Tätige Reue im Zivilrecht: Eine Untersuchung der Auswirkungen nachträglichen Wohlverhaltens auf die Folgen der Verletzung zivilrechtlicher Pflichten und Obliegenheiten [1 ed.] 9783428501519, 9783428101511

Weder im Zusammenhang noch in Einzelbetrachtungen ist bisher untersucht worden, wie sich nachträgliches Wohlverhalten au

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Tätige Reue im Zivilrecht: Eine Untersuchung der Auswirkungen nachträglichen Wohlverhaltens auf die Folgen der Verletzung zivilrechtlicher Pflichten und Obliegenheiten [1 ed.]
 9783428501519, 9783428101511

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CHRISTIAN KNÜTEL

Tatige Reue im Zivilrecht

Hamburger Rechtsstudien herausgegeben von den Mitgliedern des Fachbereichs Rechtswissenschaft der Universität Hamburg Heft 91

Tätige Reue im Zivilrecht Eine Untersuchung der Auswirkungen nachträglichen Wohlverhaltens auf die Folgen der Verletzung zivilrechtlicher Pflichten und Obliegenheiten

Von Christian Knütel

Duncker & Humblot . Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Knütel, Christian:

Tätige Reue im Zivilrecht: Eine Untersuchung der Auswirkungen nachträglichen Wohlverhaltens auf die Folgen der Verletzung zivilrechtlicher Pflichten und Obliegenheiten / von Christian Knüte!. Berlin : Duncker und Humblot, 2000 (Hamburger Rechtsstudien ; H. 91) Zug!.: Hamburg, Univ., Diss., 1999 ISBN 3-428-10151-0

Alle Rechte vorbehalten

© 2000 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübemahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0072-9590 ISBN 3-428-10151-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 8

Meinen Eltern

Vorwort Die Arbeit hat im Sommersemester 1999 dem Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Hamburg als Dissertation vorgelegen. Das Manuskript wurde im Februar 1999 abgeschlossen. Danken möchte ich besonders Herrn Prof. Dr. Reinhard Bork für sein großes Engagement während des gesamten Promotionsverfahrens und Herrn Prof. Dr. Götz Landwehr für seine rasche Zweitkorrektur sowie für einige fruchtbare Anregungen. Dank gilt auch den Herren Professoren Dr. Hans-Peter BuH und Dr. Gerhard Fezer, die zusammen mit Herrn Prof. Dr. Reinhard Bork die Aufnahme der Arbeit in die Schrifienreihe "Hamburger Rechtsstudien" ermöglicht haben. Dankbar bin ich schließlich der Universität Hamburg für die Bewilligung eines Druckkostenzuschusses für die Veröffentlichung dieser Arbeit. Berlin, im März 2000

Christian Knütel

Inhaltsverzeichnis

Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17

1. Kapitel

Verletzung vertraglicher Pflichten und Obliegenheiten und tätige Reue

21

§ I Verzögerte Leistung und Schuldnerverzug, §§ 284, 285 BGB ............. . . . ... . .

21

I. Problem .....................................................................

21

11. Hintergrund und Historie ....................................................

24

III. Nachträgliche Leistung und deren Wirkungen ................................

27

l. Schuldner allgemein .....................................................

28

a) Interessefortfall, §§ 286 Abs. 2, 326 Abs. 2 BGB ......................

29

b) Nachfristversäumnis, § 326 Abs. I BGB ..............................

31

c) Fixgeschäft, § 361 BGB ..............................................

35

2. Vermieter, § 542 BGB ...................................................

36

a) Interessefortfall, § 542 Abs. I S. 3 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

37

b) Nachfristversäumnis, § 542 Abs. I S. 2 BGB ................... .. . ....

38

3. Mieter, § 554 Abs. I S. I BGB ....................................... . ...

40

4. Werkunternehmer, §§ 636 Abs. I S. 1,634 BGB .........................

42

a) Interessefortfall, §§ 636 Abs. I S. 1,634 Abs. 2 BGB .................

42

b) Nachfristversäumnis, §§ 636 Abs. I S. 1,634 Abs. I BGB ............

44

5. Dienstberechtigter, § 626 BGB ...........................................

46

6. Vorbehaltskäufer, § 455 BGB ............................................

46

7. Verbraucher, §§ 12 Abs. I, 13 Abs. I VerbrlCrG ..........................

47

10

Inhaltsverzeichnis 8. Versicherungsnehmer. § 39 Abs. 3 S. 1 VVG ............................ .

48

9. Wohnungseigentümer. § 18 Abs. 1 WEG ................................ .

49

10. Kommissionär. § 25 Abs. 1 S. I DepotG ................................ .

50

IV. Nachträgliche Leistung auf eine verstärkte Verbindlichkeit .................. .

52

1. Vertragsstrafe. § 339 BGB ............................... . . . ........... .

52

a) Verfallsbereinigung im römischen Recht ..... .

53

b) Verfallsbereinigung nach heutigem Recht: Meinungsstand ........... .

55

c) Stellungnahme ....................................................... .

57

2. Verfallklausel. § 360 BGB ............ . ..... . ........................... .

60

V. Ergebnis .................................................................... .

63

§ 2 Gläubigerverzug. §§ 293 ff. BGB ................................................ .

64

I. Problem .................................................................... .

64

11. Gefahrübergang. § 300 Abs. 2 BGB. und nachträgliche Annahmebereitschaft

65

III. Annahmeverzug des Bestellers und nachträgliche Mitwirkung .............. .

68

1. § 643 BGB .............................................................. .

69

2. §9Nr.1 a.2VOB/B ................................................... .

69

IV. Ergebnis .................................................................... .

70

§ 3 Andere Verletzungen vertraglicher Pflichten und Obliegenheiten ................ .

70

I. Problem .................................................................... .

70

11. Hintergrund und Historie ................................................... .

71

III. Kündigungs- und Rücktrittsrechte und tätige Reue .......................... .

73

1. Objektive Unzumutbarkeit ................................. . . . .......... .

73

2. Subjektive Unzumutbarkeit ............................................. .

75

IV. Verfall klauseln im Versicherungsrecht und tätige Reue ...................... .

76

V. Ergebnis .................................................................... .

78

Inhaltsverzeichnis

11

2. Kapitel

Verletzung gesetzlicher Pflichten und Obliegenheiten und tätige Reue

79

§ 4 Verletzung der Anzeigepflicht des Finders, §§ 971 Abs. 2,973 Abs. 2 S. 2 BGB ..

79

I. Problem .....................................................................

79

11. Finderlohn und tätige Reue ................... . . . ... . ........................

81

III. Eigentumsanwartschaft und tätige Reue .......................... . . . . . . . . . . . .

82

IV. Ergebnis .....................................................................

83

§ 5 Inventaruntreue, § 2005 Abs. I BGB

83

I. Problem ...... . ........ . . . ...................................................

83

11. Hintergrund und Historie ....................................................

85

III. Inventaruntreue und tätige Reue .............................................

86

I. § 2005 Abs. I S. I I. Alt. BGB ...................•.......................

87

a) Standpunkt der herrschenden Meinung ................................

87

b) Stellungnahme............................. . ............. . ............

88

2. § 2005 Abs. I S. I 2. Alt. BGB ...........................................

91

3. § 2005 Abs. I S. 2 BGB ... . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

92

IV. Ergebnis .....................................................................

93

§ 6 Obliegenheitsverletzungen des Insolvenzschuldners, §§ 290 Abs. 1,295 Abs. I, 296, 303 InsO ....................................................................

93

I. Problem .....................................................................

93

11. Hintergrund und Historie ....................................................

95

III. Obliegenheitsverletzungen und tätige Reue ..................................

97

I. §§ 290 Abs. I Nr. 4, 296 InsO i. V. m. § 295 InsO ........................

97

2. § 290 Abs. I Nr. 2 InsO .......... . .......................................

98

12

Inhaltsverzeichnis 3. § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO .................................................. 100 4. § 290 Abs. 1 Nr. 6 InsO .................................................. 102 IV. Ergebnis ..................................................................... 103

3. Kapitel

Verletzung sittlicher Pflichten und Obliegenheiten und tätige Reue

104

§ 7 Verfehlungen des geschiedenen oder getrennt lebenden Ehegatten, §§ 1579, 1361

Abs.3 BGB ..................................................................... 104 I. Problem

104

11. Hintergrund und Historie .................................................... 106 III. Scheidungsunterhalt, Unzumutbarkeit und tätige Reue ....................... 108 1. Wortlaut ................................................................. 108

2. Zweck der Norm................................................... . ..... 109 a) Ausgleich subjektiver Härten ................. . ..... . ..... . ..... . ..... 110 b) Ausgleich objektiver Härten .......................................... 111 3. Rechtsstellung des Verpflichteten ........................................ 1\ 3 4. Rechtsstellung des Berechtigten.......................................... 1\4 IV. Trennungsunterhalt, Unzumutbarkeit und tätige Reue........................ 114 V. Ergebnis ..................................................................... 1\ 5

§ 8 Verfehlungen des unterhaltsberechtigten Verwandten, § 161\ BGB ............... 1\6

I. Problem ..................................................................... 1\ 6

11. Hintergrund und Historie .................................................... 118 III. Verwandtenunterhalt, Unzumutbarkeit und tätige Reue.. ... . .. ... .. . . . . . . . . . . 119 1. Wortlaut ............. . ... . .............. . ................................ 120

2. Zweck der Norm ......................................................... 121

Inhaltsverzeichnis

13

3. Rechtsstellung des Verpflichteten .. ..... ... . . . .... . . ... ... . .... ... ..... . . 122 4. Rechtsstellung des Berechtigten............. . .. . . ..... ...... .... ......... 123 IV. Verletzung des ..Gegenseitigkeitsprinzips" und tätige Reue............. ...... 123 V. Ergebnis.... ... .. ....... ..... . ............................................... 127

§ 9 Grober Undank des Beschenkten, § 530 BGB

128

I. Problem ............................... . . ....... . . .... . . . . .. ... . . .... ....... . 128

11. Hintergrund und Historie .... . . .. .............. .......... ................ . ... 129 III. Grober Undank und tätige Reue.... ..... ..... . . ... . . . . ............. ... ... .. .. 132 1. Entstehung des Widerrufsrechts ....................... . .. .. . . ........... . 132

a) Wortlaut..................... ... ........... .... . . .............. ....... 132 b) Zweck der Norm ........... . ................. ....... ......... ,. . . . . ... 134 c) Rechtsstellung des Schenkers ... .. . . . ... . .... . . . ............... . . . . .. . 135 d) Rechtsstellung des Beschenkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 e) Entstehungsgeschichte................... . ............... ..... ........ 137 f) Ergebnis ...................... . ..... . ................................. 137

2. Erlöschen des Widerrufsrechts .. . . .... . . .. .... . ..... .... .. ..... . . ... ... .. 138 IV. Ergebnis .... .... . ..... ...... .. ...... ... ............. ... ............. ..... . ... 139

§ 10 Verfehlungen des PfIichueilsberechtigten, §§ 2333 ff. BGB ....................... 140

I. Problem ....................................................... . .... ...... ... 140

11. Hintergrund und Historie ....................... .. ................. ... ....... 142 IlI. Verfehlungen und tätige Reue . ... ...... . ... . ... .. ...... . .. ......... . ..... . ... 144 1. Entstehung des Entziehungsrechts .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144

2. Erlöschen des PfIichueiisentziehungsrechts ... . ........... . .. . . . . .. ...... 145 a) Interessefortfall . . .. . ... . . .. . .... .. . ..... ... .... . . .. .... .. .. ..... . ..... 146 b) Widersprüchliches Verhalten des Erblassers ... .. .. ........... ..... .. . . 147

14

Inhaltsverzeichnis 3. Unwirksamkeit der Entziehung........................................... 148 a) Ausdrückliche Unwirksamkeit, § 2336 Abs. 4 BGB ................... 148 b) Unwirksamkeit nach Treu und Glauben............................... 149 IV. Ergebnis ..................................................................... 151

§ 11 Erbunwürdigkeit, § 2339 BGB ................................................... 152

I. Problem ..................................................................... 152

II. Hintergrund und Historie .................................................... 154 III. Erbunwürdigkeit und tätige Reue ............................................ 156 1. § 2339 Abs. 1 Nr. 1 BGB ................................................ 156

a) Rücktritt vom Totungsversuch ........................................ 157 b) Sonstiges Wohlverhalten.............................................. 159 2. § 2339 Abs. 1 Nr. 2 BGB

160

3. § 2339 Abs. 1 Nr. 3 BGB

161

a) Errichtung neuer Verfügung........................................... 161 b) Bestätigung der Verfügung............................................ 162 c) Exkurs: Das Verschweigen ehelicher Untreue......................... 163 4. § 2339 Abs. 1 Nr. 4 BGB ................................................ 165 IV. Ergebnis ..................................................................... 167

4. Kapitel

ImmaterieDe Schäden und tätige Reue

169

§ 12 Schmerzensgeld, § 847 BGB ..................................................... 169

I. Ausgleichsfunktion und tätige Reue .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170

11. Genugtuungsfunktion und tätige Reue ....................................... 171 111. Ergebnis ..................... . .................. . ............................ 172

Inhaltsverzeichnis § 13 Schmerzensgeld wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts

15 173

§ 14 Schmerzensgeld wegen Verletzung des Urheberpersönlichkeitsrechts, § 97 Abs. 2 UrhG ............................................................................. 176

§ 15 Schadensersatz wegen verdorbenen Urlaubs, § 651 f. Abs. 2 BGB ................ 177

5. Kapitel Ergebnisse

180

§ 16 Zusammenfassung ............................................................... 180

§ 17 Schlußbetrachtung ............................................................... 182

Literaturverzeichnis .............................. . ......... . ......................... 187 Quellen und Materialien ............................................................. 198 Stichwortverzeichnis ................................................................. 200

Abkürzungen a.A. a.E. bayer. LR C. CC CC ital. CC span. CIC CTh CTher. D. EI I. OR PGO

s. a.

am Anfang am Ende Bayerisches Landrecht Codex Iustinianus Code Civil Codice civile italiano von 1942 Codigo civil espagnol Corpus Iuris Canonici Codex Theodosianus Codex Theresianus Digesta Iustiniani 1. Entwurf zum BGB Institutiones Instiniani Schweizerisches Obligationenrecht von 1871 Peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V. von 1532

sächs. GB

sine anno Bürgerliches Gesetzbuch für das Kgr. Sachsen von 1863/1865

Sig. SZ(GA) SZ(KA) SZ(RA)

Sammlung Savigny Zeitschrift für Rechtsgeschichte (Germanistische Abteilung) Savigny Zeitschrift für Rechtsgeschichte (Kanonistische Abteilung) Savigny Zeitschrift für Rechtsgeschichte (Romanistische Abteilung)

Vat.

Fragmenta Vaticana Schweizerisches Zivilgesetzbuch von 1907/1912 Zürcher Privatrechtliches Gesetzbuch von 1853/1855

ZGB zürch. GB

Im übrigen folgen die Abkürzungen dem "Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache" von Hildebert Kirchner, 4. Auflage, Berlin/New York 1993, und dem "Duden - Die deutsche Rechtschreibung", 21. Auflage, Mannheim 1Leipzig 1Wien 1Zürich 1996.

Einleitung Das Gemeinwesen wird, wie Solon sagt, von zwei Dingen zusammengehalten: von Belohnung und von StrafeI. Deshalb können weder ein Hauswesen noch eine staatliche Gemeinschaft für vernünftig eingerichtet gelten, in denen nicht gute Taten belohnt und schlechte bestraft werden 2 . Doch ist es nicht bloß ein Gebot der praktischen Vernunft, schlechte Taten zu bestrafen und gute Taten zu belohnen; vielmehr ist es ein Gebot der Gerechtigkeit, verstanden als die constans et perpetua voluntas suum cuique tribuens 3 • Wer das Recht pflegt, soll deshalb danach streben, die Menschen nicht nur durch Furcht vor Strafe, sondern auch durch Verheißen von Belohnungen zum Guten zu führen4 • Ein Ausdruck dieses Gebotes ist die Belohnung tätiger Reue. Die Belohnung tätiger Reue hat Tradition: Pompeius, der das Mittelmeer von der Seeräuberplage befreite, behandelte diejenigen Seeräuber glimpflich, die sich ihm freiwillig ergaben5 ; Tiberius, der die mathematici (Astrologen) ihrer verbotenen Kunst wegen des Landes verwies, begnadigte diejenigen, die ihr Tun aufzugeben versprachen 6 ; derselbe sagte, als er im Jahre 33 n. Ch. gegen die Zinswucherer vorging, den schuldigen Senatoren unter der Bedingung Straffreiheit zu, daß sie binnen eineinhalb Jahren ihre Vermögensangelegenheiten ordneten7 • Trajan, der die Christen verfolgte, weil sie das römische Kaisertum nicht als höchste Autorität 1 Solon, zitiert bei Cicero, Ad Brutum 24, 3: rem publicam contineri duabus rebus, prae· mio et poena; vgl. auch Plutarch, De liberis educandis, 16. 2 Cicero, De natura deorum 3, 85: nec domus nec res publica ratione quadam et disciplina dissignata videatur. si in ea nec recte factis praemia extent ulla nec supplicia peccatis. Tugend freilich läßt sich - wenn überhaupt - nur durch Übung und Überzeugung lehren: ders., De oratore I, 247. Anders Sallust, Ep. ad Caesarum, 8: malitia praemiis execetur; ubi ea dempseris, nemo omnium gratuito malus est (Schlechtigkeit wird durch Belohnungen gefördert; hast du sie beseitigt, ist kein Mensch schlecht für nichts). 3 D. h. der beständige und unwandelbare Wille, jedem das Seine zu gewähren: I. I, I, pr. Das Gebot des suum cuique tribuere als Grundregel der Gerechtigkeit geht zurück auf Aristoteles und dessen Unterscheidungen zwischen der allgemeinen, der ausgleichenden und der verteilenden Gerechtigkeit; einschlägig ist hier die letztere (iustitia distributiva), bei der es um die gerechte Verteilung der Güter nach der Würdigkeit des einzelnen geht; Aristoteles, Eth. Nic., 1130 b 30-1131 b 24. Dazu etwa Henkel, § 32 VI; eingehend jüngst Manthe, SZ (RA) 113 (1996), I, 3 ff. 4 Vgl. Vip. D. 1,1,1, 1; ferner Theod.-Valent. C. 1,24,4 (anno 444). 5 Plutarch, Pompeius 27. 6 Sueton, Tiberius 36. 7 Tacitus, Annalen 6, 16; weitere Beispiele bei Waldstein, S. 1002 ff.

2 Knülel

Einleitung

18

anerkannten, verschonte diejenigen vor dem Tode, die vor Vollstreckung des Todesurteils ihr Christsein verleugneten und den Gesinnungswandel bewiesen, indem sie römischen Göttern opferten8 . Auch in der antiken juristischen Literatur finden sich Belege für die Belohnung tätiger Reue. Wer etwa vom strafbaren Versuch der Münzfälschung zurücktrat, wurde nicht bestraft9 . Wer einen entlaufenen Sklaven versteckt hielt, verwirkte eine Privatbuße und eine öffentliche Geldstrafe. Begnadigt aber wurde derjenige, der den Sklaven innerhalb von zwanzig Tagen dem Eigentümer oder dem Magistrat übergab lO • Begnadigt werden konnte weiter der Ehemann, der sich im Testament seiner Frau ein Vermächtnis von eigener Hand zugeschrieben hatte, das Zugeschriebene später aber nicht annahm 11. In anderen Fällen verfuhr man strenger: Der Räuber entging der Strafe nicht, indem er die geraubte Sache vor Prozeßbeginn zurückbrachte 12; gleiches galt für den Dieb, der die gestohlene Sache später zurückgab 13 , für den entlaufenen Sklaven, der zu seinem Herren zurückkehrte 14 und für den Fälscher eines Kodizilles, der das, was ihm durch das Kodizill zufallen sollte, schließlich nicht annahm 15. Es ist aber anzunehmen, daß tätige Reue bereits im römischen Strafrecht in größerem Umfang berücksichtigt wurde, als man bisher angenommen hatte l6 . Wie verhält es sich heute? Im Strafrecht wird nachträgliches Wohlverhalten belohnt: Wer freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt oder wer deren Vollendung verhindert, wird nicht bestraft (§ 24 Abs. I StGB)17. Denn wer sich im entscheidenden Augenblick rechtstreu verhält, wiegt den Schuldvorwurf, der darin besteht, einen rechtsfeindlichen Willen betätigt zu haben, wieder auf. Eine Bestrafung scheint nicht erforderlich, um den reuigen Tater und um andere von weiteren Straftaten abzuhalten; vielmehr verdient der Tater für seine Umkehr Belohnung l8 . Bemerkenswert ist, daß im Strafrecht tätige Reue als persönlicher Strafaufhe-

Plinius, Epistulae 10,96; 10,97. Paul. D. 48,10,19 pr. 10 Ulp. D. 11,4, I, 1. 11 Alex. Sev. C. 9, 23, 4 (anno 225). 12 Gai. D. 47, 8, 5. 13 Ulp. D. 47, 2, 66.

8 9

14 15

Ulp. D. 21, I, 17, 1. Val.-GaU. C. 9, 22, 8 (anno 259).

16 Siehe dazu die Ausführungen von Waldstein, FS f. H. Klecatasky, S. 999 ff., der in überzeugender Weise die auf Th. Mommsen, S. 1044, zurückgehende Auffassung von der Nichtbeachtlichkeit tätiger Reue im römischen Strafrecht widerlegt. 17 Vgl. darüber hinaus etwa §§ 149 Abs. 2, 264 Abs. 5, 314 a Abs. 3 StGB (Straflosigkeit) und §§ 83 a Abs. 1,98 Abs. 2, 129 Abs. 6, 158 Abs. 1,314 a Abs. 2 StGB (Milderung der Strafe oder Absehen von Strafe). 18 Zu den umstrittenen Gründen der Straflosigkeit siehe etwa LeipzKomm/Vogler. StGB, § 24 Rn. 6 ff. m. w. N.

Einleitung

19

bungsgrund oder als Umstand, der es dem Richter ermöglicht, von der Strafe abzusehen oder sie zu mildem, ständig an Bedeutung gewinnt l9 . Im Zivilrecht hingegen gibt es kaum Strafnormen20 • Dies mag der Grund dafür sein, daß die Frage, ob und gegebenenfalls inwieweit nachträgliches Wohlverhalten zu belohnen sei, bislang in dieser Allgemeinheit überhaupt noch nicht gestellt, geschweige denn beantwortet worden ist. Ein Umstand, der verwundert; denn sieht man auf die vielfältigen Nachteile, die Folgen zivilrechtlichen Fehlverhaltens sind, drängt sich die Frage geradezu auf, ob und wie nachträgliches Wohlverhalten hier wirken kann: Dem Mieter, der seine Miete schuldhaft nicht zahlt, kann gekündigt werden (§ 554 BGB); gilt dies aber auch dann noch, nachdem er den Rückstand ausgeglichen hat? Der Schriftsteller, der seinem Verleger eine Vertragsstrafe für den Fall versprochen hatte, daß er ein Buch nicht schreibe, verwirkt die Strafe, sobald er in Verzug gerät (§§ 339, 340 BGB); kann er den Verfall bereinigen, indem er das Manuskript nachliefert? Der Erbe, der absichtlich ein falsches Inventar errichtet, haftet unbeschränkt (§ 2005 BGB); entfällt die Haftung, wenn er das Inventar berichtigt? Der Sohn, der sich gegen seinen unterhaltspflichtigen Vater vergeht, kann den Anspruch auf Unterhalt verlieren (§ 1611 BGB); kann dieser Anspruch wieder aufleben, wenn der Sohn sich nach Kräften um Aussöhnung bemüht? Der Verleger, der Ehrverletzendes veröffentlicht, muß dem Betroffenen die Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechtes vergelten (§ 823 BGB); wirkt es sich auf den Schmerzensgeldanspruch aus, wenn der Verleger alsbald und freiwillig einen Widerruf druckt? In nur wenigen Fällen gibt das Gesetz ausdrücklich Antwort: Etwa kann der Vermieter dem Mieter wegen Zahlungsverzuges nicht mehr kündigen, nachdem die ausstehende Miete gezahlt worden ist (§ 554 Abs. 1 S. 2 BGB); ist Wohnraum vermietet, kann der Mieter sogar eine bereits wirksam erklärte Kündigung entkräften, indem er binnen eines Monats nach Rechtshängigkeit der Räumungsklage den fälligen Mietzins und eine Nutzungsentschädigung für die Zeit nach der Kündigung zahlt (§ 554 Abs. 2 Nr. 2 BGB). In den geschilderten weiteren sowie den meisten übrigen Fällen hingegen kann die Frage, wie und ob nachträgliches Wohlverhalten sich auswirken kann, nur durch Auslegung beantwortet werden. Ähnlich wie bei der Problematik im Strafrecht gilt es zu überlegen, ob eine zivilrechtliche Sanktion - im weitesten Sinne - fortbestehen kann, obwohl der Zweck der Sanktion infolge des nachträglichen Wohlverhaltens entfallen ist oder erreicht wurde. Freilich ist es dem Zivilrecht anders als dem Strafrecht nicht vorwiegend darum zu tun, die Gesinnung des letztendlich rechtstreuen Täters zu belohnen; Erziehungsfunktion haben zivilrechtliche Sanktionen nur selten. Entscheidend ist zumeist, ob unter Be19 Bereits durch die Strafrechtsrefonn 1975/76 sind die Fälle erweitert worden, vgl. dazu die Nachweise bei Waldstein (Fn. 16), S. 996 ff.; gleiches gilt für die Refonn von 1998, vgl. etwa §§ 142 Abs. 4. 314 a Abs. 2 StGB. Überblick über die Entwicklung der Rücktrittsvorschriften bei H. Schröder; S. 377 ff. 20 Ausnahmen sind etwa §§ 971 Abs. 2, 2005. 847 BGB; eingehend zum Problem Bentert. S. 58 ff.

2'

20

Einleitung

rücksichtigung des besonderen Zweckes der Sanktion die Interessenlage nach dem Wohlverhalten den Fortbestand der Sanktion noch rechtfertigen kann. Im folgenden sind die Arten zivilrechtlich relevanten Fehlverhaltens einzeln zu betrachten und es ist jeweils der Frage nachzugehen, ob und gegebenenfalls wie nachträgliches Wohlverhalten sich auf drohende oder bereits eingetretene zivilrechtliche Nachteile auswirken kann.

J. Kapitel

Verletzung vertraglicher Pflichten und Obliegenheiten und tätige Reue § 1 Verzögerte Leistung und Schuldnerverzug, §§ 284, 285 BGB I. Problem

Erfüllt der Schuldner die ihm obliegende Leistung zum festgesetzten Zeitpunkt oder trotz einer Mahnung des Gläubigers nicht, so können ihm erhebliche Rechtsnachteile entstehen. Hat der Schuldner die Verzögerung zu vertreten, so gerät er in Verzug, haftet verschärft und ist verpflichtet, dem Gläubiger den durch den Verzug entstehenden Schaden zu ersetzen. Darüber hinaus erwachsen dem Gläubiger aus dem Verzug verschiedene Gestaltungsrechte: stets kann der Gläubiger vom Vertrage zurücktreten oder diesen kündigen'; häufig kann er auch die Erfüllung ablehnen und statt dessen Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangen 2 • Haben die Parteien eine Vertragsstrafe vereinbart, ist diese verwirkt, sobald der Schuldner in Verzug gerät, § 339 BGB. Hat der Gläubiger ein besonderes Interesse daran, daß der Schuldner rechtzeitig leistet oder wurde ein Fixgeschäft verabredet, kann er, der Gläubiger, auch dann vom Vertrage zurücktreten, wenn der Schuldner die Verzögerung nicht zu vertreten hat 3 . Schadensersatz kann er hingegen nur verlangen, wenn der Schuldner die Nichtleistung zu vertreten hat. Die Verzögerung der Leistung durch den Schuldner ist ein vorübergehender Zustand. Dieser endet zum einen, wenn die Verbindlichkeit erlischt, etwa durch Erfüllung oder durch Unmöglichkeit. Zum anderen endet die "Schuldnerverzögerung", wenn der Schuldner die Leistung dem Gläubiger anbietet; denn die verzögerte Erfüllung kann dem Schuldner nicht mehr zur Last gelegt werden, sobald er die Verzögerung bereinigt hat4 •

1 So in den §§ 286 Abs. 2, 326, 360, 361, 455, 554 BGB, 12 Abs. 1, 13 Abs. 1 VerbrKrG, 39 Abs. 3 VVG, 25 Abs. 1 DepoiG. Vgl. ferner §§ 18 Abs. 1 WEG, 298 Abs. 1 InsO. 2 So in den §§ 326, 636 Abs. 1 S. 2 BGB, 376 Abs. 1 S. 1 HGB. 3 Siehe §§ 361,542 Abs. 1 S. 1,636 Abs. 1 S. 1 BGB. 4 So zutreffend F. Mommsen, S. 322 f.; Mot. Mugdan 11, S. 36. Daß gleichzeitig Gläubigerverzug eintritt, wie vielfach verlangt wird, vgl. Palandtl Heinrichs. BGB, § 284 Rn. 29. ist irrelevant: so endet der Schuldnerverzug mit dem Angebot der Leistung auch dann, wenn der

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1. Kap.: Verletzung vertraglicher Pflichten und Obliegenheiten

Das Ende von Verzögerung und Verzug wirkt zunächst in die Zukunft: Der Schuldner haftet nicht mehr verschärft und braucht etwaige weitere Verzögerungsschäden nicht mehr zu ersetzen5 . Bereits entstandene Ersatzansprüche bleiben hingegen unberührt6 . Auch auf eine durch Kündigung oder Rücktritt veränderte Rechtslage hat das Verzugsende grundsätzlich keine Auswirkungen mehr. Ist der Gläubiger bereits zurückgetreten oder hat er gekündigt, kommt nachträgliches Wohlverhalten regelmäßig zu spät. Der einmal erloschene oder in ein Rückgewährschuldverhältnis umgewandelte Vertrag kann nach allgemeinen Grundsätzen, vor allem aus Gründen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes, nicht einseitig wieder ins Leben gerufen werden. Bietet der Schuldner die Leistung dennoch trotz des Rücktritts oder der Kündigung an, so kann hierin im Einzelfall allein ein Angebot auf Abschluß eines neuen oder auf Fortsetzung des alten Vertrages zu sehen sein; die Annahme dieses Angebots liegt freilich im Ermessen des Gläubigers. Einige gesetzliche Ausnahmen bestehen in Fällen, in denen der Schuldner als besonders schutzbedürftig angesehen wird: Beispielsweise können der Wohnraummieter und der Versicherungsnehmer eine wegen Zahlungsverzuges ihnen wirksam erklärte Kündigung entkräften, indem sie die ausstehende Summe nachzahlen, §§ 554 Abs. 2 Nr. 2 BGB, 39 Abs. 3 S. 3 VVG7 . Unklarheit besteht dagegen über die Auswirkungen der nachträglichen Leistung auf die infolge der Verzögerung entstandenen, aber noch nicht ausgeübten Gestaltungsrechte: Bleiben diese bestehen oder vermag der Schuldner dem Gläubiger das Gestaltungsrecht nachträglich "aus der Hand zu schlagen?" Damit ist eine Frage angesprochen, die gemeinhin unter dem Stichwort der "Verzugsbereinigung", purgatio morae, auch emendatio morae, diskutiert wird, und dies kontrovers. So postuliert eine Ansicht, daß Gestaltungsrechte, die durch den Verzug entstanden sind, nach dessen Ende generell nicht mehr ausgeübt werden können 8 . Eine andere Auffassung hält im Gegenteil dafür - freilich ohne nach der Ursache des Verzugsendes zu differenzieren -, daß die Beendigung des Verzuges bestehende GestaltungsrechGläubiger nur vorübergehend an der Annahme gehindert war und deshalb nicht in Verzug gerät, § 299 BGB. ~ Allg. Meinung; vgl. MünchKomm/Thode, § 284 Rn. 46. Ausdrücklich regelte dies noch E I § 253, der von der 2. Kommission als überflüssig angesehen und gestrichen wurde, vgl. Prot. Mugdan 11, S. 538. 6 Siehe nur MünchKomm/Thode, BGB, § 284 Rn. 46 m. w. N. Anders liegt es, wenn in der Annahme der Hauptleistung durch den Gläubiger ausnahmsweise ein konkludenter Erlaß der in Folge des Verzuges entstandenen Verbindlichkeiten liegt; vgl. RG SeuffA 54, Nr. 143 a.E. 7 Zu den Hintergründen dieser Sondemormen siehe unten III. 3. und 8. Ähnlich auch §§ 19 Abs. 2 WEG, 298 Abs. 2 S. 2 InsO; dazu unten III. 9. und 10. 8 So allgemein etwa Palandt/Heinrichs, BGB, § 284 Rn. 31; Soergel/Wiedemann, BGB, § 284 Rn. 52; MünchKomm/Thode, BGB, § 284 Rn. 49. Zu dem Rücktrittsrecht nach § 326 Abs. 2 BGB vgl. RGZ 104,27,28; MünchKomm/Emmerich. BGB, § 326 Rn. 117; Soergel/ Wiedemann, BGB, § 326 Rn. 60; für einen Wegfall des Rücktrittsrechtes des Vorbehalts verkäufers nach Vollendung der Verjährung BGHZ 34, 191, 197; BGH WM 1979,422; 1991, 464, 467;A. Blomeyer, JZ 1959, 15, 16; K. Müller, DB 1970, 1209.

§ 1 Verzögerte Leistung und Schuldnerverzug

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te unberührt lasse 9 . Vielfach findet sich auch die Fonnulierung, daß die Verzugsbereinigung auf die "bereits begründeten Folgen des Verzuges" ohne Auswirkung sei, so daß unklar bleibt, ob hiennit auch bereits entstandene, aber noch nicht ausgeübte Gestaltungsrechte gemeint sein sollen 10. Schließlich wird die Ansicht vertreten, daß sich die Frage nicht allgemein in dem einen oder anderen Sinne beantworten lasse, sondern daß sie aufgrund der gesetzlichen Regelung im Einzelfall unter Berücksichtigung der Interessenlage zu entscheiden sei 11 • Damit ist die Problematik nicht hinreichend geklärt. Zunächst einmal bewegt sich die herkömmliche Diskussion in zu engen Grenzen, weil sie sich auf die Frage der Verzugsbereinigung beschränkt. Sachgerechter ist es, von "Verzögerungsbereinigung" zu sprechen. Denn bei Verträgen mit fixgeschäftlichem Charakter kann der Gläubiger auch wegen der bloßen Verzögerung der Leistung, also unabhängig von Verschulden und Verzug des Schuldners, vom Vertrage abgehen. Der Mieter etwa kann wegen verspäteter Überlassung der Mietsache kündigen (§ 542 BGB), und der Besteller kann wegen nicht rechtzeitiger Herstellung des Werkes (§ 636 BGB) zurücktreten. Hier fragt sich in gleicher Weise, ob der Schuldner die Auswirkungen der schlichten Verzögerung ausräumen kann, indem er nachträglich leistet. Zudem: Wer dem Schuldner gestattet, Verzugsfolgen zu bereinigen, müßte ihm die Beseitigung von Verzögerungsfolgen erst recht erlauben. Darüber hinaus übersieht oder vernachlässigt jedenfalls die herkömmliche Diskussion Zusammenhänge zwischen den zahlreichen verstreut liegenden Nonnen, die dem Gläubiger aufgrund der Verzögerung ein Gestaltungsrecht einräumen; sie gelangt infolgedessen zu wenig plausiblen und zum Teil auch widersprüchlichen Ergebnissen. Zum Beispiel kann der Vorbehaltsverkäufer das Rücktrittsrecht aus § 455 BGB nach heute allgemeiner Ansicht l2 nicht mehr ausüben, nachdem der Verzug beendet ist, weil der Käufer die ausstehenden Raten geleistet hat; dagegen darf der Kreditgeber nach einer verbreiteten Auffassung l3 den Teilzahlungskredit nach §§ 12 Abs. 1, 13 Abs. 1 VerbrICrG noch kündigen, obwohl der Verbraucher die rückständigen Raten nach Ablauf der Zweiwochenfrist gezahlt hat. Dies überrascht, weil die Interessenlage dieselbe ist; zudem soll das Verbraucherkreditgesetz die Stellung des Schuldners gegenüber den allgemeinen Vorschriften stärken, nicht aber schwächen. 9 So z. B. Schlegelberger/Vogels/Becker; BGB, § 284 Rn. 25; RGRK/Alff, BGB, § 284 Rn. 30. 10 So z. B. Enneccerus / Lehmann, § 54; Erman/ Baues, BGB, § 284 Rn. 43. 11 So für die Verfallsbereinigung bei der Vertragsstrafe R. Knütel, AcP 175 (1975), 44, 58 ff.; zur Verzugsbereingung ders., JuS 1981, 875, 878 f. 12 Vgl. BGHZ 34, 191, 197; BGH WM 1991,464,467; A. Blomeyer; JZ 1959, 15, 16; Lange, JuS 1963, 59, 62; J. Blomeyer; JZ 1968, 691, 695; K. Müller; OB 1970, 1209; Palandt/Heinrichs, BGB, § 284 Rn. 31; Soergel/Wiedemann, BGB, § 284 Rn. 52; siehe dazu unten III. 6. 13 So Palandt/Putzo, VerbrKrG, § 12 Rn. 5; Erman/Klingsporn/Rebmann, VerbrKrG, § 12 Rn. 29; siehe dazu unten III. 7.

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1. Kap.: Verletzung vertraglicher Pflichten und Obliegenheiten

Wer den Fortbestand eines durch den Verzug erwachsenen Gestaltungsrechtes nach dessen Ende pauschal verneint oder bejaht, verallgemeinert zu sehr. Es handelt sich um ein Problem, das von Norm zu Norm nach Billigkeitsgesichtspunkten gelöst werden muß l4 . Dies, weil der Untergang des Gestaltungsrechts die Kehrseite seiner Entstehung ist, und die Entstehung selbst, wie im folgenden zu zeigen sein wird, regelmäßig ein auf Zumutbarkeitserwägungen beruhender Bruch des Grundsatzes pacta sunt servanda l5 ist. Anders liegt es allein in den hier nicht in Rede stehenden Fällen, in denen der Verzug durch das Erlöschen der Obligation selbst beendet wird: Mit der Hauptforderung geht notwendig auch das Gestaltungsrecht als bloßes unselbständiges Nebenrecht unter l6 , so daß es auf Billigkeitsaspekte nicht ankommt. Bevor wir die einzelnen Konstellationen, in denen dem Gläubiger aufgrund der Verzögerung der Leistung ein Gestaltungsrecht erwächst, näher beleuchten und untersuchen, wie sich das nachträgliche Angebot auf ein bestehendes Gestaltungsrecht auswirkt, sei ein allgemeiner Blick auf die Entstehung der verzugsbedingten Gestaltungsrechte und auf die Geschichte der purgatio morae geworfen; die römischrechtlichen Wurzeln der Verfalls bereinigung bei der Vertragsstrafe werden unten unter IV 1 a gesondert dargestellt.

11. Hintergrund und Historie

Bereits nach klassischem römischen Recht konnte der Schuldner die Verzugsfolgen bereinigen, indem er die Leistung so, wie sie geschuldet war, dem Gläubiger anbot. Mit dem Ende des Verzuges entfiel vor allem die perpetuatio obligationis und damit die Haftung des Schuldners auch für den zufalligen Untergang der Sache 17 . Anders als nach geltendem Recht berechtigte nach klassischem römischen und nach gemeinem Recht der Verzug des Schuldners den Gläubiger jedoch nicht, die geschuldete Leistung abzulehnen und Schadensersatz wegen Nichterfüllung zu verlangen oder, sofern ein Vertrag vorlag, von diesem zurückzutreten. Doch billigten die Pandektisten demjenigen Gläubiger ein Rücktrittsrecht zu, der infolge des Verzuges sein Interesse an der geschuldeten Leistung verloren hatte 18. Dieses 14 Vgl. bereits treffend Cels.-Paul. D. 45, 1,91, 3 zur purgatio morae: "esse enim hanc quaestionem de bono et aequo: in eo genere plerumque sub auctoritate iuris scientiae perniciose erratur" (diese nämlich ist eine Frage des Guten und Gerechten: in solcherlei Verhältnissen wird unter der Autorität der Rechtswissenschaft meist in schädlicher Weise geirrt). 15 Vgl. Ulp. D. 2,14,7,7. 16 Vgl. F. Mommsen, S. 329 f. Anders liegt es mit dem Anspruch auf Ersatz des Verzugsschadens. Dieser ist im BGB - anders als noch im gemeinen Recht - in § 286 Abs. I BGB als selbständiger Anspruch ausgestaltet; dazu Schemer, JR 1971,441 ff. 17 Vgl. Cels.- Paul. D. 45,1,91,3; Kaser; Studienbuch, § 37 11 3.

§ I Verzögerte Leistung und Schuldnerverzug

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Rücktrittsrecht wurde in §§ 286 Abs. 2, 326 Abs. 2 BGB festgeschrieben. Bemerkenswert ist, daß die Pandektisten das Rücktrittsrecht wegen Interessefortfalls aus der allgemeinen Verpflichtung des Schuldners ableiteten, dem Gläubiger den Verzugsschaden zu ersetzen 19 : Dies paßt auch heute noch auf die §§ 286 Abs. 2, 326 Abs. 2 BGB, nach denen der Gläubiger unter Ablehnung der Leistung Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangen oder im Falle des § 326 Abs. 2 BGB zudem vom Vertrage zurücktreten darf, wenn er infolge des Verzuges das Interesse an der Vertragserfüllung verloren hat. Der Schuldner muß dem Gläubiger gemäß § 286 Abs. 1 BGB den Verzugsschaden ersetzen und ihn stellen, wie er stünde, wenn der Verzug nicht eingetreten wäre. Wäre der Verzug nicht eingetreten, hätte der Gläubiger sein Interesse am Austausch der Leistungen nicht verloren. Der Mindestschaden des Gläubigers besteht deshalb darin, nunmehr nutzlos mit einer Verbindlichkeit belastet zu sein oder nutzlos ein Gut hingegeben zu haben 2o; das Mindestinteresse des Gläubigers geht folglich darauf, von der nutzlosen Verbindlichkeit befreit zu werden oder aber, sofern er selbst schon geleistet hatte, diese Leistung zurückverlangen zu können. Nicht im gemeinen Recht wurzeln hingegen diejenigen Vorschriften des geltenden Rechts, die dem Gläubiger den Rücktritt vom Vertrage allein wegen des Verzuges des Schuldners gestatten (vgl. §§ 326 Abs. I, 554, 455, 626 BGB, 12, I3 VerbrKrG, 39 Abs. 1 VVG, 18 Abs. 1 WEG und 25 DepotG). Diese Normen beruhen nicht auf der Verpflichtung des Schuldners zum Ersatz des Verzugs schadens, sondern sind mehr oder weniger späte Früchte der kanonistischen Rechtsregel fidem frangenti fides frangitur eidem 21 : Dem Treubrecher braucht die Treue nicht gehalten zu werden. Dem römischen Vertragsrecht war ein derartiger Grundsatz noch unbekannt; die Vertragstreue, fides, hatte ein besonderes Gewicht, und ein einseitiges Rücktrittsrecht von einem einmal geschlossenen Vertrag gab es nicht22 • Dieses hat sich aufgrund der genannten Maxime der fides frangenti erst langsam mit Hilfe naturrechtlicher Lehren, welche die Leistungsbereitschaft des einen Teils als condicio tacita der Leistungspflicht des anderen ansahen, gegen die Unbedingt18 Vgl. etwa Windscheid/Kipp II, §§ 280 Anm. I; 394 Anm. 24; Mo!. Mugdan II, S. 115 f. 19 Grundlegend v. Wening-lngenheim, S. 195; ebenso Puchta, § 268 Anm. e; Seuffert, S. 44, 3; F. Mommsen, S. 258 a. E.; v. Kübel, Vorentwürfe SchuldR I, S. 865 ff., 867. Zur Rechtsprechung vgl. OAG Darmstadt SeuffA 10, Nr. 155; OAG Lübeck SeuffA 11, Nr. 230; OAG Wolfenbüttel SeuffA 33, Nr. 294. Kritisch Schemer, Rücktrittsrecht, der diese Herleitung als "völlig undogmatisch" bezeichnet. Siehe ferner F. Mommsen, S. 339, zum entsprechenden Problem beim Gläubigerverzug. 20 Zur Ersatzpflicht von Kosten, die infolge des Verzuges nutzlos geworden sind, vgl. Staudinger/Werner; BGB IOIIl , § 286 Rn. 25; Planck/Siber; BGB, § 286 Anm. 2 a. 21 Vgl. 75 in VI 10 de reg. iuris 5, 12. Zur Wirkungsgeschichte der Regel fidem frangenti fides frangitur eidem in jüngerer Zeit insbesondere Zimmennann, AcP 193 (1993), 121, 160 ff.; Merzbacher; SZ (KA) 90 (1982),339 ff., 350. 22 Zimmermann (Fn. 21), 160. Grundlegend zur Entwicklung des Rücktrittsrechts Scherner; Rücktrittsrecht, S. 9 ff., 140 ff.

1. Kap.: Verletzung vertraglicher Pflichten und Obliegenheiten

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heit des paeta sunt servanda 23 durchgesetzt; einen ersten gesetzlichen Niederschlag hat es in Art. 1184 CC 24 gefunden. Art. 1184 ce diente neben den entsprechenden Art. 354 ff. ADHGB, die das Rücktrittsrecht vom Verzuge des anderen Teils abhängig machten, der zweiten Kommission bei der Schaffung des § 326 Abs. 1 BGB zum Vorbild25 . Die Abkunft dieser Gruppe von Rücktrittsrechten aus dem Treubruchgedanken ist von Bedeutung vor allem für den Weg, auf dem unsere Eingangsfrage zu beantworten ist. Da es sich jeweils um Rechte handelt, deren Entstehung auf der aequitas naturalis beruht, ist auch der Fortbestand hiernach zu beurteilen. Konkret ist zu prüfen, ob ein berechtigtes Interesse des Gläubigers, sich von dem Vertrage zu lösen, auch dann fortbesteht, wenn der Schuldner sich nachträglich pflichtkonform verhalten und so die Folgen seines Treubruchs zumindest für die Zukunft ausgeräumt hat. Auf demselben Wege ist die Frage nach der Möglichkeit einer "Verzögerungsbereinigung" bei §§ 542 Abs. 1,636 Abs. I BGB zu prüfen; hier berechtigt die bloße unverschuldete Verzögerung der Leistung den Gläubiger zum Rücktritt oder zur Kündigung. Weil Mieter und Besteller regelmäßig ein gesteigertes Interesse daran haben, daß rechtzeitig geleistet werde, können sich beide von dem Vertrage lösen, auch ohne daß der Schuldner im Verzug ise6 . Der Grundsatz paeta sunt servanda wird nicht wegen eines Treubruchs des Schuldners durchbrochen. Entscheidend ist allein die objektive Zumutbarkeit, so daß beide Normen sich als Konkretisierung der Lehre von der clausula rebus sie stantibus begreifen lassen27 • Da der Schuldner die Verzögerung nicht zu vertreten braucht, sind seine Interessen besonders zu berücksichtigen. Dementsprechend müssen der Mieter und der Besteller ihrem Vertragsgegner zunächst eine Nachfrist setzen. Erst nach deren fruchtlosem Ablauf dürfen sie den Vertrag aufsagen (§§ 542 Abs. 1, 634 Abs. 1 i. V. m. 636 Abs. 1 Ulp. D. 2, 14,7,7; vgl. hierzu Whitton, S. 153 ff.; Cicero, De officiis 3, 92. Art. 1184 CC lautet: .. La condition risolutoire est toujours sous-entendue dans les contrats synallagmatiques, pour le cas ou l'une des deux parties ne satisfera point son engagement. Dans ce cas, le contrat n' est point resolu de plein droit. La partie envers laquelle l'engagement n'a point iti exicuti a le choix, ou de forcer I'autre a l' exicution de La convention lorsqu'elle est possible, ou d'en demander la risolution avec dommages est intirets." Freilich war die vergleichbare cLausula rebus sic stantibus dem gemeinen Recht längst bekannt; vgl. Merwacher (Fn. 21), 347. 25 Vgl. Prot. Mugdan 11, S. 641 und Mot. Mugdan 11, S. 261 (zu § 626 BGB). 26 Siehe Mot. Mugdan 11, S. 233 (zu § 542 BGB), S. 269 f. (zu § 636 BGB), in denen der fixgeschäftIiche Charakter der Obligation und das darauf beruhende praktische Bedürfnis betont wird, dem Mieter oder dem Besteller ein erleichtertes Lösungsrecht zu schaffen. 27 Freilich lassen sich die vorstehend beschriebenen verzugsbedingten Rücktrittsrechte ebenso als Früchte der c1ausula-Lehre begreifen, wie z. B. Picker. ZfA 1981, 1,24 für § 626 BGB. Denn die clausula rebus sic stantibus ist mit der Regel der fides frangenti eng verwandt, die Anwendungsbereiche überschneiden sich, vgl. Merzbacher (Fn. 21), 347. Indem aber die Regel der fides frangenti mehr an schuldhafte Pflichtverletzungen und weniger an eine objektive Unzumutbarkeit anknüpft, ist sie als die speziellere und damit als die für unseren Zusammenhang einschlägigere anzusehen. 23

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BGB). Zudem ist der Rücktritt bei unerheblichen Verzögerungen regelmäßig ausgeschlossen (§§ 542 Abs. 2, 634 Abs. 1 i. V. m. 636 Abs. 3 BGB). Nach alledem steht die fürderhin grundsätzlich 28 anzuwendende Methode fest: Anhand des Normzweckes und unter Berücksichtigung der Interessen von Gläubiger und Schuldner ist zu prüfen, ob der Schuldner, der die geschuldete Leistung nachträglich anbietet oder erbringt, gleichzeitig die dem Gläubiger aus dem Verzug oder der Verzögerung erwachsenen, aber noch nicht ausgeübten Gestaltungsrechte entkräften kann.

III. Nachträgliche Leistung und deren Wirkungen Bevor wir uns den jeweiligen Normen und den Bereinigungsmöglichkeiten des Schuldners zuwenden, ist zu klären, was der Schuldner nachträglich tun muß, um den Verzug zu beenden: Reicht stets die bloße Vornahme der Leistungshandlung aus oder ist der Verzug erst beendet, wenn die Ware so nahe an den Gläubiger herangelangt ist, daß er nur noch zuzugreifen braucht? Eine Bringschuld muß dem Gläubiger zur Empfangnahme vorgelegt werden, um den Verzug zu beenden; dagegen genügt bei der Holschuld bereits ein wörtliches Angebot. Dies belegt § 295 BGB: Wenn der Gläubiger durch ein wörtliches Angebot seinerseits in Annahmeverzug gerät, so muß der Verzug des Schuldners beendet sein; Gläubiger und Schuldner können nicht gleichzeitig in Verzug sein. Bei der Schicksehuld aber fragt sich, ob der Verzug bereits mit der Übergabe an die Transportperson oder erst dann beendet ist, wenn dem Gläubiger die Leistung am Bestimmungsort angedient wird? Letzteres wäre der Fall, wenn man auch bei der Schicksehuld auf den Moment des tatsächlichen Angebotes abstellte 29 • Doch ist dies nicht sachgerecht. Ist der Schickschuldner nicht im Verzug, so genügt er seinen Vertragspflichten, indem er die Leistungshandlung rechtzeitig vornimmt. Ist der Schuldner in Verzug, kann nichts anderes gelten. Denn die Verzugsfolgen sind gesetzlich geregelt, und zu ihnen zählt nicht, daß ein "Verzugsschuldner" nunmehr das seinerseits Erforderliche erst dann getan hat, sobald die Sache dem Gläubiger angedient wird 3o.

28 Anders liegt es bei §§ 286 Abs. 2, 326 Abs. 2 BGB, weil diese Normen, wie oben dargelegt, eine Art modifizierten Schadensersatzanspruch darstellen. Eine weitere Ausnahme wird beim Fixgeschäft, § 361 BGB, zu machen sein: Hier richten sich die Bereinigungsmöglichkeiten nach dem Inhalt der Abrede; vgl. unten 111. 1. c). 29 Denn auch bei der Schickschuld kann von einem tatsächlich Angebot der Leistung noch nicht die Rede sein, wenn die Leistungshandlung erfolgt ist, sondern erst, wenn der Gläubiger nur noch zuzugreifen und die Leistung anzunehmen braucht; so auch Planck/Siber; BGB, § 293 Anm. 1 b er; MünchKomm/Thode, BGB, § 294 Rn. 3. 30 So auch BGH NJW 1969,875; OLG Karlsruhe NJW 1955,504,505 und, mit ähnlicher Begründung, Eisenhardt, JuS 1970,489 f. Anders Palandt/Heinrichs, BGB, § 284 Rn. 28 f.,

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Weiter fragt sich, ob der Schuldner, um den Verzug zu beenden, allein das ursprünglich Geschuldete anzubieten braucht oder ob das nachträgliche Angebot auch den Ersatz des Verzugsschadens umfassen muß. Die heute wohl herrschende Meinung 31 hält das Angebot dessen, was aus der Grundverbindlichkeit geschuldet wird, für hinreichend; ihr ist zuzustimmen. Die gegenteilige Ansicht 32 schreibt kritiklos die gemeinrechtliche Doktrin fort; sie verkennt, daß nach dem BGB anders als nach gemeinem Recht die Verzugsfolgen keine bloßen Erweiterungen der Hauptforderung sind, sondern einen eigenständigen Ersatzanspruch begründen33 • Um den Verzug mit der Hauptleistung zu beenden, braucht der Schuldner dem Gläubiger daher nur diese, nicht aber zusätzlich den Ersatz des Verzugsschadens anzubieten. Wenn also ein noch nicht ausgeübtes Gestaltungsrecht des Gläubigers infolge der Bereinigung des Verzuges überhaupt entfallen kann, so entfallt es bereits mit dem Angebot der Hauptleistung und nicht erst, nachdem zusätzlich der Ersatz des Verzugsschadens angeboten wurde 34 .

J. Schuldner allgemein

Neben den zahlreichen Sonderbestimmungen für die einzelnen Schuldverhältnisse gibt es drei allgemeine Tatbestände, die es dem Gläubiger gestatten, wegen Schuldnerverzuges oder verzögerter Leistung von dem Vertrage abzugehen: der Interessefortfall, §§ 286 Abs. 2, 326 Abs. 2 BGB, die fruchtlos verstrichene Nachfrist mit Ablehnungsandrohnung, § 326 Abs. 1 BGB, und die Verzögerung beim Fixgeschäft, § 361 BGB. Alle drei repräsentieren jeweils eine der oben geschilderten Gruppen; mit ihnen soll die Untersuchung beginnen. Dabei ist jedesmal zu prüfen, wie sich die nachträgliche Erbringung der Leistung auf das Bestehen der bereits entstandenen, aber noch nicht ausgeübten Gestaltungsrechte ausübt; denn ist das der - zu eng - den Schuldnerverzug bei der Schickschuld erst mit Eintritt des Leistungserfolges oder aber bei Annahmeverzug enden lassen will. 31 Vgl. Scherner, JR 1971,441,443; R. Knütel, Stipulatio poenae, S. 192 Fn. 26; Palandtl Heinrichs, BGB, § 284 Rn. 29; MünchKommlThode, BGB, § 284 Rn. 46; Ermanl Battes, BGB, § 284 Rn. 40; EsserlSchmidt, Schuldrecht AT 11, § 28 I 2 c. Im Ergebnis ebenso Eisenhardt, JuS 1971,489,491 f., der sich allerdings allein - und deshalb hier wenig sachgerechtauf Zumutbarkeitserwägungen stützt. 32 SO Z. B. Mot. Mugdan 11, S. 36; RGRKIAlff, BGB, § 284 Rn. 30; EnnecceruslLehmann, § 54 Nr. 1. 33 So zutreffend Scherner (Fn. 31), 443; zustimmend R. Knütel (Fn. 3\), S. 192 Fn. 26; PalandtlHeinrichs, BGB, § 284 Rn. 29. 34 Strengere Voraussetzungen finden sich allein in §§ 19 Abs. 2 WEG, 554 Abs. 2 Nr. 2 BGB, die allerdings auch eine besonders weitreichende Heilung der Verzugsfolgen ermöglichen. So kann der Schuldner das Urteil, das ihn wegen rückständigen Wohngeldes zur Veräußerung seines Wohnungseigentums bestimmt hat, oder die Kündigung wegen rückständigen Mietzinses entkräften, indem er die rückständige Summe begleicht; doch muß er das Interesse oder zumindest einen Teil davon, vgl. § 557 Abs. 1 S. 1 BGB, mit anbieten. Näheres unten unter III. 3. und 9.

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Gestaltungsrecht einmal ausgeübt, so ist die Rechtslage regelmäßig endgültig verändert: Tätige Reue käme also zu spät.

a) Interessefortfall, §§ 286 Abs. 2, 326 Abs. 2 BGB Ist infolge des Verzuges das Interesse des Gläubigers an der Leistung fortgefallen, so kann er unter Ablehnung der Leistung Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangen (§§ 286 Abs. 2, 326 Abs. 2 BGB) oder von dem Vertrage zurücktreten (§ 326 Abs. 2 BGB). Der Wortlaut beider Normen läßt offen, ob dieses Recht bestehen bleibt, wenn der säumige Schuldner seine Leistung nachträglich noch angeboten hat, bevor der Gläubiger Schadensersatz verlangt oder den Rücktritt erklärt hat. Die überwiegende Meinung verneint dies 35 . Der Schuldner sei schutzwürdig, weil er regelmäßig von dem Interessefortfall des Gläubigers nichts wisse und daher in seinen Leistungsanstrengungen fortfahre; demgegenüber sei es dem Gläubiger ein Leichtes, unverzüglich nach dem Fortfall seines Interesses den Rücktritt zu erklären 36 . Diese Ansicht führt jedoch zu wenig sachgerechten Ergebnissen, wie folgendes Beispiel zeigen mag 37 : Der Erbe E schuldet dem Vermächtnisnehmer V die Übergabe und Übereignung eines Paares Schlittschuhe. E ist dieser Pflicht trotz mehrfacher Mahnungen des V nicht nachgekommen. Nachdem es nun stark friert, kauft V sich ein neues Paar Schlittschuhe; dem E sagt er nichts. Bietet dieser dem V die Schlittschuhe nachträglich noch an, so dürfte V das Angebot nach der überwiegenden Meinung nicht gemäß § 286 Abs. 2 BGB ablehnen und könnte keinen Schadensersatz wegen Nichterfüllung beanspruchen. Auch als Verzögerungs schaden ließen sich die Kosten für die neuen Schlittschuhe nicht liquidieren. Denn nach allgemeiner Auffassung stellen die Kosten eines Deckungsgeschäftes grundsätzlich keinen Verzögerungschaden dar und sind deshalb nicht über § 286 Abs. I BGB ersatzfähig38 . Das Ergebnis wäre sehr unbefriedigend: V müßte seinen Schaden selbst tragen! 3S Zu § 286 BGB StaudingerlWerner; BGB I01l1 , § 284 Rn. 45; kritisch ErmanlBattes, BGB, § 284 Rn. 40. Zu 326 BGB RGZ 104, 27, 28; Oertmann I, § 326 Anm. 4; MünchKomm I Emmerich, BGB, § 326 Rn. 117; Eisenhardt, JuS 1970,489,491; R. Knütel (Fn. 11), 60; einschränkend hingegen RGRKIBalihaus, BGB, § 326 Rn. 43; StaudingerlOtto, BGB Il, § 326 Rn. 13; unklar Soergel/ Wiedemann, BGB, § 326 Rn. 60. 36 Vgl. z. B. Eisenhardt (Fn. 35), 491; R. Knütel (Fn. 11), 60. 37 Vgl. auch den Fall bei OLG Düsseldorf NJW-RR 1996,480 f.: Ein Lagerhalter konnte die eingelagerte Couchgarnitur vorübergehend nicht auffinden, woraufhin der Berechtigte sich eine neue kaufte. Später fand die Garnitur sich wieder auf. Das OLG Düsseldorf sprach dem Berechtigten Schadensersatz aus § 286 Abs. 2 BGB zu, jedoch ohne auf die Frage einzugehen, ob die Ablehnungserklärung vor oder nach dem nachträglichen Angebot erfolgt ist. 38 Vgl. RGZ 105, 280, 281; OLG München NJW 1995, 2363; StaudingerlLöwisch, BGB Il , § 286 Rn. 5; großzügiger für eine Ersatzvomahme BGHZ 87,104,109. Eine Ausnahme macht eine verbreitete Meinung jedoch für den Fall, daß der Verzögerungsschaden die Kosten eines Deckungsgeschäftes weit übersteigt und der Gläubiger wegen § 254 BGB zu dessen Abschluß gehalten war, vgl. Perers, NJW 1979, 688, 691; Palandr I Heinrichs, BGB,

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1. Kap.: Verletzung vertraglicher Pflichten und Obliegenheiten

Der überwiegenden Ansicht kann nicht gefolgt werden. Sie sieht zu einseitig auf den Schuldner und vernachlässigt ohne Not das berechtigte Verlangen des Gläubigers, sich von dem Vertrage zu lösen oder die Leistung abzulehnen und Schadensersatz wegen Nichterfüllung zu verlangen. Entscheidend ist demgegenüber, daß der Schuldner schuldhaft seine Vertragspflichten verletzt und der Gläubiger darum sein Interesse am Erhalt der Leistung oder am Austausch der Leistungen verloren hat. Der Interessefortfall stellt einen Verzugsschaden dar, den der Schuldner dem Gläubiger nach allgemeinen Grundsätzen zu ersetzen hat und der in den §§ 286 Abs. 2, 326 Abs. 2 BGB lediglich konkretisiert wird 39 . Wie diese Ersatzpflicht entfällt auch das Recht des Gläubigers nicht, die Leistung abzulehnen und Schadensersatz wegen Nichterfüllung zu verlangen oder von dem Vertrage zurückzutreten, wenn der Gläubiger mit der erforderlichen Erklärung zunächst zuwartet. Der Ersatzpflicht könnte allein entgegenstehen, daß der Gläubiger den Wegfall des Interesses selbst (mit)verschuldet hat. Doch käme dies nur ausnahmsweise in Betracht. Schuldnerschutzaspekte stehen dem nicht entgegen. Der Schuldner verdient Schutz nur dann, wenn er aufgrund des Zögerns des Gläubigers einen konkreten Vertrauensschaden erlitten hat, also zum Beispiel, wenn er in seinen Leistungsanstrengungen fortgefahren ist, vergeblich Aufwendungen getätigt oder anderweitig möglichen Erwerb unterlassen hat. Diesen Vertrauensschaden aber kann der Schuldner nach den Grundsätzen der positiven Forderungsverletzung vom Gläubiger ersetzt verlangen: Das notwendige Schuldverhältnis besteht, und eine entsprechende Aufklärungspflicht ergibt sich aus der gegenseitigen Schutzpflicht der Vertragspartner für das Vermögen des jeweils anderen 4o . Verletzt ist diese Pflicht, wenn der Gläubiger dem Schuldner nicht sobald als nach den Umständen zumutbar erklärt hat, daß er die Leistung ablehne; je verlustreicher vergebliche Leistungsbemühungen für den Schuldner sein können, desto schneller hat der Gläubiger ihn aufzuklären. Verletzt der Gläubiger schuldhaft diese Pflicht, kann der Schuldner verlangen, von ihm so gestellt zu werden, wie er stünde, wenn er rechtzeitig erfahren hätte, daß der Gläubiger die Leistung ablehnt. In diesem Anspruch auf Ersatz des Vertrauensschadens erschöpft sich das berechtigte Interesse des Schuldners, für die Zögerung des Gläubigers entschädigt zu werden41 • Nach alledem ist festzuhalten, daß der Gläubiger, der infolge des Verzuges sein Interesse an der Leistung verloren hat, auch dann noch die Leistung ablehnen und § 286 Rn. 4. Diese Lösungsmöglichkeit besteht in unserem Beispiel indes nicht, weil V die Schuhe nur zum Freizeitvergnügen benötigte. 39 Vgl. die Ausführungen oben unter 11. 40 Zu den gegenseitigen Schutz- und Aufklärungspflichten vgl. BGH NJW 1983, 2813, 2814; KG NJW 1985,2137; MünchKomml Roth, BGB, § 242 Rn. 210 ff.; 218 ff., m. w. N. 41 Vgl. hierzu Planck/Oegg, BGB, § 634 Anm. 2 a. E., der diese Lösung für die ähnliche Konstellation vorschlägt, daß der Unternehmer das Werk nicht rechtzeitig herstellt, der Besteller ein besonderes Interesse am sofortigen Rücktritt hat, diesen aber erst erklärt, nachdem der säumige Unternehmer das Werk angeboten hatte. Weiter zu diesem Problem siehe unten

III. 4. a).

§ I Verzögerte Leistung und Schuldnerverzug

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Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangen oder von dem Vertrage zurücktreten kann, wenn der säumige Schuldner ihm die Leistung nachträglich angeboten hat. Verallgemeinert ergibt sich folgender Grundsatz: Die Ausübung eines verzugsbedingten Gestaltungsrechts ist ausgeschlossen, wenn der Schuldner den Verzug durch ein nachträgliches Angebot beendet und der Gläubiger nicht sein Interesse, an dem Vertrag festzuhalten, infolge des Verzuges verloren hat42 • Wie sich im folgenden zeigen wird, gilt dieses Prinzip für alle Konstellationen der Verzugs- und Verzögerungsbereinigung, es sei denn, der Zweck des Gestaltungsrechts oder die Partei abrede stehen ausnahmsweise entgegen.

b) Nachfristversäumnis, § 326 Abs. I BGB Ist der Schuldner mit der Erfüllung einer synallagmatischen Verbindlichkeit im Verzug, so kann der Gläubiger ihm nach § 326 Abs. 1 BGB eine Frist mit der Erklärung setzen, daß er die Leistung nach Fristablauf ablehne. Beendet der Schuldner den Verzug, indem der die geschuldete Leistung anbietet, bevor der Gläubiger ihm eine Frist gesetzt hat, soll dieses Gestaltungsrecht nach - freilich nie näher begründeter - allgemeiner Ansicht ohne weiteres erlöschen43 • Dem ist zuzustimmen: Verhält sich der Schuldner nachträglich pflichtgemäß und erbringt er die geschuldete Leistung, so bekommt der Gläubiger alles, was er verlangen kann, und hat kein berechtigtes Interesse mehr daran, von dem Vertrage abzugehen. Weiter aber fragt sich, ob auch der Schuldner, der die Nachfrist um ein weniges überschritten, die Leistung aber angeboten hatte, bevor der Gläubiger Schadensersatz wegen Nichterfüllung oder Rücktritt gewählt hatte, noch auf der Erfüllung des Vertrages bestehen kann. Dies ist grundsätzlich zu verneinen. Denn obschon es sich um ein Problem des bonum er aequum handelt, ist die gesetzliche Regelung eindeutig und läßt keinen Auslegungsspielraum: Mit Fristablauf gehen der Erfüllungsanspruch und der mit ihm synallagmatisch verknüpfte Anspruch auf die Gegenleistung ohne weiteres unter, § 326 Abs. 1 S. 2 BGB44 . An deren Stelle treten die elektiv konkurrierenden 45 Rechte des Gläubigers, Schadensersatz wegen Nichterfüllung zu verlangen oder von dem Vertrage zurückzutreten. Mit dem Erlöschen Ähnlich bereits R. Knütel (Fn. 11), 878. Siehe nur MünchKommlThode, BGB, § 284 Rn. 49. Problematisch können solche Fälle ohnehin nicht werden, da der Schuldner auch bis zum Ablauf der Nachfrist noch nachleisten dürfte. 44 Entsprechendes gilt für § 283 Abs. I S. 2 BGB; anders liegt es bei einem Rücktritt gern. § 9 Nr. 2 VOB I B: Hier erlischt, wenn der Auftraggeber fällige Zahlungen nicht leistet und eine gesetzte Nachfrist fruchtlos verstrichen war, die Primärschuld nicht von selbst; vielmehr muß der Auftragnehmer erst zurücktreten. Der Rücktritt ist jedoch ausgeschlossen, wenn die Rückstände beseitigt oder nur geringfügig sind; vgl. OLG Düsseldorf, BB 1978, 1339, 1340 mit dem treffenden Hinweis auf § 320 Abs. 2 BGB; Ingenstaul Korbion, VOB I B, § 9 Rn. 46. 45 StaudingerlOtto, BGB l3 , § 326 Rn. 222; § 325 Rn. 94. 42 43

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1. Kap.: Verletzung vertraglicher Pflichten und Obliegenheiten

der Primärverbindlichkeit endet notwendig auch der Verzug, so daß es sich hier nicht mehr, wie bei §§ 286 Abs. 2, 326 Abs. 2 BGB, um ein Problem der Verzugsbereinigung im eigentlichen Sinne handelt. Dennoch kann der Schuldner trotz des Fristablaufs in Ausnahmefällen auf der Erfüllung der Primärverbindlichkeit bestehen. Ist die Überschreitung gering und sind dem Gläubiger keinerlei Nachteile erwachsen, kann es die Billigkeit gebieten, ihm zu versagen, sich auf den Fristablauf zu berufen. So haben denn auch die Gerichte in dieser Frage schon häufig Ausnahmen nach Treu und Glauben zuge lassen46 . Jedenfalls dann, wenn der Schuldner seine Leistungspflicht nur wenige Stunden zu spät oder immerhin am folgenden Tag erfüllt, die Frist unverschuldet versäumt hatte und dem Gläubiger Nachteile aus der Fristüberschreitung nicht erwachsen waren, soll die Berufung auf den Fristablauf treuwidrig und deshalb unbeachtlich sein. Auch die überwiegende Auffassung im Schrifttum läßt solcherlei Ausnahmen ZU47 • Dem ist grundsätzlich zuzustimmen. Betrachtet man die Ausnahmen, die die herrschende Meinung anerkennt, so liegen diese auf einer Linie mit unserem Grundsatz, dem Gläubiger den Gebrauch eines aus dem Verzuge erwachsenen Gestaltungsrechtes zu versagen, wenn der Schuldner seine Leistung nachträglich erbringt und der Gläubiger kein berechtigtes Interesse daran hat, vom Vertrage abzugehen; das berechtigte Interesse fehlt, wenn dem Gläubiger kein Nachteil aus der Verspätung entstanden ist. Doch bedarf es der Überprüfung, ob die anerkannten Ausnahmen nicht zu eng gezogen sind: Es fragt sich, ob der Schuldner nicht auch ein verschuldetes oder ein solches Fristversäumnis bereinigen kann, welches die postulierte Höchstgrenze von einem Tag überschritten hatte, sofern dem Gläubiger hierdurch keinerlei Nachteile entstanden sind48 . Gegen eine großzügige Handhabung dieser Einrede beim Überschreiten der Nachfrist wird eingewandt, es sei Zweck des § 326 Abs. 1 BGB, klare Verhältnisse 46 Vgl. RGZ 92,210,211; RG SeuffA 79, Nr. 9; RG WamR 1922, Nr. 9; BGH NJW 1974, 360. Sehr streng dagegen RG WarnR 1915, Nr. 351 (S. 228); ablehnend OLG Hamburg Recht 1915, Nr. 843. 47 Vgl. MünchKommlEmmerich, BGB, § 326 Rn. 93; StaudingerlOtto, BGB l3 , § 326 Rn. 118; Soergel/Wiedemann, BGB, § 326 Rn. 49. Strenger StaudingerlKaduk, BGB IOIIl , § 326 Rn. 116; Oertmann I, § 326 Anm. 7. 48 Den Parteien unbenommen bleibt die Möglichkeit, einen neuen Vertrag zu schließen. Doch nützt dies dem Schuldner im Streitfalle wenig, weil der Gläubiger hier - wenn überhaupt - nur noch zu ungünstigeren Konditionen abzuschließen bereit sein wird. Hinzu kommen praktische Hemmnisse: Ist das Geschäft formbedürftig, kann es nach allgemeiner Meinung nur "wiederbelebt" werden, indem die Parteien einen neuen Vertrag in der erforderlichen Form schließen, vgl. RGZ 107,346,349; BGHZ 20,338,344 (zu § 313 BGB); BGH NJW 1999,2664 ff. =JZ 1999,410 ff. m. krit. Anm. Hattenhauer (zu § 566 BGB). Dem ist zu widersprechen: Die Privatautonomie verlangt, daß die Parteien die formlos mögliche Aufhebung des Vertrages grundSätzlich ebenso formlos rückgängig machen, die Aufhebung also aufheben können. Die jeweiligen Formvorschriften stehen dem solange nicht entgegen, als es nicht im Einzelfall eines erneuten Übereilungsschutzes oder einer erneuten Beweissicherung bedarf.

§ I Verzögerte Leistung und Schuldnerverzug

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zu schaffen 49 , und diesem Zweck widerspräche es, die Fristüberschreitung milder zu beurteilen. Eine Überprüfung macht jedoch deutlich, daß zuweilen auch dann, wenn die Frist verschuldet oder um mehr als einen Tag überschritten wurde, ein Berufen des Gläubigers auf die Fristüberschreitung und ihre Rechtsfolgen treuwidrig sein kann. So erfordert der Normzweck die übliche strenge Handhabung des Fristversäumnisses keineswegs. Wie aus einem Blick auf die Entstehungsgeschichte erhellt, verfolgte der Gesetzgeber bei der Schaffung des § 326 Abs. 1 BGB nicht das Ziel, dem Gläubiger ganz ohne Rücksicht auf die Interessen des Schuldners eine Möglichkeit an die Hand zu geben, klare Verhältnisse zu schaffen. Vielmehr sollte dem Gläubiger mit der Möglichkeit der Nachfristsetzung ein Mittel an die Hand gegeben werden, sich von dem Vertrage lösen zu können, ohne zunächst auf Erfüllung klagen oder den verzugsbedingten Fortfall des Interesses nachweisen zu müssen 50 . Die erste Kommission hatte im E I § 247 Abs. 2 das gemeine Recht festgeschrieben 51 , das dem Gläubiger bei gegenseitigen Verträgen nicht gestattete, wegen des Verzuges des Schuldners allein, wenn auch unter Einhaltung gewisser Fristen, vom Vertrage zurückzutreten. Voraussetzung war vielmehr, daß der Zweck, zu dem die Leistung dem Gläubiger dienen sollte, durch den Verzug vereitelt worden W~2. Da jedoch Hauptanwendungsfall der Vorschrift Kaufverträge sind, wollte später die 2. Kommission, die die Vorschrift einfügte, vor allem unbillige Härten für den Verkäufer vermeiden: dieser könne nämlich kaum jemals nachweisen, daß die Geldleistungen für ihn nicht mehr von Interesse seien53 , so daß er stets ein rechtskräfiges Urteil gegen den Schuldner erstreiten müßte, um sich von dem Vertrage lösen zu können. Des weiteren freilich wollte die 2. Kommission auch dem Bedürfnis des Verkehrs auf rechtzeitige Erfüllung entgegengekommen. Für unsere Untersuchung ist diese gesetzgeberische Motivation insoweit von Bedeutung, als sie zeigt, daß die erweiterte Rücktrittsmöglichkeit den Gläubiger zunächst nur des schwer zu führenden Nachweises des Interesseverlustes entheben und ihn im Falle des Mißlingens davor bewahren wollte, erst einen langwierigen und möglicherweise von vornherein aussichtslosen Prozeß führen zu müssen, um sich von dem Vertrage lösen zu können. Dieser Zweck bleibt allemal gewahrt, auch wenn man dem Schuldner in Einzelfällen gestattet nachzuleisten, wenn mehr als ein Tag nach Ablauf der Nachfrist verstrichen ist. Ob dies dem weiteren Zweck zuOLG Hamburg Recht 1915, Nr. 843; RG WarnR 1922, Nr. 9. Vgl. Prot. Mugdan 11, S. 641. 51 Zu den Hintergründen vgl. v. Kübel, Vorentwürfe SchuldR 11, S. 863 ff. 52 Windscheidl Kipp 11, § 280 Anm. I; F. Mommsen, S. 257 f.; v. Madai, S. 391 f. 53 Typische Fälle des Interesseverlustes des Verkäufers sind gestiegene Beschaffungskosten oder ein erhöhtes Risiko beim Weiterverkauf. Bei Geldschulden wird man indes eine Geldentwertung nicht als Interesseverlust ansehen können, weil die geringere Kaufkraft als Verzugsschaden anzusehen ist und nach § 286 Abs. I BGB liquidiert werden kann; vgl. insbesondere StaudingerlLöwisch, BGB I3, § 286 Rn. 28 ff.; ferner OLG München, NJW 1979, 2480 f.; EsserlSchmidt, Schuldrecht AT 11, § 28 I 2 a. 49

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3 Knülel

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1. Kap.: Verletzung vertraglicher Pflichten und Obliegenheiten

widerläuft, schnell klare Verhältnisse zu schaffen, kann nur im Einzelfall ennittelt werden. Denn Klarheit ist kein Selbstzweck; vielmehr gilt es, anhand einer Auslegung des Vertrages und einer Abwägung der Interessen von Gläubiger und Schuldner auszumitteln, wie "klar" die Verhältnisse im Einzelfall sein müssen. Primär ist hierbei das Interesse des Gläubigers daran zu beachten, daß innerhalb der Nachfrist geleistet werde. Hat der Gläubiger durch die Fristüberschreitung das Interesse an der Erfüllung verloren oder ist dieses gemindert, so braucht er die verspätete Leistung des Schuldners nicht mehr anzunehmen. Ist die Fristüberschreitung für den Gläubiger aber ohne wirtschaftlichen Belang, etwa weil er für die bereitgestellte Ware einen anderen Abnehmer bisher weder gesucht noch gefunden hat, so wäre es um so unbiJIiger, dem Gläubiger die Berufung auf den Fristablauf zu gestatten, je größer das Interesse des Schuldners an der Vertragserfüllung 54 und je geringer das Verschulden hinsichtlich der Fristüberschreitung ist. Alles dies iJlustriert eine Entscheidung des Reichsgerichtes vom 21. 2. 192555 : Der Kläger hatte dem Beklagten eine Partie Branntwein und Sprit verkauft, für welche dieser ein unwiderrufliches Bankakkreditiv vorzuleisten hatte. Nachdem dies nicht geschah und der Beklagte stets das Verlangen äußerte, die Ware bei Abholung bar zu zahlen, setzte der Kläger eine Nachfrist mit Ablehnungsandrohung. Als der Beklagte einen Tag nach Ablauf der Frist bei dem Kläger erschien, um die noch bereitstehenden Partien gegen Barzahlung abzuholen, verweigerte der Kläger die Lieferung und war lediglich bereit, zu neuen Konditionen zu verkaufen. Die Klage auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung blieb in allen Instanzen ohne Erfolg. Das RG stellte fest, daß es für den Kläger und seine geschäftlichen Zwecke nicht auf die genaue Zeit des Fristablaufes angekommen sei, zumal er über die Ware noch nicht anderweitig verfügt hatte. Gleichzeitig sei der Beklagte um die Vertragserfüllung bemüht gewesen, so daß der Kläger sich auf den Ablauf der Nachfrist ohne jeden sachlichen Grund berufe und deshalb rechtsmißbräuchlich handele. Bemerkenswert an dieser Entscheidung ist, daß das Reichsgericht die Frage, ob die Nachfrist verschuldet versäumt wurde, gar nicht berührt, obwohl der Sachverhalt nahelegt, daß der Käufer das Akkreditiv vorsätzlich nicht gestellt hatte. Offenbar hielt das Gericht die Verschuldensfrage hier deshalb nicht für entscheidend, weil der Käufer sich erkennbar bemüht hatte, den Vertrag zu erfüllen und die Kaufsache zu bezahlen, wenn auch anders als vereinbart. Dem ist beizupflichten, wenn der Verkäufer, wie hier, kein besonderes Interesse an der Art der vereinbarten Zahlung hat und durch die vom Käufer gewählte Weise nicht benachteiligt wird. Denn in diesem Fall liegt kein so wesentlicher Bruch der Vertragstreue vor, daß es gerechtfertigt wäre, dem anderen Teil das Abgehen vom Vertrage zu gestatten.

54 So z. B., wenn der Schuldner die Ware spezie\1 für den Käufer beschafft hatte oder wenn er keine weiteren Lagermöglichkeiten hat. ss Veröffentlicht in SeuffA 79, Nr. 91.

§ I Verzögerte Leistung und Schuldnerverzug

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Methodisch läßt sich das Ziel, den Schuldner bei unerheblichen Fristüberschreitungen zu schützen und ihm eine Ausflihrung des Vertrages zu ermöglichen, auf zweierlei Wegen erreichen: Hatte der Gläubiger dem Schuldner eine angemessene Frist gesetzt, so ist die Verbindlichkeit nach deren Ablauf erloschen. Daran läßt sich nicht rütteln; der Weg der Auslegung ist versperrt. Es bleibt demnach nur, dem Schuldner in den oben angedeuteten Fällen, in denen eine Berufung des Gläubigers auf den Fristablauf treuwidrig wäre, dem Schuldner die Arglisteinrede zuzubilligen. Hat der Gläubiger dem Schuldner dagegen eine zu kurze Nachfrist gesetzt, so kann dem Schuldner auch durch Auslegung geholfen werden. Eine zu knapp gesetzte Nachfrist ist nicht insgesamt, sondern nur hinsichtlich ihrer Dauer wirkungslos und setzt nach allgemeiner Auffassung den Lauf einer angemessenen Frist in Gang 56 . Der Schuldner hat also innerhalb eines angemessenen Zeitraums zu leisten, dessen Dauer sich nach allen Umständen des Einzelfalles bemißt57 • Bietet der Schuldner die Leistung nach Ablauf der angemessenen Frist an, so müßte dieses Angebot zwar grundsätzlich wirkungslos sein, weil die Leistungspflicht mit Fristablauf erloschen ist. Doch sind der nachträglichen Bestimmung des angemessenen Leistungszeitraumes hier keine so engen Grenzen gesetzt wie bei Vorliegen einer wirksamen, auf den Tag genau bestimmten Nachfrist. Deshalb kann man sich hier nachträglich auf den Standpunkt stellen, die angemessene Frist sei im Zeitpunkt des Angebotes des Schuldners noch nicht verstrichen, und auf diese Weise den Ablauf der Nachfrist nachträglich leugnen 58 . Dies ist auch deshalb angemessen, weil der Schuldner hier nicht nur wegen der unerheblichen Fristüberschreitung, sondern zusätzlich deshalb schutzwürdig ist, weil er wegen der zu kurz gesetzten Nachfrist über den richtigen Leistungszeitpunkt im Unklaren gewesen ist 59 .

c) Fixgeschäft, § 361 BGB Haben die Parteien vereinbart, daß die Leistung zu einem bestimmten Zeitpunkt oder innerhalb einer bestimmten Frist erfolgen soll, so ist der Käufer im Zweifel zum Rücktritt berechtigt, wenn die Leistung nicht fristgerecht erfolgt, § 361 BGB 60 . Bei einem Handelsgeschäft besteht das Rücktrittsrecht in jedem Falle, § 376 Abs. I S. 1 HGB. Auch hier fragt sich, inwieweit der Schuldner das noch Siehe nur Palandt I Heinrichs, BGB, § 326 Rn. 17. Vgl. hierzu MünchKommlEmmerich, BGB, § 326 Rn. 78; Soergel/Wiedemann, BGB, § 326, Rn. 39 m. w. N. 58 Zu dieser sog. "flexiblen Interpretation" vgl. unten IV. I. a). 59 Vgl. R. Knütel (Fn. 11),49. tiO Es sei denn, es handelt sich um ein absolutes Fixgeschäft. Bei diesem wird die Erfüllung des Primärschuldverhältnisses mit Fristablauf unmöglich und es erlischt; Bereinigungsmöglichkeiten bestehen daher nicht. 56 57

3"

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I. Kap.: Verletzung vertraglicher Pflichten und Obliegenheiten

nicht ausgeübte Rücktrittsrecht des Gläubigers durch ein verspätetes Angebot noch zu Fall bringen kann. Dies wird durchweg verneint61 ; doch werden ebenso wie bei § 326 Abs. 1 BGB Ausnahmen nach Treu und Glauben zugelassen, wenn die Fristüberschreitung gering und für den Gläubiger unerheblich war62 . Dem ist beizupflichten. Anders als bei § 326 Abs. 1 BGB erlischt bei § 361 BGB die Primärverbindlichkeit nicht von selbst; vielmehr erwächst dem Gläubiger aufgrund der Verspätung ein Rücktrittsrecht, und solange er dieses nicht ausgeübt hat, ist die Verbindlichkeit noch erfüllbar und der Schuldner zur Erfüllung verpflichtet. Es handelt sich also um ein allgemeines Problem der Verzögerungs- oder Verzugsbereinigung. Ob der Schuldner das Rücktrittsrecht des Gläubigers durch ein nachträgliches Angebot noch ausräumen kann, beurteilt sich hier jedoch nicht unmittelbar nach den Maßstäben des bonum et aequum, sondern nach dem Inhalt der vertraglichen Abrede. Diese jedoch wird selten ausdrücklich oder kraft Auslegung dahin zu verstehen sein, daß jede Verspätung zum Rücktritt berechtigt. Wie allgemein angenommen wird, ist der Rücktritt aber regelmäßig ausgeschlossen, wenn der Schuldner die Frist um ein geringes überschritten hatte und dem Gläubiger hieraus keinerlei Nachteile entstanden sind. Dieser Grundsatz ist bereits in den römischen Quellen anerkannt. In D. 13,5, 17 bemerkt Paulus zu einem Fall, in dem ein Schuldner zugesagt hatte, seine Verbindlichkeit an einem bestimmten Tage zu erfüllen: .. Sed et si alia die offerat nec actor accipere voluit nec u/la causa iusta fuit non accipiendi, aequum est succurri reo aut exceptione aut iusta interpretatione, ut factum actoris usque ad tempus iudicii ipsi noceat: ut illa verba ,neque fecisset' hoc signijicent, ut neque in diem in quem constituitfecerit neque postea" (Aber wenn er die leistung an einem anderen Tag als festgesetzt anbietet, der Kläger sie jedoch nicht annehmen will und auch keinen rechtfertigenden Grund hat, die Lieferung zurückzuweisen, ist es gerecht, dem Beklagten entweder mit einer Einrede oder im Wege sachgerechter Auslegung zu Hilfe zu kommen, daß dem Kläger sein eigenes Verhalten bis zum Zeitpunkt der Prozeßbegründung zum Nachteil gereicht, so daß die Worte .. noch getan hat" den Sinn haben, daß der Beklagte die Leistung weder an dem Tag, der in der Erfüllungszusage festgesetzt war, noch später erbracht hat)63.

2. Vennieter, § 542 BGB

Der Mieter kann das Mietverhältnis fristlos kündigen, wenn ihm der vertragsmäßige Gebrauch der Sache ganz oder zum Teil nicht oder nicht rechtzeitig gewährt wird, § 542 Abs. 1 S. 1 BGB. Da die Vorschrift ein Verschulden des Vermieters 61 Vgl. RGZ 108,158,160; Baumbach/Hopt, HGB, § 376 Rn. 5. 62 Vgl. RGZ 117, 354 ff.: hier war der Dampfer ..Hansa" eine halbe Stunde später ladebereit als fix vereinbart, ohne daß dies Auswirkungen auf die Abladung gehabt hätte; deshalb sprach das RG dem Verfrachter ein Rücktrittsrecht ab. Vgl. ferner Enneccerus / Lehmann. § 24 I 4; Staudinger/Werner, BGB 11 , § 242 A 527; Soergel/Jens. BGB, § 361 Rn. 3; MünchKomm/Janßen. BGB, § 361 Rn. 7; Palandt/Heinrichs. BGB. § 361 Rn. 4. 63 Dazu auch R. Knütel (Fn. 31),191 f.

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nicht voraussetzt, stellt sie eine Sonderregel zu § 326 BGB dar, die einem praktischen Bedürfnis gerecht werden soll. Da die Miete häufig Züge eines Fixgeschäftes trägt, muß der Mieter sich leicht vom Vertrage lösen können, wenn ihm die Mietsache nicht oder nur in mangelhaftem Zustand überlassen wird 64 . Da aber andererseits auch der Vermieter ein berechtigtes Interesse daran hat, den Vertrag durchzuführen, gestattete ihm die 1. Kommission, Abhilfe innerhalb einer angemessenen Frist zu schaffen und so die Kündigung abzuwenden 65 . Deshalb ist die Kündigung erst zulässig, wenn der Vermieter eine ihm gesetzte angemessene Frist ungenutzt hat verstreichen lassen. Die Fristsetzung ist allein entbehrlich, wenn der Vermieter infolge der Verzögerung kein Interesse mehr daran hat, den Vertrag zu erfüllen, § 542 Abs. 1 S. 3 BGB. Aus dem Gesetzestext erhellt, daß die Entstehungsvoraussetzungen des außerordentlichen Kündigungsrechtes allein durch die konkret betroffenen Interessen des Mieters und des Vermieters bestimmt werden. Diese Entstehungsvoraussetzungen entsprechen dem Grundsatz, daß der Gläubiger - hier der Mieter - ein Gestaltungsrecht, das ihm aus einer Leistungsverzögerung des Schuldners - hier des Vermieters - erwachsen ist, nicht mehr ausüben darf, wenn der Schuldner nachträglich erfüllt und der Gläubiger kein besonderes Interesse an pünktlicher Leistung hatte. Dieser Regel läßt sich auch die Antwort auf unsere Frage entnehmen, ob das Kündigungsrecht entfallen kann, wenn der Vermieter den Mangel behebt, nachdem die Frist zur Abhilfe abgelaufen oder das Interesses entfallen war. Deshalb ist zwischen der Kündigung wegen Interessefortfalls und der Kündigung wegen fruchtlosen Ablaufes der Nachfrist zu differenzieren.

a) Interessefortfall, § 542 Abs. 1 S. 3 BGB In Schrifttum und Rechtsprechung findet sich, soweit ersichtlich, keine Stellungnahme zu der Frage, ob der Mieter, für den die Vertragserfüllung infolge der Leistungsstörung kein Interesse mehr hat, sich dennoch an dem Vertrage festhalten lassen muß, wenn der Vermieter Abhilfe geschaffen hat, bevor die Kündigung erklärt wurde. Dies verwundert nicht, da hier zumeist - man denke an die Miete eines Messestandes - ein Fixgeschäft vorliegen dürfte, bei dem das Andienungsrecht bereits mit Ablauf des vereinbarten Leistungszeitpunktes entfallt. In solchen Fällen wird der Vermieter keine weiteren Leistungsanstrengungen unternehmen, und die Frage stellt sich nicht. Anders läge es in folgendem Fa1l66 : Ein gemieteter Geschäftsladen wird zu spät fertiggestellt und ist daher erst einige Zeit nach dem vereinbarten Mietbeginn beVgl. Mol. Mugdan 11, S. 233 f. V gl. Mol. Mugdan 11, S. 234. 66 Beispiel bei Staudinger/Werner, BGB ll , § 542 Rn. 29; vgl. auch den Fall bei OLG Königsberg OLGE 5,367. 64

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1. Kap.: Verletzung vertraglicher Pflichten und Obliegenheiten

nutzbar. Inzwischen eröffnet - unter Ausnützung der Verzögerung - ein Konkurrenzgeschäft in unmittelbarer Nähe; da zwei Läden gleicher Art in dieser Nähe kein Auskommen finden können, hat der Mieter sein Interesse verloren und kann ohne weiteres von dem Vertrag zurücktreten. Gilt dies auch dann noch, wenn der Vermieter das fertige Ladenlokal nachträglich zur Verfügung stellt? Die Problematik ähnelt derjenigen bei §§ 286 Abs. 2, 326 Abs. 2 BGB. Dort bleibt das Ablehnungs- bzw. das Rücktrittsrecht entgegen der überwiegend vertretenen Meinung bestehen, auch wenn der Schuldner vor der Ablehnung der Leistung oder der Erklärung des Rücktritts nachleistet. Entsprechend verhält es sich hier: Zwar knüpft das Kündigungsrecht nicht an ein Verschulden des Vermieters an und ist, anders als bei §§ 286 Abs. 2, 326 Abs. 2 BGB, nicht Ausfluß der Pflicht zum Ersatz des Verzugsschadens. Gleichwohl kann es dem Mieter nicht zugemutet werden, einen Vertrag zu erfüllen, obschon er aufgrund einer Pflichtverletzung des Vermieters hieran kein Interesse mehr hat. Dem Mieter könnten empfindliche wirtschaftliche Nachteile entstehen, allein, weil er es unterlassen hatte, unverzüglich zu kündigen. Für den Schuldner hingegen, in dessen Sphäre eine weit erheblichere Pflichtverletzung fällt, bliebe diese weitgehend folgenlos. Dies aber wäre unbillig, zumal sich wie bei §§ 286 Abs. 2, 326 Abs. 2 BGB eine Möglichkeit bietet, die beiderseitigen Interessen angemessener auszugleichen: Hat der Mieter, indem er es unterließ, den Vermieter über den InteressefortfaIl zu unterrichten, schuldhaft seine auf dem vertraglichen Näheverhältnis beruhende Aufklärungspflicht verletzt, so haftet er diesem auf den Ersatz des entstandenen Vertrauensschadens. Wir finden damit auch hier unsere Regel bestätigt: Der Schuldner kann ein aufgrund verzögerter Leistung entstandenes GestaItungsrecht durch ein nachträgliches Angebot nur ausräumen, solange der Gläubiger sein Interesse an der Leistung nicht verloren hat. b) Nachfristversäumnis, § 542 Abs. I S. 2 BGB Das OLG Düsseldorf hatte im Jahre 1988 folgenden Fall zu entscheiden 67 : Der Gebrauch einer gemieteten Immobilie wurde durch häufige unerträgliche Fäkaliengerüche beeinträchtigt, woraufhin die beklagte Mieterin der klagenden Vermieterin eine zweimonatige Frist zur Abhilfe gesetzt hatte. Drei Wochen nach Ablauf dieser Frist kündigte die Mieterin. Die Vermieterin wendete gegen die Zulässigkeit der Kündigung unter anderem ein, sie, die Vermieterin, hätte noch vor der Kündigung Abhilfe geschaffen. Das OLG hielt diesen Einwand nicht für entscheidungserheblich und lehnte es ab, hierüber Beweis zu erheben. Mit dieser Auffassung folgt das OLG einer Minderheitsmeinung, die dem Mieter auch nach Fristablauf das Kündigungsrecht noch erhält, obwohl der Vermieter Abhilfe geschaffen hat68 . Die heute Urteil vom 5.5. 1988, abgedruckt in OLGZ 1988,485 ff. OLG Frankfurt, JW 1918, 107; OLG Düsseldorf OLGZ 1988,485,487; Oertmann H, § 542 Rn. 1 b; Tumpowsky, S. 79. 67

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§ 1 Verzögerte Leistung und Schuldnerverzug

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wohl herrschende Auffassung spricht dem Mieter in diesem Fall das Kündigungsrecht generell ab 69 , während eine vermittelnde Ansicht die Umstände des Einzelfalles für entscheidend hält 7o . Im Ergebnis ist der herrschenden Meinung grundsätzlich zu folgen. Indes beruht der Wegfall des Kündigungsrechtes nicht auf dem Vertrauenstatbestand, den der Mieter schafft, indem er nach Fristablauf schweigt71 : an eine Verwirkung wären strengere Voraussetzungen zu stellen. Das Schweigen kann den Mieter nach den Grundsätzen der positiven Vertragsverletzung lediglich verpflichten, dem Vermieter den Vertrauensschaden zu ersetzen, den dieser erlitten hat, weil er auf die Fortsetzung des Mietverhältnisses rechnete. Vielmehr entfällt das Kündigungsrecht, weil es an die Vorenthaltung der Mietsache anknüpft, nicht aber Sanktion ist. Sobald diese Vorenthaltung beendet und der vertragsgemäße Gebrauch der Sache nachträglich gewährt worden ist, entfällt im Regelfall das berechtigte Interesse des Mieters zu kündigen72 • Der Vermieter, der seinen Pflichten nachträglich entsprochen hat, darf darum die Einhaltung des Vertrages vom Mieter wieder einfordern: pacta sunt servanda. Der Fortfall des Kündigungsrechtes verletzt weder berechtigte Interessen des Mieters, noch läuft er dem Zweck der Nachfristsetzung, im Interesse des Mieters klare Verhältnisse zu schaffen, zuwider. Denn der Mieter hätte sich von dem Vertrage lösen können, wenn er die Kündigung unmittelbar nach dem Ablauf der Abhilfefrist erklärt hätte. Anders liegt es, wenn das Interesse des Mieters, den Vertrag zu erfüllen, infolge der Verspätung endgültig entfallen ist, unabhängig davon, ob dies vor oder nach der Fristsetzung geschah. Hat zum Beispiel der Mieter nach Ablauf der Frist eine Ersatzwohnung angernietet, so ist die Fortsetzung des alten Mietverhältnisses für ihn auch dann ohne Interesse, wenn die Beeinträchtigung behoben ist. In diesen Fällen bleibt der Mieter zur Kündigung berechtigt, auch nachdem der Vermieter die Mietsache vertragsgemäß angedient hatte. Dies zeigt § 542 Abs. I S. 3 BGB: Sobald die Erfüllung des Vertrages kein Interesse mehr für den Mieter hat, kann dieser kündigen, ohne zuvor eine Frist bestimmen zu müssen, und dieses Kündigungsrecht kann durch ein nachträgliches Angebot, wie oben gezeigt, nicht mehr ausgeräumt werden. Nicht sachgerecht ist nach alledem die Minderheitsansicht, der sich das OLG Düsseldorf in seiner oben angeführten Entscheidung angeschlossen hat. Die Minderheitsansicht stützt sich besonders auf § 542 Abs. 3 BGB 73 • Hiernach trifft den 69 Planck/ Knoke, BGB, § 542 Anm. 1 b 0; Niendorj. S. 155; Mittelstein, S. 324; Schöller, Gruchot 46, 253, 270; Weimar, Betrieb 1975, 1639, 1640; RGRK/Gelhaar, BGB, § 542 Rn. 30; Erman/Juchek, BGB, § 542 Rn. 8; Staudinger/Emmerich, BGB l3 , § 542 Rn. 39; Emmerich/Sonnenschein, § 542 Rn. 11; Sterne I, IV Rn. 467. 70 So Bub/Treier (Grapentin), IV, Rn. 150; Soergel/ Heintvnann, BGB, § 542 Rn. 12; Palandt/ Putzo, BGB, § 542 Rn. 10, jedoch sämtlich ohne Begründung. 71 So aber Staudinger/Emmmerich, BGB l3 , § 542 Rn. 39. 72 V gl. Mittelstein, S. 324; Erman/ Juchek, BGB, § 542 Rn. 8.

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I. Kap.: Verletzung vertraglicher Pflichten und Obliegenheiten

Vermieter die Beweislast, wenn er die Zu lässigkeit der Kündigung bestreitet, weil er den Gebrauch der Sache rechtzeitig gewährt oder vor dem Ablauf der Frist Abhilfe geschaffen habe. Aus dieser Beweislastregel wird gefolgert, daß der Vermieter nach dem Willen des Gesetzgebers mit der Behauptung einer erst nach Fristablauf geschaffenen Abhilfe die Zulässigkeit der Kündigung eben nicht bestreiten kann. Diese Begründung geht fehl. § 542 Abs. 3 BGB regelt lediglich den Fall, daß der Vermieter die Zu lässigkeit der Kündigung bestreitet, weil er innerhalb der Nachfrist Abhilfe geschaffen hat. Dies schließt nicht aus, daß der Vermieter die Zulässigkeit der Kündigung aus anderen Gründen, namentlich deshalb bestreitet, weil sie im konkreten Fall sein Schutzbedürfnis nicht berücksichtige und nicht durch ein besonderes Interesse des Mieters gerechtfertigt sei74 ; auch für diese Behauptung trägt der Vermieter freilich die Beweislast.

3. Mieter, § 554 Abs. 1 S. 1 BGB

Einen ausdrücklichen und bemerkenswerten Niederschlag hat unser Prinzip, nachträgliches Wohlverhalten mit dem Fortfall des Gestaltungsrechtes zu belohnen, wenn nicht der Berechtigte ein Interesse an dessen Ausübung behält, in § 554 BGB gefunden. Nach dieser Norm kann der Vermieter (bzw. Verpächter, § 581 Abs. 2 BGB) das Mietverhältnis fristlos kündigen, wenn der Mieter sich für zwei aufeinanderfolgende Termine mit der Zahlung des Mietzinses in Verzug befindet. Die Kündigung ist aber ausgeschlossen, wenn der Vermieter befriedigt wird, bevor er die Kündigung erklärt hat, § 554 Abs. 1 S. 2 BGB. Doch nicht nur das: Darüber hinaus wird sogar die bereits wirksam erklärte Kündigung nachträglich unwirksam, wenn der Mieter sich von seiner Schuld durch Aufrechnung befreien konnte und diese unverzüglich nach der Kündigung erklärt, § 554 Abs. 1 S. 3 BGB. Ist Wohnraum vermietet, gehen die Bereinigungsmöglichkeiten des Mieters noch weiter: Nach § 554 Abs. 2 Nr. 2 S. 2 BGB wird die Kündigung auch dann unwirksam, wenn der Vermieter bis zum Ablauf eines Monats nach Eintritt der Rechtshängigkeit der Räumungsklage hinsichtlich des rückständigen Mietzinses (und der Nutzungsentschädigung für die Zwischenzeit, § 557 Abs. 1 S. 1 BGB) befriedigt wird. Alle drei Bestimmungen eröffnen dem in seiner sozialen Abhängigkeit typischerweise schutzwürdigen Mieter die Möglichkeit, die Kündigung durch baldige Befriedigung des Vermieters oder Verpächters noch abzuwenden. Am weitesten geht dabei die Bereinigungsmöglichkeit des Wohnraummieters, weil eine Wohnung existentiell wichtig und ein Mieter besonders schutzbedürftig ist 75. So mo73 Besonders eingehende Begründung bei OLG Frankfurt JW 1918, \07. Grundlegend Tumpowsky, S. 79. 74 So zutreffend Planck/ Knoke, BGB, § 542 Anm. I b Q. 75 Die singuläre Bereinigungsbefugnis des § 554 Abs. 2 Nr. 2 BGB wurde durch das I. MRÄndG v. 29. 7. 1963 eingefügt. Die Regelung war nicht neu, sondern schreibt § 3 Abs. 3 MSchG fort, vgl. die Begründung des RegE in BT-Drs. IV /808, S. 10. Das Mieterschutz-

§ I Verzögerte Leistung und Schuldnerverzug

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dem der Gedanke auch anmutet, ist er doch keineswegs neu. In allen Bestimmungen lebt die auf spätantike Quellen, vor allem aber auf das kanonische Recht zurückgehende gemeinrechtliche Praxis76 fort, nach welcher das Kündigungsrecht des Vermieters und Verpächters wegen rückständigen Miet- bzw. Pachtzinses gleichfalls celeri satisfactione, also durch Nachzahlung bis zur Kündigung durch den Eigentümer oder bis zur erhobenen Klage 77, noch abgewendet werden konnte. Wie unsere bisherigen Untersuchungen zeigen, sind als singulär jedoch allein die bei den letztgenannten Bestimmungen, § 554 Abs. I S. 3 und Abs. 2 Nr. 2 S. 2 BGB, anzusehen, nach denen der Mieter sogar eine bereits wirksam erklärte Kündigung durch Aufrechnung oder Nachzahlung entkräften kann. Die Regel des § 554 Abs. I S. 2 BGB hingegen, nach der die Kündigung ausgeschlossen ist, wenn der Vermieter vorher befriedigt wurde, spricht nur explizit die Grundregel der Verzugsbereinigung aus: Die Ausübung eines verzugsbedingten Gestaltungsrechtes ist ausgeschlossen, wenn der Schuldner den Verzug durch ein nachträgliches Angebot beendet und der Gläubiger nicht sein Interesse, an dem Vertrag festzuhalten, infolge des Verzuges verloren hat. Denn der Vermieter ist Geldgläubiger und kann als solcher sein Interesse, auch künftig Mietzins von seinem Mieter zu erhalten, nur in seltenen Ausnahmefällen verlieren. Liegt indes ein solcher Ausnahmefall vor, führt die Norm des § 554 Abs. 1 S. 2 BGB entgegen unserer allgemeinen Regel dazu, daß das Kündigungsrecht infolge der Verzugsbereinigung entfällt, obwohl der Gläubiger weiterhin ein Interesse an der Kündigung hat; diese Singularität liegt wiederum in dem besonderen Schutzbedürfnis des Mieters begründet. Wenn etwa der Vermieter die Wohnung noch während des Verzuges an einen Dritten weitervermietet, der Mieter aber den rückständigen Mietzins abschickt, bevor der Vermieter schließlich die Kündigung erklärt, ist diese wegen § 554 Abs. I S. 2 BGB unwirksam. Wenn wir dagegen unseren allgemeinen Grundsatz zugrunde legen, müßte das Kündigungsrecht auch nach der Verzugsbereinigung bestehen bleiben, weil der Vermieter ein berechtigtes Interesse daran hat, das Mietverhältnis zu beenden; er kann nämlich andernfalls seine Vertragspflichten gegenüber dem neuen Mieter nicht erfüllen.

gesetz vom I. 6. 1923 war eine Säule des kriegsbedingten Wohnungsnotrechtes und bezweckte nach seiner allg. Begründung, Reichsarbeitsblatt 1921,966: "den Mieter vor einer gegen seinen Willen erfolgten Beendigung des Mietverhältnisses soweit zu schützen, als sich dies mit berechtigten Interessen des Vermieters irgend vereinen läßt". 76 Vgl. Mol. Mugdan H, S. 233; Prol. Mugdan H, S. 872 f. Zum gemeinen Recht Windscheid/ Kipp I, § 222 Anm. \0; H, § 402 Anm. 6; v. Kübel, Vorentwürfe SchuldR H, S. 404 m. w. N. Nach kanonischem Recht war die außerordentliche Kündigung der Emphyteusis, einer Art Erbpacht von Staats- und Kirchenland, wegen zweijährigen Rückstandes des Pachtzinses ausgeschlossen, wenn der Pächter den Pachtzins schleunigst nachzahlte; vgl. cap. 4 X. de locato et conducto 3, 18, ferner Paul. D. 19,2,54, 1. Strenger noch die - verworfenePraxis zu ALR I 21 § 298; dazu v. Kübel, a. a. O. 77 Der Zeitpunkt war umstritten; vgl. dazu Windscheid/ Kipp I, § 222 Anm. \0 und v. Kübel, Vorentwürfe SchuldR H, S. 404 m. w. N.

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1. Kap.: Verletzung vertraglicher Pflichten und Obliegenheiten

Freilich kann das Interesse des Vermieters, das Mietverhältnis fortzusetzen, nach dem Verzugsende auch darum weiter beeinträchtigt sein, weil der Mieter seinen Mietzins beständig unpünktlich zahlt und neue Verspätungen zu erwarten sind. Diese Art von Interessebeeinträchtigung könnte den Fortbestand des verzugsbedingten Kündigungsrechtes indes auch nach unserem Prinzip nicht rechtfertigen, weil sie nicht auf dem Verzug an sich, sondern allein auf der manifesten Unzuverlässigkeit beziehungsweise auf dem Vertrauensschwund beruht. Die Unzuverlässigkeit wirkt sich nur aus, wenn sie eigenständig die fristlose Kündigung begründen kann. Dazu aber müßte die Unzuverlässigkeit so gravierend sein, daß das notwendige Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien zerrüttet und es dem Vermieter infolgedessen unzumutbar ist, das Mietverhältnis fortzusetzen.

4. Werkuntemehmer; §§ 636 Abs. J S. J, 634 BGB

Stellt der Werkunternehmer das Werk ganz oder zum Teil nicht rechtzeitig her, kann der Besteller vom Vertrag zurücktreten, §§ 636 Abs. 1 S. 1,634, 327 BGB. Auch dieses Rücktrittsrecht setzt voraus, daß der Besteller dem Unternehmer zuvor eine angemessene Frist mit Ablehnungsandrohung gesetzt und der Unternehmer diese hat verstreichen lassen, ohne das Werk angeboten zu haben. Ähnlich wie in den §§ 326 Abs. 2, 542 Abs. 1 S. 3 BGB ist die Fristsetzung jedoch entbehrlich, wenn das sofortige Abgehen vom Vertrage durch ein besonderes Interesse des Bestellers gerechtfertigt ist, vgl. § 634 Abs. 2 BGB. Es stellen sich hier dieselben Fragen wie dort: Kann der Besteller, der ein besonderes Interesse daran hatte, sofort zurückzutreten, dies noch tun, nachdem der Unternehmer das Werk angeboten hatte? Und kann der Unternehmer, der das Werk erst nach Ablauf der Nachfrist anbietet, auf die Erfüllung des Vertrages bestehen?

a) Interessefortfall, §§ 636 Abs. 1 S. 1,634 Abs. 2 BGB Di~ Problematik des sofortigen Abgehens vom Vertrage aufgrund eines besonderen Interesses des Bestellers entspricht weitgehend deIjenigen bei §§ 326 Abs. 2, 542 Abs. 1 S. 3 BGB, und sie verlangt nach entsprechender Lösung: Der Besteller eines verspätet hergestellten Werkes, der ein besonderes Interesse am sofortigen Rücktritt hat, kann diese Rechte auch dann noch geltend machen, wenn der Besteller das Werk nachträglich anbietet. So sieht es auch die allgemeine Meinung 78 und widerspricht damit in bemerkenswerter Weise dem, was überwiegend zu § 326 Abs. 2 BGB vertreten wird79 •

78 RGZ 52, 314, 317 f.; Planck/Oegg, BGB, § 634 Anm. 2 a. E.; Staudinger/Riedel, BGB lI , § 634 Rn. 8 a. E.; RGRK/Glanzmann, BGB, § 636 Rn. 11; Erman/Seiler, BGB, § 636 Rn. 7. 79 Hier wird der Rücktritt überwiegend für unzulässig gehalten, sobald der Schuldner die Leistung nachträglich angeboten hatte; vgl. die Nachweise unter oben III. I. a), Fn. 35.

§ 1 Verzögerte Leistung und Schuldnerverzug

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Leading case für die allgemeine Meinung ist eine Entscheidung des Reichsgerichtes vom 10. Oktober 19028°: Die Beklagte hatte bei der Klägerin im März 1900 einen Benzinmotor zur Lieferung in ungefahr acht Wochen bestellt. Die Klägerin lieferte den Motor jedoch erst Ende Juni 1901 (!), woraufhin die Beklagte die Abnahme verweigerte und ihren Rücktritt vom Vertrage erklärte. Die Beklagte machte geltend, daß sie infolge geänderter Verhältnisse auf dem Gebiete des Automobil wagen baus ein besonderes Interesse an der sofortigen Geltendmachung des Rücktritts habe und es einer Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung daher nicht bedurft hätte. Die Unternehmerin klagte daraufhin auf Zahlung des Werklohnes. Nachdem beide Vorinstanzen der Klage mit der Erwägung stattgegeben hatten, daß die Beklagte ihr Rücktrittsrecht verwirkt hätte, weil sie es mit Rücksicht auf das Informationsinteresse des Werkunternehmers spätestens zum Zeitpunkt des Entstehens des besonderen Interesses hätte ausüben müssen, wies das Reichsgericht die Klage ab. Es stützte seine Entscheidung auf den Wortlaut des § 634 Abs. 1 und 2 BGB, vor allem aber darauf, daß § 636 Abs. 1 S. 1 BGB auf § 327 BGB verweist und in diesem die entsprechende Anwendung der §§ 346 bis 356 vorgeschrieben wird. Hieraus erhelle, daß die Fragen, wie und wann das gesetzliche Rücktrittsrecht des Werkbestellers auszuüben sei, nach den für das vertragsmäßige Rücktrittsrecht geltenden Bestimmungen beantwortet werden müßten. Nach denselben aber sei das Rücktrittsrecht zeitlich nicht begrenzt und allein beschränkbar, indem der verpflichtete dem berechtigten Teil eine angemessene Frist zur Ausübung setze (§ 355 BGB). Von diesen Grundsätzen abzuweichen und Rücksichten auf das Wesen des Werkvertrages zu nehmen, sei dem Richter verboten, da die Verweisung andernfalls wirkungslos wäre.

Die Begründung des Reichsgerichtes ist sehr formal; sachgerechter ist die Aufrechterhaltung des Rücktrittsrechtes mit der Interessenlage zu begründen, zumal die Sonderregeln der §§ 634, 636 BGB eben diese ausgleichen sollen81 • Dem Besteller ist nicht zuzumuten, ein Werk abzunehmen, an dem er infolge einer Verzögerung in der Herstellung kein Interesse mehr hat. Der Fall, den das Reichsgericht zu entscheiden hatte, illustriert dies treffend: Es wäre grotesk, die Beklagte zu zwingen, ein Werk noch abzunehmen, das um dreizehn Monate zu spät geliefert wurde und infolge der Verzögerung für die Bestellerin vollkommen nutzlos geworden war. Zwar ist nicht zu verkennen, daß der Werkunternehmer, verglichen mit einem Verkäufer oder Vermieter, regelmäßig schutzbedürftiger ist. Regelmäßig paßt jener im Gegensatz zu diesem das Werk den besonderen Bedürfnissen des Bestellers an und kann es darum anderweitig nicht oder nur mit Verlust verwerten. Doch ist auch diesem Schutzbedürfnis hinreichend mit dem Anspruch auf den Ersatz des Vertrauensschadens gedient, den der Unternehmer dem Besteller gegenüber geltend machen kann, wenn dieser es schuldhaft unterlassen hat, dem Unternehmer rechtzeitig 80

RGZ 52,314 ff.

8!

So ausdrücklich Mol. Mugdan H. S. 268.

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1. Kap.: Verletzung vertraglicher Pflichten und Obliegenheiten

Anzeige zu machen 82 . In dem geschilderten Fall hätte die Klägerin statt der Abnahme und Bezahlung des Werkes möglicherweise einen Teil ihres negativen Interesses ersetzt verlangen können; ein voller Ersatz schiede allerdings wegen des Mitverschuldens der Klägerin aus. Diese hätte sich, nachdem sie die Lieferfrist so erheblich überschritten hatte, erkundigen müssen, ob das Interesse der Bestellerin an dem Motor überhaupt noch fortbestand.

b) Nachfristversäumnis, §§ 636 Abs. 1 S. 1,634 Abs. 1 BGB Hat der Besteller dem Unternehmer eine Nachfrist zur Herstellung des Werkes gesetzt, § 636 Abs. 1 BGB, so kann er nach fruchtlosem Ablauf der Frist von dem Vertrage zurücktreten 83 . Ob der Unternehmer zuvor die Folgen der Verzögerung durch ein nachträgliches Angebot noch bereinigen kann, hängt zunächst davon ab, ob der Erfüllungsanspruch nach Fristablauf - wie bei § 542 BGB - bestehen bleibt, oder ob er - wie bei § 326 Abs. 1 BGB - mit Fristablauf ipso iure erlischt. Dies ist umstritten. Wahrend die herrschende Auffassung84 annimmt, der Erfüllungsanspruch bestehe fort, vertritt eine Minorität die Ansicht85 , der Primäranspruch gehe mit Ablauf der Nachfrist unter. Sie beruft sich auf den Wortlaut des § 636 Abs. 1 S. 1 BGB. Dieser verweist auf § 634 Abs. 1 S. 3 2. Hs. BGB, wonach nach Fristablauf "der Anspruch auf Beseitigung des Mangels ... ausgeschlossen" ist. Zu folgen ist der herrschenden Meinung. Der Verweis des § 636 Abs. 1 S. 1 BGB auch auf § 634 Abs. 1 S. 3 2. Hs. BGB ist offenbar ein Redaktionsversehen und unbeachtlich, weil er dogmatisch nicht nachvollziehbar ist. Nach Ablauf der Nachfrist kann der Besteller nur zurücktreten, nicht aber Minderung verlangen. Nähme man an, der Besteller könne keine Erfüllung mehr verlangen, so entstünde ein Schwebezustand, in dem beide Primärleistungspflichten blockiert sind, das notwendig folgende Abwicklungsschuldverhältnis jedoch noch nicht eingetreten ist86 . Ein solcher Zustand wäre singulär, und es ist nicht zu erkennen, durch welche Wertungen er gerechtfertigt werden könnte. Zudem setzt der Rücktritt voraus, daß ein Schuldverhältnis fortbesteht, von dem zurückgetreten werden kann. Hieran fehlt es, wenn man unterstellt, daß nach Fristablauf der Erfüllungsanspruch und damit das Primärschuldverhältnis erloschen seien 87 . So auch PlancklOegg, BGB, § 634 Anm. 2 a. E. Gleiches gilt nach §§ 5 Nr. 4; 8 Nr. 3 VOB / B. Die nachstehenden Ausführungen gelten daher für solche Vereinbarungen entsprechend. 84 So StaudingerlPeters, BGB 13 , § 636 Rn. 16; MünchKommlSoergel, BGB, § 636 Rn. 19; RGRK/Glanzmann, BGB, § 636 Rn. 11; Erman/Seiler, BGB, § 636 Rn. 7 f.; Palandtl Sprau, BGB, § 636 Rn. I; jedoch alle ohne Begründung. 85 StaudingerlRiedel, BGB 11 , § 636 Rn. 5; Soergel/Teichmann, BGB, § 636 Rn. 17. 86 Dies postuliert jedoch Soergel/Teichmann, BGB, § 636 Rn. 17. R7 Anders verhält es sich bei § 326 Abs. I BGB. Dort erlischt das Primärschuldverhältnis mit Ablauf der Nachfrist. An seine Stelle treten elektiv konkurrierende Sekundärrechte wie 82

83

§ I Verzögerte Leistung und Schuldnerverzug

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Freilich können Friktionen mit § 326 Abs. 1 BGB entstehen; denn ist der Unternehmer in Verzug, so kann die Nachfrist mit Ablehnungsandrohung auch auf diese Bestimmung gestützt werden (vgl. § 636 Abs. 1 S. 2 BGB) mit der Folge, daß das Primärschuldverhältnis mit Fristablauf erlischt. Da praktisch kaum zwischen den beiden Rechten differenziert wird 88 , ist unklar, welche Rechtsfolgen der Fristablauf hat, ob also der Erfüllungsanspruch noch fortbesteht oder nicht. Nur im ersten Fall ist eine Bereinigung der Verzögerung denkbar, denn ist der Erfüllungsanspruch erloschen, ist ein nachträgliches Angebot grundsätzlich 89 wirkungslos. Praktische Bedeutung gewinnt die Unterscheidung, wenn der Besteller die Abnahme des erst nach Fristablauf angebotenen Werkes ablehnt und der Unternehmer auf Erfüllung besteht. Kann der Unternehmer im Prozeß beweisen, daß er die Verzögerung nicht zu vertreten hatte (§ 285 BGB), beurteilt sich der Fortbestand seines Andienungsrechts nach den aufgezeigten Bereinigungsgrundsätzen. Der Unternehmer kann also das Rücktrittsrecht des Bestellers durch das nachträgliche Angebot so lange abwehren, wie dieser sein Interesse an der Vertragserfüllung nicht infolge der Verzögerung verloren hat. Dies verlangt nicht nur allgemein die Interessenlage nach der Verzögerungsbereinigung, sondern auch § 634 Abs. 3 BGB. Hiernach ist "die Wandlung ... ausgeschlossen, wenn der Mangel den Wert oder die Tauglichkeit des Werkes nur unerheblich mindert". Die Vorschrift konkretisiert den Grundsatz von Treu und Glauben im Werkvertragsrecht90 und ist auf den im Rahmen des Rücktritts gemäß § 636 Abs. 1 BGB entscheidenden "Mangel" in zeitlicher Hinsicht entsprechend anzuwenden. § 634 Abs. 3 BGB besagt in Verbindung mit § 636 Abs. 1 S. 1 BGB allgemein, daß der Rücktritt ausgeschlossen ist, wenn die Verzögerung nur einen unerheblichen Nachteil für den Besteller mit sich gebracht hat 91 . Dies aber ist immer dann anzunehmen, wenn der Unternehmer das Werk nach Fristablauf ordnungsgemäß abliefert und der Besteller sein Interesse infolge der Verzögerung nicht verloren hat92 .

vor allem das Recht, von dem Vertrage zurückzutreten oder Schadensersatz wegen Nichterfüllung zu verlangen. Da ein Gestaltungsrecht wie das Rücktrittsrecht jedoch auch hier nicht ohne Primärschuldverhältnis denkbar ist, muß man annehmen, daß das Abwicklungsschuldverhältnis zeitgleich mit dem Erlöschen des Primärschuldverhältnisses entsteht und solange verhalten neben den anderen Sekundäransprüchen existiert, bis der Gläubiger sich für eine Rechtsfolge entschieden hat. 88 So auch Soergel/Teichmann, BGB, § 636 Rn. 14. 89 Zu den Ausnahmen siehe oben III. 1. b). 90 Vgl. Mot. Mugdan 11, S. 269. 91 Vgl. Planck/Oegg, BGB, § 636 Anm. 3; Oertmann 11, § 634 Anm. 3 b "'(; Staudinger/ Peters, BGB 13 , § 634 Rn. 22; RGRK/Glanzmann, BGB, § 634 Rn. 5; MünchKomm/Soergel, BGB, § 634 Rn. 12; MünchKomm/Soergel, BGB, § 636 Rn. 16; Palandt/Sprau, BGB, § 636 Rn. I. 92 Anders verhält es sich, wenn ein Fixgeschäft vorliegt; hier ist der Rücktritt auch bei unwesentlichen Fristüberschreitungen zulässig, denn die vertragliche Vereinbarung hat Vorrang, vgl. Mol. Mugdan 11, S. 269.

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1. Kap.: Verletzung vertraglicher Pflichten und Obliegenheiten

Mißlingt dem Unternehmer hingegen diese ,,Exkulpation", so ist das Primärschuldverhältnis regelmäßig nach § 326 Abs. 1 BGB mit Fristablauf erloschen; in diesem Fall kann der Unternehmer sich allein mit der Arglisteinrede verteidigen.

5. Dienstberechtigter. § 626 BGB

Bleibt der Dienstberechtigte dem Dienstverpflichteten93 den Lohn schuldig, kann dieser das Dienstverhältnis aus wichtigem Grunde kündigen, § 626 BGB 94 . Auf ein Verschulden des Dienstberechtigten kommt es hierbei grundsätzlich nicht an, nicht nur, weil man "Geld zu haben hat"95, sondern vor allem wegen der Bedeutung des Lohnes für den Lebensunterhalt. Nach allgemeiner Ansicht entfallt das Kündigungsrecht aber, sobald der Lohnrückstand ausgeglichen wird96 • Dem ist beizupflichten: Hat der Dienstberechtigte den Lohn nachträglich bezahlt, so entfällt jedes berechtigte Interesse des Dienstverpflichteten, sich wegen Zahlungsverzuges vom Vertrage zu lösen. Eine scheinbare Ausnahme ist allein dann zu machen, wenn zu befürchten steht, daß der Dienstherr auch in Zukunft den Lohn nur unregelmäßig zahlen werde 97 . In diesem Fall ist der Arbeitnehmer weiter zur Kündigung berechtigt; Kündigungsgrund ist aber nicht der vormalige Zahlungsverzug, sondern die nicht bereinigte Erschütterung des VertrauensverhäItnisses zum Dienstherren.

6. Vorbehaltskäufer; § 455 BGB

Ist der Vorbehaltskäufer mit der Zahlung des Kaufpreises in Verzug, so ist im Zweifel anzunehmen, daß der Verkäufer zum Rücktritt vom Vertrage berechtigt ist, § 455 BGB. Bietet der Käufer dem Verkäufer die Zahlung der ausstehenden Raten an, so endet der Verzug und mit ihm auch das Recht des Verkäufers, von dem Vertrag zuTÜckzutreten98 • Das Erlöschen des Rücktrittsrechtes liegt jedoch nicht darin Entsprechendes gilt für das Arbeitsverhältnis. Allgemeine Meinung; siehe nur Palandt/ Putzo, BGB, § 626 Rn. 57. 95 Diesen Grundsatz leitet die Rechtsprechung aus § 279 BGB her, vgl. BGHZ 83, 293, 300; BGH NJW 1989, 1276, 1278. Einer solchen Ableitung bedarf es nicht, da der Grundsatz, daß der Schuldner für seine finanzielle Leistungsfähigkeit einzustehen hat, unserer Rechtsund Wirtschaftsordnung immanent ist. Zum ganzen siehe Medicus, AcP 188 (1988), 489 ff. 96 V gl. Staudinger / Neumann, BGB 11, § 626 Rn. 31; ArbG Göttingen WA 1950, 20. 97 Vgl. Palandt/Putzo, BGB, § 626 Rn. 57 und zum entsprechende Problem beim Mietverhältnis oben III 3 a. E. 98 Die heute h. M. spricht sich für ein Verzugsende schon durch Eintritt der Verjährung aus; vgl. BGHZ 34,191, 197; BGH WM 91, 464, 467; A. Blomeyer, JZ 1959, 15, 16; Lange, JuS 1963,59,62; J. Blomeyer, JZ 1968,691,695; K. Müller, DB 1970, 1209; Palandt/Heinrichs, BGB, § 284 Rn. 31; Soergel/Wiedemann, BGB, § 284 Rn. 52. Anders noch Eisenhardt, JuS 1970,489,492, jedoch mit der jedenfalls für den hier untersuchten Fall nachträg93

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§ 1 Verzögerte Leistung und Schuldnerverzug

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begründet, daß die Ausübung des Rücktrittsrechtes durch die Fortdauer seiner Voraussetzungen bedingt sei 99 , sondern darin, daß der Verkäufer keinerlei berechtigtes Interesse mehr daran hat, vom Vertrag zurückzutreten, sobald der Käufer die geschuldete Leistung anbietet. Einziger Zweck des Rücktrittsrechtes ist es, in Verbindung mit dem Eigentumsvorbehalt die Erfüllung der Kaufpreisforderung zu sichern, und dieser Zweck ist im Augenblick der Nachleistung erreicht.

7. Verbraucher, §§ 12 Abs. 1, 13 Abs. 1 VerbrKrG

Die Sondernormen der §§ 12 Abs. 1, 13 Abs. 1 VerbrI(rG bestimmen die Voraussetzungen, unter denen der Kreditgeber bei Zahlungsverzug des Verbrauchers den Kredit kündigen oder vom Kreditvertrage zurücktreten kann: Der Verbraucher muß mit der Rückzahlung eines bestimmten Teilbetrages des Kredites in Verzug sein und der Kreditgeber muß dem Verbraucher erfolglos eine zweiwöchige Frist zu dessen Zahlung mit der Erklärung gesetzt haben, daß er bei nicht rechtzeitiger Zahlung die gesamte Restschuld verlange oder von dem Vertrage zurücktrete. Anders als bei § 326 Abs. 1 BGB, dem die Vorschrift nachgebildet ist, tritt die Vertragsauflösung mit Fristablauf jedoch nicht von selbst, sondern erst auf eine gestaltende Erklärung des Kreditgebers hin ein. Nach richtiger Auffassung 100 ist die Kündigung oder der Rücktritt ausgeschlossen, sobald der Schuldner den Zahlungs verzug beendet, das Geld also abgeschickt hat - unabhängig davon, ob dies vor oder erst nach Ablauf der Nachfrist geschah. Die Gegenansicht 101 , die die verspätete Zahlung für unbeachtlich hält, ist zwar gleichfalls mit dem Wortlaut der §§ 12 Abs. 1, 13 Abs. 1 VerbrKrG vereinbar, läuft aber der Interessenlage zuwider. Ist der Verzug beendet, hat der Gläubiger keinerlei berechtigtes Interesse mehr, von dem Vertrage abzugehen. Als Geldgläubiger verliert er das Interesse an der Leistung allein aufgrund der Verspätung grundsätzlich nicht 102 ; auch hatte er die Möglichkeit, unverzüglich nach Fristablauf zu kündigen lichen Angebotes unpassenden Begründung, daß der sich vormals vertragswidrig verhaltende Schuldner auch nach Eintritt der Verjährung keinen Schutz verdiene. 99 Diese wäre eine - allerdings verbreitete - petitio principii, vgl. OLG Frankfurt JW 1918,107. 100 So v. Westphalenl Emmerichlv. Rottenburg, VerbrKrG, § 12 Rn. 65; Bülow, VerbrKrG, § 12 Rn. 21; MünchKommlHabersack. VerbrKrG, § 12 Rn. 18; StaudingerIKusal-Wulf, VerbrKrG 13 , § 12 Rn. 23; ähnlich zu § I AbzG OstlerlWeidner, AbzG, § 1 Rn. 102, 145. Weil der Wortlaut der §§ 12, 13 VerbrKrG diese Auslegung gestattet, ist es methodisch verfehlt, die Bereinigungsmöglichkeit aus einer Analogie zu § 554 Abs. 1 S. 2 BGB herzuleiten, wie es Habersack, a. a. O. und Kusal- Wulf, a. a. O. tun: Es besteht keine Regelungslücke. 101 PalandtlPutzo, VerbrKrG, § 12 Rn. 5; ErmanlKlingspornlRebmann, VerbrKrG, § 12 Rn. 29. 102 Wie bei §§ 554, 626 BGB gehören hierher nicht die Fälle, in denen das Festhalten am Vertrag dem Gläubiger aus anderen, über den bloßen Verzug hinausgehenden Gründen unzumutbar ist, wie z. B. bei einer Vermögensverschlechterung oder bei einer arglistigen

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1. Kap.: Verletzung vertraglicher Pflichten und Obliegenheiten

oder zurückzutreten. Da eine solche prompte Reaktion ohnehin wegen des Gewißheitsinteresses des Schuldners geboten ist, muß der Gläubiger in Kauf nehmen, daß der Verbraucher nachleistet und ihm so die Möglichkeit abschneidet, vom Vertrage abzugehen 103. Für dieses Ergebnis spricht zudem, daß der Verbraucher häufig schutzwürdig ist. Zum einen durchschaut er die Risiken moderner Finanzierungsmethoden und das Ausmaß der Belastungen häufig nicht mehr 104 , zum anderen hat er ein schutzwürdiges Interesse daran, die finanzierte Sache zu nutzen 105. Bei einem Teilzahlungskredit ist die vorzeitige Kündigung zudem mit der Fä!ligstellung der gesamten Restsumme verbunden und kann den Verbraucher in arge wirtschaftliche Bedrängnis bringen.

8. Versicherungsnehmer, § 39 Abs. 3 S. J WG

Besonders weitgehende Bereinigungsmöglichkeiten gewährt das Gesetz dem Versicherungsnehmer, der mit der Zahlung der Prämien in Verzug ist. Bereits aufgrund des Verzuges mit einer Folgeprämie kann der Versicherer das Versicherungsverhältnis kündigen, nachdem er dem Versicherungsnehmer eine mindestens zweiwöchige Nachfrist gesetzt und die Kündigung für den Fall der NichtIeistung angedroht hatte. Die Kündigung nach Ablauf der Frist ist gemäß § 39 Abs. 3 S. 1 VVG ausgeschlossen, wenn der Versicherungsnehmer vorher leistet 106 : der Gedanke der "tätigen Reue" findet hier einen klaren Ausdruck. Doch kann der VersicherungsnehZahlungsmanier wie dem "Springen", also dem Zahlen immer nur der zweiten Rate mit dem Ziel, die Voraussetzungen des § 12 Abs. 1 Verbrl(rG zu unterlaufen. In solchen Konstellationen kann neben das besondere Kündigungsrecht wegen Zahlungsverzuges noch das allgemeine Kündigungsrecht aus wichtigem Grund treten; vgl. v. Westphalen IEmmerich Iv. Rottenburg, VerbrKrG, § 12 Rn. 65 und allgemein StaudingerlHoptlMülbert, BGB l2 , § 609 Rn. 45. Dieses entfällt nicht ohne weiteres, wenn der Schuldner nachträglich leistet; näher dazu unten § 3 III. 2. 103 Wegen des Gewißheitsinteresses des Schuldners muß sich der Gläubiger nach aIlgemeiner Meinung ohnehin in einer kurzen Frist von wenigen Tagen entscheiden, um nicht sein Kündigungs- oder Rücktrittsrecht zu verwirken; vgl. BGH WM 1983, 753; MünchKomml Habersack, VerbrKrG, § 12 Rn. 21; v. Wesrphalenl Emmerichlv. Rottenburg, VerbrKrG, § 12 Rn. 64. 104 So die Begründung des RegE, BT-Drs. 1\ 15462, S. 11. Freilich kann das Gesetz nur vorhandene Interessen schützen, nicht aber neue Interessen begründen; vgl. Paul. D. 50, 17, 24: quatenus cuius intersit, in facto, non in iure consistit (Wie groß jemands Interesse sei, entscheidet eine Tatsache, nicht eine Rechtsvorschrift). 105 Vgl. die Begründung des RegE, (Fn. 104), S. 28. 106 Vgl. RGZ 93,80,81; PrölsslMartinlKnappmann, VVG, § 39 Rn. 24. Für die Rechtzeitigkeit ist das Abschicken des Geldes entscheidend, vgl. § 270 Abs. I BGB und oben III. Strenger BGH NJW 59, 1176 mit der Maßgabe, daß der Schuldner sich um unverzügliche Ausführung der Überweisung bemühen muß.

§ I Verzögerte Leistung und Schuldnerverzug

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mer sogar nach § 39 Abs. 3 S. 3 VVG eine erklärte Kündigung nachträglich entkräften, indem er die angemahnte Prämie innerhalb eines Monats nach der Kündigung zahlt 107. Ist allerdings ein Versicherungsfall zwischen der Kündigung und der Nachzahlung eingetreten, so besteht für diesen kein Versicherungsschutz, § 39 Abs. 3 S. 3 VVG a. E. 108 . Diese Bereinigungsmöglichkeit fand sich noch nicht in der Urfassung des VVG, das am 30. 5. 1908 in Kraft trat. Nach dieser war dem Versicherungsnehmer angesichts der Leichtigkeit, mit der einzelne Prämienzahlungen vergessen werden, lediglich gestattet, das verzugsbedingte Kündigungsrecht durch vorherige Zahlung auszuschließen 109. Die erweiterte Bereinigungsmöglichkeit wurde erst durch die Verordnung vom 12. 2. 1924 110 angefügt, zu der eine amtliche Begründung nicht veröffentlicht wurde; der Zeitpunkt des Erlasses kurz nach der Inflation läßt jedoch vermuten, daß die Bereinigungsmöglichkeiten angesichts der allgemeinen inflationsbedingten Verarmung erweitert wurden.

9. Wohnungseigentümer. § 18 Abs. 1 WEG

Eine ähnliche Bestimmung findet sich auch im WEG. Obwohl die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer grundsätzlich unauflöslich ist, kann ein Wohnungseigentümer ausgeschlossen werden, wenn er in grober Weise gegen die ihm den anderen gegenüber obliegenden Pflichten verstoßen hat und diesen eine Fortsetzung der Gemeinschaft nicht mehr zuzumuten ist, § 18 Abs. 1 WEG. Diese Voraussetzungen liegen unter anderem vor, wenn der Wohnungseigentümer länger als drei Monate mit der Zahlung seines Anteils an den Lasten und Verwaltungskosten des gemeinschaftlichen Eigentums in Verzug ist und dieser Betrag drei Prozent des Einheitswertes seines Wohnungseigentums übersteigt, § 18 Abs. 2 Nr. 2 WEG. Der solchermaßen säumige Miteigentümer kann auf Veräußerung seines Wohnungseigentums verklagt werden. Das Urteil ersetzt die für die freiwillige Versteigerung und Übertragung des Wohnungseigentums erforderlichen Willenserklärungen des Veräußerers, § 19 Abs. 1 WEG, also die Willenserklärung auf Abschluß eines Kaufvertrages, die Auflassung sowie die Eintragungsbewilligung 111 • Der Eigentümer kann

107 Die Kündigung ist also auflösend durch die Nachzahlung bedingt, vgl. BayObLG ZfS 1986, 317. Weil der Bedingungseintritt vom Schuldner abhängt (Potesta!ivbedingung). steht der Bereinigung der Grundsatz der Bedingungsfeindlichkeit von Gestaltungsrechten nicht entgegen. 108 Vgl. Bruck/Möller, VVG. § 59 Anm. 50. 109 So die Motive VVG, S. 48. 110 RGBI, S. 65. 111 Vgl. Staudinger/Kreuzer, WEG I2 , § 19 Rn. 4; Bärmann/Pick/Merle. WEG. § 19 Rn. 14. Der Kaufvertrag kommt durch den Zuschlag bei der freiwilligen Versteigerung zustande. Abweichend sehen KG OLGZ 1979. 146; Palandt/Bassenge. WEG. § 19 Rn. I; Weitnauer/ Lüke. WEG. § 19 Rn. 3 ff. in dem Urteil die fiktive rechtsgeschäftliche Bevollmächti-

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1. Kap.: Verletzung vertraglicher Pflichten und Obliegenheiten

die Fiktionswirkung des rechtskräftigen Urteils jedoch bis zur Erteilung des Zuschlages abwenden, indem er das rückständige und das weiter fällige Wohngeld einschließlich der Kosten des Verfahrens begleicht, § 19 Abs. 2 WEG 112 . Der Hintergrund dieser Bereinigungsbefugnis ist unschwer zu erkennen und entspricht bekannten Grundsätzen: Der Wohnungseigentümer ist schutzbedürftig, weil die zwangsweise Veräußerung seines Eigentums eine besonders einschneidende Verzugsfolge ist. Das Interesse der Gemeinschaft an der Entfernung des säumigen Mitgliedes hingegen erlischt, sobald alle fälligen Geldforderungen erfüllt sind und die Säumnis die einzige Pflichtverletzung gewesen ist. Bemerkenswert ist, daß die Bereinigung hier anders als nach allgemeinen Grundsätzen 1\3 erfordert, daß der Schuldner auch den Verzugsschaden ersetzt: Der Schuldner muß alle laut Urteil geschuldeten Verpflichtungen, also auch die Verzugszinsen - sofern beantragt - sowie die Kosten des Rechtsstreites und des Versteigerungsverfahrens begleichen. Bemerkenswert ist ferner, daß die Bereinigungsmöglichkeit des Eigentümers sehr weit geht: Er kann die Wirkung eines rechtskräftigen Urteils durch "schlichte" Zahlung beseitigen. Dies ist mehr als das bisher Bekannte, der Fortfall von Gestaltungsrechten und die nachträgliche Unwirksamkeit einer Kündigung (vgl. §§ 554 Abs. 2 Nr. 2 S. 1 BGB; 39 Abs. 3 S. 3 VVG). Diese fonnal weitgehende Bereinigungsmöglichkeit ist aber allein durch die ungewöhnliche technische Konstruktion der "Kündigung" gegenüber dem säumigen Wohnungseigentümer bedingt; materiell besehen bleibt die Bereinigungsmöglichkeit hinter der Beseitigung einer wirksam erklärten Kündigung zurück. Denn das rechtskräftige Urteil hat keinerlei rechtsgestaltende Wirkung, solange nicht der Zuschlag erteilt, ein Kaufvertrag abgeschlossen oder das Wohnungseigentum aufgelassen wurde.

10. Kommissionär; § 25 Abs. 1 S. 1 DepotG

Das Kommissionsgeschäft ist für den Kommittenten unter anderem deshalb riskant, weil die auf seine Rechnung gekaufte Ware, solange sie nicht übereignet ist, dem Zugriff der Gläubiger des Kommissionärs in der Einzelzwangsvollstreckung gung des Notars zum Abschluß eines Kaufvertrages. Dies ist unzutreffend, weil der Notar nicht Vertreter des Veräußerers sein kann, vgl. § 3 Abs. I Nr. 5 BeurkG. Der Notar übt ein Amt aus und hat dazu gern. §§ 53 ff. WEG eine gesetzliche Gestaltungsvollmacht, vgl. Kreuzer; a. a. O. 112 Daneben muß es dem Wohnungseigentümer jedoch freistehen, das Wohnungseigentum freiwillig und freihändig zu veräußern und das Urteil so gegenstandslos werden zu lassen, vgl. StaudingerlKreuzer; WEG I2 , § 19 Rn. 5. Das Urteil wirkt zwar grundsätzlich gern. §§ 265, 325 ZPO auch gegen den Erwerber; doch kann dieser wie der Eigentümer den Urteilswirkungen entgehen, solange nicht der Zuschlag erteilt wurde, indem er die Verbindlichkeiten gern. § 19 Abs. 2 WEG bedient. 113 Vgl. hierzu oben III. a. A.

§ 1 Verzögerte Leistung und Schuldnerverzug

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und im Insolvenzverfahren ausgesetzt ist. Bei der Einkaufskommission von Wertpapieren könnte der Kommittent zudem den mit der Übereignung säumigen Kommissionär nur über den langwierigen Weg der Stufenklage zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit anhalten und dadurch erhebliche Nachteile erleiden. Der Gesetzgeber hat derartigen Gefahren bei der Einkaufskommission von Wertpapieren 114 in den §§ 18,25,37 DepotG zu begegnen gesucht 115 • Nach § 18 Abs. 1 DepotG muß der Kommissionär, der einen Auftrag zum Einkauf von Wertpapieren ausgeführt hat, dem Kommittenten unverzüglich, spätestens aber binnen einer Woche, ein Verzeichnis der gekauften Stücke übersenden. Die Übersendung des Stückeverzeichnisses soll dem Kommittenten nicht nur Klarheit über die Ausführung des Auftrages und die Identität der gekauften Stücke verschaffen; sie hat darüber hinaus Traditionsfunktion. Denn bereits "mit der Absendung des Stückeverzeichnisses geht das Eigentum an den darin bezeichneten Wertpapieren ... auf den Kommittenten über ... ", § 18 Abs. 3 DepotG. Schließlich soll die Pflicht zur schnellen Übersendung vermeiden helfen, daß der Kommissionär auf Kosten des Kommittenten spekuliert. Damit dieser Pflicht zur unverzüglichen Übersendung des Stückeverzeichnisses im Geschäftsverkehr hinreichend entsprochen werde, ist ihre Verletzung nicht nur mit strafrechtlichen (vgl. § 37 DepotG), sondern auch mit zivilrechtlichen Sanktionen bedroht. So berechtigt § 25 Abs. 1 DepotG den Kommittenten, von dem Auftrag zurückzutreten, wenn der Kommissionär die Übersendung unterlassen und das Versäumte in zu vertretender Weise nicht auf Aufforderung des Kommittenten binnen dreier Tage nachgeholt hat. Auch hier stellt sich die Frage, ob der Kommissionär dem Kommittenten das Zurückweisungsrecht aus der Hand schlagen kann, wenn er nach Ablauf der Dreitagesfrist das Verzeichnis übersendet oder die Wertpapiere zur Aushändigung anbietet. Dies hat schon das Reichsgericht 116 verneint und hierbei zu Recht Zustimmung gefunden 117 • Denn zum einen wollte der Gesetzgeber durch die Einführung der strikten Dreitagesfrist Schuldnerinteressen nach Fristablauf gerade nicht berücksichtigt wissen 118 ; zum anderen liefe die Aufrechterhaltung des Andienungsrechts den Interessen des Kommittenten entgegen, weil sie die seinem Schutze dienende Disziplinierungsfunktion des § 25 DepotG schwächen würde. Schutzwürdige Belange des Kommissionärs sind nicht berührt, weil der Rücktritt nur bei einem verschuldeten Fristversäumnis zulässig ist, § 25 Abs. 1 S. 2 DepotG. Darüber hinaus wird das Gewißheitsinteresse des Kommissionärs durch § 25 Abs. 2 DepotG geschützt, nach dem die Aufforderung an den Kommissionär ihre Wirkung verliert,

Vgl. daneben die allgemeinen Schutzbestimmungen der §§ 383 ff. HGB. Vgl. die Gesetzesbegründung, zitiert bei Opitz. DepotG, § 18 a. A. (S. 259 ff.); siehe ferner Velthusen. S. 11 ff. 116 RGZ 48, 7, 9. 117 So Opitz. DepotG, § 25 Anm. 4 d (S. 323); Heinsius/Hom/Than. DepotG. § 25 Rn. 12; R. Knütel (Fn. 11), 59 Fn. 56. 118 So auch das RG (Fn. 116). 114

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wenn nicht der Kommittent dem Kommissionär binnen dreier Tage erklärt, daß er von seinem Zurückweisungsrecht Gebrauch machen wolle. Bei der Einkaufskommission von Wertpapieren bestätigt sich einmal mehr der Grundsatz, daß der Gläubiger ein verzugsbedingtes Gestaltungsrecht nach dem Ende des Verzuges jedenfalls dann noch ausüben darf, wenn er ein berechtigtes Interesse daran hat.

IV. Nachträgliche Leistung auf eine verstärkte Verbindlichkeit Unsere Leitfrage, ob der Schuldner durch nachträgliche Leistung bereits eingetretene Verzugsfolgen wieder ausräumen kann, stellt sich eindringlich auch beim Verzuge mit Verbindlichkeiten, zu deren Verstärkung eine Vertragsstrafe 119 (§ 339 BGB) oder eine Verfallklausel (§ 360 BGB) ausbedungen war: Der Schuldner bedarf hier häufig eines besonderen Schutzes, weil er die Strafe oder die Verfallklausel voreilig oder nur auf Druck eines überlegenen Vertragspartners vereinbart hatte, ohne sich über seine tatsächliche Leistungsfähigkeit und die Höhe des mit der Strafe oder der Verfallklausel "eingehandelten" Nachteiles hinreichend im klaren zu sein.

1. Vertragsstrafe. § 339 BGB

Bei der Vertragsstrafe entspricht das Gesetz diesem Schutzbedürfnis zunächst, indem es den Verfall nur auf Verzug, also auf schuldhafte Zögerung der Leistung, hin eintreten läßt, § 339 BGB 120. Zusätzlich ist dem Schuldner die Möglichkeit gegeben, eine unverhältnismäßig hohe Strafe durch richterliches Urteil auf einen angemessenen Betrag herabsetzen zu lassen, § 343 BGB. Damit allein ist dem 119 Zu unterscheiden von der Vertragsstrafe ist das Reugeld. § 359 BGB. Dieses ist Gegenleistung für den ausgeübten, vertraglich vereinbarten Rücktritt; der Anspruch auf Zahlung des Reugeldes entsteht deshalb erst mit dem Rücktritt, während die Vertragsstrafe den Fortbestand der Verbindlichkeit voraussetzt. Interessant ist die Bereinigungsmöglichkeit des Zurücktretenden: Zwar "ist der Rücktritt unwirksam, wenn das Reugeld nicht vor oder bei der Erklärung entrichtet wird und der andere Teil aus diesem Grunde die Erklärung unverzüglich zurückweist", § 359 S. 1 BGB. Doch kann der Rücktrittsberechtigte die Rücktrittsfolgen aufrechterhalten, indem er unverzüglich nachzahlt, § 359 S. 2 BGB. § 359 S. 1 BGB ist eine Modifikation des § 320 BGB für den besonderen Fall, daß im Synallagrna nicht zwei Ansprüche, sondern ein Anspruch und ein Gestaltungsrecht stehen. § 359 S. 2 BGB dient dem Schutz des Rücktrittsberechtigten in Fällen, in denen die gleichzeitige Übermittlung des Geldes Schwierigkeiten bereitet, wie etwa bei großen Entfernungen: Prot. Mugdan H, S. 734; vgl. auch § 320 Abs. 2 BGB. 120 Heute wird zu Recht angenommen, daß das Verschuldenserfordernis auch für die Zuwiderhandlung gegen eine Unterlassenspflicht gilt, vgl. BGH NJW 1972,1893,1895; Larenz, Schuldrecht AT, § 24 II a m. w. N.; anders noch Mot. Mugdan ll, S. 154; Prot. Mugdan ll, S. 720; RGZ 55, 78, 79; 95,199,203.

§ 1 Verzögerte Leistung und Schuldnerverzug

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Schutzbedürfnis des Schuldners jedoch nicht in allen Fällen ausreichend begegnet. So kann zum Beispiel die zur Verstärkung eines Handelsgeschäftes versprochene Vertragsstrafe nicht gemäß § 343 BGB herabgesetzt werden, § 348 HGB. Aber auch das Verlangen einer angemessenen Vertragsstrafe kann unbillig sein, wenn der Schuldner, sei es auch verspätet, die Leistung vollständig erbracht hat und dem Gläubiger aus der Verspätung kein Nachteil erwachsen war. Im folgenden ist deshalb zu prüfen, ob der Schuldner den Verfall der Vertragsstrafe einseitig bereinigen kann, indern er die Leistung nachträglich anbietet. Die Untersuchung ist jedoch von vornherein auf die für den Fall der Nichterfüllung zugesagten Strafen zu beschränken 121. Denn die für den Fall der nicht gehörigen Erfüllung bedungenen Strafen (§ 341 BGB) lassen sich nicht bereinigen, weil die Folgen der einmaligen "ungehörigen" - zumeist verspäteten - Erfüllung nicht dadurch beseitigt werden können, daß nachträglich geleistet wird. Überdies sollen die für die nicht gehörige Erfüllung versprochenen Strafen Begleitschäden pauschalieren 122 , weIche gerade aufgrund der Verspätung entstehen und durch ein späteres Angebot nicht mehr ausgeglichen werden können. Auch soll der Schuldner hier durch die versprochenen Strafen gerade zu pünktlicher Erfüllung angehalten werden; dem widerspräche es, den Verzug nicht zu sanktionieren. Schließlich ergibt sich auch aus § 341 Abs. 3 BGB, daß die für die ungehörige Erfüllung bedungene Strafe durch ein nachträgliches Angebot allein nicht entfällt.

a) Verfallsbereinigung im römischen Recht Lehrreich ist zunächst ein Blick in die römischen Quellen. Wer dort nach den Wirkungen der purgatio morae auf eine bereits verfallene Strafstipulation sucht, stößt zwar zunächst auf den Satz "semel commissa poena non evanescit,,123. Tat121 Der Verstoß gegen eine Unterlassungspflicht kann freilich nicht durch ein nachträgliches Angebot, sondern nur dadurch bereinigt werden, daß der Pflichtige seine Handlung rückgängig macht. Eine Bereinigung ist denkbar, wenn die bedungene Strafe ihrem Sinn nach nicht an die Handlung, sondern an deren tatsächlichen Erfolg anknüpft und dieser Erfolg sich rückgängig machen läßt. So wird der Verstoß gegen ein Wettbewerbsverbot nicht heilbar sein; demgegenüber könnte der Verstoß gegen ein Veräußerungsverbot bereinigt werden, indem der Schuldner die Sache zurückerwirbt: vgl. den Fall RGZ 55,78,79, wo der Erwerber eines ostpreußischen Rittergutes dieses abredewidrig an einen Polen weiterveräußert und dadurch eine Konventionalstrafe in Höhe von 10.000 RM verwirkt. Reversibel wäre etwa auch ein Verstoß gegen das in Bierlieferungsverträgen häufig anzutreffende Verbot des Drittbezuges: Hat ein Gastwirt Bier vertragswidrig von einer dritten Brauerei bezogen, kann er diesen Verstoß ausräumen, indem er das Bier zurückgibt oder jedenfalls nicht ausschenkt. 122 Anders freilich in Shakespeares Merchant of Venise. Dort (I. Akt, 3. Szene) gewährt der Wucherer Shylock dem Antonio einen Kredit und verzichtet zwar auf den Darlehnszins, läßt sich aber für den Fall verspäteter Rückzahlung von Antonio ein volles Pfund Fleisch aus dessen Leib versprechen. 123 Cels.-Ulp. D. 4, 8, 23 pr. (Die einmal verwirkte Strafe entfällt nicht mehr); vgl. auch Gai. 0.21,2,57, I.

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1. Kap.: Verletzung vertraglicher Pflichten und Obliegenheiten

sächlich aber galt dieser Grundsatz nur eingeschränkt; es finden sich zahlreiche Ausnahmen, in denen man dem Schuldner die Bereinigung des Verfalles gestattet hat. Methodisch wurde dieses Ziel entweder mittels einer iusta interpretatio oder durch Zubilligung einer exceptio doli erreicht. Der Weg der Interpretation wurde beschritten, wenn die versprochene Leistung nicht zu einem festgelegten Termin zu erbringen war. Man nahm dann an, daß die Leistung nicht sofort, sondern innerhalb einer angemessenen Frist, eines modicum tempus, erfolgen mußte l24 . Zwar verfiel das Schuldversprechen nach Ablauf dieser Frist ohne weiteres und der Gläubiger konnte das Interesse oder die für die Nichterfüllung versprochene Strafe einklagen 125. Doch stellte man sich, sofern der Schuldner die Leistung noch angeboten hatte, bevor der Gläubiger Klage erhoben hatte, auf den Standpunkt, der eigentlich zu bejahende Verfall sei schließlich doch nicht eingetreten. Denn der Wortlaut des Versprechens ging nur dahin, überhaupt zu leisten, so daß das Versprechen seinem Wortlaut nach erfüllt wurde. Diese "flexible Interpretation", eine Erfindung des Celsus l26 , sollte den Schuldner vor den Unsicherheiten des unscharf abgegrenzten Leistungszeitraumes und den Folgen des Strafversprechens schützen l27 . Hinter diesem Kunstgriff steht offenbar die Überlegung, daß in Fällen, in denen ein fester Leistungstermin nicht vereinbart worden war, das Interesse des Gläubigers an der Leistung regelmäßig bestehen bleibt, auch wenn der regelmäßige Leistungszeitraum überschritten wurde. Deshalb schied die flexible Interpretation aus, wenn der Gläubiger an der zeitigen Leistung ein besonderes Interesse gehabt hatte l28 . Anders verhielt es sich, wenn der Schuldner bis zu einem festen Zeitpunkt - beispielsweise bis zum 1. September - zu leisten hatte. Hier konnte der Schuldner den Verfall des Strafversprechens grundsätzlich nicht mehr bereinigen, indem er später, etwa am 4. September, leistete: semel commissa poena non evanescit. Dies nicht nur, weil der Verfall sich durch die flexible Interpretation nicht mehr leugnen ließ, nachdem der bestimmte Leistungstermin verstrichen war 129; sondern wohl auch, weil der Schuldner durch das terminierte Versprechen gerade zu fristgerechter Leistung angehalten werden sollte und es diesem Zweck zuwiderliefe, ihm die Bereinigung zu gestatten. 124 So in Cels.-Ulp. D. 4, 8, 21, 12; ähnlich Yen. D.45, I, 137,3 für das Überschreiten der Frist zur Errichtung eines Hauses. 12S R. Knütel (Fn. 31), 191 m. w. N. 126 Celsus d. J. war neben Julian der bedeutendste Jurist der hochklassischen Zeit, als deren besondere Qualität die Entscheidung juristischer Einzelfragen in größter Vollkommenheit gilt. Von ihm stammt nicht nur die berühmte Definition ius est ars boni et aequi, D. I, I, I, pr., sondern auch die Maxime seire leges non hoe est verba earum tenere, sed vim ae potestatem, D. I, 3, 17 (Gesetze kennen heißt nicht ihre Worte kennen, sondern ihren Sinn und Zweck). 127 R. Knütel (Fn. 31), 152; den (Fn. 11),49. Zum ganzen auch R. Zimmermann, Obligations, S. 11 0 ff. 128 So Paul. D. 4, 8, 22: utique nisi eius interfuerit tune solvi (Jedenfalls dann nicht, wenn er kein besonderes Interesse daran hatte, daß damals geleistet wurde). 129 Cels.-Ulp. D. 4, 8, 23, pr.

§ 1 Verzögerte Leistung und Schuldnerverzug

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Durch ein nachträgliches Angebot der Strafe entgehen konnte hingegen detjenige Promissor, der die Frist unverschuldet versäumt hatte. Denn hier war die Strafe trotz des Wortlautes nicht bereits mit dem Überschreiten der Frist, sondern erst dann verfallen, wenn der Schuldner nach Fortfall des Hindernisses - etwa einer Erkrankung - nicht binnen angemessener Zeit die Leistung erbrachte 130. Ähnlich verhielt es sich, wenn der Gläubiger die Leistung nach Fristablauf noch angenommen hatte und dennoch die Strafe verlangte: hier konnte der Schuldner dem Verlangen des Gläubigers die exceptio doli entgegenhalten 131. Nach alledem erschien es den römischen Juristen offenbar unbillig, dem Gläubiger die verfallene Strafe zuzusprechen, obwohl der Schuldner sich nachträglich pflichtenkonform verhalten hatte und dem Gläubiger aus dem Verzug kein Nachteil erwachsen war. Der hier zum Vorschein kommende Grundsatz, den Schuldner zu schützen, soweit berechtigte Interessen des Gläubigers nicht entgegenstehen, mutet modem an 132 und ist um so bemerkenswerter, als das römische Schuldrecht im allgemeinen eher gläubigerfreundlich geprägt ist. Erwähnung verdient in diesem Zusammenhang schließlich ein englischer Fall aus dem Jahre 1309 (Vmjraiville v. Lonstede), der vom Court of Chancery, der Equity oder ,,Billigkeitsrechtsprechung", entschieden wurde 133: Ein Mann hatte einem anderen versprochen, eine bestimmte Summe Geldes zu zahlen, wenn er eine Urkunde nicht bis zu einem bestimmten Tag übergebe. Im Prozeß gestand er ein, die Urkunde zu dem vereinbarten Tag nicht angeboten zu haben; doch bot er sie nun an und entschuldigte sich damit, daß er selbst beyond the sea gewesen sei, die Urkunde aber bei seiner Frau zurückgelassen habe, damit diese sie übergebe; im übrigen habe der Kläger infolge der Verspätung keinen Schaden erlitten. Der Chancellor wies die Klage ab, indem er ausrief: "What equity would it be to award you the debt when the doeument is tendered and you eannot show that you have been damaged by the detention? ..

b) Verfallsbereinigung nach heutigem Recht: Meinungsstand Die Frage, ob der Schuldner die für den Fall der Nichterfüllung versprochene Vertragsstrafe durch ein nachträgliches Angebot abwenden kann, wurde zu Beginn des Jahrhunderts von den wenigen Autoren. die ihr überhaupt Beachtung schenkten, wie selbstverständlich verneint l34 . Nachdem sich R. Knütel im Jahre 1975 135 Cels.-Vlp. D. 4,8,23, I; entsprechend Vip. D. 4, 8, 21, 9. Cels.-Vlp. D. 4,8,23, pr. Vgl. dazu § 341 Abs. 3 BGB; ALR I 5 § 307. 132 Man denke nur an den betonten Schutz sozial schwächerer Parteien durch Gesetzgebung und Rechtsprechung insbesondere auf den Gebieten des Verbraucherschutz-, Miet- und Arbeitsrechtes. 133 Year Book 2 and 3 Edward 11 (Seldon Society), 58; dazu Hazeltine, S. 261, 268. 134 So Sehollmeyer. § 340 Anm. I b; Peseatore, S. 273; Planek/ Siber. BGB, § 340 Anm. 1; Düringer/Haehenburg/Wemer. HGB, § 348 Anm. 15. m A. a. O. Fn. 11. 130

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für die Möglichkeit der Verfallsbereinigung ausgesprochen hatte, ist das Problem heute umstritten 136. Anders als bis dahin üblich gründet R. Knütel seine Position nicht auf der dogmatischen Einordnung des Verhältnisses von Straf- und Erfüllungsanspruch in § 340 Abs. 1 BGB und deren Konsequenzen für eine mögliche Verfallsbereinigung. Vielmehr sieht er das Problem als eine Frage des bonum et aequum, die sich sachgerecht nicht durch dogmatische Deduktion, sondern allein durch eine interessengerechte Auslegung des § 340 Abs. 1 BGB lösen lasse. Aufgrund dieser Auslegung gelangt er zu dem Ergebnis, daß der Schuldner befugt sei, den Verfall der Vertragsstrafe zu bereinigen: Die Beugefunktion der Vertragsstrafe gebiete es, eine Bereinigung anzuerkennen, weil ein Zwangsmittel nicht mehr durchgesetzt werden dürfe, sobald der Schuldner seinen Pflichten entsprochen habe; dies erhelle insbesondere aus dem allgemeinen Verständnis der funktionell verwandten "Geldstrafe" des § 888 ZPO und der öffentlichen Zwangsgelder. Auch die Ersatzfunktion der Vertragsstrafe stehe der Bereinigung nicht entgegen, weil der Gläubiger aufgrund der Leistung, durch die der Strafverfall bereinigt werde, alles erhalte, was ihm zustehe und deshalb keinen Schaden erleide 137 • Mit der Rechtsstellung des Gläubigers sei die Verfallsbereinigung vereinbar 138 . Das Problem sei dem der Verzugs bereinigung und der Frage vergleichbar, ob der Gläubiger ein durch den Verzug erwachsenes Gestaltungsrecht nach dem Ende des Verzuges noch ausüben könne. Hier aber gelte der Grundsatz, der sich in §§ 286 Abs. 2, 326 Abs. 2 BGB ebenso wie bei § 554 BGB widerspiegele, daß nämlich ein durch Verzug erwachsenes Gestaltungsrecht dann nicht mehr ausgeübt werden dürfe, wenn der Schuldner den Verzug bereinige und darüber hinaus schützens wert erscheine. Da auch beim Strafversprechen der zusätzlich in seiner Freiheit beschränkte Schuldner grundsätzlich der schutzwürdigere Teil sei, liege eine vergleichbare Behandlung des § 340 BGB nahe. Ferner sei der Gläubiger auch deshalb nicht über Gebühr beschränkt, weil er es bis zum verzugsbeendenden Angebot in der Hand gehabt habe, die Strafe zu wählen. Schließlich komme die Verfalls bereinigung auch einem besonderen Schutzbedürfnis des Schuldners entgegen l39 . Dieser habe nach herrschender Auffassung nämlich keine Möglichkeit, den Gläubiger zu zwingen, sich endgültig für die Erfüllung der Hauptpflicht oder für die Strafe zu entscheiden l4o . Dies widerspreche dem Gewißheitsinteresse des Schuldners; zudem 136 Zustimmend Larenz, Schuldrecht AT, § 2411 a; Soergel/ Lindacher; BGB, § 339 Rn. 22; MünchKommlGottwald, BGB, § 339 Rn. 21; AltKommlDubischar; BGB, § 339 Rn. 15; SchlegelbergerlHefermehl, HGB, § 348 Rn. 7; einschränkend ErmanlWestermann, BGB, § 340 Rn. 3. Gegen eine Verfallsbereinigung StaudingerlRieble, BGB 13 , § 340 Rn. 21; RGRKIBalihaus, BGB, § 340 Rn. 7; JauerniglVolikommer; BGB, § 340 Rn. 4; Palandtl Heinrichs, BGB, § 340 Rn. 6; Gernhuber; Schuldverhältnis, § 34 III 4. 137 R. Knütel (Fn. 11), 56 f. 138 R. Knütel (Fn. ll), 57 ff. 139 R. Knütel (Fn. ll), 61 f. 140 Diese h. M. stützt sich allein darauf, daß es sich im Verhältnis von Erfüllungs- und Strafanspruch nicht um eine Wahlschuld handle und daher § 264 Abs. 2 BGB keine Anwendung finde; vgl. PlancklSiber; BGB, § 340 Anm. I; RGRKIBalihaus, BGB, § 340 Rn. 7;

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könne der Gläubiger zu Lasten des Schuldners spekulieren und seine Wahl hinauszögern, etwa wenn der Kurswert der Leistung schwanke. Die Anerkennung der Verfallsbereinigung sei ein angemessenes Mittel, den Schwebezustand zu beenden. Der Auffassung R. Knütels wird entgegengehalten, das in § 340 Abs. 1 BGB verankerte Wahlrecht des Gläubigers verbiete es, eine Verfallsbereinigung anzuerkennen. Begreift man das Verhältnis von Erfüllungs- und Strafanspruch mit der inzwischen wohl herrschenden Meinung l41 als das einer elektiven Konkurrenz, so müsse das mit dem Schuldnerverzug entstandene Wahlrecht allein dem Gläubiger zustehen und könne deshalb vom Schuldner durch ein nachträgliches Angebot nicht mehr vernichtet werden 142. Doch selbst, wenn man das Verhältnis mit einer verbreiteten Minderheitsansicht l43 als Ersetzungsbefugnis, facultas alternativa, verstehe, sei ein nachträgliches Angebot wirkungslos, weil die Gläubigerbefugnis bereits existent und auch dann noch ausübbar sei, wenn der Schuldner die Leistung später anbiete 144. Weiter wird eingewendet, die Anerkennung der Verfallsbereingung laufe nicht nur der Beugefunktion l45 , sondern darüber hinaus der Sühnefunktion der Vertragsstrafe zuwider l46 . c) Stellungnahme Diese Bedenken gegen die Anerkennung einer Verfallsbereinigung greifen nicht durch; sie sind zu formal oder beruhen auf einem falschen Verständnis der Funktionen einer für den Fall der Nichterfüllung versprochenen Vertragsstrafe: Nicht sachgerecht ist es zunächst, aus der dogmatischen Konstruktion des Verhältnisses der dem Gläubiger in § 340 Abs. 1 BGB zugestandenen Rechte neue, nicht normierte Rechtsfolgen wie ein vermeintlich immerwährendes Wahlrecht des Gläubigers herzuleiten. Denn wer über einzelne positive Rechtssätze mehr oder weniger willkürlich einen übergeordneten Begriff "stülpt", um aus diesem Begriff dann neue positive Rechtssätze herzuleiten, betreibt Begriffsjurisprudenz und muß sich den Vorwurf gefallen lassen, am eigentlichen Zweck des Rechtes, der darin besteht, Interessenkonflikte zu lösen l47 , vorbei zu argumentieren. Dies gilt ganz Staudinger I Rieble (Fn. 136), Rn. 22. Diese rein negative Begründung kann angesichts des Gewißheitsinteresses des Schuldners nicht überzeugen. Es läge - abgesehen von der Anerkennung der Verfallsbereinigung - jedoch nahe, dem Schuldner analog § 355 BGB ein Recht zur Fristsetzung zuzubilligen. 141 So etwa MünchKommlGottwald, BGB, § 340 Rn. 4; RGRKIBalihaus, BGB, § 340 Rn. 6; StaudingerlRieble (Fn. 136) Rn. 18 m. w. N. 142 Vgl. Gernhuber (Fn. 136), § 34 III 4; StaudingerlRieble, (Fn. 135), Rn. 21. 143 V gl. Enneccerus I Lehmann, § 10 11; Fikentscher, § 28 V 2. 144 So Gernhuber (Fn. 136), § 34 III 4; vgl. auch Schollmeyer, § 340 Anm. 1 b. 145 Gernhuber (Fn. 136), § 34 III 4; Staudinger I Rieble (Fn. 136), Rn. 21. 146 Staudingerl Rieble (Fn. 136), Rn. 21.

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1. Kap.: Verletzung vertraglicher Pflichten und Obliegenheiten

besonders für eine Problematik wie die der Verzugs- bzw. Verfallsbereinigung, die gerade nicht nach einer strengen, sondern nach einer "billigen" Behandlung verlangt l48 , bei der sich also "jede schematische Lösung verbietet". Hinzu kommt, daß die dogmatische Einordnung ohnehin keinen sicheren Erkenntnisgewinn zu bescheren vermag. Denn das Verhältnis von Erfüllungs- und Strafanspruch läßt sich, wie der recht festgefahrene Streitstand zeigt, mit guten Gründen sowohl als elektive Konkurrenz als auch als Ersetzungsbefugnis begreifen; eine eindeutig richtige Lösung gibt es nicht. Geht man aber von einer facultas alternativa aus, so läßt sich sehr wohl vertreten, daß eine Verfallsbereinigung durch ein nachträgliches Angebot auf den Erfüllungsanspruch gerade möglich sein müsse. Denn dieser besteht solange allein, wie der Gläubiger nicht den Strafanspruch an dessen Stelle gesetzt hat l49 • Sodann trifft es nicht zu, daß die Verfallsbereinigung der Beugefunktion der Vertragsstrafe zuwiderläuft. Vielmehr ist R. Knütel zuzugeben, daß die Beugefunktion eine Verfallsbereinigung der hier allein untersuchten, für den Fall der Nichterfüllung versprochenen Strafe notwendig macht. Wenn Rieble lso dem widerspricht und einwendet, daß sonst ,jede strafbewehrte Fristbestimmung zur Leistung von vornherein nur weich zu verstehen" sei und daß "die Druckfunktion der Vertragsstrafe ... gerade (verlange), Verstöße hart zu ahnden, damit der laxe Schuldner sich nicht von vornherein Hoffnungen auf Bereinigung" mache, so verkennt er offenbar den Unterschied zwischen der für den Fall der nicht gehörigen und der für den Fall der Nichterfüllung versprochenen Vertragsstrafe. Wahrend bei jener - für die auch R. Knütel eine Bereinigungsbefugnis grundsätzlich ablehnt lSI - Riebles Einwände zuträfen 152 , weil die Strafe den Schuldner zur pünktlichen Leistung anhalten soll, dient die hier allein problematisierte Nichterfüllungsstrafe dazu, den Schuldner überhaupt zur Leistung anzuhalten. Dieser Zweck aber ist erreicht, sobald die Lei147 So der Grundgedanke der vor allem auf v. Jhering und Heck zurückgehenden Schule von der Interessenjurisprudenz. Dieser Grundgedanke lebt im heutigen Bild von der Privatrechts ...issenschaft als einer differenzierten Wertungsjurisprudenz fort; dazu eingehend lArenz, Methodenlehre, S. 49 ff., 119 ff. 148 Vgl. dazu das oben in Fn. 14 zitierte Fragment Cels.-Paul. D. 45, 1,91,3 und ausjüngster Zeit die Rechtsprechung des EuGH zum Verfall von Kautionen, die ähnlich einer Vertragsstrafe im innergemeinschaftlichen Handel versprochen werden, um die vereinbarte Durchführung von Warenbewegungen zu sichern; bei Überschreitungen mildert der EuGH die Härte des Kautionsrechts gemäß dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bis hin zur Leugnung des Verfalles überhaupt; vgl. EuGH, Slg. 1985,2889,2896; dazu R. Knütel, JuS 1996, 768, 773. 149 So R. Knütel (Fn. ll) 52; anders Schollmeyer; § 340 Anm. 1 b; Gemhuber (Fn. 136), § 34 III 4, mit der Begründung, die Ersetzungsbefugnis sei bereits existent und auch dann noch ausübbar, wenn der Schuldner die Leistung später anbietet. ISO Fn. 136; ähnlich Gemhuber (Fn. 136), § 34 III 4. ISI R. Knütel (Fn. ll), 50. IS2 Obgleich der Erftillungsdruck noch andauert, selbst wenn die Leistungsfrist nicht mehr gewahrt werden kann; vgl. BGHZ 33, 236, 238.

§ I Verzögerte Leistung und Schuldnerverzug

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stung angeboten wird. Dabei macht es keinen Unterschied, ob das Angebot bei Fälligkeit oder erst nach Eintritt des Verzuges erfolgt. Ist dieser Beugezweck aber erreicht, wäre es willkürlich und rechtsmißbräuchlich, die Strafe dennoch einzufordern. Dem widerspricht nicht, daß auch die für den Fall der Nichterfüllung versprochene Strafe bereits verfällt, sobald der Schuldner in Verzug gerät (§ 339 BGB) und nicht erst, sobald die Nichtleistung feststeht, sei es, weil der Schuldners die Erfüllung verweigert, sei es, weil die Leistung unmöglich geworden ist. Die Definition des Verfallszeitpunktes auf den Eintritt des Verzuges ist positiver Natur und keineswegs zwingend. Sie soll allein Klarheit über den genauen Zeitpunkt schaffen, von dem ab der Gläubiger die Strafe verlangen kann und der Schuldner Gefahr läuft, die Strafe leisten zu müssen 153 • Eine Aussage darüber, ob der Gläubiger, der von seinem Rechte nicht sofort Gebrauch macht, dieses weiterhin ausüben darf, nachdem der Schuldner den Verzug bereinigt hat, ist mit dieser Festlegung nicht getroffen. Auch die von Rieble behauptete Beeinträchtigung einer ,,repressiven Funktion" der Vertragsstrafe, die nach dem Verfall im Vordergrund stehe, steht der Verfallsbereinigung nicht im Wege. Denn nach der zutreffenden herrschenden Meinung wohnt der Vertragsstrafe eine solche Sühnefunktion nicht inne 154 , und Rieble bringt keine Argumente bei, um seine Ansicht zu stützen. Hätte die Vertragsstrafe tatsächlich eine Sühnefunktion, müßte sie stets verschuldensabhängig und höchstpersönlicher Natur sein; beides trifft nicht zu 155 • Zudem wäre die Verfallsbereinigung selbst dann zu bejahen, wenn der Vertragsstrafe ein solcher repressive Zweck zukäme, weil dann dem Strafaufhebungsgedanken der tätigen Reue Rechnung zu tragen wäre 156 . Nach alledem ist mit R. Knütel und den ihm folgenden Autoren 157 anzunehmen, daß der Schuldner den Verfall der für die Nichterfüllung versprochenen VertragsIS3 Im letzten Jahrhundert war umstritten, ob die Nichterfüllungsstrafe ohne weiteres bei Fälligkeit oder auf eine Mahnung des Gläubigers oder mit Eintritt des Verzuges oder erst dann unabwendbar verfallt, wenn der Schuldner bis zum Zeitpunkt der Klageerhebung nicht geleistet hat; vgl. v. Kübel, Vorentwürfe SchuldR I, S. 346 ff. m. w. N. WindscheidlKipp 11, § 285 Ziff. I, stellen auf den Willen der Vertragsschließenden ab: Nach diesem aber könne die Strafe auch erst dann verfallen sein, wenn feststehe, daß die Leistung überhaupt nicht erfolge. 1.54 H. M.; vgl. Ommann, Recht 17 (1913), 186, 191; PlancklSiber, BGB, § 340 Anm. I; Soergel/ Lindacher, BGB, vor § 339 Rn. 8. Anders Beuthien, FS fur Larenz (1973), 495, 500. ISS Dann dürfte die Vertragsstrafe nur bei Verschulden verfallen. Indes entsprach es früher noch der h. M., daß die beim Verstoß gegen eine Unterlassenspflicht verwirkte Strafe verschuldensunabhängig eintrat; vgl. Prot. Mugdan 11, S. 720; Schollmeyer, § 339 Anm. 2 c; a. A. Planck/Siber, BGB, § 339 Anm. 2 b m w. N. Heute hält man ein Verschulden regelmäßig für erforderlich; vgl. BGH NJW 1972, 1893, 1895; MünchKommlGottwald, BGB, § 339 Rn. 17. Höchstpersönlich ist die Vertragsstrafe nicht, weil sie passiv vererblich ist. Hinzu kommt, daß eine Vertragsstrafe nicht wie Geldstrafen u. ä. in der Insolvenz nur nachrangig berücksichtigt wird, § 39 Nr. 3 InsO. Vgl. dazu R. Knütel (Fn. 11), 56. 156 So zutreffend R. Knütel (Fn. 11),56. IS7 Vgl. Fn. 136.

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1. Kap.: Verletzung vertraglicher Pflichten und Obliegenheiten

strafe bereinigen kann, indem er die geschuldete Leistung anbietet, bevor der Gläubiger die Strafe verlangt hat.

2. Verfallklausel, § 360 BGB

Funktional verwandt mit Vertragsstrafen sind Verfallklauseln: Wie jene sollen auch diese als mittelbare Zwangsmittel den Schuldner zur Erfüllung anhalten 158. Eine Verfallklausel, lex commissoria, ist eine als Nebenabrede zu einem Vertrage getroffene Vereinbarung, nach welcher der Schuldner seine Rechte aus dem Vertrage verlieren soll, wenn er seine Verbindlichkeit nicht erfüllt; dabei geht es zumeist um die fristgerechte Erfüllung. Typisches Beispiel ist ein (Grundstücks)Kaufvertrag, der hinfällig werden soll, wenn der Käufer den vereinbarten Kaufpreis nicht bis zu einem festgesetzten Zeitpunkt beglichen hat; häufig sind auch Vergleiche, in denen der Gläubiger auf einen Teil seiner Forderungen verzichtet und dem Schuldner bezüglich des Restes Ratenzahlung einräumt, in denen zugleich aber vereinbart wird, daß der Erlaß hinfällig werden und die gesamte Forderung wieder aufleben soll, sobald der Schuldner mit der Zahlung einer Rate in Verzug gerät. Obwohl eine solche Vereinbarung ihrem Wortlaut nach als auflösende Bedingung erscheint, so daß der Schuldner seiner Rechte mit Eintritt der Bedingung ipso iure verlustig gehen müßte, bestimmt § 360 BGB, daß "der Gläubiger bei dem Eintritte dieses Falles zum Rücktritt von dem Vertrage berechtigt" sei 159. Hinter dieser den Wortlaut der Abrede modifizierenden Bestimmung steht der Zweck der lex commissoria I 60: Da diese als Druckmittel zugunsten des Verkäufers bedungen wird, darf es nicht der Schuldner in der Hand haben, den Vertrag zu Fall zu bringen, indem er nicht leistet l61 • Der Schuldner könnte hieran zum Beispiel ein Inter158 Vgl. Bötlicher, ZfA 1 (1970),3,39; ErmanlWestermann, BGB, § 339 Rn. 8. Anders die differenzierten Verfallklauseln im Versicherungsrecht (z. B. §§ 7 AKB, 15 ARB). Diese sanktionieren nach h. M. die Verletzungen von bloßen Obliegenheiten, nicht von Rechtspflichten, vgl. PrölsslMartin, VVG26 , § 6 Rn. 4 ff. Zu den Bereinigungsmöglichkeiten bei solchen Obliegenheitsverletzungen siehe unten § 3 IV. 159 Eine gesetzliche Ausnahme findet sich in § 112 a Abs. 2 GenG: Hat der Insolvenzverwalter mit einern Genossen einen Vergleich über von diesem zu leistende Nachschüsse vereinbart, so wird dieser Vergleich ipso iure hinfalIig, wenn der Genosse in Verzug gerät; vgl. K. Müller, GenG, § 112 a Rn. 6. Gleiches gilt nach § 255 InsO für Stundungen oder Erlasse, die im gestaltenden Teil des Insolvenzplans festgelegt wurden, wenn der Schuldner mit der Erfüllung des Plans erheblich in Rückstand gerät. Freilich können die Parteien § 360 BGB auch rechtsgeschäftlich abbedingen und eine echte Resolutivbedingung vereinbaren. 160 Die Bestimmung geht auf die römischrechtliche Interpretation der lex commissoria beim Kaufvertrage zurück, nach welchem dieser wegen verspäteter Zahlung des Kaufpreises nur dann aufgelöst sein solle, wenn der Gläubiger dies wolle; vgl. Pomp. D. 18, 3, 2; Windscheidl Kipp 11, § 323 Ziff. 2. Dieser Gedanke galt der I. Kommission als allgemeines Prinzip und wurde deshalb in § 360 BGB festgeschrieben. 161 So bereits Pomp. D. 18,3,2 mit der Überlegung, daß ein Käufer durch bloße Nichtzahlung einen Kaufvertrag über ein Hausgrundstück zu Fall bringen könne, wenn nach Abschluß

§ 1 Verzögerte Leistung und Schuldnerverzug

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esse haben, wenn sich der Vertragsschluß nachträglich als für ihn nachteilig erweist. Es stellt sich somit auch hier die Frage, ob der Gläubiger auch dann noch vom Hauptvertrage zurücktreten kann, wenn der Schuldner die Leistung nachträglich noch anbietet. Dem Problem wurde in Schrifttum und Rechtsprechung bisher wenig Aufmerksamkeit gewidmet; wo dies geschah, sind die Meinungen geteilt 162 . Da sich dem Wortlaut des Gesetzes eine Antwort nicht entnehmen läßt, muß diese mittels Auslegung gefunden werden 163 . Wir haben es wieder mit einem Problem der Verzugsbereingung zu tun, das es nach den bereits dargestellten Grundsätzen zu lösen gilt, also unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck einer Verfallklausel sowie der Interessen von Gläubiger und Schuldner. Der Zweck der lex commissoria könnte einer Verfallsbereingung allerdings entgegenstehen. Durch die Vereinbarung einer Verfallklausel soll der Schuldner wie bei der für den Fall nicht gehöriger Erfüllung verabredeten Vertragsstrafe weniger zur Leistung überhaupt, sondern vielmehr zu gehöriger oder zu pünktlicher Erfüllung angehalten werden. Diese Zwangswirkung könnte abgeschwächt werden, wenn der Schuldner sich von vornherein Hoffnungen auf eine Bereinigung machen würde 164. Letzteres ist nicht auszuschließen 165; doch steht kaum zu befürchten, daß der Schuldner darum weniger eifrig um pünktliche Erfüllung bemüht sein wird. Denn weil er damit rechnen muß, daß der Gläubiger von seinem Rücktrittsrecht sofort nach Ablauf der vereinbarten Leistungszeit Gebrauch macht, wird er nach Kräften versuchen, rechtzeitig zu leisten. Doch kann und braucht dies hier nicht abschließend· geklärt zu werden, denn eine solche Beeinträchtigung der Beugefunktion wäre allenfalls gering und würde durch das besondere Schutzbedürfnis des Schuldners aufgewogen werden. Diesen trifft der völlige Rechtsverlust l66 durch den Rücktritt des Gläubigers besonders hart; darum ist beispielsweise anerkannt, daß der Gläubiger geringe Fristüberschreitungen und andere unbedeutende Verstöße mehr als üblich in Kauf zu nehdes Kaufvertrages (also nach dem Zeitpunkt, von dem ab in Rom der Käufer die Gefahr trug; periculum est emptoris) das Haus infolge Zufalls abgebrannt sei. 162 Für eine Verfallsbereinigung grundlegend R. Knütel, JuS 1981, 875, 876 ff., jedoch unter dem Vorbehalt, daß das Interesse des Gläubigers der Leistung nicht weggefallen ist; ebenso Soergel/ Hadding, BGB, § 360 Rn. 4 und für das gemeine Recht Windscheid/ Kipp 11, § 323 Anm. 14 a. Dagegen BGH WM 1979, 422. 163 Vgl. RG WarnR 1927 Nr. 67; Staudinger/Kaduk, BGB lOfll , § 360 Rn. 6 f., die betonen, daß bei der Frage nach den Rechtsfolgen nicht pünktlicher Erfüllung angesichts der Schwere der Rechtsfolge Treu und Glauben besonders zu beachten seien. 164 So Staudinger / Rieble, BGB 13, § 339 Rn. 21 (zur Verfallsbereinigung bei der Vertragsstrafe). 165 Treffend bemerkt La Rochefoucauld, Maxime 515 (Ed. de la Pleiade): "L'esperance et la crainte sont inseparables, et il n'y a point de crainte sans esperance, ni d'esperance sans crainte. .. 166 Zwar besteht auch im Bereich der Verfallklauseln analog § 343 BGB grundsätzlich ein richterliches Errnäßigungsrecht. Dieser Schutzmechanismus versagt jedoch, wenn es sich um unteilbare Leistungen wie den Kauf einer Sache handelt, und dies ist oft der Fall.

l. Kap.: Verletzung vertraglicher Pflichten und Obliegenheiten

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men hat 167 . Auch wird dem Gläubiger allgemein wegen des Gewißheitsinteresses des Schuldners nur eine kurze Frist zugebilligt, innerhalb derer der Rücktritt wirksam ausgeübt werden kann 168 . Von besonderem Interesse ist in diesem Zusammenhang Art. 1656 CC, nach weIchem der Käufer eines Grundstückes, selbst wenn eine Vertragsauflösung de pie in droit nach Verstreichen des Zahlungstermins vereinbart war, den Kauf auch nach Verstreichen des Termins noch am Leben erhalten kann, sofern er zahlt, solange ihm keine sommation, also keine förmliche Mahnung, zugegangen ist. Noch weitergehend ist die Bereinigungsmöglichkeit des Käufers in Chile: Haben die Parteien vereinbart, daß der Vertrag sich ipso facto auflösen solle, wenn der Käufer den Preis nicht binnen einer festgesetzten Frist zahlt (pacto comisorio calificado), wird der Vertrag nicht von selbst hinfällig. Vielmehr kann der Verkäufer gern. Art. 1879 CC Chile lediglich die Auflösung des Vertrages verlangen. Der Käufer kann dieses Verlangen nicht nur durch schnelle Nachzahlung, sondern noch dann entkräften, wenn er innerhalb von 24 Stunden nach gerichtlicher Notifikation den Kaufpreis zah1t 169 .

Dem Bereinigungsinteresse des Schuldners steht regelmäßig kein berechtigtes Lösungsinteresse des Gläubigers gegenüber. Denn zumeist wird die lex commissoria zugunsten des Verkäufers oder zugunsten des Geidgläubigers 170 vereinbart, um pünktliche Zahlung zu erreichen. Das Interesse des Gläubigers an der Geldleistung entfällt aber durch deren Verspätung nicht. Auch das Interesse des Gläubigers, feste Termine zu schaffen und klare Verhältnisse zu gewinnen 171, steht der Verfallsbereinigung nicht entgegen. Der Gläubiger kann Klarheit schaffen, indem er unverzüglich nach Fristablauf den Rücktritt erklärt; dies ist ihm auch zuzumuten, weil er wegen des Gewißheitsinteresses des Schuldners gehalten ist, sich rasch zu entscheiden. Schließlich ist eine Verfallsbereinigung auch nicht durch die Sonderregel des § 355 BGB ausgeschlossen. Diese begründet vielmehr nur eine Möglichkeit des Schuldners, den Schwebezustand zu beenden, und schließt andere Möglichkeiten nicht aus l72 . Nach alldem ist eine Bereinigungsbefugnis des Schuldners auch bei der Vereinbarung einer Verfallklausel grundsätzlich anzuerkennen: Der Schuldner kann, in167

Vgl. KG OLGE 22, 162.

RG Gruchot 47,398 (6 Tage); RG JW 1908,234 f.; RGZ 142,268,275; Soergel/Hadding, BGB, § 360 Rn. 4. Nach römischen Recht mußte der Gläubiger sich gar sofort (statim) entscheiden: Pap.-Ulp. D. 18,3,4,2. 169 Art. 1879 CC Chile: " ... el comprador podra, sin embargo, hacerlo subsislir, pagando el precio, 10 mtis tarde, en las veinlicualro horas subsiguienles a la nOlificati6n judicial de la demanda. " 170 In Rom war die lex commissoria nur als Nebenabrede zum Kauf und zur Verpfändung ("Verfallpfand") bekannt. Letztere wurde durch Konstantin anno 320 (CTh 3, 2, I) untersagt, und dieses Verbot lebt heute in den §§ 1149, 1229, 1277 BGB als einer der "sozialen Tropfen", mit denen das BGB schon anfangs gesalbt war, fort. Um hingegen Druck auf den Sachschuldner auszuüben, vereinbart man eine Vertragsstrafe oder ein Fixgeschäft. 171 Vgl. RG JW 1929, 1384; BGH NJW 1980, 1043, 1044. 168

172

So auch R. Knütel (Fn. 162),879; anders Planck/Siber; BGB, § 326 Anm. I 6.

§ 1 Verzögerte Leistung und Schuldnerverzug

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dem er dem Gläubiger die geschuldete Leistung nach Fristablauf, aber vor der Erklärung des Rücktritts, noch anbietet, das Rücktrittsrecht zu Fall bringen. Der Fortbestand des Andienungsrechts steht allein unter dem Vorbehalt, daß das Interesse des Gläubigers an der Leistung nicht wegen der Verspätung weggefallen ist oder daß der Sinn der Verfallsabrede eine strengere Handhabung von Fristüberschreitungen rechtfertigt.

v. Ergebnis Die Frage, wie sich das Ende der Leistungsverzögerung oder des Verzuges durch ein nachträgliches Angebot des Schuldners auf den Fortbestand verzugsbedingter Gestaltungsrechte auswirkt, kann nicht einheitlich beantwortet werden. Doch gilt der Grundsatz, daß das noch nicht ausgeübte Gestaltungsrecht erlischt, wenn nicht der Gläubiger infolge des Verzuges sein Interesse am Erhalt der Leistung oder am Austausch der Leistungen verloren hat: So ist eine Verzugsbereinigung immer möglich, wenn Geld geschuldet wird, denn an Geld verliert der Gläubiger sein Interesse nicht. Ausdrücklich regeln dies §§ 554 BGB, 39 VVG, 19 WEG und mittels Auslegung ergibt sich dasselbe bei §§ 455, 626 BGB, 12, 13 VerbrKrG. Wird die Überlassung der Mietsache oder die Herstellung eines Werkes geschuldet, kann der Schuldner, indem er nachträglich anbietet, das Kündigungsrecht gemäß § 542 BGB oder das Rücktrittsrecht gemäß §§ 636, 634, 327 BGB abwehren, das dem Gläubiger nach Ablauf der Abhilfefrist aus der Verzögerung erwachsen war, indem er nachträglich anbietet. Ähnlich kann der Schuldner den Verfall der für die Nichterfüllung versprochenen Vertragsstrafe bereinigen und das Rücktrittsrecht aus einer Verfallklausel, § 360 BGB, durch eine nachträgliche Offerte zu Fall bringen. Dagegen kann der Schuldner die gemäß §§ 286 Abs. 2, 326 Abs. 2, 542 Abs. 1, 636 Abs. 1 BGB aufgrund eines verzögerungsbedingten Interessewegfalls erwachsenen Gestaltungsrechte durch ein nachträgliches Angebot nicht beseitigen. Vielmehr kann der Gläubiger die angebotene Leistung ablehnen oder sich vom Vertrage lösen, auch nachdem der Schuldner die Leistung angeboten hatte; doch muß der Gläubiger unter Umständen dem Schuldner den Vertrauensschaden ersetzen, den dieser dadurch erlitten hat, daß er auf die Abnahme der geschuldeten Leistung vertraut hat. Weiter kann der Schuldner dem Gläubiger ausnahmsweise das verzugsbedingte Gestaltungsrecht nicht aus der Hand schlagen, wenn dies - wie etwa bei § 25 DepotG - dem Zweck der Norm oder - wie zum Beispiel beim Fixgeschäft - der Parteiabrede zuwiderläuft. Bei § 326 Abs. 1 BGB schließlich ist eine Verzugsbereinigung nach Fristablauf grundsätzlich nicht möglich, weil die Primärverbindlichkeit mit Fristablauf erloschen ist.

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1. Kap.: Verletzung vertraglicher Pflichten und Obliegenheiten

§ 2 Gläubigerverzug, §§ 293 tT. BGB I. Problem

Nimmt der Gläubiger die ihm ordnungsgemäß angebotene Leistung nicht an, so gerät er in Annahmeverzug. Dieser verändert - ähnlich dem Schuldnerverzug das Schuldverhältnis und gewährt dem Schuldner verschiedene Ansprüche und Rechte. Von Bedeutung sind vor allem die erleichterte Haftung nur für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit, § 300 Abs. I BGB, der Übergang der Leistungsgefahr bei Gattungsschulden, § 300 Abs. 2 BGB, sowie der Übergang der Preisgefahr, § 324 Abs. 2 BGB l . Besondere Wirkungen zeitigt der Annahmeverzug des Dienstberechtigten: Dieser muß nach § 615 BGB die infolge des Verzuges nicht geleisteten Dienste vergüten, ohne deren Nachholung verlangen zu können. Im Werkvertragsrecht kann der Unternehmer eine Entschädigung verlangen und von dem Vertrage zurücktreten, wenn der Besteller eine Mitwirkungshandlung unterläßt, die zur Herstellung des Werkes erforderlich ist, §§ 642 f. BGB; gleiches gilt nach § 9 Nr. 1,2 VOB IB. Beendet der Gläubiger seinen Verzug, indem er das Versäumte nachholt, so fragt sich, wie dies Verzugsende sich auf die bereits eingetretenen Folgen auswirkt. Sicher ist, daß diejenigen Folgen, die bereits ihrem Wortlaut nach den Fortbestand des Annahmeverzuges voraussetzen, ex nunc enden: die Preisgefahr fällt auf den Schuldner zurück, § 324 Abs. 2 BGB, und die Haftungserleicherung des § 300 Abs. 1 BGB erlischt. Gleiches gilt für die Erleichterungen und Rechte der §§ 301, 302, 303, 372, 383 BGß. Zweifelhaft ist aber, ob auch die Leistungsgefahr, die gemäß § 300 Abs. 2 BGB bereits auf den Gläubiger übergangen war, wieder auf den Schuldner zurückfallen kann. Die Frage hat bisher wenig Beachtung gefunden, doch wer sie aufgeworfen hat, hat sie wie selbstverständlich vemeint2 • Dies bedarf der Überprüfung (dazu unter TI.). Weiter untersucht werden soll, ob auch der Besteller, indem er die zur Herstellung des Werkes erforderliche Mitwirkungshandlung, § 642 BGB, nach Ablauf der Nachfrist nachholt, den Unternehmer zur Erfüllung des Vertrages bestimmen kann (dazu unter Ill.).

1 Darüber hinaus kann der Schuldner verzugs bedingte Mehraufwendungen ersetzt verlangen, § 304 BGB, und hat das Recht, sich der geschuldeten Sache zu entledigen, bei Grundstücken durch Besitzaufgabe, § 303 BGB, bei beweglichen Sachen durch Hinterlegung oder Versteigerung, §§ 372, 383 BGB, 373 HGB. Ferner braucht der Schuldner während des Gläubigerverzuges geschuldete Zinsen oder Nutzungen nicht oder nur beschränkt herauszugeben, §§ 301 f. BGB. 2 Planck/Siber, BGB, § 304 Anm. 3 b; Staudinger/Löwisch, BGB l3 , § 293 Rn. 32.

§ 2 Gläubigerverzug

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11. Gefahrübergang, § 300 Abs. 2 BGB, und nachträgliche Annahmebereitschaft Unser Problem sei wie folgt illustriere: K kauft von V eine Partie Tropenholz, abzurufen und abzunehmen bis Ende März 1998. Bis zum 1. April 1998 tut K jedoch trotz Aufforderung durch V nichts dergleichen. Am 10. April meldet sich K bei V und kündigt an, er werde zum 15. April vorbeikommen und die Partie abholen. Als K an diesem Tag das Lager des V aufsucht, findet er es verschlossen vor und muß ohne Holz heimfahren. V hatte die Verabredung vergessen und war kurzfristig verreist; ausgesondert hatte er die Partie nicht. In der folgenden Nacht vernichtet ein Brand das Lager mitsamt allen Hölzern. V lehnt es daraufhin ab, den Vertrag zu erfüllen, denn aufgrund von Ausfuhrbeschränkungen sind die Preise für Tropenholz stark gestiegen; K hingegen besteht auf Lieferung. Zu Recht? K geriet in Annahmeverzug, nachdem er trotz Terminsbestimmung und der Aufforderung des V bis Ende April die Partie Holz nicht abgenommen hatte, §§ 295, 296 BGB. Durch den Annahmeverzug ist die Leistungsgefahr gemäß § 300 Abs. 2 BGB auf K übergegangen. Dies gilt unabhängig davon, ob V erfüllungstaugliche Hölzer ausgesondert und damit die Konkretisierung der Gattungsschuld gemäß § 243 Abs. 2 BGB herbeigeführt hat oder nicht. Nach h. M. setzt der Gefahrübergang gern. § 300 Abs. 2 BGB allerdings die Aussonderung voraus, weil anders die Gattungsschuld nicht zur Stückschuld werden kann, dies aber notwendige Voraussetzung für das Unmöglichwerden nach § 275 BGB ist4 . Diese h. A. führte im Beispielfall ebensowenig wie in den Fällen der sog. "Sarnmelaussonderung"S zu sachgerechten Ergebnissen. Der Schuldner muß so stehen, wie er stünde, wenn sich der Gläubiger zur Annahme der angebotenen Leistung verstanden hätte: In unserem Beispiel hätte der Schuldner beim Erscheinen des Gläubigers die Hölzer ausgesondert und übereignet, wäre also befreit. Wenn der Gläubiger nicht erscheint, kann nichts anderes gelten, auch wenn der Schuldner die Hölzer nicht ausgeschieden hat. Denn warum sollte er? Um höherer Gewalt vorzubeugen? Verpflichtet ist der Schuldner zur Ausscheidung jedenfalls nicht, und solches zu verlangen, widerspräche der Vernunft, der Verkehrssitte, ist unzumutbar und vor allem unnötig. Möglich und nach dem Grundgedanken der Regelung allein geboten ist die Annahme, daß der Gefahrübergang, den § 300 Abs. 2 BGB meint, der GefahTÜbergang von der Gattung auf diejenige Menge ist, aus welcher der Schuldner zu leisten bereit war, daß also im Beispie\sfall aus der Gattungsschuld eine Vorratsschuld geworden ist. Ausdrücklich ordnete dies an Art. 310 S. 2 des Dresdener Entwurfs6 ; entsprechendes vertraten F. Mommsen 7 und v. Jhe-

3

Vgl. RGZ 57,402 ff.

Vgl. Mot. Mugdan 11, S. 41; Prot., a. a. 0., S. 540 f.; RGZ 57, 403, 404; BGH WM 1975, 917,920; Staudinger/Löwisch, BGB 13 , § 300 Rn. 17; Soergel/Wiedemann, BGB, § 300 Rn. 15; Palandt/Heinrichs, BGB, § 300 Rn. 4; Huber, FS f. Ballerstedt, S. 327,339; Esser/ Schmidt, Schuldrecht AT 11 § 23 I 2; Medicus, JuS 1966, 297, 302 Fn. 31. S Dazu Fischer, JherJb 51 (1907), 159,234 ff.; Larenz. SchuldR AT, § 25 11 e. 6 Art. 310 des Dresdener Entwurfes lautet: "Ist der Gläubiger in Verzug, so wird der Schuldner im Falle einer während des Verzuges eingetretenen zufälligen Unmöglichkeit der 4

5 KnUtei

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1. Kap.: Verletzung vertraglicher Pflichten und Obliegenheiten

rinl; in jüngerer Zeit verfechten allein Schröde,!l und Larenz lO dies Verständnis des § 300 Abs. 2 BGB. Die h. A. hingegen stolpert über die Dogmatik des Unmöglichkeitsrechtes und findet nicht den Weg zu einer interessengerechten Lösung.

Dem Gefahrübergang steht nicht entgegen, daß § 300 Abs. 2 BGB seinem Wortlaut nach voraussetzt, daß die Sache selbst angeboten worden ist. Die Interessenlage gebietet es, die Erleichterungen der §§ 295, 296 BGB wie auf die Grundregel des § 293 BGB so auch auf § 300 Abs. 2 BGB anzuwenden 11 • Der Annahmeverzug des K endete am 15. April, als dieser vergeblich die Partie Holz abzuholen versuchte. Ferner hätte K, um den Gläubigerverzug zu beenden, dem V nicht anbieten müssen, die gemäß § 304 BGB geschuldeten Mehraufwendungen - wie etwa zusätzliche Lagerkosten zu ersetzen. Dies wird jedoch vielfach ohne weiteres 12 und zum Teil jedenfalls für den Fall gefordert, daß der Schuldner den Ersatz verlangtl3. Beide Auffassungen gehen fehl, weil der Annahmeverzug endet, sobald die Nichtleistung nicht mehr im Verhalten des Gläubigers ihre Ursache hat. Dies aber ist bereits mit dem Nachholen des Versäumten, hier also dem Abholen, der Fall 14. Zudem ist die Notwendigkeit eines solchen Angebots dem allgemeinen Rechtsbewußtsein fremd; die 2. Kommission hat daher die entsprechende Bestimmung des E I § 262, der für die. Bereinigung des Gläubigerverzuges das Angebot zum Ersatz der Mehraufwendungen forderte, als "bedenklich" gestrichen lS . Verlangt der Schuldner die Mehraufwendungen und der Gläubiger bietet sie nicht an, gerät er allerdings gern. §§ 273 Abs. 2, 298 BGB erneut in Annahmeverzug l6 .

Ob durch das Ende des Annahmeverzuges auch die Leistungsgefahr wieder auf V zurückgefallen ist, ob dieser also erst durch den Untergang der gesamten Gattung und nicht schon durch den Untergang der bereitgehaltenen Stücke von seiner Erfüllung von der Verbindlichkeit befreit, ohne daß der Gläubiger, falls er zu einer Gegenleistung verbunden ist, sich dieser entziehen kann. Dies gilt auch dann, wenn Sachen aus einer Gattung zu leisten sind und die Menge, aus welcher der Schuldner zu erfüllen sich bereit erklärt hat, durch Zufall untergegangen ist." Siehe dazu auch v. Kübel, Vorentwürfe SchuldR I, S.919f. 7 Die Lehre von der Mora, S. 299, mit Hinweis auf Mare. D. 46, 3, 72 pr. 8 JherJb 4 (1861), 36\, 434 f.; ebenso Fischer. JherJb 51 (1907), 159,234 ff. 9 MDR 1973,466,467. 10 SchuldR AT, § 25 11 e. 11 Str.; wie hier Schröder. MDR 1973,466,467; Larenz, SchuldR AT, § 25 11 b; Palandt/ Heinrichs, BGB, § 300 Rn. 4; MünchKomm/Thode, BGB, § 300 Rn. 4. A. A. Oertmann I, § 300 Anm. 3 b m. w. N.; StaudingerlLöwisch, BGB 13 , § 300 Rn. 20 (nur für § 296 BGB). 12 So Enneccerus/Lehmann, § 59 Anm. 3; Staudinger/Löwisch, BGB 13 , § 293 Rn. 9; RGRK/Alff, BGB, § 293 Rn. 9. 13 ErmanlBattes, BGB, vor § 293 Rn. 14; Soergel/Wiedemann, BGB, § 293 Rn. 16. 14 MünchKommI Thode, BGB, § 293 Rn. 12; Palandt/Heinrichs, BGB, § 293 Rn. 12; zu dem entsprechenden Problem beim Schuldnerverzug siehe oben § 1 III. a.A. IS Prot. Mugdan 11, S. 541. 16 So zutreffend Schollmeyer I, vor §§ 293 ff. a. E.

§ 2 Gläubigerverzug

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Beschaffungspflicht frei werden konnte, bleibt zu prüfen; maßgeblich sind der Sinn des Gefahrübergangs sowie die Interessen von V und K 17 • Dogmatische Bedenken gegen einen solchen Rückfall bestehen nicht; auch die Konkretisierung nach § 243 Abs. 2 BGB kann grundsätzlich rückgängig gemacht werden l8 . Der Wortlaut des § 300 Abs. 2 BGB ist in dieser Hinsicht offen; die Problematik ist ähnlich derjenigen der Bereinigung des Schuldnerverzuges eine des bonum et aequum l9 . § 300 Abs. 2 BGB enthebt den Gattungsschuldner vorzeitig des Beschaffungsrisikos, weil ihm die durch den Gläubiger verursachte Verzögerung der Erfüllung nicht zum Nachteil gereichen so1l20. Der Schuldner soll vielmehr so gestellt werden, wie wenn sein Erfüllungserbieten Erfolg gehabt hätte und die Gefahr auf den Gläubiger übergegangen wäre. Diese Begünstigung verliert Sinn und Berechtigung, sobald die Verzögerung nicht mehr dem Gläubiger, sondern dem Schuldner anzulasten ist. Dies aber ist der Fall, wenn der Gläubiger, wie im Beispielsfall, sein Versäumnis nachholt und der Schuldner in zu vertretender Weise nicht leistungsbereit ist. Zwar bleibt der vormalige Annahmeverzug - also das Versäumnis des Gläubigers - nach der Äquivalenztheorie kausal dafür, daß die geschuldete Sache dem Gläubiger nicht oder nicht unversehrt übergeben werden kann. Doch ist nicht diese Kausalität entscheidend, sondern die Frage, wem die verspätete Erfüllung nunmehr billigerweise zur Last zu legen ist. Zur Last zu legen ist sie dem Schuldner, wenn er den nachmaligen Erfüllungsversuch schuldhaft 21 vereitelt hat. Denn sein Verschulden kompensiert das Versäumnis des Gläubigers; es wiegt sogar stärker, wenn eine bloße objektive Pflichtverletzung den Annahmeverzug ausgelöst hatte. War der Schuldner hingegen schuldlos gehindert zu erfüllen, ist es nicht gerechtfertigt, ihn wieder die Gefahr tragen zu lassen.

Berechtigte Interessen des Schuldners werden nicht verletzt. Dem Schuldner ist zuzumuten, ein weiteres Mal erfüllungstaugliche Gegenstände zu beschaffen, ohne 17 Wäre freilich die Schuld des V bereits nach § 243 Abs. 2 BGB konkretisiert, könnte die Gefahr nicht durch eine Heilung des Gläubigerverzuges, sondern allein dadurch auf den Schuldner zurückfallen, daß dieser die Konkretisierung rückgängig macht. 18 V gl. zum Streitstand, ob die Konkretisierung einseitig durch den Schuldner aufhebbar ist Medicus, JuS 1966, 297 ff. (bejahend) einerseits und Huber, FS f. Ballerstedt, S. 327 ff. (verneinend) andererseits, jeweils rn. w. N. Hervorzuheben ist, daß Huber die Konkretisierung der Holschuld anders als Medieus erst mit der vollständigen Erbringung der Leistungshandlung und nicht bereits dann eintreten lassen will, wenn die Sache ausgeschieden und der Gläubiger benachrichtigt worden ist. Huber lehnt die Rückgängigmachung der Konkretisierung nicht aus dogmatischen, sondern aus historischen Gründen und wegen der Interessenlage ab. 19 Vgl. Mare. D. 46, 3, 72 pr. 20 Zu diesem allgemeinen Grundsatz siehe F. Mommsen, S. 299; v. Kübel, Vorentwürfe SchuldR I, S. 919. 21 Maßstab sind §§ 276, 278 BGB; § 300 Abs. 1 BGB ist nicht einschlägig, weil er nur die Haftung für die Verschlechterung oder den Untergang der Sache, nicht aber die Pflicht zur Erfüllung beschränkt; vgl. Staudinger/Wemer, BGB lO/11 , § 300 Rn. 5.

1. Kap.: Verletzung vertraglicher Pflichten und Obliegenheiten

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für die untergegangenen Entgelt verlangen zu können 22 . Die culpa des Schuldners kompensiert den Gläubigerverzug. Hatte der Schuldner die Säumnis nicht nur zu vertreten, sondern gerät er gleichzeitig in Verzug - was regelmäßig der Fall sein dürfte -, so kommt dem Schuldner der Rückfall der Gefahr sogar entgegen. Trägt der Schuldner wieder die Gefahr, ist die Leistung nicht unmöglich geworden, der Erfüllungsanspruch bleibt bestehen und der Schuldner kann sich befreien, indem er Ersatz beschafft und mit diesem erfüllt. Hätte hingegen der Gläubiger die Gefahr zum Zeitpunkt des zufälligen Untergangs getragen, wäre der Erfüllungsanspruch erloschen, §§ 300 Abs. 2, 275 BGB; an seine Stelle wäre die Verpflichtung des Schuldners getreten, Schadensersatz wegen Nichterfüllung zu leisten, §§ 325, 287 BGB. Die Schadensersatzpflicht aber kann dem Schuldner - anders als die Erfüllung - regelmäßig wirtschaftlich nur zum Nachteil gereichen. Auch Gläubigerinteressen sind durch den Rückfall der Gefahr nicht verletzt; dem Gläubiger bleibt mit dem Erfüllungsanspruch alles, was er verlangen kann. Die Gefahr ist nach § 300 Abs. 2 BGB allein im Interesse des Schuldners übergegangen und begründet keine Rechtsposition, die der Gläubiger für sich reklamieren könnte. Dies gilt auch, wenn der Schuldner die zur Erfüllung gedachten Stücke bereits ausgesondert hatte, denn der Schuldner ist an diese Aussonderung jedenfalls solange nicht gebunden, als sie nicht zu einer Konkretisierung nach § 243 Abs. 2 BGB geführt hat 23 • Nach alledem ist festzuhalten, daß die Leistungsgefahr des Gattungsschuldners, die durch den Gläubigerverzug gemäß § 300 Abs. 2 BGB auf diesen übergegangen war, auf den Schuldner zurückfällt, wenn der Gläubiger das Versäumte nachholt und der Schuldner in zu vertretender Weise nicht leistungsbereit ist.

IH. Annahmeverzug des Bestellers . und nachträgliche Mitwirkung Bedarf es bei der Herstellung eines Werkes einer Mitwirkungshandlung des Bestellers, wie etwa des Modellsitzens für ein Porträt, und kommt der Besteller mit dieser Handlung in Verzug, kann der Unternehmer dem Besteller eine angemessene Frist mit der Erklärung setzen, daß er von dem Vertrage zurücktrete, wenn nicht die Handlung innerhalb der Frist vorgenommen werde, § 643 Abs. 1 BGB. Entsprechendes bestimmt § 9 Nr. 1 a, 2 VOB I B: Der Auftragnehmer kann vom Vertrag zurücktreten, wenn der Auftraggeber eine zur Ausführung notwendige, ihm obliegende Mitwirkungshandlung unterlassen hatte, und wenn er, der Auftraggeber, eine daraufhin gesetzte Nachfrist fruchtlos hatte verstreichen lassen. Doch wirkt sich der Fristablauf nach heiden Regelungen unterschiedlich aus: Zumal der Schuldner in den meisten Fällen versichert sein wird. So zutreffend Oertmann I, § 300 Anm. 3 a, b. A. A. Staudinger / Löwisch, BGB 13, § 300 Rn. 18. 22 23

§ 2 Gläubigerverzug

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1. § 643 BGB Nach der Regelung des § 643 S. 2 BGB gilt der Vertrag nach fruchtlosem Verstreichen der Frist für die Zukunft24 als aufgehoben; einer gesonderten Erklärung des Unternehmers bedarf es nicht. Die Vorschrift wurde erst von der 2. Kommission aus der Erwägung heraus eingefügt, daß der Besteller, wenn er im Annahmeverzuge sei, dem Unternehmer nicht zumuten könne, sich auf unbestimmte Zeit zur Ausführung des Werkes bereitzuhalten. Vielmehr rechne der Unternehmer darauf, das Werk in angemessener Zeit herzustellen und dann wieder freie Hand in der Verfügung über seine Arbeit und seine Einrichtungen zu bekommen 25 . Eine ähnliche Frage, wie sie sich bereits bei den Bestimmungen der §§ 326, 542, 636 BGB gestellt hatte, ob nämlich der Unternehmer unter Umständen doch noch zur Ausführung verpflichtet sein kann, wenn der Besteller die Leistung nach Fristablauf, aber vor der Erklärung des Rücktritts noch nachholt, ist entsprechend zu beantworten. Wenn auch wegen der rechtsgestaltenden Wirkung des Fristablaufs eine Verzugsbereinigung im engeren Sinne ausgeschlossen ist, so kann doch das Berufen auf den Fristablauf eine unzulässige Rechtsausübung sein: vorausgesetzt, daß die Fristüberschreitung geringfügig war und daß der Unternehmer kein besonderes Interesse am Abgehen vom Vertrage hatte. Ein solches Interesse bestünde, wenn der Unternehmer seine Arbeitskraft bereits anderweitig verplant oder versprochen hätte.

2. § 9 Nr. 1 a, 2 VOB/B Anders liegt es nach § 9 Nr. 1 a, 2 VOB/B. Auch hier kann der Auftragnehmer den Auftraggeber eine Frist zur Vornahme einer diesem obliegenden Handlung setzen. Doch ist der Bauvertrag nicht ohne weiteres mit Fristablauf aufgehoben, sondern es bedarf zusätzlich einer Rücktrittserklärung des Auftragnehmers 26 . Darum ist entsprechend den Grundsätzen zur Bereinigung des Schuldnerverzuges 27 zu entscheiden: Holt der Auftraggeber die ihm obliegende Handlung zwar nach Ablauf der Frist, aber vor der Erklärung des Rücktrittes nach, so entfallt das Rücktrittsrecht. Dies gilt jedoch nicht, wenn der Auftragnehmer infolge der Verzögerung sein Interesse daran verloren hat, das Bauwerk zu vollenden; so etwa, wenn der Auftragnehmer nach Ablauf der Frist - und vorsichtshalber vor der Kündigung -

24 Für die Vergangenheit kann der Unternehmer die Ansprüche aus § 642 Abs. 1 BGB geltend machen; nach Fristablauf dagegen nicht mehr, weil das Schuldverhältnis erloschen ist; vgl. StaudingerlRiedel, BGB ll , § 643 Rn. 6 m. w. N. 2.'5 So Prot. Mugdan 11, S. 931. Die Vorschrift ist gleich den §§ 326 Abs. 1,634 Abs. 1,636 Abs. 1 BGB ein Ausdruck des Grundsatzes frangenti fidem fides frangitur eidem; vgl. § 1 II. 26 Siehe nur lngenstaul Korbion, VOB I B, § 9 Rn. 47. 27 Dazu § 1 III.

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1. Kap.: Verletzung vertraglicher Pflichten und Obliegenheiten

bereits mit einem Dritten einen Vertrag geschlossen hat, der seine, des Auftragnehmers, Kapazitäten erschöpft. IV. Ergebnis Ist die Leistungsgefahr bei Gattungsschulden infolge des Gläubigerverzugs gemäß § 300 Abs. 2 BGB auf den Gläubiger übergegangen, so fällt sie auf den Schuldner zurück, wenn der Gläubiger das Versäumte nachholt und der Schuldner wegen eines Umstandes, den er zu vertreten hat, nicht leistungs bereit ist. Wenngleich der Werkvertrag als aufgehoben gilt, wenn der Besteller eine ihm vom Unternehmer gesetzte Frist zur Mitwirkung bei der Herstellung des Werkes tatenlos hat verstreichen lassen, so kann das Berufen auf den Fristablauf unzulässig sein, wenn die Fristüberschreitung gering war und der Unternehmer kein besonderes Interesse daran hat, sich vom Vertrag zu lösen. Hat der Auftragnehmer dem Auftraggeber dagegen gemäß § 9 Nr. 1 a, 2 VOB / B eine Frist zur Vornahme einer Mitwirkungshandlung gesetzt, so kann der Auftraggeber die Handlung solange nachholen, wie nicht der Auftragnehmer den Rücktritt erklärt hat, es sei denn, der Auftragnehmer hat infolge der Verzögerung sein Interesse daran verloren, den Vertrag zu erfüllen.

§ 3 Andere Verletzungen vertraglicher Pflichten und Obliegenheiten I. Problem Neben der Verzögerung der Leistung gibt es eine Vielzahl weiterer Leistungsstörungen, die die betroffene Vertragspartei berechtigen können, den Vertrag aufzusagen und gegebenenfalls Schadensersatz wegen Nichterfüllung zu verlangen. Dies gilt insbesondere für Dauerschuldverhältnisse, bei welchen pflichtwidriges Verhalten jedweder Art wichtiger Grund sein kann, der zur Kündigung berechtigt. Wiederum gilt es zu überlegen, ob und inwieweit der Schuldner solche "positiven" Vertragsverletzungen wieder ausräumen und damit verhindern kann, daß der Gläubiger sich vom Vertrage löst. Zwei Beispiele aus dem Arbeitsrecht: Ein Elektroschweißer weigert sich beharrlich, an einer von der Berufsgenossenschaft angeordneten arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchung teilzunehmen; da die Untersuchung Voraussetzung dafür ist, daß der Arbeitnehmer weiterbeschäftigt werden darf, berechtigte die beharrliche Weigerung den Arbeitgeber, das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund zu kündigen 1• Bleibt das Kündigungsrecht bestehen, wenn der Arbeitnehmer sich am Ende - bevor die Kündigung ausgesprochen wurde doch noch mit der Untersuchung einverstanden erklärt? I

VgI. die Entscheidung des LAG Düsseldorf, NZA-RR 1997,88 ff.

§ 3 Andere Verletzungen

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Ein anderer typischer Kündigungsgrund sind Beleidigungen. Wer etwa seinen Vorgesetzen einen" hijo de puta" schimpft, berechtigt den Arbeitgeber regelmäßig mindestens zur ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung 2 . Gilt dies auch dann, wenn der Arbeitnehmer sich alsbald für seine Entgleisung entschuldigt? Ferner wäre zu fragen, ob der Mieter, dem eine mangelhafte Mietsache überlassen wurde, weiterhin kündigen kann (§§ 542, 544 BGB) oder ob der Besteller, dem ein mangelhaftes Werk angedient wird, weiter wandeln darf (§ 634 BGB), nachdem die Mängel behoben sind. Die Zahl denkbarer Vertragsverletzungen ist Legion, und hier können und sollen nicht alle möglichen Konstellationen bedacht werden. Wir wollen lediglich die möglichen Verletzungen nach ihren Auswirkungen ordnen um aufzuzeigen, welche Arten von Verletzungen unter welchen Bedingungen bereinigt werden könnten. Zunächst seien darum die möglichen Auswirkungen von Vertragsverletzungen näher beleuchtet.

11. Hintergrund und Historie Wir hatten gesehen, daß im römischen Recht der Gläubiger wegen bloßen Verzuges des Schuldners nicht von dem Vertrage zurücktreten konnte; erforderlich war zusätzlich, daß der Gläubiger sein Interesse an der Leistung verloren hatte. Bei der Schlechterfüllung ist dies häufig der Fall, und es verwundert nicht, daß diese bereits nach römischem Recht den Gläubiger berechtigte, vom Vertrage abzugehen. So durfte der Mieter den Mietvertrag gerechtfertigt aufheben, wenn die Mietsache mangelhaft, ein gemietetes Zimmer etwa zu dunkel war3 . Desgleichen durfte der Vermieter den Mieter straflos von der Mietsache vertreiben, wenn der Mieter diese übel hielt4 • Heute gilt, daß jedes Dauerschuldverhältnis aus wichtigem Grunde kündbar ist; gleiches gilt - in engeren Grenzen - auch für Obligationen, die nur eine einmalige Leistung zum Gegenstande haben 5 . Wann ein Grund hinreichend "wichtig" ist, kann zwar nur von Fall zu Fall ausgemittelt werden; doch hat nach Vorarbeiten von Staub6 bereits das Reichsgericht eine Definition des "wichtigen Grundes" entwickelt, die hilfreich ist: Wichtig ist ein Grund, der den Vertragszweck derart geVgl. die Entscheidung des LAG Hessen NZA-RR 1997, 383 f. Gai. D. 19,2,25,2; vgl. ferner Alf. D. 19,2,27, I; Vip. D. 19,2,13,7. Die "Kündigung" war kein Rechtsgeschäft, sondern ein tatsächliche Verlassen oder Vertreiben. Allein wenn dies ungerechtfertigt geschah. konnte der andere Teil Schadensersatz verlangen; dazu Kaser; RPr I, S. 568; Studienbuch, § 42 11 5. 4 Antan. C. 4, 65, 3 (anno 214). S Vgl. etwa RG JW 38. 2010; BGH NJW 1978,260,261; Palandt/Heinrichs. BGB, § 276 Rn. 124 f.; Gernhuber; Schuldverhältnis, § 1611 5 m. w. N. 6 Staub. S. 21 ff. Zur geschichtlichen Entwicklung des Kündigungsrechts siehe Immerwahr; S. I ff.; Molitor; S. 349 ff. 2

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1. Kap.: Verletzung vertraglicher Pflichten und Obliegenheiten

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fahrdet, daß der betroffenen Partei die Fortsetzung des Vertrages nicht mehr zuzumuten ist7 • Nach dieser Formel beurteilt sich auch heute noch, ob der Rücktritt von einem einfachen Umsatzgeschäft wegen positiver Vertragsverletzung zulässig ist; für die Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses hingegen läßt man bereits die Unzumutbarkeit allein als Rücktrittsgrund hinreichen 8 . Bei Dauerschuldverhältnissen müssen die Parteien beständig zusammenwirken. Das Zusammenwirken aber kann bereits dann unmöglich sein, wenn die notwendige Vertrauensbasis fortgefallen ist, und nicht erst dann, wenn der Leistungsaustausch auch objektiv gefährdet ist. Bei Dauerschuldverhältnissen ist die Konstruktion mit dem WegfalI des Vertragszwecks deshalb zuweilen gekünstelt9 . Aus der Formel des Reichsgerichtes erhelIen zwei zu unterscheidende Elemente der Unzumutbarkeit: die - hier sogenannte - objektive Unzumutbarkeit und die subjektive Unzumutbarkeit IO • Objektiv unzumutbar ist die Fortsetzung des Vertrages, wenn der Vertragszweck unmittelbar vereitelt wird, etwa, weil die Mietsache mangelhaft oder ihr Gebrauch gesundheitsgefährdend ist. Objektiv unzumutbar war dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses im ersten Beispiel, in dem der Arbeitnehmer sich weigerte, an der notwendigen Vorsorgeuntersuchung teilzunehmen, weil der Arbeitnehmer deshalb seine vertraglichen Arbeitsleistungen nicht mehr erbringen konnte. AlIgemeiner gefaßt ist die weitere Durchführung des Vertrages dann objektiv unzumutbar, wenn der eine Teil seine Hauptverbindlichkeit nicht oder nur mangelhaft erfülIt. Subjektiv unzumutbar ist die Fortsetzung des Vertrages, wenn das zu seiner Durchführung notwendige Vertrauen und Einvernehmen zwischen den Parteien infolge eines Fehlverhaltens wesentlich beeinträchtigt ist: so, weil in der Nicht- oder SchlechterfülIung zusätzlich ein Vertrauens- oder Treubruch zu sehen ist, oder weil der eine Teil unabhängig von seiner Hauptleistungspflicht eine Nebenpflicht verletzt und das Vertrauensverhältnis so gestört hat. Jenes ist der FalI, wenn der Schuldner durch seine mangelhafte Leistung seine Unzuverlässigkeit erkennen läßt, wenn er etwa in einen fabrikneu verkauften Porsche alte Teile einbaut 11. Dieses war im zweiten Beispiel gegeben, in dem der Arbeitnehmer seinen Vorgesetzten einen" hijo de puta" geschimpft hatte. Freilich treten beide Kriterien selten alIein, sondern zumeist zusammen auf, wenn auch in unterschiedlichen Abstufungen. Häufig sind objektive und subjektive Unzumutbarkeit auch nicht zu trennen; so etwa, wenn eine Tätigkeit geschuldet ist, die ein besonderes Vertrauen voraussetzt; man denke an die Dienste eines Psycho-

Vgl. RGZ93, 285, 286; 152, 119, 122; 161,330, 337f.; BGHZ 11, 80, 84; 41,104,108. Vgl. BGH NJW 1978,947,948; 1981, 1264, 1265; 1987,782; Larenz, SchuldR AT, § 2 VI a. E.; Gemhuber; Schuldverhältnis, § 1611 5; Ascheid, Rn. 119. 9 So zutreffend Seherner; Rücktrittsrecht, S. 224. 10 Ähnlich auch Seherner; Rücktrittsrecht, S. 221 ff. 11 Vgl. den Fall bei BGH NJW 1978,260 f. 7

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§ 3 Andere Verletzungen

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logen oder eines Rechtsanwaltes. Immerhin aber hilft uns die theoretische Unterscheidung von objektiver und subjektiver Unzumutbarkeit, unsere Eingangsfrage beantworten. Denn objektive und subjektive Unzumutbarkeit sind, wenn überhaupt, wesentlich verschieden zu bereinigen.

III. Kündigungs- und Rücktrittsrechte und tätige Reue

Bei der Frage nach den Auswirkungen der Verzugs bereinigung hatten wir gesehen, daß ein Rücktritts- oder Kündigungsrecht infolge der Bereinigung regelmäßig erlischt, wenn nicht der Gläubiger sein Interesse am Austausch der Leistungen verloren hat. Allgemeiner formuliert, läßt dieser Gedanke sich auch auf andere Vertragsverletzungen übertragen: Ein Rücktritts- oder Kündigungsrecht kann erlöschen, wenn in folge der tätigen Reue seine Entstehungsvoraussetzungen nachträglich entfallen sind und wenn der Gläubiger sein Interesse an der Durchführung des Vertrages nicht verloren hat.

1. Objektive Unzumutbarkeit

Vertragsverletzungen, die dem Betroffenen das Festhalten am Vertrag allein objektiv unzumutbar machen, kann der Schuldner für die Zukunft häufig ohne weiteres ausräumen: Etwa kann der Vermieter die Mängel der Mietsache beheben oder nach anfänglicher Verweigerung die Erlaubnis zur Untermiete doch noch erteilen, vgl. §§ 542, 549 BGB; der Werkuntemehmer kann Werkmängel beseitigen, vgl. § 634 BGB; der ReiseveranstaIter kann bei ReisemängeIn Abhilfe schaffen, vgl. § 651 e BGB; Dienstverpflichteter und Arbeitnehmer schließlich können ihre Arbeitsmoral heben, pünktlicher zum Dienst erscheinen oder gewissenhafter arbeiten. Ist in folge dieser objektiven Unzumutbarkeit oder aus anderen Gründen die notwendige Vertrauensgrundlage zwischen der Parteien nicht zerstört worden, die Fortsetzung des Vertrages also nicht gleichzeitig subjektiv unzumutbar, sind die zur Verzugsbereinigung erarbeiteten Grundsätze entsprechend anwendbar: Danach ist der Rücktritt oder die Kündigung aufgrund sonstiger Vertragsverletzungen grundsätzlich ausgeschlossen, nachdem der Schuldner die Ursache der objektiven Unzumutbarkeit behoben hat. Eine Ausnahme ist zu machen, wenn der Gläubiger sein Interesse an der Fortsetzung des Vertrages infolge der Verletzung bereits verloren hat. Mit der objektiven Unzumutbarkeit entfallt das berechtigte Interesse des Gläubigers, sich vom Vertrage zu lösen, und der Grundsatz des pacta sunt servanda hat wieder Vorrang I2 . Der Schuldner hingegen, der künftig korrekt leistet, hat regelmäßig ein schutzwürdiges Interesse daran, den Vertrag fortzusetzen. Der 12 Vgl. Staudinger / Preis, BGB 13, § 626 Rn. 5, der betont, daß § 626 als Ausnahmevorschrift zum Grundsatz des pacta sunt servanda eng auszulegen sei.

1. Kap.: Verletzung vertraglicher Pflichten und Obliegenheiten

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Zweck des jeweiligen Rücktritts- oder Kündigungsrechtes steht dem grundsätzlich nicht entgegen. Denn bei Dauerschuldverhältnissen ist das Recht, sich vom Vertrag zu lösen, zukunftsgewandt und soll den Gläubiger vor künftigem Ungemach bewahren, nicht aber vergangenes ausgleichen. Für Obligationen, die einen einmaligen Leistungsaustausch zur Folge haben, gilt ähnliches: Auch hier entfällt der Sinn des Rücktrittsrechtes regelmäßig, sobald seine Entstehungsvoraussetzungen entfallen sind. Auszunehmen sind Fälle, in denen der Gläubiger infolge der Schlechtleistung sein Interesse am Leistungsaustausch verloren hat und der Rücktritt als eine Art ,,Minimalschadensersatz" verstanden werden kann (vgl. §§ 542 Abs. 1 S. 3; 634 Abs. 2 BGB)13. So kann zum Beispiel der Mieter, der dem Vermieter eine Frist zur Beseitigung des Mangels an der Mietsache gesetzt hatte, nach Fristablauf nicht mehr gemäß § 542 Abs. 1 S. 2 BGB kündigen, wenn der Vermieter den Mangel vorher beseitigt hatte 14; entsprechendes gilt für die Kündigung des Reisenden nach § 651 e BGB und für alle weiteren Fälle, in denen der Gläubiger wegen objektiver Unzumutbarkeit vom Vertrag zurücktritt oder kündigt 15 • Aus dogmatischen Gründen enger sind allein die Bereinigungsmöglichkeiten des Werkunternehmers. Hat dieser eine ihm gemäß § 634 Abs. 1 BGB gesetzte Frist zur Beseitigung des Mangels ungenutzt verstreichen lassen, erlischt wie bei § 326 Abs. 1 BGB das Primärschuldverhältnis ohne weiteres, § 634 Abs. 1 S. 3 2. Hs. BGB. Der Gläubiger kann nur noch Wandlung oder Minderung beanspruchen; eine Bereinigung ist nicht möglich. Ausnahmen kommen nur in besonderen Fällen entsprechend § 634 Abs. 3 BGB in Betracht, wenn die Fristüberschreitung geringfügig gewesen ist und die Interessen des Gläubigers nur unerheblich beeinträchtigt hat. Von praktischer Bedeutung ist diese Bereinigungsmöglichkeit weiter für die Kündigung des Dienst- oder Arbeitsvertrages aus wichtigem Grund, § 626 BGB, und für die ordentliche verhaltensbedingte Kündigung des Arbeitsverhältnisses nach §§ 622 BGB, 1 KSchG. Dies illustriert das oben geschilderte Beispiel des Elektroschweißers, der sich beharrlich weigerte, an zwei von der Berufsgenossenschaft veranlaßten Vorsorgeuntersuchungen teilzunehmen. Die Weigerung begründete allein eine objektive Unzumutbarkeit, weil der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auf seinem angestammten Arbeitsplatz nicht mehr einsetzen konnte, ohne sich der Gefahr auszusetzen, Verwamungs- und Ordnungsgelder auferlegt zu bekommen. Weil die Arbeitsleistungen des Arbeitnehmers überdurchschnittlich waren und seine Weigerung keine nennenswerten Auswirkungen auf das Vertrauensverhältnis V gl. oben § 1 11., III. 1. a), 2. a} und 4. a}. H. M.; vgl. PlancklKnoke, BGB, § 542 Anm. I b er; Niendorf, S. 155; Mittelstein, S. 324; Schöller, Gruchot 46,253,270; Weimar, Betrieb 1975, 1639, 1640; RGRKIGelhaar, BGB, § 542 Rn. 30; ErmanlJuchek. BGB, § 542 Rn. 8; StaudingerlEmmerich, BGB l3 , § 542 Rn. 39; Emmerichl Sonnenschein, § 542 Rn. 11; Sternei, IV Rn. 467 und oben § 1 III. 2. b}. 15 So z. B. weiter in den §§ 544, 549 Abs. 1 BGB, 4 Nr. 7, 8 Nr. 3 VOB (allein objektive Unzumutbarkeit) und §§ 553, 553 a, 564 b Abs. 2 Nr. 1,626,651 e, 723 BGB, 89a HGB, 15 BBiG, 18 Abs. 1 WEG (objektive und subjektive Unzumutbarkeit). 13

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§ 3 Andere Verletzungen

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zum Arbeitgeber hatte, hätte der Arbeitnehmer das Kündigungsrecht bis zur Erklärung der Kündigung abwenden können, indem er sich doch noch mit der Vorsorgeuntersuchung einverstanden erklärte. Eine Ausnahme wäre zu machen, wenn der Arbeitgeber bereits Ersatz eingestellt und für den Elektroschweißer keine andere zumutbare Verwendung gehabt hätte. Entsprechend verhielte es sich, wenn ein Arbeitnehmer zunächst so schlecht arbeitet oder so unpünktlich ist, daß der Arbeitgeber berechtigt wäre, ordentlich verhaltensbedingt zu kündigen. Sieht der Arbeitgeber zunächst von der Kündigung ab, erlischt das Kündigungsrecht, wenn der Arbeitnehmer seine Leistungen stabil verbessert hat oder pünktlich geworden ist.

2. Subjektive Unzumutbarkeit

Grundsätzlich gilt in Fällen subjektiver Unzumutbarkeit entsprechendes: Das Kündigungs- oder Rücktrittsrecht erlischt, wenn die Fortsetzung des Vertrages infolge des nachträglichen Wohlverhaltens nicht mehr subjektiv unzumutbar geworden ist. Doch ist die subjektive nicht wie die objektive Unzumutbarkeit ohne weiteres aus der Welt zu schaffen. Ein Vertrauensverhältnis, das einmal zerrüttet ist, läßt sich einseitig, wenn überhaupt, nur in Ausnahmefällen wiederherstellen. Anders kann es bei einmaligen Verstößen liegen, die im Affekt oder aus Unachtsamkeit geschahen und nicht allzu schwerwiegend gewesen sind, wie etwa bei einfacheren Beleidigungen. Die subjektive Unzumutbarkeit kann - anders als die objektive Unzumutbarkeit - nicht unmittelbar behoben werden, weil sie nicht auf einem Verhalten selbst, sondern auf den subjektiven Auswirkungen dieses Verhaltens auf den Vertragspartner beruht. Es gilt, dessen Vertrauen zurückzugewinnen. Hier ist zu prüfen, ob das nachträgliche Wohlverhalten geeignet ist, das vorherige Fehlverhalten wiedergutzumachen, so daß die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses unter Berücksichtigung der Interessen beider Parteien nach dem Empfinden eines billig und gerecht Denkenden l6 zumutbar ist. Entschuldigt sich der Schuldner alsbald und bemüht er sich, seine Verfehlung wiedergutzumachen, kann die subjektive Unzumutbarkeit von einem maßgeblichen objektiven Standpunkt aus entfallen sein: Hätte sich im zweiten Beispiel der Arbeitnehmer bald für seine verbale Entgleisung entschuldigt, hätte er möglicherweise die verhaltensbedingte ordentliche Kündigung noch abwenden können. Anders liegt es freilich bei einmaligen Verstößen, die das Vertrauen ein für alle mal zu erschüttern geeignet sind, wie etwa Straftaten zum Nachteil des Arbeitgebers 17 • 16 Vgl. Staudinger/ Preis 13, § 626 Rn. 57, der zutreffend darauf hinweist, daß auch bei der Beurteilung subjektiver Unzumutbarkeit stets ein objektiver Maßstab zugrunde zulegen ist; auf persönliche Überempfindlichkeiten ist keine Rücksicht zu nehmen.

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1. Kap.: Verletzung vertraglicher Pflichten und Obliegenheiten

Grundsätzlich anders liegt es auch bei beharrlichen Verstößen. Hat der Schuldner sich trotz mehrfacher Abmahnungen über einen längeren Zeitraum vertragswidrig verhalten, kann er das derart beeinträchtigte Vertrauensverhältnis regelmäßig nicht mehr heilen. Denn beharrliche Verstöße lassen anders als einmalige Entgleisungen befürchten, daß der Schuldner sich auch in Zukunft nicht bessern werde; gegenteiligen Beteuerungen darf mißtraut werden 18. Beispielsweise kann ein Arbeitnehmer, dem wegen permanenter Unpünktlichkeit 19 oder wegen häufiger Trunkenheit während der Arbeitszeit gekündigt wurde, sich nicht ohne weiteres damit verteidigen, er sei geläutert und habe sein Verhalten in letzter Zeit gebessert; etwas anderes kann gelten, wenn der Arbeitnehmer sich dauerhaft von seinem früheren Fehlverhalten abgewendet hat2o • Weitere Fälle beispielhaft zu beleuchten, ist müßig. Die denkbaren Konstellationen und die jeweils zu berücksichtigenden Interessen bei der subjektiven Unzumutbarkeit sind zu vielfältig, als daß sich genauere Regeln aufstellen ließen. Es genügt zu zeigen, daß auch bei subjektiver Unzumutbarkeit eine einseitige Bereinigung des Kündigungsgrundes grundsätzlich denkbar ist: nämlich dann, wenn das nachträgliche Wohlverhalten aus der Sicht eines verständigen Dritten geeignet ist, das erschütterte Vertrauensverhältnis hinreichend wiederherzustellen, und wenn der Gläubiger sein Interesse an der Fortsetzung des Vertrages nicht aus anderen Gründen infolge der Verletzung verloren hat.

IV. Verfallklauseln im Versicherungsrecht und tätige Reue

Anhangweise sei ein Blick auf das Versicherungsrecht und die Möglichkeiten des Versicherungsnehmers geworfen, Obliegenheitsverletzungen, die infolge versicherungsrechtlicher Verfallklauseln zur Leistungsfreiheit des Versicherers führen, zu heilen. Das Problem stellt sich, wenn der Versicherungsnehmer nach dem Eintritt des Versicherungsfalles vorsätzlich Aufklärungsobliegenheiten verletzt, sein Fehlverhalten aber alsbald berichtigt und berechtigte Interessen des Versicherers nicht gefährdet wurden. Für solche folgenlosen Obliegenheitsverletzungen kennt das Versicherungsrecht weder einen variablen Strafrahmen noch die Möglichkeit, unbillige Ergebnisse entsprechend § 343 BGB zu korrigieren 21 • Nach der Regel des § 6 Abs. 3 VVG gilt für vorsätzliche Obliegenheitsverletzungen vielmehr das Alles-oder-Nichts-Prinzip. Es verwundert nicht, daß die Rechtsprechung mit der 17 Wobei auch hier die Erheblichkeit des Vergehens zu berücksichtigen wäre. Der Mundraub geringwertiger Sachen - etwa der Verzehr eines Stückes Kuchen im Wert von DM 1,durch eine Verkäuferin, vgl. BAG v. 17.5. 1984 AP Nr. 14 zu § 626 BGB -ließe sich eher bereinigen als der Diebstahl wertvollerer Gegenstände. 18 Vgl. Staudinger I Preis, BGB 13, § 626 Rn. 92; Ascheid, Rn. 30. 19 Vgl. etwa BAG NJW 1989,546 ff. 20 Vgl. den Rechtsgedanken des § 2336 Abs. IV BGB; näher dazu unten § 10 111.3. a). 21 BGH NJW 1972,363,364; PrölsslMartin, VVG 26 , § 6 Rn. 102 m. w. N.

§ 3 Andere Verletzungen

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"Relevanztheorie" eine Methode entwickelt hat, unbillige Ergebnisse in einer Weise zu berichtigen, die der Verfallsbereinigung 22 weitgehend entspricht. Nach der ,,Relevanztheorie" kann der Versicherer sich auf den Verfall nicht berufen, wenn die Obliegenheitsverletzung die Interessen des Versicherers nicht ernsthaft gefährdet hat und das Verschulden des Versicherungsnehmers gering gewesen ist 23 . Ausgangspunkt dieser sogenannten "Relevanzrechtsprechung" waren Ende der sechziger Jahre die praktisch häufigen Fälle abgebrochener Fahrerflucht: Ein Kraftfahrer verursacht einen Unfall und flieht. Doch bricht er die Flucht bald ab und kehrt zum Unfallort zurück; der Hergang des Geschehens kann noch genau aufgeklärt werden. Die Flucht stellt eine Verletzung der Aufklärungspflicht dar4 und führte früher zum Totalverlust des Deckungsanspruches (§§ 7 Abs. 5 S. 1 AKB a. F., 6 Abs. 3 S. 1 VVG). Diesem Problem ist seit der Änderung des § 7 AKB zum 1. 1. 1975 die Spitze genommen, weil der Versicherer gemäß § 7 Abs. 5 Nr. 2 AKB n. F. nur noch in Höhe von DM 1.000,- oder DM 5.000,- leistungsfrei wird25 . In anderen Versicherungszweigen, etwa in der Privathaftpflichtversicherung (§§ 5 Nr. 3 S. 1, 6 AHB) oder in der Diebstahl- und Raubversicherung (§ 13 AERB), besteht das Problem weiter, und ihm wird entsprechend begegnet26 . Sowohl methodisch als auch inhaltlich klingt in der Relevanzrechtsprechung Altbekanntes an 21 • Wir erinnern uns an die römischrechtliche Bereinigung des Verfalls einer Vertragsstrafe, die ihrem Wortlaut nach verfallen war: Man nahm an, die einmal verfallen Strafe könne nicht mehr entfallen (semel commissa poena non evanescit), korrigierte dies Ergebnis aber - soweit es unbillig war, weil berechtigte Interessen des Gläubigers nicht verletzt waren - mit der exceptio doli 28 • Auch der BGH29 betont zunächst: "Der ... einmal begangene Verstoß kann nicht wieder entfallen, weil der Versicherungsnehmer sein Fluchtziel ... schließlich aufgegeben hat ...", und schränkt die Totalverwirkung sodann nach § 242 BGB ein: ,,Die weite Auslegung des § 7 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 AKB kann jedoch im Einzelfall die Prüfung erforderlich machen, ob der Versicherer nach Treu und Glauben ... die Folge der gänzlichen Leistungsfreiheit ohne Rücksicht auf erlittene Nachteile für sich beanDazu oben § 1 IV. 2. Grundlegend OLG Düsseldorf, VersR 1969,652 f.; BGH NJW 1969, 1385 ff. = JR 1970, 19 f. mit Anrn. Schwerdtner. Entsprechend BGHZ 53, 160, 164; BGH VersR 1970, 337; 410, 411; 458, 459; 1972,339,340. Dazu R. Knütel, AcP 175 (1975), 44, 63 ff.; Prölssl Martin, VVG 26 , § 6 Rn. 101; ferner Martin, X I 20 bis 33. 24 BGH NJW 1969, 1385 f.; 1972,339. 2S Zur Geschichte dieser Änderung siehe PrölsslMartin, VVG23 , § 7 AKB Anrn. 6. Positiv festgeschrieben ist die Relevanzrechtsprechung in der Hausratversicherung etwa in § 21 Nr. 4 VHB 84. 26 Vgl. etwa BGH VersR 1968, 137 f. (zu § 5 Nr. 3 S. 1 AHB): PrölsslMartin, VVG 26 , § 13 AERB Rn. 4. Zu weiteren Anwendungsfallen siehe Prölssl Martin, VVG26 , § 6 Rn. 101. 27 So zutreffend R. Knütel (Fn. 23),44,64 f. 28 Siehe oben § 1 IV. I. a). 29 BGH NJW 1969, 1385, 1386. 22

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1. Kap.: Verletzung vertraglicher Pflichten und Obliegenheiten

spruchen darf'. In diesem Interessekriterium kommt die allgemeine Voraussetzung der Verfallsbereinigung zum Vorschein. Dahingegen sind die Differenzierungen im (allein einschlägigen) Bereich des Vorsatzes Ausdruck der Billigkeitsentscheidung, die eine Abwägung aller relevanten Umstände erfordert; relevant ist der Verschuldensgrad auch dann, wenn man den Verfallklauseln keinen Strafzweck unterlegt. Indem der BGH jedoch nicht auf die konkrete Interessenbeeinträchtigung, sondern darauf abstellt, ob die Obliegenheitsverletzung generell geeignet war, die Interessen des Versicherers zu gefährden, riskiert er Zufallsergebnisse. Praktikabler wäre es, wie bei den grob fahrlässigen Obliegenheitsverletzungen die Verwirkung nur insoweit eintreten zu lassen, als die Verletzung konkret zu einem Aufklärungsnachteil oder zu einem Schaden des Versicherers geführt hat 3o . Die Relevanzrechtsprechung ist nach alledem kein undifferenzierter Einbruch des Grundsatzes von Treu und Glauben in das Versicherungsrecht 31 , sondern eine Frucht des uralten Anliegens, "die starre Alles-oder-Nichts-Sanktion indirekter Zwangsmittel dann auszuschalten, wenn der von diesen Mitteln gesicherte Erfolg trotz des formalen Verfalls doch noch realisiert wird und das Interesse des Gläubigers gewahrt bleibt,m.

v. Ergebnis Auch andere Vertragsverletzungen als die Leistungsverzögerung können grundsätzlich bereinigt werden mit der Folge, daß Rücktritts- oder Kündigungsrechte, die infolge der Verletzung entstanden waren, wieder entfallen. Bei Verletzungen, die die Fortsetzung des Vertrages allein objektiv unzumutbar machen, ist dies entsprechend den Grundsätzen der Verzugsbereinigung anzunehmen, wenn der Schuldner die Ursache der Unzumutbarkeit behebt und der Gläubiger sein Interesse an der Durchführung des Vertrages nicht verloren hat. Bei Verletzungen, die zusätzlich oder allein zu einer subjektiven Unzumutbarkeit führen - also vor allem zu einer Störung des Vertrauensverhältnisses oder der persönlichen Zusammenarbeit zwischen den Parteien -, ist zu prüfen, ob das nachträgliche Wohlverhalten aus der Sicht eines billig und gerecht denkenden Dritten die Fortsetzung des Vertrages wieder zumutbar erscheinen läßt. Dies wird häufig dann der Fall sein, wenn das Fehlverhalten einmalig war und nicht besonders schwer wog; beharrliche Vertragsverletzungen hingegen sind nur selten wiedergutzumachen.

30 So auch v. Hippel. NJW 1969, 1694, 1696; R. Knütel (Fn. 23), 65; PrölsslMartin, VVG 26 , § 6 Rn. 103. A. A. BGH VersR 1972, 363, 364; OLG Bamberg. VersR 1976,358, 359, mit der gegenteiligen Auffassung, daß gerade eine Quotelung die Rechtssicherheit beeinträchtigen würde. 31 So aber Schwerdtner, JR 1970,20,21. 32 So zutreffend R. Knütel (Fn. 23) 66.

2. Kapitel

Verletzung gesetzlicher Pflichten und Obliegenheiten und tätige Reue § 4 Verletzung der Anzeigepflicht des Finders, §§ 971 Abs. 2, 973 Abs. 2 S. 2 BGB I. Problem Finden ist gefährlich. Der Finder, der eine fremde Sache an sich nimmt, gerät leicht in Diebstahlsverdacht: Fur facile invenit l • Deshalb fordert schon das älteste Recht vom Finder, sofern diesem die Inbesitznahme des Fundes überhaupt gestattet ist2 , eine Tätigkeit zur Abwälzung dieses Verdachts. Der Finder war verpflichtet, den Fund der Obrigkeit tunlichst bald anzuzeigen. Wer dies unterließ, dem drohten zum Teil empfindliche Strafen3 . Das Ableugnen des Fundes auf Befragen wurde regelmäßig als Diebstahl gewertet und qualifiziert bestraft4 . Solchen pericula standen, wenn überhaupt, nur geringe commoda gegenüber: Ein Anspruch auf Aufwendungsersatz und, in den mittelalterlichen sowie in den neuzeitlichen deutschen Partikularrechten, zum Teil ein Anspruch auf Finderlohns. Dieser Anspruch war je1 Vgl. Ruepp, S. 22: "Fur facile invenit, ut aedituus calicem, h. e. qui hac excusatione utebatur, praesumptionem augebat, eum remfuratum esse" (Der Dieb findet leicht, wie der Küster den Kelch; indem er diese Entschuldigung gebraucht, fördert er die Annahme, daß er die Sache gestohlen habe). 2 Vgl. einerseits 5. Mose 22, 1-2, nach dem der Finder irregegangenes Vieh dem Eigentümer zurückbringen oder es aufbewahren sol1 und andererseits Platon, Nomoi 914 b, der unter Androhung von Strafe bestimmt, Fundsachen liegen zu lassen, weil diese von der die Straßen schirmenden Göttin bewacht werden; siehe ferner Heineccius, Elementa, 1,9, § 248. 3 Vgl. Hübner, S. 40 f.; 116 f. mit dem Hinweis auf zahlreiche Quel1en, u. a. auf das KI. Keyserrecht 11 Kap. 40, 41, nach dem den Finder, der den Fund verschweigt, gar die Todesstrafe trifft. Im römischen Recht, das im Gegensatz zu den germanischen Rechten kein eigentliches "Fundrecht" kannte, blieben manche sich aus dem Verlieren und Finden von Sachen ergebenden Folgen dennoch nicht unerwähnt: So I. 2, 1,48; Ulp. D. 47, 2, 43,8, nach denen die Aufnahme von Fund- bzw. Strandgut lucrandi animo Diebstahl ist. 4 So der Sachsenspiegel 11 35 § 9: "Svat so ieman vind, besakt he is of man dar na vraget, so is it düvech"; vgl. ferner Hübner, S. 41 f.; 119 f. m. w. N. 5 Das römische Recht kannte keinen Anspruch auf Finderlohn und hielt das Verlangen desselben für unanständig, vgl. Ulp. D. 47, 2,43, 9; gleiches gilt für das französische und das englische Recht, vgl. Wolf!/ Raiser, § 82 VI 2. Die älteren deutschen Rechte hingegen kannten den Fundlohn, so z. B der Sachsenspiegel 11 37 § 2; dazu Hübner, S. 174 ff. m. w. N. In

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2. Kap.: Verletzung gesetzlicher Pflichten und Obliegenheiten

doch stets durch die Erfüllung der Anzeigepflicht bedingt6 , und er ist es auch im Fundrecht des BGB. Gemäß § 971 BGB ist der Anspruch auf Finderlohn ausgeschlossen, wenn der Finder die Anzeigepflicht verletzt oder den Fund auf Nachfrage verheimlicht. Ähnlich verhält es sich mit dem Erwerb des Eigentums7 an der Fundsache: Dieser setzt voraus, daß der Finder den Fund bei der zuständigen Behörde gemeldet hat, es sei denn, es handelt sich um einen Bagatellfund, §§ 965 Abs. 2 S. 2, 973 Abs. 2 S. 1 BGB. Doch ist hier der Eigentumserwerb ausgeschlossen, wenn der Finder den Fund auf Nachfrage verheimlicht, § 973 Abs. 2 BGB. Es fragt sich, ob das Verletzen der Anzeigepflicht oder das Verheimlichen des Fundes auf Nachfrage heilbar ist, ob der Finder also durch Nachholen der Anzeige oder durch nachträgliches Eingeständnis des Fundes den Anspruch auf den Finderlohn (dazu unter II) und seine Eigentumsanwartschaft 8 (dazu unter III) nachträglich (wieder)begründen kann. 11. Finderlohn und tätige Reue

Der Anspruch auf Finderlohn ist ausgeschlossen, wenn der Finder einem Empfangsberechtigten, oder, sofern er einen solchen nicht kennt, der zuständigen Behörde nicht unverzüglich Anzeige macht, §§ 971 Abs. 2, 965 BGB. Unverzüglich meint: ohne schuldhaftes Zögern, § 121 Abs. 1 BGB, wobei der Finder lediglich Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu vertreten hat, § 968 BGB. Bereits der Wortlaut der Präklusionsnorm des § 971 Abs. 2 BGB läßt ein Wiederaufleben des Anspruches auf Finderlohn nicht zu, da es, wie der Verweis auf die Anzeigepflicht in § 965 Abs. 1 BGB zeigt, nicht auf die Anzeige des Fundes an sich, sondern darauf ankommt, daß die Anzeige unverzüglich erfolgt ist. Wurde dies schuldhaft versäumt, so ist und bleibt der Anspruch ausgeschlossen 9 . die deutschen Partikularrechte hingegen, allen vorweg in das ALR I 9 § 62, hat die Lehre vom Fund mit dem Anspruch auf Fundlohn durchweg Eingang gefunden, vgl. sächs. GB §§ 239 ff., ABGB §§ 388 ff. und bereits das bayer. LR II 3 § 4. 6 Vgl. bayer. LR II 3 § 4; ALR I 9 § 70; ABGB § 393; sächs. GB § 243. Flexibler allein das ZGB, Art. 722 Abs. 2. 7 Das römische und das gemeine Recht kannten keinen Eigentumserwerb des Finders und behalfen sich lediglich mit der dreißigjährigen Verjährung der rei vindicatio, vgl. Scaev. Dig. 6, 1,67; Windscheidt/Kipp I, § 184 Anm. 7. Das BGB hingegen kam wie alle modernen Kodifikationen dem praktischen Bedürfnis entgegen, die tatsächliche Herrenlosigkeit der gefundenen Sache bei Erfolglosigkeit der Nachforschung zu beenden, und ermöglichte dem Finder den Erwerb des Eigentums; vgl. Vorentwürfe SachenR I, S. 998 ff.; Mot. Mugdan III, S. 212 f. 8 Die Anzeige des Fundes bei der zuständigen Behörde begründet eine Erwerbsaussicht des Finders, die aber, weil gänzlich ungefestigt, keine Vorstufe zum Erwerb des Vollrechtes ist. Sie ist bloße Anwartschaft und kein Anwartschaftsrecht. Strittig ist, ob schon diese bloße Anwartschaft rechtsgeschäftlich übertragbar ist; vgl. dazu Staudinger/Gursky, BGB 13 , § 973 Rn. 7m. w. N.

§ 4 Verletzung der Anzeigepflicht des Finders

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Gleiches gilt, wenn der Finder den Wert- \0 oder den Bagatellfund auf Nachfrage verheimlicht, § 971 Abs. 22. Alt. BGB. Es ist zweifelhaft, ob diese Regelung in ihrer Striktheit den allein maßgeblichen Interessen des Verlierers gerecht wird: Sie nimmt dem Finder, der sich einmal nachlässig oder unredlich verhalten hat, jeglichen wirtschaftlichen Anreiz, die Fundsache noch zurückzugeben. Anreiz ist freilich, wenn nicht schon die Aussicht auf ein gutes Gewissen, immerhin die Vermeidung der Strafbarkeit wegen Fundunterschlagung. Doch kann dieser Anreiz, je wertvoller die Fundsache und je geringer die Gefahr ist, entdeckt zu werden, gering sein. Der Funktion des Finderlohns stünde es nicht entgegen, wenn man den Ausschluß des Finderlohns wegen Verletzung der Anzeigepflicht nicht für notwendig endgültig erachtete, im Gegenteil: Der Finderlohn soll Entgelt für die Mühen des Finders und Prämie sein, die den Finder von der Unterschlagung abhalten und seine Ehrlichkeit belohnt 11. Derjenige Finder, der den Fund verspätet anzeigt, hat ebenso viele oder ebenso wenige Mühen gehabt wie der Finder, der dies unverzüglich tat; auch der zunächst nachlässige Finder kann Nachforschungen angestellt haben. Zudem ist der Finder solange ehrlich gewesen, wie er die Fundsache nur aus Nachlässigkeit nicht zurückgegeben, also nicht unterschlagen hat. Das bloße Versäumen der kurzen Frist des § 965 BGB jedenfalls ist keine Unterschlagung 12 • Und um zu erreichen, daß diese auch fürderhin unterbleibt, wäre es nützlich, den wirtschaftlichen Anreiz zur Rückgabe aufrechtzuerhalten. Demgegenüber halten die Motive dafür, daß "es auf die Beschleunigung des Verfahrens im Interesse der Ermittlung des Empfangsberechtigten ankommt und jeder Aufschub Zweifel an der Redlichkeit des Finders erregt"l3. Doch bekommt der Eigentümer die verlorene Sache lieber spät als gar nicht zurück, und die unwiderlegbare gesetzliche Vermutung der Unredlichkeit des Finders ist Ausfluß eines obrigkeitsstaatlichen Rigorismus, der unangemessen ist. Sie schadet den Interessen 9 Allgemeine Meinung, vgl. Mot. Mugdan III, S. 210; StaudingerlGursky, BGB I3 , § 971 Rn. 4; Westennann I, S. 439. 10 Der Ausschlußgrund der Verheimlichung gilt nach h. M. auch für den Wertfund, nämlich dann, wenn der Finder nach Anzeige oder Ablieferung des Fundes dem anfragenden Berechtigten den Fund verheimlicht; vgl. RGRKI Picard, BGB, § 971 Rn. 8; StaudingerlGursky, BGB I3 , § 971 m. w. N. Anders PlancklBrodmann, BGB, § 971 Anm. 3 b. 11 So Prot. Mugdan III, S. 659 f.; JakobslSchubert, SachenR I, S. 723; Heck, § 65; Strauß, S. 42 f.; Woiffl Raiser, § 82 VI 2. 12 Um den Tatbestand der Unterschlagung, § 246 StGB, zu erfüllen, muß der Finder Zueignungswillen haben, der sich in einer äußerlich sichtbaren Handlung manifestiert; vgl. Tröndlel Fischer; StGB, § 246 Rn. 12; speziell zur Fundunterschlagung vgl. Rn. 18. 13 So Mot. Mugdan III, S. 210; ähnlich Vorentwürfe SachenR I, S. 992. Vgl. auch die Regelung im eTher. 11 cap. 4 Nr. 62: "Um damit aber der Eigentümer einer verlorenen Sache solche desto leichter wieder habhaft werde, wollen und gebieten Wir hiermit, daß ein Jedweder, der etwas findet, und binnen drei Tagen, wer es verloren habe, nicht selbst mit Sicherheit erfahren kann ... solches nach deren Verlauf, sobald als es geschehen kann, bei der Gerichtsbarkeit ... anzeige." 6 Knütel

2. Kap.: Verletzung gesetzlicher Pflichten und Obliegenheiten

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des Eigentümers eher als daß sie ihnen nützt. De lege ferenda scheint daher eine flexiblere Regelung sinnvoller, etwa wie die des Art. 722 Abs. 2 ZGB, der bestimmt: "Wird die Sache zurückgegeben, so hat der Finder Anspruch auf Ersatz aller Aufwendungen, sowie auf einen angemessenen Finderlohn." Eine feste Frist für die Anzeige besteht nicht; die Höhe des Finderlohns richtet sich unter anderem nach den Mühen, die der Finder aufgewendet hat und die um so höher zu honorieren sind, je zügiger die Anzeige erfolgt ist 14 • Anders verhält es sich, wenn der Finder den Fund auf Nachfrage verheimlicht. Da das Ableugnen im Gegensatz zur bloßen Untätigkeit regelmäßig eine Zueignung und damit eine Unterschlagung der Fundsache darstellt 15, besteht kaum Anlaß, den Finder, der den Fund schließlich doch eingesteht oder die Fundsache an den Berechtigten zurückgibt, zu prämieren. Jedenfalls dann, wenn die Unredlichkeit des Finders feststeht, ist es mit dem Zweck des Finderlohnes nicht vereinbar, diesen zuzubilligen. Wenn sich auch de lege lata wegen des Wortlauts und wegen des historischen Hintergrundes der Regelung nicht daran rütteln läßt, daß der Anspruch auf Finderlohn, einmal verwirkt, endgültig verwirkt ist, so wäre es de lege ferenda zu begrüßen, eine flexiblere Regelung einzuführen, die dem bloß nachlässigen Finder einen Anspruch auf Finderlohn gibt, wenn er seine Anzeigepflicht im nachhinein doch noch erfüllt.

111. Eigentumsanwartschaft und tätige Reue

Der Finder kann die Fundsache zu Eigentum erwerben. Ist die Fundsache unter DM 10,- wert, geschieht dies bereits sechs Monate nach dem Fund, wenn nicht dem Finder vorher der Eigentümer bekannt geworden ist oder wenn er den Fund auf Nachfrage verheimlicht hat, §§ 973, 974 BGB. Ist die Sache mehr als DM 10,wert, handelt es sich also um einen sogenannten Wertfund, muß der Finder den Fund zunächst bei der zuständigen Behörde anzeigen. Er erwirbt das Eigentum sechs Monate nach der Anzeige, es sei denn, dem Finder ist vorher ein Empfangsberechtigter bekanntgeworden oder ein solcher hat sich bei der Behörde gemeldet. Die Anzeige braucht nicht unverzüglich zu erfolgen. Wird die Anzeige später erstattet, so wird lediglich der Zeitpunkt, zu dem der Finder Eigentümer wird, hinausgeschoben l6 • Dies ergibt der Wortlaut des § 973 Abs. 2 BGB und auch dessen Zweck: Die Regelung soll das dauernde Auseinanderfallen von Eigentum und Besitz vermeiden und die Fundsache möglichst bald wieder dem Rechtsverkehr zuVgl. dazu Zürcher Kommentar zum ZGB, Art. 720-722 Rn. 58. Voraussetzung ist, daß auch das Ableugnen mit Zueignungswillen geschieht; dies dürfte jedoch regelmäßig der Fall sein; vgl. dazu Tröndle I Fischer, StGB, § 246 Rn. 19. 16 Allgemeine Meinung; siehe Wolf!/ Raiser, § 82 VII I; Wieling I, S. 498; Staudinger / Gursky, BGB 13 , § 973 Rn. 2; Strauß. S. 53 f. 14 1S

§ 5 Inventaruntreue

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führen. Daher muß der Finder auch unabhängig von einer Verletzung der Anzeigepflicht Eigentümer der Fundsache werden 17 • Ausgeschlossen ist der Eigentumserwerb, wenn der Finder den Fund auf Nachfrage verheimlicht, § 973 Abs. 2 S. 2 BGB. Dies gilt nach zutreffender herrschender Meinung nicht nur für den Klein-, sondern auch für den Wertfund l8 , und zwar bereits deswegen, weil der Eigentumserwerb nicht eintritt, wenn dem Finder vor Ablauf der sechs Monate ein Empfangsberechtigter bekannt geworden ist, § 973 Abs. 1 BGB. Hier ist der Eigentumserwerb durch den Finder nicht mehr möglich, selbst wenn er den Fund nachträglich eingesteht l9 .

IV. Ergebnis Der Finder, der die Anzeigepflicht gern. § 965 BGB verletzt hat, hat de lege lata den Anspruch auf Finderlohn endgültig verwirkt. De lege ferenda wäre flexiblere Regelung zu befürworten, etwa wie die des Art. 722 Abs. 2 ZGB, nach welcher auch der bloß nachlässige Finder noch Finderlohn beanspruchen kann, wenn er die Sache schließlich zurückgibt. Der Erwerb des Eigentums an der Fundsache hingegen wird durch die Verletzung der Anzeigepflicht nicht verhindert, sondern lediglich verzögert.

§ 5 Inventaruntreue, § 2005 Abs. 1 BGB I. Problem Der Erbe erlangt nicht nur das Aktivvermögen des Erblassers, sondern haftet als Gesamtrechtsnachfolger ebenso für dessen Schulden, §§ 1922, 1967 BGB. Der Erbe haftet persönlich und unbeschränkt, es sei denn, das Nachlaßinsolvenzverfahren ist eröffnet oder die Nachlaßverwaltung ist angeordnet, § 1975 BGB. Können diese Verfahren mangels Masse nicht durchgeführt werden, kann der Erbe die unbe17 Vgl. Staudinger/Gursky. BGB l3 , § 973 Rn. 2. Um die erneute Verkehrsfähigkeit der Fundsache zu beschleunigen und vor allem, um die Fundbüros zu entlasten, hat der Gesetzgeber noch 1976 die Erwerbsfrist von einem Jahr auf sechs Monate verkürzt; vgl. BT-Drs. 7/ 3559, S. 4 f. Ähnliches bestrebte schon die 2. Kommission, die die Erwerbsfrist von möglichen drei Jahren, die E I § 918 vorsah, auf ein Jahr verkürzte und vor allem E I § 920 strich, der den Eigentumserwerb des Finders ausschloß, wenn dieser die Anzeigepflicht verletzt hatte; vgl. Prot. Mugdan III, S. 665. Zur Vorgeschichte des E I § 920 vgl. ferner Jakobs/ Schubert. SachenR I, S. 739 f. 18 Siehe nur Staudinger/Gursky. BGB l3 • § 973 Rn. 3 m. w. N. 19 Freilich bleibt es dem Finder unbenommen, nach § 974 BGB vorzugehen und das Eigentum an der Fundsache gegebenenfalls nach Ablauf der Erklärungsfrist zu erlangen.

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2. Kap.: Verletzung gesetzlicher Pflichten und Obliegenheiten

grenzte Haftung vermeiden, indem er gemäß § 1990 Abs. I BGB die Dürftigkeitseinrede erhebt. Die Haftungsbeschränkung läßt sich nur verwirklichen, wenn der Umfang des Nachlasses festgestellt wird. Dies geschieht durch die Errichtung eines Inventars; das Inventar wird durch den Erben oder unter Mithilfe des Erben entweder durch den Nachlaß- oder Insolvenzverwalter oder durch ein Organ der Rechtspflege aufgenommen. Das Inventar als "papierene Aussonderung" des Nachlasses ist die Grundlage für dessen Bilanzierung; die rechtliche Bedeutung des Inventars besteht vor allem darin, daß es zwischen dem Erben und den Nachlaßgläubigern die Vermutung begründet, daß zur Zeit des Erbfalles weitere Nachlaßgegenstände als die angegebenen nicht vorhanden gewesen sind, § 2009 BGB. Der Erbe kann, um diese ihm günstige gesetzliche Vermutung zu begründen, das Inventar freiwillig errichten. Doch kann das Nachlaßgericht dem Erben auf Antrag eines Gläubigers auch eine Frist zur Inventarerrichtung setzen; diese wird so zur Obliegenheit des Erben. Unterläßt er es schuldhaft, das Inventar innerhalb der gesetzten Frist zu errichten oder verweigert er die geschuldete Mitwirkung bei der Aufnahme des Inventares, so haftet er allen Nachlaßgläubigern gegenüber unbeschränkt, §§ 1994 Abs. 1, 2005 Abs. 1 BGB. Gleiches gilt, wenn der Erbe absichtlich eine erhebliche Unvollständigkeit der im Inventar enthaltenen Angabe der Nachlaßgegenstände herbeiführt oder in der Absicht, die Nachlaßgläubiger zu benachteiligen, die Aufnahme einer nicht bestehenden Nachlaßverbindlichkeit bewirkt, § 2005 Abs. 1 S. 1 BGB. Die Sanktion der unbeschränkten Erbenhaftung kann den Erben, sofern der Nachlaß überschuldet ist, um seine wirtschaftliche Existenz bringen und unangemessen hart sein 1. Dies gilt insbesondere in Fällen, in denen der Erbe das Inventar durch einen Vertreter hat aufnehmen lassen und der Vertreter ohne Wissen des Erben absichtlich eine erhebliche Unrichtigkeit herbeigeführt· hat; denn nach allgemeiner Meinung muß der Erbe gemäß § 278 BGB für das Verschulden eines gesetzlichen oder gewillkürten Vertreters bei der Errichtung des Inventares wie für eigenes haften 2 • Es fragt sich, ob der Erbe der unbeschränkten Haftung entgehen kann, indem er das zunächst absichtlich falsch aufgenommene Inventar berichtigt. Die Motive haben es ausdrücklich Praxis und Wissenschaft überlassen, hierüber zu entscheiden 3 ; ! So bereits Lange. Erbrecht!, § 50 VI 8 c; zustimmend Lange I Kuchinke. Erbrecht4 , § 48 VI 8 c; ferner Bentert. S. 125. 2 PlanckiFlad. BGB. § 2005 Anm. 4; MünchKommlSiegmann. BGB. § 2005 Rn. 3; StaudingerlMarotzke. BGB 13 , § 2005 Rn. 8. Es muß indessen bezweifelt werden, ob diese Ansicht richtig ist. Vor allem verbietet es der Privatstrafencharakter des § 2005 Abs. I BGB, fremdes Verschulden wie eigenes zuzurechnen. Weiter ist die Inventarerrichtung nur Obliegenheit, nicht aber Pflicht des Erben; auf die Erfüllung von Obliegenheiten ist § 278 BGB jedoch grundSätzlich nicht anwendbar. da die Hilfsperson keine Verbindlichkeit erfüllen; vgl. MünchKomml Hanau. BGB, § 278 Rn. 29 m. w. N. 3 Mot. Mugdan V. S. 332.

§ 5 Inventaruntreue

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noch zu Beginn dieses Jahrhunderts war die Frage heftig umstritten 4 . Dieser Streit ist inzwischen abgeklungen, wohl nicht zuletzt wegen seiner geringen praktischen Bedeutung5 • Den Sieg davongetragen haben diejenigen, die das Errichten eines falschen Inventares für irreversibel, tätige Reue mithin für unbeachtlich halten 6 ; eine Meinung, die der Überprüfung bedarf. Vorab sei ein Blick auf die Hintergründe und Wurzeln der beschränken Erbenhaftung geworfen.

11. Hintergrund und Historie Nach klassischem römischen Recht konnte der Erbe die Haftung grundsätzlich nicht beschränken, sondern die Erbschaft nur entweder ausschlagen oder unbeschränkt annehmen 7 • Diese Rechtsauffassung ist strenge Konsequenz des bereits in Rom anerkannten Grundsatzes der Universalsukzession 8 . Doch führt die starre Alternative - ausschlagen oder unbeschränkt haften - zu groben Unbilligkeiten für den Erben und für dessen Gläubiger9 : Für den Erben ist die Annahme riskant, wenn Zahl und Höhe der Forderungen gegen den Nachlaß unklar sind; die Gläubiger des Erben laufen Gefahr, ihre Forderungen infolge der unbeschränkten Haftung nicht mehr realisieren zu können. Deshalb führte lustinian im Jahre 531 allgemein die Möglichkeit ein, die Erbenhaftung auf den Nachlaß zu beschränken lO • Die Beschränkung setzte voraus, daß den Nachlaßgläubigern Gewißheit über den Bestand des Nachlasses zum Zeitpunkt des Erbfalles gegeben wurde. Dies geschah - wie heute - mittels eines Inventars, das der Erbe erstellen und öffentlich beurkunden lassen mußtelI. Bereits die ordnungsgemäße und fristgerechte Errichtung des Inventars bewirkte, daß der Erbe nur cum viribus hereditatis 12 (gegenständlich be4 Tätige Reue honorieren wollten etwa Staudinger/ Henfelder, BGB 9 , § 2005 Anm. 4; Binder, S. 234; Riesenfeld, S. 17; Wilke, BGB, § 2005 Anm. 2; Mayer/Reis, S. 241 Nr. 14; Weißler, S. 466. Dagegen Planck/Flad, BGB, § 2005 Anm. 2 d; Strohal 11, § 73 VI I; Binder, S. 89; Dernburg, § 17311 2 b; Crome V, S. 608 Anm. 97; Krug, JherJb 49,121,128; Riese, ArchBürgR 30, S. 197,209. 5 In der Juris-Datenbank fand sich bis bei der Abfassung dieses Paragraphen im August 1998 keine einzige zivilgerichtliche Entscheidung zu § 2005 BGB. 6 Vgl. etwa Staudinger/Marotzke, BGB I3 , § 2005 Rn. 19; Kipp/Coing, § 94 V 3; MünchKomm/Siegmann, BGB, § 2005 Rn. 3; RGRK/ Johannsen, BGB, § 2005 Rn. 5. 7 Ausgenommen war der durch Testament freigelassene und zum Erben berufene Sklave; siehe Gajus I. 2, 154 f. 8 Vgl. Kaser, Studienbuch, § 65 I I; eingehend Staudinger / Boehmer, BGB 11, § 1922 Rn. 99 ff. 9 Gleiches gilt für die Nachlaßgläubiger, wenn der Erbe überschuldet ist. Diese konnten daher bereits nach klassischem Recht eine separatio bonorum vom heres suspectus verlangen; dazu Kaser, Studienbuch, § 74 11 2. 10 C. 6, 30, 22 (anno 531); zuvor hatten allein Soldaten dieses Privileg in bestimmten Fällen inne, vgl. Just. C. 6, 30, 22 pr. 11 Vgl. neben Just. C. 6, 30, 22 §§ 2 ff.; I. 2, 19,6; Kaser, Studienbuch, § 74 II 3; Windscheid/ Kipp III, § 606.

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schränkt auf den Nachlaß) haftete; daher der Begriff des beneficium inventarii, der Rechtswohltat des Inventars. Verwirkt hatte das beneficiium inventarii in Rom allein derjenige, der die Frist zu seiner Errichtung ungenutzt verstreichen ließ; wer im Inventar Nachlaßgegenstände unterschlug, haftete nicht unbeschränkt, sondern lediglich auf das Doppelte des Unterschlagenen 13 . Das beneficium inventarii hat über das gemeine Recht mit Unterschieden im einzelnen in nahezu alle modernen Kodifikationen Eingang gefunden l4 , zum Teil wie im BGB - dahin modifiziert, daß neben der Fristversäumnis auch das Unterschlagen von Nachlaßgegenständen zur unbeschränkten Haftung führte l5 . Auch der Vorentwurf und der 1. Entwurf zum BGB (§§ 2092 ff.) folgten dieser Tradition. Die zweite Kommission wich von diesem Wege ab; sie beseitigte die Haftungsbegrenzungswirkung des Inventars. Nach dem Konzept des BGB tritt die Haftungsbeschränkung nicht dadurch ein, daß der Erbe ein Inventar errichtet, sondern dadurch, daß der Nachlaßkonkurs eröffnet oder die Nachlaßverwaltung angeordnet wird oder daß der Erbe die Dürftigkeitseinrede erhebt, §§ 1975, 1990 BGB. Die Inventarerrichtung begründet lediglich die widerlegbare (§ 292 ZPO) Vennutung des § 2oo9 BGB: daß zur Zeit des Erbfalles weitere Nachlaßgegenstände nicht vorhanden gewesen seien. Grund der Änderung war ein Mißtrauen in die private Bestandsaufnahme und vor allem in die private Verwaltung des Nachlasses l6 • Dennoch hat die 2. Kommission die Folge der unbeschränkten Erbenhaftung, die an die verspätete Errichtung oder die Errichtung eines absichtlich falschen Inventares geknüpft war, beibehalten. Seitdem steht der rechtliche Vorteil des Inventars in keinem angemessenen Verhältnis mehr zu dem Nachteil, den eine falsche oder verfristete Errichtung mit sich bringt. Aus dem beneficium inventarii ist ein anus inventarii geworden 17. III. Inventaruntreue und tätige Reue

Um die Auswirkungen tätiger Reue bei der Inventaruntreue zu prüfen, ist es geboten, zwischen den einzelnen Untreuetatbeständen des § 2oo5 Abs. I BGB zu differenzieren: der Unterschlagung von Nachlaßgegenständen (S. I I. Alt., dazu unter 12 H. M., vgl. Kaser, Studienbuch, § 74 11 3. Die andere Möglichkeit, eine Haftungsbeschränkung auf den Wert des Nachlasses (pro viribus hereditatis), ist in § 802 ABGB verwirklicht. 13 Vgl. Just. C. 6, 30,22, §§ 2, 10; Windscheid/Kipp III, § 606 Nr. 2, 3. 14 Vgl. bayer. LR III 1 § 6; ALR I 9 §§ 422 ff.; ce An. 793 ff.; ABGB § 802; ce ital. An. 484 ff.; v. Schmitt, Vorentwürfe ErbR 11, S. 238 ffi. w. N. Anders das sächs. GB § 2328; An. 580 ff. ZGB. 15 ALR I 9 § 439; ce An. 801; ce ital. Art. 494. 16 Siehe die Erwägungen in den Protokollen bei Mugdan V, S. 437 f. 17 Zu Würdigung und Kritik der Regelung siehe Lange/ Kuchinke, Erbrecht4 , § 46 IV.

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1.), der Aufnahme einer nicht bestehenden Nachlaßverbindlichkeit (S. 1 2. Alt., dazu unter 2.) und der Verweigerung oder Verzögerung der Auskunft im Falle des § 2003 BGB (S. 2, dazu unter 3.).

1. § 2005 Abs. 1 S. 11. Alt. BGB a) Standpunkt der herrschenden Meinung Die heute herrschende Meinung spricht dem Erben, der absichtlich eine erhebliche Unvollständigkeit der angegebenen Nachlaßgegenstände herbeigeführt hat, die Möglichkeit ab, durch die nachträgliche Korrektur des Inventars der unbeschränkten Haftung zu entgehen; dies gilt gleichermaßen für das freiwillige wie für das aufgrund einer Fristsetzung nach § 1994 BGB errichtete Inventar. Die herrschende Auffassung stützt sich im wesentlichen auf folgende Argumente: Weil das Inventar errichtet sei, sobald es eingereicht wurde (§§ 1993, 2003 Abs. 3 BGB)18, sei eine Berichtigung des freiwillig errichteten Inventars von vornherein begrifflich ausgeschlossen. Nur dann, wenn der Erbe das Inventar auf Fristsetzung hin erstellt habe, sei denkbar, daß er es vor Ablauf der Frist korrigiere und so der unbeschränkten Haftung entgehe. Da aber kein Anlaß bestehe, den Erben, der das Inventar auf Fristsetzung hin errichte, zu privilegieren, sei die Berichtigung generell ausgeschlossen, gleich ob es sich um ein freiwilliges oder um ein "unfreiwilliges" Inventar handele 19. Zudem träten die Rechtsfolgen der Inventarerrichtung (vgl. §§ 2006, 2009, 2010,2014 BGB) sofort mit der Inventarerrichtung und unabhängig vom weiteren Laufe einer etwaigen Inventarfrist ein. Dann aber müsse § 2005 Abs. 1 BGB ebenso unmittelbar wirksam werden und der Erbe unbeschränkt haften 20. Ferner wird eingewendet, der Erbe, der einmal "inventaruntreu" gewesen sei, habe sein Vertrauen verspielt, so daß auch der berichtigten Fassung nicht mehr geglaubt werden könne 21 . Endlich zeige auch der Umkehrschluß zu § 2005 Abs. 2 BGB, daß im Falle des § 2005 Abs. 1 BGB eine spätere Ergänzung des Inventares irrelevant sei 22 .

18 Bis zur Einreichung kann der Erbe daher das Inventar berichtigen, um die Rechtsfolgen des § 2005 BGB zu vermeiden; vgl. RGRKIJohannsen, BGB, § 2005 Rn. 5. 19 PlanckIFlad, BGB, § 2005 Anm. 2 d; Strohal 11, § 73 VI I; Riese, ArchBürgR 30,197, 209; MünchKommlSiegmann, BGB, § 2005 Rn. 3; StaudingerlLehmann, BGB II , § 2005 Rn. 7; Bemert, S. 125. Dernburg, § 17311 2 b geht noch weiter und hält eine Berichtigung in beiden Fällen bereits begrifflich für ausgeschlossen. 20 PlanckIFlad, BGB, § 2005 Anm. 2 d; Strohal 11, § 73 VI Anm. 25. 21 V gl. Prot. Mugdan V, S. 462; Wilke, BGB, § 2005 Anm. 1 b. 22 So etwa StaudingerIMarotz/ce, BGB 13 , § 2005 Rn. 19.

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b) Stellungnahme Die heute herrschende Meinung ist bedenklich. Die Argumente, auf die sie sich stützt, sind zu formal und berücksichtigen nicht, daß für den Erben die Sanktion der unbeschränkten Haftung jedenfalls dann außer Verhältnis zu der Verfehlung steht, wenn er das Inventar freiwillig korrigiert, die Täuschung der Gläubiger dadurch behebt und wenn Schäden nicht eingetreten sind 23 . Man denke sich folgenden Fall: Ein Erbe nimmt - mit dem Beistand einer Amtsperson, § 2002 BGB ein Inventar auf; dabei unterschlägt er jedoch mit Absicht einen erheblichen Teil des Nachlasses. Das Inventar wird an einem Freitag beim Nachlaßgericht eingereicht, also errichtet. Sonntags in der Kirche reut den Erben sein Tun; gleich am Montag morgen sucht er das Nachlaßgericht auf und ergänzt das Inventar um die ausgelassenen Nachlaßgegenstände. Nach der herrschenden Meinung nützt diese tätige Reue dem Erben nichts mehr, im Gegenteil: er liefert sich selbst "ans Messer", indem er die anfängliche Unrichtigkeit eingesteht. Selbst dann, wenn nun unzweifelhaft ein richtiges Inventar vorliegt, der wahre Umfang des Nachlasses also feststeht, soll der Erbe dennoch unbeschränkt haften: ein ganz unbilliges und unbefriedigendes Ergebnis und Anlaß, die Argumente der herrschenden Auffassung auf ihre Stichhaltigkeit hin zu überprüfen. Der erste Einwand: jedenfalls das freiwillige Inventar könne schon begrifflich keinesfalls korrigiert werden, ist eine petitio principii. Denn begrifflich ist eine Berichtigung des absichtlich unvollständigen Inventares durchaus denkbar, und zwar entsprechend der flexiblen Interpretation des Celsus 24 : So kann man die vormalige erhebliche Unrichtigkeit des Inventares nachträglich dann als nicht mehr erheblich im Sinne des § 2005 Abs. 1 BGB ansehen, wenn der Erbe das Inventar ergänzt hat und die anHingliche Manipulation keine Auswirkungen auf die Feststellung des wahren Umfanges des Nachlasses hatte. Als Vorbild dienen kann in diesem Zusammenhang ALR I 9 § 439, der die Voraussetzung der unbeschränkten Erbenhaftung treffend dahin formuliert, daß durch falsche Angaben das Inventar so mangelhaft war, "daß dadurch die Ausmittlung der Beschaffenheit des Nachlasses unmöglich wird ... ,,25. Ähnlich bemerkt auch Strohal, der eine Berichtigung grundsätzlich für nicht möglich hält, daß es mit diesem Standpunkte durchaus vereinbar sei, "wenn die Verfehlung im Falle einer vom Erben in continenti 26 vorgenommenen 23 So Lange, Erbrechtl, § 50 VI 8 c; Lange/Kuchinke, Erbrecht4 , § 48 VI 8 c bereits für den FaJl, daß keine tätige Reue vorliegt; vgl. ferner Mol. Mugdan V, S. 332; Bentert, S. 125 f. 24 Dazu oben § I IV. I. a). 25 Dennoch vertrat die damalige Lehre, daß der Verlust der beschränkten Haftung jedenfaJls durch die spätere Ausmittlung der Beschaffenheit des Nachlasses durch Dritte nicht beseitigt würde; vgl. Koch I, I 9 § 439 Anm. 97. 26 Der Begriff entstammt der römischen Vertragslehre und bezeichnet eine Vereinbarung, die in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit dem Vertragsabschluß getroffen und noch Vertragsinhalt wurde. Anders eine Erklärung ex intervallo, die lediglich eine Einrede begründete; vgl. Ulp. D. 2, 14,7,5; näher R. Knütel, Contrarius consensus, S. 61 ff. Siehe

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Berichtigung als nicht erfolgt behandelt wird,m. Entscheidend ist schließlich, daß die Beschränkung der Erbenhaftung vor allem eine Frage der Billigkeit ist28 , und daß in eo genere plerumque sub auctoritate iuris scientiae perniciose erratu?9. Wer eine sachgerechte Lösung sucht, muß vor allem auf die Interessenlage sehen und darf nicht beim Wortlaut der Norm stehenbleiben. Der zweite Einwand, die unbeschränkte Haftung müsse unmittelbar mit der Errichtung eintreten, weil auch die übrigen Rechtsfolgen der Inventarerrichtung (vgl. §§ 2006, 2009, 2010, 2014 BGB) bereits unmittelbar mit der Errichtung eintreten, steht einer Berichtigung ebensowenig entgegen. Denn die unbeschränkte Haftung steht in keinem logisch oder rechtlich zwingenden Zusammenhang mit den Rechtsfolgen der Inventarerrichtung. Es ist nicht zu erkennen, warum der Erbe unwiderruflich unbeschränkt haften muß, sobald er verpflichtet ist, die Richtigkeit des Inventars auf Antrag eines Gläubigers an Eides statt zu versichern (§ 2006 BGB), oder sobald die Vermutung des § 2009 BGB Platz greift, oder sobald jedermann, der ein berechtigtes Interesse nachweist, das Inventar einsehen kann (§ 2010 BGB)3o. Zwar kann das falsch errichtete Inventar ab diesem Zeitpunkt jeden Einsichtsberechtigten täuschen, doch kann diese Täuschung die unbeschränkte Haftung jedenfalls dann nicht rechtfertigen, wenn sie später freiwillig ausgeräumt wird. Mag auch bereits eine einmalige Täuschung über den Umfang des Nachlasses die Gefahr mit sich bringen, daß ein Nachlaßgläubiger die Realisierung seiner Forderung irrtümlich für unmöglich hält, für sich den Vorgang abschließt, deshalb von der Ergänzung nichts mehr erfährt und so einen Schaden erleidet: Dieser Schaden könnte auch durch die unbeschränkte Haftung nicht abgewendet werden, weil der Gläubiger auch hiervon nichts mehr erführe. Wird dagegen - was in solchen Fällen wahrscheinlich ist - das Nachlaßinsolvenzverfahren eröffnet, ist davon auszugehen, daß der Gläubiger benachrichtigt wird, seine Forderungen anmelden kann und so infolge des anfänglichen Irrtums ebenfalls keinen Schaden erleidet. Dem dritten Einwand, daß der einmal unzuverlässige Erbe sein Vertrauen verspielt habe, ist zu entgegnen, daß den Gläubigem zur Beseitigung der Unsicherheit die Möglichkeit offensteht, den Schuldner gemäß § 2006 BGB zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung heranzuziehen. Diese Möglichkeit wird vom Gesetz in allen anderen Fällen unzuverlässiger Auskunftserteilung 31 als hinreichend angesehen, und sie ist es auch hier 32 . ferner Planek/ Flad. BGB, § 2005 Anm. 2 c zu § 2005 Abs. 1 S. 2 BGB, die dafürhalten, den "Rechtsnachteil des § 2005 Abs. 1 dann als nicht eingetreten anzusehen, wenn der Erbe die anfangs verweigerte Auskunft nachträglich so zeitig erteilt, daß eine erhebliche Verzögerung vermieden wird ... " 27 Strohal 11, § 73 VI 1 Anm. 24. 28 Vgl. Just. C. 6, 30, 22 pr.; v. Sehmitt. Vorentwürfe ErbR 11, S. 240 f.; Kipp/Coing, § 92 I 1; Lange/ Kuehinke, Erbrecht4 , § 46 I 2 f. 29 Cels.-Pau/. D. 45,1,91,3; zu diesem Fragment siehe § 1 Fn. 14. 30 So aber PlanekIFlad, BGB, § 2005 Anm. 2 d.

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Auch das vierte Argument schließlich, der Umkehrschluß zu § 2005 Abs. 2 BGB, schließt die Belohnung tätiger Reue nicht aus. Aus dem Umkehrschluß folgt keineswegs, daß im Falle des Absatzes 1 eine nachträgliche Korrektur bedeutungslos ist, sondern lediglich, daß dem Erben nicht von Amts wegen die Berichtigung des Inventars gestattet werden darf. Der Zweck des § 2005 BGB steht einer haftungsbefreienden Korrektur ebenfalls nicht entgegen, im Gegenteil: Versteht man den Endzweck des § 2005 BGB richtig dahin, daß er den Gläubigem die zum Zeitpunkt des Erbfalls vorhandene Haftungsmasse erhalten soll, spricht alles dafür, eine nachträgliche Berichtigung zu belohnen. Unmittelbar soll § 2005 Abs. 1 BGB den Erben davor abschrecken, ein unvollständiges Inventar zu errichten 33 . Die strenge Rechtsfolge ist ein indirektes Zwangsmittel, welches im Interesse der Nachlaßgläubiger gewährleisten soll, daß vollständige Inventare errichtet werden. Der mittelbare, aber entscheidende Zweck des § 2005 BGB ist es jedoch zu gewährleisten, daß den Nachlaßgläubigern ein vollständiges und zweifelsfreies Nachlaßverzeichnis zur Verfügung steht. Dieser Zweck ist erreicht, wenn das ursprünglich unrichtige Inventar ergänzt ist und darum der Umfang des Nachlasses sicher feststeht. Sobald dieser mittelbare Zweck erreicht ist, darf das Beugemittel nicht mehr durchgesetzt, die unbeschränkte Haftung darf nicht mehr realisiert werden; dies ist fur andere indirekte Zwangsmittel wie für das Zwangsgeld nach § 888 ZPO und für öffentlich-rechtliche Zwangsgelder allgemein anerkanne4 • Daß die Sanktion der unbeschränkten Haftung für den Erben unzumutbar ist, wenn er es durch die nachträgliche Korrektur des Inventares ermöglicht hat, den Bestand des Nachlasses zweifelsfrei festzustellen, erhellt schließlich auch aus den Motiven. Die starre Sanktion des § 2005 BGB (E I § 2106) schien der 1. Kommission allein deshalb gerechtfertigt, weil "der Umfang der durch das dolose Verhalten des Erben herbeigeführten Schädigung der Nachlaßgläubiger ... schwer, wenn überhaupt, zu ermitteln" sei35 • Dies Rechtfertigung entfällt, sobald der Umfang des Nachlasses feststeht. Hinzukommt, daß diese im wahren Sinne "goldene Brücke" dem untreuen Erben den Anreiz schafft, seine bisherigen Angaben zu korrigieren. Dieser Anreiz wiegt eine etwaige Verminderung der unmittelbaren Abschreckungswirkung auf und wird dem Endziel des § 2005 BGB, den Gläubigem den ganzen Nachlaß zu erhellen, besser gerecht. Dies nicht zuletzt deshalb, weil das bloße Risiko, in dem Pro31 Vgl. §§ 259 Abs. 2, 260 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 402, 444, 666, 675, 681, 687 Abs. 2, 713, 1361 Abs. 4; 1379, 1580, 1605, 1634 Abs. 3, 1799 Abs. 2, 1839, 1908 i; 2027,2057, 2127,2314 BGB. 32 So zutreffend Bentert, S. 126 f. 33 Vgl. Mot. Mugdan V, S. 332; Prot. Mugdan V, S. 458; MünchKomm/Siegmann, BGB, § 2005 Rn. 1; RGRK/Johannsen, BGB, § 2005 Rn. 4. Eingehend zum Strafcharakter der Norm auch Bentert, S. 126 f. m. w. N. 34 Das entsprechende Problem hatte sich bereits bei der Verfallsbereinigung der Vertragsstrafe gestellt; siehe dazu oben § I IV. I. b). 35 Mot. Mugdan V, S. 332; vgl. auch Prot. Mugdan V, S. 462 f.

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zeß um die Frage der unbeschränkten Haftung zu unterliegen, geeignet ist, auch denjenigen Erben von der Korrektur des Inventares abzuhalten, der eine erhebliche Unrichtigkeit lediglich fahrlässig herbeigeführt und die unbeschränkte Haftung nicht verwirkt hatte, § 2005 Abs. 2 BGB. Berechtigte Interessen der Nachlaßgläubiger werden nicht verletzt, wenn man den Erben, der das Inventar freiwillig berichtigt hat, die Haftungsbeschränkung gewährt. Denn grundsätzlich müssen sich die Nachlaßgläubiger - schon wegen des Haftungsinteresses der bisherigen Gläubiger des Erben 36 - mit dem Nachlaß als Haftungsmasse begnügen. Anders liegt es allein dann, wenn es infolge des dolosen Verhaltens des Erben nicht möglich ist, den Inhalt des Nachlasses auszumitteln, und die Gläubiger keine Sicherheit darüber haben, daß alles in der Erbschaft Vorgefundene zu ihrer Befriedigung verwendet werden kann 37 • Dies aber ist nach einer vollständigen und glaubhaften Ergänzung nicht mehr der Fall. Hat der Erbe das Inventar dagegen nicht freiwillig, sondern erst berichtigt, nachdem Dritte ihm die Unrichtigkeit vorgehalten oder gar bewiesen haben, bleibt es bei der unbeschränkten Haftung. Andernfalls liefe die Präventivfunktion des § 2005 BGB leer und die Interessen der Nachlaßgläubiger würden zu sehr gefahrdet. Das Errichten eines falschen Inventars wäre weitgehend risikolos, ja man lüde den Erben geradezu ein, "es einmal zu versuchen", wenn man ihm die Möglichkeit der haftungsbefreienden Berichtigung auch nach Entdeckung noch offen hielte. Hinzu kommt, daß das Verhalten des Erben hier kaum noch Belohnung verdient und die unbeschränkte Haftung darum auch nicht unbillig ist. Nach alledem kann der Erbe, der vorsätzlich eine erhebliche Unrichtigkeit des Inventars herbeigeführt hatte, entgegen der heute herrschenden Meinung die unbeschränkte Haftung vermeiden, indem er das Inventar nachträglich freiwillig ergänzt, so daß der wahre Umfang des Nachlasses zweifelsfrei ausgemittelt werden kann.

2. § 2005 Abs. 1 S. 1 2. Alt. BGB Auch wenn der Erbe " ... in der Absicht, die Nachlaßgläubiger zu benachteiligen, die Aufnahme einer nicht bestehenden Nachlaßverbindlichkeit (bewirkt), so haftet er für die Nachlaßverbindlichkeiten unbeschränkt", § 2005 Abs. 1 S. 1 2. Alt. BGB. Diese erst von der zweiten Kommission einfügte Bestimmung ist in erster Linie eine Strafe38 • Sie ist insofern ungewöhnlich, als daß es dem Erben nicht obliegt, die Passiven in das Inventar einzustellen 39 , so daß deren Nicht- oder Vgl. KipplCoing § 92 I 1. Vgl. Windseheidtl Kipp III, § 606 pr.; Bentert, S. 126. 38 Planek/ Flad, BGB, § 2005 Anm. 2 b; Bentert, S. 126 m. w. N. 39 Das Inventar braucht, weil es den Gläubigern Übersicht über den Bestand des Nachlasses verschaffen soll, von seinem Sinn und Zweck her nur die Aktiven zu enthalten. § 2001 36

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Falschangabe außer einer möglichen Deliktshaftung keine weiteren zivilrechtlichen Nachteile mit sich bringen dürfte4o. Die Strafe hat deshalb positiven Charakter und rechtfertigt sich allein durch die Überlegung, daß praktisch auch auf angegebene Passiva vertraut wird und es die Gläubiger deshalb vor Fällen zu schützen gilt, in denen "ein Erbe, um zu einem günstigen Accorde zu gelangen, Gläubiger, die bereits bezahlt seien, im Inventare aufführe oder den Betrag einzelner Forderungen absichtlich zu hoch angebe,,41. Auch hier kann eine freiwillige Berichtigung des falsch errichteten Inventars die unbeschränkte Haftung noch abwenden. Doch setzt die haftungsbefreiende Wirkung der Berichtigung nicht allein voraus, daß infolge der Berichtigung Klarheit über den wahren Umfang des Nachlasses beziehungsweise über den Umfang der Forderungen gegen den Nachlaß besteht. Dem Abschreckungszweck der Regelung entsprechend ist entscheidend, daß der Erbe das Inventar berichtigt, bevor er die Falschangabe ausgenutzt hat, etwa indem er einen teilweisen Forderungserlaß bei einem Nachlaßgläubiger bewirkt hat. Der Wortlaut der Vorschrift, die nicht voraussetzt, daß die Aufnahme einer nicht bestehenden Nachlaßverbindlichkeit erheblich war, steht diesem interessengerechten Verständnis nicht entgegen. Denn der Sachzusammenhang mit der ersten Satzhälfte des § 2005 Abs. 1 S. 1 BGB zeigt, daß auch hier die Sanktion der unbeschränkten Haftung nur zu rechtfertigen ist, Wenn die Verfehlung des Erben von einiger Bedeutung, also erheblich war. Dies aber ist dann nicht anzunehmen, wenn der Erbe seine Falschangabe rechtzeitig berichtigt42.

3. § 2005 Abs. J S. 2 BGB

Nach § 2005 Abs. 1 S. 2 BGB haftet der Erbe schließlich unbeschränkt, "wenn er im Falle des § 2003 die Erteilung der Auskunft verweigert oder absichtlich in erheblichen Maße verzögert". Hier ist anerkannt, daß der Erbe, der die Auskunft zwar zunächst verweigert, der unbeschränkten Haftung entgehen kann, indem er sie nachträglich noch so zeitig erteilt, daß eine erhebliche Verzögerung der Inventarerrichtung nicht vorliegt43 . Denn die Vorschrift, die ebenfalls erst von der zweiten Kommission hinzugefügt worden ist, beruht weniger auf dem Gedanken der BGB ist eine Sollvorschrift und verlangt die Angabe der Nachlaßverbindlichkeiten, um den Gläubigem die Bilanz Nachlasses zu erleichtern; vgl. Prot. Mugdan V, S. 462. Dem entspricht, daß die Vermutung des § 2009 BGB sich nicht auf die angegebenen Passiva bezieht. 40 Die Bestimmung war deshalb ein allen damaligen Rechten unbekanntes Novum; siehe hierzu Prot. Mugdan V, S. 462 f.; Denkschrift Mugdan V, S. 855; Planck/Flad, BGB, § 2005 Anm.2b. 41 Prot. Mugdan V, S. 462. 42 Vgl. Mol. Mugdan V, S. 332. 43 So Planck/ Flad, BGB, § 2005 Anm. 2 b; Riesenjeld, S. 17; Weißler. S. 467; vgl. auch Frommhold, § 2005 Anm. 2.

§ 6 Obliegenheitsverletzungen des Insolvenzschuldners

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Untreue, sondern auf dem der Versäumung, vgl. § 1994 Abs. I S. I BGB44 . Dem Versäumnis ist das Verweigern der Auskunft jedoch nur gleichzustellen, wenn der Erbe durch die Verweigerung die rechtzeitige Inventarerrichtung verhindert45 . Hiervon kann keine Rede sein, wenn der Erbe die Auskunft trotz seiner zeitweiligen Weigerung rechtzeitig nachholt.

IV. Ergebnis Tätige Reue ist bei der Inventarerrichtung in verschiedener Hinsicht von Bedeutung: Hat der Erbe Nachlaßgegenstände absichtlich nicht in das Inventar aufgenommen und dadurch eine erhebliche Unrichtigkeit des Inventares bewirkt, so kann er die Rechtsfolge der unbeschränkten Haftung abwenden, indem er das Inventar nachträglich freiwillig ergänzt und so der wahre Umfang des Nachlasses zweifelsfrei ausgemittelt werden kann. Hierfür ist unerheblich, ob es sich um ein freiwillig oder auf Fristsetzung hin errichtetes Inventar handelt. Hat der Erbe die Aufnahme einer nicht vorhandenen Nachlaßverbindlichkeit in das Inventar bewirkt, kann er der unbeschränkten Haftung entgehen, wenn er das Inventar freiwillig berichtigt, bevor er Gläubiger mit Hilfe des Inventars zu einem Forderungsverzicht bewegt hat. Hat der Erbe im Falle des § 2003 BGB die Erteilung der nötigen Auskunft verzögert oder verweigert, so kann er die Rechtsfolge des § 2005 Abs. I S. I BGB vermeiden, indem er die Auskunft so rechtzeitig nachholt, daß keine erhebliche Verzögerung der Inventarerrichtung eintritt.

§ 6 Obliegenheitsverletzungen des Insolvenzschuldners, §§ 290 Abs.l, 295 Abs.l, 296, 303 InsO I. Problem Ziel des Insolvenzverfahrens nach der neuen Insolvenzordnung ist nicht nur die gemeinschaftliche Befriedigung der Insolvenzgläubiger; das Insolvenzverfahren soll darüber hinaus dem redlichen Schuldner - sofern dieser eine natürliche Person ist - Gelegenheit geben, sich von seinen restlichen Verbindlichkeiten zu befreien, § I S. 2 InsO. Um in den Genuß der Restschuldbefreiung zu kommen, muß der Schuldner den pfändbaren Teil seines Einkommens für eine Dauer von sieben Jahren nach Beendigung des Insolvenzverfahrens zur weiteren gemeinschaftlichen Befriedigung der Gläubiger an einen Treuhänder abtreten. Nach Ablauf dieser sieben Jahre entscheidet das Insolvenzgericht, ob dem Schuldner Restschuldbefreiung 44 45

Prot. Mugdan V, S. 463 f. Prot. Mugdan V, S. 464.

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zu erteilen ist. Denn nur dem redlichen Schuldner darf die Rechtswohltat der Restschuldbefreiung zugute kommen. Die Restschuldbefreiung ist auf Antrag eines Gläubigers zu versagen oder zu widerrufen, wenn der Schuldner entweder im Vorfeld der Insolvenz oder während des Insolvenzverfahrens oder während der späteren Wohlverhaltensperiode gläubigergefährdende oder gläubigerschädigende Handlungen begangen hat. So ist etwa nach § 290 Abs. I Nr. 2 InsO die Restschuldbefreiung zu versagen, wenn "der Schuldner in den letzten drei Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag vorsätzlich oder grob fahrlässig schriftlich unrichtige oder unvollständige Angaben über seine wirtschaftlichen Verhältnisse gemacht hat, um einen Kredit zu erhalten, Leistungen aus öffentlichen Mitteln zu beziehen oder Leistungen an öffentliche Kassen zu vermeiden." Hier fragt es sich, ob der Schuldner die Versagung der Restschuldbefreiung noch abwenden kann, indem er die falschen Angaben korrigiert, bevor er die Leistungen in Anspruch genommen hat. Diese Frage stellt sich eindringlich auch deshalb, weil der Schuldner angesichts der heute vielfältigen Möglichkeiten der Kreditbeschaffung - insbesondere beim bargeldlosen Zahlungsverkehr - leicht den Überblick über die wahre Höhe seiner Verbindlichkeiten verliert '. Ähnlich liegt es bei § 290 Abs. I Nr. 5 und 6 InsO. Nach diesen Vorschriften ist die Restschuldbefreiung zu versagen, wenn der Schuldner während des Insolvenzverfahrens Auskunfts- oder Mitwirkungspflichten verletzt hat oder in einem Verzeichnis seines Vermögens oder einem Verzeichnis seiner Gläubiger vorsätzlich oder grob fahrlässig falsche Angaben gemacht hat: Hier ist zu prüfen, ob der Schuldner derlei Angaben nachträglich korrigieren und damit die Versagung der Restschuldbefreiung vermeiden kann. Bei denjenigen Versagungsgründen, die zusätzlich zu einer Obliegenheitsverletzung voraussetzen, daß die Befriedigung der Insolvenzgläubiger beeinträchtigt worden ist (vgl. §§ 290 Abs. I Nr. 4, 296 Abs. I i. V. m. § 295 InsO), fragt sich, ob der Schuldner die Verwirkung der Restschuldbefreiung rückgängig machen kann, indem er das Versäumte nachholt und möglicherweise eingetretene Beeinträchtigungen ausgleicht. Wenn der Schuldner beispielsweise Bezüge, die von der Abtretungserklärung umfaßt sind, verheimlicht und in die eigene Tasche steckt, verwirkt er grundsätzlich die Aussicht auf Restschuldbefreiung, §§ 295 Abs. I Nr. 3, 296 InsO. Kann er diese Verwirkung bereinigen, indem er die Bezüge nachträglich aufdeckt und sie - gegebenenfalls zuzüglich Zinsen - an den Treuhänder abführt? Daß der Grundsatz, dem Schuldner eine "goldene Brücke" zu bauen und nachträgliches Wohlverhalten zu belohnen, der Insolvenwrdnung nicht fremd ist, zeigt bereits § 298 Abs. 2 InsO. So ist dem Insolvenzschuldner die Restschuldbefreiung zu versagen, wenn die Beträge, die dieser an den Treuhänder abführt, über ein Jahr nicht einmal dessen Mindestvergütung decken (§ 298 Abs. I InsO). Doch kann der

1

So zutreffend Döbereiner. S. 127; Kyeng-Wook. S. 164.

§ 6 Obliegenheitsverletzungen des Insolvenzschuldners

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Insolvenzschuldner die Verwirkung der Restschuldbefreiung noch abwenden, indem er binnen zwei Wochen nach Aufforderung durch das Gericht den ausstehenden Betrag nachzahlt. Ob der Insolvenzschuldner auch andere Obliegenheitsverletzungen heilen kann, ist im folgenden zu prüfen. Zuvor sei ein kurzer Blick auf die Wurzeln und die Eigenarten der Restschuldbefreiung geworfen.

11. Hintergrund und Historie

Das Restschuldbefreiungsverfahren nach §§ 286 ff. InsO ist gegenüber der Konkursordnung vom 1877, die in § 164 wie nahezu alle anderen kontinentalen Rechte2 nach Abschluß des Konkursverfahrens zur freien Nachforderung berechtigte, ein Novum; grundsätzlich galt und gilt, daß die Leistungsunfähigkeit des Schuldners auf den rechtlichen Bestand der Forderung keinen Einfluß hat3 . Die Restschuldbefreiung ist Frucht der Erfahrung, daß das Recht der freien Nachforderung dem Schuldner häufig jeglichen Anreiz nimmt, neue Erwerbsanstrengungen zu unternehmen, weil es ihn lebenslang auf den unpfändbaren Teil seines Einkommens beschränken kann. Der wirtschaftliche Wert des Rechts der freien Nachforderung ist deshalb gering und kaum geeignet, die lebenslange Haft des Schuldners im "modemen Schuldturm" zu rechtfertigen 4 . Die Aussicht hingegen, von den Restschulden befreit, wirtschaftlich neu beginnen zu können, kann den Schuldner zu neuen Erwerbsanstrengungen motivieren; damit aber ist regelmäßig auch den Gläubigem mehr gedient als mit einem wirtschaftlich wertlosen unbeschränkten Nachforderungsrecht. Direktes Vorbild für die §§ 286 ff. InsO waren die "discharge"- Verfahren des englischen und des US-amerikanischen Rechts 5 sowie § 18 Abs. 2 S. 3 GesO; bereits dieser begrenzte die Vollstreckungsmöglichkeiten der Altgläubiger nach Abschluß des Verfahrens zugunsten des redlichen Schuldners: ,,Eine Vollstreckung findet nur statt, soweit der Schuldner über ein angemessenes Einkommen hinaus zu neuem Vermögen gelangt." § 18 Abs. 2 S. 3 GesO wiederum ist eine nahezu wörtliche Kodifizierung des gemeinrechtlichen beneficium competentiae. Diese "Rechts wohltat des Notbedarfs" wurde - ähnlich der Restschuldbefreiung - nur 2 Übersicht bei Ackmann, Schuldbefreiung, S. 15 ff. Lediglich in der Schweiz ist das Recht der freien Nachforderung gern. Art. 265 Abs. 2 SchKG auf Fälle beschränkt, in denen der Schuldner nach Abschluß des Verfahrens neues Kapital gebildet hat. 3 Hierüber spottet Martial, Epigramme 2, 3: "Sexte, nihil debes, nil debes, Sexte,fatemur. Debet enim, si quis solvere, Sexte, potest" (Du schuldest nichts, Sextus, nichts schuldest du, Sextus, gestehen wir es ein. Es schuldet nämlich nur, wer bezahlen kann, Sextus). 4 Vgl. die Begründung des RegE, BR-Drs. 1/92, S. 188. S Vgl. die Begründung des RegE, BR-Drs. 1192, S. 188; Bork, Rn. 386. Ausführlich zu den englischen und US-amerikanischen Regelungen Ackmann, Schuldbefreiung, S. 32 ff., 69 ff.; ders., KTS 1986,555 ff.; 583 ff.

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2. Kap.: Verletzung gesetzlicher Pflichten und Obliegenheiten

dem redlichen 6 Gemeinschuldner zugebilligt, der zur cessio bonorum7 zugelassen worden war und diese vorgenommen hatte; sie bewirkte, daß der Schuldner von seinen Altgläubigern nur soweit in Anspruch genommen werden konnte, als sein Notbedarf gedeckt und er zu neuem Vermögen gelangt war8 • Für unsere Untersuchung bemerkenswert ist, daß man die Einrede des Notbedarfs als ein Postulat der Billigkeit ansah 9 . Dies gilt gleichermaßen für die Restschuldbefreiung: Diese ist zu versagen, wenn der Schuldner unredlich gewesen ist lO ; wann ein Schuldner hinreichend "unredlich" und ihm deshalb die Restschuldbefreiung zu versagen ist, läßt sich nur im Einzelfall unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände ausmitteln. Um dem Einzelfall gerecht zu werden, hätte es sich deshalb empfohlen, den Tatbestand der Unredlichkeit in eine Generalklausel, verbunden mit Regelbeispielen, zu fassenlI. Davon jedoch hat der Gesetzgeber aus Gründen der Rechtssicherheit abgesehen und die Versagungsgründe in §§ 290, 295, 296 InsO einzeln aufgezählt. Darüber hinaus soll "die Umschreibung der verschiedenen Fallgruppen mit ihren Eigentümlichkeiten ... der Gerechtigkeit dienen und es zugleich verhindern, die Entscheidung über Schuldbefreiung oder Haftung in ein weites Ermessen des Insolvenzgerichtes zu stellen,,12. Welcher Gerechtigkeit mit der bestehenden Fassung tatsächlich gedient ist, ist fraglich; der Einzelfallgerechtigkeit jedenfalls kaum 13. Denn der Wortlaut der einzelnen Fallgruppen läßt dem Richter nicht nur einen geringen, er läßt ihm zumeist gar keinen Ermessensspielraum und erschwert es suum cuique tribuere, jedem das Seine zu gewähren. Der Gesetzgeber hat das Problem solcher Unbilligkeiten zwar gesehen; er unterließ es jedoch, Korrekturen vorzunehmen, weil eine Abwägung der Umstände des Einzelfalles die Gerichte zu stark belasten würde. Man ging davon aus, daß dem 6 Zum klassischen römischen Recht siehe Guenon, S. 48 ff. m. w. N.; Gratian CTh. 4, 20; ferner Seneca, De beneficiis, 7, 16,3. Zur entsprechenden gemeinrechtlichen Praxis vgl. Bayer, §§ 12,26; Mot. KO, in: Hahn, S. 342. 7 Die cessio bonorum (Güterabtretung) berechtigte die Gläubiger, sich durch den Verkauf der Güter des Schuldners gemeinschaftlich aus diesen zu befriedigen, bewirkte aber keinen Eigentumsübergang. Der Schuldner konnte durch die cessio bonorum nicht nur das beneficium competentiae erlangen, sondern darüber hinaus die Personalexekution (Alex. C. 7, 71, I (anno 223» und die Infamie (Gaius 1. 2, 154; Alex. C. 2, 12, 11 (anno 224» verhindern. 8 Vgl. Kaser, RPr I, § 113 IV; Guenoun, S. 39 ff.; VIp. D. 42, 3,4 pr.; 42, 3, 6; Gord. C. 7, 72,3 (s. a.); Hahn, S. 342 m. w. N. Heute ist diese Vollstreckungsbeschränkung in § 850 ZPO fortgeschrieben; dazu Conrad, S. 220 ff.; 307 f.; 335 ff. 9 Gord. C. 7, 72, 3 (s. a.): Ex contractu, qui cessionem rerum antecessit, debitorem contra iuris rationem convenies, cum eum aequitas auxilio exceptionis muniat (Aus einem Vertrag, der der Abtretung des Vermögens voranging, kannst du deinen Schuldner wider die Vorschrift des Rechts nicht belangen, da ihn die Billigkeit mit Hilfe einer Einrede schützt); vgl. ferner lust. 1. 4, 6, 40, der die freie Nachforderung nach einer cessio bonorum für inhumanus hält. 10 Vgl. § 1 S. 2 InsO; Begründung des RegE, BR-Drs. 1/92, S. 190. 11 Vgl. dazu Döbereiner, S. 117 m. w. N. 12 Vgl. Begründung des RegE, BR-Drs. 1/92, S. 190. 13 Kritisch auch Döbereiner, S. 120.

§ 6 Obliegenheitsverletzungen des Insolvenzschuldners

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Schuldner bei ganz unwesentlichen Verstößen die Restschuldbefreiung nicht versagt würde und daß das Verbot des Rechtsrnißbrauches herangezogen werden könne, um unbillige Härten im Einzelfall zu vermeiden l4 . Auch wir werden uns, jedenfalls in den Fällen des § 290 Abs. I Nr. 1, 5, 6 InsO, gegebenenfalls mit einer Anrufung von Treu und Glauben behelfen müssen; bei den Versagungsgründen der §§ 290 Abs. 1 Nr. 4, 296 i. V. m. § 295 InsO jedoch führt bereits die richtige Auslegung der jeweils erforderlichen "Beeinträchtigung" der Befriedigungsaussichten der Gläubiger zu einem sachgerechten Ergebnis. Damit aber ist bereits der nächste Punkt der Untersuchung angesprochen.

DI. Obliegenheitsverletzungen und tätige Reue

I. §§ 290 Abs. I Nr. 4, 2961nsO i. V. m. § 295 InsO

Die Versagungsgründe der §§ 290 Abs. 1 Nr. 4, 296 i. V. m. § 295 InsO setzen voraus, daß der Insolvenzschuldner eine Obliegenheit verletzt hat und daß diese Verletzung zu einer Beeinträchtigung der Befriedigung der Insolvenzgläubiger geführt hat. So ist im Falle des § 290 Abs. 1 Nr. 4 BGB die Restschuldbefreiung zu versagen, wenn der Schuldner Vermögen verschwendet oder die Eröffnung des Verfahrens verzögert und dadurch die Befriedigung der Insolvenzgläubiger beeinträchtigt hat; dies ist der Fall, wenn die Insolvenzmasse geschmälert ist l5 . Die Masseschmälerung, die durch die verzögerte Eröffnung des Verfahrens eingetreten ist, kann der Schuldner nicht wieder rückgängig machen. Denkbar ist aber, daß es dem Schuldner gelingt, einen verschwendeten Gegenstand selbst oder dessen Wert in die Masse zurückzuführen und so die Beeinträchtigung der Befriedigung wieder auszuräumen: Verschiebt etwa der Schuldner in der Krise sein Vermögen durch Schenkungen auf seine Ehefrau oder seine Kinder, verschwendet er Vermögen im Sinne des § 290 Abs. 1 Nr. 4 InsO l6 und beeinträchtigt die Befriedigung der Gläubiger; die Beeinträchtigung wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß die Hingabe anfechtbar gewesen ist, denn der wirtschaftliche Wert des Rückgewähranspruchs ist geringer als der Wert der Sache selbst 17 . Eine Beeinträchtigung liegt jedoch dann nicht mehr vor, wenn der anfechtbar erworbene Gegenstand zum Zeitpunkt der Entscheidung des Insolvenzgerichts - also spätestens zum Schlußtermin, § 289 InsO - vollständig in die Masse zurückgeführt worden ist. Geben daher in unserem Beispiel die Ehefrau oder Kinder das Erlangte auf Betreiben des Schuldners rechtzeitig in die Masse zurück, darf das Insolvenzgericht die Restschuldbefreiung nicht versagen. Freilich werden Fälle, in denen das verschwendete Vermögen insgesamt zurückgewährt werden kann, selten sein. 14 IS

16 17

Vgl. die Begründung des Rechtsausschusses, BT-Drs. 1217302, S. 185, 188. Vgl. Döbereiner; S. 134. Vgl. Döbereiner; S. 134. Döbereiner; S. 134 f.; a. A. wohl Knülling-Dingeldey, S. 202 ff.

7 Knülel

2. Kap.: Verletzung gesetzlicher Pflichten und Obliegenheiten

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Naheliegender könnte nachträgliches Wohlverhalten bei den in §§ 295, 296 InsO sanktionierten Obliegenheitsverletzungen sein. Wenn etwa der Schuldner wie in dem eingangs erwähnten Beispiel dem Insolvenzgericht und dem Treuhänder Bezüge verheimlicht, die von der Abtretungserklärung erfaßt sind, verletzt er seine in § 296 Abs. 1 Nr. 3 InsO geregelte Auskunftsobliegenheit; gleichzeitig beeinträchtigt er die Befriedigung der Insolvenzgläubiger, weil er nicht alle von der Abtretungserklärung umfaßten Bezüge zu deren Befriedigung verwendet. Besinnt er sich später eines Besseren, deckt dem Treuhänder gegenüber die Einkünfte auf, führt diese nachträglich an ihn ab und entrichtet Zinsen auf die vorenthaltene Summe (vgl. § 849 BGB), liegt eine Beeinträchtigung der Befriedigung nicht mehr vor. Damit aber entfallt der Tatbestand des § 296 Abs. I InsO, und die Restschuldbefreiung kann nicht mehr versagt werden.

2. § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO Nach § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO ist die Restschuldbefreiung zu versagen, wenn der Schuldner in den letzten drei Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Verfahrens oder danach vorsätzlich oder grob fahrlässig schriftlich unrichtige oder unvollständige Angaben über seine wirtschaftlichen Verhältnisse gemacht hat, um einen Kredit zu erhalten, öffentliche Leistungen zu beziehen oder zu vermeiden. Es fragt sich, ob dies auch dann gilt, wenn der Schuldner seine Angaben so rechtzeitig berichtigt hat, daß es zu einer Auszahlung des Darlehns nicht mehr gekommen ist, Gläubigerinteressen also nicht beeinträchtigt worden sind. Dieselbe Frage stellt sich, wenn der Schuldner vom Darlehnsvertrag zurücktritt, auf die öffentlichen Leistungen verzichtet, bevor es zu einer Auszahlung gekommen ist oder, sofern er durch die Falschangaben Leistungen an öffentliche Kassen vermeiden wollte, diese nach einer Berichtigung doch noch ordnungsgemäß abführt. Nach dem Wortlaut der Regelung wäre die Restschuldbefreiung in allen drei Fällen zu versagen. Denn der einmal begangene Verstoß - die Falschangabe - kann nicht wieder entfallen, wenn der Schuldner sich nachträglich pflichtgemäß verhält und die Angabe korrigiert; der Weg der flexiblen Interpretation 18 ist versperrt. Eine Inanspruchnahme der Leistungen setzt der Wortlaut auch nicht voraus l9 . Denn nach der ratio legis muß die Restschuldbefreiung auch dann unterbleiben, wenn die Leistungen ohne Zutun des Schuldners etwa deshalb nicht geflossen sind, weil die Falschangaben entdeckt wurden oder der Schuldner trotz seiner Angaben die nötigen Vergabevoraussetzungen nicht erfüllt hat, wenn es sich also um einen "fehlgeschlagenen Versuch" handelt.

Dazu oben § 1 IV 1. a). So Döbereiner, S. 126. A. A. offenbar Bark, Rn. 388; unklar die Begründung des RegE, BR-Drs. 1/92, S. 190. 18

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Dennoch erscheint es in den Fällen unbillig, dem Schuldner die Restschuldbefreiung zu versagen, in denen dieser seine Angaben rechtzeitig berichtigt hat und den Gläubigern keinerlei Nachteile aus dem anfänglichen Fehlverhalten erwachsen sind. Die Problematik ähnelt derjenigen der folgenlosen Obliegenheitsverletzungen im Versicherungsrecht 2o . Der Versicherungsnehmer, der vorsätzlich eine Obliegenheit verletzt, die nach Eintritt des Versicherungsfalles zu erfüllen ist, verwirkt nach dem Wortlaut vieler Verfallklauseln seinen Deckungsanspruch auch dann, wenn die Verletzung infolge späteren Wohlverhaltens auf die Feststellung der Einstandspflicht und deren Umfang keinen Einfluß hatte (vgl. etwa §§ 5 Nr. 3 S. 1,6 AHB i. V. m. § 6 Abs. 3 VVG). Die Auswirkungen dieses Alles-oder-nichts-Prinzips werden in derartigen Konstellationen allgemein für unbillig gehalten; die Rechtsprechung vermeidet Härten für den Versicherungsnehmer mit Hilfe der ,,Relevanztheorie": Hiernach kann der Versicherer sich auf den Verfall nicht berufen, wenn die Obliegenheitsverletzung nicht geeignet war, seine Interessen ernsthaft zu gefährden, und wenn das Verschulden des Versicherungsnehmers gering gewesen ist21 . Wandelt man diese Relevanztheorie sachgerecht dahin ab, daß im Falle nachträglichen Wohlverhaltens nur solche Obliegenheitsverletzungen relevant bleiben, die zu einer konkreten Beeinträchtigung der Gläubigerinteressen geführt haben 22 , so ergibt sich ein Einschränkungskriterium, das sich auch für den hier untersuchten Fall des § 290 Abs. I Nr. 2 InsO fruchtbar machen läßt: Berichtigt der Schuldner seine grob fahrlässig oder vorsätzlich gemachten Falschangaben so zeitig, daß es zu einer Auszahlung des Kredits oder der öffentlichen Leistungen nicht kommt oder zahlt er etwaige, öffentlichen Kassen geschuldete Leistungen doch, stehen Treu und Glauben der Verwirkung der Restschuldbefreiung entgegen. Ob man dieses Ergebnis mit dem Verbot unzulässiger Rechtsausübung - also der Arglisteinrede - erreicht oder, wie die Relevanzrechtsprechung es tut, mit einer Art teleologischer Reduktion, ist unerheblich. Interessen der Gläubiger, deren Schutz § 290 Abs. I Nr. 2 InsO durch die Androhung der Versagung der Restschuldbefreiung indirekt bezweckt, werden durch die Belohnung solchen nachträglichen Wohlverhaltens nicht verletzt, im Gegenteil: Das Interesse der Gläubiger verlangt danach, dem Schuldner ein Anreiz zu schaffen, seine Angaben nachträglich zu berichtigen. Wenn er dies tut, wird bereits die Entstehung eines Schadens, wie etwa die Valutierung eines täuschungsbedingt gewährten Darlehns, verhindert. Weil zwischen dem Antrag auf Gewährung eines Kredites oder öffentlicher Subventionen und der Auszahlung des Geldes regelmäßig eine gewisse Zeitspanne liegt, kann ein solcher Anreiz durchaus von Bedeutung sein. Stellt der Schuldner im nachhinein etwa fest, daß er grob fahrlässig falsche Angaben gemacht hat, so würde er sein Handeln eher zu vertuschen als aufzudecken trachten, wenn er die Aussicht auf Restschuldbefreiung ohnehin verwirkt 20 21

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7"

Dazu § 3 IV. BGH NJW 1969, 1385 f.; 1972,339. Vgl. dazu § 3 IV., insbesondere die Nachweise in Fn. 30.

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2. Kap.: Verletzung gesetzlicher Pflichten und Obliegenheiten

hätte. Könnte er dagegen hoffen, daß seine Ehrlichkeit belohnt wird, ist es nicht unwahrscheinlich, daß er seine Falschangaben nachträglich berichtigt. Auch der Zweck der Norm nötigt zu keiner strengeren Beurteilung. § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO soll den Schuldner in erster Linie davor abschrecken, falsche Angaben zu machen 23 . Ob diese Abschreckungswirkung gemindert wird, wenn man dem Schuldner die nachträgliche Korrektur gestattet, ist bereits zweifelhaft. Doch kann dies dahinstehen, da eine etwaige Verringerung der Abschreckungswirkung jedenfalls durch das Interesse der potentiellen Gläubiger aufgewogen wird, dem Schuldner einen Anreiz zur Berichtigung zu schaffen. Daß § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO zusätzlich eine repressive Funktion hat, ist nicht anzunehmen; eine solche Funktion wäre im Zivilrecht singulär und ist hier angesichts differenzierter strafrechtlicher Regelungen nicht erforderlich (§§ 264, 265 b StGB). Doch braucht das hier nicht entschieden zu werden, da der tätigen Reue durch die Gewährung der Restschuldbefreiung Rechnung zu tragen wäre, wie es auch das Strafrecht tut (§§ 264 Abs. 5, 265 b Abs. 2 StGB). Die Belohnung der nachträglichen Korrektur falscher Angaben kommt schließlich einem offenen Schutzbedürfnis des Schuldners entgegen 24 • Denn in Zeiten der Krise verführt die Hoffnung, daß schließlich "doch alles gut gehen müsse", leicht dazu, Betriebsdaten zu schönen, um mit neuer Liquidität eine vermeintliche letzte Chance wahrzunehmen. Die Anerkennung des nachträglichen Wohlverhaltens erleichtert es dem Schuldner, der seine Lage überdacht hat, einen solchen übereilten Schritt wieder rückgängig zu machen. Nach alldem sei festgehalten, daß der Schuldner, der vorsätzlich oder grob fahrlässig falsche Angaben gemacht hat, um einen Kredit oder öffentliche Leistungen zu erlangen, die Versagung der Restschuldbefreiung abwenden kann, indem er seine Angaben vor der Inanspruchnahme der Leistung berichtigt oder indem er die Leistung nicht annimmt. Hat der Schuldner die falschen Angaben gemacht, um öffentliche Leistungen zu vermeiden, kann er die Versagung vermeiden, indem er die Angaben berichtigt und soviel nachleistet, wie er hätte leisten können, wenn er die Angaben zur rechten Zeit gemacht hatte, den öffentlichen Kassen also kein kausaler Schaden entstanden ist.

3. § 290 Abs. J Nr. 51nsO Die Restschuldbefreiung ist auch demjenigen Schuldner zu versagen, der "während des Insolvenzverfahrens seine Auskunfts- und Mitwirkungspflichten ... vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt hat", § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO. Den Inhalt dieVgl. die Begründung des RegE, BR.-Drs. 1/92, S. 190. Enger Döbereiner, S. 216 f., der bei vorsätzlichen Verstößen kein Schutzbedürfnis des Schuldners anerkennt und Korrekturen nach Treu und Glauben ablehnt. 23

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§ 6 Obliegenheits verletzungen des Insolvenzschuldners

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ser Pflichten regeln §§ 97 f. InsO: Der Schuldner ist verpflichtet, dem Insolvenzgericht, dem Insolvenzverwalter, dem Gläubigerausschuß und auf Anordnung des Gerichts auch der Gläubigerversammlung über alle das Verfahren betreffenden Verhältnisse Auskunft zu erteilen (§ 97 Abs. I InsO), den Verwalter bei der Erfüllung seiner Aufgaben zu unterstützen (§ 97 Abs. 2 InsO) und sich darüber hinaus hierfür auf Anordnung des Gerichtes jederzeit zur Verfügung zu stellen (§ 97 Abs. 3 InsO). Schließlich hat der Schuldner die Richtigkeit seiner Angaben auf Anordnung des Gerichtes an Eides Statt zu versichern (§ 98 Abs. I InsO). Der Wortlaut läßt offen, wann diese Auskunfts- und Mitwirkungspflichten als ..verletzt" im Sinne des § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO anzusehen sind: Ist bereits jede verzögerte und verfälschte Auskunft als hinreichende Verletzung anzusehen, oder muß der Pflichtverstoß von einer gewissen Erheblichkeit sein? Der Vergleich mit den übrigen Tatbeständen, die - mit Ausnahme der Sonderregel der Nr. 3 - durchweg schwerwiegendes Fehlverhalten voraussetzen, legt den Schluß nahe, daß auch in § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO die Verletzung von einiger Bedeutung sein muß. Darüber hinaus ist das Erfordernis einer solchen Erheblichkeit angesichts der einschneidenden Rechtsfolge nicht nur ein Postulat der Billigkeit, sondern erhellt auch aus den Gesetzesmotiven: Diese rechtfertigen die Norm insbesondere damit, daß der Schuldner die Befriedigungsaussichten der Gläubiger vermindert habe 25 • Hiervon kann jedoch nur die Rede sein, wenn der Insolvenzschuldner seine Mitwirkungspflichten mit einer gewissen Hartnäckigkeit verletzt hat. Daraus folgt zunächst, daß der Schuldner die Versagung der Restschuldbefreiung noch verhindern kann, indem er die versäumte Handlung nachholt, bevor diese als eine erhebliche Verletzung seiner Mitwirkungspflicht anzusehen ist. Fraglich bleibt, ob der Schuldner auch dort, wo die Schwelle zur Verletzung der Mitwirkungspflicht sicher überschritten ist, die Versagung der Restschuldbefreiung nach § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO noch abwenden kann, indem er das Unterlassene nachholt. Kann es etwa dem Schuldner, der sich entgegen einer Anordnung des Gerichtes hartnäckig nicht zur Erteilung einer Auskunft zur Verfügung gestellt hatte (vgl. § 97 Abs. 3 InsO), noch etwas nützen, wenn er die Auskunft im nachhinein doch noch erteilt? Die Frage ist entsprechend dem zu § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO Gesagten zu bejahen. Voraussetzung ist, daß der Schuldner die Auskunft so rechtzeitig nachholt, daß durch seine Säumnis die Befriedigung der Gläubiger nicht beeinträchtigt worden ist; der gen aue Zeitpunkt hängt ab von der Art der zu erteilenden Auskunft; regelmäßig wird dieser Zeitpunkt der Berichtstermin sein (§ 156 InsO). Auch hier wird man dem Normzweck eher gerecht, wenn man nachträgliches Wohlverhalten belohnt, als wenn man es für unbeachtlich hält. § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO soll den Schuldner im Interesse der Gläubiger dazu veranlassen, am Verfahren mitzuwirken und so zu einer optimalen Verwertung seines Vermögens beizutragen. Dafür aber 25 Vgl. die Begründung zu § 239 Abs. 1 Nr. 5 des RegE, des § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO entspricht, BR-Drs. 1/92, S. 190.

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2. Kap.: Verletzung gesetzlicher Pflichten und Obliegenheiten

muß der Anreiz zu kooperativem Verhalten so lange wie möglich fortbestehen, also auch über eine vorübergehende Pflichtverletzung hinaus. Ein Verständnis, das die Restschuldbefreiung nach einer einmaligen Pflichtverletzung als endgültig verwirkt ansieht, kann zu einer wenig sinnvollen Verhärtung der Fronten und zu einem Stillstand der Zusammenarbeit führen. Berechtigte Interessen der Gläubiger sind nicht verletzt, wenn man die Heilung der Pflichtverletzung nur unter der Voraussetzung anerkennt, daß die Befriedigung nicht beeinträchtigt worden ist. Diese Möglichkeit, "das Fehlende noch ergänzen" zu dürfen, entspricht schließlich der allgemeinen Auffassung zu entsprechenden Vorschriften der Vergleichsordnung: So war etwa die Eröffnung des Vergleichsverfahrens abzulehnen oder die Bestätigung des Vergleiches zu versagen, wenn der Gemeinschuldner sich auf der Flucht befand (§§ 17 Nr. 1,79 Nr. 2 VergIO); stellte sich der Schuldner dem Gericht jedoch vor dessen Entscheidung, hatte dies dem Antrag zu entsprechen 26 ; ferner war das Verfahren etwa einzustellen, wenn seine Eröffnung wegen formeller Mängel hätte abgelehnt werden müssen; die Einstellung unterblieb jedoch, wenn das Fehlende ergänzt werden konnte (§ 100 Abs. 1 Nr. 1 VergIO). Da dieser Gedanke auch in der Insolvenzordnung in § 298 fortgeschrieben wurde 27 , liegt es nahe, diesen Grundsatz auch bei der Auslegung des Versagungstatbestandes des § 290 Abs. 1 Nr. 5 zu berücksichtigen.

4. § 290 Abs. J Nr. 6 InsO Nach § 290 Abs. 1 Nr. 6 InsO ist die Restschuldbefreiung zu versagen, wenn "der Schuldner in den nach § 305 Abs. 1 Nr. 3 vorzulegenden Verzeichnissen seines Vermögens und seines Einkommens, seiner Gläubiger oder der gegen ihn gerichteten Forderungen vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtige Angaben gemacht hat." Die Verzeichnisse nach § 305 Abs. 1 Nr. 3 InsO hat der Schuldner bereits mit dem Eröffnungsantrag oder unverzüglich nach diesem Antrag vorzulegen. Zweck der erst vom Rechtsausschuß eingefügten Bestimmung ist es, darauf hinzuwirken, daß "der Schuldner die im Rahmen des Verbraucherinsolvenzverfahrens vorzulegenden Verzeichnisse ... sorgfältig erstellt,,28. Reicht der Schuldner zunächst grob fahrlässig oder vorsätzlich ein unrichtiges Verzeichnis ein, so kann er die Versagung der Restschuldbefreiung dennoch abwenden, indem er das Verzeichnis nachträglich korrigiert, sofern die Befriedigung der Gläubiger durch die falschen Angaben nicht bereits beeinträchtigt worden ist; zur Begründung gelten die vorstehenden Ausführungen entsprechend.

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Vgl. Bley/ Mohrbutter. VerglO, §§ 17 Anm. 7 c; 79 Anm. 8 a. Zu dieser Regelung siehe oben § I III. 10. Vgl. die Begründung des Rechtsausschusses, BT-Drs. 12/7302, S. 187 f.

§ 6 Obliegenheitsverletzungen des Insolvenzschuldners

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IV. Ergebnis Der Insolvenzschuldner kann Pflicht- oder Obliegenheitsverletzungen, die die Erteilung der Restschuldbefreiung ausschließen, grundsätzlich heilen, indem er das Versäumte nachholt; Voraussetzung ist, daß das Fehlverhalten des Schuldners - im nachhinein gesehen - die Befriedigung der Insolvenzgläubiger nicht beeinträchtigt hat. Im Falle des § 290 Abs. I Nr. 4 InsO entfallt der Versagungsgrund, wenn der Wert in die Masse zurückgeführt wird, um den sie durch das Fehlverhalten des Insolvenzschuldners geschmälert worden ist. Die Versagungsgründe des § 296 Abs. I i. V. m. § 295 InsO entfallen, wenn der Insolvenzschuldner seine Obliegenheiten nachträglich erfüllt und denjenigen Betrag zuzüglich Verzugszinsen an den Treuhänder leistet, den er abgeführt hätte, wenn er seine Obliegenheiten rechtzeitig erfüllt hätte. Hat der Schuldner durch falsche Angaben versucht, einen Kredit oder öffentliche Leistungen zu erschleichen, § 290 Abs. I Nr. 2 Ios0, so darf die Restschuldbefreiung dann nicht versagt werden, wenn der Schuldner die Angaben vor der Inanspruchnahme berichtigt oder aber auf die Inanspruchnahme der Leistungen verzichtet hat. Wollte der Schuldner durch falsche Angaben Leistungen an öffentliche Kassen venneiden, hat er die Angaben zu berichtigen und die öffentliche Kasse so zu stellen, wie sie ohne die Falschangaben gestanden hätte. Hat der Schuldner Auskunfts- oder Mitwirkungspflichten vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt, § 290 Abs. I Nr. 5 InsO, so kann er diese Pflichten ebenfalls nachholen und der Versagung entgehen, sofern die Befriedigung der Gläubiger durch die Verspätung nicht beeinträchtigt wurde. Schließlich kann der Schuldner die Versagung der Restschuldbefreiung nach § 290 Abs. I Nr. 6 InsO abwenden, indem die nach § 305 Abs. I Nr. 3 InsO vorzulegenden Vennögensverzeichnisse freiwillig berichtigt und die Befriedigung der Gläubiger durch die ursprüngliche Unrichtigkeit nicht beeinträchtigt wurde.

3. Kapitel

Verletzung sittlicher Pflichten und Obliegenheiten und tätige Reue § 7 Verfehlungen des geschiedenen oder getrennt lebenden Ehegatten, §§ 1579, 1361 Abs. 3 BGB I. Problem Das OLG Nümberg hatte 1996 folgenden Fall zu entscheidenI: Die Ehe der Parteien war 1991 in einem Vorprozeß geschieden worden. In dem Scheidungsurteil wurde der Beklagte verurteilt, der Klägerin nachehelichen Unterhalt zu leisten; zudem wurde der Klägerin das Sorgerecht und dem beklagten Vater ein Umgangsrecht für die bei den aus der Ehe hervorgegangenen Kinder zugesprochen. Die Ausübung dieses Umgangsrechts jedoch wurde von der Klägerin hintertrieben; sie überließ dem Beklagten die Kinder entweder gar nicht oder nur selten und versuchte diese zudem gegen ihn einzunehmen. Daraufhin wurde in einem weiteren Vorprozeß 1994 festgestellt, daß die Klägerin ihren Anspruch auf Zahlung von nachehelichen Unterhalt gemäß § 1579 Nr. 6 BGB wegen schwerwiegenden Fehlverhaltens gegen den Verpflichteten teilweise verwirkt habe. Die Klägerin änderte nun ihr Betragen und gestattete dem Beklagten, die Kinder alle drei bis vier Wochen für drei Stunden abzuholen. In dem nun folgenden (dritten) Prozeß 1996 begehrte die Klägerin deshalb die Abänderung des Urteils aus dem Jahre 1994; sie vertrat die Auffassung, daß ihr teilweise verwirkter Anspruch auf Zahlung von nachehelichem Unterhalt infolge ihres nachträglichen Wohlverhaltens wiederaufgelebt sei. Das OLG Nümberg wies die Klage auf die Berufung des Beklagten hin in zweiter Instanz ab, weil es die tatsächlichen Voraussetzungen für den Wegfall der Verwirkung für nicht gegeben ansah: Seit Februar 1996 war der Kontakt wieder abgerissen. Doch führt der Senat in der Urteilsbegründung aus, daß der Unterhaltsanspruch grundsätzlich dann in seiner Gesamtheit wiederauflebe, wenn "das Umgangsrecht des Vaters dauerhaft und in angemessenem Umfang ausgeübt werden" könne 2 . Hierfür habe die Klägerin zu sorgen, indem sie die durch ihr Fehlverhalten bewirkte Ablehnung des Vaters durch die Kinder beseitige und diese dem Vater regelmäßig in einer Weise überlasse, die persönliche Zuwendung und Betreuung ermögliche. I 2

OLGNürnbergFamRZ 1997, 614f. OLG Nürnberg FarnRZ 1997,614,615.

§ 7 Verfehlungen des geschiedenen oder getrennt lebenden Ehegatten

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Die Entscheidung betrifft just unser Problem: Können UnterhaltsanspTÜche des getrennt lebenden oder geschiedenen Ehegatten, die dieser wegen eines Fehlverhaltens gemäß § 1579 BGB ganz oder teilweise verwirkt hat, wiederaufleben, und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen? Das OLG Nürnberg ist - soweit ersichtlich - das erste Gericht, das diese Frage uneingeschränkt bejaht: zunächst in einem obiter dictum aus dem Jahre 1994 3 , und nun in der geschilderten Entscheidung. Den Boden hierfür hatte indes der BGH in seiner jüngeren Rechtsprechung schon bereitet. Er hatte bereits mehrfach - erstmals im Jahre 19864 - entgegen der untergerichtlichen Rechtsprechung 5 , aber in Übereinstimmung mit der im Schrifttum herrschenden Auffassung6 , entschieden, daß die Verwirkung eines Unterhaltsanspruches nach § 1579 BGB nicht notwendig endgültig sein müsse. Doch handelte es sich hierbei stets um Fälle, in denen der Unterhaltsanspruch nach § 1579 Nr. 7 BGB wegen objektiver Unzumutbarkeit, nicht aber wegen eines vorwerfbaren Fehlverhaltens gegen den Verpflichteten verwirkt worden war. So lagen den Entscheidungen des BGH ausschließlich Sachverhalte zugrunde, in denen der unterhaltsberechtigte Ehegatte nach der Trennung oder nach der Scheidung zunächst mit einem neuen Partner in eheähnlicher Gemeinschaft zusammenlebte, diese Beziehung jedoch später zerbrach. Ein solches Konkubinat allein stellt keine Verfehlung gegen den Verpflichteten mehr dar, sofern es erst eingegangen wurde, nachdem die Ehe bereits zerbrochen war. Doch kann die Gewährung von Unterhalt objektiv unzumutbar werden, wenn die neuen Partner in "ehegleicher ökonomischer Solidarität" zusammenleben7 • Denn niemandem kann zugemutet werden, den neuen Partner des geschiedenen Gatten mitzuunterhalten. Wenn die Beziehung später auseinander geht und damit die Unterhalts gemeinschaft aufgehoben wird, entfallt der Grund der objektiven Unzumutbarkeit und der Unterhaltsanspruch kann wiederaufleben 8 . Auch im Schrifttum entspricht es inzwischen der herrschenden Meinung, daß nach § 1579 BGB "verwirkte" UnterhaltsanspTÜche grundsätzlich wiederaufleben OLG Nürnberg, NJW 1994,2964,2965. BGH NJW 1986, 722, 724; BGH FamRZ 1987, 689, 690; BGH FarnRZ 1987, 1238; ebenso OLG Hamm FamRZ 1996, 1080, 1081. Vgl. ferner bereits BGH FamRZ 1983, 569, 572; OGH Wien MDR 1958, 76 f. 5 Vgl. OLG DüsseldorfFarnRZ 1980,1012,1013; OLG Hamm FamRZ 1981,954; OLG Oldenburg FamRZ 1981,775,778; OLG Hamm FamRZ 1981, 257, 258. Diese Ansicht beruht indes allein auf der unkritischen Übernahme der allgemeinen Meinung zu § 66 EheG, der Vorgängernorm des § 1579 BGB. Nach dem Wortlaut des § 66 EheG waren Unterhaltsansprüche wegen eines schweren Fehlverhaltens oder wegen Führens eines unsittlichen Lebenswandels "verwirkt", also endgültig entfallen; der Wortlaut des § 1579 BGB hingegen ist in dieser Hinsicht offen; dazu unten III. 1. 6 Vgl. etwa Schwab, Scheidungsrechtl, Rn. 373; RGRK/Cluny, BGB, § 1579 Rn. 58 m.w.N. 7 SI. Rspr.: vgl. BGH NJW 1987,3129,3130; BGH FamRZ 1987, IOll, 1013; BGH NJW 1989,1083,1087; OLG Harnrn FarnRZ 1996,1080,1081. 8 Vgl. die Nachweise in Fn. 4. 3

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können. Doch besteht Uneinigkeit darüber, ob dies für alle Tatbestände des § 1579 BGB gilt oder nur für einige und nach welchen Kriterien gegebenenfalls zu unterscheiden ist9 . So wird etwa nach abgeschlossenen und nach andauernden Tatbeständen 10 oder danach differenziert, ob die Wirkungen der Verfehlung auf den Verpflichteten durch Zeitablauf 11 oder ausweislich offenbarer Verzeihung oder Versöhnung 12 nachlassen können. Andere Stellungnahmen erschöpfen sich in der Wiedergabe ergangener Entscheidungen 13. Eine überzeugende Lösung des Problems ist noch nicht gefunden, sondern es bleibt, um mit Luthin 14 zu sprechen, noch ein weites Feld zu bestellen. Dies soll im folgenden versucht werden; dazu sei zunächst ein Blick auf Wurzeln und Wesen des ehelichen und des nachehelichen Unterhalts geworfen.

11. Hintergrund und Historie Als Partner einer auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaft sind die Ehegatten verpflichtet, sich gegenseitig Beistand und Unterhalt zu gewähren l5 . Zu Zeiten des klassischen römischen Rechts war es allein die Sitte, die die Einhaltung dieser Pflicht gewährleistete l6 ; Sittenverfall sowie der Einfluß des christlichen Eheverständnisses ftihrten später in nachklassischer Zeit zur Verrechtlichung der wechselseitigen Beistands- und Unterhaltspflicht 17. Demnach bestritt den Barunterhalt grundsätzlich der Mann, häufig jedoch mit Hilfe der Früchte der dos, also dem von 9 Vgl. Schwab, Scheidungsrechtl, Rn. 373 (alle Tatbestände); Schwab, Scheidungsrecht 3 , Teil IV (Borth) Rn. 526 ff. (Nr. 3,6, 7); RGRKICluny, BGB, § 1579 Rn. 58 ff. (alle Tatbestände); JohannsenlHenrichlVoelskow (Nr. 3,6,7); Göppingerl Kindermann, Rn. 1284 (alle Tatbestände); KalthoenerlBüttner, Rn. 1139 ff. (alle Tatbestände); MünchKommlRichter, BGB, § 1579 Rn. 56 (Nr. 7); GernhuberICoester-Waltjen, § 30 VII 14 (Nr. 7); Luthin, FamRZ 1986, 1166, 1168 f. (Nr. 2, 3, 6, 7). Unklar PalandtlDiederichsen, BGB, § 1579 Rn. 45 f. 10 So Schwab, Scheidungsrecht 3 , Teil IV (Borth) Rn. 526; Luthin, FamRZ 1986, 1166, 1168 f.; KalthoenerlBüttner, Rn. 1139; Rolland, § 1579 Rn. 27. 11 GöppingerlKindermann, Rn. 1284; KalthoenerlBüttner, Rn. 1141. 12 Wendl/Staudigl/Gerhard, § 4 Rn. 764; KalthoenerlBüttner, Rn. 1139; Johannsenl HenrichlVoelkskow, § 1578 Rn 46. 13 So insbesondere MünchKomml Richter, BGB, § 1579 Rn. 56; Palandtl Diederichsen, BGB, § 1579 Rn. 45, 46. 14 FamRZ 1986, 1166, 1169. 15 Zur naturrechtlichen Begründung vgl. Heineccius, Elementa, 2,2,44 ff.; Pufendorj, Oe officio, 2, 2, 10. 16 Vgl. Kaser, RPr I, § 76 I 2. 17 Vgl. Ulp. 0.24,3,22,7: Quid enim tam humanum est, quam utfortuitis casibus mulieris maritum vel uxorem viri participem esse (Was nämlich ist so menschlich, als daß der Ehemann an Schicksalsschlägen der Frau und die Ehefrau (an solchen) des Mannes teilhabe). Eingehend zur Entwicklung des ehelichen UnterhaItsrechtes Biondi, ORC III, S. 102 ff.

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der Frau eingebrachten Sondergut. Über das gemeine Recht 18 fanden diese Prinzipien Eingang in die modemen Kodifikationen, darunter in §§ 1353, 1360 BGß. Doch betonen diese, vom Gedanken des mutuum adiutorium geprägt 19, stärker als früher die Gleichheit und Gegenseitigkeit der ehelichen Unterhaltspflichten 20 • Die eheliche Unterhaltspflicht dauert solange fort wie die Ehe selbst, besteht also auch während der Trennung von Tisch und Bett. Wird die Ehe dagegen geschieden 21 , entfallen die gegenseitigen Unterhaltspflichten, weil sie allein in der Ehe selbst wurzeln. Der Anspruch auf Zahlung auch von nachehelichem Unterhalt (§§ 1569 ff. BGB) ist, weil eigentlich systemwidrig, rechtsgeschichtlich noch jung22 . Er beruht allein auf Billigkeitserwägungen: Zum einen soll der nacheheliche Alimentationsanspruch den bedürftigen Ehegatten vor dem Dilemma bewahren, "entweder die ihm unerträglich gewordene Ehe fortsetzen oder aber die Mittel zur Bestreitung seines Unterhalts entbehren zu müssen,m. Zum anderen hat die nacheheliche Bedürftigkeit häufig ihre Ursache in der Ehe: Wenn ein Partner sich allein oder vorwiegend um den Haushalt und die Erziehung der Kinder gekümmert hat und deshalb keinen Beruf erlernen oder ausüben konnte, so kann er von dem anderen auch nacheheliche Solidarität verlangen 24 ; dies um so mehr, je länger die Ehe gedauert hat, sich die Lebensverhältnisse der Ehegatten verflochten haben und eine wirtschaftliche Abhängigkeit des einen Gatten vom anderen entstanden ist25 . Vgl. nur WindscheidlKipp III, § 491. Der Grundsatz des mutuum adiutorium ist das christliche Leitbild einer guten Ehe; vgl. Richter, § 28411 (S. 1159); Walter, § 294 (S. 651). 20 Besonders prägnant Art. 212 CC: ,,Les epoux se doivent mutuellement fidelite, secours, assistance." Vgl. ferner ALR II I § 174. 21 Die Ehescheidung stand im klassischen römischen Recht, das die Ehe als bloßes soziales Faktum und nicht als Rechtsakt ansah, im freien Belieben der Ehegatten. Erst durch den Einfluß der christlichen Lehre von der Unauflöslichkeit der Ehe (quod Deus coniunxit homo non separet, vgl. Matthäus. 19, 6) und dem fortschreitenden Sittenverfall in der Kaiserzeit wurden unbegründete Ehescheidungen zunächst mit Scheidungsstrafen bedroht und später zum Teil verboten. Das später maßgebende kanonische Recht schloß und schließt die Ehescheidung ganz aus, wohingegen das protestantische Kirchenrecht schon nach der Reformation die Scheidung wegen Ehebruchs und böslicher Verlassung wieder erlaubte. Mit Einführung der Zivilehe wurde durch die meisten modernen Kodifikationen schließlich ein allgemeines ziviles Scheidungsrecht bei Vorliegen bestimmter Scheidungsgründe statuiert. 22 Vorbild der Regelung der nacheheIichen Unterhaltspflicht in §§ 1578 ff. BGB a. F. waren Art. 301 CC und § 1750 sächs. GB. Diese Normen statuierten erstmalig einen Unterhaltsanspruch für die Zeit nach der Ehescheidung für den Fall, daß die Versorgung des unschuldigen Teiles nicht durch die damals üblichen Scheidungsstrafen sichergestellt war: So verlor nach gemeinem Recht der schuldige Teil an den unschuldigen die dos, oder, wenn eine solche nicht bestellt war, den vierten Teil seines Vermögens, sowie die donatio propter nuptias, vgl. WindscheidtlKipp 111, § 510 und entsprechende Regelungen in bayer. LR I 6 § 43; ALR 11 1 §§ 783 ff.; CC Art. 299 f. 23 Planck. Vorentwürfe FamR 11, S. 88; vgl. auch Mot. Mugdan IV, S. 330 (zu E I § 1454). 24 Dieser Gedanke spiegelt sich insbesondere in § 1575 BGB wider. V gl. ferner RegE z. I. EheRG, BT-Drs. 7/650, S. 121, 129; 7/4361, S. 15,16; BGH NJW 1981,754,755; GernhuberlCoester-Waltjen, § 30 I 2. 18 19

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All dies gilt aber nicht uneingeschränkt. Die Pflicht zur Leistung von nachehelichem Unterhalt kann unzumutbar sein. namentlich dann, wenn der bedürftige Ehegatte schwer gegen den anderen gefehlt und damit zum Scheitern der Ehe wesentlich beigetragen hat. Deshalb war der Anspruch auf Zahlung von nachehelichem Unterhalt bis zur Eherechtsreform von 1976 bei alleinigem oder überwiegendem Verschulden des bedürftigen Ehegatten ausgeschlossen. Obschon der Anspruch seit der Abkehr vom Verschuldensprinzip26 heute unabhängig vom Verschulden des Bedürftigen besteht, hat sich an dieser Interessenlage und an der Frage der Zumutbarkeit nichts geändert. Davon zeugt die heutige Ausschlußnorm des § 1579 BGB, die anhand von Regelbeispielen und einer Generalklausel die Grenzen der Zumutbarkeit eines schuldunabhängigen Unterhaltsanspruches aufzeigt und damit nicht zuletzt die Verfassungsmäßigkeit eines schuldunabhängigen Unterhaltsanspruches gewährleistet 27 . Doch ist die heutige Regelung flexibler als die früheren verschuldensabhängigen Verwirkungsnormen und erlaubt eine gerechtere Entscheidung des Einzelfalles. Hierzu gehört auch, daß ein ganz oder teilweise verwirkter Unterhaltsanspruch wieder aufleben kann, wie sogleich zu zeigen ist. Insoweit ist durch das I. EheRG "la perennite du lien conjugal malgre la dissolution du mariage" ein Stück weit Wirklichkeit geworden, wie Bosch28 im Jahre 1977 befürchtet hatte. IH. Scheidungsunterhalt, Unzumutbarkeit und tätige Reue

Um zu klären, ob und unter welchen Voraussetzungen verwirkte Unterhaltsansprüche wegen eines nachträglichen Wohlverhaltens wiederaufleben können, ist zu prüfen, ob der Wortlaut des § 1579 BGB ein Wiederaufleben zuläßt (dazu unter 1.), ob dies mit der Funktion der Norm (dazu unter 2.) und schließlich mit den Rechtsstellungen von Verpflichtetem und Berechtigtem vereinbar ist (dazu unter 3. und 4.).

1. Wortlaut Der Wortlaut der Norm erlaubt es nicht nur, sondern er gebietet es, tätige Reue zu berücksichtigen. So ist der Anspruch auf Zahlung von nachehelichem Unterhalt gemäß § 1579 BGB "zu versagen, herabzusetzen oder zeitlich zu begrenzen, so25 Dieser Gesichtspunkt findet sich heute in §§ 1579 Nr. I, 1582 Abs. 1 S. 1 BGB und spielt für die Zubilligung nachehelichen Unterhalts eine entscheidende Rolle; vgl. nur BGH FamRZ 1987,689,690. Nur der Unterhaltsanspruch wegen Betreuung eines Kindes, § 1570 BGB, beruht weniger auf Billigkeitserwägungen, sondern vielmehr auf den verfassungsrechtlich geschützten Interessen des gemeinschaftlichen Kindes, das durch die Scheidung keine unterhaltsrechtlichen Nachteile erfahren soll, Art. 6 Abs. 2 GG. Vgl. dazu BVerfGE 57,361, 382m. w. N. 26 Zur Geschichte der aktuellen Regelung eingehend Schuchmann, S. 14 ff.; 115 ff. 27 Vgl. BVerfGE 57,361,380 f. 28 FamRZ 1977,569,578.

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weit die Inanspruchnahme des Verpflichteten auch unter Wahrung der Belange eines dem Berechtigten zur Pflege oder Erziehung anvertrauten gemeinschaftlichen Kindes grob unbillig wäre, weil ... die Ehe von kurzer Dauer war" (Nr. 1), der Berechtigte eine der in den Nr. 2-6 normierten Verfehlungen begangen hat oder "ein anderer Grund vorliegt, der ebenso schwer wiegt wie die in den Nr. 1 bis 6 aufgeführten Gründe" (Nr. 7). Die drei Verben "versagen", "herabsetzen" und "zeitlich begrenzen" regeln die möglichen Rechtsfolgen des Tatbestandes: dem Vorliegen einer der Härtegründe und der dadurch bedingten groben Unbilligkeit der Inanspruchnahme des Verpflichteten 29 . Allein sagen die Verben über die Dauer der Beschränkung nichts aus. Sie sind aber konditional ("soweit") mit dem Tatbestandselement der "groben Unbilligkeit" verknüpft, und diese kann entfallen, wenn sich die der Bewertung zugrunde liegenden Umstände ändern. Entfallt die Bedingung im Konditionalsatz, so wirkt sich dies auf die Rechtsfolge im Hauptsatz aus, auch wenn das sonst in den §§ 1570 ff. BGB verwendete Wort "solange" fehlt. Insofern ähnelt das Tatbestandselement der groben Unbilligkeit in § 1579 BGB funktional dem der Bedürftigkeit in den §§ 1569 ff. BGB und kann als ein die Höhe des Unterhalts bestimmendes Element auch künftige Veränderungen desselben bewirken 3o . Für die Auswirkungen tätiger Reue bedeutet dies folgendes: Gingen Verfehlung und tätige Reue dem ersten Unterhaltsprozeß voraus, so sind die Auswirkungen der tätigen Reue in die Unbilligkeitswertung miteinzubeziehen. Hat der Berechtigte sich dagegen erst nach einer rechtskräftig festgestellten Verwirkung wohlverhalten, so kann er diesen Umstand im Rahmen einer Abänderungsklage gemäß § 323 ZPO geltend machen. In diesem Prozeß sind alle relevanten Umstände erneut abzuwägen und dabei die Auswirkungen des nachträglichen Wohlverhaltens zu berücksichtigen 31 . 2. Zweck der Norm

Der Zweck des § 1579 BGB steht dem Wiederaufleben des Unterhaltsanspruches nicht entgegen. Die Vorschrift dient nach allgemeiner Auffassung dazu, Härten zu vermeiden und Einzelfallgerechtigkeit zu schaffen, wo die Zumutbarkeitsgrenze des schuldunabhängigen Unterhaltsanspruches überschritten ist. Eine repressive oder präventive Straffunktion wohnt der Vorschrift indes nicht inne 32 ; eine solche wäre mit der Abkehr vom Verschuldensprinzip nicht vereinbar. 29 Der Unterhaltsanspruch ist nicht bereits dann zu versagen, wenn einer der zum Teil unveränderlichen, in den Nr. I bis 7 normierten Härtegründe vorliegt, sondern erst, wenn die Inanspruchnahme darüber hinaus unter Einbeziehung aller weiteren Umstände grob unbillig wäre; vgl. BGH NJW 1982,2064; Rolland, § 1579 Rn. 3; Soergel/Häberle, BGB, § 1579 Rn. 27; MünchKomml Richter, BGB, § 1579 Rn. 41. 30 So zutreffend Schwab, Scheidungsrechti, Rn. 373. 31 Vgl. KalthoenerlBüttner, Rn. 1145; Soergel/Häberle, BGB, § 1579 Rn. 36. 32 MünchKommlRichter, BGB, § 1579 Rn. I; GöppingerlKindennann, Rn. 1277.

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Die Unzumutbarkeit kann grundsätzlich nachträglich entfallen, insbesondere infolge nachträglichen Wohlverhaltens. Entfällt aber die Unzumutbarkeit, lebt die Unterhaltspflicht grundsätzlich wieder auf, vorausgesetzt, daß keine anderen Gründe dem Wiederaufleben der Unterhaltspflicht entgegenstehen. Unter welchen Voraussetzungen die Unzumutbarkeit nachträglich entfallen kann, beurteilt sich nach der Art des Härtegrundes, der die Unzumutbarkeit begründet hatte. Näheres Hinsehen zeigt, daß § 1579 BGB zwei verschiedene Arten von Härten ausgleicht: subjektive und objektive Härten.

a) Ausgleich subjektiver Härten Die Härtegründe, die in § 1579 Nr. 2,4, 5 und 6 BGB normiert sind, beruhen auf Verfehlungen des Berechtigten gegen den Verpflichteten persönlich. Die Verfehlungen sind eine Verletzung des ehelichen oder nachehelichen Pietätsverhältnisses oder der ehelichen Solidaritätspflicht; sie führen regelmäßig zu einer Kränkung des Verpflichteten. Diese Kränkung würde perpetuiert, wenn man den Verpflichteten zwänge, Unterhalt zu leisten, weil er, der Verpflichtete, dann mit ansehen müßte, wie der Berechtigte sich der Unterhaltsleistungen erfreut, ohne ihrer würdig zu sein33 . Die subjektive Unzumutbarkeit hat ihren Grund mithin nicht in der Verfehlung selbst, sondern in deren subjektiven Auswirkungen auf den Verpflichteten. Die Unzumutbarkeit entfällt, wenn die subjektiven Auswirkungen der Verfehlung nachgelassen haben oder beseitigt sind. Wann dies anzunehmen ist, hängt ab von der Art und der Schwere der Verfehlung und kann nur im Einzelfall festgestellt werden. Grundsätzlich aber kann tätige Reue dazu führen, daß die Kränkung nach dem Empfinden eines billig und gerecht Denkenden 34 unter eine rechtlich schutzwürdige Schwelle sinkt, so daß die erneute oder erhöhte Gewährung von Unterhalt nicht mehr unzumutbar ist 35 . Wenn der Bedürftige beispielsweise die objektiven Auswirkungen seiner Verfehlung, soweit möglich, wiedergutmacht und seinen Gesinnungswandel unter Beweis stellt, indem er sich darum bemüht, einen Ausgleich mit dem Verpflichteten herbeizuführen, so kann im Einzelfall einem berechtigten Kränkungsgefühl der Boden entzogen werden. Von entsprechenden Erwägungen sind offenbar die eingangs angeführten Entscheidungen des OLG Nürnberg getra33 Dies ist der vergleichbare Hintergrund des Widerrufsrechts des Schenkers bei grobem Undank des Beschenkten, vgl. Mot. Mugdan 11, S. 757 und § 9 11. 34 Auch wenn das Verhältnis zwischen den geschiedenen Ehegatten persönlicher Natur ist, handelt es sich bei dem Unterhaltsanspruch um einen obligatorischen Anspruch, vgl. Planck, Vorentwürfe FamR 11, S. 287. Die Voraussetzungen eines solchen obligatorischen Anspruchs beurteilen sich nach objektiven Kriterien. 35 Weiter gehen Kalthoener / Büttner, Rn. 1141, die dafürhalten, daß der bloße Zeitablauf die Bedeutung des Fehlverhaltens für den Verpflichteten mildern und damit die Unzumutbarkeit beseitigen kann. Dies ist indes wenig sachgerecht, weil bloßes "Aussitzen" eine Verfehlung nicht aus der WeIt schafft. Zudem läßt die Pflicht zur nach ehelichen Solidarität mit zunehmendem Zeitablauf nach, vgl. dazu unten III. 3.

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gen 36 : Das Gericht sah in der Behinderung des Umgangsrechtes eine schwere Verfehlung der Mutter gegen den Vater (§ 1579 Nr. 6 BGB), die zur teilweisen Verwirkung des Unterhaltsanspruches führte, und führte zu den Voraussetzungen eines Wiederauflebens aus 37 : "Es ist Sache der Klägerin, dafür zu sorgen, daß das Umgangsrecht des Vaters dauerhaft und in angemessenem Umfang ausgeübt werden kann. Erst wenn dieser Zustand erreicht ist, lebt der Anspruch der Klägerin auf nachehelichen Unterhalt in seiner Gesamtheit wieder auf. Die Klägerin hat durch ihr früheres Verhalten die Ablehnung des Vaters durch die Kinder schuldhaft herbeigeführt. Solange dieses Verhalten bei den Kindern fortwirkt, bleibt es bei der teilweisen Unterhaltsverwirkung". Freilich gibt es Fälle, in denen die Kränkung allein durch einseitiges Handeln des Unterhaltsberechtigten nach dem Empfinden eines verständigen Rechtsgenossen kaum zu beseitigen ist, wie etwa ein Mordversuch am Unterhaltsverpflichteten oder an gemeinsamen Kindern oder auch ein mutwilliger und hartnäckiger Bruch der Ehe. Hier könnte die Unterhaltsleistung, wenn überhaupt, erst dann als nicht mehr unzumutbar angesehen werden, wenn zudem Verhaltensweisen des Verpflichteten auf einen tatsächlichen Wegfall der Kränkungsempfindung schließen lassen: so etwa, wenn er dem Berechtigten verziehen 38 oder sich mit ihm ausgesöhne 9 hat. Allgemein gilt, daß die subjektiven Auswirkungen einer Verfehlung um so schwieriger einseitig zu beseitigen sind, desto schwerer sie war; in besonders schweren Fällen kann sich erst aus Verhaltensweisen des Verpflichteten schließen lassen, daß die Kränkungsempfindung entfallen ist.

b) Ausgleich objektiver Härten Die Tatbestände des § 1579 Nr. 1,3 BGB sowie die meisten praktischen Anwendungsfälle des § 1579 Nr. 7 BGB hingegen machen die Alimentationspflicht nicht subjektiv, sondern objektiv unzumutbar. Die objektive Unzumutbarkeit hat ihren Grund nicht in einer Kränkung des Verpflichteten - also einem Reflex des tatbestandlichen Verhaltens -, sondern unmittelbar in dem Vorliegen des Tatbestandes selbst. Dies erhellt aus dem Umstand, daß § 1579 Nr. 1,3 BGB und die praktischen OLG Nürnberg NJW 1994,2964,2965; FarnRZ 1997,614,615. OLG Nürnberg FarnRZ 1997,614,615. 38 Die Auswirkungen einer Verzeihung sind im Unterhaltsrecht, anders als in den §§ 532, 2337, 2343 BGB, zwar nicht gesetzlich geregelt. Doch legt es der Zweck der Härteklausel nahe, eine Verzeihung in gleicher Weise zu berücksichtigen, da die Unterhaltsleistung dort nicht mehr subjektiv unzumutbar ist, wo der Vell'flichtete aus der erfahrenen Kränkung nichts mehr gegen den Berechtigten herleitet; ebenso KalthoenerlBüttner; Rn. 1139; Wendll StaudigllGerhardt, § 4 Rn. 770; für die Nr. 6 auch Johannsenl HenrichI Voelkskow, § 1579 Rn. 46. 39 WendllStaudigllGerhardt, § 4 Rn. 770. 36

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Anwendungsfalle der Nr. 7 kein Verhalten voraussetzen, das gegen den Verpflichteten gerichtet ist und das diesen kränkt. Es handelt sich vielmehr um Tatbestände, die die Unterhaltsleistung aus anderen, objektiven Gründen unzumutbar machen. Ihnen ist gemeinsam, daß die Unzumutbarkeit nur solange fortbesteht wie die Tatbestandsvoraussetzungen selbst. Die objektive Unzumutbarkeit entfallt ohne weiteres, sobald ihre Tatbestandsvoraussetzungen nicht mehr vorliegen4o . Der Härtegrund des § 1579 Nr. 3 BGB (mutwilliges Herbeiführen der Bedürftigkeit) entfallt, wenn das mutwillige Verhalten nicht mehr als Ursache der Bedürftigkeit fortwirkt 41 , weil der Grund der Unzumutbarkeit, die treuwidrige Herbeiführung der Bedürftigkeit (vgJ. § 162 Abs. 2 BGB), nicht weiterwirkt. Dies ist etwa der Fall, wenn der Berechtigte, nachdem er seine Bedürftigkeit mutwillig verursacht hatte, später eine Arbeitsstelle gefunden und diese dann unverschuldet und ohne, daß sein vorheriges Verhalten dafur ursächlich war, wieder verloren hat42 • In den von § 1579 Nr. 7 BGB erfaBten Konstellationen objektiver Unzumutbarkeit, in denen der Berechtigte mit einem neuen Partner in einer nach außen hervortretenden festen Verbindung in eheähnlicher Versorgungsgemeinschaft zusammenlebt, ist die Alimentationspflicht nicht deshalb unzumutbar, weil diese neue Verbindung eine Verfehlung gegen den früheren Ehepartner darstellt. Die Unterhaltspflicht entfällt, weil es weder mit der Ehre des Verpflichteten noch mit dem Zweck der Unterhaltspflicht vereinbar wäre, wenn er mit seinen Leistungen den gemeinsamen Haushalt und damit auch den neuen Partner seines geschiedenen Gatten unterhalten müßte. Diese Unzumutbarkeit endet, sobald die Verbindung auseinandergeht. Eine weiterer, von § 1579 Nr. 7 BGB erfaßter Grund objektiver Unzumutbarkeit kann in dem Führen eines ehrlosen und unsittlichen Lebenswandels bestehen. Ein solcher Lebenswandel ist regelmäßig nicht gegen den Verpflichteten, sondern wenn überhaupt - gegen das sittliche Empfinden der Allgemeinheit gerichtet. Doch kann es den Verpflichteten bloßstellen und in seiner Ehre verletzen, müßte er dem Berechtigten weiterhin Unterhalt leisten43 , wie etwa in Fällen, in denen der Ähnlich Schwab, Scheidungsrechtl, Rn. 373. Luthin, FamRZ 1986, 1166, 1169; Johannsenl HenrichlVoelkskow, § 1579 Rn. 46; KalthoenerlBüttner; Rn. 1144; Schwab, Scheidungsrecht3 , Teil IV (Borth), Rn. 526. A. A. Häberle, FamRZ 1986,311,316. 42 So Rolland, § 1579 Rn. 20; Schwab, Scheidungsrecht 3 , Teil IV (Borth), Rn. 526. Ebenso zu dem entsprechenden Problem bei § 1611 BGB RG JW 1910,477 f.; StaudingerlKappel Engler; BGB 13 , § 1611 Rn. 11 m. w. N. 43 So zutreffend Palandtl Diederichsen, BGB, § 1579 Rn. 36 unter Verweis auf die Rechtsprechung zur Bloßstellung, vgl. etwa BGH NJW 1989, 1083, 1085 f. m. w. N. Eine Verwirkung des Unterhaltsanspruches wegen ehrlosen und unsittlichen Lebenswandels ordnete § 66 EheG noch ausdrücklich an. Dieser Auschlußgrund ist - jedenfalls nach dem Überschreiten einer möglicherweise höher liegenden Zumutbarkeitsschwelle - weiterhin aktuell, selbst wenn es der Gesetzgeber bewußt vermieden hat, ihn unter die Regelbeispiele des § 1579 BGB aufzunehmen. 40

41

§ 7 Verfehlungen des geschiedenen oder getrennt lebenden Ehegatten

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Bedürftige der Prostitution nachgeht44 , Telefonsex 45 oder Drogenhandel betreibt. Wendet sich der Bedürftige jedoch ernsthaft und dauerhaft von diesem Lebenswandel ab 46 , entfällt die objektive Unzumutbarkeit. Eine Ausnahme macht allein der objektive Härtegrund der kurzen Ehedauer, § 1579 Nr. 1 BGB. Dieser ist ein abgeschlossener Tatbestand, der nachträglich nicht entfallen kann und deshalb nicht heilbar ist. 3. Rechtsstellung des Verpflichteten

Ob das Wiederaufleben des Unterhaltsanspruches für den Verpflichteten auch dann noch die Zumutbarkeitsgrenze überschreitet, nachdem der anfängliche Härtegrund des § 1579 BGB entfallen ist, hängt von seiner Leistungsfähigkeit ab. Bringt eine erneute Inanspruchnahme keine nennenswerten Einschränkungen der Lebensgewohnheiten mit sich, ist sie dem Verpflichteten grundsätzlich uneingeschränkt zuzumuten. Andernfalls läßt sich nur im Einzelfall ausmitteln, ob und welcher Höhe eine erneute Inanspruchnahme gerechtfertigt ist. Zunächst gelten für das Wiederaufleben des Unterhaltsanspruchs dieselben allgemeinen Einschränkungen, die auch für das erste Entstehen und für den Fortbestand des Unterhaltsanspruchs bestehen: Der Anspruch lebt nicht oder nur beschränkt wieder auf, wenn der Verpflichtete nicht hinreichend leistungsfähig ist (§ 1581 BGB) oder wenn der Anspruch sich allein auf die positive Billigkeitsklausel des § 1576 BGB stützt und mit den Belangen des Verpflichteten nicht zu vereinbaren ist. Zusätzlich können dem Wiederaufleben des Unterhaltsanspruchs auch solche Leistungsschwierigkeiten oder eine solche Leistungsunfähigkeit des Verpflichteten entgegenstehen, die normalerweise unterhaltsrechtlich unbeachtlich sind. Nimmt etwa der Verpflichtete Kredite für Luxusgüter aur7 oder verursacht er leichtfertig seine Leistungsunfähigkeit, etwa durch Aufgabe des Arbeitsplatzes 48 , so kann er dies zwar nicht einer bestehenden Unterhaltspflicht, möglicherweise aber dem Wiederaufleben eines länger erloschenen Unterhaltsanspruches entgegenhalten 49 . Vgl. SchlHOLG, SchlHA 1977, 170. OLG Karlsruhe NJW 1995,2796. 46 Vgl. hierzu die Parallele in §§ 2333 Nr. 5, 2336 Abs. 4 BGB. Die Pflichtteilsentziehung wegen ehrlosen und unsittlichen Lebenswandels wird unwirksam, wenn sich der Abkömmling von diesem Lebenswandel zur Zeit des Erbfalles dauerhaft abgewendet hat. Diese Unwirksamkeit ipso iure beruht auf dem Gedanken, daß der Erblasser durch ein Verhalten, das ihn nur als Reflex trifft, weniger stark beeinträchtigt wird als durch ein Fehlverhalten, welches direkt gegen ihn gerichtet ist; dazu unten § 10 III 3 a. 47 Vgl. BGH NJW 1982, 380. 48 Vgl. etwa BGH FamRZ 1985,158,160; 1988,597,599; PalandtlDiederichsen. BGB, § 1581 Rn. 8 m. w. N. 49 So auch BGH FamRZ 1987, 689, 690; vgl. ferner Wendl/Staudigl/Gerhardt, § 4 Rn. 765; Kalthoenerl Büttner, Rn. 1139. 44 45

8 Knütel

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3. Kap.: Verletzung sittlicher Pflichten und Obliegenheiten

Entsprechendes gilt für die Übernahme neuer Unterhaltspflichten, etwa durch eine neue Ehe, denen die Ansprüche des geschiedenen Gatten sonst vorgehen (§ 1582 BGB). Je länger die Unterhaltspflicht weggefallen war, desto eher durfte der Verpflichtete auf deren endgültiges Erlöschen vertrauen, so daß ihm seine selbstverschuldete Leistungsunfähigkeit nicht mehr vorgehalten werden kann. Hinzu kommt, daß die Solidaritätspflicht mit zunehmendem Zeitablauf abnimmt 5o .

4. Rechtsstellung des Berechtigten

Aus der Sicht des Unterhaltsbedürftigen ist das Wiederaufleben verwirkter Unterhaltsansprüche wegen tätiger Reue uneingeschränkt zu befürworten. Regelmäßig ist der Berechtigte aufgrund seiner ehebedingten Bedürftigkeit (§§ 1570 ff. BGB) bereits dann hinreichend schützens wert, wenn der Wegfall der Umstände, die die Unzumutbarkeit begründen, ohne sein Zutun erfolgt ist. Um so mehr verdienen die Belange des Berechtigten dort Berücksichtigung, wo der Wegfall der Unzumutbarkeitsgründe auf seinem nachträglichen Wohlverhalten beruht.

IV. Trennungsunterhalt, Unzumutbarkeit und tätige Reue

Der Anspruch auf Zahlung von nachehelichem Unterhalt unterscheidet sich vom Anspruch auf Zahlung von Trennungsunterhalt (§ 1361 BGB) in seiner Begründung: Während jener eine bloße, auf Billigkeitsaspekten beruhende Nachwirkung der Ehe ist, wurzelt dieser in der noch bestehenden Ehe. Nach der heute herrschenden sogenannten ,,Diskontinuitätstheorie" besteht daher zwischen beiden Ansprüchen keine IdentitätS 1. Dennoch sind die Verwirkungsgründe des § 1579 Nr. 2-7 BGB für den ScheidungsunterhaIt auf den Trennungsunterhalt entsprechend anwendbar. Auch durch diese Verweisung sollen Härten vermieden werden, die sich aus der Abschaffung des Verschuldensprinzips und dessen Auswirkungen auf die Zumutbarkeit der Verpflichtung zur Zahlung von Trennungsunterhalt ergebenS2 . Damit gelten die vorstehenden Ausführungen zum Wiederaufleben des Anspruchs auf ScheidungsunterhaIt entsprechend für die Verwirkung des Anspruchs so Je länger die Ehe gedauert hat, um so stärker und länger wirkt auch die Pflicht zur nachehelichen Solidarität fort; BGH FamRZ 1987,689,690. SI Siehe nur BGHZ 78, 130, 131; OLG Hamm (3. FarnS) FarnRZ 1980, 149; MünchKomm/Wacke, BGB, § 1361 Rn. 45; Soergel/Häberle, BGB, § 1579 Rn. 8 ff. rn. w. N. Zur A. A., der sog. ,,Identitätstheorie" siehe OLG Hamrn (5. FarnS) FamRZ 1980, 797; OLG Koblenz FamRZ 1979, 1021, 1023; Gernhuber/Coester-Waltjen, § 30 I 3; Soergel/Häberle, BGB, § 1579, Anm. 7. S2 ZU Normzweck und Entstehungsgeschichte siehe MünchKomm/Wacke, BGB, § 1361 Rn. 1 ff.

§ 7 Verfehlungen des geschiedenen oder getrennt lebenden Ehegatten

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auf Trennungsunterhalt: Auch dieser kann wiederaufleben, wenn sich die die Verwirkung begründenden objektiven oder subjektiven Umstände so geändert haben, daß die Inanspruchnahme des Verpflichteten nicht mehr grob unbillig ist53 . Doch ist die Zumutbarkeitsschwelle für ein Wiederaufleben des Anspruchs auf Trennungsunterhalt grundsätzlich niedriger anzusetzen als diejenige für ein Wiederaufleben des Anspruchs auf Scheidungsunterhalt. Denn § 1361 BGB begründet wegen des Fortbestehens der Ehe und des Grundsatzes der gegenseitigen Unterhaltspflicht eine stärkere Verantwortlichkeit der Ehegatten füreinander als die §§ 1569 ff. BGB, die vom Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit geprägt sind54 •

v. Ergebnis Nach alledem kann sowohl der Anspruch auf Zahlung von nachehelichem Unterhalt (§§ 1569 ff. BGB) als auch der Anspruch auf Zahlung von Trennungsunterhalt (§ 1361 Abs. 1 BGB) infolge tätiger Reue des Berechtigten wiederaufleben, nachdem er gemäß § 1579 Nr. 2-7 BGB verwirkt worden war. Voraussetzung ist, daß die Umstände, die die Inanspruchnahme unzumutbar gemacht haben, entfallen sind. Bei subjektiver Unzumutbarkeit, § 1579 Nr. 2,4-6 BGB, muß aufgrund des nachträglichen Wohlverhaltens das nach dem Empfinden eines verständigen Dritten zu beurteilende Kränkungsempfinden des Verpflichteten unter eine rechtlich relevante Schwelle abgesunken sein. Bei objektiver Unzumutbarkeit, § 1579 Nr. 3, 7 BGB, reicht bereits der Wegfall des die Unzumutbarkeit begründen Tatbestandes aus. Dem völligen oder teilweisen Wiederaufleben des Unterhaltsanspruchs kann die beschränkte Leistungsfähigkeit des Verpflichteten entgegenstehen. Muß dieser infolge der erneuten Inanspruchnahme seine Lebensgewohnheiten einschränken, so ist bei der Abwägung, ob und inwieweit eine erneute Inanspruchnahme zumutbar ist, zu berücksichtigen, wie lange die Unterhaltspflicht geruht und wie lange im Verhältnis hierzu die Ehe gedauert hat. Der Verpflichtete kann dem Wiederaufleben seine Leistungsunfahigkeit regelmäßig auch in Fällen entgegenhalten, in denen dies für gewöhnlich unterhaltsrechtlich unbeachtlich wäre.

53 So auch BGH NJW 1986, 722, 724 m. w. N.; MünchKomm/Wacke, BGB, § 1361 Rn. 34. 54 Vgl. BGH FamRZ 1983, 569. 572; SchlHOLG SchlHA 1979, 37; Soergel/Lange, BGB, § 1361 Rn. 6.

S'

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3. Kap.: Verletzung sittlicher Pflichten und Obliegenheiten

§ 8 Verfehlungen des unterhaltsberechtigten Verwandten, § 1611 BGB I. Problem

Ebenso wie die im vorstehenden Paragraphen behandelten Ansprüche auf Zahlung von Scheidungs- und Trennungsunterhalt kann auch der in §§ 1601 ff. BGB geregelte Unterhaltsanspruch zwischen Verwandten durch ein Fehlverhalten des Bedürftigen ganz oder zum Teil verwirkt werden. Nach § 1611 Abs. 1 BGB ist dies der Fall, wenn "der Unterhaltsberechtigte durch sein sittliches Verschulden bedürftig geworden, ... seine eigene Unterhaltspflicht gegenüber dem Unterhaltspflichtigen gröblich vernachlässigt oder sich vorsätzlich einer schweren Verfehlung gegen den Unterhaltspflichtigen oder einen nahen Angehörigen" desselben schuldig gemacht hat. Es fragt sich, ob auch der Anspruch auf Verwandtenunterhalt gleich dem Anspruch auf Scheidungs- und Trennungsunterhalt nachträglich wiederaufleben kann, insbesondere infolge nachträglichen Wohlverhaltens des Berechtigten. Die Vergleichbarkeit der Interessenlagen legt dies nahe, doch ist wegen der unterschiedlichen Fassung der Verwirkungsnormen ein näheres Hinsehen erforderlich. Wie inzwischen auch zu § 1579 BGB entspricht es der ganz überwiegenden Meinung, daß die Verwirkung des Unterhaltsanspruchs nach § 1611 BGB nicht notwendig endgültig ist. So besteht nahezu Einigkeit darüber, daß der Unterhaltsanspruch jedenfalls dann wiederauflebt, wenn der Verpflichtete dem Berechtigten die Verfehlung oder auch die Vernachlässigung der Unterhaltspflicht verziehen hat 1. Weiter besteht Einigkeit darüber, daß ein verwirkter Anspruch in Fällen, in denen der Unterhaltsberechtigte durch sittliches Verschulden bedürftig geworden war, neu entstehen kann, wenn die Kausalität zwischen sittlichem Verschulden und Bedürftigkeit unterbrochen ist2 •

I Vgl. OLG Bamberg, FamRZ 1992,717,718; Staudinger/Kappe/Engler; BGB l3 , § 1611 Rn. 33 ff., 45; MünchKomm/Köhler; BGB, § 1611 Rn. 10; Soergel/Häberle. BGB, § 1611 Rn. 5; Göppinger/Stöckle Rn. 1471; RGRK/Mutschler; BGB, § 1611 Rn. 8. A. A. Gemhuber/Coester- Waltjen § 30 VII 9. Die Auffassung geht auf § 1611 Abs. 2 BGB a. F. zurück, der auf die Entziehungsgrunde des Pflichtteilsrechts und damit nach allgemeiner Meinung auch auf die Verzeihung, § 2337 BGB, verwies; vgl. RGZ 92, 1,3 ff.; Staudinger/Gotthardt, BGB IOIII , § 1611 Rn. 11. 2 So etwa RG JW 1910,477,478 in einem Fall, in dem ein junger Offizier seine Stelle wegen einer Affare mit einer schlecht beleumundeten Frau verloren, sich aber anschließend als Kaufmann bewährt hatte, bis er wegen einer Krankheit arbeitsunfähig wurde. Vgl. ferner OLG Köln FamRZ 1990,310; Palandt/Diederichsen. BGB, § 1611 Rn. 3; Staudinger/Kappe/Engler; BGB I3 , § 1611 Rn. 11; MünchKomm/Köhler; BGB, § 1611 Rn. 4. Letzterer hält in Rn. 10 zudem irrig dafür, daß auch eine Verzeihung den Ausschluß wegen sittlich verschuldeter Bedürftigkeit heilen kann. Köhler verkennt, daß nur Verfehlungen des Berechtigten gegen den Verpflichteten, die diesen zu kränken geeignet sind, verziehen werden können, nicht aber ein Verschulden des Berechtigten gegen sich selbst.

§ 8 Verfehlungen des unterhaltsberechtigten Verwandten

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Unsicherheit herrscht jedoch darüber, ob die Verwirkung wegen einer schweren Verfehlung oder der gröblichen Vernachlässigung der Unterhaltspflicht auch unter weiteren Voraussetzungen wegfallen kann. EnglerJ etwa schließt ein Wiederaufleben pauschal aus, weil es sich bei § 1611 BGB anders als bei § 1579 BGB durchweg um abgeschlossene Tatbestände handele Häberle 4 hält die Verwirkung ohne Begründung für endgültig. Dagegen bejaht Stöckle 5 ein Wiederaufleben zwar für den Fall, daß "die Voraussetzungen der Unterhaltsbeschränkung entfallen." Voraussetzung der Beschränkung sei jedoch das Verschulden des Berechtigten gegen den Verpflichteten, und dies könne bei der Vernachlässigung der Unterhaltspflicht oder bei schweren Verfehlungen als Sachverhalten, die "in der Regel" abgeschlossen sind, nicht mehr wegfallen. Borth6 hingegen will ein Wiederaufleben vom Grund der Einschränkung abhängig machen, ohne jedoch diese Gründe zu benennen. Der 7. Zivilsenat des OLG Bamberg7 schließlich, der diese Frage - soweit ersichtlich - als bisher einziges Gericht angeschnitten hat, hält die Fortdauer einer Beschränkung, die ihren Grund in der Kontaktverweigerung einer Tochter gegenüber ihrem unterhaltspflichtigen Vater hat, jedenfalls dann für unbillig, wenn die Tochter sich dem Vater wieder annähert. Mit diesen Stellungnahmen ist unsere Eingangsfrage nicht zufriedenstellend geklärt. Neben den Verwirkungsgründen des § 1611 Abs. 1 BGB, die allgemein für den gesamten Unterhaltsbedarf gelten, gibt es einen besonderen Verwirkungsgrund, der sich allein auf den Anspruch auf Zahlung von Ausbildungsunterhalt (§ 1610 Abs. 2 BGB) bezieht: die Verletzung des Gegenseitigkeitsprinzips. So muß eine angemessene Ausbildung nur finanziert werden, wenn der Berechtigte diese mit der gebotenen Zielstrebigkeit und dem gebotenen Leistungswillen absolviert 8 . Verletzt der Berechtigte diese Obliegenheit, wie etwa der Medizinstudent, der aus Faulheit zweimal durch das Physikum fällt 9 , so entfällt der Anspruch auf Ausbildungsunterhalt. Der Frage, ob der Anspruch wiederaufleben kann, wenn der Berechtigte seine Anstrengungen steigert und dadurch doch noch einen erfolgreichen Abschluß der Ausbildung erwarten läßt, ist im Schrifttum bisher - soweit ersichtlich - noch nicht nachgegangen worden. In der Rechtsprechung ist sie umstritten, doch lassen die bisher ergangenen Entscheidungen grundsätzliche Überlegungen vermissen lO•

StaudingerlKappelEngler. BGB I3 , § 1611 Rn. 45. Soergel/Häberle, BGB, § 1611 Rn. 7. 5 GöppingerlStöclde, Rn. 1471. 6 Schwab, Teil IV (Borth)3, Rn. 229. 7 OLG Bamberg, FamRZ 1992,717,718; näher zu dieser interessanten Entscheidung unten III. a. A. 8 Vgl. BGH NJW 1984, 1961, 1962; BGH NJW 1987, 1557, 1558; OLG Zweibrücken FamRZ 1985,92,93; OLG Kar1sruhe FamRZ 1994, 1342; OLG Zweibrücken FamRZ 1995, 1006, 1007; OLG Frankfurt FamRZ 1994, 1611; PalandtlDiederichsen, BGB, § 1610 Rn. 44 f.; Wendl/Staudigl/Scholz, § 2 Rn. 61. 9 Vgl. den Fall bei OLG Kar1sruhe FamRZ 1994, 1342. 3 4

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3. Kap.: Verletzung sittlicher Pflichten und Obliegenheiten

11. Hintergrund und Historie

Das klassische römische Recht kannte keine rechtliche Unterhaltspflicht des pater familias für die Hauskinder, denn eine solche Pflicht hätte im Widerspruch zu der allumfassenden Hausgewalt, der patria potestas, gestanden 11. Doch wurde die Versorgung der Verwandtschaft regelmäßig durch die Sitte gewährleistet. Wie schon die eheliche Unterhaltspflicht wurde auch die verwandtschaftliche Unterhaltspflicht erst in der Kaiserzeit infolge des Sittenverfalls und christlicher Einflüsse rechtlich fixiert J2 . Schon damals galt, daß Unterhalt nur der würdige Verwandte beanspruchen konnte, also der, der sich nicht gegen verwandtschaftliche Pflichten vergangen hatte J3. So hält es - wie alle neuzeitlichen Kodifikationen 14 auch das BGB. Denn die Grundlage der Unterhaltspflicht zwischen Verwandten ist, wie Planck l5 im Vorentwurf formulierte, "das durch die Einheit des Bluts begründete natürliche Verhältnis in Verbindung mit den nahen Beziehungen, welche durch das Band der Familie zwischen den Angehörigen der letzteren hervorgerufen werden." Wer dieses natürliche Verhältnis zerreißt, indem er die verwandtschaftlichen Pflichten in schwerwiegender Weise verletzt, beseitigt die Grundlage der Alimentationspflicht und damit diese selbst 16. Diesem dogmatischen Begründungsansatz lassen sich Zumutbarkeitsaspekte zur Seite stellen: Die Verfehlung hat regelmäßig nicht nur das Verwandtschaftsverhältnis neutralisiert, sondern den Verpflichteten darüber hinaus persönlich gekränkt. Zwänge man den Verpflichteten, dem "schwarzen Schar' trotz der erfahrenen Kränkung weiterhin Unterhalt zu leisten, so würde man diese Kränkung perpetuieren l7 ; je mehr der Verpflichtete sich den Unterhalt vom eigenen Munde absparen muß, desto weniger wäre die Fortzahlung zumutbar. 10 Für ein Wiederaufleben OLG Frankfurt FamRZ 1986, 498, 499; OLG Hamm FamRZ 1997,694,695; dagegen OLG Karlsruhe FamRZ 1994, 1342, 1343. 11 Vgl. Kaser, Studienbuch, § 61 11 2; Staudinger/Gouhardt, BGB I0/11 , vor §§ 1601 ff., Rn. 4. Anders im frühen griechischen Recht, vgl. Platon, Nomoi, 928 d 5. Zum Naturrecht siehe Pufendorf, De officio, 2, 3, 11; Heineccius, Elementa, 2, 3, 60. 12 Vgl. Ulp. D. 25, 3,5; Sev.-Anton. C. 5, 25, 4 (anno 197); Just. C. 6, 61, 8 § 5 (anno 531); Kaser, Studienbuch, § 6111 2. 13 Vgl. Sev.-Ant. C. 5, 24, 4: Si patrem tuum officio debito promerueris, paternam pietatem tibi non denegabit (Wenn du dich durch die geschuldete Pflichterfüllung um deinen Vater verdient machst, so wird er dir die Vaterliebe nicht verweigern); Kaser, Studienbuch, § 61 H 2; Windscheidt/Kipp 11, § 475 Anm. 8. 14 Vgl. ALR 11 2 §§ 251 ff.; CC Art. 203, 205; sächs. GB §§ 1802, 1837 ff. Unterschiede bestanden in der Rechtfertigung der Unterhaltspflichten. Diese wurden sowohl als Konsequenz der Hausgewalt, als Ausfluß des Verwandtschaftsverhältnisses oder auch als bloße Last des väterlichen Nießbrauches am Kindesvermögen angesehen; vgl. dazu im einzelnen die Analyse von Planek, Vorentwürfe FarnR H, S. 285 f. I~ Vorentwürfe FamR H, S. 285; ebenso Mot. Mugdan IV, S. 359. Vgl. bereits C. 6, 61,8 § 5 mit der Begründung der Unterhaltspflichten durch die natura und paterna pietas. 16 Vgl. dazu Mot. Mugdan IV, S. 372; Prot. Mugdan IV, S. 956 f.; eingehend Vorentwürfe FarnR 11, S. 328 ff. 17 Vgl. Prot. Mugdan 11, S. 168 (zu § 530 BGB).

§ 8 Verfehlungen des unterhaltsberechtigten Verwandten

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Solche Fälle subjektiver Unzumutbarkeit erfaßt § 1611 Abs. 1 BGB heute - anders als § 1579 BGB - mit einer flexiblen GeneralklauseI. die es erlaubt, bei vorsätzlichen Verstößen, die als schwere Verfehlung zu werten sind, den Unterhalt auf ein der Billigkeit entsprechendes Maß zu kürzen oder auch ganz auszuschließen. Diese Generalklausel wurde durch das NEhelG von 1969 eingeführt und sollte vor allem der Schaffung von Einzelfallgerechtigkeit dienen 18. Sie löste die bis dahin geltende Verweisung des § 1611 Abs. 2 BGB a. F. auf die starren Pflichtteilsentziehungsgründe des § 2333 BGB ab; geboten schien es dem Gesetzgeber lediglich, den Tatbestand der gröblichen Unterhaltspflichtverletzung weiterhin (vgl. § 2333 Nr. 4 BGB) ausdrücklich als hinreichend schwere Verfehlung hervorzuheben l9 . Neben dieser Beschränkung des Unterhalts wegen subjektiver Unzumutbarkeit erlaubt § 1611 Abs. 1 BGB - ähnlich § 1579 Nr. 3 BGB - auch die Beschränkung des Unterhalts wegen objektiver Unzumutbarkeit, wenn nämlich "der Unterhaltsberechtigte durch sein sittliches Verschulden bedürftig geworden" ist. Diese Regelung fand sich bereits in der Urfassung des § 1611 BGB und wurde bei der Novellierung beibehalten; dies erstaunt nicht, wenn man sie als Ausdruck des allgemeinen Rechtsgrundsatzes begreift, daß sich derjenige, der treuwidrig den Eintritt einer Bedingung herbeiführt, die ihm zum Vorteil gereicht, sich auf den Eintritt nicht berufen kann (§ 162 Abs. 2 BGB 2o).

III. Verwandtenunterhalt, Unzumutbarkeit und tätige Reue Der eingangs erwähnten Entscheidung des 7. Zivilsenates des OLG Barnberg lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Klägerin stammte aus der geschiedenen Ehe des Beklagten mit der Mutter der K1ägerin. Die Eltern hatten sich scheiden lassen, als die Klägerin noch minderjährig war, und der Beklagte hatte sich zur Zahlung von Kindesunterhalt verpflichtet. Seit der Trennung der EItern lehnte die K1ägerin jeden Kontakt zu ihrem Vater ab, womit sich dieser nach anfanglichen Versuchen, den Kontakt aufrecht zu erhalten, zunächst abfand. Nachdem die Klägerin volljährig geworden war, verlangte sie vom Beklagten eine Erhöhung des Unterhalts; gleichzeitig wies sie aber dessen Versuche, den Kontakt erneut anzu18 Vgl. die Begründung des RegE, BT-Drs. 5/2370 S. 41; ebenso bereits Planck, Vorentwürfe FamR 11, S. 330 f. zu § 298 des Vorentwurfes von 1880, der ebenfalls eine Generalklausei enthielt. 19 Vgl. die Begründung des RegE, BT-Drs. 5/2370 S. 41. 20 In den römischen Quellen findet sich zwar ausdrücklich allein der in § 162 Abs. I BGB festgeschriebene Grundsatz, daß eine Bedingung als eingetreten gilt, wenn ihr Eintritt von der Partei, zu deren Nachteil sie gereicht, wider Treu und Glauben verhindert wurde, vgl. Jul. D. 35, 1,24; Ulp. D. 50,17,161. Doch ist die Regel des § 162 Abs. 2 BGB Ausdruck desselben Prinzips; sie wurde von der 2. Kommission eingefügt, um einem Umkehrschluß aus Abs. I vorzubeugen, nachdem die I. Kommission noch der Auffassung war, der Fall der treuwidrigen Herbeiführung einer Bedingung bedürfe keiner besonderen Regelung; vgl. Mot. Mugdan I. S. 498; Prot. Mugdan I, S. 764.

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3. Kap.: Verletzung sittlicher Pflichten und Obliegenheiten

knüpfen, strikt zurück. Der Vater kam dem Verlangen der Tochter deshalb nicht nach, woraufhin diese klagte. Der Vater war der Auffassung, daß die völlige Kontaktverweigerung eine schwere Verfehlung im Sinne des § 1611 Abs. 1 BGB sei und daß die Klägerin ihren Unterhaltsanspruch durch ihr Verhalten verwirkt habe. Der Senat gab dem Vater recht und sah den Unterhaltsanspruch fLir teilweise verwirkt an, unter anderem, weil auch ,,Eltern ... sich nicht ohne gewichtige Gründe zu einer Zahlstelle degradieren - entwürdigen - lassen" müßten. Ob eine solche Kontaktverweigerung allein tatsächlich bereits als schwere Verfehlung im Sinne des § 1611 Abs. 1 BGB anzusehen ist, ist umstritten 21 . Unabhängig aber von etwaigen weiteren erschwerenden Verhaltensweisen wie etwa Beleidigungen muß man sich fragen, ob nicht in derartigen Fällen der Kontaktverweigerung der Unterhaltsanspruch wiederaufleben kann, wenn der unterhaltsberechtige Abkömmling seine Verweigerungshaltung aufgibt, sich um eine Annäherung bemüht oder dieser gegenüber wenigstens aufgeschlossen zeigt. Der Senat hält dies fLir möglich 22 , und er verdient Zustimmung, wie im folgenden zu zeigen ist. 1. Wortlaut

Der Wortlaut des § 1611 Abs. 1 BGB steht dem Wiederaufleben nicht entgegen. Denn das Vorliegen eines der Verwirkungstatbestände - Bedürftigkeit aufgrund sittlichen Verschuldens, gröbliche Vernachlässigung der Unterhaltspflicht und schwere Verfehlung - hat nur zur Folge, daß "der Verpflichtete nur einen Beitrag zum Unterhalt in der Höhe zu leisten (braucht), der der Billigkeit entspricht". Wie bereits bei § 1579 BGB können sich die in die Billigkeitswertung einfließenden Faktoren im Laufe der Zeit ändern, insbesondere durch nachträgliches Wohlverhalten des Berechtigten, und dies muß Auswirkungen auf die Höhe der Unterhaltsbeschränkung haben23 . Wie bereits bei § 1579 BGB ist das nachträgliche Wohlverhalten in die Unbilligkeitswertung miteinzubeziehen, wenn es dem ersten Prozeß vorausging. Hat der Berechtigte sich hingegen erst danach um Wiedergutmachung bemüht, so kann er dies mit der Abänderungsklage (§ 323 ZPO) geltend machen. 21 Die Kontaktverweigerung allein halten für ausreichend OLG Bamberg (7. ZS) FamRZ 1991, 1476, 1477; OLG Bamberg (7. ZS), FamRZ 1992,717,718; MünchKommlKöhler, BGB, § 1611 Rn. 6a; GöppingerlHäberle, Rn. 443; Miesen FamRZ 1991, 125, 131 f., wohingegen zusätzliche Verfehlungen verlangen BGH FamRZ 1991, 322, 323; BGH FamRZ 1995,475,476; OLG Frankfurt, FamRZ 1990,789 f.; OLG Frankfurt, FamRZ 1991, 1477; OLG München FamRZ 1992,595,597; OLG Celle FamRZ 1993, 1235, 1236; AG Regensburg FamRZ 1993, 1240; OLG Frankfurt FamRZ 1993,1241,1242; OLG Bamberg (2. ZS), FamRZ 1994, 1054, 1055; PalandtlDiederichsen, BGB, § 1611 Rn. 5; StaudingerlKappel Engler, BGB 13 , § 1611 Rn. 28. 22 OLG Bamberg FamRZ 1992,717,718; ebenso wohl auch Ewers in seiner Anmerkung zu der Entscheidung, FamRZ 1992, 719, 720. 23 Im Ergebnis offenbar h. M.; vgl. OLG Bamberf FamRZ 1992, 717, 718; Göppingerl Stöckle, Rn. 1471; StaudingerlKappelEngler, BGB I ,§ 1611 Rn. 45 f. A. A. wohl Soergel/ Häberle, BGB, § 1611 Rn. 7.

§ 8 Verfehlungen des unterhaltsberechtigten Verwandten

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In dem neuen Prozeß sind dann alle relevanten Umstände erneut abzuwägen und dabei die Auswirkungen des nachträglichen Wohlverhaltens zu berücksichtigen 24 •

2. Zweck der Norm

Auch der Zweck der Ausschlußnorm des § 1611 Abs. 1 BGB steht dem Wiederaufleben des ganz oder teilweise verwirkten Anspruchs nicht entgegen. Normzweck ist es allein, Härten für den Verpflichteten zu vermeiden, und wie § 1579 BGB um faßt auch § 1611 Abs. 1 BGB objektive und subjektive Härten. Objektive Härte wäre die Verpflichtung, auch den Verwandten unterhalten zu müssen, der durch sein sittliches Verschulden bedürftig geworden ist. Diese Härte entfällt, sobald die Bedürftigkeit nicht mehr im sittlichen Verschulden des Berechtigten ihre Ursache hat, und dementsprechend lebt die Unterhaltspflicht nach richtiger allgemeiner Auffassung wieder auf25 . Subjektiv unzumutbar für den Verpflichteten wäre es, auch demjenigen Unterhalt gewähren zu müssen, der sich einer gröblichen Unterhaltsverletzung oder einer schweren Verfehlung schuldig gemacht hat. Doch beruht die Unzumutbarkeit nicht auf der Verfehlung oder dem Verschulden an sich 26 , sondern auf den subjektiven Auswirkungen der Verfehlung, also auf der Kränkung des Verpflichteten. Diese Kränkung kann aber infolge von Wiedergutmachungsbemühungen des Berechtigten soweit nachlassen, daß nach dem maßgeblichem Empfinden eines billig und gerecht denkenden Dritten eine erneute Begründung oder Erhöhung der Unterhaltspflicht zumutbar ist. So sieht es im übrigen - stillschweigend - auch die herrschende Meinung, wenn sie dafür hält, daß der Unterhaltsanspruch wiederauflebt, wenn der Verpflichtete dem Berechtigten verziehen hat21 ; diese Ansicht impliziert, daß die Unterhaltsleistung dann nicht mehr unzumutbar ist, sobald die Kränkung entfallen ist. Denn die Verzeihung ist der nach außen kundgemachte Entschluß, aus den erfahrenen Kränkungen nichts mehr herleiten zu wollen, also das Verletzende der Kränkung als nicht mehr existent zu betrachten 28 • Die Verzeihung ist ein tatsächlicher Vorgang, dessen Vorliegen sich nach dem objektiven Empfängerhorizont beurteilt29 • 24 Vgl. KG FamRZ 1990, 187; OLG Bamberg FamRZ 1992,717,718; Soergel/Häberle, BGB, § 1611 Rn. 2. A. A. MünchKomml Köhler, BGB, § 1611 Rn. 16 m. w. N., der die Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO für das prozessual richtige Mittel hält. 25 Vgl. die Nachweise in Fn. 2. 26 So aber Göppinger I Stöckle, Rn. 1471; Staudinger I Kappe I Engler, BGB 13, § 1611 Rn. 45. 27 Vgl. die Nachweise in Fn. I. 28 BGH NJW 1974, \084, \085; BGHZ 91,273,280; MünchKommlFrank, BGB, § 2337 Rn. I. 29 H. M.; v~l. etwa RGZ 134, 139, 140; BGH FamRZ 1957, 208, 209; StaudingerlFeridl Cieslar, BGB I ,§ 2337 Rn. 7; KipplCoing, § 14 II m. w. N.

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3. Kap.: Verletzung sittlicher Pflichten und Obliegenheiten

Aus alldem erhellt, daß die Möglichkeit eines Wiederauflebens entgegen Stöckle und Engler nicht davon abhängeO, ob es sich um abgeschlossene Tatbestände oder um andauernde Tatbestände handelt. Entscheidend ist der Fortbestand der Kränkung als der subjektiven Auswirkung der Verfehlung, und diese kann grundsätzlich auch dann entfallen, wenn es sich um einen abgeschlossenen Tatbestand handelt 3l . Hinzu kommt, daß die pauschale Unterscheidung zwischen abgeschlossenen und andauernden Tatbeständen wenig sachgerecht ist bei einem Problem, das, wie das vorliegende, allein nach Billigkeitsaspekten zu beurteilen ist. Dies zeigt etwa der oben dargestellte Fall der Kontaktverweigerung: Hier läßt sich bereits schwer sagen, ab welchem Zeitpunkt die Verweigerung hartnäckig genug ist, um als schwere Verfehlung gelten zu können; sicher ist, daß nicht bereits eine einmalige Weigerung die Herabsetzung des Unterhalts rechtfertigen kann. Ist aber einmal die Schwelle zur schweren Verfehlung überschritten, etwa, weil die Verweigerung mit Beleidigungen einherging, wäre der Tatbestand eigentlich als abgeschlossen anzusehen. Dennoch widerspräche es dem Rechtsgefühl in hohem Maße, wollte man der späteren Besserung des Verhaltens des Abkömmlings keinerlei Auswirkungen auf den Unterhaltsanspruch zubilligen 32 . Nicht anders kann es sich bei anfänglich abgeschlossenen Tatbeständen wie einer schweren Beleidigung, einem Diebstahl oder auch einer Körperverletzung darstellen, wenn der Berechtigte seine Verfehlung aufrichtig bereut, etwaigen Schaden wiedergutmacht und sich tatkräftig darum bemüht hat, das Verhältnis zum Berechtigten wiederherzustellen.

3. Rechtsstellung des Verpflichteten Berechtigte Interessen des Verpflichteten stehen dem Wiederaufleben des Unterhaltsanspruches grundsätzlich nicht entgegen; entscheidend sind - wie auch bei § 1579 BGB - allein die Umstände des Einzelfalls, also insbesondere die wirtschaftlichen Verhältnisse des Verpflichteten 33 • Doch sind dem unterhaltspflichtigen Verwandten allgemein größere Einschränkungen zuzumuten als dem geschiedenen Ehegatten. Denn die verwandtschaftliche Unterhaltspflicht hat ihre Grundlage in der Verwandtschaft, welche ein Leben lang fortdauert, wohingegen die nacheheliche Unterhaltspflicht nur Nachwirkung der Ehe ist und im Laufe der Zeit abnimmt. Dasselbe folgt insbesondere aus § 1618 a BGB. Nach dieser Norm, die als lex imperfecta eine sittliche Pflicht zur echten Rechtspflicht erhebt34 , sind "Eltern und Kinder ... einander Beistand und Rücksicht schuldig." Der Inhalt dieser konkreti30 31 32

33

GÖppinger/Stöckle. Rn. 1471; Staudinger/Kappe/Engler; BGB I3 , § 1611 Rn. 45. So wohl auch Luthin. FamRZ 1986, 1166, 1169 (zu § 1579 Nr. 6, 7 BGB). Vgl. Ewert. FamRZ 1992,719,720. Siehe dazu oben § 7 III. 3.

§ 8 Verfehlungen des unterhaltsberechtigten Verwandten

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sierungsbedürftigen Beistandspflicht bestimmt sich nach den guten Sitten. Besonders unter Eltern und Kindern ist es ein allgemeines Gebot der Ethik, demjenigen zu verzeihen und wieder in die Familie aufzunehmen, der seine Verfehlung bereut und sich darum bemüht, sie wiedergutzumachen: 19noscere hominum est, ubi pudet, cui ignoscitu?5. Der guten Sitte entspricht es weiter, den Wiederaufgenommen nicht nur ideell, sondern auch materiell wieder am Familiengut teilhaben zu lassen, ihm also Unterhalt zu gewähren.

4. Rechtsstellung des Berechtigten Aus der Sicht des Berechtigten ist die wohlwollende Würdigung nachträglichen Wohlverhaltens uneingeschränkt zu befürworten, kann sie doch das zum Teil erhebliche Gewicht lindern, das die Beschränkung des Unterhaltes haben kann 36 . Die Erhöhung des Unterhalts ist schließlich nicht unverdient, wenn der Berechtigte sich um eine Aussöhnung bemüht hat.

IV. Verletzung des "Gegenseitigkeitsprinzips" und tätige Reue Der Anspruch auf Zahlung von Ausbildungsunterhalt nach § 1610 Abs. 2 BGB dient nicht dazu, die Bedürftigkeit des Berechtigten abzuwenden, denn dieser wäre, ginge er nicht einer Ausbildung nach, regelmäßig in der Lage, seinen Unterhalt 34 H. M.; vgl. die Begründung des Rechtsausschusses, BT-Drs. 8/2788, S. 43, StaudingerlCoester; BGB I2 , § 1618 a Rn. 7 ff. m. w. N. Siehe auch Diederichsen, NJW 1980, 1,2 ff.; Gemhuber; FS für Müller-Freien/eis, S. 159, 183 ff.; kritisch Knöpfte, FamRZ 1985, 554, 559 ff.; ErmanlMichalski, BGB, § 1618 a Rn. 2. Die erst 1979 vom SorgeRG eingeführte Vorschrift illustriert besonders anschaulich den Wandel in der Auffassung über das Verhältnis von Recht und Sitte. Während Savigny, S. 332 im Jahre 1840 noch befand: "Das Recht dient der Sittlichkeit, aber nicht indem es ihr Gebot vollzieht, sondern indem es die freie Entfaltung ihrer, jedem einzelnen Willen innewohnenden Kraft, sichert" und damit die in einer sittlich gefestigten Gesellschaft typische Meinung vertrat, versteht der heutige Gesetzgeber seine Aufgabe immer mehr darin, Sittlichkeit zu sichern, indem er sie dekreditiert. ,,Insofern sind", wie Diederichsen, FS für LArenz z. 80. Geb., S. 127, 146 f. treffend bemerkt, "die zahlreichen Bestimmungen, die dieses Ziel positivrechtIich verdeutlichen, zwar richtiges Recht, aber doch Ausdruck einer brüchigen und ihrer selbst nicht mehr sicheren Gesellschaft ... " Dementsprechend erklärte der Rechtsausschuß, § 1618 a BGB solle "den Gefahrdungen der Familie als Institution entgegenwirken", BT-Drs. 8/2788, S. 43. 35 Publilius Syrus, Sententiae I 29 (Wo Reue ist, soll der Mensch verzeihen). Vgl. etwa das Gleichnis vom verlorenen Sohn, Lukas. 15, 11 ff. oder vom ungerechten Hausverwalter, Lukas. 16, I ff.; ferner Koran, 4, 16 f.; 9; Pu/endorj, De officio 1,5,8; 6, 13. 36 Vgl. Paul. D. 25, 3,4: Necare videtur non tantum is qui partum perfocat, sed et is qui alimonia denegat (Nicht nur der scheint ein Kind zu töten, der es erwürgt, sondern auch der, welcher dem Kind den Unterhalt versagt).

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3. Kap.: Verletzung sittlicher Pflichten und Obliegenheiten

selbst zu verdienen. Der Ausbildungsunterhalt ist vielmehr Ausfluß oder Nachwirkung 3? der elterlichen Personensorge (§§ 1626, 1631 BGB) und hat wie diese zum Zie1 38 , den Berechtigten zur Selbsterhaltungsfähigkeit im Rahmen seiner vorhandenen Anlagen und Fähigkeiten zu bringen39 . Der Anspruch ist daher zweckgebunden: Er setzt voraus, daß der Berechtigte das Ziel der beabsichtigten Ausbildung überhaupt erreicht kann; der Berechtigte muß also zunächst die für die Ausbildung erforderlichen körperlichen und geistigen Fähigkeiten besitzen. Darüber hinaus muß er auch den nötigen Willen haben, die Ausbildung mit der gebotenen Zielstrebigkeit zu betreiben4o • Denn der Anspruch ist zeitlich begrenzt; der Verpflichtete muß sich mit zunehmendem Alter des Berechtigten auch auf ein Ende seiner Personensorge oder ihrer Nachwirkungen einstellen können. Je älter der Berechtigte wird, desto mehr tritt die Eigenverantwortung für die Selbsterhaltung an die Stelle der elterlichen Verantwortung41 • Auf diesen Besonderheiten des Anspruches auf Ausbildungsunterhalt beruht das "Gegenseitigkeitsprinzip": Der Pflicht der Eltern zur Gewährung von Ausbildungsunterhalt steht die Obliegenheit des Berechtigten gegenüber, die Ausbildung mit dem gebotenen Fleiß und der gebotenen Zielstrebigkeit in angemessener Zeit zu beenden. Verletzt der Berechtigte diese Obliegenheit, so kann er eine weitere Finanzierung seiner Ausbildung nicht mehr verlangen. Indes sind gewisse Verzögerungen und ein einmaliges Versagen bei der Ausbildung nach § 242 BGB hinzunehmen 42 , wie etwa die Wiederholung zweier Semester wegen prüfungsversagens 43 • Ist der Anspruch aber einmal endgültig entfallen, stellt sich die Frage, ob er wiederaufleben kann, wenn der Berechtigte sich eines Bessern besinnt und seine Ausbildung schließlich zielstrebig und mit Aussicht auf Erfolg weiterbetreibt. Das OLG Karlsruhe hat dies in einem Urteil aus dem Jahre 1994 verneint44 : Der Kläger, ein Medizinstudent, hatte den Anspruch auf Ausbildungsunterhalt verwirkt, weil er das Physikum zweimal nicht bestanden hatte und daraufhin zwangsexmatrikuliert worden war. Im dritten Anlauf jedoch hatte er das Physikum an ei37 Mit Erreichen der Volljährigkeit endet die elterliche Personensorge, § § 1626, 1631 Abs. I BGB, nicht aber notwendig der Anspruch auf Ausbildungsunterhalt aus § 16\0 Abs. 2 BGB; vgl. dazu BGHZ 69,190, 192. 38 Zu Ziel und Inhalt der elterlichen Personensorgevgl. §§ 1626 Abs.I, 1631 aAbs.1 S.I; Gernhuber I Coester-Walljen, § 49 V 4; MünchKomml Hinz, BGB, § 1626 Rn. 33 ff. 39 SoSchwab, FarnRZ 1971, 1,7; Thierschnumn, S.lll. 40 Vgl. BGHZ 69, 190, 192 f.; OLG Harnm, FamRZ 1978, 446; OLG Zweibrücken, FamRZ 1985, 92, 93. 41 Vgl. BGH NJW 1984, 1961, 1962; BGH NJW 1987, 1557, 1558; OLG Frankfurt, FamRZ 1994, 1611. 42 Vgl. GöppingerlStrohal, Rn. 695 ff.; PalandtlDiederichsen, BGB, § 16\0 Rn. 45; Soergel/Häberle, BGB, § 161O Rn. 19. 43 OLG Düsseldorf, FamRZ 1978,298,299; OLG Karlsruhe, FarnRZ 1994, 1342; OLG Hamm FamRZ 1998,767,768. 44 OLG Karlsruhe, FamRZ 1994, 1342, 1343.

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ner anderen Universität gemeistert. Daraufhin setzte er das Studium an der Ausgangsuniversität mit insgesamt zweijähriger Verspätung fort und klagte auf erneute Zahlung von Ausbildungsunterhalt. Er unterlag, weil nach Auffassung des OLG Karlsruhe der Anspruch endgültig verwirkt sei, nachdem der maßgebliche Studienplan "bei weitem" nicht gewahrt wurde. Milder urteilte das OLG Frankfurt in einer Entscheidung aus dem Jahre 1985, in der es annahm, daß ein "verbummelter" Anspruch auf Zahlung von Ausbildungsunterhalt wiederaufleben könne, wenn der Berechtigte seine Anstrengungen erhöhe und Aussichten beständen, daß die Ausbildung erfolgreich beendet werde45 . Ähnlich entschied das OLG Ramm 1996, daß auch bei mehrfachem Abbruch der Ausbildung der Anspruch auf Ausbildungsunterhalt nicht endgültig verwirkt sei. Vielmehr sei die erneute Leistung von Unterhalt dann nicht mehr unzumutbar, wenn der Berechtigte später eine erfolgsversprechende Weiterbildung unternahm46 . Doch ist hervorzuheben, daß es in den bei den zuletzt genannten Entscheidungen der Oberlandesgerichte Frankfurt und Ramm nur um Unterhalt für wenige Monate ging, wohingegen in dem vom OLG Karlsruhe zu entscheidenden Fall Unterhalt für weitere zwei Jahre und neun Monate begehrt wurde. Die drei Entscheidungen illustrieren, daß sich unsere Eingangsfrage, ob und gegebenenfalls auf welche Dauer ein verwirkter Anspruch auf Ausbildungsunterhalt wiederaufleben kann, nur im Einzelfall entscheiden läßt; grundsätzlich aber ist sie zu bejahen. So steht der Wortlaut des § 1610 Abs. 2 BGB einem Wiederaufleben nicht im Wege; eine Ausbildung, die unangemessen geworden ist, weil sie nicht erfolgversprechend durchgeführt wurde, kann nach einer Erhöhung der Anstrengungen grundsätzlich wieder als angemessen im Sinne des § 1610 Abs. 2 BGB angesehen werden, sofern ein erfolgreicher Abschluß der Ausbildung nunmehr erwartet werden kann. Dem Zweck des § 1610 Abs. 2 BGB kommt es entgegen, eine Erhöhung der Anstrengungen durch ein Wiederaufleben des Anspruchs auf Ausbildungsunterhalt zu belohnen. Denn der Anspruch auf Ausbildungsunterhalt soll dem Abkömmling eine Ausbildung ermöglichen, die seinen Anlagen und Fähigkeiten optimal entspricht47 . Dem aber nützt es, wenn man dem Berechtigten auch nach einem ersten Versagen den Anreiz beläßt, es nochmals zu versuchen. Dagegen kann das Wissen darum, daß eine weitere Finanzierung in keinem Fall zu erwarten ist und ein weiteres Studium darum selbst zu finanzieren wäre, den Berechtigten von vornherein entmutigen. Es fragt sich allein, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang es den Unterhaltspflichtigen zuzumuten ist, erneut Unterhalt zu leisten. Nicht sachgeOLG Frankfurt FamRZ 1986,498,499. OLG Hamm FamRZ 1997,694,695. 47 Vgl. OLG Karlsruhe Recht 1908 Nr. 776; 8GHZ 69, 190, 192; GernhuberlCoesterWaltjen. § 41 VII 2 m. w. N. 45

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3. Kap.: Verletzung sittlicher Pflichten und Obliegenheiten

recht und wenig aussagekräftig ist jedenfalls das Kriterium, nach dem das OLG Karlsruhe in der oben geschilderten Entscheidung die erneute Inanspruchnahme der Unterhaltspflichtigen zurückgewiesen hatte: Es berief sich allein darauf, daß der maßgebliche Studienplan "bei weitem" nicht gewahrt wurde. Ob der einmal verwirkte Anspruch wiederauflebt, hängt zunächst entscheidend davon ab, inwieweit die erneuten Anstrengungen einen nunmehr erfolgreichen Fortgang des Studiums oder der Ausbildung erwarten lassen; es ist eine Zukunftsprognose zu stellen, nicht aber darauf zu sehen, inwieweit der bisherige Ausbildungsgang von der Regel abwich. Denn die Versagung weiteren Ausbildungsunterhalts ist keine Strafe für zurückliegende Versäumnisse; der Ausbildungsunterhalt zielt allein darauf, einen zukünftigen Erfolg herbeizuführen, und es ist durchaus möglich, daß ein junger Mensch auch nach längeren Orientierungsschwierigkeiten eine Ausbildung noch ordentlich zu Ende bringt. Ein Rückblick auf das frühere Verhalten kann indes Indizien liefern, die für die Prognose von Bedeutung sind (§ 286 ZPO); hierbei kommt es jedoch weniger auf die objektive Abweichung von der Regel, sondern auf deren subjektive Ursachen an: ob jemand etwa notorisch faul ist oder ob das Versagen auf besondere Umstände zurückzuführen ist48 . Für die Dauer und den Umfang einer erneuten Inanspruchnahme der Eltern nach einer aussichtsreichen Wiederaufnahme der Ausbildung gilt folgendes: Grundsätzlich müssen die Eltern im Rahmen ihrer Leistungsfähigkeit solange und soviel Unterhalt leisten, wie es eine in der üblichen Zeit abgeschlossene Ausbildung erfordert49 • Es ist nicht ersichtlich - insbesondere vor dem Hintergrund des § 1618 a BGB -, warum die Eltern durch ein zwar schwerwiegendes, aber vorübergehendes Versagen des Kindes besser gestellt und ihrer Pflicht auf Zahlung von Ausbildungsunterhalt prinzipiell enthoben werden sollen. Vielmehr ist den Eltern regelmäßig zuzumuten, nach einer erfolgversprechenden Wiederaufnahme der Ausbildung bis zum Erreichen der Summe weiter Unterhalt zu leisten, die in eine regelgerecht betriebene Ausbildung auch hätte investiert werden müssen50 • Auf diese erneute Unterhaltsverpflichtung ist der schon geleistete Unterhalt anzurechnen. All dies gilt freilich nur dem Grundsatz nach; feste Grenzen lassen sich nicht ziehen. So kann die Unterhaltspflicht nicht unbefristet neu begründet werden; je länger der Ausschluß gedauert hat, desto weniger brauchen die Eltern mit ihrer erneuten Inanspruchnahme zu rechnen und desto weniger kann ihnen eine erneute Einschränkung zugemutet werden. Dies gilt insbesondere, wenn die Eltern im Vertrauen auf die Dauerhaftigkeit des Ausschlusses finanzielle Verpflichtungen einge48 Es ist also ähnlich zu verfahren wie bei der Prüfung der Voraussetzungen einer verhaltensbedingten Kündigung; vgl. dazu Hueck/v. Hoyning-Huene. KSchG, § I Rn. 274 f.; Staudinger/Preis 13 , § 620 Rn. 241. 49 Vgl. BGHFamRZ 1982, 157, 158;OLGFrankfurtFamRZ 1994, 1611; Hoppenz. § 1603 Rn. 22 f. 50 Nach Heineccius. Elementa. 2. 3, 60; 63, dürfen die Eltern kein Kosten und Mühen scheuen, um die Kinder auf den ihnen bestimmten Weg zu bringen und dort zu halten.

§ 8 Verfehlungen des unterhaltsberechtigten Verwandten

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gangen sind51 • In solchen Fällen wäre der Unterhalt zeitlich oder in seinem Umfang zu begrenzen, könnte also insgesamt hinter den Regelkosten der Ausbildung zurückbleiben. Als weitere Kriterien für die Bemessung von Höhe und Dauer einer erneuten Inanspruchnahme kommen ferner die Ursachen des Versagens und die Möglichkeiten des Berechtigten, sich seinen Unterhalt selbst zu verdienen, in Betracht52 • Dennoch bleibt festzuhalten: Hat der Berechtigte seine Ausbildung erfolgversprechend wiederaufgenommen, ist den Eltern grundsätzlich zuzumuten, solange erneut Ausbildungsunterhalt zu leisten, bis die Summe verbraucht ist, die auch eine ordnungsgemäß betriebene Ausbildung gekostet hätte. Schließlich kommt die Wiederbegründung des Anspruchs auf Ausbildungsunterhalt auch einem Schutzbedürfnis des Berechtigten entgegen: Müßte dieser sein nunmehr zielstrebig fortgesetztes Studium ausschließlich selbst finanzieren, liefe er Gefahr, erneut zu scheitern. Denn ein eigenfinanziertes Studium stellt eine doppelte Belastung dar, die ein überdurchschnittlich hohes Maß an Selbstdisziplin erfordert. An solch überdurchschnittlicher Selbstdisziplin aber kann es gerade demjenigen fehlen, der aus Mangel an Fleiß bereits einmal gescheitert ist. Abschließend ist noch einmal der oben bereits geschilderte Fall des OLG Karlsruhe heranzuziehen. Dort hatte der Kläger die Zwischenprüfung erst nach vier statt nach zwei Jahren abgelegt; die Eltern hatten bis zum zweiten Versuch, also drei Jahre lang, Ausbildungsunterhalt geleistet. Da die Regelstudienzeit des Medizinstudiums sechs Jahre beträgt, hätten die Eltern nach einer erfolgversprechenden Wiederaufnahme entsprechend der hier vertretenen Auffassung grundsätzlich noch für drei weitere Jahre Unterhalt leisten müssen; dem kommt der geltend gemachte Anspruch auf Unterhalt für zwei Jahre und neun Monate recht nahe. Ob das OLG Karlsruhe, das die Klage mit der nicht tragfähigen Begründung abgewiesen hat, der übliche Ausbildungsgang sei bei weitem nicht gewahrt, auch im Ergebnis unrichtig entschieden hat, ist indes ungewiß. Denn der wiedergegebene Sachverhalt läßt nicht erkennen, ob der Kläger sein Studium auch mit hinreichender Aussicht auf Erfolg fortgeführt hat.

v. Ergebnis Ein Anspruch auf Zahlung von Verwandtenunterhalt, der gern. § 1611 Abs. BGB ganz oder teilweise verwirkt worden ist, kann grundsätzlich infolge nachträglichen Wohlverhaltens des Berechtigten ganz oder zum Teil wiederaufleben. Beruht die Verwirkung auf sittlichem Verschulden, so endet die Verwirkung dann, wenn das sittliche Verschulden nicht mehr als Ursache der Bedürftigkeit fortwirkt.

Vgl. OLG Stuttgart, FarnRZ 1996,181,182. Zu den Kriterien der Interessenabwägung siehe BGH FarnRZ 1982, 157, 158; BGH FamRZ 1984, 358, 360; OLG Frankfurt FarnRZ 1994, 1611; KalthoenerlBüttner. Rn. 997. 51

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3. Kap.: Verletzung sittlicher Pflichten und Obliegenheiten

Ist der Unterhaltsanspruch dagegen wegen einer gröblichen Verletzung der Unterhaltspflicht oder wegen einer Verfehlung gegen den Verpflichteten oder einen nahen Angehörigen ganz oder teilweise verwirkt worden, so kann der Anspruch erneut entstehen, wenn die Kränkung des Verpflichteten infolge des nachträglichen Wohlverhaltens nach dem Empfinden eines billig und gerecht Denkenden soweit nachgelassen hat, daß die erneute oder erhöhte Inanspruchnahme nicht mehr unbillig ist. Ein wegen Verletzung des Gegenseitigkeitsprinzips verwirkter Anspruch auf Zahlung von Ausbildungsunterhalt kann erneut begründet werden, wenn der Berechtigte seine Anstrengungen erhöht und nunmehr einen erfolgreichen Abschluß der Ausbildung erwarten läßt. Der Unterhaltsanspruch ist dann jedoch grundsätzlich zu begrenzen. Der Verpflichtete braucht regelmäßig nicht über die Summe hinaus Unterhalt zu leisten, die die Ausbildung bei regulärem Gang gekostet hätte.

§ 9 Grober Undank des Beschenkten, § 530 BGB I. Problem

Einem Urteil des BGH aus dem Jahr 1984 1 lag folgender, hier leicht gekürzter Sachverhalt zugrunde: Der klagende Vater hatte seiner beklagten Tochter 1975 notariell DM 90.000,- geschenkt. Im Rahmen der Abwicklung des Nachlasses der Mutter der Beklagten, die gleichzeitig die geschiedene Ehefrau des Klägers war, erwirkte der Ehemann der Tochter am 17. 11. 1979 gegen deren Bruder eine einstweilige Verfügung, in der diesem untersagt wurde, Nachlaßgegenstände aus dem Haus der Mutter zu entfernen. Der Antrag gründete sich auf der Behauptung, es sei zu befürchten, daß der Bruder, beeinflußt durch den Vater, der selbst schon widerrechtlich in das Haus eingedrungen sei und dort Wertgegenstände an sich genommen habe, weitere Nachlaßsachen entfernen würde. Diese Behauptung versicherte der Ehemann der Beklagten an Eides statt. Am 27. 2. 1980 nahm die Tochter den Antrag zurück und ließ wegen einer internen Einigung der Parteien am 7.3. 1980 schriftsätzlich mitteilen, zu dem Verfahren sei es infolge von Mißverständnissen gekommen, sie habe sich bei ihrem Bruder und ihrem Vater mündlich entschuldigt und sei bereit, das von ihr eingeleitete Verfahren mit einem Ausdruck des Bedauerns zu beenden. Mit Anwaltsschreiben vom 1. 10. 1980 widerrief der Vater die Schenkung der DM 90.000,- wegen groben Undanks; er begründete den Widerruf unter anderem mit den im Vorprozeß aufgestellten Behauptungen des Ehemannes der Klägerin. Landgericht und Oberlandesgericht haben der Klage stattgegeben, weil sie in dem Verhalten der Beklagten in Zusammenhang mit dem Eilverfahren eine schwere Verfehlung sahen. Die Beklagte sei sittlich verpflichtet gewesen, die Vorwürfe,

I

BGH, Urteil vom 23. 5. 1984, BGHZ 91, 273 ff.

§ 9 Grober Undank des Beschenkten

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die ihr Ehemann in ihrem Namen erhoben hatte, unverzüglich zu widerrufen. Dies habe sie unterlassen, was Ausdruck mangelnder Dankbarkeit sei. Der BGH hob die Urteile auf und verwies zur weiteren Verhandlung zurück, weil das Berufungsgericht das nachträgliche Verhalten der Beklagten nicht in die Beurteilung, ob eine schwere Verfehlung überhaupt vorgelegen hat, miteinbezogen habe. Der BGH führt in diesem Zusammenhang aus, daß in die erforderliche Gesamtschau das weitere Verhalten der Beschenkten nach dem Antrag auf Erlaß der einstweiligen Verfügung ebenso miteinbezogen werden müsse wie das eigene Verhalten des Schenkers. Schließlich steht in der Entscheidung zu lesen: "Da hier die Beklagte keine eigene Verfehlung begangen hat, sondern nur die ihres Ehemannes nicht in gehöriger Weise widerrufen haben soll, kommt dem späteren Verhalten allgemein und den Entschuldigungen besonders eine erhebliche Bedeutung bereits bei der Frage zu, ob überhaupt eine schwere Verfehlung bejaht werden kann 2 ." Diese Ausführungen, die das nachträgliche Verhalten der Beklagten betreffen, sind, soweit ersichtlich, singulär, aber zu begrüßen. Sie berühren die Frage, wie es sich auswirkt, wenn der Beschenkte sich nach der Verfehlung eines Besseren besinnt und sich bemüht, den Eintritt eines Schadens noch zu verhindern oder die Verfehlung wenigstens wiedergutzumachen. Wenn der Beschenkte sich so schließlich der Wohltat noch würdig erweist, gibt es möglicherweise keinen Anlaß für den Schenker mehr, weiterhin gekränkt zu sein. Hierdurch könnte entweder die Entstehung des Widerrufsrechts, das Korrelat der Kränkung ist, verhindert oder einem bereits entstandenen Widerrufsrecht der Boden entzogen werden. Gerade der eingangs geschilderte Sachverhalt legt diese Frage nahe, weil der Kläger die Schenkung erst im Oktober 1980 widerrufen hat, also über ein halbes Jahr nach den intensiven Bemühungen der Beklagten, die Verfehlungen ihres Ehemannes wiedergutzumachen. Ob im Oktober noch ein schutzwürdiger Anlaß für den Vater bestand, die Schenkung zu widerrufen, erscheint zweifelhaft. Wenn er aber als eine späte Rache aus persönlicher Überempfindlichkeit einzuordnen wäre, dann dürfte das Recht dieser nicht den Steigbügel halten. Um die Frage zu beantworten, inwieweit sich ein Verhalten des Beschenkten nach der Verfehlung auf die Entstehung oder den Fortfall des Widerrufsrechts auswirkt, ist es nützlich, sich zunächst den Hintergrund des Widerrufsrechts wegen groben Undanks zu vergegenwärtigen und einen Blick zurück auf die Geschichte zu werfen. 11. Hintergrund und Historie

Das Widerrufsrecht wegen Undanks ist eine juristische Anomalität, die sich nur bei der Schenkung findet und allein durch deren Besonderheiten gerechtfertigt ist 3 : Der Schenker begibt sich eines Teiles seines Vermögens, ohne dazu verpflichtet zu 2 3

BGHZ 91,273,279. Vgl. Mot. Mugdan 11, S. 168.

9 Knütel

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3. Kap.: Verletzung sittlicher Pflichten und Obliegenheiten

sein und ohne dafür eine Gegenleistung zu erhalten. Mit einer unentgeltlichen Zuwendung sind vielerlei Gefahren der mißbräuchlichen Ausbeutung des Leichtsinns und der Verschwendung verbunden; der Empfänger, der keine Gegenleistung erbringt, ist weniger schutzbedürftig4 . Dieser besonderen Interessenlage wurde und wird in allen Rechtsordnungen Rechnung getragen. Zum einen schützen besondere Formerfordernisse den Schenker vor Übereilung 5 . Zum anderen ist der Schenker weniger gebunden als beim entgeltlichen Geschäft. Neben der Einrede des Notbedarfs, dem Rückforderungsrecht bei Verarmung6 und einem Rücktrittsrecht bei Nichtvollziehung der Auflage? gibt es das Widerrufsrecht wegen groben Undanks: Wenn der Beschenkte sich eines groben Undanks gegen den Schenker schuldig macht, kann dieser das Geschenkte zurückfordern 8 • Das Widerrufsrecht wegen groben Undanks hat seinen Ursprung weniger in rechtlichen als vielmehr in moralischen Erwägungen: "Le second engagement du donateur est La reconnaissance du bienjait,,9. Wer sich nicht nur einfach undankbar zeigt, sondern sogar gegen seinen Wohltäter fehlt, der ist der Wohltat nicht würdig. Der Schenker hat das in einem Gebote der Ethik lO wurzelnde Recht, die zugewendete Sache zurückzufordern, um nicht fortdauernder Kränkung dadurch ausgesetzt zu sein, daß er zusehen muß, "wie der Beschenkte sich des Genusses des Geschenkes erfreut, obwohl er die rechte Gesinnung, in der er dies haben soll, verleugnet"ll. Das Widerrufsrecht hat deshalb Tradition und findet sich in allen Rechtsordnungen, in denen die Schenkung nicht ohnehin frei widerruflich war oder ist I2 . Nach4 Oie dogmatische Rechtfertigung der geringeren Schutzbedürftigkeit des Empfangers liegt darin, daß die Rechtfertigung des Geschäftes, die causa donandi, nur von einem Partner des Geschäftes, dem Schenker, ausgeht; vgl. Flume AT H, § 12 II 4 c. S Schon im römischen Recht mußten Schenkungen im Wert von mehr als 500 solidi seit Konstantin beurkundet und behördlich protokolliert werden (insinuatio), vgl. lust. C. 8, 53, 36,3 (anno 531). Zu entsprechenden Formgeboten für Schenkungsversprechen vgl. ALR I I1 § 1063; ABGB § 943; CC Art. 931, 932. 6 §§ 519, 528 BGB; vgl. auch schon ALR I 11 §§ 1123 ff.; CC Art. 953. Zum Zusammenhang von Notbedarfseinrede und Rückforderungsrecht wegen Verarmung vgl. R. Knütel, JR 1989,378 f. 7 § 527 BGB; CC Art. 953; sächs. GB § 1066 Satz 2; nach römischen Recht wäre das Geschenkte mit der condictio causa data causa non secuta zurückzufordern gewesen, Windscheid/ Kipp 11, § 368 (S. 566) m. w. N. 8 § 530 BGB; vgl. schon lust. C. 8, 55, 10 (anno 530); ALR I 11 §§ 1089, 1151 ff.; CC Art. 953; ABGB § 948; sächs. GB § 1059. 9 So Domat, I, 10, 3, 2; vgl. auch Heineccius, Elementa, I, 8, 227; 383. Pufendorf, Oe officio, I, 8, 8 hält Undankbarkeit für schändlicher und verabscheuenswürdiger als Ungerechtigkeit. 10 Mot. Mugdan H, S. 168; zur naturrechtlichen Ableitung und Beurteilung groben Undanks vgl. Pufendorf, Oe iure nat., 3, 3, I; Heineccius, Elementa, 1,8,227. 11 Prot. Mugdan H, S. 757. 12 Nach altem deutschen Recht unterlagen Schenkungen dem freien Widerruf, vgl. Enneccerus/Lehmann, § 120 I 2; ausführlich Pappenheim, SZ (GA), 53 (1933), 35 ff.; 51 ff.

§ 9 Grober Undank des Beschenkten

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dem bereits das nachklassische römische Recht dem Schenker in bestimmten Fällen erlaubte, die Schenkung zu widerrufen 13 , führte lustinian ein allgemeines Widerrufsrecht für den Fall ein, daß der Beschenkte bestimmte schwere Verfehlungen begangen hatte l4 . Während des Usus modemus wurde das Widerrufsrecht noch erweitert und schließlich, wie in allen modemen Kodifikationen, auch im BGB festgeschrieben 15. Wenn nach alledem seit alters her ein breiter Konsens über die Notwendigkeit herrscht, dem Schenker bei grobem Undank des Beschenkten ein Widerrufsrecht zuzubilligen, verhält es sich mit unserer Eingangsfrage ganz anders: Ob es notwendig ist, tätige Reue des Beschenkten rechtlich zu würdigen, ist bisher, soweit ersichtlich, nicht problematisiert worden. Offensichtlich ist es einhellige Meinung, daß ein einmal begangener Verstoß, der die Schwelle zum groben Undank überschreitet, nicht mehr zu heilen sei. Es erscheint zweifelhaft, ob dieser Ansicht in ihrer Unbedingtheit zu folgen ist. Denn das Widerrufsrecht fußt vor allem auf der Kränkung des Schenkers; wir hatten aber bereits oben bei der Frage des Wiederauflebens von Unterhaltsansprüchen gesehen, daß nachträgliches Wohlverhalten das Kränkungsgefühl lindern kann, und dies grundsätzlich bis hin zu einem Grad, der rechtlich nicht mehr schutzwürdig ist. Ist aber das Kränkungsgefühl einmal entfallen, könnte dies der Ausübung des Widerrufsrechts entgegenstehen. Es verhält sich ähnlich wie bei dem Fortfall verzugsbedingter Gestaltungsrechte nach einer Bereinigung des Verzuges l6 , denn auch das Entstehen und der Fortbestand des Widerrufsrechts wegen groben Undanks sind vor allem Fragen des bonum et aequum; auch hier könnte deshalb der Grundsatz, daß der Beschenkte dem Schenker das einmal erwachsene Widerrufsrecht nicht mehr aus der Hand schlagen kann, der Einschränkung bedürfen. Immerhin bestimmte schon das ALR I 11 § 1155, daß es für den groben Undank durch bösliche VermögensbeschädiAnders Knobbe-Keuk. FS f. Flume II, S. 149, 153. Noch heute sind nach englischem und USamerikanischem Recht diejenigen Zuwendungen illusory, also nichtig, die ohne consideration, also ohne Gegenleistung jedweder Art, geschehen; sie können insoweit zurückgefordert werden. 13 Nachdem zunächst der Patron die manumissio wegen Undanks des Freigelassenen widerrufen, diesen also in den Sklavenstand zurückversetzen konnte, wurde dieses Recht später dem Vater in bestimmten Undankfallen gegen die durch emancipatio aus der HausgewaIt entlassenen Kinder gewährt und später auf die Mutter und andere Vorfahren erweitert; vgl. Kaser, Studienbuch, § 47 II 3. 14 Siehe hierzu Vat. 248; CTh. 8, 13, I; I. 2, 7, 2; C. 8,55, 10 (anno 530). IS Vgl. neben den §§ 516 ff. BGB hierzu ALR I 11 §§ 1037 ff.; CC Art. 894, 932; Windscheid/Kipp 11, § 365. Zum Widerrufsrecht siehe ALR I 11 §§ 1151 ff., CC Art. 953 ff.; sächs. GB §§ 1059 ff. 16 Dem Gläubiger ist die Ausübung eines verzugsbedingten GestaItungsrechts grundsätzlich verwehrt, wenn der Schuldner den Verzug durch ein nachträgliches Angebot beendet und der Gläubiger sein Interesse, an dem Vertrag festzuhalten nicht verloren hat; dazu oben § I III. \. a) ff. 9'

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gung keinen Unterschied macht, "wenn gleich die Beschädigung durch einen Zufall, ohne Zuthun des Undankbaren, abgewendet, oder unwirksam gemacht worden" ist. Wohlgemerkt: ohne Zuthun des Beschenkten. Dies kann im Umkehrschluß bedeuten, daß die Abwendung der Vermögensbeschädigung durch Zutun des Beschenkten das Widerrufsrecht wieder entfallen läßt, obwohl es durch die ursprüngliche Verfehlung schon entstanden war. Auch wenn der Umkehrschluß nicht zwingend ist, weil die Regelung vor allem verdeutlichen sollte, daß auch der Versuch der vollendeten Beschädigung gleichsteht 17 , regt sie doch zusammen mit den vorstehenden Erwägungen zu der Untersuchung an, ob und gegebenenfalls wie nachträgliches Wohlverhalten im Rahmen des § 530 BGB zu berücksichtigen ist.

In. Grober Undank und tätige Reue § 530 Abs. 1 BGB bestimmt: ,,Eine Schenkung kann widerrufen werden, wenn sich der Beschenkte durch eine schwere Verfehlung gegen den Schenker oder einen nahen Angehörigen des Schenkers groben Undankes schuldig macht." Nachträgliches Wohlverhalten könnte sich auf das Widerrufsrecht auf zweierlei Weise auswirken: Zum einen könnte bereits das Vorliegen einer schweren Verfehlung und damit die Entstehung des Widerrufsrechts zu verneinen sein (dazu unterl.), zum anderen könnte das einmal entstandene Widerrufsrecht nachträglich erloschen sein, so daß der Schenker nicht mehr widerrufen kann (dazu unter 2.).

J. Entstehung des Widerrufsrechts

a) Wortlaut Unter "schwerer Verfehlung" wird gemeinhin ein Fehlverhalten des Beschenkten verstanden, das objektiv eine gewisse Schwere besitzt und subjektiv eine tadelnswerte Gesinnung offenbart, die einen Mangel an Dankbarkeit erkennen läßt l8 . Das Fehlverhalten kann in einer einzelnen Handlung, in einer Mehrheit von Handlungen oder auch in einem Unterlassen bestehen l9 . Ob das Verhalten des Beschenkten ein Fehlverhalten darstellt, ist anhand einer Gesamtwürdigung aller Umstände festzustellen 2o . In diese Gesamtwürdigung sind all diejenigen Tatsachen einzubeziehen, die bis zum Zeitpunkt der Verfehlung vorlagen, wie eigenes Fehlverhalten des Schenkers, starke Reizungen des Beschenkten und ähnliches. Ob hierzu auch G. F. Koch, S. 179. Heute st. Rspr. und allg. Meinung: RGZ 158, 141, 144; BGH NJW 1978, 213, 214; 1984,2089,2090; 1993, 183, 184; BGHZ 87, 145, 149; BGH NJW-RR 1993, 1410, 1411; Palandtl Putzo, BGB, § 530 Rn. 2. Anders noch Weyl, S. 385. 19 Allgemeine Ansicht; siehe nur Palandtl Putzo, BGB, § 530 Rn. 4. 20 Prot. Mugdan 11, S. 756; BGHZ 87,145,149; 91, 273, 279. 17 18

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Umstände gehören können, die nach einer ersten Verfehlung eintraten, ist fraglich. Doch muß zunächst unterschieden werden, ob eine begangene Verfehlung allein wie beispielsweise ein Mordversuch - schon als schwerer Verstoß zu werten ist oder ob die Verfehlung erst durch eine Mehrheit von Handlungen oder durch ein hartnäckiges Unterlassen die Schwelle zum groben Undank überschreiten würde. Selbstverständlich ist zunächst, daß in diesem letzten Fall, in dem die Schwelle zum schweren Verstoß durch eine erste Verfehlung noch nicht überschritten ist, der Beschenkte durch bloßes Nichtweiterhandeln die Vollendung des Tatbestandes und somit die Entstehung des Widerrufsrechts verhindern kann 21 • Von der Untersuchung sind deshalb diejenigen Fälle auszuscheiden, in denen das Widerrufsrecht noch gar nicht entstanden ist, weil der Verstoß, sei es durch Unterlassen, sei es durch minderschwere Teilakte, noch nicht hartnäckig genug war. Damit engt sich unser Problem auf die Frage ein, ob in die Gesamtbetrachtung das nachträgliche Verhalten auch dann noch einzubeziehen ist, nachdem ein hinreichend schwerer Verstoß - eigentlich - bereits hätte bejaht werden müssen: eine methodische Frage, die die allgemeine Ansicht indes verneinen müßte, weil sie auf dem Standpunkt steht, daß der Beschenkte dem Schenker das einmal entstandene Widerrufsrecht nicht mehr aus der Hand schlagen kann. Denn dieser Standpunkt impliziert, daß nachträgliches Verhalten des Beschenkten auf ein bereits entstandenes Widerrufsrecht keinen Einfluß haben kann. Das eingangs dargestellte Urteil des BGH aus dem Jahre 1984 ist nur eine scheinbare Ausnahme. Zwar befaßt sich der BGH in der Entscheidung mit nachträglichem Verhalten des Beschenkten. Doch handelte es sich um einen Sonderfall, in dem die Verfehlung von einem Dritten, dem Ehemann der Beschenkten, begangen wurde, so daß der im Rahmen des § 530 BGB allein relevante Verstoß der Beschenkten selbst erst in dem Nichteinschreiten gegen die Verfehlung gelegen hätte. Da die Beschenkte jedoch nach Auffassung des BGH noch rechtzeitig reagierte und zum Guten wirkte, war die Schwelle zum erheblichen Verstoß noch nicht überschritten. Insofern betrat der BGH entgegen Seutemann 22 hier kein Neuland, sondern bewegte sich in bekannten Bahnen, indem er dem späteren Verhalten des Beschenkten Bedeutung beimaß. Von dieser materiellrechtlichen Frage, ob nachträgliches Wohlverhalten nach einer hinreichend schweren Verfehlung diese wieder wettmachen kann, ist die Möglichkeit des Richters zu unterscheiden, nachträgliches Wohlverhalten im Rahmen der freien Beweiswürdigung als Indiz dafür zu werten, daß das Fehlverhalten nicht aus einer undankbaren Gesinnung heraus geschah, eine schwere Verfehlung im Sinne des § 530 BGB also von Anfang an nicht vorlag 23 .

Uns soll es hier genügen festzustellen, daß jedenfalls methodisch keine Bedenken bestehen, nachträgliches Wohlverhalten nach einem eigentlich hinreichenden Vgl. BGHZ91, 273, 279. Anm. zu BGH, Urteil v. 23. 5. 1984, FamRZ 1984, 1083 f.; vgl. auch die Besprechung von Wilkmann, JA 1985,98. 23 Dies schlägt auch Seutemann (Fn. 22), 1083, vor. 21

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Verstoß wohlwol1end zu würdigen und so im Rahmen einer Gesamtbetrachtung das Vorliegen einer schweren Verfehlung möglicherweise noch zu verneinen. Eine solche Auslegung, die fingiert, daß bei nachträglichem Wohlverhalten ein schwerer Verstoß schließlich doch nicht vorgelegen habe, entspricht der flexiblen Interpretation des Celsus, die bereits dargestel1t wurde 24 • Ob sich eine solche methodisch mögliche Berücksichtigung nachträglichen Wohlverhaltens im Wege flexibler Interpretation auch dem bonum et aequum entspricht, also tatsächlich geboten ist, beurteilt sich vor allem nach dem Zweck des Widerrufsrechts und der Interessenlage, die sogleich dargelegt werden sol1en. Vorab jedoch sei darauf hingewiesen, daß die flexible Interpretation sich bereits deshalb anbietet, weil häufig die Beurteilung der Frage, wann genau die Schwel1e zum schweren Verstoß überschritten ist, erheblichen praktischen Schwierigkeiten unterliegt: Man denke etwa an die Konstel1ationen, in denen ohnehin erst ein hartnäckiges Fehlverhalten als schwere Verfehlung im Sinne des § 530 BGB anzusehen ist. Diese Unsicherheiten lassen sich am besten dadurch ausgleichen, daß bei der Bewertung des Verhaltens des Beschenkten von vornherein nicht zwischen vorher und nachher unterschieden, sondern eine Gesamtbetrachtung vorgenommen wird 25 , und zwar im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung.

b) Zweck der Norm Das Widerrufsrecht soll es dem Schenker ermöglichen, die andauernde Kränkung zu beenden, die er dadurch erfährt, daß der Beschenkte das Geschenk behält, obwohl er gegen ihn, den Schenker, gefehlt hat. Gleichwohl darf das Widerrufsrecht nicht als Rache herhalten; ein solcher Zweck wäre dem Zivilrecht fremd. Die Anerkennung tätiger Reue mittels flexibler Interpretation liefe dem Zweck des Widerrufsrechts nur dann zuwider, wenn sie das Widerrufsrecht ausschlösse, obschon der Schenker weiterhin Anlaß hat, gekränkt zu sein. Wird das nachträgliche Wohlverhalten indes sachgerecht in die Gesamtschau miteinbezogen, ist dies nicht der Fall. Denn wie wir bereits bei der Verwirkung von Unterhaltsansprüchen gesehen haben 26 , kann nachträgliches Wohlverhalten durchaus dazu führen, daß die Kränkung des Verletzten nach dem Empfinden eines verständigen Rechtsgenossen soweit nachläßt, daß sie keines zivilrechtlichen Schutzes mehr bedarf. Wenn auch manche Verstöße - wie etwa ein gescheiterter Mordanschlag - derart schwer wiegen, daß sie durch tätige Reue kaum wiedergutzumachen sind, so kommen doch zahlreiche Konstellationen in Betracht, in denen auch das Strafrecht ty24

25 26

Dazu § 1 IV. I. a). Ähnlich 80HZ 91, 273, 278. Vgl. oben § 7 III. 2. b); und § 8 III. 2.

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pischerweise tätige Reue belohnen würde: Bei Verstößen, in denen Handlung und Erfolg auseinanderfallen, könnte der Beschenkte das Widerrufsrecht möglicherweise noch abwenden, indem er den Eintritt des Erfolges der Verfehlung verhindert. Zu denken wäre hier etwa an die schon oben erwähnte, mögliche Fallgruppe groben Undanks, die ALR I 11 § 1154 normierte: "Ein Gleiches (der Widerruf wegen Undanks) findet statt, bey Beschädigungen am Vermögen, die der Beschenkte aus Bosheit oder unerlaubtem Eigennutze, dem Geschenkgeber zugefügt hat". Wenn der Beschenkte hier den Eintritt der Beschädigung - etwa durch das Verbreiten falscher Informationen, um den Schenker wirtschaftlich zu ruinieren - noch rechtzeitig verhindert, könnte er den Widerrufsgrund, der eigentlich bereits mit der Verfehlung entstehen müßte, noch beseitigen: peccatum extenuat qui celeriter corrigif27 . Gleichermaßen geeignet für eine Berücksichtigung tätiger Reue sind Konstellationen, in denen schon eine Vorbereitungshandlung regelmäßig als hinreichend schwerer Verstoß zu werten wäre 28 . Gemeint sind etwa Fälle, in denen sich der Beschenkte eines Dritten bedient, um den Schenker zu mißhandeln oder zu bestehlen, also Konstellationen, die strafrechtlich als Anstiftung oder mittelbare Täterschaft zu werten wären. Verhindert der Beschenkte, der sich eines Bessern besonnen hat, den Eintritt des Erfolges, indem er den Tatmittler zurückruft oder indem er das potentielle Opfer rechtzeitig benachrichtigt, so könnte dadurch im Rahmen der Gesamtbetrachtung das Vorliegen einer schweren Verfehlung und damit das Entstehen des Widerrufsrechts verneint werden. In Betracht kommen schließlich Fälle, in denen erst ein hartnäckiger Verstoß die Schwelle zum groben Undank überschreitet: wie etwa die Weigerung, ein eingeräumtes Wohn- oder Nutzungsrecht zu erfüllen 29 , die Rechtsausübung zum Nachteil des Schenkers 30 oder das Unterlassen des Einschreitens gegen das Verhalten eines Dritten, wenn das Einschreiten nach den Umständen des Falles sittlich geboten war3 !.

c) Rechtsstellung des Schenkers Die Rechtsstellung des Schenkers steht der Berücksichtigung nachträglichen Wohlverhaltens bei der Beurteilung der Frage, ob überhaupt ein schwerer Verstoß vorliegt, nicht entgegen. Das Widerrufsrecht soll kein Deckmantel für eine Rache 27

es). 28

29 30

Publilius Syrus. Sententiae, P 40 (Wer das Vergehen rasch wieder gut macht, mildert Dazu Ortloff, ArchBürgR 21 (1902),269,304. Vgl. BGH NJW 1992,183,184; NJW 1993, 1577, 1578. Vgl. BGH FamRZ 1970, 185, 186; BOHZ 112,258,263; BGH NJW-RR 1993, 1410,

1411. 31

Vgl. RGZ 158, 141, 144; RG Gruchot 67, 562, 565; BGHZ 91, 273, 277.

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des Schenkers sein, diesem also nicht Satisfaktion für die erlittene Unbill gewähren, sondern nur demjenigen, der sich der Zuwendung unwürdig erwiesen hat, diese für die Zukunft entziehen 32 . Hieran hat der Schenker ein rechtlich schützenswertes Interesse aber nur, solange er noch Anlaß hat, gekränkt zu sein. Die Kränkung des Schenkers besteht darin, zusehen zu müssen, wie der Beschenkte sich des Genusses des Geschenkes erfreut, obwohl er die rechte Gesinnung, in welcher er dieses haben soll, verleugnee 3 . Von einem solchen Verleugnen der rechten Gesinnung kann aber dann nicht mehr die Rede sein, wenn der Beschenkte sich nachträglich wohlverhalten und damit seine rechte Gesinnung noch gezeigt hat. Darüber hinaus ist zu betonen, daß es dem objektiven verstandenen Interesse des Schenkers regelmäßig sogar dient, tätige Reue zu belohnen. Denn indem man dem Beschenkten eine "goldene Brücke" zurück auf den rechten Weg baut, schafft man ihm einen Anreiz, eine drohende Schädigung der Rechtsgüter des Schenkers noch abzuwenden. Vor allem hierauf aber geht das Interesse des Schenkers und nicht darauf, den geschenkten Gegenstand zurückzuerhalten. Hinzu kommt, daß der Widerruf eine Ausnahme darstellt und der Widerrufstatbestand darum in teleologischer Hinsicht eng auszulegen ist 34 . Auch insofern ist es geboten, dort, wo der Beschenkte sich nach einem "Ausrutscher" eines Besseren besinnt, tätige Reue zeigt und möglicherweise auch fürderhin seine Dankbarkeit bezeugt, eine solche "Wiedererlangung der Würdigkeit" anzuerkennen.

d) Rechtsstellung des Beschenkten Der Beschenkte wird durch die Anerkennung nachträglichen Wohlverhaltens nicht über Gebühr bevorteilt. Denn obschon im Schenkungsrecht grundsätzlich der Schenker der schutzwürdigere Teil ist, sind darum die Interessen des Beschenkten nicht zu vernachlässigen. Der Beschenkte darf, auch wenn er für die Zuwendung keine Gegenleistung erbracht hat, grundsätzlich auf die Beständigkeit seiner Rechtsposition vertrauen. Der Widerruf soll Ausnahme sein, denn eine zu großzügige Handhabung des Widerrufsrechts würde die Rechtssicherheit über Gebühr strapazieren35 . Die Beachtlichkeit der Interessen des Beschenkten zeigt auch § 532 BGB, wonach der Widerruf ausgeschlossen ist, wenn der Schenker dem Beschenkten verziehen hat, wenn der Schenker verstorben ist oder wenn seit Kenntnis des Widerrufsgrundes ein Jahr verstrichen ist.

Vgl. v. Kübel, Vorentwürfe SchuldR 11, S. 210. Prot. Mugdan H, S. 757; vgl. auch RG Gruchot 67, 562, 564; OLG Hamburg FamRZ 1960,151. 34 Zum Grundsatz der engen Auslegung von Ausnahmevorschriften siehe RGZ 153, 1,23; BGHZ 2,237,244; 11, 135, 143; Larenz, Methodenlehre, S. 355. 35 Vgl. BGHZ 91, 273, 277; Knobbe-Keuk, FS f. Flume H, S. 149, 153. 32 33

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e) Entstehungsgeschichte Für die flexible Interpretation läßt sich schließlich die Entstehungsgeschichte der Nonn anführen. Das Tatbestandsmerkmal der schweren Verfehlung ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der erst von der 2. Kommission eingeführt wurde, um dem Tatrichter größere Entscheidungsfreiheit im Einzelfall einzuräumen 36 ; der das Widerrufsrecht regelnde § 449 des 1. Entwurfs hingegen knüpfte den Widerruf an bestimmte Tatbestände 37 • Die 2. Kommission fand, daß bei einer kasuistischen Beschränkung auf einzelne Widerrufstatbestände manche Fälle, wie etwa die widerrechtliche Herbeiführung einer Entmündigung, von Gesetzes wegen keinen groben Undank darstellen, obwohl sie ethisch als ein solcher zu werten seien. Ebenso brauche nicht in jeder körperlichen Mißhandlung, entgegen dem Wortlaut des Entwurfs, grober Undank zu liegen 38 . Der Gesetzgeber wollte dem Richter mit der Generalklausel des § 530 BGB also größtmöglichen Beurteilungsspielraum für die sachgerechte Beurteilung des Einzelfalles gewähren. Dem entspricht es am ehesten, auch ein Verhalten des Beschenkten nach einem hinreichend schweren Verstoß in die Würdigung mit einzubeziehen, und zwar nicht allein im Rahmen der freien Beweiswürdigung als Indiz für die möglicherweise doch nicht undankbare Gesinnung des Beschenkten, sondern als Verhalten, das eine eigentlich bereits tatbestandsmäßige Verfehlung wiedergutzumachen geeignet ist 39 . t) Ergebnis

Nach alledem ist bei der Gesamtbetrachtung, ob eine schwere Verfehlung im Sinne des § 530 BGB vorliegt, auch das nachträgliche Wohlverhalten des Beschenkten nach einem hinreichend schweren Verstoß zu berücksichtigen. War es geeignet, die anfangliche Verfehlung nach dem Empfinden eines billig und gerecht denkenden Dritten auszugleichen, so ist das Vorliegen des groben Undanks insgesamt zu verneinen.

Prot. Mugdan H, S. 756. EI § 449 lautete: "Eine Schenkung kann wegen Undankes ... widerrufen werden, wenn der Beschenkte dem Leben des Schenkers nachgestellt, oder demselben die Freiheit zu entziehen gesucht, oder sich einer vorsätzlichen körperlichen Mißhandlung oder schweren Beleidigung desselben schuldig gemacht, oder wenn er ihm einen bedeutenden Vermögensverlust vorsätzlich zugefügt hat." 38 Prot. Mugdan H, S. 756. 39 Vgl. Endemann, JW 1929,2707, demzufolge das Gesetz durch die Verwendung des Begriffs der schweren Verfehlung vom Richter ein Werturteil erfordere, bei dem dieser das bisherige Verhalten beider Parteien zueinander abwägen soll. 36

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3. Kap.: Verletzung sittlicher Pflichten und Obliegenheiten

2. Erlöschen des Widerrufsrechts

In manchen Fällen hingegen wird sich das Vorliegen einer schweren Verfehlung mittels flexibler Interpretation nicht leugnen lassen. Wenn etwa der Beschenkte Vermögen des Schenkers veruntreut, nach drei Monaten aber den veruntreuten Betrag auf Heller und Pfennig zurückzahlt, dann dürfte der Zeitraum für eine flexible Interpretation, die eine Verfehlung insgesamt leugnet, zu groß sein. Auch wenn der Beschenkte den Schenker körperlich schwer mißhandelt4o, schwer beleidigt oder wenn der Beschenkte die Ehe bricht41 , läßt sich das Vorliegen einer schweren Verfehlung mittels flexibler Interpretation nachträglich nicht mehr bestreiten, selbst wenn der Beschenkte sich in jeder erdenklichen Weise um Wiedergutmachung bemüht. Ähnlich könnte es liegen, wenn der Beschenkte nach der Verfehlung dem Schenker das Leben rettet: Durch einen solchen Verdienst reduziert sich das Maß der dem Schenker geschuldeten Dankbarkeit für die Zukunft und damit auch das Maß der rechtlich anzuerkennenden Kränkung; die Situation ähnelt im nachhinein der Pflicht- oder Anstandsschenkung, bei der der Widerruf ohnehin ausgeschlossen gewesen wäre, § 534 BGB42 • Doch läßt die frühere Verfehlung sich auch durch solcherlei Verdienste nicht mehr heilen, das Entstehen des Widerrufsrechts also nicht mehr leugnen. In solchen und ähnlichen Konstellationen könnte der Widerruf aber rechtsmißbräuchlich und daher ausgeschlossen sein, denn auch das Widerrufsrecht unterliegt den allgemeinen Ausschlußgründen, wie insbesondere dem des Rechtsmißbrauchs43 . Die Frage, ob zu diesen allgemeinen Ausschlußgründen auch die tätige Reue zu zählen ist, kann nicht generell beantwortet werden. Immerhin gibt es, wie wir bereits gesehen haben, zahlreiche Fälle, in denen derjenige, der wegen Zahlungsverzuges einem Gestaltungsrecht ausgesetzt ist, dieses zu Fall bringen kann, indem er den Verzug bereinigt. Allen Fällen ist gemeinsam, daß nach der Wertung des Gesetzes die Interessen des Inhabers des Gestaltungsrechtes dann vor denen des Gegners zurückzustehen haben, wenn jedes berechtigte Interesse des Rechtsinhabers an der Ausübung des Gestaltungsrechtes infolge der Bereinigung des VerzuVgl. die Fälle bei RG Recht 1913 Nr. 2862; OLG Nürnberg OLGZ 1982, 230 f. BGH FamRZ 1982, 1066, 1067; OLG Nürnberg OLGZ 1982,230 f. Rspr.-Übersicht bei Seutemann, Widerruf, S. 105 ff. 42 Eine Schenkung nach einer Lebensrettung wird regelmäßig nicht als bloß belohnende Schenkung, sondern als Pflicht- und Anstandsschenkung einzuordnen sein, weil die Liberalität im Verhältnis zum geleisteten Dienst gering ist; vgl. Prot. Mugdan 11, S. 756. Deshalb war der Widerruf einer Schenkung zur Vergeltung der Lebensrettung schon im römischen und im gemeinen Recht ausgeschlossen; vgl. Pau/. D. 39, 5, 34, 1; Windscheidl Kipp 11, § 368 Anm.11. 43 Auch das Widerrufsrecht des § 530 BGB unterliegt den Beschränkungen von Treu und Glauben, § 242 BGB; vgl. StaudingerlWeber, BGB l1 , § 242 D 1; D 257; Palandtl Heinrichs, BGB, § 242 Rn. 38,50. 40 41

§ 9 Grober Undank des Beschenkten

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ges entfallen ist. So könnte es - je nach Art und Maß der Wiedergutmachungsbemühungen des Beschenkten - auch in den vorstehend gebildeten Beispielen liegen. Es ist denkbar, daß aus der maßgeblichen Sicht eines verständigen Dritten das Interesse des Schenkers an einem Widerruf entfällt, wenn der Beschenkte durch seine Wiedergutmachungsbemühungen sich nachträglich als des Geschenkes würdig erweist. Der Beschenkte kann der Kränkung des Schenkers so für die Zukunft den Boden entziehen; ein Widerruf, der dennoch erfolgt, würde auf persönlicher Überempfindlichkeit beruhen oder dem persönlichen Rachegefühl dienen und wäre damit unbeachtlich. Dem steht auch die Höchstpersönlichkeit des Widerrufsrechts (vgl. § 530 Abs. 2 BGB) nicht entgegen. Denn zum einen entscheidet das Gericht bereits nach objektiven Kriterien, ob die Verfehlung des Beschenkten als schwer anzusehen und damit ein Kränkungsgrund überhaupt vorhanden ist. Zum anderen beurteilt sich auch das Vorliegen einer den Widerruf ausschließenden Verzeihung allein nach dem objektiven Empfängerhorizont des Beschenkten oder auch dritter Personen und nicht nach dem wahren Willen des Schenkers44 : Verziehen hat, wer durch sein Verhalten zum Ausdruck bringt, daß er aus den erfahrenen Kränkungen nichts mehr herleiten, sondern über sie hinwegsehen wi1l 45 ; eine Verzeihung muß unter Umständen auch dann bejaht werden, wenn der Schenker gar nicht verzeihen wollte. Eine Anfechtung der Verzeihung ist ausgeschlossen, da sie weder Rechtsgeschäft noch rechtsgeschäftsähnlich, sondern ein tatsächliches Verhalten ist, das eine innere Gesinnung widerspiegelt46 . Schließlich ist zu berücksichtigen, daß das Rückforderungsrecht, dessen Begründung Rechtsfolge des Widerrufs ist, ein vermögensrechtlicher und kein persönlicher Anspruch ist; auch insofern muß die Berechtigung eines Widerrufs nach objektiven Kriterien beurteilt werden.

IV. Ergebnis Tätige Reue des Beschenkten nach einer schweren Verfehlung gegen den Schenker kann sich auf dessen Widerrufsrecht wegen groben Undanks auswirken: So ist bei der Würdigung des Fehlverhaltens des Beschenkten grundsätzlich auch dessen nachträgliches Verhalten bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung zu berücksichtigen. Ist das Wohlverhalten geeignet, die subjektiven Auswirkungen 44 Es ist überdies umstritten, ob eine Kundgabe der Verzeihung an den Beschenkten überhaupt erforderlich ist; bejahend z. B. Kipp/Coing, § 1411, verneinend Oertmann 11, § 532 Anm. I; Crome 11, § 233 Anm. 37. Vgl. ferner Manigk, S. 633; 697 ff.; Eltzbacher. S. 198 ff. 45 Allgemeine Meinung; vgl. zur entsprechenden Vorschrift des § 2337 BGB: BGH FamRZ 1961, 437; BGH NJW 1974, 1084, 1085; BGHZ 91,273,280; Kipp/Coing, § 1411. 46 Heute unstreitig; vgl. Staudinger/Ferid/Cieslar. BGB 12 , § 2337 Rn. 7; Kipp/Coing, § 14 11 m. w. N. Die 1. Kommission hatte die Frage nach der Rechtsnatur der Verzeihung bewußt offen gelassen, um die Frage durch Wissenschaft und Praxis klären zu lassen: Mot. Mugdan 11, S. 169.

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3. Kap.: Verletzung sittlicher Pflichten und Obliegenheiten

der vorherigen Verfehlung auf den Schenker nach dem Dafürhalten des billig und gerecht denkenden Dritten wieder wettzumachen, liegt eine schwere Verfehlung im Sinne des § 530 Abs. I BGB nicht (mehr) vor. War das Fehlverhalten so gravierend oder hat der Beschenkte erst so spät tätige Reue gezeigt, daß eine schwere Verfehlung mittels flexibler Interpretation nicht mehr geleugnet werden kann, ist zu prüfen, ob auch nach dem späteren Wohlverhalten aus der Sicht eines verständigen Dritten noch Anlaß besteht, weiterhin gekränkt zu sein. Ist dies auszuschließen, entfällt das Widerrufsrecht.

§ 10 Verfehlungen des Pflichtteilsberechtigten, §§ 2333 ff. BGB

I. Problem Die Entziehung des Pflichtteils stellt für den Betroffenen eine empfindliche Sanktion dar. Zwar läßt sich angesichts der Vielfältigkeit familiärer Verhältnisse kaum allgemein beurteilen, wie schwer eine "Enterbung" den jeweiligen Angehörigen trifft. Doch kann man mit Beitzke 1 sicherlich von einem abgeschwächten Ausschluß aus dem Familienverband sprechen, wenn nicht gar von einer demütigenden "Verstoßung über den Tod hinaus,,2. Dieses Gewicht der Pflichtteilsentziehung sowie ihr Strafcharakter3 werfen wiederum die Frage auf, inwieweit die einzelnen Tatbestände der §§ 2333 ff. BGB Raum für die Berücksichtigung tätiger Reue lassen. Jedenfalls für den Entziehungsgrund des unsittlichen Lebenswandels (§ 2333 Nr. 5 BGB) ist ausdrücklich angeordnet, daß die Entziehung unwirksam ist, "wenn sich der Abkömmling zur Zeit des Erbfalls von dem ehrlosen oder unsittlichen Lebenswandel dauernd abgewendet hat" (§ 2336 Abs. 4 BGB). Ausgeschlossen ist eine solche Prämierung nach allgemeiner Ansicht jedoch bei den anderen Pflichtteilsentziehungsgründen. Denn der Grund der Entziehung müsse nur zur Zeit der Errichtung der Verfügung bestehen (§ 2336 Abs. 2 BGB); von diesem Grundsatz mache allein § 2336 Abs. 4 BGB für den Entziehungsgrund des ehrloBeitz/ce, § I 11 3; zustimmend Staudinger/ Ferid/Cieslar, BGB 12 , vor §§ 2333 ff., Rn. I. 2 So BGHZ 94,36,43; 109,307,312. Kritisch zu der letzten Entscheidung, insbesondere zu deren plakativen Formulierungen Leipold, JZ 1990,700,701. 3 Zum Strafzweck der §§ 2333 ff. BGB siehe v. Schmitt, Vorentwürfe Erbrecht I, S. 822; Strohal I, § 57 II; Mot. Mugdan V, S. 232. Ein ganz anderer Gedanke liegt der Pflichtteilsbeschränkung in guter Absicht zugrunde (§ 2338 BGB). Diese dient der Bewahrung des Familienvermögens und dem - objektive verstandenen - Interesse des Abkömmlings; sie setzt voraus, daß der Abkömmling ein verschwenderisches Leben führt oder überschuldet ist. Doch wird die Beschränkung unwirksam, wenn diese Voraussetzungen zur Zeit des Erbfalls nicht mehr gegeben sind (§ 2338 Abs. 2 S. 2 BGB). Diese Unwirksamkeit soll jedoch das nachträgliche Wohlverhalten nicht belohnen, sondern folgt notwendig aus dem Fortfall der Beschränkungsvoraussetzungen. 1

§ 10 Verfehlungen des Pflichtteilsberechtigten

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sen und unsittlichen Lebenswandels eine Ausnahme, und hieraus ergebe sich im Umkehrschluß, daß bei allen übrigen Pflichtteilsentziehungsgründen nachträgliches Wohlverhalten ohne Bedeutung sei4 • Dem ist grundsätzlich zuzustimmen. Trotzdem kann es Konstellationen geben, in denen es dem Rechtsgefühl zuwiderliefe, die Entziehung des Pflichtteils zuzulassen, obwohl der schuldige Angehörige - ähnlich wie bei den Fällen zu § 530 BGB - sich nachhaltig darum bemüht hat, seine Verfehlung wiedergutzumachen: In einer zerrütteten Familie etwa trägt sich die Tochter in jungen Jahren eine Zeitlang ernsthaft mit dem Gedanken, ihren Vater ums Leben zu bringen, und verschafft sich Gift, das sie ihm in den Kaffee zu schütten beabsichtigt. Später gibt sie ihr Vorhaben jedoch reuig auf und bemüht sich ernsthaft, das Verhältnis zum Vater wiederherzustellen; sie pflegt und betreut ihn im Alter. Hinterbringt ein Geschwisterteil dem Vater kurz vor dessen Tode die früheren Mordpläne der Tochter, woraufhin dieser ihr kurz entschlossen noch den Pflichtteil entzieht, fragt es sich, ob diese Entziehung noch gerechtfertigt ist5 . Nicht viel anders läge es, wenn ein Pflichtteilsberechtigter den Erblasser bestiehlt oder dessen Vermögen veruntreut, den gestohlenen Gegenstand aber bald darauf zurückgibt oder den veruntreuten Betrag zurückerstattet und sich auch durch weitere Wohltaten um einen Ausgleich mit dem Erblasser bemüht: Auch hier könnte eine spätere Entziehung des Pflichtteils (§ 2333 Nr. 3 BGB) nicht mehr gerechtfertigt sein. In solchen Fällen, in denen der Abkömmling nicht nur die unmittelbaren materiellen Auswirkungen seiner Verfehlung beseitigt, sondern sich auch durch weitere Anstrengungen nachhaltig um eine Aussöhnung mit dem Erblasser bemüht hat, könnte für diesen kein Anlaß mehr bestehen, wegen der früheren Verfehlung gekränkt zu sein. Es ist daher im einzelnen zu prüfen, wie sich solch nachträgliches Wohlverhalten auf die Entstehung des Pflichtteilsentziehungsrechts, auf dessen Bestand sowie auf die Wirksamkeit einer bereits erfolgten Entziehung auswirken kann. Zwar ließe eine Verzeihung das Recht zur Pflichtteilsentziehung erlöschen oder machte eine bereits erfolgte Entziehung unwirksam (§ 2337 BGB). Doch wird man eine Verzeihung - als den konkludent 6 nach außen kundgemachten Entschluß, aus den erfahrenen Kränkungen nichts mehr herleiten zu wollen 7 - in der Entgegen4 Vgl. Staudinger/Ferid/Cieslar, BGB I2 , § 2336 Rn. 23; Planck/Greijf. BGB, § 2336 Anm. 2 a. 5 Ähnlich die Konstellation in Schnitzlers Erzählung "Der Sohn", in der eine Mutter vergeblich versucht, ihren unehelichen Sohn kurz nach der Geburt zu töten, und sich, von Reue getrieben, fortan bis zur Selbstaufgabe um das Wohlergehen und um die Wünsche ihres Sohnes bemüht. Dieser, mißraten, erschlägt die Mutter schließlich, ohne von deren Anschlag gewußt zu haben. 6 Nicht nur durch ausdrückliche Erklärung, auch durch schlüssiges Handeln kann verziehen werden; vgl. Prot. Mugdan V, S. 808; Staudinger/Ferid/Cieslar, BGB I2 , § 2337 Rn. 12. 7 BGH NJW 1974, 1084, 1085; ebenso BGHZ 91,273,280; Staudinger/Ferid/Cieslar, BGB 12, § 2336 Rn. I.

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nahme der Wiedergutmachungsleistungen und in der Akzeptanz der Bemühungen des Pflichtteilsberechtigten nur ausnahmsweise sehen können. Zudem setzt eine Verzeihung voraus, daß der Erblasser die Verfehlungen kennt, und dies ist - wie in dem ersten Beispiel - nicht immer der Fall, ohne daß sich dadurch an der Interessenlage etwas Wesentliches ändern würde. Unser Problem muß also auf anderem Wege gelöst werden.

II. Hintergrund und Historie Das Pflichtteilsrecht soll einen Ausgleich schaffen zwischen der Testierfreiheit des Erblassers und dem "natürlichen Recht" gewisser nächster Angehöriger, einen Teil des Nachlasses zu erhalten. Die Testierfreiheit ist Ausdruck der höchsten individuellen Willensherrschaft8 und heute in der Erbrechtsgarantie des Art. 14 GG verfassungsrechtlich verankert; sie ist jedoch im Grundsatz seit alters her bekannt. Plutarch berichtet von einem Gesetz Solons, das den Athenern erstmals erlaubte, ihr Vermögen, sofern sie keine männlichen Nachkommen haben, Dritten zu vermachen 9 • Ihren Höhepunkt erreichte die Testierfreiheit wohl bei den Böotiern, die ihr gesamtes Vermögen ihren Freunden und Clubs vermachten, um diesen möglichst ausgiebige Leichenfeiern zu ermögliehen 10. In Rom sollte die Testierfreiheit, die erstmals im Zwölftafelgesetz normiert wurde, ursprünglich durch Einsetzung eines Erben den Grundbesitz vor der Zersplitterung bewahren. Seit der jüngeren Republik beherrschte sie mit der Änderung der Wirtschafts- und Lebensformen die Erbfolgeordnung 11 •

Das entgegensetzte Prinzip der Familienerbfolge ist zumindest ebenso alt, vielleicht älter als das der Testierfreiheit l2 , doch hat es im Laufe der Zeiten ganz verschiedene Begründungen erfahren. Dem Familienerbrecht wurden eine einfache Pietätspflicht des Erblassers 13 , das Prinzip der Erhaltung von Familie und Familiengut 14, das Recht der Familie auf Fortsetzung ihres gewohnten Lebensstandards oder aber die Unterhaltspflicht nächster Angehöriger untereinander zugrundegelegt. Der BGH schließlich leitet das Pflichtteilsrecht des BGB als Ausdruck des Prinzips des Familienerbrechtes auch aus Art. 6, 14 GG her 15 . Alle diese BegrünVgl. Grotius 2, 6, 14; Pufendorj. Oe iure nat, 4, 10,4; 4, 11. Plutarch, Sol on 21; vgl. bereits 1. Mose 15,3. 10 Polybios 10, 6. 11 Vgl. dazu Kase" Studienbuch, § 65 11 2; Kipp/Coing, § I 11 3; ferner Kegel, Liber amicorum Ernst J. Cohn (1975), S. 85, 90 ff. 12 Solus deus heredem facere potest; vgl. 5. Mose 21, 16. Tacitus berichtet in Germania 20, daß auch die Germanen kein Testament kannten. 13 So im römischen Recht, vgl. O. 5, 2. 14 Vgl. Kase" Studienbuch, § 65 11 1 b. IS 8GHZ 109, 307, 3\3. Ein Schutz des pflichtteilserwerbs durch Art. 14 GG ist jedoch zweifelhaft, weil dieser künftige Erbpositionen vor dem Erbfall gerade nicht schützt, vgl. 8

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dungen des Familienerbrechtes schließen einander nicht aus, sondern ergänzen sich 16 • Fest steht, daß das Prinzip des Familienerbrechts einen Gegenpol zum Grundsatz der Testierfreiheit bildet, der sowohl durch seine Tradition als auch aus sozialen wie familiären Aspekten heraus legitimiert ist. Gleichwohl ist auch das gesetzliche Familienerbrecht Beschränkungen unterworfen. Verletzt ein Angehöriger in grober Weise seine Verpflichtungen gegenüber dem Erblasser, so wäre es unbillig, wenn der Schuldige trotzdem einen - wie auch immer gearteten - Pflichtteil erhalten müßte, wenn sich also auch in einem solchen Fall das Familienerbrecht gegen die Testierfreiheit durchsetzen würde. Deshalb korrespondiert schon im römischen Recht mit der Pflicht, auch den nächsten Angehörigen etwas zu hinterlassen 17 , das Recht, diese aus bestimmten Gründen, die entweder in einer schweren Verfehlung gegen den Erblasser oder in einem sittenwidrigen Verhalten bestanden, zu übergehen. Die Gründe, nach denen der Erblasser den Angehörigen übergehen durfte, ohne contra officium pietatis zu handeln, beurteilten sich zunächst nach den Umständen des Einzelfalles. lustinian schließlich zählte in der Nov. 115 die Enterbungsgründe erschöpfend auf, um Gefahren der Willkür seitens des Erblassers und der Richter vorzubeugen und einer Prozeßflut entgegenzuwirken 18. Dieses Prinzip der Kodifizierung der einzelnen Widerrufsgründe fand sich außer im gemeinen Recht auch in den weitaus meisten neuzeitlichen Kodifikationen 19 und wurde auch im BGB beibehalten 20. Die Pflichtteilsentziehungsgründe sind in §§ 2333 ff. BGB abschließend geregelt. Jeder Grund für sich stellt eine so schwere Verletzung des Pietätsverhältnisses dar, daß beim Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen die Entziehung regelmäßig gerechtfertigt ist21 . larassl Pieroth, GG, Art. 14 Rn. 68. Auch der Verweis auf Art. 6 Abs. 1 GG ist wenig sachgerecht, da dieser die familiäre Gemeinschaft und nicht die Teilhabe am Familienvermögen schützt. Kritisch auch Leipold, JZ 1990, 700, 702. 16 Vgl. zu diesen und weiteren Begründungen StaudingerlFerid, BGBIO/ll, vor § 2303 Rn. 43; Schultzenstein, Gruchot 23 (1879), 661 ff. 17 Im römischen Recht gab es für Angehörige, die durch ein Testament .. contra officium pietatis" übergangen wurden, die querela inofficiosi testamenti, mit der das gesamte Testament aufgehoben werden konnte und Intestatserbfolge eintrat. Vgl. dazu D. 5, 2; Kaser, RPr I, § 290; 11, § 173. 18 lust. Nov. 115, c. 3 pr.; vgl. Kaser, RPr I, § 290; Windscheidl Kipp III, § 590 Anm. 1. 19 Zum gemeinen Recht Windscheidtl Kipp III, §§ 589, 590; im übrigen vgl. ALR 11 2 §§ 399 ff.; sächs. GB §§ 2575 ff.; v. Schmitt, Vorentwürfe ErbR I, S. 822 ff. Ob eine analoge Anwendung der jeweiligen Vorschriften zulässig sei, war für das gemeine Recht streitig, vgl. Windscheidl Kipp III, § 590 Anm. I m. w. N., in älteren Rechten teilweise anerkannt, vgl. bayer. LR III 3 § 16 Nr. 5, doch in den modernen Kodifikationen meist ausgeschlossen, vgl. ALR 11 2 § 410; sächs. GB § 2575. 20 V gl. Mot. Mugdan V, S. 228; Prot. Mugdan V, S. 800 f. 21 Allein § 2333 Nr. 2 BGB schränkt die h. M. aus teleologischen Gründen ein und verlangt, daß in der vorsätzlichen körperlichen Mißhandlung gleichzeitig eine schwere Pietätsverletzung liegen müsse; vgl. Prot. Mugdan V, S. 804; BGHZ 109, 307, 311; Strohal I, § 57 Anm. 10; Ebbecke, Recht 1914, Sp. 405, 407 Fn. 2; Firsching, JR 1960, 129, 130; Stau-

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111. Verfehlungen und tätiger Reue

Wenn diese Rechtfertigung infolge nachträglichen Wohlverhaltens ausnahmsweise entfallen sollte, könnte sich dies auf dreierlei Weise auswirken: Tätige Reue könnte die Entstehung des Pflichtteilsentziehungsrechts verhindern (dazu unter I.), es zum Erlöschen bringen (dazu unter 2.) oder eine bereits erfolgte Entziehung unwirksam werden lassen (dazu unter 3.).

1. Entstehung des Entziehungsrechts

Nachträgliches Wohlverhalten könnte die Entstehung des Rechts, den Pflichtteil zu entziehen, nur verhindern, wenn nicht bereits eine einmalige Verfehlung - auch gegebenenfalls in Zusammenschau mit dem späteren Wohlverhalten 22 - diese Rechtsfolge zwingend ausgelöst hat. In den Fällen des § 2333 Nr. I bis 3 BGB wiegen die einzelnen Verfehlungen jedoch so schwer, daß sie, einmal begangen, ohne weiteres zur Entziehung des Pflichtteiles berechtigen und kein Spielraum bleibt, tätige Reue mittels flexibler Interpretation zu berücksichtigen. Eine Ausnahme bildet allein das "schwere vorsätzliche Vergehen" in Nr. 3. Hier ist es möglich und geboten, ebenso wie bei der schweren Verfehlung in § 530 BGB, nachträgliches Wohlverhalten bei der Beurteilung der Frage, ob ein Vergehen als ein schweres anzusehen ist, mit einzubeziehen. So wäre etwa der Versuch eines Vergehens, sofern man diesen überhaupt als tatbestandsmäßig erachtet 23 , zumindest nach einem strafbefreienden Rücktritt kein schweres Vergehen im Sinne der Nr. 3 mehr; bei einer schweren Beleidigung wären ein schneller Widerruf und das Bitten um Verzeihung zu berücksichtigen. Angesichts der geringen praktischen Relevanz kann auf eine eingehendere Erörterung jedoch verzichtet werden. Mehr Auslegungsspielraum lassen die "Dauerdelikte" der Nr. 4 und 5, das böswillige Verletzten der Unterhaltspflicht und das Führen eines ehrlosen oder unsittlichen Lebenswandels. Da beide Tatbestände erst erfüllt sind, wenn das Fehlverhalten von einer gewissen Hartnäckigkeit und von einigem Gewicht ist24 , entsteht das Recht zur Entziehung des Pflichtteiles nicht, wenn der Berechtigte sich vor Überdinger/Ferid/Cieslar, BGB I2 , § 2333 Rn. 3; Leipold, JZ 1990,700,701. Auch der Begriff der "schweren Verfehlung" in § 2333 Nr. 3 BGB wird als eine solche verstanden, die eine schwere Pietätsverletzung darstellt; vgl. BGH NJW 1974, 1084, 1085. 22 Zur dieser flexiblen Interpretation bei § 530 BGB vgl. oben § 9 III. 1. a). 23 So Leonhard, Erbrecht, § 2333, Anm. III C; Schnur, S. 804. 24 Bei § 2333 Nr. 4 BGB ergibt sich dies aus dem Vergleich mit den übrigen Entziehungsgründen, die durchweg eine schwere Verletzung der Pietätspflicht voraussetzen, welche eine kurzzeitige Unterhaltsverweigerung regelmäßig nicht darstellt, vgl. Soergel/ Dieckmann, BGB, § 2333 Rn. 11; Staudinger/Ferid/Cieslar, BGB I2 , § 2333 Rn. 7. Bei der Nr. 5 folgt dies aus der Formulierung ,,Lebenswandel"; siehe Soergel/Dieckmann, a. a. 0., Rn. 16.

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schreiten der relevanten Schwelle eines Bessern besinnt und das Fehlverhalten aufgibt, also seiner Unterhaltspflicht nachkommt oder einen tugendhafteren Lebenswandel führt. Doch könnte - ebenso wie bei § 530 BGB - auch eine solche Besserung des Verhaltens zu berücksichtigen sein, die erst erfolgt, nachdem der Berechtigte die Schwelle zur böslichen Verletzung oder zum Führen eines ehrlosen und unsittlichen Lebenswandels eigentlich schon überschritten hatte. Im Einzelfall könnte dies dazu führen, daß das Entstehen des Pflichtteilsentziehungsrechts auch dort nachträglich geleugnet werden muß, wo es ohne das spätere Wohlverhalten bereits entstanden gewesen wäre ("flexible Interpretation"). Denn auch hier könnte das unmittelbar anschließende Wohlverhalten die Kränkung kompensieren, die der Erblasser durch die Verfehlung erfahren hatte, und so dem Recht zur Pflichtteilsentziehung den Boden entziehen. Allerdings soll dem hier nicht weiter nachgegangen werden, weil solche Fälle sehr häufig nicht sein werden.

2. Erlöschen des Pflichtteilsentziehungsrechts

In den eingangs beispielhaft gebildeten Ausnahmefallen könnte das Pflichtteilsentziehungsrecht nachträglich entfallen. Das Pflichtteilsentziehungsrecht unterliegt - wie alle Gestaltungsrechte - dem Vorbehalt von Treu und Glauben 25 und erlischt, wenn die Pflichtteilsentziehung eine unzulässige Rechtsausübung wäre26 . Dies ist unter zwei einander ergänzenden Aspekten denkbar: einerseits, wenn der Erblasser an der Pflichueilsentziehung keinerlei berechtigtes Interesse mehr hat (dazu unter a); andererseits, wenn die Pflichtteilsentziehung schutzwürdiges Vertrauen des Abkömmlings enttäuschen würde (dazu unter b). Allein die Aufgabe der Verfehlung läßt das Recht zur Entziehung des Pflichtteils nicht entfallen; es besteht also fort, auch nachdem der Berechtigte etwa seiner Unterhaltspflicht nachkommt oder es aufgegeben hat, dem Erblasser nach dem Leben zu trachten 27 . Dies ist vom Sinn der Pflichtteilsentziehung her selbstverständlich und könnte allein darum bezweifelt werden, weil alle Tatbestände der §§ 2333 ff. BGB im Präsens formuliert sind ("Wenn der Abkömmling ... nach dem Leben trachtet; ... die Unterhaltspflicht ... böswillig verletzt"), und weil der Grund der Entziehung zur Zeit der Errichtung der Verfügung bestehen muß (§ 2336 Abs. 2 BGB). Man könnte also meinen, bereits die Aufgabe der Verfehlung vor der Errichtung der Verfügung würde einen Wegfall des Entziehungsgrundes bewirken, weil dieser dann bei der Errichtung der Verfügung nicht mehr Gegenwart, sondern Vergangenheit ist. Dies ist jedoch bereits deshalb verfehlt, weil das Präsens der Pflichtteilsentziehungsgrunde

Vgl. nur Staudinger / Weber, BGB 11, § 242 A 25 m. w. N. Nach der heute herrschenden sog. ,Jnnentheorie" ergibt sich die Beschränkung eines subjektiven Rechts aus diesem selbst; es erlischt demnach, wo seine Ausübung Treu und Glauben zuwiderliefe; vgl. dazu und zum gegenteiligen Standpunkt, der sog. ,.Außentheorie" Staudinger/Weber, BGB!!, § 242 D 26 ff. 27 Vgl. RGZ 77,162,163; Schnur, S. 94. 25 26

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nicht Gegenwartsform ist und keine Zeitperspektive ausdrücken, sondern allein eine autoritäre Sachaussage treffen sole 8 •

a) Interessefortfall Hat der Erblasser an der Entziehung des Pflichtteils keinerlei berechtigtes Interesse, so wäre diese rechtsmißbräuchlich und darum ausgeschlossen. Der Erblasser hat kein berechtigtes Interesse mehr an der Pflichtteilsentziehung, wenn der Abkömmling die Verfehlung nicht nur aufgegeben, sondern sich zudem so nachdrücklich um den Erblasser verdient gemacht hat, daß seine "Würdigkeit" vollkommen wiederhergestellt ist. Denn die Pflichtteilsentziehung rechtfertigt sich zum einen durch die Kränkung des Erblassers, die darin bestünde, einem Angehörigen trotz dessen in der Verfehlung manifest gewordener Unwürdigkeit etwas hinterlassen zu müssen, und zum anderen durch das Interesse an einer auch wirtschaftlich spürbaren Bestrafung des Pflichtteilsberechtigten 29 • Diese bei den einzigen Entziehungsinteressen entfallen, wenn der Berechtigte sein ursprüngliches Fehlverhalten bereut und seine "Würdigkeit" nachträglich tatkräftig wieder unter Beweis stellt, indem er den Erblasser etwa - wie im Eingangsbeispiel die Tochter, die ihrem Vater in jungen Jahren nach dem Leben trachtete - jahrelang pflegt und betreut3o . In einem solchen Fall stellt die Verpflichtung, dem Abkömmling den Pflichtteil zu hinterlassen, nach dem maßgeblichen Empfinden eines billig und gerecht denkenden Menschen keinerlei Kränkung des Erblassers mehr dar, im Gegenteil: Ein so nachhaltiges Bemühen um den Erblasser verdient Belohnung, und aus diesem Grunde besteht auch zu einer Bestrafung des Pflichtteils berechtigten keinerlei Anlaß mehr. Angesichts der außergewöhnlich schweren Verfehlungen, die die Pflichtteilsentziehung voraussetzt, muß das nachträgliche Wohlverhalten freilich von erheblicher Bedeutung sein, um wirklich jedes berechtigte Interesse an der Pflichtteilsentziehung entfallen lassen zu können. Doch genügt es zu zeigen, daß eine derartige Bereinigung der ,,Pflichtteilsunwürdigkeit" zumindest denkbar ist, wenn auch nur in Ausnahmefallen 31 • 28 Zu den Arten und Funktionen des Präsens siehe Weinrich, S. 213 f. Die Präsensformulierungen finden sich erst in § 2306 der Reichstagsvorlage und sind eine Verbesserung der noch im ersten und im zweiten Entwurf verwendeten Perfektform, die eine der Redaktionskommissionen des Bundesrates vermutlich aus rein stilistischen Gründen vornahm; vgl. E I, § 2001; E H, § 2198. 29 Zum Strafcharakter der PfIichtteilsentziehungsgiünde vgl. Prot. Mugdan V, S. 802; RGRK/Johannsen, BGB, § 2333 Rn. 3. 30 Hiervon zu unterscheiden ist der Fortfall des Kränkungsgefühls, der allein auf der inneren Loslösung des Erblassers vom Berechtigten beruht; dieser führt nicht ohne weiteres zu einem Fortfall des Entziehungsrechts; vgl. Staudinger/Ferid/Cieslar, BGB I2 , § 2337 Rn. 26. 31 Das Aufzeigen einer solchen Bereinigungsmöglichkeit ist von Bedeutung vor allem für Konstellationen, in denen der Erblasser von der Verfehlung zunächst nichts erfahren hatte. Denn kennt der Erblasser die Verfehlung nicht, entbehrt der Berechtigte nach der herkömm-

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b) Widersprüchliches Verhalten des Erblassers War dem Erblasser die Verfehlung dagegen bekannt, könnte die Entziehung des Pflichtteils in manchen Konstellationen nachträglichen Wohlverhaltens auch wegen des Verbots widersprüchlichen Verhaltens unzulässig sein 32 . Man stelle sich folgenden Fall vor: Ein Sohn schlägt seinen Vater mehrfach anläßlich einer heftigen Auseinandersetzung, mißhandelt ihn also körperlich. Den Sohn reut sein Tun, sobald die Auseinandersetzung vorüber ist; der Vater ist gekränkt und droht, er werde ihm, dem Sohn, den Pflichtteil entziehen. Daraufhin bemüht sich der Sohn in der Hoffnung, der Vater werde ihm schließlich verzeihen, um eine Aussöhnung. Unter anderem erweist er dem Vater über längere Zeit allerlei Dienste und macht ihm manche Geschenke. Der Vater nimmt diese Wohltaten in Kenntnis des Motivs stillschweigend an, ohne jedoch ausdrücklich oder konkludent zu verzeihen. Wollte der Vater seinem Sohn nun trotzdem nach längerer Zeit noch den Pflichtteil wegen des früheren Fehlverhaltens entziehen, könnte die Entziehung als venire contra factum proprium unzulässig sein 33 . Denn die Entziehung stünde im Widerspruch zu der stillschweigenden Akzeptanz der Wiedergutmachungsleistungen, durch die der Vater nach außen hin Verzeihungsbereitschaft signalisiert hat: Qui tacet consentire videtur ubi loqui potuit ac debuit34 • Sie wäre jedenfalls dann unzulässig, wenn der Sohn, von der erkennbaren Hoffnung auf Verzeihung getragen, durch seine Wiedergutmachungsleistungen Vertrauen betätigt und sich kein weiteres Fehlverhalten zuschulden kommen lassen hat. Diese Betätigung von Vertrauen verdient besonderen Schutz, hinter dem das Interesse des Erblassers, seine erweitere Testierfreiheit zu behalten, zurückstehen muß. Hinzu kommt, daß auch hier infolge des nachträglichen Wohlverhaltens der nach einem objektiven Maßstab zu beurteilenden Kränkung des Erblassers zum Zeitpunkt der Pflichtteilsentziehung der Stachel genommen ist. Auch hat der Strafzweck der Entziehung stark an Bedeutung verloren, nachdem der Angehörige Einlichen Auffassung jeder Möglichkeit, das Pflichtteilsentziehungsrecht zum Erlöschen zu bringen: Ohne Kenntnis der Verfehlung kann der Erblasser nicht verzeihen, noch kann er auf das Recht verzichten, noch kann er es verwirken. Der Pflichtteilsberechtigte, der etwa den Ehegatten des Erblassers einmal im Affekt mißhandelt hat, ohne daß der Erblasser je etwas davon erfahren hätte, müßte diese Verfehlung in der Hoffnung auf eine Verzeihung gestehen, will er vermeiden, daß der Erblasser ihm auf einen späten Wink seines Ehegatten hin den Pflichtteil kurz vor seinem Tode doch noch entzieht. Eine solches Geständnis dürfte jedoch kaum im Interesse des Familienfriedens liegen und kann auch von dem Berechtigten nicht verlangt werden. Vor diesem Hintergrund aber ist es angemessen, dem Berechtigten die Möglichkeit zu eröffnen, seinen Pflichtteilsanspruch in der dargelegten Weise zu sichern, also durch nachhaltige tätige Reue. 32 Zur Unzulässigkeit der Entziehung des Pflichtteils wegen widersprüchlichen Verhaltens vgl. BGH NJW 1974, 1084 ff. 33 So auch Staudinger / Ferid/ eieslar. BGB 12, § 2337 Rn. 24. 34 Vgl. 43 in VI'o de reg. iuris 5, 12. 10'

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sicht zeigt und sein Verhalten ernsthaft bereut hat 35 . Schließlich ist auch die moralische Pflicht zu verzeihen unter Angehörigen größer als unter Fremden 36 .

3. Unwirksamkeit der Entziehung

Nachdem wir bisher festgestellt haben, daß nachträgliches Wohlverhalten in besonderen Fällen sowohl die Entstehung des Pflichtteilsentziehungsrechts verhindern als auch dazu führen kann, daß ein bereits entstandenes Pflichtteilsentziehungsrecht wegen Interessefortfalls oder wegen widersprüchlichen Verhaltens nachträglich entfällt, bleibt zu untersuchen, wie tätige Reue sich auf eine wirksam erfolgte Entziehung des Pflichtteiles auswirken kann.

a) Ausdrückliche Unwirksamkeit, § 2336 Abs. 4 BGB Wurde der Pflichtteil wegen ehrlosen oder unsittlichen Lebenswandels entzogen (§ 2333 Nr. 5 BGB), so ist die Entziehung unwirksam "wenn sich der Abkömmling

zur Zeit des Erbfalles von dem ehrlosen oder unsittlichen Lebenswandel dauerhaft abgewendet hat" (§ 2336 Abs. 4 BGB). Diese ausdrückliche Unwirksamkeit ist, wie bereits dargelegt, eine Ausnahme. Der Regelung liegt der Gedanke zugrunde, daß das Interesse des Pflichtteilsberechtigten, am Familienvermögen teilzuhaben, das Interesse des Erblassers an einer "Enterbung" überwiegt, weil die Verfehlung sich - anders als bei den übrigen Tatbeständen - nicht gegen den Erblasser, sondern allein gegen die Familie oder ausschließlich gegen Interessen der Allgemeinheit richtet. Den Erblasser trifft die Verfehlung nur mittelbar. Die Billigkeit gebietet es daher, den Pflichtteilsanspruch nach einer Abkehr von dem ehrlosen und unsittlichen Lebenswandel auch dann wieder zuzuerkennen, wenn der Erblasser an seiner früheren Auffassung festhält, diese aber im Augenblick des Erbfalles nicht mehr objektiv gerechtfertigt ist 37 • Der Regelung des § 2336 Abs. 4 BGB liegt der Gedanke zugrunde, Wohlverhalten nach einer Verfehlung aus Billigkeitsgründen zu belohnen. Damit stellt die Norm einen der wenigen ausdrücklich geregelten Fälle der Belohnung tätiger Reue dar38 .

35 Vgl. hierzu die Strafzumessungsregeln in § 46 Abs. 2 StGB, nach denen das Verhalten des Taters nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Taters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen, als Umstand, der für den Tater spricht, bei der Strafzumessung zu berücksichtigen ist. 36 Vgl. Pro!. Mugdan V, S. 808 und insbesondere das Gleichnis vom verlorenen Sohn in Lukas. 15, 11 - 32. Zur allgemeinen Pflicht, dem Reumütigen zu verzeihen siehe Pufendorj, De officio, 1. 5 § 8. 37 So Prot. Mugdan V, S. 808; Staudinger/Ferid/Cieslar. BGB I2 , § 2336 Rn. 23.

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b) Unwirksamkeit nach Treu und Glauben Fraglich ist, ob darüber hinaus auch bei den Tatbeständen des § 2333 Nr. 1-4 BGB nachträgliches Wohlverhalten in Ausnahmefallen dazu führen kann, daß die zunächst wirksam erfolgte Pflichtteilsentziehung - unabhängig vom Vorliegen einer Verzeihung - später ipso iure unwirksam wird. In Betracht kommt eine solche nachträgliche Unwirksamkeit wiederum sowohl dann, wenn der Erblasser infolge der tätigen Reue keinerlei berechtigtes Interesse mehr an der Aufrechterhaltung der Entziehung hat, als auch dann, wenn die Entziehung ein unzulässiges venire contra factum proprium wäre. Ziehen wir zur Illustration noch einmal die obigen Beispiele heran: Der Vater hat von dem jahrelang zurückliegenden geplanten Giftanschlag seiner Tochter erfahren und entzieht ihr den Pflichtteil. Die Tochter, die ihren Plan freiwillig wieder aufgegeben hatte, bemüht sich im folgenden nach Kräften um eine Aussöhnung, die der Vater jedoch hartnäckig ablehnt. Gleichwohl läßt er sich von der Tochter über Jahre bis zu seinem Tode pflegen und betreuen. Hier liefe es Treu und Glauben zuwider, der Tochter den Pflichtteil vorzuenthalten, selbst wenn der Vater weder verziehen noch die Pflichtteilsentziehung rückgängig gemacht hatte: Die Tochter hat alles in ihrer Macht stehende versucht und getan, eine Versöhnung herbeizuführen; sie hat dem Vater über lange Zeit eine intensive Fürsorge angedeihen lassen. Dadurch hat sie diesem nach dem maßgeblichen Empfinden eines billig denkenden Rechtsgenossen jeden Anlaß genommen, sich weiterhin gekränkt zu fühlen und ihre "Würdigkeit" wiederhergestellt. Entsprechend treu widrig wäre die Versagung des Pflichtteils in dem Beispiel von Vater und Sohn, wenn der Sohn in der durch den Vater bekräftigten Hoffnung auf Verzeihung erhebliche Wiedergutmachungsleistungen erbracht hat, doch der Vater an der unmittelbar nach_der tätlichen Auseinandersetzung verfügten Pflichtteilsentziehung festhält und nicht verzeiht. Dem nachtäglichen Unwirksamwerden entgegenstehen könnte indes der Grundsatz, daß ein Gestaltungsrecht - und das Pflichtteilsentziehungsrecht ist ein Gestaltungsreche 9 -, einmal ausgeübt, die Rechtslage endgültig verändert, auch wenn hinterher die Voraussetzungen für seine Ausübung entfallen. Zwar gibt es von dieser Regel Ausnahmen, doch sind diese als Sonderfälle sämtlich ausdrücklich gesetzlich geregelt (etwa in den §§ 554 Abs. 1 S. 3, Abs. 2 Nr. 2, 2336 Abs. 4, 2337 S. 2 BGB; 39 Abs. 3 VVG; 19 Abs. 2 WEG). Ob die Rechtsfolge dieser Bestimmungen sich - etwa im Wege einer Gesamtrechtsanalogie40 - auf unsere Pro38 Die übrigen finden sich allein im Schuldrecht und honorieren die Verzugsbereinigung: §§ 554 Abs. 1 S. 2 f.; Abs. 2 Nr. 2 BGB; 39 Abs. 3 VVG, 19 Abs. 2 VVG, 298 Abs. 2 InsO; vgl. dazu § I. Die Regel des § 2338 Abs. 2 S. 2 BGB hingegen belohnt nicht tätige Reue, sondern folgt allein aus dem Fortfall der Beschränkungsvoraussetzungen; vgl. dazu auch oben Fn. 3. 39 Staudinger/Ferid/Cieslar; BGB I2 , vor §§ 2333 ff., Rn. 12. 40 Zu den Voraussetzungen siehe Larenz. Methodenlehre, S. 383 f.

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3. Kap.: Verletzung sittlicher Pflichten und Obliegenheiten

blematik übertragen läßt, ist zweifelhaft: Einerseits fehlt es im Pflichtteilsrecht angesichts der Bestimmungen der §§ 2336 Abs. 4, 2337 BGB an der für eine Analogie erforderlichen plan widrigen Regelungslücke. Andererseits aber stimmt die Interessenlage in den den Sonderregelungen zugrunde liegenden Sachverhalten mit der Interessenlage in den hier dargestellten Ausnahmef.illen überein. So sind die Interessen des Inhabers des Gestaltungsrechts an einem Fortbestand der Rechtswirkungen geringer zu bewerten als die des Betroffenen an einem nachträglichen Fortfall. Denn der Pflichtteilsberechtigte hat nach seiner Verfehlung jeweils weit überpflichtmäßige Leistungen erbracht. Dadurch hat er eine Verzeihung verdient und durfte auf eine solche vertrauen. Demgegenüber verdient das Interesse des Erblassers daran, daß dem Berechtigten der Pflichtteil nach dem Erbfall vorenthalten werde, keinen Schutz. Der Kränkung des Erblassers ist durch das nachträgliche Wohlverhalten für die Zukunft entweder der Boden entzogen worden, oder aber der Erblasser hat betätigtes Vertrauen des Berechtigten mißbraucht. Diese Interessenlage ist hier ausschlaggebend und führt dazu, daß die Pflichtteilsentziehung jedenfalls im Zeitpunkt des Erbfalls keine Wirkungen mehr entfaltet. Dem stehen insbesondere Aspekte der Rechtssicherheit nicht entgegen. Denn zum einen wird die Pflichtteilsentziehung ohnehin erst im Zeitpunkt des Erbfalls wirksam. Bis zu diesem Zeitpunkt ist es allein der Erblasser, der auf den Ausschluß des Pflichtteilsrechts mit dem Erbfall vertrauen d~l. Der Erblasser aber hat sich in den hier in Rede stehenden Fällen seiner Schutzwürdigkeit begeben. Diejenigen gewillkürten oder gesetzlichen Erben, die durch den Ausschluß des Pflichtteilsanspruchs begünstigt würden, haben keine geschützte Aussicht darauf, die Erbschaft unbelastet mit dem Pflichtteilsanspruch anzutreten, weil sie nicht einmal einen rechtlich gesicherten Anspruch auf den Erwerb der Erbschaft selbst haben42 . Daß der Interessenlage zum Zeitpunkt des Erbfalls vor der Rechtssicherheit der Vorzug zu geben ist, zeigt überdies der Umstand, daß die förmliche Entziehung des Pflichtteils auch durch eine formlose Verzeihung unwirksam werden kann, mithin sogar durch konkludentes Verhalten des Erblassers. Sowohl der Verfasser des Dresdener Entwurfes, Gottfried v. Schmitt, als auch die 1. Kommission haben es bewußt abgelehnt, die Beseitigung einer förmlich angeordneten Entziehung nur durch förmlichen Widerruf der Entziehung zuzulassen43 . Vielmehr hielt v. Schmitt 41 Einschränkend Suarez bei der Beratung zu ALR II 2 §§ 414, 416, zitiert bei Bornemann, S. 194, der dafürhält, es bestünde auch ein gewisses Allgemeininteresse an der Frage, ob die Entziehung wirksam wäre oder nicht. 42 Eine rechtlich gesicherte Position i. S. eines Anwartschaftsrechts erlangt im Erbrecht nur der Nacherbe mit dem Erbfall; vor dem Erbfall können gesetzliche und testamentarische Erben ihre Position jederzeit dadurch einbüßen, daß der Erblasser eine Verfügung von Todes wegen errichtet, eine bestehende ändert oder widerruft; vgl. Palandt/ Edenhofer, BGB, § 1922 Rn. 3. 43 So gegen entsprechende Regelungen im bayer. LR III 3 § 16 Nr. 12; ALR 11 2 §§ 414, 416; ABGB § 772 ausdrücklich v. Schmitt, Vorentwürfe ErbR I, S. 859; Mot. Mugdan V, S.236.

§ 10 Verfehlungen des pflichtteilsberechtigten

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dafür, daß es juristisch inkonsequent sei, eine vor der "Enterbung" fonnlos und damit auch durch tatsächliches Verhalten mögliche Verzeihung nach der "Enterbung" als wirkungslos anzusehen 44 . Ausschlaggebend seien allein die Verhältnisse im Zeitpunkt des Erbfalls; insbesondere sei es nicht angebracht, "daß auf alte abgethane Vorgänge nachträglich im Testament zurückgegriffen wird, und daß diese zur Entziehung des Pflichtteiles, also zu Zwecken benutzt werden, welche in der Regel mit der zugefügten und verziehenen Verfehlung nichts zu tun haben,,45. Schließlich zeigen auch die §§ 2333 Nr. 5, 2336 Abs. 4 BGB, daß die einmal erfolgte Entziehung des Pflichtteiles nachträglich ohne Zutun des Erblassers unwirksam werden kann. Der Grund hierfür liegt vor allem, wie oben dargelegt, darin, daß der ehrlose und sittenwidrige Lebenswandel die Lebensinteressen des Erblassers nur minderschwer verletzt und so eine geringere Schutzwürdigkeit des tatsächlichen Erblasserwillens relativ zu den Interessen des Berechtigten am Erwerb des Pflichtteils begründet. Bei einem widersprüchlichen Verhalten des Erblassers ist die Schutzwürdigkeit ähnlich zugunsten des Pflichtteilsberechtigten verschoben, so daß es gerechtfertigt ist, die Entziehung nachträglich als unwirksam anzusehen. Schwierigkeiten bereitet es jedoch, die nachträgliche Unwirksamkeit der Entziehung ipso iure dogmatisch zu erklären. Denn wenn auch die Pflichtteilsentziehung erst mit dem Tode des Erblassers wirksam wird, war sie dennoch vorher wirksam verfügt, und solange ein nachträgliches Unwirksamwerden nicht positiv geregelt ist, müßte die Verfügung eigentlich wirksam bleiben; auch Verstöße gegen Treu und Glauben führen grundsätzlich nicht zur Unwirksamkeit einer letztwilligen Verfügung46 . Doch braucht dies nicht abschließend geklärt zu werden. Es reicht aus festzustellen, daß jedenfalls die Erben sich auf die Entziehung nicht berufen können. Das Berufen auf die Verfügung wäre treu widrig und deshalb als "unzulässiges Berufen auf die Rechtslage", einer Sonderfonn der unzulässigen Rechtsausübung47 , unbeachtlich.

IV. Ergebnis Tätige Reue nach einer schweren Verfehlung gegen den Erblasser kann sich auf das Recht, dem Erblasser den Pflichtteil zu entziehen, in verschiedener Weise aus44

Vgl. v. Schmitt. Vorentwürfe ErbR I. S. 859.

45

Mol. Mugdan V. S. 236.

46 Eine Ausnahme machen sittenwidrige Verfügungen wie etwa das - heute freilich weniger anstößig erscheinende - •.Mätressentestament"; vgl. dazu Staudinger / Coing. BGB ll. § 138 Rn. 19 h f.; Flume AT 11, § 18.5. 47 Zwar übt derjenige. der sich auf eine Rechtslage beruft. kein subjektives Recht aus. doch ist es der Sache nach ohne Bedeutung. ob man sich des technischen Begriffs der unzulässigen Rechtsausübung bedient oder unmittelbar § 242 BGB anwendet; vgl. dazu Staudinger / Weber. BGB ll. § 242 D 442.

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3. Kap.: Verletzung sittlicher Pflichten und Obliegenheiten

wirken. Hat die Verfehlung in den Fällen des § 2333 Nr. 4, 5 BGB, also der böswilligen Unterhaltspflichtverletzung oder dem Führen eines ehrlosen oder unsittlichen Lebenswandels, noch nicht das Ausmaß einer erheblichen "schweren Verfehlung" überschritten, so entsteht das Recht nicht, wenn der Berechtigte sein Betragen rechtzeitig bessert. Hat er die Schwelle bereits überschritten, so wäre nachträgliches Wohlverhalten dennoch zu berücksichtigen und bei einer nachträglichen Betrachtung in die Frage, ob überhaupt eine hinreichend schwere Verfehlung vorgelegen hat, miteinzubeziehen. Entsprechendes gilt für den Entziehungsgrund des § 2333 Nr. 3 BGB, also dem schweren vorsätzlichen Vergehen gegen den Erblasser. In beiden Fällen könnte nachträgliches Wohlverhalten in besonderen Fällen dazu führen, daß das Vorliegen des Pflichtteilsentziehungsgrundes wegen des späteren Wohlverhaltens nachträglich verneint werden muß. Ist das Recht zur Entziehung des Pflichtteiles hingegen unleugbar entstanden, so kann seine Ausübung in Einzelfällen wegen tätiger Reue unabhängig vom Vorliegen einer Verzeihung nach Treu und Glauben unzulässig sein: zum einen, wenn der Erblasser von einem objektiven Standpunkt aus keinerlei Grund mehr hat, weiterhin gekränkt zu sein; zum anderen, wenn der Berechtigte an den Erblasser in der von diesem bekräftigten Hoffnung auf eine Verzeihung Leistungen erbracht hat, die über einen bloßen Schadensersatz erheblich hinausgehen, doch der Erblasser eine Verzeihung in treuwidriger Weise verweigert. Aus denselben Gründen kann in Ausnahmefällen schließlich auch eine zunächst wirksam verfügte Pflichtteilsentziehung hinfällig werden. Wäre es wegen des nachträglichen Wohlverhaltens treu widrig, dem Berechtigten den Pflichtteil vorzuenthalten, so kann der Erbe sich auf die Entziehung nicht berufen.

§ 11 Erbunwürdigkeit, § 2339 BGB I. Problem Die Erbunwürdigkeit umfaßt nicht nur die Unwürdigkeit, Erbe, sondern auch die, Vermächtnisnehmer oder Pflichtteilsberechtigter zu sein (§§ 2339, 2345 BGB). Für den Betroffenen ist die Erbunwürdigkeit schon materiell eine äußerst harte Sanktion, die ihn darüber hinaus auch ideell aus dem Familienverband ausschließt und die ihm den Stempel sittlicher Mißbilligung aufdrückt. Das Gesetz hat die Gründe der Erbunwürdigkeit darum in § 2339 Abs. 1 BGB in festen Tatbeständen geregelt, um eine dem Gewicht der Maßnahme angemessene Rechtssicherheit zu gewährleisten: Erbunwürdig ist, wer den Erblasser vorsätzlich und widerrechtlich getötet oder zu töten versucht oder dessen Testierunfähigkeit herbeigeführt hat (Nr. 1); wer den Erblasser vorsätzlich und widerrechtlich verhindert hat, eine letztwillige Verfügung zu errichten oder aufzuheben (Nr. 2); wer den Erblasser durch arglistige Täuschung oder widerrechtlich durch Drohung bestimmt hat, eine letzt-

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willige Verfügung zu errichten oder aufzuheben (Nr. 3); wer eine letztwillige Verfügung ge- oder verfälscht, mittelbar falschbeurkundet, eine solche ge- oder verHUschte Verfügung gebraucht oder eine Verfügung vernichtet hat (§§ 267, 271274 StGB; Nr. 4). Wegen der Definition der Erbunwürdigkeit in festen Tatbeständen können sich Fälle ereignen, die von ihrem Unrechtsgehalt den Ausschluß des Taters von jeder Erbbeteiligung kaum rechtfertigen 1. Hierzu zählen nicht nur solche, in denen bereits die Tat selbst sittlich achtenswert erscheint, wie etwa die Fälschung eines Testaments im Sinne des Erblasserwillens zugunsten einer nur versehentlich übergangenen langjährigen Haushälterin 2 • Unangemessen hart kann die Erbunwürdigkeit auch in Fällen tätiger Reue sein. Hier wird man zwar manchmal eine Verzeihung feststellen können, die die Erbunwürdigkeit ausschließt (§ 2343 BGB). Doch setzt eine Verzeihung die Kenntnis des Erbunwürdigkeitsgrundes voraus. An dieser Kenntnis kann es zum einen dann fehlen, wenn die Verfehlung, wie in folgendem Beispiel, erst nach dem Tode begangen wird: Eine Erblasserin hinterläßt fünf Tochter und viel Schmuck. Von diesem Schmuck lag eine besondere Brosche zweien der Tochter von jeher besonders am Herzen. Nach dem Tode der Mutter entdeckt eine der beiden Tochter das Testament und stellt fest, daß sie mit ihren vier Schwestern ohne weitere Anordnungen zu gleichen Teilen eingesetzt ist. Daraufhin fügt sie formgerecht ein Vorausvermächtnis zu ihren Gunsten in die Testamentsurkunde ein, in dem sie sich besagte Brosche zuschreibt. Von Reue bestimmt, streicht sie das Vermächtnis jedoch nach kurzem Überlegen wieder aus 3 • Hier fragt es sich, ob es wirklich angemessen ist, die Tochter für erbunwürdig zu erklären und ihr so selbst den Pflichtteil zu versagen4 . Zum anderen kann die Verfehlung im Zeitpunkt des Erbfalls auch lange zurück liegen, ohne daß der Erblasser jemals von ihr erfuhr: Eine Ehefrau setzt ihren Ehemann zum Alleinerben ein. Sie wußte dabei nicht, daß dieser ein ehebrecherisches Verhältnis unterhielt, denn der Ehemann, von der beabsichtigten Verfügung in Kenntnis gesetzt, hatte das Verhältnis verschwiegen. Dieses Verschweigen wird von der Rechtsprechung als arglistige Tauschung durch Unterlassen angesehen, die Vgl. LangelKuchinke4 , § 6 11 3; ferner Speckmann, JuS 1971,235,238. 2 Das RG hatte in einer solchen Fälschung bona mente - im Sinne des Erblasserwillens keinen Erbunwürdigkeitsgrund erblickt, da kein Vergehen gegen den Erblasser vorlag, jedenfalls aber eine mutmaßliche Verzeihung anzunehmen war; vgl. RGZ 72, 207, 208; 81, 413, 414; gegen eine solche Lockerung jedoch BGH NJW 1970, 197, 198. Im Schrifttum ist die Frage umstritten: Crome, System V, § 665 I 2 d; Wameyerl Bohnenberg, BGB, § 2339; Achilles/Kregel, BGB, § 2339 Anm. 2; KipplCoing, § 85 11 4, Speckmann, JuS 1971,235,237, Brox, Rn. 272 teilen die Auffassung des RG, wohingegen Endemann, Erbrecht, § 38 11; PlancklGreijJ, BGB, § 2339 Anm. 2 d; StaudingerlFeridlCieslar, BGB 12 , § 2339 Rn. 47; ErmanlSchlüter, BGB, § 2339 Rn. 6; v. Lübtow 11, S. 727 die Ansicht des BGH vertreten. 3 Vgl. das Beispiel bei LangelKuchinke 4 , § 6 Fn. 38; ferner schon Alex. Sev. C. 9, 23, 4 (anno 223); Val.-GaU. C. 9, 22, 8 (anno 259). 4 So aber Lange I Kuchinke 4 , § 6 Fn. 38, die dafürhalten, der Täter bleibe hier erbunwürdig. 1

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die Ehefrau bestimmt hat, eine letztwillige Verfügung zu errichten; der Ehemann sei darum erbunwürdig (§ 2339 Abs. 1 Nr. 3 BGB)5. Wenn der Ehemann seinen Fehltritt nicht eingesteht und nicht zudem beweisen kann, daß die Erblasserin ihm verziehen hat6 , müßte die Erbunwürdigkeit auf immer bestehen bleiben. Dies scheint jedenfalls dann wenig sachgerecht, wenn der Ehemann das Verhältnis bald beendet und die Ehegatten bis zum Erbfall noch lange Jahre in harmonischer Gemeinschaft verleben. Derartige Ergebnisse erstaunen um so mehr, wenn man sie vor dem Hintergrund der Regelung des § 2339 Abs. 2 BGB betrachtet: So tritt in den Fällen des § 2339 Abs. 1 Nr. 3, 4 BGB die Erbunwürdigkeit nicht ein, wenn das willensmangelhafte oder gefalschte Testament vor dem Eintritt des Erbfalls unwirksam geworden wäre. Irgendein Zutun des unwürdigen Erben zu dieser Unwirksamkeit ist nicht erforderlich 7 • Diesem kann deshalb schon die Errichtung einer neuen Verfügung durch den Erblasser zum Vorteil gereichen. Wenn das Gesetz so manchem Unwürdigen ein "Geschenk des Himmels" macht, so fragt es sich, ob dann nicht erst recht nachträgliches Wohlverhalten Belohnung verdient. Zur Klärung dieser Frage sei zunächst der Blick auf Geschichte und Wesen der Erbunwürdigkeit geworfen (dazu unter 11.), um anschließend zu prüfen, in welchen Fällen eine Beseitigung der Erbunwürdigkeit durch nachträgliches Wohlverhalten denkbar ist (dazu unter III.).

11. Hintergrund und Historie ,,Blutige Hand nimmt kein Erbe" sagt ein altes deutsches Rechtssprichwort, das im Sachsenspiegel seinen Niederschlag gefunden hat s. Auch in Rom führten in der Kaiserzeit Verfehlungen des Erben gegen den Erblasser oder dessen letzten Willen zur Indignität, die dem Fiskus das Recht gab, das dem Unwürdigen zugedachte Gut an sich zu ziehen 9 • Die römischen Regeln wurden durch den Usus modemus 5 Vgl. die Fälle bei RG JW 1912, 871 Nr. 32; BGHZ 49, 155 ff. mit Anm. Deubner, JuS 1968, 449 ff.; OLG Nürnberg MDR 1958, 692; OLG Düsseldorf vom 1. 10. 1959 - 7 W 265/ 59 (unveröffentlicht); Röwer, FamRZ 1960,15. 6 Das Vorliegen einer Verzeihung hat der Erbunwürdige zu beweisen; Soergel/ Damrau, BGB, § 2343 Rn. 1. 7 Nicht nur aus diesem Grunde wird die Regelung in § 2339 Abs. 2 BGB seit jeher für mißglückt gehalten. Zur Kritik siehe Strohal I, § 6011 I a mit Beispielen; Lange/ Kuchinke 4 , § 6 11 2; MünchKomm/ Frank, BGB, § 2339 Rn. 27. 8 Vgl. Sachsenspiegel III 84 § 3; dazu Stobbe V, § 280 I Anm. 10. Erstaunlich ist daher eine bei Lyncker, S. 231 f., zitierte Entscheidung aus dem Jahre 1685, nach der Roland, der seine bei den Brüder vergiftet hatte, diese beerben konnte, weil - anders als für den Mord an den Eltern - keine Gesetzesvorschrift Indignität für Mord an den Geschwistern vorsehe. 9 Die in zunächst in verschiedenen Gesetzen, Senatskonsulten und Konstitutionen verstreuten Indignitätsfälle haben später ihren Niederschlag gefunden in D. 34,9; C. 6, 35; dazu

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in Deutschland rezipiert, wobei an die Stel1e des begünstigten Fiskus der zunächst anfal1sberechtigte Erbe trat 10. Sie dienten dem BGB zum Vorbild, wobei dieses wie das preußische ALR 11 die Erbunwürdigkeit nur auf Anfechtungsklage hin eintreten läßt, während der Tater nach den übrigen Kodifikationen ipso iure erbunwürdig wird 12 . Auch kann die Erbunwürdigkeit nach dem BGB im Gegensatz zum gemeinen 13 und zum französischen Recht durch eine Verzeihung des Erblassers wieder entfal1en. Den Hauptgrund der Erbunwürdigkeit sah die 1. Kommission darin, daß ..der Erbunwürdige den Erblasser hindert, von seiner Testierfreiheit Gebrauch zu machen, oder daß er nach dem Tode des Erblassers einen hindernden Einfluß in Ansehung der Feststel1ung des Willens des Erblassers ausübt,,14. Von allen Erbunwürdigkeitsgründen geht darum die Gefahr der Beeinträchtigung oder Verdunklung des letzten Willens aus. Der Erblasser kann auf solche Verfehlungen nicht mehr reagieren, weil er unfrei ist oder getäuscht wurde. Die Herbeiführung der Erbunwürdigkeit kann darum nicht in die Hände des Erblassers, sondern muß in die der übrigen Erbbeteiligten gelegt werden. Gerechtfertigt ist die Erbunwürdigkeit, also der Ausschluß jeder Teilhabe am Nachlaß, durch den mutmaßlichen Willen des Erblassers l5 : Dieser hätte den Unwürdigen, so er es vermocht hätte, aller Wahrscheinlichkeit nach entweder enterbt (§ 1938 BGB) oder er hätte ihm den Pflichtteil entzogen (§§ 2333 ff. BGB). Als Strafe sol1te die Erbunwürdigkeit zwar grundsätzlich nicht fungieren, doch bemerkte treffend schon die 1. Kommission, daß die Regelung ein gewisses ..strafendes Moment,,16 beinhalte. Der strafende Charakter der Erbunwürdigkeit fußt auf Kaser RPr I, § 178 11; Windscheid/ Kipp III, §§ 670 ff.; eingehend Nardi. S. 11 ff.; Hempel.

S. 6 ff.

10 Das Ereptionsrecht des Fiskus ftihrte dazu, daß die hinter dem Unwürdigen nächstberufenen Erben leer ausgingen und widersprach damit der auf der Prädominanz der Familie fußenden deutschen Rechtstradition. Zur Rezeptionsgeschichte und Kritik des Ereptionsrechts vgl. F. Zimmermann. GA 29 (1881), S. 6 ff.; Hempel, S. 27 ff. m. w. N. 11 ALR I 12 §§ 599, 605 -610; 11 16 § 18; ebenso sächs. GB § 2280. 12 Vgl. ABGB §§ 540 ff.; Art. 727 ff.; ZGB Art. 540, 541; ital. Art. 463 ff. 13 Vgl. v. Schmitt. Vorentwürfe ErbR 11, S. 122; Nardi. S. 56, Hempel. S. 18. Daß die Erbunwürdigkeit im römischen Recht durch Verzeihung nicht wieder erlöschen kann, liegt im Ereptionsrecht des Fiskus begründet, über das der Erblasser nicht mehr verfügen darf, sobald es einmal entstanden war; zum "fiskalischen Beigeschmack" der römischen Indignität Crome. Grundzüge, § 76 11. 14 Mol. Mugdan V, S. 276; vgl. auch PrOlo Mugdan V, S. 817, 820. Für den einzigen einheitlich leitenden Gesichtspunkt der Erbunwürdigkeitsgründe hält dies zu Recht Planck/ Greiff, BGB, § 2339 Anm. 2. 15 Freilich läßt sich dieser Leitgedanke nicht scharf durchführen, da bei der Erbunwürdigkeit die auch Schwere der Verletzung miteinbezogen und nicht verlangt wird, daß der Erblasser bis zu seinem Tode testierunfähig gewesen sei (vgl. § 2339 Abs. 1 Nr. 1 BGB). 16 Mol. Mugdan V, S. 277; ebenso die h. M.: vgl. Lange/Kuchinke 4 , § 6 I 2; Erman/Schlüter; BGB, § 2339 Rn. 2; Kipp/Coing. § 85 11. A. A. MünchKomml Frank. BGB. § 2339 Rn. 2.

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ihrer Funktion, in Ergänzung der §§ 1938, 2333 ff. BGB dem mutmaßlichen Erblasserwillen zur Geltung zu verhelfen: Auch der Erblasser hätte mit der Enterbung oder dem Entzug des Pflichtteils eine Bestrafung des Unwürdigen bezweckt 17. Aus alledem erhellt, daß die Erbunwürdigkeit den mutmaßlichen Erblasserwillen, nicht aber ein Interesse der Allgemeinheit verwirklichen soll, wie zum Teil angenommen wird l8 . Allein der mutmaßliche Erblasserwille ist der Maßstab, an dem die Belohnung nachträglichen Wohlverhaltens zu messen ist.

111. Erbunwürdigkeit und tätige Reue 1. § 2339 Abs. 1 Nr. 1 BGB Nach § 2339 Abs. 1 Nr. 1 BGB ist erbunwürdig, "wer den Erblasser vorsätzlich und widerrechtlich getötet oder zu töten versucht oder in einen Zustand versetzt hat, infolgedessen der Erblasser bis zu seinem Tode unfähig war, eine Verfügung von Todes wegen zu errichten oder aufzuheben." Hat der Erbunwürdige den Erblasser getötet oder ihn in den Zustand dauerhafter Testierunfähigkeit versetzt, bleibt für nachträgliches Wohlverhalten grundsätzlich kein Raum. Der Erblasserwille ist endgültig verdunkelt und geht mutmaßlich dahin, daß der Schuldige nichts erhalten S01l19. Eine Ausnahme ist allein denkbar, wenn sich zwischen Handlung und Erfolg eine Zwischenzeit einschaltet, in der der Erblasser weiterhin testierfähig bleibt. Hier kann aber angesichts der Schwere des Unrechts nachträgliches Wohlverhalten allein die Erbunwürdigkeit nicht heilen. Doch könnte der Erblasser dem Schuldigen verzeihen (§ 2343 BGB). Eine Verzeihung ist indes nicht schon darin zu sehen, daß der Erblasser in der Zwischenzeit keinen Gebrauch von seiner Testierfreiheit zum Nachteile des Schädigers macht2o. Denn der Erblasser kann sich auch darauf verlassen, daß der Schuldige auf die von einem anderen Beteiligten betriebene Anfechtungsklage hin für erbunwürdig erklärt wird. Eine Verzeihung würde mindestens voraussetzen, daß der Erblasser die Verfügung "geflissentIich,,21 aufrecht erhält; doch dürften solche Fälle kaum vorkommen.

17 Dies verkennt MünchKomm/ Frank. BGB, § 2339 Rn. 2, der den Strafzweck der Erbunwürdigkeit bestreitet, doch gleichzeitig die Ergänzung der §§ 1938, 2333 ff., 2078 ff. als den Nonnzweck der Erbunwürdigkeit definiert. Daß §§ 2333 ff. BGB einen Strafcharakter besitzen, ist anerkannt; vgl. Prot. Mugdan V, S. 802; RGRK/ Johannsen, BGB, § 2333 Rn. 3; Staudinger/Ferid/Cieslar, BGB I2 , vor §§ 2333 ff. Rn. 6. 18 V gl. Prot. Mugdan V, S. 817; v. Lübtow 11, S. 720; Brox, S. 179, die das Gerechtigkeitsempfinden der Allgemeinheit als Rechtfertigung und Maßstab der Erbunwürdigkeit ansehen. 19 Anders liegt es bei der Tötung auf Verlangen, § 216 StGB. Das Verlangen ist als vorweggenommene Verzeihung anzusehen, die nach h. M. die Anfechtung ausschließt; vgl. Strohal I, § 60 Anm. 5; Staudinger/Olshausen, BGB 13 , § 2339 Rn. 30. 20 Vgl. Mot. Mugdan V, S. 276.

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a) Rücktritt vom Tötungsversuch Blieb es hingegen bei einer bloß versuchten Tötung des Erblassers, eröffnet sich ein breiterer Spielraum für die Belohnung nachträglichen Wohlverhaltens. So stellt sich zunächst die im Schrifttum umstrittene 22 Frage, ob nicht der strafbefreiende Rücktritt vom Versuch die Erbunwürdigkeit ausschließt. Eine Überprüfung zeigt, daß diese Frage grundsätzlich verneint werden muß. Ausnahmen kämen vor allem in Betracht, wenn der Erblasser von dem Versuch und von der Person des Täters zwar erfahren, es aber bewußt unterlassen hat, die Verfehlung zu ahnden. Wenn der Wortlaut der Regelung auch nicht eindeutig ist, so liegt es doch näher, auch denjenigen Tötungsversuch als Erbunwürdigkeitsgrund anzusehen, von dem strafbefreiend zurückgetreten wurde: Nach § 2339 Abs. I Nr. I BGB ist erbunwürdig, "wer den Erblasser ... zu töten versucht ... hat." Die Formulierung meint den Versuch im Sinne des § 22 StGB, also den Zeitpunkt, zu dem der Täter die straflose Vorbereitungshandlung überschritten hat. Da der Rücktritt nur die Strafbarkeit aufhebt, nicht aber den Versuch selbst ungeschehen macht, müßte die Erbunwürdigkeit auch nach einem strafbefreienden Rücktritt vom Versuch bestehen bleiben. Allerdings ließe sich vertreten, daß die Verweisung sich - stillschweigend - allein auf den strafbaren Versuch bezieht. Hierfür spräche jedenfalls der Vergleich mit §§ 2333 Nr. 1, 1566 BGB a. F. 23 • Nach § 2333 Nr. 1 BGB kann der Pflichtteil entzogen werden und nach § 1566 BGB a. F. konnte ein Ehegatte die Scheidung fordern, wenn der jeweils andere ihm "nach dem Leben trachtet." Diese Formulierung soll gerade auch denjenigen Versuch erfassen, von dem strafbefreiend zurückgetreten wurde 24 . Daß dagegen in § 2339 Abs. 1 Nr. 1 BGB nur vom "Versuch" die Rede ist, könnte den Umkehrschluß rechtfertigen, daß nur der strafbare Versuch gemeint ist. Entscheidend aber ist, daß der Zweck des Erbunwürdigkeitstatbestandes der versuchten Tötung grundSätzlich gegen einen Fortfall der Erbunwürdigkeit spricht. Die Erbunwürdigkeit wegen versuchter Tötung soll - wie auch die übrigen Gründe - vor allem dem mutmaßlichen letzten Willen des Erblassers zur Geltung verhelfen 25 . Zwar besteht hierzu bei der nur versuchten Tötung häufig weniger Anlaß als bei der vollendeten Tötung; der Erblasser kann zumeist noch selbst reagieren und Zum Begriff des "geflissentlichen" Aufrechterhaltens siehe unten 3. b). Den strafbefreienden Rücktritt vom Versuch halten - ohne Angabe von Gründen - für beachtlich Lange/Kuchinke 4 , § 6 Fn. 25; MünchKomm/Frank, BGB, § 2339 Rn. 14; Staudinger/ Ferid/Cieslar, BGB 12, § 2339 Rn. 15. A. A. sind - ebenfalls ohne Begründung Soergel/ Damrau, BGB, § 2339 Rn. 4; RGRK / Kregel, BGB, § 2339 Rn. 2. 23 § 1566 BGB a. F., der durch § 84 EheG von 1938 aufgehoben wurde, lautete: ,,Ein Ehegatte kann auf Scheidung klagen, wenn der andere Ehegatte ihm nach dem Leben trachtet". 24 Vgl. RGZ 100,114,115; RG WamR 1928,88,89; OLG Dresden, OLG 18,272; Endemann, Familienrecht, § 166 Anm. 34. 25 Vgl. Mot. Mugdan V, S. 276; Prot. Mugdan V, S. 817, 818; RGZ 72, 207, 208; Staudinger/Olshausen, BGB I3 , § 2339 Rn. 6; Eck, S. 37. 21

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diejenigen erbrechtlichen Maßnahmen ergreifen, die er für richtig hält. Die 1. Kommission lehnte es deshalb ab, den Versuch der Tötung als Unwürdigkeitsgrund zu normieren 26 . Erst die 2. Kommission nahm den Totschlagsversuch in den Kanon der Erbunwürdigkeitsgründe auf. Sie wollte Fällen vorbeugen, in denen der Erblasser seinen letzten Willen nicht verwirklichen kann, obwohl er den Anschlag überlebt hat, etwa weil er den Urheber des Tötungsversuchs nicht kennt oder weil er aus anderer Ursache verstarb, bevor er wirksam neu verfügen konnte 27 . Gerade in solchen Konstellationen aber ist der letzte Wille des Erblassers ebenso verdunkelt, wenn der Schuldige vom Versuch der Tötung zurückgetreten ist. Denn der Erblasser hätte auch hier die Möglichkeit gehabt, den Schuldigen zu enterben (§ 1938 BGB) oder ihm den Pflichtteil zu entziehen, weil er, der Schuldige, ihm, dem Erblasser, nach dem Leben getrachtet hat (§ 2333 Nr. 1 BGB). Auch ist es wahrscheinlich, daß der Erblasser trotz des Rücktritts solche Maßnahmen ergriffen, wenn er gekonnt hätte. Denn auch in einem Tötungsversuch, von dem strafbefreiend zurückgetreten wurde, liegt regelmäßig eine schwere Pietätsverletzung. Man halte sich die Weite der strafrechtlichen Rücktrittsmöglichkeiten vor Augen: Nach der heute herrschenden Gesamtbetrachtungslehre ist der strafbefreiende Rücktritt vom Versuch so lange möglich, wie der Täter geglaubt hat, sein Ziel mit den ihm aktuell zur Verfügung stehenden Möglichkeiten noch erreichen zu können 28 . Hat der mit Messer und Revolver bewaffnete Schuldige etwa zunächst versucht, den Erblasser zu erschießen, so könnte er grundsätzlich auch dann noch strafbefreiend zurücktreten, nachdem er bereits das Magazin leer geschossen, den Erblasser aus Ungeschicklichkeit aber verfehlt hat. Er bräuchte nur davon abzusehen, nun zum Messer zu greifen und auf den Erblasser einzustechen. Und selbst dann könnte er durch bloßes Aufgeben der Tat immer noch so lange strafbefreiend vom Versuch der Tötung zurücktreten, wie er dem Erblasser keine lebensgefährlichen Stichverletzungen beigebracht hat. In solchen Fällen aber wäre es absurd, den Rücktritt zivilrechtlich zu belohnen und die Erbunwürdigkeit ipso iure als entfallen anzusehen. Hinzu kommt, daß ein solcher Fortfall der Erbunwürdigkeit ipso iure auch dem Strafzweck der Regelung zuwiderlaufen würde. Denn die Schuld des Täters kann trotz des Rücktritts groß und ein Absehen von Strafe nicht angebracht sein. Ausnahmen kommen - wie oben angedeutet - vor allem dann in Betracht, wenn dem Erblasser der Versuch der Tötung und die Person des Täters bekannt geworden sind, er das Vergehen hätte erbrechtlich ahnden können, hierauf aber bewußt verzichtet hat. Doch gilt diese Ausnahme gleichermaßen für den Fall, daß der Schuldige nicht von dem Versuch zurückgetreten ist, worauf sogleich unter b) einzugehen ist.

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Vgl. Mol. Mugdan V, S. 276. Vgl. Prolo Mugdan V, S. 818; Eck, S. 37. V gl. dazu Tröndle I Fischer, StOB, § 24 Rn. 4 b m. w. N.

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Darüber hinaus muß die Anfechtung des Pflichtteils anspruchs (vgl. § 2345 Abs. 2 BGB) wegen Erbunwürdigkeit ausgeschlossen sein, wenn der Erblasser dem Schuldigen wegen dessen nachträglichen Wohlverhaltens oder wegen des Verbots widersprüchlichen Verhaltens den Pflichtteil nicht mehr wirksam hätte entziehen können oder wenn eine bereits erfolgte Entziehung unwirksam geworden wäre 29 . Dazu sei an das im vorigen Kapitel angeführte Beispiel von der Tochter erinnert, die ihren Vater in jungen Jahren einmal zu vergiften versucht, ihr Vorhaben jedoch aufgegeben und den Vater später jahrelang gepflegt und betreut hatte. Da die Erbunwürdigkeit im Verhältnis zum Pflichtteilsentziehungsrecht nur Ergänzungsfunktion hat, kann jene nicht weiter gehen als diese. In solchen - freilich sehr seltenen - Fällen könnte der Pflichtteilsberechtigte der Anfechtungsklage die Arglisteinrede entgegenhalten.

b) Sonstiges Wohlverhalten Ohne das Hinzutreten weiterer Umstände kann, wie schon der strafbefreiende Rücktritt, auch sonstiges Wohlverhalten die Erbunwürdigkeit wegen versuchter Tötung nicht ausschließen. Denn die Verfehlung wiegt so schwer, daß der mutmaßliche Wille des Erblassers stets dahingehen wird, daß der Schuldige "enterbt" werde. Doch ist die Anfechtung ausgeschlossen, wenn der Erblasser dem Schuldigen ausdrücklich oder konkludent verziehen hat (§ 2343 BGB). Auf das Vorliegen einer Verzeihung kann bereits die bloße Untätigkeit des Erblassers hindeuten. Hat dieser nichts unternommen, obwohl er um den Versuch der Tötung und um die Person des Taters wußte, deutet dies darauf, daß er aus der erfahrenen Kränkung nichts mehr herleiten, dem Schuldigen also verzeihen wollte. So zeigt die Lebenserfahrung, daß die gerechte Verteilung des Nachlasses und die Verwirklichung seines wahren letzten Willens dem Erblasser sehr am Herzen liegeo. Dennoch reicht die Untätigkeit allein nicht hin, um den Schluß auf eine Verzeihung zu rechtfertigen; die Untätigkeit ist nur ein Indiz von möglichen weiteren, die Gegenstand der richterlichen Beweiswürdigung sein können (§ 286 ZPO). Siehe dazu oben § 10 III. 2. a) und b). Vgl. Seneca, De beneficiis 4, 11,4 f.: .. Quid cum in ipso vitae fine constitimus, cum testamentum ordinamus, non beneficia nihil nobis profutura dividimus? quantum temporis consumitur, quamdiu secreto agitur, quantum et quibus demus! Quid enim interest, quibus demus a nullo recepturi? atqui numquam diligentius damus, numquam magis iudicia nostra torquemus, quam ubi remotis utilitatibus solum ante oculos honestum stetiL." (Wenn wir am Ende unseres Lebens stehen, wenn wir unseren letzten Willen verfügen, verteilen wir dann nicht Geschenke, die uns keinen Gewinn mehr bringen können? Wie viel Zeit wird da verbraucht, wie lange geht es da um die Frage, wieviel und wem wir schenken sollen! Was kommt es denn darauf an, wem wir schenken, da wir von niemandem eine Gegenleistung erhalten werden? Und doch geben wir niemals sorgfliltiger, martern unser Urteilsvermögen niemals stärker, als wenn - ohne Rücksicht auf Nützlichkeitserwägungen - uns allein das Sittliche vor Augen steht). 29

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3. Kap.: Verletzung sittlicher Pflichten und Obliegenheiten

Eine Verzeihung kann indes anzunehmen sein, wenn weitere Umstände hinzukommen, die auf einen Übergehungswillen schließen lassen: so etwa, wenn der Erblasser nach der Tat eine neue letztwillige Verfügung errichtet, ohne dabei den Tötungsversuch zu berücksichtigen. In diesen Fällen läßt sich von "geflissentlicher,,31 Untätigkeit sprechen, die als Verzeihung nach § 2343 BGB anzusehen oder einer solchen jedenfalls gleichzustellen ist 32 . 2. § 2339 Abs. 1 Nr. 2 BGB "Wer den Erblasser vorsätzlich und widerrechtlich verhindert hat, eine Verfügung von Todes wegen zu errichten oder aufzuheben", ist erbunwürdig gemäß § 2339 Abs. I Nr. 2 BGB. Die Verhinderung kann durch Gewalt, durch Drohung und auch durch Täuschung geschehen 33 : so etwa, wenn der Täter den Erblasser über die Formwirksamkeit eines bereits errichteten oder eines noch zu errichtenden Testamentes täuscht 34 oder den Auftrag des Erblassers, die Urkunde zu vernichten (§ 2255 BGB), heimlich unausgeführt läßt 35 . Die Verhinderung muß ursächlich sein dafür, daß die beabsichtigte Verfügung unterbleibt. Diese Kausalität entfällt bereits dann, wenn der Hinderungsgrund nur vorübergehend und der Erblasser hernach in der Lage war, zu verfügen - gleich, ob er dies getan oder unterlassen hat. Nach allgemeiner Meinung liegt in diesen Fällen auch keine Erbunwürdigkeit vor, weil keine vollendete, sondern lediglich eine versuchte Hinderung gegeben sei 36 . 31 Die rechtliche Bedeutung "geflissentlichen Aufrechterhaltens" wird vor allem bei §§ 2078, 2079 BGB diskutiert. Hier stellt sich häufig die Frage, ob in dem Aufrechterhalten einer willensmangelhaften Verfügung nach Fortfall der Zwangslage oder des Irrtums eine Bestätigung der Verfügung gesehen werden kann: So noch E 1 § 1786 - und heute etwa Art. 469 Abs. 2 ZGB -, nach welchen die Anfechtung einer letztwilligen Verfügung wegen Irrtums oder Drohung (vgl. §§ 2078 f. BGB) ausgeschlossen war bzw. ist, wenn der Erblasser die Verfügung über ein Jahr aufrecht erhielt, nachdem die Zwangslage vorüber oder der Irrtum aufgeklärt war; vgl. Mol. Mugdan V, S. 31 f. Die 2. Kommission strich die Regelung ersatzlos, weil sie den Schluß von der Untätigkeit auf den Übergehungswillen nicht für zwingend hielt; vgl. Prol. Mugdan V, S. 548 f. Auch heute ist einhellige Meinung, daß in der schlichten Untätigkeit keine Bestätigung gesehen werden kann, vgl. Lange I Kuchinke 4 , § 36 IV 3 m.w.N. 32 Die Verzeihung wird bei der Erbunwürdigkeit in § 2343 BGB zwar genauso berücksichtigt wie in den Fällen der §§ 532, 2337 BGB. Da das durch die Erbunwürdigkeit vorwiegend geschützte Rechtsgut aber die Testierfreiheit und nicht die Person des Erblassers ist, weicht die Bedeutung der Verzeihung nach § 2343 BGB zum Teil von der herkömmlichen ab. Da es um die Kränkung der Testierfreiheit geht, kann bereits eine Bestäti~ung des Testamentes als Verzeihung gewertet werden; vgl. StaudingerlFeridlCieslar, BGB I ,§ 2343 Rn. I. 33 Vgl. Soergel/Damrau, BGB, § 2339 Rn. 5; MünchKommlFrank, BGB, § 2339 Rn. 16; Lange I Kuchinke 4 , § 6 II 1 b, Anm. 29. 34 Hierzu Reichel, AcP 104 (1909), 1,53; KipplCoing, § 85 II 2. 3S Beispiel bei KipplCoing, § 85 II 2, Anm. 12; vgl. Dazu BGH NJW-RR 1990,515 f. Ähnlich, aber zu streng OLG Stuttgart Recht 1905 Nr. 603.

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Dieses Kausalitätserfordernis erlaubt es dem Schuldigen, seiner bereits verwirkten Erbunwürdigkeit noch zu entgehen, indem er den von ihm verursachten Hinderungsgrund behebt. Wer den Erblasser also durch Drohungen an der Errichtung einer Verfügung gehindert hatte, kann die Erbunwürdigkeit noch abwenden, indem er die Drohungen zurücknimmt; gleiches gilt für den Täter, der den Erblasser über die Fonnwirksamkeit eines bereits errichteten Testaments getäuscht hatte, den Irrtum aber später aufklärt37 • Voraussetzung ist lediglich, daß der Erblasser nach dem Ende des Willensmangels noch die Möglichkeit hatte, eine Verfügung von Todes wegen zu errichten.

3. § 2339 Abs. J Nr. 3 BGB Erbunwürdig gemäß § 2339 Abs. 1 Nr. 3 BGB ist, wer "den Erblasser durch arglistige Täuschung oder widerrechtlich durch Drohung bestimmt hat, eine Verfügung von Todes wegen zu errichten oder aufzuheben". Auch hier könnte der Täter der Erbunwürdigkeit dadurch entgehen, daß er den Erblasser über dessen Irrtum aufklärt oder aber die Drohung zurücknimmt und es dem Erblasser ennöglicht, nunmehr entsprechend seinem wahren letzten Willen zu verfügen.

a) Errichtung neuer Verfügung Die Erbunwürdigkeit ist jedenfalls dann nicht gegeben, wenn der Erblasser nach dem Ende des Irrtums oder der Zwangslage eine neue wirksame Verfügung errichtet, die zu der früheren willensmangelhaften in Widerspruch steht. Diese neue Verfügung hebt die alte auf (§ 2258 BGB), so daß der letzte Wille nicht mehr verdunkelt und die Erbunwürdigkeit bereits von ihrer Ratio nicht mehr gerechtfertigt ist. Ausdrücklich ordnet dies § 2339 Abs. 2 BGB an: Hiernach tritt die Erbunwürdigkeit nicht ein, "wenn vor dem Eintritte des Erbfalles die Verfügung, zu deren Errichtung der Erblasser bestimmt wurde ... unwirksam geworden ist". Indem § 2339 Abs. 2 BGB nicht an eine Handlung des Schuldigen, sondern ursachenunabhängig allein an die spätere 38 Unwirksamkeit der Verfügung anknüpft, soll die Regelung zwar nicht in erster Linie tätige Reue belohnen. Immerhin be36 Vgl. Mot. Mugdan V, S. 280; StroluJl I, § 60 11 a. E.; Planek! Greif!, BGB, § 2339 Anm. 2 b; MünehKomml Frank. BGB, § 2339 Rn. 19. 37 Freilich kommt die Aufklärung von dritter Seite über die Fonnunwirksamkeit der bisher errichteten Verfügung dem Erbunwürdigen ebenso zugute. 38 Es ist umstritten, ob § 2339 Abs. 2 BGB gleichfa\1s Anwendung findet, wenn die willensmangelhafte Verfügung von Anfang an unwirksam war, z. B. wegen Fonnmangels. Dafür RGRKIKregel. BGB, § 2339 Rn. 9; Soergel/Damrau. BGB. § 2339 Rn. 9; Kipp I Coing. § 85 11 5; Bartholomeyezik. NJW 1955,795,796. Dagegen LG Ravensburg, NJW 1955,795, 796; Langel Kuehinke 4 , § 6 11 2; v. Lübtow 11, S. 728 f.

11 Knütel

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3. Kap.: Verletzung sittlicher Pflichten und Obliegenheiten

fand die 2. Kommission, die die Regelung einfügte, daß es nicht nur dem Wesen der Erbunwürdigkeit, sondern auch der Billigkeit widerspreche, die Sanktion der Erbunwürdigkeit aufrechtzuerhalten, wenn eine Verdunklung des letzten Willens nicht mehr vorliege 39 . Insofern ist die Vorschrift doch von ähnlichen Erwägungen getragen wie die Belohnung nachträglichen Wohlverhaltens. b) Bestätigung der Verfügung Fraglich ist hingegen, wie die Untätigkeit des Erblassers sich auswirkt, nachdem der Irrtum behoben oder die Zwangslage beseitigt ist, was also geschieht, wenn der Erblasser weder eine neue Verfügung errichtet noch die alte widerruft. Steht fest, daß der Erblasser das ursprünglich willens mangelhaft errichtete Testament nachträglich gebilligt hat, tritt die Erbunwürdigkeit nach § 2339 Abs. 1 Nr. 3 BOB ebenfalls nicht ein. In diesem Fall liegt keine Verdunklung des Erblasserwillens mehr vor. Die Anfechtung wegen Erbunwürdigkeit ist darum entweder bereits deren Ratio wegen ausgeschlossen oder aber weil man in der nachträglichen Billigung eine Verzeihung sehen muß (§ 2343 BOB). Denn wer das willensmangelhafte Testament nachträglich billigt, der zeigt, daß er die Testierfreiheit nicht oder nicht mehr als gekränkt ansieht und daß er aus der erfahrenen Kränkung nichts gegen den Tater herleiten will. Schwierigkeiten bereitet es aber festzustellen, unter welchen Voraussetzungen eine willensmangelhafte Verfügung als bestätigt angesehen werden kann. Schlichte Untätigkeit allein reicht nicht aus, um eine Bestätigung der Verfügung anzunehmen40 . Ähnlich der Untätigkeit des Erblassers nach einem Tötungsversuch begründet jedenfalls das "geflissentliche" Aufrechterhalten der Verfügung prima facie 41 die Vermutung, daß der Erblasser die willensmangelhafte Verfügung bestätigen wollte 42 • 39 V gl. Prot. Mugdan V, S. 820. Daß die Regelung die nachträgliche Unwirksamkeit unabhängig von deren Grund belohnt, kann häufig dem Rechtsgefühl widersprechen; vgl. Strohal I, § 60 11 2 a mit Beispielen. Da der Gesetzgeber ferner nicht berücksichtigt hat, daß auch bei der Unwirksamkeit der willensmangelhaften Verfügung unklar bleibt, wie der Erblasser ohne die Einflußnahme testiert hätte, wird die Vorschrift allgemein für mißglückt gehalten; Vgl. Strohal, a. a. 0.; MünchKommlFrank, BGB, § 2339 Rn. 27; StaudingerlFeridlCieslar; BGB I2 , § 2339 Rn. 49. 40 Rechtsprechung und Schrifttum zu § 2339 Abs. I Nr. 3 BGB schweigen hierzu; doch lassen sich die Stellungnahmen zu §§ 2078, 2079 BGB entsprechend heranziehen. Hier entspricht es der einhelligen Meinung, daß in schlichter Untätigkeit eine Bestätigung der Verfügung nicht gesehen werden kann; vgl. LangeiKuchinke 4 , § 36 IV 3 m. w. N. 41 So zutreffend Hein. Lange, JherJb 82 (1932), I, 35 Anm. 1. Zu weit gehen Ermanl Schmidt, BGB, § 2078 Rn. 14, mit der Annahme einer Beweislastumkehr. 42 Vgl. RGZ 77, 165, 170; RG WarnR 1918, Nr. 212; Kiel OLG 8, 266, 267; BayObLG DNotZ 1972, 31, 33; Keuk, S. 108 ff.; LangeiKuchinke 4 , § 36 V 2 m. w. N. (alle zu §§ 2078, 2079 BGB). Es ist umstritten, ob auch die Anfechtungsmöglichkeit nach §§ 2078, 2079 BGB entfällt, wenn der Erblasser die Verfügung bestätigt hat, vgl. zum Streitstand Lange I Kuchin-

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Doch kann die Untätigkeit ebenso darauf schließen lassen, daß die Verfügung schon ursprünglich nicht willensmangelhaft war; auch dies schlösse die Erbunwürdigkeit aus43 •

c) Exkurs: Das Verschweigen ehelicher Untreue Anhangweise sei ein Blick auf die praktisch häufigen Fälle geworfen, in denen ein Ehegatte dem anderen ein fortdauerndes ehewidriges Verhältnis verschweigt, obwohl er weiß, daß dieser im Vertrauen auf seine Treue ein Testament zu seinen Gunsten errichtet44 . Nach der Rechtsprechung führt solches Verschweigen grundsätzlich zur Erbunwürdigkeit des untreuen Ehegatten wegen arglistiger Täuschung durch Unterlassen, § 2339 Abs. 1 Nr. 3 BGB: Denn der begünstige Ehegatte sei verpflichtet, seine Eheverfehlungen zu offenbaren, sobald er erfahre, daß der andere ihn im Vertrauen auf seine Treue testamentarisch begünstigen wolle. Das Unterlassen dieser Offenbarung sei darum einer aktiven Tauschung gleichzustellen, und weil der Begünstigte hierbei jedenfalls in Kauf nehme, daß der andere in seiner Entschließung beeinflußt werde, handele es sich um eine arglistige Täuschung45 . Es ist bereits zweifelhaft, ob die Annahme einer solchen Aufklärungspflicht - jedenfalls heutzutage noch - sachgerecht ist. Denn häufig wird eine Aufklärung dem anderen Ehepartner häufig mehr schaden als nutzen 46 • Hinzukommt, daß die Annahme einer Aufklärungspflicht nicht nur dem Grundsatz des nemo tenetur se ipsum accusare47 zuwiderläuft, sondern den Bestand der Ehe und das Wohl gemeinsamer Kinder gefahrden kann. Wenig sachgerecht scheint es daher, aus dem sittlichen Wesen der Ehe eine solche Pflicht zur unbedingten Offenheit herzuleiten 48 . Zu bedenken ist ferner, daß die Rechtsfolge der Annahme einer solchen Aufklärungspflicht, die Erbunwürdigkeit, unangemessen hart ist. Der untreue Ehegatte verliert hierdurch sogar seinen Pflichtteilsanspruch - der ihm wegen des Ehebruchs heute nicht einmal vom Erblasser selbst entzogen werden kann (!)49 - und müßte sich allein mit ke 4 , a. a. 0.; Keuk, S. 105 ff. Die Frage ist in entsprechender Anwendung des § 144 BGB zu bejahen. 43 V gl. Soergel/ Damrau, BGB, § 2339 Rn. 6; Keuk, S. 110. 44 Vgl. RG JW 1912,871 Nr. 32; OLG Nürnberg MDR 1958,692; OLG Düsse1dorf vom 1. 10. 1959- 7 W 265/59 (unveröffentlicht); BGHZ 49, 155 ff. 4S V gl. BGHZ 49, 155, 156 ff. 46 Vgl. Deubner, JuS 1968,449. 47 Dieser heute aUgemein anerkannte Rechtsgrundsatz geht auf kanonische QueUen zurück; vgl. Decretum 11, causa 33, quest. 3, c. 87. 48 So aber BGHZ 49, 155, 157. Kritisch Deubner, JuS 1968,449 ff.; Röwer, FamRZ 1960, 15. 49 Seit der Neufassung des § 2335 BGB durch das 1. EheRG kann der Ehegattenpflichueil nicht mehr wie zuvor entzogen werden, wenn ein Scheidungsgrund vorliegt, sondern nur noch bei den in Nr. 1 bis 4 abschließend normierten schweren Verfehlungen, zu denen der Ehebruch nicht zählt. 11"

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dem Zugewinnausgleich begnügen; vorausgesetzt, die Eheleute lebten im gesetzlichen Güterstand (§§ 1363, 1371 BGB). Um Ungerechtigkeiten auszugleichen, die durch die willens mangelhafte Verfügung entstanden sein könnten, reicht die Möglichkeit vollkommen aus, das Testament wegen Irrtums anzufechten (§ 2078 BGB). Wenn man aber dennoch eine solche Aufklärungspflicht unterstellt, fragt es sich, ob und wie der Ehebrecher seine Erbunwürdigkeit nachträglich wieder ausräumen kann. Sicher ist zunächst, daß die Erbunwürdigkeit nicht eintritt, wenn der Erblasser dem Schuldigen verziehen oder die willensmangelhaft errichtete Verfügung durch "geflissentliches" Aufrechterhalten - bestätigt hat. Die Voraussetzungen einer Verzeihung werden bei Ehegatten regelmäßig bereits dann gegeben sein, wenn diese die häuslichen Gemeinschaft auf längere Zeit fortgesetzt haben, obwohl der eine von den Verfehlungen des anderen wußte 50 . Schwieriger liegt es dagegen, wenn der untreue Gatte sein ehewidriges Verhältnis niemals offenbart und der Erblasser auch auf anderem Wege hierüber nichts erfahren hat. Denn ohne Kenntnis der Verfehlung kann der Erblasser weder verzeihen noch die Verfügung bestätigen. Je mehr Jahre aber ins Land gehen, in denen die Eheleute treu und harmonisch zusammenleben, nachdem das ehewidrige Verhältnis beendet und die irrtümliche Verfügung errichtet worden ist, desto unbefriedigender wäre es, den überlebenden begünstigten Ehegatten als erbunwürdig zu brandmarken. Denn nach der allgemeinen Lebenserfahrung ist davon auszugehen, daß der hintergangene Gatte die Verfehlung entweder schon früher verziehen hätte oder doch verzeihen würde, wenn er kurz vor seinem Tod noch davon erführe. Ist aber anzunehmen, daß der Erblasser verziehen hätte, wenn er um die Verfehlung gewußt hätte, muß man dem Schuldigen gestatten, der Anfechtung den Einwand des Rechtsrnißbrauchs entgegenzuhalten 51 . Denn die Anfechtung ist durch keinerlei schutzwürdiges Interesse des Anfechtenden gerechtfertigt. Das einzige schutzwürdige Interesse des Anfechtenden liegt darin, bei Verdunklungen des letzten Willens dem mutmaßlichen Willen zur Geltung zu verhelfen 52 . Hätte der Erblasser dem Ehegatten aber mutmaßlich verziehen, ist anzunehmen, daß der Erblasser dem Begünstigten auch dessen gewillkürte ErbensteIlung belassen hätte. Und daß der Erblasser den untreuen Gatten ganz "enterbt", ihm also auch den so Vgl. hierzu §§ 1571 Abs. I BGB a. F., 50 Abs. I EheG: Nach beiden Vorschriften war das Recht auf Scheidung wegen Verschuldens ausgeschlossen, wenn die Ehegatten in häuslicher Gemeinschaft lebten und nicht binnen sechs Monaten ab Kenntnis des Scheidungsgrundes Klage erhoben wird. Dieser Präklusionsfrist liegt die Annahme einer vermuteten Verzeihung zugrunde: vgl. Mot. Mugdan IV, S. 323; Protokoll der 2. Beratung des § 1571 BGB im Reichstag, Mugdan IV, S. 1366. SI SO auch Lange I Kuchinke 4 , § 6 11 3; Palandtl Edenhofer, BGB, § 2339 Rn. 9; vgl. ferner Speckmann. JuS 1971,235,238. 52 Vgl. LangeiKuchinke 4 , § 6 I 2. Keinerlei Schutz hingegen verdient das praktisch wohl überwiegende Interesse des Anfechtenden, den eigenen Erbschaftserwerb zu vergrößern.

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Pflichtteil entzogen hätte, ist bereits deshalb ausgeschlossen, weil der Ehebruch hierzu heute nicht mehr berechtigt. Zudem ist sicher, daß die Erbunwürdigkeit in solchen Fällen dem hypothetischen Willen des Erblassers noch weniger entspräche als das Belassen der letztwillig verfügten ErbensteIlung. Es verbietet sich, diesen hypothetischen Willen zu mißachten und die Anfechtung zuzulassen53 .

4. § 2339 Abs. J Nr. 4 BGB Schließlich ist erbunwürdig gemäß § 2339 Abs. 1 Nr. 4 BGB, "wer sich in Ansehung einer Verfügung des Erblassers von Todes wegen einer Straftat nach den §§ 267, 271 bis 274 des Strafgesetzbuches schuldig gemacht hat". Es gibt bei den Urkundenvergehen nur wenige Konstellationen von praktischer Bedeutung, in denen es naheliegen könnte, tätige Reue zu belohnen. Die Frage etwa, ob der strafbefreiende Rücktritt vom Versuch der Urkundsdelikte der Erbunwürdigkeit entgegenstehen kann, wird sich selten stellen. Dies nicht zuletzt deshalb, weil es zweifelhaft ist, ob der bloße Versuch der Urkundsdelikt überhaupt den Tatbestand des § 2339 Abs. 1 Nr. 4 BGB erfüllt54 . Von größerer Bedeutung hingegen können Fälle wie unser Eingangsbeispiel 55 sein: Die Tochter hatte nach dem Tode der Mutter in deren Testament formgerecht ein Vorausvermächtnis eingefügt, um sich eine besondere Brosche zu sichern. Von Reue getrieben, strich sie dieses Vorausvermächtnis jedoch alsbald wieder aus. Ist die Tochter erbunwürdig? Die Tochter hat mit dem Einfügen des Vermächtnisses eine vollendete Urkundenfälschung begangen und ist damit nach § 2339 Abs. 1 Nr. 4 BGB erbunwürdig geworden. Diese Erbunwürdigkeit kann nach dem Wortlaut der Regelung nicht mehr entfallen, wenn das falsche Vermächtnis später ausgestrichen wird. Auch die Ausnahmeregel des § 2339 Abs. 2 BGB ist nicht einschlägig; hiernach tritt die Erbunwürdigkeit nur dann nicht ein, "wenn vor dem Eintritte des Erbfalls die Verfügung, ... in Ansehung deren die Straftat begangen worden ist, unwirksam geworden ist". Die Fälschung aber geschah nach dem Erbfall.

S3 Vgl. die Kritik an der gesetzlichen Regelung der Irrtumsanfechtung in §§ 2078, 2079 BGB von Schulz. Gedächtnisschrift f. Seckel, S. 70, 78 ff.; Kipp/Coing. § 24 III 3. Auch hier kann die irrtümliche Erbeinsetzung dem mutmaßlichen Erblasserwillen weit mehr entsprechen als die gesetzliche Erbfolge, die nach der Anfechtung eintritt. Schuh fordert darum, daß nicht nur der irreale negative. sondern auch der irreale positive Wille des Erblassers beachtet werde. 54 Das ist strittig. Dagegen Kipp/Coing. § 85 11 4; RGRK/Kregel. BGB. § 2339 Rn. 8; Soergel/Damrau. BGB. § 2339 Rn. 8; dafür MünchKomm/Frank. BGB, § 2339 Rn. 25; v. Lübtow 11, S. 726; Stauainger/Ferid/Cieslar, BGB 12 , § 2339 Rn. 45. ss Vgl. oben I.

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3. Kap.: Verletzung sittlicher Pflichten und Obliegenheiten

Doch kann die Tochter der Anfechtung die Einrede der Arglist entgegenhalten, weil die Erbunwürdigkeit von ihrem Sinn und Zweck her nicht mehr gerechtfertigt ist und es unbillig wäre, die Sanktion der Erbunwürdigkeit trotzdem aufrechtzuerhalten. Grundsätzlich soll auch die Erbunwürdigkeit nach § 2339 Abs. 1 Nr. 4 BGB Verdunklungen des letzten Willens ausgleichen und in Ergänzung der §§ 1938, 2333 ff. BGB dem mutmaßlichen Erblasserwillen zur Geltung verhelfen. Zudem dient sie der Abschreckung und der Bestrafung des Schuldigen. In unserem Beispielsfall, in dem das Testament erst nach dem Tode des Erblassers verfälscht wurde und der ursprüngliche Wille des Erblassers sich zweifelsfrei feststellen läßt, beschränkt sich der Zweck der Erbunwürdigkeit auf die Abschreckung und Bestrafung des Täters. Der letzte Wille ist nicht verdunkelt, so daß keine Kränkung der Testierfreiheit vorliegt. Und da der Erblasser selbst auf eine solche Verfehlung post mortem nicht mit Enterbung oder Pflichtteilsentziehung hätte reagieren können, kann auch kein mutmaßlicher Erblasserwille in Ergänzung der §§ 1938,2333 ff. BGB verwirklicht werden. Der verbleibende Abschreckungs- und Strafzweck kann die Erbunwürdigkeit nicht mehr rechtfertigen. Die Tochter hat ihre Verfehlung freiwillig aufgedeckt, sie wirkungslos gemacht und so eine Kränkung der Testierfreiheit der Erblasserin noch rechtzeitig verhindert. Dieses Gesamtverhalten läßt zunächst das Bedürfnis nach Abschreckung entfallen oder mindert es doch ganz erheblich. Denn die Tochter hat sich im entscheidenden Augenblick noch rechtstreu verhalten und so - insgesamt gesehen - kein schlechtes Beispiel gegeben 56 . Im übrigen würde eine leichte Verringerung der Abschreckungswirkung durch das Interesse der übrigen Begünstigen ausgeglichen, dem Täter einen Anreiz zu schaffen, seine Verfälschung unschädlich zu machen. Denn die übrigen Begünstigten laufen Gefahr, infolge der Fälschung weniger zu erhalten, als ihnen zugedacht war. Darüber hinaus verbietet es sich, die Tochter trotz ihres nachträglichen Wohlverhaltens zu bestrafen. Dies zeigt etwa ein Blick auf Sinn und Zweck des § 2339 Abs. 2 BGB. Die Regelung wurde erst von der 2. Kommission geschaffen und damit begründet, daß die Sanktion der Erbunwürdigkeit dort unbillig sei, wo die Kränkung der Testierfreiheit behoben sei und es dadurch an einer Kausalität zwischen Verfehlung und Unsicherheit über den wahren Erblasserwillen fehle 57 . Dies aber gilt erst Recht, wenn die Kränkung der Testierfreiheit durch den Täter selbst und nicht durch einen bloßen Zufall behoben wird. Ein ähnlicher Gedanke findet sich schon in den römischen Quellen. In Rom führte die Fälschung von Testamenten und Kodizillen 58 nicht nur zur Erbunwür56 Dies ist der Grund, mit dem die sog. Indiz- oder Strafzwecktheorie die Straflosigkeit des Rücktritts vom Versuch begründet; vgl. LeipzKomm/Vogler, StGB, § 24 Rn. 12. S7 SO Prot. Mugdan V, S. 820. S8 Ein Kodizill ist eine einseitige letztwillige Anordnung ohne Erbeinsetzung, in denen der Erblasser den Erben um die Ausführung eines Fideikommisses bat, vgl. Kaser, Studienbuch, § 68 V I. Das KodiziJI ist insofern mit einem Vermächtnis vergleichbar.

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digkeit, sondern wurde zudem mit der Todesstrafe oder der lebenslänglichen Verbannung auf eine Insel bestraft, je nach dem, ob der Fälscher ein Sklave oder ein Freier war59 • Doch konnte nach einer Konstitution des Alexander Severus ein Ehemann, der sich im Testament seiner Frau ein Vermächtnis von eigener Hand zugeschrieben hatte, bereits begnadigt werden, wenn er das Zugeschriebene nicht annahm 60. Eine solche "Begnadigung" aber ist erst recht angebracht, wenn der Fälscher das Zugeschriebene zuvor ausstreicht, es also gar nicht so weit kommen läßt, das Zugeschriebene annehmen zu können. Nach alldem sei festgehalten: Wer nach dem Tode des Erblassers dessen Testament verflilseht, die Verfälschungen jedoch bald wieder entfernt, keinerlei Zweifel über den Inhalt des wahren letzten Willens bestehen bleiben und auch Interessen der übrigen Nachlaßbeteiligten nicht gefährdet wurden, kann der Anfechtungsklage die Einrede der Arglist entgegenhalten. Bis zu welchem Zeitpunkt das Aufdecken der Fälschung zur Abwendung der Erbunwürdigkeit noch möglich ist, kann hier nicht abschließend geklärt werden. Dies hängt im Einzelfall davon ab, inwieweit durch die Fälschung bereits die Interessen der Nachlaßbeteiligten konkret gefährdet worden waren. Wird die Fälschung erst eingestanden, nachdem das Testament bereits gebraucht und etwa dem Nachlaßgericht eingereicht worden war, wird die Entdeckung der Fälschung regelmäßig zu spät kommen. Wer so spät tätig bereut, der hat eben doch ein schlechtes Beispiel gegeben, vor dem abzuschrecken Anlaß besteht.

IV. Ergebnis Tatige Reue kann, zum Teil im Zusammenspiel mit weiteren Faktoren, in verschiedenen Fällen entweder die nach § 2339 Abs. 1 BGB verwirkte Erbunwürdigkeit nachträglich entfallen lassen oder aber den Tater erlauben, der Anfechtung die Einrede der Arglist entgegenzuhalten. Hat der Tater den Erblasser zu töten versucht (§ 2339 Abs. 1 Nr. 1 BGB), so kann er der Anfechtung des Pflichtteilsanspruchs mit der Arglisteinrede begegnen, wenn der Erblasser sein Recht, dem Tater den Pflichtteil zu entziehen, infolge des nachträglichen Wohlverhaltens oder wegen des eigenen widersprüchlichen Verhaltens verloren hat. Ein strafbefreiender Rücktritt vom Totungsversuch hingegen schließt die Erbunwürdigkeit nicht ohne weiteres aus. Darüber hinaus ist in den Fällen des § 2339 Abs. 1 Nr. 1 BGB die Anfechtung wegen Erbunwürdigkeit ausgeschlossen, wenn der Erblasser dem Schuldigen verziehen hat. Dies ist regelmä-

59 Sog. lex cornelia de falsis (81 v. Chr.); vgl. I. 4, 18,7; D. 48, 10; Th. Mommsen, RStR, S. 669 ff.; ferner Cicero, Verr. 1, 42, 108. 60 Vgl. Alex. Sev. C. 9, 23,4 (anno 225); ferner Alex. Sev. C. 9, 23, 3 (anno 223); strenger Val.-GaU. C. 9, 22, 8 (anno 259).

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3. Kap.: Verletzung sittlicher Pflichten und Obliegenheiten

ßig bereits dann anzunehmen, wenn der Erblasser es bewußt unterlassen hat, nach der Tat zum Nachteil des Schuldigen zu verfügen, obwohl er dies gekonnt hätte. Die Erbunwürdigkeit nach § 2339 Abs. 1 Nr. 2 BGB entfällt, wenn der Hinderungsgrund entfällt - sei es durch nachträgliches Wohlverhalten des Täters, sei es aus anderen Gründen - und der Erblasser daraufhin die Möglichkeit hatte, eine Verfügung von Todes wegen zu errichten. Die Erbunwürdigkeit nach § 2339 Abs. 1 Nr. 3 BGB fällt fort, wenn der Unwürdige den Irrtum aufklärt oder die Drohung zurücknimmt und der Erblasser entweder neu wirksam verfügt oder die willensmangelhafte Verfügung bestätigt. Eine Bestätigung liegt regelmäßig vor, wenn der Erblasser die Verfügung nach der Behebung des Willensmangel "geflissentlich" bestehen läßt. In den Fällen des § 2339 Abs. 1 Nr. 4 BGB kann der Täter, der nach dem Tode des Erblassers ein Testament ge- oder verfälscht hatte, der Anfechtungsklage die Einrede der Arglist entgegenhalten, wenn er die Fälschung alsbald unschädlich gemacht hat, der wahre letzte Wille nicht verdunkelt ist und Interessen der übrigen Nachlaßbeteiligten nicht konkret gefährdet worden sind.

4. Kapitel

Immaterielle Schäden und tätige Reue § 12 Schmerzensgeld, § 847 BGB Wer eines anderen Körper verletzt, Gesundheit beschädigt oder einem anderen die Freiheit entzieht, ist nicht nur zum Ersatz des Vermögensschadens verpflichtet. Vielmehr kann der Geschädigte nach § 847 BGB "auch wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine billige Entschädigung in Geld verlangen". Der Anspruch auf Schmerzensgeld in seiner heutigen Form hat sein Vorbild in einer auf Art. 20, 21 PGO zurückgehenden gemeinrechtlichen Praxis 1, welche zudem in einzelnen Partikularrechten ihren Niederschlag gefunden hatte 2 , und der zufolge bei Verletzungen des Körpers der Verletzte auch wegen der erlittenen Schmerzen einen Geldanspruch gegen den Schädiger hatte 3 . Schon zur Zeit der Entstehung des BGB war umstritten, ob dieser Anspruch eher als Buße oder mehr als Ausgleich für die erlittenen Schmerzen aufzufassen sei 4 . Wahrend man dem Schmerzensgeld damals allein den Charakter einer Entschädigung beimaß5, dient das Schmerzensgeld nach heute herrschender Ansicht einem doppelten Zweck: Es soll dem Verletzten einerseits einen Ausgleich für erlittene Schmerzen und für entgangene Lebensfreude gewähren und ihm andererseits Genugtuung für die erlittene Unbill verschaffen 6 . 1 Siehe dazu Windscheid/Kipp II, § 455 Anm. 29 ff.; eine gewisse Verwandtschaft mag auch mit der prätorischen actio iniuriarum aestimatoria des römischen Rechtes bestehen, vgl. hierzu I. 4, 4; Kaser, RPr 11, § 145. Anders als heute wurde damals noch nicht streng zwischen Schadensersatz und (Privat)Strafe differenziert; vgl. dazu v. Jhering, Geist I, S. 126 f.; Eickmann, S. 24. 2 Vgl. sächs. GB § 1489; ABGB § 1325. Nach ALR I 6 §§ 112, 113 konnten nur Personen aus dem "Bauern- oder gemeinen Bürgerstande" ein Schmerzensgeld beanspruchen; die Ritterehre höher Stände war in Geld nicht aufzuwiegen, sondern ließ sich allein durch Gegenwehr oder im Duell wiederherstellen; dazu Schopenluluer, Parerga und Paralipomena r, S. 373 ff. 3 Zur Entstehungsgeschichte des § 847 BGB StolI, Gutachten zum 45. DJT, S. 51 ff.; Staudinger/Schäfer, BGB 12 , § 847 Rn. 2. 4 Eingehend zum damaligen Streitstand v. Kübel, Vorentwürfe SchuldR II1, S. 820 ff. 5 Vgl. nur Windscheidt/Kipp 11, § 455 Anm. 31; v. Kübel (Fn 4), jeweils m. w. N. 6 Vgl. bereits Mot. Mugdan 11, S. 447; BGHZ (GS) 18, 149 ff., 156 ff.; 128, 117, 119 f. m. w. N.; RGRK/ Kreft, BGB, § 847 Rn. 7; Lange, Schadensersatz, § 7 IV 2; MünchKomm/ Stein, BGB, § 847 Rn. 3; Staudinger/Schäfer, BGB 12 , § 847 Rn. 8. Eine beachtliche Gegen-

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4. Kap.: Immaterielle Schäden

Aus dieser Doppelfunktion erhellen die für die Bemessung des Schmerzensgeldes relevanten Kriterien: zum einen das Ausmaß der erlittenen Schmerzen. der entgangenen und künftig entgehenden Lebensfreude. zum anderen das Gewicht der Kränkung des Geschädigten 7 • Auf beide Faktoren und damit auf die Höhe des zuzusprechenden Schmerzensgeldes kann sich nachträgliches Wohlverhalten mindernd auswirken 8 .

I. Ausgleichsfunktion und tätige Reue

Bemüht sich der Verletzer nach der Verletzung darum. die Lage des Geschädigten zu erleichtern. so kann er das Ausmaß der entgangenen Lebensfreude und damit die Höhe des immateriellen Schadens von vornherein geringer halten. Ist so ein geringerer immaterieller Schaden entstanden. ist entsprechend weniger Schmerzensgeld zu zahlen 9 • In dem Sachverhalt etwa. der einer Entscheidung des OLG Oldenburg aus dem Jahre 1966 zugrunde lag lO• hatte sich der Schädiger bemüht. dem Geschädigten das Krankenlager so angenehm wie möglich zu gestalten. Der Schädiger veranlaßte seinen Haftpflichtversicherer. dem Geschädigten den Aufenthalt in einer höheren Pflegeklasse zu bezahlen als derjenigen. die dieser im Falle einer schicksalhaften Erkrankung hätte beanspruchen können. Das OLG hielt zutreffend dafür. daß dies Verhalten sich mindernd auf die Bemessung des Schmerzensgeldes auswirke. Doch setzt die Anrechnung solchen nachträglichen Wohlverhaltens nicht notwendig voraus. daß der Schädiger überpflichtgemäße Anstrengungen erbringt. So kann etwa auch ein Kuraufenthalt. der Teil des geschuldeten Schadenersatzes ist. ein Beitrag zur seelischen Wiedergutmachung sein und den immateriellen Schaden gering halten 11 • Doch kann durch nachträgliches Wohlverhalten nicht nur das Ausmaß des laufend neu entstehenden immateriellen Schadens von vornherein klein gehalten wermeinung geißelt den Genugtuungsgedanken indes als .juristischen und kulturellen Atavismus": Hirsch. Engisch-FS. S. 304. 317; vgl. ferner Bötticher, MDR 1963. 353. 358 f.; Eickhoff, S. 83 ff.; Lorenz. S. 102 ff.; RGRK/Kreft. BGB. § 847 Rn. 9 m. w. N. 7 Zu weiteren Kriterien wie etwa den wirtschaftlichen Verhältnissen bei der Parteien vgl. BGHZ 18. 149, 159 f. 8 Gleiches gilt für die spezialgesetzlichen Anspruchsgrundlagen der §§ 26, 29 Abs. 2 AtG; vgl. dazu Haedrich, AtG, §§ 28-30 Rn. 10. Für das verschuldensunabhängige Schmerzensgeld nach §§ 33, 53 Abs. 3 LuftVKG lassen sich indes nur die Ausführungen über die Ausgleichsfunktion entsprechend heranziehen. 9 OLG Oldenburg VersR 1967, 237; Staudinger/Schäfer, BGB I2 , § 847 Rn. 74; RGRK/ Kreft, BGB, § 847 Rn. 50; Lange, Schadensersatz, § 9 III 5 (S. 493 f.). Strittig ist indes, inwieweit die Grundsätze der Vorteilsausgleichung bei der Bemessung des Schmerzensgeldes mit dem immateriellen Schaden in Ausgleich zu bringen sind; vgl. dazu Staudinger/Schäfer, a. a. O. Rn. 76 m. w. N. 10 OLG Oldenburg, VersR 1967,237 (nur Leitsätze). 11 Vgl. BGH VersR 1962,622 f.; LG Stade VersR 1955.

§ 12 Schmerzensgeld

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den. Ebenso läßt sich ein bereits entstandener immaterieller Schaden durch immaterielle Zuwendungen ganz oder zum Teil ausgleichen mit der Folge, daß kein oder ein geringeres - materielles - Schmerzensgeld zu leisten ist. Denn "den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre", also eine Naturalrestitution im engeren Sinne, ist bei immateriellen Schäden grundsätzlich ausgeschlossen 12. Der immaterielle Schaden unterscheidet sich vom gewöhnlichen materiellen Schaden zum einen dadurch, daß er allein auf subjektiven Empfindungen des Verletzten beruht und nicht objektiv meßbar ist; zum anderen läßt sich durchlittenes seelisches Leid nicht rückwirkend, sondern allenfalls für die Zukunft beseitigen. Auch das Schmerzensgeld ist darum "nur" eine billige Entschädigung, nicht aber Schadensersatz im engeren Sinne. Es ist kein Grund ersichtlich, warum diese billige Entschädigung nicht auch in immateriellen Gütern geleistet werden kann. Verletzt etwa ein Jäger einen Jagdgast grob fahrlässig durch einen Fehlschuß, so kann er dessen erlittene Unbill nicht nur durch Geld, sondern etwa auch dadurch ausgleichen, daß er ihn einlädt, weiter sein Gast zu sein, und ihm den Abschuß eines besonders schönen Stückes gestattet: Statt wie gewöhnlich (materiell) in Geld würde die entgangene Lebensfreude (immateriell) durch das Verschaffen zusätzlicher Lebensfreude kompensiert. Umgekehrt kann ein unkooperatives Verhalten bei der Schadensregulierung sich erhöhend auf den Schmerzensgeldanspruch auswirken, sofern dieses Verhalten eine zusätzliche Belastung des Geschädigten darstellt 13 • Dabei muß der Schädiger sich das Verhalten seiner Haftpflichtversicherung zurechnen lassen, weil er sich ihrer wie eines Erfüllungsgehilfen zur Regulierung des Schadens bedient l4 • 11. Genugtuungsfunktion und tätige Reue

Auch auf den zur Genugtuung erforderlichen Schmerzensgeldanteil kann sich nachträgliches Wohlverhalten mindernd auswirken l5 . Die Höhe des Genugtuungsanteils richtet sich nach dem Ausmaß der Kränkung des Geschädigten 16. Die Krän12 Vgl. Staudinger/Schäfer; BGB I2 , § 847 Rn. 2; eine anerkannte Ausnahme stellt die Ehrverletzung dar, die ganz oder zumindest teilweise durch den Widerruf der ehrverletzenden Behauptung wiedergutgemacht werden kann; siehe dazu unten § 13. 13 Ständige Rspr.; vgl. BGH VersR 1960,401,403; 1967,256,257; 1970, 134, 135; NJW 1973,851,853; OLG Nürnberg VersR 1997,502,503; ll08, ll09. Ebenso RGRK/Kreft, BGB, § 847 Rn. 49; Staudinger/Schäfer; BGB 12, § 847 Rn. 72. Kritisch Honsell, VersR 1974, 205, 206. 14 Vgl. BGH VersR 1964, ll03, ll04 f. Auf ein eigenes Verschulden des Schädigers kommt es deshalb nicht an. IS Insbesondere für das Schmerzensgeld bei der Verletzung des allgemeinen Persänlichkeitsrechts ist anerkannt, daß das Bedürfnis nach Genugtuung durch eine Entschuldigung, durch einen Widerruf oder durch den Abdruck einer Gegendarstellung, sofern diese unverzüglich und unkompliziert erfolgt, verringert wird; dazu sogleich in § 13. 16 Zu weiteren Kriterien wie etwa den wirtschaftlichen Verhältnissen beider Parteien vgl. BGHZ 18, 149, 159 f.

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4. Kap.: Immaterielle Schäden

kung kann durch nachträgliches Wohlverhalten des Schädigers abnehmen, wie etwa dadurch, daß der Schädiger sich entschuldigt, sich um einen Ausgleich mit dem Verletzten oder auch darum bemüht, dessen Lage so erträglich wie möglich zu gestalten 17 • Läßt die Kränkung infolge des nachträglichen Wohlverhaltens nach, so mindert sich das Maß der erforderlichen Genugtuung entsprechend. Wie das Entstehen der Kränkung, ist auch ihr Nachlassen aus objektiver Sicht zu beurteilen. Es kommt auf das Empfinden eines verständigen Rechtsgenossen an; persönliche Überempfindlichkeiten sind nicht zu berücksichtigen 18 . Das nachträgliche Verhalten des Schädigers kann die erlittene Kränkung freilich auch verstärken. Beleidigt etwa der Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherung den Verletzten im Rahmen des Schadensersatzprozesses, führt dies entsprechend zu einer Erhöhung des SChmerzensgeldes 19•

III. Ergebnis Nachträgliches Wohlverhalten kann sich auf mindernd auf die Höhe des Schmerzensgeldes auswirken. Bemüht der Schädiger sich darum, die Lage des Verletzten zu erleichtern, wird das Ausmaß der entgangenen Lebensfreude gering gehalten; verhilft er ihm zu besonderen immateriellen Vergnügungen, so können auch diese eine bereits erlittene Unbill ganz oder wenigstens zum Teil ausgleichen. Beides führt dazu, daß weniger Schmerzensgeld zum Ausgleich entgangener Lebensfreude zu zahlen ist. Zeigt der Schädiger Reue, bemüht er sich um einen Ausgleich mit dem Verletzten und eine Erleichterung seiner Lage, so verringert sich das Ausmaß der Kränkung und dadurch auch die Höhe des zur Genugtuung erforderlichen Schmerzensgeldes.

17 Vgl. zum Fortfall der Kränkung wegen nachträglichen Wohlverhaltens bereits oben §§ 7 III. 2. a); 8 111. 2. b); 9 III. 1. b); 10 11.2. a). 18 Kritisch Eickhoff, S. 78 ff., der meint, daß subjektive Lebenshemmungen nur vom Subjekt selbst behoben werden können und hieraus folgert, daß Dritte über Art und Maß der erforderlichen Genugtuung nicht urteilen können. Wenn dieser Einwand in psychologischer Hinsicht auch richtig sein mag, so führt er doch zivilrechtlich nicht weiter. Das Prinzip des Verkehrsschutzes verlangt danach, die Höhe vermögensrechtlicher Ansprüche nach verallgemeinerbaren und nicht nach subjektiven Kriterien zu beurteilen. 19 Vgl. KG VersR 66,345,346; Prinz, NJW 1996,953,955; StaudingerlSchäfer; 808 12 , § 847 Rn. 71.

§ 13 Schmerzensgeld wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts

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§ 13 Schmerzensgeld wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts "Geld und Ehre gehen nicht in denselben Sack" postulieren die Gegner der pekuniären Entschädigung bei Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und berufen sich dabei auf Schopenhauer 1• Ähnlich empfanden noch die Väter des BGB. Als sie den heutigen § 253 BGB schufen, stützen sie sich auf eine "in den besseren Volkskreisen" vertretene Anschauung, der es widerstrebe, immateriellen Schaden mit Geld aufzuwiegen 2 . Ganz anders sehen es heute die Rechtsprechung und die herrschende Auffassung im Schrifttum: Schmerzensgeld kann nun entgegen der Regel des § 253 BGB auch bei Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gefordert werden 3 . Anfangs mit einer angreifbaren Analogie zu § 847 BGB begründet4 , wird der Anspruch heute auf § 823 BGB gestützt und mit einer grundrechtlich gebotenen Einschränkung des § 253 BGB gerechtfertigt 5 . Diese Einschränkung ist angesichts der Gefährdungen der Persönlichkeit durch die modernen Massenmedien unumgänglich, um einen wirkungsvollen Schutz des in Art. I, 2 GG verankerten allgemeinen Persönlichkeitsrechtes zu gewährleisten. Anwendungsfälle sind zumeist Bloßstellungen und Herabsetzungen des Einzelnen in der Öffentlichkeit durch die Massenmedien, die durch eine falsche, ehrverletzende oder irreführende Berichterstattung hervorgerufen werden. Um eine Ausuferung solch immaterieller Schadensersatzansprüche zu vermeiden, billigt die Rechtsprechung ein Schmerzensgeld wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts jedoch nur zu, wenn der Eingriff schwerwiegend war, einen erheblichen Schaden verursacht hat und ein Ausgleich des immateriellen Schadens auf andere Weise nicht möglich oder nicht ausreichend ist6 • Das Schmerzensgeld wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts soll - wie das Schmerzensgeld aus § 847 BGB - dem Opfer zunächst Ausgleich 7 Zitat bei RGRK/Dunz, BGB, § 823 Anh. I Rn. 141. Prot. Mugdan II, S. 517; vgl. ferner Mot. Mugdan II, S. 12. 3 Schon mit der römischrechtIichen aetio iniuriarum konnte Buße für eine eontumelia, eine Mißachtung der Person gefordert werden. Fonnen dieser Mißachtung waren u. a. die öffentliche Schmähung und insbesondere das Herausgeben verleumderischer oder ehrrühriger Schriften; vgl. I. 4, 4, 1; Vip. D 47, 10, 15, §§ 2 ff.; 27 ff.; Kaser, RPr I, § 145 m. w. Beispielen. 4 So der BGH in der berühmten Herrenreiter-Entscheidung vom 14. 2. 1958, BGHZ 26, 349,356; ferner BGHZ 30, 7,17 f. Kritisch Larenz NJW 1954,827,828; Löffler, NJW 1962, 225 ff.; Honsell, VersR 1974,205 ff. (Fn. 16). 5 Grundlegend BVerfGE 34, 269, 292 (Soraya); ferner BGHZ 35, 363, 367 f. (Ginseng); 39, 124, 131 (Fernsehansagerin); 128, I, 15 (Caroline von Monaco); dazu auch Staudinger/ Sehiifer, BGB 12 , § 847 Rn. 141, 145 m. w. N. 6 Vgl. BGHZ 132,13,27; Wenzel, Rn. 14.95; Staudinger/Schäfer, BGB l2 , § 847 Rn. 146, jeweils m. w. N. 7 So Prinz, NJW 1996,953,955; Wenzel, Rn. 14.134. 1

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4. Kap.: Immaterielle Schäden

für die erlittene Seelenpein sowie Genugtuung8 für die erfahrene Kränkung verschaffen. Darüber hinaus dient das Schmerzensgeld wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts aber auch der Abschreckung. Es soll insbesondere die Medien davor abhalten, Persönlichkeitsverletzungen überhaupt zu begehen9 . Ebenso wie auf das Schmerzensgeld nach § 847 BGB kann tätige Reue sich auf das Schmerzensgeld wegen einer Persönlichkeitsverletzung mindernd auswirken. Wenn etwa das verantwortliche Presseorgan unverzüglich eine presserechtliche Gegendarstellung ohne abschwächende Zusätze, eine Richtigstellung oder einen WiderruflO abdruckt, wird sowohl die Beeinträchtigung durch die öffentliche Bloßstellung gering gehalten 11 als auch dem Verletzten Genugtuung verschafft l2 . Letzteres kann auch durch eine freiwillige Entschuldigung des Presseorgans bei dem Geschädigten geschehen 13. Solche Wiedergutmachungshandlungen mindern den immateriellen Schaden - also die durch die öffentliche Bloßstellung erfahrene Unbill und die Kränkung durch das Presseorgan - und damit die Höhe eines angemessenen Schmerzensgeldes l4 . Da eine schwere Beeinträchtigung der Persönlichkeit jedoch bereits Tatbestandsvoraussetzung ist, kann nachträgliches Wohlverhalten den Schmerzensgeldanspruch nur selten ganz ausschließen: aliquid semper haeret. Dies belegen nahezu alle einschlägigen Entscheidungen l5 . Entfallen kann der Anspruch allein dann, wenn das Verschulden des Schädigers gering oder die Auswirkungen der Verletzungshandlung unbedeutend gewesen sind. So lag es in einem Fall, den das OLG Stuttgart 8 BGH NJW 1996, 984, 985; BGHZ 128, 1, 15; RGRK/Dunz. BGB, Anh. 1 zu § 823, Rn. 142; Koebel JZ 1967, 320, 321. Nach der Rechtsprechung steht der Genugtuungsgedanke hier anders als bei § 847 BGB im Vordergrund: eine m. E. unangebrachte Beschränkung, da die Gewichtung von Seelenpein und Kränkung allein davon abhängt, ob bei der verletzten Person das Anstands- oder das Ehrgefühl überwiegt. 9 BGHZ 35,363,367; 39, 124, 133; 78, 24, 28; 128, 1,15; BGH NJW 1996,984,985. Dies Funktion gewinnt angesichts des immer harten Wettbewerbes auf dem Zeitschriftensektor zunehmend an Bedeutung. Denn der Wettbewerb verführt vielfach dazu, mit wenig seriösen Berichten Auflage "um jeden Preis" zu machen. 10 Ob ein Widerruf, selbst wenn er erst auf ein Urteil hin erfolgt, zur Behebung der Persönlichkeitsverletzung bereits ausreicht, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, vgl. BGH NJW 1970, 1077, 1078; BGH NJW 1995, 861, 864 m. w. N. Nicht sachgerecht ist es, die Frage wie Wenzel, Rn. 14.114, pauschal zu bejahen oder wie MünchKomm/Schwerdtner, BGB, § 12 Rn. 294, pauschal zu verneinen. 11 BGH NJW 1995, 861, 864; Prinz, NJW 1995, 817, 820; ders., NJW 1996,953,955. Vgl. ferner BGH NJW 1963,904,905; BGH NJW 1965,685,686; 2395, 2396; BGH GRUR 1969,147,150; OLG Stuttgart, NJW 1983, 1204, 1205. 12 Vgl. G. Müller, VersR 1993,909,916; BGH NJW 1965,685,686; Staudinger/Schäfer, BGB I2 , § 847 Rn. 150, 163 und die Nachweise in vorstehender Fußnote. Kritisch NeumannDuesberg, FS Roeber I, S. 403, 407 ff. 13 So Staudinger/Schäfer, BGB 12 , § 847 Rn. 150. 14 BGH NJW 1995,861; Prinz. NJW 1995,817,820; ders., NJW 1996,953,955; Staudinger/Schäfer, BGB I2 , § 847 Rn. 163. 15 Vgl. die Nachweise in Fn. 11 und 12.

§ 13 Schmerzensgeld wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts

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1982 zu entscheiden hatte l6: Der Kläger hatte dem beklagten Verlag ein Photo für eine Reportage über "Sauna-Betriebe" zur Verfügung gestellt. Das Photo zeigte den Kläger zusammen mit zwei weitgehend unbekleideten Damen in einem Schaumbad. Der Verlag veröffentlichte das Bild indes in einem Bericht über staatsanwaltliche Ermittlungen gegen den "Sauna-König" R. wegen Förderung der Prostitution und ausbeuterischer Zuhälterei. Unter dem Photo befand sich der Text: "Schaumbad mit zwei Mädchen - dagegen hat der Staatsanwalt nichts. Nur wenn die Mädchen dazu noch Liebesdienste leisten müssen ... ". Auf Veranlassung des Klägers druckte der Verlag vier Wochen später eine Berichtigung ab, in der er klarstellte, daß das Bild in einem anderen Zusammenhang aufgenommen worden sei und daß der Abgebildete mit den inkriminierten Verhaltensweisen nichts zu tun habe. Auch gab der Verlag seinem Bedauern über das Mißverständnis Ausdruck. Das OLG Stuttgart stellt dazu fest, daß die Zahl der Leser, bei denen ein Mißverständnis zum Nachteil des Klägers entstanden sei, ausgesprochen gering sei und führt schließlich aus: ,,zum Ausgleich dieser geringen Beeinträchtigung hat der Beklagte zudem nachträglich eine KlarsteIlung veröffentlicht, so daß alles in allem die objektiven Voraussetzungen für einen Schmerzensgeldanspruch verneint werden müssen,,17. Die Abschreckungsfunktion des Schmerzensgeldes wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeits rechtes steht der Belohnung tätiger Reue grundsätzlich nicht entgegen. Zwar kann die Aussicht, den Schadensersatzanspruch wegen Verletzung der Persönlichkeit durch alsbaldige Wiedergutmachungshandlungen zu mindern, die Abschreckungswirkung des Schmerzensgeldes verkürzen. Doch wird diese Verkürzung im Regelfall durch das Interesse des Verletzten aufgewogen, die Auswirkungen der Verletzung durch die baldige Veröffentlichung einer Gegendarstellung, einer Berichtigung oder eines Widerrufs gering zu halten. Hinzukommt, daß derjenige, der freiwillig eine Gegendarstellung, eine Berichtigung oder gar einen Widerruf druckt, kein so schlechtes Beispiel gibt, daß aus generalpräventiven Gründen eine unverminderte Durchsetzung des Schmerzensgeldanspruchs erforderlich wäre. Eine Ausnahme ist nur bei Wiederholungsgefahr zu machen: Läßt sich aus dem bisherigen Verhalten des Schädigers schließen, daß er aus Gewinnerzielungsabsicht wahrscheinlich weitere Verstöße begehen wird, so ist ein besonderer Beugungseffekt erforderlich. Um diesen zu erreichen, dürfen Wiedergutmachungshandlungen nicht mindernd berücksichtigt werden l8 . Andernfalls würde man dem Schädiger erlauben, ein auflagen steigerndes und lukratives Wechselspiel zwischen Verletzung und Wiedergutmachung zu betreiben, und die Abschreckungsfunktion liefe leer.

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OLG Stuttgart NIW 1983, 1204 f.; ähnlich BGH GRUR 1970, 370, 372 (Nachtigall). OLG Stuttgart NIW 1983, 1204, 1205. Vgl. Prinz, NJW 1996,953,955.

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4. Kap.: Immaterielle Schäden

§ 14 Schmerzensgeld wegen Verletzung des Urheberpersönlichkeitsrechts, § 97 Abs. 2 UrhG Die schuldhafte Verletzung des Urheberrechts verpflichtet nicht allein zum Ersatz des materiel1en Schadens, der dem Urheber aus der Verletzung elWächst (§ 97 Abs. 1 UrhG). Verfasser wissenschaftlicher Ausgaben, Lichtbildner und ausübende Künstler können zudem auch wegen ihres Nichtvennögensschadens eine Entschädigung in Geld verlangen, "wenn und soweit es der Billigkeit entspricht", § 97 Abs. 2 UrhG. Hinter diesem besonderen Ersatzanspruch steht der geschichtlich gewachsene Gedanke I , daß den Urheber mit seinem Werk nicht nur materiel1e Interessen - also Verwertungsrechte -, sondern auch immateriel1e Interessen verbinden: Das Werk ist Ausdruck des Denkens und Fühlens, des Temperaments und des Stils des Urhebers. Es ist als sein geistiges Kind Ausdruck und Abbild seiner Persönlichkeit. Dieses Verhältnis des Urhebers zu seinem Werk schützt das Urheberpersönlichkeitsrecht als immateriel1er Teil des Urheberrechts. Das Urheberpersönlichkeitsrecht läßt sich als Ergänzung 2 oder als speziel1e Ausprägung 3 des al1gemeinen Persönlichkeitsrechts begreifen. Das Urheberpersönlichkeitsrecht umfaßt etwa das Recht zu bestimmen, ob und wie das Werk veröffentlicht wird, § 12 UrhG; es umfaßt das Recht auf Anerkennung der Urheberschaft, § 13 UrhG, und insbesondere das Recht, die Entstel1ung und andere Beeinträchtigungen des Werkes zu verbieten, § 14 UrhG. Der Schadensersatz wegen Verletzung des Urheberpersönlichkeitsrechts dient denselben Zwecken wie der Schadensersatz wegen Verletzung des al1gemeinen Persönlichkeitsrechts4 : Erstens sol1 dem Urheber Genugtuung widerfahren für die Kränkung, die er durch die Gefährdung seiner Interessen, seines Ansehens und durch die Mißachtung seiner Entschließungsfreiheit erfahren hat 5 • Zweitens sol1 der seelische Schmerz ausgeglichen werden, der von der Gefährdung oder Schädigung des künstlerischen Ansehens ausgeht. Bemessungskriterien für die Höhe des Schadensersatzes sind darum unter anderem 6 die Tragweite des Eingriffs, also die Nachhaltigkeit der Interessen- und Rufschädigung, und das Ausmaß der Kränkung des Urhebers 7. Drittens sol1 vor Verletzungen des Urheberpersönlichkeitsrechts abgeschreckt werden 8 . Zur historischen Entwicklung des Urheberrechts siehe Hubmannl Rehbinder, § 3. So FrommlNordemann, UrhG, Vor § 12 Rn. 9. 3 So MöhringlNicolini, UrhG, § 1 Anm. 5 b cc; Kleine, GRUR 1971,527. 4 Bei der Schaffung des UrhG ließ sich der Gesetzgeber von der Rechtsprechung zum Schmerzensgeld wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts leiten; vgl. dazu die Begründung zu § 107 des RegE, BT-Drs. 4/270, S. 103 f. S Vgl. KG UFITA 59 (1971), 279, 284 f. 6 Des weiteren spielen Anlaß und Beweggrund des Handeins, der Verschuldensgrad, die Abschreckungswirkung und der künstlerische Rang des Verletzten eine Rolle; vgl. dazu FrommlNordemann, UrhG, § 97 Rn. 47 ff. 7 Vgl. BGH GRUR 1966,570,571; 1971,525,526; 1972,97, OLG Frankfurt GRUR 1964,561,562; FrommlNordemann, UrhG, § 97 Rn. 47 ff. 1

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§ 15 Schadensersatz wegen verdorbenen Urlaubs

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Hieraus erhellt, daß sich tätige Reue grundsätzlich ebenso wie bei der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auf die Höhe des Ersatzanspruches mindernd auswirken kann. Voraussetzung ist wiederum, daß sie geeignet ist, den erlittenen Seelenschmerz oder die Kränkung gering zu halten, zu mildem oder auszugleichen. Dies kann vor allem geschehen, indem man durch zeitige Richtigstellungen Rufschädigungen so weit wie möglich begrenzt. Die Veröffentlichung entstellender Varianten des Werkes etwa gefährdet Ruf und Ansehen des Urhebers9 . Veröffentlicht der Verletzer eine Richtigstellung, aus der hervorgeht, daß die entstellende Publikation des Werkes nicht mit Wissen und Wollen des Urhebers geschah, so kann durch diese Richtigstellung die Schädigung des Rufs des Urhebers verhindert oder auch zum Teil beseitigt werden. Hierdurch mindert sich sowohl das Ausgleichsbedürfnis als auch das Bedürfnis nach Genugtuung lO, so daß ein etwaiger Schadensersatzanspruch niedriger ausfällt. Wird dem Urheber die Anerkennung seiner Urheberschaft verweigert oder die Entscheidungsfreiheit des Künstlers mißachtet 11, indem sein Werk trotz eines Verbotes veröffentlicht wird, so kann die dadurch erlittene Kränkung zumindest zum Teil mit einem nachträglichen Anerkenntnis und einer freiwilligen Entschuldigung gemindert werden. In der überwiegenden Zahl der Fälle wird nachträgliches Wohlverhalten hingegen ungeeignet sein, die Interessen- oder Rufschädigung des Urhebers auszugleichen. Anders als das allgemeine Persönlichkeitsrecht wird das Urheberpersönlichkeitsrecht nicht regelmäßig in periodischen Druckwerken verletzt. Dadurch sind die Möglichkeiten geringer, mit einer Richtigstellung dieselben Personen zu erreichen, die auch von der Beeinträchtigung erfahren haben. Die Beeinträchtigung des Ansehens des Urhebers ist schwieriger auszugleichen.

§ 15 Schadensersatz wegen verdorbenen Urlaubs, § 651 f. Abs. 2 BGB Auch für die Höhe eines angemessenen Schadensersatzes wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit, § 651 f. Abs. 2 BGB, kann nachträgliches Wohlverhalten von Bedeutung sein. Die Vorschrift wurde als Teil des Reisevertragsgesetzes von 1979 aufgrund einer Richtlinie der Europäischen Gemeinschaften in das BGB eingefügtl. Sie dient KG UFITA 59 (1971), 279, 284 f.; Fromm/ Nordemann, UrhG, § 97 Rn. 55. Vgl. BGH GRUR 1971,525 ff. (Petite Jacqueline). 10 Kritisch Neumann-Duesberg, FS Roeber I, S. 403, 407 ff., der dafürhält, daß ein Widerruf dem Verletzten Genugtuung kaum zu verschaffen vermag, insbesondere dann, wenn er erst auf gerichtliche Anordnung erfolgt. 11 Vgl. OLG Hamburg GRUR 1990, 36. 8

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12 KnOteI

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4. Kap.: Immaterielle Schäden

nach der zutreffenden herrschenden Meinung dem Ersatz eines immateriellen Schadens, und zwar dem Ersatz nutzlos, also erholungsarm, verbrachten Urlaubs 2 . Der Anspruch hat eine Ausgleichsfunktion, ebenso wie der Schmerzensgeldanspruch (§ 847 BGB). Aus dieser Funktion erhellt, daß nachträgliches Wohlverhalten sich zunächst dort mindernd auf die Bemessung des Schadensersatzanspruches auswirkt, wo es das Maß der entgangenen Urlaubsfreude und damit den immateriellen Schaden gering gehalten hat: So etwa, wenn der Urlaub wegen Baulärms in dem gebuchten Hotel erheblich beeinträchtigt wurde, doch bald eine Umquartierung in eine adäquate Herberge gelang und der Resturlaub störungsfrei verlief. Hier ist nur ein geringer Teil der Urlaubszeit nutzlos aufgewendet worden, so daß für die störungsfrei verbrachte Resturlaubszeit kein Schadensersatz verlangt werden kann 3 . Darüber hinaus ist anzunehmen, daß eine Beeinträchtigung am Anfang des Urlaubs durch überpflichtgemäße Leistungen des Reiseveranstalters in der Folgezeit wieder ganz oder zum Teil ausgeglichen werden können: so etwa, wenn der Swimmingpool unbenutzbar ist und den Reisenden deshalb gestattet wird, besondere Fitneß-Einrichtungen unentgeltlich zu nutzen. Dem Geschädigten werden durch solche Leistungen immaterielle Vorteile verschafft, die die Beeinträchtigung ganz oder wenigstens teilweise ausgleichen können. Sie sind im Wege immaterieller Vorteilsausgleichung zu berücksichtigen und auf den erlittenen Schaden anzurechnen4 • Entschuldigungen des Reiseveranstalters für die Reisemängel hingegen haben, anders als beim Schmerzensgeld, keine mindernde Auswirkung auf die Höhe der Entschädigung. Denn der Ausgleichsanspruch des § 651 f. Abs. 2 BGB hat im GeVgl. nur Palandt/Sprau, BGB, vor § 651 a Rn. 1. Vgl. LG Frankfurt, BB 1988,2339,2340; Staudinger/Medicus, BGB 12 , § 253 Rn. 47; Soergel/ Mertens, BGB, § 249 Rn. 134; StolI, JZ 1975, 252, 254; Lange, Schadensersatz, § 6 XIV 4 (S. 396) m. w. N. Die Gegenmeinung, die auch den Schaden nach § 651 f. Abs. 2 BGB für einen Vermögensschaden erachtet, beruft sich darauf, daß der Gesetzgeber lediglich die bisherige Rechtsprechung festschreiben wollte, die den Urlaubsgenuß als kommerzialisiert ansah und so Schadensersatz wegen verdorbenen Urlaubs trotz § 253 BGB zusprach; vgl. MünchKomm/Grunsky, BGB, vor § 249 Rn. 30 a; Soergel/Mühl, BGB, § 651 f. Rn. 6; LG Frankfurt NJW 1983, 1127, 1128. Doch wird ein tatsächlicher Nichtvermögensschaden auch kraft Gesetzes nicht zum Vermögensschaden. Überdies steht die Minderheitsmeinung im systematischen Widerspruch zu § 651 f. Abs. 1 BGB; vgl. zur Kritik eingehend W Müller, S. 162 f. m. w. N. 3 Selbst dem zwangsweise zu Hause verbrachten sog. ,,Balkonurlaub" mißt die Rechtsprechung noch einen Resterholungswert zu, der als Schadensminderungsposten mit einer Quote berücksichtigt wird; vgl. BGHZ 77,116,122 m. w. N.; BGH NJW 1983,35,37; 218, 219. So richtig dies im Ergebnis ist, muß doch die dogmatische Einordnung des Balkonurlaubes als Schadensminderungsposten verwundern. Da die "nutzlos aufgewendete Urlaubszeit" der Schaden und damit bereits Anspruchsvoraussetzung ist, ist durch den Balkonurlaub der Schaden lediglich geringer gehalten, nicht aber nachträglich gemindert worden. 4 Zur immateriellen Vorteilsausgleichung bei § 847 BGB siehe Staudinger/Schäjer, BGB 12, § 847 Rn. 76 m. w. N. 1

2

§ 15 Schadensersatz wegen verdorbenen Urlaubs

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gensatz zu § 847 BGB keine Genugtuungsfunktion5 . Er dient dem Reiseveranstalter weder zur Buße noch zur Strafe und soll kein gekränktes Rechtsgefühl des Reisenden besänftigen. Eine solche Funktion wäre im Vertragsrecht singulär6 ; für sie besteht kein Bedürfnis. Daß § 651 f. Abs. 2 BGB bloß immaterielle Schäden ersetzen, nicht Genugtuung verschaffen soll, spiegelt schließlich der Grundsatz wider, daß der Verschuldensgrad des Reiseveranstalters für die Höhe des Schadensersatzes ohne Bedeutung ist7 •

5. So aber - ohne Begründung - MünchKomm/Tonner; BGB, § 651 f. Rn. 45. Dagegen mit Recht W. Müller; S. 165; Erman/Seiler; BGB, § 651 f. Rn. 9; LG Frankfurt NJW RR 1988, 1451,1453. 6 Vgl. Lange. Schadensersatz, § 6 XIV 4 (S. 393). 7 So die zutreffende h. M.; vgl. Erman/Seiler; BGB, § 651 f. Rn. 9; W. Müller; S. 164 f. A. A. OLG Düsseldorf NJW RR 1986, 1175. Auch § 18 Abs. 2 S. 2 des 1. RegE zum Reisevertragsgesetz, vgl. BT-Drs. 8/786, S. 30, hielt das Verschulden des Reiseveranstalters für maßgebend. Doch stütze die Regelung sich in auf die zu § 847 BGB anerkannten Grundsätze - in offenbarer Verkennung der grundsätzlichen Unterschiede zwischen Vertragshaftung und Schmerzensgeld.

12·

5. Kapitel

Ergebnisse § 16 Zusammenfassung Die Untersuchung hat gezeigt, daß sich tätige Reue auf die Folgen der Verletzung zivilrechtlicher Pflichten und Obliegenheiten in zahlreichen Fällen günstig auswirken kann. Im ersten Kapitel ergab sich, daß Gestaltungsrechte, die dem Gläubiger aus Verletzung vertraglicher Pflichten durch den Schuldner erwachsen waren - wie etwa dem Verzug oder der Schlechtleistung -, grundsätzlich wieder entfallen, wenn der Schuldner sich nachträglich pflichtenkonfonn verhält und den Verzug bereinigt!. Voraussetzung ist, daß der Gläubiger nicht infolge der Pflichtverletzung sein Interesse am Leistungsaustausch verloren hat. In einigen Fällen ist die Bereinigungsmöglichkeit ausdrücklich im Gesetz angeordnet (§§ 554 BGB, 19 Abs. 2 WEG, 39 Abs. 3 S. 1,3 VVG), in den übrigen folgt sie aus einer interessengerechten Auslegung der Nonn (§§ 455, 542 Abs. 1,626 Abs. 1,634 Abs. 1 BGB; 12 Abs. I, 13 Abs. 1 VerbrKrG). Anderes gilt aus diesem Grunde in den Fällen der §§ 286 Abs. 2, 326 Abs. 2, 542 Abs. 1 S. 3, 634 Abs. 2 BGB, in denen bereits der Tatbestand den Fortfall des Interesses voraussetzt: Hier kann der Schuldner das verzugs- oder verzögerungsbedingt entstandene Gestaltungsrecht nicht mehr zu Fall bringen, indem er das Geschuldete nachträglich anbietet. Doch trifft den Gläubiger eine Infonnationspflicht darüber, daß sein Interesse an der Leistung weggefallen ist. Verletzt er diese, begeht er eine positive Forderungsverletzung und ist verpflichtet, dem Schuldner einen etwaigen hieraus erwachsenen Vertrauensschaden zu ersetzen. Auch die Gestaltungsrechte aus §§ 326 Abs. 1,361 BGB, 25 DepotG kann der Schuldner dem Gläubiger durch ein nachträgliches Angebot nicht mehr aus der Hand schlagen. Bei § 326 Abs. 1 BGB steht der Wortlaut, bei § 361 BGB die Partei abrede und bei § 25 DepotG der Zweck der Nonn entgegen. Darüber hinaus kann der Schuldner den Verfall der für die Nichterfüllung versprochenen Vertragsstrafe (§ 339 S. 1 1. Alt. BGB) bereinigen und das Rücktrittsrecht aus einer Verfallklausel (§ 360 BGB) durch ein nachträgliches Angebot ab-

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Siehe § 1.

§ 16 Zusammenfassung

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wehren, vorausgesetzt, der Gläubiger hat nicht infolge des Verzuges sein Interesse am Vertrag verloren. Auch der Gläubiger kann die Rechtsfolgen des Gläubigerverzuges durch nachträgliche Annahmebereitschaft teilweise rückgängig machen. So fällt die Leistungsgefahr des Gattungsschuldners, die gemäß § 300 Abs. 2 BGB auf den Gläubiger übergegangen war, wieder auf den Schuldner zurück, wenn der Gläubiger das Versäumte nachholt und der Schuldner in zu vertretener Weise nicht leistungsbereit gewesen ist 2 . Weiter können auch Kündigungsrechte, die dem Gläubiger aus einer Schlechtleistung des Schuldners oder der Verletzung vertraglicher Nebenpflichten erwachsen waren (§§ 626 Abs. 1,542 Abs. 1 S. 1,634 Abs. 1 BGB; pVV), grundsätzlich infolge nachträglichen Wohlverhaltens wieder erlöschen, wenn der Schuldner den jeweiligen Mangel behebt oder sein Verhalten bessert und dadurch die Unzumutbarkeit, den Vertrag fortzusetzen, behoben wird. Anders auch hier, wenn der Gläubiger sein Interesse an der weiteren Durchftihrung des Vertrages bereits verloren hatte 3 . Ferner kann sich der Versicherer nicht auf seine Leistungsfreiheit wegen einer Obliegenheitsverletzung des Versicherungsnehmers berufen, wenn diese seine, des Versicherers, Interessen nicht ernsthaft gefährdet hat. Im zweiten Kapitel hat sich gezeigt, daß auch Sanktionen, die auf die Verletzung gesetzlicher Obliegenheiten gesetzt sind, durch nachträgliches Wohlverhalten ausgeräumt werden können. So kann der Erbe der unbeschränkte Haftung wegen Inventaruntreue (§ 2005 BGB) entgehen, wenn er das unvollständig errichtete Inventar freiwillig ergänzt und wenn der wahre Umfang des Nachlasses noch festgestellt werden kann4 • Der Insolvenzschuldner kann den Ausschluß der Restschuldbefreiung wegen einer Obliegenheitsverletzung (§§ 290, 296 InsO) abwenden, indem er die Obliegenheit nachträglich erfüllt, vorausgesetzt, die Befriedigung der Insolvenzgläubiger wurde durch die Verspätung nicht beeinträchtigt5 . Nur der Finder, der seine Anzeigepflicht verletzt und dadurch den Anspruch auf Finderlohn verwirkt hat (§ 971 BGB), kann diesen nicht wiederbegründen, indem er die Anzeige nachholt6 • Zwar ist dieser endgültige Ausschluß wenig sachgerecht, doch läßt die gesetzliche Regelung eine andere Auslegung nicht zu. Die Untersuchungen im dritten Kapitel haben deutlich gemacht, daß auch die Verletzung sittlicher Pflichten in gewissem Umfang wiedergutgemacht werden kann. Hat der Berechtigte einen Unterhaltsanspruch ganz oder zum Teil durch ein Verhalten verwirkt, das die Unterhaltsleistung für den Verpflichteten objektiv oder 2 3 4

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Siehe § 2. Siehe § 3. Siehe § 5. Siehe § 6. Siehe § 4.

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5. Kap.: Ergebnisse

subjektiv unzumutbar gemacht hat (§§ 1579, 1361, 1611 BGB), so kann der Unterhaltsanspruch wiederaufleben, wenn es nach dem Dafürhalten eines billig und gerecht denkenden Dritten angesichts der tätigen Reue nicht mehr objektiv oder subjektiv unzumutbar ist, Unterhalt zu gewähren 7 • Das Widerrufsrecht des Schenkers wegen groben Undanks (§ 530 BGB) kann entfallen, wenn der Beschenkte dem Schenker durch sein nachträgliches Wohlverhalten jeden Anlaß genommen hat, weiterhin gekränkt zu sein, wenn es also nicht mehr subjektiv unzumutbar ist, dem Beschenkten die Zuwendung zu belassen8 . Gleiches gilt für den Pflichtteilsberechtigten: Auch dieser kann grundsätzlich das Pflichtteilsentziehungsrecht des Erblassers (§§ 2333 ff. BGB) zu Fall bringen, wenn er, der Berechtigte, seine Pflichtteilswürdigkeit nachträglich wiederhergestellt und dadurch der Kränkung des Erblassers den Boden entzogen hat9 • Vom Sonderfall der §§ 2333 Nr. 5, 2336 Abs. 4 BGB - dem Führen eines ehrlosen oder unsittlichen Lebenswandels - abgesehen, ist dies angesichts der Schwere der Verwirkungstatbestände indes nur in Ausnahmefällen möglich. Des weiteren ist auch die Erbunwürdigkeit nicht notwendig endgültig. Deren Hauptzweck ist es, Verdunklungen des letzten Willens auszugleichen und dem mutmaßlichen Erblasserwillen zur Geltung zu verhelfen. Ist der letzte Wille infolge des nachträglichen Wohlverhaltens nicht mehr verdunkelt, so entfällt grundsätzlich auch die Erbunwürdigkeit (§ 2339 BGB)IO. Dies ist insbesondere in Fällen anzunehmen, in denen die Beeinträchtigung des Erblasserwillens nachträglich entfallen ist, der Erblasser seine willensmangelhaft errichtete Verfügung jedoch geflissentlich aufrecht erhalten hat. Tätige Reue kann schließlich zur Beschränkung oder auch zum völligen Wegfall immaterieller Schadensersatzansprüche führen, wie sich im vierten Kapitel herausgestellt hat (§§ 651 f., 847 BGB; 97 UrhG, Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts)ll. Bemüht der Schädiger sich nachträglich darum, die Lage des Verletzten zu erleichtern und die Auswirkungen der Verletzung von vornherein gering zu halten, so entsteht entweder ein geringerer immaterieller Schaden oder dieser wird bereits ganz oder teilweise durch immaterielle Vorteile ausgeglichen.

§ 17 Schlußbetrachtung Wir haben uns in unserer Untersuchung der Auswirkungen nachträglichen Wohlverhaltens auf die Folgen der Verletzung zivilrechtlicher Pflichten und ObliegenSiehe oben §§ 7, 8. Siehe oben § 9. 9 Siehe oben § 10. 10 Siehe oben § 11. 11 Siehe oben §§ 12-15. 7

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§ 17 Schlußbetrachtung

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heiten besonders am Zweck der jeweiligen Norm oder Abrede orientiert. Vor allem der Zweck entscheidet darüber, ob und gegebenenfalls wie nachträgliches Wohlverhalten zu belohnen ist. Es lassen sich bei den untersuchten Normen und Rechtsinstituten drei Hauptzwecke und damit drei Gründe unterscheiden, derentwegen nachträgliches Wohlverhalten zu belohnen ist: Hauptzweck der ersten Gruppe ist es, Unzumutbarkeiten für den jeweils Verpflichteten zu vermeiden. Hierzu gehören die gesetzlichen Rücktritts- und Kündigungsrechte (§§ 326, 455, 530, 542, 554, 626, 634, 636 BGB; 39 VVG; 18 WEG; 12, 13 VerbrKrG), das Pflichtteilsentziehungsrecht (§§ 2333 ff. BGB) und die Vorschriften, nach denen der Berechtigte seinen Unterhaltsanspruch ganz oder zum Teil verwirken kann (§§ 1579, 1361, 1611 BGB). All diese Rechte können erlöschen, wenn die materielle Entstehungsvoraussetzungen infolge des nachträglichen Wohlverhaltens für die Zukunft entfallen und darum das Abgehen von der - nach wie vor bestehenden - vertraglichen oder gesetzlichen Verpflichtung nicht mehr gerechtfertigt ist. Materielle Entstehungsvoraussetzung und Rechtfertigung der Rücktritts- und Kündigungsrechte ist stets eine objektive oder subjektive Unzumutbarkeit: Der einen Partei wird die Aufsage einer vertraglichen oder gesetzlichen Verpflichtung gestattet, weil deren Erfüllung aufgrund von Umständen, die ihre Ursache im Verhalten der anderen Partei haben, unzumutbar geworden ist. Diese Unzumutbarkeit kann durch nachträgliches Wohlverhalten behoben werden. Hauptzweck der zweiten Normengruppe ist es, den jeweiligen Adressaten vor einem bestimmten, gläubigergefährdenden Verhalten abzuschrecken (so der §§ 971, 2005 BGB; 290, 296, 298 InsO und der Obliegenheiten des Versicherungsnehmers im Versicherungsrecht). Die verschiedenen Rechtsfolgen (die unbeschränkte Haftung wegen Inventaruntreue, § 2005 BGB, die Versagung der Restschuldbefreiung wegen Obliegenheitsverletzungen des Insolvenzschuldners, §§ 290, 296, 298 InsO, und die Leistungsfreiheit des Versicherers wegen Obliegenheitsverletzungen des Versicherungsnehmers) treten nicht ein, wenn sie unverhältnismäßig wären. Sie wären unverhältnismäßig, wenn die Nachteile der Sanktion in keinem Verhältnis zu den Auswirkungen der Pflichtverletzung stünden. Dies ist der Fall, wenn durch das freiwillige nachträgliche pflichtenkonforme Verhalten der entscheidende mittelbare Zweck der Norm noch erreicht wird: also dann, wenn den Nachlaß- und Insolvenzgläubigern oder dem Versicherer kein Schaden aus der Obliegenheitsverletzung entstanden ist. Die bloße, ohne Auswirkungen gebliebene Obliegenheitsverletzung rechtfertigt die einschneidende Rechtsfolge nicht, wenn sie die Interessen des geschützten Personenkreises - im nachhinein besehen - nicht ernsthaft gefährdet hat. Eine dritte Art von Rechtsnachteilen dient dem Ausgleich immaterieller Schäden (so die Entschädigung wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit, § 651 f. BGB, das Schmerzensgeld aus § 847 BGB und das Schmerzensgeld wegen Verletzung des allgemeinen oder des Urheberpersönlichkeitsrechts). Nachträgliches

184

5. Kap.: Ergebnisse

Wohlverhalten wirkt sich mindernd auf die Höhe des jeweiligen Anspruchs aus, weil es entweder den immateriellen Schaden von Anfang an gering hält und dadurch bereits seine Entstehung hemmt oder weil es dem Berechtigten immaterielle Vorteile verschafft, die dieser sich auf seinen Ersatzanspruch anrechnen lassen muß. Streng läßt sich diese Aufteilung in Unzumutbarkeit und deren Behebung, Abschreckung und Unverhältnismäßigkeit sowie Schadensersatz freilich nicht durchführen. Zum einen gibt es Überschneidungen, wie etwa bei der Pflichtteilsentziehung. Diese ist dem Erblasser nicht nur aus Zumutbarkeitserwägungen heraus, sondern auch erlaubt, um den Berechtigten zu strafen. Der Fortfall des Pflichtteilsentziehungsrechts läßt sich darum nicht nur mit Zumutbarkeitserwägungen, sondern auch damit erklären, daß die Entziehung im Einzelfall dem Übermaßverbot zuwiderliefe, also unverhältnismäßig wäre. Ferner soll das Rücktrittsrecht wegen verspäteter oder schlechter Erfüllung nicht nur dem Gläubiger die Möglichkeit geben, sich von dem Vertrage zu lösen; es soll auch den Schuldner zur pünktlichen oder ordnungsgemäßen Leistung anhalten. Die Erbunwürdigkeit schließlich, § 2339 BGB, soll als Sanktion Verdunklungen des letzten Willens bekämpfen und solchen zugleich - einmal eingetreten - Rechnung tragen. Sie läßt sich kaum in eine der drei Kategorien einordnen. Die Arten zivilrechtlichen Fehlverhaltens sind ebenso mannigfaltig wie die möglichen Auswirkungen nachträglichen Wohlverhaltens. Es ist darum nicht möglich, das Ergebnis unserer Untersuchung in eine strenge rechtliche Formel zu kleiden. Doch läßt sich aus den meisten der untersuchten Fälle ein Grundsatz herauslesen, nach dem sich die Auswirkungen nachträglichen Wohlverhaltens beurteilen lassen: So entfällt oder vermindert sich ein zivilrechtlicher Nachteil durch nachträgliches pflicht- oder obliegenheitsgerechtes Verhalten zumeist dann, wenn berechtigte Interessen des geschützten Personenkreises - im nachhinein betrachtet nicht beeinträchtigt sind. Dieser Grundsatz: die Rechtsfolge des Fehlverhaltens hängt ab vom Fortbestand der durch das Fehlverhalten verursachten Interessenbeeinträchtigung, ist Ausdruck des allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgebots. Das Verhältnismäßigkeitsgebot ist von jeher fester - und in neuerer Zeit beständig an Bedeutung gewinnender - Bestandteil des Zivilrechts 1. Als Kehrseite des Übermaßverbots dient das Verhältnismäßigkeitsgebot vor allem der Begrenzung solcher Rechtsfolgen, die auf das Fehlverhalten eines Rechtssubjekts gesetzt sind2 : Der Nutzen auf der einen und der Schaden auf der anderen Seite dürfen in keinem Mißverhältnis zueinander stehen. 1 Vgl. etwa die z. T. altüberkommenen positiven Normierungen in §§ 138 Abs. 2, 226, 320 Abs. 2, 343, 904 BGB. Zu den Wurzeln des Verhältnismäßigkeitsgebots siehe Wieacker. FS f. R. Schmidt, S. 867 ff. Von diesen originär zivilrechtlichen Anwendungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sind diejenigen zu Unterscheiden, die erst unter dem Einfluß der Grundrechte im Zivilrecht Fuß gefaßt haben; dazu Medicus, AcP 192 (1992),35 ff. 2 Vgl. Staudinger/Schmidt, BGB l3 , § 242 Rn. 779.

§ 17 Schlußbetrachtung

185

Aus eben diesem Grunde ist dem Berechtigten in den meisten der untersuchten Konstellationen die Ausübung seines Sanktionsrechts verwehrt. Das Gebot der Belohnung nachträglichen Wohlverhaltens ist darüber hinaus jedoch auch unmittelbarer Ausdruck zweier a1tüberkommenen Aspekte der Gerechtigkeitsidee, die auch Quellen des Verhältnismäßigkeitsgebots3 sind: Zuerst der Vorstellung, daß Recht nützlich sein, daß die Ausübung eines Rechts stets einem Zweck dienen müsse4 . Die Ausübung eines Rechts verbietet sich, wenn sie keinen objektiven Nutzen mehr hat oder wenn ihre Folgen in keinem angemessenen Verhältnis mehr zu diesem Nutzen stehen. Denn muß das Recht einem Zweck dienlich sein, so folgt hieraus weiter, daß Mittel und Zweck in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen müssen. Diese Voraussetzungen lagen in den untersuchten Konstellationen, in denen nachträgliches Wohlverhalten zu belohnen war, nicht mehr vor. Der jeweils Berechtigte hatte infolge des späteren pflicht- oder überpflichtgemäßen Verhalten des "Gegners" sein objektives Interesse an der Durchsetzung der Sanktion verloren. Dieses instrumentale Rechtsverständnis war zwar schon Bestandteil des antiken Rechtsdenkens und hat einen Ausdruck gefunden etwa in U1pians Bestimmung des Privatrechts als ius quod ad singularum utilitatem spectat5 • Seinen entscheidenden Durchbruch hat es jedoch erst mit der Rechtszwecktheorie v. Jherings, vor allem aber mit deren Weiterentwicklungen, der Interessen- und der Wertungsjurisprudenz erlebt6 • Dieser späte Sieg des Zweckdenkens mag einer der Gründe dafür sein, daß der Frage nach den Auswirkungen nachträglichen Wohlverhaltens auf zivilrechtliehe Pflichtverletzungen seit alters her so wenig Beachtung geschenkt worden ist. Denn die Frage nach dem Fortfall verzugsbedingter Gestaltungsrechte nach Bereinigung des Verzuges drängt sich erst mit der Erkenntnis auf, daß ein jedes Recht und damit auch ein Gestaltungsrecht einem bestimmten Zweck dient und daß darum der Fortbestand des Zwecks darüber entscheiden muß, ob die Ausübung des Rechts noch zulässig ist. Schließlich läßt sich die Belohnung nachträglichen Wohlverhaltens auch auf die schon eingangs 7 erwähnte Idee der zuteilenden Gerechtigkeit (iustitia distributiva) zurückführen, die auf Aristoteles zurückgeht und die in U1pians ius suum cuique tribuere ihren berühmtesten Ausdruck gefunden hat. Diesem Gebot entspricht die Belohnung nachträglichen Wohlverhaltens nicht nur deshalb, weil alIgemein gute Taten zu belohnen und schlechte Taten zu bestrafen sind8 . Denn es wird nicht nur der Täter seiner "Strafe" enthoben und in diejenige Rechtsposition wiedereingesetzt, die er vor der Pflichtverletzung innehatte. Vielmehr bekommt auch der "Gegner" mit dem nachträglich pflichtgemäßen Verhalten dasjenige, was ihm von An3 4

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6 7

8

Dazu Wieacker (Fn. 1), 875 ff. Wieacker (Fn. I), 878. D. I, I, I, 2. Einzelheiten bei Wieacker (Fn. I), 878 f. Siehe Einleitung, a. A., insbes. Fn. 3. Vgl. Einleitung, a. A.

186

5. Kap.: Ergebnisse

fang an zivilrechtlich zugestanden hat, oder er kann die Verantwortung übernehmen - etwa bei der Unterhaltszahlung -, die ihm zivilrechtlich dem anderen gegenüber auferlegt ist. Die Belohnung nachträglichen Wohlverhaltens trägt so dazu bei, den ursprünglichen, von den Parteien oder von der Rechtsordnung gewollten Zustand zu bewahren oder ihn wiederherzustellen.

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Quellen und Materialien Bayerisches Landrecht: Codex Maximilianeus Bavaricus oder neuverbessert und ergänzt Churbayrisches Landrecht, München 1756 (Nachdruck Frankfurt am Main 1985) Codex lustinianus: Codex Iustinianus (Ausgabe Paul Krüger), 11. Auflage, Berlin 1954 Codex Theodosianus: Codex Theodosianus (Ausgabe Theodor Mommsen; Paul Krüger), 2. Auflage, 1. Band, 2. Teil, Berlin 1954 Corpus luris Canonici: Corpus Iuris Canonici, ed. Emil Friedberg, 1. u. 2. Band, Leipzig 1879 (Nachdruck Graz 1959) Denkschrift: Denkschrift zum Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs, in: Mugdan, Benno: Die gesammelten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Berlin 1899,5. Band Digesta lustiniani: Corpus Iuris Civilis (Ausgabe Theodor Mommsen; Paul Krüger), 16. Auflage, Berlin 1954 Fragmenta Vaticana: Fragmenta Vaticana (Ausgabe Angelus Maius; August Bethmann-Hollweg), Bonn 1833 Gajus: Institutionen (Ausgabe Paul Krüger; Wilhelm Studemund), 7. Auflage, Weimar 1923 Institutiones lustiniani: Corpus Iuris Civilis, Text und Übersetzung, 1. Band, Institutionen (herausgegeben von Okko Behrends; Rolf Knütel; Berthold Kupisch; Hans Hermann Seiler), Heidelberg 1990 Jakobs, Horst Heinrich; Schubert, Werner: Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs in systematischer Zusammenstellung der unveröffentlichen Quellen, Sachenrecht, I. Band, §§ 854-1017, Berlin/New York 1985 Motive: Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich, in: Mugdan, Benno: Die gesammelten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Berlin 1899, l. -5. Band Motive KO: Motive zu dem Entwurf einer Konkursordnung, in: Hahn, C.: Die gesammten Materialien zur Konkursordnung, Berlin 1881 Motive WG: Begründung zu den Entwürfen eines Gesetzes über den Versicherungsvertrag, Reichstagsvorlage nebst Abdruck der bei den veröffentlichten Gesetzesentwürfe, Berlin 1906 Protokoll: Protokoll der 2. Beratung im Plenum des Reichstags, 115. Sitzung vom 26. 6. 1896, in: Mugdan, Benno: Die gesammelten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Berlin 1899,4. Band, S. 1366 Protokolle: Protokolle der Kommission für die 2. Lesung des Entwurfs des Bürgerlichen Gesetzbuchs, in: Mugdan, Benno: Die gesammelten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Berlin 1899, l. - 5. Band Sachsenspiegel: Sachsenspiegel oder Sächsisches Landrecht (Ausgabe Carl Robert Sachse), Heidelberg 1848

Quellen und Materialien

199

Vorentwürfe: Die Vorlagen der Redaktoren für die erste Kommission zur Ausarbeitung des

Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuchs (herausgegeben von Walter Schubert), Nachdruck der Ausgabe aus den Jahren 1875-1888, - Schuldrecht, 1.-3. Band, Berlin/New York 1980 - Sachenrecht, I. Band, Berlin I New York 1982 - Familienrecht, I. u. 2. Band, Berlin/New York 1983 - Erbrecht, 2. Band, Berlin/New York 1984

Stichwortverzeichnis Abschreckungszweck 183 allgemeines Persönlichkeitsrecht 173 ff. Annahmeverzug s. Gläubigerverzug Anzeigepflicht des Finders 79 ff. Arbeitgeber 46 93 ,70,74 ff. Arbeitnehmer 70, 73 ff. Ausbildungsunterhalt 117, 123 ff. Ausgleich immaterieller Schäden 183 Ausschlußrecht der Wohnungseigentümer 49 f.

beneficium eompetentiae 95 f. beneficium inventarii 85 f. Bereinigungsbefugnis, ausdrückliche - des Mieters 19, 40 ff. - des Versicherungsnehmers 48 f. - des Wohnungseigentümers 49 f. Beschenkter 128 ff. beschränkte Erbenhaftung 83 ff. ,,Blutige Hand nimmt kein Erbe" 155 8 cessio bonorum 967 clausula rebus sie stantibus 27 Dauerschuldverhältnisse 70 ff. Deckungsanspruch des Versicherungsnehmers 76ff. Dienstberechtigter - Annahmeverzug 64 - Verzug 46 Ehegatte 104 ff. ehrloser Lebenswandel 112 f., 140 f., 148 elektive Konkurrenz 4487 , 57 emendatio morae s. Verzugsbereinigung Emphyteusis 41 76 Erbe - Erbunwürdigkeit 152 ff. - Inventaruntreue 83 ff.

Erbunwürdigkeit 152 ff., 156 ff. Ersetzungsbefugnis 57 Familienerbfolge 142 f. fidem frangenti fides frangitur eidem 25 21 Finder 79 ff. - Eigentumserwerb 79, 82 f - Finderlohn 79 ff. Fixgeschäft 35 f. flexible Interpretation 35,54, 134, 145 Gefahrübergang, Rückfall 65 ff. "geflissentliches Aufrechterhalten" 16031 Gegenseitigkeitsprinzip 117, 123 ff. "Geld hat man zu haben" 46 95 Gestaltungsrecht u. Verzugsbereinigung 22 ff., 28 ff. Gläubigergefahrdung 183 Gläubigerverzug - allgemein 64 ff. - Besteller 68 ff. - Dienstberechtigter 64 grober Undank 128 ff. Indignität s. Erbunwürdigkeit Insolvenzschuldner 93 ff. Interessefortfall 24 f., 29 ff., 33 53 , 37 f., 42 ff. Inventar 84 ff. Inventaruntreue 83 ff., 86 ff. ius est eonstans et perpetua voluntas suum euique tribuens 173 , 185 f. Kommissionär 50 ff. Kontaktverweigerung 119 f. Kündigungsrecht - allgemein 73 ff. - Besteller 42 ff. - Dienstverpflichteter 46 f. - Mieter 36 ff.

201

Stichwortverzeichnis - Vennieter 40 ff. - Versicherer 48 f. Leistungsverzögerung 21 Lohnrückstand 46 Mieter 40 ff. nachehelicher Unterhalt s. Scheidungsunterhalt Nachforderungsrecht 95 Nachfristversäumnis 25 f., 31 Jf.. 38 ff., 44 ff., 47 Nebenpflichtverletzungen 70 ff. nemo tenetur se ipsum accusare 16347 Notbedarf 95 f. Nützlichkeit des Rechts 185 f. objektive Unzumutbarkeit s. a. Unzumutbarkeit - im Unterhaltsrecht 111 ff., 121 - im Vertragsrecht 72 ff. Obliegenheitsverletzungen - des Insolvenzschuldners 93 ff. - des Unterhaltsberechtigten 104 ff., 116 ff., 123 ff. - des Versicherungsnehmers 76 ff.

pacta sunt servanda 24 15 perpetuatio obligationis 24 Pflichtteilsberechtigter 140 ff. Pflichtteilsentziehung 140 ff. positive Vertragsverletzungen 70 ff. purgatio morae s. Verzugsbereinigung qui tacet consentire videtur 147 34 Reiseveranstalter 178 f. Relevanzrechtsprechung 77 f. Relevanztheorie 77 f. Restschuldbefreiung 93 ff. Reugeld 52 119 Rücktrittsrecht - Fixgeschäft 35 f. - Gläubiger allgemein 29 ff., 31 ff. - Interessefortfall 24 f., 29 Jf., 33 53 , 37 f., 42 ff.

Kommittent 50 ff. Kreditgeber 47f. Mieter 36 ff. Nachfristversäumnis 25 f., 31 44 ff., 47 - Vorbehaltsverkäufer 46 f. -

Jf., 38 ff.,

Sammelaussonderung 65 Scheidungsunterhalt 104 ff., 108 ff. Schmerzensgeld - § 847 BGB 169 ff. - allgemeines Persönlichkeitsrecht 173 ff. - Urheberpersönlichkeitsrecht 176 f. Schuldnerverzug 21 semel commissa poena non evanescit 53 123 Strafzweck 140 Stückeverzeichnis 51 subjektive Unzumutbarkeit s.a. Unzumutbarkeit - im Unterhaltsrecht 110 f., 121 - im Vertragsrecht 72, 75 f Tätige Reue - Antike 17 f. - Strafrecht 18 f. - Zivilrecht 19 f. Testierfreiheit 142 f. Trennungsunterhalt 114 f. Übermaßverbot 184 unbeschränkte Erbenhaftung 83 ff. Unfallflucht 77 Unterhaltsberechtigter - Scheidungsunterhalt 104 ff., 108 ff. - Trennungsunterhalt 114 f. - Verwandter 116 ff. Unzumutbarkeit 183 f. s.a. objektive I subjektive Unzumutbarkeit Urheberpersönlichkeitsrecht 176 f.

venire contra/actum proprium 147, 149 Verbraucher 47 f. verdorbener Urlaub 177 f. Verfallklausel - allgemein 60 ff. - Versicherungsrecht 76 ff.

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Stichwortverzeichnis

Verfallsbereinigung - Verfallklausel 60 ff. - Versicherungsrecht 76 ff. Verhältnismäßigkeitsgebot 184 Vermieter 36 ff. Verschweigen ehelicher Untreue 163 ff. Versicherungsnehmer - Obliegenheitsverletzungen 76 ff. - Prämienverzug 48 f. Vertragsstrafe 52 ff. Vertrauensschaden, Ersatz des 30, 43 f. Verwandter 116 ff. Verzeihung 116, 121, 139, 14836, 16032 Verzögerungsbereinigung 21 ff., 26

Verzug 21 Verzugsbereinigung -. Voraussetzungen 24 14 , 27 f. - Wirkungen 21 ff., 28 ff. VOB69f. Vorbehaltskäufer 46 f. Werkunternehmer 42 ff. wichtiger Grund 71 ff. Widerrufsrecht des Schenkers 128 ff., 132 ff. Widersprüchliches Verhalten 147, 149 "Wiederbelebung" erloschener Verträge 3248 Wohnungseigentümer 49 f.