtsrechtlichen Besonderheiten auf einzelne spezifische Aufgabengebiete. Außerdem darf die interne ComplianceFunktion trotz bestehender Aufgabenüberschneidungen78 nicht generell mit der Rechtsabteilung gleichgesetzt werden. Zwar wird es für zulässig erachtet, dass z. B. der Leiter der Rechtsabteilung auch die Leitung der Compliance-Funktion wahrnehmen kann.79 Doch ist, je nach interner Unternehmensstruktur, auch weiterhin zwischen der Rechtsabteilungs- und der Compliance-Funktion zu differenzieren, deren Aufgaben und Kompetenzen sich im Einzelfall nicht vollumfänglich decken.80 73 Vgl. BaFin, Auslegungshilfe zur Verordnung über die aufsichtsrechtlichen Anforderungen an Vergütungssysteme von Instituten, Stand 26. 08. 2013, sowie die Begründung zur Verordnung über die aufsichtsrechtlichen Anforderungen an Vergütungssysteme im Versicherungsbereich vom 06. Oktober 2010. So auch Bürkle, VersR 2013, 792, 800; Annuß/Sammet, BB 2011, 115, 119; Armbrüster, VersR 2011, 1, 9; Bartel/Bilobrk/Zopf, BB 2011, 1269, 1267; Dreher, VW 21/2010, 1508, 1510. 74 Vgl. Bürkle, VersR 2013, 792, 800. 75 Vgl. bspw. Erwägungsgrund 31, S. 4 der Solvency-II-Richtlinie. 76 So Bürkle, VersR 2013, 792, 800. 77 So aber wohl Bürkle, VersR 2013, 792, 800. 78 Der Compliance-Funktion obliegt auch in gewissem Maße eine rechtliche Beratung, vgl. Art. 46 Abs. 2 Solvency-II-Richtlinie. 79 Dreher, VersR, 2012, 933, 941. 80 Vgl. hierzu Hauschka/Spiekermann, in: Hauschka, Corporate Compliance, § 15, Rn. 27.

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Gegen eine generelle Unabhängigkeit interner Rechtsberater spricht darüber hinaus, dass der europäische Richtliniengeber im Bereich des Versicherungsaufsichtsrechtes in Bezug auf die Festlegung der unternehmensinternen unabhängigen „Schlüsselfunktionen“ offensichtlich bewusst auf die Miteinbeziehung der Rechtsabteilung verzichtet hat.81 cc) Einzelfallbezogene Abwägung in Bezug auf das Unabhängigkeitskriterium Dem Leitungsorgan aufsichtsunterworfener Unternehmen obliegt es mithin, für jeden spezifischen Einzelfall zu überprüfen, ob die konkreten Umstände Anlass dazu geben, dass eine unabhängige Beratung durch Inhouse-Juristen nicht mehr gegeben ist.82 Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn die als Arbeitnehmer angestellten Juristen nicht autonom handeln, da sie beispielsweise aufgrund bestehender Weisungen bzw. Vorgaben der Geschäftsleitung in ihrer autonomen Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit erheblich beschränkt sind und damit die Gefahr droht, dass das Beratungsergebnis durch die Geschäftsleitung beeinflusst wurde.83 Immer dann, wenn also die Geschäftsleitung internen Rechtsberatern konkrete Vorgaben hinsichtlich der Erwartungshaltung bzw. des gewünschten Ergebnisses einer rechtlichen Beurteilung macht, erscheint deren Unabhängigkeit wohl nicht mehr gegeben.84 Umgekehrt können eventuell bestehende interne Unternehmensrichtlinien, die die Unabhängigkeit der Rechtsabteilung in Bezug auf die rechtliche Beratung postulieren, für die Möglichkeit unternehmensinterner Beratung im Einzelfall sprechen.85 Da die Einhaltung der Voraussetzungen in Bezug auf eine ordnungsgemäße Beratung in der Praxis regelmäßig ein Beweisproblem darstellt,86 empfiehlt es sich, das Unternehmen so zu strukturieren, dass die Einhaltung der Unabhängigkeit, beispielsweise durch eine von der Rechtsabteilung selbstständige Compliance-Abteilung, überwacht wird.87

81 Zum Begriff und Inhalt der Schlüsselfunktionen nach Solvency-II vgl. Dreher, VersR 2012, 933. 82 Zutreffend Binder, AG 2012, 885, 892; ders., ZGR 2012, 757, 771; Louven/Ernst, VersR 2014, 151, 158; Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 43 GmbHG, Rn. 14. 83 Wagner, BB 2012, 651, 656; Binder, AG 2012, 885, 892; Fleischer, in: Spindler/Stilz, Aktiengesetz, § 93, Rn. 35c; ders., in: FS Hüffer, 2010 S. 187, 192, 196; Hölters, in: Hölters, Aktiengesetz, § 93, Rn. 249. 84 Strohn, ZHR 176 (2012), 137, 141. 85 Wagner, BB 2012, 651, 656. 86 Wagner, BB 2012, 651, 656; zustimmend Binder, AG 2012, 885, 892. 87 Zutreffend Wagner, BB 2012, 651, 656.

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Kap. 3: Prozedurale Anforderungen an Organentscheidungsprozesse

dd) Interne versus externe Rechtsberatung Die rechtliche Beratung kann mithin je nach den Gegebenheiten des spezifischen Einzelfalls sowohl von Inhouse-Juristen als auch von externen Rechtsexperten erfolgen. Die jeweiligen wesentlichen Vor- und Nachteile liegen auf der Hand. Für die Beratung durch die eigene Rechtsabteilung bzw. interne Rechtsberater sprechen insbesondere Kostengründe.88 Die Beauftragung externer Rechtsanwälte ist je nach Umfang und Komplexität des Falls oftmals mit immensen Kosten verbunden. Außerdem fehlt externen Beratern häufig die Nähe zum jeweiligen Unternehmen. Inhouse-Juristen sind hingegen meist mit den einzelnen Gegebenheiten, wie beispielsweise Unternehmensstrukturen, Unternehmensausrichtung und Unternehmensziel, von Natur aus enger vertraut als externe Berater. Für die Beauftragung externer Rechtsberater spricht hingegen zunächst die leichte Beweisbarkeit im Hinblick auf das Unabhängigkeitskriterium. Außerdem fehlt internen Rechtsberatern häufig auch die notwendige Expertise in teils sehr speziellen, hochkomplexen aufsichtsrechtlichen Themengebieten. Insbesondere neue aufsichtsrechtliche prinzipienbasierte Vorgaben zur internen Corporate Governance führen künftig zu einem steigenden Beratungsbedarf, der je nach interner Unternehmensorganisation dazu führt, dass interne Rechtsberater in personeller Hinsicht der anstehenden Arbeitsbelastung nicht mehr gewachsen sind.89 Hierfür spricht insbesondere der in den vergangenen Jahren erkennbare Trend der steigenden Fremdvergabe in spezifischen Rechtssachen.90 Leitungsorgane müssen mithin wiederum im konkreten Einzelfall entscheiden, ob eine unabhängige adäquate Rechtsberatung – insbesondere im Hinblick auf die Expertise und Arbeitsbelastung durch interne Rechtsberater – gegeben ist oder vielmehr Art und Umfang, wirtschaftliche Tragweite und Komplexität der zu treffenden Entscheidung die Beauftragung externer Rechtsberater erfordert91 oder sogar darüber hinaus die Einholung einer zweiten Rechtsmeinung nach dem Vier-AugenPrinzip geboten sein kann.92 In haftungsrechtlicher Hinsicht stellt sich in diesem Zusammenhang schließlich noch die Frage, ob sich gegebenenfalls Unterschiede hinsichtlich der Zurechnung des Beraterverschuldens nach § 278 BGB ergeben können. Nach der gegenwärtigen 88 Decker, GmbHR 2014, 72, 75 f.; vgl. auch „Rechtsabteilungs-Report 2011/12“, S. 18, 20, abrufbar unter: http://www.frankfurt-main.ihk.de/imperia/md/content/pdf/recht/folien_gene ral_counsel_benchmarking_report_2011.pdf. 89 So auch Decker, GmbHR 2014, 72, 75 f.; vgl. auch „Rechtsabteilungs-Report 2011/12“, S. 20. 90 Vgl. „Rechtsabteilungs-Report 2011/12“, S. 24. 91 Vgl. Spindler, in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, § 93, Rn. 78. 92 Vgl. Spindler, in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, § 93, Rn. 78; Bicker, AG 2014, 8, 11; kritisch hierzu Buck-Heeb, BB 2013, 2247, 2255, die darauf abstellt, dass eine Einstufung der rechtlichen Lage durch Experten als „unsicher“ dazu führt, dass im Hinblick auf diese rechtliche Lage insofern keine Zweifel bestehen.

B. Verhaltensleitlinien in Bezug auf prinzipienbasierte Normen

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herrschenden Ansicht soll eine Zurechnung in Fällen vertikaler Delegation und mithin auch im Rahmen der Einholung internen Expertenrates ausgeschlossen sein.93 Bei der Beurteilung der Zurechnung im Falle externer Berater soll nach der Rechtsprechung des BGH danach zu fragen sein, „ob das Vorstandsmitglied eine Hilfsperson in die Erfüllung eigener Verbindlichkeiten einschaltet“.94 Beauftragt der ratsuchende Geschäftsleiter externe Experten, so handelt er in Erfüllung seiner oben beschriebenen Beratungsbedürftigkeit.95 Denn im Rahmen des typisierten Sorgfaltsmaßstabes des § 276 BGB ist es nicht Aufgabe des beratungsbedürftigen Leitungsorgans, eine nach § 275 Abs. 1 BGB unmögliche Leistung zu erbringen und die Frage selbst zu beantworten.96 Alleinige Pflicht des externen Beraters ist hingegen, Auskunft gemäß dem jeweiligen Prüfungsauftrag zu erteilen.97 Insofern ist eine Zurechnung des Beraterverschuldens nach § 278 BGB im hier zu untersuchenden Zusammenhang stets auszuschließen.98 ee) Kein Verlust der Unabhängigkeit aufgrund Vorbefassung mit dem Entscheidungsgegenstand Fraglich ist weiter, ob ein Berater seine „Unabhängigkeit“ verlieren kann, wenn er mit dem zu beurteilenden Sachverhalt bereits zu einem der jetzigen Beratung vorgelagerten Zeitpunkt vorab befasst war. Teilweise wird vertreten, dass aufgrund wirtschaftlicher Interessen des Rechtsberaters sowie dessen Sorgen um einen möglichen Reputationsverlust seine Unabhängigkeit nicht mehr gewährleistet sei.99 Berater seien in diesen Fällen dazu verleitet, den Nachweis zu erbringen, eine rechtlich einwandfreie Arbeitsleistung erbracht zu haben, selbst wenn Anhaltspunkte bestehen, dass mit einer erneuten Überprüfung der Rechtslage Korrekturen der ursprünglichen Einschätzung einhergehen würden.100 Ein derartig pauschaler „Generalverdacht“ würde jedoch dem Berufsstand der Rechtsanwälte als Organe der Rechtspflege nicht gerecht werden.101 Darüber hinaus bestehen regelmäßig erhebliche Schwierigkeiten, zwischen vorbereitenden Tätigkeiten im Sinne einer „Vorbefassung“ und diesen unmittelbar nachgelagerten rechtlichen Beratungen trenn93 Für die herrschende Ansicht stellvertretend: Fleischer, AG 2003, 291, 292; ders., WM 2006, 2021, 2026. 94 BGH NZG 2011, 1271, 1273. 95 Strohn, ZHR 176 (2012), 137, 142. 96 Strohn, ZHR 176 (2012), 137, 142: „Derartige Beratungsverträge werden üblicherweise auch namens der Gesellschaft und nicht namens des Geschäftsleiters geschlossen.“ 97 Sander/Schneider, ZGR 2013, 725, 740. 98 Binder, AG 2008, 274, 282; Fleischer, ZIP 2009, 1397, 1405; im Ergebnis auch BGH NZG 2011, 1271, 1273. 99 Strohn, ZHR 176 (2012), 137, 140; Hahn/Naumann, CCZ 2013, 156, 161. 100 Strohn, ZHR 176 (2012), 137, 140; Hahn/Naumann, CCZ 2013, 156, 161. 101 Zutreffend Kiefner/Krämer, AG 2012, 498, 502; zustimmend Binder, AG 2012, 885, 893.

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Kap. 3: Prozedurale Anforderungen an Organentscheidungsprozesse

scharf zu differenzieren.102 Auch ist in diesem Zusammenhang noch auf eine unter Umständen erhebliche zeitliche sowie finanzielle Belastung des beratungsbedürftigen Unternehmens hinzuweisen. Denn es ist, wie oben bereits erwähnt, bei der Bestimmung des Informationsumfangs auch die der Entscheidung vorgelagerte Zeitkomponente zu beachten.103 Rechtsberater, die mit dem Sachverhalt aufgrund fehlender Vorbefassung gerade noch nicht vertraut sind, werden sich – schon vor dem Hintergrund drohender Beratungsfehler – nicht „blind“ auf die Vorabfeststellungen des ersten Beraters verlassen.104 Da insoweit damit zu rechnen ist, dass sie zumindest eine summarische Überprüfung bisheriger Ergebnisse vornehmen, steigt sowohl die Zeit- als auch die Kostenkomponente für die verlangte Beratung. Eine „Vorbefassung“ führt deshalb nicht zwangsläufig zum Verlust des Unabhängigkeitskriteriums, es sei denn, es bestehen erkennbare Zweifel an der Qualität des Erstprodukts.105 b) Fachliche Qualifikation des Rechtsberaters Neben der Unabhängigkeit des Rechtsberaters fordert der 2. Zivilsenat des BGH im Rahmen seiner ISION-Entscheidung die Beratung durch einen „fachlich qualifizierten Berufsträger“, unterlässt es jedoch, diesbezügliche Anforderungen aufzustellen.106 In jüngerer Vergangenheit entschied er allerdings, dass für die Feststellung der Insolvenzreife sowohl die fachliche Qualifikation eines Wirtschaftsprüfers oder Rechtsanwalts als auch die fachliche Qualifikation geeigneter Angehöriger anderer Berufsgruppen ausreichen können, wobei die jeweilige Größe des zu beurteilenden Unternehmens zu berücksichtigen ist.107 Aus diesen Entscheidungen kann mithin als erster Schritt die Erkenntnis gewonnen werden, dass sich ein Rückgriff auf starre Kriterien zur Festlegung der fachlichen Eignung abermals verbietet. Vielmehr sind die Anforderungen an die Fachkompetenz der benötigten Berater wiederum einzelfallspezifisch zu ermitteln. Diese Aufgabe obliegt dem Geschäftsleiter selbst.108 Es ist ihm insbesondere versagt, pauschal auf Empfehlungen anderer zu vertrauen.109 Fraglich ist indes, ob sich der Ratsuchende auf allgemeine Formalqualifikationen, wie beispielsweise die Anwaltszulassung, verlassen darf.110 Angeführt wird, dass in der Regel die Anforderungen an den jeweiligen Auswahlprozess nicht allzu hoch 102

Kiefner/Krämer, AG 2012, 498, 502; zustimmend Binder, AG 2012, 885, 893. Vgl. nochmals oben Kapitel 3, B. II. 1. 104 Binder, AG 2012, 885, 893; Kiefner/Krämer, AG 2012, 498, 502; Krieger, ZGR 2012, 496, 500. 105 Zutreffend Kiefner/Krämer, AG 2012, 489, 500; Krieger, ZGR 2012, 496, 500; Binder, AG 2012, 885, 893. 106 Vgl. nochmals BGH NZG 2011, 1271, 1273. 107 Vgl. BGH CCZ 2013, 34, 35. 108 BGH NJW 2007, 2118, 2120; OLG Stuttgart, NZG 2010, 141, 144. 109 Selter, AG 2012, 11, 14; Bürkle, 2013, 792, 800. 110 So wohl Fleischer, ZIP, 2009, 1397, 1403; Kirch-Heim/Samson, wistra 2008, 81, 83. 103

B. Verhaltensleitlinien in Bezug auf prinzipienbasierte Normen

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anzusetzen sind.111 Denn Geschäftsleitern soll es oftmals schwerfallen, die tatsächliche fachliche Qualifikation des jeweiligen Berufsträgers verlässlich einzuschätzen.112 Deshalb soll die Feststellung der fachlichen Qualifikation anhand objektiver Kriterien erfolgen und beispielsweise im Falle der Befähigung zum Richteramt (§ 5 DRiG) oder bei Fachanwälten (vgl. insb. § 5 Abs. 1 FAO) gegeben sein.113 Ein alleiniges Abstellen auf Formalqualifikationen wird den spezifischen Besonderheiten des Einzelfalls vor allem im Bereich des regulierten Finanzdienstleistungssektors jedoch keinesfalls gerecht. Diese Qualifikationen können allenfalls Anhaltspunkte für eine adäquate fachliche Eignung von Rechtsberatern darstellen. Der aufsichtsunterworfene Finanzdienstleistungssektor ist geprägt von enormer Komplexität. Vor diesem Hintergrund ist es speziell im aufsichtsrechtlichen Bereich geboten, dass sich die Leitungsorgane nicht lediglich auf Formalqualifikationen berufen, vielmehr ist eine erhöhte Sensibilität für besonders gelagerten Beratungsbedarf erforderlich.114 Dabei müssen neben formalen Kriterien, wie einer Rechtsanwaltszulassung oder zumindest einer abgeschlossenen Ausbildung als Volljurist, auch inhaltliche Kriterien eine wichtige Rolle spielen.115 Hierbei ist Rücksicht auf die jeweils zu begutachtende Materie zu nehmen.116 Die hohe Komplexität des Aufsichtsrechts erfordert dabei fundierte Kenntnisse und Erfahrungen, insbesondere auch im Bereich des europäischen Rechts.117 Denn wie insbesondere die Umsetzung der Solvency-II- sowie der Basel-III-Vorgaben zeigen, erfolgt im Finanzdienstleistungssektor eine zunehmende Harmonisierung des nationalen Aufsichtsrechts durch europäische Regulierung.118 Die zunehmende Vollharmonisierung des Aufsichtsrechtes führt dazu, dass bei der Norminterpretation stets die Provenienz der jeweiligen Regelung zu berücksichtigen ist.119 Begrifflichkeiten, die aufgrund der Umsetzung europäischer Richtlinien sowie als Folge von unmittelbar und direkt wirkenden Verordnungen zu interpretieren sind, stellen autonome Begriffe des Unionsrechts dar, die ohne Rückgriff auf nationales Recht nach den vom EuGH 111 Vgl. Fleischer, NZG 2010, 121, 123; Kiefner/Krämer, AG 2012, 498, 501; Selter, AG 2012, 11, 14; Decker, GmbHR 2014, 72, 75. 112 Ritter, in: Schüppen/Schaub, MAH Aktienrecht, § 24, Rn. 12; Hahn/Naumann, CCZ 2013, 156, 160. 113 Vgl. insbesondere Hahn/Naumann, CCZ 2013, 156, 160; ähnlich auch Selter, AG 2012, 11, 16, mit Hinweis auf die Aufsicht durch die Kammer sowie das Erfordernis einer Berufshaftpflichtversicherung; Strohn, ZHR 176, (2012), 137, 141. 114 Binder, AG 2008, 274, 285 f.; Müller, NZG 2012, 981, 982; ähnlich wohl auch Bürkle, VersR 2013, 792, 800. 115 Vgl. Selter, AG 2012, 11, 16; Bürkle, VersR 2013, 792, 800. 116 Zutreffend Strohn, ZHR 167 (2012), 137, 141: „Hat sich der Anwalt etwa auf Wohnraummietrecht spezialisiert, kann er kaum als Gutachter für eine schwierige aktienrechtliche Frage in Betracht kommen.“ 117 Zutreffend Bürkle, VersR 2013, 792, 800. 118 Bürkle, VersR 2013, 792, 801. 119 Bürkle, VersR 2013, 792, 793.

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Kap. 3: Prozedurale Anforderungen an Organentscheidungsprozesse

entwickelten Maßstäben und Kriterien ausgelegt werden müssen.120 Darüber hinaus kann es gerade im Bank- und Versicherungsaufsichtsrecht auch von Vorteil sein, Anwälte bzw. Rechtsanwaltskanzleien zu konsultieren, die bereits Kenntnisse und Erfahrungen im Bereich der Interaktion mit den Aufsichtsbehörden aufweisen. Wie oben bereits dargelegt, wird in der Praxis eine korrekte Auslegung unbestimmt formulierter aufsichtsrechtlicher Vorgaben oftmals erst im Rahmen eines mehrstufigen Abstimmungsprozesses zwischen den jeweils betroffenen Aufsichtsadressaten und den jeweils zuständigen Aufsichtsbehörden möglich sein. In besonders gelagerten Fällen kann dies dazu führen, dass sich die Auswahl an adäquaten Beratern mit entsprechender Expertise auf einen engen exklusiven Kreis beschränkt.121 Gleiches muss selbstverständlich auch für die fachliche Qualifikation von unternehmensinternen Beratern gelten. Es wird insofern für jede zu untersuchende Fragestellung erneut zu überprüfen sein, ob die fachliche Qualifikation bzw. eventuell erforderliche Spezialkenntnisse bei Inhouse-Juristen vorhanden sind.122 Als fachlich versierte interne Berater können insbesondere auch juristisch ausgebildete Compliancebeauftragte in Betracht kommen. Wie sich beispielsweise der Solvency-II-Richtlinie entnehmen lässt, müssen die jeweiligen Leiter der sog. Schlüsselfunktionen ebenfalls gesteigerte fachliche Qualifikationen aufweisen.123 Außerdem müssen sie der zuständigen Aufsichtsbehörde angezeigt werden und unterliegen mithin auch einer entsprechenden Überprüfung hinsichtlich der notwendigen fachlichen Qualifikationen.124 Um der Gefahr eines Auswahlverschuldens entgegenzuwirken, müssen die Geschäftsleiter mithin selbstständig beurteilen, ob die jeweilige fachliche Qualifikation des Experten im konkreten Beratungsfall gegeben ist. Dies erfordert im Bereich der Rechtsberatung neben dem Nachweis einer adäquaten juristischen Ausbildung auch das Vorliegen von entsprechenden Erfahrungen und Spezialkenntnissen in den einschlägigen Rechtsgebieten. Hierzu ist regelmäßig auch ein juristisch nicht gebildeter Geschäftsleiter in der Lage. Allgemein zugängliche Fachjournale sowie das im juristischen Bereich anerkannte und bekannte „Tier-Klassifizierungssystem“ können hier beispielsweise als Anhaltspunkte hinsichtlich der Beurteilung der fachlichen Eignung des jeweiligen Rechtsberaters dienen.

120 Bürkle, VersR 2013, 792, 793; Brand, VersR 2013, 1, 6; Dreher, ZVersWiss 2012, 381, 421; Lüttringhaus, EuZW 2011, 822, 823. 121 Zu nennen sind in diesem Zusammenhang insbesondere größere Wirtschaftskanzleien sowie hoch spezialisierte Anwaltsboutiquen. 122 Zur fachlichen Qualifikation interner Rechtsabteilungen vgl. Wagner, BB 2012, 651, 655. 123 Vgl. nochmals Art. 42 Abs. 1, a) Solvency-II-Richtlinie. 124 Vgl. Erwägungsgrund 34 der Solvency-II-Richtlinie sowie Bürkle, VersR 2013, 792, 800; ders., WM 2012, 878, 882; Dreher, VersR 2012, 1061, 1069 f.

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2. Informationsversorgungspflicht Hat der Ratsuchende nunmehr einen unabhängigen, fachlich qualifizierten Rechtsberater gefunden und ausgewählt, muss er diesen „unter umfassender Darstellung der Verhältnisse der Gesellschaft und Offenlegung der erforderlichen Unterlagen“125 mit Informationen versorgen. Nur wenn der jeweilige Experte richtige und vollständige Informationen erhalten hat, kann er auf dieser Grundlage adäquaten und zuverlässigen Rat erteilen. Auch hier obliegt dem jeweiligen ratsuchenden Leitungsorgan die entsprechende Informationsverantwortung.126 Dies hat zur Folge, dass er unter Berücksichtigung der ihm obliegenden Sorgfalt nach § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG zunächst eigenständig zu beurteilen hat, welche Informationen der Experte benötigt, um die zu klärende Frage adäquat beantworten zu können. Werden bewusst wichtige Informationen zurückgehalten oder gar falsche Informationen weitergegeben, besteht auch kein schutzwürdiges Interesse des Geschäftsleiters auf die jeweils ihm erteilte Rechtsauskunft.127 Bei der Frage, ob der jeweilige Geschäftsleiter sorgfaltspflichtgemäß gehandelt, d. h. den Experten nach bestem Wissen und Gewissen mit allen erforderlichen Informationen versorgt hat, sind wiederum die gesteigerten Anforderungen im Hinblick auf die eigene fachliche Qualifikation im Finanzdienstleistungssektor zu berücksichtigen.128 Diese spezifischen Sorgfaltsanforderungen verpflichten das Leitungsorgan dazu, gegebenenfalls die erforderliche Informationsgrundlage129 mit dem beauftragten Experten zu eruieren, so dass eine Entlastung des Ratsuchenden bei unzureichender Informationsversorgung regelmäßig kaum denkbar sein wird.130 Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund, dass auch von dem fachlich qualifizierten Rechtsberater bei Erkennbarkeit von etwaigen Informationslücken entsprechende Nachfragen erwartet werden können, zumal ein Unterlassen des Nachfragens durch den Experten ebenfalls zu einer Pflichtverletzung führen kann, die gerade nicht dem Ratsuchenden nach § 278 BGB zuzurechnen ist.131 Schließlich ist zu beachten, dass externe Berater schon aufgrund der fehlenden Nähe zum Unternehmen regelmäßig mehr Informationen benötigen werden, als dies bei Inhouse-Experten der Fall sein wird.132

125

BGH NZG 2011, 1271, 1273. Fleischer, ZIP 2009, 1397, 1403; Bürkle, VersR 2013, 792, 799 f. 127 Binder, AG 2008, 274, 285; Fleischer, ZIP 2009, 1397, 1403; Bürkle, VersR 792, 799 f. 128 Vgl. nochmals oben, Kapitel 1, B. II. sowie Kapitel 3, B. II. 2. 129 Vgl. Strohn, ZHR 176 (2012), 137, 139: Hält der Ratsuchende bestimmte Informationen irrtümlich für nicht entscheidungserheblich, so setzt ein entschuldigender Rechtsirrtum voraus, dass auch der Irrtum über die erforderliche Informationsgrundlage schuldlos ist. 130 Strohn, ZHR 176 (2012), 137, 139; a. A. wohl Binder, AG 2008, 274, 286, allerdings werden in diesem Aufsatz nicht die Besonderheiten des Aufsichtsrechts berücksichtigt. 131 Überzeugend Binder, AG 2012, 885, 893; ders., ZGR 2012, 57, 771; Krieger, ZGR 2012, 496, 499; Decker, GmbHG 2014, 72, 76. 132 Zutreffend Binder, VersR 792, 800. 126

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Kap. 3: Prozedurale Anforderungen an Organentscheidungsprozesse

3. Plausibilitätskontrolle Ist der Geschäftsleiter seinen Sorgfaltspflichten in Bezug auf die Auswahl und Beauftragung eines adäquaten Rechtsberaters sowie in Bezug auf dessen Informationsversorgung ordnungsgemäß nachgekommen, so führt dies noch nicht zwangsläufig zu seiner eigenen Haftungsentlastung. Vielmehr gehört es weiterhin zu seiner höchstpersönlichen Pflicht,133 den unabhängigen und fachlich versierten Rechtsberater bzw. den von diesem erteilten Rechtsrat einer Plausibilitätskontrolle zu unterziehen.134 Denn trotz der eigentlich nicht vorhandenen (ansonsten würde es ja schon am notwendigen Beratungsbedarf fehlen) erforderlichen Expertise des Geschäftsleiters darf sich dieser nicht blind auf ein bestimmtes Gutachten verlassen.135 Allerdings steht auch eine eigene vollumfängliche Prüfung des erhaltenen Rats der Wertung des § 275 Abs. 1 BGB entgegen, wonach eine unmögliche Leistung gerade nicht geschuldet ist.136 Deshalb sind nach der Rechtsprechung des BGH nicht allzu hohe Anforderungen im Hinblick auf die vorzunehmende Rechtmäßigkeitsprüfung zu stellen. Denn es wäre nicht zu rechtfertigen, einem organschaftlichen Vertreter abzuverlangen, unabhängigen, fachkundigen Rat zur Klärung des Bestehens einer bestimmten Pflicht einzuholen, „und es ihm gleichwohl als schuldhaften Verstoß gegen seine Sorgfaltspflichten anzulasten, wenn er sich – trotz fehlender eigener ausreichender Sachkunde – dem fachkundigen Rat entsprechend verhält.“137 Allerdings darf der Geschäftsleiter auch nicht blind auf den Expertenrat vertrauen.138 Denn dies würde wiederum in krassem Widerspruch zu dem Gesichtspunkt der konkreten Vertrauensdisposition als Voraussetzung berechtigten Vertrauens139 sowie zu dem Grundsatz nach § 76 Abs. 1 AktG, die Gesellschaft unter eigener Verantwortung zu leiten140, stehen.141 Der Ratsuchende muss daher zumindest überprüfen, ob die der Entscheidung zugrundeliegenden Tatsachen und Umstände richtig und vollständig beurteilt wurden und der erteilte Auftrag von dem Rechtsberater oder den Rechts-

133 Zutreffend Buck-Heeb, BKR 2011, 441, 448; Kirch-Heim/Samson, wistra 2008, 81, 83; Bürkle, VersR 792, 800. 134 Vgl. nochmals BGH NZG 2011, 1271, 1273; Fleischer, NZG 2010, 121, 124; Langenbucher, ZBB 2013, 16, 21; Bürkle, VersR 2013, 792, 800 f.; Louven/Ernst, VersR 2014, 151, 158; a. A. Krieger, ZGR 2012, 496, 502. 135 Dadurch soll verhindert werden, dass die jeweils infrage stehende Entscheidung auf der Grundlage von Gefälligkeitsgutachten getroffen wird. Vgl. Buck-Heeb, BKR 2011, 441, 448; Fleischer, DB 2009, 1335, 1339; Selter, AG 2012, 11, 18; Strohn, ZHR 176 (2012), 137, 141; Bürkle, VersR 2013, 792, 800. 136 Sander/Schneider, ZGR 2013, 725, 746. 137 Vgl. BGH NJW 2007, 2118, 2120. 138 Der Geschäftsleiter soll sich nicht hinter Gefälligkeitsgutachten verstecken dürfen; vgl. BGH NJW 1997, 1882; Fleischer, ZIP 2009, 1404. 139 So Fleischer, in: FS Hüffer, 2010, S. 187, 194. 140 Vgl. Lutter, ZIP 2009, 197, 199. 141 Sander/Schneider, ZGR 2013, 725, 746.

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beratern vollumfänglich erfüllt wurde.142 Grenzt man den Begriff der Plausibilitätskontrolle in negativer Hinsicht ab, so sind jedenfalls in sich widersprüchliche, unvollständige bzw. oberflächliche sowie offensichtlich einseitige Begutachtungen nicht plausibel.143 a) Allgemeine Anforderungen Umfang und Intensität der Pflicht zur Plausibilitätskontrolle sind wiederum von einer situationsadäquaten144 spezifischen Einzelfallüberprüfung abhängig. Das diesbezügliche Pflichtenprogramm des Geschäftsleiters ist eng mit der Komplexität der zu klärenden Rechtsfrage und dem daraus resultierenden Beratungsbedarfs sowie der Qualität an den dann erforderlichen Experten verknüpft.145 Darüber hinaus kommt auch Faktoren wie der Eilbedürftigkeit146 der zu klärenden Frage, der besonderen persönlichen Fähigkeiten147 des Ratsuchenden, der Bedeutung und Gewichtigkeit der zu treffenden Entscheidung für die Gesellschaft148, der Ratio149 der Beauftragung des Experten sowie möglichen Schadensfolgen150 für die Gesellschaft eine bedeutende Funktion für den zu fordernden Sorgfaltspflichtenmaßstab des Geschäftsleiters im Rahmen der Plausibilitätskontrolle zu. b) Aufsichtsspezifische Besonderheiten Wie oben bereits dargestellt, gilt auch im Rahmen der Plausibilitätskontrolle, dass Geschäftsleiter aufsichtsunterworfener Bank- und Versicherungsunternehmen aufgrund der aufsichtsrechtlich geforderten qualitativen Grundkenntnisse erhöhten Anforderungen im Rahmen der durchzuführenden Plausibilitätsprüfung ausgesetzt sind.151 Höhere Grundkenntnisse implizieren gleichzeitig höhere Fähigkeiten, fehlerhafte Rechtsgutachten zu identifizieren.152

142 Louven/Ernst, Platow Recht Nr. 122 – Externer Rechtsrat ist kein Freibrief für Manager; dies., VersR 2014, 151, 158. 143 Strohn, ZHR 176 (2012), 137, 142. 144 Sander/Schneider, ZGR 2013, 725, 753. 145 Sander/Schneider, ZGR 2013, 725, 752 ff.: „Je zuverlässiger die Auskunftsperson, desto geringer ist die notwendige Intensität der Plausibilitätsprüfung.“ 146 Vgl. hierzu Louven/Ernst, VersR 2014, 151, 158. 147 Vgl. hierzu Fleischer, KSzW 2013, 3, 9. 148 Sander/Schneider, ZGR 2013, 725, 754. 149 Vgl. hierzu BGH NZG 2011, 1271, 1274: Im Rahmen von möglichen Gesetzesumgehungen ist eine „besonders kritische Plausibilitätsprüfung“ durchzuführen. 150 Sander/Schneider, ZGR 2013, 725, 754. 151 Vgl. nochmals oben Kapitel 3, B. II. 2; so auch OLG Stuttgart, NZG 2011, 634, 635; Bürkle, VersR 2013, 792, 800 f. 152 Zutreffend Bürkle, VersR 2013, 792, 801.

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aa) Beachtung aufsichtsbehördlicher Verlautbarungen Insbesondere kann von den Leitungsorganen verlangt werden, zu überprüfen, ob der erteilte Rechtsrat aufsichtsrechtliche Spezifikationen berücksichtigt. So kann es je nach zu überprüfender Entscheidungssituation erforderlich sein, dass der Ratgebende sich in seinem Rechtsgutachten mit etwaigen aufsichtsbehördlichen Verlautbarungen befasst hat.153 Denn trotz der fehlenden unmittelbaren rechtlichen Bindungswirkung entfalten diese – nicht zuletzt vor dem Hintergrund des umfassenden Sanktionsinstrumentariums – teils erhebliche faktische Bindungswirkung154 und sollten deshalb auch zwingend im Rahmen der Entscheidungsfindungsprozesse miteinbezogen werden.155 Zu nennen ist in diesem Zusammenhang insbesondere nochmals die Rundschreibenpraxis der BaFin. Die Rundschreiben enthalten wie bereits dargelegt häufig Präzisierungen der jeweiligen gesetzlichen Vorgaben, die zwar grundsätzlich keinerlei rechtliche Bindungswirkung entfalten, jedoch unter Umständen eine Indizwirkung haben können. Nichts anderes gilt beispielsweise auch für die Berücksichtigung der Verlautbarungen europäischer Aufsichtsbehörden.156 Sofern für den zu bearbeitenden Sachverhalt vorhanden, sind somit gegebenenfalls auch Guidelines und Recommendations vom Experten zu beachten. Zwar richten sich diese überwiegend an die jeweiligen national zuständigen Aufsichtsbehörden. Doch kann in Zweifelsfällen die „Urschrift“ durchaus auch Hinweise enthalten, die bei der Auslegung nationaler Standards (zu denken ist hier etwa an auf den europäischen Verlautbarungen beruhende nationale Verlautbarungen und Aufsichtsstandards) hilfreich sein können. Jedenfalls dürfen diese Level-3-Texte nicht gänzlich unbeachtet bleiben, sondern begründen vielmehr eine rechtliche Befassungspflicht. Sowohl die Rundschreibenpraxis der BaFin als auch die Leitlinien und Empfehlungen der ESAs sind in diesem Zusammenhang jedoch nur relevant, soweit sie den Rahmen zulässiger Norminterpretation einhalten und die Grenze zur Rechtsetzung nicht überschreiten, die nach wie vor ausschließlich den zur Gesetzgebung legitimierten Organen vorbehalten sein muss.157 Darüber hinaus sind beispielsweise im Rahmen der Sanierungsplanung auch technische Standards zu beachten. Nach dem neuen VAG kommt auch den delegierten Rechtsakten der Kommission künftig größere Bedeutung zu.158 153 Armbrüster, VersR 2009, 1293, 1298; Bürkle, VersR 2009, 866, 872; ders., VersR 2013, 792, 801. 154 Vgl. hierzu nochmals oben Kapitel 2, B. II. 2. 155 Bürkle, VersR 2013, 792, 801; ders., VersR 2009, 866, 872; Armbrüster, VersR 2009, 1293, 1298. 156 Bürkle, VersR 2013, 792, 801; Dreher, VersR 2012, 933, 934, 936; Ohler, ZVersWiss 2012, 431, 444. 157 Bürkle, VersR 2013, 792, 801; ders., VersR 2009, 866, 868 f.; Sethe, ZBB 2012, 357, 361. 158 Zu den einzelnen exekutiven Verlautbarungen, vgl. nochmals oben Kapitel 2, B. II.

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bb) Interaktion mit den Aufsichtsbehörden Zudem spielt gemäß der neuen Aufsichtskultur zunehmend die Interaktion zwischen aufsichtsunterworfenen Unternehmen und der jeweils zuständigen Aufsichtsbehörde eine wichtige Rolle.159 Gerade durch den prinzipiengeleiteten Regulierungsansatz wird es dem Rechtsunterworfenen und auch dem Rechtsexperten oftmals nicht möglich sein, einzelne gesetzlich normierte Pflichten zweifelsfrei auszulegen und zu interpretieren. Erhebliche Rechtsunsicherheit besteht insbesondere im Bereich gänzlich neuer aufsichtsrechtlicher Vorgaben sowie im Falle der Änderung und Ergänzung bereits bekannter aufsichtsrechtlicher Pflichten. In derartigen Fällen existiert meist keine gefestigte Rechtsprechung. Auch wird sich – sofern für die infrage stehende Rechtsproblematik überhaupt vorhanden – oftmals kein einheitliches Meinungsbild in der Literatur ermitteln lassen. Zweifelsohne muss dies nicht stets der Fall sein. Doch in Fällen hochgradiger Unklarheiten kann dem Geschäftsleiter abverlangt werden, zu überprüfen, ob zwischen dem Experten und der zuständigen Aufsichtsbehörde eine diesbezügliche (rein informelle) Interaktion stattgefunden hat.160 Die Wichtigkeit eines derartigen Vorgehens wird durch die wohl herrschende Meinung unterstützt, indem sie annimmt, dass der Ratsuchende grundsätzlich ohne weitere Nachprüfungspflicht einem schuldausschließenden Rechtsirrtum unterliegt, wenn er sich über die Verwaltungspraxis der BaFin informiert und auf deren Aussagen vertraut, sofern nicht besondere Anhaltspunkte auf eine Unrichtigkeit dieser Aussagen hindeuten.161 Dies führt – so wird sich im Rahmen der weiteren Untersuchungen zeigen – freilich nicht zu einem pauschalen „Safe Harbour“ für die Geschäftsleiter bei Befolgung aufsichtsbehördlicher Meinungen.162 Vielmehr kann je nach „Festigkeit“ einer gängigen und anerkannten Behördenpraxis dieselbe im Einzelfall eine Art Indizwirkung für das sorgfaltspflichtgemäße Verhalten darstellen.163 cc) Beachtung des Proportionalitätsgrundsatzes Eine zentrale Rolle kommt darüber hinaus auch dem sog. Proportionalitätsgrundsatz zu, der als allgemeines, branchenübergreifendes Strukturmerkmal der Finanzmarktregulierung angesehen werden kann und insbesondere bei der Ausle159

Binder, ZGR 2013, 760, 782; vgl. hierzu auch unten Kapitel 3, C. II. 2. a) sowie C. II. 5. Zur Thematik des aufsichtsrechtlichen Kooperationsprozesses in Bezug auf die Konkretisierung von Prinzipien vgl. Wundenberg, Compliance, S. 62 ff. 161 In Bezug auf die Frage des Rechtsverlustes eines Meldepflichtigen nach § 28 WpHG: Schneider, NZG 2009, 121, 124 f.; vgl. auch Habersack, in: FS Säcker, 2011, S. 355, 356; U. H. Schneider, in: Assmann/Schneider, WpHG, § 28, Rn. 20. 162 Dem Aufsichtsrecht kommt de lege lata nur ein beschränkter Geltungsanspruch zu, und es ist insofern auch nur bedingt dazu geeignet, auf den aktienrechtlichen Sorgaltsmaßstab einzuwirken. Vgl. hierzu ausführlich unten Kapitel 3, B. IV. sowie Kapitel 3, C. II. sowie Kapitel 3, D. 163 Vgl. hierzu unten Kapitel 3, B. IV. 2. 160

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Kap. 3: Prozedurale Anforderungen an Organentscheidungsprozesse

gung der Organisationsanforderungen von Bedeutung ist.164 Das Proportionalitätsprinzip wird gemeinhin als eine Ausformung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes angesehen, indem es diese allgemeine Maxime im Hinblick auf aufsichtsrechtliche Vorgaben konkretisiert.165 Hiernach müssen sowohl die regulatorischen Anforderungen an die aufsichtsunterworfenen Unternehmen als auch die Vorschriften, die sich an die Aufsichtsinstanzen und den Beaufsichtigungsprozess richten, in einer Art und Weise erfüllt bzw. angewendet werden, die der Wesensart, der Komplexität und dem Umfang der geschäftsimmanenten Risiken des beaufsichtigten Unternehmens angemessen sind.166 Da mithin dieser Grundsatz für aufsichtsunterworfene Unternehmen sowie für die Wahrnehmung der Aufsichtsbefugnisse durch die jeweils zuständigen Aufsichtsbehörden gleichermaßen gelten soll, kann von einer sog. „doppelten Proportionalität“ gesprochen werden. Geschäftsleiter müssen deshalb im Rahmen ihrer Pflicht zur Plausibilitätskontrolle beachten und überprüfen, ob sich der eingeholte Rechtsrat bei der Interpretation spezialgesetzlicher Vorgaben am jeweiligen unternehmensspezifischen Risikoprofil orientiert hat.167 Geltung beansprucht das Proportionalitätsprinzip dabei sowohl hinsichtlich der Auslegung und Anwendung aufsichtsrechtlicher Vorgaben von Gesetzesrang als auch hinsichtlich der Auslegung und Anwendung von aufsichtsbehördlichen Verlautbarungen.168 So enthalten beispielsweise die jeweils anzuwendenden MaRisk zahlreiche Öffnungsklauseln, die Ausnahmen von bestimmten Organisationspflichten enthalten.169 Deshalb kann es von Fall zu Fall erhebliche Unterschiede in Bezug auf die Art und Weise der Umsetzung aufsichtsrechtlicher Vorgaben geben. Kleinere Unternehmen werden hierbei regelmäßig in den Genuss kommen, weniger strengen Anforderungen zu unterliegen als beispielsweise die als systemrelevant eingestuften Unternehmen. Ebenso ist jedoch denkbar, dass letztere beispielsweise über die in den Mindestanforderungen der BaFin definierten Vorgaben hinausgehende Organisationsanforderungen zu beachten haben, um der Verwirklichung der gesetzlichen Zielvorgaben gerecht zu werden.170 Den letztver164

Wundenberg, Compliance, S. 85. Nguyen/Bach, WHL Diskussionspapier Nr. 18, S. 9; Bürkle, VersR 2009, 866, 870; Dreher, ZGR 2010, 496, 533. Die Einstufung des Proportionalitätsgrundsatzes als Ausformung des Verhältnismäßigkeitsprinzips als zu „pauschal“ ansehend Wundenberg, Compliance, S. 86: Der Proportionalitätsgrundsatz ist „keine unmittelbare Konsequenz des verfassungsrechtlich verankerten Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Der Proportionalitätsgrundsatz ist vielmehr Ausdruck der für Prinzipien charakteristischen komparativen Normstruktur …“ 166 Nguyen/Bach, WHL Diskussionspapier Nr. 18, S. 9. 167 Vgl. Art. 29 Abs. 3 Solvency-II-Richtlinie; so auch Bürkle, VersR 2013, 792, 801. 168 Nguyen/Bach, WHL Diskussionspapier Nr. 18, S. 10. 169 Vgl. bspw. MaRisk (BA), AT 2.2, Ziff. 1 Satz 1: „Die Anforderungen des Rundschreibens beziehen sich auf das Management der für das Institut wesentlichen Risiken“; AT 3, Ziff. 1 Satz 2: „Diese Verantwortung [Anmerkung: der Geschäftsleiter] bezieht sich unter Berücksichtigung ausgelagerter Aktivitäten und Prozesse auf alle wesentlichen Elemente des Risikomanagements.“ 170 Wundenberg, Compliance, S. 89 f. 165

B. Verhaltensleitlinien in Bezug auf prinzipienbasierte Normen

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pflichteten Geschäftsleitern obliegt es mithin im Rahmen ihrer anzustellenden Plausibilitätskontrolle zu überprüfen, ob der eingeholte Rechtsrat gegebenenfalls einschlägige Ausnahmetatbestände beachtet sowie Proportionalitätsklauseln171 berücksichtigt hat. c) Ergebnis Geschäftsleiter aufsichtsunterworfener Unternehmen werden ihren Sorgfaltspflichten nach § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG mithin nur dann gerecht, wenn sie die eingeholte Rechtsmeinung auf Plausibilität überprüfen. Die Plausibilisierungspflichten komplettieren insofern die vom jeweiligen Leitungsorgan zu fordernden Informations- bzw. Rechtsermittlungspflichten und manifestieren zugleich die Grenze der Delegation von der Entscheidungsverantwortung auf den Experten.172 Die Intensität der erforderlichen Plausibilitätsprüfung hängt dabei von verschiedenen Faktoren ab, die im spezifischen Einzelfall unterschiedlich stark ausgeprägt sein können, weshalb sich vielfältige graduelle Abstufungen im Überprüfungsprozess ergeben können.173 Aufgrund der Besonderheiten des Aufsichtsrechts insbesondere im Hinblick auf die allgemeinen qualitativen Anforderungen an Geschäftsleiter und deren eigene fachliche Expertise gelten regelmäßig gesteigerte Sorgfaltspflichtanforderungen und damit einhergehend höhere Haftungsgefahren. Besonders komplexe und strittige Rechtsfragen können dazu führen, dass sich die Rat suchenden Geschäftsleiter im Rahmen der Plausibilitätsprüfung auch durch qualifizierte Fachkräfte im eigenen Unternehmen beraten lassen können.174 Bestehen dennoch erhebliche Zweifel und Unsicherheiten im Hinblick auf die rechtliche Lage, so ist es erforderlich, noch eine weitere Rechtsmeinung einzuholen175 oder gegebenenfalls die bereits erteilte Rechtsmeinung durch Ergänzungen und Folgefragen weiter zu spezifizieren. In umfangreichen und schwierigen Rechtsfragen wird die Einholung von mündlichem Rechtsrat nicht ausreichen, um sich selbst den Haftungsgefahren – insbesondere nach § 93 Abs. 2 AktG – zu entziehen.176 Denn die Qualität eines mündlichen Vortrages lässt sich erfahrungsgemäß schlechter beurteilen als die eines schriftlichen Textes.177

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Vgl. bspw. MaRisk (BA), AT 4.2, Ziff. 3 Satz 3: „Der Detaillierungsgrad der Strategien ist abhängig vom Umfang und Komplexität sowie dem Risikogehalt der geplanten Geschäftsaktivitäten. Es bleibt dem Institut überlassen, die Risikostrategie in die Geschäftsstrategie zu integrieren.“ 172 Langenbucher, in: FS Lwowski 2014, S. 333, 338 f., 342. 173 Strohn, ZHR 176 (2012), 137, 142; Sander/Schneider, ZGR 2013, 725, 754; ähnlich Krieger, ZGR 2012, 496, 502. 174 Fleischer, KSzW 2013, 3, 9; Bürkle, VersR 2013, 792, 800. 175 Vgl. Spindler, in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, § 93, Rn. 78; Bicker, AG 2014, 8, 11; Bürkle, VersR 2013, 792, 800; Louven/Ernst, VersR 2014, 151, 158. 176 Strohn, ZHR 176 (2012), 137, 142. 177 BGH ZIP 2011, 2097, Rn. 24; Strohn, ZHR 176 (2012), 137, 142.

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Kap. 3: Prozedurale Anforderungen an Organentscheidungsprozesse

In absoluten Ausnahmefällen der besonderen Eilbedürftigkeit kann es jedoch unter Umständen auch genügen, von diesem Grundsatz abzuweichen.178

IV. Handeln auf der Grundlage der festgestellten Rechtslage Wurde die rechtliche Lage nun entweder durch das handelnde Leitungsorgan selbst oder durch beauftragte Experten ermittelt bzw. begutachtet, gilt es nun, auf der Grundlage dieser Feststellungen eine adäquate Entscheidung zu treffen. In beiden Fällen hat der jeweils handelnde Geschäftsleiter die Letztentscheidungskompetenz und ist alleinverantwortlich für die sorgfaltsgerechte und aufsichtskonforme Umsetzung aufsichtlicher Vorgaben.179 In vielen Fällen werden die Geschäftsleiter trotz noch so sorgfältiger Überprüfung der rechtlichen Lage vor der Herausforderung stehen, zwischen mehreren Handlungsalternativen auswählen zu müssen. Denn aus dem auf Prinzipien basierenden Aufsichtsrecht wird sich wegen zahlreicher unbestimmter Rechtsbegrifflichkeiten in den seltensten Fällen die einzig richtige Handlungsalternative ermitteln lassen. Wie in Kapitel 2 festgestellt, kommt in derartigen Fällen den Geschäftsleitern ein Ermessens-, Handlungs-, Beurteilungsbzw. Interpretationsspielraum zu, der Ausfluss der allgemeinen Unternehmerfunktion180 nach § 76 Abs. 1 AktG ist. Diese Handlungsfreiheit wird jedoch neben den dem jeweiligen Leitungsorgan obliegenden Rechtspflichten auch durch die Verpflichtung, im Rahmen seiner Entscheidungsfindung eine Reihe von Interessen zu berücksichtigen, begrenzt.181 Insofern stellt sich die Frage, nach welchen Grundsätzen der Geschäftsleiter seine Entscheidung treffen muss. Welche Interessen darf bzw. muss er hierbei berücksichtigen und welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang das Aufsichtsrecht, das bekanntlich allein öffentlichen Interessen verpflichtet ist? 1. Allgemeine Leitprinzipien Nach dem Wortlaut des § 76 AktG bezieht sich die Leitungsaufgabe des Vorstands auf die „Gesellschaft“.182 Die Frage, was hierunter genau zu verstehen ist bzw. welche Maximen, konkret welche Interessen und Ziele das Leitungsorgan hierbei zu berücksichtigen hat, ist seit jeher umstritten und bedarf nachfolgend einer näheren 178

Vgl. auch Louven/Ernst, VersR 2014, 151, 158. Vgl. insb. Art. 40 Solvency-II-Richtlinie; so auch Bürkle, VersR 2011, 1469, 1476 f.; ders., VersR 2013, 792; Dreher, ZVersWiss 2012, 381, 403; Fischer, in: Boos/Fischer/SchulteMattler, KWG, § 33, Rn. 31. 180 Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, § 76, Rn. 9. 181 Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, § 76, Rn. 14. 182 Kort, in: Großkommentar zum Aktiengesetz, § 76, Rn. 39 f.; Weber, in: Hölters, Aktiengesetz, § 76, Rn. 18. 179

B. Verhaltensleitlinien in Bezug auf prinzipienbasierte Normen

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Begutachtung. Denn wie bereits oben in Kapitel 2 festgestellt, ist der Inhalt des Pflichten- und Sorgfaltsmaßstabes der Geschäftsleiter durch den Gesetzgeber, im Wesentlichen durch die §§ 76, 93 AktG, nur rudimentär ausgestaltet.183 a) Historische Betrachtung Ausgangspunkt aller Diskussionen ist § 70 Abs. 1 AktG in der Fassung von 1937, in dem erstmals eine unternehmensrechtliche Maxime in Bezug auf den Leitungsauftrag gesetzlich konstituiert wurde.184 Hiernach hatte der Vorstand die Gesellschaft unter eigener Verantwortung so zu leiten, „wie das Wohl des Betriebs und seiner Gesellschaft und der gemeine Nutzen von Volk und Reich es fordern“. Seinerseits wurde diese Formulierung als Abkehr von einer „rein kapitalistischen Interessenpolitik“ hin zu dem nationalistischen Grundsatz „Gemeinnutz vor Eigennutz“ gedeutet.185 Durch die Neufassung der aktienrechtlichen Vorschrift im Jahre 1965 wurde auf eine ausdrückliche Festsetzung einer der Vorgängervorschrift ähnlichen Gemeinwohlformel186 verzichtet. Wie in dem de lege lata geltenden § 76 Abs. 1 AktG wurde lediglich normiert, dass der Vorstand die Gesellschaft unter eigener Verantwortung zu leiten hat. Doch was hat diese Streichung einer gesetzlich normierten Gemeinwohlklausel zur Folge? Ist sie etwa als Abkehr von einer am Gemeinwohl ausgerichteten Zielverfolgung der Gesellschaft durch den Vorstand zu verstehen? In der dazugehörigen Regierungsbegründung wurde hierzu angeführt, dass es sich von selbst verstehe, dass der Vorstand bei seinen Maßnahmen die Belange der Aktionäre und der Arbeitnehmer sowie der Allgemeinheit zu berücksichtigen habe, weil in einem sozialen Rechtsstaat gemäß Art. 20, 28 GG die Berücksichtigung der Elemente Kapital, Arbeit und öffentliches Interesse selbstverständliche Pflicht sei.187 Teilweise wurde deshalb in den darauffolgenden Jahren nach Inkrafttreten der Neuregelung des § 76 Abs. 1 AktG eine unverändert fortgeltende Gemeinwohlbindung gleich der Vorgängervorschrift gemäß § 70 Abs. 1 AktG 1937 behauptet. Andere jedoch vertraten die Ansicht, dass eine Gemeinwohlbindung in der jetzt geltenden aktienrechtlichen Fassung aufgrund zahlreicher arbeitsrechtlicher Schutznormen keine selbstständige Bedeutung mehr habe.188 Zunehmend wurde auch eine Gemeinwohlbindung aus der in Art. 14 Abs. 2 GG festgelegten Sozial183

Vgl. hierzu nochmals oben Kapitel 2, B. II. 1. a) bb) (1). Spindler, in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, § 76, Rn. 60. 185 Vgl. Fleischer, in: Spindler/Stilz, Aktiengesetz, § 76, Rn. 22. 186 Im Referentenentwurf von 1958 wurde zunächst noch die ursprüngliche Gemeinwohlklausel modifiziert: Vgl. § 71 Abs. 1 RefE 1958: „Der Vorstand hat unter eigener Verantwortung die Gesellschaft so zu leiten, wie das Wohl des Unternehmens, seiner Arbeitnehmer und Aktionäre, sowie das Wohl der Allgemeinheit es erfordern“. 187 Ausschussbericht bei Kropff, S. 97 f.; vgl. auch Spindler, in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, § 76, Rn. 60; Fleischer, in: Spindler/Stilz, Aktiengesetz, § 76, Rn. 23. 188 Fleischer, in: Spindler/Stilz, Aktiengesetz, § 76, Rn. 23. 184

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Kap. 3: Prozedurale Anforderungen an Organentscheidungsprozesse

gebundenheit des in der Aktie verkörperten gesellschaftsrechtlichen Eigentums geschlossen.189 Auch aus der Einführung der paritätischen Mitbestimmung durch das Mitbestimmungsgesetz im Jahre 1976 wird geschlossen, dass trotz fehlender gesetzlich normierter Gemeinwohlbindung keinesfalls Aktionärsinteressen gegenüber anderen Interessen schwerer zu gewichten oder diese gar ausschließlich zu berücksichtigen seien. Die Einführung mitbestimmungsrechtlicher Normen wurde vielmehr als Begründung und Rechtfertigung einer interessenpluralistischen Zielkonzeption angesehen.190 Es ist zu bezweifeln, dass sich aus dem historischen Willen des Gesetzgebers sowie aus dem hier nur oberflächlich dargestellten historischen Theorienstreit verlässliche Rückschlüsse auf die vom Vorstand zu berücksichtigenden Interessen ziehen lassen.191 Faktoren wie die vergangene Zeit, zahlreiche Reformen und darauf basierende neue Wertungen erfordern eine erneute, zeitgerechte Betrachtung dieser Problematik. b) Das Gesellschafts- bzw. Unternehmensinteresse als Bezugspunkt für ein interessenpluralistisches Leitbild Der Anknüpfungspunkt des Theorienstreits stellt nach wie vor der Begriff des „Unternehmensinteresses“ bzw. „Gesellschaftsinteresses“ dar.192 Maßstab für die Ausübung der Leitungsaufgabe sei das Gesellschaftsinteresse.193 Diese Begrifflichkeiten werden auch vom BGH in zahlreichen Entscheidungen verwendet, ohne zwischen ihnen zu differenzieren, geschweige denn sie inhaltlich auszufüllen.194 Doch genau hier liegt die Problematik aller rechtsdogmatischen Diskussionen. Für 189 BVerfGE 14, 263, 282 (Feldmühle-Urteil) = NJW 1962, 1667, 1668; BVerfGE 50, 290, 315 f. (Mitbestimmung); vgl. auch Spindler, in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, § 76, Rn. 62; Fleischer, in: Spindler/Stilz, Aktiengesetz, § 76, Rn. 25. 190 Hopt, ZGR 1993, 534, 536; Schneider, ZIP 1996, 1769, 1772. 191 Überzeugend: Fleischer, in: Spindler/Stilz, Aktiengesetz, § 76, Rn. 23; ders., AG 2001, 171, 175. 192 Teilweise wird zwischen Unternehmens- und Gesellschaftsinteresse differenziert, so z. B. Spindler, in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, § 76, Rn. 60 f., 63 ff. Richtigerweise sind jedoch Gesellschafts- und Unternehmensinteresse als Synonymbegriffe ohne eigenständige Bedeutung zu verstehen; vgl. Mülbert, AG 2009, 766, 772; Zöllner, AG 2003, 2, 8; Weber, in: Hölters, Aktiengesetz, § 76, Rn. 23; Koch, in: Hüffer, Aktiengesetz, § 76, Rn. 36. Auch der BGH verwendet beide Begrifflichkeiten gleichermaßen, ohne zwischen ihnen inhaltlich zu differenzieren: BGHZ 64, 325, 331; BGHZ 136, 133, 139. 193 Weber, in: Hölters, Aktiengesetz, § 76, Rn. 19. 194 Unternehmensinteresse: BGHZ 64, 325, 331; Interesse der Gesellschaft aus unternehmerischer Sicht: BGHZ 136, 133, 139; sachliches unternehmerisches Interesse: BGHZ 125, 239, 243; Gesellschaftsinteresse: BGHZ 71, 40, 44; 83, 319, 321; 125, 239, 241, 242; 136, 133, 139, 140; aus strafrechtlicher Sicht BGH NJW 2006, 522, 524: Unternehmensinteresse (Mannesmann); vgl. auch Fleischer, in: Spindler/Stilz, Aktiengesetz, § 76, Rn. 27.

B. Verhaltensleitlinien in Bezug auf prinzipienbasierte Normen

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die Terminologie „Unternehmensinteresse“ bzw. „Gesellschaftsinteresse“ existiert keine allgemeingültige Definition, aus der sich verlässliche Rückschlüsse in Bezug auf das Geschäftsleiterhandeln ziehen lassen. Die Folge ist eine kaum mehr zu überschauende Gemengelage unterschiedlichster Begründungsansätze die das gemeinsame Ziel verfolgen, konkrete Interessensleitlinien für Leitungsorgane herauszubilden und darauf basierende allgemeinverbindliche Zielkonzeptionen für Unternehmen zu konturieren.195 Die wohl gegenwärtig herrschende Meinung vertritt ein sog. „interessenpluralistisches Leitbild“.196 Unternehmens- bzw. Gesellschaftsinteresse kennzeichne „die Selbsterhaltung und fortdauernde funktionsgerechte Erfüllung der Aufgaben des Unternehmens gegenüber Anteilseignern, Arbeitnehmern, Lieferanten, Abnehmern, Konsumenten, Staat und Gesellschaft.“197 Dem Vorstand obliege es, zwischen verschiedenen Interessengruppen wie Aktionären, Gläubigern, Arbeitnehmern und sonstigen Stakeholdern (insb. auch die gesamte Öffentlichkeit) abzuwägen und miteinander konfligierende Interessen nach dem Prinzip der praktischen Konkordanz aufzulösen.198 Ihm stehe dabei ein grundsätzlich breiter, gerichtlich nur beschränkt überprüfbarer Ermessensspielraum zu.199 Gegen eine überwiegende oder gar ausschließliche Exklusivität in Bezug auf die Berücksichtigung von Aktionärsinteressen spreche schon die gesetzliche Kodifizierung einer interessenpluralistischen Zielkonzeption durch die Einführung des Mitbestimmungsgesetztes im Jahre 1976.200 Vielmehr habe sich eine Aktiengesellschaft auch in die Interessen der Gesamtwirtschaft und in die Interessen der Allgemeinheit einzufügen und müsse auch das Wohl ihrer Arbeitnehmer beachten.201 Dem Vorstand obliege es mithin, im Rahmen seines Leitungsauftrages für eine sachgerechte Wahrnehmung der verschiedenen Interessengruppierungen zu sorgen, ohne jedoch an eine bestimmte Rangfolge in Bezug auf diese gebunden zu sein.202 c) Die Shareholder-Value-orientierte Unternehmenspolitik Zunehmend mehren sich jedoch die Stimmen gegen eine interessenpluralistische Zielkonzeption. Zu den wesentlichen Kritikpunkten wird der vage Begriff des „Unternehmensinteresses“ angeführt, der es nahezu unmöglich mache, handhabbare 195

Vgl. hierzu übersichtsartig Mülbert, ZGR, 1997, 129, 142. So bspw. Koch, in: Hüffer, Aktiengesetz, § 76, Rn. 30 ff.; Hüffer, in: FS Raiser, 2005, S. 163, 164, 168 ff.; Hopt, ZGR 1993, 534, 536; Kort, in: Großkommentar AktG, § 76, Rn. 52 ff. 197 So beispielsweise Raiser, in: FS Potthoff, 1989, S. 31. 198 Vgl. Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, § 76, Rn. 19; Hopt, ZGR 1993, 534, 536 f.; ders., ZGR 2002, 333, 360. 199 Vgl. etwa Hopt, ZGR 1993, 534, 536 f.; Koch, in: Hüffer, Aktiengesetz, § 76, Rn. 33. 200 Vgl. Zöllner, AG 2003, 1, 10. 201 Goette, ZGR 2008, 436, 447; Rönnau, in: FS Amelung, 2009, S. 247, 261 ff.; Mertens/ Cahn, in: Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, § 76, Rn. 15 ff. 202 Vgl. z. B. Koch, in: Hüffer, Aktiengesetz, § 76, Rn. 31. 196

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Kriterien herauszubilden, die insbesondere im Rahmen von anerkannten Konfliktfällen, wie beispielsweise im Bereich der Unternehmensspenden oder der Verschwiegenheit gegenüber bestimmten Interessengruppen, herangezogen werden können.203 Im Gegensatz zur interessenpluralistischen Zielkonzeption verfolgt der klassische Shareholder-Value-Ansatz204 deshalb ein eher interessenmonistisches Konzept, indem aus ökonomischer Sicht die Aktionärs- und damit Anteilseignerinteressen in den Vordergrund gestellt werden.205 Diese Sichtweise soll insbesondere den Vorteil haben, wesentlich praktikablere Handlungsleitlinien zu liefern. Der Shareholder Value ermögliche die Messbarkeit des Erfolges, indem auf vertraute Rechenmethoden aus der Investitionstheorie abgestellt werde.206 Gleichzeitig beschränke diese Konzeption auch die diskretionären Handlungsspielräume des Vorstands.207 Eine effiziente Steuerung der Unternehmensleitung setze „aus Sicht der Prinzipal/ Agenten-Theorie208 die Vorgabe eindeutiger und verlässlich quantifizierbarer Zielerreichungsgrade voraus“.209 Entscheidungen im Hinblick auf die Gewichtung und Abwägung konfligierender Interessengruppen sollen nicht vom Vorstand, sondern vielmehr auf politischer Ebene, sprich durch die Anteilseigner in der Hauptversammlung entschieden werden.210 Weiter seien die Anteilseigner bzw. Eigenkapitalgeber als Restbetragsbeteiligte im Gegensatz zu Festbetragsbeteiligten, wie beispielsweise Arbeitnehmer und Lieferanten, größeren Risiken ausgesetzt.211 Schließlich spreche für ein Shareholder-Value-Konzept noch die Einführung der erleichterten Möglichkeit des Rückerwerbs eigener Aktien sowie die Zulässigkeit der Einräumung von Aktienoptionen für Führungskräfte.212 Durch das Gesetz über Kontrolle und Transparenz im Unternehmen (KonTraG) von 1998, das maßgeblich auf dem betriebswirtschaftlichen Fundament der Prinzipal-Agenten-Theorie basiert, habe darüber hinaus ein wertorientierter Grundsatz zur Unternehmensführung in das Aktiengesetz Einzug gehalten.213 203

146 f. 204

Vgl. Fleischer, in: Spindler/Stilz, Aktiengesetz, § 76, Rn. 28; Zöllner, AG 2000, 145,

Vgl. nochmals oben Kapitel 2, B. II. 1. a) bb) (1). Vgl. Kuhner, ZGR 2004, 244, 258 f. 206 Forstmoser, in: FS Simon, 2006, S. 207, 213; Unzeitig/Köthner, Shareholder Value Analyse, S. 55 ff. 207 Fleischer, in: Spindler/Stilz, Aktiengesetz, § 76, Rn. 34; ders., in Hommelhof/Hopt/ v. Werder, Hdb. Corporate Governance, S. 185, 193 f. 208 Vgl. zur Prinzipal-Agenten-Theorie auch Ludwig, Branchenspezifische Wirtschaftsaufsicht und Corporate Governance, S. 43 f. 209 Kuhner, ZGR 2004, 244, 259. 210 Vgl. Birke, Das Formalziel der Aktiengesellschaft, 2005, S. 128. 211 Fleischer, in: Spindler/Stilz, Aktiengesetz, § 76, Rn. 33; Kuhner, ZGR 2004, 244, 259 f. 212 Fleischer, in: Spindler/Stilz, Aktiengesetz, § 76, Rn. 36; BegrRegE BT-Drucks 13/9712, S. 13, 23. 213 Fleischer, in: Spindler/Stilz, Aktiengesetz, § 76, Rn. 37. 205

B. Verhaltensleitlinien in Bezug auf prinzipienbasierte Normen

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Schließlich wird noch vermittelnd ein sog. moderates Shareholder-Value-Konzept vorgeschlagen. Hiernach soll zwar den Aktionärsinteressen Vorrang einzuräumen sein, was jedoch eine wenn auch untergeordnete Berücksichtigung anderer Interessengruppen nicht per se ausschließe.214 d) Stellungnahme Die Frage, inwieweit Geschäftsleiter im Rahmen ihrer Leitungsaufgabe aus verbandsrechtlicher Perspektive Interessen bestimmter Stakeholdergruppen berücksichtigen dürfen oder gar müssen, ist in der überwiegend gesellschaftsrechtlich geführten Diskussion mithin keinesfalls abschließend geklärt. Hinzu kommt im vorliegenden Zusammenhang, dass zwischen Aufsichts- und allgemeinem Verbandsrecht zunehmend ein konzeptionelles Spannungsverhältnis besteht, welches im Wesentlichen auf den unterschiedlichen Zielkonzeptionen der Rechtssysteme beruht. aa) Allgemeine Zielkonzeption des Bank- und Versicherungsaufsichtsrechts Bei der Frage der Zielkonzeption des Aufsichtsrechts gilt es zunächst, zwischen dem aufsichtsunterworfenen Banken- und dem Versicherungssektor zu unterscheiden.215 (1) Bankenaufsichtsrecht Ausweislich § 6 Abs. 2 KWG ist es Hauptziel der Bankenaufsicht, Missständen im Kreditwesen entgegenzuwirken, die (1) die Sicherheit der den Instituten anvertrauten Vermögenswerte gefährden, (2) die ordnungsgemäße Durchführung der Bankgeschäfte beeinträchtigen oder (3) erhebliche Nachteile für die Gesamtwirtschaft nach sich ziehen können. In erster Linie soll die Bankenaufsicht mithin gefahrenabwehrend wirken.216 Die staatliche Aufsicht über Kreditinstitute dient allein dem öffentlichen Interesse an der Sicherung der Finanzstabilität und dem Einlegerschutz und steht mithin offensichtlich in einem Spannungsverhältnis zu der grundrechtlich geschützten Gewerbefreiheit.217 Geschäftsleitern aufsichtsunterworfener Institute verbleibt zwar die alleinige Verantwortung für geschäftspolitische Entscheidungen, doch werden durch das Aufsichtsrecht zahlreiche quantitative und qualitative Rahmenbestimmungen geschaffen, die die Tätigkeit von Kreditinstituten 214 Spindler, in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, § 76, Rn. 74; Fleischer, in: Spindler/Stilz, Aktiengesetz, § 76, Rn. 43 f. In diese Richtung tendierend wohl auch Scholl, Vorstandshaftung und Vorstandsermessen, S. 264 f. 215 Zur Frage der Rechtfertigung aufsichtlicher Einwirkungen aus verfassungsrechtlicher Perspektive, vgl. unten Kapitel 3, C. I. 216 Vgl. Regierungsbegründung zum Entwurf des KWG von 1961, BT-Drs. III/114. 217 Vgl. Fischer, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, Einf., Rn. 120.

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Kap. 3: Prozedurale Anforderungen an Organentscheidungsprozesse

zugunsten der aufsichtsrechtlichen Zielbestimmungen einschränken.218 Die prudentielle Beaufsichtigung des Bankensektors findet dabei gerade in den durch ein Marktversagen drohenden schwerwiegenden Folgen für die Volkswirtschaft seine Rechtfertigung.219 Insbesondere vor dem Hintergrund der weltweiten Finanzmarktkrise sind zahlreiche aufsichtsrechtliche Reformbestrebungen geprägt von einer „nachhaltigen“ Stärkung der Widerstandskraft des Finanzsystems.220 Erkennbar gibt somit das Aufsichtsrecht eine langfristig orientierte, zum Schutz des öffentlichen Interesses gerichtete Zielkonzeption vor, die einem riskanten, kurzfristig orientierten Gewinnstreben zugunsten Einzelner vorbeugen und es verhindern soll.221 Das Bankenaufsichtsrecht zielt mithin primär auf den Erhalt eines funktionsfähigen Bankensystems und als integraler Bestandteil dieser Zielvorgabe auf den Schutz der Einleger vor Vermögensverlusten ab.222 (2) Versicherungsaufsichtsrecht Im Gegensatz zur Bankenaufsicht geht es im Bereich des Versicherungsaufsichtsrechts primär darum, (1) die Belange der Versicherten ausreichend zu wahren und (2) sicherzustellen, dass die Verpflichtungen aus den Versicherungsverträgen jederzeit erfüllbar sind, vgl. § 294 Abs. 1, Abs. 4 VAG. Gemäß § 294 Abs. 1 Satz 1 VAG sind die Ziele der laufenden Aufsicht die Beseitigung und die Vermeidung von Missständen. Ihre Aufgaben nimmt die Aufsichtsbehörde dabei ebenfalls nur im öffentlichen Interesse wahr, vgl. § 294 Abs. 8 VAG. Diese unterschiedlichen Schutzzielbestimmungen beruhen auf den andersartigen Geschäftsmodellen der Banken und Versicherungen. Aufgabe eines Versicherungsunternehmens ist die

218 Vgl. Ausführungen der BaFin, abrufbar unter: http://www.bafin.de/DE/DieBaFin/Aufga benGeschichte/Bankenaufsicht/bankenaufsicht_node.html. 219 Tröger, ZHR (177) 2013, 475, 482. 220 Zur Gewährleistungsverantwortung des Staates für stabile Finanzmärkte siehe nochmals oben Einführung, I. 2. a). 221 Vgl. hierzu exemplarisch Erwägungsgrund 53 der Richtlinie 2013/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013: „Defizite bei der Unternehmensführung einer Reihe von Instituten haben dazu beigetragen, dass im Bankensektor unvorsichtigerweise übermäßige Risiken eingegangen wurden, was zum Ausfall einzelner Institute und zu Systemproblemen in den Mitgliedstaaten und der ganzen Welt geführt hat. Die sehr allgemein gehaltenen Bestimmungen über die Unternehmensführung von Instituten sowie der unverbindliche Charakter eines großen Teils des Unternehmensführungsrahmens, der im Wesentlichen auf freiwilligen Verhaltenskodizes beruht, waren einer soliden Praxis der Unternehmensführung in den Instituten nicht ausreichend förderlich. In einigen Fällen wurden infolge des Fehlens wirksamer institutsinterner Kontrollen die Entscheidungsprozesse der Geschäftsleitung nicht wirksam überwacht, wodurch kurzfristig ausgerichtete und übermäßig risikoreiche Management-Strategien zunahmen. Wegen der unklaren Rolle der zuständigen Behörden bei der Aufsicht über Unternehmensführungssysteme in Instituten konnte die Wirksamkeit der internen Unternehmensführungsprozesse nicht ausreichend überwacht werden.“ 222 Fischer, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, § 125, Rn. 19.

B. Verhaltensleitlinien in Bezug auf prinzipienbasierte Normen

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Verteilung von Risiken auf die Versicherungsgemeinschaft.223 Außerdem ist die Bankenaufsicht in erster Linie auf die wirtschaftlich wirksamen Essentalia der Bankentätigkeit ausgerichtet und somit keine Kreditaufsicht im Sinne einer Einzelaufsicht.224 Gleichwohl ist zu erkennen, dass sowohl Kredit- als auch Versicherungsunternehmen zunehmend ähnlichen Risiken ausgesetzt sind. So sammeln beispielsweise auch Kapitallebensversicherungen von ihren Versicherungsnehmern Kapital ein, um dieses wiederum an den internationalen Finanzmärkten zu investieren.225 Eine darüber hinaus durch jüngste Reformen angestrebte Vereinheitlichung des Bank- und Versicherungsaufsichtsrechts lässt die Vermutung eines Paradigmenwechsels – weg von der Sicherung der Versicherungsnehmer, hin zur Sicherung der Stabilität des Finanzsystems – zu.226 Dennoch ist dieser Sicht, zumindest was die primären Zielbestimmungen angeht, entgegenzutreten. Denn im Gegensatz zum Bankengeschäft findet im Bereich des Versicherungsgeschäftes nicht notwendig eine Fristentransformation statt, da Versicherungsverbindlichkeiten in der Regel weitaus langfristiger sind und das Kapital der Versicherungsnehmer größtenteils ebenfalls langfristig angelegt werden kann.227 Zudem zeigt die gegenwärtig geplante 10. VAGNovelle, dass auch de lege ferenda das Hauptziel der Beaufsichtigung der Schutz der Versicherungsnehmer und der Begünstigten von Versicherungsleistungen sein soll, vgl. § 294 VAG. Dessen ungeachtet spielt die langfristige Sicherung und Stabilität des Finanzdienstleistungssektors aufgrund der Wichtigkeit des Versicherungssektors als Daseinsvorsorge eine immense Rolle.228 So kann die allgemeine Zielrichtung des Versicherungsaufsichtsrechtes als eine nachhaltige und langfristige Stärkung des Schutzes der Versicherten beschrieben werden, die darüber hinaus einen Beitrag zur Stabilität der Finanzmärkte leistet.229

223

Vgl. Weber-Rey, ZGR 2010, 543, 550. Vgl. R. Schmidt//Präve, in: Prölls, Versicherungsaufsichtsgesetz, Vorbem., Rn. 69. 225 Vgl. Weber-Rey, ZGR 2010, 543, 550. 226 So schon Knauth/Schubert, VW 2003, 902, 904. 227 Zutreffend Weber-Rey, ZGR 2010, 543, 550; vgl. auch Erwägungsgrund 16 der Solvency-II-Richtlinie: „Vorrangiges Ziel der Regulierung und Beaufsichtigung des Versicherungs- und Rückversicherungsgewerbes ist ein angemessener Schutz der Versicherungsnehmer und Anspruchsberechtigten.“ 228 Weber-Rey, ZGR 2010, 543, 550; vgl. auch Erwägungsgrund 3 der Solvency-II-Richtlinie: „Im Interesse eines reibungslos funktionierenden Binnenmarktes sollten abgestimmte Regelungen für die Beaufsichtigung von Versicherungsgruppen und – mit Blick auf den Gläubigerschutz – für die Sanierungs- und Liquidations-Verfahren im Falle von Versicherungsunternehmen aufgestellt werden.“ 229 Vgl. hierzu bspw. Erwägungsgrund 16 der Solvency-II-Richtlinie: „Vorrangiges Ziel der Regulierung und Beaufsichtigung des Versicherungs- und Rückversicherungsgewerbes ist ein angemessener Schutz der Versicherungsnehmer und Anspruchsberechtigten. Unter den Begriff Anspruchsberechtigte fällt eine natürliche oder juristische Person, die einen Anspruch aufgrund eines Versicherungsvertrags besitzt. Finanzstabilität sowie faire und stabile Märkte sind weitere Ziele der Versicherungs- und Rückversicherungsregulierung und -aufsicht, denen ebenfalls Rechnung zu tragen ist, die jedoch das vorrangige Ziel nicht beeinträchtigen dürfen.“ 224

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Kap. 3: Prozedurale Anforderungen an Organentscheidungsprozesse

(3) Schnittmenge Trotz unterschiedlicher Primärzielsetzungen im Bereich des Banken- und des Versicherungsaufsichtsrechtes ist beiden Schutzzielbestimmungen jedoch die dauerhafte Sicherung und Stärkung der Finanzstabilität gemein. Am Finanzmarkt mit seinen zentralen Segmenten werden Ideen und Kapital zusammengeführt und Risiken verteilt.230 Für sehr stark geldbasierte und global vernetzte Gesellschaften ist die Funktionsfähigkeit des Finanzmarktes deshalb ein zentrales öffentliches Interesse.231 Denn ohne das Vertrauen der Kunden in die Sicherheit ihrer Einlagen und Forderungen, kann – wie die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise eindrucksvoll gezeigt hat – ein stabiles und zuverlässig funktionierendes Finanzsystem nicht existieren. Die Konzeption des Finanzaufsichtsrechtes zielt insofern erkennbar darauf ab, künftiges Marktversagen zu verhindern.232 bb) Ziel einer dauerhaften Rentabilität als zwingender Leitungsgrundsatz Unproblematisch ist es deshalb, dass das Interesse an einem dauerhaften Erfolg des Unternehmens nach weit verbreiteter und zutreffender Ansicht als eines der Hauptziele angesehen wird, die der Vorstand bei der Wahrnehmung seines Leitungsauftrages zu befolgen hat.233 Ohne dauerhafte Rentabilität im Sinne eines angemessenen, zur substantiellen Erhaltung der Kapital- und Ertragskraft adäquaten Gewinns kann eine Aktiengesellschaft auf Dauer nicht bestehen.234 Anders ausgedrückt: Bestandserhaltung und dauerhafte Rentabilität sind Faktoren, die sich gegenseitig bedingen und untrennbar miteinander verknüpft sind. Sowohl die Anteilseigner als auch Gläubiger, Arbeitnehmer und andere Stakeholder werden regelmäßig – wenn auch unter Umständen in differenzierten Ausprägungen – an dieser als a priori vorgegebenen Verbandszielsetzung ein essenzielles Interesse haben.235 Dies heißt nicht, dass beispielsweise jede Geschäftstätigkeit eines Unternehmens für sich gesehen durch den Geschäftsleiter mit dem Ziel der dauerhaften Rentabilität

230

Vgl. Höfling, Gutachten F zum 68. DJT, 2010, F 9 f. Vgl. Höfling, Gutachten F zum 68. DJT, 2010, F 9 f. 232 Fritsch, in: Marktversagen und Wirtschaftspolitik, S. 277 ff. 233 Mertens/Cahn, in Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, § 76, Rn. 9, 21; Kort, in: Großkommentar zum Aktiengesetz, § 76, Rn. 53; Koch, in: Hüffer, Aktiengesetz, § 76, Rn. 34; Spindler, in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, § 76, Rn. 68 f.; Goette, in: FS 50 Jahre BGH, 2000, S. 123, 127; von Werder, ZGR 1998, 69, 77 ff.; vgl. auch OLG Hamm, AG 1995, 512, 514. 234 Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, § 76, Rn. 21; Spindler, in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, § 76, Rn. 60 f. 235 Vgl. Spindler, in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, § 76, Rn. 68 f.; Koch, in: Hüffer, Aktiengesetz, § 76, Rn. 34; Kort, in: Großkommentar zum Aktiengesetz, § 76, Rn. 61 ff.; Binder, ZGR 2013, 760, 783 f.; kritisch: Kuhner, ZGR 2004, 244, 252 f. 231

B. Verhaltensleitlinien in Bezug auf prinzipienbasierte Normen

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geleitet werden muss.236 Dauerhafte Rentabilität bzw. Bestandserhaltung ist eine Größe, die sich auf das zu leitende Unternehmen im Ganzen beziehen muss. So kann ein Abzug von Ressourcen von beispielsweise nicht mehr rentablen Geschäftsfeldern durch den Vorstand als „unverzichtbarer Bestandteil der Lenkung des knappen Kapitals zu den Orten seiner besten Verwendung“ geboten sein.237 Auch ein kurzoder mittelfristiger Verzicht in Bezug auf die Erreichung von Rentabilität des Unternehmens, beispielsweise zugunsten von Image- oder Marketinggründen, erscheint deshalb durchaus denkbar.238 Das Leitziel einer dauerhaften Rentabilität als essentielles Unternehmensinteresse führt aus aufsichtsrechtlicher Perspektive insofern zu keinen konzeptionellen Systemspannungen. Diesbezüglich korrespondiert die verbandsrechtliche Zielausrichtung mithin mit dem Aufsichtsrecht. Denn sowohl die Sicherung der dauerhaften Stabilität des Finanzsystems als auch der Einleger- bzw. Anleger- sowie der Versichertenschutz werden durch diese Leitmaxime gewährleistet. Darüber hinaus ist es auch im allgemeinen volkswirtschaftlichen Interesse, „dass die zur Wertschöpfung fähige Organisation von Produktionsfaktoren einen positiven Beitrag zum Wirtschaftsprozess leistet und Zerschlagungsverluste, die nicht in einer Verbesserung der Wirtschaftsstruktur ihren Ausgleich finden, vermieden werden“239. Auch die aktuelle Fassung des Deutschen Corporate Governance Kodex bestimmt nach Ziff. 4.1.1, dass der Vorstand das Unternehmen in eigener Verantwortung im Unternehmensinteresse mit dem Ziel „nachhaltiger Wertschöpfung“ zu leiten hat.240 Leitungsorgane unterliegen mithin stets der Verpflichtung, ihre Aufgaben unter Berücksichtigung des Gesichtspunktes der dauerhaften Rentabilität zu erfüllen. Den Geschäftsleitern ist dabei zur Konkretisierung dieses Zieles aufgrund des Auftrages, die Gesellschaft eigenverantwortlich zu leiten (§ 76 Abs. 1 AktG), grundsätzlich ein weiter Beurteilungsspielraum zuzugestehen.241 cc) Shareholder Value und Gewinnmaximierung Trotz dieser Erkenntnis bleibt die Frage, inwiefern die Leitung der Gesellschaft zu einer Steigerung des Shareholder Value führen muss, ungeklärt. Besteht etwa eine Verpflichtung zur Maximierung von Unternehmens- und Marktwert und mithin eine ausschließliche oder stärker zu gewichtende Berücksichtigung von Aktionärsinter236 Vgl. Kuhner, ZGR 2004, 244, 253: „Notwendige Voraussetzung für eine innovative Neukombination von Ressourcen ist der Abzug von Ressourcen aus nicht mehr wettbewerbsfähigen Wertschöpfungseinheiten.“ 237 Vgl. Kuhner, ZGR 2004, 244, 253. 238 Kort, in: Großkommentar zum Aktiengesetz, § 76, Rn. 53. 239 Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, § 76, Rn. 22. 240 Vgl. Deutschen Corporate Governance Kodex in der Fassung vom 13. Mai 2013 mit Beschlüssen aus der Plenarsitzung vom 13. Mai 2013, S. 6, Ziff. 4.1.1. 241 Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, § 76, Rn. 21; Nietsch, ZGR 2015, 631, 635 ff.

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Kap. 3: Prozedurale Anforderungen an Organentscheidungsprozesse

essen gegenüber anderen Stakeholdern oder zwingt etwa das Aufsichtsrecht zu einer vorrangigen Berücksichtigung öffentlicher Interessen zu Lasten verbandsendogener Gesichtspunkte? (1) Keine ausschließliche Berücksichtigung von Aktionärsinteressen zugunsten kurzfristiger Gewinnmaximierung Gegen eine ausschließliche Orientierung an Aktionärsinteressen mit dem Ziel einer kurzfristigen Gewinnmaximierung spricht schon, dass der Vorstand in erster Linie nicht Sachwalter einzelner Aktionärsgruppen, sondern vielmehr vorrangig Sachwalter der Gesellschaft ist.242 Denn grundsätzlich besteht die Treupflicht des Vorstandes unmittelbar gegenüber der Gesellschaft.243 Der Annahme einer Treuhänderstellung des Vorstandes gegenüber seinen Aktionären aufgrund eines vermeintlich höheren Risikos der Eigenkapitalgeber ist deshalb entgegenzutreten.244 Es kann nicht pauschal angenommen werden, dass Eigenkapitalgeber regelmäßig höheren Risiken ausgesetzt sind als sonstige Stakeholder. Insbesondere Arbeitnehmer sowie Gläubiger sind oftmals stärker von unternehmerischen Entscheidungen aufgrund unternehmensspezifischer Investitionen betroffen, als dies bei Aktionären der Fall ist.245 Beispielsweise haften Aktionäre im Falle eines Konkurses der Gesellschaft auch nicht für den Restbetrag zwischen vertraglich abgesicherten Ansprüchen und Unternehmenswert, sondern „lediglich“ mit ihrer Einlage und sind somit nicht zwangsläufig in der Position von Residualbeteiligten.246 Darüber hinaus führen die zunehmende Verbreitung hybrider Finanzinstrumente und der steigende Einsatz von Derivaten dazu, dass die Unterschiede des Risikogehaltes zwischen Eigen- und Fremdkapitalgeber immer mehr verwischt werden.247 Zwar erscheint es durchaus einleuchtend, dass eine Orientierung an Aktionärsinteressen mit dem Ziel kurzfristiger Gewinnmaximierung zuverlässige, da messbare Leitkriterien liefert. Doch steht einer ausschließlichen Orientierung an der kurzfristigen „Gewinnmaximierung“ als „technisch-rechnerischer Größe des Bilanzrechenwerks“ die primäre Zielsetzung einer dauerhaft angelegten Rentabilität entgegen, zumal der Gewinn bilanztechnisch periodisch jeweils für ein Geschäftsjahr errechnet wird.248 242 Kort, in: Großkommentar zum Aktiengesetz, § 76, Rn. 60 f.; Hopt/Roth, in: Großkommentar zum Aktiengesetz, § 93, Rn. 232; Binder, ZGR 2013, 760, 793. 243 BGHZ 83, 122, 134; BGHZ 110, 323, 334; Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, § 76, Rn. 16, § 93, Rn. 95 ff.; Fleischer, in: Spindler/Stilz, Aktiengesetz, § 93, Rn. 120. 244 Überzeugend Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, § 76, Rn. 16. 245 Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, § 76, Rn. 16. 246 Kuhner, ZGR 2004, 244, 259. 247 Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, § 76, Rn. 16; Baird/Henderson, 60 Stanford Law Rev., 101, 103 f. (2009). 248 Spindler, in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, § 76, Rn. 70.

B. Verhaltensleitlinien in Bezug auf prinzipienbasierte Normen

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Schließlich ist eine Orientierung ausschließlich an Aktionärsinteressen auch nicht mit der allgemeinen Zielkonzeption des Aufsichtsrechts vereinbar.249 Die aufsichtsrechtliche Regulierung ist nicht zuletzt durch die Finanzkrise mehr denn je auf eine langfristige Sicherung der Finanzstabilität ausgerichtet.250 Denn wie man heute weiß, wird die nahezu grenzenlose Anlage in teils hoch spekulative Finanzprodukte verbunden mit dem Ziel schneller Renditen als wesentliche Ursache für die Erschütterung des weltweiten Finanzsystems angesehen.251 Wären Geschäftsleiter zu einer kurzfristigen Gewinnmaximierung verpflichtet, würde dies darüber hinaus zu einer Art Dilemmasituation führen, die nur schwer in der Praxis aufzulösen wäre. Auf der einen Seite stünde die Verpflichtung, sich ausschließlich von Aktionärsinteressen leiten zu lassen, andererseits zwingt die Verwirklichung aufsichtsrechtlicher Zielvorgaben – und hier insbesondere der Schutzzweck einzelner spezialgesetzlicher Normen – zu einem eher vorsichtigen und langfristig orientierten Handeln.252 Die haftungsrechtlichen Gefahren liegen auf der Hand. So drohen neben aufsichtsbehördlichen Einflussnahmen und Sanktionen auch strafrechtliche Gefahren, wenn der Schutzzweck aufsichtsrechtlicher Normen zugunsten einer ausschließlich Shareholder-Value-orientierten Zielkonzeption zurücktritt und aufgrund unzureichender Normumsetzung die Gesellschaft beispielsweise in eine Schieflage gerät. Umgekehrt kann eine zwingend notwendige Auslegung aufsichtsrechtlicher Normen an deren Sinn und Zweck dazu führen, das Interesse an einem kurzfristigen gewinnmaximierenden Handeln zugunsten der aufsichtsrechtlichen Zielkonzeption zurückzustellen, was wiederum die Gefahr einer Innenhaftung nach § 93 Abs. 2 AktG gegenüber der Gesellschaft erhöht, wenn beispielsweise ein „Zuviel“ an Organisationsanforderungen mit derartigen Kosten verbunden ist, dass dies als Verschwendung des Gesellschaftsvermögens gedeutet werden kann. Auch der Deutsche Corporate Governance Kodex betont ausdrücklich das Erfordernis einer langfristig orientierten Unternehmenspolitik. Beeinflusst durch öffentliche Debatten und Empörungen an der von Gier getriebenen Finanzwelt während der Finanzkrise, erfuhr der Kodex klarstellende Änderungen hin zu einer in249

Vgl. auch Basler Ausschuss für Bankenaufsicht, Verbesserung der Unternehmensführung, 2006, S. 4, Rn. 8: „Tatsächlich haben Banken nicht nur ihren Anteilseignern sondern zusätzlich auch ihren Einlegern gegenüber Verantwortung.” Kritisierend Mülbert, BKR 2006, 349, 355. 250 Zu den Schutzzielbestimmungen des Banken- und Versicherungsaufsichtsrechts vgl. nochmals oben Kapitel 3, B. IV. 1. d) aa). 251 Vgl. Fischer, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, Einf., Rn. 91 f.: „Entwickelt hatte sich die Subprime-Krise vor allem durch eine nahezu schrankenlose Anlage teilweise spekulativer Gelder in nachrangigen Verbriefungen (Asset-Backed-Security – ABS) fragwürdiger US-amerikanischer Immobilien- und Verbraucherkredite. Die zugrunde liegenden Kreditforderungen waren infolge einer exzessiven Vertriebsstrategie der US-amerikanischen Kreditgeber mit nachfolgender Poolbildung, Verbriefung (Securitization) und Risikoverlagerung durch Veräußerung an Banken oder andere institutionelle Anleger weder mit der erforderlichen Sorgfalt bonitätsmäßig ausgewählt noch für die späteren Erwerber zuverlässig beurteilbar.“ 252 Vgl. diesbezüglich insbesondere die §§ 25a KWG bzw. 23 ff. VAG.

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Kap. 3: Prozedurale Anforderungen an Organentscheidungsprozesse

teressenpluralistisch geprägten Leitmaxime. Die im Jahr 2009 neu gefasste Ziff. 4.1.1 macht dies besonders deutlich: „Der Vorstand leitet das Unternehmen in eigener Verantwortung im Unternehmensinteresse, also unter Berücksichtigung der Belange der Aktionäre, seiner Arbeitnehmer und der sonstigen dem Unternehmen verbundenen Gruppen (Stakeholder) mit dem Ziel nachhaltiger Wertschöpfung.“253 Daneben zeigt auch § 93 Abs. 5 AktG, dass der Geschäftsleiter nicht nur dem Interesse der Aktionäre verpflichtet ist.254 Nach den Sätzen 1 und 2 dieser Vorschrift kann der Ersatzanspruch der Gesellschaft auch von den Gläubigern der Gesellschaft geltend gemacht werden, soweit sie von dieser keine Befriedigung erlangen können und – mit Ausnahme der in § 93 Abs. 3 geregelten Fälle – wenn die Vorstandsmitglieder die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters gröblich verletzt haben. Dieser Gläubigerersatzanspruch kann nach Satz 4 weder durch einen Verzicht oder Vergleich der Gesellschaft noch dadurch aufgehoben werden, dass die Handlung auf einem Beschluss der Hauptversammlung beruht. Hierin manifestiert sich die objektive Fassung des Pflichtenmaßstabs des Leitungsorgans und zeigt, dass sein Verhalten sich durchaus an einem über die Interessen der Shareholder hinausreichenden objektivierten Sorgfaltsmaßstab messen lassen muss.255 (2) Erfordernis eines langfristig orientierten, mit dem Aufsichtsrecht kompatiblen Shareholder-Value-Konzeptes Ist eine Shareholder-Value-Konzeption, verstanden als Ziel der kurzfristigen Gewinnmaximierung, mithin sowohl aus verbandsrechtlicher- als auch aus aufsichtsrechtlicher Perspektive abzulehnen, stellt sich dennoch die Frage, inwieweit eine Bevorzugung von Shareholderinteressen im Sinne einer langfristigen wertorientierten Unternehmenspolitik zulässig oder gar geboten ist. (a) Verbandsrechtliche Betrachtungsweise Grundsätzlich ist die Leitung einer privatrechtlich strukturierten und autonome Ziele verfolgenden Aktiengesellschaft primär auf das Wohl der Gesellschaft und ihrer Aktionäre ausgerichtet.256 Eines der zu verfolgenden (Haupt-)Ziele ist es dabei, die dauerhafte Rentabilität und damit einhergehend den langfristigen Erfolg und Bestand des zu leitenden Unternehmens zu sichern.257 Zur Verfolgung dieser Ziele kann es durchaus sinnvoll und unter Umständen sogar notwendig sein, zugunsten von Shareholderinteressen bestimmte Stakeholderinteressen hintanzustellen. Dies führt 253 Auch heißt es in der Präambel des DCGK: „Der Kodex verdeutlicht die Verpflichtung von Vorstand und Aufsichtsrat, im Einklang mit den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft für den Bestand des Unternehmens und seine nachhaltige Wertschöpfung zu sorgen (Unternehmensinteresse).“ 254 Langenbucher, in: FS Lwowski, 2014, S. 333, 335. 255 Zutreffend Langenbucher, in: FS Lwowski, 2014, S. 333, 335. 256 Spindler, in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, § 76, Rn. 68. 257 Vgl. nochmals oben Kapitel 3, B. IV. 1. d) bb).

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auch nicht zwangsläufig zu einer ungerechtfertigten Benachteiligung oder gar Ausbeutung von Bezugsgruppen, wie z. B. Arbeitnehmern oder Gläubigern.258 Denn diese werden zum einen durch Reputationseffekte geschützt.259 Ist ein Unternehmen gerade für seine schlechten oder gar unzumutbaren Arbeitsbedingungen bekannt, wird dieses es regelmäßig schwer haben, gute Mitarbeiter langfristig an das Unternehmen zu binden, geschweige denn dazu in der Lage sein, adäquate Arbeitskräfte zu ähnlichen Konditionen zu gewinnen.260 Zum anderen werden Arbeitnehmer-, Gläubiger-, Verbraucher- und Allgemeininteressen durch zahlreiche Vorschriften jenseits des Aktienrechts, hier namentlich durch das Aufsichtsrecht geschützt.261 Denn auch an die Einhaltung dieser Vorschriften ist der Vorstand gebunden.262 Darüber hinaus können andere Stakeholder durch vertragliche Regelungen für eine Wahrung ihrer Interessen sorgen, während den Shareholdern eine vertragliche Vorsorge durch den Grundsatz der Satzungsstrenge weitgehend verwehrt ist.263 Den Aktionären als „Herren der Gründung, Änderung und Auflösung der Gesellschaft“264 ist mithin eine Art Vorrangstellung gegenüber anderen Bezugsgruppen einzuräumen. Geschäftsleiter sind deshalb, sofern in der Satzung nichts Gegenteiliges bestimmt ist, grundsätzlich zu einer renditeorientierten Unternehmensführung verpflichtet.265 Dies ergibt sich schon allein aus der Bindung des Leitungsorgans an den jeweiligen Gesellschaftszweck. Darüber hinaus ist es gefestigte Ansicht des BGH, dass Geschäftsführungsmaßnahmen immer dann der Zustimmung der Hauptversammlung bedürfen, wenn sie tief in das Mitgliedschaftsrecht der Aktionäre eingreifen.266 Trotz umfassender Leitungs- und Geschäftsführungsbefugnisse von Geschäftsleitern sind mithin immer noch die Aktionäre „Herren der Gesellschaft“.267 Deshalb muss es darüber hinaus auch grundsätzlich möglich sein, eine Shareholder-Value-orientierte Unternehmenspolitik statutarisch festzulegen.268 258

Vgl. hierzu Fleischer, in: Hommelhoff/Hopt/v. Werder, Hdb. Corporate Governance, S. 185, 191. 259 Vgl. Williamson, The Economic Institutions of Capitalism, 1987, S. 261. 260 Vgl. Fleischer, in: Hommelhoff/Hopt/v. Werder, Hdb. Corporate Governance, 2. Aufl., 2009, S. 191; ders., in: Spindler/Stilz, Aktiengesetz, § 76, Rn. 31. 261 Vgl. Fleischer, in: Hommelhoff/Hopt/v. Werder, Hdb. Corporate Governance, S. 199 ff.; ders., in: Spindler/Stilz, Aktiengesetz, § 76, Rn. 38. 262 Zutreffend Ulmer, AcP 202 (2002), 143, 158; zustimmend Fleischer, in: Spindler/Stilz, Aktiengesetz, § 76, Rn. 38. 263 Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, § 76, Rn. 18; Fleischer, in: Spindler/Stilz, Aktiengesetz, § 76, Rn. 31. 264 So Wiedmann, Organverantwortung und Gesellschafterklagen in der Aktiengesellschaft, 1989, S. 33. 265 Fleischer, in: Spindler/Stilz, Aktiengesetz, § 76, Rn. 37 ff.; Röhricht, in: Großkommentar zum Aktiengesetz, § 23, Rn. 92. 266 BGHZ 83, 122 (Holzmüller); BGHZ 159, 30 (Gelatine I); BGH NZG 2004, 575 (Gelatine II). 267 Wiedemann, in: Großkommentar zum Aktiengesetz, § 179, Rn. 67.

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Kap. 3: Prozedurale Anforderungen an Organentscheidungsprozesse

Gleichwohl darf eine so gelagerte Leitmaxime nicht zu einer völligen Isolation anderer Bezugsgruppen führen.269 Der Deutsche Corporate Governance Kodex sowie das gemeinschaftsrechtliche Corporate-Social-Responsibility-Konzept270 machen dies deutlich. (b) Aufsichtsrechtliche Betrachtungsweise Aus verbandsrechtlicher Perspektive darf der Vorstand sich mithin im Rahmen seines Handlungs-, Beurteilungs- bzw. Ermessensspielraumes grundsätzlich vorrangig am Shareholder Value-Konzept orientieren, wenngleich verbandsexogene Interessen nicht vollständig unberücksichtigt bleiben dürfen. Doch gilt dies auch im Bereich des Finanzdienstleistungsaufsichtsrechtes, das das Unternehmens- bzw. Gesellschaftsinteresse gerade nicht berücksichtigt? Aus aufsichtsrechtlicher Perspektive scheint vor dem Hintergrund der Zielkonzeption des Aufsichtsrechtes das damit verfolgte öffentliche Interesse insofern geradezu zwangsläufig Geltungsvorrang gegenüber u. U. entgegenstehenden verbandsendogenen Erwägungen zu beanspruchen.271 Wenn dem so wäre, bestünde jedoch andererseits die Gefahr einer systemwidrigen Umpolung hinsichtlich der von den Leitungsorganen zu berücksichtigenden Leitmaximen.272 Fraglich – und deshalb Gegenstand nachfolgender Untersuchungen – ist mithin das Verhältnis zwischen Gesellschafts- und Aufsichtsrecht bei dem vom Geschäftsleiter bei seiner Erfüllung des Pflichtenrahmens zu berücksichtigenden Bezugsrahmen.273 Wie ist also zu verfahren, wenn sich beispielsweise einzelne Verhaltenspflichten im Zivil- und Aufsichtsrecht widersprechen? Ist das Aufsichtsrecht tatsächlich dazu geeignet, verbandsendogene Interessen und Wertungen zu überlagern? 268

Fleischer, in: Hommelhoff/Hopt/v. Werder, Handbuch Corporate Governance, 2. Aufl., 2009, S. 185, 197; ders., in: Spindler/Stilz, Aktiengesetz, § 76, Rn. 39; Mülbert, in: FS Röhricht, 2005, S. 421, 440; Groh, DB 2000, 2153, 2158; Ulmer, AcP 202 (2002), 143, 159; a. A.: Mülbert, ZGR 1997, 129, 164 ff.; Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, § 76, Rn. 18. 269 So auch Ludwig, Branchenspezifische Wirtschaftsaufsicht und Corporate Governance, S. 56, der darlegt, dass die Wahrung von anderen Interessen als die der Shareholder durchaus einen berechtigten Bestandteil guter Unternehmensführung darstellt. 270 Die Europäische Kommission definiert CSR als ein System, „das den Unternehmen als Grundlage dient, auf freiwilliger Basis soziale Belange und Umweltbelange in ihre Unternehmenstätigkeit und in die Wechselbeziehungen mit den Stakeholdern zu integrieren“; vgl. GRÜNBUCH der Kommission, Europäische Rahmenbedingungen für die soziale Verantwortung der Unternehmen, Juli 2001, KOM (2001) 366 endg., S. 7. 271 Binder, ZGR 2013, 760, 783. 272 Binder, ZGR 2013, 760, 783 f. 273 Von dieser Frage zu unterscheiden ist das bereits in Kapitel 1 dargestellte Verhältnis zwischen Aufsichts- und Gesellschaftsrecht, wenn es sich um aufsichtsgesetzliche Spezifizierungen allgemeiner verbandsrechtlicher Gesetzespflichten handelt, wie dies insbesondere bei den Organisationsvorgaben und Vergütungsregelungen der Fall ist. In derartigen Fällen kann von einer systemkonformen Konkretisierung allgemeiner Verbandspflichten ausgegangen werden, bei der die Lex-specialis-Regel Anwendung findet.

B. Verhaltensleitlinien in Bezug auf prinzipienbasierte Normen

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(aa) Fehlen einer ausdrücklichen Kollisionsregelung Zunächst einmal besteht die Möglichkeit, dass der Gesetzgeber das Verhältnis der Rechtskreise des Aufsichts- und des Gesellschaftsrechtes ausdrücklich bestimmen kann, sofern nicht vorrangiges bzw. höherrangiges Recht inklusive der grundlegenden Wertungen des Gesellschaftsrechtes dem entgegensteht.274 In Bezug auf das hier infrage stehende Spannungsverhältnis besteht eine derartige Kollisionsregelung jedoch nicht.275 Auch lässt sich aus den jeweiligen europäischen Richtlinien und den darauf basierenden Gesetzesmaterialien zur Umsetzung des europäischen Rechtes keine allgemeingültige Intention entnehmen. Wenn überhaupt, wird auf das Verhältnis zwischen Aufsichts- und Gesellschaftsrecht nur vereinzelt eingegangen.276 (bb) Vorrang des Aufsichtsrechtes? Einer Ansicht nach soll dem Aufsichtsrecht aufgrund des besonderen öffentlichen Interesses an dem Schutz der Finanzmärkte sowie dem Einleger- bzw. Versichertenschutz eine Vorrangstellung einzuräumen sein.277 Die ein besonderes öffentliches Interesse bedienenden Ziele des Aufsichtsrechtes seien als „normative Determinante der Leitungstätigkeit“ anzusehen, die die Geschäftsleitung primär zu beachten hat und die sie im Zweifel dazu ermächtigt, allgemeingesellschaftsrechtliche Grenzen für das Handeln der Geschäftsleiter zu überschreiten.278 Das Aufsichtsrecht wirke dabei über einen originär verbandsrechtlichen Kanal auf die Geschäftsleiterpflichten ein, indem inhaltliche Zielvorgaben des Geschäftsleiterermessens durch aufsichtsrechtliche Wertungen modifiziert würden.279 Insofern soll das aufsichtsrechtlich „Geforderte“ gesellschaftsrechtlich über Verbandsgrenzen hinweg implementiert werden können, was folglich zu einer Überformung des Verbandsrechts als Folge aufsichtsrechtlicher Wertungen führe.280 (cc) Grundrechte als Grenze verbandsexogener Zielvorgaben Binder hat sich jüngst mit der Frage der Pflichten- und Kompetenzkollision im Spannungsfeld von Bankenaufsichts- und Gesellschaftsrecht auseinandergesetzt. Da 274

Dreher/Ballmaier, ZGR 2014, 753, 769, 771; Loven/Raapke, VersR 2012, 257, 268. In der Vergangenheit hat der Gesetzgeber dies im Rahmen der Aufsicht über Finanzkonglomerate beispielsweise in §§ 104q Abs. 6 Satz 2; 104r Abs. 4 Satz 2 VAG getan. Diese Vorschriften wurden inzwischen durch das FKAG 2013 wieder aufgehoben. 276 Beispielsweise besagt die CRD-IV-Richtlinie, dass die jeweiligen Begriffsbestimmungen der Richtlinie die allgemeine Kompetenzverteilung nach dem nationalen Recht nicht berühren sollen, sondern lediglich funktionalen Charakter besitzen; vgl. hierzu Erwägungsgrund 55 der CRD-IV-Richtlinie. 277 So Tröger, ZHR 177 (2013), 475 ff. In Bezug auf die Konzernverantwortung in der aufsichtsunterworfenen Finanzbranche geht Tröger von einer Art „Sonderkonzernrecht kraft Aufsichtszielen“ aus. 278 Tröger, ZHR 177 (2013), 475 ff.; Dreher/Ballmaier, ZGR 2014, 753, 771. 279 Tröger, ZHR 177 (2013), 500 f. 280 Tröger, ZHR 177 (2013), 475, 480, 495 ff. 275

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Kap. 3: Prozedurale Anforderungen an Organentscheidungsprozesse

aufsichtsrechtliche Einwirkungen auf das Verbandsrecht vor dem Hintergrund des geltenden Verfassungsrechtes grundsätzlich begründungs- und rechtfertigungspflichtig seien, präzisierten die Grundrechte mithin den Grenzverlauf zur Sphäre verbandsendogen zu bestimmender Angelegenheiten und böten zugleich einen Anknüpfungspunkt für die Konkretisierung der Organpflichten.281 Insofern sei eine umfassende Umpolung des Bezugspunktes der Organpflichten im Sinne einer nicht näher ausdifferenzierten, weitreichenden Überformung der verbandsrechtlichen Kompetenz- und Pflichtenordnung durch das allein dem öffentlichen Interesse dienende Aufsichtsrecht verfehlt.282 Dem Vorstand einer Aktiengesellschaft soll vielmehr die Pflicht zukommen, auf die Einhaltung der Grenzen aufsichtsrechtlicher Einwirkungen zu achten und ggf. rechtswidrige Einwirkungen abzuwehren.283 (dd) Stellungnahme Zu beachten ist zunächst, dass die aufsichtsrechtliche Regulierung maßgeblich durch europäische Gesetzgebungsakte geprägt ist. Nationale Regelungen des KWG, VAG oder auch SAG beruhen zunehmend auf europäischen Richtlinien nach § 288 Abs. 3 AEUV. Diese sind ein Instrument indirekter bzw. kooperativ-zweistufiger Rechtsetzung.284 Hinsichtlich des mit der Richtlinie verfolgten Ziels bzw. Ergebnisses ist sie für jeden Mitgliedstaat, an den sie sich richtet, normativ verbindlich.285 Adressaten des materiellen europäischen Aufsichtsrechtes sind mithin nur die Mitgliedstaaten und gerade nicht die aufsichtsunterworfenen Unternehmen und deren Geschäftsleiter selbst.286 Hieraus folgt, dass erst die Umsetzung der final formulierten Richtlinienvorgaben in das jeweilige nationale Recht der Mitgliedstaaten dazu geeignet ist, unmittelbare Rechtspflichten für die aufsichtsunterworfenen Rechtsanwender zu begründen.287 Ein absoluter Vorrang des zunehmend europarechtlich geprägten Aufsichtsrechtes in Gestalt einer Überformung national bestehender verbandsrechtlicher Wertungen als Folge aufsichtsrechtlicher Wertungen288 würde im Ergebnis dazu führen, dass eine nationale Umsetzung europäischer Richtlinienvorgaben obsolet wäre.289 Aus dem normativen Gehalt des Aufsichtsrechtes in seiner europäischen Ausprägung wie auch in seiner mitgliedstaatlichen Umsetzung folgt vielmehr, dass gegebenenfalls bestehende Spannungen zwischen aufsichtsrechtlichen und gesellschaftsrechtlichen Bezugspunkten der von den Lei281

Binder, ZGR 2013, 760, 789. Binder, ZGR 2013, 760, 791. 283 Binder, ZGR 2013, 760, 798 ff. 284 Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 288, Rn. 23. 285 Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 288, Rn. 23. 286 Art. 312 Solvency-II-Richtlinie; Art. 165 CRD-IV-Richtlinie. Vgl. auch Dreher, WM 2015, 649 650; Dreher/Ballmaier, ZGR 2014, 753, 775. 287 Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 288, Rn. 23; Dreher/Ballmaier, ZGR 2014, 753, 775. 288 Vgl. hierzu nochmals Tröger, ZHR (177) 2013, 475 ff. 289 Dreher/Ballmaier, ZGR 2014, 753, 775. 282

B. Verhaltensleitlinien in Bezug auf prinzipienbasierte Normen

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tungsorganen zu berücksichtigenden Leitmaximen de lege ferenda durch die nationale Umsetzungsgesetzgebung zu beseitigen sind, was bisweilen im hier zu untersuchenden Zusammenhang gerade noch nicht geschehen ist.290 Dies heißt sicherlich nicht, dass dem besonderen öffentlichen Interesse an einer integren Kreditund Versicherungswirtschaft und damit an verbandsexogenen Zielvorgaben keine essentielle Bedeutung bei der Bestimmung des Bezugsrahmens der Organpflichten – hier bei der Leitmaxime in Bezug auf die Auslegung und Anwendung aufsichtsrechtlicher Vorgaben im Rahmen rechtlicher Unsicherheitsmomente – zukommt.291 Gleichwohl ist es nach gegenwärtig geltendem Recht nicht angebracht, die öffentlichen Belange dergestalt in das gesellschaftsrechtliche Pflichtenprogramm zu integrieren, dass ihnen von vornherein eine absolute Vorrangstellung einzuräumen ist.292 Denn solange der Gesetzgeber im Einzelfall nichts ausdrücklich Gegenteiliges regelt, müssen auch im Falle eines Konfliktes zwischen aufsichts- und gesellschaftsrechtlichen Wertungen die jeweiligen aktienrechtlichen Grundstrukturen und Prinzipien weitergelten.293 Bezogen auf die hier zu behandelnde Problematik bedeutet dies, dass der Geschäftsleiter im Rahmen einer interessenpluralistischen Zielkonzeption grundsätzlich dazu verpflichtet ist, öffentliche Belange zu berücksichtigen.294 Eine von vornherein abschließende Regel hinsichtlich der Gewichtung der sich im Einzelfall widerstreitenden Interessen scheint dennoch unangebracht. Eine überwiegend an verbandsendogenen Interessen ausgerichtete Unternehmenspolitik würde den grundlegenden Wertungen des Aufsichtsrechtes widersprechen. Gleichsam sind die Leitungsorgane nicht dazu verpflichtet, „im vorauseilenden Gehorsam“295 sich bei der Auslegung und Anwendung prinzipienbasierter Normen ausschließlich an dem verbandsexogenen Aufsichtsinteresse zu orientieren.296 Denn ein solches Verständnis des Leitungsermessens der Geschäftsleiter aufsichtsunterworfener Unternehmen würde mit dem Kern der Leitungsaufgabe, der treuhänderischen fremdnützigen Vermögensverwaltung für die Gesellschaft, konzeptionell nicht zu vereinen 290 Dreher/Ballmaier, ZGR 2014, 753, 775; vgl. hierzu auch Dreher, Stellungnahme für den Finanzausschuss des Deutschen Bundestags zu der öffentlichen Anhörung zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung „Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung der Finanzaufsicht über Versicherungen (Solvency II)“, BT-Drs. 18/2956, vom 28. 11. 2014, S. 6 und S. 12. 291 So auch Binder, ZGR 2013, 760, 792 ff.; Dreher/Ballmaier, ZGR 2014, 753, 772. 292 Binder, ZGR 2013, 760, 792. 293 Dreher, WM 2015, 649, 656 f.; Dreher, ZGR 2010, 496, 502; Louven/Raapke, VersR 2012, 257, 268; Armbrüster, VersR 2009, 1293, 1295; Binder, ZGR 2013, 760, 792 ff. 294 So muss es beispielsweise auch erlaubt sein, Stakeholder-Interessen über den gesetzlichen Mindestrahmen hinaus zu berücksichtigen, soweit das Leitungsorgan „dadurch einer gesellschaftlichen Erwartung entspricht und den Ruf der Aktiengesellschaft als good corporate citizen pflegt“. Vgl. hierzu zutreffend Fleischer, in: Spindler/Stilz, Aktiengesetz, § 76, Rn. 38; Weber, in: Hölters, AktG, § 76, Rn. 22. 295 Looschelders/Michael, in: Ruffert, Europäisches sektorales Wirtschaftsrecht, § 11 Rn. 67. 296 Bürkle, VersR, 2013, 792, 801.

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Kap. 3: Prozedurale Anforderungen an Organentscheidungsprozesse

sein.297 Auch der Gesetzgeber geht wohl gegenwärtig von keinem absoluten Geltungsanspruch aufsichtsrechtlicher Interessen aus. Dies zeigt folgendes Beispiel: In der Regierungsbegründung zum CRD-IV-Umsetzungsgesetz führt er beispielsweise in Bezug auf das Erfordernis eines gruppenweiten Einwirkungsrechtes übergeordneter Unternehmen zwar aus, dass die Einwirkungsrechte des übergeordneten Unternehmens uneingeschränkt gelten sollen und auch nicht durch anderweitiges Gesellschaftsrecht beschnitten werden sollen. Doch relativiert er diese Aussage unmittelbar im Anschluss wie folgt: „Davon unberührt – und zwar auch bei vertraglicher Vereinbarung von Durchgriffsrechten – bleibt die Pflicht des nachgeordneten Unternehmens zu prüfen, inwieweit Weisungen des übergeordneten Unternehmens rechtmäßig sind. Ebenso unberührt bleibt das Recht des nachgeordneten Unternehmens, Weisungen des übergeordneten Unternehmens zum Abschluss für das nachgeordnete Unternehmen nachteiliger – insbesondere existenzgefährdender – Rechtsgeschäfte oder zur Durchführung anderer nachteiliger Maßnahmen nicht auszuführen. Damit wird Grundsätzen deutschen Gesellschaftsrechts Rechnung getragen.“298

Teilweise wird diese Formulierung dahingehend interpretiert, dass im Zweifel dem Gesellschaftsrecht und mithin dem in § 76 Abs. 1 AktG genannten Bezugspunkt des Leitungsauftrages, nämlich dem des Gesellschafts- bzw. Unternehmensinteresses, Vorrang einzuräumen ist.299 Gestützt wird diese Erkenntnis, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die Frage, wie ein Geschäftsleiter seine Pflichten im Rahmen der ordnungsgemäßen Geschäftsorganisation der Gruppe gegenüber den rechtlich selbstständigen gruppenangehörigen Unternehmen durchsetzen kann, in den §§ 25a Abs. 3 und 25c Abs. 4a KWG nicht konkret geregelt ist. Vielmehr heißt es abstrakt, dass die Leitungsorgane des aufsichtsunterworfenen Instituts „dafür Sorge zu tragen“ haben, dass die Anforderungen in Bezug auf die Geschäftsorganisationsvorgaben der Gruppe erfüllt werden.300 Sofern eine stärkere Gewichtung aufsichtsrechtlicher Interessen nicht zwingend erscheint, weil andernfalls etwa die Stabilität des Finanzsystems301 nicht mehr gewährleistet wäre, muss deshalb de lege lata gelten, dass im Ergebnis eine an der 297 Überzeugend Binder, ZGR 2013, 760, 793. Ähnlich Scholl, Vorstandshaftung und Vorstandsermessen S. 264 f. 298 BT-Drs. 17/10974, S. 86. 299 So Dreher/Ballmaier, ZGR 2014, 753, 767; im Ergebnis ähnlich Binder, ZGR 2013, 760, 794. 300 Der Regierungsentwurf enthielt demgegenüber noch die strengere Formulierung, dass die Einhaltung der jeweiligen Anforderungen „sicherzustellen“ ist. Vgl. hierzu auch Dreher, WM 2015, 649, 656, der am endgültigen Wortlaut „Sorge zu tragen“ anstatt „sicherstellen“ die semantische Zurückhaltung des Gesetzgebers betont, dass die ursprüngliche Sicherstellungspflicht aufgrund des Konfliktes zwischen aufsichtsrechtlichem Müssen und gesellschaftsrechtlichem Können nicht überbetont werden sollte. 301 Gleiches muss auch für die jeweils anderen spezifischen aufsichtsrechtlichen Schutzzwecke gelten. Vgl. zu den Schutzzielbestimmungen im aufsichtsunterworfenen Banken- und Versicherungssektor nochmals oben Einführung, in und bei Fn. 16.

B. Verhaltensleitlinien in Bezug auf prinzipienbasierte Normen

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Spitze nicht disponible Hierarchie der zu verfolgenden Interessen besteht, der zufolge dem Leitungsorgan zur Herstellung praktischer Konkordanz zwischen verbandsendogenen und verbandsexogenen Interessen ein weiter Ermessensspielraum zusteht und sich mithin solange an verbandsendogenen Zielvorgaben orientieren darf, solange die verfassungsrechtlich schützenswerten aufsichtsrechtlichen Zielvorgaben hierdurch nicht gefährdet werden.302 Diese Grundsätze gelten dabei gleichermaßen bei klassischen Ermessensentscheidungen wie auch im Rahmen gesetzlich geregelter, aber rechtlich nicht abschließend geklärter Pflichten.303 Für die hier vertretene Auffassung spricht außerdem folgende Überlegung: Das Aufsichtsrecht im Banken- und Versicherungssektor ist, wie bereits mehrfach beschrieben, in erster Linie durch einen prinzipienorientierten Regulierungsansatz geprägt. Zahlreiche unbestimmte Rechtsbegriffe mit ausfüllungsbedürftigem Wortlaut sind durch das letztverpflichtete Leitungsorgan sorgfaltspflichtgemäß auszulegen und anzuwenden. Das Proportionalitätsprinzip erfordert es sodann, diese regulatorischen Anforderungen an die aufsichtsunterworfenen Unternehmen in einer Art und Weise zu erfüllen bzw. anzuwenden, die der Wesensart, der Komplexität und dem Umfang der geschäftsimmanenten Risiken des beaufsichtigten Unternehmens angemessen sind. Aus Sicht der aufsichtsunterworfenen Institute bzw. der für sie handelnden Geschäftsleiter besteht somit ein Handlungsspielraum, der es zulässt, aufsichtsrechtliche Zielvorgaben in einer Art und Weise umzusetzen, die dem spezifischen Gesellschaftswohl304 angemessen Rechnung trägt.305 Dass das mit dem Aufsichtsrecht zum Ausdruck kommende besondere öffentliche Interesse dennoch im Rahmen der zu berücksichtigenden Leitprinzipien eine wichtige Rolle spielt, steht außer Frage und folgt schon allein aus der Verpflichtung des Leitungsorgans für die Einhaltung unmittelbar bindender aufsichtsrechtlicher 302 In die gleiche Richtung tendierend Binder, ZGR 2013, 760, 793. Im Ergebnis ähnlich Dreher, WM 2015, 649, 659, in Bezug auf den Konflikt zwischen Aufsichts- und kollidierendem Gesellschaftsrecht im Rahmen der Geschäftsorganisationsvorgaben einer Versicherungsgruppe. 303 Binder, ZGR 2013, 760, 793 f. 304 Vgl. bspw. BT-Drs. 18/2575, S. 148: „Absatz 1 bestimmt, dass bei der Ausgestaltung des Sanierungsplanes eines Instituts oder einer Gruppe die Größe, Komplexität und Vernetzung sowie Art, Umfang und Komplexität des Geschäftsmodells und die davon ausgehenden Risiken im Einzelfall zu berücksichtigen sind (Proportionalitätsprinzip). Außerdem können Institute, die nicht potentiell systemgefährdend sind, vereinfachten Anforderungen gemäß § 19 unterliegen. Im Rahmen des Proportionalitätsprinzips können jedoch auch bei potentiell systemgefährdenden Instituten unter Berücksichtigung der vorgenannten Kriterien unterschiedliche Anforderungen an den Detaillierungsgrad bestimmter Kapitel im Sanierungsplan oder hinsichtlich der erwarteten Anzahl von Indikatoren oder Belastungsszenarien gestellt werden.“ 305 Da der Proportionalitätsgrundsatz gleichermaßen auch von den Aufsichtsbehörden zu berücksichtigen ist (doppelter Proportionalitätsgrundsatz), kann es häufig zu divergierenden Rechtsansichten im Rahmen des Interaktionsprozesses zwischen Aufsichtsbehörde und dem jeweiligen Rechtsunterworfenen kommen, zumal die Aufsichtsbehörden nur dem öffentlichen Interesse verpflichtet sind. Welche Auswirkungen dies auf die Befolgungspflicht der Aufsichtsadressaten hat, wird unten zu untersuchen sein.

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Kap. 3: Prozedurale Anforderungen an Organentscheidungsprozesse

Vorgaben von Gesetzesrang zu sorgen. Die Auslegung der entsprechenden Vorgaben verlangt dabei von dem Gesetzesanwender, dass er verschiedene mögliche Bedeutungen des auszulegenden Textes erkennt und sich argumentativ für eine Bedeutung entscheidet.306 Denn Gegenstand der Auslegung ist zuvörderst der Gesetzestext als „Träger des Sinns des Gesetzes“.307 Denn für die Auslegung einer Gesetzesvorschrift ist der in der jeweiligen Norm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers maßgebend, „so wie er sich aus dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung und dem Sinnzusammenhang ergibt“.308 Handelt es sich, wie im vorliegenden Zusammenhang, im Wesentlichen um auf europäischen Richtlinien beruhendes nationales Umsetzungsrecht, so unterliegt dieses dem Gebot der richtlinienkonformen Interpretation, soweit jedenfalls keine nationalen Spielräume in Form von Mitgliedstaatenoptionen bestehen.309 Diese Auslegungsgrundsätze beschränken mit anderen Worten die Handlungsautonomie der letztverpflichteten Geschäftsleiter in der Weise, dass die Berücksichtigung verbandsendogener Interessen bei bestehenden Umsetzungsspielräumen wiederum ihre Grenze in dem mit der jeweiligen aufsichtsrechtlichen Vorschrift verfolgten Sinn und Zweck findet. e) Ergebnis In letzter Konsequenz bedeutet dies mithin, dass Vorstände im Rahmen der Wahrnehmung ihrer Leitungsaufgaben grundsätzlich zu einer interessenpluralistischen Zielkonzeption verpflichtet sind. Immer dann, wenn die konkrete Entscheidungslage bei bestehenden Umsetzungsspielräumen eine Abwägung miteinander konfligierender Interessengruppen erfordert, darf sich das handelnde Leitungsorgan solange an verbandsendogenen Zielvorgaben orientieren, solange die verfassungsrechtlich schützenswerten aufsichtsrechtlichen Schutzzielbestimmungen hierdurch nicht gefährdet werden, kein positives Gesetzesrecht besteht, das einen Vorrang des Aufsichtsrechtes ausdrücklich anordnet, in der Satzung nichts Gegenteiliges geregelt ist und eine stärkere Gewichtung verbandsendogener Interessen der langfristigen Wertsteigerung des Unternehmens dienlich ist.310 Dabei wird de lege lata gelten müssen: Je größer das Risiko die verfassungsrechtlich schützenswerten aufsichtsrechtlichen Schutzzielbestimmungen durch eine Geschäftsleiterentscheidung im konkreten Einzelfall zu gefährden, desto geringer ist

306

Larenz, Methodenlehre, S. 204. Winnefeld, in: Winnefeld, Bilanz-Handbuch, IV, 10. c), Rn. 75. 308 BVerfG, NJW 1960, 1563, 1564. 309 Vgl. z. B. EuGH, Rs. C-334/92, Wagner Miret/Fondo de garantía salarial, Slg. 1993, I-6911; EuGH, Rs. C-71/94, C-72/94 und C-73/94, Eurim-Pharm Arzneimittel/Beiersdorf e. a., Slg. 1996, I-3603; Bürkle, VersR 2013, 792, 793. 310 Ähnlich Fleischer, in: Spindler/Stilz, Aktiengesetz, § 76, Rn. 37 ff.; Spindler, in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, Rn. 76; Weber, in: Hölters, Aktiengesetz, § 76, Rn. 22. 307

B. Verhaltensleitlinien in Bezug auf prinzipienbasierte Normen

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der Vorrang verbandsendogener Interessen im Rahmen der anzustellenden gerechten Abwägung sich widerstreitender Interessen. Zwischen Aufsichtsrecht und Verbandsrecht besteht demnach aus Sicht der aufsichtsunterworfenen Unternehmen eine Art inhaltliche Wechselwirkung miteinander konfligierender Wertungen.311 Aktienrechtliche Grundstrukturen und -prinzipien gelten trotz der Existenz aufsichtsrechtlicher Spezialnormen weiter fort.312 In derartigen Fällen kann von einem Auseinanderfallen von formeller und materieller aufsichtsrechtlicher Spezialität gesprochen werden, da zwar formell die aufsichtsrechtliche Spezialregelung grundsätzlich vorrangig Anwendung findet, materiell gesehen jedoch die aktienrechtliche Grundordnung nicht vollständig verdrängt wird.313 Eine echte Spezialität in Bezug auf aufsichtsrechtliche Normen kann nämlich regelmäßig nur dann gelten, wenn diese auf einer ausdrücklichen kollisionsrechtlichen, gesetzlichen Grundlage beruht und den grundlegenden aktienrechtlichen und insbesondere auch verfassungsrechtlichen Wertungen nicht widerspricht.314 2. Abwägung bestehender Chancen und Risiken Ergeben sich für den Geschäftsleiter nach erfolgter Feststellung der rechtlichen Rahmenbedingungen mehrere Handlungsoptionen, ist er weiter dazu angehalten, mögliche Risiken zu ermitteln und abzuschätzen und mit zu erwartenden Chancen abzuwägen.315 Konkret geht es um eine Beurteilung rechtlicher Risiken im Hinblick auf eine später drohende anderslautende Gerichtsentscheidung.316 In die Beurteilung mit einzustellen sind dabei sämtliche Vor- und Nachteile sowie die mit der jeweiligen Entscheidung einhergehende Bedeutung für die Gesellschaft.317 Es stellt sich mithin die Frage, inwiefern der Geschäftsleiter im Einzelfall einer konkreten Rechtsbefolgungspflicht unterliegt. Wie bereits in Kapitel 2 festgestellt, führt trotz grundsätzlich bestehender Rechtsbindung an normierte Vorgaben von 311

Ähnlich, jedoch im Zusammenhang mit dem schweizerischen Recht und in Bezug auf miteinander konfligierende Konkurrenznormen, Emmenegger, Bankorganisationsrecht, S. 165. Vgl. ebenfalls im Zusammenhang mit dem schweizerischen Recht, Weber, SJZ 109 (2013) Nr. 18, 405, 409. Vgl. auch Weber-Rey, ZGR 2010, 543, 570: Diese stellt die Vermutung auf, dass sich aufsichtsrechtliche Pflichten auf die aktienrechtliche Pflichten der Vorstände von Banken und Versicherungen auswirken. 312 So auch Louven/Raapke, VersR 2012, 257, 268. 313 Dreher, ZGR 2010, 496, 528; ebenso, jedoch im Zusammenhang mit dem schweizerischen Recht, Emmenegger, Bankorganisationsrecht, S. 164 f. 314 So auch Louven/Raapke, VersR 2012, 257, 268; Bürkle, VersR 2009, 866, 871; Dreher/ Schaaf, WM 2008, 1765, 1767. 315 Vgl. Bürkle, VersR 2013, 792, 801; Buck-Heeb, BB 2013, 2247, 2255. 316 Zimmermann, WM 2008, 433, 435; Fleischer, in: Spindler/Stilz, Aktiengesetz, § 93, Rn. 30 f. 317 Buck-Heeb, BB 2013, 2247, 2255 f.

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Kap. 3: Prozedurale Anforderungen an Organentscheidungsprozesse

Gesetzesrang nicht zwangsläufig jeder Verstoß zu einer Binnenhaftung des Geschäftsleiters. Vielmehr gilt grundsätzlich Folgendes: Je klarer die Rechtslage, desto eher ist eine Risikoverteilung zulasten des Geschäftsleiters gerechtfertigt bzw. desto strenger sind die Anforderungen hinsichtlich des zu einer Entlastung führenden Verhaltens im Innenverhältnis. Auf der Grundlage dieser Erkenntnis gilt es nun, den Umfang und die Reichweite der im Einzelfall bestehenden Handlungsautonomie am Grad der jeweils bestehenden Rechtsunsicherheit herauszuarbeiten. Dabei gilt grundsätzlich, dass eine bestehende Rechtsprechungspraxis sowie ergänzend eine hiermit übereinstimmende anerkannte aufsichtsbehördliche Praxis zu mehr Rechtssicherheit führt als eine durch Literaturmeinungen gestützte Interpretation, zumal sich zu nahezu jeder Rechtsfrage regelmäßig eine abweichende Literaturmeinung ermitteln lässt.318 a) Das Vorhandensein einer herrschenden Rechtsprechungsansicht In Fällen, in denen sich eine herrschende Rechtsprechungsansicht ermitteln lässt, ist zu differenzieren, ob es dem Leitungsorgan gelungen ist, diese zu identifizieren: aa) Herrschende Rechtsprechungsansicht identifiziert Wenn der letztverpflichtete Geschäftsleiter im Rahmen seines Rechtsermittlungsprozesses mit oder ohne Expertenrat eine herrschende Rechtsansicht herausgefiltert hat, dieser Praxislinie jedoch zugunsten einer vermeintlich vertretbaren Ansicht nicht folgt, scheidet mit Blick auf die zutreffend durchgeführte Rechtsermittlung ein schuldausschließender Verbotsirrtum von vornherein aus.319 Würde man nun in diesem Fall eine Pflichtverletzung im Innenverhältnis zur Gesellschaft verneinen, beispielsweise weil sich die als vermeintlich vertretbar ermittelte Rechtsansicht für die Gesellschaft vorteilhafter herausstellt, so würde dies im Ergebnis der in Kapitel 2 bereits ausgeschlossenen „Vertretbarkeitslehre“ entsprechen.320 Das handelnde Organ wäre demnach in haftungsrechtlicher Hinsicht gegenüber der Gesellschaft in den meisten Fällen in unbilliger Weise privilegiert, so dass eine Verwässerung der Rechtsunterworfenheit der Gesellschaft sowie die Gefahr von „Gefälligkeitsgutachten“ droht.321 Dies widerspricht auch nicht dem vorstehend beschriebenen, in Zweifelsfällen bestehenden Vorrang verbandsendogener Interessen im Rahmen von Konflikten zwischen Gesellschafts- und Aufsichtsrecht. Denn sofern eine verlässliche herrschende Rechtsmeinung, beispielsweise aufgrund bestehender höchstrichterlicher Rechtsprechung, eindeutig identifiziert wurde, besteht

318 319 320 321

Langenbucher, in: FS Lwowski, 2014, S. 333, 338 f., 345. Langenbucher, in: FS Lwowski, 2014, S. 333, 344 f. Zur Vertretbarkeitslehre vgl. nochmals oben Kapitel 2, C. II. 2. Langenbucher, in: FS Lwowski, 2014, S. 333, 345.

B. Verhaltensleitlinien in Bezug auf prinzipienbasierte Normen

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schon gar keine „Zweifelssituation“, die eine Durchbrechung der Rechtsbindung aufgrund gesellschaftsrechtlicher Wertungen u. U. rechtfertigen würde. bb) Herrschende Rechtsprechungsansicht existiert, wurde jedoch nicht korrekt identifiziert Existiert zwar eine eindeutige herrschende Rechtsansicht, die jedoch vom handelnden Geschäftsleiter nicht identifiziert wurde, so ist er seinen vorstehend beschriebenen Rechtsermittlungspflichten nicht nachgekommen.322 Es liegt ein pflichtwidriges Verhalten vor, das aufgrund der inzwischen detaillierten Rechtsprechungsanforderungen an die Rechtsermittlung regelmäßig auch zu einem Verschulden des Handelnden führt. b) Sonderfall: Die beabsichtigte Herbeiführung einer Rechtsprechungsänderung Keine höchstrichterliche Rechtsprechung ist in „Stein gemeißelt“. Im Gegenteil sind durchaus Konstellationen denkbar, die dem Geschäftsleiter Anlass dazu geben können, von einer gefestigten Rechtsprechungspraxis Abstand zu nehmen mit dem Ziel, zugunsten einer für die zu leitende Gesellschaft günstigeren Rechtsansicht bewusst eine Rechtsprechungsänderung herbeizuführen. In diesen Fällen unterliegt das Leitungsorgan wiederum keinem aufgrund bestehender Rechtsunsicherheit schuldausschließenden Rechtsirrtum.323 Dennoch sind im Einzelfall Ausnahmen von der vorstehend beschriebenen grundsätzlichen Rechtsbefolgungspflicht gegenüber der Gesellschaft im Rahmen einer existierenden und identifizierten herrschenden Rechtsansicht zu gestatten.324 Dies darf gleichwohl nicht dazu führen, dass der Geschäftsleiter sich uferlos mit der Schutzbehauptung, er habe mit seiner Entscheidung eine Rechtsprechungspraxis herbeiführen wollen, gegenüber dem zu leitenden Unternehmen exkulpieren kann. Vielmehr muss eine begründete Aussicht auf die Änderung einer bislang gefestigten Rechtsprechung bestehen.325 Eine umfassende Rechtsermittlung hat zu ergeben, dass im Einzelfall eine realistische Möglichkeit besteht, zugunsten eines „überwiegenden Interesses“326 der Gesellschaft

322

Langenbucher, in: FS Lwowski, 2014, S. 333, 344 . Buck-Heeb, BB 2013, 2247, 2256; Langenbucher, in: FS Lwowski, 2014, S. 333, 345 f. 324 Vgl. hierzu auch Cahn, Der Konzern 2015, 105, 108, der zutreffend darauf verweist, dass auch häufig genug höchstrichterliche Rechtsprechungen Gegenstand wissenschaftlicher Kritik sind. 325 Fleischer, in: Fleischer, Hdb. des Vorstandsrechts, § 7 Rn. 19; ders., in: Spindler/Stilz, Aktiengesetz, § 93, Rn. 30 f.; ders., ZIP 2005, 141, 149 f.; Spindler, in: FS Canaris, Bd. 2, 2007, S. 403, 422; Dreher, in: FS Konzen, 2006, S. 85, 93; Hopt/Roth, in: Großkommentar zum Aktiengesetz, § 93 AktG, Rn. 138; Buck-Heeb, BB 2013, 2247, 2256. 326 So Dreher, in: FS Konzen, 2006, S. 85, 93 f., 107. 323

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Kap. 3: Prozedurale Anforderungen an Organentscheidungsprozesse

eine Rechtsprechungsänderung herbeizuführen.327 Eine begründete Aussicht auf Änderung kann sich beispielsweise dann ergeben, wenn neue europarechtliche oder verfassungsrechtliche Aspekte die bisher herrschende Ansicht infrage stellen.328 Aufgrund der grundsätzlichen Vollharmonisierung werden künftig beispielsweise vermehrt europarechtliche Aspekte in den Vordergrund treten, über die letztendlich der EuGH entscheiden wird.329 Auch kann es im Bereich des regulierten Finanzdienstleistungssektors vorkommen, dass sich beispielsweise in der Rechtsprechung eine überwiegende Rechtsauffassung zu bestimmten regulatorischen Vorgaben abzeichnet, die wiederum durch eine völlig andere Rechtsauffassung der Aufsichtsbehörden oder auch durch aufkommende Literaturstimmen infrage gestellt wird. In derartigen Konstellationen muss es trotz fehlender rechtlicher Bindungswirkung aufsichtsbehördlicher Verlautbarungen nicht pflichtwidrig sein, von einer vermeintlich herrschenden Rechtsansicht mit dem Ziel, diese abzuändern, abzuweichen. Ein erlaubtes Abweichen kann darüber hinaus auch dann gegeben sein, wenn es sich bei der vermeintlich gefestigten Rechtsmeinung um eine solche älteren Datums handelt oder ein Senat bzw. deren Mitglieder eine Überprüfung angeregt haben.330 Zusammengefasst bedeutet dies: Je gefestigter die Rechtsansicht, desto gebundener die Entscheidung bzw. desto überzeugender und eindeutiger muss sich die Argumentation darstellen, die auf eine Änderung der Rechtsprechungspraxis abzielt.331 c) Herrschende Rechtsprechungspraxis ist nicht vorhanden Lässt sich im Rahmen der Rechtsermittlung keine herrschende Rechtsprechungspraxis identifizieren, so richtet sich die Strenge der Rechtsbefolgungspflicht in einem abgestuften Verhältnis nach dem Grad der jeweils bestehenden Rechtsunsicherheit. aa) Untergesetzliche Rechtsprechung vorhanden Besteht beispielsweise eine unterinstanzliche Rechtsprechung zu einer bestimmten Frage, so muss sich der Entscheidungsträger zumindest mit dieser auseinandersetzen und zusätzlich das Meinungsbild in der Literatur heranziehen.332 Entspricht die untergesetzliche Rechtsprechung etwa der herrschenden Literatur327

Langenbucher, in: FS Lwowski, 2014, S. 333, 346. Zutreffend Buck-Heeb, BB 2013, 2247, 2256. 329 Bürkle, VersR 2013, 792, 802; zur wachsenden Bedeutung der EuGH-Judikatur vgl. Dreher, ZVersWiss 2012, 381, 424. 330 Dreher, in: FS Konzen 2006, S. 85, 93 f.; Buck-Heeb, BB 2013, 2247, 2256. 331 Überzeugend: Buck-Heeb, BB 2013, 2247, 2256; Dreher, in: FS Konzen, 2006, S. 85, 93; Spindler, in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, § 93, Rn. 85. 332 Buck-Heeb, BB 2013, 2247, 2256. 328

B. Verhaltensleitlinien in Bezug auf prinzipienbasierte Normen

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meinung sowie der gängigen Behördenpraxis, so wird eine bindende Rechtsbefolgungspflicht eher anzunehmen sein, als wenn die vorhandenen Rechtsquellen völlig divergierende Rechtsansichten vertreten.333 Vordergründiges Ziel muss dabei stets sein, unter Berücksichtigung des Ausmaßes an Rechtsunsicherheit sowie unter der Abwägung aller Argumente die am besten vertretbare Rechtsmeinung zu ermitteln.334 Um eine solche wird es sich regelmäßig dann handeln, wenn die jeweils favorisierte Rechtsansicht mindestens ebenso gut vertretbar ist wie eine oder mehrere konkurrierende Meinungen.335 bb) Lediglich Behördenpraxis vorhanden In der Praxis wird sich der Geschäftsleiter jedoch regelmäßig in einer Situation vorfinden, in der eine Rechtsprechung zur spezifischen Rechtsfrage nicht existiert. Denn wie bereits Eingangs in Kapitel 1 (für die Vergangenheit) belegt, werden Konflikte im aufsichtsrechtlichen Kontext üblicherweise nicht forensisch ausgetragen.336 Vielmehr wird der Geschäftsleiter regelmäßig darauf bedacht sein, Differenzen mit Aufsichtsbehörden außergerichtlich zu lösen, einerseits um gegen sich selbst gerichtete aufsichtsbehördliche Maßnahmen zu vermeiden, andererseits um das ebenfalls bereits mehrfach angesprochene Kooperationsverhältnis zwischen den Aufsichtsbehörden und den aufsichtsunterworfenen Instituten nicht zu gefährden – was wiederum durchaus auch im Interesse des jeweiligen Bank- und Versicherungsunternehmens sein kann. Besteht also „lediglich“ eine Behördenpraxis, so können allein aus dieser noch keine konkreten Anhaltspunkte für die Rechtsbefolgungspflicht abgeleitet werden. Trotz der fehlenden rechtlichen Bindungswirkung aufsichtsbehördlicher Verlautbarungen für die Rechtsanwender und Gerichte dürfen beispielsweise die Rundschreiben und Auslegungsentscheidungen der BaFin oder auch die Leitlinien und Empfehlungen der ESAs auch nicht völlig ignoriert werden.337 Teilweise wird vertreten, dass der Rechtsbefolgungspflicht jedenfalls dann Genüge getan ist, wenn das Unternehmen auf die Übereinstimmung der zugrunde gelegten Rechtsansicht mit der (gefestigten) Praxis einer Aufsichtsbehörde verweisen kann.338 Nach hier vertretener Ansicht kann dem nicht uneingeschränkt gefolgt werden. Der bloße Verweis auf eine gefestigte (allein dem öffentlichen Interesse verpflichtete) Aufsichtspraxis, die auf einem selbst geschaffenen Auf333

Buck-Heeb, BB 2013, 2247, 2256; Bürkle, VersR 2013, 792, 801. Langenbucher, in: FS Lwowski 2014, S. 333, 344. 335 Langenbucher, in: FS Lwowski 2014, S. 333, 344. 336 Vgl. hierzu nochmals oben Kapitel 1, B. II. 3. 337 Buck-Heeb, BB 2013, 2247, 2256. Hierfür sprechen weitere Gesichtspunkte wie die Sicherung der künftigen Kooperation mit der Aufsichtsbehörde, die Vermeidung von Nachteilen durch eventuell drohende aufsichtsbehördliche Sanktionen sowie damit einhergehende denkbare Reputationsverluste des aufsichtsunterworfenen Unternehmens. 338 Langenbucher, in: FS Lwowski 2014, S. 333, 345; dies., ZBB 2013, 16, 23; Buck-Heeb, BB 2013, 2247, 2249, 2256. 334

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Kap. 3: Prozedurale Anforderungen an Organentscheidungsprozesse

sichtsbehördenrecht beruht und darüber hinaus de lege lata keinerlei rechtliche Bindungswirkung entfaltet, würde im Ergebnis wiederum dazu führen den Aufsichtsbehörden für gewisse Sachverhalte eine Letztentscheidungskompetenz zuzusprechen, ohne dass hierfür eine rechtliche Grundlage bzw. Ermächtigung besteht. Grundsätzlich muss auch hier gelten, dass in Fällen, in denen der Letztverpflichtete bei seiner umfassenden Abwägung zu dem Ergebnis kommt, dass die Rechtsansicht der Aufsichtsbehörde den gesetzlichen Vorgaben widerspricht, von derselben zugunsten der Gesellschaft abgewichen werden kann oder sogar muss.339 Denn aus dem beschränkten Geltungsanspruch des Aufsichtsrechtes folgt, dass bei Fehlen einer gesetzlichen Kollisionsregel der Geschäftsleiter zwingend neben dem öffentlichen Interesse an integren Finanzmärkten auch weitere Stakeholderinteressen sowie insbesondere das verbandsendogene Gesellschafts- bzw. Unternehmensinteresse zu berücksichtigen hat und letzteres im Zweifel stärker zu gewichten ist als das aus aufsichtsrechtlicher Sicht allein zu berücksichtigende öffentliche Interesse. Insofern kann gegebenenfalls sogar im Innenverhältnis zur Gesellschaft eine Pflicht bestehen, von einer zwar gefestigten, jedoch angreifbaren Rechtsmeinung zum Wohle des Unternehmens abzuweichen.340 Existiert in Bezug auf den infrage stehenden rechtlichen Sachverhalt eine gefestigte (Aufsichts-) Behördenpraxis, so kann diese allenfalls Indizwirkung im Hinblick auf die Rechtsbefolgungspflicht des Geschäftsleiters entfalten, begründet jedoch keineswegs einen „Safe Harbour“ für denselben. d) Höchstmaß an Rechtsunsicherheit Sofern sich trotz sorgfältig durchgeführter Rechtsermittlung keine zuverlässige Handlungsoption ermitteln lässt, kann von einem Höchstmaß an Rechtsunsicherheit gesprochen werden. Diese Situation wird regelmäßig dann vorliegen, wenn überhaupt keine (auch nicht unterinstanzliche) Rechtsprechung zu der zu klärenden Rechtsfrage existiert, unterinstanzliche Rechtsprechungen sich widersprechen und/ oder sich auch kein einheitliches Meinungsbild in der Literatur bzw. in der Behördenpraxis abbildet. Denkbare Fallkonstellationen können beispielsweise Gesetzesänderungen oder auch Gesetzesneuregelungen sein, deren Anwendung in der Aufsichtspraxis oder der Rechtsprechung ungewiss sind.341 Die rapide Fortentwicklung des qualitativen, insbesondere auf Prinzipien basierenden Aufsichtsrechtes sowie ständige Modifikationen faktisch bindender aufsichtsbehördlicher Verlautbarungen können darüber hinaus in hohem Maße für eine zunehmende Rechtsunsicherheit bei Geschäftsleitern aufsichtsunterworfener Unternehmen sorgen. In diesen Fällen ist das Ziel, die am besten vertretbare Rechtsmeinung zu ermitteln, schlichtweg un339

Buck-Heeb, BB 2013, 2247, 2256; Binder, ZGR 2013, 760, 789 ff. So z. B. Binder, ZGR 2013, 760, 789 ff.; Bürkle, VersR 2013, 792, 801; Dreher/Ballmaier, ZGR 2014, 753, 775; Dreher/Häußler, ZGR 2011, 471, 485 f.; Eilert, VW 16/2011, 1174; Spindler, in: FS Canaris, Bd. 2, 2007, S. 403, 423. 341 Buck-Heeb, BB 2013, 2247, 2249. 340

B. Verhaltensleitlinien in Bezug auf prinzipienbasierte Normen

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möglich. Demzufolge gilt es auch und insbesondere im beaufsichtigten Finanzdienstleistungssektor, sich in diesen Konstellationen weiter auf die Frage zu konzentrieren, ob das Vertrauen des handelnden Leitungsorganes in die Richtigkeit seiner Entscheidung unter Berücksichtigung aller Umstände der konkreten Entscheidungslage plausibel erscheint.342 In Fällen, in denen sich mithin keine Linie ermitteln lässt, welcher die Gerichtspraxis aller Voraussicht nach folgen wird, genügt der Geschäftsleiter seinen Sorgfaltspflichten schon dann, wenn er nach Abwägung aller verfügbaren Quellen seiner Entscheidung eine Rechtsansicht zugrunde legt, für die aus seiner Sicht vermutet werden kann, dass sich die Praxis hieran orientieren wird.343 Mit anderen Worten ausgedrückt ist in diesen „Extremfällen“344 der maximalen Rechtsunsicherheit das „optimale“ Handeln mit dem „vertretbaren“ Handeln gleichzusetzen.345 e) Ergebnis Der Geschäftsleiter hat mithin „in der konkreten Entscheidungssituation alle verfügbaren Informationsquellen tatsächlicher und rechtlicher Art auszuschöpfen und auf dieser Grundlage die Vor- und Nachteile der bestehenden Handlungsoptionen sorgfältig abzuschätzen und den erkennbaren Risiken Rechnung zu tragen“.346 Zu berücksichtigen sind in der vorzunehmenden Abwägung insbesondere das Maß347 der Rechtsunsicherheit sowie die Bedeutung der Entscheidung und die sich daraus ergebenden Chancen für die Gesellschaft.348 Erkennbare Risiken sind dabei, sofern im konkreten Einzelfall möglich, tunlichst zu minimieren.349 Denn erkennt der Geschäftsleiter eklatante Risiken in rechtlicher Hinsicht, verringert sich zugleich sein Chance-Risiko-Verhältnis zu seinen Lasten. Grundsätzlich gilt: Je gefestigter und aktueller eine Rechtsprechung bzw. herrschende Rechtsmeinung zu der infrage stehenden Rechtsproblematik ist, desto gebundener stellt sich die Handlungsentscheidung für den Geschäftsleiter dar und desto besser müssen die Gründe sein, wenn von ihr zugunsten verbandsendogener Gesichtspunkte für die Gesellschaft abgewichen wird. Hinsichtlich einer vorhandenen (gefestigten) Behördenpraxis besteht 342 Binder, AG 2012, 885, 895; Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, § 93, Rn. 23; Krieger/Sailer-Coceani, in: Schmidt/Lutter, Aktiengesetz, § 93, Rn. 16 f.; Holle, AG 2011, 778, 785; in diese Richtung tendierend Buck-Heeb, BB 2013, 2247, 2256. 343 Langenbucher, in: FS Lwowski 2014, S. 333, 346; Buck-Heeb, BKR 2011, 441, 446; Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, § 116, Rn. 69; Dreher, in: FS Konzen, 2006, S. 85, 93. 344 Binder, ZGR 2013, 760, 787 f. 345 Vgl. auch BGH NJW 2005, 976. Hiernach soll weder dem Rechtsberater noch dem Beratenen ein Verschulden vorgeworfen werden können, wenn die Rechtslage hinsichtlich des infrage stehenden Problems in „besonderem Maße“ unklar gewesen ist. 346 Vgl. BGH NJW 2008, 3361, 3362; Goette, in: FS 50 Jahre BGH, S. 123, 140 f. 347 Langenbucher, ZBB 2013, 16, 23. 348 Buck-Heeb, BB 2013, 2247, 2256 f. 349 OLG Frankfurt am Main, AG 2008, 453, 454.

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Kap. 3: Prozedurale Anforderungen an Organentscheidungsprozesse

eine Art rechtliche Befassungspflicht, die nach geltendem Recht allenfalls eine gewisse Indizwirkung in Bezug auf das rechtlich geforderte Verhalten entfalten kann. Schließlich muss der Vorstand bei seiner Abwägungsentscheidung noch die im Einzelfall zu ermittelnde zeitliche Komponente berücksichtigen. Je eilbedürftiger die Entscheidung ist, desto weniger kann von dem Entscheidungsträger ein Hinauszögern der Entscheidung zugunsten noch umfassenderer Beurteilungen des rechtlichen Chance-Risiko-Verhältnisses erwartet werden und desto großzügiger muss die Beurteilung der „Vertretbarkeit“ der Entscheidung ausfallen.350

V. Dokumentationspflicht Tritt in der Praxis tatsächlich der Fall ein, dass ein Handeln des Geschäftsleiters im Hinblick auf die Rechtmäßigkeit überprüft wird, wird sich regelmäßig das Problem ergeben, dass dieser sein Handeln – auch noch nach längerer Zeit – möglichst lückenlos und plausibel darlegen und beweisen kann. Insofern empfiehlt es sich, möglichst detailgetreu jegliche prozeduralen Schritte und Erwägungsgründe für die jeweilige Handlungsentscheidung schriftlich zu dokumentieren.351

VI. Ergebnis Den Geschäftsleiter aufsichtsunterworfener Banken und Versicherungen trifft die Letztverantwortung, wenn es um die Auslegung und Anwendung prinzipienbasierter Normen geht. Lassen offen formulierte Tatbestände mehrere Handlungsalternativen zu, führt dies regelmäßig zu erheblichen rechtlichen Unsicherheiten im Rahmen organschaftlicher Entscheidungsfindungs- bzw. -vorbereitungsprozesse. Verletzt das Leitungsorgan seine ihm obliegenden Pflichten, so sieht sowohl das Aufsichtsrecht als auch das allgemeine Verbandsrecht zahlreiche Sanktionen vor. Bewegt es sich hingegen im Rahmen rechtlicher Unsicherheiten innerhalb seines ihm zustehenden „Quasi-Ermessens“ sui generis und hält darüber hinaus vorstehende Verhaltensleitlinien ein, so gewähren ihm diese eine von Haftungs- und Sanktionsgefahren weitestgehend befreite Handlungsautonomie, auch wenn im Nachhinein eine Pflichtverletzung durch gerichtliches Urteil positiv festgestellt wird.

350 Vgl. Landwehrmann, in: Heidel, Aktien- und Kapitalmarktrecht, § 93, Rn. 12; Fleischer, in: Spindler/Stilz, Aktiengesetz, § 93, Rn. 31. 351 Zutreffend Bürkle, VersR 2013, 792, 802; Müller, NZG 2012, 981, 983.

C. Verhaltensanforderungen bei aufsichtsbehördlicher Einflussnahme

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C. Verhaltensanforderungen bei aufsichtsbehördlicher Einflussnahme Da sich die qualitative Beaufsichtigung zunehmend auf die gesamte Geschäftstätigkeit aufsichtsunterworfener Unternehmen, inklusive sämtlicher Aspekte der Leitungs- und Geschäftsführungsaufgaben bezieht und das Finanzaufsichtsrecht den jeweiligen zuständigen Aufsichtsbehörden sehr weite Handlungsspielräume einräumt, stellt sich mehr denn je die Frage der Grenze aufsichtsbehördlicher Einwirkungen. Denn wie in dieser Arbeit mehrfach anhand ausgewählter Beispiele dargelegt, macht allein die Existenz zahlreicher aufsichtsbehördlicher Sanktions- und Einlussnahmeinstrumentarien deutlich, dass die unternehmerische Tätigkeit sehr stark von einer aufsichtsbehördlichen Billigung abhängig gemacht wird. In der Spitze droht deshalb eine Verlagerung originär unternehmerischer Entscheidungen, potentiell sogar von Grundlagenentscheidungen auf die jeweils zuständigen Aufsichtsbehörden. Die dargestellten Einwirkungsmöglichkeiten führen nicht zuletzt aufgrund der damit verbundenen Eingriffe in grundrechtlich geschützte Rechtspositionen teils zu erheblichen konzeptionellen Spannungen mit der verbandsrechtlichen Pflichten- und Kompetenzordnung, zumal es im Rahmen der aufsichtsrechtlichen Regulierung und Beaufsichtigung des Finanzdienstleistungssektors ausschließlich um das öffentliche Interesse geht. Kommt die jeweils zuständige Aufsichtsbehörde im Rahmen der Überprüfung aufsichtskonformen Verhaltens im Vergleich zu einer von dem aufsichtsunterworfenen Unternehmen differenzierten Rechtsansicht und nimmt sie daraufhin von ihren Aufsichtsbefugnissen Gebrauch oder legt sie zumindest dar, entsprechende Maßnahmen in Erwägung zu ziehen, dann stellt sich die Frage wie sich die Geschäftsleiter in diesen Fällen zu verhalten haben.

I. Verfassungsrechtliche Grenzen aufsichtsbehördlicher Einflussnahme Aufsichtsbehördliche Interventionen führen im Bereich des Banken- und Versicherungssektors auf Seiten der aufsichtsunterworfenen Unternehmen und ihrer Leitungsorgane sowie auf Seiten der Anteilseigener teils zu erheblichen Freiheitsverkürzungen. Diese sind vor dem Hintergrund des Verfassungsrechtes stets begründungs- und rechtfertigungsbedürftig. Trotz des grundsätzlich bestehenden weiten gesetzgeberischen Gestaltungsfreiraumes dürfen finanzmarktregulatorische Interventionen nicht schrankenlos erfolgen.352 Insbesondere die zahlreichen aufsichtsbehördlichen Überwachungs-, Einflussnahme-, Eingriffs- sowie Sanktionsmöglichkeiten sind häufig mit erheblichen Grundrechtsbeschränkungen verbunden, 352

Binder, ZGR 2013, 760, 789; Höfling, Gutachten F zum 68. DJT, 2010, F 52 ff.

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Kap. 3: Prozedurale Anforderungen an Organentscheidungsprozesse

indem sie nicht zuletzt auch weitreichende Systemspannungen mit der verbandsrechtlichen Pflichten- und Kompetenzordnung offenbaren.353 1. Betroffene Grundrechtspositionen Wie in Kapitel 1 dargestellt, sind durch finanzmarktregulatorische Interventionen insbesondere unternehmerische Freiheitsgrundrechte sowie im Falle des Eingriffs in die verbandsrechtliche Kompetenzordnung die die Rechtsposition der Anteilseigner schützenden Grundrechte betroffen. Sowohl in Deutschland als auch auf europäischer Ebene kommt dem Grundrechtsstatus privater Finanzdienstleistungsunternehmen sowie ihrer Eigentümer und Geschäftsleiter zentrale Bedeutung zu.354 Maßnahmen, die aufgrund der SSM-VO in den Kompetenzbereich der EZB fallen, müssen primär dem europäischen Grundrechtsschutz standhalten, während das Handeln der nationalen Aufsichtsbehörden am Verfassungsrecht der jeweiligen Mitgliedstaaten zu messen ist.355 Das deutsche Verfassungsrecht spricht in Deutschland natürlichen und unter den Voraussetzungen des Art. 19 Abs. 3 GG auch juristischen Personen einen vor staatlichen Einflussnahmen geschützten Spielraum zu. Von Bedeutung sind im vorliegenden Zusammenhang auf nationaler Ebene insbesondere die Grundrechte gemäß Art. 2, 12 und 14 GG. Diese Grundrechte garantieren den jeweiligen Grundrechtsträgern die „Wirtschaftsfreiheit“, verstanden als unternehmerische Dispositionsfreiheit.356 Auf europäischer Ebene wird durch die Art. 16 und 17 jeweils in Verbindung mit Art. 52 der EU-Grundrechtscharta ein vergleichbarer Grundrechtsschutz für natürliche wie auch für juristische Personen gewährleistet. Diese Wirtschaftsgrundrechte gewähren ihren jeweiligen Trägern mithin zunächst einen eigenverantwortlichen Gestaltungsfreiraum in Bezug auf ihre Präferenzen, ihre Risikobereitschaft sowie ihre Geschäftsmodelle, ohne dass es auf eine Gemeinwohlverträglichkeit des wirtschaftlichen Handelns ankommt.357 a) Der Schutz freier unternehmerischer Betätigung aa) Nationaler Grundrechtsschutz Die in Art. 12 Abs. 1 GG statuierte Berufsfreiheit ist neben Art. 14 GG und Art. 2 Abs. 1 GG die für das Arbeits- und Wirtschaftsleben zentrale Grundsatznorm der

353 354 355 356 357

Vgl. hierzu nochmals ausführlich oben Kapitel 1, A. II., Kapitel 1, B. sowie Kapitel 1, C. Vgl. hierzu auch Höfling, Gutachten F zum 68. DJT, 2010, F 52 ff. Vgl. zum Rechtsschutz gegen intervenierende Maßnahmen unten Kapitel 3, C. II. 4. Vgl. Papier, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Art. 14, Rn. 228. Vgl. Höfling, Gutachten F zum 68. DJT, 2010, F 16.

C. Verhaltensanforderungen bei aufsichtsbehördlicher Einflussnahme

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freien wirtschaftlichen Betätigung.358 Diese „allgemeine Wirtschaftsfreiheit“ eröffnet dem Einzelnen einen allgemeinen, ökonomisch nutzbaren Freiheitsraum.359 Was die grundgesetzliche Wirtschaftsverfassung, verstanden als die „Summe der verfassungsrechtlichen Gestaltungselemente der Ordnung der Wirtschaft“360, betrifft, ist das deutsche Grundgesetz grundsätzlich neutral.361 Infolgedessen enthält die bestehende Wirtschaftsverfassung „den grundsätzlich freien Wettbewerb der als Anbieter und Nachfrager auf dem Markt auftretenden Unternehmer als eines ihrer Grundprinzipien“.362 Neben dieser Wettbewerbsfreiheit sind insbesondere auch weitere tätigkeitsbezogene Freiheiten wie beispielsweise die unternehmerische Dispositionsfreiheit, die unternehmerische Investitionsfreiheit, die unternehmerische Freiheit des Marktzutritts und der marktmäßigen Betätigung, die unternehmerische Wachstumsfreiheit sowie die unternehmensmäßige Organisationsfreiheit von der Unternehmensfreiheit geschützt.363 In letzter Konsequenz bedeutet dies mithin, dass grundsätzlich der Schutz freier unternehmerischer Betätigung bei der Wahl und Verfolgung von Unternehmensgegenstand und Unternehmenszweck sowie allgemein das freie unternehmerische Handeln verfassungsrechtlich gewährleistet sind.364 Denn in der Festlegung von Unternehmensgegenstand und Unternehmenszweck manifestiert sich die Berufswahlentscheidung des Unternehmers.365 Der Unternehmensgegenstand legt dabei das Tätigkeitsgebiet fest, auf dem das mit dem Unternehmenszweck angestrebte Ziel verfolgt werden soll.366 Oftmals fällt es jedoch schwer, einzelne geschützte Tätigkeiten dem jeweiligen Grundrecht trennscharf zuzuordnen. Insbesondere zwischen der Berufsfreiheit und der Eigentumsgarantie besteht ein enger funktionaler Zusammenhang.367 Typische wirtschaftlich-unternehmensmäßige Teilfreiheiten der wirtschaftlichen Betätigung gehören zum typischen Substrat der von den Art. 12 und 14 GG geschützten unternehmerischen Betätigung.368 Aufgrund zahlreicher Überschneidungen bzw. fließender Übergänge besteht keine strikte alternative Exklusivität, sondern vielmehr ein Verhältnis der Idealkonkurrenz oder auch teilweise ein Verhältnis der jeweils funktionalen Selbstständigkeit.369 Grundsätzlich ist das Grundrecht der Berufsfrei358 Schmidt, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, Art. 12 GG, Rn. 1; Scholz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Art. 12 GG, Rn. 130. 359 Scholz, in: Grundgesetz-Kommentar, Art. 12 GG, Rn. 85 f. 360 Ruffert, in: Beck’scher Online-Kommentar GG, Art. 12 GG, Rn. 11. 361 Scholz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Art. 12 GG, Rn. 85. 362 BVerfGE 32, 311, 317. 363 Vgl. Scholz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Art. 12, Rn. 131 ff. m. w. Nachw. 364 Vgl. hierzu auch Hoffmann, BB 1995, 53 ff. 365 BVerfGE 21, 261, 266; BverwGE 87, 37, 39; Hoffmann, BB 1995, 53, 55. 366 Hoffmann, BB 1995, 53, 55. 367 Vgl. BVerfGE 50, 290, 361 f.: „… beide Grundrechte funktionell aufeinander bezogen.“ 368 Vgl. Scholz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Art. 12, Rn. 138. 369 Vgl. Scholz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Art. 12, Rn. 130 m. w. Nachw.

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Kap. 3: Prozedurale Anforderungen an Organentscheidungsprozesse

heit jedoch eher tätigkeits- bzw. handlungsbezogen und schützt den Erwerb, während Art. 14 GG das durch den Erwerb Erworbene, also Substanzpflichten schützt. Teilweise wird darüber hinaus ein gegenüber Art. 12 GG abgegrenzter Schutz der unternehmerischen Freiheit durch Art. 2 Abs. 1 GG vertreten.370 Von dieser sollen unter anderem die wirtschaftliche Entfaltungsfreiheit, verstanden als die Freiheit, ein Unternehmen zu gründen und zu führen, die freie Disposition über die Art und Weise, in der auf den Unternehmenserfolg hingearbeitet werden soll, sowie der freie Einsatz von Betriebs- und Investitionsmitteln gewährleistet werden.371 Als Minimum soll der Gesellschaft jedenfalls ein angemessener Spielraum zur Entfaltung der Unternehmensinitiative verbleiben.372 Dennoch ist zu beachten, dass die unternehmerische Freiheit in unterschiedlichen Ausprägungen bereits von den Gewährleistungen der speziellen Grundrechte erfasst ist.373 Ein Rückgriff auf die grundsätzlich subsidiäre Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG ist insofern nur dann möglich und geboten, wenn diverse Teilaspekte der wirtschaftlichen Betätigung nicht bereits durch Spezialgrundrechte geschützt sind.374 bb) Europäischer Grundrechtsschutz Auf europäischer Ebene wird ein derartiger Schutz insbesondere durch die unternehmerische Freiheit nach Art. 16 der EU-Grundrechtscharta sichergestellt. Diese schützt die freie Berufsausübung der Unternehmer und dient deren Interessen sowie dem Grundsatz des freien Wettbewerbs.375 Gewährleistet wird sowohl die Aufnahme und Beendigung einer unternehmerischen Betätigung als auch alle Aspekte ihrer Durchführung.376 Daneben kommt das Grundrecht auch der Organisation eines Unternehmens und der Art und Weise, wie man es betreibt, zugute.377

370

So bspw. BVerfGE 50, 290, 366. So bspw. Ossenbühl, AÖR 115 (1990), 1 ff.; Badura, Brennpunkte des Arbeitsrechts 1997, S. 15, 21. 372 Vgl. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Art. 2, Rn. 126. 373 Insbesondere von den Art. 12 Abs. 1 GG, Art. 14 Abs. 1 GG, Art. 9 Abs. 1 GG. Vgl. auch BVerfGE 50, 290, 363; Scholz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Art. 12, Rn. 130; Papier, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Art. 14, Rn. 228. 374 Vgl. Papier, in: Handbuch des Verfassungsrechtes, Rn. 75. Dies könnte beispielsweise dann in Betracht kommen, wenn staatliche Maßnahmen die wirtschaftliche Tätigkeit in allgemeiner Form regeln oder beeinflussen, ohne speziell den Schutzbereich von Art. 12 oder 14 GG zu berühren: vgl. hierzu Hoffmann, BB 1995, 53, 57. 375 Vgl. Jarass, Charta der Grundrechte der EU, 2. Aufl., 2013, Art. 16, Rn. 2. 376 Vgl. Jarass, Charta der Grundrechte der EU, 2. Aufl., 2013, Art. 16, Rn. 7; Bernsdorff, in: Meyer, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 16, Rn. 11 ff.; Ruffert, in: Ehlers, Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, § 19 I 2, Rn. 9 ff. 377 EuGH, Rs. 116/82 – K/Deutschland, Slg. 1986, 2519, Rn. 27. 371

C. Verhaltensanforderungen bei aufsichtsbehördlicher Einflussnahme

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b) Der Schutz der Eigentumsgarantie aa) Nationaler Grundrechtsschutz Das Eigentum ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes ein elementares Grundrecht; „das Bekenntnis zu ihm ist eine Wertentscheidung des GG von besonderer Bedeutung für den sozialen Rechtsstaat“.378 Geschützte Rechtspositionen i. S. v. Art. 14 Abs. 1 GG sind alle vermögenswerten Rechte, die das Recht einem privaten Rechtsträger so zuordnet, dass er die damit verbundenen Befugnisse nach eigenverantwortlicher Entscheidung zu seinem privaten Nutzen ausüben darf.379 Hierzu gehört auch das Eigentum der Unternehmensträger am Unternehmen, insbesondere auch der Schutz der Gesellschaften, die das Unternehmen tragen.380 Darüber hinaus gewährleistet Art. 14 GG auch das gesellschaftsrechtlich vermittelte Anteilseigentum in Form von Aktien.381 Verfassungsrechtlicher Schutz wird dabei sowohl in Form der mitgliedschaftsrechtlichen Stellung der Inhaber als auch in Form von vermögensrechtlichen Ansprüchen durch das Aktieneigentum vermittelt.382 Aufgrund dessen stehen dem Aktionär auch Leitungsbefugnisse, beispielsweise in Gestalt von Stimmrechten in der Hauptversammlung, sowie Ansprüche auf Gewinnbeteiligung und Liquidationsquoten zu.383 bb) Europäischer Grundrechtsschutz Ein ähnlicher Schutz wird wiederum auch auf europäischer Ebene durch den in Art. 17 der EU-Grundrechtscharta elementaren Rechtsgrundsatz des Eigentumsrechtes gewährleistet.384 Denn gemäß Art. 52 Abs. 3 der Grundrechtscharta haben die Rechte dieser Charta, die den durch die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten garantierten Rechten entsprechen, die gleiche Bedeutung und Tragweite, wie sie ihnen in der genannten Konvention verliehen werden. Diese Vorschrift passt mit anderen Worten die Auslegung der Grundrechte der Charta an die Konvention an.385 Der durch die Grundrechtscharta gewährleistete Schutz darf dabei niemals geringer ausfallen als der durch die EMRK sowie durch die

378

BVerfG, NJW 1962, 1667. BVerfGE 83, 201, 209 = NJW 1991, 1807; BVerfGE 89, 1, 6 = NJW 1993, 2035; NJW 2009, 2033, 2043. 380 BVerfGE 50, 290, 351. 381 BVerfGE 14, 263, 276 ff.; 25, 371, 407; 50, 290, 341 ff.; 100, 289, 301 f. 382 BVerfGE 100, 289, 301 f.; BVerfG, Beschl. v. 23. 08. 2000, NJW 2001, 279. Vgl. hierzu auch Mülbert, in: FS Hopt, 2010, S. 1039, 1052. 383 BVerfGE 100, 289, 301 f.; BVerfG, NJW 2007, 3268, 3269. 384 Vgl. hierzu allgemein Jarass, Charta der Grundrechte der EU, Art. 17, Rn. 1 ff.; Michl, JZ 2013, 504. 385 Jarass, Charta der Grundrechte der EU, Art. 52, Rn. 64. 379

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Kap. 3: Prozedurale Anforderungen an Organentscheidungsprozesse

Protokolle der EMRK386 gewährte Schutz.387 Da insofern Art. 1 des Protokolls 1 zur Konvention auch Eingriffe in die Anteilseignerrechte bei Banken einer differenzierten Rechtmäßigkeits- und Verhältnismäßigkeitsprüfung unterwirft,388 besteht ein mit dem nationalen Verfassungsrecht vergleichbarer Schutz des Anteilseigentums. 2. Zwischenergebnis Sowohl auf nationalere Ebene als auch auf europäischer Ebene wird den aufsichtsunterworfenen Unternehmen und auch den jeweiligen Anteilseignern mithin umfassend Schutz gewährt. Dass die oben in Kapitel 1 untersuchten aufsichtsrechtlichen Einwirkungen auf das Verbandsrecht zweifelsohne in verfassungsrechtlich geschützte Rechtspositionen eingreifen, wurde bereits mehrfach erwähnt. Bei der Beschränkung dieser Freiheiten durch gesetzliche Vorgaben stehen dem deutschen und europäischen Gesetzgeber jedoch grundsätzlich weite Gestaltungsspielräume zu.389 Wegen der elementaren Bedeutung eines funktionsfähigen Finanzmarktes für das Gemeinwohl einerseits und des systemdestabilisierenden Gefährdungspotentials andererseits dürften auch drastische abstrakt-generelle Eingriffe in die Verbandsautonomie nicht von vornherein ausgeschlossen sein.390 Denn der Staat – und letztendlich also die Steuerbürger – sollen und müssen nicht für die Fehler privater Finanzmarktakteure einstehen, sondern dürfen vielmehr voraussetzen, dass das Gewinnstreben in Wahrnehmung von Berufs- und Eigentumsfreiheit auf eigene Chance und eigenes Risiko erfolgt.391 Insofern dürften sich verfassungsrechtlich relevante Konflikte weniger auf der Ebene der Legislative, sondern vielmehr im Einzelfall bei der Konkretisierung prinzipienartiger Vorgaben durch Ermessensentscheidungen der jeweils zuständigen, nur dem öffentlichen Interesse verpflichteten Aufsichtsbehörden ergeben.392 3. Einzelfallspezifische Bestimmung aufsichtsrechtlicher Einwirkungen Die allgemeine Grenze der Einwirkungen aufsichtsbehördlicher Interventionen ist deshalb nicht nur anhand der Grundrechtsrelevanz der aufsichtsgesetzlichen Grundlagen, sondern vielmehr primär auch auf den jeweils darauf beruhenden 386 Jedenfalls soweit sie von allen Mitgliedstaaten ratifiziert wurden; vgl. Jarass, Charta der Grundrechte der EU, Art. 52, Rn. 63. 387 So Charta-Erläuterungen, ABl. 2007 C 303/33. 388 So z. B. EGMR v. 24. 11. 2005, 49429/99, Tz. 130 ff. (Vaptl Bank AD/Bulgarien); EGMR v. 21. 10. 2003, 29010/95, Tz. 74 ff. (Credit and Industrial Bank/Tschechien); EGMR v. 27. 09. 2001, 48553/99, Tz. 90 ff. (Sovtransavto Holding/Ukraine); vgl. auch Binder, ZGR 2013, 760, 791. 389 Vgl. bspw. Zippelius/Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, § 12, 86. 390 Binder, ZGR 2013, 760, 791; Höfling, Gutachten F zum 68. DJT, 2010, F 58. 391 Höfling, Gutachten F zum 68. DJT, 2010, F 58. 392 Überzeugend: Binder, ZGR 2013, 760, 791.

C. Verhaltensanforderungen bei aufsichtsbehördlicher Einflussnahme

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aufsichtsrechtlichen Überwachungs-, Einflussnahme-, Einwirkungs- sowie Sanktionsmöglichkeiten zu konkretisieren.393 Denn die jeweiligen Grundrechte räumen dem betroffenen Institut sowie unter Umständen auch dessen Anteilseignern eine justitiable Schutzposition gegen unverhältnismäßige Eingriffe ein.394 Insofern stellen die jeweils betroffenen Grundrechte für die betroffenen Unternehmen und deren Anteilseigner eine Art flexible Grenze gegenüber den allein dem öffentlichen Interesse verpflichteten Aufsichtstätigkeiten der jeweils zuständigen Aufsichtsbehörden dar. Soweit der aufsichtsbehördliche Eingriff den durch die Grundrechtsdogmatik abgesteckten Grenzen verfassungsrechtlich zulässigen Verhaltens standhält, kann auch ein situativer Vorrang aufsichtsrechtlicher Einwirkungen gegenüber der Integrität der verbandsrechtlichen Pflichten- und Kompetenzordnung rechtmäßig sein.395 Denn trotz der originären Funktion der Leitungsorgane, als Sachwalter fremden Vermögens primär das Wohl der Gesellschaft zu verfolgen, können vor dem Hintergrund der überragenden Bedeutung eines funktionsfähigen Finanzmarktes beispielsweise besonders systemgefährdende Gefahrensituationen auch tiefgreifende aufsichtsrechtliche Einwirkungen in geschützte Grundrechtspositionen aufsichtsunterworfener Unternehmen und ihrer Anteilseigner verfassungsrechtlich rechtfertigen. Keineswegs darf dies jedoch zu einer vollständigen „Umpolung“ des Bezugspunktes der Organpflichten im Sinne einer Überformung der verbandsrechtlichen Kompetenz- und Pflichtenordnung durch öffentliche Interessen führen.396 Denn wie bereits oben ausführlich erläutert, kommt dem allein dem öffentlichen Interesse verpflichteten Aufsichtsrecht in der Regel lediglich ein beschränkter Geltungsanspruch zu, sofern nichts Gegenteiliges ausdrücklich durch den Gesetzgeber geregelt ist.397 4. Ergebnis Die Grundrechte aufsichtsunterworfener Unternehmen und ihrer Anteilseigner stellen mithin insbesondere für die Einwirkung aufsichtsbehördlicher Eingriffe in die verbandsrechtliche Pflichten- und Kompetenzordnung eine Art flexible Grenze dar. Grundrechtsverkürzende Maßnahmen können einen Geltungsanspruch und mithin Befolgungspflichten nur dann begründen, wenn sie einer Rechtfertigungs- und Verhältnismäßigkeitsprüfung standhalten.398 Den Geschäftsleitern aufsichtsunterworfener Unternehmen obliegt es deshalb, künftig jegliche aufsichtliche Einflussnahme am jeweiligen Schutzmaßstab der spezifisch betroffenen Grundrechte zu 393 Binder, ZGR 2013, 760, 789 f. Zur Problematik generalklauselartiger Eingriffsbefugnisse, vgl. schon Binder, WM 2006, 2114, 2120. 394 Hemeling, ZHR 174 (2010), 635, 640. 395 Binder, ZGR 2013, 760, 792. Vgl. hierzu nochmals oben Kapitel 3, B. IV. 1. e). 396 Binder, ZGR 2013, 760, 791. 397 Vgl. nochmals ausführlich oben Kapitel 3, B. IV. 398 Binder, ZGR 2013, 760, 792.

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Kap. 3: Prozedurale Anforderungen an Organentscheidungsprozesse

überprüfen und gegebenenfalls auch Abwehrmaßnahmen zu ergreifen.399 Denn auch wenn ein situativer Vorrang aufsichtsrechtlicher Einwirkungen gegenüber der Integrität der verbandsrechtlichen Pflichten- und Kompetenzordnung im Einzelfall nicht von vornherein ausgeschlossen ist, folgt aus dem Kern der Leitungsaufgabe der Geschäftsleiter, nämlich der treuhänderischen fremdnützigen Vermögensverwaltung für die Gesellschaft, dass sich dieser im Zweifel an verbandsendogenen Interessen zu orientieren hat. Die Leitungsaufgabe des Geschäftsleiters umfasst mithin im Grundsatz auch die Pflicht zur Abwehr unzulässiger aufsichtsrechtlicher Einwirkungen und Eingriffe.400

II. Konsequenzen für die verbandsrechtliche Pflichtenund Kompetenzordnung Deshalb stellt sich nunmehr die Frage nach den konkreten Verhaltensanforderungen, die an die Geschäftsleiter aufsichtsunterworfener Unternehmen im Falle unzulässiger aufsichtsrechtlicher Einwirkungen zu stellen sind. 1. Pflicht zur Identifizierung unzulässiger aufsichtsrechtlicher Einwirkungen Nach den bisher festgestellten Ergebnissen liegt es auf der Hand, dass ein Geschäftsleiter nicht pauschal gegen jede einschränkende Maßnahme zum Einschreiten verpflichtet ist. Parallel zur oben behandelten Problematik eines haftungsfreien Handlungs-, Beurteilungs- bzw. Ermessensspielraums für Leitungsorgane im Rahmen der Auslegung und Anwendung prinzipienbasierter Normen unter Rechtsunsicherheit gilt es auch im hier zu behandelnden Zusammenhang zunächst die konkrete Rechtslage richtig einzuschätzen. Denn nur unzulässige, die verfassungsrechtlichen Grenzen überschreitende Einwirkungen sind dazu geeignet, konkrete Abwehrpflichten der Geschäftsleiter als Verteidiger der Gesellschaft auszulösen.401 Als Folge der Prinzipienorientierung des Aufsichtsrechtes müssen die Aufsichtsbehörden dabei den zulässigen Handlungsspielraum aufsichtsunterworfener Unternehmen in Bezug auf die Umsetzung aufsichtsgesetzlicher Vorgaben unter Rechtsunsicherheit grundsätzlich respektieren.402 Dies gilt jedenfalls so lange, wie sich die Gesellschaft bzw. das für diese handelnde und verantwortliche Leitungsorgan im Rahmen rechtlich zulässiger Rechtsauslegung und Rechtsanwendung be399

Binder, ZGR 2013, 760, 794. Vgl. Binder, ZGR 2013, 760, 792 ff., der in diesem Zusammenhang die Organe „als Verteidiger der Gesellschaft“ beschreibt. 401 Binder, ZGR 2013, 760, 795; in Bezug auf vergleichbare Fälle im Kapitalmarktrecht vgl. Cahn/Müchler, BKR 2013, 45, 53. 402 Wandt, VW 2007, 473, 475. 400

C. Verhaltensanforderungen bei aufsichtsbehördlicher Einflussnahme

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wegt.403 Hinsichtlich der spezifischen Rechtsermittlungspflichten bietet es sich deshalb zunächst an, die einzelnen prozeduralen Leitlinien für gesetzlich gebundene Entscheidungen bei unklarer Rechtslage zu berücksichtigen.404 Hierbei ist zu ermitteln, ob die infrage stehende aufsichtsbehördliche Einwirkung einer Überprüfung am jeweiligen Schutzmaßstab der betroffenen Grundrechte sowie einer Verhältnismäßigkeitsprüfung standhält. a) Grundzüge des Aufsichtshandelns auf der Ebene der Rechtsdurchsetzung Dabei ist insbesondere auch entscheidend, dass die jeweiligen Grundzüge des Aufsichtshandelns eingehalten wurden. Die Aufsichtstätigkeit ist dabei stets auf eine effiziente und effektive Erreichung der jeweiligen aufsichtlichen Zielvorgaben – d. h. der dauerhaften Sicherung und Stärkung der Finanzstabilität sowie des Einlegerschutzes und im Bereich des Versicherungsaufsichtsrechtes primär des Versichertenschutzes – ausgelegt. aa) Aufsichtsbehördliches Ermessen hinsichtlich der Frage, „ob“ und „wie“ Maßnahmen ergriffen werden Kommt die jeweils zuständige Aufsichtsbehörde nun zu dem Ergebnis, dass gewisse aufsichtsrechtliche Vorgaben von den aufsichtsunterworfenen Bank- und Versicherungsunternehmen durch die jeweiligen letztverpflichteten Geschäftsleiter nicht oder nicht ausreichend umgesetzt wurden, so steht es häufig in ihrem Ermessen, „ob“ und „wie“ aufsichtliche Maßnahmen ergriffen werden. Denn nach der Eigenart des prinzipienbasierten Aufsichtsrechtes nimmt sie ihre Aufgaben innerhalb gesetzlich vielfach nur grob skizzierter Anordnungsbefugnisse wahr. Bei der Frage, ob und wie informelle wie auch formelle Maßnahmen inklusive aller Sonderbefugnisse angewendet werden, kommt ihnen dabei meist ein großer Beurteilungsspielraum zu.405 Je größer dabei die Gefahr für die jeweiligen aufsichtsrechtlichen Zielvorgaben 403 Lipowsky, in: Dreher/Wandt, Solvency II in der Rechtsanwendung 2012, S. 57, 62; Bürkle, VersR 2013, 792, 793. 404 Vgl. hierzu nochmals ausführlich oben Kapitel 3, B. 405 Vgl. hierzu exemplarisch § 6 Abs. 3 Satz 1 KWG: „Die Bundesanstalt kann im Rahmen der ihr gesetzlich zugewiesenen Aufgaben gegenüber den Instituten und ihren Geschäftsleitern Anordnungen treffen, die geeignet und erforderlich sind, um Verstöße gegen aufsichtsrechtliche Bestimmungen zu verhindern oder zu unterbinden oder um Missstände in einem Institut zu verhindern oder zu beseitigen, welche die Sicherheit (…).“ Vgl. auch § 298 Abs. 1 Satz 1 VAG: „Gegenüber Erstversicherungsunternehmen, den Mitgliedern ihres Vorstands sowie sonstigen Geschäftsleitern und den die Erstversicherungsunternehmen kontrollierenden Personen kann die Aufsichtsbehörde alle Maßnahmen ergreifen, die geeignet und erforderlich sind, um Missstände zu vermeiden oder zu beseitigen.“ Ebenso § 36 Abs. 1 Satz 1 KWG: „In den Fällen des § 35 Abs. 2 Nr. 3, 4 und 6 kann die Bundesanstalt, statt die Erlaubnis aufzuheben, die Abberufung der verantwortlichen Geschäftsleiter verlangen und diesen Geschäftsleitern auch die Ausübung ihrer Tätigkeit bei Instituten in der Rechtsform einer juristischen Person untersagen.“ Vgl. zudem § 303 Abs. 1 Satz 1 VAG: „Die Aufsichtsbehörde kann die Abberufung

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Kap. 3: Prozedurale Anforderungen an Organentscheidungsprozesse

ist, desto eher wird die jeweils zuständige Behörde dabei zum Einschreiten verpflichtet sein.406 bb) Verpflichtung zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes Grundsätzlich gilt sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene das Gebot der Verhältnismäßigkeit jeglichen staatlichen Handelns.407 Da neue qualitative Vorgaben im Banken- und Versicherungssektor teils zu massiven Eingriffen in grundrechtlich geschützte Freiheitspositionen ermächtigen, müssen darauf basierende aufsichtliche Anordnungen und Maßnahmen geeignet und erforderlich sein, um ihren legitimen Aufsichtszweck zu erfüllen, sowie im Hinblick auf die ZweckMittel-Relation (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne) angemessen sein.408 Aufsichtsbehörden werden deshalb stets zunächst zu überprüfen haben, welche Einflussnahmemittel dazu geeignet sind, die verfolgten Aufsichtsziele zu erreichen. Unter mehreren geeigneten Mitteln muss sie dabei stets das für das betroffene Unternehmen relativ mildeste auswählen.409 Schließlich gilt es sodann zu überprüfen, ob der geringste wirksame Eingriff in einem angemessenen Verhältnis zu dem angestrebten Ziel steht, mithin also der erhoffte Erfolg den Einsatz des Mittels wert ist.410 Denn sofern nicht ausdrücklich Gegenteiliges geregelt ist, gibt es zwischen den Aufsichtsbehörden zustehenden Einflussnahmeinstrumentarien kein festes Rangverhältnis.411 cc) Der Proportionalitätsgrundsatz und die risikoorientierte Aufsicht Darüber hinaus kommt dem Proportionalitätsgrundsatz sowie der risikoorientierten Aufsichtspraxis im Rahmen der aufsichtsbehördlichen Überprüfung und

einer Person, die ein Versicherungsunternehmen tatsächlich leitet oder für andere Schlüsselaufgaben in einem Versicherungsunternehmen verantwortlich ist, verlangen und dieser Person die Ausübung ihrer Tätigkeit untersagen, wenn …“ Oder auch § 16 Abs. 5 Satz 1 SAG: „Die Aufsichtsbehörde kann von dem Institut oder übergeordneten Unternehmen gemäß Absatz 4 insbesondere verlangen, dass es …“ 406 Kaulbach, in: § 8 Rn. 76. 407 BVerfGE 23, 127, 133; so auch Nguyen/Bach, WHL Diskussionspapier Nr. 18, S. 9. 408 BVerwG, Beschluss vom 06. 11. 2006 – 6 B 82/06 = Beck RS 2006, 27334. Vgl. beispielsweise auch BT-Drucks. 18/2575, S. 149. Dieser Grundsatz gilt dabei auch bereits im Rahmen des aufsichtsrechtlichen Überprüfungsverfahrens. Vgl. hierzu bspw. EBA Guidelines on common procedures and methodologies for the supervisory review and evaluation process (SREP), S. 184; bzw. EIOPA Leitlinien zum aufsichtlichen Überprüfungsverfahren, S. 2, Ziff. 1.2; Nguyen/Bach, WHL Diskussionspapier Nr. 18, S. 9. 409 Vgl. bspw. Fischer, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, § 36, Rn. 4. 410 Kaulbach, in: Bähr, Handbuch des Versicherungsaufsichtsrechts, § 8 Rn. 76. 411 In Bezug auf die möglichen Maßnahmen bei Verstößen gegen § 25a KWG vgl. bspw. Braun/Wolfgarten, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, § 25a, Rn. 78 ff.

C. Verhaltensanforderungen bei aufsichtsbehördlicher Einflussnahme

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Rechtsdurchsetzung elementare Bedeutung zu.412 Bereits seit Basel II bzw. mit Solvency II ist das Banken- und Versicherungsaufsichtsrecht durch einen risikobasierten Aufsichtsansatz geprägt.413 Der Proportionalitätsgrundsatz besagt, dass sowohl die regulatorischen Anforderungen an die Bank- und Versicherungsunternehmen als auch die Vorschriften, die sich an die Aufsichtsinstanzen und den Beaufsichtigungsprozess richten, in einer Art und Weise zu erfüllen bzw. anzuwenden sind, die der Wesensart, der Komplexität und dem Umfang der geschäftsimmanenten Risiken des jeweiligen Bank- und Versicherungsunternehmens angemessen ist. Dieser Proportionalitätsgrundsatz bildet den Ausgangspunkt des risikoorientierten Aufsichtsansatzes.414 Er soll es ermöglichen, die tatsächlichen Risikoprofile der beaufsichtigten Unternehmen widerzuspiegeln und mit Hilfe des Proportionalitätsprinzips zu einer an den unternehmensindividuellen Risikoverhältnissen ausgerichteten Anwendung der Vorschriften führen.415 Durch dieses Aufsichtssystem wird auf der Basis eines stärker prinzipien- und risikobasierten Ansatzes eine flexible Aufsicht gewährleistet, die es ermöglicht, sämtliche aufsichtsgesetzlichen Vorgaben auf alle aufsichtsunterworfenen Unternehmen anzuwenden. So werden einerseits kleine und mittlere Versicherungsunternehmen mit einer geringen Risikoexponierung und -komplexität vor unverhältnismäßig großen Belastungen aus der Umsetzung der qualitativen und quantitativen Anforderungen geschützt, während komplexe Risikoverhältnisse mit hohem Gefährdungspotential sowohl von Aufsehern wie auch von Unternehmen den Einsatz entsprechend anspruchsvoller Mittel und Verfahren erfordern.416 Anders ausgedrückt bestimmt sich die Intensität der Aufsicht nach dem jeweiligen Grad der „Systemrelevanz“ eines jeden Instituts, wobei das individuelle Risikoprofil das maßgebliche Kriterium für die aufsichtsrechtliche „Aufmerksamkeit“417 darstellt.418 Insofern beschreibt das individuelle Risikoprofil den Maßstab des Proportionalitätsgrundsatzes, an dem sich das Handeln der Aufsichtsinstanzen zu orientieren hat. Neben quantitativen Kriterien419 wie beispielsweise der Kapitalausstattung bemisst sich das Risikoprofil insbesondere anhand von qualitativen Kriterien wie beispielsweise Wesensart und Komplexität sowie Umfang 412

und 7.

Vgl. hierzu auch EZB, Leitfaden zur Bankenaufsicht, September 2014, Grundsatz 6

413 Für den Bankensektor vgl. BaFin/Deutsche Bundesbank, Risikoorientierte Aufsicht nach Umsetzung der zweiten Säule von Basel II, Stand: 27. 08. 2009. Für den Versicherungssektor vgl. beispielsweise Art. 29 Solvency-II-Richtlinie. 414 Nguyen/Bach, WHL 2009, Diskussionspapier Nr. 18, S. 10; Wundenberg, Compliance, S. 90. 415 Vgl. beispielsweise CEIOPS (2008a), S. 5, Ziff. 12; Nguyen/Bach, WHL 2009, Diskussionspapier Nr. 18, S. 10. 416 Nguyen/Bach, WHL 2009, Diskussionspapier Nr. 18, S. 10. 417 BaFin/Deutsche Bundesbank, Bankaufsichtliches Risikoprofil, Stand November 2007, S. 4. 418 Wundenberg, Compliance, S. 91. 419 BaFin/Deutsche Bundesbank, Risikoorientierte Aufsicht nach Umsetzung der zweiten Säule von Basel II, Stand: 27. 08. 2009, S. 13 ff.

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Kap. 3: Prozedurale Anforderungen an Organentscheidungsprozesse

der Risiken.420 Zusätzlich zum individuellen Risikoprofil sind auch weitere Aspekte wie Managementqualität, Finanzlage und Marktrelevanz des jeweiligen Unternehmens zu berücksichtigen.421 b) Ergebnis Geschäftsleiter aufsichtsunterworfener Unternehmen müssen im Rahmen ihres Rechtsermittlungsprozesses zunächst die spezifischen aufsichtsbehördlichen Einwirkungen auf deren Zulässigkeit hin überprüfen. 2. Pflicht zur Abwehr unzulässiger aufsichtsbehördlicher Einwirkungen? Da die Aufsichtsbehörden ihre Tätigkeit ausschließlich im öffentlichen Interesse wahrnehmen und zahlreiche Aufsichtsaufgaben auf gesetzlich vielfach nur grob und prinzipienartig vorgezeichneten Ermessenstatbeständen beruhen, wird es nicht selten der Fall sein, dass der Geschäftsleiter zu der Ansicht kommt, dass die spezifische aufsichtsrechtliche Maßnahme einer Überprüfung am jeweiligen Schutzmaßstab der betroffenen Grundrechte sowie einer Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht standhält.422 Identifiziert er mit anderen Worten nach ordnungsgemäß durchgeführter Rechtsermittlung mithin einen (vermeintlich) unzulässigen aufsichtsbehördlichen Eingriff, so stellt sich die Frage, ob er Maßnahmen zur Abwehr konkreter aufsichtsrechtlicher Einwirkungen ergreifen muss. a) Keine rechtlich gebundene Entscheidung Teilweise wird vertreten, dass das Leitungsorgan u. U. sogar dazu verpflichtet sein kann, eine nicht gesicherte Rechtslage mit entsprechenden Rechtsbehelfen anzugreifen. Gehe es z. B. um komplexe europarechtliche Fragen, so sei eine diesbezügliche Pflicht zum Wohle des Unternehmens mit derjenigen gleichzusetzen, unternehmerische Chancen zu nutzen und zu suchen.423 Hieraus könnte gefolgert werden, dass dann, wenn das Leitungsorgan im Rahmen seiner Rechtsermittlung zu dem Ergebnis kommt, dass die spezifische aufsichtliche Einwirkung im Hinblick auf ihre Rechtmäßigkeit fragwürdig erscheint, es zum Wohle der Gesellschaft stets Abwehrmaßnahmen ergreifen muss. 420 Vgl. § 25a Abs. 1 Satz 4 KWG: „Die Ausgestaltung des Risikomanagements hängt von Art, Umfang, Komplexität und Risikogehalt der Geschäftstätigkeit ab.“ Ebenso § 23 Abs. 1 Satz 2 VAG: „Versicherungsunternehmen müssen über eine Geschäftsorganisation verfügen, die wirksam und ordnungsgemäß ist und die der Art, dem Umfang und der Komplexität ihrer Tätigkeiten angemessen ist.“ 421 Nguyen/Bach, WHL 2009, Diskussionspapier Nr. 18, S. 13. 422 Binder, ZGR 2013, 760, 795; Cahn/Müchler, BKR 2013, 45, 53. 423 Spindler, in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, § 93, Rn. 87.

C. Verhaltensanforderungen bei aufsichtsbehördlicher Einflussnahme

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Zunehmend werden aufsichtsunterworfene Institute jedoch in den Prozess der Beaufsichtigung durch die jeweils zuständigen Aufsichtsbehörden mit einbezogen.424 Dieses Kooperationsverhältnis zwischen Aufsichtsbehörden und Aufsichtsadressaten kommt an vielen Stellen des jeweils einschlägigen Aufsichtsgesetzes, etwa durch die Normierung gesetzlicher Mitwirkungspflichten, zum Ausdruck. Beispielsweise statuiert § 42 Abs. 1 SAG umfassende Mitwirkungspflichten der jeweils betroffenen Institute. Ausweislich der Gesetzesbegründung handelt es sich hierbei nicht nur um die Bereitstellung von Informationen.425 Vielmehr kann die in diesem Fall zuständige Abwicklungsbehörde auch Analysen (z. B. Rechtsgutachten) einfordern sowie Instituten oder Gruppen von Instituten Anzeige- und Meldepflichten auferlegen (vgl. § 42 Abs. 1 Satz 2 und 3 SAG). Darüber hinaus ist es auch eine Folge des prinzipiengeleiteten Regulierungstrends, dass rechtsunterworfene Gesellschaften häufig in den Rechtsermittlungsprozess mit eingebunden werden.426 Eine Konkretisierung unbestimmt formulierter und damit in hohem Maße auslegungsbedürftiger aufsichtsgesetzlicher Prinzipien wird in der Praxis in vielen Fällen erst durch einen Dialog und Erfahrungsaustausch zwischen den Aufsichtsbehörden und den Marktteilnehmern möglich sein.427 In diesem Zusammenhang sei nochmals auf die umfassenden prinzipienartigen Geschäftsleiterpflichten im Rahmen der Geschäftsorganisationsvorgaben hingewiesen.428 Weiter bestehen im Rahmen der Trennbankenregulierung zahlreiche unbestimmte Rechtsgrundlagen in Bezug auf die Bestimmung verbotener Geschäfte, die den fragwürdig großen diskretionären Ermessensspielraum der Aufsichtsbehörden unterstreichen.429 Infolgedessen wird deshalb zunehmend auch in diesem Bereich eine Interaktion zwischen Institut und zuständiger Aufsichtsbehörde notwendig sein, um eine zuverlässige Beurteilung in Bezug auf die Zulässigkeit bestimmter Geschäftstätigkeiten zu gewährleisten. Exemplarisch für den aufsichtsrechtlichen Kooperationsprozess steht darüber hinaus das aufsichtsbehördliche Überprüfungsverfahren, das in § 6b KWG bzw. in Art. 36 Solvency-II-Richtlinie sowie in § 294 Abs. 5 VAG zum Ausdruck kommt. 424 Bereits durch Basel II wurde im Rahmen der qualitativen Bankenaufsicht, beispielsweise durch die Nutzung bankeigener Ratingverfahren, damit begonnen, die betroffenen Institute in den Prozess der Beaufsichtigung miteinzubeziehen. Vgl. hierzu Langenbucher, Schriftenreihe der Bankrechtlichen Vereinigung, Bankrechtstag 2004, S. 63. 425 Vgl. BT-Drs. 18/2575, S. 157. 426 Langenbucher, in: FS Lwowski, 2014, S. 333, 344; vgl. hierzu auch Black, 3 Capital Markets Law Journal (2008), 425, 434 ff.: Kennzeichnend für einen prinzipienorientierten Regulierungsansatz sei ein regulatorisches Umfeld, das auf Kooperation, Vertrauensbereitschaft und Selbstverantwortung aufbaue. 427 Vgl. Black, Rules and regulators, S. 30 ff.: Exemplarisch für den Kooperationsprozess in Bezug auf die Konkretisierung aufsichtsgesetzlicher Prinzipien seien sog. „interpretative communities“ sowie „regulatory conversations“. 428 Vgl. hierzu nochmals oben Kapitel 1, A. I. 429 Vgl. hierzu nochmals oben Kapitel 1, C.

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Kap. 3: Prozedurale Anforderungen an Organentscheidungsprozesse

Beispielsweise beschrieben die BaFin sowie die Deutsche Bundesbank diesen Kooperationsprozess bereits im Jahre 2009 wie folgt: „Der qualitative Charakter des SREP erfordert deshalb in weit größerem Maße als bisher einen Dialog zwischen Bankenaufsicht und Instituten. Dementsprechend führte die Umsetzung des SRP in Deutschland zu einer Ausweitung der direkten Kontakte zwischen Instituten und Bankenaufsehern. So kann sich die Bankenaufsicht ein Bild davon machen, ob die Prozesse und Organisationsstrukturen eine wirksame Messung und Steuerung der Risiken ermöglichen und das Institut über ein seinen Risiken und Geschäften angemessenes Verfahren zur Sicherstellung einer angemessenen Eigenmittelausstattung verfügt. Auch das Funktionieren des internen Kontrollsystems sowie die Angemessenheit der Aufbau- und Ablauforganisation können nur im Dialog mit den Instituten eingeschätzt werden.“430

Aufgrund dieses Kooperationsverhältnisses und vor dem Hintergrund zahlreicher aufsichtsbehördlicher Anordnungsbefugnisse inklusive informeller Einflussnahmemöglichkeiten derselben, die wie gezeigt erhebliche Steuerungswirkung auf das Geschäftsleiterverhalten ausüben können, kann es deshalb durchaus auch sinnvoll oder unter Umständen sogar geboten sein, vor der Erhebung von formellen Abwehrmaßnahmen wie beispielsweise Widerspruch und Anfechtungsklage und/oder vor der Beantragung vorläufigen Rechtsschutzes bzw. einstweiliger Anordnung eine informelle Abstimmung mit der jeweils zuständigen Aufsichtsbehörde zu suchen.431 b) Ermessensentscheidung des Geschäftsleiters Angesichts dessen liegt es im Ermessen des jeweiligen Leitungsorganes, ob es gegebenenfalls von der Möglichkeit Gebrauch macht, gegen vermeintlich ungerechtfertigte aufsichtliche Interventionsmaßnahmen Rechtsbehelfe einzulegen.432 Konkret geht es um die Frage, aufsichtsbehördliche Einwirkungen angesichts ihrer negativen Auswirkungen auf die zu leitende Gesellschaft abzuwehren, sofern Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit bestehen. Der Geschäftsleiter hat deshalb diese aufsichtlichen Einwirkungen im Rahmen seiner vorzunehmenden Abwägungsentscheidung verpflichtend als verbandsexogene Zielvorgaben mit einzubeziehen, muss sie jedoch mit den jeweiligen – im Zweifel vorrangig zu berücksichtigenden – verbandsendogenen Interessen abwägen. Denn nur durch eine adäquate Abwägungsentscheidung wird der Geschäftsleiter seinen Sorgfaltspflichten gegenüber der zu leitenden Gesellschaft gerecht und minimiert somit eine Gefahr der Innenhaftung 430

Bericht der BaFin/Deutsche Bundesbank, Risikoorientierte Aufsicht nach Umsetzung der zweiten Säule von Basel II, Stand: 27. 08. 2009, S. 23. Für das versicherungsaufsichtsrechtliche Überprüfungsverfahren vgl. auch EIOPA, Leitlinien zum aufsichtlichen Überprüfungsverfahren, Leitlinie 5, S. 5: „Die nationale Aufsichtsbehörde sollte sicherstellen, dass zwischen dem Personal der nationalen Aufsichtsbehörde und dem Versicherungs- und Rückversicherungsunternehmen während des gesamten aufsichtlichen Überprüfungsverfahrens ein angemessenes Maß an Kommunikation besteht, um eine wirksame Beaufsichtigung zu erleichtern.“ 431 Binder, ZGR 2013, 760, 795. 432 Cahn/Müchler, BKR 2013, 45, 53.

C. Verhaltensanforderungen bei aufsichtsbehördlicher Einflussnahme

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nach § 92 Abs. 2 Satz 1 AktG. Eine Pflicht zum Ergreifen oder auch zum Unterlassen von Abwehrmaßnahmen besteht insofern primär gegenüber der Gesellschaft und ist im Wesentlichen durch zumindest „quasi-unternehmerische“433 Erwägungen geprägt, obwohl er sich eigentlich noch im Rahmen der Erfüllung rechtlich gebundener aufsichtsgesetzlicher Vorgaben bewegt.434 3. Pflicht zur Vornahme einer umfassenden Abwägungsentscheidung Die Pflicht zur Vornahme von Abwehrmaßnahmen ist mithin als quasi-unternehmerische Abwägungsentscheidung des verantwortlichen Leitungsorganes einzustufen. Maßgeblich wird diese Pflicht davon abhängen, inwiefern die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes der Gesellschaft schaden oder eben nutzen würde.435 Dies unterstreicht die Tatsache, dass in Fällen, in denen aufsichtsrechtliche Einwirkungen konzeptionell von vornherein in einem Abstimmungsprozess zwischen Instituten und Aufsichtsbehörden entwickelt werden, dieses Kooperationsverhältnis auf einem dauerhaften Prozess beruht. Um eine wirkungsvolle Beaufsichtigung zu erleichtern, soll beispielsweise während des „gesamten“ aufsichtlichen Überprüfungsverfahrens ein angemessenes Maß an Kommunikation zwischen Aufsichtsbehörde und aufsichtsunterworfenen Unternehmen bestehen.436 Weiter kann die Abwicklungsbehörde von dem Institut verlangen, dass es die Abwicklungsbehörde nicht nur bei der Erstellung, sondern darüber hinaus auch bei der „stetigen“ Aktualisierung des Abwicklungsplans umfassend unterstützt, vgl. § 42 Abs. 1 Satz 1 SAG. Insofern kann es durchaus im Interesse der Gesellschaft sein, zum Zwecke der zukünftigen Aufrechterhaltung eines konstruktiven Kooperationsverhältnisses im Einzelfall trotz bestehender Zweifel an der Rechtmäßigkeit behördlicher Einwirkungen von der Einlegung von Rechtsbehelfen abzusehen.437 Umgekehrt ist es denkbar, dass rechtlich zweifelhafte, besonders intensive und für die Gesellschaft in hohem Maße negative Interventionen im Extremfall auch eine Abwehrpflicht auslösen können, deren Unterlassen zu einer Innenregresshaftung gegenüber der Gesellschaft nach § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG führen kann.438 In die Entscheidung sind dabei verschiedene Faktoren miteinzubeziehen, die eine umfassende sorgsame Abwägung aller Vor- und Nachteile ermöglichen. Neben dem bereits vorstehend beschriebenen Bestreben der Aufrechterhaltung eines kooperativen Verhältnisses zwischen Aufsichtsbehörde und aufsichtsunterworfenem Institut 433

Binder, ZGR 2013, 760, 796. Cahn/Müchler, BKR 2013, 45, 53. 435 Cahn/Müchler, BKR 2013, 45, 53; Binder, ZGR 2013, 760, 795 f. 436 EIOPA, Leitlinien zum aufsichtlichen Überprüfungsverfahren, Leitlinie 5, S. 5. 437 Binder, ZGR 2013, 760, 796. 438 Vgl. auch Cahn/Müchler, BKR 2013, 45, 53: Dieser geht davon aus, dass in Fällen, in denen eine Geltendmachung von Abwehransprüchen der Gesellschaft überwiegend schaden würde, der Vorstand nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet sein kann, von derartigen Maßnahmen abzusehen. 434

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Kap. 3: Prozedurale Anforderungen an Organentscheidungsprozesse

können darüber hinaus Faktoren wie beispielsweise die Sorge vor Reputationsverlusten der Gesellschaft infolge eines öffentlichkeitswirksamen Rechtsstreites eine entscheidende Rolle spielen.439 Schließlich sind der Grad an Rechtsunsicherheit440 bzgl. der Rechtmäßigkeit aufsichtsbehördlicher Einwirkungen, die Schwere des aufsichtsrechtlichen Eingriffs inklusive seiner Auswirkungen auf das Geschäftsmodell und die damit verbundenen Befolgungskosten441 sowie das prognostizierte Prozessrisiko442 bei der Abwägung zu berücksichtigen. Keine Rolle dürfen hingegen persönliche Sorgen des Geschäftsleiters spielen, dass die jeweils zuständige Aufsichtsbehörde die Kooperationsbereitschaft des handelnden Organs im Rahmen der Zuverlässigkeitsprüfung miteinbeziehen wird.443 4. Infrage kommende Abwehrmaßnahmen Fragt sich schließlich, welche konkreten Abwehrmaßnahmen im spezifischen Einzelfall dem jeweils verantwortlichen Leitungsorgan zur Verfügung stehen. a) Differenzierung zwischen informellen und formellen aufsichtsbehördlichen Einwirkungen Grundsätzlich steht es den Aufsichtsbehörden offen, vor dem Ergreifen formeller Maßnahmen und Einwirkungen die infrage stehenden Probleme durch rein informelles Aufsichtshandeln anzugehen. Informelle Einflussnahmemöglichkeiten können etwa in Form von Besprechungen mit den Leitungsorganen, durch aufsichtliche Schreiben oder durch die Bitte um schriftliche Erläuterung und Stellungnahme erfolgen.444 In diesen Fällen steht den Aufsichtsadressaten kein formeller Rechtsbehelf zur Verfügung, um die Einwirkungen abzuwehren. Weicht die eigene Vorstellung von der aufsichtsbehördlichen Auffassung ab, so bleibt zunächst nur die Möglichkeit der Nichtbeachtung.445 Infolgedessen wird die zuständige Aufsichtsbehörde ggf. mit weiteren informellen Maßnahmen, wie z. B. Schreiben oder Ermahnungen, reagieren.446 Auch hiergegen können grundsätzlich noch keine formellen Rechtsbehelfe 439

Binder, ZGR 2013, 760, 796; Langenbucher, ZBB 2013, 16, 22. Zu den Parallelen vgl. hierzu nochmals oben Kapitel 3, B. IV. 2. 441 Binder, ZGR 2013, 760, 796. 442 Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, § 93, Rn. 75. 443 Überzeugend Binder, ZGR 2013, 760, 797: „Eine derartige Wertung allein aufgrund der Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes zugunsten des Instituts wäre mit rechtsstaatlichen Maßstäben kaum zu vereinbaren und liefe im Übrigen schon angesichts der durchaus restriktiven Rechtsprechung zur expansiven Ausdehnung des Zuverlässigkeitskriteriums durch die Aufsicht Gefahr, selbst erfolgreich angegriffen zu werden.“ 444 Braun/Wolfgarten, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, § 25a, Rn. 79; EZB, Leitfaden zur Bankenaufsicht, September 2014, Ziff. 4.2.8, Rn. 78. 445 Schäfer, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, § 6, Rn. 24. 446 Schäfer, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, § 6, Rn. 24. 440

C. Verhaltensanforderungen bei aufsichtsbehördlicher Einflussnahme

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eingelegt werden. Erst dann, wenn die handelnde Aufsichtsbehörde eine bestimmte hoheitliche Maßnahme für einen bestimmten Einzelfall gegenüber einem Institut oder gegenüber mehreren Instituten erlassen hat, handelt es sich um einen Rechtsakt, gegen den formelle Abwehrmaßnahmen ergriffen werden können.447 b) Differenzierung zwischen der jeweils handelnden Behörde Sodann ist zu differenzieren, von welcher konkreten Aufsichtsbehörde die spezifische vermeintlich unzulässige Einwirkung ausgeht. aa) BaFin als zuständige Aufsichtsbehörde (Bank- und Versicherungsaufsichtsrecht) Bei formellen Maßnahmen der BaFin handelt es sich um Hoheitsakte in Form von Verwaltungsakten, die gegenüber einzelnen Unternehmen oder deren Geschäftsleitern ergehen, oder um Allgemeinverfügungen, sofern die Anordnungen einen größeren Adressatenkreis betreffen sollen.448 Folglich sind in diesen Fällen die allgemeinen Regeln des Verwaltungsrechtes einschlägig.449 Gegen Verwaltungsakte der BaFin kann der Verwaltungsrechtsweg in der Regel durch Einlegung von Widerspruch bei der BaFin selbst und, sofern diesem Begehren nicht abgeholfen wird, durch Erhebung von Anfechtungs- oder ggf. Feststellungsklage vor dem zuständigen Verwaltungsgericht (§ 1 Abs. 3 FinDAG) beschritten werden.450 Darüber hinaus besteht in besonders eilbedürftigen Fällen noch die Möglichkeit der Beantragung vorläufigen Rechtsschutzes bzw. einstweiliger Anordnung. bb) Sonderfall: BaFin als zuständige Behörde im Rahmen des SSM (Bankenaufsichtsrecht) Auch gegen im Rahmen des SSM ergangene Entscheidungen der nationalen Aufsichtsbehörden stehen den betroffenen Personen die Rechtsbehelfe nach nationalem Recht zur Verfügung.451 Dies betrifft etwa Fälle, in denen die nationale Aufsichtsbehörde von der EZB hierzu angewiesen wird (Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 3 SSM-Verordnung, Art. 22 SSM-Rahmenverordnung) oder der EZB die notwendige Kompetenz nicht durch die SSM-Verordnung übertragen wurde beziehungsweise nicht übertragen werden konnte.452 Sollte es in dem Klageverfahren auf die Ausle447

Schäfer, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, § 6, Rn. 26. Vgl. Schäfer, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, § 6, Rn. 7 ff.; Kaulbach, in: Bähr, Handbuch des Versicherungsaufsichtsrechts, 1. Aufl., 2011, § 8, Rn. 48. 449 Samm, in: Beck/Samm/Kokemoor, KWG, § 36, Rn. 160 ff.; Berger, WM 2015, 501, 505. 450 Schäfer, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, § 6, Rn. 27. 451 Deutsche Bundesbank, Monatsbericht, Oktober 2014, S. 45, 55. 452 Deutsche Bundesbank, Monatsbericht, Oktober 2014, S. 45, 55. 448

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Kap. 3: Prozedurale Anforderungen an Organentscheidungsprozesse

gung und Anwendung von europäischem Recht ankommen, ist nach Art. 267 AEUV die Frage dem EuGH zur Entscheidung vorzulegen.453 cc) EZB als zuständige Aufsichtsbehörde (Bankenaufsichtsrecht) Wenn es sich jedoch um ein Verfahren zum Erlass aufsichtlicher Akte durch die EZB selbst handelt, kommt eine Anwendung nationalen Verwaltungsverfahrensrechts nicht in Betracht, da sich die Verfahren europäischer Behörden nur nach europäischem Recht richten.454 Zum einen werden die von der EZB zu vollziehenden materiellen Aufsichtsstandards durch das unmittelbar anwendbare Unionsrecht gebildet, zum anderen durch das nationale Recht, das Richtlinienvorgaben umsetzt oder von der Option nach Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 SSM-VO Gebrauch macht.455 Dies hat zur Folge, dass auch in Fällen, in denen die EZB mitgliedstaatliches Recht gegenüber aufsichtsunterworfenen Bankunternehmen vollzieht, sie ausschließlich in der Rechtsform des Beschlusses handelt.456 Neben der Möglichkeit, die Überprüfung eines Beschlusses der EZB nach Art. 24 Abs. 5 SSM-VO zu beantragen, können die betroffenen Parteien auch unmittelbar Klage vor den Unionsgerichten erheben, vgl. Art. 24 Abs. 11 SSM-VO. Statthafte Klageart ist die Nichtigkeitsklage nach Art. 263 AEUV, für die gemäß Art. 256 Abs. 1 AEUV in der 1. Instanz das Gericht der Europäischen Union (EuG) zuständig ist. 5. Daraus resultierende Verhaltensleitlinien Geschäftsleiter sind mithin weder stets zur Vornahme von Abwehrmaßnahmen noch generell zur Duldung aufsichtsbehördlicher Einwirkungen verpflichtet. Gleichwohl können sowohl ein Unterlassen grundsätzlich gebotener Abwehrmaßnahmen als auch die Vornahme nicht gebotener Abwehrmaßnahmen aufgrund überwiegend negativer Auswirkungen auf die zu leitende Gesellschaft zu einem Sorgfaltspflichtverstoß des Geschäftsleiters und mithin zu einer Innenregresshaftung gegenüber der Gesellschaft führen. Insofern kann anhand von folgenden Leitlinien differenziert werden: a) Informelle Abstimmung mit der Aufsichtsbehörde möglich Sofern es die spezifische aufsichtsbehördliche Einwirkung ermöglicht, ist es zunächst geboten, eine informelle Abstimmung mit der Aufsichtsbehörde zu suchen, um damit den verbandsendogenen Interessen der Gesellschaft Geltung zu ver453

Dies gilt auch in dem unter aa) beschriebenen Fall. Vgl. hierzu ausführlich Berger, WM 2015, 501, 504 f. Gleiches gilt für den Rechtsschutz gegen Maßnahmen der ESAs. Vgl. hierzu Sonder, BKR 2012, 8. 455 Gurlit, ZHR 177 (2013), 862, 885. 456 Gurlit, ZHR 177 (2013), 862, 886. 454

C. Verhaltensanforderungen bei aufsichtsbehördlicher Einflussnahme

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schaffen. Beispielsweise kann von den letztverantwortlichen Leitungsorganen verlangt werden, im Rahmen einer frühzeitigen Abstimmung möglichen Gefahren vorzubeugen, die daraus resultieren, wenn aufsichtsseitig organisatorische Entscheidungen verlangt werden, die betriebswirtschaftlich gerade nicht veranlasst sind.457 Grundsätzlich wird diese informelle Abstimmung jedenfalls darauf abzielen müssen, weniger eingriffsintensive Maßnahmen als die aufsichtsseitig erwogenen in Betracht zu ziehen.458 Ein derartiges Vorgehen wird dabei regelmäßig dann anzustreben sein, wenn die Aufsichtsbehörde noch keine konkreten formellen Maßnahmen ergriffen hat, sondern bislang lediglich informelles Aufsichtshandeln vorliegt. b) Informelle Abstimmung nicht möglich oder nicht zielführend Ist eine informelle Abstimmung nicht möglich, weil beispielsweise die Aufsichtsbehörde bereits durch formelle Maßnahmen tätig wurde, oder führte die mit der informellen Abstimmung angestrebte Abschwächung aufsichtsrechtlicher Einwirkungen nicht zu dem gewünschten Erfolg, so richtet sich die Verpflichtung zur Vornahme von Abwehrmaßnahmen nach den oben genannten Abwägungskriterien. Dabei gilt grundsätzlich Folgendes: Je eher vermeintlich unzulässige informelle wie formelle aufsichtsbehördliche Maßnahmen negative Auswirkungen auf die verbandsendogenen Interessen haben, desto eher ist das verantwortliche Leitungsorgan zu entsprechenden Abwehrmaßnahmen verpflichtet. Umgekehrt hat der Geschäftsleiter informelle wie formelle aufsichtsbehördliche Maßnahmen zu dulden, je größer das Risiko ist, dass die Abwehrmaßnahmen bzw. im Falle formeller aufsichtsbehördlicher Einwirkungen die Einlegung von Rechtsmitteln gegen dieselben zu erheblichen Nachteilen für die Gesellschaft führen. c) Besonders schwerwiegende Eingriffe Im Extremfall, also in Fällen besonders schwerwiegender, rechtlich fragwürdiger Eingriffe für das betroffene Unternehmen, wird der Geschäftsleiter seiner Sorgfaltspflicht gegenüber der Gesellschaft regelmäßig nur dann nachkommen, wenn er alle ihm zur Verfügung stehenden Verteidigungsmöglichkeiten ausschöpft. In zutreffender Weise nennt Binder hierfür exemplarisch den Fall, dass ein aufsichtsunterworfenes Unternehmen im Rahmen der Entscheidung über Sanierungspläne oder Geschäftsmodelle zu einer Neuausrichtung unter Aufgabe an sich profitabler Geschäftsbereiche veranlasst wird, ohne dass beispielsweise im Rahmen eines vorangestellten informellen Abstimmungsprozesses die von der zuständigen Geschäftsleitung vorgeschlagenen Alternativen von der zuständigen Aufsichtsbehörde be-

457 458

Vgl. hierzu nochmals Binder, ZGR 2015, 667, 706 f. Binder, ZGR 2013, 760, 795.

232

Kap. 3: Prozedurale Anforderungen an Organentscheidungsprozesse

rücksichtigt wurden.459 Dies wird dabei selbst dann gelten, wenn die zuvor ordnungsgemäß durchgeführte Abwägungsentscheidung keinen klaren Gewichtungsvorsprung bestehender Vor- und Nachteile offenbart hat.460 Alles andere würde dem Kern der Leitungsaufgabe des Geschäftsleiters, nämlich der treuhänderischen fremdnützigen Vermögensverwaltung für die Gesellschaft, widersprechen. d) Pflicht zur Aufrechterhaltung der verbandsrechtlichen Kompetenzordnung In die Kategorie der besonders schwerwiegenden aufsichtsbehördlichen Eingriffe zählen auch solche, die zu einer Verlagerung originär unternehmerischer Entscheidungen – insbesondere Grundlagenentscheidungen – auf die Aufsichtsbehörden führen. Denn hierdurch drohen grundlegende verbandsrechtliche Kompetenzen übergangen zu werden. Zu nennen sind hier insbesondere die in Kapitel 1 dargestellten Systemspannungen im Rahmen der Sanierungs- und Abwicklungsplanung sowie die Ausdehnung des aufsichtsbehördlichen Überprüfungsverfahrens, das wie gezeigt nunmehr auch die Überwachung von grundlegenden Strategieentscheidungen umfasst. Denn im Hinblick auf das umfassende aufsichtsbehördliche Sanktionensystem droht hier die Gefahr, dass grundlegende unternehmerische Entscheidungen zunehmend von der Billigung der allein dem öffentlichen Interesse verpflichteten Aufsichtsbehörden abhängig gemacht werden. Aus verbandsrechtlicher Perspektive besteht grundsätzlich eine Pflicht des Leitungsorganes zur Wahrung der aktienrechtlichen Kompetenzordnung.461 So formuliert § 82 Abs. 2 AktG beispielsweise, dass alle Vorstandsmitglieder im Verhältnis zur Gesellschaft verpflichtet sind, diejenigen Beschränkungen einzuhalten, die im Rahmen der Vorschriften über die Aktiengesellschaft die Satzung, der Aufsichtsrat, die Hauptversammlung und die Geschäftsordnungen des Vorstands und des Aufsichtsrats für die Geschäftsführungsbefugnis getroffen haben.462 Vor dem Hintergrund, dass Kompetenzüberschreitungen durch den Vorstand stets einen Verstoß gegen § 93 Abs. 1 AktG darstellen,463 ist das verantwortliche Leitungsorgan regelmäßig über die allgemeine, als Ausprägung der Legalitätspflicht anerkannte Pflicht zur Einhaltung der verbandsrechtlichen Kompetenzordnung hinaus dazu verpflichtet, gegen nicht mehr gerechtfertigte aufsichtsrechtliche Einwirkungen auf die verbandsrechtliche Kompetenzordnung Abwehrmaßnahmen zu ergreifen.464 Das Entscheidungsermessen des Geschäftsleiters hinsichtlich der Frage, „ob“ er aktiv Abwehrmaßnahmen vornimmt, wird dabei insbesondere in den Fällen auf „null“ 459

Vgl. Binder, ZGR 2013, 760, 796 in und bei Fn. 156. Vgl. Binder, ZGR 2013, 760, 796. 461 Habersack, in: FS U. H. Schneider, 2011 S. 429, 431 f. 462 Fleischer, in: Spindler/Stilz, Aktiengesetz, § 93, Rn. 20. 463 Fleischer, in: Spindler/Stilz, Aktiengesetz, § 93, Rn. 20 sowie § 82, Rn. 26 ff. m. w. Nachw.; vgl. bspw. auch BGHZ 164, 249, 254 (Mangusta/Commerzbank II); BGH NJW 2007, 917; BGH NZG, 2008, 783. 464 Binder, ZGR 2013, 760, 798. 460

C. Verhaltensanforderungen bei aufsichtsbehördlicher Einflussnahme

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reduziert sein, in denen die Aufsichtsbehörden gegenüber dem verantwortlichen Leitungsorgan Maßnahmen empfehlen oder gar anordnen, die eigentlich die verbandsrechtlichen Zustimmungsvorbehalte der Hauptversammlung oder die Grundlagenkompetenz der Hauptversammlung nach der Holzmüller-Entscheidung betreffen.465

III. Ergebnis Die überragende Bedeutung der Funktionsfähigkeit bzw. Stabilität des Finanzmarktes für die globale Volkswirtschaft eröffnet dem Gesetzgeber einen weiten gesetzgeberischen Gestaltungsfreiraum für finanzmarktregulatorische Interventionen, die auf Seiten der aufsichtsunterworfenen Unternehmen und deren Leitungsorgane jedoch gleichzeitig zu erheblichen Freiheitsverkürzungen führen. Zahlreiche aufsichtsbehördliche Überwachungs-, Einflussnahme-, Eingriffs- sowie Sanktionsmöglichkeiten sind häufig mit erheblichen Grundrechtsbeschränkungen verbunden, indem sie nicht zuletzt auch erhebliche Systemspannungen mit der verbandsrechtlichen Pflichten- und Kompetenzordnung offenbaren. Im Falle aufsichtsbehördlicher Einflussnahme ergeben sich verfassungsrechtlich relevante Konflikte weniger auf der Ebene der Legislative, sondern vielmehr im Einzelfall bei der Konkretisierung prinzipienartiger Vorgaben durch Ermessensentscheidungen der jeweils zuständigen, nur dem öffentlichen Interesse verpflichteten Aufsichtsbehörden. Nationale wie europäische Grundrechte räumen dem betroffenen Institut sowie unter Umständen auch dessen Anteilseignern eine justitiable Schutzposition gegen unverhältnismäßige Eingriffe ein und begründen insoweit auch eine allgemeine Grenze aufsichtsrechtlicher Interventionen. Unzulässige, die verfassungsrechtlichen Grenzen überschreitende aufsichtsbehördliche Einwirkungen sind dazu geeignet, konkrete Abwehrpflichten der Geschäftsleiter als Verteidiger der Gesellschaft auszulösen. Insofern obliegt es den Leitungsorganen zunächst, im Rahmen ihrer Rechtsermittlungspflichten die Zulässigkeit bzw. Unzulässigkeit aufsichtsbehördlicher Einwirkungen festzustellen. Ob eine konkrete Pflicht zur Abwehr vermeintlich nicht gerechtfertigter unverhältnismäßiger Interventionen besteht, ist anhand einer umfassenden Abwägung aller bestehenden Vor- und Nachteile für die Gesellschaft im spezifischen Einzelfall zu entscheiden.

465

431 f.

Ähnlich Binder, ZGR 2013, 760, 798; Habersack, in: FS U. H. Schneider, 2011, S. 429,

234

Kap. 3: Prozedurale Anforderungen an Organentscheidungsprozesse

D. Schlussfolgernde Thesen in haftungsrechtlicher Hinsicht Halten sich die letztverpflichteten Leitungsorgane bei der Wahrnehmung ihrer Pflichten an die unter „B“ und „C“ dargestellten Grundsätze, so verringern sie regelmäßig ihre Haftungs- und Sanktionsgefahren auf ein Minimum. Voraussetzung für die Bejahung eines „Quasi-Ermessens“ sui generis des Geschäftsleiters ist im Rahmen bestehender Rechtsbindung jedoch stets, dass ex ante Rechtsunsicherheitsmomente bei der Auslegung und Anwendung offen gehaltener und nur prinzipienartig formulierter aufsichtsrechtlicher Vorgaben bestanden haben. Nur in diesen Fällen kann eine durch gerichtliches Urteil nachträglich bestätigte kontroverse Rechtsauffassung der Aufsicht nicht zu einer Haftung des Geschäftsleiters nach § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG führen, wenn und soweit er seine Handlungsautonomie im spezifischen Einzelfall nach den vorstehend genannten Kriterien sorgfaltspflichtgemäß ausgeübt hat. In allen anderen Fällen fehlender Aufsichtskonformität hängt die Binnenhaftung des handelnden Leitungsorgans maßgeblich von den Einwirkungen des Aufsichtsrechtes ab. So gilt: „Wo das materielle Aufsichtsrecht Vorrang beanspruchen kann und aufsichtsrechtliche Sanktionen gegen zuwiderhandelnde Organentscheidungen eingreifen, löst dies sub specie der Legalitätspflicht grundsätzlich zugleich die Organhaftung nach § 93 Abs. 2 S. 2 AktG aus, wenn der Pflichtverstoß zu einem Schaden der Gesellschaft geführt hat.“466 Andererseits kann ein mit den aufsichtsbehördlichen Vorstellungen und Verlautbarungen konformes Verhalten von vornherein nicht dazu geeignet sein, für den Geschäftsleiter einen „Safe Harbour“ zu begründen. Denn wie die Untersuchungen in dieser Arbeit gezeigt haben, kommt dem Aufsichtsrecht nur ein beschränkter Geltungsanspruch zu. Insofern ist eine umfassende Umpolung der verbandsrechtlichen Pflichten- und Kompetenzenordnung hin zur alleinigen Ausrichtung auf öffentliche Belange nicht angebracht und mit dem geltenden Recht aufgrund fehlender gesetzlicher Kollisionsregelung nicht vereinbar. Eine dahingehende Konkretisierung des verbandsrechtlichen Sorgfaltsmaßstabes durch aufsichtsrechtliche Einwirkungen wäre insofern verfehlt. Je gefestigter eine Behördenpraxis ist, desto eher dürfte jedoch die Befolgung derselben durch den Geschäftsleiter eine Art Indizwirkung für sorgfaltspflichtgemäßes Verhalten entfalten, sofern dem nicht grundlegende verbandsrechtliche Wertungen entgegenstehen.

466

Zutreffend Binder, ZGR 2013, 760, 799 f.

Schlussbetrachtung I. Kernprobleme und Ursachen In den vergangenen Jahren hat das überaus komplexe Finanzaufsichtsrecht richtungsweisende Reformen erfahren. Diese führten zu neuen Herausforderungen für die Geschäftsleiter aufsichtsunterworfener Bank- und Versicherungsunternehmen. Die Abkehr von einem ursprünglich auf Regeln basierenden Aufsichtsrecht hin zu einer prinzipienorientierten Regulierung und Beaufsichtigung ging mit einer massiven Ausweitung des Verantwortungsbereiches der letztverantwortlichen Leitungsorgane einher. Vermehrt ergeben sich dadurch erhebliche rechtliche Unsicherheiten bei der Auslegung und Anwendung generalklauselartiger Vorgaben und damit einhergehend gesteigerte Haftungsgefahren. Andererseits führte die zunehmende Überformung der verbandsrechtlichen Pflichten- und Kompetenzordnung durch spezielle aufsichtsrechtliche Vorgaben des Finanzdienstleistungsaufsichtsrechtes in Verbindung mit einem eigenen aufsichtsrechtlichen Einflussnahme- und Sanktionensystem zu erheblichen Systemspannungen. Die Konkretisierung des Pflichten- und Sorgfaltsmaßstabes des Geschäftsleiters bereitet insofern mehr denn je Schwierigkeiten. Denn einerseits obliegt es den Leitungsorganen einer privatrechtlich strukturierten Aktiengesellschaft, ihre Leitungsaufgaben stets am Gesellschafts- bzw. Unternehmensinteresse auszurichten. Auf der anderen Seite nehmen die jeweils zuständigen Aufsichtsbehörden ihre Aufsichtsaufgaben ausschließlich im öffentlichen Interesse wahr. Divergierende Ansichten bei der Definierung des rechtlich gebotenen aufsichtskonformen Verhaltens sind die logische Konsequenz, zumal das Aufsichtsrecht hier häufig auf eine Zusammenarbeit zwischen Institut und Regulator setzt.

II. Reformbedarf Die in dieser Arbeit skizzierten Probleme gründen im Wesentlichen auf dem Fehlen gesetzlicher Regeln. Zwar lassen sich bestehende Spannungen bzgl. der in dieser Arbeit untersuchten Frage- und Problemstellungen bereits de lege lata unter Heranziehung allgemeiner Erwägungen lösen, doch gehört zu den wünschenswerten Reformen neben der gesetzlichen Statuierung einer aufsichtsrechtlichen Legal Judgment Rule auch die Schaffung gesetzlich normierter Kollisionsregelungen, die dazu geeignet sind, bestehende Systemspannungen in rechtssicherer

236

Schlussbetrachtung

Art und Weise aufzulösen und das offensichtlich bestehende Regelungsdefizit zu beseitigen.1 1. Notwendigkeit einer Legal Judgment Rule Der Finanzdienstleistungssektor zeichnet sich im besonderen Maße durch hochkomplexe Gegebenheiten aus. Moderne Finanzdienstleistungsunternehmen agieren in einem vielschichtigen, wettbewerbsintensiven Wirtschaftsumfeld. Aufsichtsunterworfenen Unternehmen obliegt es, sich im Rahmen miteinander vernetzter globaler Kapitalmärkte profitabel zu bewegen. Der Sicherstellung von Liquidität und Rentabilität steht der aufsichtsrechtliche Rechtsrahmen gegenüber. Geprägt von der Finanzkrise der vergangenen Jahre, fordert er von den aufsichtsunterworfenen Bank- und Versicherungsunternehmen vermehrt eine präventive Risikoeinschätzung bei der eigenen Geschäftstätigkeit. Die durch die Schieflage einzelner Institute resultierenden dauerhaften Schäden für den gesamten Finanzsektor mit schwerwiegenden Folgen für die Weltwirtschaft sollen künftig erkennbar vermieden werden. Der Verantwortungsbereich regulierter Finanzdienstleistungsunternehmen ist infolgedessen durch die Schaffung eines flexiblen Rechtsrahmens enorm gestiegen. Offen formulierte Prinzipien eröffnen dem Rechtsanwender teils ein sehr breites Optionenspektrum hinsichtlich der Frage, wie aufsichtsrechtliche Vorgaben in die Praxis umgesetzt werden können. Eine optimale risikogerechte Umsetzung ist aufgrund des hochkomplexen Geschäftsumfeldes jedoch regelmäßig nahezu unmöglich.2 Aus Rechtsstaatlichkeitsgesichtspunkten darf insofern nicht jede nachträglich festgestellte Fehlentscheidung zu haftungsrechtlichen Konsequenzen führen. Darüber besteht, wie die Untersuchungen in dieser Arbeit gezeigt haben, in der rechtswissenschaftlichen Literatur wie in der Rechtsprechung Einigkeit. Aus Sicht der Finanzdienstleistungsunternehmen bzw. der für sie handelnden letztverantwortlichen Leitungsorgane kann im Zusammenhang mit dem vom Gesetzgeber gewählten Regulierungsansatz von einem „gefahrerhöhenden Vorverhalten“ der Legislative gesprochen werden, das nicht zu einer einseitigen uferlosen Ausdehnung der Haftungsgefahren führen darf.3 Die von Bürkle angeregte (aufsichts-)gesetzliche Normierung eines von Haftungsgefahren befreiten Rechtsraumes 1 Vgl. speziell zur Notwendigkeit der Beseitigung des gesetzgeberischen Regelungsdefizites in Bezug auf den Konflikt zwischen aufsichtsrechtlichem Müssen und gesellschaftsrechtlichem Können im Bereich der Geschäftsorganisationsvorgaben für Versicherungsgruppen Dreher, WM 2015, 649, 659 f. 2 Vgl. hierzu auch VG Frankfurt am Main, VersR 2011, 333, 334: „Bei der Bewältigung der Aufgaben der Bundesanstalt kann es nicht ausgeschlossen werden, dass es im Einzelfall zu einer Entscheidung kommt, die sich bei weiterer rechtlicher Überprüfung als unzutreffend und rechtswidrig herausstellt. Derartige ,Fehlentscheidungen‘ sind jedem Geschäftsbetrieb immanent und insbesondere bei rechtlich komplexen und komplizierten Sachverhalten nicht auszuschließen.“ 3 So auch Bürkle, VersR 2013, 792, 798.

Schlussbetrachtung

237

im Rahmen rechtlich gebundener Entscheidungen bei bestehender Rechtsunsicherheit ist deshalb wünschenswert. 2. Notwendigkeit von Kollisionsregelungen Das Rechtsunsicherheitsmomentum bei der Bestimmung eines mit dem Aufsichtsrecht kompatiblen Pflichten- und Sorgfaltsmaßstabes für die Geschäftsleiter aufsichtsunterworfener Bank- und Versicherungsunternehmen wird zudem durch das Fehlen gesetzlicher Kollisionsregeln bei der Bestimmung des Verhältnisses zwischen allgemeinem Verbandsrecht und (speziellem) Aufsichtsrecht verstärkt. Einerseits steht das aufsichtsrechtlich Geforderte teils im Widerspruch zum verbandsrechtlich Möglichen.4 Wie die Ausführungen obiger Untersuchungen gezeigt haben, ermächtigt das Aufsichtsrecht zu Einwirkungen, die im Widerspruch zu allgemeinen verbandsrechtlichen Wertungen stehen.5 Der dadurch begründete Systemkonflikt im Verbandsrecht lässt das praktische Bedürfnis nach der Normierung klarstellender Kollisionsregeln deutlich hervortreten.6

III. Lösungsansätze de lege lata Da de lege lata weder das Handeln unter Rechtsunsicherheit im Rahmen grundsätzlich bestehender Rechtsbindung noch das Verhältnis zwischen Aufsichtsrecht und allgemeinem Verbandsrecht durch den Gesetzgeber geregelt ist, können daraus resultierende Probleme nur durch eine spezifische Einzelfallbetrachtung unter Heranziehung allgemeiner Erwägungen gelöst werden. Wie in Kapitel 2 dargelegt, ist ein von Haftungsgefahren weitestgehend befreiter Rechtsraum bei bestehender Rechtsunsicherheit und bestehenden Umsetzungsspielräumen rechtsdogmatisch deshalb lediglich über einen im Einzelfall begründungspflichtigen „Quasi-Ermessensspielraum“ sui generis außerhalb des Anwendungsbereiches der Business Judgment Rule frei von Widersprüchen begründbar.7 Greifen die dargelegten Grundsätze ein, kann es in diesen Fällen trotz eines nachträglich gerichtlich festgestellten Fehlverhaltens an einem Verschulden des jeweils verantwortlichen Leitungsorganes fehlen.8 Der Umfang der Rechtsbindung ist dabei in diesem Zu4

So z. B. in den in dieser Arbeit nicht näher untersuchten Konzernkonstellationen. Vgl. hierzu ausführlich Tröger, ZHR 177 (2013), 475; Dreher/Ballmaier, ZGR 2014, 753; Dreher, in: Stellungnahme für den Finanzausschuss des Deutschen Bundestags zu der öffentlichen Anhörung zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung „Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung der Finanzaufsicht über Versicherungen (Solvency II)“, 28. 11. 2014, S. 10 ff. 5 Vgl. hierzu nochmals ausführlich die oben in Kapitel 1 dargestellten Systemspannungen mit der verbandsrechtlichen Pflichten- und Kompetenzordnung. 6 Zutreffend Binder, ZGR 2013, 760. 7 Vgl. nochmals ausführlich oben Kapitel 2, B. III. 8 Vgl. nochmals ausführlich oben Kapitel 2, C. I.

238

Schlussbetrachtung

sammenhang abhängig von dem Maß der tatsächlich bestehenden Rechtsunsicherheit im Zeitpunkt der konkreten Entscheidungssituation.9 Für die Anforderungen im Hinblick auf die prozeduralen Voraussetzungen des Vorstandshandelns unter Rechtsunsicherheit bieten die für das Gesellschaftsrecht entwickelten Grundsätze zur Business Judgment Rule eine verlässliche Grundlage, die im Einzelfall durch aufsichtsrechtliche Spezifikationen zu modifizieren sind.10 Ergibt die spezifische Pflicht zur Rechtsermittlung, dass die Verwirklichung des rechtlich geforderten aufsichtskonformen Handelns durch mehrere Umsetzungsalternativen erfüllt werden kann, die sich darüber hinaus in der spezifischen Entscheidungssituation (nahezu) gleich gut begründen lassen, so kann sich der Vorstand im Zweifel primär von verbandsendogenen Interessen leiten lassen und sich damit für die für die zu leitende Gesellschaft günstigere Rechtsansicht entscheiden.11 Denn das Aufsichtsrecht ist nach geltendem Recht weder dazu geeignet, die verbandsrechtliche Pflichtenordnung noch die verbandsrechtliche Kompetenzordnung zugunsten allein im öffentlichen Interesse stehender Belange zu überlagern.12 Greifen aufsichtsrechtliche Einwirkungen insbesondere in Form von aufsichtsbehördlichen Einflussnahmemöglichkeiten in grundrechtlich geschützte Rechtspositionen der aufsichtsunterworfenen Unternehmen und ggf. ihrer Anteilseigner ein, so begründen der nationale wie auch der europäische Grundrechtskatalog im Einzelfall eine justiziable Schutzposition für die von der jeweiligen rechtfertigungsbedürftigen Maßnahme Betroffenen.13 Infolgedessen stellen die Grundrechte die allgemeine Grenze aufsichtsbehördlicher Einwirkungen dar, die von den Geschäftsleitern der in den Anwendungsbereich des Aufsichtsrechtes fallenden Bankund Versicherungsunternehmen gewährleistet werden muss. Daraus ergibt sich die Pflicht der zuständigen Leitungsorgane, im Rahmen unklarer Rechtslage infolge nur vage umrissener Eingriffstatbestände, die der Aufsicht weite Ermessensspielräume eröffnen, eine genaue Prüfung der Reichweite der rechtlichen Bindung aufsichtsbehördlicher Einflussnahmen vorzunehmen und bei nicht mehr gerechtfertigten Maßnahmen hiergegen ggf. unter Zuhilfenahme gerichtlichen Rechtsschutzes vorzugehen.14 In jedem Falle ergibt sich aus dem beschränkten Geltungsanspruch des Aufsichtsrechtes die Pflicht zur Wahrung der verbandsrechtlichen Kompetenzordnung und damit einhergehend die Pflicht zur Einbindung der nach dem allgemeinen Verbandsrecht zur Zustimmung bzw. (Mit-)Entscheidung berufenen Organe, auch wenn die Aufsicht dem Geschäftsleiter bereits eine eindeutige Lösung vorgibt.15

9

Vgl. nochmals ausführlich oben Kapitel 2, C. II. Vgl. nochmals ausführlich oben Kapitel 3, B. 11 Vgl. nochmals ausführlich oben Kapitel 3, B. IV. 12 Vgl. nochmals ausführlich oben Kapitel 3, B. IV. sowie C. I. 13 Vgl. nochmals ausführlich oben Kapitel 3, C. I. 14 Vgl. nochmals ausführlich oben Kapitel 3, C. II. 15 Zutreffend Binder, ZGR 2013, 760, 801. 10

Schlussbetrachtung

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IV. Resümee Durch die stattfindende Re-Regulierungswelle im Finanzdienstleistungssektor sind die hoheitlichen Eingriffe und Einwirkungsmöglichkeiten auf originär unternehmerische Entscheidungen gestiegen. Auf Seiten der letztverpflichteten Geschäftsleiter führt dies zu einer Erweiterung der Geschäftsleiterverantwortung. Umfassende Ermächtigungen und Einwirkungsmöglichkeiten der jeweils zuständigen Aufsichtsbehörden erfordern von diesen in der zukünftigen Aufsichtspraxis zudem einen verantwortungsvollen Umgang mit der durch den Gesetzgeber eingeräumten Macht. Insbesondere muss zwingend ein ausreichender Grundrechtsschutz der aufsichtsunterworfenen Normadressaten gewährleistet und respektiert werden, auch wenn die Finanzaufsicht lediglich dem öffentlichen Interesse verpflichtet ist. Die künftige Aufsichtspraxis wird indes zeigen, inwieweit sich die drohende Gefahr der Überlagerung verbandsrechtlicher Interessen durch rechtlich unverbindliches, allein dem öffentlichen Interesse verpflichtetes Aufsichtsbehördenrecht realisiert.

Dokumente und Materialien Ausschuss der Weisen Schlussbericht des Ausschusses der Weisen über die Regulierung der europäischen Wertpapiermärkte, Brüssel, 15. Februar 2001. Abrufbar unter: http://ec.europa.eu/internal_market/ securities/docs/lamfalussy/wisemen/final-report-wise-men_de.pdf. Basler Ausschuss für Bankenaufsicht Guidelines Corporate governance principles for banks, Juli 2015. Abrufbar unter: http://www. bis.org/bcbs/publ/d328.pdf. Principles for enhancing corporate governance, Oktober 2010. Abrufbar unter: http://www.bis. org/publ/bcbs176.pdf. Internationale Konvergenz der Eigenkapitalmessung und Eigenkapitalanforderungen, Überarbeitete Rahmenvereinbarung, Umfassende Version, Juni 2006. Abrufbar unter: http://www. bis.org/publ/bcbs128ger.pdf. Verbesserung der Unternehmensführung in Banken, Februar 2006. Abrufbar unter: http://www. bis.org/publ/bcbs122de.pdf. Verbesserung der Unternehmensführung in Banken, September 1999. Abrufbar unter: http:// www.bis.org/publ/bcbs56de.pdf. http://ec.europa.eu/internal_market/securities/docs/lamfa lussy/wisemen/final-report-wise-men_de.pdf. Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) Die BaFin stellt sich vor. Abrufbar unter: http://www.bafin.de/SharedDocs/Downloads/DE/Bro schuere/dl_b_bafin_stellt_sich_vor.pdf?__blob=publicationFile&v=11. Jahresbericht 2010. Abrufbar unter: http://www.bafin.de/SharedDocs/Downloads/DE/Bro schuere/dl_b_bafin_stellt_sich_vor.pdf?__blob=publicationFile&v=11. Jahresbericht 2013. Abrufbar unter: http://www.bafin.de/SharedDocs/Downloads/DE/Jahresbe richt/dl_jb_2013.pdf?__blob=publicationFile&v=8. Ziel, Leitbild und Strategien der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht. Abrufbar unter: http://www.bafin.de/SharedDocs/Downloads/DE/Bericht/dl_leitbild_strategie.pdf?__ blob=publicationFile&v=1. http://ec.europa.eu/internal_market/securities/docs/lamfalussy/ wisemen/final-report-wise-men_de.pdf. Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin)/Deutsche Bundesbank Bankaufsichtliches Risikoprofil als Teil der bankaufsichtlichen Überprüfung und Bewertung von Instituten, Stand: November 2007. Abrufbar unter: http://www.bundesbank.de/Redakti on/DE/Downloads/Aufgaben/Bankenaufsicht/Rundschreiben_Bafin/2007_11_bankaufsichtli ches_risikoprofil.pdf?__blob=publicationFile.

Dokumente und Materialien

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Stichwortverzeichnis Abwägung 92, 171, 188, 204 f., 209 – 211, 227, 233 Abwägungsentscheidung 212, 226 f., 232 Abwehrmaßnahmen 220, 224, 226 – 232 Allgemeine Leitungsgrundsätze 88 Allgemeine Zielkonzeption des Bank- und Versicherungsaufsichtsrechts 189 Aufsichtsbefugnisse 65, 182 aufsichtsbehördliche Anordnungsbefugnisse 226 aufsichtsbehördliche Einflussnahme 62 aufsichtsbehördliche Einwirkungen 158, 226, 233 aufsichtsbehördliche Überprüfungsverfahren 26, 225 aufsichtsbehördliches Ermessen 221 Aufsichtspraxis 51, 64, 70, 106, 110 f., 209 f., 222, 239 aufsichtsrechtliche Außenverbindlichkeit 93 aufsichtsrechtliche Einwirkungen 200, 219, 227, 232, 234, 238 aufsichtsrechtliche Kontrolle unternehmerischer Entscheidungen 57 aufsichtsrechtliches Spezialitätsverhältnis 44 aufsichtsunterworfene Bank- und Versicherungsunternehmen 33 Auslegungsentscheidungen 41, 102 f., 106, 209 BaFin 26, 29 – 31, 34, 40 f., 50, 58, 60, 62 – 64, 96, 98 f., 102 – 107, 110, 114, 133 f., 150, 163, 165, 170, 180 – 182, 190, 209, 223, 226, 229 Behördenpraxis 181, 209 – 211, 234 Beurteilungsspielraum 51, 63, 71, 78, 85, 115 f., 118, 121, 123, 125 f., 128, 134, 138, 143, 154, 159, 193, 221 Bindungswirkung 63, 96 – 98, 102, 105 f., 109 – 111, 114, 134, 180, 208 f.

BRRD-Umsetzungsgesetz 27, 35, 47 Business Judgment Rule 81, 85, 116 – 122, 124 – 127, 129, 132 f., 135, 137, 146, 154, 158 f., 237 f. Corporate Governance 21 f., 24 f., 27, 35 f., 64, 66, 78, 97, 100 f., 104 – 109, 111 f., 115, 172, 188, 193, 195, 197 f. CRD-IV-Richtlinie 38, 57 f., 199 f. CRD-IV-Umsetzungsgesetz 26, 40, 202 Dokumentationspflicht 212 doppelte Pflichtenbindung 94 EBA 28 f., 31, 40, 47, 49, 87, 109 f., 113, 163, 222 Einflussnahmepotential 36, 54, 57 f., 70, 100 Eingriffsbefugnisse 52, 54, 68, 219 Einleger 93, 190, 193, 199 EIOPA 28 f., 55, 70, 109 f., 112, 163, 222, 226 f. Empfehlungen 29, 66, 96, 102, 107 – 109, 111 – 114, 174, 180, 209 Entscheidungsgrundlage 160 Ermessensentscheidungen 122 f., 203, 218, 233 Ermessensspielräume 36, 46, 52, 69, 122, 238 ESAs 28 f., 31, 97, 99 f., 102, 108, 110, 112, 114, 133 f., 180, 209, 230 European Supervisory Authorities 28, 99, 101, 133 European System of Financial Supervision 28 European Systemic Risk Board 28 exekutive Normsetzung 97 f., 101 exekutive Standardsetzung 102, 113 EZB 29 – 31, 33, 50, 65 f., 68, 101 f., 113 f., 133, 214, 223, 228 – 230

264

Stichwortverzeichnis

fachliche Eignung 62, 163, 175 faktische Bindungswirkung 114, 180 Financial Stability Board 27 f., 46, 55 f. Finanzmarktaufsicht 28, 96 Finanzsystem 23, 28, 49, 59, 128, 131, 192 Flexibilitätstheorie 140, 144 formelle Maßnahmen 63 G-SIFIs 46 Geltungsanspruch 44, 73, 106, 115 f., 134, 181, 202, 210, 219, 234, 238 Geschäftsleiteraußenhaftung 42, 147, 151, 153, 155 Geschäftsleiterermessen 72, 80 Geschäftsleiterinnenhaftung 137, 155 Geschäftsleiterpflichten 26, 32, 35 f., 38 – 40, 42 f., 46, 66, 69, 131, 150, 199, 225 Geschäftsleiterverantwortung 39, 41, 145, 239 Geschäftsorganisationspflichten 36, 38 Gesellschaftsinteresse 25, 42, 88, 132, 186, 198 Gesetz zur Modernisierung der Finanzaufsicht über Versicherungen 26, 38, 55 Gewährleistungsverantwortung des Staates 22, 190 Globally Systemically Important Financial Institutions 46 Grundlagenentscheidungen 55, 70, 213, 232 Grundrechte 74, 199 f., 214 – 219, 221, 224, 233, 238 Grundzüge des Aufsichtshandelns 221 Guidelines 40, 87, 109 – 112, 133 f., 180, 222 Haftungs- und Sanktionsgefahren 42, 212, 234 Haftungsgefahren 32, 35, 42, 72, 79 f., 83, 94, 117, 126, 130, 134 f., 137, 145, 147, 157, 162, 183, 235 – 237 Haftungsprivilegierung 81, 85, 117, 125 f., 132, 136, 146, 165 Handlungsautonomie 32, 35 f., 66, 69 f., 72 f., 80, 91, 129, 137, 154, 204, 206, 212, 234

Informationsbeschaffung 161, 167 Informationsversorgungspflicht 177 informelle Maßnahmen 63 Interaktion mit den Aufsichtsbehörden 176, 181 jeweils zuständige Aufsichtsbehörde

33

Kollisionsregelung 199, 234 Kooperationsverhältnis 31, 68, 79, 103, 158, 209, 225, 227 Kriseninduzierte Reformen 24 Lamfalussy-Verfahrens 29, 97, 99 f., 108, 111 Legal Judgment Rule 121, 133, 235 f. Legalitätspflicht 85 – 90, 92 f., 96, 131, 232, 234 Leitlinien 29 f., 40, 47, 70, 96, 102, 108 – 114, 157, 163, 180, 209, 221 f., 226 f., 230 Leitprinzipien 60, 88, 184, 203 Leitungsverantwortung 24, 85 Letztverantwortung 42, 154, 212 makroprudentielle Aufsicht 28 MaRisk 40 f., 70, 72, 95, 102 – 104, 106, 165, 170, 182 f. Maßnahmen 24, 37, 46, 48 – 55, 57, 61, 64 – 69, 71, 87, 92 – 94, 99 f., 106, 110, 112, 119, 127, 130 f., 153, 157, 185, 202, 209, 213 f., 216, 219, 221 f., 224, 227 – 229, 231, 233, 238 mikroprudentielle Aufsicht 21, 28 Mitwirkungspflichten 51, 225 N-SIFIs 46 Nationally Systemically Important Financial Institutions 46 Neuausrichtung des Bank- und Versicherungsaufsichtsrechtes 22 Norminterpretationskompetenz 114 – 116, 166 öffentliches Interesse 26, 45, 60, 62, 66, 70, 90, 132, 157, 166, 189 f., 200 f., 203, 209, 218 f., 224, 232 f., 235, 238 f. Optimierungslehre 140, 144

Stichwortverzeichnis Organentscheidungen 94, 158, 234 Organentscheidungsprozesse 130, 156 f., 159 originär unternehmerische Entscheidungen 46, 52, 65, 116, 239 Pflichten- und Kompetenzordnung 32, 36, 45, 71, 213 f., 219 f., 233, 235, 237 Pflichtenbindung 72, 80, 86, 89 f., 92, 94, 118, 124 f., 133, 145, 167 Plausibilitätskontrolle 167, 178 f., 182 Prinzipien 39, 41, 72 – 77, 79, 88, 154, 181 f., 184, 196, 201, 210, 225, 236 prinzipienbasierter Regulierungsansatz 73, 78 Proportionalitätsgrundsatz 166, 181 f., 203, 222 f. Qualifikationsanforderungen

62, 163

Rechtfertigung aufsichtsrechtlicher Regulierung 22, 67 rechtliche Bindungswirkung 77, 98, 102, 107, 109 f., 116, 166, 180, 210 Rechtsbefolgungspflicht 205, 207 – 209 Rechtsbindung 43, 77, 85 – 87, 89 f., 92, 96, 101 f., 111, 116 f., 120, 128, 135, 159, 205, 207, 234, 237 Rechtsermittlung 167, 206 – 208, 210, 224, 238 Rechtsermittlungspflichten 183, 207, 221, 233 Rechtsirrtumslehre 137, 143, 145 f. Rechtsunsicherheit 33, 70, 135, 145 f., 154, 157 f., 181, 206 – 211, 220, 228, 237 f. Recommendations 109 – 112, 133 f., 180 Risikoverteilung im Innenverhältnis 130, 133, 143, 158 Rundschreiben 26, 40 f., 49, 72, 95, 102, 104, 106 f., 133 f., 180, 209

265

Sanierungs- und Abwicklungsgesetz 27, 46 f. Sanierungs- und Abwicklungsplanung 27, 35, 46 f., 52, 54 f., 66, 70, 232 Sanktionen 68, 81, 94, 106, 131, 144, 165, 195, 209, 212, 234 Shareholder-Value 88, 187 – 189, 195 – 197 Single Supervisory Mechanism – SSM 29 Solvency-II-Richtlinie 26 f., 38, 41 f., 58 f., 95 f., 111, 170, 176, 182, 184, 191, 200, 223, 225 Spannungsverhältnis 26, 32 f., 189, 199 Strategieentscheidungen 51, 232 Systemstabilität 43, 52, 93 Trennbankenregulierung 225

27, 36, 66, 70,

unbestimmte Rechtsbegriffe 39, 203 unmittelbare Inpflichtnahme der Geschäftsleitung 92 Unternehmensinteresse 60, 70, 88, 90, 93, 145, 186 f., 193, 196, 210, 235 unternehmerische Entscheidung 81 – 85, 88, 116, 121, 126, 139 Verhaltensleitlinien 135, 157 f., 212, 230 Verhaltensmaßstab 124 Verhältnismäßigkeitsprüfung 218 f., 221, 224 Verlautbarungen 49, 63, 72, 75, 79, 96, 98, 100, 102 – 108, 110, 114, 116, 134, 154, 164 – 167, 180, 182, 208 – 210, 234 Versicherte 93, 165, 190 Vertretbarkeitslehre 139 f., 206 Zieldisparität 70, 93, 145 Zielkonzeption 186 – 190, 195, 198, 201, 204 Zielvorgaben 39, 58, 60, 74, 76 f., 182, 195, 199, 201, 203 f., 221, 226 Zuverlässigkeit 60 – 63, 163