Tibull: Gedichte [5., unveränderte Auflage, Reprint 2021]
 9783112581308, 9783112581292

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SCHRIFTEN UND QUELLEN DER ALTEN WELT HERAUSGEGEBEN VOM ZENTRALINSTITUT FÜR ALTE GESCHICHTE UND ARCHÄOLOGIE DER AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN DER DDR

BAND 2

TIBULL GEDICHTE

LATEINISCH UND DEUTSCH VON RUDOLF HELM

5., unveränderte Auflage

AKADEMIE-VERLAG • BERLIN 1984

Redaktor der Reihe: Günther Christian Hansen Redaktoren dieses Bandes: Erika Behrend, Bernhard Döhle und Gerhard Perl

Erschienen im Akademie-Verlag, DDR-1086 Berlin, Leipziger Str. 3—4 © Akademie-Verlag Berlin 1958 Lizenznummer: 202 • 100/130/84 Printed in the German Democratic Republic Herstellung: VEB Druckerei „Thomas Müntzer", 5820 Bad Langensalza LSV 7385 Bestellnummer: 750 700 1 (2066/2) 01350

VORWORT ZUR 1. AUFLAGE

Von den beiden römischen Elegiendichtern Properz und Tibull ist dieser der dem empfindsamen Menschen Näherstehende; seine weiche Sprache und seine zarten Töne verfehlen in gleichgestimmten Herzen kaum ihre Wirkung. Bei dem Modernen, der von soviel Streit und Krieg erschüttert ist, muß auch seine innige Friedenssehnsucht lebhaften Widerhall finden. Die Sammlung, die unter seinem Namen geht, gehört jedoch nur zum Teil Tibull selber. Ein Nachahmer, der nicht entfernt an ihn heranreicht, ein in rhetorischem Muster befangenes Lobgedicht auf Messalla und ein kleiner Elegienkranz der Nichte Messallas nebst dem, was Tibull selbst diesem zugefügt hat, sind den beiden Büchern angeschlossen. Gerade in diesem letzten Teil der Sammlung ist uns ein seltenes Juwel antiker Lyrik erhalten, an dem man auch jetzt noch seine Freude haben kann. So darf diese Ausgabe noch immer auf das Interesse von Lesern rechnen, obwohl ein besonderer Reiz, der flüssige, geschmeidige Versbau, in der Übersetzung nicht völlig zur Geltung kommt. Zugrunde liegt im allgemeinen bis auf einzelne Änderungen die Teubnerausgabe von F. W. Lenz, der dankenswerterweise auch zur handschriftlichen Überlieferung Auskunft gegeben hat. Dankbar ist auch der Tätigkeit des Redaktors Dr. Perl zu gedenken, der den kritischen Apparat in die für diese Ausgaben gewünschte kurze Form zusammengezogen und die /"Übersetzung durch seine Kritik mehrfach gefördert hat. R. Helm

VORWORT ZUR NEUAUFLAGE

Wenn heute eine überarbeitete Neuauflage der Gedichte des Tibull vorgelegt wird, so geschieht das auf Grund der vom Übersetzer in seinen letzten Lebensjahren selbst vorgenommenen Veränderungen. Sie erstrecken sich auf Einleitung, Gedichte und Erläuterungen und zeigen nicht nur das Bemühen des Autors um den neuesten Stand der Forschung, sondern auch sein Bestreben, die Übersetzung weiter zu glätten und damit den Dichter für den modernen Leser lebendiger zu machen. Rudolf Helm starb 1966, fast 95jährig. Die Überarbeitung der TibullAusgabe war seine letzte größere Arbeit. So mag sie als Zeichen dafür stehen, daß hier ein Mann am Werke war: unermüdlich im Dienst an seiner Wissenschaft, nie zufrieden mit dem Erreichten — zwar seiner Zeit verhaftet, aber allem Neuen aufgetan. Erika Behrend

INHALT

Einleitung . . .

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1. Buch (Delia) 1. Frieden und Liebe 2. Vergeblicher Trost beim Wein 3. Sehnsucht des Kranken 4. Vortrag des Priap 5. Bitte um Versöhnung 6. Zweifel und Flehen 7. Zum Geburtstag Messallas 8. Bitte des Dichters für seinen treulosen Liebling Marathus bei dessen Geliebter . . . . . . . ; 9. Erlösung 10. Friedenssehnsucht

52 56 60

2. Buch (Nemesis) 1. Ländliches Fest . . . 2. Geburtstagsglückwunsch 3. Klage über die Trennung von der Geliebten 4. Die geldgierige Geliebte 5. Zu Ehren des Sohnes Messallas 6. Hoffen und Bangen

66 70 72 76 80 88

20 24 30 34 40 44 48

3. Buch Lygdamusgedichte 1. Feier am 1. März 2. Verzweiflung 3. Vergebliches Hoffen 4. Ein Traum 5. Krankheit und Todesahnung 6. An Bacchus

92 94 94 98 102 104

4. Buch Unbekannter Verfasser 1. Loblied auf Messalla

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Lieder der Sulpicia 8. 9. 12. 11. 10. 7.

Verhinderte Geburtstagsfeier Erlösung Geständnis Sorge der Kranken Eifersucht Erfülltes Sehnen

122 122 122 122 124 124

Tibull zum Liederkranz der Sulpicia 2. Feier am 1. März . . . 3. Angst um den Geliebten 4. Gebet für die kranke Geliebte 5. Geburtstag des Geliebten 6. Geburtstag des Mädchens

124 126 128 128 130

Tibulls eigene Liebe 13. Gelöbnis 14. Böses Gerücht

132 132

Aus Suetons Lebensbeschreibung

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Erläuterungen

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EINLEITUNG Die Sammlung, welche unter dem Namen Tibulls geht, enthält eine Anzahl von Gedichten verschiedener Verfasser. Das Band, das sie zusammenhält, ist die Beziehung zu dem Kreise des M. Valerius Messalla Corvinus, der als vornehmer, hochgebildeter Mann jüngere Talente um sich sammelte wie gleichzeitig Maecenas, um so zum Ruhm des Augustus und zur Festigung und Blüte des jungen Staates beizutragen. Bis auf das eine Loblied auf den hohen Gönner sind alle so vereinigten Gedichte im elegischen Distichon verfaßt, in dem aus Hexameter und Pentameter gebildeten daktylischen Versmaß, das, durch seine Form für zugespitzte Gegensätze besonders geeignet, zumal im Epigramm, auch in der deutschen Poesie sich Heimatrecht erworben hat und für uns durch Schillers „Spaziergang" und Goethes „Römische Elegien" geadelt ist. Zunächst war für die Form der Inhalt nicht maßgebend. Solons politische Mahnungen, Tyrtaios' anfeuernde Kriegslieder, Mimnermos' liebeshungrige Lebenslust, Theognis' erfahrene Spruchweisheit haben in diesem Versmaß ebenso Ausdruck gefunden wie die Klage um Verstorbene, selbst wenn entsprechend der im Altertum herrschenden Anschauung dies der ursprüngliche Charakter der Elegie gewesen ist; und später tritt die erotische Mythenerzählung hinzu. Wie weit die rein erotische Elegie der Römer, die Wiedergabe eigener Empfindung und eigenen Erlebens, in der hellenistischen Dichtung Vorbilder gehabt hat, ist eine offene Frage. Das erste Beispiel in der römischen Poesie bietet das in seiner Schlichtheit ergreifende Gedicht Catulls (76), in welchem er seiner verlorenen Liebe nachtrauert und die Götter um Erlösung von der Qual bittet, die seine Seele bedrückt. Aber Catull hat in seinen Liedern auch andere Formen gewählt, und die eigentlichen Vertreter dieser Dichtungsgattung sind bei den Römern Tibull und Properz; Properz der kraftvollere und vielseitigere, der Goethes Begeisterung wecken konnte, auch die Beziehung zur hellenistischen Elegie deutlicher in der Verwendung der Mythologie verrät; Tibull der weichere, sentimentalere, aber auch der flüssigere in der Form und der Vollender des römischen Elegienstiles, der dem kritischen Sinn Quintilians als der gefeilteste und der geschmackvollste der römischen Elegiker erschien (inst. or.

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10, 1, 93 elegia quoque Graecos provocamus, cuius mihi tersus atque elegans maxime videtur auctor Tibullus; sunt qui Propertium malint). Albius Tibullus entstammte dem Ritterstande, d. h. er besaß das für diesen erforderliche Vermögen. Der Landbesitz seiner Väter war einst noch größer gewesen, aber, offenbar im Verlauf der politischen Ereignisse durch die Landanweisungen, wesentlich verkleinert worden. Arm war er deshalb noch nicht, und wenn er die Armut preist, so darf man darunter nur ein behagliches Auskommen verstehen. Die von ihm gezeichnete Szene des kleinen Buben, der vor dem Hausaltar zu Füßen der Laren sich tummelt und seine Spiele treibt, läßt ein Bild häuslicher Gemütlichkeit vor unseren Augen erstehen. Auch von Ansehen ein schmucker Jüngling, fand Tibull in dem Hofstaat, den der wenig ältere Messalla um sich bildete, eine Aufnahme. Hingebende Freundschaft zu ihm spricht aus mehreren Gedichten. Mit ihm hat er den Feldzug nach Aquitanien mitgemacht, mit ihm wollte er auch in den Osten ziehen, als er in Korkyra krank zurückbleiben mußte. Ihm hatte er das Geburtstagsgedicht gewidmet, das des Freundes Verdienste im Krieg und im Frieden verherrlicht; und wenn er sich eine Grabschrift ersinnt, so hebt er hervor, daß er ein treuer Gefolgsmann Messallas gewesen sei. Ihn denkt er sich am liebsten als Besucher in seinem idyllischen Heim, sorgsam umhegt in dem Haus, welches die Anwesenheit der eigenen Geliebten verschönt und traulich macht. Aufrichtige Verehrung wird zu inniger Freundschaft; „mein Messalla" sagt er von ihm, wo er in der dritten Person von ihm spricht, und in dem Zusatz des Pronomens liegt die ganze Innigkeit des Empfindens gegenüber dem anderen. Wie er stolz darauf ist, Zeuge seines Sieges in Aquitanien gewesen zu sein, so klagt er darüber, daß seine Erkrankung ihn hindert, ihm durch das Meer in den Osten zu folgen, und bittet ihn, er und sein Gefolge möchten ihm ein tr?u Gedenken bewahren. Messallas Sohn beglückwünscht er, als dieser in das Fünfzehnmänner-Kollegium aufgenommen war, welches die Sibyllinischen Bücher betreute. Aber wenn er dem Jüngling eine ruhmreiche Laufbahn verheißt und ihn im Geiste dereinst im Lorbeerkranz als Sieger heimkehren sieht, so denkt er zugleich des Vaters, der dann dem vorüberziehenden Wagen des Triumphators in berechtigtem Stolze Beifall zollt. Doch kaum ist etwas charakteristischer für das herzliche Verhältnis des Dichters zu dem Gönner und Freunde, als daß er bei dem ländlichen Fest, das er am Anfang des zweiten Buches schildert, die Seinen auffordert, ein jeder solle auf das Wohl des fernen Messalla sein Glas leeren; so drängt sich dessen Bild bei all seinen Gedanken ihm vor. Die enge Beziehung zu diesem Kreise verrät auch der Anteil, welchen Tibull an dem Liebesroman der Sulpicia, der Nichte Messallas, genommen hat, den er selber mit einer Anzahl Elegien begleitet hat. Außer Messalla tritt uns nur noch ein Cornutus in den Gedichten entgegen, dem ein kurzer und in seiner Schlichtheit schöner Geburtstagsglückwunsch gewidmet ist; in einer anderen Elegie wird er vom Dichter zum Vertrauten seiner unglücklichen Liebe gemacht. Seine Person-

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lichkeit jedoch zu bestimmen ist nicht gelungen: die schon von den Alten vorgenommene Identifizierung mit dem Geliebten der Sulpicia, Cerinthus, findet in nichts eine Unterstützung und ist allgemein bestritten worden. Neben diesen Personen begegnen uns außer der vorübergehend erwähnten Mutter und Schwester nur noch drei in Tibulls Gedichten; es sind diejenigen, mit denen ihn zeitweilig Fesseln der Liebe verbanden, Delia, Nemesis und der junge Marathus. Man muß sich bei der Beurteilung dieser Verhältnisse frei machen von jeder romantischen Schwärmerei des Nordländers, der die Geliebte hofft als Ehegemahl und Lebensgefährtin in sein Haus zu führen, obwohl auch davon etwas bei Tibull in seinem Verhältnis zu Delia zu finden ist; aber noch mehr muß man die moralischen Anschauungen des modernen Menschen hinter sich lassen, wie sie das Christentum erweckt hat und pflegt. Gleichgeschlechtige Beziehungen sind im Altertum nicht verpönt gewesen, wenn es sich nicht nur um käufliches Entgegenkommen handelte, sondern galten als etwas Selbstverständliches; sie bestanden selbst neben anderer legaler oder illegaler Liebe. In Griechenland hatte die Knabenliebe, die im Verhältnis des Zeus zu Ganymed schon von der älteren Sage verklärt ist, weite Verbreitung gefunden und war bei den Dorern aus sozialpolitischen Gründen sogar gesetzlich und religiös als Einrichtung anerkannt. Dort fand sie zum Teil ihre Erklärung aus dem Lagerleben, wie ja noch Grimmelshausen in seinen Bildern vom Dreißigjährigen Krieg stets „Huren" und „Buben" zusammenstellt. Edlere Geister umgaben sie unter Zurückdrängung des rein Sinnlichen mit einem Mantel von Idealismus und Schwärmerei, und so tritt sie uns in Piatons „Gastmahl" entgegen, wo der Eros eigentlich nur die Liebe des Mannes zum Knaben oder Jüngling betrifft. In Rom entbehrte sie dieser verherrlichenden Verkleidung wohl gänzlich, und schamhaftes Verbergen sinnlichen Verlangens war überhaupt nicht Sache der Alten. Wir haben deshalb keinen Grund, an der Existenz des in den Tibullischen Gedichten erscheinenden Marathus zu zweifeln und an der Wirklichkeit der darin vorausgesetzten Situationen. Die Leidenschaft des Dichters, die heiligen Schwüre des Geliebten und der Treubruch, den er beging, verführt durch reichere Gaben eines Rivalen, der Kummer und die Empörung des Verlassenen, die Verwünschung des Verführers, alles ist nicht ein Erzeugnis der Phantasie oder einer rein literarischen Nachahmung, sondern ein wahres Erlebnis. Daß der neue Liebhaber des Jungen schon bejahrt ist, drückt allein schon dem Ganzen den Stempel der Wirklichkeit auf, noch mehr aber, was wir weiter über ihn hören; wenn dem Alten zur Strafe Unglück und Zwietracht in seiner Ehe gewünscht wird, so könnte das wohl noch ein literarisch übliches Motiv sein; wenn jedoch seiner Gattin eine trunksüchtige und verbuhlte Schwester zugeschrieben wird, die nun von der untreu Gewordenen an lockerem Lebenswandel noch übertroffen werden soll, wie oder warum sollte der Dichter auf solchen Gedanken verfallen, wenn er ihm nicht durch die tatsächlichen Verhältnisse gegeben war?

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Etwas anders steht es mit Pholoe, bei welcher der Dichter für seinen Geliebten selbst den Vermittler gespielt haben will; und doch liegt auch hier kein Grund vor, aus moderner sittlicher Voreingenommenheit nur eine Erfindung des Dichters oder ein Anpassen an irgendein griechisches Vorbild darin zu sehen. Uns wird die Vorstellung immer verletzen: ein Knabe noch, dessen jugendliche Schönheit den Dichter fesselt, beginnt ein Verhältnis mit einem anderen, den zum Entgelt seine Frau betrügt, um sich durch eigene Liebschaften schadlos zu halten; oder: der Knabe, ob derselbe oder ein anderer — denn der Name ist hier nicht genannt —, genug, der Liebling des Dichters entbrennt in Liebe zu einem Mädchen, und der Dichter gibt sich zum Fürsprecher bei der Spröden her, unbeschadet seiner eigenen Neigung; aber hätte Tibull in der Welt, die ihn umgab, Abscheu vor derartigen Erscheinungen wahrgenommen oder selber gehabt, weil er von höherer sittlicher Reinheit war, so hätte er dies Motiv ja überhaupt nicht zu bringen brauchen. Nur was ihm selber nicht anstößig war, konnte der lyrische Dichter in dieser Weise verwerten. Dann aber ist unberechtigt, Tibull nach unseren Begriffen zu messen und etwa, um seine edle Empfindungswelt nicht zu verdunkeln, das, was er in Worten offen sich zuschreibt, seinem Handeln abzusprechen. Wirkliche Personen, denen er in Liebe zugetan war, freilich auch hier nicht in edler Schwärmerei, sondern in unverhüllter Sinnlichkeit, sind auch die beiden Frauengestalten, die uns in seinen Elegien erscheinen. Wohl mag hier Wahrheit und Dichtung ineinanderspielen, aber daß Delia existiert hat, ist noch nie bezweifelt worden, da Apuleius(apol. 10) uns sogar ihren wirklichen Namen Plania überliefert hat, und für Nemesis zeugen wie bei Marathus die in die Dichtung verwobenen realen Einzelheiten. Störend ist für uns freilich das scheinbare Durcheinander bei Delia, die bald als ledig, bald als verheiratet erscheint; auch sie gibt den Verlockungen eines Reicheren nach, die eine Kupplerin vermittelt hat. Auch als Vermählte, falls hier wirklich an eine rechtlich geschlossene Ehe gedacht werden muß, scheint sie aber die Beziehungen zum Dichter nicht abgebrochen zu haben; klagt er doch, daß er vor ihrer Tür umsonst um Einlaß flehen muß; und selbst einen jugendlichen Nebenbuhler hat der Dichter bei Delia, obwohl sie sich in festen Händen befindet. Ist aber hier etwas Verschwommenes in der Gestaltung der verschiedenen Situationen, das die Verarbeitung herkömmlicher Motive vermuten lassen könnte, eines spricht wieder für die Wirklichkeit, das ist die Erwähnung der Mutter der Geliebten, der sich der Dichter zu heißem Danke verpflichtet weiß, weil sie seine Liebe treulich unterstützt und ihm die Wege geebnet hat; und während die Bezeichnung „Mann" und „Gatte" immerhin vieldeutig sein kann, weil vielleicht auch bei losen Verhältnissen verwendet, hier läßt die klare Bezeichnung von Mutter und Tochter keinen Zweifel aufkommen. Bei der Nemesis, mag auch der Name mit Absicht gewählt sein, um symbolisch das Leid der Liebe zu bezeichnen, ist erst recht gesichert, daß es sich

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nicht um eine Phantasiegestalt handelt, um welche der Dichter etwa eigene Erlebnisse gruppiert hat, sondern daß sie eine Person von Fleisch und Blut war, die sein Leben freilich mehr getrübt als erhellt hat; denn, aus den drei Gedichten, welche sie angehen, klingt nicht ein einziges Mal ein etwas hoffnungsfreudigerer Ton. Die Kupplerin Phryne, welche der Habgierigen die Liebhaber zuführt, kann literarischen Vorbildern ihre Existenz verdanken; aber wenn der Dichter die hartherzige und ungetreue Geliebte bei den Gebeinen ihrer verstorbenen Schwester beschwört, so fassen wir hier doch ein Stück wirklichen Lebens; hören wir doch von ihrer Todesart, wie die Kleine nach einem unglücklichen Sturz aus dem Fenster blutüberströmt liegen blieb und so dem Leben vorzeitig entrissen wurde. Der Liebestraum des Dichters, soweit er aus den Elegien erschlossen werden kann, seine Teilnahme an den Feldzügen im Gefolge Messallas, seine Erkrankung in Korkyra, das ist das einzige, was wir vom Leben Tibulls wissen. Daß er mit den Poeten seiner Zeit in Verbindung gestanden hat, ist anzunehmen; von Horaz erfahren wir es aus dessen Gedichten; denn er tröstet ihn nicht in einer unglücklichen Liebe zu einer Glycera (carm. 1, 33), sondern schätzt ihn auch als gewissenhaften und aufrichtigen Kritiker seiner Satiren (epist. 1, 4). Die Kenntnis, daß er jung gestorben ist, gewinnen wir aus einem uns überlieferten Epigramm, in welchem sein zeitiger Tod mit dem im Jahre 19 v. Chr. erfolgten des größten römischen Epikers, Virgil, zusammengestellt ist (s. u. S. 134). Für den bedeutendsten römischen Elegiker erklärt die kurze erhaltene Biographie unseren Dichter (u. S. 134), und als solcher hat er schon dem Altertum gegolten. Die Innigkeit seiner Empfindung, sobald er sich idyllischer Stimmung hingibt, die schlichte, von dem Ballast alexandrinischer Gelehrsamkeit freie Einfachheit, die zarte Weichheit und das Träumerische seines Wesens lassen übersehen, was etwa an hergebrachten Motiven in dieser Poesie zu finden ist, lassen uns auch zeitweise vergessen, daß nicht alles wahres Gefühl ist. Er malt es so lebhaft aus, wie er, die Liebste im Arm, drinnen am wärmenden Feuer sitzt, während draußen der Sturm tobt und der Regen herniederprasselt. Es ergreift uns, stellt er sich in eitlen Wünschen vor, wie die Geliebte auf seinem Gute die Hausfrau spielt, die Ernte bewacht, des Abends das heimkehrende Vieh zählt oder das Sklavenkind im Schöße hält und mit ihm spielt und wie es für ihn den Gipfel der Freude bedeuten würde, wenn dann sein Messalla erschiene und sie ihm geschäftig und sorgsam das Mahl bereiten könnte; so schließt er den teuren Freund in die Träume seiner Liebe mit ein. Es ist auch ein rührendes Bild, wenn er schildert, wie er gemeinsam mit ihr nach der Feldarbeit oder beim Hüten der Herde draußen ruhen möchte und ihm dann selbst der harte Boden zum weichen Polster werden würde. Es geht uns zu Herzen, wenn er sich wünscht, falls seine letzte Stunde naht, mit der erschlaffenden Hand noch die ihre zu halten und beim Abschied vom Leben ihr Antlitz zu schauen. Und wie voll intimster Reize

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ist die Szene, die er bei seiner Krankheit in der Fremde für seine Heimkehr sich ersehnt: Delia sitzt unter den Mägden, die Lampe brennt, die Alte, die zur Obhut bestellt ist, erzählt Geschichten, die Mädchen verrichten fleißig ihr Tagewerk, bis vor Ermüdung die Arbeit ihren Händen entgleitet; da erscheint er unverhofft, der Ferngeglaubte, und ohne Zaudern, mit aufgelöstem Haar und nackten Füßen, eilt die Geliebte, sobald sie ihn hört, ihm entgegen. Wie immer wieder in Tibulls Gedichten der Gedanke an die friedlichen Freuden des Landlebens auftaucht, so verweilt er gern bei der Darstellung seiner Feste, und der Schilderung der ländlichen Sühnefeier hat er eine eigene Elegie gewidmet, in welcher das Land mit all seinen Aufgaben als Ausgangspunkt aller Kultur gepriesen wird, aber in leichtem Übergang von der Brunst der Tiere zu der Liebe der Menschen auch ^mor zu seinem Rechte kommt. Stimmungsvoll aber und mit Versen, die des wahren Dichters würdig, schließt das Gedicht mit der Beschreibung der nahenden Nacht, in deren Gefolge in üppigem Reigen die leuchtenden Sterne erscheinen, und nach ihnen kommt mit düsterem Fittich der Schlaf und schwankenden Fußes die dunklen Träume. Tibull ist der Dichter des Friedens. Obwohl sein Schicksal ihn dazu verurteilt hat, den hohen Freund in den Krieg zu begleiten, verabscheut er die Waffen und den Ruhm, der aus den Schlachten erwächst, verschmäht auch den Reichtum, den die Kriegsbeute ihm bringen könnte. In romantischer Sehnsucht möchte er sich in das goldene Zeitalter versetzt sehen, als es noch Schwerter, Wälle und Burgen nicht gab. Die Gedanken an Frieden, Landleben und Liebe schlingen sich in eins. Fern allem Kampf möchte er auf seinem Gut altern und dort als Greis einem andern Geschlecht von vergangenen Zeiten erzählen. Im Gedicht an Messalinus verweilt er bei den Urzuständen Latiums, als Rom noch nicht gegründet war und an der Stätte noch Herden weideten, ländliches Treiben herrschte und einfache, schlichte Verhältnisse die Menschen miteinander verbanden. Es ist ja bezeichnend: mythologische Beziehungen meidet der Dichter im Gegensatz zu Properz. Außer der Schilderung des Tartaros mit den berühmten Büßern und der Anspielung auf die Hochzeit von Peleus und Thetis, welche Catull zu Ehren in Erinnerung an dessen Epyllion (64) angebracht ist, findet sich nur eine mythologische Szene in allen Gedichten, und sie bietet ein liebliches Idyll: Apoll im Dienste Admets, wie er die Rinder hütet, für Melken und Käsebereitung sorgt und ein verirrtes Kälbchen auf den Schultern nach Hause trägt, das Ganze nicht ohne ein gewisses Maß von Schalkheit und Humor. Humor muß man überhaupt bei manchen Gedichten mitempfinden und sich von sentimentaler Regimg frei machen, um sie recht zu verstehen. Schon der Wunsch, Wölfe und Diebe möchten sich lieber aus großen Herden ihre Beute holen statt aus der kleinen des Dichters, wirkt komisch und erinnert stark an das an den heiligen Florian gerichtete Gebet: „Geh unser Haus vorüber, zünd' andre Häuser an"; von dem aufgeklärten Dichter kann es kaum im

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Ernste gesagt sein. Wenn der Verliebte, der vor der Tür des Mädchens umsonst auf den ihm versagten Einlaß harrt, sich selbst als Torwächter bezeichnet, so ist das mit tiefer Empfindung ebensowenig zu vereinen, wie wenn er an anderer Stelle die Tür um Verzeihung bittet, weil er Schmähungen gegen sie ausgestoßen hat, und zum Entgelt fordert, die Verwünschung möge auf sein eigenes Haupt zurückfallen; wenn auch die Personifikation der Tür für die Komödie nicht auffällig ist und ein bekanntes Catull-Gedicht (67) das Vorbild abgeben konnte, so verrät doch die Vorstellung der Reue über die angetane Schmach und das dadurch veranlaßte Verlangen der Sühne einen durchaus scherzhaften Ton. Welch heiteres Bild ist es auch: Venus als Lehrmeisterin, wie man geräuschlos die Tür öffnet, leise seine Schritte setzt und durch geheime Winke zu dem Galan den Gatten zu betrügen vermag; welch eine humorvolle Erfindung: der obszöne Gartengott Priap, der als kundiger Eroberer schöner Knaben seine Künste weiter verbreitet und den Dichter darin unterweist. Soll man das ernst nehmen? Wer's wollte, den belehrt der Schluß des Gedichtes, der den ganzen Humor offenbart. Der Dichter gibt die Belehrung weiter an Titius, aber Titius kann keinen Gebrauch davon machen, weil er unter der strengen Zucht seiner Gattin steht. So fordert der Dichter denn andere auf, im Bedarfsfall sich an ihn um Rat zu wenden. Allein mit einer plötzlichen Schwenkung kommt ihm zu Bewußtsein, daß er selber sich Marathus gegenüber nicht zu helfen weiß, und so fürchtet er, daß er als Lehrmeister elend Schiffbruch erleidet und zum Gespött wird. Komisch ist es auch, wenn der Verliebte der Liebsten die Zaubersprüche empfiehlt, welche den Herrn Gemahl gegen irgendeine von ihr begangene Untreue blind und taub machen, jedoch nur, wenn sie mit ihm selber tändelt; denn bei allen andern wird er sofort scharfsinnig und hellhörig sein. Und sollen wir glauben, daß die Zauberin wirklich Tibull wahrhaft versichert hat, der jetzige Besitzer seiner Geliebten werde allen über ihn vorgebrachten Mitteilungen sein Ohr verschließen oder er selber habe tatsächlich mit angesehen, wie sie die Sterne vom Himmel herabzog, die Flüsse im Lauf hemmte und Geister beschwor? Als der aufgeklärte Dichter das schrieb, alte Motive benutzend, hat er sicherlich selber dabei geschmunzelt. Das Geburtstagsgedicht für Messalla bringt in all den Ernst und die Feierlichkeit doch zum Abschluß einen humorvollen Ton, wenn es uns das Bild von dem Bauern vorzaubert, der spät in der Nacht von Rom auf der neuen, von Messalla mit tadellosen Platten belegten Straße nach Hause kehrt, ohne wie früher auf dem holprigen Wege stolpern zu müssen. Das erste Buch aber endet mit dem heiteren, geradezu mit holländischer Kleinmalerei gezeichneten Bild: Vater und Mutter kehren mit den Kleinen nach dem ländlichen Fest auf dem Wagen zurück, der Bauer ziemlich berauscht; die reifere Jugend jedoch beginnt dann ihr Liebesspiel; ohne Eifersuchtsszenen und Gewalttätigkeit geht es dabei nicht ab, Amor aber, der Schalk, bläst noch ins Feuer und sitzt gelassen zwischen den Streitenden. Das ist der lockere Amor der Goethischen „Brautnacht";

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„Schnell hilft dir Amor sie entkleiden . . . dann hält er schalkhaft und bescheiden sich fest die beiden Augen zu." Humor liegt auch in der Aufforderung, bei dem Fest den Liebesgott laut für das Vieh anzurufen, aber leise für sich, worauf dann die Berichtigung folgt: Nein! Man darf ihn auch unbekümmert um den Verrat seines innersten Herzensgeheimnisses laut anflehen, denn die lärmende, jubelnde Menge und das Flötenspiel übertönen ja doch alles. Und wie köstlich wirkt der Gedanke des Dichters, wenn die Liebe doch nur durch Geschenke zu gewinnen ist, sie sich nicht erst durch Beute im Krieg zu verschaffen, sondern sie aus den Tempeln zu holen und diese ihres reichen Schmuckes zu berauben, aber — und das ist das witzigste daran — dann muß auch Venus als erste an die Reihe kommen und zur Buße dafür, daß sie die Liebste so habgierig macht, den Raub am eigenen Heiligtum verspüren. Auch mit seinen Liebschaften scheint es dem Dichter nicht immer so ganz ernst gewesen zu sein. Sonst hätte er manches nicht sagen können. Wenn er dem Manne der Geliebten gute Ratschläge gibt, wie er auf sie aufpassen soll, daß sie nicht zuviel mit jungen Leuten plaudert, daß sie ihren Busen nicht zu sehr entblößt, daß sie nicht mit Tropfen vom Wein auf dem Tische zur Verständigung geheime Zeichen zieht, und wenn er dabei mahnt, auch auf ihn selber sorgsam zu achten, da er ihr ja all die guten Winke gegeben hat, den Mann zu betrügen, und er selber es war, den der Hund des Nachts mit Bellen angekündigt hat, so wird darin niemand das Scherzhafte verkennen; wenn er sich aber dann gar als Keuschheitswächter anpreist und zum Beweis seiner Befähigung dafür berichtet, wie er selber ihn hintergangen, und wenn er als Beobachter sogar am Fest der Frauen teilnehmen will, zu dem einem jeden männlichen Wesen der Zutritt aufs strengste versagt ist, so steigert sich die Komik zur Groteske und kann kaum noch überboten werden. Nur als eine Art Galgenhumor kann man es auch verstehen, wie er dem Nebenbuhler droht, der jetzt ihm die Liebste abspenstig gemacht hat. Da schildert er ihm, daß schon sein Nachfolger mit allen Anzeichen der Vorsicht und Ungeduld vor der Türe wartet, und erschließt mit der spöttischen Aufforderung: „Bitte, halte dich nur dran, solange dein Weizen noch blüht" oder, wie es lateinisch mit einem anderen Bilde lautet: „Solange dein Nachen noch in sturmlosem, klarem Wasser schwimmt". Wer so schreibt, der steht über dem Gefühl und beobachtet auch sein eigenes Empfinden gleichsam aus der Ferne und macht es zum literarischen Stoff. Wirklich ernst ist Tibull- nur, wenn er vom Frieden schwärmt und das idyllische Leben auf dem Lande als Ziel seiner Sehnsucht hinstellt. Darum werden das Anfangs- und das Schlußgedicht des ersten Buches sich immer besonderer Anerkennung erfreuen. Die Liebe hat nur in wenigen Gedichten die zarten und innigen Töne gefunden, die einen Widerhall in unserem Herzen wecken; die sinnliche Glut Catulls ist diesem sehnsüchtigen und im Grunde hoffnungslosen Schmachten fern. Aber Tibulls poetische Bedeutung beschränkt

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sich auch nicht auf die Wiedergabe erotischer Empfindungen. Der Dichter steht trotz aller Träumerei mitten im Leben, und Bilder des Lebens zeichnet er, manchmal mit einem oder wenigen Worten. Diese Kunst beweist er, wenn er den Gefangenen vorführt, der trotz seiner Fesseln, auf Befreiung hoffend, seine Stimme zum Gesang erhebt, oder wenn er zur Zeichnung des Kriegers die Szene verwendet, da er im Helm sich das Wasser holt, um den Durst zu löschen, auch wenn er den Bramarbas darstellt, der beim Zechen sich mit seinen Taten brüstet und zur Verdeutlichung seiner Erzählung Schlachtaufstellung und Lagerplan mit Weintropfen auf den Tisch malt. Ausführlicher wird er, wo er Reichtum und Beute ablehnt; da tauchen vor seinem Auge die Kriegsschiffe auf mit ihren ehernen Schnäbeln und all die Gefahren des Meeres, und der Erfolg solcher Züge erscheint ihm dann in den sich weithin erstreckenden Feldern und den zahllosen Schafherden sowie in den städtischen Palästen; aber er wird noch anschaulicher, er sieht den Marmor, der zum Bau des Palazzo herangeschafft wird, und die Säulen, deren Transport mit starken Zugtieren die engen Straßen mit Lärm erfüllt, ein Bild, das wir bei den Satirikern wiederfinden. Den Hauptanteil an diesen Bildern haben natürlich Szenen aus der Welt der Verliebten. Als den ausgeschlossenen Liebhaber, der vergeblich Aufnahme heischt, sieht der Dichter sich selbst; kein Regen und Frost verscheucht ihn; er meidet es, daß ein nächtlicher Wanderer ihn etwa anspricht oder ihm gar ins Gesicht leuchtet; jeder soll sich vielmehr in einiger Entfernung halten oder in eine andere Straße begeben. Der wahre Liebende wird uns vorgeführt als treuer Begleiter und Diener, der sein Mädchen auf Händen trägt und ihm im Gedränge der Menge den Weg bahnt. Einen traurigen Anblick bietet der Alte, der einst der Liebe gespottet und nun als Greis noch von ihr gepackt wird; wir sehen ihn, wie er die spärlichen Haare auf seinem Haupt sich zurechtlegt, um jung und schmuck zu erscheinen, wie er mitten auf dem Markt die Magd der Geliebten anhält, damit sie ein gutes Wort für ihn einlegt oder ihm eine Gelegenheit verschafft, wie er nur noch mit zitternder Stimme Schmeicheleien stammelt. Wie lebendig erscheint uns das Mädchen, das in der Stille der einsamen Nacht über die Wächter hinwegsteigt, um zum Liebsten zu kommen, und sich angstvoll mit Hand und Fuß im Dunkeln den Weg ertastet. Köstlich ist die Zeichnung der nächtlichen Szene: der Verliebte an der Schwelle des Mädchens, wie er sich immer vorsichtig umschaut, ob auch niemand kommt, dann sich entfernt und so tut, als wolle er nur an dem Jlaus vorübergehen, nach kurzer Weile jedoch zurückkehrt und vor der Türe sich laut räuspert, um seine Anwesenheit bemerkbar zu machen. Wir hören auch von den geheimen Künsten, sich zu verständigen, selbst in Gegenwart des eigentlichen Mannes, bald durch sprechende Blicke und Winke, bald auch durch scheinbar nachlässiges Ausziehen der Weintropfen auf dem Tisch. Nicht immer geht es zwischen den Liebenden friedlich her; gewaltsames Einbrechen ins Haus gehört ebenso zu diesen Verhältnissen in der Stadt wie 2 Tibull

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auf dem Land bei ausgelassenen Festen, zumal nach der Ernte, die Eifersuchtsszenen, die sich nicht immer allein auf Schmähworte beschränken und die dann doch wieder zu reuevoller Versöhnung führen. Hat die Leidenschaft sich gar zu stürmisch geäußert und auf Hals und Nacken des Mädchens Spuren hinterlassen, so hat der Kundige Mittel, die blauen Flecke zu tilgen. Eine Rolle spielt immer wieder die Kupplerin, welche den Liebesbund vermitteln kann, ihn aber auch stört, sobald sie der Liebsten einen reicheren und freigebigeren Verehrer zuführt; und auch Liebestränke werden erwähnt. Toilettenkünste aller Art von künstlicher Frisur, vom Schminken der Wangen und sorgsamer Behandlung der Nägel bis auf Wechsel der Kleidung und feines Schuhzeug finden ihre Erwähnung. Der Anzug und die Tracht der ehrbaren Frau mit der bis auf die Füße reichenden Stola und der Binde ums Haar bildet den Gegensatz zu dem Äußern leichtfertiger Mädchen. Dem verliebten Greis aber, der spät für seine frühere Abweisung zärtlicher Neigungen durch eine unglückliche Leidenschaft büßen muß, steht die alte Kokotte gegenüber, die über ihre Flatterhaftigkeit in einem trübseligen Los als Spinnerin nachdenken kann, weil sie keinem treu geblieben war; selbst ehe sie das traurige Schicksal trifft, verfallt die Treulose allgemeiner Verachtung, und wenn ihr Haus etwa in Flammen aufgeht, so schaut die Jugend nur erheitert dem Brande zu; aber keine Hand rührt sich zur Hilfe, und niemand holt, wie es sonst geschieht, Wasser herbei, um zu löschen. Welch ein lebendiges Bild! Nicht minder anschaulich malt der Dichter das häusliche und das Familienleben. Messallas Haus mag prunken von Beutestücken, er selbst will nichts davon wissen. Er schildert die Geliebte im Kreise der Mägde, die fleißig bei der Arbeit sind. In einem Vergleich läßt er uns den kreiselspielenden Knaben sehen und führt uns ein rührendes Familienidyll vor, die Mutter durch Kindersegen beglückt, der Vater mit dem Söhnlein spielend, das ihn beim Ohrläppchen faßt und ihn zu küssen bemüht ist, der Großvater mit zahnlosem Mund, der mit dem kleinen Enkel, bei dem er Wache hält, lallend sein Spiel treibt. Und von dem guten Verhältnis, das zwischen dem Herrn und der Dienerschaft herrscht, zeugt es, wie Delia gedacht wird, das Sklavenkind herzend, und wie an anderer Stelle die Schar der kleinen Sklaven, die einen Beweis abgibt für die Wohlhabenheit des Bauern, im Spiel vor dem Herde aus Ruten sich Hütten baut. Bei dem Freunde des Landes spielen Ernte und Erntegebräuche natürlich eine Rolle; wir sehen die Jugend über das Feuer springen am Feste der Landgöttin Pales, wir sehen, wie die Winzer aus den vollen Bottichen die Trauben schütten und mit hurtigem Fuße sie stampfen, daß das Rebenblut herausfließt; es sind nur wenige Worte und nur zwei Verse, und doch lassen sie eine ganze Situation erstehen. Sowenig Tibull von Krieg und Schlachten wissen mag, den Triumphzug nach errungenem Sieg und glücklicher Heimkehr hat er zweimal beschrieben. Da fährt der siegreiche Feldherr auf elfenbeinernem Wagen, von schneeweißen Rossen gezogen, lor-

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beergeschmückt, dahin; die gefangenen feindlichen Führer ziehen voran, die Arme gefesselt, und die Bilder der eroberten Städte werden voraufgetragen; die Krieger jauchzen laut ihm zu, und das zur Seite stehende Volk freut sich des Schauspiels und spendet Beifall. Mit dem Leben eng verbunden ist der Tod. Kein Wunder, daß der Dichter im Gedanken an sein Ende auch sein Begräbnis sich ausmalt, wie es sein müßte, wenn ihn nicht etwa, wie er befürchtet, in der Fremde sein Schicksal erreicht; da sieht er die Weinenden, die Mutter, die trauernd die verbrannten Gebeine sammelt, sieht die Schwester, die über seiner Asche Spezereien streut oder ausgießt und mit aufgelöstem Haar fast in Tränen zerfließt. Wenn er aber an Delia dabei denkt, dann bittet er sie, ihre Schönheit zu schonen, sich nicht die Haare zu raufen oder die zarten Wangen zu zerkratzen, Bilder, die er aus der Wirklichkeit nimmt. Einen besonderen Raum nehmen wie im Leben so in der Dichtung Tibulls Religion und Aberglauben ein. Der Dichter beruft sich darauf, daß er jeden Pfahl oder Stein auf dem Feld oder am Dreiweg, der dort stand als Rest uralter Götterverehrung, die noch keine Götterbildnisse kannte, getreulich verehrt und mit Blumen geschmückt habe; er hat auch die Erstlinge des Ackers gewissenhaft dem Schutzgott des Feldbaus dargebracht, am Tempel der Ceres zum Dank Kränze aufgehängt, und auch der Fruchtbarkeitsgott Priap, der Beschützer der Gärten, den er in so scherzhafter Weise in einem Gedicht zum Lehrer der Liebe gemacht hat, ist nie leer ausgegangen. Im Hause sind es die Laren, deren Bilder im Atrium stehen und allmonatlich von ihm mit Weihrauch bedacht werden; sie stammen in dem alten Haus noch aus der Zeit der Väter, schlichte Holzstatuen, und der Einfachheit ihrer Standbilder entsprach einst auch das Opfer, Trauben, Ähren und dergleichen; auch hier gestaltet sich dem Dichter aber die Erwähnung sofort zu einer reizenden, kleinen Szene: der Hausherr bringt zum Dank für einen erfüllten Wunsch den Opferkuchen, und hinter ihm wandert sein Töchterchen, das Honigwaben heranträgt. Zu Tibulls Zeit geht es aber üppiger her, da wird ein Schwein geopfert, und er kommt mit dem myrtengeschmückten Korb voller Gaben, selber Myrten ums Haupt und in reinem Gewände. Reinheit ist auch erforderlich beim Betreten des Tempels, und in reinem Kleid, mit reinen Händen holt man beim ländlichen Fest zur Entsühnung der Felder das Wasser, und sittlich rein muß man sich auch die vorhergehende Nacht verhalten haben. Mit Honig und Wasser verbindet sich im Kult der Gottheiten die Milch; so wird an den Palilien das Standbild der Fruchtbarkeitsgöttin mit Milch Übergossen. Ein Fruchtbarkeitszauber ist auch der Sprung über das Feuer, ein Ritus, der das Gedeihen und Wachstum der Familie befördern soll. Wer sich aber gegen die Hoheit der Götter vergangen hat, der büßt seine Schuld ab, indem er sich vor dem Tempel niederwirft, auf den Knien zum Tore rutscht, wie der Pilger in Rom die Scala Santa empor, die Schwelle dann küßt und mit dem Haupt gegen das Tor schlägt; und der 2*

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Dichter selber erklärt sich zu solcher Sühne bereit, falls er irgendeine Schuld auf sich geladen hat. In den Tempeln selbst zeugen die Darstellungen geheilter Glieder oder Menschen von der gütigen Hilfe der Götter und erfüllen die Schauenden mit der Zuversicht auf eigene Rettung. Von den Sibyllenorakeln, die in Zeiten der Not eingeholt wurden und unter staatlicher Aufsicht standen, hören wir in der Messalinus gewidmeten Elegie. Als Schutzgott der Frauen erscheint die Bona Dea und vor allem die ägyptische Isis. Daß der Gang zum Heiligtum der ersten als Vorwand benutzt werden konnte, um ohne Wissen des Mannes auf Abwege zu gehen, läßt Tibull erkennen, wenn er sich selbst anbietet, als Wächter zu folgen, selbst auf die Gefahr hin, dabei blind zu werden. Ausführlicher ist, was wir von der Isis hören, deren Verehrung sich auch in Rom trotz mannigfacher Verfolgungen mehr und mehr verbreitet hatte und im Jahre 43 v. Chr. durch Beschluß eines Tempelbaus vom Senat sanktioniert wurde. Auch Delia huldigt ihrem Kulte. Wir hören vom Schwingen des Sistrums, dessen eherner Klang zum Gottesdienst gehörte, von den Vorschriften der erforderlichen Reinigung durch'Bad und durch zeitweise eingehaltene Keuschheit, von den zweimal am Tage erfolgenden Lobgesängen, welche die Liebste im Leinengewand mit aufgelöstem Haar für die Göttin anstimmen soll. Mit Isis verbindet sich Osiris, der als Begründer des Ackerbaus und des Weinbaus und als Schöpfer aller menschlichen Kultur einen Hymmus erhalten hat im Loblieb auf Messalla, weil diesen sein Zug auch nach Ägypten geführt hatte; da ist auch die Rede von dem in seinem Kult üblichen Reigen, den Blumenschmuck, dem bis auf die Füße reichenden gelben Gewand, dem Flötenspiel und dem Kistchen mit den heiligen Symbolen, die man nicht schauen darf. Wir hören aber auch noch von anderen Kulten. Der ekstatische Dienst der Kybele mit ihren Bettelpriestern, die in der religiösen Raserei sich selbst verstümmeln, wird zur Verwünschung benutzt, wenn im Gedicht an Marathus allen, bei denen die Liebe käuflich ist, das Los dieser elenden Gesellen in Aussicht gestellt wird. Einen gleichen orgiastischen Kult erwähnt der Dichter, wo er sich auf die Weissagung der Bellonapriesterin beruft, die in ihrem Wahn nicht Feuer noch Geißel spürt, sich selber die Arme mit dem Beile verletzt, den Spieß sich in Seite oder Brust stößt, daß das Blut über das Bildnis der Göttin spritzt, und dann in der Verzückung ihre warnende Stimme erhebt. Schließlich findet unter diesen fremden Kulten wenigstens in einer Andeutung auch das Judentum noch seine Stelle; unter den Gründen, die ihn vielleicht an der Abreise hindern könnten, zählt er auch die Vernachlässigung des Sabbats mit auf, wie er auch der Verehrung der Tauben in Palästina gedenkt, die bei den Syrern für heilig galten und ungefährdet in den belebten Straßen flattern. Mit der Religion geht Hand in Hand Wahrsagung und Magie. Naiver Volksglaube ist es, daß Zauberinnen selbst die Naturgewalten beherrschen und Geister beschwören können; sie wissen auch wirksame Sprüche, die den

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betrogenen Gatten blind machen können; sie vermögen den Menschen zu verzaubern, wie sie die Früchte von einem Acker auf den des Nachbarn forthexen können; wenn ihr Spruch den Mond herabziehen will, so daß Finsternis eintritt, so wehrt man sich dagegen in primitiver Vorstellung, indem man mit ehernen Becken ein mächtig Getöse beginnt. Bei Anwendung der Zaubersprüche soll Delia dreimal ausspeien; denn der Speichel sowohl wie die Dreizahl hat magische Kraft; und auch die Jünglinge, welche den kümmerlichen Alten sehen, der verspäteter unglücklicher Liebe frönt, tun das gleiche, um selbst vor ähnlichem Schicksal bewahrt zu bleiben. Mit Zaubersprüchen behauptet Tibull selber die Geliebte, als sie erkrankt war, geheilt zu haben, und er schildert es, wie die Alte ihr Lied sang, er selbst aber mit Schwefel um das Lager herumging, wie er dann mit Opferschrot ihr die bösen Träume verjagte und in der Stille der Nacht neunmal — die heilige Dreizahl wird gesteigert — zu der Zaubergöttin gebetet, das Haupt mit der Wollbinde umhüllt und das Gewand gelöst, wie es jeder Zauber erfordert. Daß auch der Vogelflug unter den Vorzeichen berücksichtigt wird, die eine Reise verhindern können, kann nicht wundernehmen, da seine Beobachtung ja zu den staatlichen Institutionen gehörte; freilich handelt es sich hier um private Deutung, die kaum durch so feste Regeln normiert war. Ein lebendiges Bild erscheint vor unseren Augen, wenn Delia von einem Bettelknaben auf der Straße sich Lose geben läßt, welche für die Fahrt des Geliebten Glück oder Unglück voraussagen sollen. Auch ein Stolpern an der Tür fingiert er als Unheil kündendes Zeichen. Natürlich hat Tibull nicht selbst all diesen abergläubischen Vorstellungen Glauben geschenkt und ist dabei vielmehr literarischem Einfluß nachgegangen. Daß sie aber mehr oder minder im Volke vorhanden waren und daß vor allem die Frauen ihnen huldigten, darf man annehmen; hat sich doch das dreimalige Ausspeien, wenn auch in symbolischer Form, bis auf unsere Tage erhalten. So zeichnet sich also in Tibulls Gedichten das römische Leben anschaulich ab, und man könnte sich manchmal an die Satiriker erinnert fühlen, die ihre Szenen ja auch dem Treiben der Welt um sie her entnehmen. Nicht Stimmungsmalerei bieten im allgemeinen die Elegien, wie die kurzen Liebesgedichte Catulls sie enthalten; dort ist reine Lyrik zu finden, hier dagegen tritt sie nur in einzelnen Gedichten und an einzelnen Stellen mit voller Innigkeit zutage, dort ist der Poet, dem ein Gott es gab zu sagen, wenn er jubelt und wenn er leidet, hier ist es ein feingebildeter, tieffühlender Mensch, den seine Welt- und Literaturkenntnis dazu führt, seine Empfindungen damit zu verbrämen. Etwas anders ist schon der Ton in den Elegien, welche die Sulpicialieder begleiten, sowie in den im Anhang folgenden beiden Gedichten, obwohl auch dort in dem ersten ein gewisser Humor das rein Lyrische unterbricht, wenn der Liebende plötzlich seine heiligen Treueschwüre bedauert; hat er sich doch damit ganz in die Hände des Mädchens begeben, das nun nicht mehr darum zu bangen braucht, ob er sie-vielleicht wieder verläßt. Hat

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aber die Poesie Tibulls etwas Schillerndes und entspricht nicht in allem unseren Vorstellungen eines Lyrikers, ein hervorragender Dichter und der bedeutendste der römischen Elegiker ist er trotzdem. Dabei entgeht der Übersetzung naturgemäß leider die Wirkung, welche der Reiz der sanft schwebenden Rhythmen in den kunstvoll gebauten Versen des lateinischen Originals hervorruft; denn Tibull war auch ein Meister der Form. Von ganz anderem Schlage und minderwertiger ist die unter dem Namen des Lygdamus den beiden Tibull-Büchern angeschlossene kleine Sammlung, sechs Gedichte, die mit der Hoffnung des Verfassers, seine Neaera zur Gattin zu gewinnen, ihren Anfang nehmen und mit dem endgültigen Verzicht und dem Gedanken, im Weine Trost zu suchen, ihren Abschluß finden. Motive aus Tibull kehren wieder. Der Verlassene sieht gleichfalls seine Bestattung im Geiste, nur malt er sie weiter aus, um so das Gedicht zu füllen, und auch er setzt sich eine Grabschrift. Auch er lehnt es ab, nach Gut und Geld zu streben, und wünscht sich, nur bescheiden in Frieden mit der Geliebten sein Leben verbringen zu dürfen, und wie Tibull die eigene Heimkehr, als er krank in Korkyra lag, so ersehnt er nun ihre Rückkehr aus der Fremde. Auch er beruft sich darauf, die Götter in keiner Weise verletzt zu haben; denn auch er glaubt den Tod nahen und ruft den Freunden einen Abschiedsgruß zu. Schließlich fordert er wie Tibull, da er nahe der Tür der Geliebten seinen Kummer in Wein zu ertränken versucht, den Diener auf, einen stärkeren Wein einzugießen, damit er im Rausch Vergessen findet. Auch sonst ist an einzelnen Gedanken und Formungen die Spur der Einwirkung Tibulls deutlich zu bemerken. So führt auch er Catulls Epyllion (64) von der Hochzeit des Peleus an, aber die Episode der Ariadne daraus und mit ausdrücklicher Namensnennung des Verfassers. Aber er erinnert auch andeutend und nur dem Mythenkundigen verständlich an das Schicksal des Pentheus. Trotz mancher geschickten Wendung fehlt es den Gedichten an der Gefühlstiefe und Innigkeit, die uns an Tibulls Werken bannt. Ausdrücke wie das zugespitzte „ob Gattin künftig, ob Schwester, lieber doch Gattin" oder „treulos, aber, obschon treulos, doch lieb" verraten mehr rhetorische Färbung als feuriges Empfinden. In einem Gedicht hilft sich der Dichter mit der Beschreibung des übersandten Buches in Prachtausstattung, in einem anderen mit Schilderung eines Traumes und Beschreibung des darin auftretenden Gottes Apollo, ganz in der Art des späteren, rhetorisch geschulten Dichters Statius, der seine Schnelldichtung durch solche stets wiederkehrenden Mittel ermöglichte. Das Gekünstelte zeigt sich in der Zwiespältigkeit des Traumes, der zwischen Enttäuschung und Ermutigung schwankt. Gegenüber der Fülle von Vorstellungen, Bildern und Gedanken bei Tibull offenbart sich bei Lygdamus eine gewisse Armut, die deutlich den anderen Verfasser verrät. Die Frage, wer sich unter dem angenommenen Namen verbirgt, hat zu einem Rätselraten geführt, das verschiedene Antworten gefunden hat. Nach den neuesten Forschungen ist der Streit über die Zeit des Lygdamus endgültig entschieden. Der Verfasser der Gedichte gehört

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der zweiten Hälfte des ersten Jahrhunderts an, der Zeit Domitians, und ist im Jahre 69 n. Chr. geboren (vgl. die Anm. zu III 5, 18, S. 143). Wie diese kümmerlichen Machwerke in die Tibullsammlung geraten sind, ist unklar. Leichter erklärt sich das bei dem Lobgedicht auf Messalla, so hölzern und pedantisch es auch sein mag. Hier legte die Verbindung mit dem Gönner Tibulls den Anschluß an dessen Gedichte nahe. Das bekundet er ja sofort, indem er den Namen Messalla an den Anfang seines Machwerks setzt. Er hat deshalb trotz der andern Form der Abfassung in ununterbrochenen Hexametern unter den Elegien Aufnahme gefunden. Kann man bei den Lygdamus-Elegien noch von einiger Poesie reden, dies ist nur ein recht armseliges Bettelgedicht, das die sich ergebende Disposition, Messallas Verdienste im Frieden und im Krieg, mit künstlich herbeigeholten, weit ausgeführten Eskursen auffüllt. Wenn der Verfasser seine bescheidene Arbeit empfiehlt, so bringt er Beispiele dafür, daß auch sonst geringe Gaben Anklang gefunden haben; lehnt er es ab, ein Lehrgedicht über das Wunderwerk der Welt zu schreiben, so berichtet er ihre Entstehung. Die Beredsamkeit des Gepriesenen gibt Anlaß, Odysseus zu erwähnen und daran, völlig unmotiviert, in breiter Erzählung dessen Irrfahrten zu knüpfen. Bei Darlegung der kriegerischen Tüchtigkeit Messallas wird ein Überblick geboten über die gesamte Tätigkeit des Feldherrn und der Soldaten, beim Exerzieren und beim Kampf, und der Gedanke an künftige Kriegszüge veranlaßt sogar, nicht nur eine geographische Aufzählung, sondern auch eine ausführliche Schilderung der fünf Zonen zu bringen. Ja selbst wenn der Poet seine dauernde Ergebenheit bis über den Tod hinaus und bis in ein etwaiges neues Leben versichert, so kann er es nicht unterlassen, die verschiedenen Phasen der Seelenwanderung bis zur Rückkehr in Menschengestalt sich auszumalen ohne jedes Empfinden für das Groteske seiner Darstellung. Mit Tibull hat dies elende, rhetorische Machwerk eines Bettelpoeten nichts zu tun, obwohl er vorgibt, das gleiche Schicksal der Verarmung nach voraufgegangenem Reichtum gehabt zu haben. Auch die weit hergeholte Gelehrsamkeit, mit der es aufgeputzt ist, wie die seltsame Erwähnung gerade des spartanischen Feldherrn Gylippos, der Hinweis auf die rohen Sitten der kannibalischen Padäer, zeugt von einem anderen Charakter. Selbst die Versicherung der Anhänglichkeit gegenüber dem Gönner hat in ihrer Übertriebenheit etwas völlig Unwürdiges und ist Tibull fremd. Versöhnen kann mit diesem unpoetischen Erzeugnis allein, daß der Dichterling sich selber seiner Minderwertigkeit bewußt ist oder es wenigstens in seiner Unterwürfigkeit zu sein vorspiegelt. In vornehmere Regionen führt der Schluß der Sammlung, der die Lieder der Sulpicia, der Nichte Messallas, enthält, und der Elegienkranz, den der Verehrer ihres Oheims darum geflochten hat. Durch ihre schlichte Ursprünglichkeit und die naive Offenherzigkeit reichen diese Elegien eines jungen Mädchens an Catulls begeisternde Lieder heran, wenn auch das elegische Vers-

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maß ihnen einen anderen Klang verleiht. Es sind nur sechs kurze Gedichte voll einfacher Anmut. Da klagt sie über die gar zu genaue Aufsicht und Fürsorge des Oheims, der sie gerade zu ihrem Geburtstag mit nach Arezzo aufs Land nehmen will, und jubelt, wenn dieser Plan sich zerschlagen und sie nun Aussichten hat, mit dem Geliebten, der den Namen Cerinthus erhält, gemeinsam das Fest zu begehen. Da bereut sie ganz freimütig, wie töricht sie war, von dem Liebsten so plötzlich fortzueilen, weil sie gefürchtet hat, ihr glühendes Verlangen selbst zu verraten. Dann aber plagt sie wieder Eifersucht, als sie in Krankheit verfallen, und sie verleiht ihrem Gefühl stärksten Ausdruck, durch Verdächtigungen, die ihr zugetragen sind, aufs höchste erbittert. Doch der Himmel klärt sich auf, die Sehnsucht findet Erfüllung, und offen bekennt sie beseligt das Glück der Vereinigung. Vers und Satzbau sind vielleicht nicht immer von vollendeter Glätte, aber doch gibt es in der antiken Literatur nicht viel, was sich bei aller Einfachheit des Ausdrucks an Wärme des Empfindens und intimem Reiz diesem bescheidenen Elegienkranz gleichstellen kann. Diesen gleichen Liebesroman hat sich aber ein wirklicher Dichter zum Vorwurf genommen; wir haben keinen Grund, daran zu zweifeln, daß es Tibull war. Die Einheit mit den Sulpicialiedern verbürgen die Namen Sulpicia und Cerinthus. Am 1. März, dem Festtag der Frauen, ruft der Dichter den Gott Mars, der dem Monat den Namen gegeben hat, er solle erscheinen, um Sulpicia in all ihrer Schönheit zu schauen; sie allein ist jedes Schmuckes wert, den die Erde zu bieten vermag, und noch viele Jahre werden ihr verheißen, um diesen Tag in gleicher Weise zu feiern. Freilich Gott Mars — und so findet auch hier der Scherz seinen Platz — muß sich vorsehen, daß ihm nicht beim Anblick der reizenden Gestalt vor Staunen seine Waffen entgleiten. Ein Gedicht wird Sulpicia selbst in den Mund gelegt; sie bangt um den Geliebten, der auf der Jagd sich Gefahren aussetzt; ja, wenn sie mit ihm hinausziehen könnte! Sie wollte Diener und Schutzgeist für ihn sein. Aber sie bangt auch in Eifersucht, im verschwiegenen Wald könnte eine andere Liebe ihn fesseln, der sie das Schlimmste wünschen würde. Und schließlich bittet sie ihn, die Jagd seinem Vater zu überlassen und in ihre Arme zurückzukehren. Die Elegie enthält eine so persönliche Note und ist der Stimmung der Liebenden so angepaßt, daß sie uns aufs lebhafteste in die Situation versetzt und mit der Zurückgebliebenen fühlen läßt. Die Krankheit der Sulpicia bietet den Stoff eines anderen Gedichtes und zeigt so die Anregung aus dem anderen Liederkranz. Phoebus, der Gott, der zu heilen vermag, wird angerufen und Cerinth getröstet; wirkungsvoll ist der Gedanke, daß mit Sulpicias Genesung alle beide gerettet werden und Phoebus darum nicht nur bei den Menschen, sondern auch von der Schar der Götter ob seiner Kunst gepriesen wird. Den Schluß bilden zwei Geburtstagsgedichte, auch diese an den anderen Zyklus und die dort gegebene Situation anknüpfend. Cerinths Schönheit, die alle Mädchen in seinen Bann zwingt, wird von der Liebenden selber hervor-

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gehoben; sie fleht Venus an, Gerechtigkeit walten zu lassen, daß beide die gleiche Liebe fest und unlösbar verbinde. Aber — so widerruft sie ihre Besorgnis — sie weiß ja, daß der Jüngling dasselbe wünscht wie sie, nur nicht so offen, wie sie selber es kundtut. Auch hier offenbart sich packende Wirklichkeit; wir sehen das heißblütige, temperamentvolle Mädchen, das sich nicht scheut, zu zeigen, wie sehr ihr Herz dem Jüngling zugetan ist, und sehen diesen, der, vielleicht aus Scheu vor Messalla, eine starke Zurückhaltung beweist und nicht wagt, was er empfindet, offen zu sagen. Ebenso ist es in dem Geburtstagsgedicht, das von Tibull der Sulpicia geweiht ist, das Persönliche, was die Verse so reizvoll macht. Sulpicia schmückt sich für ihre Schutzgöttin Juno, die ja alle Frauen in ihrer Obhut hat. Gewiß, aber im stillen schmückt sie sich für den Geliebten. So möge denn die Göttin beider Liebe segnen, daß nichts ihren Bund trennen kann, und die Gebete der Flehenden heut erhören. Freilich die Mutter hat andere Pläne mit ihr, doch sie weiß selber schon, was sie will. Da ist das Schalkhafte, da ist der Humor, den man auch in den Deliaelegien beobachtet, das ist echter Tibull! Und vielleicht hat der Dichter nirgends so sehr zu unserem Herzen gesprochen wie in diesen Gedichten, in denen er fremde Liebe, die edle Neigung zweier einfacher Menschenkinder, in innigster und zartester Weise nachempfunden hat. Da spielt nicht genaues Überlegen und literarische Rücksicht mit hinein, da äußern sich naturgegebene Kunst und die Ausdrucksweise des Herzens. Tibull hat zu seiner Zeit die höchste Anerkennung gefunden. Horaz (s. o. S. 5), Ovid (am 3, 9; vgl. 1, 15, 27f.; trist. 4, 10, 5 1 - 5 4 ; 2, 447—464; ars 3, 334; remed. 763) und andere schätzten den feinfühligen Dichter, der so formvollendete Verse schuf; und daß auch deutsche Dichter (Göttinger Hainbund, Goethe, Mörike) sich seiner Wirkung nicht entzogen haben, zeigen die Nachweise, die F. Wilhelm (Satura Viadrina II, Breslau 1921, 81—94) und M. Schuster (Tibull-Studien, Wien 1930, 183—201) gegeben haben. Delia und Nemesis leben weiter als Beispiel heiß umworbener Frauen. Gerettet hat sich freilich, abgesehen von einzelnen Exzerpten, durch das Mittelalter nur eine einzige Handschrift, wie die gemeinsamen Fehler und Lücken in der uns jetzt zur Verfügung stehenden Überlieferung beweisen. Erhalten sind die Gedichte Tibulls in einer Anzahl teils vollständiger, teils unvollständiger Codices, dazu kommen die vielfachen Auszüge und Florilegien. Die Urhandschrift, die verloren ist, war im 14. Jahrhundert aufgefunden worden; jetzt ist sie am besten vertreten durch den Ambrosianus in Mailand (14. Jh.), der einst dem Florentiner Staatskanzler Coluccio Salutato (1330—1406) gehörte, und dem Vaticanus (15. Jh.). Die unvollständige Überlieferung, beginnend mit III 4, 65, beruht auf einem jetzt verschwundenen Exemplar des Juristen Jacque Cujas (1522—1590), aus welchem Scaliger im 16. Jahrhundert Lesarten in die Antwerpener Ausgabe aus der Druckerei des Plantin eingetragen hat. Die älteste datierte Ausgabe stammt aus dem Jahre 1472. Nach Scaligers

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Edition vom Jahre 1577 und anderen war die von K. Lachmann (Berlin 1829) die erste, freilich ohne vollständige Handschriftenkenntnis unternommene, kritische in Deutschland. Seitdem ist Tibull in allen zivilisierten Ländern mehrfach herausgegeben, auch mit Erklärungen versehen und übersetzt worden. Ich nenne die Ausgabe von E. Hiller (Leipzig 1885) wegen des beigefügten Index verborum und die von L. Dissen (Göttingen 1835) wegen des ausführlichen Kommentars. Die vorliegende Übertragung schließt sich im allgemeinen an den Text von F. W. Lenz (Leipzig 1937) an, der nur an einzelnen Stellen geändert ist; so ist eine wesentliche Änderung die Umstellung der Verse II 5, 77f. vor 75 nach dem zuletzt von K. Kalbfleisch (Hermes 78, 1943, 112) gemachten Vorschlag.

ABKÜRZUNGEN

A = Cod. Ambrosianus R. 26 sup. V = Cod. Vaticanus 3270. F — Fragmentum Cuiacianum Exc. = Exzerpte und Florilegien g = jüngere Handschriften und frühe Ausgaben Hss. = alle (übrigen) Handschriften [. . .] = Tilgung < . . . ) = Ergänzung Exponent 1 bei der Handschriftenangabe bezeichnet die Verbesserung von erster Hand, Exponent 2 die eines späteren Korrektors.

ALBII TIBULLI LIBER PRIMUS I. Divitias alius fulvo sibi congerat auro et teneat culti iugera multa soli, quem labor adsiduus vicino terreat hoste, Martia cui somnos classica pulsa fugent : 5 me mea paupertas vita traducat inerti, dum meus adsiduo luceat igne focus, ipse seram teneras maturo tempore vites rusticus et facili grandia poma manu, nec spes destituât, sed frugum semper acervos io praebeat et pieno pinguia musta lacu : nam veneror, seu stipes habet desertus in agris seu vetus in trivio florida serta lapis : et quodcumque mihi pomum novus educat annus, libatum agricolae ponitur ante deo. is

flava Ceres, tibi sit nostro de rure corona spicea, quae templi pendeat ante fores, pomosisque ruber custos ponatur in hortis, terreat ut saeva falce Priapus aves. vos quoque, felicis quondam, nunc pauperis agri 20 custodes, fertis munera vestra, Lares. tunc vitula innumeros lustrabat caesa iuvencos, nunc agna exigui est hostia parva soli, agna cadet vobis, quam circum rustica pubes clamet 'io messes et bona vina date'. 25 iam modo iam possim contentus vivere parvo nec semper longae deditus esse viae,

2 multa Exc. magna A V

25 iam possim Exc. non possum A V

TIBULLS GEDICHTE 1. BUCH (DELIA) 1. Frieden und Liebe Sammle ein anderer immer von gleißendem Golde sich Reichtum, Nenn' er bebauten Lands zahlreiche Morgen auch sein, Der die dauernde Müh' zu fürchten hat, nahen die Feinde, Dem das Signal zum Kampf lärmend den Schlummer verjagt: Mich jedoch leite mein Los bescheiden in Ruhe durchs Leben, Wenn nur auf eigenem Herd ständig das Feuer mir loht. Ich möchte gern, wenn es Zeit, die zarten Reben als Bauer Pflanzen mit sorgender Hand, stattliche Äpfel mir ziehn, Trüg' mich dann die Hoffnung nur nicht, daß die Früchte sich häufen Und die Bottiche stets voll sind von öligem Most! Ehr' ich doch immer den Pfahl, der verlassen im Feld, und am Dreiweg Jeden verwitterten Stein, ziert sie ein Blumengewind'. Und was als erstes an Obst das Jahr auch immer hervorbringt, Geb' ich als Spende zuerst stets für den ländlichen Gott. Goldblonde Ceres, dir soll mein Land einen Kranz voller Ähren Bieten, auf daß er am Tor vor deinem Tempel dann hängt, Und in dem Garten voll Obst steh', rötlich bemalt, mir der Wächter; Sichelbewehrt, der Priap, schreck' er die Vögel mir fort! Ihr auch, Hüter des Guts, das einstmals reich und jetzt ärmlich, Ja, ihr Laren auch ihr, tragt eure Gaben davon. Damals ward euch ein Kalb als Sühne für zahlloses Jungvieh, Heut ist ein Lämmchen allein Opfer für spärliches Land. Doch das Lamm soll euch fallen, und rings soll ländliche Jugend Rufen: „Heißa, so gebt Ernten und trefflichen Wein!" Könnt' ich, ach, könnt' ich doch jetzt zufrieden mit wenigem leben, Brauchte nicht immer aufs neu weit in die Ferne zu ziehn;

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1. Buch

sed Canis aestivos ortus vitare sub umbra arboris ad rivos praetereuntis aquae, nec tamen interdum pudeat tenuisse bidentem 30 aut stimulo tardos increpuisse boves, non agnamve sinu pigeat fetumve capellae desertum oblita matre referre domum. at vos exiguo pecori, furesque lupique, parcite : de magno est praeda petenda grege. 35 hie ego pastoremque meum lustrare quotannis et placidam soleo spargere lacte Palem. adsitis, divi, neu vos e paupere mensa dona nec e puris spernite fictilibus. fictilia antiquus primum sibi fecit agrestis 40 pocula, de facili conposuitque luto. non ego divitias patrum fructusque requiro, quos tulit antiquo condita messis avo : parva seges satis est, satis est requiescere lecto si licet et solito membra levare toro. 45 qyam iuvat inmites ventos audire cubantem et dominam tenero continuisse sinu aut, gelidas hibernus aquas cum fuderit Auster, securum somnos imbre iuvante sequi ! hoc mihi contingat : sit dives iure, furorem qui maris et tristes ferre potest pluvias. o quantum est auri pereat potiusque smaragdi, quam fleat ob nostras ulla puella vias ! te bellare decet terra, Messalla, marique, ut domus hostiles praeferat exuvias : 55 me retinent vinctum formosae vincla puellae, et sedeo duras ianitor ante fores, non ego laudari curo, mea Delia; tecum dum modo sim, quaeso segnis inersque vocer. te spectem, suprema mihi cum venerit hora, 60 te teneam moriens deficiente manu. flebis et arsuro positum me, Delia, lecto, tristibus et lacrimis oscula mixta dabis. flebis : non tua sunt duro praecordia ferro so

29 bidentem Exc. q bidentes V1 g ludentes A V 44 si licet g scilicet A V Exc. 48 imbre Exc. igne AV 59 te g et AV 60 te g et AV

1. Elegie

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Könnte im Schatten des Baums im Sommer die Hitze des Hundssterns Meiden am Ufer des Bachs, neben mir plätschernd das Naß! Dennoch wollt' ich auch gern bisweilen die Hacke ergreifen, Mit dem Stachel die träg wandelnden Ochsen bedrohn. Ohne Verdruß auch trüg' ich, vergaß es die Mutter, am Busen Ein verlorenes Lamm oder ein Zicklein nach Haus. Doch ihr, Diebe und Wölfe, verschont meinen kärglichen Viehstand, Aus einer Herde, die groß, holt eure Beute vielmehr! Für meinen Hirten entbiet' ich ja hier alljährlich das Opfer, Und ich bespreng' auch stets Pales, die Holde, mit Milch. Seid mir drum gnädig, ihr Götter, verschmäht nicht vom Tische des Armen Gaben in irdenem Napf, ist er doch heilig und rein. Irden war erst das Geschirr, das vor Zeiten der Bauer sich machte, Und er verfertigte sich's aus dem geschmeidigen Ton. Nicht verlang' ich der Väter Besitz und nicht die Erträge, Welche die Ernte dem Ahn einst in den Scheuern ergab. Ein Fleck Erde genügt, es genügt, auf dem Lager zu ruhen, Darf auf gewohntem Pfühl ich nur erquicken den Leib. Ach, wie schön, wenn man ruht und draußen toben die Winde, Während die Liebste man hält zärtlich gedrückt an die Brust, Oder wenn eisiger Nord im Winter den Regen herabjagt Und das rauschende Naß schläfert den Sorglosen ein. Ja, so wünsche ich's mir! Der habe mit Recht seinen Reichtum, Wer das tobende Meer, Güsse des Regens erträgt. Ach, alles Gold und Edelgestein geh' eher zugrunde, Als daß, wandre ich fort, Tränen vergießt eine Maid. Dir, Messalla, gebührt zu Land und zu Wasser zu kämpfen, Daß dein Haus zum Schmuck feindliche Beute dann zeigt: Mich jedoch hält eine liebliche Maid gefesselt in Banden, Sitze als Wächter ich nun vor der gefühllosen Tür. Nein, ich will keinen Ruhm, meine Delia; kann ich bei dir nur Weilen, so schelte man mich immerhin träg und bequem! Dich nur möchte ich schau'n, wenn mein letztes Stündlein gekommen, Dich möcht ich halten im Tod mit der ersterbenden Hand! Weinen, Delia, wirst du, empfangt mich die Bahre zum Brande, Küsse auch gibst du mir dann, traurig mit Tränen vermischt; Weinen wirst du — die Brust umgibt dir kein stählerner Panzer,

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1. Buch vincta, neque in tenero stat tibi corde silex. 65 ilio non iuvenis poterit de funere quisquam lumina, non virgo sicca referre domum. tu mânes ne laede meos, sed parce solutis crinibus et teneris, Delia, parce genis. interea, dum fata sinunt, iungamus amores : iam veniet tenebris Mors adoperta caput, iam subrepet iners aetas neque amare decebit, dicere nec cano blanditias capite, nunc levis est tractanda Venus, dum frangere postes non pudet et rixas inseruisse iuvat. 75 hic ego dux milesque bonus : vos, signa tubaeque, ite procul, cupidis vulnera ferte viris, ferte et opes : ego conposito securus acervo despiciam dites despiciamque famem.

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II. Adde merum vinoque novos conpesce dolores, occupet ut fessi lumina vieta sopor, neu quisquam multo percussum tempora Baccho excitet, infelix dum requiescit amor. 5 nam posita est nostrae custodia saeva puellae, clauditur et dura ianua firma sera, ianua difïïcilis, densus te verberet imber, te Iovis imperio fulmina missa petant. ianua, iam pateas uni mihi, vieta querelis io neu furtim verso cardine aperta sones. et mala siqua tibi dixit dementia nostra, ignoscas : capiti sint precor illa meo. te meminisse decet, quae plurima voce peregi supplice, cum posti florida serta darem. i5 tu quoque ne timide custodes, Delia, falle: audendum est, fortes adiuvat ipsa Venus, illa favet, seu quis iuvenis nova limina temptat, seu reserat fixo dente puella fores ; illa docet molli furtim derepere lecto, 7 densus Helm domini Hss.

19 derepere Exc. decedere A V

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1. Buch vincta, neque in tenero stat tibi corde silex. 65 ilio non iuvenis poterit de funere quisquam lumina, non virgo sicca referre domum. tu mânes ne laede meos, sed parce solutis crinibus et teneris, Delia, parce genis. interea, dum fata sinunt, iungamus amores : iam veniet tenebris Mors adoperta caput, iam subrepet iners aetas neque amare decebit, dicere nec cano blanditias capite, nunc levis est tractanda Venus, dum frangere postes non pudet et rixas inseruisse iuvat. 75 hic ego dux milesque bonus : vos, signa tubaeque, ite procul, cupidis vulnera ferte viris, ferte et opes : ego conposito securus acervo despiciam dites despiciamque famem.

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II. Adde merum vinoque novos conpesce dolores, occupet ut fessi lumina vieta sopor, neu quisquam multo percussum tempora Baccho excitet, infelix dum requiescit amor. 5 nam posita est nostrae custodia saeva puellae, clauditur et dura ianua firma sera, ianua difïïcilis, densus te verberet imber, te Iovis imperio fulmina missa petant. ianua, iam pateas uni mihi, vieta querelis io neu furtim verso cardine aperta sones. et mala siqua tibi dixit dementia nostra, ignoscas : capiti sint precor illa meo. te meminisse decet, quae plurima voce peregi supplice, cum posti florida serta darem. i5 tu quoque ne timide custodes, Delia, falle: audendum est, fortes adiuvat ipsa Venus, illa favet, seu quis iuvenis nova limina temptat, seu reserat fixo dente puella fores ; illa docet molli furtim derepere lecto, 7 densus Helm domini Hss.

19 derepere Exc. decedere A V

1.—2. Elegie Und dein zärtliches Herz schließt keinen Kieselstein ein —, 65 Und kein Jüngling dann wandert von meinem Leichenbegängnis - Und keine Jungfrau dann trockenen Auges nach Haus. Du aber kränke mich nicht im Grab und schone die Locken Und die Wangen so zart, Delia, schone auch sie! Doch, solang' das Geschick es vergönnt, laß inzwischen uns lieben; Bald schon kommt uns der Tod, Finsternis rings um das Haupt, Bald auch naht uns das Alter; dann ziemt es nicht, will man noch kosen, Bringt mit ergrautem Haar schmeichelnde Worte noch vor. Jetzt gilt's, lockerer Liebe zu folgen, solange man schamlos Türen zerschlägt und voll Lust Streit mit Rivalen beginnt. 75 Da bin ich gut, ob Führer, ob Knecht. Standarten, Trompeten, Fort mit euch! Wunden verschafft Männern, die danach verlangt! Bringt ihnen Schätze! Doch ich möchte ruhig bei meinem Besitztum Spotten der Reichen, jedoch spotten des Hungers zugleich.

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2. Vergeblicher Trost beim Wein Gieß mir noch ein und lindre mit Wein den erneuerten Kummer, Daß dem Müden der Schlaf siegreich die Augen dann schließt. Niemand weck mich, wenn reichlicher Wein mir die Schläfen betäubte, Während die Liebe in mir still, die unselige, ruht. 5 Ach, man stellt meinem Liebchen ja jetzt eine grimmige Wache, Und der Riegel verschließt hart die gesicherte Tür. O du lästige Tür, o peitsche dich heftiger Regen, Treff dich, von Juppiters Hand niedergeschleudert, der Blitz! Tür, tu endlich dich auf, mir allein, gerührt von den Klagen, io Und wenn die Angel sich dreht, öffne dich ohne Geräusch! Wenn ich dir irgendwie Böses gewünscht in meiner Verblendung, Gnade! Und möge der Fluch treffen mein eigenes Haupt! Denken mußt du an das, was ich alles flehend gesprochen, Wenn für die Pfosten ich dir Blumengewinde gebracht! 15 Delia, aber auch du täusch' nur entschlossen die Wächter! Wagen muß man; es hilft Venus ja selbst, wenn man kühn. Sie steht bei, wenn ein Jüngling an neuer Schwelle sich einstellt Oder ein Mädchen die Tür sich mit dem Dietrich erschließt. Sie lehrt auch, verstohlen vom weichen Lager zu schleichen,

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Tibull

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1. Buch 20

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illa pedem nullo ponere posse sono, illa viro coram nutus conferre loquaces blandaque conpositis abdere verba notis. nec docet hoc omnes, sed quos nec inertia tardat nec vetat obscura surgere nocte timor. en ego cum tenebris tota vagor anxius urbe,

nec sinit occurrat quisquam, qui corpora ferro vulneret aut rapta praemia veste petat. quisquis amore tenetur, eat tutusque sacerque 30 qualibet : insidias non timuisse decet. non mihi pigra nocent hibernae frigora noctis, non mihi, cum multa decidit imber aqua, non labor hie laedit, reseret modo Delia postes et vocet ad digiti me taciturna sonum. 35

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so

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parcite luminibus, seu vir seu femina fiat obvia: celari volt sua iurta Venus, neu strepitu terrete pedum neu quaerite nomen neu prope fulgenti lumina ferte face, siquis et inprudens adspexerit, occulat ille perque deos omnes se meminisse neget : nam fuerit quicumque loquax, is sanguine natam, is Venerem e rapido sentiet esse mari. nec tamen huic credet coniunx tuus, ut mihi verax pollicita est magico saga ministerio. hanc ego de caelo ducentem sidera vidi, fluminis haec rapidi carmine vertit iter, haec cantu finditque solum Manesque sepulcris elicit et tepido devocat ossa rogo : iam tenet infernas magico stridore catervas, iam iubet adspersas lacte referre pedem. cum libet, haec tristi depellit nubile caelo, cum libet, aestivo convocai orbe nives. sola tenere malas Medeae dicitur herbas, sola feros Hecatae perdomuisse canes. haec mihi conposuit cantus, quis fallere posses: ter cane, ter dictis despue carminibus. ille nihil poterit de nobis credere cuiquam,

23 docet Q decet A V

2. Elegie

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Sie weist, wie man den Fuß setzen kann ohne Geräusch, Sie zeigt, wie vor dem Mann vielsagende Winke man austauscht Und in geheimer Schrift kosende Worte verbirgt. Doch sie lehrt das nicht alle, nur wen seine Schlaffheit nicht hindert Und auch die Furcht nicht hemmt, sich zu erheben bei Nacht. Schau doch, wenn ich voll Angst die Stadt im Finstern durchstreife,