Transatlantische Germanistik: Kontakt, Transfer, Dialogik 9783110300628, 9783110300550

Transatlantic German Studies explores the transatlantic development of literary and cultural German studies over the pas

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Transatlantische Germanistik: Kontakt, Transfer, Dialogik
 9783110300628, 9783110300550

Table of contents :
Vorwort
Einleitung
1. Momente im transatlantischen Austausch
1968 in Berlin und Bloomington (2012)
Deutschland aus transatlantischer Sicht (1997)
2. Reform der Universität
Der zweite Sputnikschock und die Exzellenz-Universität (2012)
Deutsche Hochschulen: Europäisierung und Amerikanisierung (2009)
3. Kulturelle Beziehungen
Lesekultur in Deutschland und den USA (2009)
German Participation in the St. Louis World’s Fair of 1904 (2005)
4. Fluchtbewegungen
Two Transatlantic Dreams: American Writers on Europe (2011)
„The City of Man“: Thomas Mann’s Initiative in American Exile (2003)
5. Deutsche Literatur im Mittleren Westen
Suhrkamp Culture amerikanisch? Siegfried Unseld in der Neuen Welt (2011)
Ein Wochenendseminar über Lyrik nach Celan in St. Louis (2004)
6. Germanistische Zeitschriften in den USA
Warum ein Jahrbuch „Gegenwartsliteratur“? (2002)
Zur Situation des „German Quarterly“ (1991)
7. Germanistik als Kulturwissenschaft
Die kulturalistische Wende in den deutschen Geisteswissenschaften (2000)
New Historicism in den amerikanischen Humanities (1990)
8. Überschreiten von Grenzen
Germanistik und European Studies in den USA (2003)
Die Netzwerker von der A. v. Humboldt-Stiftung (2009)
9. Internationale Germanistik
Gastprofessuren in Japan, China und Indien (2007–2011)
Eine Vortragsreise um die Welt (1988)
Sachregister
Namenregister

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Paul Michael Lützeler Transatlantische Germanistik

Paul Michael Lützeler

Transatlantische Germanistik

Kontakt, Transfer, Dialogik

DE GRUYTER

IV

Die Drucklegung erfolgte mit finanzieller Unterstützung der Faculty of Arts and Sciences at Washington University in St. Louis.

ISBN 978-3-11-030055-0 e-ISBN 978-3-11-030062-8 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2013 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Einbandabbildung: Andrea M. Lützeler: Old Partners Druck: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen Ü Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Heinrich Pfeiffer, Lya Friedrich Pfeifer und Wilhelm Krull gewidmet

Inhalt

VII

Inhalt Vorwort fi IX Einleitung fi 1 1.

Momente im transatlantischen Austausch 1968 in Berlin und Bloomington (2012) fi 17 Deutschland aus transatlantischer Sicht (1997) fi 46

2. Reform der Universität Der zweite Sputnikschock und die Exzellenz-Universität (2012) fi 55 Deutsche Hochschulen: Europäisierung und Amerikanisierung (2009) fi 60 3. Kulturelle Beziehungen Lesekultur in Deutschland und den USA (2009) fi 81 German Participation in the St. Louis World’s Fair of 1904 (2005) fi 100 4. Fluchtbewegungen Two Transatlantic Dreams: American Writers on Europe (2011) fi 127 „The City of Man“: Thomas Mann’s Initiative in American Exile (2003) fi 142 5.

Deutsche Literatur im Mittleren Westen Suhrkamp Culture amerikanisch? Siegfried Unseld in der Neuen Welt (2011) fi 159 Ein Wochenendseminar über Lyrik nach Celan in St. Louis (2004) fi 179

6. Germanistische Zeitschriften in den USA Warum ein Jahrbuch „Gegenwartsliteratur“? (2002) fi 189 Zur Situation des „German Quarterly“ (1991) fi 194 7. Germanistik als Kulturwissenschaft Die kulturalistische Wende in den deutschen Geisteswissenschaften (2000) fi 205 New Historicism in den amerikanischen Humanities (1990) fi 212

VIII

Inhalt

8. Überschreiten von Grenzen Germanistik und European Studies in den USA (2003) fi 227 Die Netzwerker von der A. v. Humboldt-Stiftung (2009) fi 238 9. Internationale Germanistik Gastprofessuren in Japan, China und Indien (2007–2011) fi 247 Eine Vortragsreise um die Welt (1988) fi 272 Sachregister fi 283 Namenregister fi 285

Vorwort

IX

Vorwort Bewusst ist das Adjektiv „transatlantisch“ im Titel dieses Buches gewählt worden, weil es stärker als die Bezeichnung „atlantisch“ Dialogizität konnotiert und einen Transfer in zwei entgegengesetzte Richtungen assoziiert. Doch geht es dabei nicht um die Rekapitulation deutsch-amerikanischer Beziehungen in den letzten Jahrzehnten. Der Graben, der sich da immer wieder auf den Gebieten von Wirtschaft, Kultur und Politik vergrößert und verkleinert, ist von den HistorikerInnen ausführlich untersucht worden, zuletzt in der Studie „The Transatlantic Century“ von Mary Nolan. Es handelt sich auch nicht um einen nostalgischen Rückblick auf Jahrzehnte, in denen der transatlantische Austausch auf beiden Seiten angeblich im Mittelpunkt des beiderseitigen Interesses stand. Die Suche nach ideologischen Klebstoffen, die die beiden Partner stärker zusammenhalten, ist illusorisch. Die Vereinigten Staaten sind wie Deutschland und seine europäischen Nachbarn auf vielfältige Weise mit allen Kontinenten und Kulturregionen verbunden und die Prioritäten verschieben sich ständig. Eine exklusive transatlantische Partnerschaft hat es nie gegeben. Nichtsdestoweniger kann man davon ausgehen, dass die transatlantischen Verbindungen gerade auch in Zeiten der Globalisierung eine wichtige Rolle spielen. Wegen der überall zu konstatierenden Internationalisierung ist es unwahrscheinlich, dass sich ausgerechnet die atlantischen Partner mit ihrer kulturellen Verwandtschaft und ihren lang etablierten Beziehungen entfremden werden. Dieses Entfremden würde dann beginnen, wenn man die Unterschiede, die es tatsächlich auf den Gebieten des Bildungswesens, der Sozialpolitik, der Geschäftspraktiken, der Außenpolitik und im Verständnis von Diplomatie gibt, nicht mehr vergleichend diskutierte. Zur Charakterisierung der spezifisch kulturellen Beziehungen, um die es hier zu tun ist, verwenden wir in Anlehnung an Egar Morin (der wiederum durch Michail Bachtin beeinflusst wurde) den Terminus der „Dialogik“. Er umgreift Bezeichnungen wie „Kontakt“ „Austausch“ oder „Transfer“, weist aber auch auf die Grenzen von „Assimilation“, „Akkulturation“ und „Integration“ hin. Bei der Dialogik, auf die in der Einleitung näher eingegangen wird, geht es nicht um die Konstatierung zivilisatorischer Synthesen, sondern um die Bezeichnung wechselseitiger kultureller Einflüsse, wobei Komplementarität, Konkurrenz und Antagonismus zwischen den aufeinandertreffenden Komponenten mit ihren Eigenlogiken erhalten bleiben. Hier ist die Rede von speziellen literaturwissenschaftlichen und kulturellen transatlantischen Wechselbeziehungen, wie sie aus meiner literaturwissenschaftlichen Perspektive wahrgenommen werden. Dabei lag es mir fern, die Geschichte der amerikanischen Germanistik zu schreiben, wenngleich eine Reihe der hier berichteten Erfahrungen und unternommenen Analysen Aspekte der zeitgenössischen deutschen Literaturwissenschaft in den

X

Vorwort

USA beleuchten. Es gibt eine Reihe von Studien zur transatlantischen Kultur, aber speziell zur Entwicklung einer transatlantischen Germanistik existieren noch keine Untersuchungen. Ich bin in diesem Buch Fragen nachgegangen, die sich aus meinen frühen transatlantischen Erfahrungen zwischen 1968 und 1970 ergaben und die in meinen vierzig Berufsjahren diesseits und jenseits des Atlantiks immer neu beantwortet werden wollten. Das heißt, es geht hier um punktuelle, durch meine Biografie und meine Interessengebiete vorgegebene Vergleiche, die den Bereich der universitären Bildung auf beiden Seiten des Atlantiks betreffen, die Identitätsfragen berühren, die sich US-Autoren bei Reisen durch Europa stellen und die umgekehrt das Bemühen deutscher bzw. europäischer Exilierter um öffentliche Einflussnahme in der Neuen Welt thematisieren. Gefragt wird nach der Art, wie man in Deutschland und Amerika mit Literatur umgeht, und wie sich die Teilnahme von Deutschen an einer amerikanischen Weltausstellung auswirkte. Diskutiert wird, wie man in der amerikanischen Bildungslandschaft deutsche Gegenwartsliteratur vermitteln kann. In diesem Zusammenhang wird auch der kurzlebige Versuch eines führenden deutschen Literaturverlags in Erinnerung gerufen, in den USA eine Zweigstelle zu eröffnen. Germanistik und European Studies müssen sich in der amerikanischen Universitätslandschaft auf immer neue transatlantische und internationale Konstellationen politischer und kultureller Art einstellen, und dazu sind ebenfalls Analysen aufgenommen worden. Weitere Fragen, die angeschnitten werden: Wie und warum gibt man in den USA international gelesene germanistische Zeitschriften heraus? Wie und auf welche Weise verändern die Cultural Studies als relativ neuer Paradigmenwechsel das Fach Germanistik in Deutschland und in den USA? Und schließlich wird festgehalten, dass es eine isolierte transatlantische Germanistik nicht gibt, dass sie vielmehr in Zeiten der Globalisierung mit vielen anderen Germanistiken auf verschiedenen Kontinenten im Dialog steht. In den abschließenden Exkursen über die Situation in Afrika und Lateinamerika, vor allem jedoch in Asien, wird deutlich, dass die transatlantische Germanistik verstärkt Kontakte zu anderen vergleichbaren Berufsverbänden in anderen Teilen der Welt entwickelt, wenn da das Potential auch alles andere als ausgeschöpft ist. Zudem ist das berufliche Engagement in kontinentalen und globalen Verbänden des Fachs essentiell. Die von mir geschilderten Erfahrungen sind nicht einzigartig, denn es gibt viele vergleichbare Lebensläufe, die sich zur Geschichte der transatlantischen Germanistik summieren. Diese Geschichte zu schreiben war nicht mein Ehrgeiz und ich weiß nicht, ob sie auch nur annähernd exakt darstellbar wäre. Hier liegt der Versuch vor, zwar persönliche, aber nichtsdestoweniger nachvollziehbare Erfahrungen, subjektive und doch überprüfbare Vergleiche, individuelle und gleichwohl diskussionswürdige Ausblicke zu vermitteln. Vor allem aber wollen die Berichte die nächste Generation von transatlantisch engagierten Germanis-

Vorwort

XI

tInnen ermutigen, den kulturellen Dialog, die bildungspolitische Zusammenarbeit und den universitären Austausch fortzusetzen, ohne sich jedoch auf die atlantische Region zu beschränken. Dabei ist mir besonders daran gelegen, in diese Kooperation nicht nur KollegInnen aus der Literaturwissenschaft, sondern auch KritikerInnen, AutorInnen, VerlegerInnen, ÜbersetzerInnen sowie die LeiterInnen von Stiftungen einzubeziehen, wie ich es über Jahrzehnte hin in meinem Max Kade Center for Contemporary German Literature praktiziert habe. Es sind wunderbare Erlebnisse, die mir erzählt worden sind: Wenn einer Schweizer Autorin beim Unterrichten amerikanischer Studentinnen plötzlich etwas über die Eigenart einer amerikanischen Perspektive aufgeht; wenn ein Student, der einen österreichischen Kritiker konsultiert hat, erstmals versteht, was eine gute Rezension ausmacht; wenn sich ein amerikanischer Verlagsvertreter nach dem Anhören einer Übersetzung entschließt, den Gedichtband eines deutschen Autors herauszubringen; wenn die Vertreterin einer Stiftung aus Deutschland nach dem Besuch eines germanistischen Wochenendseminars mit amerikanischen TeilnehmerInnen und deutschen ReferentInnen meint, dass sie noch nie so viel amerikanisches Denken bei den Deutschen und soviel fast schon intuitiv zu nennendes deutsches Verstehen bei den Diskussionsteilnehmern aus den USA beobachtet habe. Im Augenblick scheint das Interesse an solcher Zusammenarbeit zuzunehmen. Das zeigen unter anderem das literatur- und sozialwissenschaftliche „Netzwerk transatlantische Kooperation“ der Universität Konstanz (Aleida Assmann et al.), das „Transatlantic Doctoral Seminar“ des German Historical Institute in Washington D.C. (Richard F. Wetzell) in Zusammenarbeit mit der Georgetown University (Anna von der Goltz) sowie das Jahrbuch „andererseits. Yearbook of Transatlantic German Studies“, das 2010 begonnen wurde und sich einer gemeinsamen Initiative der Duke University (William C. Donahue) und der Universität Duisburg-Essen (Jochen Vogt) verdankt. Wann, wenn nicht nach vierzig Berufsjahren sollte man dieses hier vorliegende Mosaik von Texten, die einen Eindruck von der gegenwärtigen transatlantischen Germanistik vermitteln, publizieren? In Vorworten folgt an dieser Stelle meistens eine lange Namensliste von Kollegen und Kolleginnen, denen man zu Dank verpflichtet ist. Da sie aber ohnehin in den Essays, die ich hier aufgenommen habe, vorkommen, will ich mir diese Liste ersparen. Erwähnen möchte ich aber im Sinne einer Danksagung, dass die Idee zu diesem Buch während eines Gesprächs in Berlin mit Sven Fund, dem Geschäftsführer des De Gruyter Verlags, entstand und dass Manuela Gerlof, die zuständige Lektorin des Verlags, sich angelegentlich um die Drucklegung kümmerte. Anna Lisa Menck, Wiebke Schuldt und Verena Wirtz, meinen Research Assistants an der Washington University in St. Louis zwischen 2011 und 2013, danke ich für die Hilfe bei der formalen Einrichtung des Manuskripts und beim Korrekturlesen. Dankenswerterweise lud Werner

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Vorwort

Frick mich für Frühjahr und Sommer 2012 an das Freiburg Institute for Advanced Studies (FRIAS) ein, wo ich auch Zeit fand, an der Edition dieses Bandes zu arbeiten. Erfreulich ist ferner, dass die Verlage, in deren Zeitschriften oder Sammelbänden jene Arbeiten von mir, die hier erneut abgedruckt werden, erschienen sind, die Genehmigung dazu erteilt haben. Johann Wolfgang von Goethe ist über Dank erhaben, doch sei vermerkt, dass mich schon früh seine Sentenz „Wo wir uns bilden, da ist unser Vaterland“ berührt hat und mir bewusst machte, dass man – ohne sich unlösbare Identitätsprobleme aufzuladen – zwei Vaterländer gleichzeitig haben kann.

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Einleitung Wenn man heute Vorträge zu literaturwissenschaftlichen Themen hält, beginnen sie normalerweise mit der Diskussion theoretischer Grundlagen und methodologischer Voraussetzungen. Die Zeiten sind vorbei, als es noch allgemein akzeptierte Konventionen der Interpretation gab, als man von einer Übereinstimmung ausgehen konnte, was wissenschaftliche Zielsetzungen und Verfahrensweisen betrifft. Wir haben in der kulturwissenschaftlich ausgerichteten Germanistik1 nicht einmal mehr das, was man eine dominante Tendenz nennen könnte, einen Trend, den man als Beweis für ein allgemeines Interesse, eine generelle Orientierung bei der Majorität des Faches betrachten könnte. Oder anders gewendet: Ein sogenannter „turn“ jagt den anderen. Was waren früher diese allgemeinen Trends?2 In den 1950er Jahren war die dominierende Tendenz in der internationalen Germanistik wie auch in anderen literarischen Fächern die sogenannte Werkinterpretation bzw. der New Criticism oder die explication de texte, Verfahrensweisen, die die Entstehung einer neuen Narratologie begünstigten. In den 1960ern herrschte der literatursoziologische Ansatz mit neo-marxistischem Einschlag vor, in den 1970ern der Feminismus und die Diskursanalyse, in den 1980ern die poststrukturalistische Dekonstruktion und die Postmoderne, in den 1990er Jahren waren die Diskurse von Multikultur, Erinnerung, Postkolonialismus und Globalisierung vorherrschend. Momentan fällt bei Konferenzen der internationalen Germanistik und bei Zusammenkünften wie den Jahrestagungen der Modern Language Association of America (MLA) vor allem ein Trend auf: der des maximalen Pluralismus. Bei den conventions der MLA gibt es heute ungefähr 750 Sitzungen zu literaturwissenschaftlichen Themen. Während man früher leicht die dominanten Fragestellungen an den Überschriften der Sektionen erkennen konnte, ist das heute nicht mehr der Fall. Kein Wunder also, dass sich die Kolleginnen und Kollegen bei ihren Vorträgen oft bemüßigt fühlen, zunächst einmal ihre theoretischen Annahmen zu erläutern, weil sie nicht mehr davon ausgehen können, dass sie von den Zuhörern geteilt werden.

1 Doris Bachmann-Medick: Cultural Turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften. Reinbek bei Hamburg 2006. 2 Heinz Ludwig Arnold und Heinrich Detering (Hg.): Grundzüge der Literaturwissenschaft. München 1996.

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Einleitung

Multikultur und Dialogik Bei der transatlantischen Germanistik3, wie sie hier verstanden wird, geht es vor allem um die Verflechtung von amerikanischen und deutschen Diskursen in den Literaturwissenschaften. Die aber sind nicht zu lösen von den Objekten der philologischen Fächer, nämlich von den unterschiedlichen Literaturen diesseits und jenseits des Atlantiks, an denen sie sich entwickeln. Von diesen Literaturen lässt sich mit Bestimmtheit sagen, dass ihr Grundzug multikulturell ist.4 Da Dichtungen wiederum aufs engste verbunden sind mit jenen kollektiven Identitäten, die sich in den Ländern gebildet haben, denen sie entstammen, müsste am Anfang eine Theorie eben jener Identitäten entwickelt werden, die die Voraussetzung von Multikultur sind. Das ist ein Großprojekt, das hier nicht verfolgt werden kann, doch sei zumindest das Zusammenspiel von Theoriekonstrukten wie Identität, Imaginärem und Ideologie konturiert.5 Da wäre erstens über Formationen von Identität auf der Ebene des Individuums wie des Kollektivs zu sprechen, d.h., man hätte einzugehen auf die Theorien von Erik Erikson (mit seiner These, dass die Entwicklung der Ego-Identität von den Lebenszyklen abhängt), Georg Simmel (mit seiner Beobachtung der Auflösung geschlossener vormoderner Kollektividentität in eine Vielzahl von offenen Gruppenidentitäten in den modernen Großstädten), Benedikt Anderson (mit seiner Unterscheidung zwischen tatsächlichen und nur imaginierten nationalen kollektiven Identitäten) und Edgar Morin (mit seiner Theorie von der Dialogik einer kontinentalen europäischen Identität).

3 Zu den transatlantischen Beziehungen allgemeiner Art vgl. Udo J. Hebel: Transatlantic Encounters: Studies in European-American Relations. Trier 1995; Volker Rolf Berghahn: Industriegesellschaft und Kulturtransfer: Die Deutsch-Amerikanischen Beziehungen im 20. Jahrhundert. Göttingen 2010; Frank Trommler und Joseph McVeigh (Hg.): Americans and the Germans. An Assessment of a Three-hundred-year History. 2 Bde. Philadelphia 1985. 4 Lynn Atkinson Smolen und Ruth A. Oswald: Multicultural Literature and Responses: Affirming Diverse Voices. Santa Barbara, CA 2011; Paul Michael Lützeler: Europäische Identität und Multikultur. Fallstudien zur deutschsprachigen Literatur seit der Romantik. Tübingen 1997; Avery F. Gordon und Christopher Newfield: Mapping Multiculturalism. Minneapolis und London 1996; Charles Taylor: Multiculturalism. Examining the Politics of Recognition. Princeton 1994. 5 Vgl. Erik Erikson: Identity and the Life Cycle (1959); Georg Simmel: „Die Großstädte und das Geistesleben“ (1903); Benedikt Anderson: Imagined Communities (1983); Edgar Morin: Penser l’Europe (1987); Jacques Lacan: „La stade du miroir“ (1936); Cornelius Castoriadis: The Imaginary Institution of Society (1975); Jean Paul Sartre: L’imaginaire (1940); Sigmund Freud: Die Traumdeutung (1900); Maurice Halbwachs: Les cadres sociaux de la mémoire (1925); Jan Assmann: Das kulturelle Gedächtnis (1992); Karl Marx/Friedrich Engels: Das kommunistische Manifest (1848); Ernst Bloch: Geist der Utopie (1918); Karl Mannheim: Ideologie und Utopie (1929); Paul Ricœur: L’idéologie et l’utopie (1997).

Multikultur und Dialogik

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Zweitens würde erklärt werden müssen, was es mit dem Imaginären auf sich hat. Man müsste sich einlassen auf Theorien von Sigmund Freud (von der Unterdrückungskraft der Erinnerung im Fall von traumatischen Erfahrungen), Maurice Halbwachs (mit seiner Darstellung der Interdependenz von individueller und kollektiver Erfahrung), Jacques Lacan (mit seiner Abgrenzung der imaginären gegenüber der symbolischen und der realen Ordnung), Jean-Paul Sartre (mit seiner These, dass wir aufgrund unserer Vorstellungskraft ontologisch gesehen frei sind), Ernst Bloch (mit seiner Spurensuche nach dem revolutionären utopischen Vermögen in Literatur und Kunst), Cornelius Castoriadis (mit seiner Idee vom sozial Imaginären als einem System von Werten, das mit dem Selbstverständnis von Institutionen nie kompatibel ist) und Jan Assmann (mit seiner Unterscheidung zwischen kommunikativem und kulturellem Gedächtnis, die in Fortführung der Theorien von Maurice Halbwachs entwickelt wurde). Vor allem wäre nachzudenken über Erinnerung als Imaginäres der Vergangenheit und über Utopie als Imaginäres der Zukunft. Schließlich wäre drittens das Verständnis von Ideologie zu erläutern, ein Konzept, das auf unterschiedliche Weise entfaltet wurde von Karl Marx (Entstellung von Realität), Karl Mannheim (anti-utopische Verteidigung des status quo) und Paul Ricœur (System von Meinungen, die im politischen Kampf konservativ instrumentalisiert werden). Die Interrelation von Identität, Imaginärem und Ideologie sei kurz skizziert. Wenn wir über kollektive Identitäten sprechen, haben wir es mit einem Netzwerk von Erzählungen zu tun, in denen Aspekte von Imaginärem und Ideologischem miteinander verbunden werden. Innerhalb von Identitätsbildungen spielen Erinnerung, d.h. Reflexionen über Vergangenes, und Utopie, d.h. die visionäre Vorwegnahme künftiger Entwicklungen, eine besondere Rolle. Erinnerung gibt den Erfahrungen in der Vergangenheit Profil, während das utopische Element mit seinen kreativen, kritischen und potentiell subversiven Eigenschaften künftigen Veränderungen von Identität den Weg bereitet. Das Imaginäre mit seiner Plastizität, Prozessualität und Offenheit kann die Ideologisierung von Erinnerung und Utopie verhindern. Das Imaginäre hat auch eine Gegenwartsdimension und erlaubt den kollektiven Identitäten, sich an neue soziale und historische Realitäten anzupassen. Das Imaginäre gewährleistet einerseits, dass Erinnerung nicht wie ein neutraler Behälter oder Aufbewahrungsraum mit fixen Daten verstanden wird und andererseits, dass utopische Ideen vor Stagnation und Dogmatisierung bewahrt bleiben. Das Imaginäre erhält seine Vergangenheits-, Gegenwarts- und Zukunftsdimension dynamisch und in Veränderung, arbeitet damit gegen Tabus und stellt Konventionen in Frage. Ideologie hingegen strebt, weil von Machtinteressen bestimmt, danach, dominante Aspekte einer kollektiven Identität auf ein System von Überzeugungssätzen zu reduzieren. Das Imaginäre und das Ideologische stehen in einer ständigen negativen Spannung zueinander. Während

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Einleitung

das Imaginäre dahin tendiert, die Grenzen kollektiver Identität zu erweitern, versucht Ideologie, diese Grenzen als geschlossen darzustellen und kollektive Identität als fertig und stets verwendbar auszugeben. Wenn man also über die transatlantische Multikultur theoretische Erörterungen anstellt, sollte man die Verbindung der konzeptionellen Triade von Identität, Imaginärem und Ideologie im Auge behalten. Das klingt abstrakt, doch wird Multikultur in ihrer Entwicklung und in der nie aufhörenden Spannung von Imaginärem und Ideologie verständlicher, wenn man die Thesen des schon erwähnten französischen Philosophen Edgar Morin berücksichtigt. Morin hat in den späten 1980er Jahren das „Prinzip der Dialogik“ in den europäischen Kulturgrundlagen entdeckt. In Anlehnung an Michail Bachtin6 erarbeitete er ein dialogisches (also nicht dialektisches) Modell des gemeinsamen antik-jüdisch-christlichen europäischen Erbes: Mehrere Arten von ‚Logik‘ sind da auf unterschiedliche Weise (komplementär, konkurrierend, antagonistisch) zusammengekommen. So ist das, was die Einheit der europäischen Kultur ausmacht, nicht die griechisch-römisch-jüdisch-christliche Synthese, sondern Dialogik, d.h. Komplementarität, Konkurrenz und Antagonismus bleiben zwischen den Komponenten mit ihren Eigenlogiken erhalten. Edgar Morin ergänzend ist hier auf drei zusätzliche Aspekte hinzuweisen: Erstens kann man, ohne seinem Konzept Gewalt anzutun, für „Europa“ auch „westliche Welt“ einsetzen, die auch den transatlantischen Raum, wie er hier gemeint ist, umgreift. Zweitens ist darauf hinzuweisen, dass jede der genannten Komponenten in sich wiederum dialogisch strukturiert ist. Und drittens ist in Europa seit dem 8. Jahrhundert eine teils affirmative, teils oppositionelle, teils integrative, teils exklusionistische Auseinandersetzung mit der islamischen Welt im Gange, die tiefe Spuren im westlichen Selbstverständnis hinterlassen hat. Religiöse Vielfalt war charakteristisch für die mediterranen Gesellschaften Europas, des Nahen Ostens und Afrikas, wenngleich diese Regionen politisch durch den Islam und das Christentum geteilt waren. Menschen unterschiedlichen Glaubens wurden durch Handel, Diplomatie, Krieg und Wallfahrten zusammengebracht. Trotz der spanischen Reconquista einerseits und der Eroberung Konstantinopels durch das Osmanische Reich andererseits hörte die Berührung und Interaktion zwischen den drei Religionen des Mittelmeerraums nicht auf. An diesem Dialog waren auch die Dichter beteiligt, die sich der gegenseitigen kulturellen Beeinflussung bewusst waren.7

6 Vgl. Michael Holquist: Dialogism: Bakhtin and his World. London und New York 1990. 7 Vgl. Eric R. Dursteler: „On Bazaars and Battlefields: Recent Scholarship on Mediterranean Cultural Contacts“. In: Journal of Early Modern History 15.5 (2001): 413–434.

Multikultur und Dialogik

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Europäische Länder haben mit den amerikanischen Staaten, mit Australien und Neuseeland Siedlerstaaten geschaffen, die ihre europäische Herkunft bis heute nicht verleugnen können und wollen, wenn auch die eigene Entwicklung in jeder dieser ehemaligen Kolonien anders verlief und die kulturellen Unterschiede im einzelnen betont werden müssen. Aus Hellas ist nicht nur Athen (mit Philosophie und Wissenschaft, Kunst und Dichtung, Mythos und Mythologie, Demokratie und Handel), sondern auch Sparta (mit Militarismus, Körperkult und Diktatur) noch wirksam. Vom Römischen blieben nicht nur die Institutionen der Republik, sondern auch jene der imperialen Cäsarenzeit, blieben nicht nur die Rechtsprechung, sondern auch das politische Universalismus- und Dominanzdenken in der Außenpolitik sowie die Sklavenhalterordnung im Inneren wirksam. Und das Christentum mit seinen beiden Testamenten ist nicht nur die Religion mystischer Gnade und pragmatischer Nächstenliebe, sondern auch der Intoleranz und der Missionierungspflicht; es ist nicht nur die Religion des Internationalismus und der Gleichheit aller Menschen vor Gott, sondern hat auch den Mosaischen Dekalog mit seiner Gesetzesstrenge und die Verbindung von Religion und Ethnie im Sinne eines von Gott auserwählten Volkes beerbt. Lion Feuchtwanger hat in seiner „Josephus“-Trilogie, die er im amerikanischen Exil schrieb, gezeigt, wie zur Zeit des frühesten Christentums in Rom die gegensätzlichen Kulturen der Antike und der neuen nahöstlichen Religion aufeinanderstießen und noch Jahrhunderte lang von einer Identität entfernt blieben, in der ihre Grundelemente in ein sich gegenseitig förderndes und forderndes Verhältnis gerieten.8 Edgar Morin weist nach, wie im Lauf der europäischen (und wir ergänzen: der westlichen) Geschichte diese im Prinzip konkurrierenden Elemente immer wieder ihre Zielvorstellungen zur Geltung bringen, wie einmal die griechisch-spartanischen, einmal die römisch-republikanischen, einmal die jüdisch-gesetzesorientierten, einmal die christlichen Gnadenideen, einmal der römisch-imperiale, einmal der christlich-globale Missionierungsdrang, einmal die jüdischen Vorstellungen vom Erwähltsein, einmal die griechisch-athenisch-demokratischen und kommerziellen Elemente sich in den Vordergrund schieben, ohne dass doch eines der kulturellen Basiselemente auf Dauer seine Einzelherrschaft hätte antreten können. Dieser Wechsel ist sowohl für die amerikanischen Staaten der Neuzeit wie für die Länder Europas bezeichnend. Das gegenseitige Sichinfragestellen und gleichzeitige Aufeinanderbezogenbleiben dieser Grundlagenteile hat nie aufgehört, ja ist der Motor einer von Beginn an weder in sich selbst ruhenden

8 Vgl. Paul Michael Lützeler: „Neuer Humanismus: Das Europa-Thema in Exilromanen von Thomas und Heinrich Mann, Lion Feuchtwanger und Stefan Zweig“. In: Ders.: Europäische Identität und Multikultur. Tübingen 1997, S. 107–125.

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Einleitung

noch sich als fertig verstehenden Zivilisation. Immer wieder fand die westliche Welt – sicher auf regional unterschiedliche Weise – zur Akzeptanz ihrer dialogisch angelegten multikulturellen Gemengelage zurück. Gleichzeitig gilt, dass sich wiederholt aus dem Fundus der unterschiedlichen Komponenten der westlichen Kulturmischung Einzelkomponenten aus ihrem Zustand historischer Latenz und Potentialität in jenen der aktuellen Präsenz und Faktizität erheben, wobei sich die damit einhergehenden Reibungen in den verschiedenen Teilen der westlichen Welt jedoch nur selten gleichen, sondern in ihrer stets neuen Kombination schwer voraussehbare Antworten auf jeweils andere historische Herausforderungen geben. So wechseln Innovations- und Beharrungstendenzen, Revolutions- und Restaurationsschübe einander ab, folgen Säkularisierungsund Religionsbewegungen aufeinander, sind Krisen- und Endzeitbewusstsein wie auch Renaissance-Bewegungen der antiken, der jüdischen und der christlichen Kulturen ihre ständigen Begleitphänomene. Dass dabei sowohl in den USA als auch in Europa die muslimische Kultur erneut ein Faktor bei der Prägung des täglichen Lebens geworden ist, hat u.a. mit den Migrationswellen zu tun, die aus wirtschaftlichen und politischen Pressionen resultierten. Millionen von Menschen aus dem Nahen Osten, aus Nordafrika, aus Pakistan und Indien waren so zur Auswanderung gezwungen. Mit dem Rekurs auf die sich in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung ergebende fundamentale Kulturkonstellation, die auch Säkularisierungs- und Aufklärungsbewegungen nach sich zog, sollen weitere Einflüsse aus anderen Kulturkreisen keineswegs übersehen oder geleugnet werden. Ob andere Religionen und Weltanschauungen es in Zukunft schaffen werden, zu neuen Basiselementen der europäischen Kultur zu werden, bleibt abzuwarten. In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass die westliche Identität im transatlantischen Beziehungsgeflecht ja nicht die umfassendste der kollektiven Identitäten ist. Eine solche lässt sich als kosmopolitisch9 oder – neutraler ausgedrückt – als transkontinental oder global umschreiben10. Auch bei der transkontinental orientierten kollektiven Identität handelt es sich um ein Phänomen, das von Denkern seit vielen Jahrhunderten reflektiert worden ist. (GermanistInnen

9 Pheng Cheah und Bruce Robbins (Hg.): Cosmopolitics. Thinking and Feeling Beyond the Nation. Minneapolis und London 1998; Anthony Appiah: Cosmopolitanism: Ethics in a World of Strangers. New York 2006; Edgar Morin und Anne Brigitte Kern: Homeland Earth. A Manifesto for the New Millennium. Cresskill, N.J. 1999. 10 Frederic Jameson und Masao Miyoshi (Hg.): The Cultures of Globalization: Durham N.C. 1998; Manfred Schmeling, Monika Schmitz-Emans, Kerst Walstra (Hg.): Literatur im Zeitalter der Globalisierung. Würzburg 2000.

Multikultur und Dialogik

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denken dabei zu Recht an Goethes Weltliteraturkonzept.)11 Die realhistorische Basis des Transkontinentalismus ist seit den Zeiten der europäischen Seefahrer im späten 15. Jahrhundert in ständigem Wachsen begriffen, wobei die kolonialistischen Kapitel in dieser Geschichte den europäischen Staaten nicht zum Ruhm gereichen. Heute sprechen wir in post-kolonialer Zeit von Globalisierung, und deren Ende ist noch lange nicht erreicht. Wir fangen erst an, ihre wirtschaftlichen, politischen, künstlerischen, literarischen und wissenschaftlichen Konsequenzen intellektuell zu verarbeiten, wie u.a. das vor einigen Jahren erschienene Buch „Empire“ von Hardt/Negri12 ansatzweise gezeigt hat. Oft ist im transatlantischen Kulturdialog davon die Rede, dass voneinander abweichende Zeiten auf den Uhren der kulturellen Entwicklungen diesseits und jenseits des Atlantiks angezeigt seien. Die dialogischen Komponenten der kulturellen Gemengelage bringen jeweils unterschiedliche Konstellationen hervor, und Imaginäres und Ideologisches arbeitet sich graduell an deren Gegebenheiten im Kulturellen, Sozialen und Politischen ab. Die zivilisatorische Grammatik ist zwar der jeweils anderen Seite verständlich, aber die teils antagonistischen, teils komplementären und teils konkurrierenden Basiselemente der gleichen Kultur wirken sich in den beiden Regionen, die sich in Jahrhunderten anders entwickelt haben, immer wieder unterschiedlich aus. Insofern verlangt es von den Partnern auf beiden Seiten der atlantischen Welt Geduld und Diplomatie, in verwirrend komplexen Konstellationen jene Gemeinsamkeiten herauszufinden, die eine Verständigung und möglicherweise ein gemeinsames Agieren erlauben. Ein Missverständnis muss hier vermieden werden: Die historischen Entwicklungen mit ihren unterschiedlichen Reaktivierungen von Teilen der westlichen Basiskultur sind zwar nicht vorauszusehen, aber sie treten nicht einfach schicksalhaft auf, sondern sind Resultate von kulturellen und politischen Kämpfen. Und bei diesen Konflikten von Interessen, von ideologischen, imaginären und utopischen Bewegungen ist jeder – ob gewollt oder ungewollt, bewusst oder unbewusst – ein Teilnehmer, der sich passiv oder aktiv für bestimmte Richtungen entscheidet. Der Holocaust als Völkermord an den europäischen Juden und der Zweite Weltkrieg mit dem ersten Abwurf von Atombomben sind die menschheitsgeschichtlichen Warnsignale, die hier zu vergegenwärtigen sind. Gerade die jüdischen Exilierten, die aus Deutschland und anderen europäischen Ländern in die

11 Vgl. Paul Michael Lützeler: Europäischer Kosmopolitismus und Weltliteratur: Goethe und Europa – Europa und Goethe. In: Ders.: Kontinentalisierung. Das Europa der Schriftsteller. Bielefeld 2007, S. 85–107. 12 Michael Hardt und Antonio Negri: Empire. Cambridge 2000.

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Einleitung

USA geflohen waren, haben diese Erfahrungen reflektiert und in ihre politischen Schriften wie in ihre dichterischen Arbeiten eingehen lassen.13 Hier möchte ich an Hermann Broch erinnern. Er verstand, dass von Auschwitz und Hiroshima als den Negativerfahrungen schlechthin aus gedacht eine neue Wertbindung profiliert werden muss, eine Ethik, in deren Zentrum die internationalen Menschenrechte mit der Achtung vor der Menschenwürde stehen.14 Nichts lag Broch ferner, als pauschal für die Beerbung westlicher Kultur zu plädieren. Sein dichterisches und theoretisches Werk führt zum einen vor Augen, dass er sich keinen Illusionen über die negativen Entwicklungsmöglichkeiten westlicher Kultur hingab, aber es zeigt auch, dass man sich entscheiden muss, an welche Traditionslinien der widersprüchlichen dialogischen Zivilisation man anknüpft. Er entschied sich für das demokratische Athen und gegen das diktatorische Sparta, für den römischen Republikanismus und gegen den Cäsarismus, für den jüdischen Dekalog und gegen das Rachepostulat, für den christlichen Kosmopolitismus und gegen inquisitorische Tendenzen, für die Menschenrechte der Aufklärung und gegen ihre Disziplinierungsobsession. Broch beschränkte sich in seinen Analysen auf die westliche Zivilisation, aber er war kein Eurozentrist in dem Sinne, dass er von einer Überlegenheit seines Kulturkreises über andere Zivilisationen ausgegangen wäre. Die Frage stellt sich: Wie denn Dichtung als Objekt der Literaturwissenschaft die hier genannten kulturkritischen Entscheidungen reflektiert und wie eine Germanistik als Teil der Cultural Studies sie zugänglich machen kann. Der Potsdamer Romanist Ottmar Ette hat 2007 – das in Deutschland das „Jahr der Geisteswissenschaften“ genannt wurde – eine „Programmschrift“ mit dem Titel „Literaturwissenschaft als Lebenswissenschaft“ in der von Wolfgang Asholt mitherausgegebenen Fachzeitschrift „Lendemains“ veröffentlicht. Diese Streitschrift wurde erneut in einem von beiden Romanisten edierten Buch drei Jahre später mit einer Reihe von Aufsätzen anderer Philologen, die durch die Programmschrift angeregt wurden, publiziert.15 Die Schrift ist durch Nietzsches zweiten Band der „Unzeitgemäßen Betrachtungen“ mit dem Titel „Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben“ von 1874 inspiriert, aber keineswegs der Le-

13 Vgl. Paul Michael Lützeler: „Migration und Exil in Geschichte, Mythos und Literatur“. In: Bettina Bannasch (Hg.): Exil und Erinnerung in der deutschsprachigen Literatur. Von Heinrich Heine bis Herta Müller. Berlin und Boston 2013. 14 Vgl. Paul Michael Lützeler: Hermann Broch und die Moderne. München 2011. 15 Wolfgang Asholt und Ottmar Ette (Hg.): Literaturwissenschaft als Lebenswissenschaft. Programm – Projekte – Perspektiven. Tübingen 2010. Siehe darin: Ottmar Ette: „Literaturwissenschaft als Lebenswissenschaft. Eine Programmschrift im Jahr der Geisteswissenschaften“, S. 11–38.

Multikultur und Dialogik

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bensphilosophie des Autors verpflichtet. Ette betont, dass es ihm nicht darum gehe, „die Literatur als bloßen Reflex einer Gesellschaft im Sinne einer wie auch immer – vulgärmarxistisch oder positivistisch – gewendeten Widerspiegelungstheorie mißzuverstehen“16. Ohne die „relative Autonomie“ der Literatur „unterlaufen“17 zu wollen, könne jedoch „kein Zweifel“ daran bestehen, dass „die Frage nach Literaturwissenschaft und Literaturtheorie stets eine Frage nach den jeweils spezifischen historischen, kulturellen, sozio-ökonomischen und nicht zuletzt auch wissenschaftspolitischen Konventionen miteinschließt“.18 Seit der Antike ist die Dichtung ein Medium, in dem Fragen der Ethik und des Lebenssinns, des verantwortlichen Handelns im privaten wie öffentlichen Bereich verhandelt werden, und mit dem beim Zuhörer oder Leser durch ästhetisch vermittelte Wahrheiten verfestigte Positionen ins Wanken gebracht werden. Die Autonomie der Dichtung, die in der Moderne immer wieder Gegenstand von Kontroversen ist, wird dadurch nicht in Frage gestellt, sondern bestätigt.19 Ette beklagt die Marginalisierung der Geisteswissenschaften im heutigen Deutschland. Er meint, dass es im Fall der Philologie ihr Gegenstand, die Dichtung selbst, sei, die aufgrund ihrer spezifischen Leistungen zum besonderen gesellschaftlichen Ansehen der Literaturwissenschaft beitrage. Der Dichtung komme daher „keineswegs eine sekundäre“, sondern „eine (theoretisch wie lebenspraktisch) herausragende Bedeutung zu. Denn Literatur“, so fährt er fort, „läßt sich begreifen als sich wandelndes interaktives Speichermedium von Lebenswissen, das nicht zuletzt Modelle von Lebensführung simuliert und aneignet, entwirft und verdichtet und dabei auf die unterschiedlichsten Wissenssegmente und wissenschaftlichen Diskurse zurückgreift“.20 Ette, der die Eigenart, wenn nicht den Vorzug der Geisteswissenschaften als Lebenswissenschaften neben oder vor den naturwissenschaftlichen Biowissenschaften betont, wird darin durch seinen Mitherausgeber und Mitstreiter Wolfgang Asholt unterstützt. In der Literaturwissenschaft könne das dichterisch vermittelte „Lebenswissen“ zu einem ‚Überlebenswissen‘ werden – „im Gegensatz zu den ‚Life Sciences‘ der Biowissenschaften“, denen ein vergleichbares „menschliches Erfahrungswissen“21 abgehe. Asholt beruft sich auf Paul Ricœur, der festgehalten hat, dass Dichtung ein „Instrument der Aufdeckung der Komple-

16 Ebenda, S. 13. 17 Ebenda, S. 12. 18 Ebenda, S. 13. 19 Vgl. Paul Michael Lützeler und Jennifer Kapczynski (Hg.): Die Ethik der Literatur. Deutsche Autoren der Gegenwart. Göttingen 2011. 20 Ottmar Ette: „Literaturwissenschaft als Lebenswissenschaft“, S. 17 und S. 18. 21 Wolfgang Asholt: „Neues Leben (in) der Literaturwissenschaft?“. In: Asholt/Ette (Hg.): Literaturwissenschaft als Lebenswissenschaft, S. 66.

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xität der Geschichte selbst“22 sei. Und er weist als Kenner der Avantgarde auch auf die in diesem Kontext wichtige Schrift von Dieter Henrich hin, der in seinem „Versuch über Kunst und Leben“ die ästhetische Besonderheit der Vermittlung von Lebenswissen durch die Literatur herausstellt. Henrich betont, dass „die Kunst uns Prozesse des bewussten Lebens in einem wirklichen Vollzug vergegenwärtigt und zugleich doch so, dass sie nicht auch schon wirklich von uns vollzogen sind“. Wenn man die Interrelation von „Kunst und Leben“ bedenke, so könne man dem Gedankenspiel der Avantgarde-Theoretiker von der Verwandlung der Kunst in Lebenspraxis eine ebenso relevante These gegenüberstellen: Dass nämlich „in der so intendierten Lebenspraxis ein reflektiertes Wissen von deren Kunstcharakter aufrechterhalten“ bleibe.23 So viel zu den Grundthesen von Ette und Asholt, die mich überzeugen.24

Humanismus des Anderen Was die beiden Kollegen betonen, ist auch die Voraussetzung einer transkulturellen Germanistik, deren Positionen zu benennen sind, wenn es um transatlantische und internationale Germanistik geht. Da ist vor allem ein ethischer Standpunkt anzusprechen:25 Erstens der theoretische Aspekt eines „Humanismus des Anderen“ (ein Terminus von Emmanuel Levinas26) als Voraussetzung einer transkulturellen Germanistik, zweitens der pragmatische Aspekt der Notwendigkeit, Germanistiken in anderen Ländern und Kontinenten besser kennenzulernen. In der postkolonialen Kondition gibt es philosophische Begriffe wie den vom ‚Wi-

22 Ebenda, S. 69. 23 Dieter Henrich: Versuch über Kunst und Leben. Subjektivität – Weltverstehen – Kunst. München 2001, S. 132 und S. 315. Zitiert bei Wolfgang Asholt: „Neues Leben (in) der Literaturwissenschaft?“, S. 71. 24 Vgl. dazu ähnliche Ansätze bei mir: Paul Michael Lützeler: Zeitgeschichte in Geschichten der Zeit. Bonn 1986; Geschichte in der Literatur. Studien zu Werken von Lessing bis Hebbel. München 1987; Klio oder Kalliope? Literatur und Geschichte. Berlin 1997; Postmoderne und postkoloniale deutschsprachige Literatur. Bielefeld 2005; Bürgerkrieg global. Menschenrechtsethos und deutschsprachiger Gegenwartsroman. München 2009. 25 Helmut Schmitz (Hg.): Von der nationalen zur internationalen Literatur. Transkulturelle deutschsprachige Literatur und Kultur im Zeitalter globaler Migration. Amsterdam 2009; Antje Gunsenheimer (Hg.): Grenzen, Differenzen, Übergänge, Spannungsfelder inter- und transkultureller Kommunikation. Bielefeld 2007. Wolfgang Welsch: „Transculturality – the Puzzling Form of Cultures“. In: Spaces of Culture: City, Nation, World, hg. v. Mike Featherstone und Scott Lash. London 1999. S. 194–213. 26 Emmanuel Levinas: Humanismus des anderen Menschen. Hamburg 1989.

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derstreit‘ (Jean-François Lyotard27) bzw. der ‚Politik der Anerkennung‘ (Charles Taylor28, Axel Honneth29), es gibt Metaphern wie die vom ‚Dritten Raum‘ (Homi Bhabha30) oder vom ‚postkolonialen Blick‘31, und es gibt Methoden wie die der ‚kontrapunktischen Lektüre‘ (Edward Said32). Mit diesen Begriffen, Metaphern und Methoden befinden wir uns im Lernprozess, die Besonderheiten anderer Kulturen zu respektieren und das Wechselspiel zwischen den Zivilisationen neu auszutarieren und zu bewerten. Aber haben wir auch gelernt, die Vielfalt der Germanistik, wie sie in den unterschiedlichen Teilen der Welt existiert, in ihrer Eigenart wahrzunehmen und anzuerkennen? Hat sich nicht viel von dem kolonialen Verhalten der Germanistik, wie sie im sogenannten Westen etabliert ist, erhalten? Wir haben zwar in der Kulturtheorie einiges Neue über Zivilisationsprozesse in ihrer Interaktion erfahren, aber was wissen wir als FachwissenschaftlerInnen über die indische, die arabische, die afrikanische, die chinesische, die brasilianische, die japanische oder die russische Germanistik in ihrer jeweiligen Vielfalt? Was wissen wir von den Besonderheiten der Textlektüre, von den kulturellen Hintergründen der Fragestellungen, von den Ergebnissen der Forschungen, von den Frustrationen aber auch derer, die gleichsam täglich in ihren Arbeitsgebieten die Dominanz von Theorien, Methoden, Praktiken und Ergebnissen zu spüren bekommen, die ihnen aus anderen Teilen der Welt geradezu aufgedrängt werden? Innerhalb der internationalen transkulturellen Germanistik wäre es ratsam, einen „Humanismus des Anderen“ zu beherzigen: Dass nämlich der Andere nur Anderer bleibt, wenn er nicht typisiert oder identifiziert wird, wenn er nicht in meine Vorstellung von ihm integriert, sondern in seiner Andersheit anerkannt wird. Umgekehrt hat dabei die Begegnung mit dem Anderen einen appellierenden Charakter, die eine Öffnung ihm gegenüber nach sich zieht und damit auch meine Subjektivität prägt. Levinas schreibt dazu im Stil eines Paradoxons: „Woher kommt mir dieser Schock, wenn ich unter dem Blick des Anderen gleichgültig vorbeigehe? Das Verhältnis zum Anderen stellt mich in Frage, entleert mich meiner selbst und hört nicht auf, mich zu entleeren, indem es mir immer neue Ressourcen entdeckt.“33 Dabei argumentiert Levinas keineswegs nur auf einer abstrakten philosophisch-phänomenologischen Ebene, sondern auch konkret ethisch-kul-

27 Jean-François Lyotard: Der Widerstreit. München 1989. 28 Charles Taylor: Multikulturalismus und die Politik der Anerkennung. Frankfurt am Main 1993. 29 Axel Honneth: Kampf um Anerkennung. Frankfurt am Main 1992. 30 Homi K. Bhabha: Die Verortung der Kultur. Tübingen 2000. 31 Paul Michael Lützeler (Hg.): Der postkoloniale Blick. Frankfurt am Main 1997. 32 Edward W. Said: Kultur und Imperialismus. Frankfurt am Main 1994. 33 Emmanuel Levinas: Humanismus des anderen Menschen, S. 38.

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turkritisch und ethisch-politisch, wie seine zahlreichen Hinweise auf koloniale Verwerfungen zeigen. Auf unser Thema angewandt: Wir können eigentlich nicht von einer transkulturellen Germanistik sprechen, solange wir nicht aufhören, die Germanistiken in den verschiedenen Erdteilen – gleichsam kolonial – danach zu bewerten, ob und wie weit sie die Theorien, Methoden und Forschungsansätze des ‚Westens‘ übernommen haben. Der Vorwurf des Provinzialismus, den nicht wenige ‚westliche‘ GermanistInnen so rasch erheben, wenn sie in den Germanistiken anderer Länder bestimmte Stichworte aus ihrem aktuellen Wissenschaftsdiskurs vermissen, fällt auf sie selbst zurück, weil sie sich, von Ausnahmen abgesehen, für die afrikanischen, lateinamerikanischen, arabischen oder asiatischen Fragestellungen und Kulturhintergründe nicht interessieren. Umgekehrt wäre es zu begrüßen, wenn die Germanistiken der verschiedenen Erdteile die Methoden und Ergebnisse ihrer Arbeiten transparenter machten und stärker auf einen Dialog mit anderen germanistischen Kulturen hin ausrichteten. Der häufigere Gebrauch des Deutschen böte die Möglichkeit einer zunehmenden innerfachlichen Kommunikation. Das Deutsche ist ja nicht lediglich in Sprache und Literatur selbst der primäre wissenschaftliche Gegenstand, sondern auch die lingua franca unseres Fachs. Die germanistischen Abteilungen außerhalb der deutschsprachigen Länder befinden sich in einem permanenten code und cultural switching, bewegen sie sich doch in einem sprachlichen und kulturellen Raum zwischen ihren deutschsprachigen Lehr- und Forschungsgegenständen und der anderssprachigen und heterokulturellen Umgebung des Universitätsstandortes. Während meiner Gastprofessuren als Germanist und während der Teilnahme an nationalen und regionalen germanistischen Kongressen in Südamerika, Afrika, Europa und Asien ist mir aufgefallen, wie relativ wenig man von den Ergebnissen der Forschungen und den ihnen zugrunde liegenden Theorien mitbekommt, wenn man die jeweilige Heimatsprache, sei es Spanisch oder Portugiesisch, Koreanisch, Japanisch oder Chinesisch nicht beherrscht. Der Großteil der fachlichen Kommunikation verläuft in den nationalen Sprachen der Länder und verbleibt naturgemäß eine interne, also nationale Auseinandersetzung, an der die meisten WissenschaftlerInnen innerhalb der Germanistik weltweit nicht teilhaben können. Hier erledigt sich die Frage nach der Einheit des Fachs schon aufgrund der Sprachbarrieren. Nicht dass man mich falsch verstehe: Die jeweils nationalsprachliche Auseinandersetzung mit der deutschen Literatur ist für die Vermittlung deutscher Literatur im jeweiligen Land unerlässlich und bildet den Anfang transkultureller Kommunikation. Daneben aber gilt es den innerfachlichen Dialog zu fördern. Da gibt es bereits erfreuliche Entwicklungen, die verstärkt werden könnten: dass etwa der Gebrauch des Deutschen sich bei kontinentalen und interkontinentalen germanistischen Kongressen stärker durchsetzt.

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Die Tagungen der Internationalen Vereinigung für Germanistik (IVG) geben dazu gleichsam das Modell ab. Realisiert ist diese Kommunikationspraxis auch beim Asiatischen Germanistikverband, der in den 1980er Jahren gegründet wurde und sich alle drei Jahre abwechselnd in Korea, Japan und China trifft. Es gibt ähnliche Entwicklungen bei den Fachzeitschriften. Man denke an die „Neuen Beiträge zur Germanistik“ in Japan, die viel stärker auf den Gebrauch des Deutschen setzen als es früher bei „Doitsu Bungaku“ (der Vorläuferzeitschrift) der Fall war. In China gibt es die „Literaturstraße. Chinesisch-deutsches Jahrbuch für Sprache, Literatur und Kultur“, in dem die Aufsätze auf Deutsch erscheinen, und ähnlich sieht es beim „Weltengarten. Deutsch-afrikanisches Jahrbuch für Interkulturelles Denken“ aus, ediert von David Simo und Leo Kreutzer, sowie auch bei einigen gemischtsprachlichen amerikanischen und europäischen Zeitschriften. Dieser Trend sollte im Interesse der innerfachlichen Kommunikation verstärkt werden. Der Blick des Anderen – um die Metaphorik von Levinas noch einmal zu gebrauchen – erreicht die meisten GermanistInnen nur, wenn die Botschaft, die es zu vermitteln gilt, in der Sprache des Fachs selbst formuliert ist. Die Asymmetrie zwischen der dominanten transatlantischen Germanistik und der weniger bekannten übrigen internationalen Germanistik könnte dadurch ausbalanciert werden. Keine Germanistin und kein Germanist kann all die Sprachen beherrschen, die in jenen Ländern gesprochen werden, in denen die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit deutschsprachiger Literatur betrieben wird, und Übersetzungen können immer nur eine kleine Lücke füllen. Der rascheste Weg zur Verständigung über Wissenschafts- oder Denkmodelle, Interpretationstheorien und -praktiken, über die Arten von kulturtheoretischen Ansätzen, zum Erkennen kultureller Überschneidungssituationen und Doppelbewertungen führt in unserem Fach über den Gebrauch jener Sprache, die jedes Mitglied der internationalen Germanistik versteht, nämlich das Deutsche.

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1. Momente im transatlantischen Austausch

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1968 in Berlin und Bloomington (2012) Bei allen fatalen Begleiterscheinungen, die der Kalte Krieg zwischen 1947 und 1989 mit sich brachte, hatte er im Vergleich mit anderen militärischen Auseinandersetzungen zwei Vorzüge: Zum einen erfolgte der Umschlag vom kalten in den heißen Zustand nicht, und zum anderen verhalf er indirekt den amerikanischen Colleges und Universitäten zu einem Aufschwung, der einzigartig in der Geschichte Amerikas ist. Am 4. Oktober 1957 brachten sowjetische Raumfahrtwissenschaftler „Sputnik 1“ als ersten künstlichen Satelliten in die Erdumlaufbahn, und der Schock fuhr der Regierung in Washington und allen, die Verantwortung für Wissenschaft und Bildung in den USA trugen, in die Knochen.1 Zwar hatte der amerikanische Senator William Benton aus Connecticut schon vor 1957 Warnungen vor dem Technologievorsprung der Russen, ihrem effektiveren und besser koordinierten Bildungssystem ausgesprochen2, doch blieben das Kassandrarufe. „Sputnik“ heißt ursprünglich so viel wie „Weggefährte“, und in den nächsten zehn Jahren war der kleine Satellit der hilfreichste Begleiter des amerikanischen Schul- und Universitätssystems. Gegen die Absichten seiner Erfinder lenkte er einen – so schien es – nicht versiegenden Geldstrom in die Budgets von Direktoren an den High Schools und Leitern höherer Bildungsanstalten. Präsident Dwight D. Eisenhower legte zügig das Federal-Aid-to-Education Program in Höhe von 1,6 Milliarden Dollar auf, die innerhalb von vier Jahren als Bundesmittel in das amerikanische Bildungssystem von der Grundschule bis zu den elitärsten Forschungszentren gepumpt wurden. Es waren Friedenszeiten, und so war das Geld dafür vorhanden. Um den Wert dieser Summen heute richtig einzuschätzen, muss man sie mit sieben oder gar acht multiplizieren. Auch die Unterrichtsministerien der Einzelstaaten und private Stiftungen, die nach ihren Gründern Ford, Rockefeller, Danforth, Mellon etc. heißen, sahen sich im Sinne patriotisch-friedlicher Verteidigungsanstrengungen genötigt, ihre Ausgaben zu steigern. Dass auch das Budget des damals schon seit elf Jahren bestehenden Fulbright-Programms zur Förderung des wissenschaftlichen Austauschs mit anderen Ländern vom amerikanischen State Department erhöht wurde, versteht sich. Und ferner halfen sich die Colleges und Universitäten auch selbst, indem sie die Büros ihrer fund raisers erweiterten und professionalisierten: Sie hielten ihre Alumni Associations an, den ehemaligen Studentinnen und Studenten noch mehr Bettelbriefe und noch mehr Hochglanzbroschüren zu schicken, in denen

1 Robert A. Divine: The Sputnik Challenge. New York 1993. 2 Willam Benton: This is the Challenge. The Benton Reports of 1956–1958 on the Nature of the Soviet Threat. Hg. v. Edward W. Barrett. New York 1958.

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die weltbewegenden Forschungsergebnisse ihrer Professorenschaft gefeiert wurden. Mit Hilfe staatlicher und privater Initiativen wurde es auch möglich, sogenannte Bildungsreserven zu erschließen, indem man die College- und Universitätsgebühren für begabte Studenten und Studentinnen aus minderbemittelten Familien übernahm. Das betraf in der Folge auch die Ermunterung von afroamerikanischen Familien, ihre Kinder auf höhere Schulen, auf Colleges und Universitäten zu schicken, und dieser Trend wurde durch das bereits 1950 einsetzende Civil Rights Movement verstärkt. Erinnerte man sich an die Bildungslandschaft vor dem Sputnikschock und sah sie sich zehn Jahre nach 1957 an, so erkannte man die meisten Universitäten kaum noch wieder. Nicht nur dass sich die Studentenzahlen vervielfacht hatten, auch die Anzahl der modernen neuen Gebäude, die damals auf fast jedem amerikanischen Campus wie Pilze aus dem Boden schossen, veränderten nachhaltig das äußere Erscheinungsbild der Universitäten, das nun nicht mehr – sieht man von einigen Ausnahmen ab – durch die efeuumrankten neo-gotischen Burgen der Jahrhundertwende bestimmt war. Es war auch nicht so, dass der Goldregen, der sich da so wundersam in die Kassen der Bildungsinstitutionen ergoss, nur der Raumfahrttechnologie oder den Naturwissenschaften zugute gekommen wäre. Präsident Eisenhower war seinen Beratern gefolgt, als er eine grundlegende Reform des amerikanischen Bildungssystems mit der Unterstützung aller Fächer, auch jener in den Humanities, und dort besonders auch der Sprach- und Literaturabteilungen, forderte und mitfinanzierte. In dem Förderpaket Eisenhowers waren zwanzigtausend Stipendien enthalten, die auf alle Fächer verteilt wurden, und so kam es, dass hunderte von Studierende der Germanistik sogenannte national defense Stipendien erhielten – man verteidigte das Land also offenbar auch mit Goethe- und Kafka-Interpretationen.

Amerikanische Germanistik 1958, 1968, 2008 In dieser einzigartigen Expansionsphase der amerikanischen Universitäten wurden auch zahlreiche junge Germanisten, die in Deutschland promoviert hatten, ins Land der akademischen Verheißung gelockt. Jost Hermand oder Reinhold Grimm, Ernst Behler oder Michael Curschmann, Peter Uwe Hohendahl oder Wolfgang Nehring, Walter Hinderer oder Klaus Berghahn und viele andere nahmen als junge Gelehrte gerne zwischen 1957 und 1967 den Ruf an eine amerikanische Universität an. Damit ersparte man sich die damals noch psychisch wie physisch anstrengende Assistentenzeit bei einem deutschen Ordinarius, war gleich sein eigener Herr und unterrichtete kleine Gruppen von Studierenden, was große Vorzüge gegenüber der Situation im Massenfach Germanistik in Deutschland hatte. Die er-

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wähnten Kollegen landeten an den besten amerikanischen German Departments und wurden international beachtete Kapazitäten auf ihren Gebieten. Man spricht heute gerne über die Krise der amerikanischen Germanistik, aber von einer Krise kann nur die Rede sein, wenn man den Vergleichsmaßstab 1968 wählt. Das war das letzte Wachstumsjahr im Zeichen des Sputnikschocks. Der Sputnikschock brachte eine Aufblähung der Deutschabteilungen in den USA mit sich, die völlig quer lag zu dem, was ein freier Arbeitsmarkt ohne künstliche Unterstützungen seitens der Regierung gefordert hätte. Berücksichtigt man nicht das akademische Jahr 1968, sondern das von 1958 (bevor die neuen Fördermaßnahmen zu greifen anfingen) als komparativen Faktor, kann von einer Krise nur mit Vorbehalten gesprochen werden. Hier einige statistische Details über die Anzahl von Professoren an führenden German Departments in den Jahren 1958, 1968 und 2008: Die University of California at Berkeley hatte 1958 zwölf, 1968 einundzwanzig und 2008 fünfzehn faculty members; Harvard University 1958 acht, 1968 vierzehn, 2008 neun; Indiana University 1958 neun, 1968 neunundzwanzig (ohne Gastdozenten), 2008 neunzehn.3 In allen Fällen liegt die Anzahl der Professorenstellen heute noch immer über der von 1958, wenn auch die Einbrüche gegenüber dem Jahr 1968 – aus ersichtlichen Gründen – eklatant sind. Kein anderes Bild ergibt sich, wenn man sich die Einschreibungen in deutscher Sprache und Literatur in den genannten Jahren anschaut: 1958 lag die Anzahl der Studierenden für Deutsch bei knapp über hunderttausend, aber im Jahr 1968 war sie genau doppelt so hoch, und 2008 liegt man mit knapp unter hunderttausend wieder dort, wo man sich 1958 befand. Auf dem Gebiet der Doktorandenausbildung ist die Bilanz erstaunlich gut: 1957/58 gab es nur 22, 1967/68 jedoch 85 und im Jahr 2010 immerhin 66 Doktoranden, die ihr Studium der Germanistik erfolgreich mit einer Dissertation abschlossen. Sicher hat sich die Einwohnerschaft der Vereinigten Staaten seit 1957 nahezu verdoppelt, aber man muss auch berücksichtigen, wie stark inzwischen für eine Fremdsprache und eine Literatur wie die deutsche die Konkurrenz durch andere Sprachen und Literaturen geworden ist, man denke besonders an das lateinamerikanische Spanisch, das Französische, das brasilianische Portugiesisch, an Chinesisch und Japanisch. Zudem ist das Angebot an früher nur selten unterrichteten Sprachen (etwa Italienisch, Arabisch oder Koreanisch) gewachsen, während die kleineren germanischen Sprachen wie Schwedisch, Niederländisch oder Dänisch kaum noch angeboten werden, Sprachen, die zwischen 1950 und 1980 noch häufig von Professoren in den German Departments unterrichtet wurden. In den Französischabteilungen hat man zwar auch Federn lassen

3 Die Zahlen basieren auf den Statistiken, die die germanistische Fachzeitschrift „Monatshefte“ jährlich publiziert.

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müssen, aber die Verluste fielen nicht so arg aus wie in den Deutschabteilungen. 1958 waren etwas über 150.000 Studierende für Französisch eingeschrieben, 1968 hatte sich die Zahl mehr als verdoppelt, und im Jahr 2009 sind es immerhin noch gut über 200.000. Für Spanisch hatten sich 1958 nur 20.000 mehr Studierende als für Deutsch eingeschrieben (und 30.000 weniger als für Französisch), und noch 1968 lagen dort die Einschreibungen knapp unter denen für Französisch, um dann jedoch bis zum Jahr 2009 auf über 860.000 zu steigen. Schaut man sich die Wachstumsraten für Spanisch an, kann man davon ausgehen, dass die Millionengrenze bald überschritten sein wird. Um zum Vergleich auch noch das Chinesische, für das es 1958 keine Einschreibungen gab, anzuführen: 1968 waren es magere fünftausend, im Jahr 2009 jedoch immerhin 61.000, also noch gut 30.000 weniger als im selben Jahr für Deutsch.4 Aber da es bei Chinesisch seit 1986 alle zehn Jahre eine Wachstumsrate von hundert Prozent gibt, kann man sich ausrechnen, dass in absehbarer Zeit mehr Studierende für Chinesisch als für Deutsch an amerikanischen Universitäten registriert sein werden. In der Ausbildung von Doktoranden sind die German Departments – relativ gesehen – erfolgreicher als andere Sprachabteilungen: Obwohl die Einschreibungen für Spanisch im Augenblick fast zehnmal größer sind als für Deutsch, gibt es in den Spanish Departments nur dreimal so viele Doktoranden, die abschließen. Die Einschreibungen für Französisch sind zwar momentan doppelt so hoch wie im Deutschen, aber mit wenig über 100 Doktoranden erreichen sie in dieser Kategorie nur eine Überlegenheit von Zweidritteln gegenüber den German Departments. Alles in allem stehen die Deutschen Abteilungen mit ihren Leistungen gut da, und die Einschreibungen für Deutsch sind in den letzten zehn Jahren sogar um insgesamt rund siebentausend Studierende gestiegen, d.h. der Abwärtstrend der 1970er und 1980er Jahre scheint vorbei zu sein.

Langzeitwirkung amerikanischer Universitätserfahrungen Um auf meine Erlebnisse von 1968 zurückzukommen: Ich selbst dachte damals nicht einmal im Traum an eine Karriere in den USA. Es ist fast ein halbes Jahrhundert her, dass ich mein Studium der Germanistik und Anglistik an der Freien Universität Berlin begann. Was lag bei einer solchen Fächerkombination näher, als ein Studienjahr in den USA zu verbringen? Nach sechs Semestern an der Freien Universität hatte ich alle erforderlichen Scheine fürs Staatsexamen erworben,

4 Die Zahlen kann man einsehen unter dem Stichwort „Language Enrollment Database“: http://mla.org.

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konnte aber die Prüfung noch nicht ablegen, weil man dazu vier Studienjahre hinter sich gebracht haben musste. Als Studentenvertreter der Anglisten und Tutorensprecher bei den Germanisten hatte ich 1967 – dem Jahr der Studienreformprojekte und der zunehmenden politischen Polarisierung – aufreibende Monate hinter mir, und so freute ich mich auf eine Berlin-Pause. Die hohe Qualität der amerikanischen Anglistik wie die der US-Germanistik hatte sich auch in Berlin herumgesprochen. Im Fall der Anglistik bezogen wir die Informationen über das John F. Kennedy Institut für Amerikastudien, und was die Germanistik betraf, hatten wir als Studierende Gelegenheit, eine Reihe von Vorträgen amerikanischer GermanistInnen zu hören, die bei ihren Reisen durch Europa offenbar nicht ungern in Berlin Station machten. Zudem erzählte Eberhard Lämmert, wie angetan er von seinem Semester war, das er gerade als Gastprofessor an der Princeton University verbracht hatte. Wilhelm Emrich, den es für ein Semester an die University of Kansas in Lawrence verschlagen hatte, berichtete weniger begeistert über seine Erfahrungen im milden (ehemals wilden) Mittleren Westen. Aber auch er riet nicht von einem USA-Aufenthalt ab. Ich fragte Katharina Mommsen um Rat, bei der ich gerade ein Kleist-Seminar belegte. Sie vermittelte freundlicherweise ein Gespräch mit Henry Hatfield von der Harvard University, damals zu Gast in Berlin. Hatfield riet mir zur Indiana University und sagte, das sei im Augenblick die interessanteste Abteilung für Germanistik, die auch gut mit dem dortigen Comparative Literature Department kooperiere. Ich solle mich auf ihn berufen, wenn ich in Zukunft mit dem dortigen Leiter des German Departments, Frank Ryder, korrespondieren sollte. Ermöglicht wurde der Amerika-Aufenthalt 1968/69 durch ein Fulbright-Stipendium. Von Berlin aus hatte ich mich beworben und meine Formulare an Ulrich Littmann, den Leiter der Fulbright-Kommission in Bad Godesberg geschickt. Littmann hatte offenbar Verständnis, und ich konnte an die Indiana University gehen. Anfang August 1968 leitete er das Informationsgespräch für die Fulbright-StudentInnen in Bremen. Er ermahnte die versammelten neuen Fellows, sich politisch mehr zu informieren als zu engagieren, denn amerikanische Innenpolitik mit deutscher zu verwechseln, sei noch niemandem gut bekommen. Mit Emphase betonte er, dass wir in Amerika ein Lehr- und Lernjahr verbringen sollten, das uns als Bürgern der Bundesrepublik bei der künftigen Arbeit in Deutschland zugutekommen sollte. Irgendwelche Ideen von einem permanenten USA-Aufenthalt sollten wir uns aus dem Kopf schlagen. Die Auswanderung zu ermöglichen, sei nicht Aufgabe der Fulbright-Kommission. Mit unserem Visum müssten wir nach den beiden Semestern in Amerika wieder für mindestens zwei Jahre nach Deutschland zurückkehren. Ich verstand damals diese wiederholten Mahnungen zur Rückkehr in die heimischen Gefilde nicht, denn – wie fast alle anderen Fulbright-StudentInnen des damaligen Jahrgangs – dachte ich nicht an Auswanderung. Und die Atlantik-

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Überfahrt (dritter Klasse auf der „United States“ von Bremen nach New York) war nicht dazu angetan, irgendwelche Gelüste auf einen Daueraufenthalt in den USA zu wecken. Das änderte sich allerdings nach wenigen Studienwochen in Bloomington. Beim Fulbright-Informationsgespräch in Bremen hatte ich einen Kommilitonen von der FU Berlin, Peter Kroener, kennengelernt, der Wirtschaftswissenschaften an der Indiana University studieren wollte. Wir wurden Freunde. Gleichzeitig entdeckten wir die Vorteile des amerikanischen Universitätssystems, und schon bald stand fest, dass wir unsere Laufbahn in den USA einschlagen würden. Dem Fulbright-Buchstaben gehorchend, hielt ich mich wieder für zwei Jahre in Europa auf, kehrte aber dann in die USA zurück. Bloomington und die Indiana University waren so ziemlich in allem das denkbar größte Gegenteil von Berlin und der Freien Universität. Nicht dass die Studentenschaft auf dem Indiana Campus unpolitisch gewesen wäre. Das Thema Vietnamkrieg löste bei den Studierenden zahllose Diskussionen, Protestveranstaltungen und Resolutionen gegen diesen Krieg aus. Auch die Aktionen der afro-amerikanischen Studierenden standen unter dem Eindruck dieses Krieges, in dem überproportional viele junge Schwarze kämpften. Aber die Ernsthaftigkeit, die Fairness, der Pragmatismus der Gespräche unterschieden sich wohltuend von der Überheblichkeit, der Clownerie, dem Fanatismus und der Weltfremdheit, die in Berlin zu dominieren begannen. Ich hatte den sogenannten zweiten Bildungsweg hinter mir, und die Luftsprünge der studentischen ‚Revolutionäre‘ hatte ich von Anfang an mit großer Skepsis beobachtet. Das Diskussionsklima, das in den beiden Jahren 1965 und 1966 noch so offen gewesen war, veränderte sich 1967/68 rasch. An allen Ecken bildeten sich marxistische Gruppen, die sich, was ihre Radikalität betraf, ständig zu überbieten suchten. Nur ein Beispiel, das für die Situation bezeichnend war. Am Anfang des Studiums begannen sich viele von uns für die Schriften der Frankfurter Schule zu interessieren und in dem Zusammenhang auch für die Arbeiten Walter Benjamins. Bald hatten wir alle verfügbaren Suhrkamp-Bändchen mit seinen Abhandlungen und Essays gelesen, gleichzeitig aber auch ganz andere Autoren wie Ernst Robert Curtius, Hugo Friedrich, Northrop Frye, C.G. Jung, Erich Auerbach, Georg Lukács, Martin Heidegger, Jean-Paul Sartre, Sigmund Freud etc. 1967 hatte sich eine Art radikale Walter-Benjamin-Zelle im Germanischen Seminar der Freien Universität gebildet, die den Autor in den Seminaren „durchdrücken“ wollte. In einem Kleistseminar, das von Katharina Mommsen geleitet wurde, stellte diese Gruppe von vier jungen Männern fest, dass die Dozentin offenbar nicht sattelfest in Sachen Benjaminscher Theorie sei. Es sei doch nicht zu tolerieren, dass auf der Lektüreliste für die Lehrveranstaltung kein einziges Werk von Benjamin genannt sei. Und nun hagelte es nur so von Benjamin-Begriffen wie Allegorie und Aura, Erwachen und Erleuchtung, Eingedenken und Katastrophe, ohne deren Kenntnis man Kleist doch ein-

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fach nicht verstehen könne. Die Beispiele poetischer Begrifflichkeit verwandelten sich bei den Benjamin-Enthusiasten widersinnigerweise – weil gegen die Intention des Theoretikers gerichtet – in Drohvokabeln, und es verschlug einem kurz die Sprache. Die wurde aber bald wiedergefunden, und ich stellte fest, dass wir ja nicht zu einem Benjamin-Kurs, sondern zu einem Kleist-Seminar versammelt seien, dass wir, was Theorie und Methode betrifft, wahrscheinlich alle unterschiedliche Vorstellungen hätten, und dass wir uns einmal gesondert zu einer Diskussion über mögliche theoretische Ansätze beim Studium der Kleistschen Novellen und Dramen treffen könnten. Dem stimmten alle zu, die Mehrheit gab den Ausschlag, und auch die Benjamin-Jünger waren einverstanden. Wir trafen uns zweimal in der Evangelischen Studentengemeinde samstagmorgens und unterhielten uns über viele damals gängige literaturtheoretische Ansätze. Im Seminar herrschte jetzt ein Methodenpluralismus, und die Benjaminianer konnten hie und da mit Zustimmung rechnen, etwa wenn sie auf eine Sentenz ihres Meisters verwiesen, die auf Kleists Werke passte: „Die Rettung hält sich an den kleinen Sprung in der kontinuierlichen Katastrophe.“5 Jedenfalls lief das Seminar nun sehr gut, und ich habe selten so viel über einen Autor der Romantik gelernt wie bei Katharina Mommsen. Das lag zum einen am Kenntnisreichtum der Dozentin, zum anderen an den engagierten TeilnehmerInnen, zu denen nun auch die Benjaminverehrer gehörten. Doch die allgemeine marxistische Radikalisierung unter den Studierenden schritt weiter fort. Bald ließ man die Frankfurter Schule hinter sich; auch Herbert Marcuses „Der eindimensionale Mensch“ – 1967 ein Semester lang der studentische Bestseller schlechthin – war rasch Schnee von gestern. Die ideologischen Drogen wurden immer stärker, das Vokabular immer aggressiver und militanter. Jetzt orientierte man sich an Figuren des politischen Marxismus von Rosa Luxemburg bis Karl Liebknecht, von Lenin bis Stalin, von Mao Tse-tung bis Ho Chi Minh. Kurz vor Ende des Sommersemesters 1968 war die Pseudo-Revolution im Germanischen Seminar der Freien Universität ausgebrochen. Einer meiner letzten Eindrücke von dort: In der Boltzmannstraße 30 ertönt aus dem Fenster im oberen Stockwert, d.h. aus der Seminarbibliothek, die „Internationale“. Aus dem gleichen Fenster hängt ein fahnengroßes Stück braunes Papier, auf dem mit roter Farbe die ‚Umwidmung‘ zu lesen ist: Rosa Luxemburg Institut. Das Seminar wurde verbarrikadiert, die Kinder der Kommune fingen an, die Bücher aus dem Fenster zu schmeißen, im Treppenaufgang der Boltzmannstraße stand der be-

5 Walter Benjamin: „Charles Baudelaire. Ein Lyriker im Zeitalter des Hochkapitalismus“. In: W.B.: Gesammelte Schriften I.2. Hg. v. Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser. Frankfurt am Main 1991, S. 683.

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rühmt gewordene Spruch: „Schlagt die Germanistik tot, färbt die blaue Blume rot“.6 Ich war froh, das Visum für ein Jahr in den USA in der Tasche zu haben. Mein Berufswunsch war Literaturprofessor, am liebsten mit der Kombination von Germanistik und Komparatistik. Henry Hatfield hatte mich, was den Hinweis auf Bloomington betraf, gut beraten. Zur Indiana University gehörte damals die größte Deutsche Abteilung der USA (inklusive der Gastprofessoren arbeiteten dort dreiunddreißig Fakultätsmitglieder). Sie war eine der drei besten German Departments im Lande, zugleich aufs Engste verbunden mit dem ausgezeichneten Institut für Komparatistik. Was für ein Gewinn, bei Ulrich Weisstein (über Brecht7), Manfred Durzak (über Lessing8), Dorrit Cohn (über Narratologie am Beispiel des europäischen modernen Romans9), Breon Mitchell (über das europäische Drama) in Ruhe studieren zu können. Zu den jungen Professoren an der Indiana University gehörte auch James F. Poag, der sich bereits als Mediävist einen guten Namen gemacht hatte, und der vier Jahre später an die Washington University in St. Louis wechselte. Ich hatte schon, mehr als für mein neugermanistisches Studium nötig, Seminare und Vorlesungen über mittelalterliche Literatur in Berlin bei Joachim Bumke und Peter Wapnewski gehört, und so beschränkte sich unser Kontakt in Bloomington auf einige Gespräche, durch die ich von seinen Interessen auf dem Gebiet von Literatur und Religion erfuhr.10 Mit Computern wurde man, nahm man an der Indiana University ein Seminar bei Frank Ryder, durchaus schon vertraut. Ryder war der einzige Germanist, den ich kannte, der bereits 1968 für seine Forschungen Computer benutzte. Das waren damals raumfüllende Ungetüme mit hohem Geräuschpegel, die Unmengen an Endlospapier ausspuckten. Ryder hatte sich in den Kopf gesetzt, die Beschäftigung mit der deutschen Lyrik unter phonetischer Betrachtungsweise zu revolutionieren. Er gab riesige Quantitäten an Gedichten – nach literarischen Epochen oder nach Autoren geordnet – in den Computer ein. Der sollte alle Vokale und Konsonanten auszählen und auf die Reihe bringen, weil er glaubte, dass die Lyrik ihnen bestimmte Stimmungsqualitäten abgewinne. Je mehr sich z.B. Konsonanten wie „p“, „t“ und „k“ häuften, desto aggressiver

6 Vgl. Peter Schneider: Rebellion und Wahn: Mein 68. Eine autobiographische Erzählung. Köln 2008. 7 Ulrich Weisstein: Links und links gesellt sich nicht. Gesammelte Aufsätze zum Werk Heinrich Manns und Bertolt Brechts. New York 1986. 8 Manfred Durzak: Zu Gotthold Ephraim Lessing. Poesie im bürgerlichen Zeitalter. Stuttgart 1984. 9 Dorrit Cohn: Transparent Minds. Narrative Modes for Presenting Consciousness in Fiction. Princeton 1978. 10 James F. Poag: Wolfram von Eschenbach. New York 1972.

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musste die Aussage der betreffenden lyrischen Stelle sein. An sich war Ryder ein nüchterner Mann, aber wenn er bei Gryphius oder bei Hofmannsthal auf Gedichte stieß, die seine Meinung bestätigten, geriet er vor Enthusiasmus aus dem Häuschen. Nach Jahren des Durchsehens unendlich langer Buchstabenlisten gab er allerdings sein Projekt auf, und die Interpretation von Lyrik blieb trotz Computer unrevolutioniert. Immerhin: Dass man in der amerikanischen Germanistik einmal einen frühen Versuch zur Nutzung der neuen elektronischen Maschine gemacht hatte, verdient festgehalten zu werden. Niemand unter den Kommilitonen hatte, was Theorie und Methode betraf, Scheuklappen an. Fabelhaft auch, wie die Professoren sich um die pädagogische Seite des Fachs kümmerten und die Studierenden ins Unterrichten einwiesen. Die Bibliothek der Indiana University war (und ist bis heute) vorzüglich. Und die Ausleih- und Rückgabeprozedur – in deutschen Universitäten damals ein nervtötendes Verfahren – war unbürokratisch und kostete kaum Zeit. Beeindruckt war ich ferner vom West European Studies Center an der Indiana University, das von Henry Remak geleitet wurde. Ich belegte zwar kein Seminar bei Remak, ging aber öfters zu Vorträgen und Symposien, die er in seinem interdisziplinären Europa-Programm anbot. Da äußerte er einmal in einer Diskussion, dass ihm die Alternative „gutes Unterrichten“ oder „ertragreiche Forschung“ sinnlos erscheine: Ohne Forschung könne man auf die Dauer keine interessanten Seminare abhalten, und ohne Seminardiskussionen fehlten der Forschung die Fragestellungen. Zudem sei Publizieren eine Form des Unterrichtens mit anderen Mitteln, denn die Ergebnisse der Forschung würden ja bei der Vorbereitung der Seminare genutzt. Keine der vielen akademischen Einrichtungen, die ich in Bloomington kennenlernte, hat mir so viel Respekt abgewonnen wie das West European Studies Center. Hier wurde multi- und interdisziplinär über die Großregion Westeuropa geforscht. Und neu war, dass ein Literaturwissenschaftler diesem Programm vorstand, denn European Studies war eine Domäne der PolitologInnen und HistorikerInnen. An der Washington University wartete ich nur auf den Moment, an dem ich ein vergleichbares Programm dort einrichten könnte. Dazu bot sich 1983 Gelegenheit, als ich Chairman des German Departments wurde. Das damals von mir gegründete European Studies Program, das bis 1989 Western European Studies Program (WESP) hieß, leitete ich dann zwanzig Jahre lang. Es war ein interdisziplinärer M.A.-Studiengang, in den jährlich vier neue Studierende aus den USA und ein/e Austauschstudent/in aus Deutschland aufgenommen wurden. Anders als in Bloomington, wo das West European Studies Center durch Mittel der amerikanischen Regierung (Title VI) unterstützt wurde, halfen mir europäische Mittlerorganisationen. Es gab zwei Gründe dafür: Mir kamen die Bewerbungen um die Mittel für „Title VI“ zu zeitraubend und bürokratisch vor. Zudem blieb man in Washington auch nach 1989,

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d.h. nach dem Ende der Teilung Europas, bei den alten Förderkategorien, d.h. man musste sich entweder für ein West European oder ein East European Center entscheiden. Doch nach dem Ende der Jalta-Teilung leuchtete mir das nicht ein, und ich wandelte 1990 WESP an der Washington University in ein European Studies Program um. Unterstützt wurde es durch den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) in Bonn, die Deutsche Fulbright-Kommission in Berlin und die Stiftung Pro Helvetia11 in Zürich, indem sie eine Reihe von Dozenten und Professoren (wie Elisabeth Domansky, Michael Strübel, Andreas Wirsching, Brigitte Studer) aus der Geschichte und den Sozialwissenschaften aus Deutschland bzw. der Schweiz schickten, die Seminare zu Europathemen unterrichteten. Zudem vermittelte die Delegation der Europäischen Gemeinschaft bzw. Europäischen Union regelmäßig Redner, die als Europa-Experten Vorträge in St. Louis hielten. Im Lauf der Zeit organisierte ich ein halbes Dutzend Europa-Tagungen, von denen die mit internationaler Besetzung hier genannt seien: Am Anfang stand ein Symposium über die Rolle der Bundesrepublik Deutschland in der Europäischen Gemeinschaft12 (u.a. mit Werner Weidenfeld, Rudolf Hrbek, Jürgen Schwarze, Konrad von Moltke und Wolfgang Graf Vitzthum); dann eine Konferenz über Europa nach Maastricht13 (u.a. mit Theo Sommer, Murray Weidenbaum, Hartmut Kaelble, Alberta Sbragia und Robert Picht); schließlich eine Tagung zum Euro14 (u.a. mit Elke Thiel, George A. Berman, Andrew Sobel und John Nye). Das waren die Jahre, in denen ich mich vor allem dem Studium des literarischen Europadiskurses15 widmete. Auch wenn ich das European Studies Program nicht mehr leite, unterrichte ich nach wie vor in ihm, und vor wenigen Jahren habe ich mit Hilfe von Wilhelm Krull und Gary Wihl zur Stärkung der europäischen und transatlantischen Studien ein Post-Doc-Austauschprogramm zwischen deutschen Universitäten und der Washington University einleiten können, das durch die VolkswagenStiftung mitfinanziert wird.

11 Für die Vermittlung bin ich Michael Böhler aus Zürich zu Dank verpflichtet. 12 Paul Michael Lützeler (Hg.): Western Europe in Transition. West Germany’s Role in the European Community. Baden-Baden 1986. 13 Paul Michael Lützeler (Hg.): Europe After Maastricht. American and European Perspectives. Providence und Oxford 1994. 14 Leila Wechsler und Paul Michael Lützeler (Hg.): The Euro: A New Currency for Europe. Themenheft von: The Columbia Journal of European Law 4.2 (Spring 1998). 15 Paul Michael Lützeler: Die Schriftsteller und Europa. Von der Romantik bis zur Gegenwart. München 1992; Europäische Identität und Multikultur. Fallstudien zur deutschsprachigen Literatur seit der Romantik. Tübingen 1997; Kontinentalisierung. Das Europa der Schriftsteller. Bielefeld 2007. Es gibt nur wenige Germanisten, die Buchveröffentlichungen zum Europadiskurs vorgelegt haben. Zu ihnen gehören Claude Conter aus Luxemburg, Peter Hanenberg aus Lissabon und Silvio Vietta aus Hildesheim.

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Von den vielen Europa-Konferenzen, die ich in der transatlantischen Region im Lauf der Jahrzehnte besucht (oder auch veranstaltet) habe, ist mir besonders jene in guter Erinnerung, an der ich vom 26.–28. Januar 2006 in Salzburg teilnahm. Sie fand statt, als Österreich den Vorsitz des Europäischen Rats innehatte. Verbunden wurde die Tagung mit einer Festveranstaltung aus Anlass des 250. Geburtstages von Wolfgang Amadeus Mozart, weswegen das Ganze „The Sound of Europe“ genannt wurde. Dass ein Konzert im Großen Festspielhaus von Salzburg mit den Wiener Philharmonikern (dirigiert von Ricardo Muti) und der Sopranistin Cecilia Bartoli dazugehörte, versteht sich fast von selbst. Der österreichische Bundeskanzler Wolfgang Schüssel war der Gastgeber und Leiter des politischen Programms, an dem u.a. teilnahmen: José Manuel Barroso, Präsident der Europäischen Kommission, Josep Borrell, Präsident des Europäischen Parlaments, Francisco Javier Solana Madariaga, Generalsekretär des Europäischen Rates, Vaira Vike-Freiberga, die Präsidentin von Lettland, Heinz Fischer, Präsident der Republik Österreich, Dominique de Villepin, Ministerpräsident Frankreichs, Jan Peter Balkenende, Ministerpräsident der Niederlande sowie mehrere EU-Kommissionsmitglieder wie Benita Ferrero-Waldner und MinisterInnen von verschiedenen europäischen Regierungen wie Ursula Plassnik, die österreichische Außenministerin. Das wissenschaftliche Programm hatte Rob Riemen, Präsident des Nexus Instituts in den Niederlanden, zusammengestellt. Das Besondere an diesem Symposium war, dass der Dialog zwischen Wissenschaft und Politik zustande kam, weil beide Gruppen ständig gemeinsam an Vortrags- und Gesprächsrunden teilnahmen. Man verstand sich durchaus, auch wenn man nicht übereinstimmte, und nach zwei Tagen fand man sich zuweilen sogar sympathisch. Der Zufall wollte es, dass mein Redebeitrag gleich auf den von Ministerpräsident Villepin folgte, und dass Villepin – und ich ohnehin – in den Referaten Hermann Broch als Analytiker der Krise Europas im 20. Jahrhundert zitierten. Villepin ging auf Brochs Studie „Hofmannsthal und seine Zeit“ ein, ich bezog mich auf die Romantrilogie „Die Schlafwandler“. Zu den eingeladenen European Studies betreibenden WissenschaftlerInnen gehörten als ReferentInnen zudem Erhard Busek, David Cesarani, Wolfgang Franz Danspeckgruber, Bronislaw Geremek, Gilles Kepel, Mark Leonard, Dominique Moïsi, Andrew Moravcsik, Sonja Puntscher Riekmann und Roger de Weck. Das Grundthema war Europa als Hoffnungsträger: als Friedensfaktor, als Garant europäischer Solidarität, als Förderer von Multikultur, als Verteidiger der Menschenrechte. Dabei standen kulturelle Analysen im Mittelpunkt. Die junge Euro-Währung schien weltweit akzeptiert zu sein, war kaum ein Thema und wurde nicht problematisiert. Von der Aktivität der Goethe-Institute im Ausland hatte ich bis zu meinem Aufenthalt in Bloomington im 1968er Jahr nur vage Vorstellungen. Das GoetheInstitut in Chicago war für die Kontakte zu den German Departments an den

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Universitäten des Mittelwestens zuständig, aber zuweilen kamen auch direkt vom Goethe House in New York Angebote zur Kooperation. Damals wurden nicht nur Autoren und Kritiker (wie etwa Heinrich Böll oder Reinhard Baumgart) nach Bloomington zu Lesungen und zu Vorträgen geschickt, auch Liederabende mit bekannten deutschen Sängern wurden ermöglicht, ja ganze Orchestergruppen tauchten auf und machten bei ihrer durch das Goethe-Institut finanzierten Tour durch die USA in Bloomington Station. Künstler aus dem Bereich von Theater und Oper kamen besonders gerne, war (und ist) doch die Music School der Indiana University weltbekannt. Einer der exchange students unseres Jahrgangs aus Deutschland wurde Schüler des Cellisten Janos Starker. Auch die Veranstaltungen des Goethe-Instituts bildeten eine Attraktion des German Departments und hinterließen einen nachhaltigen Eindruck. In St. Louis nutzte ich die Zeit meiner Jahre als Chairman der Deutschen Abteilung, um durch direkte Verhandlungen mit der Hauptgeschäftsstelle des Goethe-Instituts in München, d.h. mit dem zuverlässigen Generalsekretär Horst Harnischfeger, eine Zweigstelle nach St. Louis zu bringen. Es war ein sogenanntes „kleines“ Institut, aber es belebte mit seinen fähigen Direktoren Otto Steinmetz und Manfred von Hoesslin das kulturelle Angebot. Viele unserer Max Kade Autoren hielten auch Vorträge im Haus des Goethe-Instituts im Central West End von St. Louis. So erinnere ich mich an besonders gelungene Abende mit Jurek Becker und mit Uwe Timm sowie an eine Veranstaltung mit Günter Grass, der im Mai 1989 einige Tage als Gast unseres Goethe-Instituts und unserer Universität in St. Louis verbrachte. Er las aus seinem damals gerade auf Englisch erschienenen Kalkutta-Buch „Zunge zeigen“ und diskutierte darüber. Das war in der Graham Chapel, im größten Vortragssaal der Universität. Zwar wurde unser Goethe-Institut im Zuge deutscher Sparmaßnahmen nach zwölf Jahren geschlossen (dieses Schicksal ereilte damals alle amerikanischen Neben-Institute), aber es hat in den 1980er und 1990er Jahren seinen Zweck erfüllt, und vielleicht wird man auch in Zukunft wieder einmal auf diese Form effektiver Kulturförderung zurückgreifen. Die größte Überraschung am German Department der Indiana University waren 1968 für mich die StudentInnen: Alle wollten College- oder UniversitätsprofessorInnen werden, und man redete mit großer Selbstverständlichkeit über die künftigen Karrierepläne. In Deutschland waren Laufbahngespräche geradezu tabu; man wartete auf den Wink eines Ordinarius, der sich mit feudaler Geste dazu herabließ, den jungen Doktoranden in seine Dienste zu nehmen. Dass es eine wissenschaftliche Laufbahn ohne die unerquicklichen Abhängigkeiten von einem Ordinarius geben konnte, war eine weitere Offenbarung. Zudem wurde das Unterrichten von Deutsch als Fremdsprache, an dem alle graduate students beteiligt waren, ausgezeichnet von Professoren, die sich für die pädagogischen Belange interessierten, betreut. Einer dieser Professoren, Eberhard Reichmann,

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gründete 1968 eine eigene Fachzeitschrift mit dem Titel „Die Unterrichtspraxis“ (ein Organ der American Association of Teachers of German), in der seitdem praktische Aspekte der Lehre von Deutsch als Fremdsprache und zur Literaturpädagogik in den USA behandelt werden. Mitzuerleben, wie eine Zeitschrift begründet wird, war ein weiterer Hinweis auf selten ausgeschöpfte Möglichkeiten der Profession. Nicht dass mir damals schon die Idee gekommen wäre, so etwas auch zu versuchen, doch wenn ich nicht die Begeisterung und den Elan Eberhard Reichmanns bei der Etablierung seines Journals beobachtet hätte, wäre ich mehr als drei Jahrzehnte später vielleicht weniger geneigt gewesen, das Jahrbuch „Gegenwartsliteratur“ zu gründen. Nach wenigen Wochen auf dem Indiana Campus war mir klar, dass ich Literaturwissenschaftler in den USA werden wollte. Wie unbürokratisch war hier die Verwaltung: Alle Scheine aus Berlin wurden anerkannt. Nach nur einem Studienjahr hatte ich die Prüfungen (inklusive einer Abschlussarbeit) zum Magister Artium bestanden und alle Seminare belegt, die ich für die Promotion brauchte. Ich verbrachte noch ein weiteres Semester auf dem Campus (Frank Ryder, der Chairman, gab mir ein Stipendium), um meine schriftlichen Prüfungen (die sogenannten preliminary exams) zur Dissertation abzulegen. Dann fuhr ich nach Europa zurück. Ich schaute noch einmal kurz in Berlin vorbei. Die meisten Professoren und Dozenten, bei denen ich früher Seminare belegt und Vorlesungen gehört hatte, waren an andere deutsche Universitäten gegangen oder nach Nordamerika emigriert bzw. saßen gleichsam auf den Koffern. Ich ging mit einem Woodrow Wilson Dissertation Fellowship nach Wien und München, um meine Dissertation über Hermann Broch zu schreiben. Es war ein großes Erlebnis für mich, als ich im Mai 1972 an der Indiana University nach erfolgreicher Verteidigung der Dissertation meinen Doktortitel erhielt. Es war ein transatlantischer Titel: Die Idee zur Doktorarbeit war mir 1967 während meiner Berliner Studienzeit gekommen, ihre Voraussetzung waren die drei Studienjahre an der Freien Universität und die drei Semester an der Indiana University, geschrieben hatte ich die Arbeit in Wien und in München. Inzwischen bin ich selbst schon fünfzig Mal Doktorvater geworden, bzw. dissertation advisor, ein Titel, der mir mehr behagt. Und jede der Schülerinnen und jeder meiner Schüler hat nicht nur an der Washington University, sondern auch mindestens zwei Jahre an einer deutschen oder österreichischen Universität studiert. Die meisten von ihnen haben Professorenstellen im Mittelwesten erhalten, wie etwa Laurie Johnson und Carl Niekerk an der University of Illinois, Mark Rectanus an der Iowa State University, Priscilla Hayden-Roy an der University of Nebraska; einige haben sich im Osten des Landes etabliert wie Friederike Eigler an der Georgetown University, Sarah McGaughey am Dickinson College, Suzuko M. Knott am Connecticut College und Leslie Adelson an der Cornell University.

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Freundlicherweise boten mir das German Department und ein neu gegründetes interdisziplinäres German Studies Program, das von Louis F. Helbig geleitet wurde, auch noch eine Gastprofessur an der Indiana University für das Studienjahr 1972/73 an. Das gab mir Zeit, mich nach einer regulären tenure track-Stelle umzusehen, die ich dann 1973 an der Washington University in St. Louis erhielt, wo ich seitdem tätig bin. Die Begegnung mit der amerikanischen Universität zwischen 1968 und 1970 hat meinen weiteren Lebensweg bestimmt. Ich fand hier eine Institution, die meinem Naturell, aber auch meinen Vorstellungen von Forschung, von Pädagogik und akademischer Verwaltung entgegenkam. Als ich mich 1973 von den Kollegen an der Indiana University verabschiedete, fragte mich Ulrich Weisstein, was mich denn zur Auswanderung nach Amerika bewogen habe. Ich zählte ihm auf, was mich in Bloomington beeindruckt hatte, und er meinte halb ermunternd, halb spöttisch: Das könne ich ja alles (Austausche, Gastprofessuren, Europastudien) auch an meiner neuen Arbeitsstelle in St. Louis aufbauen, und er sei sicher, dass das dort dann noch besser funktionieren werde. Ich hatte das Glück, dass in Bloomington während des akademischen Jahres 1968/69 drei meiner Lehrer über Hermann Broch arbeiteten. Gerade zwei Jahre zuvor hatte Dorrit Cohn, die 1971 an die Harvard University wechselte, ihre Stanford-Dissertation über Brochs Romantrilogie „Die Schlafwandler“ publiziert;16 im gleichen Jahr hatte Manfred Durzak, der 1970 eine zweijährige Gastprofessur in Kiel antrat und bald danach eine Professur in Paderborn erhielt, die Rowohlt-Monographie über den Autor17 veröffentlicht. Und der junge Breon Mitchell, ein Rhodes Scholar und inzwischen als preisgekrönter Übersetzer vom Deutschen ins Amerikanische bekannt, hatte an der Oxford University eine Dissertation über Joyce und seine Adepten, zu denen er zurecht Broch zählte, verteidigt.18 Seit einem Jahr wusste ich schon, dass ich über Broch promovieren würde. In Wilhelm Emrichs Vorlesung über den Roman im 20. Jahrhundert ging es auch um Brochs „Schlafwandler“, ein Buch, das mich bei der ersten Lektüre gleich elektrisierte. Da ich diese Vorlesung als Tutor mit einer Gruppe von zwölf Studenten begleitete, hatte ich als Thema die Beziehung Brochs zu Joyce gewählt, um sowohl meine anglistischen wie germanistischen Kompetenzen unterrichtend zu stärken. Mein Interesse an Broch hat seitdem nicht nachgelassen. Meine Dissertation19 über Brochs Frühwerk und „Die Schlafwandler“ wurde in Bloomington von Manfred

16 Dorrit C. Cohn: The Sleepwalkers. Elucidations of Hermann Broch’s Trilogy. The Hague und Paris 1966. 17 Manfred Durzak: Hermann Broch in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Reinbek bei Hamburg 1966. 18 Breon Mitchell: James Joyce and the German Novel, 1922–1933. Athens, OH 1976. 19 Paul Michael Lützeler: Hermann Broch: Ethik und Politik. München 1972.

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Durzak betreut, und seit meiner Zeit in St. Louis habe ich die Kommentierte Werkausgabe zum Autor herausgegeben20 (und zusätzlich zahlreiche Briefwechsel), eine Biografie über Broch geschrieben,21 Monografien über ihn publiziert22 und 2001 mit Michael Kessler den Internationalen Arbeitskreis Hermann Broch gegründet, der mehr als zweihundert Mitglieder zählt. Mit diesem Arbeitskreis hängen die zahlreichen Broch-Symposien zusammen, die ich gemeinsam mit ähnlich interessierten Kollegen und Kolleginnen organisiert habe. Da das größte Hermann-Broch-Archiv sich an der Yale University (Beinecke Rare Book Library) befindet, konnte ich es als amerikanischer Brochforscher öfter und leichter nutzen als die Kollegen und Kolleginnen aus anderen Teilen der Welt. Zudem lernte ich durch mein Leben in den USA den Kontext, in dem Broch sich als Europäer in den USA bewegte, kennen. Das zweitgrößte Broch-Archiv befindet sich im Deutschen Literaturarchiv (DLA) in Marbach. Sowohl an der Beinecke Rare Book Library in New Haven wie am DLA in Marbach gibt es von Sachiko Broch de Rothermann, der Nachlassverwalterin des Autors, gestiftete Stipendien, um die man sich bewerben kann, wenn man dort Forschungen zum Werk von Hermann Broch durchführen will. Neu für mich war 1968 auch, dass man in den USA so viele Gastprofessoren einladen konnte. Jedenfalls kamen nach Bloomington in beiden Semestern prominente Besucher, die Seminare unterrichteten und Vorträge hielten. Einer von ihnen war Karl Ludwig Schneider aus Hamburg, der im Frühjahr 1969 ein Seminar über Lyrik und Dramatik des Expressionismus hielt. Obwohl sein Vortragsstil etwas trocken war, imponierte er uns durch die enorme Kenntnis auf seinem Forschungsgebiet, die auch aus einem Buch sprach, das er zwei Jahre zuvor veröffentlicht hatte.23 Wir erfuhren, dass er als Hamburger Student von 1942 bis 1944 mit der Widerstandsgruppe Weiße Rose zusammengearbeitet hatte und nur knapp dem tödlichen Urteilsspruch des sogenannten Volksgerichtshofs entgangen war. Aber wenn man das Thema antippte, verstummte er. Offenbar war der Erinnerungsschmerz an die Zeit in den Gefängnissen und in einem Konzentrationslager der Nationalsozialisten immer noch zu groß, als dass er darüber mit jungen Leuten, die die Kriegszeit nicht miterlebt hatten, hätte sprechen wollen. Aber die Bereicherung unseres Studiums, die wir durch ihn erlebten, ist der Er-

20 Hermann Broch: Kommentierte Werkausgabe (13 Bände). Hg. v. Paul Michael Lützeler. Frankfurt am Main 1974–1981. 21 Paul Michael Lützeler: Hermann Broch. Eine Biographie. Frankfurt am Main 1985. 22 Paul Michael Lützeler: Die Entropie des Menschen. Studien zum Werk Hermann Brochs. Würzburg 2000; Hermann Broch und die Moderne. München 2011. 23 Karl Ludwig Schneider: Zerbrochene Formen. Wort und Bild im Expressionismus. Hamburg 1967.

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innerung wert. Schneider bestärkte mich auch in meinem Plan, eine Dissertation über Hermann Broch zu schreiben. Er selbst habe nach dem Krieg als Mitherausgeber der „Hamburger Akademischen Rundschau“ den Kontakt zu Broch gesucht und einen Aufsatz des Autors über Erich von Kahler publiziert.24 Ich nahm mir schon damals vor, Kollegen aus anderen Ländern einzuladen, wenn sich an meinem künftigen Arbeitsplatz in den USA die Gelegenheit dazu bieten sollte. Zudem wurden nicht nur GermanistInnen zu Vorträgen eingeladen, sondern auch AutorInnen. Ich erinnere mich gut an die Lesungen von Ernst Jandl und Friederike Mayröcker während meines Aufenthalts in Bloomington. Auch dieses Erlebnis prägte sich ein, und ich nahm mir vor – wo immer ich in Zukunft arbeiten würde –, die Begegnung der StudentInnen mit SchriftstellerInnen zu ermöglichen. Zu all dem bot sich dann Gelegenheit seit den 1980er Jahren. Zu Gastprofessuren an die Washington University in St. Louis habe ich in meinen bisherigen Berufsjahren über vierzig Germanisten und Germanistinnen und über fünfzig KritikerInnen und AutorInnen einladen können. Aus Deutschland gehörten dazu Walter Hinck, Eberhard Lämmert, Dieter Borchmeyer, Hartmut Steinecke, Norbert Oellers, Barbara Bauer, Hiltrud Gnüg, Heinrich Detering, Claudia Liebrand und Werner Frick; aus der Schweiz Michael Böhler, aus Österreich Wendelin Schmidt-Dengler und aus Asien Pramod Talgeri, Xiaohu Feng und Ryozo Maeda. Von den AutorInnen seien Barbara Frischmuth, Barbara Honigmann, Jurek Becker, F.C. Delius, Hans Christoph Buch, Durs Grünbein, Uwe Timm und Angela Krauss, von den KritikerInnen Ulrich Greiner, Evelyn Finger, Volker Hage, Iris Radisch, Wilfried Schoeller, Ina Hartwig, Gregor Dotzauer, Ulrich Weinzierl und Volker Weidermann erwähnt.25 Zudem wurde ich in Bloomington darauf aufmerksam, dass die Deutsche Abteilung (wie auch die übrigen Foreign Language Departments) selbst Studentenaustausche auf der B.A.- wie auch der M.A.-Ebene betrieben. Mich faszinierte die Idee, dass das German Department Studierende direkt und ohne Umwege über andere Verwaltungsstellen an die Freie Universität Berlin schicken und Studierende von dort nach Bloomington einladen konnte. Als ich fünf Jahre später eine Stelle als Assistant Professor an der Washington University in St. Louis erhielt, war meine erste administrative Aktion die Gründung von Austauschen auf der M.A.-Ebene mit drei deutschen Universitäten (FU Berlin, Tübingen und München), die heute noch bestehen. Unvergesslich die Gespräche mit den zuständigen Universitätsvertretern darüber im Jahr 1974: mit Horst Hartwich, dem gerne

24 Hermann Broch: „Geschichte als moralische Anthropologie. Erich Kahlers ‚Scienza Nuova‘“. In: Hamburger Akademische Rundschau 3.6 (1949): 406–416. Ferner in: Hermann Broch: Philosophische Schriften 1: Kritik. Band 10/1 der Kommentierten Werkausgabe Hermann Broch. Hg. v. Paul Michael Lützeler. Frankfurt am Main 1977, S. 298–311. 25 Vgl. die Website: http://www.german.wustl.edu/kade/writers.

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politisierenden Direktor des Außenamtes der Freien Universität Berlin (er verglich Washington D.C. heute mit Rom im dritten Jahrhundert); mit Nicolaus Lobkowicz, dem Präsidenten der Universität München in seinem von den Porträts der Gründer des Jesuitenordens geschmückten Büro (er erkundigte sich auch angelegentlich nach der aktuellen Entwicklung der St. Louis University, einer von Jesuiten geleiteten Universität); mit Adolf Theis, dem Präsidenten der Universität Tübingen und schnörkellos argumentierenden Vertreter moderner Bürokratie, der mir sagte, dass er gerne einmal die Washington University besuchen werde. So lernten weit über hundert deutsche AustauschstudentInnen das German Department der Washington University kennen, und umgekehrt konnte etwa die gleiche Anzahl unserer exchange students sich an den betreffenden Hochschulen in Deutschland einschreiben. Nicht nur das: Die deutschen AustauschstudentInnen – und die meisten von ihnen nahmen diese Chance wahr – konnten bei uns in St. Louis auch den Magistergrad innerhalb eines Jahres erwerben. Die Universität Tübingen war insofern ein Sonderfall, als die Washington University in St. Louis seit Ende der 1960er Jahre regelmäßig für ein oder zwei Semester undergraduate students nach Tübingen schickte. Als ich 1973 meine Arbeit in St. Louis begann, nahm ich mich des sehr kleinen Programms an und expandierte es. Ich betreute es sieben Jahre lang, und noch heute bin ich mit einigen der amerikanischen Studierenden, die über die Universität und die Stadt Tübingen Deutschland kennenlernten, in Kontakt. Das Deutsche Seminar der Universität Tübingen war, wie mich der Leiter des Auslandsamtes dort, Axel Markert, wissen ließ, an einer Ausdehnung der Austausche hin zur Professorenebene interessiert, und so begründete ich auch den faculty exchange in Verhandlungen mit Wilfried Barner und leitete ihn dann zwanzig Jahre lang von 1980 bis 1999. Er fand alle zwei Jahre statt, und wir synchronisierten ihn meistens mit dem ebenfalls jedes zweite Jahr stattfindenden St. Louis Symposium on German Literature, so dass z.B. Helmut Kiesel an einem Symposium über den Adel in der Literatur, Jürgen Schröder an einem zur Gegenwartsliteratur und Bernhard Greiner an der Tagung über Kleists Erzählungen und Dramen teilnehmen konnten. Im Gegenzug hielten die KollegInnen aus St. Louis Vorträge bei Veranstaltungen des Deutschen Seminars oder der Universität Tübingen allgemein. Das war ein fruchtbarer Austausch, durch den unsere Studenten bekannte Vertreter der deutschen Germanistik kennenlernten und die St. Louis-KollegInnen einen Eindruck von den Fragestellungen und Methoden an einer führenden deutschen Universität erhielten. Die Gastprofessur in Tübingen im Sommersemester 1981 war meine erste außerhalb Amerikas und hat sich, wie das bei Ersterlebnissen so ist, besonders eingeprägt. Nicht, dass ich die Eindrücke von den zahlreichen Gastprofessuren in Deutschland oder in anderen Teilen der Welt vergessen hätte, aber Tübingen im

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Frühjahr und Sommer 1981 war etwas Besonderes. Beim Gang von der Wohnung ins Seminar kam ich an Hölderlins Grab vorbei; schon das alleine ist der Erinnerung wert. Es war ein Austausch, den ich mit dem Tübinger Kollegen Martin Bollacher betrieb, d.h. er unterrichtete zur gleichen Zeit ein Semester lang in St. Louis. Mit dem Deutschen Seminar in Tübingen hatte ich vereinbart, eine Vorlesung über die aktuellste Gegenwartsliteratur, nämlich die 1970er Jahre, zu halten, ein Hauptseminar über die Romane von Hermann Broch zu leiten und ein Proseminar zur Literatur der Romantik zu unterrichten. Das lief alles sehr zu meiner Zufriedenheit, und auf die Vorlesung hin, die von etwa 150 Zuhörern besucht wurde, bin ich im Lauf der Jahrzehnte öfters von ehemaligen Tübinger Studierenden angesprochen worden. In Tübingen hatte man die sinnvolle Regel eingeführt, dass Seminare nicht mehr als 25 TeilnehmerInnen haben durften. Die größte Freude bereitete mir das Hauptseminar über Broch. Die meisten StudentInnen interessierten sich besonders für Brochs Roman „Die Verzauberung“, offenbar, weil sie die Hauptfigur, den erzählenden Landarzt, für einen Aussteigertyp hielten. Am Ende des Seminars lud ich alle, die Hausarbeiten über dieses Buch geschrieben hatten, zu einer gesonderten Diskussion ein. Wir verdichteten die Ergebnisse zu einem Gespräch über „Die Verzauberung“, das wir als Gemeinschaftsarbeit in einem Suhrkampband publizierten.26 Einer der daran beteiligten Studenten war Reinhold Rieger, heute Professor für Kirchengeschichte an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen. Im Seminar über die Romantik schrieb Walter Erhart die beste Hausarbeit, und 1982 verbrachte er ein Studienjahr als Tübinger Austauschstudent bei uns an der Washington University in St. Louis. Präsident Theis war ein Atlantiker, und in den späten 1980er Jahren besuchte er einmal die Washington University und ließ sich durch unseren Chancellor William H. Danforth die Medical School zeigen und die Alumni Association erklären. Theis gründete damals „Alumni Tübingen“, einen Verein, der nach amerikanischem Vorbild den Kontakt zu den ehemaligen Studierenden entwickelt und (auch mit Hilfe der Zeitschrift „attempto!“) aufrecht erhält. Die Tübinger AlumniOrganisation hat inzwischen an deutschen Universitäten eine Reihe von Nachahmern gefunden. Im Gegenzug lud Adolf Theis William Danforth nach Tübingen ein, der wiederum von der Medizinischen Fakultät begeistert war, wobei man wissen muss, dass die Medical School der Washington University eine der besten im Lande ist und ein Medizinprofessor, der Danforth ursprünglich war, nicht leicht zu beeindrucken ist. Danforth war am Kennenlernen der deutschen Universitäten

26 „Gespräch Tübinger Studenten über Hermann Brochs Roman ‚Die Verzauberung‘“. In: Brochs Verzauberung. Hg. v. Paul Michael Lützeler. Frankfurt am Main 1983, S. 95–114.

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interessiert, worüber ich Werner Weidenfeld informierte. Er war Koordinator für die deutsch-amerikanischen Beziehungen und hielt mehrfach als Europa-Experte Vorträge in unserem European Studies Program. 1989 hatte er mit Helmut Kohl abgesprochen, dass er eine Zusammenkunft des Kanzlers mit Präsidenten führender amerikanischer Universitäten organisieren werde, und William Danforth gehörte dann zu den Eingeladenen ins Kanzleramt in Bonn. Kohl nahm sich Zeit, einen ganzen Abend mit den Universitätspräsidenten über nationale sowie weltweite politische und vor allem über transatlantische Universitätsbeziehungen zu sprechen. Präsident Theis forderte mich 1990 auf, Gründungsmitglied des Tübingen International Center zu werden. Nach der Wende von 1989 etablierte er 1990 diese Einrichtung, die dann zehn Jahre lang junge AkademikerInnen aus den osteuropäischen Ländern einlud, damit sie von amerikanischen und europäischen HochschullehrerInnen in die westlichen Methoden ihrer jeweiligen Wissenschaft eingeführt werden konnten. Mit der verwaltungsmäßigen Aufsicht wurde der damalige Vize-Präsident (und nachmalige Rektor) der Universität, Eberhard Schaich, beauftragt, und unsere jährlichen Treffen, in denen die anstehenden Projekte diskutiert wurden, hatten konkrete Folgen. Zwei meiner Kollegen aus dem Economics Department der Washington University (John Nye und Lee Benham) konnte ich für diese Sommerschul-Aktivitäten am International Center Tübingen gewinnen, und sie erinnern sich gerne an die Unterrichtserfahrungen, die sie damals mit den jungen Osteuropäern machten. Dieses Zentrum war ein verdienstvolles, von mehreren Stiftungen (etwa der VolkswagenStiftung) gefördertes Unternehmen mit der angemessenen Strategie zur richtigen Zeit. Das Austauscharrangement mit Tübingen dehnte ich auch auf das European Studies Program der Washington University aus und ergänzte es um ein weiteres Austauschabkommen mit der Studienstiftung des deutschen Volkes in Bonn. So konnten in European Studies bei mir junge Leute wie z.B. Jasper von Altenbockum (heute Redakteur für Innenpolitik bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung), Sven Fund (heute Geschäftsführer des Verlagshauses De Gruyter in Berlin und Boston), Doerte Bischoff (heute Germanistikprofessorin an der Universität Hamburg) und Sebastian Wogenstein (heute Professor in den Humanities an der University of Connecticut) ihren Magister abschließen. In der Germanistik betreute ich die Magisterarbeiten etwa von Carsten Könneker (heute Chefredakteur von „Spektrum der Wissenschaft“), Claudia Benthien (heute Professorin für Literaturwissenschaft an der Universität Hamburg), Walter Erhart (heute Germanistikprofessor an der Universität Bielefeld), Claudia Breger (heute Germanistikprofessorin an der Indiana University), Brigitte Weingart (heute Habilitandin an der Universität Bonn) und Stefan Börnchen (heute Habilitand an der Universität zu Köln).

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In den USA fand ich 1968 ein neues Interesse an der Exilliteratur vor. Die Exilliteraturforschung wurde damals gezielt von jüdischen Flüchtlingen gefördert, die in den 1930er Jahren als junge Leute aus Nazi-Deutschland oder Nazi-Österreich vertrieben worden waren und die inzwischen Professuren an amerikanischen germanistischen Abteilungen innehatten. Dazu zählte Egon Schwarz, der mir schon beim Ersten Wisconsin Workshop in Madison – auf den ich gleich zu sprechen komme – davon berichtet hatte. Er wies mich auf seinen Freund Guy Stern hin, der an der University of Cincinnati unterrichtete. Mit ihm solle ich Kontakt aufnehmen, denn er entwickle ein internationales Netzwerk für Exilstudien. Ich schrieb an Guy Stern, und er lud mich – kontaktfreudig wie er war – im Frühjahr 1970 zu einer Veranstaltung mit Lotte Lenya ein, wobei, wie er mir sagte, auch künftige Aktivitäten der 1962 gegründeten Kurt Weill Foundation besprochen werden sollten. Seitdem sind wir in freundschaftlicher Verbindung. Wenn ich mich auch bei meinen Exilstudien auf Leben und Werk Hermann Brochs konzentrieren musste und seltener zum Exil allgemein arbeitete, haben mir die autobiografischen Schriften und Studien über Vertreibung und Verbannung von Egon Schwarz27 und Guy Stern28 geholfen, die menschlichen Dimensionen und historischen Kontexte des Exils zwischen 1933 und 1945 in den USA besser zu verstehen. Das berühmteste deutschsprachige Dokument über das Schicksal der Juden in der Hitlerzeit ist Ruth Klügers Erinnerungsbuch „weiter leben – Eine Jugend“29 geworden. Die Autorin entging wie durch ein Wunder dem Tod in Auschwitz und emigrierte 1947 in die USA, wo sie Germanistik studierte. Ich lernte sie in den 1970er Jahren bei den AATG-Jahrestreffen kennen und war von ihrer direkten Art und ihrem klaren Denken in Kategorien der Aufklärung beeindruckt. Guy Stern, der 1970 gerade für zwei Jahre zum Präsidenten der American Association of Teachers of German (AATG) gewählt worden war, wies mich mit Nachdruck auf diese Organisation hin, die damals der einzige übergreifende amerikanisch-germanistische Berufsverband war. In ihm waren die meisten GermanistikprofessorInnen und High School-LehrerInnen für Deutsch in den USA organisiert.

27 Egon Schwarz: Keine Zeit für Eichendorff. Chronik unfreiwilliger Wanderjahre. Königstein/Ts. 1979. 28 Guy Stern: Literatur im Exil. Gesammelte Aufsätze 1959–1989. München 1989. 29 Ruth Klüger: weiter leben – Eine Jugend. Göttingen 1992.

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Germanistische Vereinigungen Ich trat schon als Student in die AATG ein und habe während der ersten zwanzig Jahre meines Berufslebens an vielen ihrer Jahrestagungen teilgenommen, die ein germanistisches Programm für Universitätsleute und ein pädagogisches für die High School-LehrerInnen anbot. Anfänglich liefen auch die Stellenausschreibungen für den germanistischen Nachwuchs in den USA über diese Vereinigung. Für die drei Jahre von 1988 bis 1991 wurde ich zum Herausgeber der Fachzeitschrift der AATG, „The German Quarterly“, gewählt. Gleichzeitig war ich dadurch Mitglied des Exekutiv-Komitees des Verbandes. In dieser Funktion führte ich die Statuten für Ehrenmitgliedschaften ein und konnte erfolgreich als „honorary members“ u.a. Ruth Klüger, Katharina Mommsen, Egon Schwarz und Guy Stern und als „honorary fellows“ u.a. Siegfried Unseld, Michael Krüger, Jürgen Kocka, Barbara Frischmuth und Jörn Rüsen vorschlagen30. Zudem leitete ich das germanistische Programm der Jahrestagung von 1992, ein außerordentlich gut besuchter Kongress, der ausnahmsweise in Deutschland (Baden-Baden) stattfand. Aber Anfang der 1990er Jahre war der Höhepunkt dieser Berufsorganisation schon überschritten. Zwei neue Verbände hatten sich 1976 gebildet: Zuerst Women in German (WiG) als Koalition feministisch engagierter Wissenschaftlerinnen, dann The German Studies Association (GSA) als Gruppe von GermanistInnen und HistorikerInnen, die sich einig waren, dass man in things German zusammenarbeiten sollte. WiG ist eine Gruppe, die vor fünfzehn Jahren 600, heute noch 400 Mitglieder hat. Die GSA hieß in den ersten acht Jahren ihres Bestehens Western Association for German Studies. Beide Verbände (WiG und GSA) führen seitdem Jahrestagungen durch und haben inzwischen Zeitschriften begründet: „Women in German Yearbook“ und „German Studies Review“. Als ich 1987 Gastgeber der elften GSA-Jahreskonferenz in St. Louis war, gab es 65 Sektionen. Im Jahr 2012 hat sich die Zahl der Sitzungen verfünffacht: Es nehmen jetzt etwa 1.100 der ungefähr 1.800 GSA-Mitglieder an den Jahrestagungen teil, wovon immerhin etwa zehn Prozent aus den deutschsprachigen Ländern kommen. Zudem waren 2012 Vertreter aus zwanzig weiteren Ländern angereist: von Großbritannien (mit einem Anteil von 25 GSA-Mitgliedern die mit Abstand größte nichtdeutschsprachige ausländische Gruppe) bis Marokko, von Frankreich bis Rumänien, von Finnland bis Japan, von Russland bis Italien. Aus Lateinamerika kam allerdings niemand. Vor fünfzehn Jahren schon betrug die Anzahl der Mitglieder in der GSA 1.500. (Etwas weniger als die Hälfte sind LiteraturwissenschaftlerInnen, die übrigen sind vor allem HistorikerInnen, wobei der Anteil der Politik- und

30 Vgl. die Website: http://www.aatg.org/honorary.

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WirtschaftswissenschaftlerInnen langsam ansteigt.) Die GSA ist der einzige amerikanische Berufsverband für GermanistInnen, der eine Zunahme von Mitgliedern vorzuweisen hat. Allerdings rückte im Lauf der Zeit die ursprüngliche Idee der GSA, Sitzungen zu organisieren, bei denen HistorikerInnen und GermanistInnen zum gleichen Thema sprechen, in den Hintergrund. Die meisten Deutschland-HistorikerInnen und die meisten GermanistInnen arbeiten – in den USA wie anderswo – disziplinbezogen, auch wenn sie – um es paradox auszudrücken – interdisziplinär arbeiten. Interdisziplinarität sieht bei den HistorikerInnen anders aus als bei den GermanistInnen. Der Spaltpilz, der die beiden Fächer seit den 1980er Jahren auseinandergetrieben hat, heißt „Theorie“. Nach 1968 gab es bis in die Zeit um 1980 bei den HistorikerInnen wie den GermanistInnen ein Interesse an sozialgeschichtlichen Fragestellungen. Durch die Verschiebung hin zu betont ästhetischen Themen beim seit den 1980er Jahren rezipierten französischen und amerikanischen Poststrukturalismus ging gleichsam die Arbeitsgrundlage zwischen HistorikerInnen bzw. SozialwissenschaftlerInnen und GermanistInnen weitgehend verloren. Der Poststrukturalismus erfasste auf die eine oder andere Weise alle Gebiete der Literaturwissenschaft, auch des Feminismus. Einige HistorikerInnen nahmen Paul de Mans und Jacques Derridas Dekonstruktion, Julia Kristevas, Hélène Cixous’ oder Judith Butlers Gender Studies, die Queer Theory von Eve Kosofsky Sedgwick und Michael Warner oder die strukturale Psychoanalyse eines Jacques Lacan zwar wahr, aber während die Theorien der hier genannten WissenschaftlerInnen in der amerikanischen Germanistik zentral diskutiert wurden, spielten sie in der Geschichtswissenschaft der US-Historiker, die sich mit deutscher Geschichte beschäftigen, nur eine periphere Rolle. Sogar der literaturwissenschaftliche ‚New Historicism‘ der 1980er Jahre stieß bei den GeschichtswissenschaflterInnen auf kein Interesse. Das gilt auch für die ästhetischen Diskussionen, die Walter Benjamins und Theodor W. Adornos Schriften noch in den 1990er Jahren in germanistischen Kreisen auslösten. Und das war bei der Moderne/Postmoderne-Diskusion von Jean-François Lyotard bis Matei Calinescu nicht anders. Auch das Ausweichen vieler GermanistInnen in andere Fächer (sei es der Philosophie, der Anthropologie, aller nur denkbaren visuellen Künste oder der Kulturtheorie allgemein) haben die GSA-HistorikerInnen nur selten – Ausnahmen gab es in der sogenannten Alltagsforschung – nicht mitgemacht. So haben wir inzwischen bei den Jahrestagungen unter einem Dach im Grunde zwei getrennte Kongresse, und der wissenschaftliche Austausch zwischen Vertretern verschiedener Fächer ist gering. Dem Trend versuchte man jüngst gezielt mit solchen interdisziplinären Sitzungen zu steuern, bei denen man – wie etwa im Fall der Studien zur Multikultur, zum Holocaust, zum Kolonialismus oder der Erzähltheorie – gemeinsame Fragestellungen isolieren kann, sodass zumindest eine Schwundstufe des ursprünglichen Konzepts erhalten bleibt. Der Erfolg der GSA

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ist wohl weniger dem Trend hin zur interdisziplinären historisch-germanistischen Forschung zu verdanken als dem organisatorischen Talent des Historikers Gerald R. Kleinfeld, der von 1976 bis 2005 drei Jahrzehnte lang die GSA als Executive Director leitete, sowie einer vergleichbaren Begabung von dessen Nachfolger David E. Barclay. Die AATG hat sich bei der Konkurrenz, die ihr durch die GSA erwachsen ist, inzwischen sinnvollerweise unter der Führung der ebenfalls tüchtigen Helene Zimmer-Loew auf die pädagogischen Belange des Deutsch- und Literaturunterrichts konzentriert. So führt sie seit langem ihre Jahrestagungen gemeinsam mit dem American Council on the Teaching of Foreign Languages (ACTFL) durch. Vor fünfzehn Jahren betrug die Anzahl der AATG-Mitglieder noch 7.000; heute sind es noch 5.000, wobei etwa die Hälfte von ihnen High SchoolLehrerInnen sind. Das 1928 gegründete „German Quarterly“ hat sich innerhalb der AATG als angesehenes wissenschaftliches Fachorgan der Germanistik behaupten können.31 Als Student in Bloomington besuchte ich im Winter 1968 und im Herbst 1969 zwei Fachtagungen. Da war zum einen die annual convention der Modern Language Association of America (MLA) in New York, zum anderen der erste sogenannte Workshop, den das German Department an der University of Wisconsin in Madison veranstaltete. Zur MLA fuhr ich mit dem amerikanischen Kommilitonen bzw. fellow student James Pusack, dessen Eltern in New Jersey in der Nähe von New York City wohnten und der in den 1970er Jahren eine Professur an der University of Iowa erhielt. Zur Veranstaltung in Madison machte ich mich gemeinsam mit Dirk Grathoff auf, der Berliner Austauschstudent an der Indiana University war, ebenfalls dort promovierte (über Heinrich von Kleist) und später Germanistikprofessor an der Universität Oldenburg wurde. Der Zufall wollte es, dass die convention von 1968 mit 11.750 Teilnehmern die am besten besuchte in der Geschichte der MLA war. 1883 war sie in New York gegründet worden, und an der ersten Jahresversammlung nahmen nicht mehr als vierzig Mitglieder teil. Die Anzahl der Besucher wuchs von Jahrzehnt zu Jahrzehnt und überschritt die Tausendergrenze erstmals im Jahr 1930. Der Sputnikschock machte sich auch hier bemerkbar: Von 1956 (3.512 Anwesende) an verdreifachte sich die Zahl im Jahr 1968 auf 11.750. Danach ging es wieder bergab mit gewissen Fluktuationen und Erholungen. Schon ein Jahr später (1969) kamen nur halb so viele Mitglieder, und heute pendelt sich die Zahl zwischen 7.000 und 8.000 TeilnehmerInnen pro Jahr ein.32

31 Vgl. Peter Uwe Hohendahl (Hg.): German Studies in the United States. A Historical Handbook. New York 2003. Vgl. ferner: Lynne Tatlock: „USA: German in the Changing Landscape of Postsecondary Education“. In: Die Unterrichtspraxis 43.1 (Spring 2010): 11–21. 32 Vgl.: http://www.mla.org/conv_stats (abgerufen am 4. September 2012).

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1969 war eine Art Katastrophenjahr für die philologischen Fächer. Die National Defense Stipendien hatten nach 1957 viele Studierende in die Fremdsprachenfächer gelockt, und diese Unterstützung wurde nun von der Regierung – der Vietnamkrieg kostete Geld – gestrichen. Im Herbstsemester 1969 rief Frank Ryder als Chairman des German Departments der Indiana University die etwas mehr als neunzig Doktoranden in einen entsprechend großen Versammlungsraum und prophezeite den verdutzt dreinschauenden jungen Leuten, dass wohl die meisten von ihnen nach Abschluss der Dissertation keine Arbeitsstelle finden würden. Der Grund sei einfach: Wie die Einführung der National Defense Fellowships zum boom in den Sprachabteilungen geführt habe, so werde jetzt die Abschaffung dieser Unterstützung zu einer vergleichbaren Schrumpfung der Einschreibungszahlen führen. Der Mann hatte Recht, und von den dort anwesenden Ph.D. candidates haben höchstens ein Viertel später Anstellungen an Colleges und Universitäten gefunden. Manche warfen gleich die Flinte ins Korn, brachen ihre Arbeit an der Dissertation ab und schauten sich nach einem neuen Beruf um, den sie meistens in der damals sich entwickelnden Computerindustrie fanden. Um auf die Jahrestagungen der Modern Language Association zurückzukommen: In ihren Plenarversammlungen von 1968 wurden brisante politische Themen diskutiert. 1967 war es bei der Jahrestagung der MLA in Chicago (dort waren fast zehntausend Teilnehmer registriert worden) zu höchst unangenehmen Konfrontationen zwischen der Polizei von Chicago und Gruppen von Anti-VietnamProtestlern gekommen, die nun ein Jahr später noch die Gemüter erregten. So hart diese Diskussion verlief, und so engagiert sich das Für und Wider bei den Gegnern artikulierte, wurden doch nie die demokratischen Spielregeln und professionellen Umgangsformen verletzt: auch etwas, das sich wohltuend von den Turbulenzen, die ich in Berlin beobachtet hatte, unterschied. Aber vor allem waren es die zahlreichen germanistischen Sitzungen, von denen ich eine ganze Reihe besuchte, die mich ihrer Qualität wegen beeindruckten. Der amerikanische Philologe war eben doch kein deutscher Ordinarius, und so konnte man sich auch als Student mit den etablierten GermanistInnen unterhalten, sogar wenn es sich dabei um einen Chairman handelte. Bei einer solchen Organisation wollte ich mitmachen, und so wurde ich schon 1968 als Student Mitglied der MLA, besuchte bis heute alle Jahrestagungen und war seit 1970 auch aktiv an ihnen beteiligt, sei es als Referent, als Leiter einer Einzelsektion oder einer der sogenannten divisions, bei der es um die Organisation von Veranstaltungen zu einer bestimmten Epoche geht, als Kommentator, als Mitglied der Delegiertenversammlung usw. Schnell fand ich heraus, dass diese Tagung der Akademiker aus den Gebieten der Anglistik, Romanistik, Germanistik und Vergleichenden Literaturwissenschaft den großen Vorteil bot, die neuen Theoriediskurse und

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methodischen Ansätze kennenzulernen, die traditionellerweise in den USA von Professoren der Amerikanistik oder Anglistik erarbeitet und diskutiert werden. Mich faszinierte in den 1980er Jahren der Postmoderne-Diskurs (den man in Deutschland kaum wahrnahm und allzu oft ressentimentgeladen ablehnte), in den 1990er Jahren die Diskussionen über Postkolonialismus und Globalisierung.33 Im letzten Jahrzehnt setzte sich ein erfrischender Pluralismus durch, und so finden Spezialisten für bestimmte Aspekte der Literatur und für seltene interdisziplinäre Verschränkungen ihre kleinen Gruppen, in denen man sich gegenseitig inspiriert und bestätigt. Jedes Jahr wird ein neuer Präsident der MLA gewählt. Wie bei vielen professionellen Organisationen ist das mit mehr Ehre als Arbeit verbunden, denn auch hier gibt es eine/n festangestellte/n geschäftsführende/n Direktor/in, der/die den bürokratischen Apparat in Gang hält und Perspektiven für die Zukunft entwickelt. Der Anteil der germanistischen Sektionen bei den annual conventions der MLA ist über die Jahrzehnte hin stark geschrumpft. So ist es nicht verwunderlich, dass in den über vierzig Jahren, in denen ich an diesen Tagungen teilnehme, nur vier Präsidenten aus der Germanistik gewählt wurden (also alle zehn Jahre einer): Theodore Ziolkowski, Peter Demetz, Sander Gilman und Russell Berman. Vergleichbar anregend fand ich auch den Ersten Wisconsin Workshop, den Jost Hermand und Reinhold Grimm 1969 in Madison (neben Bloomington damals die aktivste germanistische Abteilung in den USA) veranstalteten. Das Thema lautete „Die sogenannten Zwanziger Jahre“34, und die beiden hatten es geschafft, prominente amerikanische Fachvertreter an ihre Universität als Vortragende einzuladen, darunter Egon Schwarz, Walter Sokel und Theodore Ziolkowski. Wegen eines temperamentvoll vorgetragenen Einwands gegen eines der Referate sprach mich Egon Schwarz an, mit dem ich dann in Kontakt blieb und ihn auch zu einem Vortrag an die Indiana University im Frühjahr 1970 einladen konnte, wozu ich mir die Unterstützung von Henry Remak gesichert hatte. Auch in den 1970er Jahren bin ich noch zuweilen zu den Wisconsin Workshops gefahren, was dann aufhörte, weil wir selbst eine Art Konkurrenzunternehmen an der Washington University in St. Louis gestartet hatten. Es erlebte seine Initialzündung schon 1972, als Egon Schwarz und Peter Uwe Hohendahl ein Symposium zur Exilliteratur35 veranstalteten, das damals allerdings nicht als Beginn einer

33 Paul Michael Lützeler: Postmoderne und postkoloniale deutschsprachige Literatur. Bielefeld 2005. 34 Reinhold Grimm und Jost Hermand (Hg.): Die sogenannten Zwanziger Jahre. Bad Homburg v.d.H. 1970. 35 Peter Uwe Hohendahl und Egon Schwarz: Exil und Innere Emigration II. Frankfurt am Main 1973.

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(bis heute anhaltenden) Serie von alle zwei Jahre stattfindenden St. Louis Symposien gedacht war. Zu dieser Veranstaltung von 1972 hatte mich Egon Schwarz eingeladen, und während des Symposiums interviewte er mich gemeinsam mit Peter Uwe Hohendahl für eine frei werdende Stelle im nächsten Jahr, die ich dann dort erhielt. Seit Ende der 1970er Jahre habe ich eine Reihe der St. Louis Symposien zur deutschen Literatur und Kultur mitveranstaltet, und ich bin der einzige Germanist, der sie von 1972 bis heute alle besucht hat. 1980 führte ich hauptverantwortlich ein St. Louis Symposium durch, das sich mit neuen Trends in der Gegenwartsliteratur beschäftigte.36 Es war mit über zweihundert Besuchern das am besten besuchte St. Louis Symposium bisher, und es regte mich dazu an, 1985 das Max Kade Zentrum für deutschsprachige Gegenwartsliteratur zu gründen, das ich seitdem leite. Das Zentrum ist nach dem Gründer der Max Kade Foundation in New York benannt, die es von Anfang an finanziell unterstützt hat. Die Hauptaktivitäten des Zentrums sind: die jährliche Einladung eines Autors/einer Autorin und einer Kritikerin/eines Kritikers, die aus einem der deutschsprachigen Länder kommen, um ein Seminar zur Gegenwartsliteratur zu unterrichten; der Aufbau der größten Sammlung zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur in den USA an unserer Universitätsbibliothek; die Vergabe von drei Sommerstipendien (des DAAD und des Max Kade Zentrums) an amerikanische DoktorandInnen und KollegInnen, damit sie diese Sammlung nutzen können; regelmäßig abgehaltene germanistische Symposien an der Washington University und Wochenendseminare zur Gegenwartsliteratur entweder in St. Louis oder – auf Einladung von Ulrich Ott und dann von Ulrich Raulff und Marcel Lepper hin – am Deutschen Literaturarchiv in Marbach; schließlich die Herausgabe der Fachzeitschrift „Gegenwartsliteratur. Ein germanistisches Jahrbuch“. Zum 10-jährigen37 und zum 25-jährigen38 Jubiläum des Max Kade Zentrums veranstaltete ich Symposien mit AutorInnen, KritikerInnen und GermanistInnen, in denen der Zusammenhang von Kritik, Wissenschaft und Literatur verdeutlicht wurde. In den beiden Dekaden zwischen 1975 und 1995 konnte sich das German Department an der Washington University im nationalen Ranking von „US News and World Report“ von Platz zwanzig auf Platz fünf verbessern. Das war das Verdienst aller dort arbeitenden Kolleginnen und Kollegen, aber die zunehmende Internationalisierung des Graduate Program und der bibliotheks-

36 Paul Michael Lützeler und Egon Schwarz (Hg.): Deutsche Literatur in der Bundesrepublik seit 1965. Untersuchungen und Berichte. Königstein i.T. 1980. 37 Paul Michael Lützeler (Hg.): Schreiben zwischen den Kulturen. Beiträge zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Frankfurt am Main 1996. 38 Paul Michael Lützeler und Jennifer Kapczynski (Hg.): Die Ethik der Literatur. Deutsche Autoren der Gegenwart. Göttingen 2011.

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mäßige Ausbau aufgrund der Spezialsammlung des Max Kade Zentrums dürften der Aufwertung nicht im Wege gestanden haben. Noch von der Tagung einer weiteren Berufsorganisation hörte ich damals als Student in Bloomington. An der Princeton University bereitete Victor Lange mit Hilfe von Michael Curschmann für das Jahr 1970 den alle fünf Jahre stattfindenden Kongress der Internationalen Vereinigung für Germanistik (IVG) vor. Die IVG bestand damals erst seit fünfzehn Jahren, und sie war ursprünglich aus dem Bestreben heraus geschaffen worden, gegenüber der deutschen Germanistik mit ihrer NS-Vergangenheit auf Distanz zu gehen. Ihr erster Kongress fand 1955 in Rom statt. 1960 folgte Kopenhagen und 1965 Amsterdam. Die Gründer hatten zwar eine internationale Gesellschaft ins Leben gerufen, aber bis Princeton zeigte sich, dass die Vereinigung de facto ein transatlantischer Club westeuropäischer und nordamerikanischer Deutschprofessoren war. Ich erkundigte mich auch dort, ob man Mitglied werden könne. Aber anders als die MLA und die AATG nahm die IVG keine Studierenden auf. Man schickte mir die Information mit den Voraussetzungen zur Mitgliedschaft, wozu Aufsätze in führenden Fachzeitschriften und Buchpublikationen gehörten. Als ich 1973 beide Bedingungen erfüllt hatte, bewarb ich mich, wurde aufgenommen und konnte bei dem nächsten Kongress an der Cambridge University in England einen Vortrag halten. Seitdem habe ich auch an allen folgenden IVG-Tagungen in Basel, Göttingen, Tokio, Vancouver, Wien, Paris und Warschau teilgenommen, und zwar ab Göttingen sowohl mit Vorträgen als auch als Mit-Vorsitzender einer Sektion. Die Kongresse wurden immer größer: Kamen in Rom nur knapp 200, in Kopenhagen 300, in Princeton 400 und in Cambridge 500 GermanistInnen vornehmlich aus der transatlantischen Region zusammen, waren es in Göttingen schon weit über tausend, was dann die Norm wurde. Und seit der IVG-Tagung in Göttingen, die 1985 durch Albrecht Schöne geleitet wurde, nahmen vermehrt auch KollegInnen aus anderen Kontinenten teil: aus Japan und Indien vor allem, aus Australien, Afrika und Lateinamerika, sodass es nur folgerichtig war, den nächsten Kongress im Jahr 1990 in Tokio zu veranstalten. Die Zusammenkunft in Japan machte allen IVG-Mitgliedern klar, dass die Zeit der primär transatlantischen Internationalität vorbei war: Die japanische Germanistik war neben der amerikanischen die mitgliederstärkste Auslandsgermanistik auf der Welt. Mir war die Teilnahme an den IVGKongressen besonders wichtig, und aufgrund der Bekanntschaften und Freundschaften, die ich dort schloss, konnte ich punktuell im Lauf der Jahrzehnte viele Kontakte zwischen der Germanistik in den USA und jener in Asien, Afrika, Lateinamerika und Australien herstellen, die meine Arbeit im Hinblick auf Methode und Gegenstand beeinflussten. Im Jahr 2005 wurde ich während des Kongresses in Paris zu einem der beiden Vize-Präsidenten der IVG gewählt. Wie es die Satzung erwartet, warb ich neue Mitglieder für den Verband. Zudem vertrat ich ihn

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aufgrund von Einladungen, die ich von Präsidenten nationaler und kontinentaler germanistischer Vereinigungen erhielt, bei deren Kongressen in Deutschland, Österreich, Russland und Korea sowie in Asien und Lateinamerika. Professionelle Gesellschaften wie die IVG haben sicher eine Zukunft. Im Fall der IVG muss allerdings kritisch auf eine Entwicklung hingewiesen werden. Wenn eine Berufsvereinigung ihre Rechtssicherheit und damit Glaubwürdigkeit nicht verlieren will, muss sie sich bei dem, was sie unternimmt, an ihre Satzung halten. Wie kann man als Präsident bei einem IVG-Kongress öffentlich verkünden, dass für seine Arbeit nicht bloß die Satzung, sondern die „Tradition“ und der „Geist“ der IVG entscheidend seien, und wenn Tradition und Geist nicht im Einklang mit der Satzung stünden, zeige sich, dass die Satzung überholt sei? Wie bei einer Demokratie die Verfassung den legalen Rahmen des politischen Gemeinwesens bildet, so übernimmt diese Funktion in einem Berufsverband die Satzung. Wie jede republikanisch verfasste Satzung kennt auch die IVG die Gewaltenteilung, und die Funktionen und Aufgaben des Präsidenten, des Präsidiums (Präsident plus zwei Vize-Präsidenten), des Ausschusses und der Vollversammlung sind dort klar umrissen. Der Präsident, der sich nicht mit dem Präsidium verwechseln sollte, kann den übrigen Funktionsträgern nicht vorschreiben, was sie unter „Tradition“ und unter „Geist der IVG“ zu verstehen haben. Jeder Vizepräsident, jedes Ausschussmitglied und jedes Mitglied der Vollversammlung wird diese vagen Begriffe anders interpretieren, und eine Einigung könnte da niemals erzielt werden. Mit anderen Worten: Verbindlich ist für alle Funktionsträger nur die Satzung. Sie ist im Fall der IVG mit ihrem austarierten Gleichgewicht von checks and balances eine der besten Verfassungen von Berufsorganisationen, die ich kenne. Ich bin lange genug Mitglied der IVG gewesen um zu wissen, dass die „Tradition“ der IVG darin bestand, sich als Präsident, als Präsidium, als Ausschuss und als Vollversammlung an die Artikel der Satzung zu halten, und dass der „Geist“ der IVG dasselbe verlangt. Sollte einmal ein Präsident eigenmächtig gegen Artikel der Satzung verstoßen haben, ist es Aufgabe des Nachfolgers, diesen Fehler zu korrigieren, nicht jedoch ihn als Lizenz zu weiteren Verstößen zu interpretieren. Präsidenten von Berufsverbänden werden nach den Vorschriften der Satzung gewählt, und sie sind verpflichtet, die Satzung vor Übergriffen zu schützen, nicht ihre Gültigkeit in Frage zu stellen. Satzungen kann man ändern, und die IVG-Satzung schreibt vor, wie das zu geschehen hat: durch Mehrheitsentscheidungen in der Vollversammlung. Zur Verbesserung der transatlantischen Germanistik tragen nicht nur die großen Berufsverbände bei. Im Jahr 2008 begründete Ulrich Raulff, der Direktor des Deutschen Literaturarchivs in Marbach, gemeinsam mit dem Kollegen Walter Hinderer von der Princeton University den Kreis der American Friends of the German Literary Archive, auch American Friends of Marbach genannt, weil sich das

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Deutsche Literaturarchiv dort befindet.39 Es ist eine wachsende Gruppe von Germanistinnen und Germanisten aus den USA, die in diesem einzigartigen Archiv über deutschsprachige Autoren vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart geforscht haben. Ihr Hauptziel ist die Beschaffung von Reise- und Forschungsstipendien für den amerikanischen germanistischen Nachwuchs, damit er in Marbach arbeiten kann. Zudem hält die Gruppe Tagungen ab zu Themen, die ohne Archivrecherchen nicht vorstellbar sind. Solche Symposien haben bisher Ulrich Raulff in Marbach, Liliane Weissberg in Philadelphia, David Wellbery in Chicago und Nikolaus Wegmann in Princeton abgehalten. Dass die neue Gruppe auch mit Sektionen bei den Jahrestagungen der German Studies Association regelmäßig vertreten ist, versteht sich fast von selbst. Im Frühjahr 2012 wurde ich beim Treffen der „American Friends“ in Marbach zum neuen Präsidenten für die nächsten vier Jahre gewählt.

39 http://www.afdlam.org/index.

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Deutschland aus transatlantischer Sicht (1997)

Deutschland aus transatlantischer Sicht (1997)1 Schnittpunkte von Heimat und Identität Über dem Nordatlantik, dort, wo sich der 40. Breiten- mit dem 45. Längengrad schneidet, ist die geographische Mitte zwischen St. Louis und Köln. Da liegt, in einer Höhe von etwa zehntausend Metern, der imaginäre Ort, der mich zuweilen provoziert, über das, was Heimat und Identität ausmacht, nachzudenken. Wenn ich bei meinen Transatlantikflügen diesen Punkt passiere, habe ich den gleichen räumlichen Abstand zu den zwei Ländern, in denen ich bisher jeweils die Hälfte meines Lebens verbrachte. Dabei kann ich zwischen ‚alter‘ und ‚neuer‘ Heimat nicht unterscheiden, denn die alte ist immer neu geblieben (da ich mich jedes Jahr einige Monate in Deutschland aufhalte), und die neue (ich lehre an einer amerikanischen Universität) trägt nach drei Dekaden alte Züge. Beim Durchfliegen dieses Schnittpunktes verstärken sich die amerikanischen Identitätsteile, wenn die Reise nach Europa geht, bzw. es konturieren sich die deutschen Sehweisen, wenn ich in die entgegengesetzte Richtung fliege. Die Doppelperspektive des Deutsch-Amerikaners bleibt nur dann scharfsichtig, wenn man in Deutschland die amerikanische Alternative nicht vergisst und in den USA die Möglichkeit praktizierter Multi- und Interkultur wahrnimmt. Nicht das unflexible Beharren auf der Identität des Herkunftslands und nicht das Untertauchen im amerikanischen melting pot, sondern die dialogische Vermittlung zwischen Kulturen ist die Chance, die Pendler zwischen den Kontinenten wahrnehmen können. In den USA möchte – soziologisch gesehen – eigentlich jeder zur middle class gehören, und abgesehen von den ganz Armen und den Superreichen zählt (sich) fast jeder dazu. Das Leitbild ist seit Bestehen der USA das Ideal des Bürgers mit common sense, und es hat sich im 19. Jahrhundert gegen aristokratische Vorstellungen der Südstaaten durchgesetzt. Auch in der Geschichte der Bundesrepublik ist von Anfang an die Abneigung gegen Extreme, der Zug zur politischen Mitte hin unübersehbar. Aber bei einer so jungen Demokratie besteht – zumindest aus der Sicht des skeptischen Auslands – die Gefahr des Rückfalls in alte Untugenden der Deutschen, d.h. ins Schwanken zwischen Gartenzwergidylle und Nibelungenheroismus, zwischen Märchenwald und Götterdämmerung, zwischen Wichtelmann und Siegfried, zwischen Zipfel-

1 Paul Michael Lützeler: „‚Großmacht‘ Deutschland? Essay über die Perspektive von außen“. In: Internationale Politik 52.2 (1997): 8–14. Ich danke Werner Weidenfeld für die Einladung, den Beitrag für die von ihm herausgegebene Zeitschrift zu schreiben. Er war damals im Auftrag des deutschen Auswärtigen Amtes Koordinator für die transatlantische Zusammenarbeit.

Schnittpunkte von Heimat und Identität

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mütze und Stahlhelm. Bricht im vereinten Deutschland ein neues Zeitalter teutonischer Größe an? Jeder Ausländer mit historischem Erinnerungsvermögen zuckt innerlich zusammen, wenn heute ein Deutscher die Bundesrepublik als ‚Großmacht‘ definiert. Wie ein Blick ins Grimmsche Wörterbuch zeigt, hatte der Gebrauch des Nomens ‚Großmacht‘ von Anfang an einen Stich ins Großtuerische. Man benutzte es im frühen 19. Jahrhundert als politischen Begriff zuerst, um die ‚Großmächte‘ innerhalb Deutschlands von den kleineren deutschen Fürstentümern abzugrenzen. Im internationalen Kontext gesehen, handelte es sich bei Bayern und Preußen aber um Staaten mittlerer Rangordnung. Das durch Bismarck geeinigte ‚Kleindeutschland‘ und der durch Hitlers Raubzüge zum ‚Großdeutschen Reich‘ aufgeblähte Staat waren Großmächte von kurzer Dauer. Was den Frieden auf dem Kontinent und in der Welt im 20. Jahrhundert massiv gestört hat, war weniger die – Schwankungen unterliegende – faktische Machtposition Deutschlands als das Pochen seiner Politiker auf Großmachtansprüche, war das unrealistische (weil die eigenen Kräfte überschätzende) Verfolgen imperialistischer Ambitionen. Bei einer Diskussion der Frage, ob dem vereinten Deutschland am Ende des 20. Jahrhunderts die Rolle einer Großmacht zukomme, tut man gut daran, die Empfindlichkeiten des Auslands zu berücksichtigen. Aus meiner nordatlantischen Sicht halte ich diese Debatte für unzeitgemäß. Den klassischen souveränen europäischen Nationalstaat mit einer Nationalökonomie als Basis gibt es nicht mehr, und eine autochthone nationale Kultur hat wohl nie existiert. Nicht einmal in Karikaturen kann man sich die heutigen Regierungsvertreter Deutschlands noch säbelrasselnd wie Wilhelm II. bzw. drohend-schäumend wie Hitler vorstellen. Die kontinentalen und globalen wirtschaftlichen Verflechtungen, politischen Verzahnungen und kulturellen Vermischungen lassen die Nationalisten alter Couleur als wirklichkeitsfremd erscheinen. Die verstärkte europäische Integration auf politischem, juristischem, kulturellem, militärischem und monetärem Gebiet ist nicht die heroische Umsetzung einer hehren Utopie, sondern die hinterherhinkende Anerkennung von Tendenzen, die schon lange die Realitäten des Kontinents bestimmen. Keiner der europäischen Einzelstaaten kann mehr als Großmacht in dem Sinne auftreten, wie es zu Beginn des Ersten Weltkrieges noch möglich war. Schon die kaum zu bewältigenden innenpolitischen Probleme in fast jedem europäischen Land (Staatsverschuldung auf Generationen hin, Krise der Universitäten, wachsende Arbeitslosigkeit, Zerreißprobe des sozialen Netzes) lassen Gedanken an eine nationale Außenpolitik mit Großmachtgehabe als lächerlich erscheinen. Hier sind die Unterschiede zwischen Frankreich und Deutschland, Italien und England nur quantitativer, nicht aber qualitativer Natur.

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Deutschland aus transatlantischer Sicht (1997)

Die vornehmste Aufgabe einer Großmacht war immer die Friedenssicherung in ihrem Einflussbereich. Eine Pax Germanica wird es im heutigen Europa so wenig wie eine Pax Britannica geben, weil eine einzelne nationale Großmacht, die die Politik des ganzen Kontinents bestimmen könnte, in Europa nicht existiert, ja in eklatantem Widerspruch zur Entwicklung seiner Staatsgeschichte stünde. Europäische Friedenssicherung ist eine atlantische Angelegenheit, und die Europäer können darauf hinarbeiten, dass die Pflichten und Rechte in der NATO auf die beiden Säulen Nordamerika und Europa gleichmäßiger verteilt werden. In Fällen wie Bosnien ist – in Zusammenarbeit mit den USA – ein gesamteuropäisches Engagement erforderlich, nicht die Aktion eines einzelnen Staates der Europäischen Union.

Nationale Großmächte in der Europäischen Union? Eine Diskussion um Großmachtansprüche Deutschlands kann bei ausländischen Gesprächspartnern nur Unbehagen auslösen. Erinnerungen an die Gefallenen der beiden Weltkriege, an die Opfer des Holocaust und an zahllose Flüchtlinge werden wach: Deutschlands Großmachtpolitik hat zu viel Verheerendes angerichtet, als dass an sie nochmals angeknüpft werden könnte. Wenn schon Zugeständnisse an eine deutsche Vorliebe fürs Große gemacht werden sollen: Wie wäre es mit Großmut in der Bedeutung von magnanimitas? Hier bieten sich zeitgemäße Aktionsfelder an durch das Bauen bzw. Ausbauen von Brücken zwischen Nationen und Völkern im Sinne des Europäismus, Internationalismus und Globalismus. In Bonn (der Regierungsstadt der alten Bundesrepublik) gibt es drei Rheinbrücken, deren Namen symbolischen Wert haben: die Adenauer-, die Kennedy- und die Ebert-Brücke. Konrad Adenauer war der rheinische Europäer par excellence, und so steht die nach ihm benannte Brücke für die Verbindung der Nation zum übrigen Europa hin. John F. Kennedy war der seinerzeit prominenteste kosmopolitische Atlantiker, und so symbolisiert die Kennedy-Brücke die Allianz mit Amerika. Friedrich Ebert war der legendäre Ausgleicher zwischen den Gegensätzen, und so kann man die Brücke, die seinen Namen trägt, als Emblem deuten für den Dialog mit Vertretern anderer Kulturen in Deutschland selbst wie auch in fremden Ländern und auf fremden Kontinenten. Der Verkehr auf diesen Brücken ist rege, aber ihre Pfeiler sind so stabil gebaut, so fest im Felsengrund des Rheins verankert, dass sie durchaus mehr Passanten in beide Richtungen tragen könnten. So indigniert die Reaktionen auf deutsche Großmachtdebatten im Ausland sind, so gerne erinnert man sich dort an Beispiele kosmopolitischen Verhaltens in der Bundesrepublik. Die deutsche Kulturgeschichte ist äußerst vielgestaltig,

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und neben den kriegstreiberischen, chauvinistischen, antisemitischen bzw. rassistischen Diskursen hat es in Deutschland – was außerhalb der Studieninteressen von Daniel Goldhagen zu liegen scheint – immer schon dagegen gerichtete starke humanistische, kosmopolitische, europäische und friedensorientierte Diskurse gegeben. Ohne eine an den Menschenrechten ausgerichtete Kulturtradition hätte es weder einen Widerstand gegen Hitler noch einen demokratischen Neuanfang in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg geben können. So wie jeder Wissenschaftler und jeder Künstler das Recht hat, nach seinen besten, Maßstab setzenden Arbeiten beurteilt zu werden, so kann auch jede Nation beanspruchen, mit ihren hervorragendsten Kulturleistungen Anerkennung zu finden. Es wäre wenig sinnvoll, sich in der Goethe-Rezeption auf „Das Jahrmarktsfest zu Plundersweilern“ oder „Die natürliche Tochter“ zu beschränken und den „Werther“ oder den „Faust“ zu vergessen. Die deutsche Kulturgeschichte läuft nicht mit teleologischer Notwendigkeit auf rassistische Obskuranten wie Alfred Rosenberg oder Mathilde Ludendorff hinaus; in deren geistige Genealogie lassen sich Kosmopoliten wie Gotthold Ephraim Lessing und Annette von Droste-Hülshoff jedenfalls nicht unterbringen. Die Deutschen haben nicht nur einen Despoten wie Adolf Hitler, sondern auch Verständigungs- und Versöhnungspolitiker wie Friedrich Ebert und Konrad Adenauer an die Spitze ihres Staates gewählt. Das heißt nicht, dass die finsteren Seiten der kulturellen und politischen Historie Deutschlands totgeschwiegen werden sollten. Im Gegenteil, die Nachbarschaft von Weimar und Buchenwald sollte als Kardinalproblem der deutschen Geschichte immer erneut zur Auseinandersetzung herausfordern. Bei meinen Reisen in fast alle Teile der Welt habe ich nicht zuletzt deswegen Gastfreundschaft genossen, weil ein australischer Kollege ein erfreuliches Jahr als Humboldt-Stipendiat in Freiburg im Breisgau verbrachte; weil eine Kollegin in Tel-Aviv, die den Holocaust überlebte, zu Gastprofessuren an die Universität Würzburg eingeladen wurde; weil ein chinesischer Kollege ein anregendes Studienjahr am Institut für Interkulturelle Germanistik in Bayreuth verbracht hatte; weil ein junger Historiker aus Jerusalem ans Zentrum für interdisziplinäre Studien in Bielefeld eingeladen wurde, wo er Akademiker aus der ganzen Welt traf; weil ein polnischer Wirtschaftswissenschaftler gute Erfahrungen am Internationalen Zentrum der Universität Tübingen gemacht hatte; weil ein amerikanischer Freund von der Wolfenbütteler Bibliothek eingeladen wurde, dort seinen Barockstudien nachzugehen; weil ein Bekannter aus Kamerun mit Hilfe eines DAADStipendiums sein Buch im Deutschen Literaturarchiv in Marbach fertigstellen konnte; weil ein ägyptischer Mathematiker in München studiert und seine Frau kennengelernt hatte; weil eine indische Studentin mit ihrem Lehrgang am Goethe-Institut in Göttingen angenehme Erinnerungen verband; und weil einem chilenischen Autor während der Zeit der Pinochet-Diktatur im westlichen Teil Ber-

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lins Asyl gewährt wurde und er dort einen Roman und ein Filmskript schrieb, die ihm Weltruhm einbrachten. Diese Beispiele lassen sich fast beliebig mehren. Durch solch kulturelles Brückenbauen – und nicht durch Großmachtgestikulationen – hat Deutschland wieder Achtung in der Welt gewonnen. Jedes Land, das einen gesunden Selbsterhaltungstrieb hat, legt Wert auf gute Beziehungen zu seinen Nachbarn, pflegt seinen Ruf und nimmt Rücksicht auf die Meinung des Auslands. Die Bundesrepublik macht hier – vernünftigerweise – keine Ausnahme. Nur der Hybris erlegene Politiker wie Wilhelm II. („Viel Feind, viel Ehr!“) und Selbstmordnaturen wie Hitler setzten sich – mit fatalen Folgen für den von ihnen regierten Staat – über das Urteil des Auslands hinweg. Nach 1945 war keine Nation so sehr wie die deutsche auf das Wohlwollen der Siegerstaaten angewiesen, und mit Takt und politischem Sachverstand ist es (alles in allem) den politisch Verantwortlichen in der Bundesrepublik gelungen, das Land in die Gemeinschaft der Völker zurückzuführen. Nach wie vor hat man auch in Amerika ein genaues Auge auf das, was in Deutschland passiert. Man zieht schnell (oft auch vorschnell) Vergleiche mit Weimar-Deutschland, wenn man den Eindruck der Destabilisierung bekommt, und mit Hitler-Deutschland, wenn rechtsradikale Randalierer und Kriminelle die Aufmerksamkeit der Medien auf sich ziehen oder eine reaktionäre Partei bei Regionalwahlen einige Prozentpunkte zulegt. Die Sympathien für Deutschland und für die deutsche Sprache und Kultur sind in den Jahren seit der Wiedervereinigung von 1990 in den USA nicht gewachsen. Nicht nur, dass amerikanische Firmen seltener in der Bundesrepublik neu investieren, auch die Investition von Zeit in das Lernen der deutschen Sprache hat (jedenfalls bei der amerikanischen akademischen Jugend) abgenommen. Nimmt man die Einschreibungszahlen für Deutschkurse an den amerikanischen Colleges und Universitäten zum Maßstab, hat das Interesse an Deutschland stark nachgelassen: Schrieben sich 1990 noch 133.000 Studenten in universitäre Deutschkurse ein, waren es 1995 nur noch etwa 96.000. Solche Veränderungen bleiben nicht ohne Folgen für den Informationsstand amerikanischer Studenten in Sachen Deutschland, denn in den German Departments wird nicht nur die deutsche Sprache, sondern auch Literatur- und Geistesgeschichte sowie Rudimentäres über Politik und Wirtschaft des gegenwärtigen Deutschlands vermittelt. Zurzeit erlangen in den USA jährlich etwa 90 Studenten einen Doktorgrad in der Germanistik. Davon findet aber nur ein Drittel eine Assistenzprofessur mit Aussicht auf spätere Verbeamtung. Von einer ‚Krise‘ des Fachs Germanistik in den USA zu sprechen, ist also untertrieben. Sollte der Einschreibeschwund für Deutschkurse anhalten, kann man sich ausrechnen, dass in etwa zwölf Jahren die amerikanischen Deutschabteilungen wegen ‚Kundenmangels‘ geschlossen werden müssen. Das wird wohl nicht der Fall sein, aber mit weiteren Einbrüchen, d.h. mit wachsendem Desinteresse an things German ist in den USA zu rechnen.

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Auf der High-School-Ebene sieht die Situation etwas freundlicher aus. Hier hat die Zahl der Einschreibungen in den letzten fünf Jahren geringfügig zugenommen. Heute gibt es wieder ziemlich genau so viele High-School-Schüler, die Deutsch lernen, wie auf dem Höhepunkt der amerikanischen Deutschland-Sympathie vor dem Ersten Weltkrieg. Damals wie heute lern(t)en etwa 325.000 Schüler in den USA die deutsche Sprache. Allerdings ist die Bevölkerungszahl in den USA seit 1914 um etwa das Dreifache gestiegen, so dass sich jene Situation von 1910, als jeder vierte High-School-Schüler sich in Deutschkurse einschrieb, nicht wiederholt hat. Die Rolle der zweitwichtigsten Sprache in den USA kommt heute (nicht zuletzt wegen der vielen lateinamerikanischen Einwanderer) dem Spanischen zu: Zehnmal mehr Schüler und etwa siebenmal mehr Studenten belegen Spanisch als Deutsch. Immer weniger junge Menschen aus anderen Erdteilen studieren an deutschen und europäischen Hochschulen, wohingegen die amerikanischen Universitäten immer mehr Studenten aus aller Welt anziehen. Der neue Trend an den Colleges und Universitäten in den USA (und auch weltweit) hat am wenigsten mit einer Abneigung gegen das vereinigte Deutschland zu tun. Was hier durchschlägt, ist ein viel allgemeinerer Orientierungsschwenk bei der jungen akademischen Generation. Es ist nicht etwa so, dass man weniger Fremdsprachen als früher lernt. Die studentischen Einschreibungszahlen für ausländische Sprachkurse sind in den USA konstant geblieben: Sie lag vor fünf Jahren wie heute bei knapp 1.200.000. Gut die Hälfte davon – 606.000 Studenten – belegen Spanisch. Während Spanisch, Chinesisch und Arabisch sowie die Sprachen kleinerer Länder zweistellige prozentuale Zuwachsraten aufweisen, verzeichnen die europäischen Sprachen wie Französisch, Deutsch, Italienisch und Russisch zweistellige Verlustraten. Deutlich wird die stärkere Ausrichtung der USA auf Lateinamerika und auf Ostasien. Vor fünf Jahren betrug die studentische Belegquote für Japanisch ein Drittel der Zahl für das Fach Deutsch; heute beträgt sie fast die Hälfte. Der Einbruch im Französischen ist ähnlich stark wie im Deutschen (rund ein Viertel: die Zahl sank im gleichen Zeitraum von 273.000 auf 205.000 studentische Einschreibungen). Wie mir meine australischen Kollegen mitteilen, sind die Verschiebungen im Fremdsprachenbereich dort ähnlich. Es zeigt sich also wieder, dass Europa gemeinsame Anstrengungen unternehmen muss, um weltweit konkurrenzfähig zu bleiben. Die einzelnen europäischen Staaten übernehmen sich, wenn sie meinen, hier im Alleingang etwas ändern zu können. In Deutschland (wie in anderen europäischen Ländern) werden zurzeit im Zuge des Euro-Fitness-Programms alle öffentlichen Haushalte, also auch die Kulturbudgets, gekürzt. Entsprechend müssen Goethe-Institute zu einer Zeit geschlossen werden, wenn eigentlich neue Einrichtungen solcher Art gegründet werden sollten.

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Von einer im Werden begriffenen deutschen ‚Großmachtpolitik‘ auf dem Gebiet Kultur kann keine Rede sein. Nicht lediglich der Standort Deutschland, sondern die Europäische Union allgemein ist in Gefahr, international unattraktiver zu werden. Und das hat seine sprach- und kulturpolitischen Konsequenzen. Eine intensivere, kostengünstigere und effektivere Kooperation auf allen Gebieten ist die zeitige Aufgabe der Mitglieder der Europäischen Union, nicht zuletzt in Sachen Sprach- und Kulturpolitik. Traditionellerweise hat Kulturpolitik innerhalb der EU immer nur eine marginale Rolle gespielt. Das sollte sich ändern. Kultur ist nichts Peripheres, das sich im Einigungsprozess vernachlässigen ließe; sie ist im Gegenteil Ursache und Basis aller Unifikationsbestrebungen. Europas national organisierte Kulturinstitute könnten – zumindest außerhalb des eigenen Kontinents – in europäische Erasmus-Häuser integriert werden. Etwas Vergleichbares schlug kürzlich auch Hans Magnus Enzensberger vor. Auf eine ‚Großmachtpolitik‘ der Deutschen reagiert man international verständlicherweise allergisch. Auch die Europäische Union sollte im Zeitalter des Postkolonialismus nicht versuchen, an Traditionen des Imperialismus vergangener Zeiten anzuknüpfen. Das eigene Haus zu bestellen, d.h. die Universitäten zu reformieren, die Arbeitslosigkeit zu beseitigen, die organisierte Kriminalität zu bekämpfen, die soziale Marktwirtschaft zu sichern, die Umweltzerstörung zu beenden, den Kontinent zu befrieden, eine weltoffene, an den Menschenrechten orientierte Außenpolitik als Investition in die Zukunft zu betreiben: Das sind Aufgaben, die Europa geschlossen anpacken muss. Nichts wäre falscher, als Amerika oder Japan einfach imitieren zu wollen. Die Stärken und Schwächen dieser Länder sind Ergebnis ihrer gesamtkulturellen Entwicklung und Konstitution. Punktuell lässt sich viel von ihnen lernen, aber Europa muss mit seinen historisch gewachsenen Besonderheiten, mit seiner pluralistischen Vielgestaltigkeit letztlich eigene Wege aus der Krise seiner Industriegesellschaft finden. Auch Bertolt Brecht sollte nach seinen besten Arbeiten beurteilt werden, und zum Besten, was der heimgekehrte Exilschriftsteller in der politischen Lyrik geschrieben hat, gehört seine „Kinderhymne“. Da finden sich Zeilen, an die während der gegenwärtigen Diskussion um ‚Großmacht‘ Deutschland erinnert sei: „Daß ein gutes Deutschland blühe / Wie ein andres gutes Land“, oder „Und nicht über und nicht unter / Andern Völkern wolln wir sein“.

2. Reform der Universität

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Der zweite Sputnikschock und die Exzellenz-Universität (2012) Auch in der Bundesrepublik Deutschland machte sich der Sputnikschock von 1957 bemerkbar, denn auch hier sprach man plötzlich seit den späten 1950er Jahren eine Dekade lang von der notwendigen Erschließung von Bildungsreserven. Und einen Mahner wie William Benton in den USA gab es auch in West-Deutschland, nur dass er kein Politiker, sondern ein Altphilologe und Pädagoge war, und dass er nicht lediglich die Sowjetunion, sondern die internationale Bildungsszene insgesamt zum Vergleich mit der deutschen heranzog. 1964 publizierte Georg Picht sein Buch „Die deutsche Bildungskatastrophe“1, das eine Welle von Diskussionen in der Öffentlichkeit und zahlreiche Maßnahmen in den westdeutschen Regierungen auf nationaler wie auf Landesebene auslöste. Picht wies nach, dass die Ausgaben für Bildung in der Bundesrepublik relativ gesehen niedriger als in anderen Ländern waren, meinte, dass die Zahl der Abiturienten viel zu gering sei und prophezeite, dass die Wirtschaft des Landes auf Dauer unter der Bildungsmisere leiden werde. Eine Art zweiter Sputnikschock trat ein halbes Jahrhundert nach der Umkreisung der Erde durch einen sowjetischen Satelliten in Deutschland (leider nicht in den USA) ein. Am Anfang des neuen Jahrtausends wurde deutlich, wie die aufstrebende Weltmacht China durch eine seit langem schon andauernde Bildungsoffensive die Voraussetzungen für ihre wirtschaftliche und letztlich politische Macht geschaffen hatte. Die deutsche Bundesregierung und die Landesregierungen reagierten mit einer konzertierten Aktion zur Förderung von Exzellenz an den deutschen Universitäten. Anders als die amerikanischen Mittel, die seit 1958 den Ausbau und die Verbesserungen des Bildungssystem allgemein intensivierten, wollte man in Deutschland vor allem Eliteförderung betreiben. Da diese ohne den Kontext der atlantischen Partnerschaft und ihren Nachwirkungen des Sputnikschocks schwer vorstellbar ist, soll auf sie hier eingegangen werden. Wenngleich die transatlantische Germanistik speziell dabei keineswegs im Vordergrund steht, wird sie doch immer mitgedacht. Die deutschen Hochschulen sind besser als ihr Ruf.2 Schaut man in die diversen „Rankings“ der Universitäten weltweit (besonders bekannt ist das aus Shang-

1 Georg Picht: Die deutsche Bildungskatastrophe. Analyse und Dokumentation. Freiburg i.Br. 1964, 2. Aufl. München 1965. 2 Die folgenden Ausführungen wurden erstmals von mir in einer Kurzfassung am 11. Juli 2012 unter dem Titel „Hochschulen besser als ihr Ruf“ veröffentlicht in: http://www.spektrum.de. Für die Einladung, diesen Beitrag zu schreiben, danke ich Carsten Könneker, dem Chefredakteur von „Spektrum der Wissenschaft“.

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hai), findet man selten den Namen einer deutschen Universität unter den ersten fünfzig: Dort dominieren die berühmten Institutionen aus dem Osten und dem Westen der USA. Das liegt aber zu einem nicht geringen Teil daran, dass in der Bundesrepublik die reinen Forschungszentren (Max Planck, Helmholtz, Fraunhofer) noch weitgehend von den Universitäten entkoppelt sind. Wären solche Zentren integraler und selbstverständlicher Teil der Hochschulen, würden also deren Leistungen als Errungenschaften von Universitäten verbucht, würde Deutschland im Ranking viel besser abschneiden. In den USA gibt es eine solche Trennung zwischen Universität und Forschungszentrum ebenfalls, aber da diese von den Hochschulen getrennten Zentren (man denke an die NASA) längst nicht so zahlreich sind wie in Deutschland und da jene Forschung, die etwa an den Max Planck-Instituten betrieben wird, durchweg normaler Teil amerikanischer Universitätskompetenz ist, fallen die Noten für die US-Universitäten besser aus. Aber seit gut einem Jahrzehnt ist Bewegung in die Lehr- und Forschungslandschaft Deutschlands gekommen. Die Kooperationen zwischen den ehemals separierten Zentren und den Hochschulen haben stark zugenommen. Da sie gegenseitig aufeinander angewiesen sind, ist das nur zu begrüßen: Es gibt kein Max Planck-Institut, das seine Mitglieder nicht aus exzellenten Universitäten rekrutierte, und die Ergebnisse der Forschungsinstitute werden sofort an den Universitäten verarbeitet. Zu dieser verstärkten Zusammenarbeit hat auch die sogenannte Exzellenz-Initiative beigetragen, wenn es auch nicht ihr eigentliches Ziel war. Im Rückblick wird man die Jahre zwischen 2007 und 2017 als eine Zeit der Reform und der Erneuerung der deutschen Hochschule betrachten. Es wurden in diesem Jahrzehnt in einer gemeinsamen Anstrengung von Bund und Ländern mehr als viereinhalb Milliarden Euro zusätzlicher Mittel in die Universitäten geleitet. Das geschah sinnvollerweise nicht nach dem alten „Gießkannenprinzip“, das von der irrigen Auffassung ausging, dass alle deutschen Universitäten ohnehin ausgezeichnet seien, sondern im Rahmen eines geplanten Wettbewerbs: Da konnten sich Universitäten um Graduiertenschulen, um die Finanzierung von Exzellenz-Clustern sowie um die Förderung von Zukunftskonzepten bewerben. Bei den deutschen Graduiertenschulen, auf die ich auch im nächsten Beitrag zu sprechen komme, geht es um eine Doktorandenbetreuung, die wohl im Augenblick die denkbar beste in der Welt ist. Bei Exzellenz-Clustern finden sich interdisziplinäre Gruppen, die erkannt haben, dass sie bei der Lösung bestimmter Probleme besser verfahren, wenn sie ihre disziplinären Kenntnisse kombinieren. Und die Universitätsleitungen demonstrieren mit ihren Zukunftskonzepten, dass Fakultäten, Institute und Einzelforscher gefördert werden sollen, deren Arbeit das ist, was man auf Englisch cutting edge nennt und deren Förderung betrieben wird, weil Ergebnisse zu erwarten sind, die – ob mittels Grundlagenforschung oder angewandter Forschung – bei der Bewältigung künftiger Probleme helfen werden.

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Gute Chancen hatten dabei jene Universitäten, die erstens ihre Internationalisierung, zweitens das interdisziplinäre Arbeiten und drittens das Prinzip der Gleichstellung (Vergabe von Professuren an Frauen) ernst nahmen. Die Offerte wurde angenommen, und der Wettbewerb hat neue Energien freigesetzt. Auf dem Niveau der Doktorandenausbildung, auf dem Gebiet vermehrter interdisziplinärer Zusammenarbeit, in der man auch die Geistes- und Naturwissenschaften in einen neuen Dialog brachte, und schließlich im Hinblick auf die langfristige Zukunftsplanung einer Universität insgesamt kamen oft Ideen zur Entfaltung, die sonst als unrealisierbar und auch unfinanzierbar ad acta gelegt worden wären. Ich selbst arbeitete als ausländischer Gutachter in den beiden letzten Jahren in der Strategiekommission des Wissenschaftsrates, die mit der Bewertung der Zukunftskonzepte, d.h. mit der sogenannten dritten Förderlinie, beschäftigt ist. Vor fünf Jahren waren in einer ersten Auswahl- und Bewilligungswelle neun Universitäten mit der „Exzellenz“-Auszeichnung bedacht worden. Das waren sämtlich Hochschulen, die mindestens eine Graduiertenschule zur Doktorandenausbildung, ein interdisziplinäres Exzellenzcluster sowie ihr Zukunftskonzept zur Förderung genehmigt bekommen hatten. Auffallend war damals die Ballung der Exzellenz-Universitäten im süddeutschen Raum: München (TU und LMU), Heidelberg, KIT in Karlsruhe, Freiburg und Konstanz in Baden-Württemberg machten zwei Drittel der neun geförderten Institutionen aus. Hinzu kamen Aachen aus Nordrhein-Westfalen, Göttingen aus Niedersachsen und die FU Berlin. Damals war keine Hochschule aus der ehemaligen DDR und auch kein Nordlicht unter den erwählten Universitäten. Das hat sich geändert: Im Juni 2012 zählten zu den Gewinnern die TU Dresden und die Humboldt-Universität in Berlin, aber auch die Universität Bremen aus dem Norden des Landes. Gegenüber der ersten Förderzeit gab es jetzt drei Absteiger: das KIT in Karlsruhe, Göttingen und Freiburg. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft evaluiert die Anträge auf Graduiertenschulen und auf Exzellenzcluster, der Wissenschaftsrat kümmert sich um die Bewerbungen der Zukunftskonzepte, die von den Universitätsrektoren formuliert und eingereicht werden. Die Strategiekommission des Wissenschaftsrats, die mit der Evaluation der Rektoren-Anträge beschäftigt ist, besteht aus zwölf Mitgliedern (lauter Professoren und Professorinnen), wovon die Hälfte aus dem Ausland kommt, meistens aus Europa und den USA. Jedes Mitglied liest nicht nur kritisch und vergleichend die eingereichten Zukunftskonzepte, sondern nimmt auch an zwei oder drei „Begehungen“ jener Universitäten teil, deren Rektoren ein Zukunftskonzept eingereicht hatten. Bei diesem Besuch leitet ein Mitglied der Strategiekommission eine vom Wissenschaftsrat speziell zusammengestellte Expertengruppe von HochschullehrerInnen, deren Mehrzahl aus dem Ausland rekrutiert worden ist. In einer Serie von Treffen begegnet man der Universitätsspitze, den DekanInnen, dem Hochschulrat, dem Senat, den Nachwuchswissen-

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schaftlerInnen, den StudentInnen sowie den DirektorInnen vieler einzelner markanter disziplinärer und interdisziplinärer Forschungszentren. Grundlage der Diskussion sind immer die Beschreibung des status quo und das angestrebte Ziel der jeweiligen Gruppe, die man am Anfang noch im Gesamtzusammenhang und in der Folge einzeln interviewt. Selbstdarstellung und Zielvision sind dem umfangreichen Antrag des Rektors zu entnehmen. Die Begehung interessiert sich für die faktische oder mangelnde Übereinstimmung zwischen Antrag und Realität, aber auch für Klärungen von Details, die ohne Anschauung vor Ort nur schwer vorzunehmen sind. Ohne solche Begehungen sind keine Evaluationen möglich. An der Humboldt-Universität und an der Universität Tübingen leitete ich diese Gutachtergruppen, musste also den Dialog zwischen Expertenteam und den unterschiedlichen Vertretern der Hochschule in Gang halten. An der LMU München war ich co-chair bei der Begehung. Der Bericht der Expertengruppe ist für die Entscheidungsfindung bei den folgenden vergleichenden Diskussionen innerhalb der Strategiekommission naturgemäß von besonderer Bedeutung. Durch die Begehungen lernte ich mit den Präsidenten Jan-Hendrik Olbertz (HU Berlin), Bernd Engler (Tübingen) und Bernd Huber (LMU München) drei Präsidenten bzw. Rektoren kennen, denen die Bedeutung der Internationalisierung ihrer Universitäten und der Teilnahme am transatlantischen und globalen akademischen Austausch bewusst ist. Mitte Juni 2012 trafen sich die Fachkommission der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) unter der Leitung des DFG-Präsidenten Matthias Kleiner und die Strategiekommission des Wissenschaftsrats (WR) unter dem Vorsitz des WRPräsidenten Wolfgang Marquardt. Man konferierte zunächst getrennt und dann in einer gemeinsamen Diskussion. Am Ende gab es ein Abschlussgespräch der gemeinsamen Kommission aus DFG und WR mit der Bundesministerin für Bildung und Forschung sowie den KultusministerInnen der sechzehn Bundesländer. Diese Gruppe ist zur Beschlussfassung berechtigt, und sie akzeptierte die Empfehlungen der VertreterInnen in der Fachkommission der DFG und der Strategiekommission des WR. Das Ergebnis war, dass neben der fortgesetzten Förderung bei sechs Universitäten (TU München, LMU München, Aachen, FU Berlin, Heidelberg, Konstanz) fünf neu unterstützte hinzukommen: HU Berlin, TU Dresden, Bremen, Tübingen und Köln. Für die „alten“ Hochschulen wird es voraussichtlich keine erneuerte Förderung über 2017 hinaus geben; für die „neuen“ dagegen wird eine weitere Finanzspritze für die Jahre zwischen 2017 und 2022 ins Auge gefasst. Der Grund dafür liegt im Prinzip der Gleichbehandlung. Allerdings wird diese weitere Förderung der „Neuen“ ebenfalls nicht automatisch erfolgen, sondern nur nach nochmaligem Antrag und weiterer Prüfung. Es wird oft (und nicht zu Unrecht) die Frage gestellt, ob sich der Aufwand für den Wettbewerb um den Exzellenzstatus lohnt. Ich meine doch. Auch wenn ein

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Antrag abgelehnt werden sollte, hat sich für die WissenschaftlerInnen, die sich zur Beschreibung der Graduiertenschule oder eines Exzellenzclusters zusammengefunden haben, diese Kooperation durchaus gelohnt. Oft wenden sich die betreffenden HochschullehrerInnen mit Erfolg an Stiftungen oder an Ministerien der Länder, um Schule oder Cluster doch noch finanziert zu erhalten. Es weht seit der Exzellenzinitiative ein merklich frischerer Wind durch die Hörsäle und Seminare, Verwaltungsbüros und Bibliotheken deutscher Universitäten. Es geht hier nicht darum, auf künstliche und übereilte Weise Eliteuniversitäten nach dem Vorbild der amerikanischen Ivy League zu schaffen, sondern um die Belebung des Wettbewerbs unter an sich bereits sehr guten deutschen Hochschulen.3 Die Auszeichnung „Exzellenz-Universität“ wird verliehen, um hervorragende Leistungen zu honorieren und in Zukunft zu ermöglichen. Deutlich wird dabei, dass es auch in der Bundesrepublik eine Rangordnung im Universitätsbereich gibt, wobei jedoch von einem Qualitätsgefälle wie in den USA keine Rede sein kann. Über einen Zeitraum von mehr als fünfzehn Jahren hinaus muss diese Art von strukturierter, von den Ländern in Zusammenarbeit mit dem Bund angeregter und finanzierter Unterstützung aber nicht hinausgehen. Dann sollte man über neue Formen wettbewerbsorientierter Hochschulförderung nachdenken, die belebend auf Wissenschaft und Lehre wirken. Vielleicht wird man dann einen hoch dotierten Exzellenzpreis vergeben, um den sich die Universitäten bewerben können. Erwähnenswert ist übrigens, dass andere Länder (wie Frankreich und Indien) sich bereits zu vergleichbaren (aber keineswegs identischen) Exzellenzinitiativen an ihren Universitäten durch das Beispiel Deutschland haben inspirieren lassen, und ich denke, dass das nicht die einzigen Fälle bleiben werden. Es ist vorstellbar, dass bei einer neuen Friedenszeit in den USA, vergleichbar jener von 1957/58, auch dort erneut Initiativen einsetzen, die der Spitzenforschung an den Universitäten in allen Gebieten wieder mehr staatliche Mittel werden zuteilen wollen. Dabei könnte man aus den positiven wie negativen Folgen der Förderungen aus dem Jahrzehnt des Sputnikschocks lernen.

3 Vgl. dazu Walter Hinderer: Die deutsche Exzellenzinitiative und die amerikanische Eliteuniversität. Berlin 2007.

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Deutsche Hochschulen: Europäisierung und Amerikanisierung (2009)

Deutsche Hochschulen: Europäisierung und Amerikanisierung (2009)1 Imitation und Alternative Zum zehnten Jahrestag der Gründung der Viadrina, der Europa-Universität in Frankfurt/Oder, lud Gesine Schwan im Juni 2001 zu einem Symposium einige Wissenschaftler ein, um die Internationalisierung von Universitäten zu diskutieren.2 Ich sprach über die Unterschiede zwischen amerikanischen und deutschen Hochschulen3 und lobte einige Aspekte der US-Universität als modellhaft.4 Es war damals nicht zu erwarten, dass eine Veränderung der Hochschulen in Europa unter dem Stichwort Bologna-Prozess so bald erfolgen würde. Bei dieser Reform achtete man auf das, was an den amerikanischen akademischen Institutionen im Undergraduate- und Graduate-Bereich angeboten wurde. Dabei ahmte man zum Teil nach, zum Teil entwickelte man bewusst Alternativen. In den 1990er Jahren wurden die Weichen für den Bologna-Reformzug in Europa gestellt, wobei man sich am amerikanischen Vorbild auch dann orientierte, wenn man ihm nicht nacheiferte. Bei ihrer Universitätsreform taten die Chinesen übrigens zur gleichen Zeit dasselbe. Brasilien hatte schon dreißig Jahre zuvor das europäische durch das amerikanische Universitätssystem ersetzt. Die Europäer standen also mit der Amerikanisierung ihrer Hochschulen nicht alleine da. Wann immer Modelle aus

1 Walter Erhart danke ich für die Einladung zu der Tagung „ReformUniversität. Braucht die Zukunft eine Universität?“ Sie fand aus Anlass von „zehn Jahren Bologna-Reform“ am 18. und 19. November 2009 am Zentrum für interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld statt. Bei dieser Tagung, die Walter Erhart mitorganisiert hatte, hielt ich diesen Vortrag. 2 Zu den Referenten gehörten u.a.: Michael Minkenberg, Robert Picht, Ulrich Teichler und Konrad Schily. Die Tagung fand an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder vom 26.–27. Juni 2001 statt. 3 Paul Michael Lützeler: „Wissenschaftlicher Fortschritt durch Internationalität. Die amerikanische Universität als Modell“. In: Merkur 11.56 (2002): 1047–1051. Ich beschrieb dort die professionelle Verwaltung der amerikanischen Universitäten, ihr vorbildliches „Tenure“-Verfahren (also die Verbeamtung) und die durchweg günstigere Relation zwischen der Anzahl der Lehrenden und Lernenden. 4 Wenn hier pauschal von „amerikanischen Universitäten“ gesprochen wird, sind immer nur jene sechzig US- und zwei kanadischen Forschungsuniversitäten gemeint, die sich in der Association of American Universities zusammengeschlossen haben. Die AAU wurde im Jahr 1900 gegründet. Inspiriert durch den Bologna-Prozess einerseits und durch das amerikanische Vorbild zum anderen ist im Jahr 2002 die League of European Research Universities (LERU) etabliert worden, der inzwischen zwanzig europäische Forschungsuniversitäten angehören. Vgl. http://www.aau.edu (7. Dezember 2009) sowie http://www.leru.org (7. Dezember 2009).

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anderen Kulturen imitiert werden, gehen sie mit heimischen Gegebenheiten eine Fusion ein. So auch im Fall der Bologna-Reformen in Deutschland, wo sich amerikanische, europäische und deutsche Ideen, Traditionen und Praktiken auf neue Weise vermischten. Die europäische Reform ging in bedachten Schritten vor sich. An ihrem Anfang stand ein Dokument von 1988. Damals kamen in Bologna die Präsidenten von nahezu vierhundert in der Welt führenden Hochschulen zusammen. Der Anlass war die 900-Jahrfeier der Universität von Bologna, der ältesten Europas. Die Rektoren waren nicht nur zum Feiern, sondern auch zum Arbeiten angereist. Sie verabschiedeten eine Magna Charta Universitatum, deren Grundsätze international anerkannt werden sollten. Zu diesen Prinzipien gehörte das Bekenntnis zur Tradition des europäischen Humanismus, die Einheit von Forschung und Lehre, die Freiheit und Mobilität der Unterrichtenden und Studierenden, die Autonomie der Universität, der freie Informationsaustausch sowie die internationale Angleichung von akademischen Titeln. Zehn Jahre später, im Jahr 1998, trafen sich in Paris die Kultusminister Frankreichs, Deutschlands, Italiens und Großbritanniens. Auch diesmal feierte man ein Jubiläum: das 800-jährige Bestehen der Hohen Schule zu Paris. Wieder artete die Feier in ernsthaftes Bemühen aus: Eine Proklamation wurde verabschiedet, der man den Namen Sorbonne-Erklärung gab. In ihr wurde eine gemeinsame europäische Universitätspolitik inauguriert, die verstärkte Zusammenarbeit und die Mobilität im akademischen Lernprozess gefordert und die gegenseitige Anerkennung von Studienleistungen versprochen. Berücksichtigt werden sollte bei der Reform auch die moderne Arbeitssituation, die ein lebenslanges Lernen mit sich bringe. Das war der allgemeine Teil der SorbonneErklärung. Konkret wurde man im Hinblick auf eine neue Zweistufigkeit des Studiums. Man übernahm die amerikanische Terminologie von getrennter Undergraduate- und Graduate-Ausbildung. Auch im Hinblick auf das sogenannte Credit System bei der Anerkennung studentischer Leistungen wurde die amerikanische Formulierung benutzt, wobei man den Begriff ECTS einführte: European Credit Transfer and Accumulation System. Das klingt nach einer Firma im internationalen Bankwesen, und der Ausdruck hat sich auch nicht durchgesetzt. Man spricht heute einfach von Credits oder Leistungspunkten, nur ab und zu taucht das Kürzel ECTS auf. Die Sorbonne-Erklärung war die Ouvertüre zur großen Oper, zum Treffen von 27 europäischen Kultusministern im folgenden Jahr, und zwar erneut in Bologna.5 Diesmal gab es keinen Grund zum Feiern; es wurde vor allem gearbeitet.

5 http://de.wikipedia.org/wiki/Bologna-Prozess (7. Dezember 2009).

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Wieder verabschiedete man eine gemeinsame Deklaration: die wirkungsmächtige Bologna-Erklärung von 1999. In ihr berief man sich auf die Magna Charta Universitatum von 1988 und die Sorbonne-Deklaration vom Jahr zuvor. Gefordert wurde die Schaffung eines einheitlichen europäischen Hochschulraumes. Man unterstrich den Wettbewerb der europäischen Universitäten untereinander und entschloss sich, gemeinsame europäische akademische Abschlüsse zu schaffen. Den Diplomen sollten auch Diploma Supplements beigegeben werden, die darüber berichteten, welche wissenschaftlichen Veranstaltungen die Studierenen im Einzelnen belegt hatten. Diese Diploma Supplements sind die aus den USA bekannten Transcripts. Sie sind in Amerika wichtiger als die Diplomurkunde. Die Urkunde wird bei Bewerbungen nur selten gebraucht, das Transcript aber immer. Allerdings sind die Diploma Supplements, was ihren Informationsgehalt betrifft, detaillierter als die amerikanischen Transcripts, was in einer aus den USA kommenden vergleichenden Studie herausgestrichen wurde.6 Erneut wurden die Mobilität der Lehrenden und Lernenden und die europaweite Zusammenarbeit der Hochschulen empfohlen. Zudem sollten den Studierenden arbeitsmarktrelevante Qualifikationen vermittelt werden. Ein besonderes Augenmerk wurde auf Qualitätskontrolle gelegt und dabei die Erarbeitung vergleichbarer Kriterien und Methoden in Forschung und Lehre empfohlen. Das ist ein besonders wichtiger Aspekt: Definiert wird, wofür diese Abschlüsse inhaltlich stehen. In der englischsprachigen Welt umschreibt man mit dem Begriff Accountability die Garantie dafür, dass ein akademischer Grad einen Wissensstand bestätigt, auf den man sich in der akademischen Welt geeinigt hat. Mit anderen Worten: In jedem Fachgebiet müssen die gleichen Standards für die Erlangung eines akademischen Grades gelten, damit dieser Abschluss im gesamten Hochschulraum akzeptiert werden kann. Dieser Hochschulraum umfasst etwa viertausend Universitäten mit ungefähr sechzehn Millionen Studierenden, ist also mit der Situation in Nordamerika (USA plus Canada) vergleichbar. Der amerikanische Bildungsforscher Clifford Adelman ist der Meinung, dass diese Accountability in keinem Teil der Welt inzwischen so gut erreicht worden sei wie im Europäischen Hochschulraum. Mit Bologna sei – vor allem in dieser Hinsicht – ein Modell etabliert worden, das in den nächsten Jahrzehnten weltweit wirken werde. Das amerikanische Universitätssystem solle sich, was Accountability betrifft, ein Beispiel an dem BolognaModell nehmen, denn außer der Anzahl der Credits könne man in den USA von

6 Vgl. Clifford Adelman: The Bologna Process for U.S. Eyes: Re-learning Higher Education in the Age of Convergence. Washington D.C. 2009, S. 89–102. Den Hinweis auf die Arbeiten von Clifford Adelman, die nicht in Buchform, sondern elektronisch erscheinen, verdanke ich Barbara Kehm.

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keiner Einheitlichkeit, von keiner Vergleichbarkeit der Qualität der akademischen Abschlüsse ausgehen.7 Zudem bestätigte man in der Sorbonne-Erklärung das zweistufige Modell einer Undergraduate- und Graduate-Ausbildung, wobei der Undergraduate-Zyklus mindestens drei Jahre dauern sollte. Das Undergraduate-Studium schließt in den USA mit dem B.A. (Bachelor of Arts) ab, das Graduate-Studium mit dem M.A. (Master of Arts) oder dem M.S. (Master of Science). Obwohl die Titel B.A. und M.A. weder in der Sorbonne- noch in der Bologna-Erklärung vorkommen, einigte man sich bald danach auf diese amerikanischen Bezeichnungen für Abschlüsse des Undergraduate- bzw. Graduate-Studiums. Auch das Credit System der Sorbonne-Erklärung (ECTS) wurde akzeptiert.8 Schließlich entschloss man sich, in 24 Monaten wieder zusammenzukommen. Die Bildungsminister der beteiligten europäischen Nationen haben sich seitdem alle zwei Jahre getroffen: in Prag 2001, Berlin 2003, Bergen 2005, London 2007, Leuven 2009. Dabei unterbreiteten sie in immer neuen Verlautbarungen weitere Reformvorschläge. Auffällig ist, dass die Einheit von Forschung und Lehre nicht mehr erwähnt wurde.9 Es wäre in der Tat schwer, diese Einheit im Undergraduate-Studium zu praktizieren. Aber auch das Erbe des europäischen Humanismus wurde nicht mehr beschworen. Einmal in Gang gesetzt, nahm die Reform eine Eigengesetzlichkeit an, die jeden überrascht hat.10 Am Anfang trafen sich 4 Bildungsminister, dann 27. Inzwischen sind es 47 Länder, die sich der Bologna-Erklärung von 1999 angeschlossen haben. Bologna, wie man verkürzt sagt, ist längst keine bloße Angelegenheit der EU-Staaten mehr; ganz Europa macht mit – inklusive Russland und Türkei, die euro-asiatische Mächte sind, sowie der Vatikan, der sich sonst bei Mitgliedschaften in internationalen Gruppierungen zurückhält. Bis 2010 ist alles, wie geplant,

7 Clifford Adelman: The Bologna Process for U.S. Eyes, S. 191–211. In einer Spezialstudie hat sich Adelman ausschließlich mit dem Thema beschäftigt: Learning Accountability from Bologna: A Higher Education Policy Primer. Washington D.C. 2008. Vgl. auch: Beth McMurtrie: „U.S. Should Look to Europe in Quest for Accountability, Report Says“. In: The Chronicle of Higher Education (May 21, 2008): http://chronicle.com/article/US-Should-Look-to-Europe-in/40998 (7. Dezember 2009). Dieser Artikel bezieht sich auf die frühere Studie von Adelman mit dem Titel: The Bologna Club: What U.S. Higher Education Can Learn from a Decade of European Reconstruction. Washington D.C. 2008. 8 The Bologna Process in Higher Education. Eurostat. European Commission. 2009 edition. 9 Gegen die Beibehaltung von Wilhelm von Humboldts Konzept der Einheit von Forschung und Lehre an der heutigen Universität argumentiert Peter Wapnewski in seiner Autobiographie: Mit dem anderen Auge. Erinnerungen 1922–1959. Berlin 2005, S. 181–187. 10 Manuel J. Hartung und Martin Spiewak: „‚Wir sind zu kleinmütig‘. Der bedeutendste Umbruch der Universität steht erst noch bevor, sagt der Germanist Wolfgang Frühwald“. In: Die Zeit (17. Januar 2008): 62–63.

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unter Dach und Fach gebracht worden, und so sind jetzt bereits für 2020 neue Zielvorgaben in der Diskussion. Es handelt sich bei der Bologna-Reform um ein Beispiel von Kontinentalisierung,11 wie es einmalig auf der Welt ist. Alle nur denkbaren europäischen und internationalen Institutionen wie z.B. die Europäische Union, der Europarat und die UNESCO mit ihren Unterorganisationen sind beteiligt. Im Ökonomischen beschränkt sich der freie Markt Europas, der sogenannte Binnenmarkt, auf die 27 Mitglieder der EU, in der Außenpolitik herrschen unterschiedliche Interessen in den verschiedenen Teilen Europas vor, beim Militärischen gibt es die NATOMitglieder und die Neutralen, beim Ausbau des kontinentalen Verkehrsnetzes können die Länder vor lauter nationalem Eigennutz häufig den kontinentalen Gemeinnutz nicht wahrnehmen. Aber alle machen mit bei der Schaffung des europäischen Hochschulraumes nach dem Bologna-Rezept. Wie bei großen Unternehmungen üblich, will jede gesellschaftliche Gruppe mitmischen und sicherstellen, dass ihre Interessen nicht übergangen werden. Die Wirtschaft achtet darauf, dass die Studierenden, sobald sie mit ihren akademischen Abschlüssen die Universität verlassen haben, als brauchbare Mehrwertbeschaffer ihrer Betriebe funktionieren. Die Politiker pochen auf Effizienz an den Hochschulen, wollen eine verschlankte Verwaltung durchsetzen, eine bessere Nutzung der Räumlichkeiten, mit anderen Worten: Geld einsparen. Vom Professor bis zum Präsidenten sollen alle in die Drittmitteleinwerbung, ins große Uni-Schnorren, eingeschaltet werden. Die Stiftungen, die man um Hilfe bittet, wollen günstigere steuerliche Regelungen. Die Medienkonzerne steigen ins einträgliche Geschäft des Ranking ein, denn beim geforderten Wettbewerb12 will man wissen, an welcher Stelle man in der Hierarchie der Universitäten angesiedelt ist. Und durch das Evaluieren von Fakultäten und Instituten bereichern sich alle möglichen Agenturen. Die Universitätslehrer wiederum entdecken, dass sie mit ihren nationalen professionellen Interessenvertretungen alleine wenig ausrichten: Sie müssen sich in der European University Association organisieren. Die Zeitungen sehen sich als Diskussionsforen der Reform und haben das Thema zu einem Selbstläufer gemacht. Vorzugsweise werden Bekenntnisse vergraulter Professoren publiziert, die wegen Bologna ihren Beruf aufgeben.13 Auch solche Artikel finden rei-

11 Paul Michael Lützeler: Kontinentalisierung. Das Europa der Schriftsteller. Bielefeld 2007. 12 Tanjev Schultz: „Punktejäger im akademischen Dschungel“. In: Süddeutsche Zeitung (21. Juli 2009): 18. 13 Marius Reiser: „Warum ich meinen Lehrstuhl räume“. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung (14. Januar 2009): 5. Zu den Apokalyptikern in Sachen deutsche Hochschule im Bologna-Prozess gehört Gustav Seibt mit seinem Beitrag: „Ende einer Lebensform. Von Humboldt zu Bologna: Der atemberaubende Untergang der deutschen Universität“. In: Süddeutsche Zeitung (21. Juni 2007).

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ßend Absatz, die beteuern, dass sich Wilhelm von Humboldt im Grabe umdrehen würde, wenn er wüsste, was aus seinem Postulat der absichtsfreien Forschung, seiner Idee von Einsamkeit und Freiheit, aus seinem Konzept der Einheit von Forschung und Lehre geworden ist.14 Aber im Rotieren seiner Gebeine ist Humboldt schon ganz geübt, denn was sich in den zweihundert Jahren seit seiner romantischen Epoche an preußischen bzw. deutschen Universitäten getan hat, dürfte in kaum einem geschichtlichen Moment nach seinem Geschmack gewesen sein. Er war nicht einmal zufrieden mit der Entwicklung der Berliner Universität, die er zu gründen geholfen hatte.15 Die Bologneser entdeckten immer neue Bereiche, die noch reformiert werden sollten. Ein Reformschub zog den nächsten nach sich. Das Tempo, das man dabei vorlegte, war in jedem Land anders. Deutschland bildete da keineswegs die Avantgarde.16 Doch wurde in allen Ländern, die die Bologna-Erklärung akzeptiert hatten, eine Reformdiskussion in Gang gesetzt, die zu Veränderungen in der Praxis führte.17 Manches klang einfacher als es dann war, wie die Aufteilung des Studiums in einen Undergraduate- und Graduate-Teil. Schon hier, bei dem Herzstück der Bologna-Reform, bei der Einführung des B.A., zeigten sich Schwierigkeiten.

Ist B.A. gleich B.A.? Die amerikanische Zweiteilung der Universität ist bekannt: Es gibt da zum einen das allgemeinbildende College, zum anderen das Spezialstudium an der Graduate School, wo man sich in die geistes-, sozial- und naturwissenschaftlichen

14 Zu Wilhelm von Humboldts Reformideen vgl. Rüdiger vom Bruch: „Universitätsreform als Antwort auf die Krise. Wilhelm von Humboldt und die Folgen“. In: Ulrich Sieg und Dietrich Korsch (Hg.): Die Idee der Universität heute. München 2005, S. 43–55. Zum leidigen Thema Humboldt und Bologna vgl. den zusammenfassenden Aufsatz von Uwe Schimank: „Humboldt: Falscher Mann am falschen Ort“. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung (17. April 2009). Zur internationalen Wirkung und Nichtwirkung Wilhelm von Humboldts vgl. Mitchell G. Ash: „Bachelor of What, Master of Whom? The Humboldt Myth and Historical Transformations of Higher Education in German-Speaking Europe and the US“. In: European Journal of Education 41.2 (2006): 245–267. 15 Heinz-Elmar Tenorth: „Humboldt wird missbraucht“. Gespräch im „Spiegel“ (12. Januar 2009). Tenorth betont, dass das deutsche „Bildungssystem“ in „keiner Phase“ seiner „Geschichte in Reinform jenen Konzepten entsprach, die Humboldt zwischen 1809 und 1810 entworfen hat“. Vgl. http://.www.spiegel.de/spiegel/0,1518,druck-600895,00.html (7. Dezember 2009). 16 Irene Seling und Terence Mitchell: „Wie läuft der Bologna-Prozess anderswo?“ In: attempto! Forum der Universität Tübingen (Oktober 2008): 14–15. 17 Bettina Alesi et al. (Hg.): Bachelor- und Master-Studiengänge in ausgewählten Ländern Europas im Vergleich zu Deutschland. Fortschritte im Bologna-Prozess. Bonn 2005.

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Fächer einschreibt sowie an den Professional Schools, in denen man sich auf den Beruf des Arztes, Juristen, Archtitekten, Ingenieurs oder Betriebswirtes vorbereitet. Ist der altehrwürdige amerikanische B.A. mit dem neuen europäischen B.A. vergleichbar? Jein. Nein deswegen, weil der amerikanische B.A. primär Allgemeinbildung vermittelt, der europäische B.A. jedoch auf einen Fachabschluss zielt. Ja deswegen, weil man bei genauerem Hinsehen erkennt, dass der Unterschied geringer ist, als man gemeinhin wahrhaben will. Es gibt seit hundert Jahren in den USA einen ideologischen Kampf um den B.A., bei dem sich die Verteidiger der Liberal Arts Education mit den Vertretern eines Pre-Professionalization Training in die Haare kriegen. Die Liberal Arts-Fraktion beruft sich gerne auf Platons Idee von der umfassenden Bildung des Menschen und auf die Glückseligkeits-Ethik des Aristoteles.18 Ihr Kronzeuge ist nach wie vor Robert Hutchins, der von 1929 bis 1951 Präsident bzw. Kanzler der University of Chicago war. Hutchins plädierte in seinem Buch „The Higher Learning in America“19 von 1936 und in weiteren Publikationen für das nicht-spezialisierte, allgemeinbildende College. Obgleich die Humanities da eine zentrale Rolle spielen, gehört zum Konzept der Allgemeinbildung, dass man auch Seminare in den Naturwissenschaften und der höheren Mathematik belegt. Die andere Partei, die Berufsorientierten, führen dagegen die moderne Arbeitsrealität ins Feld, die nach Spezialisten verlange. Die Vertreter der reinen Liberal Arts-Lehre sind vor allem an den Colleges zu finden, die sich auf ihr Endprodukt, den B.A., konzentrieren. Jene Eltern, die etwas von Allgemeinbildung halten, schicken ihre Sprösslinge gerne auf die traditionellen Colleges. Die Väter und Mütter aber, die sich Sorgen um die berufliche Zukunft ihrer Teenager machen, suchen sie an B.A.-Programmen von Universitäten unterzubringen, bei denen Curricula angeboten werden, die Rücksicht auf das nehmen, was man gemeinhin mit Pre-Professionalization, mit berufsorientierter Ausbildung, umschreibt. Die Pre-Professionalization hat im Lauf der letzten hundert Jahre sukzessive zugenommen. Man kann z.B. ein PreMed-Undergraduate-Studium absolvieren, wobei gut die Hälfte aller Kurse, die man am College belegt, jenes propädeutische Wissen vermittelt, das man für ein Medizinstudium benötigt. Auch in Fächern wie Betriebs- und Ingenieurwissenschaft kann man einen B.A. erhalten, der stark auf das spätere Berufsprofil hin orientiert ist. Derek Bok, der langjährige Präsident der Harvard University, hat im Jahr 2006 in den Streit dieser beiden Gruppen mit seinem Buch Our Under-

18 Katherine Haley Will: „The Liberal Arts in America and the Globe: This Old World Just Keeps Spinning Around“. In: http://www.collegenews.org/x5070.xml (28. März 2009). Will ist Präsidentin am Gettysburg College in Gettysburg, Pennsylvania. 19 Robert M. Hutchins: The Higher Learning in America. New Haven 1936.

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achieving Colleges20 eingegriffen. Bok will gleichsam Hutchins korrigieren bzw. auf den neuesten Stand bringen. Er bietet einen Kompromiss an, der beiden Seiten Recht gibt und für eine neue Mitte plädiert: Zum einen sagt er Ja zur Liberal Arts-Tradition, zum anderen Ja zur Berufsorientierung. Dazu muss man wissen, dass dieser Kompromiss sich eigentlich schon immer angeboten hat. Im traditionellen Liberal Arts College haben etwa Zweidrittel der belegten Veranstaltungen mit Allgemeinbildung zu tun, ungefähr ein Drittel der Credits aber sind für ein Hauptfach vorgesehen. Die Vertreter der Liberal Arts möchten diese Aufteilung beibehalten, die Anhänger der Pre-Professionalization hingegen die Gewichtung verkehren: Nach ihnen sollten Zweidrittel der Zeit für die Fachausbildung und ein Drittel für die Allgemeinbildung verwendet werden. Das Schöne sei, meint Bok, dass das amerikanische College beides zulasse: In den ersten beiden Jahren könnten die Studierenden sich umsehen und herausfinden, welche Fachrichtung ihnen besonders liege, und in den beiden letzten Jahren reiche die Zeit, um genügend Credits zu sammeln für einen Schwerpunkt im Sinne eines Hauptfachs oder sogar einer Kombination von Fächern. Bok nimmt die Sorgen jener Eltern und Studierenden ernst, die Wert auf eine frühe fachliche Ausbildung legen, will aber gleichzeitig die Liberal Arts Education, die so typisch für das amerikanische Undergraduate-Studium ist, nicht verabschieden: Fifty/fifty – mit diesem Kompromiss, meint er, lasse es sich gut leben. Zwar kann man in dem Konflikt der Meinungen keinen eindeutigen Sieger ausmachen, aber in der jetzigen Wirtschaftskrise verhalten sich die traditionellen Liberal Arts Colleges ausgesprochen defensiv. Das ist den Berichten über die Tagung des Council of Colleges of Arts and Sciences vom Herbst 2009 zu entnehmen.21 Da Employability der Kampfruf der Gegner ist, berufen sich auch die Liberal Arts-Vertreter nicht mehr lediglich auf Platon und Aristoteles. Sie machen sich vielmehr das Employability-Argument ihrer Gegner zu eigen, wenn sie betonen, dass nicht eine Berufsausbildung, sondern Allgemeinbildung junge Leute am besten auf die rasch wechselnden Anforderungen des Arbeitsmarktes vorbereite. Der europäsche B.A. unterscheidet sich vom amerikanischen nicht nur darin, dass er in drei statt vier Jahren erworben wird: Anders ist er vor allem deswegen, weil er die allgemeinbildende Komponente nicht kennt. Der europäische Undergraduate lässt sich auf ein Fachstudium ein. Nicht jeder in Europa vergebene B.A. jedoch verhilft einem zum Einstieg in die Berufslaufbahn. Will man etwa Gymna-

20 Derek Bok: Our Underachieving Colleges. Princeton 2006. Ich beziehe mich auf das Kapitel 11: „Preparing for a Career“, S. 281–309. 21 Steve Kolowich: „Liberal Arts in Jeopardy?“ In: Inside Higher Education (13. November 2009): http://www.insidehighered.com/layout/set/print/news/2009/11/13/cca s (7. Dezember 2009).

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siallehrer werden, muss man weiterstudieren und den M.A. erwerben bzw. das Staatsexamen machen. Im Fall des B.A. in Betriebswirtschaft oder Ingenieurwissenschaft sieht die Sache anders aus. Bei Fächern, mit denen eine Karriere in der Industrie möglich ist, stehen die Chancen für den B.A.-Absolventen nicht schlecht, weil die Bereitschaft der Unternehmen groß ist, möglichst junge Leute einzustellen. Sie werden dann von den Firmen innerbetrieblich im Sinne ihrer Branche weiter ausgebildet. Allerdings wird der Ruf nach einem vierten Jahr im Undergraduate-Curriculum bei den Bologna-Reformern immer lauter.22 Man spricht in dieser Hinsicht inzwischen von einer Reform der Reform.23 Die BolognaRichtlinie von 1999 hatte von „mindestens“ drei Jahren für den B.A. gesprochen, eine Formulierung, die einen auf vier Jahre angelegten Studienplan nicht ausschließt. Das vierte B.A.-Jahr würde auch ein Gastsemester an einer Universität im Ausland erleichtern. Es wäre sicher kein Fehler zu überlegen, ob man nicht zumindest das erste Jahr an einer europäischen Universität als Orientierungsjahr einrichten könnte. Wenn sie zur Universität kommen, wissen viele Studierende noch nicht, ob sie später Philologen oder Theologen, Geologen oder Gynäkologen, Physiologen oder Psychologen, Richter oder Dichter werden wollen. Wenn man aber im ersten Studienjahr zwei Semester lang Seminare oder Vorlesungen in jenen Fächern nehmen könnte, die man ins Auge gefasst hat, würde die Entscheidungsfindung erleichtert. Man muss das amerikanische College keineswegs nachahmen. Die Verteidiger der Liberal Arts-Richtung in Amerika betonen oft, dass sie viel von dem noch zu vermitteln haben, was eigentlich schon auf der High School hätte behandelt werden sollen. Wenn das, was die Höhere Schule in Europa bietet, defizitär ist, muss man an eine Reform der gymnasialen Oberstufe denken, nicht aber die Universität dazu zwingen, den Lückenbüßer abzugeben. Mit einem flexibilisierten vierjährigen Undergraduate-Studium könnte der europäische B.A. zu einer Alternative des Pendants aus den USA werden. Er würde

22 Stefanie Gropper: „Uns holen die eigentlich alten Probleme ein“. In: attempto! Forum der Universität Tübingen (Oktober 2008): 20–21. Vgl. im selben Journal vom gleichen Datum: Heike Schmoll: „Zwischen Bologna-Wirklichkeit und -Rhetorik liegen Welten“: 4–7. Vgl. ferner Martin Spiewak und Jan-Martin Wiarda: „Warum streiken? Die Präsidentin der Hochschulrektoren Margret Wintermantel im Streitgespräch mit zwei Heidelberger Studenten“. In: Die Zeit (19. November 2009): 71. Der periodisch wiederkehrende Streik der Studenten richtet sich oft nicht so sehr gegen das Bologna-Konzept selbst als gegen den Versuch, alte Lehrinhalte in die neue Form des B.A.-Zyklus zu zwängen. 23 Hans-Joachim Meyer: „Nur Mut zu einer Reform der Reform“. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung (6. Juli 2009): 7. Auch die 327. Kultusministerkonferenz sprach sich in ihrem Beschluss vom 15. Oktober 2009 dafür aus, die Möglichkeit eines vierten B.A.-Jahres wahrzunehmen. Vgl. http://www.kmk.org/presse-und-aktuelles/meldung/weiterentwicklungdes-bologna-prozesses. (7. Dezember 2009).

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jedenfalls die Wünsche jener amerikanischen Eltern und Studierenden erfüllen, die ein primär berufsbezogen erziehendes College vorziehen und nicht ein Vermögen für Studiengebühren ausgeben wollen. Es ist durchaus vorstellbar, dass in Zukunft mehr junge Amerikaner ihren Abschluss in einem europäischen B.A.Studiengang anstreben werden. Mit der Anerkennung des europäischen B.A.s wird es in den USA kaum Schwierigkeiten geben, weil die amerikanischen Graduate Schools und Professional Schools gerne B.A.-Abschlüsse sehen, die Pre-Professionalization dokumentieren. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob man amerikanische B.A.s mit europäischen ohne Weiteres gleichsetzen wird, wenn es darum geht, Studierende aus den Vereinigten Staaten in europäische M.A.-Programme aufzunehmen, eben weil die stark fachliche Ausbildung auf der Undergraduate-Ebene oft fehlt. Eine Trendwende im transatlantischen Studienverkehr zeichnet sich schon ab. Bis vor zehn Jahren gingen 30 % jener europäischen Studierenden, die eine Zeit des Studiums im Ausland verbrachten, in die USA. Diese Zahl ist inzwischen auf 22 % gesunken. Die USA standen bis dahin für deutsche Studierende an erster Stelle, sind aber inzwischen auf Platz vier gelandet.24 Verstärkt studieren die jungen Erasmus-Europäer an Hochschulen des eigenen Kontinents. Umgekehrt ist die Zahl der amerikanischen Studenten, die einen Studienaufenthalt im Ausland einplanen, in den letzten zwei Jahrzehnten um 8,5 % gewachsen. Ihre Zahl hat in Deutschland sogar um 12 % zugenommen.25 Ansonsten ähnelt die Mobilität bzw. Immobilität der europäischen Studierenden neuerdings sehr den amerikanischen: Man wechselt in Amerika die Universität nach dem B.A., nur selten nach dem M.A. Der Wechsel nach dem B.A. wird sich wohl auch in Europa ergeben. Die Gegner der Bologna-Reform freuen sich oft darüber, dass die Mediziner und die Juristen die B.A./M.A.-Zyklenbildung nicht mitmachen; sie werden deshalb gar als Widerstandskämpfer ihrer Anti-Bologna-Fraktion gefeiert.26 Dazu besteht kein Grund. Auch für diese Ausnahmeregelung geben die USA das Vorbild ab. Die Medical Schools und die Law Schools kennen auch in den USA keinen Undergraduate-Degree, keinen B.A.-Abschluss. Es gibt zwar ab und zu M.A.-Programme bei den Medizinern und Juristen an amerikanischen Universitäten, aber sie spielen eine ausgesprochene Nebenrolle. Sie sind nicht zu vergleichen mit den Doktor-Studiengängen, die in diesen Fakultäten am weitesten verbreitet sind. Das ist in Deutschland nicht anders.

24 Rolf Hoffmann: „Wettbewerb um die besten Köpfe“. In: attempto! Forum der Universität Tübingen (Oktober 2009): 14–15. 25 DAAD Nordamerika Nachrichten (20. November 2009). 26 Hans-Joachim Meyer: „Nur Mut zu einer Reform der Reform“. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung (6. Juli 2009): 7.

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Die Reform des M.A. ist auf europäischer Ebene abgeschlossen: Für die Erlangung des M.A. braucht man zwei Studienjahre, und das ist in den USA auch so. Das Programm für Doktoranden ist in der Alten Welt noch nicht vereinheitlicht worden, und wahrscheinlich wird es lange dauern, bis sich hier Unifizierungen durchsetzen werden.27 Ein Studierender in Europa kann nach dem Erwerb des M.A. sofort mit dem Schreiben einer Doktorarbeit beginnen. Das ist in den USA anders: Nach Erlangung des M.A. bzw. M.S. muss man in den Natur-, Sozial- und Humanwissenschaften amerikanischer Graduate Schools noch eine Reihe von Seminaren belegen, die im Schnitt auf den Erwerb von dreißig Credits hinauslaufen. Weil die Graduate Students im Programm des Ph.D. (Doctor of Philosophy) meistens auch unterrichten müssen, dauert es durchweg zwei Jahre, bis man mit dem Belegen der Seminare fertig ist. Danach folgen noch allgemeine Prüfungen, zu deren Vorbereitung man mindestens ein halbes Jahr braucht, und erst dann wird mit dem Schreiben der Dissertation begonnen, bis zu deren Abschluss etwa zweieinhalb Jahre vergehen. So jedenfalls in der Theorie, die Realität sieht nicht selten anders aus. In Deutschland hat sich für die Promovierenden die Teilnahme an einem Graduiertenkolleg als Promotions- bzw. Doktoratskolleg durchgesetzt.28 Hierfür bewirbt man sich mit einem Thema, und während die Dissertation geschrieben wird, nimmt man an begleitenden Kolloquien, Vorlesungen und Diskussionen des Kollegs teil. Darüber hinaus sind in Deutschland eigene Graduiertenschulen und Exzellenzclusters sowie Zukunftskonzepte von Bund und Ländern eingerichtet worden, die als Exzellenzinitiativen der Universitäten von der Bundesregierung und den Länderregierungen gemeinsam am 18. Juli 2005 für eine Laufzeit von fünf Jahren (mit Aussicht auf Verlängerungen in der Zukunft) beschlossen worden sind.29 Diese Exzellenzinitiativen bringen mit ihrem Wettbewerb um neue Wissenschaftsthemen und -modelle mehr Leben in die deutsche Universitätslandschaft und man kann sich vorstellen, dass sie auf Dauer das Leistungsniveau heben und eine internationale Ausstrahlung haben werden. Es existieren inzwischen hunderte von Graduiertenkollegs in den Geistes-, Sozial- und Na-

27 Stefan Hornborstel: „Promotion im Umbruch – Bologna ante Portas“. In: Bildungsökonomie in der Wissensgesellschaft (Jahrbuch Normative und institutionelle Grundfragen der Ökonomik, Band 8). Marburg 2009, S. 213–240. 28 Manuel J. Hartung und Jan-Martin Wiarda: „Der große Feldversuch“. In: Die Zeit (17. Januar 2008): 59–62. 29 Peter Strohschneider: „Über Voraussetzungen und Konzeptionen der Exzellenzinitiative“. In: Beiträge zur Hochschulforschung 1 (2009): 8–24. Die Anträge der Universitäten zur finanziellen Förderung von Graduiertenschulen und Exzellenzclusters werden von der DFG, die Anträge in Sachen Zukunftskonzepte vom Wissenschaftsrat evaluiert.

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turwissenschaften. Es sind Einrichtungen, die interdisziplinär ausgerichtet sind und ein thematisch fokussiertes, koordiniertes Forschungsprogramm aufweisen. Die aufgenommenen Doktoranden und Doktorandinnen werden oft drei Jahre lang finanziell unterstützt.30 Idealiter sollte danach die Dissertation fertig sein. Drei Jahre bilden keinen sonderlich langen Zeitraum, wenn man ihn mit der fünfjährigen Förderzeit vergleicht, den man amerikanischen Ph.D.-StudentInnen nach Erlangung des M.A. zugesteht. Der Vorteil der amerikanischen Ph.D.-Ausbildung ist der, dass zum einen durch die zusätzlichen Seminare eine breitere Wissensbasis vermittelt wird, und dass zum anderen der Nachwuchs bereits in die Lehre miteinbezogen wird. Das Plus bei der deutschen Doktorandenförderung besteht in dem interdisziplinären und internationalen Lernkontext. In den USA wählen die Studierenden sich in Absprache mit einem dissertation advisor ein Thema aus und konferieren mit ihm oder ihr regelmäßig über den Fortschritt der Doktorarbeit. Bei den deutschen Graduiertenkollegs, die von mehreren HochschullehrerInnen betreut werden, ergibt sich ein inspirienderer Austausch zwischen Lehrenden und Lernenden sowohl über die Doktorarbeit als auch über das allgemeine Thema. Im Graduiertenkolleg und in der Graduiertenschule gibt es dann doch – zum Trost der Humboldtianer – so etwas wie die Einheit von Forschung und Lehre. Gerade bei der Erarbeitung von Theorien und Methoden hat sich die Institution des Graduiertenkollegs bewährt. Man sollte sich diese Promotionskollegs in den USA zum Vorbild nehmen. Finanziert werden sie nicht nur von der DFG, sondern auch von Stiftungen oder durch die jeweilige Universität. Zu erwähnen ist auch, dass es internationale Graduiertenkollegs gibt, bei denen mit Universitäten im Ausland – keineswegs nur in Europa – kooperiert wird.

Der Rektor als Chief Executive Officer Vor allem beim Blick auf die Veränderungen in der Administration der deutschen Universitäten wird der neue amerikanische Einfluss deutlich. Das hat weniger etwas mit den Bologna-Empfehlungen als mit einer parallel laufenden deutschen Reform zu tun. Der standardisierenden und verschulenden Reform im B.A.- und M.A.-Bereich entspricht eine differenzierende und dynamisierende, auf Exzellenz abzielende Reform im Gebiet der Doktorandenausbildung wie der Forschungsförderung allgemein. Um beides zu ermöglichen, um diesen Spagat zwischen Didaktisierung und Elitenbildung zu meistern, wurde die Verwaltung an den

30 http://www.dfg.de/forschungsfoerderung/koordinierte_programme/graduiertenkollegs (7. Dezember 2009).

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Hochschulen neu geordnet. In meinem Vortrag vor neun Jahren hatte ich herausgestrichen, dass auf dem Gebiet der amerikanischen Universitätsadministration eine größere Effizienz herrsche als in Deutschland. Das kann man so heute nicht mehr sagen. Früher galt als zeitaufwendigste Amtshandlung des neuen Rektors das Porträtsitzen im Talar und mit Amtskette. Ein Maler musste her, um das Bild zu produzieren, das dann seinen Einzug hielt in die Ahnengalerie der Rektorenkonterfeis im Großen Senatssaal der Universität. Kaum war die Ölfarbe auf der Leinwand getrocknet, war die Amtsperiode von Magnifizenz schon wieder zu Ende. Aus den honorigen Dilettanten früherer Jahre sind in Deutschland mittlerweile Universitätsgeneraldirektoren geworden, die man, was ihren Habitus betrifft, von Personen aus den Chefetagen bei Banken und Versicherungen kaum unterscheiden kann.31 Man spricht inzwischen von „the entrepreneurial university“, von der „unternehmerischen Universität“32, und ihre Chefs hetzen als UniCEOs von Stiftung zu Stiftung, von Regierungstermin zu Regierungstermin, von Unternehmen zu Unternehmen, von Großstadt zu Großstadt, von Land zu Land, von Kontinent zu Kontinent, um überall für die Fakultäten der Universität neue Gelder einzutreiben, neue Aufträge zu erhalten, neue Beziehungen zu knüpfen. Anders als in den USA spiegelt sich diese CEO-Funktion allerdings noch nicht in den Gehältern der Rektoren wider. In Deutschland verdienen Uni-PräsidentInnen heute zwischen 85.000 und 130.000 Euro im Jahr.33 Da sind ihre amerikanischen KollegInnen besser dran, denn sie machen im Schnitt das Vierfache, wobei drei-

31 Thomas Assheuer: „Das Effizienz-Märchen“. In: Die Zeit (17. Januar 2008): 64–65. 32 Die Technische Universität München beansprucht eine Avantgarderolle in der Begründung der unternehmerischen Universität in Deutschland. Vgl. http://portal.mytum.de/tum/ unternehmerische_universitaet/index_html (7. Dezember 2009). Zu Begriff und Geschichte vgl. Sabine Maasen und Peter Weingart: „Unternehmerische Universität und neue Wissenschaftskultur“. In: die hochschule 1 (2006): 19–45. Da heißt es auf S. 20: „Wir sprechen mithin von der managerial revolution des (deutschen) Hochschulsystems, die Praktiken aus dem Reich der Wirtschaftswissenschaften, des Managements und der Unternehmensberatung in das Hochschulwesen einführte. Sie fokussieren auf die Trias unternehmerischen Handelns: Rechenschaftslegung, Transparenz und Effizienz – Begriffe, denen wir in immer mehr gesellschaftlichen Kontexten begegnen“. Vgl. ferner den grundsätzlichen Aufsatz von Burton R. Clark: „The Entrepreneurial University: Demand and Response“. In: Tertiary Education and Management 4.1 (1998): 5–16. Kritisch reflektiert wird das Thema bei Walter Erhart: „Die Managerin und der Mönch. Über die Zukunft unserer Bildungsanstalten“. In: Dorothee Kimmich und Alexander Thumfart (Hg.): Universität ohne Zukunft? Frankfurt am Main 2004, S. 108–115. Der erste, der sich mit dem „corporate model“ der amerikanischen Universität auseinandersetzte und ihre Exzellenz-Ideologie kritisierte, war Bill Readings: The University in Ruins. Cambridge, MA 1996. 33 Christoph Titz: „Millionengehälter für die Uni-Kapitäne“. In: Der Spiegel (4. November 2009) http://www.spiegel.de/unispiegel/wunderbar/0,1518,659087,00.html (7. Dezember 2009).

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undzwanzig von ihnen sogar zwischen einer Million und anderthalb Millionen Dollar verdienen und somit im Vergleich ein achtfaches Jahresgehalt einstreichen.34 Die deutschen Universitäten sind in die relative Selbständigkeit entlassen worden.35 Die überwiesenen Mittel aus dem Kultusministerium reichen aber nicht, wenn man Präsident einer Exzellenz-Universität werden oder bleiben will. Nach amerikanischem Vorbild ist man dabei, mehr und mehr Stiftungs-Universitäten zu gründen.36 Deren Kennzeichen ist das Stiftungskapital, in den USA Endowment genannt. Von den Zinsen dieses in Aktien und Wertpapieren angelegten Grundkapitals soll ein Teil der laufenden Kosten bestritten werden. Der Ehrgeiz eines jeden Universitätspräsidenten in den USA ist es, das Endowment zu erhöhen. In letzter Zeit ist es aber wegen der negativen Entwicklung an der Wall Street fast überall gesunken. Da muss man als Hochschulleiter gute Nerven haben, die in den USA durch hohe Gehälter und Zulagen wie kostenlose Logie und freie Mitgliedschaft in den jeweils exklusivsten Golf Clubs oder Country Clubs stabilisiert werden. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann solche Geschenke als Gehaltszulage auch in Deutschland eingeführt werden. Die Privatuniversitäten in den USA waren seit eh und je autonom, haben von Anfang an um ihre Existenz kämpfen müssen. Das ist heute bei den amerikanischen State Schools nicht anders, wo nur noch ein Bruchteil des Etats aus den Quellen der öffentlichen Hand fließt. Die Staatsuniversitäten in den USA haben lange in der Spannung zwischen Ökonomismus und Etatismus gestanden, aber das etatistische Element hat stark an Einfluss verloren. Ganz so dramatisch sind die Veränderungen in Deutschland nicht. Hier spielen Privatuniversitäten keine große Rolle, denn an ihnen studiert nicht einmal ein Prozent der deutschen Studentenschaft.37 Was nach wie vor dominiert, sind die vom jeweiligen Bundesland finanzierten Universitäten. Die Kultusministerien der Länder regieren nicht mehr unmittelbar in die Universitäten hinein. Alles Inneruniversitäre (etwa die Einstellung neuer ProfessorInnen) ist jetzt eine Sache der jeweiligen Hochschulverwaltung. Dennoch bleibt der Einfluss der Landesregierung groß, weil sie nach wie vor das Grund-Budget der Universität festlegt. Die Rechtsgestalt der deutschen Universität ist zwar im Umbruch begriffen, aber von wirklicher Unabhängigkeit

34 Tamar Lewin: „23 Private College Presidents Made More Than $1 Million“. In: New York Times (November 2, 2009) http://www.nytimes.com/2009/11/02/education/02college.html (7. Dezember 2009). 35 Hans Jürgen Prömel: „Wir könnten die Universität auch ruinieren“. In: Frankfurter Rundschau (14. August 2009): 14–15. 36 Ein Reformmodell dazu geben seit 2003 die niedersächsischen Stiftungshochschulen ab. 37 http://de.wikipedia.org/wiki/Private_Hochschule (7. Dezember 2009).

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kann keine Rede sein. Seit der Entlassung der Uni-Präsidenten in die kontrollierte Freiheit hat man ihnen ein neues Aufsichtsorgan angedient.38 Auch hier haben amerikanische Beschluss- und Kontrollgremien wie das Board of Trustees bzw. Board of Regents die Vorbilder abgegeben. Dieses in Deutschland meistens Hochschulrat genannte Gremium besteht aus Leuten, die Beziehungen zum großen Geld haben oder haben sollten, aus Vertretern von Politik, Industrie, Handel und Banken. In Deutschland werden in dieses Organ auch erfahrene Administratoren anderer Universitäten gewählt, in Amerika dagegen nicht. Formal gesehen ist der Präsident ihnen gegenüber Rechenschaft schuldig. Die Mitglieder des Hochschulrats verstehen aber ihre Aufgabe und Rolle zuweilen falsch. Ein amerikanischer Universitäts-Präsident vermittelt seinem Board of Trustees den Eindruck, dass es einen großen Einfluss habe. Und den hat es auch insofern, als seine Mitglieder daran arbeiten, die Millionen oder Milliarden Dollars zu beschaffen, die die Universität braucht, um zu florieren. Das Curriculum und die interne Politik liegen in Amerika in der Hand des Präsidenten, in den Händen der Dekane und gewählter Vertreter der Professorenschaft, d.h. des Senats (Faculty Senate Council). Mitglieder des Hochschulrats in Deutschland möchten die ihnen gesetzten Grenzen zuweilen überschreiten und direkt in die Politik der Universität eingreifen. Das aber wäre das Ende der gerade erst erlangten Autonomie.39 In Deutschland hat sich durch die Stärkung der Stellung des Präsidenten und durch die Einführung des Hochschulrats das Machtgewicht von der Professorenschaft auf das Rektorat und sein Beratergremium verlagert. Diese Abnahme des Einflusses und der Mitsprache der Lehrenden hat es zuvor schon in den USA gegeben, und nun melden sich vermehrt Stimmen zu Wort, die sich wieder für eine stärkere Balance der Machtverteilung aussprechen.40 In der jetzigen Finanzkrise der Universitäten stehen die Chancen dafür nicht schlecht. Diese Krise hat auch eine der besten Universitäten der Welt, die University of California, Berkeley, massiv erwischt. Im Herbst 2009 kursierte eine International Petition mit dem Titel „Save the University UC Berkeley“, die von tausenden ProfessorInnen weltweit unterschrieben wurde.41 Vergleichbar der Rolle des Präsidenten wurde in Deutschland auch die der Dekane umdefiniert. War früher ein Dekan froh, wenn er seine zweijährige

38 Christian Berg und Regina Weber: „Hochschulreform aus studentischer Perspektive“. In: Aus Politik und Zeitgeschichte (Beilage der Wochenzeitung ‚Das Parlament‘) 48 (2006): 14–20. 39 Rudolf Stichweh: „Autonomie der Universitäten in Europa und Nordamerika: Historische und systematische Überlegungen“. In: Jürgen Kaube (Hg.): Die Illusion der Exzellenz. Lebenslügen der Wissenschaftspolitik. Berlin 2009, S. 38–49. 40 Nalsey Tinberg: „A Call for Faculty Reengagement in Governance“. In: Academe (NovemberDecember 2009): 8–10. 41 http://www.saveuc.org/petition.php (7. Dezember 2009).

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Amtszeit hinter sich hatte, stehen heute nicht selten ProfessorInnen dem Dekanat vor, die später einmal eine Hochschule leiten wollen und sich deshalb mit großem Einsatz der Verwaltungslaufbahn verschreiben. Auch hier macht sich die Amerikanisierung bemerkbar. Zudem ist das sogenannte Ranking der Universitäten eine Sache, die aus den USA übernommen wurde. Inzwischen hat es sich so internationalisiert, dass man die Tabellen einer Universität in Shanghai konsultiert (das sogenannte ShanghaiRanking), wenn man wissen will, wo die eigene Universität in der Weltrangliste angesiedelt ist.42 Auch das Shanghai-Ranking ist durch amerikanische Methoden beeinflusst worden und alles andere als unumstritten.43 Im Kampf um den Exzellenzstatus der Universitäten wird in Zukunft mehr auf die nationalen, kontinentalen und globalen akademischen Hitlisten geschaut werden.44 Im Zusammenhang mit dem Ranking sind auch die Akkreditierungen bzw. Evaluierungen der einzelnen Fakultäten und Institute zu nennen.45 Hier ist in Deutschland viel Porzellan zerschlagen worden. Die Evaluierung akademischer Programme sollte nur von UniversitätsprofessorInnen vorgenommen werden. An amerikanischen Universitäten lässt sich jede Abteilung in bestimmten Zeitabständen evaluieren. Bei dieser peer review bestellt man dafür auswärtige KollegInnen, die zu den besten Fachvertretern im Lande gehören. In Deutschland dagegen sind mit solchen Evaluierungen fachfremde Agenturen beauftragt worden, deren Vertreter sich benahmen wie Inspektoren bei der Steuerfahndung. Schon vor neun Jahren betonte ich die Vorzüge der akademischen Berufslaufbahn in den USA, und mit dieser Meinung stehe ich nicht alleine da.46 Warum kann man nicht – mit entsprechenden deutschen Bezeichnungen – die Titel Assistant Professor, Associate Professor und Full Professor übernehmen? Voraussetzung für den Assistant Professor ist in Amerika die Dissertation. Erhält man eine Stelle, hat man eine Bewährungszeit von sechs Jahren. Am Ende dieser Phase werden die Leistungen des Assistant Professor durch ein Gremium von KollegIn-

42 http://en.wikipedia.org/wiki/Academic-Ranking_of_World_Universities (7. Dezember 2009). 43 Barbara M. Kehm und Bjoern Stensaker: University Rankings, Diversity, and the New Landscape of Higher Education. Rotterdam 2009. Vgl. ferner: M. Zitt und G. Filliatreau: Big is (made) Beautiful: Some Comments about the Shanghai Ranking of World-class Universities. In: Jan Sadlak und Liu Nian Cai (Hg.): The World Class University and Ranking: Aiming Beyond Status. Bukarest 2007, S. 141–160. 44 Zur Kritik daran vgl. Richard Münch: Die akademische Elite. Zur sozialen Konstruktion wissenschaftlicher Exzellenz. Frankfurt am Main 2006. 45 Johanna Witte: „Die deutsche Umsetzung des Bologna-Prozesses“. In: Aus Politik und Zeitgeschichte (Beilage der Wochenzeitung ‚Das Parlament‘) 48 (2006): 21–27. 46 Hans N. Weiler: „Hochschulen in den USA – Modell für Deutschland?“ In: Aus Politik und Zeitgeschichte (Beilage zur Wochenzeitung ‚Das Parlament‘) 25 (2004): 26–33.

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nen bewertet, die zum Teil an der eigenen Universität beschäftigt sind, zum Teil an anderen Hochschulen lehren. Nach der Empfehlung dieses Gremiums richtet sich die Entscheidung des Dekans über Beamtung oder Entlassung des Evaluierten. Erhält der oder die Betreffende das tenure (also die Festanstellung), ist damit die Beförderung zum Associate Professor verbunden. Nach einigen Jahren wird wiederum ein vergleichbares Evaluationskomitee berufen, das die Beförderung zum Full Professor diskutiert. Auch hier folgt der Dekan der Empfehlung des Komitees. Wenn der Wissenschaftler oder die Wissenschaftlerin besonders tüchtig ist und Glück hat, kann er oder sie im Lauf der Zeit noch einen sogenannten Endowed Chair, eine Stiftungsprofessur, erhalten. Dieses faire Beförderungsverfahren ist inzwischen auch von China übernommen worden. Die Einführung der Junior-Professur war eine der Halbheiten, mit denen man sich in Deutschland bei der Reform der akademischen Laufbahn allzu oft begnügt. Mit solchen „Reformen“ kommt man dem Problem des akademischen Prekariats nicht bei. Der Wissenschaftsrat hat schon 2005 eine Empfehlung an die Kultusminister der Länder verabschiedet, an den deutschen Hochschulen das Tenure track-Verfahren einzuführen,47 weil nur dann die Karriere des wissenschaftlichen Nachwuchses planbar wird. Punktuell sind in dieser Hinsicht auch bereits einige Initiativen ergriffen worden, aber insgesamt klagen junge AkademikerInnen in Deutschland immer noch: Amerika, du hast es besser. Ein weiteres Gebiet, auf dem sich die US-Universitäten als Vorbild für die deutschen Hochschulen profiliert haben, sind die Alumni Associations, die Vereine der ehemaligen Studierenden. Die Kontakte zu den StudentInnen, die einen akademischen Grad an einer amerikanischen Universität erlangt haben, werden ein Leben lang gepflegt, und die Spendierfreudigkeit der Ehemaligen ist so groß, dass ein substantieller Bestandteil des Universitätsbudgets aus Schenkungen der Alumnis besteht. In Deutschland sind in den letzten Jahren diese Alumni Associations imitiert worden, doch sind die Erträge aus Spenden noch gering.48 In meinem Vortrag von 2001 erwähnte ich auch die günstigere Relation zwischen der Zahl der Studierenden und der Lehrenden an den amerikanischen Universitäten. Dass das Verhältnis von Professoren zu Lernenden an guten amerikanischen Colleges und Universitäten nicht selten 1:10 ist, klingt in Deutschland märchenhaft.49 Wenn der Begriff Volkshochschule nicht schon vergeben wäre,

47 WR im Fokus: http://www.wissenschaftsrat.de/wr_fokus/fokus-nachwuchs.html (7. Dezember 2009). 48 Es hat sich ein Verband der Alumni-Organisationen im deutschsprachigen Raum e.V. gegründet mit der Internetseite www.alumni-clubs.net. 49 Julian Nida-Rümelin: „Hochschulpolitik und die Zukunft der Geisteswissenschaften“. In: Aus Politik und Zeitgeschichte (Beilage zur Wochenzeitung ‚Das Parlament‘) 48 (2006): 3–7.

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könnte man ihn auf die heutige Universität anwenden. Aber der Begriff bedeutet nun einmal etwas anderes, und so muss es wohl oder übel beim Wort Massenuniversität bleiben. Wenn 40 % eines Jahrgangs in Europa und sogar 60 % eines Jahrgangs in den USA einen B.A. machen wollen, kommt man an der Bezeichnung Massenuniversität nicht vorbei. Im globalen wirtschaftlichen und politischen Wettstreit können Staaten sich nur mit immer neuen Akademisierungsschüben als „Wissensgesellschaften“ behaupten. Die vielen Studierenden haben aber das Recht auf eine angemessene Zahl von Lehrenden, soll die Qualität des Unterrichts gesichert werden.50 Die Betreuung der Undergraduate Students ist in Amerika nach wie vor viel besser als in Deutschland, eben wegen der günstigeren Zahlenrelation zwischen Lehrenden und Lernenden. Man braucht an den deutschen Hochschulen ja nicht gleich das Verhältnis eins zu zehn anzustreben, aber Verbesserungen müssten erfolgen. Zudem engagieren sich in den USA auch die bekanntesten ProfessorInnen in der Lehre für die Undergraduates, während man in Deutschland den Unterricht im B.A.-Zyklus allzu oft den wissenschaftlichen Mitarbeitern überlässt. Abschließend noch zum leidigen Thema Studiengebühren. Nicht nur in China, auch in Deutschland hat man diese amerikanische Unsitte inzwischen übernommen. Wehret den Anfängen! In den USA waren diese Gebühren anfänglich sehr gering, wurden dann moderat, stiegen aber in jedem Jahrzehnt, und heute ist die Tuition an guten Universitäten, ob privat oder staatlich, so unverschämt hoch, dass sie nur noch von Sprösslingen ausgesprochen reicher Familien bezahlt werden kann.51 Sicher erhalten Hochbegabte aus armen Familien oder sozialen Minderheiten Stipendien, und es gibt auch viele Teilstipendien, aber Tatsache ist, dass jede amerikanische Durchschnittsfamilie Jahrzehnte mit dem Ziel spart, die Studiengebühren für den Collegebesuch ihrer Kinder zu finanzieren. Viele erreichen das Ziel nicht, und dann müssen die Studierenden Kredite aufnehmen. Aber wer will mit hohen Schulden ins Berufsleben gehen, wenn nicht einmal klar ist, ob man je genug verdient, um sie zurückzahlen zu können. Wenn man sich auf den Weg der amerikanischen Gebühreneintreibung begibt, muss man wissen, in welche Richtung man sich bewegt. Die Begabungsreserven aus den ärmeren Schichten werden dann nur noch zu einem kleinen Teil erschlossen. Die Finanzierung des Studiums über Steuern scheint mir die gerechtere Lösung zu sein. Man muss die Amerikanisierung nicht übertreiben. Finnland

50 Hans-Joachim Meyer: „Nur Mut zu einer Reform der Reform“. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung (6. Juli 2009): 7. 51 Michael Hartmann: „Chancengleichheit trotz Studiengebühren: die USA als Vorbild?“ In: Aus Politik und Zeitgeschichte (Beilage der Wochenzeitung ‚Das Parlament‘) 48 (2006): 32–38.

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und Dänemark haben ausgesprochen gute Universitäten und erheben keine Studiengebühren. Das Bundesverfassungsgericht hat im Januar 2007 entschieden, dass die Einführung von Studiengebühren nicht gegen das Grundgesetz verstößt.52 Falls man glaubt, die Gebühren seien unvermeidlich, wäre der europäische Weg der sozial verträglichere und für die Entwicklung einer Nation der bessere.53 Das zeigen Länder wie England und Frankreich, wo zwar auch Studiengebühren kassiert werden, in denen es aber für Studierende aus minderbemittelten Familien nicht nur Gebührenfreiheit, sondern sogar Zuschüsse gibt.54 In den neun Jahren, die zwischen meinem eingangs erwähnten und dem jetzigen Vergleich der Universitätssysteme liegen, ist viel Wasser den Rhein und den Mississippi hinuntergeflossen. Was ich mir damals für die europäischen Universitäten wünschte, ist zum Teil durch den Bologna-Prozess und andere Reformen bereits Realität geworden. Die ersten zehn Bologna-Jahre waren für die Reformer mit einer Knochenarbeit verbunden, aber die nächste Dekade dürfte zeigen – Korrekturen, Flexibilisierung und Ergänzungen vorausgesetzt –, dass sich die Mühe gelohnt hat.

52 Margret Wintermantel: „Hochschulreform aus der Sicht der Hochschulen“. In: Aus Politik und Zeitgeschichte (Beilage der Wochenzeitung ‚Das Parlament‘) 48 (2006): 8–13. 53 Karen Merkel: „Bundesweites Stipendiensystem geplant“. In: Die Welt (15. August 2009): 5. 54 http://www.studserv.de/studium/studiengebuehren-im-ausland.php (7. Dezember 2009). Zum Thema vgl. auch Michael Hartmann: „Der erfolgreiche Widerstand gegen Studiengebühren in Hessen“. In: Klemens Himpele und Torsten Bultmann (Hg.): Studiengebühren in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung. Marburg 2009, S. 245–249.

3. Kulturelle Beziehungen

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Lesekultur in Deutschland und den USA (2009)1 Pendlern zwischen Deutschland und den USA wie mir fällt auf, wie unterschiedlich man in beiden Ländern Literatur einschätzt und wie anders man sie zu vermitteln sucht. In sechs Ansätzen möchte ich einige dieser Differenzen beleuchten, indem ich Kanonisches und Populäres diskutiere, Formen und Wirkungen des Feuilletons in den Zeitungen und im Fernsehen beschreibe, die Rolle der Buch-Clubs erörtere und aufzeige, wie unterschiedlich deutsche und amerikanische Studierende lesen. Schließlich widme ich mich der Frage einer aktuellen Weltliteratur.

Kanonisches oder Populäres? In Kindheit und Jugend muss man eine Menge von Ratschlägen über sich ergehen lassen, und wollte man sie alle befolgen, bliebe einem wenig Raum für Eigenständiges und Eigensinniges, für Unerprobtes und Neues. Eltern und Lehrer empfehlen den Heranwachsenden, viel zu lesen. Allerdings wird dieser Rat, kaum ausgesprochen, schon wieder eingeschränkt: Man solle seine Zeit nicht mit der Lektüre trivialer Literatur vergeuden. Offenbar treibt die Erzieher die Angst um, ihre Zöglinge könnten den Unterschied zwischen weltflüchtigem und weltöffnendem Lesen nicht erkennen. Und das ist in der Tat nicht mehr so einfach, wie es einmal gewesen sein mag. In früheren Zeiten war man davon überzeugt, dass ein über Jahrhunderte hin gepflegter literarischer Kanon für die Bildung und Entwicklung der jeweils nächsten Generation unerlässlich ist. Die Einstellung zum Kanon hat sich gewandelt. Er ist nichts in sich Einheitliches und sieht in jeder Kultur und Nation bzw. Region und in jeder Epoche anders aus. Der deutsche Literaturkanon hat heute mit dem amerikanischen nicht viel gemein, im Unterschied zum 19. Jahrhundert, als deutsche Dichtung (Goethe, Schiller, Heine) in den USA hoch im Kurs stand. Im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit gab es so etwas wie einen europäischen Lesekanon, der in den einzelnen Ländern des Kontinents nicht wesentlich voneinander abwich: Man las die griechischen Tragödien und die römischen Komödien, man kannte die Epen von Homer und Vergil. Dieser alte Grundbestand

1 Paul Michael Lützeler: „Diesseits und jenseits des Atlantiks. Beobachtungen zur Lesekultur in Deutschland und den USA“. In: VolkswagenStiftung (Hg.): Nimm und lies. Take Up and Read. Hannover 2009, S. 78–104. Ich danke Vera Szöllösi-Brenig von der VolkswagenStiftung für die Einladung, diesen Beitrag zu schreiben.

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an kanonischen Texten erhielt durch die Bildung von Nationalstaaten immer größere Konkurrenz, d.h., die jeweils nationale Literatur rückte zu kanonischen Ehren auf. Das 19. Jahrhundert wird in der westlichen Welt als Höhepunkt nationalstaatlicher Ideologie betrachtet, die allerdings auch die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts noch prägte. Damals konnte man die nationale Zugehörigkeit leicht am jeweils vorherrschenden Lektürekanon staatlicher Kommunikationsgemeinschaften erkennen: Goethe und Schiller dominierten in Deutschland, in den USA waren Nathaniel Hawthorne und Mark Twain populär. Bis heute prägen die national unterschiedlichen Leselisten den Literaturunterricht an den Schulen. Um den Kanon braucht es einem also nicht bange zu sein. In jeder Generation – das ist in den USA nicht anders als in Deutschland – findet sich ein Wissenschaftler, ein Lektor oder ein Kritiker, der in einem etablierten Verlag Kanonisches neu zusammenstellt – entweder nach Jahrzehnten, Regionen oder Gattungen geordnet – und es als das „nationale Wahre-Gute-Schöne“ anpreist. So animiert, greift der Mittelständler zur Kreditkarte und bestellt das gut verpackte und vielbändig Unverzichtbare zum Nachweis dafür, dass er weiß, was er der nationalen Kollektividentität schuldig ist. Ob allerdings jemals ein Band dieser gewichtigen Buchkassette geöffnet wird, ist eine andere Frage. Das durchschnittliche Leseverhalten außerhalb der Bildungsinstitutionen ist in Zeiten der Globalisierung keineswegs national-kanonisch; es ist vielmehr ausgesprochen kosmopolitisch geworden. Man denke nur daran, welche Rezeptionserfolge der lateinamerikanische Roman während der 1980er Jahre sowohl in den USA als auch in Europa hatte, wie stark die Weltgeltung der amerikanischen Dichtung ist und wie interkontinental afrikanische, indische und chinesische Autorinnen und Autoren inzwischen gelesen werden. Kaum ein Amerikaner und kaum ein Deutscher beschränkt sich heute auf die Lektüre nur amerikanischer oder nur deutscher Literatur. Man kann von einer Weltleserschaft bei einer ganzen Reihe von Büchern sprechen, etwa bei Werken von John Updike, Gabriel García Márquez, Salman Rushdie, Günter Grass oder Marguerite Yourcenar. Ein Kennzeichen der heutigen postmodernen Literatur ist zudem, dass in ihr populäre und hochkulturelle Tendenzen Verbindungen ohne ästhetische Berührungsängste eingehen. Die literarischen Gattungen kennen jene starren Grenzen nicht mehr, die klar markierten, was der „Unterhaltung“ zum einen bzw. der „Bildung“ zum anderen diente. Elemente des populären Kriminal-, Abenteuer- und Liebesromans haben längst Eingang gefunden in die Bücher von Autoren wie Philip Roth, Umberto Eco, Michael Roes oder Hanns-Joseph Ortheil, die ja keineswegs den Kitschproduzenten zuzurechnen sind. Zudem ist auch Bewegung in die Erforschung der Trivialliteratur gekommen. Der Philosoph Ernst Bloch schätzte sogar die Romane von Karl May, weil er in den Taten von Old Shatterhand oder Kara Ben Nemsi das Prinzip Hoffnung aufleuchten sah. Nichtsdestoweniger hat

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es nach wie vor Sinn, zwischen weltflüchtiger und weltöffnender Literatur zu unterscheiden, und diese Differenz ist schon früh, nämlich zu Beginn des europäischen Romans im 17. Jahrhundert, thematisiert worden. Miguel de Cervantes schuf in seinem Werk „Don Quijote“ einen lesenden Helden. Dessen psychisches Grundproblem ist, dass er zu viel liest – und zwar gerade jene triviale Abenteuerliteratur, vor der dann in der Folge alle Pädagogen ihre Schüler warnen werden. Der Hidalgo Don Quijote hat seine Phantasiewelt derart mit Figuren aus schlechten Ritterromanen vollgestopft, dass er zwischen Erfundenem und Tatsächlichem nicht mehr zu unterscheiden vermag und sich sogar aufmacht, sein eigenes Leben als Roman zu gestalten. Cervantes erfindet den selbstreflexiven Roman der Moderne, indem er satirisch vor Augen führt, was aus einem Leser wird, der eskapistisch die Droge Trivialliteratur zu sich nimmt. Was bei Cervantes zur romanhaften Komödie gerät, gestaltet sich später bei Gustave Flaubert tragisch: Seine Heldin Madame Bovary ist den kitschigen Liebesromanen und ihren schmachtenden Kavalieren verfallen. Sie möchte dem Einerlei der Tagesroutine in der Provinz entkommen und stürzt sich in Liebesaffären, mit denen sie jenen Intensitätsgrad an Erlebtem erreichen möchte, den ihr die Romane vorgegaukelt haben. Beide Bücher gehören zur kanonischen Literatur, und sie sollten jungen Leuten schon deswegen an die Hand gegeben werden, weil hier die Differenz zwischen Kitsch und Kunst deutlich wird: Sie thematisieren das Defizit an Welthaltigkeit der Unterhaltungsliteratur. Im Gegensatz zur Trivialliteratur sind dichterische Meisterwerke – etwa Goethes Bildungsroman „Wilhelm Meister“ – als Hilfen bei der Entwicklung der eigenen Identität gedacht und können zu Wegbegleitern werden, auf die man später erneut zurückgreifen kann. Beim Wiederlesen lernt man sich selbst besser kennen, weil nun – nach größerer Lebenserfahrung – Aspekte entdeckt werden, die einem früher nicht zugänglich waren. Es lohnt sich, noch bei dem Unterschied zwischen populärer und hoher Literatur zu verweilen, vor allem im Hinblick auf die Leserealitäten jenseits der Schule. Nicht nur, dass Kriminalromane immer wieder die ersten Plätze auf den Bestsellerlisten belegen, auch von Politikern, die in ihrem Verhalten den jeweiligen Zeitgeist vertreten, um erfolgreich zu sein, wird reine Unterhaltungsliteratur nicht mehr bloß versteckt konsumiert. In der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ wurden am 5. Juli 2009 deutsche Minister und Bundestagsabgeordnete gefragt, welche Bücher sie sich zur Lektüre mit in die Sommerferien nehmen werden. Da bekannte man sich vor allem zum Krimi und zum Thriller. Gegenwartsautoren wie Daniel Kehlmann oder Juli Zeh spielten in der Gunst der Volksvertreter dagegen nur eine geringe Rolle, und von kanonischer Literatur aus früheren Dekaden oder Jahrhunderten war überhaupt keine Rede.

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In Amerika werden solche Befragungen erst gar nicht durchgeführt, da man sowieso davon ausgeht, dass es Ferienlektüre bei Kongressmitgliedern kaum gibt. Mehr als eine Woche Urlaub gönnt sich kaum ein Amerikaner, und in der Zeit schaut man sich lieber die Sportnachrichten im Fernsehen an als eine belletristische Neuerscheinung. Nach sieben Tagen Nichtstun wird man in Amerika nervös und stürzt sich erneut in die Aktivitäten des Berufs. Amerikanische Kongressabgeordnete lesen durchaus, aber Fachbücher und Geschichtswerke sind beliebter als Romane. Zu den Viellesern im Senat gehörte zum Beispiel der Umweltexperte und ehemalige Präsidentschaftskandidat Al Gore: Er hatte aus der Library of Congress mehr Bücher ausgeliehen als alle anderen Senatoren zusammen. Aber auch hier gehörte schöngeistige Literatur offenkundig nicht zum Leseprogramm. Es kommt nur selten vor, dass Prominente sich zu einem anspruchsvollen Buch der Gegenwartsliteratur bekennen. Eine solche Ausnahme ist der ehemalige Tennisstar Michael Stich, der 1991 in Wimbledon siegte, 1992 eine Goldmedaille bei den Olympischen Spielen gewann und 1993 Weltmeister wurde. Stich bekannte sich wiederholt dazu, dass Sten Nadolnys Bestseller „Die Entdeckung der Langsamkeit“ ihn stark geprägt habe. Allerdings zitierte er in den Interviews zwischen 1997 und 2009, wenn er auf das Buch zu sprechen kam, immer nur eine einzige schlichte Lebensweisheit, die im Roman eher beiläufig erwähnt wird: Es gebe für wichtige Entscheidungen drei Momente – einen verfrühten, einen richtigen und einen verpassten. Seit der Nadolny-Lektüre habe er sich immer bemüht, den richtigen Augenblick für seine Karrierewechsel zu erwischen. Solche Applikationsmöglichkeiten sind bei Romanen von einiger Komplexität rar, und es geschieht nicht häufig, dass Bücher, die derzeit auf dem Markt dominieren, die Funktion von Lebensratgebern übernehmen. Zum Verschwimmen der Grenzen zwischen anspruchsvoller und trivialer Literatur trägt die Tatsache bei, dass auch die ernsthaftesten und kunstvollsten Werke auf eine Resonanz in den Massenmedien angewiesen sind. Vor allem die Tagesund Wochenzeitungen haben mit ihren Feuilletons Einfluss auf die Verbreitung von Romanen. Auch wenn es zuweilen abgestritten wird: Es besteht durchaus eine Relation zwischen der Häufigkeit von Buchbesprechungen in der Presse und dem Absatz des rezensierten Werks. Olympische Spiele für Literaturleser existieren nicht, aber wenn es sie gäbe, könnte man wahrscheinlich davon ausgehen, dass die deutschsprachigen Teilnehmer einige Medaillen gewinnen würden, wenn auch keine Goldmedaillen, die wohl den skandinavischen Leserinnen und Lesern (vor allem aus Finnland) zugesprochen werden würden. Zwar greift in Deutschland wie in den Vereinigten Staaten nur mehr jeder vierte Einwohner regelmäßig zu Büchern – und die Zahl der Buch-Abstinenzler wächst wegen der Internet-Konkurrenz stetig –, aber knapp 90 % der Deutschen lesen immerhin jähr-

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lich ein Buch, dagegen nur knapp 60 % der Amerikaner. Übrigens lesen überall in der westlichen Welt Frauen mehr Bücher als Männer. Die deutsche Buchproduktion ist relativ gesehen beträchtlich höher als die amerikanische. Publizieren die US-Verlage derzeit etwa 172.000 Bücher pro Jahr, sind es in Deutschland 96.000. Da die Vereinigten Staaten aber nahezu viermal so viele Einwohner haben wie Deutschland, ist die Buchproduktion pro Kopf in Deutschland ungefähr doppelt so hoch. Allerdings lesen die Deutschen entschieden mehr amerikanische Bücher als die Amerikaner deutsche Bücher. Den deutschen Verlagen gelingt es, jährlich knapp dreihundert Buchlizenzen an amerikanische Verlage zu verkaufen, während in umgekehrter Richtung etwa fünfzehn Mal so viel Abschlüsse getätigt werden, wobei auf die Belletristik jeweils etwa ein Drittel der Lizenzen entfällt. Die deutschsprachigen Länder sind zweifellos Weltmeister auf dem Gebiet des Feuilletons, auch wenn sich in jüngster Zeit – wie auf allen anderen Gebieten ebenfalls – Verschlankungen wegen Sparmaßnahmen bemerkbar machen. Einen nationalen, zuweilen auch übernationalen Einfluss haben hier nicht nur die täglichen Feuilletons, sondern auch Beilagen, die entweder am Wochenende oder mehrfach im Jahr – besonders zu den Buchmesseterminen – erscheinen. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang die 1998 begründete Samstagsbeilage „Die Literarische Welt“ der Tageszeitung „Die Welt“, die an die Tradition der in den 1920er Jahren von Willy Haas begründeten „Literarischen Welt“ anknüpft. Mit ihren Rezensionen, Essays, Interviews, Reportagen, Portraits und Umfragen ist sie inzwischen aus dem literarischen Leben der Bundesrepublik nicht mehr wegzudenken. Dass die Wochenend-Ausgaben der „Süddeutschen Zeitung“, der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ und der „Neuen Zürcher Zeitung“ seit Jahrzehnten ausgezeichnete Feuilletons veröffentlichen, ist international bekannt. Feuilletons gibt es als Book Sections auch in den USA, nur dass dort viel weniger Raum für Besprechungen in den Tages- und Wochenzeitungen zur Verfügung steht als in Deutschland bzw. in Europa allgemein. Die „New York Times“ leistet sich als überregionale Tageszeitung zum Wochenende „The New York Times Book Review“, eine beachtliche und wirkungsvolle Beilage, mit der vor allem amerikanische Neuerscheinungen bekannt gemacht werden. Was dort nicht besprochen wird oder nicht gut wegkommt, wird es auf dem umkämpften amerikanischen Buchmarkt schwer haben. Auch die „Los Angeles Times“ besitzt ein angesehenes Ressort für Buchbesprechungen, aber daneben gibt es auf dem Gebiet kaum etwas von nationaler Signifikanz, wenn auch nicht unterschlagen werden sollte, dass die zahlreichen amerikanischen regionalen Tageszeitungen am Wochenende ebenfalls Buchbesprechungen bringen. Diese können aber weder in Qualität noch Quantität mit jenen der beiden genannten Zeitungen konkurrieren.

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Zudem ist die fabelhafte, alle zwei Wochen erscheinende „New York Review of Books“ (NRB) zu nennen, die es seit 1963 gibt und die immerhin eine Auflage von 125.000 Exemplaren erreicht. Heute hat die NRB etwa einen ebenso großen Einfluss wie zwischen den 1930er und 1950er Jahren die „Saturday Review of Literature“. Die NRB ist ein Periodikum, das vor allem von liberal orientierten Intellektuellen, besonders von Hochschullehrern, abonniert wird. Es ist eine Zeitschrift, die mehr bietet als die Feuilletons in Deutschland oder in den USA. Die essayistischen Rezensionen sind durchweg ausführlicher und werden von Kapazitäten auf den jeweiligen Wissensgebieten geschrieben. Allerdings stehen neue Veröffentlichungen zur Kultur- und Diplomatiegeschichte im Vordergrund, und wichtige Publikationen zu allen nur denkbaren Veränderungen des Lebens werden berücksichtigt. So ist der Anteil der besprochenen belletristischen Bücher relativ gering. Man kann diese Zeitschrift wohl am ehesten mit „Lettre International“ in Europa vergleichen, und es ist wahrscheinlich, dass die NRB dieser Zeitschrift zum Vorbild diente. Es sind aber nicht nur die Printmedien, von deren Rezensionen das Wohl und Wehe vieler Neuerscheinungen abhängt. In den letzten Jahrzehnten hat sich zunehmend das Fernsehen sowohl in Deutschland als auch in den USA einen beachtlichen Anteil am Meinungsmarkt in Sachen Belletristik erobert. In Deutschland dominierte dreizehn Jahre lang das im ZDF ausgestrahlte „Literarische Quartett“ unter der Leitung von Marcel Reich-Ranicki. Drei Kritiker (ReichRanicki selbst, Sigrid Löffler und Helmut Karasek) sowie ein wechselnder zusätzlicher Gast (meistens ebenfalls Kritiker) diskutierten viermal im Jahr literarische Neuerscheinungen, vor allem Romane. Im Vordergrund standen Bücher der Gegenwartsliteratur aus den deutschsprachigen Ländern, doch wurden besonders wichtige Veröffentlichungen aus dem Ausland, soweit sie in deutscher Übersetzung vorlagen, ebenfalls besprochen. Bei diesen Veranstaltungen war die Kritik unter sich, und im Stil des Feuilletons wurde ein Buch entweder sachlich abgehandelt, hochgejubelt oder verrissen, wobei Reich-Ranicki, der sich zur ‚Vereinfachung‘ und zur ‚Deutlichkeit‘ in der Kritik bekennt, mit seinen Urteilen den Ausschlag gab. Wenn er den Daumen hob, strömten die Zuschauer in die Buchhandlungen und der gelobte Autor konnte über Nacht zum Millionär werden, senkte er den Daumen, sah es um den Absatz des abgekanzelten Werks weniger gut aus. Allerdings war es schon eine Auszeichnung, wenn man überhaupt im „Literarischen Quartett“ zur Sprache kam, denn die Buchhandlungen bestellten in vorauseilendem Gehorsam und vorwegnehmender Profitgier bereits vor der Sendung jene angekündigten Titel, über die sich die „Großkritiker“ in der Fernsehsendung äußern würden. Zuweilen gingen die Meinungen im Quartett auseinander und besonders Sigrid Löffler mochte mit den ästhetischen Urteilen des

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Quartett-Chefs immer seltener übereinstimmen. Das führte zu Verstimmungen und zu einem Eklat, woraufhin sie sich im Jahr 2000 vom ‚Fernsehen als Eitelkeitsmaschine‘ zurückzog und die Monatsschrift „Literaturen. Das Journal für Bücher und Themen“ begründete, deren Chefredakteurin sie bis 2008 blieb. In dieser Funktion hat sie viel für die Verbreitung der Gegenwartsliteratur getan. Abgelöst wurde sie beim „Literarischen Quartett“ durch Iris Radisch. Allerdings war damals die große Zeit dieser Art von autoritärer Fernsehkritik bereits vorbei. Die jüngeren Generationen fanden ihre eigenen Fragestellungen und Meinungen immer seltener repräsentiert, die Einschaltquoten wurden geringer und ein Jahr später warf Reich-Ranicki das Handtuch. Umstritten war das Experiment von Anfang an. Schon 1988 hatte Joachim Kaiser – ein anderer Großkritiker – sich gefragt, wozu solche Gespräche im Fernsehen denn gut sein könnten: Literatur sei schließlich zum Lesen da. Das war allerdings nicht sonderlich überzeugend argumentiert, denn auch die Kritik in den Printmedien muss sich fragen, wozu sie gut ist, denn Literatur ist in der Tat zum Lesen da – aber eben nicht nur zum Lesen, sondern auch zum Diskutieren. Ob die Debatten über Neuerscheinungen in der Zeitung oder im Fernsehen stattfinden, ist von dieser Grundsatzfrage aus betrachtet von sekundärer Bedeutung. Allerdings ist vom Standpunkt des Verkaufs schon entschieden, welche Art der Literaturdiskussion eine größere Werbewirkung erzielt. Tatsache ist, dass der verkaufsfördernde Effekt in den feuilletonistischen Fernsehsendungen wesentlich größer ist als in irgendeinem anderen Medium. So ließ sich das ZDF nicht davon abbringen, eine Fortsetzungs-Sendung über aktuelle literarische Neuerscheinungen mit einem veränderten Profil zu planen. Darauf drängte auch der deutsche Buchhandel, denn ein ersatzloses Streichen der Reich-Ranicki-Sendung, in der insgesamt 385 Titel vorgestellt worden waren, hätte sich ausgesprochen geschäftsschädigend ausgewirkt. Schon bald war die Kritikerin und Autorin Elke Heidenreich engagiert, um die Nachfolgesendung „Lesen!“ zu moderieren. Der Titel war gut gewählt, und vielleicht wirkte hier Joachim Kaisers Plädoyer fürs Lesen nach. Die Moderatorin nannte als Motto ihrer Sendung entsprechend „Ich will die Menschen ans Lesen bringen“. Anders als beim Literarischen Quartett handelte es sich bei diesem Format um eine ‚Ein-Frau-Show‘, wenngleich zuweilen eine echohafte zweite Stimme zugelassen wurde. Der Ton war höflicher, und man wollte eine Atmosphäre des Konsenses im Stil von „gute Freundin empfiehlt gutes Buch“ schaffen. Bücher, die ihr selbst nicht gefielen, wollte die Kritikerin erst gar nicht erwähnen. Ihr nicht sonderlich differenziert wirkendes Lieblingsurteil blieb über die Jahre hin „Ein ganz großartiges Buch!“. Auch Freundlichkeiten wie „Ein zartes Buch!“ waren nicht selten. Die Sendung blieb – so monoton das Loben schon bald wirkte – ein Motor des belletristischen Marktes, und als sich die Moderatorin im

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Jahr 2008 mit dem ZDF verkrachte, reagierte der Buchhandel erneut nervös: Man war sich des Heidenreich-Effekts wohl bewusst und befürchtete, dass ohne ihre Fernsehvermittlung eine ganze Reihe von Titeln auf den Ladentischen liegen bleiben würden. Die Verkaufserfolge bei den von Heidenreich gelobten Büchern waren verifizierbar. So jubelte sie zum Beispiel den Roman „Letzte Reise“ von Anna Enquist – ein Buch, das im Feuilleton der Zeitungen wenig beachtet worden war – während des Weihnachtsgeschäfts von 2006 in erstaunliche Höhen. Elke Heidenreich wechselte das Medium, ging vom Fernsehen zum Internet, wo ihre Sendung nun „Weiterlesen!“ heißt. Das Literaturfestival „lit.Cologne“ engagierte sie, und so kann man seit Ende 2008 unter der Website „litCOLONY.de“ ihre Buchempfehlungen nachsehen. Aber während sie im ZDF auf eine Einschaltquote von einer Million Zuschauern kam, erreicht sie im Internet nur etwas mehr als 5 % davon. Die Wirkung ihrer Buchtipps im Internet ist also nur noch ein schwacher Abglanz des einstigen Fernseheinflusses. Das ZDF ließ sich mit der Suche nach einem Ersatz für Heidenreichs Lesesendung Zeit. Erst im Juli 2009 startete das Nachfolgeformat mit dem Titel „Die Vorleser“. Der Name erinnert an Bernhard Schlinks „Der Vorleser“, dem wohl erfolgreichsten deutschsprachigen Roman der vergangenen zwanzig Jahre. An diesen Bestseller wollen die Erfinder der Sendung allerdings nicht erinnern. Die Vorleser möchten vielmehr so etwas wie ästhetische Vorkoster sein. Vorkoster gab es bekanntlich an den europäischen Königshöfen. Sie hatten das Essen zu prüfen, sollten feststellen, ob es genießbar sei, sollten auch garantieren, dass die Speisen nicht vergiftet worden waren. Die Fernsehjournalistin, Unterhaltungsschriftstellerin und Kinderbuchautorin Amelie Fried und der Literaturkritiker Ijoma Mangold, den man vom Feuilleton der „Süddeutschen Zeitung“ und der „ZEIT“ her kennt, taten sich zusammen, um Neuerscheinungen zu diskutieren: nach dem Quartett Reich-Ranicki, der Monolog-Show Elke Heidenreichs nun das Duett Fried/Mangold. Für etwa ein Drittel der Sendezeit wandelt sich jenes zu einem Terzett, denn auch ein wechselnder prominenter Gast aus der Kulturszene kann ein Buch empfehlen, das ihr/ihm besonders gefallen hat – und dabei braucht es sich nicht um eine Neuerscheinung zu handeln. Nach den Monologen der vergangenen sieben Jahre ist also wieder etwas mehr Vielstimmigkeit angesagt. Amelie Fried bestimmte in Interviews bereits vor der ersten Sendung ihre evaluatorische Position. Danach sollen ‚klassische Verrisse‘ à la Reich-Ranicki nicht vorkommen, aber ebenso wenig will ihre Sendung bloß Lob im Stil von Elke Heidenreich verteilen. Vor allem nimmt die postmodern argumentierende Amelie Fried sich vor, nicht mehr der ‚intellektuellen Hybris‘ zu frönen, nach der streng zwischen Hoch- und Trivialliteratur unterschieden werden könne. Es gebe zu viele Beispiele guter Unterhaltungsliteratur, deren Lektüre durchaus den intellektuellen Horizont erweitere und – was ihr wichtig ist – den Sinn für soziale Ver-

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antwortung schärfe. Gerade dieser soziale Aspekt dürfte bei der jungen Generation auf Zustimmung stoßen. Zudem wolle man nicht nur Werbeträger sein – ein löblicher Vorsatz, der aber kaum wird eingehalten werden können, denn ‚Die Vorleser‘ müssen sich darüber klar sein, dass sie mit der neuen Sendung auch den Motor des Buchmarktes, der in den ‚fernsehlosen‘ Monaten seit dem Herbst 2008 gelitten hat, wieder anwerfen sollen. Bei der ersten Sendung – am Freitag, 10. Juli 2009 – konnte man angenehm überrascht sein darüber, wie lebhaft Mangold und Fried über die Bücher sprachen und stritten, Gemeinsamkeiten entdeckten und Unterschiede in ihren Urteilen begründeten. Eine Neuigkeit gegenüber früheren vergleichbaren Sendungen ist, dass man sich jedes Mal ein Thema vornehmen wird. Bei der Debüt-Sendung war es der Familienroman. Schade nur, dass die deutsche Gegenwartsliteratur nicht sonderlich stark beachtet wurde. Aber immerhin einigte man sich darauf, dass Anna Katharina Hahns Roman „Kürzere Tage“ eine erstaunlich gute Neuerscheinung sei, in der es denkbar differenziert um die Darstellung von Frauen zwischen Karriere und Familie gehe. Als Gast war diesmal der Schauspieler Walter Sittler eingeladen worden, der sich für Erich Kästners „Als ich ein kleiner Junge war“ begeisterte. Ansonsten standen Titel aus der amerikanischen Literatur im Vordergrund. Schließlich ist in Sachen Buchbesprechung auch das Internet zu erwähnen. In Deutschland gibt es die Website „Perlentaucher“. Dort werden jeweils die aktuellen Rezensionen aus den Feuilletons der bekannten Tages- und Wochenzeitungen zusammengefasst und zitiert. So kann jemand, der von einer Neuerscheinung gehört hat, rasch herausfinden, wie sie von der etablierten Kritik beurteilt worden ist. Neben den professionellen Kritiken werden aber zunehmend die laienhaften Stellungnahmen des Durchschnittslesers beachtet. So ermuntert Amazon, der erfolgreichste Buchanbieter im Internet, die Leser, zu den angezeigten Büchern ihre Eindrücke festzuhalten. Leserbriefe werden in den Printmedien seit eh und je veröffentlicht. Dass man sie im Internet-Buchgeschäft gezielt als kostenloses Werbemittel einsetzt, ist aber neu. Im traditionellen Buchvertrieb ist es üblich, kurze lobende Zitate aus Besprechungen bekannter Kritikerinnen und Kritiker zu zitieren. Hier soll das bewährte Urteil die Qualität des betreffenden Buches bestätigen. Bei Amazon aber hat sich die laienhafte Beurteilung zufälliger Leser durchgesetzt, wie man sie für alles und jedes, was auf dem Buchmarkt erscheint, mobilisieren kann. Man ist immer gut beraten, auch das ästhetische Urteil der Fachleute mit einer Portion Skepsis aufzunehmen, aber gegenüber der Meinungsansammlung im Anhang an die Amazon-Buchanzeigen ist ausgesprochenes Misstrauen angeraten.

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Superstar Oprah Winfrey Wenn es um Gegenwartsliteratur in den USA geht, stellt sich die Frage: Was sind die vier kurz vorgestellten Formate im Vergleich zu einem Jahrhunderterfolg wie Oprah Winfreys Medienereignis „Oprah’s Book Club“? Ihre erfolgreichen BuchDiskussionen im Fernsehen sind ja nur ein Bruchteil all dessen, was sie mit ihren Talkshows in Bewegung gesetzt hat. Sie ist eine gesellschaftliche, politische, humanitäre und kulturelle ‚Großmacht‘ in den USA, und niemand kann sich hinsichtlich des Einflusses im Fernsehen mit ihr messen. Sie hatte vermutlich auch einen gewichtigen Anteil daran, dass Barack Obama zum offiziellen Präsidentschaftskandidaten der Demokratischen Partei gewählt wurde; sie war bei einer Reihe seiner Wahlkampfveranstaltungen präsent und machte aus ihrer Unterstützung keinen Hehl. Reich-Ranicki, Elke Heidenreich und Amelie Fried werden als Experten in Sachen Literatur gesehen, weniger jedoch als Autoritäten in anderen Bereichen. Nicht so Oprah Winfrey: Sie ist Schauspielerin, Filmproduzentin, Literaturkritikerin, Buchautorin, Verlegerin und erfolgreiche Talkshowmoderatorin. Sie ist die reichste Afroamerikanerin und eine überaus aktive Philanthropin. Sie finanziert Schulen in Afrika, hat die „Oprah Winfrey Leadership Academy for Girls“ in Südafrika gegründet, wo Mädchen für Führungspositionen ausgebildet werden, und mit „Oprah’s Angel Network“ eine tatkräftige karitative Organisation aufgebaut. Oprah Winfrey gilt in den USA heute als die wohl wichtigste Frau der Welt, mit einem schier unglaublichen Einfluss auf allen Gebieten der amerikanischen Kultur – im weiteren Sinne. Beachtlich ist dies vor allem vor ihrem lebensgeschichtlichen Hintergrund: Sie kam quasi aus dem ‚Nichts‘, aus einem Armenviertel im ländlichen Mississippi. Die zerstrittenen Eltern versagten als Erzieher. Oprah wurde sexuell missbraucht, bekam mit vierzehn ein uneheliches Kind, das nicht überlebte, und fand sich als Teenager in Milwaukee im Mittleren Westen in einfachsten Verhältnissen wieder. Ihre Großmutter, die sich um sie kümmerte, brachte ihr nahe, dass sie nur auf dem Bildungsweg einen Ausweg aus ihrem Elend finden würde. Sie forderte das Kind zum Lesen auf und veranlasste es, die Schul- und Leihbibliotheken zu benutzen, denn zum Kauf der Bücher reichte das Geld nicht. Die Bibliotheken der Schulen und Gemeinden sind in den USA durchweg gut und stehen denen in Deutschland nicht nach. Wer also arm ist und gleichzeitig bildungshungrig, kann auch in den USA leicht sein Lesebedürfnis befriedigen. Durch ihre Bücherpassion wurde Oprah eine exzellente und wortgewandte Schülerin an ihrer High School. Mit der Leselust verband sich bei ihr eine Freude an der Kommunikation, am Austausch von Meinungen. Schon während der Schulzeit erhielt sie einen kleinen Job bei einer lokalen Radiostation, der der Beginn einer glänzen-

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den Karriere, ja eines kometenhaften Aufstiegs war: zuerst beim Radio und dann beim Fernsehen. Phil Donahue, der Superstar der amerikanischen Fernseh-Talkshows in den 1980er Jahren, wurde bald von Oprah Winfrey überholt. Sie nimmt ihre Gäste, deren persönliche Meinungen und Einsichten ernst und begeistert das Publikum mit ihren Diskussionen zu brennenden Fragen der Zeit. Ihre Zeitschrift „O. The Oprah Magazine“ ist mit einer Auflage von 2,4 Millionen Exemplaren eine der größten Zeitschriften des Landes, in der alle nur denkbaren Themen zur Sprache kommen. Und ihre Website „Oprah.com“ wird von siebzig Millionen Menschen regelmäßig angeklickt. Oprah Winfreys Entwicklung belegt erneut, wie wichtig die familiäre und schulische Lesesozialisation ist. Kinder und Jugendliche erinnern sich an Worte und Wendungen, Sätze und Sentenzen aus Gedichten und Texten ein Leben lang und werden sich dabei der Kraft von Sprache bewusst. Lese-, Schreib- und Erzählkompetenz entwickeln sich gleichzeitig, und wenn in dieser Trias von Fähigkeiten eine fehlt, leiden die anderen darunter. Keine Schreibleidenschaft ohne passioniertes Lesen, und keine Erzählfreude ohne Leseerlebnisse. Der Grund, weswegen sie im Zusammenhang mit dem Thema ‚Lesen‘ erwähnenswert ist, hat nicht nur mit ihrer frühen Leseleidenschaft zu tun, sondern vor allem mit der Tatsache, dass sie seit dreizehn Jahren im Durchschnitt fünfmal im Jahr in ihrer Show ein literarisches Werk diskutiert. Dabei handelt es sich meistens um amerikanische Neuerscheinungen; der Autor oder die Autorin des betreffenden Buches wird in die Talkshow eingeladen. Das ist ein großer Vorteil gegenüber den vergleichbaren deutschen Fernsehsendungen, in denen die Verfasser nie präsent sind. Die Struktur der Oprah Winfrey Literatursendung ist demokratischer und gibt mehr Raum für Spontaneität. Eine Reihe von Personen, die keine Fachkritiker sind, diskutiert mit Oprah Winfrey das neue Werk und stellt dabei auch Fragen an den Autor oder die Autorin selbst. Wahre Sternstunden waren jene Buchdiskussionen, bei denen (die mehrfach eingeladene) Toni Morrison mit zur Gruppe gehörte, Joyce Carol Oates anwesend war oder die – von Amerika aus gesehen – ausländischen Autoren Isabel Allende und Bernhard Schlink als Gäste erschienen. Es ist schon etwas Besonderes, wenn man als Schriftsteller damit rechnen kann, durch diese Sendung eine Millionenauflage des neuen Buches erreichen zu können. Bernhard Schlink wurde zum ‚German Darling‘, als man sein anspruchsvolles Buch „Der Vorleser“ („The Reader“) in der Runde diskutierte. Die Rezensenten hatten sich gut vorbereitet, und es war rührend zu sehen, wie sie sich Mühe gaben, die denkbar schwierigen Konflikte des jungen Romanhelden und seiner Geliebten, der ehemaligen KZ-Wächterin, zu begreifen. Man merkte, wie wohl sich Schlink in dieser Gruppe von leidenschaftlichen Leserinnen und Lesern fühlte, und die Aura der Steifheit und des

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Reservierten, die ihn sonst umgibt, war schnell verflogen. Dass „Der Vorleser“ eines der international erfolgreichsten deutschen Bücher überhaupt wurde und dass nach einigen Jahren eine ausgezeichnete Verfilmung folgte, die den Verkauf des Buches erneut steigerte, ist sicher nicht zuletzt dem amerikanischen Medienereignis der „Oprah Winfrey Show“ zuzuschreiben. Oprah Winfreys Lese-Förderung in den USA geht aber weit über die Vorstellung von Neuerscheinungen im Fernsehen hinaus. Ein wichtiger Faktor ist der schon erwähnte „Oprah’s Book Club“ mit seinen zwei Millionen Mitgliedern und einer bekannten Website. Es ist nicht irgendein Club, sondern im Grunde eines der effektivsten Instrumente des amerikanischen Buch-Marketings. Der Autor eines Buches, das von „Oprah’s Book Club“ besprochen wird, kann erneut mit großen Auflagen rechnen, denn erfahrungsgemäß wird der Verkauf dadurch um das Fünffache gesteigert. Nationale Buchklubs gibt es in den USA seit vielen Jahrzehnten, der bekannteste von ihnen war der 1926 von Harry Sherman gegründete „Book of the Month Club“. Als Mitglied konnte man jeden Monat ein Buch aus einer langen Liste bestellen, und war einem die Auswahl zu mühsam, schickte der Buchklub einem das von ihm ausgewählte ‚Buch des Monats‘ zu. Man musste nicht jeden Monat ein Buch abnehmen, zwei oder drei Bücher im Jahr galten jedoch als Minimum. Von anfänglich viertausend steigerte sich die Anzahl der Mitglieder innerhalb von zwei Jahrzehnten auf über eine halbe Million. Die Autorinnen und Autoren, denen es gelang, ein Buch zu publizieren, das als ‚Buch des Monats‘ ausgezeichnet wurde, hatten für eine Weile ausgesorgt, denn das Prestige des Titels wuchs in diesem Fall so stark, dass das betreffende Werk für einige Zeit ein Selbstläufer wurde. Der „Book of the Month Club“ hatte auch ein internationales Beratergremium; in den 1930er Jahren gehörte ihm Thomas Mann an. Die Deutschen lesen bekanntlich gern, und als die Firma Bertelsmann aus Gütersloh 1950 mit ihrem „Bertelsmann Lesering“ den amerikanischen „Book of the Month Club“ imitierte, waren die Zuwachsraten noch größer als in Amerika. In den 1970er Jahren hatte dieser weltweit wohl erfolgreichste Buchklub sechs Millionen Abonnenten. Die Attraktion bestand darin, dass man der neuen deutschen Mittelschicht Bücher sowohl zur Unterhaltung wie zur Bildung anbot und dabei – durch die Ausschaltung des Buchhandels – die Ware Buch billiger auf den Markt bringen konnte. Dieses Direktkundengeschäft wurde auch auf Musikprodukte (Schallplatten, DVDs etc.) ausgedehnt. Bertelsmann war mit dem Konzept so erfolgreich, dass der Verlag Buchklubs in zahlreichen anderen Ländern Europas und schließlich in Amerika übernahm. So wurde auch der traditionsreiche „Book of the Month Club“ Teil des Bertelsmann-Konzerns (heute Random House). Inzwischen finden

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sich durch die neuen digitalen Medien auch die Buchklubs in einer Krise, und so spielt im Medienkonzern Bertelsmann/Random House der Lesering nur noch eine untergeordnete Rolle. Umso überraschender ist der Erfolg von Oprah Winfreys „Book Club“, der keine Krisenanzeichen aufweist. Das Medium Fernsehen steht aber weder in den USA noch in Deutschland engagiert im Dienst der Leseförderung, und die genannten Sendungen über Bücher sind die Ausnahme in einem Alltag, der durch Unterhaltungsfilme, schnelle Informationen und Werbung bestimmt ist. Die Gefahr besteht, dass die Generationen, die mit dem Fernsehen als primärer außerschulischer Informationsquelle aufwachsen, dem Lesen entfremdet werden, dass die literarische durch eine televisionale Sozialisation abgelöst wird. Damit der Nachwuchs intellektuell und psychisch nicht vor den Fernsehschirmen verkümmert, wurde in Deutschland 1988 die Stiftung Lesen gegründet, deren Schirmherrschaft der Bundespräsident übernommen hat. Diese in Mainz beheimatete Institution widmet sich der Leseförderung und will die Lesekompetenz vor allem bei Kindern fördern. Sie ist einzig in ihrer Art und hat in den USA kein Äquivalent. Bei der Stiftung Lesen hat man sich allerhand einfallen lassen, die Kinder zum Bücherlesen zu animieren. Eine populäre Aktion zum Beispiel heißt „Die Liga liest“. Bei ihr werden Fußball-Idole, die allen Heranwachsenden ein Begriff sind, dafür gewonnen, in Gruppen mit Kindern ihre Lieblingsbücher vorzulesen. Überhaupt bemüht man sich, dass bei den Kindern nicht der Eindruck entsteht, dass Sport und Lesen sich gegenseitig ausschließen: So gibt es zum Beispiel eine Aktion mit dem Slogan „Fahrradfahren stärkt die Lesefitness“. Die Stiftung hat, über Deutschland verstreut, auch fünfhundert Lese-Clubs gegründet, in denen die Mitglieder ihre Lektüre-Erfahrungen austauschen. Am „Welttag des Buches“ verschenkte sie kürzlich 335.000 Bücher an Fünftklässler, was nur möglich war, weil private Sponsoren sie unterstützten. Die Stiftung ist auch stark in der Beratung von Eltern und Schulen engagiert. Dass die neuen Medien und die neuen Formen von Wissensvermittlung durchaus in den Dienst des Lesens gestellt werden können, zeigt der Erfolg des Hörbuchs sowohl in Deutschland als auch in den USA. Vorgelesene Bücher waren zunächst für Blinde und Sehbehinderte erfunden worden und spielten nach dem Zweiten Weltkrieg bei den Kriegsblinden eine große Rolle. Inzwischen erfreuen sie sich – bei ständig wechselnder Technologie – allgemeiner Beliebtheit bei denjenigen, die etwa während Routinearbeiten zu Hause, bei eintönigen langen Autofahrten oder einfach zur Feierabendunterhaltung auf Lektüre – in diesem Fall ‚gehörte Lektüre‘ – nicht verzichten möchten. Der Markt der Hörbücher wächst rasant. Wurden in den USA im Jahr 2006 Audiobooks im Wert von 871 Millionen Dollar verkauft, kletterte der Umsatz zwei Jahre später bereits auf zwei Milliarden Dollar, stieg also um nahezu 150 %. Die prozentualen Zuwachsraten sind in

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Deutschland vergleichbar, und es gibt kaum einen großen literarischen Verlag, der an diesem lukrativen Geschäft nicht auf die eine oder andere Weise beteiligt ist. Gerade bei Kinder- und Jugendbüchern sind die Erfolge groß, wenn die Texte von bekannten Persönlichkeiten vorgetragen werden, etwa von einem berühmten Schauspieler beziehungsweise dem Autor selbst. Auch das Internet nimmt sich nun zunehmend des Hörbuchs an, und auch hier wachsen die Benutzerzahlen ständig. Die bereits fast vergessene Tradition des Vorlesens von Literatur wird durch das Hörbuch wieder neu belebt, wenngleich die ursprüngliche, gemeinschaftsfördernde Funktion des Vorlesens fehlt. Es sind ja durchweg einzelne Hörer, die sich die Audiobooks beschaffen, und nur selten kommen Gruppen zusammen, um gemeinsam einen Hörbuch-Abend zu verbringen.

Studierende als Teil der Weltleserschaft Das Internet ist dabei, die Lesegewohnheiten zu revolutionieren. Die kanonischklassische Literatur kann man inzwischen fast vollständig sowohl in den USA als auch in Deutschland im Internet abrufen und lesen. Google digitalisiert derzeit die Bestände der besten Bibliotheken, und so entsteht die größte virtuelle WeltBibliothek. Das Internet macht bisher allerdings eher dem Sachbuch als der belletristischen Gegenwartsliteratur Konkurrenz. Es gibt zwar einige Autoren – und die Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek gehört dazu –, die manchmal neue literarische Texte im Internet publizieren, was aber bisher die Ausnahme ist. Was die Buchkritik betrifft, steht das Internet etwa mit dem „Perlentaucher“ in Deutschland gleichsam im Dienst des Zeitungs-Feuilletons, denn dort erscheinen kurze Zusammenfassungen der Kritiken aus den Printmedien. Allerdings werden auch viele Besprechungen – wenn auch keineswegs alle – in den Online-Editionen der Tages- und Wochenzeitungen gebracht. Zu erwähnen ist auch eine andere wichtige Service-Funktion des Internet: Bei Versandfirmen wie Amazon.com kann man Bücher bequem und – soweit sie nicht der Preisbindung unterliegen – oft günstiger bestellen als im Buchhandel. So wird für alle Lernenden, sei es in Schule oder Hochschule, der Gang zur Bibliothek immer entbehrlicher. Das beobachte ich während meiner Tätigkeit als Literaturprofessor an einer amerikanischen Universität – und als häufiger Gast an deutschen Hochschulen – schon seit langem, und es gilt gleichermaßen für die Studierenden in beiden Ländern. Was sich eingebürgert hat, ist eine Art DualSystem: Für die Seminare, die sie besuchen, kaufen sich die Studenten zwar noch die Bücher der Primärliteratur, die – vor allem als Taschenbücher – auf der Leseliste stehen, aber gleichzeitig arbeiten sie auch mit den Texten, die sie im Internet finden. Wenn sie eine Hausarbeit bzw. ein paper schreiben, haben sie vorher den

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gedruckten Text mit den üblichen Anstreichungen durchgeforstet, aber gleichzeitig versichern sie sich mit Hilfe der Suchfunktion im Internet, dass sie die wichtigen, sich wiederholenden Stichwörter vermerkt haben. Zudem ist das Internet eine inzwischen unerlässliche Hilfe bei der Suche nach der Sekundärliteratur geworden. Das elektronische Recherchieren ist entschieden leichter als das Nachschlagen in bibliographischen Handbüchern, die zudem nie so rasch aktualisiert werden können wie die Quellen im Internet. Ich werde oft gefragt, ob die amerikanischen Studentinnen und Studenten anders lesen als die deutschen. Ich meine schon. In den amerikanischen Literaturseminaren wird quantitativ entschieden mehr gelesen als in den deutschen. Während man sich dort häufiger auf einige wenige Texte, zuweilen gar auf einen einzigen Roman während eines ganzen Semesters konzentriert, verlangt die amerikanische akademische Lesetradition nach mehr Stoff. Von Woche zu Woche werden in einem Seminar in den USA Hunderte von Seiten gelesen. Warum? Wahrscheinlich hat es mit der Tatsache zu tun, dass die Studierenden, die sich in Deutschland und in den USA auf den Bachelor of Arts (B.A.) vorbereiten, unterschiedliche Kenntnisse mitbringen. In den deutschen Gymnasien wird quantitativ relativ viel gelesen, in den meisten amerikanischen High Schools dagegen wenig. Die amerikanischen Colleges haben begriffen, dass sie viel von dem nachholen müssen, was deutsche oder europäische Studenten bereits während ihrer Gymnasialzeit mitbekommen haben. In den vier Jahren, die man in den USA braucht, um sich auf den B.A. vorzubereiten, holt man das nach, was in den High Schools an Wissensvermittlung versäumt wurde. Einmal gewöhnt an die Bewältigung von Stoffmassen, wird dies auch auf der Ebene des Master-Studiengangs, also nach dem Erlangen des B.A.-Grades, beibehalten. Auch hier also bleibt der Unterschied zwischen den Lesekulturen der angehenden amerikanischen und deutschen Literaturwissenschaftler bestehen. Deswegen empfehle ich den deutschen Studierenden immer, einmal ein Jahr in Amerika zu verbringen, und den amerikanischen, ein Studienjahr in Deutschland einzubauen: Dabei können die Amerikaner lernen, wie beglückend die intensive Beschäftigung mit einem Einzelwerk sein kann und die Deutschen erfahren, wie bereichernd es ist, einmal ein quantitativ anspruchsvolles Pensum an Lektüre zu bewältigen, damit Kenntnislücken gefüllt werden. Auch in Deutschland und Europa haben sich die Anforderungen an den Gymnasien geändert, und es ist nicht mehr so, dass man den Schülern eine solche Menge an Stoff abverlangt, wie das in früheren Jahrzehnten noch der Fall war. Auch an deutschen Hochschulen muss man inzwischen einsehen, dass man im dreijährigen B.A.-Studium Dinge nachzuholen hat, und es scheint geboten, die quantitativen Leseanforderungen zu erhöhen. Ganz sicher können die beiden B.A.-Systeme befruchtend aufeinander wirken und sich ergänzen. Ich selbst ver-

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suche in meinen Literaturseminaren die Mitte zwischen beiden Extremen zu halten und merke dabei immer wieder, wie dankbar die amerikanischen Studierenden sind, wenn intensive Diskussionen über einen Einzeltext eingeschoben werden, und welches Interesse die deutschen einer umfangreichen Lektüre entgegenbringen. Aber auch die Technik des Lesens unterscheidet sich tendenziell in Amerika von der in Deutschland. Gerade weil die Quantität des Lesens in den höheren Bildungseinrichtungen der USA so wichtig ist, ist die Lesegeschwindigkeit ein entscheidender Faktor. Mit zunehmender Lesefähigkeit nimmt die Lesegeschwindigkeit zu. Langsames Lesen ist nicht immer eine Tugend, und Untersuchungen haben gezeigt, dass bei raschem Lesen oft mehr haften bleibt als bei zu langsamem. Allerdings sollte man das schnelle Lesen nicht zur Norm erheben, denn die Lesegeschwindigkeit hängt natürlich auch von der Komplexität der jeweiligen Texte ab. Anders als in Europa gilt Schnelllesen in den USA als eine Tugend an sich. Ein Meister im rapid reading (mit über tausend Wörtern pro Minute) war zum Beispiel Präsident John F. Kennedy. Er konnte politische Berichte und Analysen in enormem Tempo erfassen und beeindruckte seine Mitarbeiter immer wieder mit dieser Fähigkeit. Bei Gedichten und Romanen hat es allerdings wenig Zweck, Rekorde im Geschwindigkeitslesen aufstellen zu wollen, und niemand wird es Studierenden verübeln, wenn sie für einen avantgardistischen Text aus dem 20. Jahrhundert mehr Zeit benötigen als für einen realistischen Roman des 19. Jahrhunderts. Allerdings wird schnelles Lesen in den USA an den Colleges und Universitäten bei den Philologen erwartet. Dem intensiven, langsamen und kontextbewussten Lesen in Deutschland steht in den USA die rasche, extensive und quantitativ gewichtige Lektüre gegenüber. Im Hinblick auf die Lesegeschwindigkeit habe ich in meiner transatlantischen Unterrichtspraxis immer wieder zu zeigen versucht, dass im einen Fall das schnelle, im anderen Fall das langsame Lesen von Vorteil ist. Beides will geübt sein, und ohne beide Fähigkeiten zu beherrschen, kann man kein Literaturexperte werden. Unterschiede bei amerikanischen und deutschen Studierenden der Literaturwissenschaft habe ich auch im Hinblick auf die Einschätzung von Autor und Rezipient, von Schriftsteller und Leser bemerkt. Fast gleichzeitig war innerhalb der Literaturtheorie in Frankreich und Deutschland gegen Ende der 1960er und zu Anfang der 1970er Jahre eine Betonung der kreativen Leseraktivität zu bemerken. Roland Barthes verkündete gar den ‚Tod des Autors‘. Er betonte, dass Bedeutung in erster Linie durch Lektüre generiert werde. Durch Lesen werde ein Text ergänzt, relativiert oder gar destruiert, d.h., er werde durch die kritische Fähigkeit des Rezipienten zu etwas Neuem. Durch Lektüre entwickle der Text Bedeutungen, die gar nicht in der Absicht des Autors gelegen haben könnten, und so er-

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weise sich die mutmaßliche Autorintention als unerheblich. Auch in der weniger radikalen deutschen Rezeptionstheorie – man denke vor allem an die Arbeiten von Wolfgang Iser zur ‚Appellstruktur der Texte‘ – wurden die Gewichte zwischen Autor und Leser neu verteilt. In beiden Fällen ist der Leser gleichsam der Ort der Literatur, wird zum Kreuzungspunkt des Textes. Eine Verschiebung von der Rekonstruktion der Autorintention hin zu einer die Kreativität des Lesers betonenden Interpretation hat man in den USA zwar interessiert wahrgenommen, aber nie voll akzeptiert. Dort ist das sogenannte close reading eine alte Tradition, und deren Absicht war immer eine hermeneutische. In der Hermeneutik jedoch geht es um die richtige Auslegung in dem Sinne, dass man dem Text eine endgültige Aussage zuerkennt, die der Leser herauszufinden habe. Inzwischen hat sich auch in Europa wieder einiges getan: Die hermeneutische Position, der die Verkündung vom ‚Tod des Autors‘ ganz unplausibel erschien, hat sich inzwischen unter der Devise ‚Auferstehung des Autors‘ erneut zu Wort gemeldet. Es ist interessant zu sehen, dass bei dieser Rückwendung zum Ernstnehmen der Autoraussage die amerikanische Position starke Beachtung gefunden hat. Dass man im Gegenzug zur These vom Tod des Autors nun nicht den Tod des Lesers verkündet, ist mit Dank zu vermerken. Ohne Leser stirbt der Text, ohne Text stirbt der Leser. Das Leben des Textes beginnt mit der Provokation des Lesers und dessen geistiges Leben wird bereichert durch das Sich-Einlassen auf den Text. Der Begriff der ‚Weltleserschaft‘ kann parallel zu Goethes Terminus der ‚Weltliteratur‘ gesehen werden. Aber versteht man im Zeitalter der Globalisierung unter Weltliteratur nicht etwas grundsätzlich anderes als Goethe? Goethe ging es um Lernprozesse, um eine intellektuelle Auseinandersetzung mit an sich gleichberechtigten Literaturen, die in fremden Sprachen verfasst worden waren. Die deutsche Dichtung hatte – nicht zuletzt dank Goethe – im frühen 19. Jahrhundert ein beachtliches internationales Ansehen erreicht. Eine global dominierende Sprache mit einer global dominierenden Literatur, in deren Schatten sich die deutschen Schriftsteller hätten behaupten müssen, gab es nicht mehr. Von der Dominanz der französischen Literatur, die bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts reichte, hatte man sich inzwischen emanzipiert. Heute ist die Situation wieder anders. Die vorherrschende Sprache ist jetzt das Englische, sie ist im wörtlichen Sinne das, was man die Weltsprache nennen kann, und entsprechend ist die auf Englisch geschriebene Literatur prädestiniert, Weltliteratur zu sein. Ob USA, Großbritannien, Irland, Australien, Kanada, Afrika oder Indien: In all diesen Ländern bzw. Kontinenten werden Bücher auf Englisch geschrieben, die den Weltliteraturmarkt beherrschen. Innerhalb dieser Literatur gibt es zwei Energiezentren: zum einen die aus den USA kommende Dichtung, zum anderen

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den Bereich der postkolonialen Literatur aus der Karibik, Asien und Afrika. Ein Blick in die deutschen Bestsellerlisten genügt, um zu sehen, wie stark die deutsche Literaturszene geprägt ist durch Übersetzungen aus dem Englischen. Wenn heute in Deutschland ein übersetztes Buch von Philip Roth erscheint, findet es meistens mehr Leser als der neue Christoph Hein, und Ähnliches ließe sich über Salman Rushdie und Peter Handke, J.M. Coetzee und Durs Grünbein, V.S. Naipaul und F.C. Delius, Jonathan Franzen und Uwe Timm sagen. Vergäbe man die deutschen Literaturauszeichnungen als Preise der deutschen Leser, d.h. nach der quantifizierbaren Beliebtheit der Autoren und Autorinnen, und wären die Auszeichnungen unabhängig vom deutschen, österreichischen oder schweizerischen Geburtsort, gingen viele Preise – vom Büchner-Preis über den österreichischen Staatspreis bis zum Gottfried-Keller-Preis – an ausländische Literaten, die auf Englisch schreiben. Neben dem Englischen sind alle anderen Sprachen als ‚subglobal‘ zu bezeichnen, um einen Ausdruck zu benutzen, den der Linguist und Literaturwissenschaftler Harald Weinrich prägte. Innerhalb dieses subglobalen Bereiches gibt es Unterschiede. In den 1980er Jahren zum Beispiel erreichte die in Spanisch geschriebene Literatur aus Lateinamerika einen Verbreitungsgrad, der erstaunlich hoch war und dem alle anderen nicht-englischsprachigen Literaturen nachstanden. Wir haben es im Zeitalter der Globalisierung mit einem neuen Begriff von Weltliteratur zu tun. Hatte Goethe eine Art internationaler literarischer Republik vor Augen, in der die vielen Dichtungen in unterschiedlichen Sprachen gleichberechtigt nebeneinander existierten und aufeinander neugierig waren, ist heute vor einer solchen Gleichberechtigung keine Rede mehr. In vielen kleineren europäischen Ländern liest man und spricht man inzwischen so gut Englisch, dass man sich die englischsprachigen Bücher gar nicht erst übersetzen lässt, sondern im Original liest. Ja, in einigen europäischen Ländern, wie etwa in den Niederlanden, gibt es Autoren, die ihre Literatur gleich auf Englisch verfassen. Soweit ist man im deutschsprachigen Raum noch nicht. Die Weltliteratur in der Epoche der Globalisierung ist dominant, kennt keine Gesetze der Gleichberechtigung, ist monolingual, wenn auch keineswegs monokulturell. Dieser multikulturelle Aspekt ist gleichsam die letzte Verbindungsbrücke zwischen dem Goetheschen und dem aktuellen Weltliteraturbegriff. Was an unterschiedlichen Kulturen, d.h. Erlebnis- und Erfahrungswelten in den verschiedenen englischsprachigen Dichtungen aus der Karibik, Zentralafrika, Südafrika, Indien, den USA, Kanada, Australien, Irland oder England zutage tritt, ist beeindruckend, und man darf behaupten, dass das Englische als lingua franca der Weltgemeinschaft wie keine andere Sprache zivilisatorische Vielfalt zugänglich gemacht hat. Dieses Plus sollte neben dem wiederholt ausgedrückten Bedauern über die Abschleifung kultureller Differenzen und die Verar-

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mung der Ausdrucksmöglichkeiten betont werden, auch wenn diese Nivellierung durchaus ein Problem ist, das hier nicht geleugnet werden soll. Der Goethesche Begriff der Weltliteratur hat auf dem heutigen Weltmarkt der Bücher keine Chance. Trotzdem überlebt er, denn er ist eine Sache von Literaturliebhabern und -kennern, vor allem von komparatistisch interessierten Philologen geworden. Literaturliebhaber können es sich leisten, Goethes Verständnis von Weltliteratur weiterhin anzuhängen. Dabei müssen sie allerdings bereit sein, mit den Fakten der Gegenwart zu leben. Zu diesen Fakten gehört – wie erwähnt –, dass die Deutschen unverhältnismäßig mehr Literatur aus den USA lesen als Amerikaner aus den deutschsprachigen Ländern. Die Amerikaner haben keine Schwierigkeiten, ihre großen Autorinnen und Autoren der Gegenwart auf dem deutschen Lesermarkt – in guten Übersetzungen – unterzubringen. Dagegen ist es mühsam (sieht man von einzelnen Werken von Günter Grass, Patrick Süskind und Bernhard Schlink ab), amerikanische Verleger dazu zu überreden, deutschsprachige Autorinnen und Autoren übersetzen zu lassen und zu publizieren. Hier macht sich eine Rezeptions-Asymmetrie bemerkbar, die zwar bedauerlich ist, die man jedoch als Anhänger eines kosmopolitischen Verständnisses von Weltliteratur ohne Ressentiments akzeptieren sollte.

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German Participation in the St. Louis World’s Fair of 1904 (2005)

German Participation in the St. Louis World’s Fair of 1904 (2005)1 Schloss Charlottenburg in Forest Park Cultural transfer is a difficult term to define and to conceptualize. As Michael Werner has explained, it rarely takes place as an export from one nation to another or as one country’s adjustment to the way of life of another.2 National cultures are not clear-cut or unified phenomena; they are dynamic systems, fields of conflict, contestation, and struggles. Personal and social values, forms of economic production, legal systems, religious convictions, political ideas or movements are, moreover, seldom agreed upon within one nation. They depend on region, social class or status, the educational background of citizens, the wealth and strength of the country’s elites, the weight of traditions, and visions for the future. The collective and individual identity components of a national culture go through processes of constant construction and deconstruction and these developments need to be analyzed in their synchronic and diachronic dimensions. Often, political or religious movements in one country have already formed identities of their own but, in their struggle for influence, seek support from like-minded groups in another state or even several other countries.3 Thus, at any

1 First publication: Paul Michael Lützeler and Graduate Students: „The St. Louis World’s Fair of 1904 as a Site of Cultural Transfer: German and German-American Participation“. In: Lynne Tatlock and Matt Erlin (eds.), German Culture in Nineteenth-Century America. Reception, Adaptation, Transformtion. Rochester N.Y. 2005, S. 59–86. This article is the result of a graduate seminar that I taught at Washington University in St. Louis during the Fall Semester of 2003. In the text, for which we used the form of a conversation, the following abbreviations are used: P. M. L.: Paul Michael Lützeler; J. B.: Jason Baker; B. B.: Bartell Berg; S. B.: Sandra Bisping; S. Br.: Sylvia Brockstieger; A. F.: Anne Fritz; M. G.: Maria Gardmo; B. H.: Bettina Haeberle; T. J.: Theodore Jackson; J. K.: Julia Kleinheider; G. K.: Gregory Knott; S. K.: Suzuko Mousel Knott; Ca. M.: Caroline Mannweiler; C. M.: Courtney Manus; J. S.: Juliane Schroeter; L. W.: Leslie Winall. We would like to thank Jean Gosebrink from the Saint Louis Public Library, Emily Jaycox from the Missouri Historical Society, Philip Prodger from the Saint Louis Art Museum, Steve Rowan from the University of Missouri, and Esley Hamilton for their kind help. 2 Cf.: Michael Werner: „Maßstab und Untersuchungsebene. Zu einem Grundproblem der vergleichenden Kulturtransfer-Forschung“. In: Nationale Grenzen und internationaler Austausch. Studien zum Kultur- und Wissenschaftstransfer in Europa. Ed. Lothar Jordan and Bernd Kortländer. Tübingen 1995, pp. 20–33. 3 Cf.: Paul Michael Lützeler: Die Schriftsteller und Europa. Von der Romantik bis zur Gegenwart. 2nd ed. Baden-Baden 1998.

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specific point in time, it is hardly possible to speak of a cultural transfer from Germany to the United States, or vice versa. Bernd Kortländer has reflected on the processes of what he calls „Begrenzung“ and „Entgrenzung“ of national communities.4 „Begrenzung“ (limitation) is associated with re-enforcing old or creating new borders; „Entgrenzung“ (opening up) with reducing the effects of borders by establishing international cooperation. All sorts of „Entgrenzungen“ and „Begrenzungen“ occur during world’s fairs, and they took place as well during the 1904 Louisiana Purchase Exposition, also called the Universal Exposition in St. Louis, or simply, The St. Louis World’s Fair.5 Both Werner’s and Kortländer’s observations are relevant when dealing with the 1904 World’s Fair. In Kortländer’s theory of cultural transfer the mediator („Vermittler“)6 plays a central role. In the late nineteenth and early twentieth centuries, world’s fairs were important international cultural mediators. They aimed to enable extraordinary educational experiences; were designed to be a sort of international university for a limited period of time; a market place of the grandest dimensions, a model city, an entertainment park of unseen proportions, in other words: something like a capitalist „Gesamtkunstwerk.“ During the 1904 World’s Fair, cultural transfers and exchanges took place on many levels. Biographies of individuals as well as the relations between countries were influenced; information about technology and science was acquired by scholars and entrepreneurs; business deals were struck on local, national, and global levels; academics gleaned ideas and attempted to produce an impact with their own findings; and – as is the case with all fairs – entertainment loomed large. Furthermore, the fair as a space and a building complex, as a model city was, for

4 Bernd Kortländer: „Begrenzung – Entgrenzung. Kultur- und Wissenschaftstransfer in Europa“. In: Nationale Grenzen und internationaler Austausch. Ed. Lothar Jordan and Bernd Kortländer. Tübingen 1995, pp. 1–19. See also Johannes Paulmann: „Internationaler Vergleich und interkultureller Transfer. Zwei Forschungsansätze zur europäischen Geschichte des 18. bis 20. Jahrhunderts“. In: Historische Zeitschrift 267 (1998): 657–85. 5 For general information about the St. Louis World’s Fair of 1904, see the following books: Timothy J. Fox and Diane R. Sneddeker: From the Palaces to the Pike. Visions of the 1904 World’s Fair. St. Louis 1997; Bert Minkin: Legacies of the St. Louis World’s Fair. A Compilation of Articles. St. Louis: 1998); Louisiana Purchase Exposition: The St. Louis World’s Fair of 1904. St. Louis, Missouri Historical Society, 1979; James Neal Primm: „Meet Me in St. Louis“. In: Lion of the Valley. Ed. ibid. St. Louis 1981, pp. 345–418; Caroline Loughlin and Catherine Anderson: „The Park and the Fair (1901–1904)“. In: Forest Park. St. Louis 1986, pp. 61–94; George R. Leighton: „The Year St. Louis Enchanted the World“. In: Harper’s Magazine 221 (1960): 38–47; Winfried Kretschmer: „Eine Weltmacht hält Hof: St. Louis 1904“. In: Geschichte der Weltausstellungen. Ed. ibid. Frankfurt am Main 1999, pp. 157–65. 6 Kortländer: „Begrenzung – Entgrenzung“, p. 4.

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its visitors, an aesthetic experience with innumerable audio-visual attractions. Finally, it was a media event of the first order. The circulation of goods, monetary and symbolic capital, art objects, thoughts and news created visions and dreams of mankind’s great future. In that respect the St. Louis World’s Fair was still deeply rooted in the eighteenth- and nineteenth-century tradition of enlightened optimism about the progress of mankind. The Louisiana Purchase Exposition was a meeting ground of constant cultural exchanges and transfers. It was also an extraordinarily large meeting ground. The organizers of the fair wanted to outdo the fabulous achievements of the 1893 Columbia Exposition in Chicago. So far, that had been the most splendid of all world’s fairs. The good citizens of St. Louis – with David R. Francis as the Fair’s president – had decided to come up with something even more remarkable and memorable. And they did. The exposition ground (encompassing the western half of Forest Park and the new campus of Washington University as well as a part of what is now the City of Clayton) was – with its 1240 acres – twice as large as the fairground for the Chicago exhibit. The grandness of the fairground, the majesty of the pavilions, the beauty of the landscaping, the number of countries contributing (sixty nations were represented), the quantity and quality of the many congresses (the Congress of Arts and Sciences alone attracted some 500 scholars from all over the world), the size of the amusement park (the so-called Pike), the originality of the exhibits: all this surpassed what visitors had seen during the truly memorable Chicago World’s Fair. The St. Louis motto was: Let’s do what Chicago did – but let’s do it better and in a grander style. That goal was achieved. More than twenty million visitors were counted in Chicago, and St. Louis came quite close to that figure. In the end St. Louis had attracted more visitors from out of town: Chicago had a population three times as large as that of St. Louis (about 650,000 people lived in the city of St. Louis at the time), which explained the slightly higher number of visitors at the Columbia Exposition. Most scholars agree that the world’s fair movement reached its zenith in St. Louis. After the First World War international exhibits became more specialized, more differentiated. But in St. Louis one had, basically for the last time, still everything under one roof: the automobile models and the paintings, the electric engines and the prize bulls, the philosophical gatherings and the wild animal shows, the belly dancers and the religious orators. One could say that the world’s fairs began in 1851 in London, and that they ended in St. Louis in 1904. Of course, there are still universal expositions these days, but there is nothing left of the fascination and attraction that a world’s fair offered during the first fifty years of its existence. At that time they conveyed knowledge about the most recent advancement in almost all fields of human culture. These times have passed. With the explosion of knowledge and new media that developed during the 20th century the fairs have lost

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their vanguard positions in mediating the very latest developments in technology, scholarship, and entertainment. Many visitors of the St. Louis fair were stunned and overwhelmed by this massive wave of information and by the beauty of the buildings and parks. The infirmary of the fair was constantly filled with people who suffered from a sort of culture shock. The typical reaction of world’s fair visitors these days is boredom: there is hardly anything offered which is unfamiliar. The German as well as the German-American participation in the St. Louis World’s Fair influenced the relations between different cultures in ways that are worthy of reflection. Here, one can observe a triangular relationship of institutions. Three different cultural segments from Germany, the United States, and the German-American community entered into communication with one another. In their interactions it became obvious that there existed a certain overlap of interests but that common ground was limited in scope. Each participating group sought to use the World’s Fair as a tool to propagate its own achievements and values. During the exchanges, a cultural dialogue (or rather, trialogue) was set in motion on many different levels. From the beginning, the German-American community played a role in the negotiations between the World’s Fair’s organizers and the German government. At first, the government of Imperial Germany was not inclined to contribute to the Fair. The steep expenses connected with the Chicago World’s Fair of 1893 were still on the minds of German politicians and officials, and one wondered whether the investments there had been a wise move.7 Furthermore, why should Germany be interested in a fair that celebrated the Louisiana Purchase, a deal the United States had struck one hundred years earlier with France, Germany’s old enemy? The fifteen million dollars Napoleon had received from Jefferson in exchange for the Louisiana Territory had been invested by the French in their war machine and had contributed to France’s domination over continental Europe during the decade between 1804 and 1814.8 David Francis, the President of the World’s Fair Company, was, however, an experienced politician. During a goodwill tour through Europe, he managed to get an audience with Emperor Wilhelm II.9

7 Cf.: Peter Paret: The Berlin Secession. Modernism and Its Enemies in Imperial Germany. Cambridge, MA 1980, pp. 113–121. 8 Cf.: Paul Michael Lützeler: Napoleons Kolonialtraum und Kleists ‚Verlobung in St. Domingo‘. Wiesbaden 2000. 9 Cf.: David R. Francis: „Dedications of Pavilions“. In: David R. Francis (ed.): The Universal Exposition of 1904. St. Louis 1913, pp. 231–233.

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When the emperor heard about the strong German-American community in St. Louis (every fourth citizen was of German descent), he personally pulled the strings necessary to make the German participation a success. He appointed a ministerial official, Theodor Lewald, as the Commissioner who would oversee and organize the German contribution to the Fair. The emperor’s interest in the Fair was so strong that in 1902 he sent his brother, Prince Heinrich, to St. Louis.10 Heinrich’s report was favorable, and Wilhelm’s engagement became even more enthusiastic. While he left most of the organizational details to Lewald, Wilhelm made sure he had a say in the plans for the German national pavilion, and he insisted on sending paintings of his choice to the art exhibit. P. M. L.: Juliane, you have studied the history and the symbolic meaning of the German Pavilion. What is so remarkable about it? J. S.: First of all, one has to realize that the „Deutsches Haus“ (German House) was the only national pavilion that was part of the main venue of the Fair. Lewald had fought for this special location.11 The center of the fairground was Festival Hall, and the German House was built right next to it. Thus the German House became part of the so-called „main picture“ of the fair (with Festival Hall in its very center), and as such aspired to a prominence equal to that of the big exhibition palaces. Emperor Wilhem II had insisted that it be a copy of his beloved Charlottenburg Palace in Berlin.12 Like all other fair buildings (except for the Palace of Art, now the St. Louis Art Museum), it was a temporary construction. During the fair the German House was used for presentational purposes, mainly for receptions. Its interior consisted of exact copies of a number of rooms both from the Charlottenburg Palace and from the Berliner Stadtschloss (City Palace). With this recreation of Charlottenburg Palace Wilhelm aimed to establish a link between the German Pavilion and baroque grandeur, the Prussian monarchy, and the Hohenzollern dynasty. Wilhelm II’s ancestor Friedrich I, the first King of Prussia, had built the original for his wife, Sophie Charlotte. The grandeur of the fair pavilion was diminished, though, due to the fact that the huge wings of the original

10 Cf.: Mark Bennit and Frank Parker Stockbridge: „Participation of the German Empire“. In: History of the Louisiana Purchase Exposition. St. Louis, MO 1905, p. 251. See also James Glen: „A Measure of German Progress“. The World’s Work 8.4 (1904): 5153–5156. 11 Cf.: Eckhardt Fuchs: „Das Deutsche Reich auf den Weltausstellungen vor dem Ersten Weltkrieg“. In: Comparativ 9 (1999): 83. 12 Cf.: Theodor Lewald: „Das ‚Deutsche Haus‘“. In: Ibid.: Amtlicher Bericht über die Weltausstellung in St. Louis 1904. Berlin 1906, pp. 72–77; Alfred G. L. Meyer: „The German State Building“. In: International Expostion St. Louis 1904. Official Catalogue: Exhibition of the German Empire. Ed. Theodor Lewald. Berlin 1904, pp. 105–113; Rudolf G. Scharmann: Schloß Charlottenburg. Munich 2003.

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castle were missing. Inasmuch as Wilhelm II stood for the neo-absolutism of the newly united German Reich, it is obvious why he chose the baroque style for the German Pavilion. Baroque is the architectural style of absolutism; it was used to represent a hierarchical political and religious system with the monarch at its center.13 Wilhelm II felt certain that the German House would receive a great deal of attention because of the fact that the Americans had nothing like it in their own country.14 The emperor opposed modernist trends in art and architecture such as art nouveau, or the new functionalism. His wish to inspire admiration and awe in fairgoers, was, however, undermined by developments in turn-of-the-century architecture and by the architectural surroundings at the fair. First, the German House, as an example of historicism in architecture, represented a prevailing normative attitude toward art and architecture in the late nineteenth century in both the United States and Europe and in no respect stood out. The German House merely represented Germany as a conservative country that was focused on a glorified past. Second, the architecture of the World’s Fair itself was almost exclusively historicist: the main exhibition palaces were built in the Beaux Arts style, one of the many historicist styles of the time, and coexisted with architectural copies such as the Streets of Cairo, the Tyrolean Alps, etc. Furthermore, other countries (like Great Britain, France and China) constructed copies of famous palaces as their national pavilions as well. In this context the fake Charlottenburg castle was probably received in a pop-cultural manner avant la lettre: as an architectural citation taken out of its historical contexts and cultural embodiments.15 From a twenty-first century perspective, the emperor appears to be a proponent of a pop culture that adapts the iconography of high culture to entertain the masses. P. M. L.: Above and beyond the architecture of the German House, Wilhelm II also had a say in the selection of paintings for the art exhibit. Anne, you have looked into that aspect of German participation in the Fair. What was the emperor’s intention when he interfered so directly in the selection of German art to be exhibited in St. Louis?

13 Cf.: Hilary Ballon: „Architecture in the Seventeenth Century in Europe“. In: The Triumph of the Baroque. Architecture in Europe 1600–1750. Ed. Henry A. Millon. New York 1999, pp. 88–89. 14 Hermann Knauer: Deutschland am Mississippi. Neue Eindrücke und Erlebnisse. Berlin 1904, p. 74. Here Knauer quotes the emperor’s exclamation: „Das haben die Amerikaner doch nicht!“ (The Americans don’t have that!). 15 Cf.: Tom Gunning: „The World as Object Lesson. Cinema Audiences, Visual Culture and the St. Louis World’s Fair, 1904“. In: Film History 6 (1994): 422–444.

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A. F.: Art exhibits had been a part of world’s fairs for quite some time, and it had never been easy for Germany to compete on this terrain with France. The emperor saw the art exhibit in St. Louis as an opportunity to offer a conservative German alternative to French modernism, a movement he detested.16 His strategy was as reactionary as it was self-serving. He demanded that only official academic art, represented by his friend and admirer Anton von Werner, be accepted for the Louisiana Purchase Exposition. Werner was an influential member of the Berlin Art Academy and president of the Kunstgenossenschaft, an association of traditionalist artists. Wilhelm II had made sure that flattering marble busts of him and of his wife were in the German House and in the German sections of the exhibition palaces. Many of the paintings sent to St. Louis showed him as the grand and ambitious emperor of a grand and ambitious Germany. None of the younger painters of the school of social criticism or of any secession movement had been accepted. Käthe Kollwitz, Max Klinger, Franz von Stuck and others were rejected, but some of their paintings were shown in a small alternative, unofficial art exhibit outside the fairgrounds. A large hall in the Palace of Art was reserved for the paintings of Anton von Werner. One of them showed Bismarck as the „honest broker“ during the European Congress in Berlin of 1878, trying to solve the so-called Balkan crisis. Another of Werner’s paintings portrayed Wilhelm II congratulating Helmuth von Moltke on his ninetieth birthday. As realistic paintings, Werner’s works were of technical perfection, but they were also bombastic and ideologically reactionary. It was government-financed art for the purpose of glorifying the monarchy and lacked the new feeling of individualism evident in more sophisticated works, just as it also failed to reflect recent discoveries in psychology and sociology. It represented everything the secessionist movements opposed. The satirical German review „Simplicissimus“ addressed the problem with the caricature „Die offizielle Berliner Kunst in Saint Louis“ (Official Berlin Art in Saint Louis) on the cover of one of its issues.17 It shows a swan-drawn boat on the Mississippi river approaching the city of St. Louis. In the boat one sees a seventeenth-century Brandenburg cavalier and a naive German Gretchen, representing the German art being sent to the World’s Fair. Gretchen is counting the leaves of a flower, trying to figure out whether the World’s Fair will love her or not. The allusions to Goethe’s Gretchen and to Wagner’s Lohengrin are somewhat clumsy, but the poem explains what the caricature is about. It reads as follows:

16 Cf.: Peter Paret: „Art and National Image: The Conflict over Germany’s Participation in the St. Louis Exposition“. In: Central European History 11.2 (June 1978): 173–83. 17 Simplicissimus 8.46 (1903).

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Zieh nach Westen, syrupsüße Deutsche Kunst und Herrlichkeit! Zieh nach Westen hin, und grüße Jeden, der vor dir nicht speit.

Go West, treacly German art and splendor! Go West and greet everybody Who does not spit in your presence.

Grüße alle, die dich lieben, Hohe, höchste Herren, und … Kehr nicht wieder, bleibe drüben! Fahre wohl, Theaterschund!

Greet all who love you. Lofty, most high lords, and Do not return, stay over there! Fare well, trashy spectacle!

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P. M. L.: Yes, the established conservative art was clearly predominant at the Fair. Many of the selected painters and sculptors were members of the Berlin Art Academy and had, in one way or the other, worked for the Imperial Court.18 Yet Lewald was an experienced administrator and had found a way at least to get up-to-date German interior architecture and arts and crafts movements represented at the

18 German art occupied fourteen rooms in the Palace of Art (now the St. Louis Art Museum). Four of them were of a particularly prominent nature: Emperor’s Hall (with Ferdinand Keller’s portrait of Wilhelm II in the uniform of the Garde-du-Corps of his Cuirassier Brigade, and Friedrich August von Kaulbach’s portrait of Empress Auguste Viktoria with her daughter Viktoria Luise), Representation Hall, Anton von Werner Hall, and the Hall of Sculptures. Mention of some of the better-known paintings will give an idea of the nature of the exhibition: Anselm Feuerbach (Musizierende Mädchen [Girls Making Music]), Richard Friese (Kämpfende Elche [Battling Elks]), Ludwig Herterich (Johanna Stegen, die Heldin von Lüneburg [Johanna Stegen, the Heroine of Lüneburg]), Georg Schuster-Woldan (Am Strande des Meeres [On the Seashore]), Franz Lenbach (several Bismarck portraits), Franz Defregger (Der Auszug des Tiroler Landsturms [The Departure of the Tyrolean Militia]; Ein Kriegsrat im Jahre 1809 [War Council in 1809]), Adolf von Menzel (Das Eisenwalzwerk [The Iron Rolling Mill]; Abschied Kaiser Wilhelms 1870 [Departure of Emperor Wilhelm in 1870]); Eduard von Gebhardt (several of his Christ portraits), Ludwig Knaus (Wie die Alten gesungen, so zwitschern die Jungen [As the Ancients Sang, thus Chirp the Young Ones]), Ludwig Löfftz (Eurydike [Euridice]), Paul Meyerheim (Zirkusgesellschaft [Circus Company]), Peter Janssen (Die Schlacht bei Worringen 1288 [The Battle at Worringen 1288]), Arthur Kampf (Professor Steffens begeistert zur Volkserhebung im Jahre 1813 zu Breslau [Professor Steffens exhorts the People to Rise Up in 1813 in Breslau]), Anton von Werner (Kaiser Wilhelm I. am Grabe seiner Eltern [Emperor Wilhelm I at the Grave of his Parents]; Der Tod Kaiser Wilhelms I [The Death of Emperor Wilhelm I]; Belagerung von Paris 1870 [The Siege of Paris 1870]), Werner Schuch (portraits of Friedrich Wilhelm von Seydlitz and Hans Joachim von Ziethen), Wilhelm Räuber (Die Bekehrung des Heiligen Hubertus [The Conversion of St. Hubertus]). The Hall of Sculptures showed (among others) works of Reinhold Begas, Peter Breuer, Adolf Brütt, Gustav Eberlein, Ludwig Manzel, Walter Schott, and Ernst Herter. See Hermann Knauer. „Deutschland in der Kunstausstellung“. In: Hermann Knauer: Deutschland am Mississippi. Neue Eindrücke und Erlebnisse. Berlin 1904. pp. 95–97.

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Fair. He mounted a splendid exhibit in the Palace of Varied Industries.19 There one could find the most recent and most exquisite works of Peter Behrens, Max Länger, Bruno Paul, and Joseph Olbrich – works that anticipate the transition from „Jugendstil“ (art nouveau) to „Neue Sachlichkeit“ (new objectivity). Germany’s applied arts pushed the envelope and were anything but conservative. Joseph Olbrich was from Vienna, but at the time was working in Darmstadt. What about the Viennese and Austrian contributions to the arts during the Fair? Greg, can you tell us something about this? G. K.: In contrast to Wilhelm II, the Austrian Emperor Franz Joseph did not interfere directly in the exhibition affairs of his country.20 Austria’s Commissioner, Ritter Adalbert von Stibral, did everything possible to make the contribution of his country visible and memorable. The „Jugendstil“-architect Ludwig Baumann came up with an interesting design for the Austrian Pavilion, a building that stood out from the rest and certainly caught the attention of the visitors.21 It was located on the grounds of Washington University, close to the steps that led to University Hall (now Brookings Hall), at the time the administration building of the Fair. Unlike the German contribution, the whole range of Austrian – or rather Viennese – art was represented, from old-fashioned realism to the cautious modernism of the Hagenbund (Hagen League) and the avant-garde works of the Secession. Like the Germans, the Austrians obtained a lot of space in the Art Palace for their paintings. (Hungary ran its own national exhibits in several exhibition halls, including the Art Palace.) The Wiener Werkstätten (Vienna Workshops) had a room of their own reserved within the Austrian Pavilion, and they received a gold medal for their contributions. There was one project on which the local St. Louis German-American community worked together with both German and Austrian officials: the „Tyrolean Village“ within the „German and Tyrolean Alps.“ The Tyrolean Village was the most popular part of the so-called Pike, the kilometer-long entertainment stretch of the Fair. The project was financed by Adolphus Busch and other entrepreneurs. It had an enormous restaurant – used for a number of official occasions – and Bavarian and Tyrolean folk dances drew large numbers of visitors.22 The organizers attempted to provide a specifically Alpine flair by arranging performances of

19 Cf.: Imperial German Commission: Descriptive Catalogue of the German Arts and Crafts at the Universal Exposition St. Louis 1904. Berlin 1904. 20 Cf.: David R. Francis: A Tour of Europe in Nineteen Days. St. Louis, MO 1903. 21 Cf.: The Austrian Government Pavilion. Described by the Order of the Imp. Royal Ministry of Commerce. St. Louis, MO 1904, n. p. 22 Cf.: Harper Barnes: Standing on the Volcano. The Life and Times of David Rowland Francis. St. Louis, MO 2001, pp. 157–159.

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the „Passion Play“ from Oberammergau and by offering orchestral and other concerts featuring folk music. The whole area of the Tyrolean Village was surrounded by murals depicting Alpine landscapes from Bavaria and the Tyrol. It included a town hall and a church. The buildings – later imitated in Walt Disney entertainment parks – were so popular that they were not demolished at the end of the Fair; they remained standing until 1907. Popular culture was an important part of the Fair, and Austria had, so to speak, its fair share of it. P. M. L.: The leading principle of world’s fairs – since their invention in London in 1851 – was to represent the very best and most advanced products from all participating countries. The goal was to exhibit the works of the avant-garde in all represented fields, be it in the arts, in industry, technology, science, or the humanities. This goal was not reached by the German art exhibit, but it was realized in several areas of science and scholarship. Sandra, you have dealt with this part of the German involvement in the Fair. What about the competition between Germany and the U.S. in this regard? S. B.: The goal of the St. Louis World’s Fair was to demonstrate the advancement of human civilization by means of technological and scientific progress. Germany presented itself as a nation that stressed both basic research and advances in the applied sciences. Strong showings were made in the areas of chemistry, medicine, and in the field of scientific instruments.23 The Röntgen-Cabinet (X-ray Cabinet) and exposition items in bacteriology, optics, and organic chemistry were examples of cutting-edge research. These were the areas where Germany was an international leader. Furthermore, Germany’s contribution to the Palace of Education received much praise.24 Competition had always been a part of world’s fair projects, and it became obvious that other countries, especially the United States, were catching up in many areas of science and technology. While Germany had played a leading role in the field of electricity for some time, the St. Louis World’s Fair demonstrated that it was losing its vanguard position to the United States – competition should not be underestimated as an integral part of cultural transfer. Scientists and entrepreneurs were watching the international contributions carefully. While here and there the demonstration of exclusive excellence in one area might look like a „Begrenzung“ in Kortländer’s terms, it might have had the effect of transfer in the sense of „Entgrenzung,“ as well. After

23 The German World’s Fair Commission published brochures in these areas under the title, „St. Louis 1904 German Educational Exhibition“ (Berlin 1904). See also the more general brochure „Guide to the German Educational Exhibition in St. Louis 1904“ (Berlin 1904). 24 Cf.: John Brisben Walker: „The Education of the World as Shown in the Exhibits of Many Peoples“. In: The Cosmopolitan. September (1904): 497–512, see esp. 506, 508, 512.

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all, it stimulated a competition that would have to integrate the existing vanguard position in order to outdo it.

Max Weber and the Congress of Arts and Science P. M. L.: What about German participation in the Congress of Arts and Science? This Congress was probably the largest and most comprehensive convention of its kind.25 While there have been many scholarly meetings of larger magnitudes, later congresses were much more specialized. But here a heroic effort was made to demonstrate that the sciences, medicine, the humanities, and the social sciences adhered to the same principle (the search for truth), were involved in the same project (the progress of scholarship), and had the same values and goals (the improvement of human living conditions).26 The president of this Congress, the mathematician Simon Newcomb, and the two vice-presidents, the sociologist Albion Small and the psychologist Hugo Münsterberg, wanted to make sure that the papers read during the Congress would give an idea of the most advanced positions in the various fields of academic work. The President and the Vice-Presidents of the Congress traveled all over Europe to invite the best minds at leading universities. Münsterberg met with the German academic mandarins. Ultimately about 10 % of the 300 lectures given during the Congress of Arts and Science were presented by German professors.27 The central meeting place of the Congress was Convention Hall, also called the Hall of Congresses (now Ridgley Hall at Washington University). The Congress of Arts and Science opened on Monday, September 19th, 1904, with speeches and ceremonies in the Fair’s Festival Hall, and it ended there on Sunday, September 25th, with concluding lectures. While we cannot cover here all of the German lectures read during the Congress, we can offer at least an idea of the contributions made by leading sociologists and philosophers of the time: Max Weber, Ernst Troeltsch, Ferdinand Tönnies, and Werner Sombart. Courtney, Maria, Bartell, and Caroline, you have read the professors’ lectures and

25 Cf.: Eckhardt Fuchs: „Wissenschaft, Kongreßbewegung und Weltausstellungen. Zu den Anfängen der Wissenschaftsinternationale vor dem Ersten Weltkrieg“. In: Comparativ 6 (1996): 157–78. 26 Cf.: Howard J. Rogers: „The History of the Congress“. In: Congress of Arts and Science. Universal Exposition, St. Louis 1904, vol. I. Ed. Howard J. Rogers. Boston 1905, pp. 1–44; Hugo Münsterberg: „The Scientific Plan of the Congress“. In: Congress of Arts and Science. Universal Exposition, St. Louis 1904, vol. I. Ed. Howard J. Rogers. Boston 1905, pp. 85–134. 27 Cf.: Howard J. Rogers: „Speakers and Chairmen.“ In: Congress of Arts and Science Universal Exposition, St. Louis 1904, vol. I. Ed. Howard J. Rogers. Boston 1905, pp. 54–76.

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the reports about their visits to the Fair. What did they try to convey and what did they learn? C. M.: Lecturing at the Fair was an opportunity for Weber to embark on a threemonth journey to the United States.28 It allowed him to observe American religious and economic culture and provided him with material for his sociological writings. While he knew little about the United States, he was studying its religious and economic makeup, particularly for the second volume of his standard work „The Protestant Ethic and the Spirit of Capitalism.“29 A direct result of his travels to visit American colleagues was the article „‚Kirchen’ und ‚Sekten’ in Nordamerika“ (Churches and Sects in North America), which appeared two years later.30 In August, 1904, Weber left for America with his wife Marianne and his friend Ernst Troeltsch. Before arriving in St. Louis, the trio visited New York City and Niagara Falls. From St. Louis, the Webers journeyed to Oklahoma and the southern states while Troeltsch returned to Germany. Weber was mesmerized by the vitality of American life. He stayed in St. Louis only for the duration of the Congress. His lecture on the „Relations of the Rural Community to Other Branches of Social Science“ was delivered on Wednesday, September 21st, in the lounge of Dormitory Hall (now Umrath Hall at Washington University).31 Weber repeated a number of the theses that he had developed on the problematic relation between the agricultural east and the industrialized west in Germany, but he also made some interesting observations regarding the differences between the American farmer and the German peasant. The group of colleagues who listened to his deliberations was very small. During his visit to the United States, Weber found more material that would substantiate his pet thesis regarding the close connection between protestant ethics and the success of capitalism in the western world. Cultural transfer in this context was somewhat limited due to the fact that Weber had formed preconceptions about this topic long before he came to St. Louis. On the other hand, it is hard to imagine that he would have written with such certainty about life and conditions in the United States had he not traveled in the States for a couple of months. His later positive, lively, and broad scholarly reception in the United States might very well be due to the fact that conditions in America played such an important role in his major work.

28 Cf.: Marianne Weber: Max Weber. Ein Lebensbild. Tübingen 1925, pp. 302–304 29 Max Weber: Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. Tübingen 1934. 30 Georg Kamphausen: „Max Weber und Amerika“. In: Die Erfindung Amerikas in der Kulturkritik der Generation von 1890. Weilerswist 2002, pp. 180–268. 31 Max Weber: „The Relations of the Rural Community to Other Branches of Social Science“. In: Congress of Arts and Science. Universal Exposition, St. Louis 1904, vol. I. Ed. Howard J. Rogers. Boston 1905, pp. 725–746.

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M. G.: Ernst Troeltsch, a prominent philosopher of religion, also contributed to the Congress of Arts and Sciences.32 He delivered a well-attended lecture entitled „Main Problems of the Philosophy of Religion“33 in Washington University’s Convention Hall on September 21st, but the St. Louis papers did not report on it. One reason for the lack of coverage in the press was probably the fact that Troeltsch used a highly abstract language. For students of Kant’s „Critique of Pure Reason,“ the lecture would have been easy to follow, but for anyone not familiar with the type of meta-reflexive epistemology Troeltsch employed, it was difficult to digest. Troeltsch made no effort to adjust to the different, more pragmatic and historically oriented approach to religious studies in the United States, where questions about the conditions of the possibility of doing research were not central. Toward the end of his lecture he offered a kind gesture, expressing the wish for a fruitful combination of German and American methods in religious studies, but his own presentation during the Congress was not an overture to this endeavor. B. B.: The situation was different in the case of Ferdinand Tönnies, another participating German sociologist. As was mentioned above, cultural transfer between nations is a complex matter. A good number of the American academics – Hugo Münsterberg was a case in point – were German-Americans or, like the other Vice-President of the Congress, Albion Small, were at least familiar with German approaches. Tönnies did not have much of a following in Germany, but he found an interested American audience for his amalgamation of organic/natural and historical/rational theories in sociology. He delivered the lecture „The Present Problems of Social Structure“ on September 21st, 1904 in a lecture hall of the Palace of Agriculture.34 Like Weber, Tönnies was fascinated by modern American capitalism, and like Weber, he felt confirmed in his understanding of the impact of modernity on social formations, which had found its early expression in his seminal work „Gemeinschaft und Gesellschaft“ („Community and Society“).35 His

32 Cf.: Hans Rollmann: „Ernst Troeltsch in Amerika. Die Reise zum Weltkongreß der Wissenschaften nach St. Louis (1904)“. In: Ernst Troeltsch zwischen Heidelberg und Berlin. Ed. Horst Renz. Gütersloh 2001, pp. 88–117; Hans-Georg Drescher: Ernst Troeltsch. Sein Leben und Werk. Göttingen 1991, pp. 169–171. 33 Ernst Troeltsch: „Main Problems of the Philosophy of Religion. Psychology and Theory of Knowledge in the Science of Religion“. In: Congress of Arts and Science Universal Exposition, St. Louis 1904, vol. I. Ed. Howard J. Rogers. Boston 1905, pp. 275–288. 34 Ferdinand Tönnies: „The Present Problems of Social Structure,“ Congress of Arts and Science (see note 26), 5: 825–841. See also Ferdinand Tönnies – Friedrich Paulsen. Briefwechsel 1876–1908. Ed. Olaf Klose, Eduard Georg Jacoby, Irma Fischer. Kiel 1961, pp. 371–383. 35 Ferdinand Tönnies: Gemeinschaft und Gesellschaft. 8th ed. Leipzig 1935. See also E.G. Jacoby: Die moderne Gesellschaft im sozialwissenschaftlichen Denken von Ferdinand Tönnies. Stuttgart 1971.

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St. Louis lecture was on topics he had already discussed in this major work. Tönnies’s lecture was the beginning of an active exchange of ideas between him and American colleagues. He praised American modernity and expressed the belief that America would find proper answers to the ‚social question’ and would thus represent a great opportunity for humanity as a whole. Tönnies influenced a number of American sociologists, including Albion Small, Robert Park, Charles Ellwood, William Thomas, Edward Ross, and Charles Loomis. As a result of its positive reception, his address to the Congress was published in 1905 in the „American Journal of Sociology“. Subsequent to this publication, Tönnies became a consulting editor of that journal. Ca. M.: Compared with Troeltsch and Sombart, Weber and Tönnies look like success stories in the realm of American/German cultural exchange. Sombart gave his lecture „The Industrial Group“ on September 22nd.36 He found little reason to be enthralled when he reflected on the conditions of life created by capitalistic systems. Sombart defines capitalism as the embodiment of rationalistic, utilitarian, profit-oriented, and individualistic thinking; its most explicit expression, as Sombart later defined it in a dictionary of sociology, is to be found in American enterprise.37 The culture created by capitalist systems lacks, in Sombart’s view, the creativity and harmony that ought to be at the center of any culture. Sombart’s paper was the expression of a trend in cultural pessimism typical for the turn-of-the-century intellectual climate in the Old World. An era of optimism and belief in progress was coming to an end in Europe, an era that still informed the organization of the St. Louis World’s Fair in general and that of the Congress of Arts and Science in particular. From the vantage point of a history of ideas, Sombart’s position was unique: he tried to combine the materialist alienation theory of Marx with new insights of Max Weber’s „idealist“ theory about the impact religion could have in the area of economic developments.38 Toward the end of his lecture, Sombart tried to explain why the miserable cultural situation in capitalist systems is „the breeding-ground for the social Utopias of the future.“39 He referred to Edward Bellamy’s bestseller „Looking Backward: 2000–1887“

36 Werner Sombart: „The Industrial Group“. In: Congress of Arts and Science (see note 26), 7: 791–799. 37 Cf.: Werner Sombart: „Kapitalismus“. In: Handwörterbuch der Soziologie. Stuttgart 1959, 258–277. See also Werner Sombart: Sozialismus und soziale Bewegung im 19. Jahrhundert. Vienna 1966. 38 Cf.: Hartmut Lehmann: „The Rise of Capitalism. Weber versus Sombart“. In: Weber’s Protestant Ethic. Origins, Evidence, Contexts. Ed. Hartmut Lehmann and Guenther Roth. Cambridge 1993, pp. 195–208. 39 Sombart: „The Industrial Group“, p. 89.

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(1888), a utopian vision of the United States. By the year 2000, Bellamy imagined, cooperation would have replaced competition in the United States, and every citizen would benefit from the wealth produced by the country. But Sombart himself did not believe in these dreams. He insisted on his thesis that ruthless American competition, unlimited individualism, and the pressure to be successful no matter what the consequences might be, would make the development of a culture impossible. Sombart articulated a critique of the American way of life that had an impact on the whole spectrum of German anti-American attitudes, including that of the Frankfurt school as formulated by Adorno in „Minima Moralia.“40 In a way, working on the negative America myth also belongs to the realm of cultural transfer. P. M. L.: Germany was less prominently represented during the Olympic Games. This type of international sports event had been reinvented and reintroduced by the French diplomat and entrepreneur Pierre de Coubertin. Suzuko, you have had a close look at the Olympic Games in St. Louis. Were they as successful as the Fair in general was? S. K.: The first modern Olympic Games took place in Athens in 1896, followed by Paris in 1900, and in 1904 it was the United States Olympic Committee’s turn to arrange them. It decided to organize them as part of the World’s Fair. The most western part of the new Washington University campus was chosen as the site. These Olympic Games were a white American male affair.41 Important countries like France and England were not even represented. No women competed in official events – in contrast to the Olympic Games in Paris – but for the first time a black athlete participated and, moreover, won a medal: George Poage in the 400 meter hurdles. In Paris there had been over a thousand active participants, and twenty nations were represented; in St. Louis not even half that number of athletes showed up (only eleven countries had even sent a team). The German government was proud of its delegation, but it brought home medals only in swimming and gymnastics, six and two respectively.42 Gymnastics was domi-

40 Theodor W. Adorno: Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben. Berlin 1951. 41 Cf.: Peter Andrews: „The First American Olympics“. In: American Heritage 39.4 (1988): 39–46; Mark Dyreson: „The Playing Fields of Progress. American Athletic Nationalism and the 1904 Olympics“. In: Gateway Heritage 16.2 (1995): 18–37; Allen Guttmann: The Olympics. A History of the Modern Games. Urbana, IL 1992; David Kanin: A Political History of the Olympic Games. Boulder, CO 1981; Ferenc Mezö: The Modern Olympic Games. Budapest 1956. 42 Dr. jur. Hardy: „Olympische Spiele“. In: Amtlicher Bericht über die Weltausstellung in Saint Louis (see note 12), 572–77; Karl Lennartz, Die Beteiligung Deutschlands an den Olympischen

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nated by the German-American Turners, and virtually all the medal winners in that discipline were Americans with German surnames and English first names. Except for fencing, where most medals went to the Cuban team, the Americans won in nearly all the competitions. They even introduced the Olympic discipline of barrel-jumping, where they could be certain that no other country would compete with them. Pierre de Coubertin was so disgusted with the national egotism of the United States Olympic Committee that he refused to pay a visit to St. Louis. Coubertin’s intention had been to contribute to an atmosphere of cosmopolitanism and peace. Instead, the Olympic Games became international meetings where countries strove to demonstrate their national superiority. In the terms of Kortländer’s understanding of cultural transfer, the international „Entgrenzung“ seems to have been outweighed by national „Begrenzung.“ P. M. L.: Lewald’s official report on the German activities at the Fair, the „Amtliche Bericht,“ is a voluminous political document that shows how proud the German government was of its country’s contributions to the Fair. But what about the unofficial reports, and what about the articles in German newspapers and magazines? Leslie and Bettina, you have consulted the archives at the St. Louis Public Library and in the Missouri Historical Society. What is your impression? L. W.: The Louisiana Purchase Exposition represented a culmination of international exchange and competition. The German newspapers effectively captured the spirit of the competitive enterprise, praising their country’s contributions while simultaneously adopting a critical stance toward other nations. Coverage of the Fair in weekly journals such as „Die Gartenlaube,“ „Illustrierte Zeitung,“ and „Über Land und Meer“ tried to generate an image of national cohesion and cultural superiority. Benedict Anderson’s concept of thinking the nation is relevant when evaluating the German press coverage of the Fair. Anderson attributes the emergence of the newspaper as a mass medium as pivotal in the rise of nationalism.43 „Über Land und Meer,“ an article about the German Pavilion and the German exhibits proclaims, „Überall hat sich der einzelne der Gesamtheit unterordnen müssen, und so ist ein imposantes Bild deutschen Fleißes und deutscher Tatkraft zustande gekommen“ (The individual had to subordinate himself everywhere to the totality, and thus an imposing picture of German diligence and

Spielen 1900 in Paris und 1904 in St. Louis. Bonn 1983; Bill Mallon: The 1904 Olympic Games: Results for All Competitors in All Events with Commentary. Jefferson, NC 1999. 43 Benedict Anderson, „Official Nationalism and Imperialism.“ In: Imagined Communities. Reflections on the Origin and Spread of Nationalism. London 1983, 83–111. See also Kirsten Belgum: Popularizing the Nation: Audience, Representation, and the Production of Identity in: „Die Gartenlaube“ 1853–1900. Lincoln, NE 1998.

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German energy emerged).44 The focus in the reports is the German presence, and these articles are rather flattering. Aspects of national competition are stressed, and other industrial powers like England and France are identified as Germany’s main rivals. The United States, on the other hand, is not yet seen as much of a threat to a perceived German superiority. While the Fair as such provided sufficient opportunity for cultural transfer, the German media did not follow up on this potential. The national „Begrenzung“ here precluded any perceived cosmopolitan „Entgrenzung.“ B. H.: When one looks at personal observations in diary entries, reports, and recollections, one finds the reception and evaluation of the Fair to be both similar and different from the official reports.45 The documents in question were authored by the German building contractor Hermann Knauer (who was involved in constructing the German House and the Tyrolean Village), and by two citizens from St. Louis, the German-American attorney Edward Schneiderhahn and the American craftsman Edmund Philibert.46 Like the articles in the German weeklies, Knauer’s report stresses German national pride. He is convinced that the Fair profited from the unique contributions of the Germans, especially from those in the Palace of Education. He also praises the St. Louis German-American community for their „German“ thoroughness and discipline. The German-American Edward Schneiderhahn – an active member of the local Catholic GermanAmerican community – was somewhat of a bipolar figure, rooted in two cultures. With respect to the arts, Schneiderhahn had the same taste as Emperor Wilhelm II. Like him, he was opposed to the avant-garde. He was impressed by Anton von Werner’s works, found them „classic and perfect,“ and believed that they were the best of all the paintings exhibited. Due to his profession, the American Philibert was particularly interested in arts and crafts. For this reason, he visited the German section in the Palace of Varied Industries as well as the Austrian Pavilion; in both instances he was duly impressed. In the case of Philibert one can at least see a learning process in action, but in the other two cases it is obvious that existing preconceptions were not altered.

44 „Deutschland in St. Louis“ In: Über Land und Meer 92. 48 (1904): 1082. 45 „Indescribably Grand“: Diaries and Letters from the 1904 World’s Fair. Ed. Martha R. Clevenger. St. Louis 1996; Sam P. Hyde: Photograph Album and World’s Fair Memoir, 1909 (St. Louis: Missouri Historical Society, Photograph and Print Collection). 46 Cf.: Knauer: Deutschland am Mississippi, pp. 53–155; Edward V.P. Schneiderhahn: Schneiderhahn Diaries (vols. 5 and 6. St. Louis: Missouri Historical Society Archives); Edmund Philibert: „World’s Fair Diary, April 30 – December 1“. In: Philibert Family Papers (St. Louis: Missouri Historical Society Archives).

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Carl Schurz and ‚German Day‘ P. M. L.: The two major events of the German-American community during the World’s Fair were Deutscher Tag (German Day) on October 6th and the Germanische Kongress (Germanic Congress) on September 16th and 17th, 1904. German Day was part of the official exposition program. Each participating country could arrange a national program with festivities, speeches, receptions, and dinners. The German-Americans chose October 6th because German-American communities all over the country had traditionally celebrated that day: on October 6th, 1683, the first organized group of German settlers had arrived in North America, a group that founded German Town (now part of Philadelphia) in Pennsylvania. The Germanic Congress took place during the Fair but was not part of its official program. Sylvia, Ted, and Jason, you have dealt with aspects of German Day, and Julia, you have studied the Germanic Congress. How did the GermanAmerican community present itself during these two events?47 S. Br.: German Day was divided into several segments. It started at 2:00 p.m. with a great Turner event of 3,000 Turners („Knaben und Mädchen“ [boys and girls]) who gathered in the Plaza in the main venue of the World’s Fair.48 All of them wore red and white caps, and – seen from a bird’s eye view – they formed three huge American flags with stars and stripes. After this demonstration of American patriotism, they started their gymnastics, which lasted for an hour. At 4:00 p.m. a group of some 20,000 crowded the German House to listen to speeches and to sing American, German-American, and German songs. The organization of German Day lay in the hands of the St. Louis German community, with active members like Emil Preetorius, editor of the St. Louis German-language newspaper, the „Westliche Post,“ and George Richter, President of the St. Louis Schillerverein (Schiller Society). They went out of their way to demonstrate that the German-Americans had a hybrid identity and a dual loyalty. The cover of the program for the festival shows a woman – looking half fin-de-siècle decadent, half Valkyrie – blowing into a double trumpet (an instrument probably invented for this poster), surrounded by both the German and the American flag. The choir sang both „Die Wacht am Rhein“ (The Watch on the Rhine) and the American anthem „The Star-Spangled Banner.“ All three groups – the Ameri-

47 Cf.: David W. Detjen: The Germans in Missouri, 1900–1918. Prohibition, Neutrality, and Assimilation. Columbia, MO 1985. As far as the impact of German culture in the US in general is concerned, see: The German-American Encounter: Conflict and Cooperation Between Two Cultures, 1800–2000. Ed. Frank Trommler and Elliott Shore. New York and Oxford 2001. 48 Cf.: Festprogramm für den Deutschen Tag. Am 6. Oktober 1904 auf der Weltausstellung, St. Louis. St. Louis 1904.

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cans, the Germans, and the German-Americans – were represented by leading figures. Speeches were delivered by David Francis, President of the Fair; by Freiherr Speck von Sternburg, German ambassador in Washington D.C.; and by Carl Schurz, the most prominent German-American of his time. During the evening a „Festkommers“ (festive social gathering) was arranged in Park View Cottage in Forest Park. There, German-American songs dominated, songs like „Lied zum Deutschen Tag“ (Song for German Day) by Konrad Nies and „Deutschland und Amerika“ (Germany and America) by Edna Fern. „Germany and America“ gives an idea of the official German-American ideology: loyalty to the United States and connectedness to German culture. Harmony seems to have been the motto of the day, giving the impression that the German-Americans had forgotten why they had left their home country in the first place, that is, for reasons of political persecution or miserable living conditions. During German Day none of the differences between the democratic revolutionaries of 1848 and the representatives of German neo-absolutism were mentioned. Carl Schurz, a former 48er, did not address any of the old antagonisms.49 There were reasons for this attitude, the most important of which was that Bismarck had united Germany. Unification had been one of the goals of the 48ers, although they certainly had not wished for a neo-absolutist government as part of the deal. After unification, many 48ers mellowed, probably due to the fact that the German Reich under the Hohenzollerns had become an internationally respected and even admired nation. An optimistic view of the situation in Germany was rather common among the younger generations. Harmony was also celebrated when the relations between the United States and the German Reich were addressed. Carl Schurz was an experienced politician. In his wish to avoid controversy he even went so far as to deny the possibility of future clashes of interest between Germany and the United States. Both countries had strong and conflicting international ambitions, something of which Schurz must have been aware. Yet as long as German Day lasted, the illusion of a perfect harmony between the three parties involved was demonstrated. But the deep divisions not only among but also within the three camps meant that there was something forced and artificial about this feigned harmony.50 T.J.: During German Day, the St. Louis Schiller Society participated in the aforementioned production of harmony. One of some hundred different German-

49 Cf.: Carl Schurz: „Rede“. In: Westliche Post (7 October 1904): 7. 50 Dieter Düding: „Einleitung. Politische Öffentlichkeit, politisches Fest, politische Kultur“. In: Öffentliche Festkultur. Politische Feste in Deutschland von der Aufklärung bis zum Ersten Weltkrieg. Reinbek bei Hamburg 1988, pp. 10–24.

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American clubs in St. Louis at the turn of the twentieth century, the Schiller Society of St. Louis had as its mission „Schillers Andenken lebendig zu erhalten“ (to keep Schiller’s memory alive) and „die Pflege der deutschen Sprache und Litteratur in Amerika nach Kräften zu fördern“ (to support the cultivation of the German language and literature in America to the best of our ability).51 The Schiller Society (a branch of the Schiller Society in Marbach, Germany) was founded at the end of the nineteenth century. That is, it was founded at a time when the heyday of the German-American communities – with their German way of life and their use of the German language in everyday communications – was over.52 Assimilation was a fact of life, and from the 1890s on, the urban German-American communities found themselves in a defensive position. It was not that they were giving in to pressure from the so-called nativists, an aggressive group of anti-minority ideologists. The new generation of German-Americans, born in the United States, did not wish to be isolated in German-speaking ghettos. They wanted to connect with the mainstream American culture of the majority. These new generations of German-Americans did not listen to intellectuals who propagated what Charles Taylor has recently termed a „politics of recognition.“53 The Schiller Society was a preservationist project intended to rescue an endangered species called the German-American community. With a membership that fluctuated between one hundred and two hundred, it was a small yet influential club, since its members were educated people of the upper middle class. They believed in the German-American cultural mélange and were afraid that an important part of their identity would be lost if the assimilation process did away with the use of the German language. Due to his poetic insistence on political freedom, Friedrich Schiller was the cultural hero of the 1848 generation, both in Germany and the United States. When the Schiller Society unveiled its statue of Schiller in 1898, some 30,000 people participated in the ceremony.54 (The statue is now to be found on Market Street, opposite the downtown post office. It is a copy of the statue Ernst Rau had created in 1876 for the Marbach Schiller Society.) It was understood that the Schiller Society was a major player, both during German Day and during the Germanic Congress. One of its prominent activists for a number of years was Otto Heller, founder of Washington University’s German Department.

51 „Verfassung des Schillervereins von St. Louis“. In: Der Schillerverein von St. Louis, 3rd ed. St. Louis, MO 1908, p. 18. 52 Cf.: Rudolf Goehler: „Die Zweigstiftung St. Louis, Nordamerika“. In: Geschichte der Deutschen Schillerstiftung. Berlin 1909, pp. 423–26. 53 Charles Taylor: Multiculturalism. Examining the Politics of Recognition. Princeton, NJ: 1994. 54 Cf.: „Enthüllung des Schiller-Denkmals“. In: Westliche Post (14 November 1898): 21–22.

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J. K.: Otto Heller gave one of the three keynote addresses during the Germanic Congress.55 This symposium, which met in the Convention Hall of Washington University, was organized by a new national organization, the „Deutsch-amerikanische National-Bund“ (DANB), also called the National German-American Alliance.56 The speeches held there are probably a better measure of GermanAmerican attitudes than the ones delivered during German Day, as the Germanic Congress was attended almost exclusively by German-Americans, and harmony at all costs was not the watchword of the day. The Congress was held in the midst of tension in the German-American community. Pulled between the Fatherland and their new home, they were put on the defensive by the fear of assimilation and of impending prohibition laws.57 Prohibition was a threat both to the German way of life and to the property and status of influential German-American families. The majority of beer brewers were of German origin (like the Busch family in St. Louis), and the German-American power base would be dealt a fatal blow if American breweries were forced to close. It was in this environment that the DANB took shape. Founded in 1901 by C. J. Hexamer, it developed into an umbrella organization that united smaller existing groups. Its major task was to „awaken and strengthen the sense of unity among the people of German origin in America.“58 The Germanic Congress was one of its first undertakings. Introductory speeches were given by C. J. Hexamer, Marion Dexter Learned (co-founder of the DANB), and Otto Heller. Learned was, in fact, not a German-American, and he focused on what it meant to be an American. Unlike the other speakers, he stressed the process of Americanization, but at the same time – a proto-multiculturalist – he recognized the importance of fostering the co-existence of different cultures in the United States. The other speakers (over twenty of them, including Heller) stressed instead the superiority of German values. Fernanda Richter, who

55 Otto Heller: „Vom deutschen Schaffen in Amerika“. Deutsch-Amerikanische Annalen 6 (1904): 748–56. For information about Otto Heller, see Ralph E. Morrow: Washington University in St. Louis: A History. St. Louis, MO 1996, pp. 190–193. The speeches by Fernanda Richter and Marion Dexter Learned were published on 7 October 1904 in the „Westliche Post“ (sec. 5). C. J. Hexamer’s talk was not published but „Amerika“ made general reference to it on page 8 of the September 17, 1904 issue. 56 Cf.: David W. Detjen: „The Origins of the German-American Alliance in Missouri“. In: Ibid. The Germans in Missouri (see note 47), pp. 31–43. 57 Cf.: Guido A. Dobbert: „German-Americans between New and Old Fatherland, 1870–1914“. American Quarterly 29 (1967): 663–680. See also: Das Buch der Deutschen in Amerika. Ed. Max Henrici. Philadelphia 1909. This was an official publication of the National German-American Alliance. 58 „Principles of the National German American Alliance of the USA“. In: Deutsch-Amerikanische Annalen 6 (1904): 582.

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had authored the aforementioned song „Germany and America“ under her pseudonym Edna Fern, was the wife of George Richter, President of the St. Louis Schiller Society. During the Congress she sang the praises of the superior German mother. The Congress took place in a strangely closed environment. Its prevailing defense of German values and a „pure“ German culture was basically a battle in retreat and an expression of reactionary thinking. J. B.: The DANB pursued a policy that was counterproductive in the end. It developed a drum-beating rhetoric that did not help the German-American cause. The „Westliche Post,“ the leading German-language daily newspaper in the Midwest founded half a century before the World’s Fair, pursued a different policy.59 Under the editorship of Emil Preetorius, another 1848 German immigrant, it promoted a hybrid German-American identity that would remain rooted in the spirit of civic engagement. The newspaper projected a hierarchy wherein it desired its readers to be, above all, Americans or St. Louisans and then German-Americans. The editors remained stalwart in their expression of loyalty to their adopted homeland, and the paper itself still bore the stamp of the 1848 generation. During the World’s Fair, the „Westliche Post“ followed the aforementioned strategy of harmony. The report about German Day on October 7th 1904, fills more than fifty pages. It is preceded by an elaborate sketch showing the allegorical figures of Germania and Columbia (representing Imperial Germany and the United States) on equal footing: on the left one sees Germania with a spear, the German flag, and a shield with the German eagle; on the right Columbia with a spear, the star-spangled banner, and the American eagle. Between them burns a sort of eternal flame, and together they hold a wreath of laurel connected to three ribbons with the inscriptions „Achtung, Freundschaft, ewiger Friede“ (Respect, Friendship, Eternal Peace). In the background one sees Festival Hall, the central building of the World’s Fair, and the German Pavilion. Floating in the air, two little angels carry a sign rendering „Unser Motto“: „Ewige Liebe dem alten Vaterland – Ewige Treue dem neuen Vaterland – Ewige Freundschaft für beide!“ (Our Motto: Eternal Love for the old Fatherland – Eternal Loyalty to the new Fatherland – Eternal Peace for both!) The illustration embodies the strategy of forced harmony that was typical for German Day. The editors of the „Westliche Post“ promoted accord between the German-American community and the German Reich since they believed that this move would slow the loss of readers to English-language assimilation and thereby further their own German-American civic ideal. A decade later

59 Cf.: Harvey Saalberg: „The Westliche Post of St. Louis. A Daily Newspaper for German-Americans“. PhD diss., University of Missouri, Columbia, MO, 1967. See also Carl Wittke: The GermanLanguage Press in America. Lexington, KY, 1957.

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everything had changed: the 48ers had passed away, the German-speaking press was rapidly losing its readers due to assimilation, and the days of good political relations between the United States and Germany were numbered.60 P. M. L.: And with it, the illusions of harmony were gone. From what all of you have contributed one can learn that there is quite a difference between the intended and the real cultural transfer that occurred during the St. Louis World’s Fair. Wilhelm II wanted to impress the Americans with his replica of the Charlottenburg castle and with his conservative art exhibition. But in this case the German contributions simply blended into the general historicist architectural and art historical trends that dominated the outer appearance of the fair. What caught the attention of the visitors was the art and craft movement in Germany and Austria, and it was typical that Austria received a gold medal for its display in this particular field. In the area of electrical engineering, chemistry and related fields, the exhibitors from Germany and the United States watched each other carefully, and the competition contributed to further advancements in these areas of research. The German press coverage of the Fair underlined the competitive aspects of the German contributions in these particular fields. Germany’s most successful exhibits were in the field of cutting edge medical technology (x-ray applications) and in education. A good number of American educators and city government administrators studied the German pedagogical systems in detail and were inspired by them to develop their own school reforms. A case of mere competition without any transfer effects was the German participation in the Olympic Games. These games were in the hands of American athletic clubs, and the few foreign countries that were able to participate despite the obstacles created by the Americans had no chance to win in any substantial manner. This was different in the case of the scholarly competition during the legendary Congress of Arts and Science. Ten percent of all the professors delivering papers were from Germany. Although the students could only study a few exemplary cases it becomes obvious that the Congress had a lasting impact on the work of a number of leading German scholars like Max Weber and Ferdinand Tönnies. And in both cases one could recognize thereafter an increased impact of their thoughts in American university circles. The Fair was highly significant for the German-American community in St. Louis and in the United States in general. The national and international audiences gave them a chance to present themselves as an intercultural force that stood both for German and American cultural values, as a group and a movement that had been active in the area of cultural transfer in both directions for more than

60 David W. Detjen: „The War Begins for America“. In: The Germans in Missouri (see note 47), pp. 138–146.

Carl Schurz and ‘German Day'

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two hundred years. The German and Tyrolean Village – the most attractive and best attended location of the Pike – is unthinkable without the German-American community in St. Louis and without the power that Adolphus Busch represented at the time. Busch supported the German-American community, and he had close connections to the Emperor’s court in Berlin. Above and beyond the entertainment and social levels, the community got strongly involved in organizing German Day which was the most powerful and, at the time, most convincing demonstration of a dual German-American identity and loyalty. Carl Schurz seemed to be the living example of a successful German-American symbiosis, and he gave German Day his blessing. The Germanic Congress and its supporter (the GermanAmerican National Association) on the other hand made it obvious that the German-American community was split, and that there were groups that tried to defend some sort of „superior“ German culture against the unavoidable assimilatory tendencies. The St. Louis Schiller Verein stood somewhere in-between these two camps of the German-American community, but all in all its activities were more defensive than truly intercultural. In other words: it was the St. Louis World’s Fair that made the chances, the problems and the contradictions of the triangular relationship between Germany, the United States, and its GermanAmerican community visible; that gave an idea of the „Begrenzungs-“ and „Entgrenzungs-“ processes that were going on in regard to the cultural transfers between the two countries. We often talk – in theory – about transdisciplinary work at a time when cultural studies is one of the things we do in literature departments. Here we had the chance to practice transdisciplinary studies in an area that was totally under-researched. The fact that nobody so far had had a close look at the German and German-American contribution to the St. Louis World’s Fair was the precondition for the pioneer research the students could do. When we teach a Kleist or Goethe seminar this type of original work can hardly be done by our graduate students. As the professor in charge I had to spend quite some time studying the material to get familiar with the publications on world’s fairs in general and on the St. Louis fair in particular, with German-American relations and with the history of the German-American community. I had to find out about the resources available in the St. Louis archives and libraries. Once this was done I could delegate the work, to a certain extent, to the students. We visited the archives together, and after that they were able to do research about the specific aspects they had chosen. When the students had handed in their seminar papers I asked them to include an abstract that I could use for this paper. The answers of the students in this paper are the results of these abstracts. Although I had to rework the abstracts to make them fit the format of the article, they reflect the findings of the students, and in each

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German Participation in the St. Louis World’s Fair of 1904 (2005)

and every case the students agreed with the final formulations. The composition of the class was ideal for this endeavor: There was a German-American cultural dynamic at work in the seminar due to the fact that nine of the students were Americans working towards a Ph.D. in German, one was a lecturer from Sweden, and five students were participants in one-year exchanges we entertain at our department with universities and foundations in Germany. This was not a routine seminar, and it would hardly be possible to teach a course like this every year. In my own career it was one of the most exciting and most satisfying seminars I have taught.

4. Fluchtbewegungen

Delimitations: Jefferson and Franklin

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Two Transatlantic Dreams: American Writers on Europe (2011)1 Delimitations: Jefferson and Franklin At various stages of the eighteenth and nineteenth centuries, different imaginaries of America developed in Europe. At first, the new beginning was expressed in biblical metaphors such as the „New Adam“ or the „Promised Land“; after that came the utopias of equality and democracy, and finally the American Dream was constructed, centering on the desire for individual freedom, social recognition and material riches. The American Dream was derived from Thomas Jefferson’s demand in the Declaration of Independence that the rights of American citizens to „life, liberty, and the pursuit of happiness“ be protected. Whether from religious, political or economic motives, in each case the early American imaginaries evinced a crystallization of polarities in which America was linked with the future, wide open spaces, upward mobility, prosperity, flexibility, freedom, equality of opportunity, and simplicity; Europe, by contrast, was linked with the past, old cities, narrowness, decadence, impoverishment, ossification, lack of freedom, privilege, artificiality, and fastidiousness.2 The travel notes of such personalities as Benjamin Franklin and Thomas Jefferson have been preserved. Franklin and Jefferson were intellectuals and politicians who, on the one hand, were aware of being rooted in European civilization, but, on the other hand, had ideas about a democratic state and an egalitarian society that could not be realized in Europe at that time. They conceived of themselves as American patriots who were using their scientific and political talents for the benefit of a new republic that was under construction. Their travel impressions bear testimony to this self-image. They emphasize that it is actually more

1 Paul Michael Lützeler: „US Authors on the ‚Old World‘: Competition Between the American and the European Dream“. In: Joachim Fischer, Rolf Stehle (eds.): Contemporary German-Irish Cultural Relations in a European Perspective. Exploring Issues in Cultural Policy and Practice. Trier 2012, pp. 25–41. 2 See Frank MacShane (ed.): The American in Europe. A Collection of Impressions Written by Americans from the Seventeenth Century to the Present. New York 1965, p. 9; Richard Ruland: America in Modern European Literature. From Image to Metaphor. New York 1976, pp. 3–38; Walter A. McDugall: Promised Land, Crusader State. The American Encounter with the World since 1776. Boston and New York 1997; Malcolm Bradley: Dangerous Pilgrimages. Trans-Atlantic Mythologies & the Novel. London 1995.

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important to stay home than to roam abroad, but since they are already touring around Europe, this is meaningful only in so far as that they stand to learn something from their travels that can usefully be applied in America. For Benjamin Franklin, cultural comparisons between the Old and New Worlds favored America. Thus he wrote: Whoever has traveled through the various parts of Europe, and observed how small is the proportion of people of affluence or easy circumstances there […] will, methinks, have abundant reason to bless divine providence for the evident and great difference in our favor; and be convinced, that no nation, known to us, enjoys a greater share of human felicity.3

Jefferson expressed similar, though slightly more ambivalent sentiments: Traveling makes men wiser, but less happy. When men of sober age travel, they gather knowledge which they may apply usefully for their country; but they are subject ever after to recollections mixed with regret; their affections are weakened by being extended over more objects; and they learn new habits which cannot be gratified when they return home.4

Evidently, Jefferson was afraid of the moral contamination of European vices. He had traveled across France while an envoy in Paris during the spring of 1787. In his correspondence on the subject he held strictly to the motto that only those things were worth remembering that could in one way or another benefit his own country’s agrarian economy. Thus there is constant discussion of agricultural matters, of vineyards and pastures, wheat and barley, figs and rice. He discovers a variety of rice which he recommends to the Society at Charleston for Promoting Agriculture, on the grounds that it would certainly be profitable to allow it to become established in South Carolina and Georgia. His interests in painting and in statuary remain limited, since in any case the relatively low living standards in America made these things unaffordable. In viewing France’s political structures, Jefferson once again notes the extent of poverty in many of French regions, realizing in the process – like Franklin – how much he values the relative equality (in the economic sense, also) that exists in the United States.5 Nor does Jefferson

3 See MacShane (ed.): The American in Europe, p. 10. 4 See Foster Rhea Dulles: Americans Abroad. Two Centuries of European Travel. Ann Arbor 1962, p. 2. 5 Thomas Jefferson: „A Tour Through Southern France – 1786“. In: MacShane (ed.): The American in Europe, pp. 72–81.

Expectations: From Margaret Fuller to Henry James

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think very highly of French jurisprudence, which he regards as far removed from the honesty and simplicity of American juristic processes.

Expectations: From Margaret Fuller to Henry James Between 1800 and 1830, few American intellectuals were drawn to Europe. Among those for whom Europe did still hold an attraction were Washington Irving and James Fenimore Cooper. Both were writers who wanted to learn from the European Romantics: from English Gothic novels and E.T.A. Hoffmann’s ghost stories, in Irving’s case, or from the historical novel, which had become popular through Walter Scott and which served to inspire Cooper. Both Irving and Cooper learned from the Romantics while transposing the action of their stories to the United States, as in Irving’s „Sketchbook of Geoffrey Crayon“ (1819), for example, or Cooper’s „Leatherstocking Tales“ (1824). A quarter of a century later, American writers were looking at Europe with different eyes. The revolutions of 1848 appeared, at least from the US perspective, to demonstrate to the world that the spark of American democracy had at last jumped over to the whole of Europe. Above all, Margaret Fuller must be named here. In 1846 she embarked upon a (long-planned) journey to the Old World and reported on her impressions in dispatches to the „New York Tribune.“ 1848 was one of the most turbulent and at the same time most hopeful years in Europe’s history. Local, regional, and national revolts broke out in about fifty places on the continent: in France, Austria, Prussia, Italy, Spain, Ireland, Denmark, Hungary and Rumania. With her classical education, Margaret Fuller was an influential East Coast intellectual, a publicist in the spirit of Transcendentalism as well as of Jeffersonian democracy. Among her accomplishments was that of being one of the founders of the American women’s movement. In England, France, and Italy, she came into contact with revolutionaries such as Giuseppe Mazzini, Adam Mickiewicz, George Sand, Robert Lammenais and Pierre Lerous. She developed a particularly close relationship with Mazzini, whom she perceived to be the head of the Roman Republic that had succeeded in driving Pope Pius IX out of the Eternal City. Fuller not only committed her pen to the cause of the revolutionaries but also helped care for the wounded. While in Italy, but especially in Rome – the ancient cultural center of the Continent – she saw herself as a witness to a historical event that was intimately connected to what the generation of George Washington and Thomas Jefferson had brought about seventy years earlier in America: the elimination of tyranny, the attainment of political freedom, and the creation of a united nation through revolutionary struggle. In contrast to the Americans’ uprising seven decades earlier, however, the 1848 revolutions in Europe failed,

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and Fuller subsequently left for America. She died in a shipwreck not far off New York in the summer of 1850.6 Larry J. Reynolds has shown that not only Margaret Fuller but American authors in general who published their great works around 1850 were strongly influenced by the 1848 revolutions in Europe. The year 1850 marks the beginning of the classical period of American literature, with masterpieces and bestsellers such as „The Scarlet Letter“ (1850) by Nathaniel Hawthorne, „Uncle Tom’s Cabin“ by Harriet Beecher Stowe, and „Moby-Dick“ (1851) by Herman Melville. These books deal with individual, social, and political problems in the United States. At the same time, they are unthinkable without the revolutionary happenings in Europe, which centered on the rights of the individual, the liberation of the underprivileged, and the struggle against overpowering monarchies. Among others, Herman Melville had spent time in France during the revolutionary events. Walt Whitman, meanwhile, had published his commentaries on the European revolution in the „New Orleans Crescent,“ where his poem „Resurgemus“ was published in 1850, marking the starting point of his legendary collection of poems, „Leaves of Grass.“ A celebration of American democracy, „Leaves of Grass“ was first published in 1855. Ralph Waldo Emerson, too, was in England and France during the spring of 1848. His widely read volume, „Representative Men“ (1850), dealt with Plato, the philosopher; Swedenborg, the mystic; Montaigne, the skeptic; the poets Shakespeare and Goethe; and Napoleon, the politician. Emerson’s „Representative Men“ is inconceivable without the challenges that were raised in Europe. This period is typically called the antebellum period, in reference to the American Civil War. The contact with Europe that authors sought at that time – which included the experience of the European revolutions and their failure – contributed to an understanding of the special character of American democracy, strengthening their awareness of the uniqueness of their own national identity.7 During the period that followed the end of the Civil War, consciousness of the exceptional character of the American way of life was growing. In the summer of 1867, Mark Twain embarked on a pleasure trip that was also meant to be educational, touring the Mediterranean on the steamship „Quaker City.“ The travelers visited the usual historic sites that are still on the itinerary of today’s cruise ships. Mark Twain reported on his excursion for newspapers in New York and San Francisco, publishing his impressions the following year in the volume „The

6 See Margaret Fuller: Dispatches from Europe, 1846–1850, ed. Larry J. Reynolds and Susan Belasco Smith. New Haven and London 1991. 7 See Joy S. Kasson: Artistic Voyagers. Europe and the American Imagination in the Works of Irving, Allston, Cole, Cooper, and Hawthorne. Westport 1982.

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Innocents Abroad; or, The New Pilgrim’s Progress: Being Some Account of the Steamship Quaker City’s Pleasure Excursion to Europe and the Holy Land.“ The report is not lacking in irony with regard to the judgments voiced by his fellow tourists on their experiences in Europe and the Near East. The allusion to a „new,“ i.e. mass tourism-style, pilgrimage reveals that this no longer has anything to do with either the puritanical-religious or the – as it were – late medieval allegorical conception of a pious Christian journey through life. However, the reason that this satirical book had such an impact – the reason why, from one day to the next, it made Mark Twain the most popular author in America – was the fact that American readers recognized the work as a kind of literary Declaration of Independence: Americans no longer looked at Old World history and current events with European eyes, but instead did so with a degree of distance that would have been foreign to the generation of two decades earlier, i.e., to the contemporaries of Margaret Fuller. For Mark Twain, the significance of the Mediterranean trip and its literary treatment lay in the fact that the America-Europe dialectic would subsequently make frequent appearances in his work. Thus, four years later he published a report of his trip by stagecoach across the American West, particularly through Utah, Nevada and California, which reveals even more clearly his contribution to the construction of a dual American identity. While not wishing to repudiate the memory of European traditions, he seeks simultaneously to uncover a utopian future dimension, one for which there is no precedent in Europe. Mark Twain’s message is that America wants to create something genuinely new. This confrontation between the Old European and the New American generates the tension in many of his tales and novels, but especially in „A Connecticut Yankee in King Arthur’s Court“ (1899). Here, European mythic memory competes with the American utopia of modernity, without glorifying either the legendary European past or the American technological optimism of which Mark Twain, in point of fact, had become highly critical.8 A contemporary of Mark Twain’s was the historian and philosopher of history Henry Adams. He was descended from one of the most distinguished families in New England: two of his ancestors – John Adams and John Quincy Adams – had been US presidents. Like Mark Twain, he had, as a young man, undertaken a lengthy European trip, and like Mark Twain, he had reported on his experiences in a tone that was at times more humorous and condescending than admiring. While a history professor at Harvard University, Adams published, between 1884 and 1891, a „History of the U.S.A.,“ in which America always comes off better than Europe in the binary oppositions that structure his cultural comparisons: Old vs.

8 See J.D. Stahl: Mark Twain: Culture and Gender. Athens and London 1994.

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New World, closed vs. open space, oppression vs. freedom, class society vs. equality of opportunity, corruption vs. integrity, artifice vs. simplicity, cult of the past vs. optimism about the future, war vs. peace, to mention only a few of the contrasts current at the time.9 In 1907, in his seventieth year, Adams published his autobiography, „The Education of Henry Adams.“ The narrative is less a story focused on the author’s personal life than an epochal description of an emerging America in the nineteenth century. In this retrospective, Adams did not hesitate to bring out the dark side of his country. He cited the indisputable American contribution to Western culture while at the same time submitting a catalog of America’s failings. In comparing the USA with Europe, Adams did not fail to criticize the evidently oppressive plainness and narrowness of the New World, which he compared unfavorably to the fascinatingly complex structures of the Old. In fact, he had already arrived at a more differentiated mode of comparison in a work initially published anonymously in 1880 under the title „Democracy: An American Novel.“ In this polyphonic or, as it were, dialogically structured book, every possible negative as well as positive viewpoint of America and Europe is given a voice; readers cannot have found it easy to orient themselves with regard to the pros and cons in the opinions expressed, much less to identify with any of the protagonists. However, what becomes clear: the society, cultures and politics of Europe and America are no longer conceived of in terms of the foregoing oppositions. Instead, corruption, warmongering, oppression and class arrogance are seen not just as European vices but as being in equal measure American, too. While Adams the historian constructed clichés about the differences in identities, utopias and cultures between the USA and Europe, Adams the novelist deconstructed the imaginaries of the Old as well as the New World. Henry James was the same age as Mark Twain and Henry Adams, and all three men shared a consciousness of existing American-European (i.e., transatlantic and cultural) ties, although Henry James evinced a greater degree of cosmopolitanism than Mark Twain, a trait he shared with Henry Adams. Adams and James had spent more time in Europe than Mark Twain. This cosmopolitan outlook also connected Henry James with Walt Whitman and Edith Wharton (the former his senior, the latter his junior). American characters in Europe were central to Henry James’ work. He followed Horace’s insight: caelum non animum mutant/qui trans mare currunt10 (the sky, but not the soul, changes when one undertakes a maritime journey). He emphasized his protagonists’ consistently American habits in

9 Gabriela Micks: „Henry Adam’s Version of the International Theme“. In: Revista di studi vittoriani 2/3 (1997): 33–58. 10 Horace: Epistles I. 11:27.

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their thinking and feeling. At the same time he acceded to their fascination with all things European. „It’s a complex fate being an American,“ James once wrote, „and one of the responsibilities it entails is fighting against a superstitious valuation of Europe.“11 Like all the nineteenth-century explorers of Europe, James visited England, France and Italy, or, to be more precise, London, Paris and Rome. James’s stance toward the cultural-educational ideals handed down by European writers, from Goethe to Heine, from Byron to Carlyle, and from Stendhal to Gautier, was less ironic and distanced than that of Mark Twain. Henry James is the cultivated New England gentleman who still has a duty to familiarize himself with the literature and art of the Old World as a matter of course. When traveling in Europe, James found himself on a passionate and also individual educational journey, much as Margaret Fuller had, and like her he reported on his travel impressions for the „New York Tribune“. In his satirical tale „Europe“ (1899) James made clear the extent to which, on the eastern US seaboard in the late nineteenth century, attitudes toward Europe had become purely a matter of ideology. The story concerns an elderly lady who lives with her three (no longer young) daughters in one of Boston’s better neighborhoods. For years, the daughters have dreamt of undertaking a European tour together, a journey that their mother had actually taken in her youth. The dream of Europe and the discourse surrounding it confer a degree of cultural and social distinction that these characters are quite unwilling to give up under any circumstances, even as they become secretly aware that their wishes are illusory – simply because they cannot afford to undertake the Grand Tour.12 The fascination of Henry James’s American characters with Europe is nevertheless so great that, in most cases, they cannot be dissuaded from their travel plans. Tragedy and comedy mingle in transatlantic entanglements as Henry James conceives them in „The Europeans: A Sketch“ (1878). Europeans are visiting their relatives in Boston, and while a budding romance involving one of the female characters ultimately cannot unfold because of cultural differences, another character finds a partner for life in spite of these differences. Significantly with James, Europeans find it easier to enter into a relationship in America than Americans do in Europe. Viewed as a whole, Henry James’s narrative work places discord, misunderstanding, and the inability to overcome identity differences at the very center when describing encounters between representatives of the Old and the New Worlds. This being the case, why then is Henry James regarded as being

11 Quoted in Christof Wegelin: The Image of Europe in Henry James. Dallas 1958, p. 3. 12 See William W. Stowe: Going Abroad: European Travel in Nineteenth-Century American Culture. Princeton 1994, p. ix.

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a cosmopolitan intermediary between the two Atlantic cultures? The fact of the matter is that James built into each of his novels a tendency that counters the failure of interpersonal relationships. His books are full of atmospherically dense depictions of various social milieus on both sides of the Atlantic – local peculiarities, beautiful urban attractions, artistic ambitions and reflections on the history of art, especially touching upon the paintings and architectural monuments of the Renaissance. Through James, the reader comes to experience not only American Boston but also the European cities of Paris, London, Rome, Venice and Geneva as they appeared in the late nineteenth century.13 This makes it possible to understand the author’s own, as well as his characters’, fascination with Europe. Edith Wharton, a generation younger than Henry James and influenced by him, shared his predilection for Euro-American cultural confrontations. She also emulated James in that she spent most of her time in Europe, especially in France, and specifically in Paris. In her essay „The Great American Novel“ (1927) she complained about the „meager material“ that the „safe, shallow, shadowless world“ of daily life in America afforded the imagination, praising the „dense old European order, all compounded of differences and nuances, all interwoven with intensities and reticences, with passions and privacies.“14 In her acclaimed novel of 1920, „The Age of Innocence,“ Wharton depicts an American divorcée who had grown up in Europe, where, through her association with artists and bohemians, she had become accustomed to an unconventional and unorthodox lifestyle. She returns to America, sowing confusion among her circle of friends and relatives, who still belong to the puritanical New York society of the 1870s. As with James, the transatlantic connection fails at the personal level – to the detriment of both sides; as with James, the European element remains a curiosity, one that can scarcely be integrated into American life.

Dialogues: From Gertrude Stein to James Baldwin Like Edith Wharton, the somewhat younger Gertrude Stein too had, before the First World War, voluntarily chosen the life of an expatriate in Paris. In „The Autobiography of Alice B. Toklas,“ which appeared in 1933, she described in

13 See Morton Dauwen Zabel (ed.): The Art of Travel: Scenes and Journeys in America, England, France, and Italy from the Travel Writings of Henry James. New York 1958, pp. 1–47. 14 Quoted in Katharine Joslin and Alan Rice (eds.): Wretched Exotic: Essays on Edith Wharton in Europe. New York 1993, p. 5.

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retrospect how American and European artists and writers had met in her Paris apartment: James Joyce, Ezra Pound, Ernest Hemingway, Henri Matisse and Georges Braque. During his stay in Paris in the post-war years, Hemingway typed Gertrude Stein’s family chronicle, written twenty years earlier, „The Making of Americans: Being a History of a Family’s Progress,“ thus making it possible for the book to come out in 1925. A distancing from the American myth was apparently necessary as a first step toward dismantling the fantasy of the American Dream. In Gertrude Stein’s chronicle, no social progress can be detected in the succession of generations; rather, there is a repetition of the same constellations, rituals, and fates of average people, whose representativeness the author repeatedly emphasizes. In an early work, „Three Lives“ (three stories that appeared in 1909), Stein also described the fate of two servant girls from Germany who end up in the United States, where they are destroyed by the relentless grind of a daily existence devoid of opportunities for personal fulfillment. Gertrude Stein inspired the next generation of American writers, among them F. Scott Fitzgerald, Ernest Hemingway and Theodore Dreiser15 (as well as Henry Miller), to integrate extended stays in Europe into their existence as writers. During the 1920s, Paris, along with a few places on the Riviera, had become writers’ colonies, as it were, for authors from the United States. However, these authors were less concerned with further elaborating transatlantic cultural comparisons in the sense of Mark Twain, Henry James, and Edith Wharton. At one level, this might be explained with reference to America having become an established economic and political world power, while Europe’s declining international influence following the First World War was becoming increasingly apparent. By virtue of having produced so many enormously gifted artists in cinema, music and architecture, the USA now outranked the Old World in many areas of cultural endeavor. Yet the novels of F. Scott Fitzgerald and Ernest Hemingway are free of any sense of superiority. Instead, these authors, who were both born around 1900, saw themselves, in the words of Gertrude Stein, as a „lost generation“ which followed neither an American nor a European dream. The First World War confronted them with widespread meaninglessness, nihilism, cynicism and inhumanity – thereby laying to rest the old American imaginary of the New Adam, along with the European Expressionist generation’s utopian hope for the emergence of a „New Human Being.“ They had no interest whatsoever in fundamental cultural differences between Americans and Europeans.

15 See Renate von Bardeleben: „Central Europe in Travelogues by Theodore Dreiser: Images of Berlin and Vienna“. In: Waldemar Zacharasiewicz (ed.): Images of Central Europe in Travelogues and Fiction by North American Writers. Tübingen 1995, pp. 144–158.

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No one depicted the crumbling of the American Dream with such fury and conviction as F. Scott Fitzgerald in his novel „The Great Gatsby“ (1925), set in America. In 1934, Fitzgerald published „Tender is the Night,“ a novel in which that decade is described as sharing the party mentality of the Roaring Twenties with the action transferred to the French Riviera, where a group of high-society Americans attempts – in vain – to banish boredom by means of an exclusive conviviality. Just as in „The Great Gatsby,“ the protagonist is destroyed by his own aimlessness, lack of self-restraint, attitude of expediency and callous indifference. In this case also – and unlike in the works discussed previously – the causes behind the characters’ ruin are not cultural complications between Europe and America, despite the fact that the usual milieus of Paris and Rome are featured once again. Instead, Fitzgerald views his characters as victims of social upheaval and personal failure who are buffeted by economic crisis and by their own drives, independently of whether the protagonists find themselves in America or in Europe. This perception is also apparent in his short story „Babylon Revisited“ of 1931. Here, following the start of the world economic crisis of 1929, a failed American stock market speculator returns to Paris, where just a few years previously he had experienced life as a series of unending festivities. He is finished both financially and personally, and the city, too, appears to him as empty, strange, and hostile. What economic crisis represented for Fitzgerald, the war was for Ernest Hemingway: overarching events that radically altered and threatened the lives of individuals. The two writers met in Paris.16 Fitzgerald, however, never felt truly at home in Europe,17 whereas Hemingway flourished in France and first became a novelist under the inspiration of Gertrude Stein and her circle of artists. The American in Europe, as the dominant character in a novel, is the exception in the case of Fitzgerald, but with Hemingway it is the rule. In contrast to Fitzgerald, with Hemingway European conditions are frequently the standard against which America measures itself, the catalyst that sets the action in motion.18 In the words of John Aldridge: „Hemingway found in Europe […] the perspective necessary to write about America with the distance of Europe and about Europe with the dis-

16 See J. Gerald Kennedy and Jackson R. Bryer: French Connections: Hemingway and Fitzgerald Abroad. New York 1998. 17 See W. R. Anderson: „F. Scott Fitzgerald“. In: Karen Lane Rood (ed.): American Writers in Paris, 1920–1939. Detroit 1980, pp. 132–150. 18 See Zvonimir Radeljkoviê: „Initial Europe: 1918 as a Shaping Element in Hemingway’s Weltanschauung“. In: Bernard Oldsey (ed.): Ernest Hemingway: The Papers of a Writer. New York 1981, pp. 133–138.

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tance of America.“19 In 1925, Hemingway published the collection of short stories „In Our Time.“ Here the experience of the horrors of the First World War leads to the realization that the imaginary of a new world is exhausted – and that the vision of an American alternative to Europe has lost its power to persuade. This insight is conveyed even more powerfully in Hemingway’s first novel, „The Sun Also Rises,“ which appeared a year later. Here too we encounter Americans in 1920s Paris. The novel’s hero is a journalist from the United States who has been rendered sexually impotent as result of a war wound. His English girlfriend is no less traumatized, as her fiancé was killed in the war. In the novel „A Farewell to Arms,“ published three years later, an American is once again portrayed as a participant in the war; here too a love story develops between the American and an Englishwoman – and, once again, this relationship is sacrificed in the general catastrophe. What emerges is a sense of pervasive absurdity and futility that can be addressed only by means of a personal ethos, one that is forced to manage without the support of tradition. This attitude toward life was not without influence on the younger generation of philosophers in Paris, as one can glean from the existentialist philosophy of Jean-Paul Sartre. The only member of the „lost generation“ to embark again upon a cultural comparison between young America and old Europe was Henry Miller. However, the preference here is not for Europe in general, but for a country on the southeastern periphery of the continent – namely, Greece. Countries such as England and France, with their commerce and industrialization, were no alternative to the United States, as far as Henry Miller was concerned. His 1941 travel report, „The Colossus of Maroussi,“ is the result of a trip that Miller had taken shortly before the outbreak of the Second World War. In his descriptions of landscapes and cities he celebrates the beauties of Hellas, where a great deal of the atmosphere of the ancient world had been preserved – for example, in Delphi. This high regard for Greece becomes understandable when one compares „Colossus“ with „The Air-Conditioned Nightmare,“ a comprehensive indictment of America presented by the author four years later. These sketches in the latter are the product of a journey back and forth across the USA, from New York to Hollywood and from Boston to Texas. The book is anything but a document of joyous rediscovery after a long absence; rather, it is an attack on a kind of American bad dream. Wherever he looks, Miller sees symbols of the conformism of the machine age and the hollowness of modern civilization. In this case, too, the American Dream appears to be over.

19 John W. Aldridge: „Hemingway and Europe“. In: Shenandoah 12/3 (1961): 11–24.

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In the decades following the Second World War, New York City became – to a certain degree – what Paris had been before 1939: the Mecca of international literature. American writers’ urge to move to Europe lessened, and the pilgrimage now went in the opposite direction. Just as Hemingway had been emblematic for the American writer in Paris, Uwe Johnson, author of „Jahrestage“ („Anniversaries“), came to embody the European author in New York. This is not to say that US novelists had written Europe off completely. Instead, what defined the idea of Europe for the next generation of American writers was the European vacation rather than the cultural pilgrimage, the lecture tour rather than the change of residence, and the literature festival rather than the experience of living as an expatriate in the Old World. Two exceptions in this regard were the African-American authors Richard Wright and James Baldwin, both of whom spent several years in Paris after the Second World War as they sought to escape racial discrimination in their own country. Richard Wright arrived in Paris as early as 1946, and was welcomed by French intellectuals such as André Malraux and Jean-Paul Sartre. After the end of the German occupation, representatives of such cultural currents as AfricanAmerican literature and jazz were particularly welcome, as these had been despised and persecuted by the National Socialists. The widespread anti-Americanism in France at that time did not apply to African-Americans, who, after all, had turned their backs on their native country in order to live freely in France, where there were no racist laws. Universalist humanism enjoyed a long tradition in France, and in the beginning Wright experienced his exile as a new home. Thus he wrote in the notes „I Choose Exile“: „I’ve found more freedom in one square block of Paris than in the entire United States.“20 Wright was at first elated at the absence of racial segregation and racial prejudice. Then, however, he began to focus on French colonialism, and in 1955 took part in the historic conference in Bandung, Indonesia, where the non-aligned Third World nations met and declared their opposition to European colonialism in Asia and Africa. Within the sphere of the anti-colonial movement, Wright found a new intellectual home; he subsequently came to view conditions in France much more critically. For James Baldwin, who came to Paris in 1948, leaving his country amounted to a life-saving maneuver.21 His biographer, James Campbell, certainly views it

20 Quoted in Rebecca Ruquist: „Non, nous ne jouons pas la trompette: Richard Wright in Paris“. In: Contemporary French and Francophone Studies 8/3 (2004): 285–303, here p. 291. 21 Gerald Early: „The Ethics of Reading a Grammar Book. Five Notes on the Black American as the Stranger Abroad“. In: Paul Michael Lützeler und Jennifer M. Kapczynski (eds.): Die Ethik der Literatur. Deutsche Autoren der Gegenwart. Göttingen 2011, p. 20–49, here p. 44–49.

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this way.22 Baldwin could not bear the racism in New York during the late 1940s, and his departure from there can be described as a flight. The author was a lifelong intellectual and proponent of political protest and cultural resistance, and his 1955 collection of essays, titled „Notes of a Native Son,“ expressed the twofold resistance he offered – to a majority white American society, and against its condemnation of homosexuality. In the novel „Giovanni’s Room,“ which appeared in 1956, Baldwin portrayed an American in Paris who, as a homosexual, had feared being treated as an outcast in the United States and fled to France. There he becomes entangled in an affair with a man as well as with a woman; it turns out that, although he is not in danger of social ostracism in Paris, he is at the same time unable to resolve his own „gender trouble“ – the man who loves him loses his bearings, and his girlfriend leaves him. In the end, life in Paris becomes a nightmare for him, too. The striking thing about the book is the description – recalling Henry James – of outward life in Paris: the market halls, the bars, and the world of the big city in general.23 Like all the previously mentioned authors – particularly Henry James – Baldwin wrote in Europe for a reading public in the United States. But unlike Henry James, we have here (as with Richard Wright) a postcolonial author. Baldwin was conscious of the hybrid nature of the cultures with which he came into contact. He understood what it meant to be excluded; he touched on the problems of the Third World while in exile in Paris, and – unlike the older Wright – he maintained a considerable distance from the representatives of Negritude. At the same time, he defended and incorporated into his work African-American cultural traditions that had, up to that point, been marginalized both in the USA and in Europe.24 A transitional figure in this transatlantic climate change was Jack Kerouac. Although no longer willing to commit himself to spending entire years in Europe, he still could not do without the „Big Trip to Europe,“ as one of his travel reports is called.25 On a February morning in 1957 he crossed the Atlantic on a Yugoslav freighter, landing first in Morocco and reaching his long-desired goal, Paris, by way of Gibraltar, Marseilles, Aix-en-Provence and Arles. Wherever he stays during his journey, he thinks with excited anticipation of Paris. Once there, he celebrates

22 See James Campbell: Talking at the Gates. A Life of James Baldwin. New York 1991, p. 56. 23 See Eric Savoy: „Other(ed) Americans in Paris: Henry James, James Baldwin, and the Subversion of Identity“. In: English Studies in Canada 18/3 (1992): 335–346. 24 See Lloyd Kramer: „James Baldwin in Paris: Exile, Multiculturalism and the Public Intellectual“. In: Historical Reflections/Réflexions Historiques 27/1 (2001): 27–47. 25 Jack Kerouac: „Big Trip to Europe“. In: Patricia Craig (ed.): The Oxford Book of Travel Stories. Oxford 1996, pp. 198–223. In July of 1965 Kerouac once again spent time in Paris, although this was a less productive stay. See Tom Clark: Jack Kerouac: A Biography. New York 1984, p. 203.

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Two Transatlantic Dreams: American Writers on Europe (2011)

the French capital as „the Queen of Cities.“ He discovers Montmartre for himself as a place of particular affinity, remarking, „Now I know where I would live if I ever came back to Paris.“ Yet the fact is that for members of the Beat Generation, to which Kerouac belonged, European journeys no longer held much interest. For them the USA had long since become a more worthy subject for literature than Europe. Kerouac had already completed his most important – and thoroughly American – book, „On the Road,“ before his European trip, but it was not published until 1957, the same year as the trip to Paris. „On the Road“ became the cult book of young Americans during the late 1950s and the 1960s. If one compares the weightiness and international success of „On the Road“ with the short report on the Paris trip, the extent to which the preferences of American writers had shifted becomes apparent. From now on the United States (and not Europe) is the center of literary interest, and the transatlantic interplay between the two continents has changed. In the last decade, i.e. since the start of the Iraq war, several American publicists (not US writers), have rediscovered Europe. Jeremy Rifkin’s book, „The European Dream“, attracted particular attention.26 It seeks to demonstrate, as Gertrude Stein, Ernest Hemingway and Henry Miller had already done, that the American Dream has lost its credibility. Rifkin points to recent changes in fundamental moral concepts that can be observed both in the United States and in Europe. He argues that the American Dream has shrunk from a wide-ranging social vision of a free, democratic society to a short-sighted, materialist, egoistic goal. These ideas, according to Rifkin, are quite compatible with a self-righteous religiosity, and have already affected the polity as a whole. Contemporary American domestic politics are characterized by indifference to entire segments of the population sliding into poverty, and by ignorance with respect to the ecological harm caused by industrial activity. As to foreign policy, America started a war on a false pretext, without regard for international law. All of this stands in contrast to the new „European Dream“ of the so-called „ERASMUS Generation“ of young Europeans, who have learned to think beyond nationalistic egoisms. Champions of the European Dream are characterized by their support for multiculturalism, defense of human rights, belief in international law, striving toward social responsibility, respect for nature and the environment, and commitment to continental and global peace and freedom – not only for themselves, but also for their fellow human beings. The best parts of the

26 Jeremy Rifkin: The European Dream: How Europe’s Vision of the Future is Quietly Eclipsing the American Dream. New York 2004.

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old American Dream have, as it were, migrated to the European Dream. The love of peace, the principle of national self-determination, the upholding of human rights: all of these had once been central components of the earlier understanding of the American Dream. A similar argument is made by T. R. Reid in „The United States of Europe.“27 Rifkin’s and Reid’s kind of romanticization of the European Dream is quite unrealistic, but it can be seen as an expression of a general intellectual discontent during the two administrations of George W. Bush. When one observes the varying attitudes of American writers and publicists toward Europe across more than two centuries, there is a conspicuous arc that stretches from the explicitly distanced interest of the self-confident Founding Fathers to the insecure generation in a new century and a new millennium who view Europe with apparent envy and admiration. In their attempts to determine – and to change – American identity, memory, and utopia, writers from the United States became involved in transatlantic comparisons. It is this constantly articulated curiosity about the other side of the Atlantic that continues to animate the dialogue between Europe and the USA. A dialogic relationship remains one of the motive forces of cultural development on both sides of the Atlantic. Were this engine to fail, i.e. were America and Europe to turn away one from the other, then the cultural energy of each would be reduced. In the post-Yalta era, the dependence of Europe on the United States, and of the United States on Europe, may be weakening28 – but ongoing exchanges, partnership, and mutual critique will remain indispensable conditions of cultural creativity.

27 T. R. Reid: The United States of Europe: The New Superpower and the End of American Supremacy. New York and London 2004. 28 See Paul Michael Lützeler: „Nachwort: An Atlantic Dream? Europa und die USA“. In: P.M.L.: Kontinentalisierung: Das Europa der Schriftsteller. Bielefeld 2007, pp. 274–280; Michael Böhler: „High and Low. Zur transatlantischen Zirkulation von kulturellem Kapital“. In: Angelika Linke and Jakob Tanner (eds.): Attraktion und Abwehr: Die Amerikanisierung der Alltagskultur in Europa. Köln 2006, pp. 69–93.

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“The City of Man”: Thomas Mann’s Initiative in American Exile (2003)

„The City of Man“: Thomas Mann’s Initiative in American Exile (2003)1 War Against Hitler: Thomas Mann In the late 1980s a provocative book appeared that upset many professors of German literature in the United States, especially experts on exile literature. In his book „The Closing of the American Mind,“ Allan Bloom discussed what he termed the negative impact of the German connection on American culture of the twentieth century.2 The emigrants who fled Hitler’s Germany in the 1930s appeared to Bloom to constitute an unwelcome intellectual invasion. With their psychoanalytical theories and their ideas on the relativity of values, the exiled authors had, according to Bloom, destroyed the traditional educational canon of American colleges and universities – that is, they had cast doubt on the American ideals of common sense, religion, and justice. The cultural-political unease of the last decades, the questioning of the dominant American identity concept by the student movement, by feminist studies, and by the multicultural discourses was traced back to the influence of the European emigrants of the 1930s and 1940s, and especially the German emigrants. Bloom’s analysis is as one-sided as it is un-dialectical. First of all: although the impact of the Hitler refugees should not be underestimated, it is obvious that the more recent emancipation movements in the United States are deeply rooted in the traditions and founding documents of American democracy. Secondly, the refugees from Germany and Austria not only left their mark on the American educational arena, but they themselves in turn were influenced by the experience of the American way of life. Many intellectual contributions of the exiled authors show a kind of hybrid American-European cultural mixture. Discussion of Bloom’s book and the opposition to its main theses showed how strongly the ideas of cultural plurality are anchored in the American educational environment. The experiences of the exiled authors themselves stand in stark opposition to Allan Bloom’s thesis.3 As Ernst Bloch4 has shown, exile often leads to a modifica-

1 Paul Michael Lützeler: „Visionaries in Exile: Broch’s Cooperation with G.A. Borgese and Hannah Arendt“. In: Paul Michael Lützeler et al. (eds.): Hermann Broch, Visionary in Exile. The 2001 Yale Symposium. Rochester N.Y. 2003, pp. 67–88 (shortened version). 2 Allan Bloom: The Closing of the American Mind. How Higher Education has Failed Democracy and Impoverished the Soul’s of Today’s Students. New York 1987. 3 Paul Michael Lützeler: „Exilforschung. Interdisziplinäre und interkulturelle Aspekte“. In: P.M.L.: Klio oder Kalliope? Literatur und Geschichte. Berlin 1997.

War Against Hitler: Thomas Mann

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tion of the émigré’s values, but also gives the émigré outsider the opportunity to question the conventions and conformities of their host country. While the loss of the former community can be a traumatic experience, the exiled writer or scholar profits from the widening of his or her intellectual horizon through confrontation with other traditions and different ways of thinking.5 The refugees from Hitler did not confine themselves to questioning of American values. Nearly all of them supported fundamental American concepts of human rights and democracy in their struggle against National Socialism. The émigrés’ affinity for and support of American political values is documented in many of their writings. „The City of Man“ of 1940, a product of the cooperation between American intellectuals and exiled authors, is a prime example.6 „The City of Man“ had been published by Viking Press in New York, a prominent publisher at that time. The title of the book was a reference to Augustine’s utopia „De civitate Dei,“ and the authors probably had a secularized, modern utopia in mind when they chose this particular title: „God“ is replaced by „Man.“ At the same time, it is obvious that one understands Augustine’s philosophy – with its mix of Greek, Roman, Christian and Jewish thinking – as a base on which to build. Like Augustine, the authors felt they were at the dawn of a new era, an age that would necessarily follow the present world historic crisis. This is obvious from the text of their dust jacket, which reads: The signers of this Declaration call upon everyone within hearing of their voices to throw aside the despair and disillusion that the events of our day have induced, and to accept the desperate crisis itself as a vantage point from which the wrongs of the past can be effectively challenged by a living program for democracy in the future. The men and women whose deepest convictions are expressed in this joint manifesto are spokesmen of many cultures and many human pursuits. They have gravitated together because they know that for the moment the tasks on which they are individually engaged must give way, and that they must contribute the weapons they possess to the common cause of mankind.

The „despair of our day“ to which this text refers was Hitler’s victory over France in the spring of 1940 and the fear that Europe would fall victim to the totalitarian powers. The jacket continues:

4 Ernst Bloch: „Zerstörte Sprache – zerstörte Kultur“. In: Egon Schwarz und Matthias Wegner (ed.): Verbannung. Aufzeichnungen deutscher Schriftsteller im Exil. Hamburg 1964, pp. 188ff. 5 Sidra DeKoven Exrahi: Booking Passage. Exile and Homecoming in the Modern Jewish Imagination. Berkeley 2000, pp. 10–11. 6 Herbert Agar, Frank Aydelotte, Giuseppe A. Borgese, Hermann Broch, Van Wyck Brooks, Ada L. Comstock, William Yandell Elliott, Dorothy Canfield Fisher, Christian Gauss, Oscar Jaszi, Alvin Johnson, Hans Kohn, Thomas Mann, Lewis Mumford, William Allan Neilson, Reinhold Niebuhr, Gaetano Salvemini: „The City of Man“. New York 1940.

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“The City of Man”: Thomas Mann’s Initiative in American Exile (2003)

Those weapons are formidable, for the authors of „The City of Man“ are representative of the highest attainments of the modern mind. It is possible that their Declaration, which thrusts to the roots of the world’s sickness and proposes a cure based on universal verities rather than on debatable specific strategies, will be as epoch-making a statement for a new democratic era as other great Declarations have been in their times.

With the words „other great Declarations“ they were referring to the founding documents of the United States: the Declaration of Independence and the Bill of Rights. The book (or rather the promotion of the publishing company) promised a lot, certainly more than it could deliver. Thomas Mann was the most prominent of the authors of „The City of Man“. Under „Princeton, November 17, 1939,“ the author made the following entry in his diary: „Zum Thee Meisel, Borgese, Marck und Broch. Diskussion über den Plan eines Sammelwerkes zur Vorbereitung eines restaurierten Abendlandes.“7 At first glance one is puzzled. „Restoration of the West?“ Does this not sound like a project responding to „The Decline of the West“ (2 vols., 1918–22) by the conservative philosopher Oswald Spengler? That would be a misunderstanding. What was discussed here was nothing less than a strategy to help mobilize the United States as Hitler’s primary opponent, to support those political circles in the United States that wanted to declare war against Germany. Hitler had started the war three months earlier with his campaign against Poland. The plan was to publish a book that would aim to convince the American public that war with Germany was unavoidable; that the war could be won; and that this would mean a major victory for the democracies. The majority of Americans – and Congress – did not want to go to war at the time, which was understandable, since they had barely overcome the effects of the Great Depression. As late as 1940–41, Roosevelt was able to win his third term as president only by promising to keep the US out of the war.8 An interesting coincidence: „The City of Man“ appeared in November 1940, at the time when Roosevelt had just won the election. The book has two dimensions: one political and one utopian. The political aspect is concerned with convincing the American public to enter the war against Hitler; the utopian element becomes clear when the authors outline a political and social philosophy that could be used in the ideological fight against the racism and imperialism of the National Socialists and fascists as well as against the communist utopia as propagated by Stalinism. So far as bringing the US into the war is concerned, this seemed to be

7 Thomas Mann: Tagebücher 1937–1939. Ed. Peter de Mendelssohn. Frankfurt am Main 1980, p. 502. 8 Frank Freidel: Franklin D. Roosevelt. A Rendevous with Destiny. Boston, New York, London 1990, pp. 341ff.

World Democracy: Borgese and Broch

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nearly impossible: it took the Japanese attack on Pearl Harbor in December 1941 to change the minds of the American public. Thomas Mann had fled Nazi Germany in 1933. He first went to Switzerland, then in 1938 he immigrated to the United States.9 He lived in Princeton until March 1941, a neighbor of Albert Einstein. During the spring of 1939 Giuseppe Antonio Borgese visited Mann in Princeton to secure his support for Borgese’s own political plans. Borgese, a now-forgotten Italian intellectual, was a historian and political scientist with a penchant for writing novels and who had pronounced literary interests. He had turned his back on Mussolini’s Italy as early as 1931 and had caused a stir with his anti-fascist book „Goliath: The March of Fascism,“ which came out in 1937.10 Borgese became acquainted with the Mann family during their American exile in Princeton. He fell in love with Mann’s youngest daughter Elisabeth, and he married her on November 23rd, 1939. In 1940 he was offered a chair in Italian Studies at the University of Chicago. Robert Hutchins, the liberal and reform-minded President of this university, made it possible. Since the early 1930s Hermann Broch had been in touch with Thomas Mann. In 1936–37, Broch wrote his „Völkerbund-Resolution,“11 an anti-Nazi study in defense of human rights, a resolution that Mann had intended to publish (at least in part) in his exile literary journal „Maß und Wert.“12

World Democracy: Borgese and Broch For both Borgese and Broch, the Munich Agreement of September 1938 had meant a change in their way of thinking. The Munich Agreement was a result of French and British appeasement politics: it signified the capitulation of the West European democracies vis-à-vis Hitler’s dictatorship. From that point on, both Borgese and Broch were no longer merely concerned with conducting a journalistic fight against dictatorships. They wanted to rethink the principles of democracy: to propose a new theoretical basis for democratic states in light of the moral and political weakness of the Western democracies. These three exiled intellectuals did not waste time lamenting their fate as refugees, reflect morosely on the yoke of their exilic existence, nor complain about the disadvantage of their diasporic and nomadic life. What was on their minds was a clear political aim: to contribute in

9 Hermann Kurzke: Thomas Mann. Das Leben als Kunstwerk. Munich 1999. 10 Guiseppe A. Borgese: Goliath. The March of Fascism. New York 1937. 11 Hermann Broch: Politische Schriften, Bd. 11 der Kommentierten Werkausgabe, ed. Paul Michael Lützeler. Frankfurt am Main. 1978, pp. 195–231. 12 Paul Michael Lützeler: Hermann Broch. Eine Biographie. Frankfurt am Main 1985, pp. 209ff.

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their way to the fight against National Socialism. At the end of 1938 and the beginning of 1939, both Borgese in Chicago and Broch in New York gathered small circles of like-minded people who were to help in the realization of their plans. In May 1939, Borgese had circulated an initial memorandum to the future members of the group. The memorandum (which is included in „The City of Man“) was sent out three months before the outbreak of the Second World War, but its authors foresaw what was coming. The memorandum reads, in part: A military victory of Nazism or Fascism probably allied with Japan would certainly include a challenge of some sort, within a relatively short span of time, to the security and independence of the U.S.A. […] Therefore, whatever concerns the European nations concerns ourselves. (99)

The memorandum stresses the point that the endeavor will be a team effort of American and exiled European intellectuals. It says: The collaboration of what is best in American culture with what is best in European intellectual immigration might be the source of incalculable benefits for the active intelligence of tomorrow. (101)

The plan was to start „a deep, systematic, and unbiased study of the problems harassing the Europe of today, problems of political and national as well as of social, economic, and even biological nature“ (101). The members of this group should, according to the memorandum, be free of any allegiance except to truth and of any obedience except to the laws of this country; they should also be as free as possible above and beyond the crystallized or crystallizing interests of classes or groups engaged in mutual strife. […] It is not Utopian to suppose the Europe of today […] would mean a substantial help to the statesmen who will be called sooner or later to build a new world from ruins. (101–104)

The Borgese group wanted to convince the American public that isolationism would make no sense, that it would only play into Hitler’s hands. At a time when the war had not even started, the Borgese group was already making plans for postwar Europe. The group suggested founding a Europe Committee, which should make plans for a new „League of Nations“ or even for a democratic „World Government.“ In other words, they were trying to learn from the mistakes that had been made when the League of Nations was founded after the First World War, and they started thinking about a new institution that would later evolve into the United Nations. But the group was not merely making plans for the postwar period abroad; it also wanted to contribute to reforming democracy within the United States. The group made plans for what it called a „new world order“ and to redefine Ameri-

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can democracy. The American idea of the new world order is much older than one might think; it was formulated half a century before the historic changes of 1989. On March 28, 1940, Borgese’s Committee on Europe sent invitations for memberships to a series of American and exiled European intellectuals. In the meantime, the war had been going on for six months. The acute world political situation is a major topic in this letter of invitation. The letter reads: The forecast that our civilization is bound for a crisis even more severe than was the downfall of ancient civilization may well sound like the overemphasis of frightened imaginations. There hardly seems to be, however, any substantial exaggeration in the statement that all the systematic structures that have been proposed to modern society either collapsed or show ominous cracks. No one of the intelligence can feel anything but loathing for the spirit of Nazism and Fascism. (109)

The letter envisions a „third road“ (or third way) between capitalism and socialism. It talks about a „vision of a third road which should not take society either to the jungle of the ruthless competition or to the prison of crushing regimentation“ (109–110). This letter of invitation bore the signatures of Guiseppe Antonio Borgese, Robert Hutchins, Thomas Mann, Lewis Mumford, William Neilson, and Reinhold Niebuhr, that is, of four American intellectuals and two European refugees. Subsequent to this letter of invitation, six meetings were arranged: the first one was introductory, the second dealt with war and peace and the future world order, the third with definitions and redefinitions of democracy, the fourth with education and religion, and the fifth with economic reform. Broch was one of the new members they had recruited, and he was to influence the project considerably. He was particularly involved in the discussion on democracy and economic reform. William Allan Neilson, president of Smith College, was elected chair of the committee, and Giuseppe Antonio Borgese became the secretary. The important sixth meeting took place two months later. The enlarged Europe Committee met in the Haddon Hall Hotel in Atlantic City, New Jersey, for a three-day conference from May 24 to 26, 1940. In the course of this meeting, the Europe Committee renamed itself the Committee of Fifteen, since it had fifteen members. The change of name also indicates that the Borgese group was no longer concerned solely with the European problem. Hermann Rauschning’s book „Gespräche mit Hitler“13 had appeared at the beginning of 1940 and revealed that, in the author’s view, Hitler intended not only to subjugate all of Europe, but that he planned to dominate the globe. On March 3rd, 1940, Broch wrote to Borgese: „Die ‚Gespräche mit Hitler‘ geben ein recht komplettes und

13 Hermann Rausching: Gespräche mit Hitler. New York 1940.

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m.E. auch ein recht authentisches Bild von dem politischen Welt-Konzept, das Hitler in seinem Hirn, in seiner Seele, in seinem Herzen hegt und dem er dient: es ist das Konzept einer neuen Welt-Sklavenwirtschaft.“14 The Borgese group wanted to oppose Hitler’s concept of global terror with a program for international democracy. While the group was holding this conference in Atlantic City, the battle for France was being fought, soon ending in victory for Hitler. It was a crushing defeat for European democracy, and continental fascism became the – literally – crushing force in Europe. Mann’s diary reflects the depression that reigned among the conference members. Under the heading „Atlantic City, Sonnabend den 25.V.40,“ he wrote: Gestern sehr schwerer Tag, tiefer Gram über die schauerliche Hoffnungslosigkeit der Kriegslage, trostlos dunkles und nasses Wetter, Erschöpfung durch die Teilnahme an den Sitzungen den ganzen Vormittag und nachmittag von 1/2 4.

Thomas Mann’s commitment was blended with skepticism, as the rest of his diary entry shows: Hatte bei der Vormittagssitzung im Backwell-Room den Vorsitz und hielt, mit ganzem Einsatz, meine Ansprache, die Eindruck machte, nicht so sehr durch das Was, und ausnahmsweise Beifall auslöste. Die Sitzung diffus, nach vielen Seiten gehend, endete erst nach 1/2 1.15

Mann’s speech was probably a shorter version of his lecture „The Problem of Freedom/ Das Problem der Freiheit“ of 1939.16 The most prominent American member of the Borgese group was the architect and city planner Lewis Mumford. It is to his autobiography „My Works and Days“ that we owe the fullest account of the Atlantic City meeting.17 Of its leader, Mumford wrote: Antonio Borgese, with his swarthy Sicilian skin, his beetling brows, his protrusive underlip, quietly dominated. He has a voice that is usually strong and sonorous, but sometimes caressing: always speaking with eloquence, in the ironic vein of Settembrini in „The Magic Mountain“, but no windbag. (391)

14 Hermann Broch: Briefe 2: 1938–1945. Bd. 13/2, Kommentierte Werkausgabe. Ed. Paul Michael Lützeler. Frankfurt am Main 1981, p. 172. 15 Thomas Mann: Tagebücher 1940–1943. Ed. Peter de Mendelssohn. Frankfurt am Main 1982, pp. 81–82. 16 Thomas Mann: „Das Problem der Freiheit“. In: Ders. Gesammelte Werke 9: Reden und Aufsätze I. Frankfurt am Main 1982, pp. 952–972. 17 Lewis Mumford: My Works and Days. A Personal Chronicle. New York and London 1979, pp. 391–392.

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Hermann Broch is the „stoop-shouldered, pipe-smoking intellectual, outwardly an Austrian Sherlock Holmes, a brilliant mind“ (391). Hans Kohn, the historian and philosopher of law from Prague, had immigrated to the United States in 1933. He had first taught at the New School for Social Research in New York, a haven for many exiled scholars, and joining the faculty at Smith College in 1934; Allan Neilson, President of Smith, had recruited him to the group. Mumford portrays Hans Kohn as: another Central European, a heavy-set man with a kindly pasty face, an earnest pessimistic air. He talked volubly, but with great dialectical skill, real insight, well-supported arguments and unshakable moral conviction. (391)

Another émigré participant was Gaetano Salvemini, an Italian like Borgese. He was a historian of medieval and modern European history and had been a member of the Italian Parliament until Mussolini had come to power. In 1932, he immigrated to the United States and taught history at Harvard from 1933 to 1948. In 1936, he had published the anti-Mussolini book „Under the Axe of Fascism.“18 Of him Mumford wrote: At the opposite pole was Gaetano Salvemini, with his snub-nosed, Socratic head. He has a squeaky voice, a bubbling humor, an able rationalist mind; ebullient, vehement, sometimes almost grotesque. (391)

Of Thomas Mann: Thomas Mann, grave, genial, aloof, a little shy, still because of his English, was silent most of the time; but his deep feeling in the reading of his paper on democracy impressed everyone: at one point he could hardly keep back his tears. (392)

Just as interesting and telling are the portraits of some of the American participants like Herbert Agar, author of books on the political history of the U.S.; William Allan Neilson, from Smith College; and Reinhold Niebuhr, the theologian from New York. In Mumford’s words: Herbert Agar, a lean, self-contained man, with a low voice, had none of this European vehemence. He shares this trait with Yandell Elliott from Harvard; but in his quiet reserved way Agar was one of the most forceful personalities there. Then there was President William Allan Neilson of Smith College, now over seventy; still admirably alert and hopeful: not perhaps an original mind, but a highly intelligent one, his judgments salted by quiet humor. I have still to describe the blue-eyed Reinhold Niebuhr with his bold head, the most Dürerlike of our whole group. He spoke with an excessive inner pressure, too rapidly for the fullest effect, but still impressive. (392)

18 Gaetano Salvemini: Under the Axe of Fascism. New York 1936.

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Mumford wrote about the first day of the conference: At the beginning our minds met in a series of personal affirmations and discussions, superior in moral texture to those of any other group I had ever worked with. The tragic decision we were all facing lifted our spirits to the highest plane: a plane well above our private egoisms, vanities or ambitions. (392)

But this positive mood changed soon afterwards. William Benton, then director of a Chicago advertising firm, had been recruited as a possible financier of the project. In the course of the conference he suddenly declared that this group of intellectuals was a non-starter, that – and this in Mann’s and Mumford’s presence – they were all simply too obscure for their book to be a success. Here one has to mention that „The City of Man“ was originally planned as an ongoing project that would publish a series of contributions treating American democracy and world politics. This is mentioned in letters from Broch to Eric Voegelin of September 1940 and February 1941.19 (Due to lack of subsidies, only this one volume appeared.) The Borgese group decided to continue the project in spite of the lack of long-range financial backing, due not least to Mumford’s speech in favor of carrying on. Borgese, Broch, Agar, Elliott, and Neilson then formed a subcommittee to mount another conference, which took place at the Bartram Inn in Sharon, Connecticut (near Mumford’s country house in Amenia, New York) on August 24–25, 1940. Four days after the Sharon conference, Broch wrote (in typical immigrant English) about it to his friend Henry Seidel Canby, then Yale professor of English and American Literature and also the editor of „The Saturday Review of Literature:“ I would like to remain in the good mood in which I came away from Sharon. Our days there seemed to be under a lucky star and, quite irrationally, a glimmer of hope for my personal fate – something that could give my life meaning again, perhaps by helping to build the new world which „must“ be born of all this fighting.20

In Sharon, Connecticut, the Borgese group drew up the declaration and worked out a proposal. Both the theoretical declaration and the more practical proposal appeared in „The City of Man“. It came out three months later in November 1940. Borgese had undertaken the final editing and Broch assisted him. Broch dealt with economic issues, and his correspondence with Borgese shows what he con-

19 Herman Broch – Eric Voegelin: Ein Briefwechsel im Exil. 1939–1949. Ed. Thomas Hollweck. München 2007. 20 Unpublished, Yale University Library (YUL); Broch-Archives in the Beinecke Rare Book Library, New Haven, Connecticut.

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sidered important: first, a combination of free and planned economic policy (Broch called this the „third road“ or „third way“ between capitalism and socialism) and second, an „Economic Bill of Rights,“ securing the right to work, a right that remains utopian to this day. Broch had given Thomas Mann a copy of his contribution, and on October 17th, 1940, Mann noted in his diary: „Gelesen gute ökonomische Bemerkungen von Broch.“21

America’s Mission What pronouncements and demands are made in „The City of Man“? The declaration begins with a description of the catastrophic world situation in 1940: the appeasement policy of France and England had brought Europe to the brink of ruin, and those nations not yet subjugated were putting all their hopes on America. Their hopes must not be disappointed – this is the major anti-isolationist message of the book. America, with its democratic political system, should offer a humane alternative to National Socialism. However, American democracy, like European democracy, was undergoing a profound crisis, and fascism could be opposed only by a revitalized democracy. As the most powerful of those nations with a democratic constitution, the United States should strive to ensure that democracy was held in high international regard and should work for the realization of universal peace as opposed to the fascist glorification of militant heroism and war mongering. This peace could be ensured only if it were protected by a universal democratic state – a state of states. The old Eurocentrist plans gave way to the idea of a democratic world state with the United States at its center. „The City of Man,“ we read, „must be much more than a League of Nations or a coalescence of continents. It must be the Nations of Man embodied in the Universal State, the State of the States“ (392). The time of nation states is over, the book declares. Just as nations arose after the collapse of the Roman Empire, so now they must merge into a new world state in which each would be subservient to the whole. Switzerland was cited as a model for a future federal multi-nation state. Like Switzerland,

21 Thomas Mann: Tagebücher 1940–1943. Ed. Peter de Mendelssohn. Frankfurt am Main 1982, p. 167. Altogether seventeen people lent their names to the book. Apart from those already mentioned, the group included Frank Aydelotte, director of the Institute for Advanced Study in Princeton and a former president of Swarthmore College; Van Wyck Brooks, the writer and critic; Ada L. Comstock, principal of Radcliffe College at Harvard University; Dorothy Canfield Fisher, the writer; Christian Gauss, Dean at Princeton University; Oscar Jaszi, a political scientist at Oberlin College; and last but not least, Alvin Johnson, director of the New School for Social Research in New York.

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the world state should be organized on a decentralized basis; the important principle was that of subsidiarity. Subsidiarity meant that communities would accept responsibility for their own land and administer their own affairs. The authors of the declaration write: Regional decentralization will effectually distribute power to the smallest local unit, the city and the village, down to the elemental unit which is the family, while world-wide authority will make co-operation possible among them all. These two movements – centripetal and peripheral – are essential one to the other; the first without the second would be tyranny, as the second without the first would be chaos. Together they provide a working basis for peace and freedom: an order that will be both strong and flexible. […] Diversity in unity and unity in diversity will be the symbols of federal peace in universal democracy. (26–27)

The supreme world state government would have a purely supervisory function and would ensure that democratic principles were upheld. Thus, centralism and federalism would be mutually dependent and complementary. The world state would be represented by a universal parliament that would not be a gathering of people appointed by the various nations but who would instead be elected directly by the populace as a whole. World democracy would be founded on free choice, equality, and justice. The ethical basis of a future world democracy is discussed as well. The theologian Reinhold Niebuhr had a strong impact on the declaration. He tried to demonstrate that American democracy rests on Judeo-Christian traditions, on the laws and teachings of the Old and New Testaments. He saw a close connection between the Christian religion and the American conviction that men are born equal, as expressed in the Declaration of Independence. Obviously the new dictatorships in Germany and Italy were preaching the opposite. We read in the declaration: Fascist-Nazi philosophy holds as self-evident truths that men are born unequal, that they have no right to life or liberty, and that the only pursuit of happiness for the herds is on the road to slavery under the whip of self-appointed herdsmen. (38)

With the reference to the Declaration of Independence, this Declaration of the World Democracy indicates that it sees itself as an offspring of the founding documents of the United States. Both the Catholic and the Protestant Churches are blamed by Niebuhr for their lack of opposition to the fascist and Nazi dictators in Europe. The lack of resistance is, according to Niebuhr, due to the century-long close connections between the churches and the state governments. This is reason enough for Niebuhr to insist on the American separation of church and state in a future world democracy. The future super-state obviously would be modeled after the United States of America:

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No Church, however powerful or far-spreading, can be officially acknowledged as a religion of the state, and no Church can be granted primacy or privileges above other churches. Indeed, the desire for such a place of privilege or pre-eminence on the part of any Church would be a measure of its inadequacy to the fundamental principle of democracy. The separation of state and Church, as first provided in the Constitution of the United States, is and remains the base from which arises the supremacy of world-humanism and world-democracy. (46)

Niebuhr went so far as to view „The City of Man“ as the „New Testament of Americanism,“ and wrote that this New Testament would be called „World Humanism.“ Niebuhr was a thinker fixed on unity. „All that survives of mankind,“ he writes, „must breathe in one breath and fight in one fight, since the whole earth has become one living-space or dying-space for all nations of men.“ It is interesting to note that opposition to Stalinism is as strong as it is to National Socialism. „The City of Man“ is already informed by the theory of totalitarianism, a theory that came into full bloom ten years later in Hannah Arendt’s 1951 study of totalitarianism.22 „The City of Man“ is, first of all, a book about the American tasks and goals in the decades of fascism. On page after page one reads about the „mission“ and „leadership“ of the United States. The authors see America as the Rome of the twentieth century. To quote again from the text: Leadership […] implies some sort of imperium. But there is a difference between imperialism and imperium, between those whom their own lust for power chooses for a selfappointed primacy which is the right of might and those who are chosen by the objective circumstances of history for a privilege which is a service, for a right which is a duty. This is, indeed, the substance of a chosen people: power in the frame of service. We have been reminded recently of Bacon’s saying: „Rome did not spread upon the world; the world spread upon the Romans.“ This was the destiny of the other nations and cultures, in ancient and in modern ages as well. This […] is the destiny of America […] and all the world must sink unless we take the helm. (64–65)

Accordingly, the authors’ goal was a „Pax Humana.“ The function of the United States is seen as that of the „Uniting States.“ „No number is prescribed to the stars on its flag,“ it says. With formulations like this, one gets the impression that the authors envision the United States as an expanding nation that someday might encompass all of the other states of the world. This universal state is called the „one Brotherland,“ or the „City of Man.“ Readers these days get an uneasy feeling picturing the U.S. as the biggest state in Big Brotherland. „The City of Man“ auth-

22 Hannah Arendt: The Origins of Totalitarianism. New York 1951.

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ors try to explain the difference between being in charge of an empire and being representatives of imperialism, but an empire without imperialism is hardly imaginable. They concede that contemporary America is not yet ready to be an empire without imperialism. Criticism of the situation in America is decidedly pronounced. Among the „blemishes that endanger the fulfillment of its tasks“ included are „the degraded education, the corrupted political machines, the efficiency of the dollar hunter.“ (392) America, the authors write, has to live up to its constitution, and they demand: „The American creed has to become the American deed.“ Most important, „The City of Man“ speaks out against racism: Anti-Semitism is the entering wedge of racism, the dusk of hatred which precedes the totalitarian night. The Negro himself, with whom our failure was most inglorious, helps us by reminding us that our slow progress is a mere token of the justice we pledged. […] This country is more than a structure of ground and water, of mountains and plains. It is and must be the shrine of whatever is human, the ark of life. (69–70)

This must have been one of the spirit-lifting phrases Mumford was talking about. Of further interest is Broch’s contribution to the human rights and the economic aspects of the declaration. Concerning the first, the „Bill of Rights“ should be supplemented by a „Bill of Duties,“ that is to say, in the reformed Constitution, there should be more clearly defined indications of both rights and responsibilities of the individual to the state and of the state to the individual citizen. Of particular interest are the deliberations in the field of economic structures. Again the „third road“ or „third way“ plays an important part: Capitalism and socialism are seen as: the Janus faces of democracy, mutually conditioned. From its principle of freedom democracy looks toward capitalism […]; while from its principle of justice democracy looks toward collectivism […]. The two components of democracy – economic freedom and economic justice – must be reconciled in associative and complementary work for an age of creative splendor in which neither the individual’s rights emerge into anarchy nor his duties submerge him in slavery. (90, 92)

Today it is easy to criticize „The City of Man“ with its utopian plan for a universal democratic state. One can criticize it from a standpoint of Realpolitik as well as from a multicultural and postcolonial perspective. The utopia of „The City of Man“ must be understood in the context of the time in which it was conceived, a time influenced by the experience of the Depression, of New Deal visions, the threat of a new world war, and the possibility of Hitler’s victory over Europe. To a certain degree, this plan reminds us of the blueprints for a united Europe that have existed in the pre-Hitler decades for quite some time. There the principle of subsidiarity is also seen as the basis for all administrative actions. Subsidiarity means that a larger administrative unit should make no political decision so long

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as the smaller administrative unit can make it. In other words, local communities are responsible for their own well-being, districts or counties have to take care of themselves, regions have to conduct their own business, as do nations, and ultimately the largest unit will only administer matters that none of the other units were able to carry out. The principle of subsidiarity is a genuinely democratic principle and as such, it is not at all outdated. As a matter of fact, the European Union has officially adopted the principle of subsidiarity as its administrative guideline.23 And the discussion about the „third road“ or „third way,“ that is, about a compromise between planned socialism and free market capitalism, has never ceased to fascinate political thinkers and politicians. The „third way“ has become one of the favorite catchwords in European England and France.24 The German discussion on the topic is complicated by the fact that the term „third way“ had been adopted by those East Germans who, in 1989, when the Berlin wall came down, pleaded for the continuation of the GDR, that is, for a reformed GDR – a socialist state with a human face. The „third way“ as discussed by the Borgese group in 1940 and as it is currently being re-discussed in Western European countries has a different meaning, namely, a market economy combined with state planning that would avoid the negative consequences of an uncontrolled Manchester capitalism. Furthermore, „The City of Man“ deals with major topics of today’s globalization discourse, like the declining power of the nation states and the necessity for international political and economic planning. On the other hand, „The City of Man“ represents the deeply rooted unity and universalism of modernist thinking. More contemporary discourses, such as postmodernism, multiculturalism and postcolonialism25 have dealt with visions of universal solutions and imperial ambitions in a most critical manner. The Borgese group drafted a utopia that was clearly competing with the totalitarian campaigns of Hitler and Stalin for world domination. But in this competition, they lost sight of the fact that there is no patent kind of government suitable for every culture in every part of the world. The Borgese group started out as a Committee on Europe, and it would have been a good idea to keep it that way: to plan a defense for Europe and make plans for the postwar period in Europe. Instead, they tried to create remedies for all of the world’s problems, and consequently their plan – its

23 George A. Bermann: „Subsidiarity and the European Community“. In: Paul Michael Lützeler (ed.): Europe after Maastricht. American and European Perspectives. Providence and Oxford 1994, pp. 139–157. 24 Otto Newman and Richard de Zoysa: The Promise of the Third Way. Globalization and Social Justice. New York 2001. 25 Paul Michael Lützeler: Postmoderne und postkoloniale deutschsprachige Literatur. Bielefeld 2007.

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partial farsightedness notwithstanding – did not play a significant role during the years to follow. While it did support the anti-isolationist Roosevelt administration, which knew that war with Hitler was unavoidable, it did not do much to prepare for postwar Europe. The division of the world after the Second World War meant the division of Europe, and this division lasted for about half a century. When things changed dramatically after 1989, the new world order did not signify the beginning of a world democracy but rather the start of the unification of a democratic Europe. „The City of Man“ is a forgotten book. But when we think of a common project of America and of the exiled European intellectuals during the late 1930s and early 1940s, it is a major document. It brought a group of leading like-minded people together, and it influenced their thinking in the long run. To return to my opening statements, „The City of Man“ certainly discredits Allan Bloom’s thesis about the „German connection“ and its disastrous effect on the understanding of America and its mission. If any document was proof of a belief in the founding documents of American democracy, it was „The City of Man“. Both sides were involved in a learning process: The Americans made sure that fundamental issues of human rights and the separation of church and state were accepted, and the Europeans pushed the idea of subsidiarity and the compromise of a third way in the area of political economy. When Mann wrote affidavits for refugees from Germany in the late 1930s, he formulated: „Germany’s loss will be America’s gain.“26 This phrase makes more sense than Allan Bloom’s conspiracy theory about the German connection. After the United States had entered the war against Germany, Italy and Japan, it became an ally of the Soviet Union, so that the idea of an anti-totalitarian postwar world democracy faded away. One could not oppose the Soviet Union and at the same time be its strongest ally. But Thomas Mann and other exiled authors who had fled to the United States continued to reflect on the fate of Europe, especially in their fictional writings. This group of novelists knew that a different Europe had existed in the past and would exist again in the future. They were sure that the idea of a better Europe and of a better Germany needed to be upheld. I am referring to Thomas Mann’s „Doktor Faustus,“ Heinrich Mann’s „Henri Quatre,“ Broch’s „The Death of Virgil,“ Lion Feuchtwanger’s „Josephus“ trilogy, and Stefan Zweig’s novel on Erasmus of Rotterdam.27

26 See Thomas Mann’s letter to John C. Wiley, the U.S. Consul General in Vienna of May 15, 1938 in which he writes about Broch: „Austria’s loss will be America’s gain“. Hermann Broch: Briefe 1: 1913–1938. Bd. 13/1, Kommentierte Werkausgabe. Ed. Paul Michael Lützeler. Frankfurt am Main 1981, p. 505. 27 Paul Michael Lützeler: „Neuer Humanismus: Das Europa-Thema in Exilromanen von Thomas und Heinrich Mann, Lion Feuchtwanger und Stefan Zweig“. In: P.M.L. Europäische Identität und Multikultur. Fallstudien zur deutschsprachigen Literatur. Tübingen 1997, pp. 107–125.

5. Deutsche Literatur im Mittleren Westen

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Suhrkamp Culture amerikanisch? Siegfried Unseld in der Neuen Welt (2011)1 Und Broch bewegt sich doch Während des Herbstsemesters 1971 war ich offiziell an der Universität München eingeschrieben, aber ich studierte eigentlich nicht mehr, sondern war dabei, meine Dissertation über Hermann Broch abzuschließen, die ich wenige Monate danach an der Indiana University verteidigte. Sie erschien anderthalb Jahre später bei Winkler in München unter dem Titel „Hermann Broch: Ethik und Politik“2. Als ich es damals Freunden erzählte, wollte mir niemand glauben: Gegen Ende November 1971 rief mich Siegfried Unseld, Chef des Suhrkamp/Insel Verlags, in meiner Studentenbude in Tutzing am Sternberger See an. Es hatte sich im kleinen Kreis der Brochianer herumgesprochen, dass ich im Jahr zuvor bereits in der „Deutschen Vierteljahrsschrift“ einen Artikel über Brochs Kulturkritik publiziert3 und im Frühjahr 1971 – zum 20. Todestag des Autors – ein Doppelheft der österreichischen Zeitschrift „Literatur und Kritik“ angeregt und mitherausgegeben hatte.4 Die Broch-Erben (Sohn und Witwe)5 drängten Unseld, mehr für den Autor zu tun, dessen Rechte der Suhrkamp Verlag 1966, also fünf Jahre zuvor, vom Rhein-Verlag in Zürich (gemeinsam übrigens mit den deutschsprachigen Rechten am Werk von James Joyce) erworben hatte.6 Broch passte mit seinem Werk und seiner Biografie gut in den Verlagsschwerpunkt: Er war mit seinen Romanen Teil der klassischen Moderne und teilte, was seine Lebensgeschichte betraf, das Schicksal der durch die Nationalsozialisten vertriebenen jüdischen Schriftsteller. Die Erben des Autors waren es wohl, die auf mich als quasi junge Hoffnung der Brochforschung hingewiesen hatten. Unseld fiel am Telefon gleich mit der Tür ins

1 Ich danke Marcel Lepper vom Deutschen Literaturarchiv für die Einladung, diesen Vortrag beim Symposium „Die Suhrkamp-Ära“ zu halten, das vom 12. bis 14. Januar 2011 in Marbach am Neckar stattfand. Wegen einer anderen Verpflichtung konnte ich zwar an der Tagung nicht teilnehmen, doch wurde eine Kurzfassung zur Kenntnisnahme während des Symposiums verteilt. 2 Paul Michael Lützeler: Hermann Broch – Ethik und Politik. Studien zum Frühwerk und zur Romantrilogie „Die Schlafwandler“. München 1973. 3 Paul Michael Lützeler: „Die Kulturkritik des jungen Broch.“ In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 44.2 (1970): 208–228. 4 Literatur und Kritik 54–55 (1971). 5 Hermann Friedrich Broch de Rothermann aus New York und Annemarie Meier-Graefe Broch aus Saint-Cyr-sur-Mer in Frankreich. 6 Bertold Hack: „Kurze Geschichte des Rhein-Verlags“. In: Hermann Broch – Daniel Brody. Briefwechsel 1930–1951. Hg. v. Bertold Hack und Marietta Kleiß. Frankfurt am Main 1971, Spalte 1232.

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Haus und sagte, er wolle bald einen Broch-Band herausbringen, der attraktiv sei, etwas Neues, noch Unbekanntes biete, etwas, das sich auch verkaufen lasse – ob ich mit einem Vorschlag aufwarten könne. Ich hatte mir schon öfters gedacht, dass ein Band mit Brochs Novellen aus den 1930er Jahren seine Leser finden würde. Das erwähnte ich. Er wollte wissen, welchen Titel ich vorschlagen würde. Da mir die „Barbara“-Novelle aus Brochs Roman „Die Verzauberung“ besonders gefiel, schlug ich „Barbara und andere Novellen“ vor. Ich merkte wie er kurz verstummte, offenbar stutzig wurde, doch dann reagierte er enthusiasmiert: ja, „Barbara“, unbedingt, sehr gut. Ich hatte den Eindruck, als sei ‚Barbara‘ das Zauberwort gewesen, auf das er nur gewartet habe und nahm gleich an, dass der Name ihn an eine Freundin erinnerte, denn die Novelle selbst hatte er bestimmt nicht gelesen. Da auch ich romantische Gefühle mit dem Namen Barbara (allerdings amerikanisch ausgesprochen) verband, hatten wir eine solide Geschäftsgrundlage gefunden. Er werde mir gleich schreiben, meinte er, verabschiedete sich und wenige Tage später, am 29. November 1971, gab er mir sein Einverständnis schriftlich und erkundigte sich nach dem Ablieferungstermin des Manuskripts. Da ich meine Dissertation Anfang 1972 fertigstellte, hatte ich genügend Zeit, mich der Edition der Novellensammlung im Frühjahr 1972 zu widmen. Schon Mitte Januar 1972 erwartete Unseld einen Ankündigungstext über den Band für die „Vorschau“ der neuen Verlagsproduktion, die im Frühjahr 1973 erscheinen sollte. Da ich mit dieser Textsorte nicht vertraut war, bat ich Elisabeth Borchers um Hilfe, die meine Situation verstand. Sie, deren Namen ich bisher nur von ihren Gedichten her kannte, war von Anfang an meine freundlich-strenge Lektorin und sollte es für die nächsten 25 Jahre bis zu ihrer Pensionierung bleiben. Ich konnte das Manuskript im Herbst 1972 abliefern und „Barbara und andere Novellen“ erschien im Frühjahr 1973 als Suhrkamp Taschenbuch. Was ich damals nicht wissen konnte: Der Novellenband war nur ein Testlauf, den Unseld beobachtete. Er trug sich mit dem Gedanken, einem Nachwuchswissenschaftler die Aufgabe der neuen Edition des Brochschen Gesamtwerks anzuvertrauen. Die Hürde nahm ich offenbar elegant genug, um Gnade vor den kritischen Augen des Verlegers zu finden. Allerdings wurden noch Vertrauensleute und Experten aus dem Umkreis der Broch-Erben wie Hannah Arendt und Rudolf Hirsch konsultiert. Hannah Arendt traf ich Anfang 1972 als frisch promovierter Germanist am Riverside Drive in ihrer so lichten wie schlichten New Yorker Wohnung. Sie nahm sich anderthalb Nachmittagsstunden Zeit beim Tee, um mit mir über Broch zu fachsimpeln. Sie hatte meinen Aufsatz „Hermann Brochs politische Pamphlete“7 gelesen, der in dem Broch-Heft

7 Paul Michael Lützeler: „Hermann Brochs politische Pamphlete“. In: Literatur und Kritik 54–55 (1971): 198–206.

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von „Literatur und Kritik“ erschienen war. Sie meinte, dass ich Broch wohl überschätze, wenn ich ihm genaue Marx-Kenntnisse zutraue. Ich wehrte mich aber und sagte, ich habe gerade in meiner Dissertation einen Abschnitt über Broch und den Austro-Marxismus geschrieben, den er offenbar gut gekannt habe. Darüber wollte sie nicht mit mir rechten, wohl auch, weil sie von dieser eigenartigen Symbiose von Kantscher Ethik und Marxscher Kapitalismuskritik zu wenig wusste. Da in meinem Aufsatz auch der Name Karl Kraus fiel, ließ sie durchblicken, dass sie von dessen Gesellschaftskritik nicht viel halte, weil sie zu sehr auf die Polemik gegen einzelne Personen abgestellt gewesen sei. Mehr als den Inhalt des Gesprächs habe ich ihre Gestik, ihre wohlwollende Herablassung und die inspirierende Ausstrahlungskraft ihrer Persönlichkeit in Erinnerung. In Frankfurt traf ich wenige Monate später Rudolf Hirsch im Freien Deutschen Hochstift. Er war dabei in Hofmannsthaliana zu versinken, machte zunächst einen etwas müde-traurigen Eindruck auf mich, doch sprach dann begeistert über Hofmannsthal, auch über Achim von Arnim und rang sich über Broch einige Lobsprüche ab, den er über Thomas Mann stellte, einen Autor, von dem er offenbar viel weniger hielt als ich selbst. Seine Kritik an Thomas Mann machte ihn nicht zu einem Verehrer von Frank Thiess, und Brochs Freundschaft mit Thiess war ihm ganz unverständlich. Wie konnte, so Hirsch, ein Experimentierer im Gebiet des Romans wie Broch irgendetwas mit einem konventionellen, sich immer an der Grenze zum Trivialen bewegenden Schriftsteller wie Thiess gemein haben? Im Mai 1973 war ich im Suhrkamp Verlag in der Lindenstraße in Frankfurt am Main verabredet. Ich hatte nach der Lieferung des Novellen-Manuskripts gleich den Vorschlag einer Edition der Brochschen „Schriften zur Literatur“ folgen lassen. Auch darauf reagierte Unseld positiv. Als ich mich im Büro von Elisabeth Borchers einfand, kam nach kurzer Zeit der Verleger hinzu: aktiv, leicht außer Atem, hemdsärmelig. Zunächst wollte er wissen, warum ich in Amerika und nicht in Deutschland die akademische Laufbahn beginne. Ich war damals 29 Jahre alt und ich sagte ihm, dass ich in den USA bereits eigenständig als Professor arbeiten könne, was in Deutschland in meinem Alter kaum möglich sei. Das schien er zu verstehen und meinte, ja, das Aktentaschenschleppen der Assistenten für ihre Professoren hierzulande habe ihn auch abgeschreckt. In seiner schnörkellosen Art kam er gleich zur Sache: Es müsse jetzt an eine neue Ausgabe des Gesamtwerks von Broch gedacht werden, ob ich die nicht übernehmen wolle. Ich meinte auch, dass die alte Ausgabe im Rhein-Verlag zu lücken- und fehlerhaft sei. Da müsse ich sehen, dass ich genügend Mitherausgeber fände. Nein, nein, diese Herausgeberteams taugen doch nichts, wandte er ein, die sind rasch zerstritten, und dann zieht sich die Edition jahrzehntelang hin oder es wird überhaupt nichts daraus. Entweder ich mache das alleine, oder er müsse einen anderen Herausgeber finden. Er gab mir zwei Monate Bedenkzeit. Falls ich zustimmen sollte,

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brauche er einen Entwurf mit der Nennung der Ausgabeprinzipien, einer Beschreibung der einzelnen Bände und einem Zeitplan. Mit diesem Bescheid verabschiedete er sich kurz und eilte von dannen. Ich entwarf innerhalb von sechs Wochen ein Konzept, das dem Verlag zusagte, und zwischen 1974 und 1981 erschien die „Kommentierte Werkausgabe Hermann Broch“ im Suhrkamp Verlag, zunächst als Taschenbuch, dann auch gebunden, schließlich, 1986, als preiswerte Kassette. Und gerade ist – nach dreißig Jahren – auch die eBook-Version der Ausgabe erschienen. Die Details des Editionsplans diskutierte ich mit Elisabeth Borchers, aber bei wichtigen Fragen musste Unseld grünes Licht geben. Zur Halbzeit der Edition (1977) sowie zum Abschluss schrieb er mir anerkennende Briefe. Am 9. November 1981 teilte er mit: „Es ist wirklich ein gutes Gefühl, nun die Ausgabe fertig vorliegen zu haben.“8 Mit Frau Borchers und Unseld einigte ich mich auch auf eine Biografie über den Autor, die im Jahr vor Brochs 100. Geburtstag, also 1985, erscheinen sollte und auch erschien. Unseld wollte das Buch bei Insel herausbringen, doch setzte Elisabeth Borchers meinen Wunsch durch, es bei Suhrkamp zu verlegen, weil auch die Kommentierte Werkausgabe dort publiziert worden sei. Von der Brochbiografie (hard cover und Taschenbuch) wurden über 5.000 Exemplare verkauft und 1986 erhielt ich dafür den DAAD-Preis der German Studies Association für das beste, in den USA geschriebene germanistische Buch der Jahre 1985/86. Zudem wurde es ins Englische, Spanische und Japanische übersetzt. Unseld engagierte sich für alle seine Autoren, ob sie mitten im Leben standen oder bereits verstorben waren. So kam er im April 1979 auch zur Brochtagung an der Yale University. Dieses Symposium war von Christa Sammons, Leiterin des Broch-Archivs an der Beinecke Rare Book Library der Yale University, veranstaltet worden.9 (Die Broch-Erben hatten nach dem Tod des Autors im Jahr 1951 den Nachlass als Schenkung der Yale University Library vermacht.) Während der Tagung rückte ich bei der allgemeinen Diskussion mit den Teilnehmern den von mir edierten Bibliothek Suhrkamp-Band „Hermann Broch: Menschenrecht und Demokratie“, der ein halbes Jahr zuvor erschienen war,10 in den Mittelpunkt. Die Edition widerlegte die damals kursierenden Vorurteile über Broch als ideologisch rechtslastigen Autor. Unseld war, wie fast alle Teilnehmer des Symposiums, von diesem Aspekt des Brochschen Werkes angetan. Zwei sich als Vertreter einer kri-

8 Die in der Folge genannten Briefe Siegfried Unselds an mich werden nach den Originalen zitiert, die sich in meinem Privatbesitz befinden. 9 Die Beiträge erschienen als „Special Hermann Broch Issue“ in dem Themenheft Broch der Zeitschrift: Modern Austrian Literature 13.4 (1980). 10 Hermann Broch: Menschenrecht und Demokratie. Hg. v. Paul Michael Lützeler. Frankfurt am Main 1978.

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tisch-neomarxistischen Brochforschung verstehende junge Kollegen griffen auch bei dieser Gelegenheit den Autor – zu Unrecht – als Apologeten des Kapitalismus an, ignorierten aber Brochs Arbeiten zum Menschenrecht. Broch hatte zwischen 1945 und 1948 im Hinblick auf die Gründung der Vereinten Nationen und die Deklarierung der International Bill of Rights weitsichtige Aufsätze zum Thema Menschenrecht und Menschenwürde (auch zum Recht auf Arbeit) verfasst, die auf Gedanken basierten, die er erstmals in seiner „Völkerbund-Resolution“11 von 1937 entwickelt hatte. Die Edition passte gut in das politische Klima der späten 1970er Jahre, als Jimmy Carter erfreulicherweise die amerikanische Außenpolitik auf Richtlinien festlegte, die durch die International Bill of Rights vorgegeben waren. Zur großen Brochtagung12 in Stuttgart im November 1986 aus Anlass des 100. Geburtstags Brochs erschien Unseld nicht, wohl aber Elisabeth Borchers. Am 13. November 1986 teilte er mir mit, dass er in der Presse (die FAZ hatte ausführlich und positiv berichtet) vom starken Echo der Tagung erfahren habe. An einer Stelle des Briefes hieß es: „Der Verleger liest nun Seite für Seite Ihrer Broch-Biographie und freut sich ob der vielen, ihm neuen und ihn interessierenden Details.“ Er hatte mir zur Broch-Biografie schon in einem Schreiben vom 27. August 1985 gedankt, war aber erst jetzt zur Lektüre gekommen. Unseld entging bei all den Bänden, die ich noch zusätzlich zur Broch-Ausgabe edierte, nichts. Alles lief letztlich über seinen Schreibtisch, und ein blindes Unterzeichnen von Verträgen gab es nicht. Im Herbst 1993 setzte er sich aus Liebe zur Sache mit dem österreichischen Kulturminister in Wien zusammen, um eine Brochtagung zu planen, aus der dann allerdings nichts wurde, was aber nicht die Schuld des Verlegers war. Das Thema Broch und die Frauen interessierte Unseld nicht wenig, und so schickte er mir am 4. April 1995 einen Brief, in dem es hieß: „Das Teesdorfer Tagebuch für Ea von Allesch13 ist erschienen; ich fand das Buch nach meiner Rückkehr vor. Ich schicke Ihnen mit gleicher Post ein erstes Exemplar. Ich finde, es ist doch eine sehr interessante Publikation geworden. Ich bedanke mich.“ Er war auch leicht für die Edition des Briefwechsels Brochs mit Hannah Arendt,14 für die Pu-

11 Hermann Broch: „Völkerbund-Resolution“. In: Ders.: Politische Schriften. Band 11 der Kommentierten Werkausgabe. Hg. v. Paul Michael Lützeler. Frankfurt am Main 1978, S. 195–231. 12 Die Beiträge zu diesem Symposium zum Gedenken an Brochs 100. Geburtstag am 1. November 1986 erschienen in zwei Bänden: Brochs theoretisches Werk. Hg. Paul Michael Lützeler und Michael Kessler. Frankfurt am Main 1988; Hermann Broch. Das dichterische Werk. Hg. Michael Kessler und Paul Michael Lützeler. Tübingen 1987. 13 Hermann Broch: Das Teesdorfer Tagebuch für Ea von Allesch. Hg. v. Paul Michael Lützeler. Frankfurt am Main 1995. 14 Hannah Arendt – Hermann Broch. Briefwechsel 1946 bis 1951. Hg. v. Paul Michael Lützeler. Frankfurt am Main 1996.

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blikation von Brochs „Psychischer Selbstbiographie“15 und für die Korrespondenz Brochs mit seiner zweiten Frau Annemarie Meier-Graefe16 zu gewinnen. Letzterer Briefwechsel, der 2001 auf der Bestenliste des SWR landete, nannte er in einem Schreiben an mich vom 7. Oktober 1999 ein „zeitgeschichtlich aufschlussreiches Projekt“.

Fantasia America Bei der Kooperation mit Unseld ging es nicht immer um Broch: In der Edition Suhrkamp veröffentliche ich den Band „Der postkoloniale Blick“17; in seinem neu begründeten Deutschen Klassikerverlag koordinierte ich die Achim von ArnimAusgabe und edierte dort selbst zwei Bände mit Romanen des romantischen Autors;18 im Insel Verlag publizierte ich den Band „Europa. Analysen und Visionen der Romantiker“19; im Jüdischen Verlag den Briefwechsel Brochs mit Hannah Arendt und im Nomos-Verlag einen Tagungsband über die Rolle Deutschlands in der Europäischen Gemeinschaft.20 Unseld war ganz verblüfft und machte mir in den 1990er Jahren mehrfach das Kompliment, dass ich der einzige Autor bzw. Herausgeber sei, der nicht nur in allen Reihen des Suhrkamp Verlags, sondern auch in allen seinen Verlagen Bände platziert habe. Das war nie meine Absicht gewesen, hatte sich aber durch die Kooperation im Lauf der Zeit so ergeben. Zu Beginn der 1980er Jahre dachte Unseld daran, Amerika verlegerisch zu erobern. Der Landnahme geht aber die Entdeckung voraus, und ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Drang zur Eroberung bei ihm stärker ausgeprägt war als der zur Entdeckung; d.h. in diesem Fall zur genauen Information über das, was einem deutschen Literaturverlag an Möglichkeiten in den USA offensteht. Unseld hatte ein ausgesprochen positives Verhältnis zu den USA, auch

15 Hermann Broch: Psychische Selbstbiographie. Hg. v. Paul Michael Lützeler. Frankfurt am Main 1999. 16 Der Tod im Exil. Hermann Broch – Annemarie Meier-Graefe. Briefwechsel 1950/51. Hg. v. Paul Michael Lützeler. Frankfurt am Main 2001. 17 Der postkoloniale Blick – Deutsche Schriftsteller berichten aus der Dritten Welt. Hg. v. Paul Michael Lützeler. Frankfurt am Main 1997. 18 Achim von Arnim: Die Kronenwächter; Hollin’s Liebeleben und Gräfin Dolores. 2 Bände. Hg. v. Paul Michael Lützeler. Frankfurt am Main 1989. 19 Europa. Analysen und Visionen der Romantiker. Hg. v. Paul Michael Lützeler. Frankfurt am Main 1982, Zweite Auflage 1992. 20 Western Europe in Transition. West Germany’s Role in the European Community. Hg. v. Paul Michael Lützeler. Baden-Baden 1986; ferner: Paul Michael Lützeler: Die Schriftsteller und Europa. Von der Romantik bis zur Gegenwart. Zweite Auflage: Baden-Baden 1998.

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wenn einige seiner prominenten Autoren diese Einstellung nicht teilten. Schon als junger Mann war er 1955 erstmals in die USA gekommen, als er die Einladung zu Henry Kissingers International Seminar an der Harvard University erhielt. Für die zweite Hälfte des Herbstsemesters von 1976 war Unseld der Einladung als Writer in Residence durch A. Leslie Willson vom German Department der University of Texas in Austin gefolgt.21 Dort traf ihn sein Autor Uwe Johnson, der einige Jahre zuvor Writer in Residence in Austin gewesen war.22 An wenigen Büchern hatte Unseld so starken Anteil genommen, wie an der New York-Tetralogie „Jahrestage“ von Uwe Johnson. Ich hatte zweimal Gelegenheit, mit Roger Strauss, dem Mitinhaber des New Yorker Literaturverlags Farrar Strauss & Co., im kleinen Kreis zu diskutieren, und in beiden Fällen sprach er mit großer Bewunderung und kleinem Neid über Siegfried Unseld als den erfolgreichsten Kollegen seiner Branche. Da Roger Strauss einer der Prominenten im Geschäft der amerikanischen und internationalen Literatur war und sein Licht nicht unter den Scheffel stellte, konnte man auf dieses Kompliment etwas geben. Strauss hatte allen Grund, mit der Zusammenarbeit zwischen seinem Verlag und Suhrkamp zufrieden zu sein, hatte er doch – auf Drängen Unselds – einige Hermann Hesse-Titel für das amerikanische Publikum erworben, als die Rechte daran noch billig waren. Diese Übersetzungen brachten ihm in den 1960er und 1970er Jahren große Gewinne ein. Im Januar 1980 schrieb Unseld mir nach St. Louis: „Am 1. Mai 1980 wird in Boston eine Niederlassung des Suhrkamp Verlages gegründet.“ Ob ich nicht Vorschläge für 25 Werktitel hätte, mit denen man in der Zweigstelle starten könne. Vergleichbare (persönliche, keineswegs hektografierte) Briefe sandte er damals an eine Reihe anderer amerikanischer Germanisten, die ihm bekannt waren. Er wies im gleichen Brief darauf hin, dass die von Victor Lange angeregte und in den 1970er Jahren betreute „edition suhrkamp in American text-editions“, die vom Verlag Harcourt Brace Jovanovich übernommen worden war, ein Reinfall gewesen sei. Jetzt plane er etwas in Eigenregie, am besten Texte, die die amerikanischen Studenten der Germanistik unbedingt brauchen. Ich schickte ihm 25 Buchtitel, von denen ich wusste, dass sie regelmäßig bei den Colleges und Universitäten für den Unterricht bestellt wurden. Zudem machte ich den Vorschlag, doppelsprachige Texte zu edieren, Englisch und Deutsch, weil ich auch an das

21 Siegfried Unseld: Der Autor und sein Verleger: Vorlesungen in Mainz und Austin. Frankfurt am Main 1978, S. 172–341. Unseld hielt sich vom 24. Oktober bis zum 2. Dezember 1976 in Austin auf, hielt im German Department ein Seminar über deutschsprachige Gegenwartsliteratur und zwei Vorträge über Rilke und seine Verleger sowie über Robert Walser und seine Verleger. 22 Der Briefwechsel Uwe Johnson, Siegfried Unseld. Hg. v. Eberhard Falke und Raimund Fellinger. Frankfurt am Main 1999, S. 900–901. Uwe Johnson hielt am 2. November 1976 an der University of Texas in Austin den Vortrag „On the Writing of a Novel“.

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Interesse der Komparatisten dachte, denen zweisprachige Editionen immer willkommen sind. Im Mai 1980 beriet er sich mit den germanistischen Kollegen von der University of Massachusetts in Amherst. Die hatten ihm ganz ähnliche Listen gegeben, doch setzte sich meine Idee der Zweisprachigkeit nicht durch. Dabei wäre das eine noch nicht besetzte Marktnische gewesen. Geplant war jeweils eine Auflage von 3.000 Exemplaren, und die Einzelbände sollten 4 Dollar kosten. Daraus wurde nicht viel, denn mit den etablierten Reclam-Bändchen war nicht zu konkurrieren. Nennenswertes Ergebnis des von Unseld begründeten Unternehmens Suhrkamp Publishers Boston, Inc. (einige Jahre später: Suhrkamp Publishers New York, Inc.) war immerhin eine neue 12-bändige Goethe-Ausgabe auf Englisch, zwischen 1983 und 1989 von amerikanischen Goethe-Spezialisten übersetzt und herausgegeben. Viel mehr war da nicht zu machen, denn gleichzeitig lief auf dem Gebiet Hauptwerke der deutschen Literatur in englischer Übersetzung Volkmar Sanders Projekt „The German Library in 100 Volumes“ bei der Continuum Publishing Company in New York. Auch hier handelte es sich um ein etabliertes Unternehmen, gegen das nicht anzukommen war. Die Zweigstelle in New York versuchte die in Frankfurt erscheinenden Bücher in Amerika zu verbreiten, aber der Erfolg blieb aus. Nebenergebnis dieser Investitionen in Amerika war bei Unseld ein gesteigertes Interesse an dem, was in der amerikanischen Germanistik vor sich ging. 1988 wurde ich für eine Herausgeberperiode, d.h. für drei Jahre, zum Editor in Chief des „German Quarterly“ gewählt, damals Amerikas wichtigste germanistische Zeitschrift. Ich schlug Unseld vor, für die nächsten Jahre jeweils 1.500 Dollar als Peter Suhrkamp Preis für den besten Aufsatz in dem Periodikum zu spenden. Das machte er prompt, denn hier bot sich die Möglichkeit, Präsenz zu zeigen. Als guter Geschäftsmann, der er war, schlug er vor, kostenlos in der Zeitschrift eine Anzeige von Suhrkamp Publishers New York unterzubringen. Das geschah: Im Sommerheft 1988 wurden Suhrkampbände – u.a. von Jürgen Habermas und Jacques Derrida – auf der Rückseite dieses „German Quarterly“-Bandes angezeigt, die man über Suhrkamp Publishers New York bestellen konnte. Thomas Thornton, der damals die New Yorker Zweigstelle leitete, war den Instruktionen Unselds gefolgt. Das „German Quarterly“ war und ist das Publikationsorgan der American Association of Teachers of German (AATG). Der Jahreskongress der AATG fand im Jahr 1989 in Boston statt. Da Unseld oft und gerne wegen seiner Kontakte zu New Yorker Verlegern und zur Inspektion seiner Zweigstelle an die amerikanische Ostküste kam, lud ich ihn zu dieser Tagung ein. Er akzeptierte den Vorschlag gleich und gab als Titel für seinen Vortrag „Goethe und seine Verleger“ an. Ich besprach das auch mündlich mit ihm während eines Mai-Treffens 1989 im Verlag in Frankfurt am Main. Viel Gesprächszeit schien uns diesmal nicht zu bleiben, denn er er-

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wartete jede Minute die Ankunft von Isabel Allende. Fünf Jahre vorher war Allendes Welt-Bestseller „La casa de los espíritus“ auf Deutsch unter dem Titel „Das Geisterhaus“ bei Suhrkamp erschienen, und mit einem solchen Erfolg konnte nichts bei Broch konkurrieren. Doch die Señora verspätete sich, und so brauchten wir uns nicht zu hetzen. Unseld sprach über seine lateinamerikanischen Autoren und drückte mir den gerade erschienenen erotischen Roman „Lob der Schwiegermutter“ („Elogio de la madrastra“) von Mario Vargas Llosa in die Hand: Das sei noch Literatur, das müsse ich lesen, das werde mir gefallen – hoffe er jedenfalls. Nach einiger Zeit klopfte Burgel Zeeh an, Frau Allende werde von der Empfangsdame bereits nach oben geleitet. Unseld rückte sich die Krawatte zurecht, fragte Burgel Zeeh, ob er sich so sehen lassen könne. Die strich ihm die Jacke glatt, und ich war entlassen, sah beim Hinausgehen noch die fragil wirkende, präzis geschminkte Autorin mit einem erwartungsfroh-nervösen Lächeln an mir vorbeieilen und in die Arme ihres deutschen Verlegers schweben. Für die AATG-Jahrestagung in Boston war vorgesehen, dass Unseld den erstmals vergebenen Peter Suhrkamp-Preis für den besten Artikel im „German Quarterly“ persönlich überreichen sollte. Preisträgerin war Gail Newman, eine junge Professorin am Williams College in Williamstown, Massachusetts. Sie hatte einen ausgezeichneten Aufsatz über Novalis und Kleist in unserer Zeitschrift veröffentlicht. Als Vorsitzender des AATG-Komitees für die Ehrenmitgliedschaften hatte ich dafür gesorgt, dass bei der Gelegenheit Unseld auch Honorary Fellow unseres Berufsverbandes wurde (übrigens gemeinsam mit Reinhart Koselleck und Eberhard Lämmert). Das war alles gut geplant, aber was dazwischen kam, war die Öffnung der Berliner Mauer. Am 10. November 1989 rief Burgel Zeeh, Unselds rechte und linke Hand zugleich, mich aufgeregt an: Was da in Berlin passiere, sei alles unvorstellbar. Der Verleger befinde sich in ständigem Austausch mit seinen DDRSchriftstellern, die dabei seien, Geschichte zu machen. Er könne unmöglich in dieser Situation nach Amerika fliegen. Das war verständlich. So wurde der Preis am 17. November 1989 bei der AATG-Tagung ohne Unselds Präsenz verliehen. Aber immerhin war Werner Weidenfeld anwesend, damals Koordinator der deutsch-amerikanischen Beziehungen. Mit ihm teilte ich gemeinsame Interessen in der Europaforschung. Bei der Preisverleihung sprach er anerkennend-ermutigende Worte. Er erwähnte auch das bemerkenswerte Faktum, dass ich drei prominente Germanisten aus Indien (Anil Bhatti), China (Zhang Yushu) und Japan (Takahashi Teruaki) eingeladen hatte. Diese Wissenschaftler vermittelten in einer eigenen, von mir geleiteten Sektion ihren amerikanischen Kollegen erstmals einen Überblick über das, was die asiatische Germanistik leistete. Weidenfeld berichtete auch über den Besuch von Bundeskanzler Helmut Kohl in Polen und seine rasche Reaktion auf die Ereignisse an der Berliner Mauer. Er war Teil der Delegation beim Kanzlerbesuch in Warschau gewesen und erlebte aus nächs-

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ter Nähe das Geschehen in Berlin unmittelbar nach dem Fall der Mauer. Gespenstisch dagegen wirkte die Anwesenheit des Botschafters der DDR bei der Tagung. Er klammerte sich – wie auch der Autor Hermann Kant, der etwas verstört durch die Gänge des Tagungshotels strich – an die Hoffnung, dass ein irgendwie reformierter Staat namens DDR überleben werde. Der Fall der Mauer bedeutete auch für Unseld und seinen Verlag viel: Er konzentrierte sich auf das, was sich in Deutschland in seinem Bereich bewegte; man denke etwa an die Wiedervereinigung der beiden Insel Verlage in Leipzig und Frankfurt am Main zu seinen Gunsten. So wurde das Amerika-Büro bald geschlossen. Das geschah nicht nur, weil es rote Zahlen schrieb, sondern weil sich die historische Gesamtkonstellation nach dem Ende des Kalten Krieges geändert hatte. Dass Unseld den Kontakt zu den Germanisten in St. Louis nichtsdestoweniger aufrecht erhielt, hatte andere Gründe.

Ein Honorary Degree aus der Prärie Am Dienstag, den 21. Mai 1980 hatte Siegfried Unseld den Titel eines Doctor honoris causa von der Washington University in St. Louis erhalten. Es war der erste Ehrendoktor, der ihm verliehen wurde. Damals war er 55 Jahre alt und auf dem Höhepunkt seiner legendären Schaffenskraft. Die Ehrung verdankte er der Kooperation von drei Leuten: dem Rektor der Washington University, Chancellor William Danforth, meinem Kollegen Egon Schwarz und mir selbst. Danforth führte den Vorsitz des Ehrendoktorkomitees und hatte Egon Schwarz als Senior des German Departments gebeten, einen Vorschlag zu machen. Ich war damals Acting Chairman der Deutschen Abteilung und so beriet sich Egon Schwarz mit mir. Mein Vorschlag war Siegfried Unseld, mit dem ich seit acht Jahren vor allem über meine Broch-Editionen verbunden war. Egon Schwarz stimmte zu und Danforth, der aus einer der reichsten Unternehmerfamilien des Mittelwestens stammte, fand den Vorschlag schon deswegen gut, weil hier ein Geschäftsmann geehrt werden sollte, der sich gleichzeitig – wie es in seiner eigenen Familie Tradition war – im Bereich des Wissens und des Geistes engagierte. Ohne diese Konstellation hätte es mit dem Ehrendoktor für einen an unserer Universität (sieht man vom German Department ab) unbekannten deutschen Verleger nicht geklappt. Dass Unseld die Ehrung sofort annahm, versteht sich, denn es war die Zeit, als er Suhrkamp Publishers Boston Inc. gründete. Am 21. Mai 1980 regnete es in Strömen und die Feier der Verleihung der akademischen Grade (inklusive der Ehrendoktorate) musste in das Fieldhouse, die große Sporthalle auf dem Campus, verlegt werden. Zu den übrigen sechs Ehrendoktorkandidaten gehörten auch der deutsch-amerikanische Historiker Dietrich Gerhard und Philip Handler, der Prä-

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sident der United States National Academy of Sciences. Letzterer hielt die Commencement Speech, die geradezu pessimistisch ausfiel: Die Europäer würden, so meinte Handler, die Amerikaner bald auf den Gebieten der Naturwissenschaften abhängen. Unseld, der mit seiner Frau Hildegard angereist war, ließ sich die gute Laune weder durch Handlers Untergangs-Gestikulationen noch durch das schlechte Wetter verderben. Er schaute sich auch das German Department an, und als er in meinem Chairman Office die gerahmte Reproduktion eines großen Reklameplakats des Insel Verlags aus der Jugendstilzeit sah, war er ganz aus dem Häuschen: das Inselschiff auch auf dem Mississippi segeln zu lassen, war ja der Wunsch, den er mit seiner neuen Amerika-Initiative verband. Dann sah er eine Menge Bücher über Napoleon auf meinem Arbeitsregal, was ihn interessierte, hielt er sich doch für den Napoleon unter den Literaturverlegern. Dass es mit meiner eigenen Verehrung des französischen Kaisers nicht weit her war, schien ihn nicht zu stören. Als Leiter der Deutschen Abteilung gab ich bei mir zu Hause ihm zu Ehren einen Empfang. Einerseits sang er dort, wenn er über seine Verlage sprach, das hohe Lied schwäbischer Sparsamkeit, andererseits fragte er mich, ob Suhrkamp der Abteilung oder der Universität nicht ein Geschenk machen könne. Er sei ja jetzt stolzer Alumnus der Washington University und er kenne die amerikanische Tradition, dass die Alumni ihre Alma Mater unterstützen. In den nächsten Monaten korrespondierten wir über meine beiden Vorschläge: erstens eine Suhrkamp/ Insel Collection in unserer Universitäts-Bibliothek, der Olin Library, einzurichten, zweitens ein Suhrkamp Writer in Residence-Stipendium zu stiften. Über die Sammlung wurden wir uns bald einig: Burgel Zeeh hörte davon und erklärte sie zu ihrer Chefsache. So erhielten wir durch sie alle Neuerscheinungen beider Verlage, bald auch jene Bücher, die im neu erworbenen Jüdischen Verlag erschienen. Mit der Suhrkamp Writer in Residence-Angelegenheit klappte es nicht. Unseld fragte bei einer der von ihm entdeckten und verehrten Nachwuchsautorinnen, Gertrud Leutenegger aus der Schweiz, bereits im Juni 1980 an, ob sie sich vorstellen könne, einige Wochen nach St. Louis zu gehen. Doch die winkte ab, begründete das Nein mit ihrem „äußerst zögerndem Verhältnis zu den USA“, wie mir Unseld am 1. Juli 1980 mitteilte. Offenbar war ihm das negative Votum der jungen Autorin Grund genug, dieses Ziel nicht weiter zu verfolgen. Allerdings versuchte Unseld vier Jahre später ein Arrangement mit der von ihm unterstützten Vortragsreihe Poetikvorlesungen an der Frankfurter Goethe-Universität zu treffen. Er hätte es gerne gesehen, wenn jene Lesungen im Anschluss an Frankfurt in St. Louis gehalten worden wären. Doch das klappte nicht; nach Aussage von Unseld in einem Brief an mich vom 7. Mai 1984 war der Präsident der Universität Frankfurt dagegen – der wolle seine Einrichtung nicht durch Wiederholung ‚verwässern‘. (Ein Jahr später, 1985, erhielt ich die Unterstützung der Max Kade Stiftung

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in New York, die uns seitdem ermöglicht, jedes Jahr einen Autor und einen Kritiker als Gastdozenten einzuladen; darunter auch Autoren und Autorinnen des Suhrkamp Verlags.) Schon Mitte September 1980 (von Dienstag, 16. bis Freitag, 19.) kam Unseld erneut nach St. Louis, um weitere Details der Suhrkamp/Insel Collection in unserer Bibliothek zu besprechen. Bei der Gelegenheit hielt er auf Englisch einen Vortrag über Goethes „Tagebuch“ und dessen Einfluss auf Rilke.23 Wann immer Unseld uns besuchte, traf er das Dreigestirn, das ihm zum Ehrendoktorat verholfen hatte: Chancellor Danforth, Egon Schwarz und mich. Ich zeigte ihm 1980 die Max Beckmann-Sammlung im St. Louis Art Museum. (Max Beckmann war von 1947 bis 1949 Gastprofessor an der Washington University gewesen und der Millionär Morton D. May aus St. Louis hatte in den beiden Jahren auf Anraten New Yorker Kunsthändler über dreißig Werke des Malers erworben, die er später dem lokalen Museum vermachte. Morton D. May war übrigens der Enkel jener Rosa May, nach der meine Stiftungsprofessur benannt ist.) In einer Nische auf der rechten Seite der Fassade des St. Louis Art Museum stand damals noch die stattliche BronzeSkulptur eines heroischen Siegfried (in Lebensgröße). Wahrscheinlich stammte sie aus der Zeit der St. Louis Weltausstellung von 1904.24 Aus Anlass dieser Universal Exposition war das St. Louis Art Museum gebaut worden, und 1904 hatten die Deutschen dort während der World’s Fair die größte Ausstellungsfläche im Museum für Bilder und Statuen erhalten. Um die Jahrhundertwende stand die Deusch-Amerikanische Kultur in St. Louis in voller Blüte und es wimmelte nur so von Verehrern der Musik Richard Wagners. Das dürfte der Grund für das Aufstellen dieser Siegfried-Skulptur gewesen sein, die überraschenderweise alle Wellen anti-deutscher Gefühle im Ersten und Zweiten Weltkrieg im wörtlichen Sinne überstanden hatte. Siegfried Unseld starrte die Figur bewundernd an, und als ich ihm sagte, dieser Siegfried sei gerade aus Anlass seines Besuchs ihm zu Ehren aus dem Depot geholt worden, glaubte er mir für den Bruchteil einer Sekunde, um dann loszulachen. Inzwischen ist die Skulptur verschwunden, wahrscheinlich im Keller-Inferno des Museums, wo jene Kunstwerke verstauben, für die man alle Hoffnung fahren lassen kann, dass sie jemals wieder die Sonne der Publizität genießen werden. Die Nische in der Fassade ist seitdem leer, aber jedes Mal, wenn ich an ihr vorbeikomme, muss ich an Unselds Lachen von 1980 denken. Die Suhrkamp/Insel Collection dagegen brauchte sich nicht zu verstecken. 1984 hatten wir bereits einen Ehrenplatz für sie in der Universitäts-Bibliothek ein-

23 „Das Tagebuch“ Goethes und Rilkes „Sieben Gedichte“, erläutert von Siegfried Unseld. Frankfurt am Main 1978. 24 Vgl. dazu den Aufsatz über die Weltausstellung in St. Louis in diesem Band.

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gerichtet. Wieder kam Unseld uns besuchen. Ich hatte ihn zu einer Tagung über Goethes Erzählwerk25 eingeladen, die von Freitag, 30. März bis Sonntag, 1. April dauerte, und die ich gemeinsam mit dem Kollegen James E. McLeod vorbereitet hatte. Er hielt – vorgestellt und begrüßt durch Chancellor Danforth – auf Englisch am 30. März abends die Bankett-Rede zu seinem Lieblingsthema „Goethe and His Publishers“. Wieder trafen wir uns bei seinem Aufenthalt mit dem Dekan der Bibliothek, der ihm eine speziell für die Suhrkamp/Insel Collection reservierte Regalwand der Olin Library zeigte. Dort waren die bisher eingetroffenen Bände der neuen Sammlung zu bewundern. Dieser Moment wurde auch auf einem Foto festgehalten. Eberhard Lämmert war ebenfalls zur Goethe-Tagung gekommen, und beim Empfang, den ich zu Ehren der Symposiums-Teilnehmer nach dem Bankett am 30. März abends in meinem Haus gab, wurde auch ein Schnappschuss mit Unseld und Lämmert gemacht. Unseld, der am Donnerstag, 29. März in St. Louis angekommen war, reiste am Samstag, 31. März schon wieder ab. Er registrierte unser Bedauern darüber, dass es mit der inaugurierten Suhrkamp Writer in ResidenceStelle nicht geklappt hatte, ermunterte mich aber während seines Besuchs dazu, ihn in Zukunft wieder um etwas zu bitten, was unserem German Department zugute kommen könnte. Ein Jahr später erhielt Unseld den Ehrendoktortitel der nach Johann Wolfgang von Goethe benannten Universität Frankfurt. Burgel Zeeh rief mich im März 1985 an und fragte, ob ich dem Geehrten nicht einen Doktorhut besorgen könne: Solche Kopfbedeckungen gäbe es in Deutschland nicht mehr. Ich ließ durch unsere Sekretärin einen feuerroten doctoral cap mit goldener Quaste in einem Laden in St. Louis besorgen, der solche Dinge auf Lager hatte und schickte ihn an Frau Zeeh. Wegen Frankfurt musste der Doktorhut mit seiner Farbe an Faust oder Mephisto erinnern. Bei meinen späteren Besuchen im Verlag sah ich das Prachtstück einige Jahre lang an einer Wand in Unselds Büro hängen. Der Verleger lud sein St. Louis-Dreigestirn zum Festakt ein: Danforth, Schwarz und Lützeler. Chancellor Danforth war verhindert, aber Egon Schwarz und ich folgten der Einladung. Der Festakt in der Universitäts-Aula am 29. April 1985 war, wie sollte es anders sein, musikumrahmt und redenreich. Die charmante Vera Rüdiger, Hessische Ministerin für Wissenschaft und Kunst, entrichtete ein Grußwort und Volker Bohn als Dekan sprach die Laudatio. Unseld hielt den Vortrag „Goethe und seine Verleger“. Die anschließende Feier fand in der Villa Bonn in der Siesmeyerstraße statt. Ich selbst saß neben dem Nachwuchsautor Bodo Kirchhoff, dessen „Mexikanische Novelle“ von 1984 ich gerade gelesen hatte, und der von der Arbeit an

25 Goethes Erzählwerk. Interpretationen. Hg. v. Paul Michael Lützeler und James E. McLeod. Stuttgart 1985.

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einem größeren Roman sprach, für den er sich viel Zeit nehmen werde. Ich denke, dass „Infanta“ gemeint war, ein Buch, das – lektoriert von Joachim Unseld – fünf Jahre später erschien und ihn berühmt machte. Ich hatte auch Gelegenheit, mit Unseld zu sprechen. Der erzählte mir, dass Max Frisch, der nicht zur Ehrenpromotion kommen konnte, ihn kürzlich angerufen habe, wobei er sich folgende Bemerkung nicht habe verkneifen können: Ja, große Ehre, Doctor honoris causa an der Johann Wolfgang Goethe-Universität – das sei doch etwas anderes als ein honorary degree aus der Prärie. Über die von ihm kolportierte Max Frisch-Anekdote musste er selbst laut lachen. Offenbar hatte Max Frisch, der nie in St. Louis gewesen war, sich unter einem Doktorhut aus dem Mittelwesten einen cowboy hat vorgestellt, den man nur beim Karneval tragen könne. (Dank des Shanghai Rankings der führenden Universitäten in aller Welt wissen wir inzwischen, dass die Washington University in St. Louis zu den besten dreißig Universitäten zählt und damit weit vor der Universität Frankfurt rangiert: Amerika, du hast es besser. Die Goethe-Universität der hessischen Metropole tummelt sich – wie etwa auch die University of Massachusetts in Amherst – im 150er Bereich.) Am 13. Mai 1985 schrieb Unseld mir auf meine Dankesnotiz hin: „Ich freue mich über Ihre Freude, dagewesen zu sein.“ Ein weiteres Jahr später fragte ich bei Unseld an, ob er nicht ein Suhrkamp Special Fellowship für besonders gute graduate students am German Department der Washington University stiften könne. Da zögerte er zunächst; er müsse das überdenken, ich soll doch mit ihm darüber sprechen, wenn ich im Juni wieder im Verlag sei. Es war so, dass ich seit 1973 fast jedes Jahr den Verlag besuchte, und meistens traf ich Unseld zu einem kurzen Gespräch. Bei der Unterhaltung im Juni 1986 schaltete sich Burgel Zeeh ein, die merkte, dass die schwäbische Sparsamkeit den Verleger wieder fest im Griff hatte. Sie meinte, die amerikanische Germanistik – besonders die in St. Louis – müsse man unterstützen. Gut, meinte Unseld, dann solle sie nach St. Louis fahren, um das Stipendium anzukündigen. Burgel Zeeh war verblüfft, aber auch schlagfertig: Das werde sie gerne machen. So besuchte sie uns im September 1986 in St. Louis, kündete bei einem festlichen Essen in unserem Faculty Club das Geschenk des Verlegers an, besuchte ‚ihre‘ Suhrkamp/Insel Collection und genoss, gemeinsam mit ihrem Mann, die Gastfreundschaft des German Departments, dessen Chairman ich damals war. Unseld besuchte die Washington University erneut vom 16. bis 18. März 1990, als ich eine Tagung zur Literatur der 1980er Jahre veranstaltete. Erneut gewann ich ihn als Bankett-Redner: Am Abend des 16. März hielt er seinen Vortrag, diesmal zum Thema „A Publisher’s Remarks on German Literature of the 1980s“. Er zog eine stolze Bilanz, lobte vor allem die Autoren seines Hauses, wie Thomas Bernhard, Peter Handke, Martin Walser und Jurek Becker, der selbst anwesend

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war, und beschrieb die Aufgaben des Verlegers in der Dreiecksbeziehung von Autor, Leser und Unternehmer. Jurek Becker – der Mauerfall lag noch kein halbes Jahr zurück – sprach über die „Wiedervereinigung der deutschen Literatur“: schwere Zeiten für die DDR-Autoren, die sich nun mit den westdeutschen Marktmechanismen konfrontiert sahen. Eingeladen hatte ich neben Jurek Becker den Autor Hanns-Joseph Ortheil, Kritiker wie Volker Hage und Ulrich Weinzierl und Germanisten bzw. Germanistinnen wie Judith Ryan und Wendelin Schmidt-Dengler. Die Tagungsvorträge erschienen im gleichen Jahr 1990 (inklusive Unselds Beitrag) in einem Doppelheft des „German Quarterly“, was dem Verleger gut gefiel. Zum Symposium war Unseld mit seiner Lebensgefährtin Ulla Berkéwicz angereist, die er ein halbes Jahr später heiratete. Die Autorin schrieb damals an ihrem Buch „Engel sind schwarz und weiß“, das zwei Jahre später erschien. Diesmal blieb Unseld während der ganzen Konferenz in St. Louis und ich brachte ihn in Verbindung mit dem Kurator des St. Louis Art Museum. Die beiden besprachen eine Max Beckmann-Ausstellung, die im Frankfurter Städel Museum geplant war. Der Verleger war vom Direktor des Städel-Museums gebeten worden, in St. Louis vermittelnd behilflich zu sein. Unseld legte – zu Recht – Wert darauf, auch als promovierter Germanist ernstgenommen zu werden. Am 10. April 1992 hatte ich sein monumentales Werk „Goethe und seine Verleger“ in der „ZEIT“ ausführlich und lobend rezensiert, hatte auch bemerkt, dass Unseld sich als der Johann Friedrich Cotta unserer Tage sehe, und das sogar in einem doppelten Sinne: Zum einen wollte er die wichtigsten deutschsprachigen Autoren und Autorinnen seiner Gegenwart verlegen, aber zugleich trieb ihn der Ehrgeiz um, erneut der Verleger der Klassiker, vor allem Goethes, zu sein.26 Er hatte bereits bei seinem Besuch im Frühjahr 1990 davon gesprochen, dass er sein Buch gerade abgeschlossen habe. Im Brief vom 3. Juni 1992 schrieb er mir: „Natürlich habe ich mich über Ihre Rezension in der ZEIT ungemein gefreut: sie ist ausführlich, gründlich, man ist danach wirklich informiert.“ Unseld hatte das Buch Burgel Zeeh gewidmet, und so denke ich mir, dass sie ebenfalls von der Besprechung angetan war. Sie war es auch, die mich einschaltete, als die englische Übersetzung von Unselds Buch in einer kurzen Besprechung mit dem Titel „Goethe and His Publishers“27 am 23. September 1996 in „The Publisher’s Weekly“28 verrissen worden war: ausgerechnet in dieser renommier-

26 Paul Michael Lützeler: „Geist oder Geld. Goethe und seine Verleger, von Siegfried Unseld“. In: DIE ZEIT 16 (10. April 1992): 12. 27 Siegfried Unseld: Goethe and His Publishers. Translated by Kenneth J. Northcott. Chicago 1996. 28 Es handelt sich um eine anonyme Rezension, die mit „Nov.“ gezeichnet ist und am 23. September 1996 im „Publisher‘s Weekly“ erschien.

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ten, seit 1872 erscheinenden Zeitschrift, deren Abnehmer vor allem amerikanische Verleger und Buchhändler sind. Unseld selbst hatte einen Leserbrief an die Zeitschrift geschickt, in dem es hieß: „Your unsubstantiated claim that my work is based entirely on other scholars’ research‘, is not only unfair but also patently false“. Damit hatte er Recht, und ich leistete ihm Schützenhilfe, indem ich einen Protestbrief an das Blatt schickte. Eine Kopie davon faxte ich am 5. November 1996 an Burgel Zeeh. Weder Unselds noch meine Stellungnahme erschienen im „Publisher’s Weekly“. Wahrscheinlich der Rezension in der „ZEIT“ verdankte ich die persönliche Einladung zu einem Abendessen im Hause Unseld in der Klettenbergstraße am 12. August 1993. Vor dem Essen führte Unseld mich durch den Keller des Hauses, wo er alle Publikationen des Suhrkamp Verlags verwahrte; ein erstaunliches Arsenal, das man nun im Deutschen Literaturarchiv bewundern kann.29 Besonders lange verweilte er bei seinen frühen Jahren. Da zeigte er mir die vielen „Spectaculum“-Bände. Als der erste Band von 1956 ein Erfolg gewesen war, habe er, Unseld, gleich den nächsten Band starten wollen. Aber Peter Suhrkamp sei davon nicht begeistert gewesen. „Sie sind ein Wiederholer“, habe er abgewunken. Dass die Wiederholung ihre guten Seiten hat, zeigt sich bis heute, denn „Spectaculum“ ist aus der deutschen Dramenszene nicht mehr wegzudenken. Zu dem Dinner waren auch Elisabeth Borchers, Burgel Zeeh und Ulla Berkéwicz eingeladen worden. Unseld dominierte auch hier das Gespräch. Es ging um Neuerscheinungen und Kritik, um Amerikaerfahrungen und Politik. Ich sagte etwas Beifälliges über „Engel sind schwarz und weiß“, ein Roman, den ich schätze. Das Buch schenkte die Autorin mir bei der Verabschiedung mit einer Widmung. Einen Monat später, im September 1993, fragte ich bei Unseld an, ob er ein Sommerstipendium für Nachwuchsgermanisten stiften könne, die in unserer Spezialsammlung Gegenwartsliteratur und in der Suhrkamp/Insel Collection forschen wollten. Unseld hatte bei meinem Besuch am 12. August durchblicken lassen, er wisse es zu würdigen, dass ich auch Autoren und Autorinnen seines Verlags als Max Kade Writer in Residence wie Erica Pedretti, Paul Nizon und seinen Freund Jurek Becker eingeladen habe. Hinzu kam, dass die Nachwuchsgermanisten von der Suhrkamp/Insel Collection bei ihren Forschungen direkt profitieren würden. Unseld zeigte sich erneut großzügig und gewährte das Stipendium für drei Jahre mit jeweils 3.000 Dollar. Diese Unterstützung kam ihm offenbar besonders sinnvoll vor und so verlängerte er das Stipendium 1996 für weitere drei Jahre.

29 Jan Bürger: „,Aber unsere große Entdeckung … war Siegfried Unseld‘. Ein erster Blick auf das Archiv der Verlage Suhrkamp und Insel“. In: Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft 54 (2010): 13–20.

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Es war ein bisschen wie bei einem Indianer-Potlatch: Die Alma Mater tat etwas für seine AutorInnen, und Suhrkamp tat etwas für die Washington University. Anfang November 1993 gratulierte Unseld mir zu einem runden Geburtstag. Er schrieb: „Glückwunsch zum 50. Geburtstag, zur Rosa May Professur: wir begrüßen Sie im Kreise der Erwachsenen und wünschen Ihnen für das nächste Jahrzehnt alles erdenklich Gute! Sie haben in den letzten Jahren so viele Grundsteine gelegt, wir sind zuversichtlich, dass sich darauf gut weiter aufbauen läßt.“ Die meisten Schwaben feiern ihren 40. Geburtstag als definitiven Einstieg in die Phase des Erwachsenenlebens. Unseld sah das anders und nahm sich mit diesem Schritt Zeit. Seinen 40. Geburtstag im Jahr 1964 feierte er, nach allem was ich hörte, im kleinen Kreis, dagegen seinen 50. als die größte Party seines bisherigen Lebens: Zum 28. September 1974 lud er nach Königstein im Taunus 250 Gäste mit Ernst Bloch als Festredner ein. Dazu erhielt ich allerdings keine Einladung, denn damals kannten wir uns noch nicht gut genug. 1994 bestellte Unseld mich am 6. Juni zu einem Mittagessen in sein Privathaus in der Klettenbergstraße. Ich hatte ihm geschrieben, dass ich ihn gerne zum Symposium aus Anlass des 10-jährigen Bestehens des Max Kade Zentrums im März 1995 einladen wolle, wieder die bewährte Rolle des banquet speaker zu übernehmen. Die Einladung nahm er gleich an. Vorher feierte er noch am 28. September 1994 seinen 70. Geburtstag. Da konnten seine St. Louis-Freunde, die eingeladen worden waren, nicht anwesend sein, doch das Dreigestirn von William Danforth, Egon Schwarz und mir schickte ihm Glückwünsche. Ich expedierte bei der Gelegenheit Mark Twains „Life on the Mississippi“ nach Frankfurt. Unseld, der unsere Region gerne als Mark Twain Country bezeichnete, bedankte sich und revanchierte sich mit zwei Büchern: mit dem Band „Der Verleger und seine Autoren“,30 zusammengestellt von Schriftstellern, die in den letzten zehn Jahren zum Verlag gekommen waren, sowie mit einer Bibliografie seiner Veröffentlichungen seit 1951.31 Unselds Bankett-Rede bei unserer Max Kade Center-Tagung 1995 (24. bis 26. März) war ein Erfolg. Das Thema war die multikulturelle deutschsprachige Literatur der Gegenwart. Eingeladen waren alle Autorinnen und Autoren, die bisher zwischen 1985 und 1995 als Max Kade AutorInnen nach St. Louis gekommen waren: Barbara Frischmuth, Silvio Blatter, Erica Pedretti, Paul Nizon, Jurek Becker, Sten Nadolny, Peter Schneider, Ursula Krechel, Hanns-Josef Ortheil, Yüksel

30 Autoren des Suhrkamp Verlages: Der Verleger und seine Autoren – Siegfried Unseld zum siebzigsten Geburtstag. Frankfurt am Main 1994. 31 Veröffentlichungen 1951 bis 1994: eine Bibliographie. Zum 28. September 1994. Siegfried Unseld. Frankfurt am Main 1994.

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Pazarkaya, Barbara Honigmann und Klaus Hoffer.32 Eigentlich hatte zusätzlich Ulla Berkéwicz mitkommen wollen, um in einer eigens bei der Tagung anberaumten Veranstaltung aus ihrem Roman „Engel sind schwarz und weiß“ zu lesen, aber eine Erkältung hatte sie davon abgehalten zu kommen. An ihrer Stelle übernahm Peter Schneider die Dichterlesung und gab einige Kapitel aus seinem Roman „Paarungen“ zum Besten. Damals gab es einige Kritiker – unter ihnen Uwe Wittstock –, die monierten, dass die deutsche Literatur einen zu geringen Unterhaltungswert aufweise. In seiner am Freitagabend im Faculty Club (Whittemore House) gehaltenen banquet speech „Contemporary German Literature: Tedious, Boring, Dull?“ brachte Unseld Argumente gegen diese Anklagen vor. Auf dem Fußballfeld der Literatur gab der Verleger sich als glänzender Verteidiger, der alle Angriffe der Unterhaltungspartei auffing und seine Bälle weit ins gegnerische Feld des Massengeschmacks schmetterte, zuweilen sogar ein Tor erzielte. Von einer Literatur im Abseits könne doch bei den Erfolgen etwa Sten Nadolnys oder Jurek Beckers keine Rede sein. Für den bloßen Unterhaltungswert sei die Trivialliteratur zuständig; er sei der Verleger der klassischen Moderne, der Avantgarde in ihren historischen und aktuellen Filiationen. Übrigens werde sich das gedruckte Buch auch im Zeitalter der elektronischen Medien behaupten, da sei er ganz sicher. Unseld beendete seine Rede mit der Feststellung: „Marshall McLuhan hat im Dezember 1970 das Ende des Buches für Dezember 1980 vorausgesagt. Im Dezember 1980 starb aber nicht das Buch, sondern Marshall McLuhan, und sein Institut für Zukunftsforschung in Toronto wurde geschlossen.“ Am Samstagabend gab der amerikanische Schriftsteller William Gass, der damals das International Writers Center an der Washington University leitete, noch einen Empfang für die Teilnehmer am Symposium, und Peter Schneider, Jurek Becker, der zusammen mit seiner Frau Christine teilnahm, wie Siegfried Unseld unterhielten sich angelegentlich mit ihm. Am 3. April 1995 schrieb Unseld mir aus Frankfurt: „Ich hoffe, Sie sind mit dem Verlauf der Tagung zufrieden. Insgesamt waren die Statements doch eindrucksvoll.“ Und drei Tage darauf meldete er sich erneut aus Deutschland: „Ich war gerne in St. Louis, auch ich habe das Gefühl, daß es nicht zum letzten Mal war.“ Diesmal trügte ihn sein Gefühl. Dieser fünfte war sein letzter Besuch in St. Louis. Als ich ihn am 29. Mai 1995 im Verlagshaus in Frankfurt wiedersah, erklärte mir Unseld, warum er den Aufenthalt bei uns im März in besonders guter Erinnerung habe. Er sei nämlich anschließend nach New York geflogen, wo

32 Der Tagungsband erschien zunächst auf Englisch und dann auf Deutsch: Multiculturalism in Contemporary German Literature, Theme Issue of: World Literature Today 69.3 (1995); Schreiben zwischen den Kulturen. Beiträge zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Hg. v. Paul Michael Lützeler. Frankfurt am Main 1996.

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er seine Frau Ulla, die sich wieder erholt hatte, traf, um mit ihr der Einladung von George Braziller zu einem Lunch im Metropolitan Museum zu folgen. Dort sollten sich die beiden Verleger über die Publikation der Übersetzung von Ulla Berkéwicz’ „Engel sind schwarz und weiß“ einig werden. Aber Braziller sei im Verlauf des Essens immer unfreundlicher geworden und habe die Publikation abgelehnt.33 Noch schlimmer: Unseld habe sich beim Lunch eine Fischvergiftung zugezogen und sei danach geradezu von Todesangst übermannt worden. Kein Wunder, dass ihm St. Louis in so hellem Licht erschien, New York diesmal dagegen wie die Pforte zur Unterwelt. Unseld interessierte sich auch für die Geschichte von St. Louis und wusste vom Einfluss der 1848er auf die Geschicke der Stadt. (Man denke etwa an Carl Schurz, der es vom Zeitungsverleger in St. Louis bis zum Innenminister der USA brachte.) Im April 1998 erkundigte er sich angelegentlich nach Friedrich Hecker, über den sein Freund und Autor Martin Walser damals ein kleines Buch34 schrieb. Hecker, der führende Revolutionär im Badischen, war in die USA geflohen und landete in St. Louis. (Einer seiner direkten Nachfahren, Lansing Hecker, ist übrigens heute in dieser Stadt Ehrenkonsul der Bundesrepublik Deutschland.) Ich schickte Unseld ein Foto vom Friedrich Hecker-Denkmal im Benton Park in St. Louis samt zugehöriger Legende. Die 48er-Revolution lag damals 150 Jahre zurück, und so gab es allerlei Gedenkveranstaltungen, natürlich auch in der Paulskirche zu Frankfurt am Main. Was Unseld damals selbst publizierte, war allerdings weit von allem Revolutionären entfernt. Er schickte mir Anfang 1999 sein durch Goethe inspiriertes Gingko-Buch,35 und ich sandte ihm im Gegenzug eine Packung Gingko-Tee. Er bedankte sich in einem Brief vom 24. Februar 1999 dafür mit den Worten „Nach dem Motto ‚Lieben belebt‘ werde ich Glas für Glas verinnerlichen!“ Ich selbst sah Unseld noch zuweilen im Verlag und bei Kritikerempfängen in seinem Haus während der Buchmessen, die ich jedes dritte Jahr besuchte. Er lud mich auch zum 50-jährigen Verlagsjubiläum ein. Das wurde am Samstag, dem 1. Juli 2000 abends im Frankfurter Schauspielhaus gefeiert, und es war interessant zu sehen, wie Unseld nicht nur von bekannten Autoren wie Amos Oz, Jorge Semprún, Mario Vargas Llosa und Martin Walser geehrt wurde, sondern wie ihn auch Vertreter aus Wirtschaft und Politik als prominenten Repräsentanten deut-

33 Das Buch erschien in englischer Übersetzung dann in einem anderen Verlag: Ulla Berkéwicz: Angels are Black and White. Translated by A. Leslie Willson. Columbia, S.C. 1997. 34 Martin Walser: Der edle Hecker sowie Episoden aus dem Heckerzug. Zehn Bilder nach den Lithografien von Johannes Grützke. Frankfurt am Main 1999. 35 Siegfried Unseld: Goethe und der Ginkgo: Ein Baum und ein Gedicht. Frankfurt am Main 1998.

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scher und kosmopolitischer Kultur lobten. Bundeskanzler Gerhard Schröder eilte raschen Schrittes auf Unseld zu, um ihm zu gratulieren. Auch der gewichtige ehemalige Vorstandssprecher der Deutschen Bank, Hilmar Kopper, ließ sich mit seiner Freundin Brigitte Seebacher-Brandt blicken. Minister und Ministerinnen von Bund und Land umrahmten den etwas erschöpft wirkenden Gastgeber. 2001 und 2002 wurden Burgel Zeeh und Siegfried Unseld krank, und von ihren Leiden erholten sie sich nicht mehr. Unseld hatte mir am 13. September 2002 noch eine Einladung zum Kritikerempfang während der Buchmesse schicken lassen, aber am 1. Oktober erhielt ich wie alle anderen Eingeladenen von Ulla Unseld-Berkéwicz die Nachricht, dass Unseld wegen seiner Krankheit nicht am Kritikerempfang teilnehmen könne: Das Treffen werde daher diesmal nicht in der Klettenbergstraße, sondern erstmals im Verlag stattfinden. Burgel Zeeh fehlte an dem Abend. Sie sagte mir, als ich sie zufällig während der Buchmesse bei einem anderen Verlagsempfang traf, dass es Unseld sehr schlecht gehe. Der Verleger starb zwei Wochen nach der Buchmesse, am 26. Oktober 2002, und Burgel Zeeh erlag ihrem Krebsleiden sieben Jahre später, am 2. März 2009. Meine amerikanische Kollegin Katharina Mommsen36, die mit Frau Zeeh seit langem befreundet gewesen war, teilte mir die Nachricht einen Tag später mit. Ich schrieb an Frau Mommsen, dass ich ihre Bewunderung für Burgel Zeeh teile. Unseld und Zeeh habe man ja immer zusammendenken müssen: Sie sei so etwas wie das rheinische Über-Ich zu seinem schwäbischen Es gewesen, und gemeinsam hätten sie das erfolgreichste Verleger-Ich im Literaturbetrieb der alten Bundesrepublik ergeben. Marcel Reich-Ranicki äußerte einmal scherzhaft in einer Runde, dass – gehe es um Suhrkampbelange – er sich immer frage: „Soll ich Siegfried Unseld konsultieren oder gleich Burgel Zeeh anrufen?“

36 Katharina Mommsen hat ihr neues Buch der Erinnerung an Burgel Zeeh gewidmet: Kein Rettungsmittel als die Liebe. Schillers und Goethes Bündnis im Spiegel ihrer Dichtungen. Göttingen 2010.

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Ein Wochenendseminar über Lyrik nach Celan in St. Louis (2004)1 Der Dichter Paul Celan war jüdischer Herkunft, geboren in der Bukowina. Er lebte in Österreich, Deutschland, der Schweiz und schließlich in Frankreich – ein im besten Sinne europäisch-kosmopolitischer Schriftsteller deutscher Sprache. Die VolkswagenStiftung wählte Paul Celan als Namensgeber für ein Fellowship-Programm, das deutsche Germanistikprofessorinnen und -professoren im Zwei-Jahres-Rhythmus jeweils einen Monat lang an das Max Kade Center for Contemporary German Literature an der Washington University in St. Louis, Missouri, führt. Dort veranstalten sie ein Wochenendseminar für US-amerikanische Nachwuchsgermanisten, an dem auch ein deutschsprachiger Autor, ein Übersetzer und ein Verlagsvertreter teilnehmen. Der deutsche Professor seinerseits soll einen jungen amerikanischen Germanisten oder eine Germanistin daraufhin einen Monat lang in Deutschland bei dessen Forschungen betreuen. Eine runde Sache sozusagen, die der Gründer des Max Kade Center, Paul Michael Lützeler, – das German Department, an dem er lehrt, gilt als eines der besten der Vereinigten Staaten – konzipiert hat und die die Stiftung mit insgesamt 113.000 Euro fördert. Als erster Paul Celan-Fellow ging im März 2003 Heinrich Detering von der Universität Kiel an die Washington University; er hielt dort einen Workshop zur „Lyrik nach Paul Celan“ ab. Neben Celan ging es um Friederike Mayröcker, Thomas Kling, Hans Magnus Enzensberger und um die Lyrik der beiden – anwesenden – Autoren Durs Grünbein und Michael Hofmann. Mit Professor Lützeler und Professor Detering sprach Vera Szöllösi-Brenig von der VolkswagenStiftung. Professor Detering, Professor Lützeler, das deutsch-amerikanische Verhältnis hat sich ja – Stichwort Irak-Krieg – merklich verschlechtert, aber auch darüber hinaus haben sich die engen Beziehungen der Nachkriegszeit zwischen den beiden Ländern erheblich gelockert: Wie wirkt sich die ‚große Politik‘, das deutsch-amerikanische Verhältnis, auf Ihren Workshop aus? Detering: Ich bin wenige Tage vor dem Kriegsausbruch in St. Louis angekommen, und da war es gar nicht zu vermeiden, dass dieses Thema überall präsent sein würde. Von Beginn an habe ich diese Präsenz gewissermaßen als eine ‚gespal-

1 Vera Szöllösi-Brenig im Gespräch mit Paul Michael Lützeler und Heinrich Detering: „Transatlantische Kommunikation. Paul Celan Fellowship: Amerika als Treffpunkt deutscher Gegenwartsliteratur“. In: Impulse für die Wissenschaft. Aus der Arbeit der VolkswagenStiftung (2004): 56–62.

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tene‘ erlebt: Da waren einerseits die aggressiven, propagandistischen, oft vehement anti-europäischen Töne in den Radio- und Fernsehstationen, rund um die Uhr. Und da war andererseits die sehr nachdenkliche und skeptische Haltung, der ich bei den Kollegen wie bei den Studenten allenthalben begegnete; zugleich eine große Offenheit, ja Sympathie Europa, auch uns – Durs Grünbein, Michael Hofmann und mir – gegenüber als Europäern. Im Workshop selbst spielte die politische Situation natürlich nur eine indirekte Rolle, insofern das Thema des Krieges eben fortwährend in der Luft lag. Vielleicht hat aber gerade dieser Umstand dazu beigetragen, dass die Sensibilität für politische Untertöne in den von uns erörterten Dichtungen geschärft war: dass also beispielsweise die Antworten Celans, aber auch jüngerer Autoren wie Klings oder Grünbeins auf das Grauen der Kriege – vom spanischen Bürgerkrieg in Celans Gedicht „Schibboleth“ bis zur Zerstörung Dresdens, über die Grünbein sprach –, mit besonderer Anspannung gehört wurden; um hier vom immer wieder auftauchenden Thema des Holocausts zu schweigen. Lützeler: Am Rande, das heißt vor Beginn des Workshops und als die Arbeit getan war, wurde mit den Referenten und Teilnehmern viel über die amerikanisch-europäische Zerreißprobe diskutiert. Aber das Seminar selbst blieb auf das Thema ‚Lyrik nach Paul Celan‘ bezogen. Nichtsdestoweniger war man sich der politischen Großwetterlage bewusst, und indirekt wirkte sie sich vielleicht auf die eine oder andere Akzentuierung in den Vorträgen und Diskussionen aus. Es geht ja auch nicht darum, dass wir als Germanisten in Krisenzeiten direkte politische Stellungnahmen abgeben, sondern qua Kultur vermittelnder Arbeit demonstrieren, wie gut die Verständigung transnational weiterhin funktioniert. Herr Detering, was ist anders, wenn man als Professor vor deutschen oder vor amerikanischen Studenten steht? Detering: Das lässt sich schwer vergleichen, weil die Ausgangssituationen so unterschiedlich sind. Vor einigen Jahren war ich Gastprofessor an der Universität von Kalifornien, da hatte ich es mit eher kleinen – wenngleich sehr engagierten – Gruppen von Studenten zu tun. Zum jetzigen Seminar ‚Lyrik nach Paul Celan‘ hingegen versammelte sich eine größere Zahl fortgeschrittener Studenten und Assistant Professors von – wenn ich mich richtig erinnere – Colleges und Universitäten aus siebzehn Staaten der USA. Darunter waren nicht wenige, die sich schon seit längerem und auf hohem wissenschaftlichen Niveau mit Celans Dichtung und ihren Kontexten beschäftigt hatten. Das Interesse und die Vorkenntnisse waren daher sehr hoch, beeindruckt haben mich auch die enorme Arbeitsbereitschaft der Teilnehmer und die dauerhafte, konzentrierte Aufmerksamkeit.

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Professor Lützeler, Sie kennen ja beide akademischen „Kulturen“ sehr gut: Gibt es Unterschiede, und worauf sind diese Ihres Erachtens zurückzuführen? Lützeler: Zur Gründungsgeschichte und zum Gründungsmythos der USA gehört die Abwendung von Europa, von einem Kontinent, mit dem die Amerikaner Unfreiheit und Reaktion assoziierten – einerseits. Andererseits aber war man sich in den Vereinigten Staaten immer bewusst, wie stark man der europäischen Kultur und ihren Bildungseinrichtungen verbunden ist. Attraktion und Distanz halten sich seitdem in etwa die Waage. Das gilt auch umgekehrt für die Einstellung der Europäer zu Amerika. Für Europa blieben die USA lange die Welt der ungeratenen Söhne bzw. der ‚Gleichheitsflegel‘, wie Heine die Amerikaner nannte. Im akademischen Bereich liegen die Dinge ähnlich: Die demokratischere Struktur der US-Universitäten ist für Studierende (wegen der individuellen Betreuung) und für junge AkademikerInnen (wegen der Entfaltungsmöglichkeiten) immer noch attraktiver als die tendenziell aristokratisch-privilegienbewusstere europäische Hochschule. Lernen kann man in und von beiden akademischen Kulturen: vive la différence. Herr Lützeler, Herr Detering, warum war ausgerechnet die Gegenwartsliteratur Thema des Workshops? Ist Lyrik überhaupt der Studentengeneration zu Beginn des 21. Jahrhunderts zu vermitteln? Gibt es gar einen Unterschied zwischen hüben und drüben? Lützeler: Vom Didaktischen her gesehen ist es ein Vorteil, bei Gedichten einen relativ kurzen, aber dichten Text vor sich zu haben. Da zählt jedes Wort. Und da Philologen Freunde des Wortes sind, entzünden sich rasch lebhafte Diskussionen. Die deutsche Gegenwartslyrik steht insgesamt im Schatten der Prosa. Drei Prosaisten der deutschsprachigen Literatur haben in den letzten dreißig Jahren Nobelpreise zuerkannt bekommen, kein Lyriker, obgleich Paul Celan ihn verdient hätte. Zu dem Workshop hatten sich besonders die Lyrik-Enthusiasten angemeldet, und so gab es eigentlich keine Vermittlungsprobleme. Man darf auch nicht vergessen, dass die Lyrik in den USA eine sehr beliebte und geachtete Gattung ist und dass zu Poet Laureates nicht selten Lyriker ernannt werden. Detering: Sehr oft habe ich, in Deutschland wie bei Gastprofessuren in Skandinavien oder jetzt in den USA, dieselbe Erfahrung gemacht: Viele Studenten schwanken zwischen der Neugier auf Gedichte und einer Art Berührungsangst gegenüber der literaturwissenschaftlichen, also auch analytischen Beschäftigung mit ihnen. Und schon nach den ersten Lektüren und Diskussionen siegt die Neugier, und die Berührungsangst schwindet. Und mit ihr verschwindet auch die Frage, warum

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man sich eigentlich überhaupt mit etwas so Schwierigem beschäftigt wie der Lyrik. Sie verschwindet, wie beim aufmerksamen Lauschen auf sehr schöne Musik die Frage verschwindet, warum man eigentlich Musik hört. Das gilt zumal für ein Thema wie das unseres Workshops: also die poetischen Themen und Verfahren Paul Celans und der auf ihn folgenden deutschsprachigen Dichtung. Da wird dann sehr schnell deutlich, dass man konzentriertere Auskünfte als diese über die Innenansicht dessen, was sich in Deutschland im Laufe des 20. Jahrhunderts ereignet hat, vielleicht nirgends sonst finden könnte. Welche Rolle spielte es aus Ihrer Sicht, dass an der Veranstaltung auch Durs Grünbein und Michael Hofmann als Autoren bzw. Übersetzer teilgenommen haben? Detering: Vor allem anderen war es wunderbar, den beiden zuzuhören. Durs Grünbein bei der einleitenden Rezitation seiner Gedichte, Michael Hofmann in seinem klugen und anrührenden Vortrag über seine Kunst des Übersetzens und Nachdichtens und die Beziehungen zu seinem eigenen poetischen Schreiben. Und dann war es eine für alle Beteiligten sehr bereichernde Erfahrung, in diesem besonderen Kontext mit Durs Grünbein über dessen Gedichte sprechen zu können, über unterschiedliche Geschichtserfahrungen in Ost- und Westdeutschland, über seine Beziehung zu den lyrischen Traditionen der Moderne, über Celan, aber etwa auch über die russische Moderne. Es war wirklich ein Dialog, der sich da ergab; nicht eine Art lyrische Zugabe zum Seminar, sondern dessen Zentrum. Lützeler: Sich mit Gegenwartsliteratur zu beschäftigen, hat in den USA eine längere Tradition als in Deutschland, und die Studierenden freuen sich immer besonders, wenn sie unmittelbar mit den Autoren sprechen können. So wurde die Attraktion des Seminars durch die Teilnahme von Durs Grünbein und Michael Hofmann erhöht. Von beiden konnte man auch signierte Exemplare ihrer Werke mit persönlichen Widmungen erhalten. Noch wichtiger war, dass sie mit Brillanz aus ihrer Werkstatt als Lyriker bzw. als Übersetzer plauderten. Erwähnt werden sollte auch, dass die Verlagsvertreterin, Ayesha Pande von Farrar Straus & Giroux in New York, so humorvoll wie realitätsnah über deutsche Literatur in englischsprachiger Übersetzung berichtete. Sie verstand sich mit Durs Grünbein und Michael Hofmann gut, erscheint doch demnächst ein Band der Grünbeinschen Dichtung in Hofmanns Übersetzung in ihrem Verlag. Herr Lützeler, war es denn schwierig, die beiden Autoren für die Teilnahme an dem Workshop in den USA zu gewinnen?

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Lützeler: Nein. Ich hatte Autor und Übersetzer schon bei früherer Gelegenheit kennen gelernt. Zu meiner Freude stellte sich heraus, dass die beiden eng befreundet sind, und so nutzten sie die Chance, sich in St. Louis auch persönlich auszutauschen – nicht zuletzt auch bei Gesprächen bei Rotwein bis tief in die Nacht. Das Reizvolle an dem Team Grünbein/Hofmann war, dass sie als Lyriker Kollegen sind, dass Michael Hofmann aber auch der Übersetzer der Gedichte Grünbeins ist. Herr Detering, Gregory Knott war der amerikanische Nachwuchsgermanist, der ‚huckepack‘ zu Ihnen an das Institut für Literaturwissenschaft der Universität Kiel gekommen ist. Wie war die Begegnung zwischen deutschen Studierenden und dem ‚Auslandsgermanisten‘? Detering: So herzlich und offen, wie man sich das nur wünschen mag. Greg hat ja nicht zum ersten Mal eine Universität in Deutschland besucht, so dass es zum culture shock gar nicht erst kommen konnte. Obwohl er bisher nur München und Erlangen kannte, hat er sich in Kiel, mit der Ostsee direkt vor der Tür, vom ersten Tag an sehr wohl gefühlt. Seine deutschen Kommilitonen haben sich allenfalls darüber gewundert, dass ein Amerikaner ein Deutsch mit absolut überzeugendem bayerischen Akzent spricht. Überrascht hat ihn allerdings, wie er mir sagte, das sonnige Sommerwetter; offenbar haben ihm seine Münchner Freunde einige schauerliche Dinge über eine Nebelstadt am Eismeer erzählt. Herr Lützeler, was kann so ein Aufenthalt für Gregory Knott bedeuten? Lützeler: Greg war von den Gesprächen mit Heinrich Detering und von dessen Wochenendseminaren sehr angetan, hat sich also darauf gefreut, die Gespräche in Kiel fortsetzen zu können. Die Konsultationen mit Heinrich Detering, der sich in der Gegenwartsliteratur bestens auskennt, der erneute Kontakt mit deutschen Studenten, die Möglichkeit auch, Archive in Deutschland zu besuchen: All das kommt seiner Dissertation über das Verständnis von Heimat im deutschsprachigen Roman der Gegenwart sehr zugute. Herr Detering, der Paul Celan-Fellow soll ja in den USA nicht nur lehren, sondern auch forschen: Wozu reist ein deutscher Professor von der Ostsee an den Mississippi? Und wovon haben Sie bei Ihrem Aufenthalt als Paul Celan-Fellow am stärksten profitiert? Detering: Um jetzt nichts von den Reizen des Landes zu sagen, sondern mich nur aufs Literaturwissenschaftliche zu beschränken: Erstens gibt es in St. Louis, dank

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Mike Lützelers Engagement, eine erstklassige Bibliothek zur deutschen Gegenwartsliteratur, in der man zum Beispiel alles griffbereit hat, was man zu einer Anthologie der Lyrik des 20. Jahrhunderts braucht. Zweitens gewinnt man sehr schnell eine Außenansicht dessen, woher man kommt – durch die kulturelle Distanz und Differenz, durch die Gespräche mit amerikanischen Germanistikstudenten, ganz aktuell durch die bedrückende Gegenwart des Krieges. Das ist vielleicht das Nützlichste und das Entscheidende. Und dann sind da schließlich, außerhalb der Universität, mit St. Louis, Chicago und Memphis die Geburtsorte einer Musik, die ich sehr liebe und die ich, vom Scott Joplin-Haus über Chuck Berrys Stammkneipe bis zu den Sun Studios, als sehr lebendig und gegenwärtig erlebt habe. Ich bin daher aus vielen Gründen sehr dankbar für dieses Fellowship, ganz konkret für die herzliche Aufnahme am Institut, besonders durch Mike Lützeler und seine Mitarbeiter, und für die Freundlichkeit und Neugier der Studenten. Herr Lützeler, Sie haben ja selbst das Max Kade Center for Contemporary German Literature gegründet. Welche Aufgabe hat es heute? Lützeler: Die Aufgabe hat sich in den zwanzig Jahren seines Bestehens eigentlich nicht geändert: Erstens haben wir die beste Sammlung deutschsprachiger Gegenwartsliteratur in den USA aufgebaut; alle Literaturverlage aus den deutschsprachigen Ländern schicken uns ihre Neuerscheinungen. Als Gegenleistung erstellen wir daraus eine kommentierte Jahresbibliografie, die wir der nordamerikanischen Germanistik zugänglich machen. Zweitens laden wir jedes Jahr einen Autor / eine Autorin und eine Kritikerin / einen Kritiker aus Deutschland, Österreich oder der Schweiz ein, die ein Seminar zur Gegenwartsliteratur unterrichten. Drittens vergeben wir Stipendien an Studierende, Professoren, Autoren, Kritiker zur Benutzung unserer Sammlung Gegenwartsliteratur. Viertens veranstalten wir Symposien und geben eine Reihe zu diesem Schwerpunkt heraus. Fünftens edieren wir das germanistische Jahrbuch „Gegenwartsliteratur“. Und sechstens veranstalten wir – mit der freundlichen Unterstützung der VolkswagenStiftung – Wochenend-Workshops für den germanistischen Nachwuchs in den USA. Kurzum: Wir tun etwas für die Verbreitung der aktuellen deutschsprachigen Literatur, die wir schätzen. Weil sie im Dialog mit den anderen Dichtungen der Welt hilft, die Komplexität unseres Lebens zu verstehen – wobei das intellektuelle Vergnügen, das Lesen bereitet, gar nicht überschätzt werden kann. Deutscher Kooperationspartner des Paul Celan Fellowship ist das Literaturarchiv Marbach. Halten Sie, Herr Lützeler, uns doch einmal einen Spiegel vor das Gesicht: Wie wichtig ist eine Institution wie das Literaturarchiv für die Auslandsgermanistik?

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Lützeler: Ohne Übertreibung: Für die neuere Germanistik ist Marbach international gesehen Jerusalem, Rom und Mekka in einem. Es gibt keinen anderen Ort, zu dem Germanisten mehr pilgern als dorthin, und gerade die amerikanischen Kolleginnen und Kollegen gehören zu den treuesten Wallfahrern. Wer Marbach unterstützt, hilft der internationalen Germanistik und damit der Verbreitung dessen, was zum Besten der deutschen Kultur zählt. Es ist kein Zufall, dass auch der Nachlass des Autors, nach dem wir unser Fellowship benennen konnten, also Paul Celans, sich ebenfalls im Deutschen Literaturarchiv in Marbach befindet. Dass der Direktor dieses Archivs, Ulrich Ott, sich zur Kooperation für das Paul Celan-Fellowship bereit fand, hat mich aufrichtig gefreut. Es war ein Gewinn für den Workshop, ihn dabei zu haben. Herr Lützeler, haben Sie mit dem Fellow 2003 das von Ihnen verfolgte Ziel, die wissenschaftlichen Kontakte zwischen Deutschland und den USA zu intensivieren, erreicht? Lützeler: Das Seminar, das Heinrich Detering unterrichtet hat, war ein großer Erfolg. Die Referenten und Teilnehmer haben mir alle in den Tagen und Wochen nach der Veranstaltung geschrieben, wie wichtig dieses Wochenende für sie gewesen sei. Im gegebenen Rahmen hat das Seminar sicher einen Beitrag zur Verbesserung der von Ihnen angesprochenen Kontakte geleistet. Ich hoffe, dass es der Beginn einer weiteren Kooperation mit Heinrich Detering und den anderen Referenten war. Allen, besonders auch Ihnen als Vertreterin der VolkswagenStiftung und Wilhelm Krull als deren Generalsekretär, der seinerzeit auf meine Anfrage in dieser Sache sofort positiv reagierte, gilt mein Dank, in den ich auch meine Mitarbeiterinnen und meine Kollegen und Kolleginnen vom German Department der Washington University einbeziehe. In den Jahren 2005 und 2007 werden zwei weitere deutsche Germanistikprofessoren als Paul Celan-Fellow an die Washington University gehen.

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6. Germanistische Zeitschriften in den USA

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Warum ein Jahrbuch „Gegenwartsliteratur“? (2002)1 Es herrscht nicht gerade ein Mangel an germanistischen Periodika, und wenn man eine neue Zeitschrift gründen will, wird einem davon zunächst eher abgeraten – einerseits. Andererseits gibt es keine literarische Epoche, die nicht ihre Fachjournale hätte, und überzeugende Argumente gegen ein Jahrbuch für Gegenwartsliteratur fallen niemandem ein. Die zeitgenössische Dichtung fand früher in der Germanistik kaum Beachtung. Noch in den 1960er Jahren wurde in literaturwissenschaftlichen Instituten nur selten eine Vorlesung angeboten, die sich mit der Literatur der letzten Jahrzehnte beschäftigte. Das hat sich inzwischen geändert. Die amerikanische Germanistik übernahm für eine Weile die Avantgarderolle, aber heute gibt es überall auf der Welt Experten für die jüngste deutschsprachige Literatur. Die Zahl der Dissertationen auf diesem Gebiet wächst, und besonders beliebt sind wissenschaftliche Seminare oder Vorlesungsreihen, in die SchriftstellerInnen einbezogen werden. Viele Universitäten – vor allem in deutschsprachigen Ländern – laden AutorInnen zu Poetikvorlesungen oder zu regelmäßigen Gesprächen ein. Das Jahrbuch „Gegenwartsliteratur“ kommt somit dem wachsenden Interesse an der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur entgegen; es versteht sich als wissenschaftliches Forum, auf dem sie diskutiert wird. An der Washington University in St. Louis veranstalteten wir erstmals 1980 ein (seitdem öfters wiederholtes) Symposium zur aktuellen Dichtung seit 1965. Das starke Echo, das die Tagung selbst und auch die sich daraus ergebende Buchpublikation fanden, gab den Anstoß zur Gründung des Max Kade Zentrums für deutschsprachige Gegenwartsliteratur am German Department unserer Universität. Die beiden Säulen dieses Zentrums waren von Anfang an die Sammlung „Gegenwartsliteratur“ und das Seminar, das jedes Frühjahr von AutorInnen und KritikerInnen für unsere fortgeschrittenen StudentInnen unterrichtet wird. Für die Sammlung „Gegenwartsliteratur“ erhalten wir von allen literarischen Verlagen in den deutschsprachigen Ländern die Ersterscheinungen, so dass wir inzwischen die umfangreichste collection dieser Art an einer amerikanischen Universität besitzen. Wir veröffentlichen darüber jedes Jahr eine kommentierte Jahresbibliografie, die auch über das Internet abrufbar ist. Die Seminare, die von den SchriftstellerInnen und KritikerInnen unterrichtet werden, erfreuen sich großer Beliebtheit, ergänzen sie doch das reguläre germanistische Programm, indem sie

1 Paul Michael Lützeler: „Vorwort“. In: Gegenwartsliteratur. Ein germanistisches Jahrbuch 1 (2002): xiii–xix.

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Einblicke in die Werkstätten der Schriftsteller wie der Kritiker gewähren. Viele der Gäste, die das Seminar unterrichteten, haben in essayistischen und fiktionalen Arbeiten St. Louis erwähnt, so dass die Stadt inzwischen auch ein imaginäres Zuhause in der deutschen Literatur hat. Zudem kann das Zentrum mit der Hilfe von Drittmitteln – etwa des DAAD oder der Thyssen-Stiftung – Wochenendseminare und Forschungsstipendien für Hochschul-GermanistInnen (und solche, die es werden wollen) anbieten. Unsere neueste Initiative ist die Gründung des Jahrbuchs „Gegenwartsliteratur“. Es besteht eine Beziehung zwischen der zunehmenden Vielfalt, Qualität sowie Welthaltigkeit der zeitgenössischen deutschsprachigen Literatur und dem wachsenden wissenschaftlichen Interesse an ihr. Wie andere Nationalliteraturen sich in den letzten Jahrzehnten verändert haben, weisen auch die deutschsprachigen Dichtungen Spuren neuer kultureller Mutationen auf. Diese haben mit der Frauenemanzipation, mit den Migrationsströmen, mit neuen Kommunikationsmöglichkeiten und Technologien, mit der stärkeren Intermedialität der Literatur, mit den moralischen Herausforderungen der biologischen Wissenschaften, schließlich mit der veränderten Weltsituation nach dem Ende des Kalten Krieges zu tun. Schriftsteller sind Seismographen ihrer Zeit. Aber sie erfassen nicht nur neue Realitäten, um sie abzubilden, sondern befinden sich als Querdenker häufig in Opposition zu aktuellen Entwicklungen. Das Neue an der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur ist der unverhältnismäßig hohe Anteil schreibender Frauen im Vergleich zur Literatur der beiden Jahrzehnte nach 1945; ist ihre multikulturelle Dimension als Ergebnis der Tatsache, dass viele AutorInnen aus anderen Staaten in die deutschsprachigen Länder gekommen sind, wobei die SchriftstellerInnen türkischer Herkunft besondere Beachtung gefunden haben; ist die Auseinandersetzung und Kooperation mit den populären Medien; ist im Deutschland nach 1989 die neue Situation einer nicht mehr durch politische Grenzen geteilten Literatur; sind – wie überall im Westen – die ethischen Fragen, die durch die GenTechnologie aufgeworfen werden; ist die Provokation durch den inner- wie außereuropäischen Bürgerkrieg und Terrorismus und ist zudem, allgemein gesprochen, der engere Kontakt zur internationalen literarischen Szene. Dabei sind die Berührungen mit anderen Kulturen nicht wie in vergangenen Jahrhunderten primär eine Sache von Bibliotheksbesuchen, vielmehr werden direkte Erfahrungen in Ländern der verschiedenen Kontinente gemacht und literarisch reflektiert. Gerade dieser kosmopolitische Aspekt der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur macht sie auch fürs Ausland interessant und so überrascht es nicht, dass sie wieder verstärkt in andere Sprachen übersetzt wird. Die meisten der hier beschriebenen Phänomene sind transnationaler Art, aber es gibt daneben doch Spezifika der deutschsprachigen Literatur. Zu ihren Besonderheiten gehört die fortgesetzte Erinnerung an und Auseinandersetzung

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mit Hitlerzeit, Krieg, Exil und Holocaust, mit der Vergangenheit, die nicht vergeht. Zu ihren Besonderheiten zählt auch das Nachdenken über die Studentenbewegung, ihre Ziele und Methoden. Es war die studentisch bewegte Generation, die im Westen Deutschlands die Offenlegung der Verbrechen des Nationalsozialismus in einer breit angelegten, öffentlichen Diskussion forderte. Stärker als früher werden heute in die literarische Erinnerung an die Kriegsereignisse auch die Auswirkungen auf die Deutschen selbst einbezogen (Luftkrieg und Flucht). Auch in den zahlreichen Publikationen der AutorInnen zu den politischen, sozialen und psychischen Problemen, die mit dem Wiedervereinigungsprozess der beiden deutschen Staaten seit 1990 zu tun haben, kommt die nationalsozialistische Vergangenheit oft zur Sprache. Ein weiteres Merkmal dieser Literatur ist die Präsenz der jungen Generation jüdischer SchriftstellerInnen, die im Hinblick auf Erinnerung und Gedächtnis viel beachtete Werke zu den Folgen von Exil und Holocaust in der deutschen, österreichischen und schweizerischen Gegenwart veröffentlicht haben. Mit ihrem Gegenstand verändert sich auch die Literaturwissenschaft. Seit den 1970er Jahren haben feministische Ansätze bzw. Gender Studies, haben Holocaust Studies, haben Diskurse der Postmoderne, der Multi-, Inter- und Transkultur, des Postkolonialismus und der Globalisierung die wissenschaftlichen Methoden in den Literaturwissenschaften beeinflusst. Von der früheren Germanistik im betont nationalliterarischen und monodisziplinären Sinn ist man mehr und mehr abgerückt. Die Praxis des New Historicism in den 1980er und die Ansätze der Cultural Studies in den 1990er Jahren haben verstärkt die Vorzüge (aber auch die Grenzen) inter- und multidisziplinärer Analysen vor Augen geführt. Das Paradigma Nationalliteratur – ein Ergebnis philologischer Konstruktionen des 19. Jahrhunderts – verliert bei den kulturellen Hybridbildungen im späten 20. und frühen 21. Jahrhundert an Attraktivität. Trotzdem ist kaum jemand bereit, das Konzept einer Nationalliteratur preiszugeben. So wenig in Europa mit der kontinentalen Integration die Eigenheiten der Staaten verschwinden werden, so wenig wird sich das Spezifische der Nationalliteraturen im Nichts auflösen. Eine Besonderheit der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur ist ferner, dass sie in drei verschiedenen Nationen geschrieben wird, also in unterschiedlichen Kommunikationsgemeinschaften mit voneinander abweichenden kollektiven IdentitätsGeschichten. Das Augenmerk gilt in Zeiten neuer zivilisatorischer Vermischungen den interkulturellen Fusionen, die allerdings nur genau beschrieben werden können, wenn man sowohl das sogenannte Eigene wie das sogenannte Fremde, das da ineinander übergeht, in der historischen Genese kennt. Und auch für die interdisziplinäre Arbeit gilt, dass man sich der eigenen Disziplin und ihrer Verfahrensweisen sicher sein muss, bevor man fächerübergreifend – was ohnehin immer nur punktuell geschehen kann – recherchiert.

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Parallel zum Themenbereich Literatur und Öffentlichkeit (und im Zusammenhang damit) werden auch Fragen der Ästhetik neu diskutiert: Was es z.B. mit Erzählen und Beschreiben, Repräsentation und Reflexion in der Prosa, mit Experiment und Pastiche in der Lyrik, mit Performativität und Stimme auf der Bühne, mit Rhetorik und Metaphorik in der Essayistik auf sich hat. Was die literarischen Gattungen betrifft, so wird keine von ihnen in diesem Jahrbuch unbeachtet bleiben. Quantitativ gesehen ist die Erzählliteratur traditionellerweise dominant; daran hat sich auch in den vergangenen dreißig Jahren nichts geändert. Die drei letzten deutschsprachigen Literatur-Nobelpreisträger waren bezeichnenderweise Romanschriftsteller. Wenn heute von deutscher Literatur die Rede ist, denkt man in erster Linie an die Erzählprosa. Sie ist es auch, die vor allem in fremde Sprachen übersetzt wird. Nicht minder beachtenswert sind die lyrischen, dramatischen und essayistischen Arbeiten der SchriftstellerInnen. Die Lyrik hat im letzten Jahrzehnt an Bedeutung gewonnen, auf dem Gebiet des Dramas haben sich neue Namen durchgesetzt, und der Essay ist eine Gattung von zunehmender Relevanz, wie die Beiträge zu Diskussionen über die Folgen des Nationalsozialismus, über den Krieg in Jugoslawien, über die Schwierigkeiten bei der Unifikation Europas, über die ‚Fortschritte‘ in den Naturwissenschaften oder über den internationalen Terrorismus gezeigt haben. Von Interesse sind auch die Zusammenhänge zwischen Literatur und anderen Medien (Film, Fernsehen, Internet). Das neue Jahrbuch „Gegenwartsliteratur“ beschäftigt sich mit der Literatur der drei letzten Jahrzehnte in der Bundesrepublik Deutschland, Österreich und der deutschsprachigen Schweiz. Damit sind die räumlichen und zeitlichen Parameter bezeichnet. ‚Gegenwart‘ bedeutet die Zeitspanne einer Generation, hier also (in etwa) die letzten dreißig Jahre. Es geht um die neue Dichtung, deren historische Dimension – mit ihren Traditionen und Brüchen – allerdings nicht aus dem Auge verloren werden soll. Mit den drei Ländern sind Staaten genannt, in denen diese Literatur in deutscher Sprache veröffentlicht wird, gleichgültig, welche Nationalitäten in den Reisepässen der betreffenden AutorInnen verzeichnet sind. Wie deren Werke in einem Kontext mit der Literatur Europas und mit der anderer Kontinente, besonders Amerikas, stehen, so reflektieren auch die Beiträge, die hier aufgenommen werden, die internationale Dialogsituation. Damit sind nicht nur Gegenstand und Methode der Untersuchung gemeint, sondern auch die Tatsache, dass dieses Periodikum ein Forum internationaler Germanistik ist. Die Vielfalt der Germanistiken, wie sie hier deutlich wird, ist auch ein Ergebnis der multikulturellen Verfasstheit der Profession. Die Beiträge werden auf Deutsch oder auf Englisch veröffentlicht. Die internationale Kommunikationssprache in der Germanistik ist Deutsch. Die Tatsache, dass wir auch Beiträge auf Englisch publizieren, hat weniger damit zu tun, dass Englisch sich als lingua franca der Wissenschaft international durchgesetzt hat, sondern damit, dass besonders

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viele GermanistInnen in englischsprachigen Ländern arbeiten, man denke an England, Irland, die USA, Kanada, Australien, Neuseeland, aber auch an Länder wie Indien oder einen Kontinent wie Afrika, wo Englisch oft als überregionale oder transnationale Verständigungssprache benutzt wird. Der Aufbau des Jahrbuches entspricht einer Dreiteilung: Veröffentlicht werden Beiträge zu einem Schwerpunkt, zu allgemeinen Tendenzen sowie Interpretationen zu einzelnen signifikanten Werken. Im ersten Band ergab sich zum Beispiel ein Schwerpunkt zu neueren Büchern eines prominenten Autors (Günter Grass); im zweiten Band wurde der Fokus auf multikulturelle Literatur gelegt. Im Inhaltsverzeichnis veröffentlichen wir nicht nur die Titel der Aufsätze, sondern auch eine kurze Zusammenfassung des jeweiligen Artikels. Im Anschluss an dieses abstract wird die Email-Adresse des Referenten bzw. der Referentin genannt. Die BeiträgerInnen sind promovierte GermanistInnen und arbeiten an international bekannten Universitäten. Auch Rezensionen zu germanistischen Büchern, die sich mit dem Gegenstand unseres Jahrbuches beschäftigen, sind aufgenommen worden. Zuständig dafür ist ein Associate Editor for book reviews. Da das Jahrbuch ein refeered journal ist, wird über die Publikation eingesandter Beiträge entschieden, indem die Texte von zwei oder – falls deren Gutachten widersprüchlich sind – drei GermanistInnen gelesen werden.

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Zur Situation des „German Quarterly“ (1991)

Zur Situation des „German Quarterly“ (1991)1 Die Fachzeitschrift der American Association of Teachers of German (AATG) Was hat das „German Quarterly“ mit den kleiner werdenden Regenwäldern am Amazonas und dem sich vergrößernden Ozonloch zu tun? Auf den ersten Blick wenig, aber auf den zweiten dann doch etwas. Neben den luftverpestenden, sauren Regen erzeugenden Industrieanlagen und Automobilen sind es nämlich die Holzfäller, die die letzten großen Wälder zerstören und dadurch die Natur aus ihrem ökologischen Gleichgewicht bringen. Gebraucht wird das Holz nicht zuletzt für die Papierindustrie, auf dass unter anderem die Zeitungs- und Zeitschriftenbranchen weiterhin expandieren können. Auf die paar Bäumchen, die jährlich dem Papier fürs „German Quarterly“ zum Opfer fallen, so ließe sich einwenden, komme es nun auch nicht an. Aber so argumentieren alle Herausgeber von Zeitschriften, und aufs Ganze gesehen ist es an der Zeit, sich andere Publikationsformen zu überlegen. Es müssen Wege der Veröffentlichung beschritten werden, die den Wäldern wichtigere Aufgaben belassen als das Sterben im Dienst der Nachrichtenvermittlung. Zu den Paradoxien unserer Zeit gehört, dass man über das globale Waldsterben ungeplanter und systematischer Art am meisten durch jene Medien erfährt, die es mitverursachen: die Zeitungen und Zeitschriften. Doch zunächst zu Näherliegendem, zu Fragen, welche die Situation des „German Quarterly“ unmittelbarer betreffen: Die bekanntesten in den USA erscheinenden germanistischen Fachzeitschriften sind die „Monatshefte“, „The Germanic Review“ und „The German Quarterly“. Das „GQ“ nimmt insofern eine Sonderstellung ein, als es Organ einer Berufsorganisation, der AATG, ist. Dies hat eine Reihe von Konsequenzen für die Herausgebertätigkeit. (Um in der Folge die umständliche Schreibweise „der Herausgeber/die Herausgeberin“ zu vermeiden, benutze ich die Abkürzung „d. Hrsg.“, die beide Bedeutungen enthält.) D. Hrsg. des „German Quarterly“ wird von einem Komitee der AATG gewählt, und seine/ihre Arbeit wird überprüft vom Executive Council der AATG, dem jährlich ein Rechenschaftsbericht vorgelegt werden muss. Die Hrsg. wechseln in einem Turnus von drei oder sechs Jahren, was gewährleistet, dass verschiedene Richtungen der Profession im Lauf der Zeit zum Zuge kommen. Solche Rotationen sind wichtig bei einer pluralistisch verfassten Profession, einer vielschichtigen, an unterschiedlichen Methoden und

1 Paul Michael Lützeler: „Von Budget- und Ozonlöchern: Zur Situation des ‚German Quarterly‘“. In: The German Quarterly 64.4 (1991): 437–442.

Die Fachzeitschrift der American Association of Teachers of German (AATG)

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Forschungsobjekten interessierten wissenschaftlichen Berufsorganisation. Der relativ häufige Wechsel der Hrsg. hat Vor- und Nachteile. Ich meine aber, dass die AATG gut beraten war, die Zeit der Herausgeberschaft auf einige Jahre zu begrenzen. Neue Ideen und Initiativen haben einer Zeitschrift selten geschadet. Die Herausgeberrichtlinien haben ein Kontinuitätsgegengewicht gegen den periodischen Wechsel der Editoren eingebaut. Die AATG hat das Verfahren für die Annahme und Ablehnung von Artikeln sanktioniert. D. Hrsg. kann zwar Artikel sofort ablehnen, die offensichtlich wissenschaftlichen Kriterien nicht entsprechen oder aufgrund ihrer Themenstellung für die Zeitschrift ungeeignet sind, ist aber ansonsten gehalten, zwei Fachleute zu konsultieren und deren Gutachten bei der Entscheidung über Publikation oder Ablehnung zu berücksichtigen. Damit dieses Verfahren so fair und objektiv wie möglich gehandhabt wird, ist die sogenannte blind submission vorgeschrieben, d.h. denjenigen, die das Gutachten verfassen, ist der Name des Autors bzw. der Autorin unbekannt. Bei sich widersprechenden Urteilen wird eine dritte Bewertung eingeholt. Ein objektiveres Verfahren ist mir nicht bekannt und meine Erfahrungen mit dieser Beurteilungsmethode sind ausgesprochen gut. D. Hrsg. des „German Quarterly“ wird nicht nur auf andere Weise gewählt als bei den übrigen Zeitschriften, auch seine Leserschaft ist anders zusammengesetzt. Die AATG hat etwa siebentausend Mitglieder; von ihnen unterrichten 45 % an Colleges und Universitäten und 55 % an Highschools. Die Leseinteressen beider Gruppen unter einen Hut zu bringen, kommt fast der Quadratur des Kreises gleich. Wie frühere Hrsg. habe auch ich es versucht, z.B. mit dem Doppelheft über die Literatur der 1980er Jahre vom Herbst 1990, aber ich mache mir keine Illusionen darüber, dass dieses Ziel immer nur sehr unvollkommen erreicht werden kann. Vierzig Jahre lang – von 1928 bis 1968 – veröffentlichte das „German Quarterly“ Beiträge sowohl zu sprach- und literaturdidaktischen als auch zu germanistischen Themen. Im Zuge der Ausdifferenzierung des Fachs wurde dann 1968 ein eigenes AATG-Organ für den Bereich der Sprach- und Literaturdidaktik gegründet: die zweimal im Jahr erscheinende „Unterrichtspraxis“. Seitdem wird diese Zeitschrift von den an der praktischen Seite der Sprach- und Literaturvermittlung Interessierten gelesen, das „German Quarterly“ hingegen vor allem von den auf germanistischem Gebiet Arbeitenden. Bis 1990 wurden allen Mitgliedern der AATG beide Zeitschriften automatisch zugeschickt. Das hat sich in diesem Jahr geändert. Die Zusammensetzung der AATG spiegelt sich auch in etwa in der Abonnentenzahl der beiden Zeitschriften: 45 % ihrer Gesamtauflage entfällt auf das „German Quarterly“, 55 % auf die „Unterrichtspraxis“. Das Finanzloch im Budget der AATG hatte in den vergangenen Jahren etwas mit dem Ozonloch gemeinsam: Es wurde permanent auf beunruhigende Weise größer. Die Antworten auf die Ursachen des Defizits fielen aber eindeutiger aus

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als die Ozonlochtheorien: Schuld waren die steigenden Kosten für die beiden Zeitschriften der AATG. Die Kostenflut musste gebremst werden, und so beschloss die Leitung der AATG, nicht mehr allen Mitgliedern automatisch beide Zeitschriften zuzuschicken, sondern bat sie, sich für eines der zwei Journale zu entscheiden oder aber beide zu einem höheren Mitgliedsbeitrag zu beziehen. Die Mitglieder des Executive Council der AATG waren und sind der Meinung, dass auf diese Weise das Budgetloch bald gestopft werden könne. Ob die Maßnahme eine gute Dauerlösung ist, bleibt abzuwarten. Vielleicht ergibt sich in absehbarer Zeit eine Situation, in der man zum alten Brauch, allen Mitgliedern ohne Zusatzkosten beide Zeitschriften anzubieten, zurückkehren kann. Stärker als bei anderen Fachperiodika stellt sich für d. Hrsg. des „German Quarterly“ die Frage, ob er oder sie in erster Linie als ein eher passives Medium und ausführendes Organ der Profession fungieren oder eine aktive, initiierende Rolle übernehmen will. Zum einen nämlich wollen die Mitglieder der AATG ihre Artikel publiziert sehen. Das ist besonders verständlich bei jüngeren Kolleginnen und Kollegen, die beamtet und befördert werden möchten, und für welche die Platzierung eines Artikels in einer führenden Fachzeitschrift wichtig ist. Aber zum anderen gibt es übergreifende Probleme und Themen der Profession, die angepackt werden müssen, und zu denen sich nicht immer zur rechten Zeit von selbst die passenden Artikel einstellen. Hier sollte d. Hrsg. die Initiative ergreifen und solche Fachleute um Beiträge bitten, die zu den jeweiligen Themen Substantielles zu sagen haben. D. Hrsg. muss also einen mittleren Weg finden zwischen fairer Vermittlung und notwendiger Initiative, zwischen solider Routinearbeit und kreativer Anregung. Um dies zu gewährleisten, führte ich bei der Übernahme der Zeitschrift die Themen- und Schwerpunkthefte ein. Bei den Schwerpunktheften („focus issues“) stellte ich eingeschickte Aufsätze, die zur Publikation angenommen worden sind, nach literarischen Perioden oder Arbeitsbereichen zusammen; bei den Themenheften („theme issues“) dagegen muss man den Plan für den Inhalt des Heftes ausarbeiten, und die Beiträge dafür werden dann für das „German Quarterly“ eigens geschrieben. Allzu häufig können solche Themenhefte nicht erscheinen, denn sonst käme man mit der Veröffentlichung der übrigen Artikel in den „focus issues“ nicht mehr nach. Es ist keine Frage, dass ein Heft mit einem Schwerpunkt mehr Aufmerksamkeit in der Wissenschaft findet als eines, in dem sich wie in einem germanistischen Kramladen Artikel über Gottfried von Straßburg bis Gottfried Benn durcheinandergemischt finden. Ein weiteres Problem, mit dem d. Hrsg. des „German Quarterly“ konfrontiert wird, ist die Frage, ob ausschließlich Aufsätze von Mitgliedern der AATG veröffentlich werden sollen. Es sind ja diese Mitglieder, die die Zeitschrift finanzieren, und so könnte man einen gewissen nationalen Egoismus verstehen. Aber ein Abschotten nach außen hat immer Provinzialisierung zur Folge. Die amerikanische

Die Fachzeitschrift der American Association of Teachers of German (AATG)

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Germanistik ist keine fensterlose Monade. Innerhalb der interkulturell ausgerichteten Germanistik wird zwar zu recht argumentiert, dass die Literaturwissenschaft eines jeden Landes Besonderheiten aufweist, die mit den kulturellen Eigenheiten der betreffenden Region zu tun haben; aber die amerikanische Germanistik ist auch Teil einer international organisierten Wissenschaft, und der Dialog in der Profession macht an Staatsgrenzen nicht halt. Uns interessiert das, was chinesische Mitglieder unseres Fachs zur deutschsprachigen Literatur sagen genauso wie die Ausführungen von Kolleginnen und Kollegen aus Australien oder Italien. Anregungen für die Wissenschaft kommen aus allen Teilen der Welt. Um dieser Tatsache Rechnung zu tragen, richtete ich neben dem amerikanischnationalen auch ein internationales Editorial Board beim „German Quartely“ ein. Dafür konnten führende VertreterInnen unseres Fachs aus allen Erdteilen gewonnen werden: Anil Bhatti aus Indien, Sven-Aage Joergensen aus Dänemark, Yoshio Koshina aus Japan, Eberhard Lämmert aus Deutschland, Claudio Magris aus Italien, David R. Midgley aus Großbritannien, Ning Ying aus China, Hubert Orlowski aus Polen, Margarita Pazi aus Israel, Anthony W. Riley aus Kanada, David Roberts aus Melbourne und Amadou Booker Sadji aus dem Senegal. Sie haben entweder selbst im Lauf der letzten Jahre Beiträge im „German Quarterly“ publiziert oder andere Fachleute in ihren Ländern aufgefordert, Artikel einzusenden. Es gilt, die Mitte zwischen nationaler Eigenständigkeit und internationaler Offenheit zu finden. So wenig es sinnvoll ist, eine AATG-Zeitschrift zu publizieren, die den Eindruck macht, nur zur Artikulation speziell amerikanischer Interessen zur Verfügung zu stehen, so wenig angemessen wäre es, ein Organ herauszugeben, das aussieht, als erschiene es in einem internationalen Irgendwo. Die amerikanische Besonderheit sowie die international-dialogische Dimension können gleichermaßen zum Ausdruck kommen. So ist es wichtig, dass wir in amerikanisch geprägten Teilgebieten wie Women’s Studies, Exilliteratur oder deutschamerikanischen literarischen Beziehungen mit Studien im „German Quarterly“ vertreten sind. Gleichzeitig aber wollen wir in den USA an der Klärung von Fragen mitarbeiten, die die ganze Profession bewegen, etwa auf den Gebieten der Methodologie oder der Kanonbildung. Da das „German Quarterly“ eine amerikanische Zeitschrift ist, ist es selbstverständlich, dass die meisten Beiträge auf Englisch verfasst sind. Aber das Deutsche ist die lingua franca unseres Fachs, und es sollte niemandem verwehrt sein, sich in dieser Sprache auszudrücken, die – im Gegensatz zum Englischen – jeder Germanist auf der Welt versteht.

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Literaturwissenschaft und German Studies Als Herausgeber bin ich öfters gefragt worden, ob man das „German Quarterly“ nicht von einer literarhistorischen Zeitschrift in ein interdisziplinäres German Studies-Journal umfunktionieren könne. Das käme doch gewissen Trends in der Profession entgegen und würde die Zeitschrift für einen breiteren Leserkreis interessant machen. Solange man Germanistik als German Studies betreibt (vgl. dazu das Themenhaft des „GQ“ vom Frühjahr 1989), d.h. solange der primäre Gegenstand unserer Profession, die deutschsprachige Literatur, im Mittelpunkt der Forschung bleibt, sind interdisziplinäre Studien im „German Quarterly“ immer willkommen. Wenn aber unter German Studies-Arbeiten beliebige interdisziplinär ausgerichtete Artikel von Historikern, Politologen, Philosophen etc. verstanden werden, die von irgendwelchen Gegenständen handeln, die man als things German bezeichnet, würde ich gegen eine solche Ausweitung votieren. Das „German Quarterly“ kann als Organ unserer Berufsorganisation nur Profil und Qualität behalten, wenn es sich auch in Zukunft als germanistische Fachzeitschrift versteht. Zudem gibt es bereits bewährte interdisziplinäre Periodika wie „New German Critique“ oder „German Studies Review“, die einen weit über die Grenzen der Germanistik hinausgehenden Leserkreis ansprechen wollen. Eine andere Frage ist, wie umfassend wir den Begriff ‚Literatur‘ verstehen, ob wir uns hier an den überlieferten Kanon halten oder ihn in Frage stellen, ob wir Nachbargebiete wie das des Films und der Hör- und Fernsehspiele mit zum Gegenstand unseres Faches zählen. Veränderungen und Ergänzungen der Germanistik sollten selbstverständlich sein, und auf den genannten Gebieten sind auch in den USA bereits wichtige Arbeiten vorgelegt worden. Ein Beispiel dafür, dass solche Ausweitungen unterstützt werden, gab das „GQ“-Themenheft „Literatur und Film“ vom Winter 1991. Am Ende einer Amtsperiode sind Statistiken als Teil des Rechenschaftberichtes fällig. Die Kontinuität unserer Zeitschrift ist erstaunlich. Um den Vergleich zu ermöglichen, gebe ich in Klammern die Zahlen an, die mein Vorgänger Harry Schmidt am Ende seiner Amtsperiode mitteilte. In den letzten drei Jahren wurden 345 Artikel ans „German Quarterly“ eingeschickt, das sind im Durchschnitt 115 (110) pro Jahr – also etwa zwei pro Woche –, wovon 91 Artikel zur Publikation angenommen wurden, was einer Annahmerate von 26 % entspräche. Da jedoch für die Themenhefte eine Reihe von Artikeln auf Bestellung geschrieben wurden, ergibt sich eine reale Akzeptierungsrate von 19 % (19 %). Wie bei meinem Vorgänger wurde ein Drittel der Artikel von Frauen eingeschickt. In dieser Zahl spiegelt sich die momentane Zusammensetzung der Profession: In der amerikanischen Germanistik sind etwa ein Drittel aller Fakultätsmitglieder Frauen. Ein Viertel (ein Achtel) der eingesandten Arbeiten kam aus dem Ausland. Die Einsendungen

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aus dem Ausland haben sich also verdoppelt, was wahrscheinlich mit der Einrichtung des International Editorial Board zu tun hat. Wegen der Umstellung auf ein größeres Format konnten wir im Jahresdurchschnitt 30 (20) Artikel veröffentlichen. Insgesamt wurden 497 Rezensionen publiziert, was einem Durchschnitt von 160 (130) Besprechungen pro Jahr entspricht. Hinzu kamen 14 Review Essays, also etwa viereinhalb (dreieinhalb) im Jahr. Deutschsprachig waren 29 % (24 %) der veröffentlichten Artikel. Die Qualität der einzelnen Hefte zu beurteilen, ist für d. Hrsg. immer schwer. Von d. Hrsg. unabhängige Kriterien sind zum einen die Briefe und Anrufe, die nach dem Erscheinen eines Heftes das Editionsbüro erreichen, zum anderen die Punktzahlen, die sich bei der Preisvergabe für den besten Artikel im „GQ“ ergeben. Nach jedem Heft haben wir eine Reihe von positiven Reaktionen erhalten, besonders viele nach dem Schwerpunktheft „Jews and Germans“ und nach dem Themenheft „Literature of the 1980s.“ Dieses Doppelheft über die 1980er Jahre erhielt (bei Halbierung der Punktzahl) auch die meisten Punkte nach dem Urteil der PreisrichterInnen für den besten Artikel. Alle übrigen Hefte konnten fast die gleiche Anzahl von Punkten auf sich vereinen, wobei das Themenheft „Germanistik as German Studies“ leicht abfiel. Vielfachen Dank gilt es auszusprechen an alle, die das Erscheinen des „German Quarterly“ während meiner Amtsperiode ermöglichten oder erleichterten. Für die großzügige finanzielle Unterstützung der Zeitschrift an der Universität, an der ich unterrichte, sei in erster Linie Professor Martin H. Israel gedankt, dem Dean der Faculty of Arts and Sciences an der Washington University: Er stellte die nicht unbeträchtlichen Mittel zur Bestreitung der laufenden Kosten des Herausgeberbüros zur Verfügung. Helene Zimmer-Loew, Executive Director der AATG, sicherte einen jährlichen Zuschuss aus dem Budget der AATG zur Abdeckung der Portokosten. Darüber hinaus aber sei ihr vor allem für die ständige Hilfsbereitschaft und für ihre Kooperation in zahllosen Fragen, die die Herausgabe des „GQ“ betraf, gedankt. Sehr gerne habe ich mit Dennis Mahoney, dem für die Rezensionen zuständigen Associate Editor, zusammengearbeitet. Er hat seine Arbeit vorzüglich und eigenständig gemacht. Die Review Essays haben wir gemeinsam betreut, und – was bei team work so wichtig ist – wir haben uns immer auf das Kollegialste über alle Probleme verständigt und geeinigt. Auch seiner akademischen Institution, der University of Vermont, sei an dieser Stelle für die finanzielle Unterstützung zur Deckung der beim Rezensionsteil des „German Quarterly“ entstehenden Kosten gedankt. Die Mitglieder des National Editorial Board unserer Zeitschrift (Leslie A. Adelson, Diana Behler, Russell A. Berman, Clifford A. Bernd, Karl S. Guthke, Walter Hinderer, Géza von Molnár, Jochen SchulteSasse, Hinrich C. Seeba, Lynne Tatlock und Stephen L. Wailes) haben unser Publikationsorgan mit Rat und Tat unterstützt. Besonders gerne denke ich zurück

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an die Redaktionssitzungen während der AATG-Jahrestagungen in Monterey, Boston und Nashville. Es wurden anstehende Fragen diskutiert, und auf die dort geäußerten Ideen und gegebenen Hinweise hätte ich als Herausgeber nicht verzichten mögen. Das National Editorial Board war auch eine unerlässliche Hilfe bei der Vergabe des Peter Suhrkamp-Preises für den besten Artikel im jeweiligen Jahrgang unserer Zeitschrift. Dieser Preis verdankte sich einer großzügigen Spende durch Siegfried Unseld, dem Leiter des Suhrkamp Verlages in Frankfurt. Dank aussprechen möchte ich auch dem International Editorial Board, das viel für die Verbreitung und Anerkennung des „GQ“ in anderen Teilen der Welt getan hat. Ein wirklicher Könner, ein Meister seines Fachs, ein zuverlässiger Mitdenker war Hans Seiler von der Firma Intercontinental Service, der Setzer unserer Zeitschrift. Wir verabschieden uns mit diesem Heft von ihm. Die technische Entwicklung geht weiter, und die AATG hat die Umstellung auf das „desk top publishing“-Verfahren beschlossen, bei dem man keinen Setzer mehr benötigt. Für seine langjährige Kooperation sei Hans Seiler an dieser Stelle ganz besonders herzlich gedankt. Eine Zeitschrift bringt für die Abteilung, an der sie betreut wird, immer ein gewisses Maß an Mehrbelastung mit sich. So möchte ich allen Kolleginnen und Kollegen, den Administrative Assistants und Sekretärinnen vom German Department der Washington University danken. Aktive Stützen des „GQ“ waren Cornelia Petermann, Mark Gruettner und Tobias Schiel, die während der drei Jahre hintereinander als studentische Editorial Assistants für die Zeitschrift tätig waren. Vor allem – last but not least – gilt mein Dank Ellen Feinstein, die die denkbar beste Sekretärin und Editionsassistentin der Zeitschrift war, die ich mir hätte wünschen können. Nach dem Rückblick der Ausblick: Versetzen wir uns ins legendäre futuristische Jahr 2001 – wovon uns ja nur noch eine Dekade trennt. Dann haben auch die AATG-Mitglieder Anschluss an die Ära der globalen Kommunikations- und Informationsvernetzung gefunden und werden zumindest eine Bitnet-Verbindung (oder Vergleichbares) dem home computer angeschlossen haben. D. Hrsg. des „German Quarterly“ wird dann per Bitnet der Artikel von Professorin X oder Professor Y gleich in den Textverarbeiter gekabelt. D. Hrsg. schickt (über Bitnet) den Artikel weiter an zwei Fachleute zur Begutachtung, und diese teilen auf die gleiche Weise d. Hrsg. ihre Stellungnahme mit. Über die Entscheidung von Annahme oder Ablehnung des Artikels wird der Autor bzw. die Autorin ebenfalls per Bitnet informiert. Das Bitnetten geht aber noch weiter. Alle vier Monate werden dem Büro der AATG von d. Hrsg. mittels Bitnet die zur Publikation angenommenen Artikel zugesandt. Das AATG-Büro wiederum schickt ein Inhaltsverzeichnis samt abstracts dieser Artikel über Bitnet an alle AATG-Mitglieder und jene Bibliotheken, die das „German Quarterly“ abonnieren. Unter einer jedem AATG-Mitglied bekannten Bitnet-Nummer sind diese Artikel nun bei der AATG abrufbar. Wer

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will, kann sich alle oder eine Auswahl von ihnen in seine Bitnet-Verbindung speichern lassen. Nur an hartnäckig-altmodische AATG-Mitglieder und an die Bibliotheken in armen Ländern, die sich keine Bitnet-Verbindung leisten können, werden Disketten geschickt. Das ist der Zeitpunkt, wo jedem das „German Quarterly“ abonnierenden Mitglied der AATG auf gleiche Weise auch wieder der Inhalt der „Unterrichtspraxis“ angeboten werden kann, ohne dass Mehrkosten entstünden. Denn die teuren, aus Papier hergestellten Zeitschriften sind nun eine Sache der Vergangenheit. Ein neues Ökologiegesetz, das für alle Mitglieder der UNO geltende Antipapier-Gesetz, hat ihre Herstellung verboten; bei Zuwiderhandlung drohen drakonische Strafen. Harte Sitten, ja, aber man stelle sich die Riesenvorteile der Arbeitsverminderung, der Kostenersparnis und des verstärkten Umweltschutzes vor, die das Antipapier-Gesetz mit sich bringt: keine Druck- und Bindekosten, kein teures Verschicken der Hefte mehr. Die Leitung der AATG wird jubeln, denn die Zeitschriften, die früher den kostspieligsten Posten der Bilanz ausmachten, sind nun das Billigste im Angebot unserer Berufsorganisation. Von Löchern im Budget keine Spur mehr; im Gegenteil, die Zeitschriften werfen Gewinne ab, und die AATG hat sich von einem Bittsteller (um nicht zu sagen Bettler) bei Stiftungs- und Regierungsstellen zu einem kapitalistischen Unternehmen gemausert, das selbst Mäzenatenfunktion übernommen hat. Vor allem aber: Die subtropischen und alle anderen Wälder (auch die deutschen) rauschen wieder ungefährdet wie in längst verflossenen, sagenhaften, Eichendorffschen Vorzeiten, und das Ozonloch über der Antarktis stopft sich von selbst wieder zu. Solch frohe Botschaften lassen die Herzen der ökologisch sensibilisierten Germanistinnen und Germanisten höher schlagen. Ihnen schwillt ein euphorisches Gefühl von Goldenem Zeitalter und Paradise Regained den Busen; anderen hingegen, die mit Blätterrauschen nur das Wenden von Buchseiten zu assoziieren vermögen, graut vor dem total vernetzten Alltag als dem Zustand des Paradise Lost und der publikationsästhetischen Eiszeit. Ich selbst schließe mit gemischten Gefühlen im Hinblick auf die Computerzukunft unserer Fachzeitschriften diesen Bericht zur Lage der Edition.

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7. Germanistik als Kulturwissenschaft

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Die kulturalistische Wende in den deutschen Geisteswissenschaften (2000)1 Ausdifferenzierung Humanwissenschaft ist, folgt man Reinalter/Benedikter, ein Begriff, der sich den historischen Epochen des Humanismus und der Aufklärung verdankt.2 Damals entdeckte man ‚den Menschen‘ als Erkenntnisgegenstand. Für die Humanwissenschaft ist die Anthropologisierung des Wissens im Übergang vom metaphysischen zum aufklärerischen Weltbild bezeichnend. Sie ist identisch mit Wissenschaft überhaupt, ist noch nicht gespalten in Natur- und Geisteswissenschaften. Diese Trennung beginnt im 18. und erreicht einen ersten Höhepunkt im 19. Jahrhundert. Die Ausdifferenzierung der Wissenschaften verläuft zeitgleich zur widerspruchsvollen Entwicklung des Modernisierungsprozesses, d.h. zum Auseinanderdriften in eine kulturelle und eine technische Moderne. Dilthey zog die Konsequenzen aus vollendeten Tatsachen, als er die (erklärenden) Naturwissenschaften von den (verstehenden) Geisteswissenschaften abgrenzte.3 Um die Jahrhundertwende plädierte der Neukantianer Rickert dafür, den Begriff ‚Geisteswissenschaft‘ durch ‚Kulturwissenschaft‘ bzw. ‚historische Kulturwissenschaft‘ zu ersetzen.4 Er hatte zuvor bereits über die „Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung“ nachgedacht. Kennzeichen der Kulturwissenschaft war für Rickert ihre Ausrichtung an Werten. Über hundert Jahre lang hielt sich im deutschen Sprachbereich die Bezeichnung ‚Geisteswissenschaft‘, aber heute scheint sich der Rickertsche Begriff der ‚Kulturwissenschaft‘ durchzusetzen, wenn er auch mit anderen methodologischen Zielsetzungen verbunden wird. Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts sind – in der späteren Formulierung von C.P. Snow – die ‚zwei Kulturen‘ der Wissenschaft etabliert. Im 20. Jahrhundert findet innerhalb der Geisteswissenschaft ein weiterer Ablösungsprozess statt: Die

1 Paul Michael Lützeler: „Die kulturalistische Wende in den Geisteswissenschaften“. In: Akademie-Journal 1 (2000): 16–19. Ich danke Katharina Weisrock, Redakteurin des Akademie-Journals, für die Aufforderung diesen Beitrag zu schreiben. 2 Helmut Reinalter und Roland Benedikter: „Einführung“. In: Dies. (Hg.): Die Geisteswissenschaften im Spannungsfeld zwischen Moderne und Postmoderne. Wien 1998, S. 15–22. 3 Wilhelm Dilthey: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Gesammelte Schriften. Hg. v. Bernhard Groethuysen Bd. 1. Berlin 1992. 4 Heinrich Rickert: Kulturwissenschaft und Naturwissenschaft. Mit einem Nachwort und hg. von Friedrich Vollhardt. Stuttgart 1986.

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Sozialwissenschaften etablieren sich als ‚dritte Kultur‘.5 Ihre Vertreter blicken, was Methode und Selbstverständnis betrifft, in beide Richtungen: Sie orientieren sich einerseits an einem empiristisch-positivistischen Ideal der Naturwissenschaften, sind aber gleichzeitig – wie die Geisteswissenschaften – hermeneutisch-dialektischen Methoden verpflichtet, sind also Erklärungs- und Deutungswissenschaften in einem. Der Prozess der Ausdifferenzierung des Systems Wissenschaft mit immer neuen Unterfächern und Spezialgebieten war weder in den Natur- noch in den Geisteswissenschaften aufzuhalten. So haben sich viele Geisteswissenschaften im Plural herausgebildet, die als Philologie, Geschichte, Kunstgeschichte, Philosophie etc. glaubten, sich selbst genug zu sein. Auch die Spezialisierung hat ihre Folgekosten: Schon innerhalb enger verwandter Fächer (wie Alt- und Neugermanistik oder Diplomatie- und Alltagsgeschichte) redet man aneinander vorbei. Das viel beschworene Unbehagen und die häufig konstatierte Unruhe in den Geisteswissenschaften heute haben mit dem selbstkritischen Befund zu tun, dass sie sich in einer Blütezeit technologischer Zivilisation an die Peripherie sowohl akademischen als auch gesellschaftlichen Geschehens gedrängt sehen. Aus ihrer Randständigkeit, ihrer Isolationshaft qua Superspezialisierung und Nabelschau versuchen sie nun wieder herauszukommen. Das gelingt, wenn lebensweltlich relevante Fragen gestellt werden, und die wiederum lassen sich beantworten, wenn Zugänge zu Forschungsansätzen und -ergebnissen anderer Disziplinen gefunden werden. Es gibt einen Zusammenhang zwischen kulturell-gesellschaftlicher Zielsetzung und methodisch-wissenschaftlichem Ansatz. Im 18. Jahrhundert orientierten sich die besten Vertreter der Wissenschaft an den Aufklärungsidealen von Toleranz, Freiheit und Selbstbestimmung. Nimmt man die von der Aufklärung vorgegebenen ethischen Postulate ernst, wird man sich den Horizont seiner Untersuchungen nicht durch die Grenzen eines akademischen Fachs einengen lassen. Das entscheidende Agens der Forschung ist das Problem, das es zu lösen gilt. Und wenn sich auf die gestellten Fragen keine befriedigenden Antworten durch die Arbeit im Einzelfach ergeben, ist man zu Grenzüberschreitungen bereit. Goethe und Alexander von Humboldt haben das in ihren Studien beispielgebend vorgemacht. In der postmodernen Kondition ist niemand so naiv, die optimistischen geschichtsphilosophischen Prämissen der Aufklärung einfach zu übernehmen. Die sogenannten Großerzählungen der Moderne (wie die von Fortschritt in Freiheit) haben sich – mit Lyotard zu sprechen – nach den Erfahrungen der letzten Generationen als unglaubwürdig erwiesen. Das bedeutet aber nicht, dass die genannten Ecksteine aufgeklärter Ethik und Gesellschaftslehre nicht

5 Wolf Lepenies: Die drei Kulturen. Frankfurt am Main 1985.

Inter- und Transdisziplinarität

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mehr gebraucht würden. In zeitgemäßer Form findet sich diese Ethik bei Hans Jonas’ „Das Prinzip Verantwortung“ wieder. So gesehen ist die Aufklärung nicht lediglich eine historische Epoche, eine Phase im Prozess moderner Zivilisation, sondern tatsächlich ein nicht vollendetes, ein unabgeschlossenes Projekt.6 Von Nietzsche bis zu den Poststrukturalisten sind zentrale Leitbegriffe der aufgeklärten Moderne (Rationalität, Normativität, Subjekt und Vernunft) hinterfragt worden. Bei der Postmoderne handelt es sich gleichsam um eine Säkularisierung der Säkularisierung, eine Entmythologisierung der Entmythologisierung, eine Aufklärung der Aufklärung. Gerade nach der Kritik und Korrektur der Postmoderne an der Moderne bleiben die aufklärerischen Grundideale der Emanzipation, der Freiheit und Autonomie bestehen und erweisen sich als Leitvorstellungen aktueller wissenschaftlicher, gesellschaftlich wirkungsmächtiger Diskurse wie Feminismus, Ökologie, Multikultur und Postkolonialismus. Vor allem die Menschenrechte haben den Härtetest gegenwärtiger Problematisierung bestanden und werden von prominenten Vertretern der Postmodernetheorie (wie Lyotard7 und Welsch8) mit Nachdruck vertreten.

Inter- und Transdisziplinarität Die genannten, für die postmoderne Kondition bezeichnenden Diskurse sind in den Grenzgebieten von Geistes- und Sozialwissenschaften entstanden. Sie haben einen nachhaltigen Einfluss auf die Geisteswissenschaften gehabt und brachten eine neue Beweglichkeit in ihre Fachbereiche. Warum wird zunehmend für eine Umbenennung der Geisteswissenschaften in Kulturwissenschaften plädiert? Mit dem Begriff ‚Geisteswissenschaften‘ wird eine immer stärkere interne Ausdifferenzierung und externe Abschottung verbunden: Es war schon von Geister- statt Geisteswissenschaft die Rede. Mit dem Terminus ‚Kulturwissenschaft‘ dagegen assoziiert man die neue multi-, inter- und transdisziplinäre Öffnung, die Überkreuzung und den Dialog der Forschungsrichtungen, das Pendeln zwischen den Fächern. Fragen der postmodernen Gegenwart sind bezogen auf Gesellschaft, Umwelt, Politik, Familie, Rolle der Medien, Beziehung der Geschlechter, individuelle wie kollektive Identität und betreffen Probleme wie

6 Jürgen Habermas: „Die Moderne – ein unvollendetes Projekt“. In: Ders.: Kleine politische Schriften I-IV. Frankfurt am Main 1981, S. 444–464. 7 Vgl. Jean-François Lyotard: La condition postmoderne: rapport sur le savoir. Paris 1979. 8 Vgl. Wolfgang Welsch: „Strukturwandel der Geisteswissenschaften“. In: Helmut Reinalter und Roland Benedikter (Hg.): Die Geisteswissenschaften im Spannungsfeld zwischen Moderne und Postmoderne. Wien 1998, S. 85–106.

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Migration, Globalismus, europäische Einigung, regionale Kriege, Fundamentalismus, Dritte-Welt-Relationen, neuer Rassismus, Arbeitslosigkeit, Abbau des Sozialstaats, Marktgläubigkeit. All diese Themen lassen sich nicht mehr bloß aus dem engen Winkel eines Einzelfachs angehen, wenn es nicht zu grotesken perspektivischen Verzerrungen kommen soll. Dass diese Probleme (andere ließen sich hinzufügen) weit in die Geschichte zurückreichende Ursachen haben, die ebenfalls zu erkunden sind, versteht sich bei den historisch ausgerichteten Kulturwissenschaften von selbst. Der kleine wie der große Grenzverkehr zwischen den Fächern und Disziplinen ist hier von Interesse. Wolfgang Welsch ist einer der profiliertesten Vertreter der Postmodernetheorie in Deutschland. Einer Anregung von Mittelstraß folgend,9 hat er den angemessenen Begriff zur Umschreibung fächerübergreifender Studien in die Methodendiskussion eingebracht: den der Transdisziplinarität.10 Bei interdisziplinärer Arbeit blieben, so Welsch, die Grenzen zwischen den Disziplinen und Fächern bestehen, weil sich hier die Kooperation beschränkt auf die Zusammenkunft und den Austausch von Vertretern einander letztlich fremd bleibender wissenschaftlicher Welten. Beim transdisziplinären Forschen hingegen gehe es um die Öffnung gegenüber anderen Fächern innerhalb des eigenen Fachs. Transdisziplinäre Arbeit könnte bereits im Studium beginnen. In der Neueren Germanistik z.B. hat man längst gemerkt, dass bestimmte Strukturen und Aussagen in dichterischen Texten unverstanden bleiben, wenn man sich nicht Kenntnisse in der theoretischen Physik, der Medizin, der Rechtswissenschaft, der Psychologie etc. aneignet, aber kaum ein Student lernt in seinen Vorlesungen und Seminaren, die ausgetretenen Pfade seines Fachs zu verlassen. Es wäre vermessen zu glauben, dass auf studentischer wie professoraler Ebene jemand sich mit mehreren Fächern oder gar Disziplinen vertraut machen könnte. Der Transdisziplinarität ist es immer um die Lösung eines speziellen Problems zu tun: Eine ganz bestimmte Frage soll mit Hilfe auch anderer wissenschaftlicher Methoden und Ergebnisse beantwortet werden. Niemand kann sich Kompetenz pauschal und flächendeckend in anderen Fachbereichen aneignen. Die disziplinäre Spezialisierung akademischer Tätigkeit wird durch Transdisziplinarität keineswegs überflüssig gemacht; im Gegenteil, sie ist die Voraussetzung dafür, dass verlässliches Wissen generiert werden kann. Nicht Fächer, Fachbereiche und Disziplinen sollen abgeschafft, sondern künstlich gezogene Grenzen durchlässig gemacht werden, wobei sich neue Fusionsmöglich-

9 Vgl. Jürgen Mittelstraß: Leonardo-Welt. Über Wissenschaft, Forschung und Verantwortung. Frankfurt am Main 1992. 10 Wolfgang Welsch: „Strukturwandel der Geisteswissenschaften“. In: Helmut Reinalter und Roland Benedikter (Hg.): Die Geisteswissenschaften im Spannungsfeld zwischen Moderne und Postmoderne. Wien 1998, S. 85–106.

Geistes- oder Kulturwissenschaften?

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keiten dann von selbst ergeben. Beim Plädoyer für Transdisziplinarität braucht man nicht gleich das Kind mit dem Bade auszuschütten und die Vorstellungen von interdisziplinärer Forschung als überholt zu verwerfen, wie das bei Welsch der Fall ist. Interdisziplinäre Kooperation, d.h. die Gesprächsbereitschaft der Vertreter unterschiedlicher Fächer, ist die Voraussetzung erfolgreicher transdisziplinärer Arbeit. Das ist übrigens keine neue Einsicht. Sie findet sich bereits in den 1940er Jahren vergleichbar formuliert, z.B. bei Hermann Broch11 und Carl Friedrich von Weizsäcker12.

Geistes- oder Kulturwissenschaften? Die Aktivitäten in den fachlichen Grenzbereichen lassen sich selbstverständlich auch dann betreiben, wenn man die Geisteswissenschaften nicht in Kulturwissenschaften umbenennt. Es gibt genügend Methodentheoretiker, die für die Verkreuzung der Fächer plädieren, ohne den Begriff ‚Geisteswissenschaften‘ aufgeben zu wollen. Einmal eingeführte Termini halten sich bekanntlich auch dann, wenn das ursprünglich Gemeinte längst einen Bedeutungswandel durchgemacht hat. Niemand stört sich heute am Begriff ‚Germanistik‘, obwohl Jacob Grimm etwas anderes (nämlich das Studium von der Sprache, der Geschichte – auch Rechtsgeschichte – und den Altertümern der Deutschen) darunter verstand als die heutigen Vertreter einer Wissenschaft, die sich mit der deutschsprachigen Literatur beschäftigen. Schon für Dilthey war ‚Geisteswissenschaft‘ ein Behelfsbegriff, der benutzt wurde, weil er ihm die Entgegensetzung zur ‚Naturwissenschaft‘ am deutlichsten bezeichnete, nicht aber, weil er ein Anhänger des Hegelschen Geist-Idealismus gewesen wäre.13 Wie bei Dilthey war auch die von Rickert gewählte Disziplinsbezeichnung zur Abgrenzung von den Naturwissenschaften gewählt worden. Das ist bei der heutigen Verwendung des Begriffs Kulturwissenschaft anders. Er signalisiert nicht die Trennung zwischen den Disziplinen, sondern ihr Aneinanderrücken: Brückenschlag statt Festungswall. Anders als ‚Geisteswissenschaft‘ deutet ‚Kulturwissenschaft‘ auf neue Verbindungen zu den Sozial- und Naturwissenschaften hin, letztlich also auf die Einheit der Wissenschaft.

11 Vgl. Hermann Broch: „Bemerkungen zum Projekt einer ‚International University‘, ihrer Notwendigkeit und ihren Möglichkeiten“ (1944). In: Ders.: Politische Schriften, Bd. 11 der Kommentierten Werkausgabe. Hg. v. Paul Michael Lützeler. Frankfurt am Main 1978, S. 414–425. 12 Vgl. Carl Friedrich von Weizsäcker: Die Geschichte der Natur. Zürich 1948. 13 Wilhelm Dilthey: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Gesammelte Schriften, Bd. 1. Berlin 1992.

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Die kulturalistische Wende in den deutschen Geisteswissenschaften (2000)

Auch im angelsächsischen Bereich sind vergleichbare Umbenennungen zu registrieren. Cultural Studies haben sich vor allem in den USA aus ihren alltagsgeschichtlichen Anfängen (Birmingham School) zu komplexen inter- und transdisziplinären Gebieten entwickelt. Auch hier ist es so, dass man mit den Humanities (das Pendant zu den deutschen Geisteswissenschaften) Disziplinäres, mit den Cultural Studies jedoch Interdisziplinäres verbindet. Wenig sinnvoll wäre es, den Begriff der Geisteswissenschaft im deutschsprachigen Bereich (in Anlehnung an den amerikanischen Begriff ‚Humanities‘) mit Humanwissenschaften zu übersetzen. Ursprünglich bedeutete Humanwissenschaft zwar Wissenschaft im modernen Sinn überhaupt, aber heute denkt man bei der Vorsilbe „Human-“ entweder an die Humanmedizin oder an die amerikanischen Humanities. Die kulturalistische Wende in den Geisteswissenschaften ist die Wende hin zur Inter- und Transdisziplinarität und sie wird durch Termini wie Kulturwissenschaft oder Cultural Studies angemessen bezeichnet. Dass beim Wechsel der Begriffe weder der ‚Geist‘ noch das ‚Humane‘ auf der Strecke bleiben werden, kann bei der lebensweltlich ausgerichteten und aufklärungsorientierten Kulturwissenschaft angenommen werden. Zwei möglichen Missverständnissen muss begegnet werden. Erstens strebt niemand die Umbenennung oder Umwidmung einzelner Fächer an, etwa der Germanistik in Kulturwissenschaft (vgl. Haug/v. Graevenitz).14 Kulturwissenschaft ist ein Alternativbegriff zum Oberbegriff Geisteswissenschaft und bezeichnet kein Einzelfach. Zweitens favorisiert die Kulturwissenschaft inter- und transdisziplinäre Studien, aber sie plädiert nicht für die einseitige Orientierung eines Fachs an einem anderen, etwa der Literaturwissenschaft an der Soziologie. Wie die Soziologie in den 1960er und 1970er Jahren, so könnte heute die Anthropologie ein problematisches Leitfach werden. Solche einseitigen Ausrichtungen sind zu vermeiden. Die internationale Kulturwissenschaft15 zeichnet sich durch einen ausgesprochenen Pluralismus aus. Zwar lehnt sich der Greenblattsche New Historicism methodisch an die Anthropologie von Clifford Geertz an,16 aber schulbildend ist diese Richtung nicht geworden. Die Kulturwissenschaft mit ihren pluralistisch-transdisziplinären Ansätzen hat das Ziel, die Geisteswissenschaft herauszuführen aus der Isolation der Elfenbeintürme. Sie kann sie auch bewahren vor dem Schicksal, auf bloße ‚Kompen-

14 Vgl. Walter Haug: „Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft?“ sowie Gerhart von Graevenitz: „Literaturwissenschaft und Kulturwissenschaft. Eine Erwiderung“. In: DVJs 73.1 (1999): 69–121. 15 Lawrence Grossberg et al. (Hg.): Cultural Studies. New York und London 1992. 16 Stephen Greenblatt: Renaissance Self-fashioning. From More to Shakespeare. Chicago 1984.

Geistes- oder Kulturwissenschaften?

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sations‘-Funktionen reduziert zu werden.17 Sie ist sich zu schade dafür, lediglich auf einen gesellschaftlichen ‚Sinn- und Farbigkeitsbedarf‘ zu reagieren, um solcherart die Modernisierungsschäden einer naturwissenschaftlich dominierten Moderne auszugleichen. Die Geistes- als Kulturwissenschaften wollen diese Schäden nicht kompensieren, sondern dazu beitragen, sie zu beseitigen und zu verhüten.

17 Odo Marquard: „Über die Unvermeidlichkeit der Geisteswissenschaften“. In: Ders.: Apologie des Zufälligen. Philosophische Studien. Stuttgart 1986, S. 98–116.

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New Historicism in den amerikanischen Humanities (1990)

New Historicism in den amerikanischen Humanities (1990)1 Postmoderne Inspiration In der literaturwissenschaftlichen Theoriediskussion der USA sind die Anglisten derzeit führend, und die amerikanischen Germanisten nutzen vor allem die Jahrestagungen der Modern Language Association, um am Methodengespräch teilzunehmen. Zu erkennen ist, dass der New Historicism2 den Poststrukturalismus der französischen Theorie verdrängt bzw. bis zu einem gewissen Grad aufhebt. Man kann von der Geburt des New Historicism aus dem Geist der Postmoderne sprechen. Ähnlich wie im Fall der Dekonstruktion kommen die wichtigsten Beiträge zum Thema Postmoderne aus den USA, Frankreich und Italien. Es ist eine Diskussion, die in allen Fächern vor sich geht, an der Kunsthistoriker, Architekten, Kulturkritiker, Philosophen, Literaturwissenschaftler und Filmtheoretiker gleichermaßen beteiligt sind. Fiedler3, Jencks4, Hassan5, Newman6, Calinescu7, Lyotard8 und Vattimo9 sind hier als Pioniere zu nennen. In der Bundesrepublik haben Scherpe10

1 Paul Michael Lützeler: „Der postmoderne Neohistorismus in den amerikanischen Humanities“. In: Hartmut Eggert, Ulrich Profitlich und Klaus R. Scherpe (Hg.): Geschichte als Literatur. Formen und Grenzen der Repräsentation von Vergangenheit. Stuttgart 1990, S. 67–76. 2 Anton Kaes: „New Historicism and the Study of German Literature“. In: The German Quarterly 62.2 (1989): 210–219; Jonathan Dollimore und Alan Sinfield (Hg.): Political Shakespeare. New Essays in Cultural Materialism. Ithaca 1985; Edward Pechter: „The New Historicism and its Discontents: Politicizing Renaissance Drama“. In: PMLA 102 (1987): 292–303. 3 Leslie Fiedler: „The New Mutants“. In: Partisan Review 32 (1965): 505–525; „Cross the Border – Close the Gap: Postmodernism (1969)“. In: Marcus Cunliffe (Hg.): American Literature Since 1900. London 1975, S. 344–366. Vgl. auch die deutsche Übersetzung: Leslie A. Fiedler: „Überquert die Grenze, schließt den Graben!“ (1968). In: Uwe Wittstock (Hg.): Roman oder Leben. Postmoderne in der deutschen Literatur. Leipzig 1994, S. 14–39. Vorbereitet worden war diese Studie schon in dem Aufsatz „The Death of the Avant-Garde“ von 1964. Vgl. The Collected Essays of Leslie Fiedler. New York 1971, Bd. II, S. 454–461. 4 Vgl. Charles Jencks: The Language of Post-Modern Architecture. New York 1977. 5 Vgl. Ihab Hassan: The Postmodern Turn. Columbus 1987. 6 Vgl. Charles Newman: The Post-Modern Aura. Evanston 1985. 7 Vgl. Matei Calinescu: Five Faces of Modernity. Durham 1987. 8 Vgl. Jean-François Lyotard: La condition postmoderne. Paris 1979. 9 Vgl. Gianni Vattimo: The End of Modernity. Baltimore 1988. 10 Vgl. Andreas Huyssen und Klaus R. Scherpe (Hg.): Postmoderne. Reinbek 1986.

Postmoderne Inspiration

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und Welsch11 inzwischen den Anschluss an die internationale Postmoderne-Diskussion gefunden. Die Theoretiker der Postmoderne12 versuchen, die gegenwärtigen kulturellen Gegebenheiten, Verhältnisse und Befindlichkeiten zu beschreiben und sie abzugrenzen von der Kultur der Moderne früherer Jahrzehnte. So vielfältig und unterschiedlich die einschlägigen Studien auch sind, lassen sich doch bestimmte Tendenzen, Richtungsänderungen und Merkmale beschreiben, die die Differenzen zwischen Moderne und Postmoderne markieren. Vieles, was zu Kennzeichen der Postmoderne erklärt wird, war virtuell bereits in der Moderne angelegt, d.h. die Postmoderne verhilft manchen Inspirationen der Moderne erst zum Durchbruch. So ist längst nicht alles in der Postmoderne als ausdrückliche Gegenbewegung zur Moderne zu begreifen. Die Unterschiede zwischen Moderne und Postmoderne lassen sich am besten als Bewegungen von einem Zustand zu einem anderen beschreiben, als Bewegungen, in denen sich letztlich Demokratisierungsprozesse spiegeln. Die sich wandelnden Verhältnisse seien entsprechend mit Von-zu-Formulierungen in drei Bereichen gekennzeichnet. Erstens im politisch-gesellschaftlichen Bereich: Von Ideologien eines auf Entscheidungskämpfe drängenden Entweder-Oder zu Einstellungen abwägender Kompromissbereitschaft; von einem Argumentieren in strikten Gegensätzen wie Rechts und Links, Fortschritt und Reaktion zu einer Akzeptanz der Mischungen und Übergänge; von einem Denken in Freund-Feind-Bildern zu einem differenzierten Blick für Interdependenzen; von einem Glauben an unbegrenztes ökonomisches Wachstum zu einem Bewusstsein von der Erschöpfbarkeit der natürlichen Ressourcen; von einem technischen Fortschrittsglauben zu einem Wissen um die Fragilität der Umwelt; von einer Vormachtstellung großbürgerlichen Denkens zu einem Dominantwerden kleinbürgerlicher Vorstellungen als Folge der Bildungsexpansion. Zweitens auf philosophisch-weltanschaulichem Gebiet: Von einer Betonung des Allgemeinen zu einer Präferenz des Besonderen; von der Eröffnung von Totalitätsperspektiven zu einem Blick aufs Lokale und Regionale; von monistischen Erklärungen zu einer Pluralität von Deutungsversuchen; von Unifikationsperspektiven zu Strategien der Diversifizierung; von Einheitsbestrebungen zu einer Bevorzugung der Vielfalt von Sprach-, Denk- und Lebensformen; von der Orientierung an universalistischen Meta-Erzählungen zu einer Bevorzugung biogra-

11 Vgl. Wolfgang Welsch: Unsere postmoderne Moderne. Weinheim 1988. 12 Vgl. ferner folgende Studien: Christa und Peter Bürger (Hg.): Postmoderne. Frankfurt am Main 1986; Douwe W. Fokkema: Literary History. Modernism, and Postmodernism. Amsterdam 1984; Peter Koslowski: Die postmoderne Kultur. München 1988; Jacques Le Rider und Gérard Raulet (Hg.): Verabschiedung der (Post-)Moderne? Tübingen 1987.

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phisch vermittelter Erfahrung; vom Glauben an geschichtliche Kontinuitäten zu einem Überzeugtsein von historischer Diskontinuität; von einem vorrangig utopischen Denken zu einem Dialog mit der Geschichte; von der Akzeptanz eines hermetischen Diskurses zu einem Bestehen auf der Transparenz des wissenschaftlichen Gesprächs. Drittens auf der Ebene von Kunst und Literatur: Von der Verliebtheit in bloß funktionale Schönheit zur Freude am Anarchismus der Stile und an der Wiederkehr des Ornaments; von einem entschiedenen Ernst künstlerischer Intentionen zu spielerischen und ironisch-parodistischen Verfahrensweisen; von der Präferenz elitärer Kunst und der Fixierung auf die kulturellen Großleistungen zu einer Bevorzugung der Mischformen von Hoch- und Alltagskultur; von der Eindeutigkeit zu Doppel- und Mehrfachkodierungen; von einem Wunsch nach permanenter Innovation zu Syntheseversuchen mit überlieferten Stilen; von der Bevorzugung eines singulären Stils und von Stilreinheit zu einer Aufwertung des Eklektizismus und zur Präferenz gleichzeitig gegenwärtiger unterschiedlicher Kulturelemente; von der Ausrichtung auf eine dominante und zentristische Kulturtendenz zur Hinwendung zu polyzentrischen Weltsichten mit Verständnis für die Kultur von Minderheiten und Marginalisierten; vom Antihistorismus zur Sinnvergewisserung durch die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Hatten wir es, so könnte man resümieren, bei der Moderne tendenziell mit einer Kultur der kämpferischen Utopien und hochgesinnten Manifeste zu tun, so erweist sich die Postmoderne als eine kulturelle Befindlichkeit der redlich eingestandenen Unsicherheit, des Kompromisses, des Dialogs mit der Geschichte und einer als offen verstandenen Zukunft. Die Kultur des Fragezeichens hat die des Ausrufezeichens abgelöst. Will man die Unterschiede zwischen Moderne und Postmoderne an berühmten Figuren der Weltliteratur verdeutlichen, dann drängen sich die Bilder vom abstrakt-heroisch gestimmten Modernisten Don Quichotte und dem pragmatischen Postmodernisten Sancho Pansa geradezu auf. Vor dem Hintergrund dieser geschichtsbewussten postmodernen Gegebenheiten ist auch die methodische Praxis und Theorie des New Historicism in den USA zu sehen. Nicht zuletzt als Ergebnis der Postmoderne-Diskussion macht sich während der 1980er Jahre in den Humanities der amerikanischen Universitäten eine Rückkehr zur Geschichte bemerkbar. Sie steht in Opposition zur ahistorisch ausgerichteten poststrukturalistischen Dekonstruktion der Yale Critics, die den Diskurs der Humanities während der späten 1970er Jahre bestimmte. Von seinen Theoretikern wird zugegeben, dass der New Historicism bisher schwer präzise bestimmbar sei, dass die Diskussion im Fluss und keineswegs abgeschlossen ist. Von einer monolithisch ausgerichteten oder hierarchisch strukturierten Schule des Neohistorismus kann keine Rede sein. Bisher handelt es sich beim New Historicism eher um eine selbstkritische, skeptische analytische Praxis mit einigen

Postmoderne Inspiration

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theoretischen Grundannahmen als um eine in Einzelheiten ausgearbeitete Methode. Von ihrer Ziehmutter, der Postmoderne, hat der Neohistorismus das Misstrauen in die totalisierenden universalistischen Geschichtskonzepte in der Manier eines Hegel oder Marx als Erbteil mitbekommen. Mit Vattimo und Lyotard stimmen die New Historicists darin überein, dass den großen transhistorischen Meta-Erzählungen der Aufklärung, des Idealismus und der Romantik nach den historischen Erfahrungen unseres Jahrhunderts keine Plausibilität, keine Überzeugungskraft mehr zukomme. Vernunft, Fortschritt und Freiheit kann nach den Menschheitskatastrophen unseres Jahrhunderts nicht die Qualität von Geschichtsgesetzlichkeiten zugesprochen werden, wenn sie als Postulate auch weiterhin prägend bleiben. Eine andere Frage ist, ob man wie Lyotard das Kind mit dem Bade ausschütten und allen Meta-Erzählungen überhaupt jeden Kredit streichen sollte. Im Grunde involviert seine These vom Ende der Meta-Récits ja eine neue Großerzählung, nämlich die von der Vielzahl begrenzter und heteromorpher geschichtlicher Entwicklungen. Jedenfalls waren die Arbeiten Vattimos und Lyotards für die Vertreter des Neohistorismus wichtig, da sie die Abgrenzung vom Historismus des 19. Jahrhunderts (den man in den USA auch German Historicism nennt) vornahmen. Dem Alten Historismus ging es unter anderem um die Entdeckung einer definierbaren Perspektive und Geisteshaltung in einer bestimmten historischen Phase. Von dieser Perspektive wurde angenommen, dass sie ein ganzes Zeitalter beherrsche. Man verstand sie als statischen Bezugspunkt bei der Erklärung der Ereignisse und strukturellen Änderungen der betreffenden Ära. Von durchgehenden Geisteshaltungen und fixen Standpunkten will der New Historicism nichts wissen. Im Gegensatz zum projektiv verfahrenden ‚alten‘ Historismus geht der amerikanische Neohistorismus interpretativ vor. Pluralismus, Empirik und Pragmatismus sind an die Stelle von Einheitsperspektiven getreten. Der New Historicism geht davon aus, dass es keine ‚tiefere‘ oder ‚idealere‘ Wahrheit hinter den Ereignissen der Geschichte gibt, dass der Historiker mit seiner interpretativen Einbildungskraft Geschichte schreibt, und dass sich seine historische Darstellung auf andere geschichtliche Interpretationen bezieht, die sich wiederum auf früheren Deutungen gründen. Der Text eines Historikers ist somit kein bloßer Reflektor von ‚Tatsachen‘ aus der Vergangenheit, sondern mit ihm bezieht der Geschichtsschreiber bewusst Position innerhalb der gegenwärtigen sozialen Praxis und der in ihr geführten kulturellen Diskussion, der er sich verdankt. New Historicism ist der Sammelbegriff für eine wissenschaftliche Richtung mit im Einzelnen durchaus unterschiedlichen Methoden. Was diesen verschiedenen Methoden gemeinsam ist, ist ihr interdisziplinärer Ansatz. Keinem der Fä-

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cher, von denen hier die Rede ist, kommt dabei ein privilegierter Status zu. Der dialogische Charakter des Neohistorismus bewährt sich auch bei den Kontakten der Fächer untereinander. Der interdisziplinären Praxis des New Historicism begegnet man in einer Reihe von Fächern der Geistes- und Sozialwissenschaften, besonders in der Geschichtswissenschaft, der Philosophie, der Theologie, der Literaturwissenschaft und in den Women’s Studies. Obgleich hier kein detaillierter Überblick über die Wirkung des postmodernen Neohistorismus in diesen Fächern gegeben werden kann, soll doch auf einige seiner prominenten Repräsentanten hingewiesen werden.

Literatur und Geschichte In der Geschichtswissenschaft sind vor allem Hayden White13 und Dominick LaCapra14 zu nennen. Beide vertreten eine selbstkritische Historiographie, in der die Interrelation von Literatur und Geschichte betont wird. Sie haben gezeigt, dass die historischen ‚Fakten‘ an sich noch nicht den historiographischen Diskurs bestimmen, und dass die Literaturwissenschaftler die Geschichte nicht einfach als Tatsachenmaterial benutzen können, gegen dessen Folie sich das dichterische Werk in seiner fiktiven Eigenheit abhebt. LaCapra geht es nicht darum, die Literatur in der Geschichte oder umgekehrt die Geschichte in der Literatur zu verankern. Es ist ihm vielmehr darum zu tun, ihre Gemeinsamkeiten (etwa im Gebiet des Erzählens) herauszustellen und die durchlässige Grenze zu verdeutlichen, welche die Interrelation der beiden Gebiete ermöglicht. Während LaCapra noch die Grenzen zwischen Literatur und Geschichte sieht, lösen sie sich im Werk von Hayden White auf. White hat es in „Metahistory“ unternommen, den literarischen Anteil an der Historiographie herauszuarbeiten. Er strebt eine Poetik der Geschichtsschreibung an und analysiert die Präsentationsformen der Historiker, um sie mit literarischen Stilen und Gattungen zu vergleichen. Bei der Deskription der Erzählstrategien der Historiker führt er aus, dass es vier poetische bzw. fiktionale Darstellungsweisen in der Historiographie gebe: die des Romantischen, des Komischen, des Tragischen und des Satirischen. Je nach Einstellung des Historikers werde eine dieser literarischen Erzählweisen gewählt. Er führt Michelets „Histoire de la Révolution française“ (1847ff.) als Beispiel einer romantischen Fiktionalisierung an, und mit Tocquevilles „L’Ancien

13 Hayden White: Metahistory. Baltimore 1973; The Content of the Form. Baltimore 1987. 14 Dominick LaCapra: History & Criticism. Ithaca 1985; Rethinking Intellectual History. Ithaca 1983.

Literatur und Geschichte

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Régime et la Révolution“ (1856) liege der Fall tragischer Historiographie vor. Anders als bei LaCapra wird die komplexe Beziehung von Literatur und Geschichte bei White etwas kurzschlüssig behandelt. Denn von einer wirklichen Fiktionalisierung der Geschichte – das hätte er in Käte Hamburgers „Logik der Dichtung“ nachlesen können – ist noch nicht die Rede, wenn historiographische Darstellungen strukturelle Ähnlichkeiten mit Tragödien- oder Komödienverläufen aufweisen. Immerhin hat White erneut den Nachweis geführt, wie abhängig die historiographischen Darstellungen von der jeweils kulturellen Situation mit ihren dominierenden philosophischen und literarischen Diskursen sind. In der amerikanischen Philosophie haben sich Richard Rorty und Richard Bernstein einen Namen als Vertreter des New Historicism gemacht. Beide gehören der Richtung des Neo-Pragmatismus an. Rorty wird nicht müde, gegen idealistische Geschichtsphilosophien zu Felde zu ziehen. Für ihn können die Philosophen nicht die Hüter transhistorischer Wahrheiten sein, da es solche Verlässlichkeiten nicht gebe. Die beschriebene Realität besteht nach Rorty aus Interpretationen von Interpretationen in unendlicher Fortsetzung: „It’s word all the way down.“15 Diese Meinung teilt auch Richard Bernstein. Er ist derjenige Philosoph unter den New Historicists, der am entschiedensten für eine interdisziplinäre Öffnung seines Fachs eintritt. Von monistischen Schmalspurphilosophien, die die Welt aus einem Punkt erklären oder gar kurieren wollen, hält er wenig. Er hat zur Verdeutlichung seiner Methode die Metapher vom Kabel eingeführt: Wie die einzelnen Drähte durch ihr Umeinanderschlingen die neue und kraftvolle Einheit des Kabels ergäben, so stärkten sich im Neohistorismus zueinander passende, unterschiedliche philosophische Richtungen. Für ihn selbst verbinden sich unter anderem Gadamers Hermeneutik, Thomas Kuhns Wissenschaftstheorie, Hannah Arendts politische Philosophie und Richard Rortys Neo-Pragmatismus zu einer neuen gedanklichen ‚Kabel-Einheit‘. Bei den genannten Philosophen spiele die Überzeugung von einer hegelianischen oder marxistischen ‚Logik der Geschichte‘ keine Rolle mehr.16 Was die Einwirkung des Neohistorismus auf die theologische Diskussion betrifft, sind die Arbeiten von Cornel West und William Dean zu nennen. West versteht den New Historicism als Rückenstärkung für jene Theologen, die Kirchenhistorie nicht als bloße Geistesgeschichte (thin history) verstehen. Er meint, seine theologischen Kollegen vergäßen bei der Beschäftigung mit transzendenten und universalistischen Aspekten der Religion zu oft jene der Wirtschaft, der Rasse und der geschlechtsspezifischen Unterschiede. Ein Beispiel dafür, was er un-

15 Vgl. Richard Rorty: Consequences of Pragmatism. Minneapolis 1982. 16 Richard Bernstein: Beyond Objectivism and Relativism. Philadelphia 1983.

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ter Neohistorismus in der Theologie versteht, hat er mit seiner Geschichte der schwarzen Christen in den USA gezeigt, bei der die sozialgeschichtlichen Realitäten im Vordergrund stehen.17 Eine differenzierte Sicht des neuen Ansatzes findet sich in den theologischen Arbeiten von William Dean. Dean zeigt einerseits, dass der Neohistorismus in seiner rigorosen Form, d.h. mit seiner Ablehnung jeder transhistorischen Dimension, von den Theologen nicht akzeptiert werden kann; aber andererseits soll dieser Ansatz im gesamten historischen Bereich der Theologie fruchtbar gemacht werden. Während die Theologie die Gottesvorstellung nicht aufgeben werde, stimme sie mit dem Neohistorismus in der erkenntnistheoretischen Annahme überein, dass wir eine ‚objektive Welt‘ nicht kennen, dass uns die Welt nur in der Kontingenz der historischen Erscheinungen zugänglich sei. Aus dieser Grundannahme sei auch die Konsequenz zu ziehen, die Historizität der Religion, ihrer Wandlungen und Veränderungen zu untersuchen.18 Im Feminismus setzen sich zwei Wissenschaftlerinnen besonders für den Neuen Historismus ein: Judith Newton und Sara Lennox. In kürzlich erschienenen Artikeln haben sie auf die Nähe zwischen Feminismus und Neohistorismus hingewiesen. Newton erinnert daran, dass die Feministinnen mit den universalistischen Theorien gebrochen und die Konstruktion von Subjektivität vor den New Historicists betont hätten. Auch die Themen Macht und Sexualität habe man vor Foucault, einem der Kronzeugen des literaturwissenschaftlichen Neohistorismus, in die Diskussion gebracht.19 Lennox nutzt die Ergebnisse neu-historistischer Einsichten für eine Kritik an bestimmten Richtungen feministischer Wissenschaft. Es sei zwar richtig, die Geschlechtszugehörigkeit zur zentralen Kategorie feministischer Untersuchungen zu erklären, aber die Essentialisten in den Women’s Studies müssten einsehen, dass es sich bei der Geschlechtszugehörigkeit um eine soziale und ideologische Kategorie und damit um eine geschichtlich variable Größe handle. Die Suche nach einer historisch sich gleichbleibenden écriture feminine sei wenig erfolgversprechend. Den Anhängerinnen Jacques Lacans und Hélène Cixous’ hält sie entgegen, dass es transhistorische Entitäten wie ‚das Feminine‘ oder ‚männlicher Diskurs‘, mit denen im Poststrukturalismus argumentiert werde, nicht gebe. Man schaue an den Realitäten vorbei, wenn man den Blick für all jene Unterschiede verliere, die Frauen von Frauen trennen

17 Cornel West: Prophesy Deliverance! An Afro-American Revolutionary Christianity. Philadelphia 1982. 18 William Dean: History Making History. The New Historicism in American Religious Thought. Albany 1988. 19 Judith Newton: „History as Usual? Feminism and the ‚New Historicism‘“. In: Cultural Critique 9 (1988): 87–121.

Abgrenzungen

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(Rasse, kultureller Hintergrund, sozialer Stand, Alter bzw. Generation, Bildungsund Einkommensdifferenzen). Wie entscheidend solche Differenzen seien, sei ihr erneut bei den Diskussionen mit afro-amerikanischen Feministinnen klar geworden. Der Neohistorismus, so Lennox, sei für die Women’s Studies produktiv zu machen, weil durch ihn die kulturellen und sozialen Unterschiede zwischen Frauen stärker sichtbar würden. Und der New Historicism wiederum könne vom Feminismus lernen, die Geschlechtszugehörigkeit als zentrale historische Kategorie ernstzunehmen.20

Abgrenzungen Frank Lentricchia21 und Stephen Greenblatt22 sind prominente Verfechter neuhistoristischer Methoden in der Literaturwissenschaft. Der Begriff New Historicism wurde weder von dem einen noch dem anderen erfunden, sondern von Wesley Morris 1972 geprägt.23 Aber der Neue Historismus der 1980er Jahre hat wenig gemeinsam mit dem, was Morris inaugurierte. Er plädierte für eine Synthese der beiden in Amerika traditionsreichen Methoden literaturwissenschaftlicher Forschung: des werkimmanent orientierten New Criticism und verschiedener Ausprägungen sozialgeschichtlicher Ansätze. Lentricchias und Greenblatts New Historicism steht in direkter Opposition zum New Criticism, und sie haben nicht die Absicht, diese Methode, die es in den 1950er Jahren zu beträchtlicher Prominenz gebracht hatte, zu beleben oder zu integrieren. Die Abgrenzungen, denen man bei den literaturwissenschaftlichen Vertretern des New Historicism begegnet, betreffen aber nicht nur den New Criticism. Auch zur Ideologiekritik der 1960er Jahre und zum Poststrukturalismus der 1970/1980er Jahre geht man auf Distanz. Mit der Ideologiekritik der Frankfurter Schule kann man deswegen nur wenig anfangen, weil sie von einem festgelegten, als ‚wahr‘ verstandenen neo-marxistischen Standpunkt aus der zu analysierenden Literatur Noten erteilt und ihr entweder korrektes oder falsches Bewusstsein bzw. kritische oder affirmative Tendenzen attestiert. Die Neohistoristen gehen von der Annahme aus, dass Realität und Wahrheit keine transparenten Größen

20 Sara Lennox: „Feminist Scholarship and Germanistik“. In: The German Quarterly 62.2 (1989): 158–170. 21 Frank Lentricchia: After the New Criticism. Chicago 1980; Criticism and Social Change. Chicago 1983. 22 Stephen Greenblatt: Renaissance Self-Fashioning. Chicago 1980; Shakespearean Negotiations. Berkeley 1988. 23 Wesley Morris: Toward a New Historicism. Princeton 1972.

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sind, zu denen man unmittelbar Zugang habe, und dass die Texte (als Interpretation von Interpretationen etc.) nicht lediglich Ausdruck einer einzelnen Autorintention, sondern Resultate eines allgemeinen Kulturprozesses seien, denen man mit Kategorien wie falsch und richtig nicht beikomme. Wenig Geschmack findet man auch an den Dekonstruktionen der Yale Critics (J. Hillis Miller, Geoffrey Hartman, Paul de Man). Lentricchia greift sie nicht wegen ihres Poststrukturalismus, sondern wegen ihres Formalismus an, der sie mit den New Critics verbinde. Zurecht hätten die Yale Critics den Strukturalismus abgelehnt, der literarische Texte mittels eines ihnen unterlegten logischen code erklären wollte. Dass die Yale Critics die Wirklichkeit als eine ‚Kette von Texten‘ betrachten, findet ebenfalls Lentricchias Beifall. Anders als Derrida aber hätten die Kollegen an der Yale University die historische Dimension dieser Textkette aus den Augen verloren. Außer den Angriff auf den Logozentrismus habe man von Derrida nicht viel übernommen, und so sei der Umgang der Yale Critics mit Literatur zu einer bloßen Wolkenschieberei (‚free play in the blue‘) geworden. Als Formalismus bezeichnet Lentricchia den Umgang der Yale Critics mit Texten deswegen, weil hier die Einbindung der Literatur in die kulturelle und soziale Umwelt vergessen worden sei. Der Subjektivismus der Yale Critics bestehe darin, dass letztlich nur der Leseakt des einzelnen Rezipienten zähle, wobei nicht berücksichtigt werde, dass auch der Leser in einem vielgestaltigen historischen Umfeld stehe. Lentricchia geht es bei seinem neu-historischen Vorgehen um eine möglichst komplexe Auffächerung der gesamtkulturellen Kontexte. Wichtig ist ihm – hier ist der Einfluss Walter Benjamins unübersehbar –, dass über die dominanten kulturellen Strömungen nicht die Stimmen der Opposition, der Unterdrückung, der an den Rand Gedrängten und Ausgegrenzten überhört werden. Auch für ihn sind literarische Dokumente nicht lediglich passiver Ausdruck kultureller Zustände, sondern gleichzeitig aktive geschichtsmächtige Wirkungskräfte ihrer Zeit. Diese Sicht der Literatur teilt er mit Stephen Greenblatt, der Dichtung als ‚gesellschaftliche Kraft‘ (‚social energy‘) definiert. Greenblatt ist der prominenteste Vertreter des New Historicism in der Literaturwissenschaft. (Statt New Historicism benutzt er auch den Begriff Cultural Poetics zur Kennzeichnung seiner Methode.) Geschichte – auch Literaturhistorie – ist für Greenblatt, der sich zum Einfluss Foucaults auf seine Arbeiten bekennt, gleichbedeutend mit gesellschaftlichen Kämpfen und Machtkonflikten, in denen Geldinteressen und sexuelles Begehren wichtige Rollen spielen. Greenblatt ist es zu verdanken, dass auch in den friedlichsten, ja schläfrigsten Literaturabteilungen amerikanischer Universitäten in letzter Zeit auffallend viel von Macht und Sexualität, von Kampf und Konflikt die Rede ist. Wie Lentricchia ist auch Greenblatt weder auf die New Critics noch auf die Yale Critics gut zu sprechen. Mit Thesen wie jenen von Paul de Man, dass Geschichte nichts als maskierte Fiktion sei, vermag er nichts anzufangen, und er

Abgrenzungen

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bezeichnet sie als absurd. In seinen Büchern über Shakespeare und das Elisabethanische Drama hat er eine eigenständige Methode des Neohistorismus entwickelt, die sich so umschreiben lässt: Ausgehend von einem ihn irritierenden und neugierig machenden Aspekt des literarischen Textes, der zunächst peripher erscheinen mag, lässt er sich zu intensiven Forschungen in den Gebieten der Medizin, Politik, Naturwissenschaft und Theologie der Shakespeare-Zeit anregen. Mit einem dicken, locker geschnürten Wissenspaket, das vor dem Leser in allen Details ausgebreitet wird, kehrt er aus Spezialbibliotheken und Archiven zurück zum literarischen Text. Er ist jetzt in der Lage, weitere Teile der Dichtung in einem Licht zu sehen, das einem Yale Critic-Dekonstruktivisten oder Werkimmanenzler nicht aufgegangen wäre. Das Bestechende an Greenblatts Methode ist, dass er Werkaussagen (etwa bei Shakespeare) nicht nur kontextualisiert, sondern die Stimme des literarischen Diskurses dem Chor der übrigen kulturellen Diskurse einer Zeit zuordnet. Seine Arbeiten machen klar, auf wie vielfältige Weise nichtliterarische Diskurse eingeschrieben sind in poetische Texte, und seine Leistung besteht in der interdisziplinären Vernetzung der nicht-literarischen Dokumente mit den poetischen Texten. Der Hermeneutiker, dem es letztlich um eine (wie auch immer geartete) Gesamtaussage des Textes geht, kommt allerdings nicht auf seine Kosten. Im Chor der Diskursvielfalt ist die Stimme der Dichtung oft nur noch schwer zu vernehmen. Es bleibt abzuwarten, ob die so persönliche wie originelle Art des Greenblattschen New Historicism in der Literaturwissenschaft Schule machen wird. Greenblatt selbst betont im Sinne eines postmodernen Methodenpluralismus, dass es im New Historicism nicht ‚die eine Methode‘ geben könne. Nichtsdestoweniger hat er so etwas wie die Zehn Gebote des New Historicism zu formulieren versucht, die allerdings zu einem dürftigen Manifest geraten sind. Wenn er in seinem Dekalog festhält, dass er dem Genieglauben nicht anhänge, dass er nichts von zeitlosen Universalien halte, dass es keine Kunst ohne ‚social energy‘ gebe, dass Kunst auch mit Geld zu tun habe und Geld eine Art kulturellen Kapitals sei, dass Individuen immer Angehörige einer Gemeinschaft seien, so bringt das die Literaturtheorie nicht weiter, ja man ist geneigt, von einem Rückfall hinter das Niveau aktueller Methodendiskussionen zu sprechen. Es wäre aber verfehlt, mit solchen Argumenten den New Historicism abzuqualifizieren. Im Falle Greenblatts ist das schon insofern unangebracht, als seine praktische literaturwissenschaftliche Arbeit überzeugender ist als seine Theorie. Bewusst haben er und seine Berkeley-Gruppe von Anfang an die Praxis gegenüber der Theorie betont. Im Sinne postmoderner Verfahrensweisen geht es auch innerhalb dieser Richtung um bewusst eklektizistische Legierungen verschiedener bereits erprobter Ansätze. Bernsteins Kabelmetapher ist auch auf die Theoriesynthesen im New Historicism anzuwenden.

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New Historicism in den amerikanischen Humanities (1990)

Der postmoderne Neohistorismus wäre ein Widerspruch in sich selbst, wenn er einheitlich-monolithisch wäre. Es ist eine bunte Vielfalt, die sich uns bietet, wenn wir die neohistoristischen Verfahren in den verschiedenen Wissenschaften mustern. Integriert hat man Ansätze aus einer wissenssoziologisch ausgerichteten Sozialgeschichte; Gedankengänge pragmatischer, materialistischer und neomarxistischer Herkunft (besonders Benjamins und Adornos) sind erkennbar; Derridas Poststrukturalismus wird produktiv rezipiert; man greift Foucaults Diskursanalyse auf; unübersehbar ist die Wirkung der Kulturanthropologie im Sinne von Victor Turner oder Clifford Geertz, in der es nicht um die Dekodierung unpersönlicher Strukturen, sondern um die Interpretation anderer Subjekte geht; vom Feminismus stammt die Betonung der Geschlechtszugehörigkeit, und so ließe sich die Liste der Einwirkungen fortsetzen. Gemeinsam ist den unterschiedlichen Filiationen des New Historicism die postmoderne Inspiration: im Negativen die Distanzierung von autoritären MetaErzählungen bei gleichzeitigem Abstand zu unhistorischen Betrachtungsweisen, die Abgrenzung von der Geistesgeschichte, die Abneigung gegenüber bloßem Formalismus; im Positiven der Pluralismus, die Dogmenlosigkeit und die interdisziplinäre Ausrichtung. Im Kontext der amerikanischen Literaturwissenschaft bedeutet der Neohistorismus den endgültigen Abschied vom zählebigen New Criticism, der auch noch unter der Oberfläche der dekonstruktivistischen Arbeit der Yale Critics durchschien. Das Verhältnis des Neohistorismus zum Poststrukturalismus ist ein gespaltenes. Wie Stanley Fish richtig sieht, bestehen die Neohistoristen im Gegensatz zu den Poststrukturalisten auf einer materiellen Realität, der gegenüber Texte sekundär sind. Aber andererseits sind sich auch die Neohistoristen darüber klar, dass es immer nur Texte sind, über die man den – unzuverlässigen – Zugang zur geschichtlichen Wirklichkeit hat. Die dialektische Beziehung zwischen Realität und Text hat der Neohistorist Montrose24 treffend beschrieben, wenn er von der Geschichtlichkeit der Texte und der Textualität der Geschichte spricht, also annimmt, dass das Soziale diskursmäßig strukturiert ist und der Sprachgebrauch seinerseits sozial und materiell bestimmt ist. Wenn die Neohistoristen von der Textualität der Geschichte sprechen, tun sie es in einem anderen Sinne als die Poststrukturalisten. Während für letztere keine andere als die textliche Realität existiert, sehen die Neohistoristen eine dialektische Spannung zwischen Text und historischer Wirklichkeit. In diesem Sinne spricht Veeser davon, dass jeder Text eingebettet ist in ein Netzwerk

24 Louis A. Montrose: „Professing the Renaissance. The Poetics of Politics of Culture“. In: H. Aram Veeser (Hg.): The New Historicism. New York und London 1989, S. 15–36, hier S. 20.

Abgrenzungen

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materieller Praxis.25 Der Begriff des Textes wird dabei neu und weiter gefasst als bei früheren Methoden. Der Textkorpus einer ‚autonomen Disziplin‘ (etwa der Literaturgeschichte) wird abgelöst durch den Text eines ‚kulturellen Systems‘. Der Blick der New Historicists ist entsprechend weniger auf die Vertikale eines diachronisch strukturierten Einzelfachs gerichtet als auf die Horizontale und auf die Synchronie einer gesamtkulturellen Situation. Die internationale Germanistik hat keinen Grund, den amerikanischen New Historicism als nicht neuartig genug abzutun. Zuviel Originalität kann man der Germanistik in Sachen Theorie ja auch nicht vorwerfen. Emil Staiger war vor einem halben Jahrhundert der letzte Germanist, der mit seiner Werkimmanenz so etwas wie eine literaturwissenschaftliche Methode begründete. Seitdem profitierten Methode und Theorie unseres Fachs von anderen Disziplinen oder Nachbarfächern. Die ideologiekritischen Studenten der 1960er Jahre besuchten die Soziologievorlesungen der Frankfurter Schule, um sich das Rüstzeug für den rebellischen Umgang mit der Dichtung anzueignen. Und die Augen für den rezeptionstheoretischen Blick auf die Literaturgeschichte öffneten ihnen Anfang der 1970er Jahre Romanisten und Anglisten der Konstanzer Schule. An der Grundlegung der darauf folgenden poststrukturalistischen Dekonstruktion waren Germanisten auch nicht beteiligt, und viele Vertreter unseres Fachs motteten damals resigniert ihre Theorieschiffe ein. Die könnten sie jetzt angesichts der frischen Brise des New Historicism, die von jenseits des Atlantiks herweht, wieder flottmachen. Denn ich wüsste keinen methodischen Ansatz, der der ausgesprochen geschichtlichen – und in jüngster Zeit auch interdisziplinären – Ausrichtung einer Vielzahl germanistischer Arbeiten so angemessen wäre wie ein neohistoristischer. Zudem hat sich die Germanistik im Verfeinern anderswo erarbeiteter Methoden bewährt. Fürs weitere Differenzieren gibt es im postmodernen New Historicism ein großes Betätigungsfeld.

25 H. Aram Veeser: „Introduction“. In: Ders. (Hg.): The New Historicism. New York und London 1989, S. IX-XVI, hier S. XIII.

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8. Überschreiten von Grenzen

Europastudien in der Globalisierung

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Germanistik und European Studies in den USA (2003)1 Europastudien in der Globalisierung European Studies Programme als universitäre Einrichtungen sind eine amerikanische Erfindung. Nach dem Zweiten Weltkrieg konnten die USA infolge ihres vergrößerten Einflussbereiches ihr Bruttosozialprodukt verdoppeln. Die neuen politischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten erforderten Führungskräfte, die über spezielle Kenntnisse Asiens, Afrikas, Lateinamerikas und Europas verfügten. Mit staatlicher Förderung sowie mit Hilfe privater Stiftungen (vor allem der Ford Foundation) wurden an führenden privaten und staatlichen Universitäten interdisziplinäre Programme (sogenannte Area Studies) eingerichtet, wie Latin American Studies, Asian Studies, African Studies und European Studies, und zwar (entsprechend der politischen Teilung des Kontinents) Western wie Eastern European Studies Programme.2 Diese Zentren sollten bestehenden universitären Abteilungen (wie die zur Politik, Geschichte, Wirtschaft, Sprache, Kunst etc.) keine Konkurrenz machen, sondern von ihnen profitieren. Im Gegensatz zu den etablierten Abteilungen ging und geht es bei den interdisziplinären Area Studies Programmen in erster Linie um das Studium gegenwärtiger Probleme. In den Western European Studies Programmen stand von Anfang an die wirtschaftliche Integration Europas im Mittelpunkt des Interesses. Vereinzelt gab es auch European Studies Programme mit Tendenzen zu einer stärkeren historischen Orientierung, aber insgesamt blieb das Interesse an der Gegenwart, d.h. am NachkriegsEuropa bestimmend. An Zahl und Ausstattung, quantitativ und qualitativ, waren die European Studies Programme an den amerikanischen Universitäten anderen Area Studies Programmen (etwa zu Afrika, Asien, Lateinamerika) häufig überlegen. Das hat sich inzwischen geändert. Vor allem die wirtschaftlichen Interessen der Vereinigten Staaten, die sich nicht nur als eine atlantische, sondern – und das in immer stärkerem Maße – auch als eine pazifische Macht verstehen, hat zu dieser Umorientierung seit den 1980er Jahren beigetragen. Asian Studies Programme schießen derzeit wie Pilze aus dem Boden und auch die Latin American Studies Programme werden ausgebaut. Ein Indikator für das ständig wachsende

1 Paul Michael Lützeler: „Germanistik und European Studies“. In: Alois Wierlacher und Andrea Bogner (Hg.): Handbuch interkulturelle Germanistik. Stuttgart, Weimar 2003, S. 143–149. 2 Vgl. Stephen Blank: Western European Studies in the United States. Pittsburgh 1975.

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Germanistik und European Studies in den USA (2003)

Interesse an Asien und Lateinamerika ist auch das sich ändernde Verhältnis amerikanischer Studenten zu Fremdsprachen. Wegen der Ausrichtung auf Lateinamerika hin (und natürlich auch wegen der ständig zunehmenden spanischsprechenden Bevölkerung in den USA selbst), entfällt in den letzten fünf Jahren etwa die Hälfte der gesamten Nachfrage nach Fremdsprachkursen an US-Colleges und -Universitäten auf Spanisch. Mit anderen Worten: Von den etwa 1,2 Millionen StudentInnen, die sich in Fremdsprachkurse einschreiben, belegen 600.000 Spanisch. Die europäischen Fremdsprachen (Deutsch, Französisch, Russisch) erleiden im gleichen Maße Einbrüche zwischen 20 % und 40 % wie die asiatischen Fremdsprachen (allen voran das Chinesische) Zuwachsraten in entsprechender Höhe aufweisen.3 Auch das Ende des Kalten Krieges mit der Wiedervereinigung des Kontinents hat an der anhaltenden Umorientierung nichts geändert. Die European Studies Programme stehen also gleichsam mit dem Rücken zur Wand, sind in einer Defensivposition und müssen gegenüber der Universitäts-Administration ständig ihre Legitimität unter Beweis stellen. Wenn in Abteilungen wie Geschichte, Politik, Ökonomie, die für das Überleben interdisziplinärer Programme wichtig sind, Europa-Spezialisten in Pension gehen, werden sie häufig durch Asien-Experten ersetzt. Das hat nicht nur mit dem wachsenden Interesse der amerikanischen Elite an Asien zu tun, sondern ist auch in der Tatsache begründet, dass mehr und mehr StudentInnen aus der Oberschicht asiatischer Länder an amerikanischen Universitäten studieren, um dort ihre karriereversprechenden Abschlüsse zu erhalten. Als Alumni gehören sie dann oft zu den zahlungskräftigen und einflussreichen ehemaligen Studenten bzw. Studentinnen, auf deren Unterstützung amerikanische Universitäten seit ihrem Bestehen angewiesen sind. Diese sich in Schenkungen ausdrückende Loyalität der Ehemaligen gegenüber ihrer Alma Mater ist in diesem Maße in Europa unbekannt. Die asiatischen StudentInnen dagegen akzeptieren diese amerikanische Tradition. Die Alumni aus Asien geben oft Gelder, um Spezial-Bibliotheken und Lehrstühle an amerikanischen Universitäten einzurichten, die zur Verbesserung von Asian Studies Programmen beitragen. Nicht nur, dass – ganz im Gegensatz zur Situation in den 1950er und 1960er Jahren – viel weniger StudentInnen aus Europa als aus Asien an amerikanischen Universitäten studieren; es gibt in Europa auch nicht die für jede Universität in den USA so lebenswichtige Alumnus-Tradition. Ohne die Spenden der Alumni könnten die meisten US-Universitäten den von ihnen erreichten Standard nicht halten. Hinzu kommt, dass viele asiatische StudentInnen (besonders aus Japan und China) von Firmen geschickt werden, um

3 Vgl. Paul Michael Lützeler: „‚Großmacht‘ Deutschland? Essay über die Perspektive von außen“. In: Internationale Politik 52.2 (1997), S. 8–14.

European Studies und Germanistik: ein Nicht-Verhältnis

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akademische Abschlüsse (besonders in den Wirtschafts- und Ingenieurswissenschaften) an amerikanischen Universitäten zu erlangen. Diese Firmen bezahlen die vollen Studiengebühren. Europäische StudentInnen dagegen erwarten meistens Studiengebührenerlass, denn sie kommen oft aufgrund von Gegenseitigkeitsabkommen zwischen amerikanischen und europäischen Universitäten. Da aber immer weniger amerikanische StudentInnen an europäischen Hochschulen studieren wollen,4 sind auch diese Abkommen gefährdet. Mit anderen Worten: die Umorientierung amerikanischer Studenten von Europa hin zu Asien hat nicht nur mit ökonomischen und politischen Veränderungen in der globalen Großwetterlage zu tun, sondern ist aufs engste verknüpft mit den Strukturverhältnissen und den wirtschaftlichen Gegebenheiten der amerikanischen Universitäten als solchen.

European Studies und Germanistik: ein Nicht-Verhältnis Die führenden europäischen Fremdsprachen in den USA – Spanisch wird in erster Linie als Sprache Lateinamerikas eingestuft – sind nach wie vor Französisch und Deutsch (knapp über 200.000 Studierende belegen heute an den Colleges und Universitäten Französisch, knapp unter 100.000 Deutsch).5 Interessanterweise aber haben weder die Experten für französische noch für deutsche Literatur traditionellerweise einen Einfluss auf die Gestaltung der European Studies Programme in den USA gehabt. Diese Programme waren und sind in der Hand der SozialwissenschaftlerInnen, besonders – und in erster Linie – der HistorikerInnen, dann aber auch der PolitologInnen, zuweilen auch der ÖkonomInnen. Als kürzlich eine Bestandsaufnahme von European Studies in den USA erschien,6 die einen Überblick über die Beiträge und dominierenden Themen nach Fächern (Geschichte, Politische Wissenschaft, Anthropologie etc.) vermittelte, wurden die Literatur- und Sprachwissenschaften mit keinem Wort erwähnt. Nicht einmal eine Hand voll LiteraturwissenschaftlerInnen haben sich im Lauf der letzten Jahrzehnte in European Studies einen Namen gemacht. Als ich vor fünfzehn Jahren als Germanist das European Studies Programm an der Washington University einrichtete, tat ich das unter den Auspizien eines neuen Verständnisses der Lite-

4 Es besuchen immer weniger amerikanische bzw. ausländische Studenten europäische Universitäten. Vgl. Paul Michael Lützeler: „Was ist bloß los mit Europas Universitäten?“ In: Das Parlament 17 vom 18. April 1997, S. 10. 5 Mitteilung der Modern Language Association of America (Sitz in New York) aus dem Jahr 1997. 6 Peter A. Hall: The State of European Studies. New York 1996.

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Germanistik und European Studies in den USA (2003)

ratur- als einer Kulturwissenschaft und meine Erwartung war, dass die Kulturwissenschaft in Zukunft innerhalb der European Studies eine größere Rolle spielen würde. Diese Vermutung traf zu, aber sie wirkte sich anders aus, als ich damals annehmen konnte. Zahllose LiteraturwissenschaftlerInnen (auch GermanistInnen) haben in den USA ihre rein auf die Literatur und ihre Hermeneutik ausgerichteten Fächer im Sinne der Kulturwissenschaft erweitert und zwar so, wie Reinhart Koselleck diese Umorientierung vor wenigen Jahren umschrieb: Kulturwissenschaft verstanden im Sinne einer Konvergenz von Sozial- und Geisteswissenschaften.7 In diesem Zusammenhang ist die Beeinflussung der amerikanischen Literaturwissenschaft einerseits durch britische „cultural studies“,8 andererseits durch den New Historicism (bzw. Cultural Poetics) zu nennen, wie er – in Anlehnung an die Anthropologie – von dem Anglisten Stephen Greenblatt propagiert und praktiziert wird.9 So stark wie die Hinwendung der Literatur- zur Sozialwissenschaft war aber auch (bei den HistorikerInnen stärker als bei den PolitologInnen und ÖkonomInnen) die Orientierung hin zu kulturwissenschaftlichen Themen (Identität, Mythen, Alltagskultur), wie sie bisher vor allem von der Literaturwissenschaft bzw. der Empirischen Kulturwissenschaft bearbeitet worden waren. In der Geschichtswissenschaft rückte man immer mehr von den alten Paradigmen der bloßen Politik- und Diplomatiegeschichte ab und wandte sich verstärkt den Mythen wie Fakten des Alltags zu. Darüber hinaus wurden Ähnlichkeiten zwischen historiografischem und fiktionalem Erzählen festgestellt, ein weiterer Grund, sich für die Gemeinsamkeiten von Literatur und Geschichte zu interessieren.10 Der ebenfalls fächerübergreifende Feminismus verstärkte in der Sozial- wie in der Literaturwissenschaft die neue Tendenz zur Kulturwissenschaft, wobei ein besonderes Augenmerk auf die Emanzipation der Frau, auf die gender differences und deren identitätsprägende Kraft sowie auf das Verhältnis

7 Reinhart Koselleck: „Wie sozial ist der Geist der Wissenschaften?“ In: Wolfgang Frühwald, Hans Robert Jauss, Reinhart Koselleck, Jürgen Mittelstraß und Burkhart Steinwachs (Hg.): Geisteswissenschaften heute. Eine Denkschrift. Frankfurt am Main 1991, S. 112–141. 8 Lawrence Grossberg, Cary Nelson und Paula A. Treichler (Hg.): Cultural Studies. New York, London 1992. 9 Vgl. Paul Michael Lützeler: „Der postmoderne Neohistorismus in den amerikanischen Humanities“. In: Hartmut Eggert, Ulrich Profitlich und Klaus R. Scherpe (Hg.): Geschichte als Literatur. Stuttgart 1990, S. 67–76. 10 Vgl. Jörn Rüsen: Historische Orientierung. Über die Arbeit des Geschichtsbewusstseins, sich in der Zeit zurechtzufinden. Köln, Weimar, Wien 1994; Walter Hinck: Geschichtsdichtung. Göttingen 1995; Paul Michael Lützeler: „Fictionality in Historiography and the Novel“. In: Ann Fehn, Ingeborg Hoesterey und Maria Tatar (Hg.): Neverending Stories. Toward a Critical Narratology. Princeton 1992, S. 29–44.

European Studies und Germanistik: ein Nicht-Verhältnis

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der Geschlechter zueinander gerichtet wurde.11 Man sollte also meinen, dass die kulturwissenschaftliche Konvergenz in Geschichte und Germanistik, die es in den 1980er Jahren noch gab, zu einer größeren Zusammenarbeit auch im Gebiet von European Studies geführt hätte. Dem ist aber nicht so. Man kann das wahrscheinlich nur institutionsgeschichtlich erklären. Zum einen behaupteten die (jetzt kulturwissenschaftlich arbeitenden) HistorikerInnen ihre traditionelle Führungsposition in European Studies. Zum anderen richteten sich die Interessen der LiteraturwissenschaftlerInnen in Französisch und Deutsch viel mehr auf die sich neu etablierenden French Studies bzw. German Studies als auf European Studies. Hier schlug die ein Jahrhundert alte nationale Orientierung der LiteraturwissenschaftlerInnen erneut durch. Wahrscheinlich dadurch bedingt, dass beide Fächer sich schon immer primär auf die Sprache und Literatur einer bestimmten Nation konzentrierten, richtete sich auch das neue kulturwissenschaftliche, d.h. also interdisziplinäre Interesse der GermanistInnen und RomanistInnen auf Frankreich bzw. die deutschsprachigen Länder, in letzter Zeit vor allem auf das wiedervereinigte Deutschland. Die German Studies Association (GSA) zog entsprechend in erster Linie GermanistInnen an.12 Die Jahrestagungen der GSA haben mittlerweile über 120 Sitzungen, wobei die germanistischen und historischen Themen eine erkennbare kulturwissenschaftliche Tendenz aufweisen. Viele DeutschlandspezialistInnen unter den HistorikerInnen und PolitologInnen besuchen sowohl die GSA-Jahrestagungen wie auch die annual conventions des Council for European Studies (CES);13 die GermanistInnen hingegen sind auf den Tagungen der Europäisten im Lande nie vertreten. European Studies bedeutet in Amerika so gut wie ohne Germanistik auszukommen und die amerikanische Germanistik glaubt, sich ohne die European Studies interdisziplinär öffnen zu können. Die Experten in European Studies, die traditionellerweise aus den Sozialwissenschaften kommen, haben sich nicht um Kontakte zur Literaturwissenschaft bemüht; und die GermanistInnen haben nicht gelernt, über den deutschsprachigen Bereich hinauszublicken. Tun sie es trotzdem, geschieht es durchweg

11 Was den germanistischen Beitrag zu Gender Studies betrifft vgl. vor allem das seit 1985 erscheinende „Woman in German Yearbook“. 12 Die German Studies Association wurde 1976 durch den an der Arizona State University lehrenden Historiker Gerald Kleinfeld gegründet. Sie hat heute 1.500 Mitglieder (45 % GermanistInnen, 40 % HistorikerInnen und 15 % PolitologInnen). 13 CES, 1970 gegründet, hat 900 Einzel- und 85 institutionelle Mitglieder, wird unterstützt durch den Marshall Fund of the United States, die Ford Foundation und die Europäische Kommission. CES publiziert dreimal im Jahr einen Newsletter, veranstaltet eine Jahrestagung und regionale Konferenzen, vergibt Reisestipendien für europäische Gastprofessuren und amerikanische Studenten.

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Germanistik und European Studies in den USA (2003)

im Kontext der Vergleichenden Literaturwissenschaft, nicht aber im Zusammenhang interdisziplinärer European Studies. (Hier ist nur von jenen Literaturwissenschaftlern die Rede, die potentielle Ansprechpartner für European Studies wären, also von jenen GermanistInnen, die sich mit der deutschsprachigen Dichtung des 20. Jahrhunderts bzw. der Gegenwart beschäftigen. Die MediävistInnen, die Früh-NeuzeitlerInnen, die BarockforscherInnen sowie die Spezialisten für das 18. Jahrhundert haben zu eigenen professionellen Organisationsformen gefunden, in denen echte Interdisziplinarität und Internationalität durchaus eine Rolle spielen.) Schaut man sich die führenden European Studies Programme in den Vereinigten Staaten an, fällt das Nichtverhältnis zwischen Germanistik und European Studies ins Auge. Mit Hilfe finanzieller Unterstützung der deutschen Bundesregierung, d.h. auf Anregung von Werner Weidenfeld, Koordinator für die deutsch-amerikanischen Beziehungen, wurden zwar vor zehn Jahren drei European Studies Programme zu Centers of Excellence aus- bzw. aufgebaut (Georgetown University, Harvard University, University of California at Berkeley), aber sogar hier, wo erwartet wird, dass Deutschlandstudien integraler Teil der European Studies sein sollen, spielt die Germanistik eine nur marginale Rolle. Das Center an der Georgetown University heißt „Center for German and European Studies“. Da es aber Teil der School of Foreign Service ist, ist auch der dortige Schwerpunkt ein sozialwissenschaftlicher. Schaut man sich das Curriculum für den Master of Arts in German and European Studies an, sieht man unter der Sparte „required curriculum“ nur sozialwissenschaftliche Kurse angegeben. Zwei Kurse sind in den zwei Jahren für die Humanities Electives reserviert. Aber immerhin gibt es unter den verschiedenen sozialwissenschaftlichen Schwerpunkten der dort angebotenen Magisterprogramme (Business, Central and Eastern Europe, Government, History, International Security) auch die Möglichkeit, einer Cultural Studies-Spezialisierung, unter der dann auch einiges aus der Germanistik angeboten wird. Jeffrey Peck, ein amerikanischer Germanist, der sich besonders für den Brückenschlag zwischen Literatur und Anthropologie interessiert,14 hat sich Verdienste um den Cultural Studies-Schwerpunkt innerhalb dieses Magisterprogrammes an der Georgetown University erworben. Einer der wenigen Germanisten, der sich schon früh für European Studies engagierte, ist (allerdings mehr von der Vergleichenden Literaturwissenschaft herkommend) Henry H. H. Remak, der in den 1960er und 1970er Jahren das West European Studies Center an der Indiana University in Bloomington leitete und ausbaute. Ab und an – wenn auch sehr selten –

14 Vgl. Daniel E. Valentine und Jeffrey Peck: Culture/Contexture. Explorations in Anthropology and Literary Studies. Berkeley 1996.

Zukunftsperspektiven

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sind GermanistInnen an Tagungen der beiden anderen Centers of Excellence an Harvard und Berkeley beteiligt. Von den über hundert WissenschaftlerInnen, die unter verschiedenen Kategorien (Senior Associates, Associates, Visiting Scholars, Affiliates, Summer Scholars) in der Informationsbroschüre für 1997–1998 des Minda de Gunzburg Center for European Studies an der Harvard University genannt werden, taucht der Name nur eines Germanisten (Peter J. Burgard) auf, und entsprechend muss man Veranstaltungen und Programme in diesem Center, an denen sich GermanistInnen beteiligten, geradezu mit der Lupe suchen. Wenn die übrigen European Studies Programme an den anderen amerikanischen Universitäten auch nicht die stolze Bezeichnung Center of Excellence tragen, besagt das nicht, dass sie weniger interessant und aktiv wären. Zu nennen sind hier vor allem die interdisziplinären Europa-Zentren an der Indiana University, Vanderbilt University, Stanford University, Duke University, University of North Carolina, Cornell University, John Hopkins University, University of Minnesota, University of Pittsburgh, New York University und eben auch an der Washington University in St. Louis. Jedes dieser Programme hat ein eigenes Profil – die einen akzentuieren die Forschung, die anderen die Lehre, und die europäischen Regionen, die jeweils im Vordergrund stehen, sind unterschiedlich –, aber allen ist gemein, dass der germanistische Beitrag jeweils minimal ist, wenn er überhaupt existiert.15

Zukunftsperspektiven Ich selbst habe mich in meinen wissenschaftlichen Arbeiten und in dem von mir 1983 gegründeten und seitdem geleiteten European Studies Programm der Washington University in St. Louis um die Fusion der beiden Gebiete bemüht.16 Die deutsche Literatur (besonders die des 20. Jahrhunderts) ist voll von Zeugnissen darüber, wie stark Autoren das Thema europäische Identität, europäische Geschichte und Zukunft, europäische Einheit und kontinentaler Friede bewegt hat. Nach den beiden großen europäischen Katastrophen der Weltkriege haben ge-

15 Im Frühjahr 1991 lud ich die DirektorInnen dieser Europa-Programme zu einer Arbeitsbesprechung als Informations- und Diskussionsveranstaltung über ihre Unterrichts- und Forschungsziele an die Washington University in St. Louis ein. So erhielt ich einen Eindruck von der Vielfalt und den Unterschieden dieser Zentren. 16 Vgl. die interdisziplinären Sammelbände, die Ergebnisse von Tagungen des European Studies Program an der Washington University. Hg. v. Paul Michael Lützeler: Western Europe in Transition. West Germany’s Role in the European Community. Baden-Baden 1986; Europe after Maastricht. American and European Perspectives. Providence, Oxford 1994.

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Germanistik und European Studies in den USA (2003)

rade die Schriftsteller (besonders in Deutschland und Frankreich) sich in ihrer Essayistik (zuweilen auch in Gedichten und fiktionalen Arbeiten) für die Versöhnung und eine künftige friedliche Kooperation der europäischen Staaten eingesetzt. Das habe ich in Büchern und Editionen wie „Die Schriftsteller und Europa“ oder „Europäische Identität und Multikultur“ gezeigt.17 Aber unabhängig von diesen unmittelbar europäische Identität und europäische Gemeinbürgschaft ansprechenden Themen gibt es für LiteraturwissenschaftlerInnen bzw. GermanistInnen unerschöpfliche Möglichkeiten der Mitarbeit in European Studies Programmen, wenn man jenen Anregungen folgt, die von neuen Kulturtheorien wie denen der Postmoderne, der Multikultur und des Postkolonialismus ausgegangen sind. Diese Theorien sind nicht immer europäischen Ursprungs – wie die des Postkolonialismus18 – und haben oft zunächst in den USA die Aufmerksamkeit der Wissenschaft auf sich gezogen wie Postmoderne und Multikultur,19 aber europäische Intellektuelle haben sie aufgegriffen und entscheidende Beiträge dazu geliefert.20 Wichtig ist, dass hier der kritische Zugang zu kulturellen und literarischen Prozessen ermöglicht wird, die nicht auf eine Nationalliteratur beschränkt sind. Die Krise der Moderne, die durch Migrationen und Flüchtlinge geschaffene Situation der Multikultur und ein postkoloniales Bewusstsein sind nicht nur Charakteristika deutschkultureller Befindlichkeiten, sondern westliche, zuweilen global zu nennende, vor allem aber europäische Phänomene. Wenn man sich mit der Literatur von ethnischen Minderheiten beschäftigt, hat es wenig Zweck, dies erstens von einem isoliert deutschen und zweitens von einem bloß literarhistorischen Standpunkt aus zu tun. In allen größeren europäischen Ländern (vor allem Italien, Frankreich, England) artikulieren sich die neuen Minderheiten literarisch, und geht man das Thema nicht kulturwissenschaftlich, d.h. gleichzeitig sozial- und geisteswissenschaftlich an, wird man diesen Dokumenten nicht gerecht.21 Auch Tendenzen der Postmoderne haben nicht an den – allenthalben po-

17 Vgl. Paul Michael Lützeler: Die Schriftsteller und Europa. Von der Romantik bis zur Gegenwart. München 1992; Baden-Baden 1998; Ders.: Europäische Identität und Multikultur. Fallstudien zur deutschsprachigen Literatur seit der Romantik. Tübingen 1997. 18 Vgl. Padmini Mongia: Contemporary Postcolonial Theory. A Reader. London, New York 1996. 19 Vgl. Charles Taylor: Multiculturalism. Examining the Politics of Recognition. Princeton 1994; Avery F. Gordon und Christopher Newfield: Mapping Multiculturalism. Minneapolis, London 1996. 20 Vgl. Daniel Cohn-Bendit und Thomas Schmid: Heimat Babylon. Das Wagnis der multikulturellen Demokratie. Hamburg 1992; Wolfgang Welsch: Wege aus der Moderne. Schlüsseltexte der Postmoderne-Diskussion. Weinheim 1988. 21 Vgl. Paul Michael Lützeler: Schreiben zwischen den Kulturen. Beiträge zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Frankfurt am Main 1995.

Zukunftsperspektiven

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rös gewordenen – nationalen Grenzen haltgemacht. Nicht nur im politischen Bereich (man denke an die Befreiungsbewegung in Mittel- und Osteuropa), sondern auch auf der Ebene sozialer Prozesse (etwa, was die Beziehungen der Geschlechter zueinander betrifft), haben in der postmodernen Kondition Emanzipationsbewegungen stattgefunden, die ihre Spuren in ganz Europa hinterlassen haben. Und Themen dieser Art sind durchgehend in der europäischen Gegenwartsliteratur anzutreffen, wobei die deutsche Literatur keine Ausnahme macht. Aber auch die künstlerischen bzw. ästhetischen Manifestationen der Postmoderne in der Architektur und Literatur sind internationale Phänomene, auch hier ist ein kontinentaler Blickwinkel angemessener als ein bloß nationaler.22 Vor allem mit ihren Reiseberichten aus den von ihnen besuchten Ländern der Dritten Welt nehmen die deutschsprachigen Autoren Teil am internationalen postkolonialen Diskurs.23 Bei sich und ihren Lesern wollen die Schriftsteller – jedenfalls ihrer Intention nach – das Bewusstsein von den Problemen der Dritten Welt schärfen, wollen Vorurteile über fremde Kulturen abbauen. Zu den Erkundern der Dritten Welt in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur gehören vor allem Hans Christoph Buch, Hubert Fichte, Günter Grass, Bodo Kirchhoff, Hugo Loetscher und Uwe Timm. Sie haben in fiktionalen Texten und pragmatischen Berichten ihre Reiseerfahrungen in den armen Ländern der Karibik, Lateinamerikas, Afrikas, Indiens und Ostasiens verarbeitet. Sie reisten eigentlich alle in die Staaten der Dritten Welt, um zu lernen und um durch ihre Berichte Leser in den deutschsprachigen Ländern zu einem genaueren Verständnis der Beziehung zwischen sog. Erster und sog. Dritter Welt zu verhelfen. Nicht mit dem überlegenen, besserwisserischen, ausbeuterischen und missionarischen kolonialen, sondern mit dem offenen, wissbegierigen, lernwilligen und gleichwohl kritischen postkolonialen Blick wollen sie das kulturell Andere verstehen. So jedenfalls die Intention. Die Tatsache, dass sie ihre guten Absichten oft nicht durchhalten können, dass sie aus ihren Perzeptionsschemata nur mit Mühe oder auch gar nicht herauskommen, wird von den AutorInnen in ihren Berichten selbst reflektiert. Die größte Herausforderung aber, mit der europäische Intellektuelle und AutorInnen in den letzten Jahren konfrontiert wurden, war der Krieg im ehemaligen Jugoslawien. All das, wofür Postmoderne, Multikultur, Postkolonialismus und Europäismus stehen, wurde hier in Frage gestellt, ja schien in den Bereich des Illusionären oder zumindest hilflos Naiven verwiesen zu werden. Gerade deswe-

22 Vgl. Hans Bertens: The Idea of the Postmodern. A History. London, New York 1995; Paul Michael Lützeler: Spätmoderne und Postmoderne. Beiträge zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Frankfurt am Main 1991. 23 Vgl. Paul Michael Lützeler: Schriftsteller und ‚Dritte Welt‘. Studien zum postkolonialen Blick. Tübingen 1998.

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Germanistik und European Studies in den USA (2003)

gen muss die Auseinandersetzung mit diesem Krieg hier erwähnt werden. Zwar hat es eine Bosnien-Initiative, wie sie im Mai 1994 der französische Philosoph Bernard-Henri Lévy ergriff, in Deutschland nicht gegeben, aber es haben doch eine Reihe prominenter deutschsprachiger Autoren (Hans Magnus Enzensberger, Peter Schneider, Richard Wagner, Herta Müller, Peter Sloterdijk, Peter Handke) Stellung bezogen, wenn auch kontrovers und auf sehr unterschiedliche Weise.24 Die deutschsprachigen AutorInnen demonstrieren in ihren Büchern ein kosmopolitisches und europäisches Bewusstsein, wie es bei Vertretern des Fachs Germanistik nur selten anzutreffen ist. Mit europäischer Identität und mit den vielfältigen Integrationsprozessen des Kontinents in unserem Jahrhundert, mit Demokratisierungs- und Emanzipationsbestrebungen in Europa, mit dem Verhältnis zur Dritten Welt sowie mit dem Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien haben sich höchst selten die GermanistInnen, höchst ausführlich jedoch die European Studies Experten beschäftigt. Am Objekt ihrer Wissenschaft – hier also der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur – kann es nicht liegen, dass die Germanistik bisher so wenig zu den European Studies beigetragen hat. Durch diese provoziert hätte sie sich zu einem integralen Faktor der Europa-Forschung entwickeln können. Da Entwicklungen der Wissenschaft stark von ihren professionellen Organisationen abhängig sind, wäre es wünschenswert, dass die bisher nur in winzigen Ansätzen vorhandenen European Studies-Segmente innerhalb der German Studies Association ausgebaut würden, und dass – bisher nicht bestehende – Brücken zwischen dem Council for European Studies sowie der kleineren und jüngeren (vor zehn Jahren begründeten) European Community Studies Association (ECSA)25 und dem germanistischen Teil der GSA gebaut würden. Damit würde den GermanistInnen jedenfalls der Zugang zu den European Studies erleichtert, ein Zugang, der eigentlich in der Logik der kulturwissenschaftlichen Öffnung des Fachs liegt. Die neuen Richtlinien der GSA, an denen gerade gearbeitet wird, fassen immerhin die Möglichkeit einer Öffnung hin zu den European Studies ins Auge. Was ich hier am Beispiel von European Studies und Germanistik in den USA verdeutlichte, ist bis zu einem gewissen Grad auch auf die globale bzw. europäische Situation übertragbar. Interdisziplinäre European Studies Programme gibt

24 Vgl. Paul Michael Lützeler: „Brüssel und Sarajewo: Die Schriftsteller und Europa vor und nach 1989“. In: Ders.: Europäische Identität und Multikultur. Fallstudien zur deutschsprachigen Literatur seit der Romantik. Tübingen 1997, S. 177–194. 25 Auch die politologisch-ökonomisch ausgerichtete ECSA gibt einen Newsletter (ECSA Review) heraus; auch sie hält (alle zwei Jahre) große Kongresse ab, zu denen ebenfalls keine Literaturwissenschaftler eingeladen werden.

Zukunftsperspektiven

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es seit den 1980er und 1990er Jahren – als der europäische Integrationsprozess durch Zielmarken wie ‚1992‘ und ‚Maastricht‘ neue Impulse erhielt – in zunehmender Zahl weltweit. Die beiden führenden europäischen Programme (das Europa-Kolleg in Brügge und das Europäische Hochschulinstitut in Fiesole bei Florenz) sind eigenständige akademische Institutionen. Aber auch hier sind germanistische Beiträge und Aktivitäten die seltene Ausnahme.26 Sollte der von Reinhart Koselleck inaugurierte Trend der Konvergenz von Sozial- und Geisteswissenschaft anhalten, d.h. sollte die Germanistik – ohne natürlich dabei ihren primären Gegenstand, die Literatur, preiszugeben – sich zur Kulturwissenschaft hin entwickeln, lässt sich mit einiger Sicherheit voraussagen, dass die Überlappungen der wissenschaftlichen Interessen bei sozialwissenschaftlichen European Studies-Experten und GermanistInnen zunehmen werden, und dass man dann von einer allmählich wachsenden Kooperation wird ausgehen können. Eine besondere Rolle kann dabei die 1984 von Alois Wierlacher und anderen Wissenschaftlern begründete Gesellschaft für interkulturelle Germanistik (GIG) spielen. Mit ihren Tagungen und Publikationen hat sie wie keine andere professionelle Gruppierung die Internationalisierung des Fachs im Sinne eines Dialogs der Kulturen befördert, hat die Besonderheit der Germanistiken in den verschiedenen Regionen der Welt betont und anerkannt. Es wäre wünschenswert, wenn gerade in dieser Vereinigung die germanistische Wiederentdeckung Europas im Zeichen von Multikultur und Postkolonialismus, von Kosmopolitismus und Globalismus einsetzen würde.

26 In akademischen Berufsverbänden wie dem Arbeitskreis Europäische Integration mit Sitz in Berlin sind ebenfalls keine GermanistInnen vertreten.

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Die Netzwerker von der A. v. Humboldt-Stiftung (2009)

Die Netzwerker von der A. v. Humboldt-Stiftung (2009)1 Der Humboldt-Kosmos Im Geist ihres Namensgebers hat die Alexander von Humboldt-Stiftung (A.v.H.) seit fast 150 Jahren im Sinne wissenschaftlicher Exzellenz, Internationalität und Netzwerkbildung gearbeitet. Heute gibt es über dreißig Programme, mit denen die Stiftung WissenschaftlerInnen aus aller Welt fördert und ihnen einen Aufenthalt in Deutschland ermöglicht. Die bekanntesten sind das Humboldt-Forschungsstipendium und der Humboldt-Forschungspreis. Hinzu kommen Programme wie die Feodor Lynen-Stipendien, mit denen deutsche AkademikerInnen einen Aufenthalt im Ausland unterstützt bekommen. Alle Förderungsmöglichkeiten, die es bei der Alexander von Humboldt-Stiftung gibt, stehen im Zeichen der fachlichen Netzwerkbildung. Wie gut die Auswahl bei der Vergabe der Stipendien ist, zeigt sich auch daran, wie viele der ehemaligen StipendiatInnen im Lauf ihres Forscherlebens Auszeichungen erhalten haben, Ehrungen, die von Ernennungen zu Exzellenz-Professoren über Verdienstzeichen oder Ehrenmedaillen bis zum Nobelpreis reichen. Ob in Physik oder Philosophie, Medizin oder Mathematik, Geographie oder Germanistik, Zoologie oder Theologie: Die Anregungen, die deutsche von ausländischen und ausländische von deutschen WissenschaftlerInnen im Lauf der Zeit durch jene Kooperation gefunden haben, die die Alexander von Humboldt-Stiftung ermöglichte, sind legendär und aus der Wissenschaftsgeschichte nicht fortzudenken. Zu erwähnen sind auch die Jahrestagungen der Stiftung, die HumboldtKolloquien, die Zeitschrift „Humboldt-Kosmos“ und die Einrichtung des Humboldt-Kollegs, lauter Programme, mit denen man die internationale HumboldtFamilie als Wissenschaftsgemeinschaft besser kennenlernen kann, und die der fachlichen Netzwerkbildung große Chancen bieten. Mit den Humboldt-Kollegs wird das internationale fachliche Netzwerk noch enger geknüpft. Es wird immer deutlicher, dass es bei diesem Netzwerk nicht nur um bilaterale wissenschaftliche Beziehungen zwischen Deutschland und einer anderen Nation geht, sondern dass die Humboldtianer untereinander, etwa die japanischen und die amerikanischen, an Beziehungen arbeiten, deren Voraussetzung durch die Hum-

1 Paul Michael Lützeler: „Exzellenz durch weltweite fachliche Alumni-Netzwerke“. In: Alexander von Humboldt-Stiftung (Hg.): Vertrauen verbindet – Deutschland-Alumni in der Welt von morgen. Diskussionspapiere Nr. 15. Bonn 2009, S. 23–27.

Der Humboldt-Kosmos

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boldt-Stiftung geschaffen worden ist. Eine intensivierende Rolle spielt dabei das vorzügliche Magazin „Humboldt-Kosmos“, das die ehemaligen Stipendiaten zugeschickt erhalten. Normalerweise beginnt man bei Beiträgen, die sich mit Netzwerken beschäftigen, mit theoretischen Überlegungen zu Kulturtransfer, zu inter- und transkulturellen Prozessen, zu zivilisatorischen Verflechtungsphänomenen und zu Akteur/Netzwerkbeziehungen. Dazu haben besonders französische Kollegen wie Michael Werner, Michel Espagne, Michel Callon und Bruno Latour Wichtiges gesagt. Hier beschränke ich mich auf einen Bericht aus der Praxis des wissenschaftlichen Austausches und der Netzwerkbildung. Ich habe die kürzlich erschienene Studie „Global Trends 2025: A Transformed World“ gelesen, die herausgegeben wurde vom National Intelligence Council in Washington D.C. An aktuellen Themen, mit denen sich die Wissenschaft heute schon beschäftigt und in Zukunft verstärkt auseinandersetzen wird, und in denen sie Netzwerke ausbauen sollte, mangelt es nicht. Im Politischen stehen neue Konflikte und neue Kooperationsmöglichkeiten der Großmächte in einer multipolaren Welt an. Die kontinentalen Vereinigungen (vor allem in Nordamerika, Europa und Asien) werden dabei neben den neuen nationalen Großmächten eine wichtige Rolle spielen (siehe die BRIC-Staaten Brasilien, Russland, Indien, China). Die politischen Konflikte werden sich wahrscheinlich vom Ideologischen ins Pragmatische wandeln: sprich Kampf um Ressourcen. Die Energiepolitik wird sich neu entwickeln und von ihrer einseitigen Fixiertheit auf die fossilen Energien abkommen. Der Klimawechsel wird einen spürbaren Einfluss auf die Landwirtschaft vieler Erdstriche haben. Die demografische Entwicklung wird eine entscheidende Rolle beim Wachsen oder Abnehmen des politischen Gewichts von Regionen und Nationen spielen. Die globalisierte Wirtschaft enthält widersprüchliche Trends: zum einen entgleitet sie als multinationaler Akteur zunehmend nationalstaatlicher Kontrolle, zum anderen ist sie in den neuen Großmächten China und Indien auf unterschiedliche Weise staatszentralistisch gesteuert. In den USA wiederum würde die Wirtschaft ohne Staatseingriffe kollabieren. Allerdings geschieht das in den USA auf Kosten einer solchen fiskalischen Verschuldung, dass der Staat selbst ihretwegen in eine tiefe Krise geraten kann. Angesichts dieser Mega-Themen, wie sie in „Global Trends 2025“ behandelt werden, klingt es sehr bescheiden, wenn ich etwas zum Netzwerk der internationalen Germanistik sage, wie es, unterstützt durch Organisationen wie die Humboldt-Stiftung, ausgebaut werden kann. Ich will dabei von meinen eigenen Erfahrungen ausgehen, denn bei allem Interesse an den genannten aktuellen Großthemen, bin ich nur mit dem einen Wissenschaftsgebiet, der Germanistik, vertraut. Es ist als ein formales Beispiel zu sehen, das vielleicht auf andere Verhältnisse übertragen werden kann.

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Die Netzwerker von der A. v. Humboldt-Stiftung (2009)

Persönliche Erfahrungen Was waren meine eigenen Erlebnisse als Forschungsstipendiat, als HumboldtPreisträger und Mitglied eines Humboldt-Clubs? 1981 erhielt ich als junger amerikanischer Germanist ein Humboldt-Stipendium an die Universität Tübingen. Damals war der legendäre Heinrich Pfeiffer Generalsekretär der Alexander von Humboldt-Stiftung. Ich hatte ihn im Mai 1980 bei einer von Hildegard Hamm-Brücher, Staatsministerin im Auswärtigen Amt, veranstalteten Tagung mit dem Titel „Internationale Kulturbeziehungen: Brücken über Grenzen“ in Bonn kennengelernt. Hamm-Brücher gewährte mir nach der Konferenz noch eine Privataudienz und bestärkte mich in dem Plan, ein European Studies Program zu gründen. Nach zwanzig Minuten sagte sie, der Südkoreanische Botschafter warte bereits bei einem Empfang auf sie und bat mich, weitere Details mit ihrem Assistenten, Joachim Sartorius, zu besprechen. Der gab mir eine Reihe von Adressen und fragte mich, ob ich Heinrich Pfeiffer von der Humboldt-Stiftung bereits kennengelernt habe. Das konnte ich bestätigen. Pfeiffer hatte ich während der Tagung mein Leid geklagt, dass ich als junger amerikanischer Germanist deutscher Herkunft mich nicht um ein Humboldt-Stipendium bewerben könne. Er nahm sich Zeit für ein Gespräch, und er sah ein, dass diese Spezies von transatlantischen Wandergesellen auch ihren Platz in der „Humboldt-Familie“ bekommen sollten. Heinrich Pfeiffer war ein vorbildlicher Kulturdiplomat und -manager, bei dem zwei Nachwuchsgenerationen ihr Handwerk als Experten für Mittlerorganisationen gelernt haben. Die A.v.H. hat auch in jüngster Vergangenheit mit so ausgezeichneten Präsidenten wie Wolfgang Frühwald oder Helmut Schwarz und inspirierenden Generalsekretären wie Manfred Osten bzw. Georg Schütte Glück gehabt, und zu diesem kompetenten Verwaltungspersonal zählt auch die Stellvertretende Generalsekretärin Gisela Janetzke. Mein Betreuer im Jahr 1981 war Richard Brinkmann, der auch als Hauptgutachter der Humboldt-Stiftung tätig war und der dafür sorgte, dass ich die Tübinger Germanisten kennenlernte. Nicht nur das: Ich traf dort auch KollegInnen aus aller Welt, zu denen der Kontakt zum Teil bis heute andauert. Wolfgang Frühwald, damals stellvertretender Rektor der Universität München, lud mich zu einem Vortrag in die bayrische Hauptstadt ein, wobei er als Zuhörerforum seine Vorlesung über die deutsche Literatur des 19. Jahrhunderts zur Verfügung stellte, weil wir uns auf ein Thema (Hebbels „Agnes Bernauer“) geeinigt hatten, das in diese Periode passte. Nach dem Vortrag stellte er mich einem Humboldt-Stipendiaten aus Indien vor, den er betreute: Pramod Talgeri. Wir interessierten uns damals besonders für die deutsche Romantik, und das verband. Bei einer Reihe von internationalen Kongressen sahen wir uns in den folgenden Jahren wieder, vor allem bei denen der Internationalen Vereinigung für Germanistik (IVG). Als ich

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1988 eine Vortragsreise um die Welt unternahm, traf ich ihn und seinen Kollegen Anil Bhatti in New Delhi wieder. An dieser Stelle sollte ich erwähnen, dass ich die chinesischen, indischen und japanischen Kollegen Zhang Yushu, Anil Bhatti und Teruaki Takahashi, die ich auf meiner Vortragsreise um die Welt 1988 traf, 1990 und 1992 zu den Jahrestreffen des amerikanischen Germanistenverbandes AATG nach Boston bzw. Baden-Baden eingeladen habe. Besonders in Baden-Baden stießen ihre Vorträge über multikulturelle und postkoloniale Aspekte der deutschen Literatur auf große Resonanz. So konnten die Kollegen aus Asien durch meine Vermittlung Beziehungen zur amerikanischen Germanistik knüpfen. Ohne die Unterstützung der A.v.H. hätten diese Humboldtianer nicht an den amerikanischen Kongressen teilnehmen können.

Afrika, Asien, Lateinamerika Seit langem veranstaltet die Alexander von Humboldt-Stiftung bei den alle fünf Jahre stattfindenden Kongressen der IVG ein Treffen der Mitglieder der Humboldt-Familie. 1995 lernte ich während der IVG-Tagung in Vancouver David Simo von der Universität in Yaounde in Kamerun kennen, und wir entdeckten unsere gemeinsamen Interessen im Hinblick auf die Postkolonialen Studien. 1997 lud ich ihn zu einer internationalen Tagung über deutsche postkoloniale Literatur an die Washington University in St. Louis ein, und im Jahr 2001 flog ich nach Yaounde, um an einer von ihm organisierten Konferenz über afrikanische und europäische Literaturdiskurse zum Thema Nation teilzunehmen. Auch hier half die HumboldtStiftung mit einem Reise-Stipendium, machte allerdings zur Bedingung, dass ich im Goethe-Institut von Yaounde zusätzlich einen Informationsvortrag über Förderungsmöglichkeiten der Stiftung halten würde. Dieser erste Aufenthalt in Afrika, dem wenig später eine Vortragsreise an einige südafrikanische Universitäten folgte, war eine jener Erfahrungen, die lange nachwirkten, und die mich veranlassten, mich genauer mit den geschichtlichen und literarischen Beziehungen zwischen Deutschland und Teilen Afrikas zu beschäftigen.2 In Peking hielt ich 1988 bei meiner Vortragsreise um die Welt ebenfalls einen Vortrag, und bei der Gelegenheit traf ich, vermittelt durch die Kollegin Ning Ying, die ich schon 1980 in Tübingen kennengelernt hatte, den Heinrich Heine-Forscher Yushu Zhang: heute bekannter Nestor der chinesischen Germanistik. Wir

2 Vgl. die Kapitel über Lukas Bärfuss’ „Hundert Tage“ und Hans Christoph Buchs „Kain und Abel in Afrika“. In: Paul Michael Lützeler: Bürgerkrieg global. Menschenrechtsethos und deutschsprachiger Gegenwartsroman. München 2009, S. 101–145.

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haben uns danach öfters in Europa getroffen, und er lud mich ein, auf dem Herausgebergremium seiner vor zehn Jahren gegründeten „Literaturstraße“ mitzuarbeiten, einem Jahrbuch für deutsch-chinesische Literaturbeziehungen. Während der IVG-Tagung in Paris begegnete ich dem chinesischen Linguisten Xiaohu Feng, der mir sagte, er sei an einem Professorenaustausch interessiert. Im vorigen Jahr war ich als Gastprofessor an der Internationalen Universität in Peking, und er kam in diesem Jahr nach St. Louis. Er sprach über deutsch-chinesische Kulturbeziehungen, ich wieder über den Europa-Diskurs der Schriftsteller. Wie ich drei weitere Universitäten in China besuchte (in Shanghai, Dalian und Guangzho), so hielt er Vorträge in den USA an der Georgetown University in Washington D.C., an der Iowa State University und an der Stanford University. So konnten wir einen Eindruck von den Germanistiken der jeweiligen Gastländer erhalten. Die chinesische Germanistik hat mich ebenfalls beeindruckt. Das Interesse der StudentInnen, der Fleiß, die Informiertheit fielen überall auf. Die chinesischen KollegInnen wiesen mich auch auf den asiatischen Germanistenverband hin, der alle drei Jahre einen großen Kongress veranstaltet. Der fand im vorigen Jahr unter dem Vorsitz des japanischen Germanisten Ryozo Maeda statt, der mich zu einem der Hauptvorträge einlud. Er ist ebenfalls Humboldtianer. Seinen Chairman Teruaki Takahashi hatte ich 1988 bei meiner Vortragsreise um die Welt in Tokyo kennengelernt, und mit Ryozo Maeda bin ich seit einer Reihe von IVG-Tagungen mit ihren Humboldt-Treffs in Verbindung. Im Augenblick planen wir beide einen Austausch, wie ich ihn schon mit dem indischen und dem chinesischen Kollegen praktiziert habe. Professor Maeda gehört zum Herausgeber-Gremium des von mir edierten Jahrbuchs „Gegenwartsliteratur“. Auch zum nationalen Germanistenkongress Koreas wurde ich vor zwei Jahren als Eröffnungssprecher eingeladen, wo ich eine aktive und hochqualifizierte Germanistik kennenlernte. Professor Chin-Gill Chang aus Seoul, der die Einladung vermittelt hatte, ist inzwischen Gast an meiner Heimatuniversität in St. Louis gewesen. Auch in Seoul merkte ich rasch, dass die aktivsten WissenschaftlerInnen im Germanistenverband oft Humboldtianer sind. In diesem Zusammenhang sollte auch erneut der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) erwähnt werden, die weltweit größte Förderorganisation für den internationalen akademischen Austausch überhaupt. Als ich 2008 von der Präsidentin Adriana Massa der Lateinamerikanischen Gesellschaft für Germanistik (ALEG) eingeladen wurde, einen Plenarvortrag zum Thema „‚Grenze‘ im literarischen Europadiskurs“ bei dem nächsten, alle drei Jahre stattfindenden Verbandskongress zu halten, sagte man mir gleich, dass der DAAD bereit sei, die Flugkosten zu bezahlen. So konnte ich im September 2009 an dem ALEG-Kongress in Córdoba/Argentinien teilnehmen, bei dem ich einen Eindruck von dem bekam, was die Germanistik in Ländern wie Mexiko und Argentinien,

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Brasilien und Chile leistet. Und das ist eine ganze Menge, vor allem auf Gebieten der deutsch-lateinamerikanischen literarischen Beziehungen und der postkolonialen Studien. Paulo Soethe aus São Paulo hielt einen interessanten Vortrag über Thomas Mann und Brasilien. Es ist schade und ein Schaden, dass es in der Germanistik so wenig Kontakte zwischen dem englischsprachigen und dem spanisch- bzw. portugiesischsprachigen Teil des amerikanischen Kontinents gibt. Bis zu einem hohen Grad hat das mit Sprachbarrieren zu tun. In Nordamerika wird bei germanistischen Kongressen vor allem auf Englisch referiert, in Lateinamerika überwiegend auf Spanisch und Portugiesisch. Würde hier mehr das Deutsche als lingua franca unseres Faches genutzt, käme man sicher besser ins Gespräch und könnte auch gemeinsame Tagungen, die es so gut wie gar nicht gibt, ausrichten. Gleichzeitig wurde ich durch die neue Verbandspräsidentin Olivia C. Diaz Pérez eingeladen, eine Sektion zum Thema „Konfigurationen des Realen in der deutschsprachigen und lateinamerikanischen Literatur“ beim ALEGKongress im März 2012 in Guadalajara/Mexio gemeinsam mit Juliana Pérez und Miguel Vedda zu leiten und dort auch einen Vortrag zu halten. Bei der Vollversammlung des Verbandes sprach ich das Thema möglicher Kooperationen zwischen den beiden Teilen des Kontinents an und machte den Vorschlag, dass man sich dann auf Deutsch als Tagungssprache einigen könnte. Die Meinungen dazu waren geteilt: Die einen meinten, dass man Forschungsergebnisse doch lieber in der Sprache des Heimatlandes präsentiere; andere verwiesen darauf, dass die Anzahl der Vorträge auf Deutsch bei den ALEG-Kongressen ständig zunehme, eine Tendenz, die sie unterstützen würden. Wenn vom Humboldt-Netzwerk die Rede ist, müssen auch die Alumni-Verbände und Humboldt-Clubs erwähnt werden. Sie sind allerdings weniger auf die Ausdehnung eines spezifischen Fach-Netzwerkes ausgerichtet, und sie sind nicht global, sondern national organisiert. Aber auch sie geben die Möglichkeit zu vielfältigem Austausch. Humboldtianer sind immer auch an Fragestellungen und Ergebnissen anderer Fächer und Forschungsrichtungen interessiert, wozu die Zusammenkünfte der Humboldt-Clubs Gelegenheit bieten. Die American Friends of the Alexander von Humboldt Foundation führen fast jedes Jahr anregende Tagungen durch, bei der bekannte Persönlichkeiten wie Helmut Schmidt und Hans Magnus Enzensberger den Humboldtianern die Ehre erwiesen haben, Vorträge zu halten. „Politics is not always local“, aber manchmal ist sie es eben doch. Im Zusammenhang mit den Humboldt-Clubs muss erwähnt werden, wie wichtig es ist, an der eigenen Heimatuniversität KollegInnen auf die Humboldt-Stiftung und ihr wissenschaftliches Netzwerk hinzuweisen. Justus Liebig leicht abwandelnd lässt sich heute über die Humboldt-Stiftung als international agierender Institution sagen, was der Giessener Chemiker über das Berliner Universalgenie vor hundertsechzig Jahren bemerkte:

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Die Netzwerker von der A. v. Humboldt-Stiftung (2009)

Wie viele kenne ich, welche gleich mir die Erreichung ihrer wissenschaftlichen Zwecke der Alexander von Humboldt-Stiftung Schutz und Wohlwollen verdanken! Der Chemiker, Botaniker, Physiker, Orientalist, der Reisende nach Persien und Indien, […] alle erfreuen sich gleicher Rechte, gleichen Schutzes; vor ihr ist kein Unterschied der Nationen, der Länder. Was die Wissenschaften in dieser besonderen Beziehung ihr schuldig sind, ist zur Kunde der Welt gekommen, allein es ist auch in unserer aller Herzen zu lesen.3

3 Das Originalzitat ist Teil einer Dedikation an Alexander von Humboldt in einem Buch Liebigs. Vgl. Justus Liebig: Chemie in ihrer Anwendung auf Agricultur und Physiologie. Braunschweig 1843, 5. Auflage: „Wie Viele kenne ich, welche, gleich mir, die Erreichung ihrer wissenschaftlichen Zwecke Ihrem Schutze und Wohlwollen verdanken! Der Chemiker, Botaniker, Physiker, der Orientalist, der Reisende nach Persien und Indien, der Künstler, Alle erfreuten sich gleicher Rechte, gleichen Schutzes; vor Ihnen war kein Unterschied der Nationen, der Länder. Was die Wissenschaften in dieser besonderen Beziehung Ihnen schuldig sind, ist nicht zur Kunde der Welt gekommen, allein es ist in unserer Aller Herzen zu lesen.“ Zitiert nach: Hermann Kopp: „Justus Liebig und die Gießener Schule der Chemie“. In: H. Künzel’s Geschichte von Hessen. Friedberg 1856, S. 334–340, hier S. 335 (Anmerkung).

9. Internationale Germanistik

Tokio: Moderne und Respekt

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Gastprofessuren in Japan, China und Indien (2007–2011) Tokio: Moderne und Respekt1 Im Mai/Juni 2010 verbrachte ich einen Monat als Gastprofessor der Germanistik in Tokio. Es war mein vierter Besuch in der Stadt. Seit der amerikanischen Besatzung des Landes in den Jahren nach 1945 haben das College und die Graduate School der USA einen nachhaltigen Einfluss auf die japanischen Universitäten ausgeübt, und der wird inzwischen keineswegs mehr als fremd empfunden. Wenn man mich fragt, was mich als Literaturwissenschaftler bei den ProfessorInnen und den StudentInnen der Germanistik am meisten beeindruckt hat, ist es deren Textnähe bei der Interpretation, die Bemühung um das, was man im Englischen mit close reading umschreibt. Dabei ist man durchaus an theoretischen Ansätzen interessiert, und von Theoriefeindlichkeit kann keine Rede sein. Man stülpt jedoch nicht aktuelle Theorien den Texten über, sondern lässt sich durch die Dichtungen selbst zu Theorien hinführen. Mit anderen Worten, man ist weniger daran interessiert, im Westen aktuelle Theorien anzuwenden, als sich eigenständig umzusehen, mit welchen Ansätzen man bestimmte literarische Texte, die einen faszinieren, besser versteht oder zugänglich macht. Dann spielt es keine Rolle, ob die Theorien neu oder alt, aktuell oder scheinbar überholt sind, aus westlichen oder östlichen Kulturen stammen. Im Alltagsleben gehen japanische Traditionen ständig Fusionen mit westlichen Verhaltensweisen ein. Es überrascht, was sich an überlieferten japanischen Umgangsformen erhalten hat; nicht minder erstaunlich ist aber auch, wie die fortschreitende Verwestlichung das äußere Leben bestimmt. Japan ist wohl das zivilisierteste Land der Welt. Die Höflichkeitsregeln der verbeugenden Begrüßungen gelten nach wie vor, und nirgendwo anders auf der Welt herrscht ein so gleichbleibend freundlich-rücksichtsvoller Umgangston. In einem Café in Tokio beobachtete ich eine Gruppe von vier Geschäftsleuten, die dabei waren, sich über ein Produkt zu informieren, das ihnen von einem Deutschen angeboten wurde. Die Japaner sprachen immer im gleichen freundlich-interessierten Ton, und ihre Mienen verrieten nie, ob sie schon überzeugt waren oder noch abwarteten. Der Deutsche konversierte fließend in Japanisch, doch ab und zu replizierte er in der Sprache seines Heimatlandes, wenn einer seiner japanischen Handelspartner

1 Paul Michael Lützeler: „Moderne und Respekt: Impressionen bei einem Aufenthalt in Tokio“. In: Aspekt 44 (2010): 121–131. Teruaki Takahashi regte mich zu dem Essay an.

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Gastprofessuren in Japan, China und Indien (2007–2011)

aus Höflichkeit ein paar Floskeln auf Deutsch vorgebracht hatte. Der Habitus des Deutschen war ganz anders als der der Japaner. Sein Gesicht verriet immer die jeweilige Gefühlslage, zuweilen sogar übertrieben expressiv: ob erwartungsvoll, besorgt, heiter, gespielt überlegen – er exerzierte alle Grimassen durch, die Schauspieler während der Stummfilmzeit in ihrem Repertoire hatten. Offenbar wollte der Deutsche ab und zu einen Witz machen, aber der Lacherfolg blieb aus, denn das Witzemachen ist keine Sache der Gebildeten; der Japaner, der etwas auf sich hält, ist ernst. Das zeigte sich auch beim Geburtstagstreffen mit Yoko Tawada, der sprachexperimentierenden japanischen Autorin, die immer auf Japanisch wie auf Deutsch publiziert und in beiden Ländern ihre Leser findet. Sie hatte ihren eigentlichen Geburtstag einen Monat zuvor schon in Berlin gefeiert, wo es, wie man mir berichtete, lustig zugegangen war. Im Kreis ihrer japanischen Freunde, wo die Feier dann in Tokio nachgeholt wurde, war die Stimmung dagegen gedämpft; man verhielt sich vornehm. Egal auf welcher sozialen Ebene: Überall ist man um freundliche Korrektheit bemüht. Als wir mit dem Shinkansen, dem japanischen Schnellzug, von Tokio nach Kyoto fuhren, beobachteten wir, dass von den Putzfrauen über die Verkäufer von Erfrischungen bis zu den Schaffnern und Zugleitern – sie alle in elegante Uniformen gekleidet – jeder seine Tätigkeiten mit Selbstbewusstsein und Ernst ausführte. Aus ihrem Verhalten sprach ein Stolz auf ihre Arbeit, eine Würde, die eine Identifikation mit ihrem Beruf signalisierte. Ich bin niemandem begegnet, dessen Verhalten andeutete, dass er mit der Tätigkeit, die er ausübte, unzufrieden gewesen wäre. Bei aller Verwestlichung an der Oberfläche ist es doch so, dass das Bildungsideal in Japan nach wie vor ein anderes ist als in Europa und Amerika. Der amerikanische Literaturwissenschaftler Lionel Trilling hat in seinem Buch „Sincerity and Authenticity“ von 1970 gezeigt, wie sich durch die Aufklärung das Selbstverständnis des europäischen Menschen änderte. In voraufklärerischer Zeit war es auch in Europa Norm, gesellschaftliche Erwartung und privates Leben in eine Balance zu bringen, während seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts der Wunsch nach Selbstverwirklichung und Selbstbefreiung dominiert. Klassik und Romantik propagieren das Ideal der persönlichen Authentizität, und diese Vorstellung liegt nach wie vor den westlichen Bildungszielen zugrunde. Auch in Japan hat jene Literatur, die das Gemeinschaftsideal der „sincerity“ durch das individuelle der „authenticity“ verdrängte, seine Spuren hinterlassen, aber viel stärker als im Westen haben sich die alten Konventionen erhalten, in denen „sincerity“ als Leitidee sozialer Ethik gilt. Im wirtschaftlichen Bereich agiert man in Japan trotz Globalisierung immer noch patriotischer und nationaler als in anderen Staaten der Welt. Japanische Firmen lassen sich nicht leicht durch Multis schlucken und die soziale Kohäsion in

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der Geschäftswelt ist weit stärker als etwa die in den USA. Wir trafen den Generalvertreter eines internationalen Konzerns. Er sei zwar erfolgreich gewesen im Verkauf des Produkts der Firma, die in Europa ihren Hauptsitz habe, doch sei es ihm nicht gelungen, den Auftrag auszuführen, kleinere japanische Firmen aufzukaufen, die vergleichbare Erzeugnisse herstellen. Er erwähnte auch die Krisen, in denen sich Swiss Air und Japan Air Lines (JAL) etwa gleichzeitig befunden hätten. Die Schweizer Regierung habe es zugelassen, dass in der Krise von Swiss Air eine ausländische Konkurrenzfirma die Gesellschaft übernommen habe, wohingegen die japanische Regierung aus Gründen des nationalen Prestiges JAL gerettet habe. Dabei konnte der Staat sich diese zusätzliche finanzielle Belastung eigentlich nicht leisten. Verschuldet ist der Fiskus in Japan wie in den USA, doch gibt es einen gravierenden Unterschied: Die Gläubiger des japanischen Staates sind primär inländische Banken und Firmen, während die Vereinigten Staaten unverhältnismäßig mehr Schulden bei ausländischen Staaten – nicht zuletzt in China – gemacht haben. Multikulturelles begegnet einem im japanischen Alltag auf Schritt und Tritt. Freunde luden uns mehrfach in italienische Restaurants ein und es war interessant zu sehen, wie die fremden Gerichte auf japanische Art, d.h. in viele kleine Portionen aufgeteilt, serviert wurden. Wenn man wollte, konnte man sie auch mit Stäbchen essen. Die Speisekarten waren zweisprachig. Ich merkte bald, dass man Japaner, die nicht schnell aus der Reserve zu locken sind, doch zum Lachen bringen kann, wenn man ihnen die Speisekarten in pathetischem Italienisch vorliest, denn diese Sprache mit dem rollenden ‚R‘ klingt in ihren Ohren besonders fremdartig. Auch das Idiom der Reklame ist hybrid geworden: Überall sieht man Kanjis (jene chinesischen Schriftzeichen, die man in Japan verwendet) im Wechsel mit englischen Wörtern. Die neue Generation lernt die alten Zeichen nicht mehr mit der gleichen Intensität wie die Eltern und Großeltern es getan haben. Die übten sich im Malen der Zeichen bis hin zur Kalligrafie. Die Computer aber bringen heute die Zeichen als Ganzes, und so sind inzwischen bei den jungen Leuten die passiven Kenntnisse der Kanjis viel größer als die aktiven. In Kaufhäusern und Geschäftsvierteln, in der Metro und an den großen Straßenkreuzungen wechseln bei Hinweisen und Reklame die japanischen Schriftzeichen und das in lateinischen Buchstaben geschriebene Englisch einander ab. Wenn ich an meine früheren Besuche denke, wird mir klar, wie stark inzwischen das Englische, das in den 1980er Jahren nur selten zu sehen war, die Sprache der Geschäfte geworden ist. Ja, es gibt Kaufhäuser, in denen kaum noch etwas in Japanisch angepriesen wird. Da ist nur von „sale“, von „fashion“, von „special offers“, von „opportunities“ die Rede, und nur wenn man genau hinschaut, ist auf den großen Hinweistafeln versteckt und sehr klein noch etwas auf Japanisch vermerkt. Auch in Tokio – und vor

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allem in Tokio – kann man das bemerken, was man am besten als „Gucci-Phänomen“ bezeichnet: dass nämlich die weltweit führenden Modemarken (bei Kleidung und Schuhen, bei Schmuck, Taschen und Uhren) das Bild der Stadtzentren bestimmen. Da Tokio aus vielen Stadtteilen (eigentlich sollte man sagen aus mehreren Großstädten) besteht, sind Gucci und ähnliche Firmen vielfach, d.h. in allen Teilzentren der Metropole vertreten. Und die Käufer strömen nur so in ihre Läden. Sonderlich geheimnisvoll ist das hypermoderne Japan nicht, umso mehr Mysteriöses bieten die Unterhaltungsmedien an. Will man vergleichende Studien über aktuelle Kriminalfilme anstellen, empfiehlt es sich einen Tokio-Aufenthalt einzulegen, denn unter dem Titel „Mystery“ werden jeden Abend zu vorgerückter Stunde im Fernsehen Kriminalfilme aus aller Welt gezeigt, jeweils in der Originalsprache mit japanischen Untertiteln. Da die heimische Filmindustrie den Bedarf nach Lösungen fiktiv-rätselhafter Verbrechen nicht decken kann, werden Serien aus europäischen Ländern und Amerika gekauft. Besonders beliebt ist die österreichische Krimiserie „Kommissar Rex“, in der ein findiger Schäferhund den Detektiv immer auf die richtige Fährte setzt (nicht umgekehrt), und so können alle denkbaren Verbrechen in Wien geklärt werden, ob es sich um die Ermordung junger Schülerinnen durch perverse Musiklehrer oder um Todesfälle im Zusammenhang mit dem Diebstahl von Beethovens Schädel handelt. Über die kleinen Vergehen des Schäferhundes Rex, der gerne Salamisemmeln stiehlt, amüsieren sich dabei auch die japanischen Zuschauer. Was Kriminelles betrifft, klaffen Fiktion und Realität glücklicherweise weit auseinander. Tokio ist die Metropole mit der niedrigsten Kriminalitätsrate der Welt. Gut sichtbar sind im Abstand von zwei Kilometern kleine Polizeistationen an den Straßenecken angebracht. Die Polizei dort ist eine der effizientesten der Welt, und so können sich Männer oder Frauen jeden Alters zu irgendeiner Tagesund Nachtzeit überall in Tokio bewegen, ohne mit Überfällen rechnen zu müssen. Der Zufall wollte es, dass ich kurz vor meinem Besuch in Tokio einige Zeit in einer mexikanischen Großstadt verbracht hatte, wo ich dauernd von den Gastgebern gewarnt wurde, dieses oder jenes Viertel ganz zu meiden oder sich hier und dort nur zu bestimmten Tageszeiten aufzuhalten. Vergleichbare Ratschläge erhält man inzwischen auch in vielen amerikanischen und europäischen Städten. Nichts davon in Tokio. Das Angenehme an Tokio ist, dass bei aller Eile doch eine Gelassenheit und Sicherheit spürbar bleibt. Es gibt wohl kaum ein Land der Welt, wo der Ordnungssinn so ausgeprägt ist. Nie sieht man jemanden, der achtlos irgendetwas (sei es die Verpackung eines Bonbons oder eine Zigarettenkippe) wegwerfen würde. So sind die Straßen und Plätze, Bahnhöfe und Hotels immer sauber und wenn sich aus irgendeinem Grund einmal Schmutz angesammelt hat, wird dieser gleich

Tokio: Moderne und Respekt

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beseitigt. Auch beim Bauen neuer Häuser wird versucht, den Geräuschpegel so niedrig wie möglich zu halten. Das Aufwirbeln von Staub wird durch das Abdecken der Baustellen mit Plastikplanen minimiert, so dass sie an Verhüllungskunstwerke von Christo erinnern. Die öffentlichen Verkehrsmittel spielen eine große Rolle, und der Andrang an den Bahnhöfen ist so gewaltig, dass es leicht zu Kollisionen kommen könnte. Aber das ist nie der Fall: An Ein- und Ausgängen ist auf dem Fußboden exakt markiert, wo man entlang zu gehen hat, wo man auf den Rolltreppen stehen soll, wie man die Passanten an einem vorbeilässt. Alle folgen den Regeln, so dass sich ständig die Choreographie eines geordneten Durcheinanders entfaltet. Noch präziser werden die Hinweise, wenn man den Schnellzug, den Shinkansen, für die langen Strecken zwischen den Städten benutzt. Auf den Zentimeter genau ist auf dem Bahnsteig die Tür zu jenem Abteil markiert, das auf den Fahrgast wartet. Der Zug fährt pünktlich ein und kommt genauso zeitig am Zielort an. Man kann die Uhr danach stellen. Hybride Formen sind auch für das religiöse Leben bezeichnend. Gern machen die Japaner einem klar, dass man bei den wichtigen Ereignissen im Leben unterschiedliche religiöse Stätten aufsucht: bei der Taufe den Shinto Shrine, weil es da um die Fortsetzung der Ahnenreihe geht; bei der Hochzeit die christliche Kirche, die für dieses Fest ein besonders feierliches Zeremoniell kennt und bei Sterbefällen in der Familie besucht man den Buddhistischen Tempel, denn hier wird der Tod positiv als Schritt auf dem Weg ins Nirwana gedeutet. Alle drei großen Religionen, die Japan geprägt haben, existieren nebeneinander, keine hat die frühere verdrängt. Das ist in Europa anders. Was wissen wir noch vom Mithraskult der Römer, von den Zeremonien der Kelten, von den Ritualen und Gebeten der Germanen? Davon hat sich in der Religionspraxis des Westens nichts erhalten, d.h. sie wurden in den Bereich nicht mehr wirksamer Mythen verbannt. Ein sonderlich religiöses Land scheint Japan nicht zu sein. Das ist eine Reaktion auf die Zeit der 1930er und 1940er Jahre als der Shintoismus offizielle Staatsreligion war, und an die Vermischung von expansionistischem Ehrgeiz und ideologisiertem Glauben denkt man nicht gerne zurück. Japan ist das Land der Moderne. Ganz Tokio ist eine modernistisch gebaute Stadt, in der nur wenige Baudenkmäler aus früheren Epochen erhalten geblieben sind. Das ist zum Teil auf die Zerstörung der Hauptstadt im Zweiten Weltkrieg, zum Teil auf die Modernisierungstendenzen beim Städtebau in den Nachkriegsjahrzehnten zurückzuführen. Postmoderne Gebäude mit Verweisungscharakter auf die architektonische Geschichte des Landes gibt es kaum. Mehr vertreten ist die Weiterentwicklung der Moderne, die sogenannte dekonstruktive Architektur. Tokio ist wohl die modernste Stadt der Welt auch im Hinblick auf die Infrastruktur, das Verkehrsnetz, die Anlage von Brücken und Straßen. Die Metro ist nicht

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nur legendär zuverlässig und auf dem neuesten technischen Stand, sondern hat auch das denkbar größte Verbundsnetz. Die Wolkenkratzer konturieren sich noch steiler, noch gerader, noch selbstbewusster in die Silhouette der Stadtlandschaft als in New York, Peking oder Seoul. Trotz der immer präsenten Furcht vor Erdbeben, baut man nach wie vor Hochhäuser. Allerdings herrscht im Augenblick kein Bauboom. Alle Wolkenkratzer sind inzwischen erdbebensicher gebaut, d.h. sie halten ohne Weiteres Erschütterungen bis zum Grad 5 auf der Richterskala aus. Schlimm aber wird es, wenn einmal ein wirklich großes Beben einsetzt, in dessen Folge die Stadt wohl aussehen würde wie nach einem Krieg. Einzug der Moderne hat von Anfang an auch bedeutet, dass amerikanische Produkte gekauft wurden: Modegeschäfte wie GAP, die offenbar nirgendwo auf der Welt entbehrlichen McDonald’s-Restaurants, nicht zu vergessen Kentucky Fried Chicken, und jetzt auch Family Markets, wo man alles findet, was CocaCola, Procter & Gamble oder die United Fruit Company auf den Weltmarkt werfen. Auffälligerweise hat sich die Jeans-Mode aber nicht durchgesetzt, an ihr sind die Touristen immer noch zuverlässig zu erkennen. Kimonos sieht man nur noch bei der Bedienung in teuren Restaurants mit japanischer Speisekarte. Die jungen Frauen tragen meistens eine Art von Strumpfhosen, worüber sie entweder Shorts oder kurze Röcke ziehen. Bei den jungen Männern sind nach wie vor dunkle Anzüge beliebt, und da kann man Studenten oft nicht von Bankangestellten unterscheiden. Eine Konzession an den westlichen Geschmack zeigt sich auch im Färben des Haarschopfs: Schon die Teenager (ob männlich oder weiblich) geben ihren Haaren gern einen Braunton, zuweilen färben sie sie auch gold-gelb, wie etwa Keisuke Honda, Mitglied der Fußball-Nationalmannschaft. Auch die japanischen Restaurants sind nicht mehr, was sie einmal waren. Um den verwestlichten Japanern und den Besuchern aus anderen Teilen der Welt das Sitzen nicht zur Qual zu machen, hat man oft Vertiefungen in den Erdboden eingelassen, so dass man sich nicht im Schneidersitz durch die Mahlzeit quälen muss, sondern in westlicher Haltung das Essen und den Sake genießen kann. Wie stark sich inzwischen auch westliches Essen durchsetzt, konnten wir in einem Hotel in Kyoto beobachten, wo morgens ein japanisches und ein westliches Frühstück angeboten wurde. Witzigerweise bestellten die meisten Gäste aus Europa und Amerika das japanische, die Japaner jedoch das westliche Frühstück. Punks gibt es auch in Tokio, aber sie sehen viel freundlicher aus als ihre Gesinnungs- und Altersgenossen und -genossinnen in Europa. Sie versammeln sich an den Wochenenden gerne zwischen der Harajuku Metro-Station und dem Meiji-Schrein. Etwas verschüchtert stehen sie in ihren farbenfrohen alternativen Kostümen und ihren grell gefärbten Haaren in kleinen Gruppen da. Es geht zu wie bei einem Teenager-Ausflug, und man bewundert sich gegenseitig. Alles sieht so adrett aus, als hätte Mutti zuhause noch genau darauf geachtet, dass auch jede

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Rockfalte gut sitzt und nur ja kein Knopf irgendwo locker herunterhängt. Eltern kommen mit ihren Kindern vorbei, und die meisten der Kleinen wollen sich mit den bunten Vögeln fotografieren lassen. Dem Wunsch geben die Erwachsenen wie die jungen Punks nur allzu gerne nach, denn nun haben alle etwas zu lachen, besonders die Kinder, die das Ganze als Jahrmarktsvergnügen genießen. Die demografische Kurve verläuft in Japan wie im Westen: Den vielen alten Leuten steht eine kleinere Gruppe von jüngeren Japanern gegenüber. Man behilft sich auch in Japan mit Einwanderern aus anderen asiatischen Ländern. Inzwischen kommen zehn Prozent der Bevölkerung aus China (sowohl aus Taiwan als auch aus der Volksrepublik), und da ist die Tendenz steigend. Anders als es oft in Europa der Fall ist, assimilieren sich die Einwanderer relativ rasch an den anderen Lebensstil. Am Ende des Aufenthalts wurde ich bei einem Bankett gebeten, meine Eindrücke über Japan zusammenzufassen. So referierte ich drei Beobachtungen: Erstens die Leidenschaft fürs close reading, d.h. das genaue und langsame Lesen der Literatur bei den japanischen KollegInnen, die aber darüber die Theorie nicht vergessen. Zweitens hielt ich fest, dass man in Japan schon im Kindergarten die Grundregeln der Höflichkeit beigebracht bekommt: dass man früh lernt nicht zu sagen, was einem gerade einfällt oder was man im Augenblick für die Wahrheit hält, sondern das, was höflich ist. Und drittens bewunderte ich die Lehre des ZenBuddhismus, nach der man über Gott keine Aussage machen kann, gleichwohl jedoch von einer Existenz Gottes ausgeht, die man in der Meditation durch Erleuchtung wahrzunehmen vermeint. Das Gemeinsame bei diesen drei japanischen Kulturmerkmalen sei der Respekt: der Respekt vor dem Text bzw. dem Kunstwerk; der Respekt vor dem anderen Menschen; und schließlich der Respekt vor dem Numinosen. Diesen grundsätzlichen Respekt verstehe ich als Voraussetzung der Gastfreundschaft, der ich mich in Japan erfreute.

Peking: Zeigt sich die Neue Welt in China?2 Kehrt man von Chinareisen in europäische Hauptstädte wie Berlin oder Paris zurück, kommt man sich vor wie Gulliver, der Schwierigkeiten hat, sich auf die Kleinteiligkeit der Umgebung einzustellen. Alles an Beijing und Shanghai, Da Lian oder Guangzhou ist kolossaler, sowohl in vertikalen als auch horizontalen Raumdimensionen. In Europa, aber auch in New York und Chicago, wird die

2 Paul Michael Lützeler: „Zeigt sich die Neue Welt in China?“. In: Merkur 62.9/10 (2008): 869–875.

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Bausubstanz der Vergangenheit renoviert und restauriert, werden Fassaden erneuert und alte Ornamente vergoldet. In China dagegen konstruiert und experimentiert man städtebaulich im Stil des 21. Jahrhunderts. Hier gibt man der Avantgarde der internationalen Architektenriege Großaufträge, bei deren Ausführung freie Hand gelassen wird. Ihr Baustil war schon immer Gradmesser und Indiz für Identität und Vitalität einer Gesellschaft, und die passionierte Gegenwartsorientierung, die man in China an den Tag legt, zeigt sich auch in vielen anderen Gebieten. Bei den StudentInnen, die ich während meiner Zeit als Gastprofessor in Beijing kennenlernte, merkte ich rasch, wie sie von den Veränderungen in ihrem Land in Atem gehalten wurden. Von Vergangenheitsorientierung und der im Westen so verbreiteten Erinnerungskultur habe ich wenig gemerkt. Jeder ist darauf bedacht, die Karrieresprünge, die heute möglich sind, wahrzunehmen, und man blickt nicht gerne zurück. Diskussionen über die Zeit der Kulturrevolution habe ich nie erlebt und in den Gesprächen, die ich führte, tauchte der Name Mao Tse-tung nicht ein einziges Mal auf. Dabei müssen die Chinesen beim Blick in die Geldbörse tatsächlich auf allen Scheinen das gleiche Mao-Porträt sehen. MaoDenkmäler sieht man noch oft, und nicht wenige davon befinden sich auf Universitätsgeländen. Meistens schreitet die Podestikone entschlossen gegen einen imaginären Wind der Geschichte an, die linke Hand mit der bekannten Mütze gegen den Mantel gepresst, die Rechte als Wegweiser erhoben. In der Architektur dominiert auch in China die funktionale Moderne, wie sie sich von Adolf Loos über Ludwig Mies van der Rohe bis zu ihrer aktuellen dekonstruktiven Variante bei Rem Koolhaas entwickelt hat. Daneben aber gibt es auch Beispiele jener Postmoderne, wie sie in den 1970er Jahren von Charles Jencks inauguriert wurde. Danach sollte sich die moderne Architektur nicht ständig selbst imitieren und nicht den Eindruck vermitteln, als ob der Funktionalismus in jeder Weltgegend angemessene Lösungen biete. Einzubeziehen seien auch das historische Umfeld und die Bautradition der jeweiligen Kultur. So gibt es im Westen der Stadt Beijing ein Hotel, das auf fabelhafte Weise westliche Moderne und herkömmliche chinesische Baustile im Sinne des Jenck’schen double coding vereint. Zu erwähnen ist auch das sogenannte Vogelnest, das Hauptgebäude der Olympischen Spiele – eine eindrucksvolle Konstruktion der Postmoderne, auf das die Bevölkerung mit Recht stolz ist. Ein weiteres Beispiel ist das Nationale Kunstmuseum im Zentrum der Hauptstadt. Es sieht äußerlich wie ein altes chinesisches Repräsentationsgebäude aus, aber im Inneren ist es ein typisch moderner Museumsbau. Übrigens gab es in diesem Frühjahr dort zwei deutsche Ausstellungen, die zum einen das chinesische Interesse an der Gegenwartskunst dokumentierten, zum anderen einen Blick zurück in die Entwicklung europäischer Malerei vom 19. Jahrhundert bis heute er-

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laubten. Gezeigt wurde eine Sammlung von Gemälden Gerhard Richters und Kunstwerke zum Thema „Living Landscapes“ von der Romantik bis zur Gegenwart, d.h. von Caspar David Friedrich bis Neo Rauch. Allerdings sieht man auch in chinesischen Städten nur allzu oft Gebäude oder ganze Häuserfluchten, die daran erinnern, dass es eine Postmoderne gibt, deren Charakteristikum der historische Mischmasch unterschiedlicher europäischer Stile ist. So erfasst den Besucher ein leichtes Grauen, wenn er in Da Lian ein gigantisches Wohnsilo mit sündhaft teuren Appartements (Blick aufs Meer) wahrnimmt, das ausschaut wie eine Mixtur aus Warschauer Kulturpalast, Schloss Neuschwanstein und Tower of London. Den Unterschied zwischen vergangenheitsverhaftetem Europa und gegenwartsfixiertem China kann man bis zu einem gewissen Grad auch im Land selbst feststellen. Man braucht nur Shanghai und Hongkong miteinander zu vergleichen. Sicher ist Hongkong nach wie vor eine der schönsten Städte der Welt, die Perle unter den Städten Asiens. Aber der Unterschied zu der konkurrierenden Hafenstadt fällt ins Auge: Shanghai repräsentiert das Wachstum des Landes, steckt voll von Baustellen, Hongkong dagegen stagniert, erscheint wie abgeschlossen; Shanghai pulsiert, ist hellwach, und Hongkong träumt vor sich hin. Shanghai repräsentiert das neue China der Globalisierung, Hongkong erinnert an die europäisch-koloniale Vergangenheit. Auffallend an Shanghai ist, dass man vor allem junge Menschen auf den Straßen sieht, während man in Hongkong mehr älteren Leuten begegnet. Auf dem Papier gehört Hongkong heute zum „Mainland China“, aber de facto fährt man in ein fremdes Land, wenn man die Stadt besucht. Pass- und Zollkontrollen für Chinesen wie Ausländer sind Vorschrift. Statt mit chinesischer Währung bezahlt man mit dem Hongkong-Dollar, und anstelle des vertrauten Rechtsverkehrs wird man mit englischem Linksverkehr konfrontiert. Die Universitäten sind nach dem amerikanischen Campusmodell aufgebaut und die Lehrpläne sowie die Leistungsvoraussetzungen für die akademischen Abschlüsse orientieren sich an US-Vorbildern. Wie in Amerika gibt es einmal im Jahr die Universitätsaufnahmeprüfung, die alle Schüler ablegen müssen und deren Resultat darüber entscheidet, ob man an einer Eliteschule studieren darf oder sich mit einem Studienplatz an einer weniger angesehenen Hochschule begnügen muss. Die Studenten mit ihren Jeans, T-Shirts (oft mit amerikanischen Slogans versehen) und Baseballcaps (die allerdings nie verkehrt herum aufgesetzt werden) sind den amerikanischen Kommilitonen zum Verwechseln ähnlich. Der Lieblingssport auf dem Campus ist Basketball. Natürlich wohnen alle B.A.-StudentInnen (wie in Amerika) in den sogenannten dorms auf dem Campus. Und für die Professoren gibt es eigene Wohnheime, wie das an manchen amerikanischen Universitäten der Fall ist, nie jedoch an europäischen.

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Auch die Studiengebühren sind, relativ zum Einkommen, so hoch wie in Amerika. Bis vor zehn Jahren gab es – wie das in einem sozialistischen Land üblich war – allgemeine Gebührenfreiheit. Das ist Geschichte, denn jetzt herrschen die Regeln des Marktes auch in Academia. Die tuition (wie der amerikanische Ausdruck lautet) ist hoch, und die Gebühren in Deutschland sind im Vergleich dazu gering. So haben Eltern die gleichen Sorgen wie in Amerika: Früh beginnen sie fürs College der Kinder zu sparen, übrigens inzwischen auch die Großeltern. Das ist allerdings nicht ganz so schwierig wie in den USA, denn in China ist es gesetzlich vorgeschrieben, dass ein Ehepaar nicht mehr als ein Kind haben darf (eine Regel, die aber nicht für die Minoritäten des Landes gilt, die etwa ein Zehntel der Gesamtbevölkerung ausmachen). Die StudentInnen können auch Darlehen bei einer Bank aufnehmen. Arm und hochbegabt ist keine schlechte Kombination, denn für die Überflieger gibt es, wie in den USA, Gebührenfreiheit. Und dazwischen kommen alle denkbaren Mischungen der Finanzierung vor: Oft hat man einen Teilzeitjob, um das Geld für die Seminare und das Wohnheim zu berappen. Eine Studentin erzählte stolz, dass sie für die Zeit der Olympischen Spiele bei McDonald’s auf dem Olympiagelände Hamburger verkaufen dürfe. McDonald’s, Pizza Hut, Burger King und Kentucky Fried Chicken gehören zu den amerikanischen Globalisierungsgewinnern, man sieht ihre Zweigstellen an allen nur denkbaren Ecken in den chinesischen Großstädten. In Da Lian hat man einen Vergnügungspark nach dem Vorbild von Disney World in Florida gebaut. Hier wie dort strömen die Eltern mit ihren Kindern am Wochenende und in den Ferien in die Plastikmärchenwelt der Feen, Monster und Zwerge. Nicht alles ist identisch, was ähnlich ausschaut. Es gibt in China (wie in Amerika) inzwischen eine winzige Schicht der Superreichen, die sich alles leisten kann, und es gibt eine nach wie vor erdrückende Majorität der sehr Armen. Dazwischen entwickelt sich in China die Mittelklasse, die von Jahr zu Jahr größer wird, und das Heer der Ärmsten verringert sich. Die amerikanischen Milliardäre waren noch nie so reich wie heute, die Mittelklasse in den USA schrumpft jedoch zusehends und die Klasse der Habenichtse wird immer größer. Oft bekommt man von den chinesischen KollegInnen zu hören: Der demokratisch gewählte Präsident Bush macht außen- wie innenpolitisch mehr Fehler als unsere Regierung, die nichts von einer Demokratie nach Jefferson’schem Muster hält. Die USA befänden sich in einem Krieg, der das Land in die größte Verschuldung seiner Geschichte gestürzt habe, und die Friedenspolitik beschere China einen Devisenüberschuss, wie er einzigartig in der Staatshistorie der Menschheit sei. Die chinesischen Medien berichteten, dass ein Großteil der Reserven international investiert wird, was zu einer Belebung der Weltwirtschaft führen soll. An Demokratiediskussionen war man nicht interessiert, wohl auch deswegen, weil

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es eine traditionsbildende demokratische Praxis in der Geschichte Chinas nie gegeben hat. Bekanntlich reagieren Chinesen allergisch auf die Art und Weise, wie westliche Politiker Menschenrechtsargumente gegen das Land verwenden. Natürlich sei es das gute Recht des amerikanischen Präsidenten und der deutschen Kanzlerin, so meinten meine chinesischen KollegInnen, die Einhaltung von Menschenrechten anzumahnen. Aber zum einen solle man in dieser Angelegenheit zunächst einmal vor der eigenen Tür kehren, zum anderen seien dies rituelle Veranstaltungen für die Medien und das Wählervolk daheim. Irgendwelche politischen oder ökonomischen Wirkungen hätte diese Rhetorik in China selbst noch nie gezeitigt. Wenn man sich in Beijing auch politisch gerne von den USA distanziert, so ist die Kooperation mit Amerika jedoch nach wie vor einer der primären Gründe für die florierende Wirtschaft. Allerdings nimmt der Anteil Amerikas am Außenhandel relativ gesehen ab im Vergleich zu den wachsenden wirtschaftlichen Verflechtungen mit den asiatischen Staaten, inklusive Australien und Neuseeland. Auch werden immer mehr Güter, die man bisher importierte, in China selbst produziert. Bei den Autos dominieren nach wie vor die Modelle aus Europa, den USA und asiatischen Ländern, wie Korea und Japan. Immer öfter sieht man jedoch die heimische Limousine „Volksrepublik China“, und ein etwas kleinerer Wagen mit dem Namen „Rote Fahne“ findet ebenfalls guten Absatz. Auch in China wird in den Medien nach der exorbitanten Erhöhung des Erdölpreises über alternative Energien berichtet, wenn die Diskussion darüber auch erst in den Anfängen steckt. Doch will man so rasch wie möglich Anschluss an die Entwicklungen in Europa und den USA finden. Man hat unerschöpfliche Kohlevorkommen, aber deren Nutzung bedeutet ein enormes Problem für die Umwelt. Umweltschutz ist ebenfalls derzeit ein Thema in den Medien des Landes. China ist inzwischen die Nummer eins unter den Umweltverschmutzern, hat also auf diesem Gebiet die USA überholt. Amerika ist auch Vorbild im Bereich des Fernsehens. Wie dort kann man in China mit der Fernbedienung an die sechzig Kanäle anklicken. In beiden Ländern überwiegt mit Seifenopern und, im Falle Chinas, einer dürftigen Variante der Pekingoper die seichte Unterhaltung. Die öden Kriegsfilme sind ebenfalls vergleichbar, und die Reklameeinschübe sind nach demselben schlichten Muster gestrickt. Wurden bis in die 1980er Jahre in Amerika Streifen wie „Hogan’s Heroes“ ausgestrahlt, in denen die klugen und mutigen amerikanischen GIs die primitiven deutschen Offiziere hereinlegten, so sind die antijapanischen Filme noch heute im täglichen Angebot des chinesischen Fernsehens zu registrieren: Ruhigheroische Chinesen kämpfen da allnächtlich ihre Schlachten gegen die ewig herumschreienden Besatzungsjapaner. Trotz der antijapanischen Ressentiments

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in China florieren die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden asiatischen Nachbarn. An der Oberfläche wirkt China zuweilen amerikanischer als Amerika selbst, ja das Land ist die eigentliche Neue Welt unserer Zeit. Während in den alt wirkenden USA die Moderne bereits in den Zustand ihrer Selbstkritik getreten ist, wird sie in China noch triumphal gefeiert. Man schaue sich die neue U-Bahn in Beijing an. So etwas an Perfektion, schönem Design und technischem Raffinement habe ich in den USA noch nie gesehen. Die New Yorker Subway kommt mir gegen dieses Produkt modernster Technik wie ein Museumsstück vor. Die Mittelklasse in China ähnelt immer mehr der amerikanischen. Zur chinesischen Mittelklasse zählt nach offiziellen Angaben inzwischen ungefähr ein Viertel der Bevölkerung, also etwa 300 Millionen Staatsbürger (die Gesamtbevölkerung beläuft sich auf 1,2 Milliarden, womit China das bevölkerungsreichste Land der Welt ist). Zu den Imitationen des American Way of Life gehört in China, dass die Mittelklasse die Statussymbole der Amerikaner zu übernehmen beginnt. Wer in Amerika etwas gelten will, muss Golf spielen, denn dabei treffen sich die wichtigen Leute (oder solche, die sich dafür halten). Dort werden Geschäfte diskutiert, zuweilen auch abgeschlossen, Personaldebatten und politische Gespräche geführt. Ein wirklicher Volkssport ist Golf weder in den USA noch in China, aber hier wie dort deutet man durch Mitgliedschaft in einem Golfklub an, dass man zur Elite der Mittelklasse gehört. Witzig ist es zu sehen, wie superamerikanisch es beim chinesischen Golfspiel zugeht: noch weitläufiger angelegt die Plätze, noch schicker die Golfcarts, noch diensteifriger das Hilfspersonal, noch aufwendiger die Clubräume. In der chinesischen Presse sind Vergleiche mit den USA an der Tagesordnung. Man sieht sich noch nicht als vollentwickeltes Land wie der reiche Partner auf der anderen Seite der Welt, sondern als sich entwickelnde Nation, und das bedeutet, dass man sich noch als underdog gibt, der man längst nicht mehr ist. Allerdings ist die These vom Entwicklungsland auch nicht ganz falsch. Sobald man die chinesischen Metropolen verlässt und durch die Provinz fährt, gerät man immer wieder in Landstriche, die vernachlässigt und unterentwickelt aussehen. Aber das geht einem in den USA nicht anders, und trotzdem kommt niemand auf die Idee, Amerika als Entwicklungsland zu bezeichnen. Was mir am meisten auffiel bei den Gesprächen mit StudentInnen und KollegInnen, war der nationale Stolz. Der hat vor allem drei aktuelle Gründe: erstens das lang anhaltende wirtschaftliche Wachstum und die beruflichen Möglichkeiten, die der Reichtum des Landes den jüngeren Generationen eröffnet, zweitens die Rettungserfolge nach der Erdbebenkatastrophe vom Mai 2008 in der Region Wenschuan, und drittens die Olympischen Spiele in Beijing. Ich habe eigentlich nie eine negative Bemerkung über die derzeitige Regierung gehört und ich glaube

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nicht, dass das mit Ängstlichkeit oder prinzipieller Kritiklosigkeit meiner Gastgeber zu erklären wäre. Die Popularität des Ministerpräsidenten Wen hat zugenommen, weil er gleich nach dem Erdbeben in das Katastrophengebiet fuhr. Auch ist es ihm zu verdanken, dass die Medien ausführlich über die Tatsachen des Unglücks berichten konnten und in zahlreichen Sendungen Betroffene und Helfer interviewt wurden. Durch die Medien erfuhr man auch über die internationale Hilfe für die Opfer des Unglücks, wobei sich allerdings die Regie der Staatsführung bemerkbar machte. So fanden die Hilfssendungen der USA, Frankreichs und Deutschlands keine Erwähnung, weil man über die amerikanische Tibetpolitik verärgert war, die Störung des Stafettenlaufs der olympischen Flamme in Paris nicht vergessen hatte und über die Menschenrechtsmahnungen der deutschen Kanzlerin keineswegs erfreut war. Ansonsten aber wurde jedes Zelt erwähnt, das man aus irgendeinem Sultanat oder einer südamerikanischen Bananenrepublik erhielt. Zudem verglich man in den Gesprächen mit den KollegInnen das Engagement des Ministerpräsidenten nach dem Erdbeben mit dem des amerikanischen Präsidenten nach der Flutkatastrophe in New Orleans: Bush habe an Sympathien bei der amerikanischen Bevölkerung, ja innerhalb seiner eigenen Partei, verloren, während Wen an Beliebtheit bei Volk und Partei gewonnen habe. Auch Hu, der Präsident und mächtigste Mann des Landes – er ist gleichzeitig Generalsekretär der KP Chinas –, habe in letzter Zeit, teilte man mir mit, viel Zustimmung erhalten. Das hänge mit seiner diplomatischen Initiative bei der Wiederaufnahme der Verhandlungen mit Taiwan und Japan zusammen. So ähnlich die chinesischen Universitäten den amerikanischen auf den ersten Blick auch sind, es gibt eine Besonderheit: Neben der akademischen Administration mit ihren Seminarvorständen beziehungsweise Dekanen, Vizepräsidenten und Präsidenten gibt es auch Instanzen auf all diesen Ebenen, die die Interessen der Kommunistischen Partei Chinas vertreten. Der Einfluss der Parteisekretäre, sagte man mir, sei früher groß gewesen, habe sich aber mit zunehmender Marktorientierung und Professionalisierung abgeschwächt. Auch sieht die Situation der Kirchen in China ganz anders aus als in den USA oder Europa. Es gebe, teilte mir eine Kollegin mit, nicht wenige Chinesen, die sich religiösen Vereinigungen oder Kirchen anschlössen, und damit würden sie von der Partei nicht als Mitglieder aufgenommen. Wahrscheinlich hat der Atheismus der chinesischen Kommunisten seinen Grund nicht nur darin, dass sie Marx und Feuerbach gelesen haben. Bezeichnend für das heutige China ist eine Rehabilitierung des Konfuzius, also des ältesten Philosophen des Landes, dessen Einfluss auf die Mentalität der Nation kaum überschätzt werden kann. Konfuzius empfahl, über Tao als höchster religiöser Realität deswegen nicht zu sprechen, weil es dem Menschen zu fremd sei. So konzentrierte er sich auf die Analyse mensch-

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licher Verhaltensweisen und entwickelte Regeln für einen harmonischen Umgang der Staatsbürger untereinander. Und diese Regeln galten über weit mehr als zwei Jahrtausende hin als Richtlinien sozialer Kommunikation. Aktuelle Statistiken besagen, dass knapp die Hälfte der chinesischen Bevölkerung atheistisch ist. Der Anteil der Chinesen, die sich zu einer Religion bekennen, sei es zum Buddhismus, zu einer christlichen Kirche oder zum Islam, nehme jedoch wieder zu, wenn man auch nicht von einem rasanten Anstieg sprechen könne. Der Buddhismus hat, von Indien kommend, tiefe Spuren in der Kultur des Landes hinterlassen. Ich sah in Tempeln, die keine ausgesprochenen Tourismusziele sind, Menschen, die den Buddhas opferten, meistens in Form von Räucherstäbchen oder Goldgaben. In der Innenstadt von Guangzhou besuchte ich einen solchen Tempel. Teil der Anlage war eine alte, wunderbar erhaltene Pagode mit inneren Treppen, die zu ihren acht Etagen führten, in deren oberster sich ein Heiligtum befand. Auf jeder Zwischenebene war ein Rondell aufgebaut und auf ihren beiden Seiten waren jeweils drei Buddhas abgebildet. Ich sah ein Brautpaar, das in jedem dieser Etagenaltäre seine Gebete verrichtete. Auch im profanen Alltag erkennt man oft, dass China dann doch nicht Amerika ist. In vielen Taxis steht angeschlagen, dass nur Frauen oder Kinder, keineswegs aber Männer sich vorne neben den Fahrer setzen dürfen. Frauen gelten als friedlicher, und die Taxifahrer wollen Streit mit männlichen Kunden vermeiden, indem sie sie auf die hinteren Plätze verbannen, die vom Fahrer durch einen stabilen Drahtzaun getrennt sind. Ein weiteres Beispiel für Mann-Frau-Differenzen, die man in Amerika so nicht kennt: Viele Mädchen und Frauen tragen, wenn die Sonne scheint, Schirme: Sie wollen nicht braun werden, das gilt als bäuerisch oder proletarisch, helle Haut ist nach wie vor ein weiblicher Schönheitsausweis. Man ahmt nicht nur nach, sondern entdeckt auch eigene Traditionen wieder. Das Drachenbootfest zum Beispiel ist ein chinesisches Fest, das vor Jahrhunderten in der Gegend um Hongkong begann und fast im ganzen Land populär wurde. Der 7. Juni, ein Samstag, war in diesem Jahr der Beginn der dreitägigen Feier. Auf dem Gelände des Himmelstempels in Beijing sangen zahllose kleine und große Chöre sowie Solostimmen chinesische und europäische Volkslieder, Teile aus Pekingopern und Arien aus westlichen Musikdramen (Don Giovanni etc.), da tanzten die Leute für sich und in Gruppen, musizierten Männer und Frauen auf chinesischen oder westlichen Instrumenten: Es verbreitete sich eine ansteckende Freude, wie ich sie sonst während der ganzen Zeit meines Besuches nicht erlebt habe.

New Delhi: Kulturelle Interferenzen

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New Delhi: Kulturelle Interferenzen3 Am 16. September 2004 flog ich – begleitet von meiner Frau – nach New Delhi, wo wir am folgenden Tag, nach Mitternacht, eintrafen. Es war schon zwei Uhr, als wir das Gepäck vom Band genommen und die Passkontrollen hinter uns gebracht hatten. Zwei Germanistik-Studenten der Jawaharlal Nehru University (JNU) holten uns am Flughafen ab und brachten uns ins India International Center (IIC), wo wir in den folgenden drei Wochen logierten. Die Studenten hatten ein altes Taxi aufgetrieben, das von einem befreundeten jungen Mann chauffiert wurde. Der fuhr uns, weil die Autobahn vom Flughafen in die Stadt umgebaut wurde, auf abenteuerlichen Umwegen durch die nächtlichen Slums der Stadt. Es dauerte eine gute Weile, bis wir in die Gegend des Regierungsviertels kamen, wo die Straßen zu Boulevards wurden und Parks einander ablösten, und es war fast drei Uhr morgens, als wir im IIC ankamen. Das IIC ist ein Gästehaus für indische und ausländische GastprofessorInnen, die an den Universitäten New Delhis unterrichten oder dort an Tagungen teilnehmen. Es ist eine denkbar kosmopolitische Einrichtung, die auch eine Bibliothek umfasst und die Benutzung von Internet und Email ermöglicht. Zudem gibt es dort fast jeden Abend einen Vortrag, zu dem vor allem die etwa hundert Gäste des Centers eingeladen sind. Ich selbst hielt dort am 5. Oktober abends einen Vortrag über „Günter Grass and India“. Das IIC liegt mitten in der Stadt, ist umgeben von Bürogebäuden, wo die Weltbank und die UNO-Vertretung untergebracht sind. Gleich in der Nachbarschaft gibt es zum einen das India Habitat Center (mit permanent wechselnden Kunst-Ausstellungen), zum anderen den legendären LodiPark mit dem Grabmal eines der letzten Vertreter des Sultanats aus dem 16. Jahrhundert. Dieser Park ist ein Schmuckstück der Stadt. Die tropischen Bäume, Blumen, die farbenprächtigen Papageien sind eine Erholung für die Augen, die sich dort von den Anstrengungen im hektischen Straßenverkehr erholen können. Die Ruinen der alten Moschee und des Lodi-Grabmals geben dem Park jenen Hauch von Melancholie, der sich beim Anblick vergangener Pracht einstellt. Dem wirkt eine andere Funktion entgegen: Der Park ist ein Treff für Liebespaare. Es war ein Zufall, dass an dem Freitag, als wir in New Delhi ankamen, eine Wochenendtagung für indische Doktoranden der Germanistik begann: in der Zweigstelle des DAAD in New Delhi. Nach drei Tagen Diskussion, nach den informellen Gesprächen bei Kaffeepausen und bei Abendessen hatte ich eine Art In-

3 Paul Michael Lützeler: „Kulturelle Interferenzen. Gespräche mit indischen Germanisten in New Delhi, Jaipur und Pune“. In: Ursula Seeber und Jacqueline Vansant (Hg.): Schwarz auf Weiss. Ein transatlantisches Würdigungsbuch für Egon Schwarz. Wien 2007, S. 135–147.

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tensivkurs über die Belange, Interessen, Probleme und Aussichten der indischen Germanistik hinter mir. Erstaunlich, wie exzellent das Deutsch der DoktorandInnen und ProfessorInnen in Indien ist, auch wenn die einzelnen Personen keineswegs Jahre in Deutschland verbracht haben. Ermutigend auch die Zuwachsraten im Deutschunterricht: In Pune, so berichtete eine Lektorin für Anfänger-Deutsch, hat man Klassen von über hundert StudentInnen, was neue Probleme mit sich bringt. Dass man in Deutschklassen zu viele statt zu wenige StudentInnen hat, ist international gesehen die (erfreuliche) Ausnahme. Die Lektorin aus Pune betonte auch, dass die Lehrbücher und -mittel völlig veraltet seien. Es fehle das Geld, um diese Mängel abzustellen. Das Interesse an der deutschen Sprache ist im Augenblick groß, wenn auch die Anzahl jener StudentInnen, die in der Germanistik promovieren wollen, in den letzten Jahren zurückgegangen ist. Mit guten Deutschkenntnissen bekommt man eine der begehrtesten Arbeitsstellen in den sogenannten Call Centers. Wie amerikanische companies beschäftigen auch mehr und mehr deutsche Firmen InderInnen in den Call Centers, die zur telefonischen und elektronischen Kundenbetreuung eingerichtet worden sind. Wie anderswo in der internationalen Germanistik (etwa in den USA) fiel auch hier auf, wie wichtig die deutschen Vermittler-Organisationen (Humboldt, DAAD, Max Müller Bawan bzw. Goethe-Institut) sind. Bezeichnend war, dass dieses erste landesweite Doktoranden-Kolloquium in den Räumen des DAAD stattfand. Am Montag, 20. September 2004, begann meine Lehrtätigkeit mit Vorlesungen zum Thema „Die Schriftsteller und Europa“ (Novalis, Goethe, Heine, Nietzsche, Thomas und Heinrich Mann, Enzensberger), und die aktuelle Diskussion (Hochhuth, Sloterdijk, Grass, Frischmuth) wurde ebenfalls einbezogen. Die ZuhörerInnen waren vor allem StudentInnen im Magister- und Doktorandenprogramm sowie zum Teil Mitglieder des Lehrkörpers. Ein Drittel der Zeit wurde jeweils für die anschließende Diskussion anberaumt. So konnte ich einen Eindruck von den Vorkenntnissen und den Interessen der HörerInnen bekommen. Die StudentInnen hatten ein ausgezeichnetes Grundwissen über die deutschen Romantiker, und dass sie über den deutschen und europäischen Tellerrand nach Indien geschaut hatten, war den StudentInnen bewusst. Sie nahmen die beiden Schlegel-Brüder – mit ihrer Begeisterung fürs Sanskrit immerhin die Begründer der deutschen Indologie – gegen den Orientalismusvorwurf von Edward Said in Schutz. Besondere Aufmerksamkeit fand das Konzept der Weltliteratur, das Goethe als Steigerung seines Begriffs der europäischen Dichtung entwickelt hatte. Was bei Goethe noch Vision und Zukunft, Vorwegnahme und Utopie gewesen war: dass man andere Kulturen begreifen und von diesem Verständnis geistig profitieren könne, diese Einsicht gehörte bei den StudentInnen schon zur Erfahrung im akademischen Alltag, war für sie erlebte Geschichte. Sie fanden ihre

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eigenen Anschauungen zum Thema kultureller Transgression bei Goethe gültig formuliert. Die meisten von ihnen hatten den „West-östlichen Diwan“ noch nicht gelesen, wollten sich aber bald an die Lektüre machen. Günter Grass kennt man in Indien vor allem wegen seines Kalkutta-Buchs „Zunge zeigen“. Dass er sich kritisch zu Europa geäußert hat, war ihnen nicht bekannt. Sie nahmen seine postkolonialen Anmerkungen zur 500-Jahr-Feier der sogenannten Entdeckung Amerikas durch Kolumbus in seinem Essay „Mein Träumlein von Europa“ mit Zustimmung zur Kenntnis. In fast jeder dieser Diskussionen stellten wir Verbindungen zwischen europäischen und indischen Identitätsvorstellungen her, und das Schlussgespräch widmeten wir ganz diesem Thema. Ich hatte im Lauf der Vorlesung öfters auf die Grundlagen der europäischen Kultur verwiesen, weil viele Schriftsteller, die über Europa nachdenken, darauf zu sprechen kommen: die griechische, römische, jüdische, arabische Kultur wie die Säkularisierung der Moderne, und das alles in der Verflechtung, im Widerstreit und in partiellen Synthesen. So blieb es nicht aus, und dies war ganz im Sinn der Vorlesung, dass auch die Grundlagen bzw. Bestandteile der indischen Kultur mit ihren dialogischen und antagonistischen Beziehungen zwischen Hinduismus, Jainismus, Buddhismus, Islam, Europäismus zur Sprache kamen. So wie es mir darum ging, ein Bild von der allmählichen Entstehung eines Konzepts der europäischen Multikultur zu verdeutlichen, erwähnten die StudentInnen vergleichbare indische Kulturdiskurse. Weder in Europa noch in Indien gab oder gibt es eine harmonische, in sich ruhende synkretische Zivilisation. Religiöse, ethnische, politische, soziale, regionale Gegensätze ziehen immer Konflikte nach sich. Eine tolerante Multikultur bleibt ein Postulat, eine denkerische Leistung wie eine schwierige soziale und politische Aufgabe, gleichgültig, ob man sich in Indien, Europa oder in den USA befindet. Dass das jahrhundertealte Interesse Europas und speziell auch Deutschlands an Indien häufig thematisiert wurde, versteht sich. Auffallend war, wieviel häufiger die StudentInnen Indien mit der Europäischen Union als mit Deutschland oder mit den USA verglichen. Die EU ist (anders als Deutschland) eine geopolitische Entität, die viele Einzelstaaten mit unterschiedlichen Sprachen vereint und darin Indien verwandt ist. Wie Indien 28 Einzelstaaten in seiner Föderation aufweist, wird auch die Europäische Union bald 28 Mitgliedsländer haben. Auch was die Einwohnerzahl betrifft, kann man Deutschland mit seinen 80 Millionen Menschen nicht mit der Bevölkerung Indiens (über eine Milliarde) vergleichen. Indien hat mit dem Englischen eine nationale Verständigungssprache gefunden, und es ist wahrscheinlich, dass auch in Europa die Entwicklung in diese Richtung geht. Indien zeigt, dass man mehrsprachig aufwachsen kann und dass die Beherrschung des Englischen keineswegs die Preisgabe der jeweiligen regionalen Muttersprache nach sich zieht. Amerika ist ein monolinguales Land, dessen Einzelstaaten

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sich, was Alter und historische Entwicklung betrifft, mit den indischen Regionen und ihren divergierenden Sprachen und Kulturen nicht vergleichen lassen. Auch sollte man nicht vergessen, dass Indien dreimal so viele Einwohner hat wie die USA, wobei sich allerdings bezüglich der geografischen Ausdehnung des Landes das umgekehrte Verhältnis ergibt. Die JNU gilt als die indische Universität, die herausragt in den Gebieten der Kultur- und Sozialwissenschaften. Vor und nach dem Seminar hatte ich Gelegenheit, über allgemeinere Fragen mit den StudentInnen zu sprechen. Sie freuen sich darauf, in Deutschland zu studieren, und einige haben bereits ein Studienjahr (oder zumindest einen Sommeraufenthalt) hinter sich. Es sind zielstrebige StudentInnen, und so war es ein Vergnügen, sie zu unterrichten. New Delhi besuchte ich erstmals im Juli 1988, also sechzehn Jahre zuvor, und die Stadt hat sich inzwischen stark verändert. Es ist jetzt eine Metropole, die aus allen Nähten platzt: Überall wird gebaut oder umgebaut, werden Straßen in Autobahnen verwandelt, nimmt der Verkehr in ungeahntem Ausmaß zu. Die Verwestlichung des Landes tritt besonders hier, in der indischen Hauptstadt, zu Tage. Am südlichsten Rand dieser Metropole wurden viele sogenannte Malls, also gigantische Einkaufssiedlungen nach amerikanischem Muster gebaut; manche sind erst im Rohbau fertig. Ein hässliches Pseudo-Chicago ist dort im Entstehen begriffen, mit Dimensionen, wie sie in Amerika kaum zu finden sind. Was sich hier anbahnt, kann man nur mit Shanghai, Hongkong und Beijing vergleichen. Bei einer der organisierten Tagestouren für Touristen bekamen wir einen Eindruck von der Dichte des Verkehrs. Wenn die meisten der zahllosen Taxis bzw. Auto-Rikschas nicht mit Gas-, sondern mit Benzinmotoren betrieben würden, wäre die Luftverschmutzung (die schlimm genug ist) so groß, dass ein Leben in New Delhi nicht mehr möglich wäre. Warum man die Autos nicht auch in den europäischen und amerikanischen Großstädten auf diesen umweltfreundlicheren Treibstoff umstellt, erscheint unverständlich, besonders auch im Hinblick auf die politischen und ökonomischen Krisen, die der Kampf ums Erdöl seit Jahr und Tag mit sich bringt. Hier sind die Inder (wie übrigens auch die Australier) uns einen Schritt voraus. Insgesamt gesehen hat sich vieles vom alten Indien (was Tempel, Moscheen, Museen, Wehranlagen betrifft), in New Delhi erhalten. Für Europa und die USA ist Indien kein populäres Reiseland, aber das kann sich ändern und sollte sich ändern. Wenn man eine Nation im Umbruch erleben will, eine Kultur, wo Tradition und Moderne immer neue Fusionen eingehen, sollte man nach Indien kommen. An einem Abend besuchten wir im IIC eine Tanzgruppe aus Jaipur. Sie führte ihre alten Tänze vor, aber sie zeigte auch, dass sie etwas von westlicher Choreografie und modernster Tontechnik verstand. Auch zu dieser Veranstaltung waren fast nur InderInnen erschienen, und man sah, wie sie die Schönheiten ihrer Kultur genossen und zu schätzen wussten.

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Das zweite Wochenende verbrachten wir in Jaipur, der Hauptstadt des Bundesstaates Rajestan. Pramod Talgeri und seine Frau hatten uns zu einer Reise dorthin mit ihrem neuen indisch-japanischen Auto eingeladen. Während der vierstündigen Fahrt erzählten sie uns viel über die indische Mischkultur, die unterschiedlichen Einzelstaaten und die Renaissance der Religionen. Auf der Fahrt über die moderne Autobahn, die von New Delhi nach Jaipur führt, konnten wir beobachten, wie dieser Agrarstaat sich industrialisiert, wie hier das alte und das neue Indien (auffälliger als in New Delhi) nebeneinander bestehen. Auf der Fahrt sahen wir alle nur denkbaren Gespanne, die von Pferden, Eseln, Wasserbüffeln oder Kamelen gezogen wurden. Elefanten machten wir nur an der Befestigungsanlage Amber aus, wo Touristen mit diesen Kolossen zur Burg hochreiten können. In westlicher Richtung lag die Wüste von Rajestan, die sich durch ihre Hitze und ihren trockenen Wind bemerkbar machte. Jaipur hat sich sehr viel weniger verändert als New Delhi. Die Infrastruktur ist, was Straßen, Plätze und Märkte betrifft, noch die alte, aber desto chaotischer wirkt der Verkehr, der dort ebenfalls um ein Vielfaches gestiegen ist. An der University of Rajestan gibt es ein aktives German Department, wo ich meinen Vortrag zum Thema „Günter Grass and India“ hielt. Wenn es um Grass und Indien geht, kann man immer mit einer kontroversen Diskussion rechnen. So auch hier. Man brachte gegen Grass eine Reihe von Argumenten vor, die sich auf seinen eigenwilligen Umgang mit der indischen Mythologie (die Zunge zeigende Göttin Kali etc.) bezogen. Ich hatte mich bei der Vorbereitung zum Vortrag mit der Mythologie der Kali beschäftigt, wusste um ihre Nähe zu Durga, deren Augenbraue sie entsprungen ist, ihre eheliche Beziehung zu Shiva, der auch und vor allem der Gott der Zerstörung ist. Grass hat sich keineswegs darum bemüht, alle Schichten der Kali-Mythologie zu erfassen. Wie konnte er auch? Je mehr ich über Kali las, desto verwickelter wurden die Zusammenhänge. Natürlich ist sie in den diversen Mythologien Synthesen mit regionalen weiblichen Gottheiten eingegangen. Sie trägt keineswegs überall den gleichen Namen und wird auch unterschiedlich dargestellt. Ich versuchte, Grass’ Sichtweise aus der Situation europäischer Intellektueller der 1970er und 1980er Jahre zu erklären und zu historisieren (Deutschland und die Dritte Welt, Ansätze einer postkolonialen deutschen Literatur). Ferner wies ich darauf hin, dass Grass sich in seinem Buch „Zunge zeigen“ stark für den Widerstand gegen die englische Kolonialpolitik in den 1940er Jahren interessiert. Er kommt ständig auf Subhas Chandra Bose, den militanten Kämpfer gegen die Engländer, zu sprechen. Bose glaubte, in Nazi-Deutschland einen Verbündeten finden zu können, doch mit seiner Werbung um Hitlers Gunst hat er seiner Sache einen schlechten Dienst erwiesen. Grass erwähnt zurecht, dass es in den indischen Hauptstädten überall noch Bose-Denkmäler gibt (wir sahen auch eines in Jaipur), und dass der ‚Netaji‘ noch in der Erinnerung großer

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Teile der indischen Bevölkerung als mythische Figur fortlebt. Mit seinem Konzept der gewaltsamen Befreiung war er der – seinerzeit unterlegene – Gegenspieler Mahatma Gandhis. In Jaipur beeindruckte ebenfalls das hohe Niveau der Diskussion und der noble Stil der Argumentation. Der soziale Rahmen des Ganzen war ausgesprochen gastfreundlich. Auf der Rückfahrt nach New Delhi besuchten wir das Fort Amber, das insofern eine interessante Geschichte hat, als sich hier im 17. Jahrhundert lokale indische Herrscher mit den neuen muslimischen Mogulen durch Heirat arrangierten. So wurde die Feste nicht zerstört, sondern, im Gegenteil, während der Mogulherrschaft ausgebaut. Die architektonischen Schönheiten der Divans, der Brunnen und Parks, der Wohngemächer mit ihren Intarsienarbeiten und Verspiegelungen sind Kostbarkeiten, wie man sie selten sieht. Der Blick von der Festung, die hoch auf einem Berg angesiedelt ist, in das weite Umland ist unvergesslich. Teil der Anlage ist auch ein Kali-Tempel, den wir uns anschauten. Jeder, der ihn betritt – barfuss und ohne Leder-Accessoires wie Gürtel etc. – bringt zunächst eine kleine Glocke, die über dem Eingangsportal hängt, zum Klingen. Dann geht man zu den Priestern, die vor dem Bild an einer Barriere stehen, um Blumenopfer in Empfang zu nehmen. Die Gläubigen stehen in Verehrung vor dem reich mit Edelsteinen und Perlen geschmückten Bild der Kali, das dort nichts von dem Abschreckenden an sich hat, wie man es von anderen Darstellungen der Göttin her kennt. Sowohl das Bild der Kali als auch das Verhalten der Menschen erinnerten mich an das, was ich in europäischen Marienwallfahrtsorten beobachtet habe. In Pune (ehemals Poona) verbrachten wir auch ein Wochenende. Wegen der großen Entfernung flogen wir mit einer indischen Airline dorthin. Pune war einmal eine Idylle der Meditation und der Sommersitz des englischen Kolonial-Gouverneurs im Staat Maharashtra. Im Gouverneurspalast residiert heute der ViceChancellor der Universität. Pune, inzwischen eine Großstadt mit vier Millionen Einwohnern, ist nicht allzu weit von der Hafenstadt Mumbai (Bombay), einer der größten Metropolen der Welt, entfernt. Pune ist wohl der Ort in Indien, der die meisten Bildungseinrichtungen aufweist, vor allem Fachschulen, Colleges und Universitäten, und so sind es junge Menschen, die das Stadtbild prägen. Im Mittelpunkt des Interesses steht die Computer- bzw. Internet-Elektronik. Auch Pune hat eine etablierte Germanistik, die in den 1950er bis 1970er Jahren aufgebaut worden war. Am Freitagnachmittag hielt ich dort vor fünfzig StudentInnen und Fakultätsmitgliedern auf deutsch den Vortrag „Goethe und Europa – Europa und Goethe“. Während der anschließenden Diskussion registrierte ich wieder das hohe wissenschaftliche Niveau und die komplexe Sprachkompetenz der indischen StudentInnen. Am folgenden Tag machte eine indische Kollegin mit uns eine Stadtrundfahrt, und so lernten wir Pune mit seinen vielen Museen und Tempeln etwas ken-

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nen: die denkbar anschaulichste Reise in die Geschichte des Landes, seiner Befreiungsbewegung und der Emanzipation der Kaste der Unberührbaren (wir besuchten Tilak-, Gandhi- und Ambedkar-Gedenkstätten). Abends fand eine Feier des German Departments statt, d.h. die besten StudentInnen wurden mit Preisen ausgezeichnet. Das war eine abendfüllende Angelegenheit. Zuerst wurde von einer Studentin in einem psalmenartigen Gesang Seraswati, die Göttin der Weisheit (eine der beiden Frauen Vishnus), angerufen. Es folgte ein klassischer Tanz zu Ehren von Shiva, der auch der Gott des Tanzes ist. Daran reihte sich ein lustiger Teil mit Liedern und Sketchen auf Deutsch. All das dauerte etwa anderthalb Stunden. Danach kam es zur Preisverleihung, wobei man mir als Ehrengast die Aufgabe zudachte, die Urkunden zu überreichen, was mir Spaß machte. Zum Abschluss hielt ich eine Rede auf Englisch, wobei ich über die historischen und gegenwärtigen Beziehungen zwischen Europa und Indien sprach. Zufällig ist der Bundesstaat Maharashtra geografisch und von der Bevölkerungszahl her gesehen etwa so groß wie die Bundesrepublik Deutschland, und so konnte ich auch in dieser Hinsicht einige Vergleiche anstellen. Darauf folgte ein Abendessen, das die StudentInnen organisiert hatten. Professor Neeti Badwe zeigte uns am folgenden Sonntag den hinduistischen Wallfahrtstempel in Alandi, unweit von Pune. Sie erklärte uns, was es mit dem dort verehrten Propheten Dnyaneshwar, einem Reformer des Hinduismus, auf sich hat. Alandi ist eines der größeren Pilgerzentren Indiens. Am Abend gingen wir in Pune in ein Restaurant, das Krishna Vegetarian hieß. So gut habe ich in meinem Leben noch nicht gegessen – ein kulinarisches Erlebnis der ersten Ordnung. In einem kurzen Bericht kann man nur eine Andeutung von all den Eindrücken vermitteln, die einen im Lauf des Aufenthalts überflutet haben. Ich hoffe, dass ich wieder nach Indien zurückkehren kann, um das Land und die indische Germanistik besser kennenzulernen. Das Besondere an Indien ist, dass es dort eine vom größten Teil der Bevölkerung praktizierte hinduistische Religion gibt, die seit Jahrtausenden die Kultur des Landes geprägt hat. In Pune besuchten wir einen – mehr unter- als oberirdischen – Shiva-Tempel aus dem siebten Jahrhundert: Dies ist kein Museum, sondern hier wurde wie vor 1300 Jahren gebetet und verehrt. Als Tourist kommt man sich hier deplatziert vor. Die indische Milliardärsfamilie Birla hat in den 1970er Jahren in vielen Großstädten neue Tempel zu Ehren der großen hinduistischen Gottheiten (Vishnu, Shiva, Ganesh, Durga, Rama, Sita etc.) bauen lassen (wir sahen Beispiele in New Delhi und Jaipur) und die Menschen strömen zum Gebet dorthin. Auf den Autobahnen passieren dauernd Unfälle, weil die Landbevölkerung nicht einsehen will, dass man das Vieh nicht über moderne Schnellstraßen wie früher über Trampelpfade treiben kann. Wir selbst wurden Augenzeugen eines Unfalls, als zwei Wasserbüffel, so schnell es ihnen möglich war, die Autobahn

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überqueren wollten. Einer erreichte lebend die Seitenböschung, der andere reagierte in seiner Panik instinktiv falsch und wollte ein heranfahrendes Auto mit den Hörnern nehmen, was für ihn tödlich war. Der Wagen wurde so stark beschädigt, dass er nicht mehr fahrbar war, doch blieben die Insassen unverletzt. Die Polizei, die lange auf sich warten ließ, entschied, die Schuldfrage betreffend, gegen den (wohlhabenden) Autofahrer, der dem (armen) Büffelbesitzer eine Entschädigung zahlen musste. Als Zeugen waren wir ganz anderer Meinung – aber andere Länder, andere Rechtsauffassungen. Die Innenstädte ersticken in einem Verkehrschaos – aber trotzdem ist niemand aus der Ruhe zu bringen, und Streitereien über Vorfahrt und ähnliche Dinge (zu denen es – vom westlichen Standpunkt aus betrachtet – dauernd Anlässe gäbe) habe ich nie gesehen. Akustische Signale sind im Stadtverkehr Vorschrift, und so tönt zu jeder Tageszeit durch die Straßen ein Hupkonzert, das nur in der Nacht abklingt. Während der Taxifahrten zur Universität sah ich in New Delhi auf den betonierten Mittelstreifen die abgemagerten Kühe stehen. Noch vor sechzehn Jahren, so erinnerte ich mich, bewegten sie sich gutgenährt und seelenruhig über die Boulevards, und jeder wich den heiligen Tieren respektvoll aus. Davon kann heute keine Rede mehr sein. Vereinsamt, verlassen, verkommen und halbverhungert stehen sie da und wissen nicht, wohin sie sich wenden sollen. Ich denke mir, dass sie nur spät nachts, wenn der Verkehr etwas nachlässt, sich auf eine der beiden Straßenseiten flüchten und vielleicht an einem Rasenstück oder einem Baum etwas Nahrung finden. Im Bild der im Wortsinne durch den Verkehr an den Rand gedrängten heiligen Kuh ist der Abschied des neuen vom alten Indien eingefangen. Während in den westlichen Großstädten das Betteln zunimmt, hat es in Indien abgenommen. An den großen Straßenkreuzungen zwingen Ampeln die Autos zum Halten. Dann kommen Kinderbettler herangelaufen (oft Mädchen von acht oder neun Jahren mit Babies – wahrscheinlich den kleinen Geschwistern – auf dem Arm), klopfen an die Autoscheiben und wollen etwas Geld haben. Die indischen KollegInnen haben mich darüber informiert, dass das Betteln organisiert sei. Aber trotzdem, man kam nicht umhin, den Kindern ein paar Rupien zu geben, und die Freude darüber war bei ihnen nicht gespielt. An Sonntagen wird auch in Indien nicht gearbeitet. Nur die Ärmsten der Armen schuften dann trotzdem. In Pune beobachteten wir an einem Sonntagmorgen, wie Frauen auf einer Baustelle die schwere Erde, die in korbartige Behältnisse gefüllt wurde, auf ihren Köpfen balancierten und von einer Ecke der Baustelle zur anderen trugen. Sie hatten die schönsten Saris an, und sie bewegten sich mit einer Grazie, ja Majestät, wie es in Europa sogar die Mitglieder des Hochadels verlernt haben. Indien hat viele Voraussetzungen dazu, eine der führenden Weltmächte zu werden. Selbst wenn es ein Europa der 28 Nationen in ein paar Jahren geben sollte, wird die EU nicht einmal halb so viele Einwohner haben wie

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der Subkontinent Indien. Niemand kann prophezeien, wie die Entwicklung des Landes verlaufen wird. Die westernization ist in vollem Gange und es ist bezeichnend, dass über Mahatma Gandhi kaum noch gesprochen wird. Gandhi träumte von einem Indien, das seine landwirtschaftlich-handwerkliche Tradition fortsetzt, das sich nicht dem permanenten Wirtschaftswachstum verschreibt und mit den Ressourcen des Landes pfleglich umgeht. Die Modernisierung schreitet fort, und niemand weiß so recht, was das angestrebte Ziel ist. Die meisten möchten modernisieren, doch ohne alte Wertvorstellungen und Lebensweisen preiszugeben. Vielleicht klappt es. Im Prozess der Verwestlichung kann der einzelne, wenn er verstanden hat, dass sozialer Aufstieg mit höherer Bildung Hand in Hand geht, viel größere Chancen wahrnehmen als früher. Aber dann fehlt es wiederum – sieht man von einigen Elite-Universitäten wie der JNU oder den Indian Institutes of Technology (IIT) ab – an den meisten Universitäten an allzu vielem. Überall spricht man von den amerikanischen Universitäten als Vorbildern, aber man würde (wie in Amerika) reiche Familien und Stiftungen benötigen, die den Bildungseinrichtungen beträchtliche Mittel zukommen lassen. Ein Land der sogenannten Dritten Welt ist Indien nicht mehr, weist sein Bruttosozialprodukt doch seit vielen Jahren Zuwachsraten von fünf bis sechs Prozent auf. In der einen oder anderen Region gibt es allerdings noch Verhältnisse wie in der Dritten Welt, aber Armutsgegenden kennt man auch in reichen Ländern wie den USA, von Russland ganz zu schweigen. Kurz vor unserer Abreise aus New Delhi erhielten wir – vermittelt durch Pramod Talgeri – eine Einladung des Deutschen Botschafters in Indien, Heimo Richter, zu einem Empfang, den er bei Gelegenheit des Besuchs von Bundeskanzler Gerhard Schröder in Indien gab. Die Ursache des Besuchs: Die Bundesrepublik entdeckt Indien (etwas verspätet) als Geschäftspartner. Man habe sich bisher zu sehr auf China und Japan konzentriert, aber die jetzigen ökonomischen Zuwachsraten Indiens klingen halt verlockend. Innerhalb von fünf Jahren soll das Handelsvolumen auf zehn Milliarden erhöht, also verdoppelt werden. Der Botschafter hatte in seine Privatresidenz eingeladen, eine Riesenvilla mit einem Garten, in den mehrere Fussballplätze passen würden. Auf dem Rasen fand man eine Reihe von großen Ständen mit kulinarischen Genüssen aufgebaut, die zeltartig überdacht waren. Am Eingang der Residenz wurde wie am Flughafen kontrolliert. Hatte man die Sicherheitskontrolle passiert, erwarteteten einen der Botschafter und seine Frau. Sie gaben jedem der vielen Gäste kurz die Hand und sagten ein paar nette Worte, wie das so üblich ist. Neben dem Botschafter stand ein MarineAttaché, ein Sachverständiger für Unterseeboote: Indien habe Interesse am Kauf von deutschen U-Booten signalisiert. In jedem der etwa neun oder elf Zeltstände wurden verschiedene Getränke und Essen angeboten. Aber bevor es ans Essen ging, wurde das Halboffizielle absolviert. Der eigentlich protokollarisch offizielle

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Teil (Audienz beim Premierminister Manmohan Singh) fand erst am folgenden Tag statt. Wir waren gegen 19:30 Uhr dort, und um 20:15 Uhr kam der Bundeskanzler (ohne Gattin), flankiert vom deutschen Botschafter zum einen, von einem indischen Staatsminister des Auswärtigen Amtes in New Delhi zum anderen. Die Herren traten in den Bereich, wo die Mikrophone für sie bereit standen. Zuerst wurde die indische und dann die deutsche Nationalhymne intoniert. Schröder sah man an, dass ihn bei solchen Anlässen sowohl Gefühle des Stolzes als auch der leichten Scheu überkommen, kein unsympathischer Eindruck. Er hielt seine Rede auf Deutsch und hatte eine gute Übersetzerin ins Englische (eine Kollegin von der Fremdsprachenabteilung der Jawaharlal Nehru University). Schröder sprach zur Sache und mit freundlichem Nachdruck, frei und ohne Spickzettel. Er betonte die drei Dimensionen der indisch-deutschen Beziehungen: Kultur, Wirtschaft und Politik, und zu jedem der drei Aspekte hatte er etwas zu sagen. Ich hatte beim Empfang meinen Freund Jörn Rüsen, Präsident des Kulturwissenschaftlichen Instituts in Essen, zufällig getroffen. Er nahm an einer internationalen Tagung über Immanuel Kant in New Delhi teil. Wir waren davon angetan, dass Schröder das Thema Kultur, das an sich bei seiner Regierung keinen sonderlich hohen Stellenwert hat, herausstellte. Nach der Rede raste ein Schwarm von Neugierigen auf den Kanzler zu, den nur seine Bodyguards davor bewahrten, von der Menge erdrückt zu werden. Meine Frau und ich sprachen dann über die Eindrücke in Indien mit den uns umgebenden anderen Gästen. Eine halbe Stunde später kamen wir auf dem Weg zu einem der überdachten Büffets an Gerhard Schröder vorbei. Die Masse der Neugierigen hatte sich inzwischen verlaufen, und so sprach ich ihn an und dankte ihm fürs mehrfache Erwähnen der kulturellen Beziehungen in seiner Rede. Er guckte mich freundlich-interessiert an, drückte mir mit etwas allzu grosser Kraft die Hand und bedankte sich für das Kompliment. Der Marine-Attaché betätigte sich als eine Art Mundschenk des Kanzlers und bot ihm ein Bier an. Der aber winkte desinteressiert ab, denn jetzt nahte eine indische Schönheit, die offenbar schon eine Weile auf ihren Fototermin mit dem hohen Gast gewartet hatte. In der Nähe stand der ehemalige deutsche Botschafter in Washington, den ich einmal bei einem Empfang in St. Louis kennengelernt hatte. Er sei nun, sagte er, Staatssekretär im Auswärtigen Amt und begleite den Kanzler auf der Asienreise. In New Delhi seien zwei Tage geplant (auch wegen der Abstimmung hinsichtlich einer Stimme im Weltsicherheitsrat). Die nächste Station sei Hanoi in Vietnam, dann folgten Peking in China und Kabul in Afghanistan, d.h. man sei fast jeden Tag in einer anderen fernöstlichen Hauptstadt. Es waren sicher so viele Deutsche wie Inder beim Empfang anwesend, und an diplomatischen Vertretern anderer Länder fehlte es auch nicht. Die Deutschen sind immer leicht zu erkennen: Die Diplomaten sind geübt im kontrollierten Blick, lassen selten erkennen, welchen Rang sie haben, wer sie ‚eigentlicht‘ sind

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und tragen ihre grauen Anzüge möglichst unauffällig. Die Vertreter der kulturellen Mittlerorganisationen schauen aus wie besorgte Jugendherbergsväter aus den 1950er Jahren, und die Geschäftsleute sind durchweg grobkörniger, kantiger, blicken einen herausfordernd an, ihnen gehört ja die Welt. Und wenn sie auch nicht mehr so siegessicher wie noch vor zehn Jahren ausschauen, so haben sie das Trotzig-Herrische (wie es früher den Militärs eigen war) noch nicht abgelegt. Bei den Indern dagegen fällt jemandem aus dem Westen die Unterscheidung zwischen Universitätsprofessoren, Diplomaten und Geschäftsleuten gar nicht leicht. Vielleicht sind die Gelehrten dort weltzugewandter oder diplomatischer und die Geschäftsleute kulturell interessierter. Es war schon 22:30 Uhr, als wir die Villa des Botschafters verließen. Pramod Talgeri fuhr uns zum Indira Gandhi Airport. Es folgte der Abschied. Kurz nach Mitternacht bestiegen wir das Flugzeug, das dann die indische Hauptstadt in Richtung Osten verließ, um im sogenannten Westen zu landen.

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Eine Vortragsreise um die Welt (1988)

Eine Vortragsreise um die Welt (1988)1 Zur Situation der internationalen Germanistik Ursprünglich sollte ich mit Unterstützung der Alexander von Humboldt-Stiftung nur eine Kurzzeitdozentur an der Monash University im australischen Melbourne verbringen, zu der mich David Roberts eingeladen hatte. Aber diese Aufforderung zog eine Reihe weiterer Einladungen nach sich, bald wurde eine Vortragsreise durch Neuseeland und Australien daraus, und schließlich eine Weltreise mit den Stationen Kalifornien, Hawaii, Neuseeland, Australien, Japan, China, Indien, Israel, Bundesrepublik Deutschland und wieder zurück in den Mittelwesten der USA. Es war für mich die bisher faszinierendste germanistische lecture tour. Nicht über meine Vorträge zum Thema Literatur und Geschichte, interdisziplinäre Europastudien, postmoderne Gegenwartsliteratur oder Hermann Broch im Kontext der Exildichtung möchte ich referieren, sondern die Situation der internationalen Germanistik schildern und einige kulturvergleichende Beobachtungen anstellen. In den meisten Ländern, die ich besuchte, fand ich ein Fach in der Krise vor: zurückgehende Einschreibungszahlen der Studenten, wenige Stellen für den qualifizierten Nachwuchs, der entsprechend immer kleiner wird, Unsicherheit bei der Suche nach interdisziplinären Erweiterungen des Fachs Germanistik. Deutsch als Fremdsprache spielt – sieht man von wenigen Ausnahmen ab – international eine immer geringere Rolle. Das liegt nur zum Teil daran, dass die deutsche Sprache in Wissenschaft, Technik und Wirtschaft keine sonderlich große Bedeutung mehr hat. Die Deutschen publizieren immer mehr auf Englisch, sogar – paradoxerweise – in den germanistischen Fachzeitschriften. Das hohe Ansehen, das die Bundesrepublik Deutschland als gewichtiges europäisches Land genießt, übersetzt sich nicht in ein vergleichbar großes Interesse an der deutschen Sprache. Deutschkenntnisse sind keineswegs selbstverständlicher Teil einer Allgemeinbildung, wie man sie von einem Hochschulabsolventen erwartet. Notwendige Kenntnisse über Deutschland kann man durch die Lektüre von in der jeweiligen Landessprache oder auf Englisch erschienenen Büchern erwerben. Neuseeland und Australien: In diesen Ländern fällt die Krise des Faches zusammen mit einer Krise der Universitäten überhaupt, die ihrerseits wiederum Teil einer wirtschaftlichen Strukturkrise ist. Die Diskrepanz zwischen einer relativ

1 Bericht für die Alexander von Humboldt-Stiftung in Bonn über meine Reise von Mitte Mai bis Mitte Juli 1988, eingereicht im August 1988. Der Bericht verdankt sich der freundlichen Aufforderung von Dietrich Papenfuß, damals Stellvertretender Generalsekretär der A. v. Humboldt-Stiftung.

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großen Anzahl von Deutschprofessoren und den wenigen Studenten wird von den Universitätsverwaltungen immer weniger toleriert. Die Universitätsbudgets müssen gekürzt werden und man spart in jenen Abteilungen, in denen die Kollegen die kleinsten Klassen unterrichten. Das Vorbild der amerikanischen Universitäten und die sogenannte Universitätsreform vor Augen, fühlt man sich bemüßigt, stärker in den Kategorien von Rentabilitätsprinzipien zu denken, was im akademischen Bereich eine heikle Angelegenheit ist. Die Stimmung an den Deutschabteilungen ist entsprechend schlecht. Drei Reaktionen sind typisch: Erstens macht man weiter wie immer, erträgt die Krise mit stoischem Gleichmut, weist darauf hin, dass man in unserem Jahrhundert schon schlimmere Einschreibungseinbrüche durchgestanden habe (siehe die Situation im Ersten und Zweiten Weltkrieg) und hofft einfach auf bessere Zeiten. Zweitens kann die Krise zu einem Zerwürfnis zwischen den Kollegen führen, die sich irrationalerweise gegenseitig die ‚Schuld‘ an der Misere vorwerfen; dieses Verhalten hat katastrophale Konsequenzen und endet zuweilen in einem de facto Selbstmord der Deutschabteilung. Drittens sucht man durch Reformen der Curricula der Krise zu steuern; dabei entwickelt sich ein optimistisches Aktivitätsklima, in dem neue Ideen und Vorschläge gedeihen, die sich nur zum Teil verwirklichen lassen. Eigentlich immer gehen die Vorschläge in Richtung von German Studies, d.h. man sucht den Kontakt zu den Fachkollegen in anderen Fächern wie Geschichte, Politologie, Philosophie, Kunstgeschichte oder Musik, um mit ihnen gemeinsam Kurse anzubieten. Solche Seminare finden dann nicht auf Deutsch, sondern auf Englisch statt. Die interdisziplinäre Kooperation klappt unterschiedlich gut, aber insgesamt lässt sich sagen, dass man mit ihr aus der Not eine Tugend gemacht hat. Denn nicht nur, dass dadurch für Studenten Kurse von größerer Attraktivität geschaffen werden, auch die germanistische Wissenschaft selbst erhält durch das interdisziplinäre Gespräch neue Impulse. Eine Reihe von Symposien sind das bereits gezeitigte Resultat, und German Studies etabliert sich an einigen neuseeländischen und australischen Universitäten als eigenes interdisziplinäres Studienfach. Solche Innovationen bringen selbstverständlich neue Probleme methodischer und organisatorischer Art mit sich und erst die Zukunft wird zeigen, wie tragfähig die Grundlagen sind, die aus der interdisziplinären Zusammenarbeit bisher resultierten. Kennzeichnend für Neuseeland und Australien ist das konkurrierende Nebeneinander von konventioneller Germanistik deutscher Prägung und einem Fach, das sich im Hinblick auf die Erfordernisse im eigenen Land in Richtung interdisziplinärer German Studies bewegt. Dieses Nebeneinander ist mir aus der amerikanischen Germanistikszene bestens bekannt, da die Probleme dort vergleichbar sind. Nichtsdestoweniger ist offensichtlich, dass die Krise der Germanistik in Neuseeland und Australien unverhältnismäßig tiefgreifender ist als in den USA, wo sich aufgrund der ganz anderen Größenverhältnisse die genann-

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ten Probleme noch nicht in dieser Krassheit zeigen. Germanistik in seiner traditionellen Form wird zu einem Fach ohne Bedeutung, und German Studies in seiner interdisziplinären Ausprägung hat große Schwierigkeiten, sich in einem universitären Rahmen zu etablieren, in dem Einzelabteilungen nach wie vor unverhältnismäßig ernster genommen werden als abteilungsübergreifende Programme. Zusätzliche Schwierigkeiten haben German Studies Programme deshalb, weil viele Universitäten in jenen Abteilungen, auf deren Mitarbeit man rechnet, keine Deutschlandexperten haben. Der Ausweg ist dann öfters – etwa an der Monash University in Melbourne oder an der University of New South Wales in Sydney – die Gründung eines European Studies Programms. Um nicht vor leeren Klassen zu stehen, unterrichten die Germanistikprofessoren gerne in solchen Programmen, die in der Regel genügend Studenten haben. Das Problem in Australien ist nicht etwa die mangelnde Qualifikation der Germanisten. An den Universitäten des Landes lehren Spitzenvertreter des Fachs. Das Problem ist einzig das nachlassende Interesse an der deutschen Sprache und Literatur. Dem gegenzusteuern ist schwierig. Mir scheinen die interdisziplinären Weiterungen hin auf (Western) European Studies eine plausible Lösung zu sein. Ich selbst habe vor vier Jahren an der Washington University ein Western European Studies Programm gegründet und konnte so mit den australischen Kollegen Erfahrungen austauschen. Die „European Studies Series of Australia“, die vom Leiter des Western European Studies Programms an der Monash University begründet wurde, hat mich beeindruckt. David Roberts, einer der Mitherausgeber der Reihe, habe ich zu einer Tagung nach St. Louis im Frühjahr 1990 eingeladen. Japan: Wegen der wirtschaftlichen Prosperität des Landes gibt es keine vergleichbaren Finanzprobleme wie in Neuseeland und Australien an den japanischen Universitäten. Obgleich das Interesse an der deutschen Sprache auch in Japan nachgelassen hat, ist das Fach Germanistik angesehen und findet ausreichend Studenten für den akademischen Nachwuchs. Einen vergleichbaren Trend hin zu interdisziplinären German Studies wie in Neuseeland und Australien konnte ich dort nicht feststellen. Die japanischen KollegInnen orientieren sich nach wie vor an Vorstellungen vom Fach Germanistik, wie sie aus den deutschsprachigen Ländern bekannt sind. Bisher hat Japan auch nur wenig Kontakt zu anderen Auslandsgermanistiken gesucht. Vielleicht wird sich das als Folge des nächsten IGV-Kongresses etwas ändern, der 1990 in Tokyo stattfinden wird. Diese Tagung wird mit viel Elan vorbereitet. Obwohl die japanischen GermanistInnen – ich traf etwa dreißig von ihnen – zum größten Teil ein ausgezeichnetes Deutsch sprechen, publizieren sie ihre Arbeiten meistens auf Japanisch, u.a. in ihrer in Tokyo erscheinenden Fachzeitschrift „Doitsu Bungaku“. Das wiederum führt dazu, dass ihre Forschung international wenig bekannt ist, denn kaum ein nicht-japanischer Germanist liest Japanisch. Die Krise des Fachs macht sich in Japan anders

Zur Situation der internationalen Germanistik

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bemerkbar als in Neuseeland oder Australien. Bisher war es bezeichnend, dass japanische Germanisten einen Großteil ihrer Zeit mit Übersetzungen deutscher Literatur verbrachten. An ihr hatte in der japanischen Öffentlichkeit immer ein gewisses Interesse bestanden. Es hat aber so stark nachgelassen, dass sich kaum noch Verlage finden, die deutschsprachige Literatur übersetzen. Die Hesse-Welle der 1960er und frühen 1970er Jahre ist längst abgeebbt, und seitdem tut sich auf dem Übersetzungsmarkt nicht mehr viel. Die deutsche Gegenwartsliteratur gilt als unverständlich und uninteressant. Da die klassischen Werke zum größten Teil bereits übersetzt sind, ist im Übersetzungssektor zurzeit nicht viel zu tun. Auf dem Gebiet der lateinamerikanischen Literatur sieht das, wie man mir sagte, ganz anders aus. Während in Amerika aber die Übertragung von Dichtung durchweg von professionellen Übersetzern betrieben wird, war dies in Japan traditionellerweise die Domäne der Hochschulprofessoren. Deren Gehalt ist nicht sonderlich hoch, weshalb die Übersetzungshonorare ein gern gesehenes, zum Teil notwendiges Zuverdienst sind. Da es derzeit weitgehend wegfällt, verliert der Beruf des Germanisten in Japan etwas von seiner Attraktion. Insgesamt gesehen weist die japanische Germanistik aber relativ wenige Krisensymptome auf. Auffallend ist übrigens in Japan das Interesse an österreichischer Literatur. Bezeichnend ist, dass der Vorsitzende des japanischen Germanistenverbandes, Professor Yoshio Koshina, gleichzeitig Präsident der Japanischen Gesellschaft für österreichische Literatur ist. (Die Kontakte zur DDR und zur Schweiz dagegen sind nicht sonderlich entwickelt.) Koshina sagte, dass er gerne Verbindungen zur amerikanischen Germanistik knüpfen würde – ich werde ihn 1989 zur Jahrestagung der AATG (American Association of Teachers of German) einladen. Vielleicht werde er sich aber, wie er sagte, durch seinen Schüler Teruaki Takahashi vertreten lassen. China: Auch in China ist die Literaturvermittlung durch Übersetzungen eine der wichtigsten Aufgaben des Germanisten. Anders als in Japan haben die deutsche Sprache und die deutsche Literatur in China bisher nie eine große Rolle gespielt. Und so kann man auch nicht von rückläufigen Studentenzahlen sprechen, denn der Kreis der an Germanistik interessierten jungen Leuten war schon immer relativ klein. Wie in allen sozialistischen Ländern spielen neben den Universitäten auch die Akademien der Wissenschaft eine große Rolle. Germanistik wird nicht nur an der Universität gelehrt, sondern ist auch eine Sektion der Chinesischen Akademie für Sozialwissenschaften in Peking. (An der Akademie wird nur geforscht, nicht unterrichtet.) Mit fünfzehn Wissenschaftlern ist diese Sektion beachtlich groß und ihre Mitglieder sind gut informierte Gelehrte mit ausgezeichneten Sprach-, Literatur- und Methodenkenntnissen. Kontakte werden gleichermaßen zur DDR wie zur Bundesrepublik (weniger zu Österreich und der Schweiz) gepflegt. In China zeigten sich eigentlich keine Krisensymptome des Fachs. Ich hatte eher den Eindruck einer etwas euphorischen Aufbruchsstimmung, was aber

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mit der Gesamtsituation im Land zusammenhängen kann. Auch der Übersetzungssektor floriert, und meistens entstehen sogar mehrere Übertragungen eines Buches gleichzeitig. Das liegt am unterentwickelten Kommunikationswesen zwischen den Verlagen. Die Auflagen sind riesig: Dass ein Buch in hunderttausend Exemplaren erscheint, ist eher die Regel als die Ausnahme. Voraussetzung ist, dass die Bücher für ein breites Publikum von Interesse sind. Stefan Zweig z.B. ist in China derzeit einer der meistgelesenen deutschsprachigen Autoren des 20. Jahrhunderts. Auch Patrick Süskinds „Das Parfum“, das in einem traditionellen Erzählstil geschrieben ist, erschien gleichzeitig in zwei Übersetzungen und findet immer mehr Leser. Beliebt sind beim chinesischen Publikum literarische Werke ohne modernistische Experimente. Vor allem die chinesischen Kollegen sind an Kontakten mit anderen Auslandsgermanisten, besonders in Amerika, interessiert. Mit Yushu Zhang, dem Vorsitzenden des chinesischen Germanistenverbandes, habe ich vereinbart, eine mögliche Kooperation mit der AATG vorzubereiten. Indien: Ähnlich wie in China kann auch in Indien von einer Krise der Germanistik deshalb keine Rede sein, weil das Fach immer nur schwach vertreten war. An der Nehru University in New Delhi, wo ich zu Gast bei Anil Bhatti war, konnte man sogar auf ein geringes Anwachsen der Einschreibungszahlen verweisen. Die indischen Kollegen orientieren sich stark an der Germanistik in den deutschsprachigen Ländern, haben aber ein Interesse an Kontakten zu anderen Auslandsgermanistiken geäußert. Israel: Aus verständlichen historischen Gründen gibt es eine israelische Germanistik nur in Ansätzen. Die ersten Versuche der Etablierung eines German Departments sind an der Hebrew University in Jerusalem unternommen worden, und man wird sehen, was daraus wird. Während die deutschen Bibliothekssammlungen in Neuseeland und Australien befriedigend bis sehr gut, in Japan akzeptabel und in China und Indien immerhin vorhanden sind, existieren sie in Israel so gut wie nicht. Die Sammlung deutschsprachiger Literatur an der Hebrew University in Jerusalem ist mit sechstausend Bänden winzig. Die israelischen Literaturwissenschaftler, die germanistische Arbeiten schreiben, sind auf Forschungsbibliotheken in anderen Ländern angewiesen. Das ist auch der Fall bei der Kollegin, die mich zu einem Vortrag über Hermann Broch eingeladen hatte: Margarita Pazi, die während ihrer wiederholten Gastprofessuren an der Universität Würzburg die dortigen Bibliotheken nutzt. Sie unterrichtet bezeichnenderweise an der Geschichtsabteilung der Universität Tel Aviv. Über die Situation an der Hebrew University in Jerusalem unterrichteten mich der junge Historiker Gabriel Motzkin und der aus Deutschland stammende Germanistiklektor Jürgen Nieraad. Die meisten Angehörigen jener Generation von israelischen Staatsbürgern, die in deutschsprachigen Ländern geboren wurden und in den 1920er und 1930er Jahren oder nach dem Krieg nach Israel auswanderten, sind bereits im Pensions-

Kulturvergleichende Beobachtungen

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alter oder gar schon verstorben. Bei den Nachgeborenen ist das Interesse an deutscher Sprache und Literatur minimal. Andererseits zeigen auch die jungen, in Israel geborenen Generationen ein ausgeprägtes Interesse an der Geschichte ihres Volkes und so ist es vorstellbar, dass Deutsch als eine der Kultursprachen, in der so viele Gelehrte und Dichter jüdischer Herkunft geschrieben haben, erneut Aufmerksamkeit finden wird. So unterschiedlich die besuchten Universitäten in diesen Ländern auch waren, so verschieden die Probleme des Studiums der deutschen Literaturwissenschaft ausfielen, so war mein Eindruck doch der, dass wir vom Erfahrungsaustausch unter Auslandsgermanisten profitierten. An mehreren Universitäten bin ich auf die Möglichkeiten eines verstärkten Kontaktes zwischen amerikanischen Wissenschaftlern und denen des jeweiligen Gastlandes angesprochen worden. Einen ersten Schritt zu einer größeren Kooperation habe ich bereits unternommen: Als Herausgeber der amerikanischen Fachzeitschrift „The German Quarterly“ habe ich ein internationales Herausgebergremium gegründet, dem eine Reihe von GermanistInnen, die ich besuchte, nun angehören (aus Australien, Japan, China, Indien, Israel und der Bundesrepublik Deutschland).

Kulturvergleichende Beobachtungen Neuseeland und Australien waren seit ihrer Besiedelung durch die Weißen europäisch orientierte Länder britischer Prägung. Der englische Einfluss lässt nach, und der Blick ist stärker denn je nach Amerika gerichtet. Es geht weniger um eine Ausdehnung der staatlichen und wirtschaftlichen Beziehungen zu den USA als um die Aktivierung eines Konkurrenzdenkens und um die Steigerung einer kapitalistischen Effizienz, wie man sie mit Amerika verbindet. Dabei geraten die zahllosen, nach britischem Vorbild organisierten Gewerkschaften wegen ihrer Streikfreudigkeit ins Sperrfeuer der öffentlichen Kritik. Man will wettbewerbsfähig werden, die wirtschaftlichen Möglichkeiten stärker nutzen, neue Märkte erschließen, die nationale Ökonomie flexibler, offener, angebotsreicher gestalten. Die multinationalen amerikanischen Konzerne sind überall in Neuseeland und Australien präsent, und deren Geschäftsgebaren wird zum normsetzenden Faktor in einer Wirtschaft, deren protektionistische Regeln nicht mehr plausibel erscheinen. Die USA sind aber bekanntlich nicht nur das Land des Kapitalismus, sondern auch das der Menschenrechte, und so ist in Neuseeland und Australien auch eine Amerikanisierung ganz anderer Art zu konstatieren: Die Minoritäten (Maoris bzw. Aborigines) haben sich die Bürgerrechtsbewegung Martin Luther Kings zum Vorbild genommen. Deren friedliche Taktik und juristische Argumentationsweise wurden studiert. Jetzt fordern sie so bestimmt wie die Minderheiten in den USA

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das Ende ihrer Behandlung als Bürger zweiter Klasse. Zudem bestehen sie auf dem Einhalten alter – von den europäischen Siedlern nie ernst gemeinter – Verträge, die ihnen beträchtliche Besitz- und Wohnrechte zusicherten. Die Stellung der Maoris und der Aborigines ist sowohl mit der Situation der Indianer wie mit der der Afroamerikaner in den USA zu vergleichen. Wie die Indianer sind sie durch Krieg und Seuchen teils dezimierte, teils an die Peripherie der Gesellschaft gedrängte Ureinwohner und wie die Afroamerikaner haben sie unter Benachteiligung und Isolierung zu leiden. Die Erfolge der Afroamerikaner und der Indianer ermutigten die Maoris und die Aborigines im friedlichen Kampf gegen Diskriminierung. Diese Art von Amerikanisierung bereitet inzwischen auch liberal gesonnenen Europäern in Neuseeland Kopfschmerzen. Die Maoris berufen sich auf über hundert Jahre alte Abmachungen mit den weißen Siedlern und beanspruchen riesige Landstriche als ihr Eigentum. Solange das Eintreten für die Rechte der Minderheit eine Übung in Feiertagsrhetorik war, hatten die Maoris zahllose Freunde, besonders an den Universitäten. Jetzt aber geht es um konkrete und umfassende Zugeständnisse materieller Art. Man darf gespannt sein, wie die Konflikte beigelegt werden. Die Maoris, die ihr Land zurückhaben wollen, sind jedenfalls das Tagesgespräch; kein Lunch oder Dinner, während dem sich nicht die Gemüter an der Schreckensvision von der Enteignung der europäischen Bevölkerung erhitzten. Ähnlich wie in Amerika durch afroamerikanische Professoren interdisziplinäre Studienprogramme zur Erforschung der eigenen Geschichte und Kultur eingerichtet wurden, sind inzwischen an einigen neuseeländischen Universitäten Maori Studies als akademisches Fach etabliert worden. In diesen Zentren möchten die Maoris ihre eigene Geschichte und besondere Situation in der Gegenwart erforschen. Aber darüber hinaus wollen sie – anders als die Leiter der African-American Studies Programme – ihre nicht-westlichen Vorstellungen von dem, was Wissenschaft, Studium und Lehre bedeuten, durchsetzen. Es ist die Frage, ob das im Rahmen der gegebenen Universitätsstrukturen möglich sein wird. Auswirkungen der amerikanischen Frauenbewegung und des Feminismus sind ebenfalls spürbar. Mit einer zeitlichen Verzögerung von etwa zehn Jahren sind jetzt auch in Neuseeland und Australien Women’s Studies Programme an den Universitäten gegründet worden. In den asiatischen Ländern Japan, China und Indien werden die Emanzipationsbewegungen der amerikanischen Minoritäten und der Frauen zwar genau beobachtet, aber eine direkte Rückwirkung auf die gesellschaftlichen Gegebenheiten ist nicht zu konstatieren. In China hat sich die Gleichberechtigung der Frauen wie in anderen sozialistischen Ländern durchgesetzt, und Japan wie Indien haben nach wie vor durch Männer dominierte Gesellschaften. Aber an vielen Details in den Erscheinungen des Alltagslebens ist die Faszination durch Amerika erkennbar. In der japanischen Werbung tauchen fast nur westliche Gesichter auf;

Kulturvergleichende Beobachtungen

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besonders beliebt sind in der Reklame die Konterfeis amerikanischer Filmschauspieler. In Tokyo grinsen sie, Bier oder Tonbandgeräte anpreisend, an den Straßenecken von überdimensionalen posters auf den unter ihnen tobenden Verkehr herab. Die Jugendlichen in Japan imitieren den amerikanischen Lebensstil mit Jeans und Disko. Vom Disko-Fieber sind auch die Chinesen erfasst. Disko-Tanzen ist in Peking eine Art Volkssport geworden, an dem sich auch die älteren Jahrgänge bis um die sechzig beteiligen. Kein Getränk ist in den Großstädten Chinas so beliebt wie Coca-Cola. Neben der relativ teuren ‚echten‘ Coke gibt es inzwischen auch die billigere und nicht sonderlich gut schmeckende ‚falsche‘ Cola (Made in China). Mickey Mouse und Donald Duck haben längst die Widerstände der Chinesischen Mauer überwunden: Sonntagabends schauen sich die Kinder vom Reich der Mitte im Fernsehen Walt Disney-Filme an. Auch was den Sport betrifft, ist in China der Blick nach Westen gerichtet. Golfspielen findet allmählich Verbreitung, und die Fußballfans können am Fernsehapparat die italienischen Oberligaspiele mitverfolgen. Die chinesischen TV-Nachrichten ähneln – formal gesehen – ihren Vorbildern aus den USA. Bei den internationalen Nachrichten werden häufig Berichterstattungen amerikanischer Television Networks übernommen. Das beliebteste Studienland chinesischer Austauschstudenten ist Amerika. Das alles hat mit der Entscheidung der chinesischen Regierung zu tun, sich dem Westen gegenüber zu öffnen, mehr Demokratie zu wagen, vielfältige private Initiativen – auch im wirtschaftlichen Bereich – zu ermutigen. Früher war – ob eingestanden oder nicht – häufig die Sowjetunion das Vorbild für China. Das hat sich geändert. Umgekehrt ist die neue sowjetische Glasnost-Politik u.a. durch die chinesischen Reformprogramme inspiriert. Der Mao-Look ist in China längst aus der Mode gekommen; die Arbeitsanzüge der sogenannten blauen Ameisen sind durch Kleidungsstücke nach westlichem Schnittmuster abgelöst worden. Morgens radeln in Peking Hunderttausende zur Arbeit (ein Auto kann sich kaum jemand leisten). Früher glich diese endlose Fahrradprozession einem düster-blauen Strom, aber heute zeigt sich ein farbiges Bild, das das Herz jedes impressionistischen Malers hätte höher schlagen lassen. Japan ist stolz darauf, alles aus dem Westen Übernommene zu perfektionieren: Die Züge und Stadtbahnen sind die schnellsten und geräuschärmsten der Welt. Verglichen mit der futuristisch anmutenden Tokyoer Untergrundbahn ist die New Yorker Subway ein mittelalterliches Relikt. Die japanischen Taxifahrer tragen blütenweiße Handschuhe und haben die Sitzpolster ihrer Autos, deren Türen sich automatisch öffnen und schließen, mit täglich ausgewechselten Leinenhüllen überzogen. Steigt man in einer amerikanischen Großstadt in ein Taxi, kommt dies häufig dem Stolpern in einen Mülleimer gleich. Parallel zum Prozess der Amerikanisierung bzw. Verwestlichung an der Oberfläche ist in den genannten Ländern ein Trend der Rückbesinnung auf die

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eigene Geschichte, auf eigene Leistungen und kulturelle Besonderheiten zu beobachten. In Neuseeland und Australien erforschen nicht nur die Maoris und die Aborigines ihre Geschichte. Auch die Europäer arbeiten ihre Vergangenheit auf. Im Zug der australischen Zweihundertjahrfeier gab es kaum eine ethnische Gruppe, die nicht die Eigenart ihrer Erfahrungen auf diesem Kontinent dokumentiert hätte. In Australien sprechen die Mitglieder neuerer Einwanderungswellen aus Italien und Griechenland noch die Sprache ihres Heimatlandes, haben ihre eigenen Geschäfte, Clubs und Kirchengemeinden. Die Deutschen hatten es in Australien in diesem Jahrhundert nicht leicht. Zweimal – während des Ersten und Zweiten Weltkrieges – wurden sie in Internierungslager gesperrt. Erst seit kurzem wird dieses sinistere Kapitel der australischen Geschichte nicht mehr verschwiegen. Neuere Immigrationswellen von den pazifischen Inseln bzw. aus asiatischen Nachbarstaaten verändern die Gesellschaften Neuseelands und Australiens, und vielleicht hat die Besinnung der Europäer auf ihre Einwanderungsgeschichte mit dieser jüngsten Entwicklung zu tun. Neuseeland galt lange als eines der wenigen ‚westlichen‘ Länder, das von den Segnungen der Industrialisierung (Zerstörung der Wälder, Vergiftung der Gewässer und Verpestung der Städte) verschont worden ist. Die Regierung in Wellington streicht besonders gerne heraus, dass man eine umweltbewusstere Politik betreibe als in den USA, weswegen alles, was mit amerikanischer Atomenergie zu tun hat, vom Land tunlichst ferngehalten wird. Als im vorigen Jahr im bundesdeutschen Fernsehen eine Sendung mit dem Titel „Die letzten Paradiese“ lief, wurde Neuseeland dazugezählt. Prompt meldeten sich tausende von Deutschen bei der neuseeländischen Botschaft in Bonn und baten um Einwanderungspapiere und Informationen über die billigsten Flüge nach Auckland. Manche deutsche Eva entdeckte inzwischen, dass auch in den Neuseeländern der alte Adam steckt, und dass es mit dem ökologischen Unschuldsgarten nicht viel auf sich hat. Die großen Umweltsünden (Verwandlung von Wäldern mit einer wunderbaren Fauna und Flora in steinerne Mondlandschaften) wurden nur früher als anderswo verübt. Als man einsehen musste, dass auch in Neuseeland bloß mit Chlorwasser gekocht wird und der Lebensstandard nur halb so hoch wie bisher gewohnt ist, sind viele der Bundesrepublik verlorengegangenen Paradiesvögel wieder heimgeflogen, weil sie das Leben in Itzehoe, Wanne-Eickel und Reutlingen doch erträglicher fanden als das in Dunedin, Christchurch oder etwa Graymouth. Auf den ersten Blick scheinen die Japaner mit ihrer Effizienz amerikanischer als die Amerikaner zu sein. Bei aller äußeren Verwestlichung hat sich aber an der japanischen Mentalität und Verhaltensweise im Kern wenig verändert. Diese Art von Doppelstrategie: Einholen und Überholen der westlichen Industrienationen bei gleichzeitiger Bewahrung der kulturellen Eigenart verfolgen die Japaner seit

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über hundert Jahren. Es wird oft vergessen, dass die Anpassung an den technischen Entwicklungsstand des Westens im Japan des späten 19. Jahrhunderts mit dem Ziel angestrebt wurde, die nationale Unabhängigkeit, Eigenart und kulturelle Eigenständigkeit zu bewahren. Während viele Nachbarstaaten wegen ihrer technischen Unterlegenheit in koloniale Abhängigkeit gerieten, konnte Japan durch die Anstrengungen auf wissenschaftlich-technischem Gebiet seine Souveränität behaupten. Im Gästehaus der 1877 gegründeten Tokyoer Universität sind Zeichnungen zu den Einweihungsfeierlichkeiten dieser Institution ausgestellt. Schaut man nicht genau hin, könnte man meinen, es handle sich um Bilder einer deutschen Universität des vorigen Jahrhunderts: Studenten im Wichs, Professoren im Frack und Militär in europäisch aussehenden Uniformen. Aber die Japaner haben sich damals wie heute bloß zu einem geringen Grad an ihre westlichen Vorbilder assimiliert. In China ist der irrationale Bildersturm der Kulturrevolution längst Geschichte. Man beurteilt ihn als katastrophale gesellschaftliche Fehlentwicklung. Was damals an alten Kulturgütern demoliert, aber nicht völlig vernichtet wurde, ist zum großen Teil wiederhergestellt worden. In den kaiserlichen Palästen Pekings (der Verbotenen Stadt und der Sommerresidenz), in Tempeln und Klöstern sind wahre Wunder an Restaurationskünsten vollführt worden. Die Chinesen sind wieder stolz auf ihre Geschichte und erklären mit Geduld und Ausdauer den Touristen aus den westlichen Staaten ihre Kunst, Mythologie und Historie. In Indien ist die Tendenz zur Bewahrung der eigenen Kultur sicherlich stärker als der Drang nach Verwestlichung. Mit den USA hat man nicht viel im Sinn: Die großen amerikanischen Multis mussten sogar das Land verlassen. Coca-Cola gibt es also in Indien nicht zu kaufen. Aber ohne Cola findet man offenbar auch im Subkontinent kein Auslangen, und so wird Campa-Cola angeboten – eine etwas schwächliche Imitation des Originals. Die Abneigung Indiens gegenüber Amerika hat nicht nur innerkulturelle, sondern auch außenpolitische Gründe: Der ungeliebte Nachbarstaat Pakistan gilt als allzu enger Verbündeter der USA. Aber sogar in Indien mangelt es im Fernsehen nicht an amerikanischen Spielfilmen. Gegen die Segnungen Hollywoods sperrt sich – sieht man vom Machtbereich der Sowjetunion und vom Iran ab – kaum ein Land der Welt. Es ist aber nicht nur Amerika als Faktum und Mythos, das einen politischen und ideologischen Ort bezeichnet, von dem aus man seine eigene Position bestimmt. Allmählich wird deutlich, dass Europa im nächsten Jahrhundert eine zunehmend wichtige Rolle spielen wird. Mehr und mehr Reportagen finden sich in der japanischen und chinesischen Presse über Funktion, Bedeutung und Ziele der Europäischen Gemeinschaft. Ausführlich wird über Brüssel berichtet und werden die Leser auf das Europa der Zwölf nach 1992 vorbereitet. Beide Länder sind an guten Kontakten zur EG als dem größten Wirtschaftsmarkt der Welt inte-

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ressiert und verfolgen aufmerksam die Integrationsprozesse. Nicht nur als Handelspartner wird die Europäische Gemeinschaft immer wichtiger; sie mag in Zukunft auch Modellcharakter für vergleichbare Kooperationszusammenschlüsse in Asien oder anderen Weltteilen haben. Diese Art einer Föderation, deren Mitgliedsländer partiell – auf dem wirtschaftlichen Sektor – Hoheitsrechte abtreten ohne dabei den Status souveräner Einzelstaaten zu verlieren, dürfte Zukunft haben. Sie geht über das von den Weltmächten Sowjetunion und USA gebotene Bündnismodell (Kooperation von verschiedenen Ländern bei Dominanz eines Einzelstaates) hinaus. Mit weniger Sympathie schaut man von Neuseeland und Australien nach Brüssel. Die Abnabelung vom ehemaligen kolonialen Mutterland Großbritannien wegen dessen EG-Beitritt war besonders für Neuseeland ein traumatischer Prozess, trieb das Land in eine noch immer andauernde ökonomische Krise. Ob positiv oder negativ: Die Europäische Gemeinschaft dringt als Machtfaktor ins Bewusstsein dieser Länder und lenkt langsam aber stetig die Aufmerksamkeit auf sich. Man darf gespannt sein, wie sich die Doppelbeziehungen Australiens und Asiens zu Amerika und Europa in Zukunft gestalten werden. Vorläufig lernt Europa – das weiß man auch in anderen Teilen der Welt – selbst noch von seinem Sprössling USA. In der Schule der Frauenemanzipation z.B. hat Europa noch einige Kapitel vor Bestehen der Reifeprüfung zu lernen. Und Symbole wie Coca-Cola und Donald Duck, an denen sich die Mythen des Alltags auch in China kristallisieren, hat Europa ebenfalls nicht zu bieten, ganz zu schweigen von einer Disko-Musik, deren Rhythmen derzeit die Chinesen auf produktivere Weise in Bewegung setzen als vor zwanzig Jahren die Sprüche aus der Mao-Bibel.

Sachregister

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Sachregister (Das Sachregister erfasst nur Angaben im Haupttext, nicht in den Anmerkungen.)

Zeitschriften American Journal of Sociology (AJS) 113 Andererseits. Yearbook of Transatlantic German Studies XI attempto! Forum der Universität Tübingen 34 Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte (DVjs) 159 Doitsu Bungaku 13, 274 Gegenwartsliteratur. Ein germanistisches Jahrbuch (GWL) 29, 42, 184, 189–193, 242 The German Quarterly (GQ) 37, 39, 166, 167, 173, 194–201, 277 German Studies Review (GSR) 37, 198 The Germanic Review (GR) 194 Hamburger Akademische Rundschau 32 Humboldt-Kosmos 238, 239 Lendemains. Vergleichende Frankreichforschung 8 Lettre International 86 Literatur und Kritik 159 Literaturen. Das Journal für Bücher und Themen 87 Literaturstraße. Chinesisch-deutsches Jahrbuch für Sprache, Literatur und Kultur 13 Monatshefte 194 Neue Beiträge zur Germanistik (Doitsu Bungaku) 13 New German Critique 198 The New York Review of Books (NRB) 86 The Saturday Review of Literature 86, 150 Die Unterrichtspraxis 29, 196 Weltengarten. Deutsch-afrikanisches Jahrbuch für Interkulturelles Denken 13 Women in German Yearbook 37

Berufsverbände American Association of Teachers of German (AATG) 29, 36–39, 43, 166, 167, 194–197, 199–201, 240, 275 American Council on the Teaching of Foreign Languages (ACTFL) 39 American Friends of Marbach 44, 45 Asiatischer Germanistenverband 13 Council for European Studies (CES) 231, 236 European University Association (EUA) 64 European Community Studies Association (ECSA) 236 German Studies Association (GSA) 37–39, 44, 162, 231, 236, 237 Gesellschaft für interkulturelle Germanistik (GiG) 237

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Sachregister

Internationale Vereinigung für Germanistik (IVG) 13, 43, 44, 240–242, 274 Lateinamerikanische Gesellschaft für Germanistik (ALEG) 242, 243 The Modern Language Association (MLA) 1, 39–41, 43 Women in German (WiG) 37

Forschungszentren The Beinecke Rare Book Library, New Haven, Connecticut 31 Deutsches Literaturarchiv, Marbach (DLA) 31, 42–44, 49, 174, 184, 185 Freiburg Institute for Advanced Studies (FRIAS) XII Fraunhofer-Gesellschaft zur Förderung der angewandten Forschung 56 Helmholtz-Gemeinschaft deutscher Forschunsgzentren 56 Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften (MPG) 56 Zentrum für interdisziplinäre Forschungen (ZiF) an der Universität Bielefeld 49, 60

Stiftungen Danforth Foundation 17 Ford Foundation 17, 227, 231 Fulbright Foundation 17 German-American Fulbright Commission 21, 26 Max Kade Foundation XI, 28, 42, 43, 169, 174, 175, 179, 184, 189 The Marshall Fund of the United States 231 The Andrew W. Mellon Foundation 17 National Defense Foundation 18, 40 Pro Helvetia 26 The Rockefeller Foundation 17 Stiftung Lesen 93 Studienstiftung des deutschen Volkes 35 Fritz Thyssen Stiftung 190 VolkswagenStiftung 26, 35, 179, 184, 185 The Kurt Weill Foundation for Music 36 The Woodrow Wilson National Fellowship Foundation 29

Mittlerorganisationen Deutscher Akademischer Austauschdienst (DAAD) 26, 42, 162, 190, 242, 243, 261, 262 Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) 57, 58, 71 Goethe Institut 27, 28, 241, 262 Alexander von Humboldt-Stiftung (AvH) 49, 238–244, 262, 272 Wissenschaftsrat (WR) 57, 58

Namenregister

Namenregister (Das Namenregister bezieht sich sowohl auf den Haupttext wie auf die Anmerkungen.) Adams, Henry 131, 132 Adams, John 131 Adams, John Quincy 131 Adelman, Clifford 62, 63 Adelson, Leslie A. 29, 199 Adenauer, Konrad 48, 49 Adorno, Theodor W. 38, 114, 222 Agar, Herbert 143, 149, 150 Aldridge, John W. 136, 137 Alesi, Bettina 65 Allende, Isabel 91, 167 Allesch, Ea von 163 Altenbockum, Jasper von 35 Ambedkar, Bhimrao Ramji 267 Anderson, Benedikt 2, 115 Anderson, Catherine 101 Anderson, W. R. 136 Andrews, Peter 114 Appiah, Anthony 6 Arendt, Hannah 142, 153, 160, 163, 164, 217 Aristoteles 67 Arnim, Achim von 161, 164 Arnold, Heinz Ludwig 1 Ash, Mitchell G. 65 Asholt, Wolfgang 8–10 Assheuer, Thomas 72 Assmann, Aleida XI Assmann, Jan 2, 3 Auerbach, Erich 22 Auguste Viktoria (deutsche Kaiserin) 107 Augustinus 143 Aydelotte, Frank 143, 151 Bachmann-Medick, Doris 1 Bachtin, Michail IX, 4 Bacon, Francis 153 Badwe, Neeti 267 Bärfuss, Lukas 241 Baker, Jason 100, 121, 122 Baldwin, James 134, 138, 139 Balkenende, Peter 27 Ballon, Hilary 105

Bannasch, Bettina 8 Barclay, David E. 39 Bardeleben, Renate von 135 Barner, Wilfried 33 Barnes, Harper 108 Barrett, Edward W. 17 Barroso, José Manuel 27 Barthes, Roland 96 Bartoli, Cecilia 27 Bauer, Barbara 32 Baumann, Ludwig 108 Baumgart, Reinhard 28 Becker, Christine 176 Becker, Jurek 28, 32, 172, 173, 175, 176 Beckmann, Max 170 Begas, Reinhold 107 Behler, Diana 199 Behler, Ernst 18 Behrens, Peter 108 Belasco Smith, Susan 130 Belgum, Kirsten 115 Bellamy, Edward 113, 114 Benedikter, Roland 205, 207 Benham, Lee 35 Benjamin, Walter 22, 23, 38, 220, 222 Bennit, Mark 104 Benthien, Claudia 35 Benton, William 17, 55, 150 Berg, Bartell 100, 112, 113 Berg, Christian 74 Berghahn, Klaus 18 Berghahn, Volker Rolf 2 Berkéwicz, Ulla 173, 174, 176–178 Berman, George A. 26, 155 Berman, Russell 41, 199 Bernd, Clifford A. 199 Bernhard, Thomas 172 Bernstein, Richard 217, 221 Berry, Chuck 184 Bertens, Hans 235 Bhabha, Homi K. 11 Bhatti, Anil 167, 197, 241, 276

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Namenregister

Bischoff, Doerte 35 Bismarck, Otto von 47, 107, 118 Bisping, Sandra 100, 109, 110 Blank, Stephen 227 Blatter, Silvio 175 Bloch, Ernst 3, 82, 142, 143, 175 Bloom, Allan 142, 156 Böhler, Michael 26, 32, 141 Böll, Heinrich 28 Börnchen, Stefan 35 Bogner, Andrea 227 Bohn, Volker 171 Bok, Derek 66, 67 Bollacher, Martin 34 Booker Sadji, Amadou 197 Borchers, Elisabeth 160–163, 174 Borchmeyer, Dieter 32 Borgese, Giuseppe Antonio 142–148, 150, 155 Borrell, Josep 27 Bose, Subhas Chandra 265, 266 Bradley, Malcolm 127 Braque, George 135 Braziller, George 177 Brecht, Bertolt 24, 52 Breger, Claudia 35 Breuer, Peter 107 Brinkmann, Richard 240 Broch de Rothermann, Hermann Friedrich 159 Broch de Rothermann, Sachiko 31 Broch, Hermann 8, 27, 29–32, 34, 36, 142–151, 154, 156, 159–164, 167, 209, 272, 276 Brockstieger, Sylvia 100, 117, 118 Brooks, Van Wyck 143, 151 Bruch, Rüdiger vom 65 Brütt, Adolf 107 Bruno, Paul 108 Bryer, Jackson R. 136 Buch, Hans Christoph 32, 235, 241 Bürger, Christa 213 Bürger, Jan 174 Bürger, Peter 213 Bultmann, Torsten 78 Bumke, Joachim 24 Burgard, Peter J. 233

Busch, Adolphus 108, 123 Busek, Erhard 27 Bush, George W. 141, 256, 259 Butler, Judith 38 Byron, George Gordon 133 Cai, Liu Nian 75 Calinescu, Matei 38, 212 Callon, Michel 239 Campbell, James 138, 139 Canby, Henry Seidel 150 Canfield Fisher, Dorothy 143, 151 Carlyle, Thomas 133 Carter, Jimmy 163 Castoriadis, Cornelius 2, 3 Celan, Paul 179–182, 185 Cervantes, Miguel de 83 Cesarani, David 27 Chang, Chin-Gill 242 Christo 251 Cixous, Hélène 38, 218 Clark, Burton R. 72 Clark, Tom 139 Coetzee, J.M. 98 Cohn, Dorrit 24, 30 Cohn-Bendit, Daniel 234 Comstock, Ada L. 143, 151 Conter, Claude 26 Cooper, James Fenimore 129 Cotta, Johann Friedrich 173 Coubertin, Pierre de 114, 115 Craig, Patricia 139 Cunliffe, Marcus 212 Curschmann, Michael 18, 43 Curtius, Ernst Robert 22 Danforth, William H. 17, 34, 35, 168, 170, 171, 175 Danspeckgruber, Wolfgang Franz 27 de Man, Paul 38, 220 Dean, William 217, 218 Defregger, Franz 107 DeKoven Exrahi, Sidra 143 Delius, Friedrich Christian 32, 98 Demetz, Peter 41 Derrida, Jacques 38, 166, 220, 222 Detering, Heinrich 1, 32, 179–185

Namenregister

Detjen, David W. 117, 120, 122 Diaz Pérez, Olivia C. 243 Dilthey, Wilhelm 205, 209 Disney, Walt 109 Divine, Robert A. 17 Dnyaneshwar 267 Dobbert, Guido A. 120 Dollimore, Jonathan 212 Domansky, Elisabeth 26 Donahue, Phil 91 Donahue, William C. XI Dotzauer, Gregor 32 Dreiser, Theodore 135 Drescher, Hans-Georg 112 Droste-Hülshoff, Annette 49 Düding, Dieter 118 Dürer, Albrecht 149 Dulles, Foster Rhea 128 Dursteler, Eric R. 4 Durzak, Manfred 24, 30, 31 Dyreson, Mark 114 Early, Gerald 138 Eberlein, Gustav 107 Ebert, Friedrich 48, 49 Eco, Umberto 82 Eggert, Hartmut 212, 230 Eichendorff, Joseph von 36, 201 Eigler, Friederike 29 Einstein, Albert 145 Eisenhower, Dwight D. 17, 18 Elliott, William Yandell 143, 149, 150 Ellwood, Charles 113 Emerson, Ralph Waldo 130 Emrich, Wilhelm 21, 30 Engels, Friedrich 2 Engler, Bernd 58 Enquist, Anna 88 Enzensberger, Hans Magnus 52, 179, 236, 243, 262 Erasmus von Rotterdam 156 Erhart, Walter 34, 35, 60, 72 Erikson, Erik 2 Erlin, Matt 100 Espagne, Michel 239 Ette, Ottmar 8–10

Falke, Eberhard 165 Featherstone, Mike 10 Fehn, Ann 230 Feinstein, Ellen 200 Fellinger, Raimund 165 Feng, Xiaohu 32, 242 Fern, Edna 118, 121 Ferrero-Waldner, Benita 27 Feuchtwanger, Lion 5, 156 Feuerbach, Anselm 107 Feuerbach, Ludwig 259 Fichte, Hubert 235 Fiedler, Leslie 212 Filliatreau, Ghislaine 75 Finger, Evelyn 32 Fischer, Heinz 27 Fischer, Irma 112 Fischer, Joachim 127 Fish, Stanley 222 Fitzgerald, F. Scott 135, 136 Flaubert, Gustave 83 Fokkema, Douwe W. 213 Ford, Henry 17 Foucault, Michel 220, 222 Fox, Timothy J. 101 Francis, David R. 102, 103, 108, 118 Francis, Rowland 108 Franklin, Benjamin 127–129 Franz Joseph I 108 Franzen, Jonathan 98 Freidel, Frank 144 Freud, Sigmund 2, 3, 22 Frick, Werner XII, 32 Fried, Amelie 88, 89, 90 Friedrich I (preußischer König) 104 Friedrich, Casper David 255 Friedrich, Hugo 22 Friese, Richard 107 Frisch, Max 172 Frischmuth, Barbara 32, 37, 175, 262 Fritz, Anne 100, 106, 107 Frühwald, Wolfgang 63, 230, 240 Frye, Northrop 22 Fuchs, Eckhardt 104, 110 Fuller, Margaret 129–134 Fund, Sven XI, 35

287

288

Namenregister

Gadamer, Hans-Georg 217 Gandhi, Mahatma 266, 267, 269 Gardmo, Maria 100, 112 Gass, William 176 Gauss, Christian 143, 151 Gautier, Théophile 133 Gebhardt, Eduard von 107 Geertz, Clifford 210, 222 Geremek, Bronislaw 27 Gerhard, Dietrich 168 Gerlof, Manuela XI Gilman, Sander 41 Glen, James 104 Gnüg, Hiltrud 32 Goehler, Rudolf 119 Goethe, Johann Wolfgang von XII, 7, 18, 49, 81–83, 97–99, 106, 123, 130, 133, 166, 170, 171, 173, 177, 178, 206, 262, 263, 266 Goldhagen, Daniel 49 Goltz, Anna von der XI Gordon, Avery F. 2, 234 Gore, Albert Arnold 84 Gosebrink, Jean 100 Graevenitz, Gerhardt von 210 Grass, Günter 28, 82, 99, 193, 235, 261–263, 265 Grathoff, Dirk 39 Greenblatt, Stephen 210, 219–221, 230 Greiner, Bernhard 33 Greiner, Ulrich 32 Grimm, Jacob 209 Grimm, Reinhold 18, 41 Gropper, Stefanie 68 Grossberg, Lawrence 210, 230 Grünbein, Durs 32, 98, 179, 180, 182, 183 Gruettner, Mark 200 Grützke, Johannes 177 Gryphius, Andreas 25 Gunning, Tom 105 Gunsenheimer, Antje 10 Guthke, Karl S. 199 Guttmann, Allen 114 Haas, Willy 85 Habermas, Jürgen 166, 207 Hack, Bertold 159

Haeberle, Bettina 100, 116 Hage, Volker 32, 173 Hahn, Anna Katharina 89 Halbwachs, Maurice 2, 3 Hall, Peter A. 229 Hamburger, Käte 217 Hamilton, Esley 100 Hamm-Brücher, Hildegard 240 Handke, Peter 98, 172, 236 Handler, Philip 168, 169 Hanenberg, Peter 26 Hardt, Michael 7 Hardy, John George 114 Harnischfeger, Horst 28 Hartman, Geoffrey 220 Hartmann, Michael 77, 78 Hartung, Manuel J. 63, 70 Hartwich, Horst 32 Hartwig, Ina 32 Hassan, Ihab 212 Hatfield, Henry 21, 24 Haug, Walter 210 Hawthorne, Nathaniel 82, 130 Hayden-Roy, Priscilla 29 Hebbel, Friedrich 10, 240 Hebel, Udo J. 2 Hecker, Friedrich 177 Hecker, Lansing 177 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 209, 215 Heidegger, Martin 22 Heidenreich, Elke 87, 88, 90 Hein, Christoph 98 Heine, Heinrich 8, 81, 133, 262 Heinrich (preußischer Prinz) 104 Helbig, Louis F. 30 Heller, Otto 119, 120 Hemingway, Ernst 135–138, 140 Henrich, Dieter 10 Henrici, Max 120 Hermand, Jost 18, 41 Herter, Ernst 107 Herterich, Ludwig 107 Hesse, Hermann 165, 275 Hexamer, C. J. 120 Himpele, Klemens 78 Hinck, Walter 32, 230 Hinderer, Walter 18, 44, 59, 199

Namenregister

Hirsch, Rudolf 160, 161 Hitler, Adolf 47, 49, 50, 142–144, 146–148, 154–156, 265 Ho Chi Minh 23 Hochhuth, Rolf 262 Hölderlin, Friedrich 34 Hoesslin, Manfred von 28 Hoesterey, Ingeborg 230 Hoffer, Klaus 176 Hoffmann, E. T. A. 129 Hoffmann, Rolf 69 Hofmann, Michael 179, 180, 182, 183 Hofmannsthal, Hugo von 25, 27 Hohendahl, Peter Uwe 18, 39, 41, 42 Hollweck, Thomas 150 Holquist, Michael 4 Homer 81 Honda, Keisuke 252 Honigmann, Barbara 32, 176 Honneth, Axel 11 Horaz 132 Hornborstel, Stefan 70 Hrbek, Rudolf 26 Hu, Jintao 259 Huber, Bernd 58 Humboldt, Alexander von 206, 243, 244 Humboldt, Wilhelm von 63, 65, 71 Hutchins, Robert 66, 67, 145, 147 Huyssen, Andreas 212 Hyde, Sam P. 116 Irving, Washington 129 Iser, Wolfgang 97 Israel, Martin H. 199 Jackson, Theodore 100, 118, 119 Jacoby, Eduard Georg 112 James, Henry 129–135, 139 Jameson, Frederic 6 Jandl, Ernst 32 Janetzke, Gisela 240 Janssen, Peter 107 Jaszi, Oscar 143, 151 Jauss, Hans Robert 230 Jaycox, Emily 100 Jefferson, Thomas 103, 127–129, 256 Jelinek, Elfriede 94

289

Jencks, Charles 212, 254 Joergensen, Sven-Age 197 Johnson, Alvin 143, 151 Johnson, Laurie 29 Johnson, Uwe 138, 165 Jonas, Hans 207 Jordan, Lothar 100 Joslin, Katharine 134 Joyce, James 30, 135, 159 Jung, Carl Gustav 22 Kaelble, Hartmut 26 Kaes, Anton 212 Kästner, Erich 89 Kafka, Franz 18 Kahler, Erich 32 Kaiser, Joachim 87 Kampf, Arthur 107 Kamphausen, Georg 111 Kanin, David 114 Kant, Hermann 168 Kant, Immanuel 112, 161, 270 Kapczynski, Jennifer 9, 42, 138 Karasek, Helmut 86 Kasson, Joy S. 130 Kaube, Jürgen 74 Kaulbach, Friedrich August von 107 Kehlmann, Daniel 83 Kehm, Barbara M. 62, 75 Keller, Ferdinand 107 Kennedy, Gerald 136 Kennedy, John F. 48, 96 Kepel, Gilles 27 Kern, Anne Brigitte 6 Kerouac, Jack 139, 140 Kessler, Michael 31, 163 Kiesel, Helmut 33 Kimmich, Dorothee 72 King, Martin Luther 277 Kirchhoff, Bodo 171, 235 Kissinger, Henry 165 Kleiner, Matthias 58 Kleinfeld, Gerald R. 39, 231 Kleinheider, Julia 100, 120, 121 Kleiß, Marietta 159 Kleist, Heinrich von 21–23, 33, 39, 103, 123, 167

290

Namenregister

Kling, Thomas 179, 180 Klinger, Max 106 Klose, Olaf 112 Klüger, Ruth 36, 37 Knauer, Hermann 105, 107, 116 Knaus, Ludwig 107 Knott, Gregory 100, 108, 109, 183 Knott, Suzuko Mousel 29, 100, 114, 115 Kocka, Jürgen 37 Könneker, Carsten 35, 55 Kohl, Helmut 35, 167 Kohn, Hans 143, 149 Kollwitz, Käthe 106 Kolowich, Steve 67 Konfuzius 259 Koolhaas, Rem 254 Kopp, Hermann 244 Kopper, Hilmar 178 Korsch, Dietrich 65 Kortländer, Bernd 100, 101, 109, 115 Koselleck, Reinhart 167, 230, 237 Koshina, Yoshio 197, 275 Koslowski, Peter 213 Kramer, Lloyd 139 Kraus, Karl 161 Krauss, Angela 32 Krechel, Ursula 175 Kretschmer, Winfried 101 Kreutzer, Leo 13 Kristeva, Julia 38 Kroener, Peter 22 Krüger, Michael 37 Krull, Wilhelm 26, 185 Kuhn, Thomas 217 Kurzke, Hermann 145 Lacan, Jacques 2, 3, 38, 218 LaCapra, Dominick 216, 217 Lämmert, Eberhard 21, 32, 167, 171, 197 Länger, Max 108 Lammenais, Robert 129 Lange, Victor 43, 165 Lash, Scott 10 Latour, Bruno 239 Le Rider, Jaques 213 Learned, Marion Dexter 120 Lehmann, Hartmut 113

Leighton, George R. 101 Lenbach, Franz 107 Lenin, Wladimir Iljitsch 23 Lennartz, Karl 114 Lennox, Sara 218, 219 Lentricchia, Frank 219, 220 Lenya, Lotte 36 Leonard, Mark 27 Lepenies, Wolf 206 Lepper, Marcel 42, 159 Lerous, Pierre 129 Lessing, Gotthold Ephraim 10, 24, 49 Leutenegger, Gertrud 169 Levinas, Emmanuel 10, 11, 13 Lévy, Bernard-Henri 236 Lewald, Theodor 104, 107, 115 Lewin, Tamar 73 Liebig, Justus 243, 244 Liebknecht, Karl 23 Liebrand, Claudia 32 Linke, Angelika 141 Littmann, Ulrich 21 Lobkowicz, Nicolaus 33 Löffler, Sigrid 86 Löfftz, Ludwig 107 Loetscher, Hugo 235 Loomis, Charles 113 Loos, Adolf 254 Loughlin, Caroline 101 Ludendorff, Mathilde 49 Lützeler, Ingrid 261, 270 Lützeler, Paul Michael 7–9, 162–164, 179–185, 233–236 Lukács, Georg 22 Luxemburg, Rosa 23 Lyotard, Jean-François 11, 38, 206, 207, 212, 215 Maasen, Sabine 72 MacShane, Frank 127, 128 Maeda, Ryozo 32, 242, 243 Magris, Claudio 197 Mahoney, Dennis 199 Mallon, Bill 115 Malraux, André 138 Mangold, Ijoma 88, 89 Mann, Elisabeth 145

Namenregister

Mann, Heinrich 5, 24, 156, 262 Mann, Thomas 5, 92, 142–156, 161, 243, 262 Mannheim, Karl 2, 3 Mannweiler, Caroline 100, 113, 114 Manus, Courtney 100, 111 Manzel, Ludwig 107 Mao Tse-tung 23, 254 Marck, Siegfried 144 Marcuse, Herbert 23 Markert, Axel 33 Marquard, Odo 211 Marquardt, Wolfgang 58 Márquez, Gabriel García 82 Marx, Karl 2, 3, 113, 161, 215, 259 Massa, Adriana 242 Matisse, Henri 135 May, Karl 82 May, Morton D. 170 May, Rosa 170 Mayröcker, Friederike 32, 179 Mazzini, Giuseppe 129 McDugall, Walter A. 127 McGaughey, Sarah 29 McLeod, James E. 171 McLuhan, Marshall 176 McMurtrie, Beth 63 McVeigh, Joseph 2 Meier-Graefe Broch, Annemarie 159, 164 Meisel, Hans 144 Mellon, Andrew W. 17 Melville, Herman 130 Menck, Anna Lisa XI Mendelssohn, Peter de 144, 148, 151 Menzel, Adolf von 107 Merkel, Karen 78 Meyer, Alfred G. L. 104 Meyer, Hans-Joachim 68, 69, 77 Meyerheim, Paul 107 Mezö, Ferenc 114 Michelet, Jules 216 Mickiewicz, Adam 129 Micks, Gabriela 132 Midgley, David R. 198 Mies van der Rohe, Ludwig 254 Miller, Henry 135, 137, 140 Miller, J. Hillis 220 Millon, Henry A. 105

291

Minkenberg, Michael 60 Minkin, Bert 101 Mitchell, Breon 24, 30 Mitchell, Terence 65 Mittelstraß, Jürgen 207, 230 Miyoshi, Masao 6 Moïsi, Dominique 27 Molnár, Géza von 199 Moltke, Helmuth von 106 Moltke, Konrad von 26 Mommsen, Katharina 21–23, 37, 178 Mongia, Padmini 234 Montaigne, Michel de 130 Montrose, Louis A. 222, 223 Moravcsik, Andrew 27 Morin, Edgar IX, 2, 4–6 Morris, Wesley 219 Morrison, Toni 91 Morus, Thomas 210 Motzkin, Gabriel 276 Mozart, Wolfgang Amadeus 27 Müller, Herta 8, 236 Münch, Richard 75 Münsterberg, Hugo 110, 112 Mumford, Lewis 143, 146, 148–150, 154 Mussolini, Benito 145 Muti, Ricardo 27 Nadolny, Sten 84, 175, 176 Naipaul, V.S. 98 Napoleon (Kaiser der Franzosen) 103, 130, 169 Negri, Antonio 7 Nehring, Wolfgang 18 Neilson, William Allan 143, 147, 149, 150 Nelson, Cary 230 Newcomb, Simon 110 Newfield, Christopher 2, 234 Newman, Charles 212 Newman, Gail 167 Newman, Otto 155 Newton, Judith 218 Nida-Rümelin, Julian 76 Niebuhr, Reinhold 143, 147, 149, 151–153 Niekerk, Carl 29 Nieraad, Jürgen 276 Nies, Konrad 118 Nietzsche, Friedrich 8, 207, 262

292

Namenregister

Nizon, Paul 174, 175 Nolan, Mary IX, Northcott, Kenneth J. 173 Novalis 167, 262 Nye, John 26, 35 Oates, Joyce Carol 91 Obama, Barack 90 Oellers, Norbert 32 Olbertz, Jan-Hendrik 58 Olbrich, Joseph 108 Oldsey, Bernard 136 Orlowski, Hubert 197 Ortheil, Hanns-Joseph 82, 175 Osten, Manfred 240 Oswald, Ruth A. 2 Ott, Ulrich 42, 185 Oz, Amos 177 Pande, Ayesha 182 Papenfuß, Dietrich 272 Paret, Peter 103, 106 Park, Robert 113 Paulmann, Johannes 101 Paulsen, Friedrich 112 Pazarkaya, Yüksel 176 Pazi, Margarita 197, 276 Pechter, Edward 212 Peck, Jeffrey 232 Pedretti, Erica 174, 175 Peng, Cheah 6 Pérez, Juliana 243 Petermann, Cornelia 200 Pfeiffer, Heinrich 240 Philibert, Edmund 116 Picht, Georg 55 Picht, Robert 26, 60 Pinochet, Augusto 49 Pius IX 129 Plassnik, Ursula 27 Platon 67, 130 Poag, James P. 24 Poage, George 114 Pound, Ezra 135 Preetorius, Emil 117, 121 Primm, James Neal 101 Prodger, Philip 100

Prömel, Hans Jürgen 73 Profitlich, Ulrich 212, 230 Puntscher Riekmann, Sonja 27 Pusack, James 39 Radeljkovi´c, Zvonimir 136 Radisch, Iris 32, 87 Räuber, Wilhelm 107 Rau, Ernst 119 Rauch, Neo 255 Raulet, Gérard 213 Raulff, Ulrich 42, 44, 45 Rauschning, Hermann 147 Rectanus, Mark 29 Reich-Ranicki, Marcel 86–88, 90, 178 Reichmann, Eberhard 28 Reid, T. R. 141 Reinalter, Helmut 205, 207 Reiser, Marius 64 Remak, Henry H. H. 25, 41, 232 Renz, Horst 112 Reynolds, Larry J. 130 Rice, Alan 134 Richter, George 117, 121 Richter, Gerhard 255 Richter, Heimo 269 Rickert, Heinrich 205 Ricœur, Paul 2, 3, 9 Rieger, Reinhold 34 Riemen, Rob 27 Rifkin, Jeremy 140, 141 Riley, Anthony W. 197 Rilke, Rainer Maria 165, 170 Robbins, Bruce 6 Roberts, David 197, 272, 274 Rockefeller, John D. 17 Roes, Michael 82 Rogers, Howard J. 110–112 Rollmann, Hans 112 Rood, Karen Lane 136 Roosevelt, Franklin D. 144, 156 Rorty, Richard 217 Rosenberg, Alfred 49 Ross, Edward 113 Roth, Guenther 113 Roth, Philip 82, 98 Rowan, Steve 100

Namenregister

Rüdiger, Vera 171 Rüsen, Jörn 37, 230, 270 Ruland, Richard 127 Ruquist, Rebecca 138 Rushdie, Salman 82, 98 Ryan, Judith 173 Ryder, Frank 21, 24, 25, 29, 40 Saalberg, Harvey 121 Sadlak, Jan 75 Said, Edward W. 11, 262 Salvemini, Gaetano 143, 149 Sammons, Christa 162 Sand, George 129 Sander, Volkmar 166 Sartorius, Joachim 240 Sartre, Jean Paul 2, 3, 22, 137, 138 Sbragia, Alberta 26 Schaich, Eberhard 35 Scharmann, Rudolf G. 104 Scherpe, Klaus R. 212, 230 Schiel, Tobias 200 Schiller, Friedrich 81, 82, 119, 178 Schily, Konrad 60 Schimank, Uwe 65 Schlegel, August Wilhelm 262 Schlegel, Friedrich 262 Schlink, Bernhard 88, 91, 99 Schmeling, Manfred 6 Schmid, Thomas 234 Schmidt-Dengler, Wendelin 32, 173 Schmidt, Harry 198 Schmidt, Helmut 243 Schmitz-Emans, Monika 6 Schmitz, Helmut 10 Schmoll, Heike 68 Schneider, Karl Ludwig 31, 32 Schneider, Peter 24, 175, 176, 236 Schneiderhahn, Edward 116 Schoeller, Wilfried 32 Schöne, Albrecht 43 Schott, Walter 107 Schröder, Gerhard 178, 269, 270 Schröder, Jürgen 33 Schroeter, Juliane 100, 104, 105 Schuch, Werner 107 Schüssel, Wolfgang 27

293

Schütte, Georg 240 Schuldt, Wiebke XI Schulte-Sasse, Jochen 199 Schultz, Tanjev 64 Schurz, Carl 118, 123, 177 Schuster-Woldan, Georg 107 Schwan, Gesine 60 Schwarz, Egon 36, 37, 41, 42, 143, 168, 170, 171, 175, 261 Schwarz, Helmut 240 Schwarze, Jürgen 26 Schweppenhäuser, Hermann 23 Scott, Walter 129 Sedgwick, Eve Kosofsky 38 Seeba, Hinrich C. 199 Seebacher-Brandt, Brigitte 178 Seeber, Ursula 261 Seibt, Gustav 64 Seiler, Hans 200 Seling, Irene 65 Semprún, Jorge 177 Seydlitz, Friedrich Wilhelm von 107 Shakespeare, William 130, 210, 221 Sherman, Harry 92 Shore, Elliott 117 Sieg, Ulrich 65 Simmel, Georg 2 Simo, David 13, 241 Sinfield, Alan 212 Singh, Manmohan 270 Sittler, Walter 89 Sloterdijk, Peter 236, 262 Small, Albion 110, 112, 113 Smolen, Lynn Atkinson 2 Sneddeker, Diane R. 101 Snow, C. P. 205 Sobel, Andrew 26 Soethe, Paulo 243 Sokel, Walter 41 Solana Madariaga, Francisco Javier 27 Sombart, Werner 110, 113, 114 Sommer, Theo 26 Sophie Charlotte (preußische Königin) 104 Speck von Steinburg, Maximilian 118 Spiewak, Martin 63, 68 Sprengler, Oswald 144 Stahl, John Daniel 131

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Namenregister

Staiger, Emil 223 Stalin, Joseph 23, 155 Starker, Janos 28 Stegen, Johanna 107 Stehle, Rolf 127 Stein, Gertrude 134–136, 140 Steinecke, Hartmut 32 Steinmetz, Otto 28 Steinwachs, Burkhart 230 Stendhal 133 Stensaker, Bjoern 75 Stern, Guy 36, 37 Stibral, Adalbert von 108 Stich, Michael 84 Stichweh, Rudolf 74 Stockbridge, Frank Parker 104 Stowe, Harriet Beecher 130 Stowe, William W. 133 Strauss, Roger 165 Strohschneider, Peter 70 Strübel, Michael 26 Stuck, Franz von 106 Studer, Brigitte 26 Süskind, Patrick 99, 276 Suhrkamp, Peter 174 Swedenborg, Emanuel 130 Szöllösi-Brenig, Vera 81, 179–185 Takahashi, Teruaki 167, 241, 242, 247, 275 Talgeri, Pramod 32, 240, 241, 265, 269, 271 Tanner, Jakob 141 Tatar, Maria 230 Tatlock, Lynne 39, 100, 199 Tawada, Yoko 248 Taylor, Charles 2, 11, 119, 234 Teichler, Ulrich 60 Tenorth, Heinz-Elmar 65 Theis, Adolf 33–35 Thiel, Elke 26 Thiess, Frank 161 Thomas, William 113 Thornton, Thomas 166 Thumfart, Alexander 72 Tiedemann, Rolf 23 Tilak, Bal Gangadhar 267 Timm, Uwe 28, 32, 98, 235 Tinberg, Nalsey 74

Titz, Christoph 72 Tocqueville, Alexis de 216 Tönnies, Ferdinand 110, 112, 113, 122 Treichler, Paula A. 230 Trilling, Lionel 248 Troeltsch, Ernst 110–113 Trommler, Frank 2, 117 Turner, Victor 222 Twain, Mark 82, 130–133, 135, 175 Unseld, Hildegard 169 Unseld, Joachim 172 Unseld, Siegfried 37, 159–178, 200 Unseld-Berkéwicz, Ulla (siehe: Berkéwicz, Ulla) Updike, John 82 Valentine, Daniel E. 232 Vansant, Jacqueline 261 Vargas Llosa, Mario 167, 177 Vattimo, Gianni 212, 215 Vedda, Miguel 243 Veeser, Aram 222 Vergil 81 Vietta, Silvio 26 Vike-Freiberga, Vaira 27 Viktoria Luise (preußische Prinzessin) 107 Villepin, Dominique de 27 Vitzthum, Wolfgang Graf 26 Voegelin, Eric 150 Vogt, Jochen XI Vollhardt, Friedrich 205 Wagner, Richard 106, 170, 236 Wailes, Stephen L. 199 Walker, John Brisben 109 Walser, Martin 165, 172, 177 Walstra, Kerst 6 Wapnewski, Peter 24, 63 Warner, Michael 38 Weber, Marianne 111 Weber, Max 110–113, 122 Weber, Regina 74 Wechsler, Leila 26 Weck, Roger de 27 Wegelin, Christof 133 Wegmann, Nikolaus 45 Wegner, Matthias 143

Namenregister

Weidenbaum, Murray 26 Weidenfeld, Werner 26, 35, 46, 167, 232 Weidermann, Volker 32 Weiler, Hans N. 75 Weingart, Brigitte 35 Weingart, Peter 72 Weinrich, Harald 98 Weinzierl, Ulrich 32, 173 Weisrock, Katharina 205 Weissberg, Liliane 45 Weisstein, Ulrich 24, 30 Weizsäcker, Carl Friedrich von 209 Wellbery, David 45 Welsch, Wolfgang 10, 207, 209, 213, 234 Werner, Anton von 106, 107, 116 Werner, Michael 99, 100, 239 West, Cornel 217 Wetzell, Richard F. XI Wharton, Edith 132, 134, 135 White, Hayden 216, 217 Whitman, Walt 130, 132 Wiarda, Jan-Martin 68, 70 Wierlacher, Alois 227, 237 Wihl, Gary 26 Wiley, John C. 156 Wilhelm I. (deutscher Kaiser) 107 Wilhelm II. (deutscher Kaiser) 47, 50, 103–108, 116, 123

Will, Katherine Haley 66 Willson, A. Leslie 165, 177 Winall, Leslie 100, 115–116 Winfrey, Oprah 90–92 Wintermantel, Margret 78 Wirsching, Andreas 26 Wirtz, Verena XI Witte, Johanna 75 Wittke, Carl 121 Wittstock, Uwe 212 Wogenstein, Sebastian 35 Wright, Richard 138, 139 Ying, Ning 197, 241 Yourcenar, Marguerite 82 Zabel, Morton Dauwen 134 Zacharasiewicz, Waldemar 135 Zhang, Yushu 167, 241, 276 Zeeh, Burgel 167, 169, 171–174, 178 Zeh, Julie 83 Ziethen, Hans Joachim von 107 Zimmer-Loew, Helene 39, 199 Ziolkowski, Theodore 41 Zitt, Michel 75 Zoysa, Richard de 155 Zweig, Stefan 5, 156, 276

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