Gedichte [Reprint 2021 ed.]
 9783112507483, 9783112507476

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Gedichte von

M. A. Nobbe

Gedichte von

Moritz August Nobbe Königl. Landesökonomierat

t 5. Dez. 1910

Verlag von Alfred Töpelmann (vormals 3. Ricker) :: Gießen :: 1911

Lerrosö & Ztemse», G. m. b. L., Wittenberg.

Dem Andenken unseres unvergeßlichen Vaters

Die Kinder

^^ieses Buch enthält einen ^eil der Gedichte unseres geliebten Vaters, in denen er zum Ausdruck ge­ bracht hat, was ihm in seinem langen und reich­ bewegten Leben an Freud' und Leid begegnete und ihn in seinen Mußestunden beschäftigte. Die Ge­ dichte geben Zeugnis von seiner tief religiösen Welt­ anschauung und seiner edlen Auffassung aller Ideale des Lebens. Nach dem Tode unseres Vaters traten Freunde und Verwandte mit der Bitte an uns heran, diesen reichen poetischen Schatz von Lebenserfahrung auch weiteren Kreisen zugänglich zu machen. Wir konnten diesen Wunsch erfüllen, weil unser geliebter Vater zwar bei Lebzeiten seine Gedichte und Gedanken der Öffentlichkeit nicht preisgeben wollte, uns aber doch die Erlaubnis gab, dieselben nach seinem Tode drucken zu lassen.

Inhalt. Liebes Leid und Lust. Denn welcher Autor in der ganzen Wett Lehrt solche Schönheit wie ein Frauenauge

(Shakespeare: Liebes Leid und Luft.)

Seite Untreue..................................17 Ltebesweh.............................. 18 Jugend.................................. 19 Die drei Schwestern ... 20 Von der Wanderschaft. . 21 Fasching................................. 23 Gute Lehre............................. 24 Versuchung.......................... 26 Im Lande Krain.................. 28 Leimkehr............................. 29 Loratius................................. 31 Nach Loratius. I.-V. 33Liebesleid.......................... Mittsommernacht .... Unheilbar.......................... Zwei hohe Dinge .... OO CO

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Seite Selige Wett...................... 3 Es hat gewittert............... 4 Vergleichbar...................... 5 Dein denk' ich —............... 6 Lenzeszauber...................... 7 Über die schweigenden Fluren —......................... 8 Schlaf wohl!......................... 9 Frage..................................... 10 Liebeszauber.......................... 10 Am Muttergottesbilde . . 11 Ich mag nicht wissen und fragen -.............................. 12 Abendlied ....... 13 Still......................................... 14 Leiderose.............................. 16

Sommernachtstraum. Doch diese nächtlichen Begebenheiten Bezeugen mehr als Spiel der Phantasie . . .

(Shakespeare: Sommernachtstraum.) Sette Gewitterschwüle................... 47 Erfüllung............................... 48 Liedesschwetgen....................49 Sankt Johannistag ... 50 Maienrose............................... 51 Sturm....................................... 52 Mohnblüte............................... 52 Rückkehr................................... 53 Leben und Traum .... 54 Was möcht' es sein — . . 55 Abendfrieden........................... 57 Ich nur ward ein andrer 58 Rachtgedanken....................... 59 Abendstimmung................... 61 Warum schon singst du wieder 62 O Lenzesluft, o Wonne — 63 Mitternacht........................... 64 Du freilich wtrst's nicht hören 65 Es ruht die Welt — ... 66 Früher Tod........................... 67

Seite Zu KlopstockS Ode: „£>te frühen Gräber- .... 68 Vorüber................................... 69 Freude....................................... 70 Vor der Trennung.... 73 Nach der Trennung ... 73 LtmmelfahrtStagamRhein 75 Nachtbild............................... 77 Vergebens............................... 79 Zwielicht................................... 80 Totensonntag....................... 81 Waldesschwetgen .... 81 Wie damals........................... 82 Die Jahre werden kommen 83 An den Mond ..... .84 Es war —............................... 85 Sternennacht........................... 86 Abendltcht............................... 87 Getrost....................................... 87 Leben....................................... 88

Wie es euch gefällt. Sie sagen, ihr wärt ein melancholischer Gesell! — — „Das bin ich: ich mag es lieber sein als Lacher-----es ist eine Melancholie nach meiner Weise." (Shakespeare: Wie es euch gefällt.)

Sette AuS Wolkenhöhen ... 91 Alpenzyklus: I. Aufwärts................ 92 II. Jupiter pluvius . . 93 III. Edelweiß................ 95 IV. Lochgebirg .... 96 V. Sorge.................... 98 VI. Traum........................ 100 Der fernste Stern.... 103 Wohin?.....................................105 Vorrecht.................................106 Forschung................................ 107 Was ist'S?.............................110 Irrtum.....................................111 Die Grille am Dom... 112 Ob? ......................................... 114 Kennst du die Nacht . . 115 Iahrhundertschluß (1900). 116 Sonette I.—XII.. . . 123-130 Sankt Franziskus(Legende) 131

Sette Strmts.......................... 133 Veilchen und Aster... 135 Mittagstille.................. 137 Stilleben...................... 138 Der Larfner.............. 139 Friederike vonSesenheim 140 Gautama l.-III.. . .142-144 Nirwana.......................145 Erlösung...................... 146 Der Erdstern.............. 147 Offenbarung.............. 148 Sehnsucht...................... 148 Dithyramben:

I. II. III. IV. V.

Genius........................ 149 Schicksal.................... 151 Erbteil........................ 153 Ursprung.................... 154 Aufschwung.... 156

Kunst........................................ 158

Sette Zur hundertjährigen Geburtstagsfeier Beet­ hovens 16. 12. 1870 . . 160 1866 .................................... 162 1870 .................................... 164 Die Kanone auf Lohen­ zollern .............................166 Lübeck..............................170 Lafsan.......................... 171 Die ungleichen Brüder . 172 Die Lexe...................... 173 Benakus...................... 174 Phaethon (Ballade)... 177 Das Märchen............... 183 Einst und Jetzt............ 188 Was nützt es dir? ... 189 Luther.......................... 190 Tag und Nacht............ 191 Loffnung...................... 192 Befreiung...................... 193 Lebenswasser............... 194 Wunder I................... 195 II................... 196 Weltkinder................... 197 Unsterblichkeit............... 198 Die Liebe höret nimmer auf.................................... 199 Meinem verstorb. Kinde I.—VII...................... 200-204 Letzter Abschied.................. 205

Die Seligpreisungen:

Vorwort......................... 206

Selig sind die geistlich Armen......................... 207

Sette Selig sind die Leid­ tragenden ..................... 208 Selig sind die Sanft­ mütigen ......................... 209 Selig sind,die da hungert und dürstet nach Ge­ rechtigkeit ..................... 210 Selig sind die Barm­ herzigen ......................... 211 Selig sind, die reinen Lerzens sind .... 212 Selig sind die Fried­ fertigen ......................... 213 Selig sind die um Ge­ rechtigkeit willen Ver­ folgten ......................... 214 Das Limmelreich .... 215 Thüringer Balladen: I. Letnz von Velsbach 216 II. Albrecht der Ent­ artete ......................... 222 III. Friedrich mit der gebissenen Wange. 226 Im Philosophenhain: Introitus......................... 231 Spinoza.............................231 Kant................................ 232 Fichte................................ 232 Legel................................ 233 Schelling......................... 233 Schopenhauer.................. 234 E. von Lartmann ... 234 Nietzsche......................... 235 Exodus.............................235 Wie anders war's! ... 236

Wintermärchen. Dem Atter ziemend, Schenkst du uns Wtnterblumen. (Shakespeare: Wtntermärchen.)

Sette Sprüche und Paradoxen: IntrottuS ... - . . . 239 Doppelwesen • .... 239 Kultur..............................239 Gegensätze...................... 240 Großmutters Klugheit. 240 Optimismus...................... 240 Mut................................. 241 Quieta non movere! . . 241 Vergänglichkeit .... 241 Verspätete Klage ... 241 Embryo .......................... 242 Gleiches Geschick ... 242 Den Materialisten... 242 Herrenmenschen.... 243 Äberhebung...................... 243 Gefährlich ...................... 243 Den Schweigsamen I . 244 „ H . 244 Regiment.......................... 244 Vereint..............................244

Sette Vorsicht............................. 245 Paracelsus...................... 245 Macht des Erfolges. . 245 Abkühlung...................... 245 Klugheit.......................... 246 Unentschiedenheit ... 246 Beistand.......................... 246 Kränze.............................. 246 Reptile............................. 247 Toren................................. 247 Schwierig.......................... 247 Vorschnell.......................... 247 Erfahrung ...................... 248 Trotz................................. 248 Ehrlicher Kampf ... 248 Schwer verdaulich . . 248 Eigenart.......................... 249 Nicht zu ängstlich ... 249 Leider................................. 249 Abwehr............................. 249 Bene notandum .... 250

Liebes Leid und Luft. Denn welcher Autor in der ganzen Welt Lehrt solche Schönheit wie ein Frauenauge?

(Shakespeare: Liebes Leid und Lust.)

Robbe, Gedichte.

1

Selige Welt. Du richtest, mein Lieb, auf die Sterne Die Blicke gedankenvoll, Was ist's, das die dämmernde Ferne Dem Aerzen enthüllen soll?

Ich weiß es, sie soll dir verkünden. Was oft deine Seele bewegt. Ob dort in des Weltalls Gründen Sich sel'ges Empfinden regt;

Ob droben im Aimmelsglanze Bewußtes Leben wohnt, And ob im Sternenkranze Die Liebe als Göttin thront. Doch ach, vergebliches Fragen! Die Sterne bleiben stumm; Kein Forscher kann dir's sagen — — Nur ich, ich weiß darum!

Ich kenne zwei leuchtende Sonnen, Durchglüht vom reinsten Licht, Aus deren Strahlenbronnen Leben und Liebe spricht!

Das sind deiner Augen Sterne, Drin glüht eine selige Welt — Was kümmerst du dich um das ferne Schweigende Limmelszelt?

Es fyat gewittert. Es hat gewittert in schwüler Nacht, Da ist unter Tränen die Rose erwacht. Nur scheu entstieg sie des Kelches Schoß, Denn die Welt erschien ihr so fremd und groß; Doch als der goldene Morgen kam And die Lülle vom blühenden Lande nahm. Da ward ihr so leicht und so wunderbar. Als werd' ihr ein großes Geheimnis klar. And sie lachte so hell in die Welt hinein, Als könne es gar nicht anders sein.

And als es gewittert in schwüler Nacht, Da ist auch in mir eine Rose erwacht. Die Rose der Liebe, die ahnungstief Schon lange im sehnenden Lerzen schlief. Kaum weiß ich selber, wie alles geschah; Doch als du geflüstert das selige „Ja", Da ward mir so leicht und so wunderbar. Da ward mir ein großes Geheimnis klar. And ich lachte so hell in die Welt hinein. Als könne es gar nicht anders sein.

Vergleichbar. Nicht der Blum' aus tropischen Auen, Der bizarren, farbenreichen. Die sich lächelnd läßt beschauen. Ist mein Mädchen zu vergleichen. Auch der Rose nicht, die blendend Weiß die Sinne zu berücken, And balsam'sche Düfte spendend, Tausenden gewährt Entzücken; Denn nicht denen kann sie gleichen. Deren Lob in aller Mund ist. Weil des holden, anmutreichen Mädchens Reiz nur wenigen kund ist.

Einer Blum' in Bergesklüften, Die, versteckt und schwer erreichbar. Still sich wiegt in Äimmelslüften, Solcher ist mein Lieb vergleichbar. Denn nur mir, dem kühnen Knaben Äat sie zögernd sich erschlossen, And die still verborgnen Gaben Reinster Lieb ins Lerz gegossen.

Dein denk' ich — Dein denk' ich, wenn des Phöbus Pracht Aus Rosenwolken fliegt. Wenn rings die Welt nach dunkler Nacht Im Morgenglanze liegt. Dein denk' ich, wenn des Tages Glut Sich übers Land ergießt, Wenn goldnen Lichtes heiße Flut Um Tal und Höhen fließt. Dein denk' ich, wenn des Abends spät Der letzte Laut entschwebt — Dein denk' ich selbst, wenn im Gebet Mein Geist zu Gott sich hebt.

Lenzeszauber. Wonniges Weben Jubelnder Schall — Sonniges Leben Allüberall!

Goldener Regen Zittert im Laub, Streut an den Wegen Gold in den Staub;

Nachtigallieder Füllen die Luft Blühender Flieder Würzt fie mit Duft.

Lilien vom Weiher Schlingen im Glanz Silberner Schleier Lold sich zum Tanz;

Am die Maronen Schlingt sich ein Kreis Blühender Kronen Rötlich und weiß;

Überall regt sich Leben und Lust, Äoffend bewegt sich Wieder die Brust-------

Wonniges Weben, Jubelnder Schall — Sonniges Leben Allüberall!

Aber die schweigenden Fluren — Aber die schweigenden Fluren Legt sich der Schleier der Nacht; Zitternd erlöschen die Spuren Abendlich wonniger Pracht.

Wallende Nebel umsäumen Geisterhaft Weiher und Wald, Tief aus unendlichen Räumen Tauchet des Mondes Gestalt, Lebt sich mit schwellendem Strahle Ab von dem himmlischen Zelt, Gießet aus goldener Schale Ströme des Lichts auf die Welt; Gießt seine süßeste Milde Auf der Geliebten Gesicht — Wandelt mein Sehnen, das wilde, — Sanft in ein sel'ges Gedicht. —

Schlaf wohl! Jetzt, wo zu nächtiger Stunde Der Mond mit bleichem Schein Beginnt die alte Runde, Jetzt, Liebchen, denk' ich dein.

Ich denke dein und schaue Linaus ins Dämmerlicht, Es brüten auf der Aue Die Nebel feucht und dicht.

Die feuchten Nebel heben Sich geisterhaft empor. Sie steigen auf und weben Der Wolken weißen Flor. And mit den Wolken steigen Auch meine Grüße auf, Die Abendwinde zeigen Den flüchtigen ihren Lauf. Im flüchtigen Laufe schweben Sie dir, Geliebte, zu — Schlaf wohl, mein Lieb, mein Leben, Schlaf wohl in sel'ger Ruh!

Frage. Fragst du die Sterne, warum sie glühen? Sie wissen's nicht und bleiben stumm. Fragst du die Rosen, warum sie blühen? Sie blühn und wissen nicht warum!

Fragst du die Sonne, warum sie scheine? Sie spendet unbewußt ihr Licht; Doch fragst du mich, warum ich weine? — Ich weiß es, doch verrat' ich's nicht!

Liebeszauber. O sprich, wie mag es nur geschehn Du holde Zauberin: Wenn meine Augen dich nicht sehn Ist all mein Frieden hin! Verödet scheint mir jeder Ort, Bedrücket Lerz und Sinn, Es zieht mich fort und immerfort Zu dir, Geliebte, hin. Was einst ich hoch und herrlich fand. Ich wünsch' es nicht zurück: In deinem Auge, deiner Land Liegt meine Welt, mein Glück!

Am Muttergottesbilde. Die weiten Kirchenhallen Liegen in stiller Ruh', Den Engeln und Leiligen fallen Die müden Augen zu. Am Muttergottesbilde Welket ein Rosenstrauß, Da hauchen die Blüten milde Ihr junges Leben aus. Sie sind der Mutter der Schmerzen Von liebender Land geweiht, Sie sind mit brechendem Lerzen Gebrochen vor der Zeit.

Run welken im Kerzenscheine Sie vor der Jungfrau Thron And seufzen: „Warum, du Reine, Müssen wir sterben schon?" Da lächelt mild und trübe Der Sel'gen Angesicht: „Ihr sterbt im Dienst der Liebe — Drum weint und klaget nicht!"

Ich mag nicht wissen und fragen — Ich mag nicht wissen und fragen Was wohl die Rose sann. Als bei des Frührots Tagen Zu blühen sie begann; Auch mag ich nicht erkunden Was wohl die Drossel sang. Als nachts in Waldesgründen Ihr sehnend Lied erklang;

Eins aber wüßt' ich gerne. Was du, mein Lieb, gedacht. Als du beim Licht der Sterne Geweint in dieser Nacht!

Abendlied. Welch holde Töne klingen leise Entgegen mir vom Waldeshang? Melodisch schwebt die süße Weise Das nächtlich stille Tal entlang.

O löse mir der Seele Schwingen, Und laß die volle Zaubermacht Der Töne mir die Brust durchdringen, Du schlichtes Lied in stiller Nacht! — — Nun schweigt der Sang, der Schritt kommt näher, And wie ich leise tref hinzu. Entdeck' ich — ein beglückter Späher — Die liebe Sängerin warst du!

Still. Ich hör' es rauschen In dem Gezweige — O Liebchen, schweige. Man könnte lauschen! Laß leis uns fliehen Vor Menschenohren And weltverloren Zur Ferne ziehen,

Zur Bergeshalde Fern, fern vom Leben; Zum Lenzesweben Im Buchenwalde; Zu Sumpf und Brache In Lochlands Fernen; Dort sollst du lernen Die Vogelsprache!

Wie wirst du staunen. Wenn süßen Reimes Sie Tiefgeheimes Ins Ohr dir raunen! Wenn sie erzählen Von Leid und Minne, Die Lerz und Sinne Verlangend quälen!

Von Liebesschwüren In alten Linden, Wo die sich finden. Die sich erküren! Von eisigen Westes Geheimer Tücke Und von dem Glücke Des eignen Nestes!

O süßes Singen! — Und wenn die leisen Viel holden Weisen Ans Äerz dir dringen. Dann will ich lüstern Nach sel'gem Tage Die stille Frage Ins Ohr dir flüstern:

„Wollen wir's machen Wie diese Kleinen? Zusammen weinen, Zusammen lachen?

Uns ganz vertrauen In Lust und Leide, Und liebend beide Das Nest uns bauen?" Doch still! Es rauschen Die alten Föhren — Man könnt' uns hören. Man könnte lauschen!

Leiderose. Schon bleicht der Sommer rings das Land, Schon welken Gras und Mose, Versteckt nur blüht am Waldesrand Noch eine Leiderose.

And wie sie duftet still und mild. Ob niemand auch drauf achtet. Wird sie des Lerzens Ebenbild, Das unerkannt verschmachtet!

Untreue. Wir saßen zusammen auf moosigem Stein And sahn in die schweigende Nacht hinein. Es sang uns die Drossel den Abschied im Lag — Wir sollten uns trennen am jungen Tag.

„Ach Liebster, Lerzliebster, wie wird mir so bang. Dein Weg ist so weit und die Trennung so lang."

„„And ist sie auch lang und die Ferne weit. Ich werde dein denken zu jeder Zeit!""

„And bleibst du auch treu mir, vieltrauter Gesell? Ach, Worte der Liebe vergessen sich schnell!" „„Die Worte der Liebe bewahr' ich aufs Best', Die Sterne am Limmel die stehn nicht so fest!""

So saßen wir kosend die lange Nacht, Schon graut es im Osten, die Lerche erwacht; Da zuckte ein Sternlein und fiel auf das Land — Es war wohl mein Glücksstern - Gott weiß, wer ihn fand!

— Wo magst du nun weilen, mein trauter Gesell? Ach, Worte der Liebe vergessen sich schnell! —

Nobbe, Gedichte.

17

Liebesweh. Ich ziehe durch die Weite, Weiß kaum wohin ich geh' — Es gibt mir das Geleite Allein mein Liebesweh. Kein Lauscher soll es wissen. Was mich betroffen hat — In Leid und Kümmernissen Sei meine Stirne glatt;

Kein Wort soll's offenbaren. Kein Blick Verräter sein: Wer Leid von Lieb' erfahren. Der schweigt und träg's allein.

So zieh ich weit und weiter. Weiß kaum wohin ich geh' — Mein einziger Begleiter Ist, ach, mein Liebesweh!

Jugend. So wahr die Welt im Maien Sich schmückt mit Glanz und Schein, So wahr wird Lust und Reihen Der Jugend Vorrecht sein! So wahr im Lenzesweben Sich Liebe löst im Klang, So wahr wird Iugendleben Erglühn in Lieb' und Sang! Doch ach, so wahr in Tränen Gar oft die Blüten stehn. So wahr wird Iugendsehnen Auch oft in Leid vergehn!

Die drei Schwestern. Es sitzen im düstern Kloster Der edlen Schwestern drei And beten das Paternoster And singen die Litanei.

Das waren drei schöne Damen Auf hohem Schloß am Rhein, Viel Ritter und Lerren kamen, Am ihre Land zu frei'n.

And jede von den dreien Einen Buhlen sich gewann. Einen Ritter, einen Freien And einen Edelmann.

Die saßen einst fröhlich im Schiffe Da trieb der Strom den Kahn Gegen die Felsenriffe — Es war um sie getan! Run sitzen im düstern Kloster Der edlen Schwestern drei, And beten das Paternoster And singen die Litanei, And müssen den Leib kasteien And fasten bis zur Nacht, Doch hat noch nichts den-dreien Die Lerzen still gemacht! —

Von der Wanderschaft. Ich kam zurück vom welschen Land, Kehrt' ein in eine Sütte, Daselbst ich deutsche Sprache fand. Dazu auch deutsche Sitte. Die Leute gaben mir Bescheid, Ich sei im Land Graubünden, Mir aber schuf's kein Herzeleid, Äier deutsches Volk zu finden.

Da hab' ich meinen Wanderhut Vor Freuden hochgeschwungen, And hab' ein heitres Liedel gut Frisch in die Luft gesungen. And hab' gedacht: nun hat's nicht Not, Nun wird mir leicht die Reise, Nun eß ich wieder deutsches Brot And red' auf deutsche Weise! Drauf haben sie mich ausgefragt Nach Welschlands Art und Sitte, And wie es drüben mir behagt In fremden Volkes Mitte. Da fing ich zu erzählen an. Was ich erlebt und wußte, Was mir in Welschland wohlgetan And was ich leiden mußte.

Die Frauen, sagt' ich, seien drin Gar lieblich anzuschauen. Mit dunklen Augen, list'gem Sinn And rabenschwarzen Brauen; Sie seien ohne Maßen schön, Dazu von lust'gen Arten — So recht wie Rosen anzusehn Im Paradieses-Garten.

Rur freilich dürfe man sich nicht An ihren Dornen ritzen; Es spüre mancher junge Wicht Im Lerzen noch die Spitzen! — So sprach ich, doch sie glaubten's nit And lachten hell und heiter; Ich aber lachte heimlich mit — And grüßend zog ich weiter! —

Fasching. In des Faschings lust'gen Tagen Wandelt sich zum Lerrn der Sklave, Wandelt sich die Magd zur Lerrin And zum Bösewicht der Brave!

In des Faschings lustigen Tagen Wird der finstre Mönch zum Zecher, Wird zum Lelden der Philister And der Narr zum Weisheitssprecher.

In des Faschings lust'gen Tagen Wandelt sich das Weltgetriebe — Aber wann, du holdes Mädchen, Wandelt sich dein Trotz in Liebe?

Gute Lehre. Der schönste der Pagen, was ist ihm geschehen? — Zu tief hat der Knabe ins Auge gesehen Der Kaiserin; Nun ist dahin Sein Heller und fröhlicher Jugendsinn. Kaum merkt das der Kaiser, so schwillt ihm die Galle. „Oft brachte schon Jugend die Tugend zu Falle! Leicht ist's geschehn. Ich will doch sehn Wie im Lerzen der Äerrin die Dinge stehn!

Schreib, Junker, der Dame, du tragest Verlangen Äeut nacht ihr verstohlen am Lalse zu hangen! Bei Äöll' und Welt Mein junger Leld, Dein Brief und die Antwort wird sicher bestellt!" Die Kaiserin liest die verfänglichen Worte; Ei, komm nur, so denkt sie. Verwegner zur Pforte! Dann schreibt sie fein: „Bei Mondenschein Wird offen die Kammer dem Klopfenden sein." 24

Der Kaiser erbleicht ob der schmählichen Kunde; Kaum kann er erwarten die nächtliche Stunde, Dann schleicht bedacht Er selber sacht Als Page zur Kammer um Mitternacht.

Er klopfet verstohlen — doch kaum ist's geschehn. Da springen, mit Spindeln und Besen versehn. Die Mägde jach Aus dem Gemach And stäupen den Klopfer mit lautem Gelach! And als sie erschrocken den Kaiser entdecken. Da rufet die Lerrin mit fröhlichem Necken: „Das schmerzt mich sehr. Doch rechnet's zur Lehr' And prüft unsre Treue nicht allzu schwer!" —

Versuchung. Feinsliebchen ging am Waldesrand And brach mit ihrer zarten Land Viel bunte Blütendolden; Ich aber stand im Busch versteckt And freute mich der Lolden.

Da kam einher ein Lerr Scholar Von schlankem Wuchs mit blondem Laar, Der grüßte sie mit Züchten: Ist hier zur Seit' ein Plätzchen frei? Feinsliebchen sprach: Mit Nichten!

Ihm folgt ein kecker Reitersmann, Der herrscht sie kühnen Wortes an; Sie aber droht: Lerr Reiter, Manch giftig Bremslein summt im Wald, Drum reit' er schleunig weiter!

Rach diesem kam der Lerr Kaplan, Der fing die Sache pfiffig an, Ein Küßlein zu erlisten: Sie aber küßt ihm nur das Kleid Wie's Brauch bei guten Christen.

Und Ein Der Sie Tät

endlich kam im grünen Äut Jäger schmuck und wohlgemut. hofft' sie zu umgarnen; aber sprach: Mein Mütterlein mich vor Jägern warnen!

Nun bin ich selbst ein Jägersmann, Drum sprang ich hurtig aus dem Tann: Was soll dies Wort bedeuten? Sie aber lacht' und küßte mich, Wie's Brauch bei Liebesleuten!

Im Lande Kram. Ich fand dereinst im Lande Kram Ein Wirtshaus an der Straße, Drin wohnt ein holdes Mägdelein Mit ihrer alten Base.

Die alte Base gab mir Wein------Gott mag den Trank verzeihen! Doch würzte ihn das Mägdelein Durch süße Plaudereien. And als ich mußte weiterziehn. War rauh vom Wein die Kehle, Doch vom Geplauder fühlt' ich glühn Noch lange Äerz und Seele!

Heimkehr. 3m Kölner Dom am Rheine Am Allerseelentag, Zerfloß mein Lieb in Tränen, Daß fast das Äerz ihr brach. Es war nicht um der Toten Qual So trüb ihr Äerz — Daß sie mich sah zum letztenmal. Das war ihr Schmerz! Drauf bin ich fortgegangen Den grünen Strom entlang. Ich zog mit einem Burschen, Der muntre Lieder sang. „Ach, singe mir, mein Kamerad, Ein traurig Stück — Ich ließ in Köln, der großen Stadt, Mein Äerz zurück." So ging es weit und weiter Bis in das Niederland, Wo fremde Sitten walten And keiner uns verstand; Da blieben wir jahraus, jahrein In fremdem Sold — Wie mag es dir ums Äerz wohl sein, Feinsliebchen hold?

Vier Jahr, vier lange Jahre, Wer mag die denken aus? Vier Jahre mußt' ich's tragen. Gottlob, dann ging's nach Äaus. Doch als ich trat ins Tor hinein. Befiel mich Scheu: „Kennst, Zöllner, du die Liebste mein? Blieb fie mir treu?" Dein Lieb, so sprach der Zöllner, Stand heut noch auf der Brück' And schaut' ins Land und seufzte: Ach, kehrt' er mir zurück! „And schaute fie nach mir noch heut' Ins Land hinein. So soll sie nun in Leid und Freud' Die meine sein!"

Loratius. O mein Loraz, wie stehst du doch So nah dem Lerzen mein. Wie lest ich mich so gerne noch In deine Lieder ein!

Äalb jugendfroh, halb lebensklug, Lalb Satyr, halb Apoll, So schriebst du lächelnd Brief und Buch, Bewährter Weisheit voll. Du ließest nutzlos keinen Tag Im Jahr vorübergehn. Denn wenn es grünen wollt' im Äag, So schriebst du an Mäcen:

Heraus, o Freund, heraus zu mir! Es steigt der Lenz zu Tal — Bald kommt der Tag, da kränzen wir Mit Rosen den Pokal! Verseuchte dann des Sommers Brand Den trägen Tiberstrom, So nahmst du Stift und Wachs zur Land And schriebst dem Freund in Rom:

Heraus, du Königssproß, heraus Zu Wiese, Hain und Wald — Du weißt, im Sommer ist das Haus Ein düstrer Aufenthalt!

And kam herbei die Kelterzeit, And hingen gelb und rot Am Stock die Trauben weit und breit. Dann klang's wie bitt're Not. Heraus! Es fehlt, mein Trinkgesell, An Krügen mir im Laus, Drum trink mit mir die alten schnell Noch vor der Lese aus!

Wenn endlich welkend Blatt für Blatt Aufs öde Blachfeld sank. Dann flohst du in die Marmorstadt Zu edlem Labetrank, And dachtest über manches nach, Was Herz und Sinn beglückt. And was bis auf den heut'gen Tag Der Jugend Brust entzückt!

Nach Horatius. i. Des Lenzes laue Lüfte wehn. Es glättet sich das wilde Meer, Nicht rauscht von schneebedeckten Löh'n Der Strom mehr donnergleich einher — Zurück auch kam die Schwalbe schon, Sie zwitschert leise vor sich hin And mahnt gleich alter Sagen Ton, Entschwundner Zeiten Lerz und Sinn. Es lebt und grünet die Natur, Der Lirt spielt lustig die Schalmei, Als ob auf lichtumglänzter Flur Er aller Frohen Frohster sei.

Es ist die Zeit der Freude hold, Drum, traute Brüder, trittst mit mir. Verkaufet Schmuck und schnödes Gold And kaufet edles Naß dafür! Für wenig runde Stücklein Geld Gewinnt man eine Kanne Wein And löst zugleich sich eine Welt Voll neuer Lieb' und Hoffnung ein. Nobbe, Gedichte.

33

And fehlt uns Prunk und Reichtum gleich — Wir dürsten nicht nach Überfluß; Zwei Dinge machen jeden reich: Der Wein und der Geliebten Kuß! Drum fort mit zögerndem Verzug; Seid morgen ernst und fröhlich heut! Der Weise nutzt — so sagt ein Spruch — Das Glück, das ihm die Stunde beut!

II. Der Winter räumt den Platz dem milden Lenze, And viel geschäftig regt sich neu der Mensch; Ja selbst die Lerde sehnt sich nach den Triften, Davon der letzte Reif verschwunden ist. And aus der Winterstube flieht der Landmann. Schon tanzt die Göttin mit den Spielgenossen Beim Mondenschein den Reigen, und es Hüpfen Die Grazien, holdverschlungen mit den Nymphen, Auf leichtem Fuß einher, indes Vulkan In seiner Werkstatt heiße Blitze schmiedet. — Nun, Freund, umkränze dir das junge Laupt Mit frischem Grün und bunten Lenzesblüten, Nun lagre dich in deines Laines Schatten And opsre seiner Gottheit nach Gebühr. Denn bald — bald macht der Tod dem Spiel ein Ende, Der keinen übersieht! O bester Freund, Des Lebens Kürze haßt das lange Zaudern;

Bald wird auch dich die düstre Nacht umschatten And das verwünschte Laus der Unterwelt! Dort kennt man nicht der Würfel heitres Spiel, Mit dem wir uns des Festes Fürsten wähnen; Dort kannst du fürder nicht des Freundes Schönheit, Der in der Jugend Lebenssülle strotzt And aller Mädchen Lerz erregt, bewundern!

III. Im Anglück mußt du Gleichmut dir, Im Glück Gemessenheit erwerben; Bald kommt die Stunde, glaube mir. Wo Glück und Leid mit dir ersterben — Sei's nun, daß traurig und allein Du dich gequält mit eitlen Klagen, Sei's, daß du dir bei Spiel und Wein Vertriebst des Lebens Sorg' und Plagen, And Wo Wo Des

ruhtest auf des Rasens Grün, Neb' und Alme sich umschlingen. über Stein und Kiesel kühn Baches Wellen plätschernd springen!

Drum schmeck', o Freund, den heitren Geist, So lang' der Jugend Rosen blühen! Bald welken sie, und bald zerreißt Der Faden, den die Parzen ziehen;

Dann bleibt dahinten Los und Laus And deine flußumspülten Auen, Nach denen lüstern im voraus Schon liebevolle Erben schauen. Was hilft dir dann der Diener Schwarm, Was hilft dein Wagen und Gewinnen? Ob überreich, ob bitterarm. Du kannst dem Orkus nicht entrinnen!

Ans alle drückt dieselbe Macht, Ob früh, ob spät zur Erde nieder And hüllt uns ein in ew'ge Nacht — Denn keinen gibt die Arne wieder!

IV.

Loratius. Als du noch mich liebtest, ach. And dir keiner treuer war — Nicht mit Persiens reichem Schach Tauscht' ich auf ein einziges Jahr.

Lydia. Als noch Lydia deine Traute Einzig durfte nennen sich — Wer bei diesem süßen Laute War da glücklicher als ich?

Loratius. Doch der Chloe Zitterklang Fesselt gänzlich jetzt mein Lerz; Fehlte mir ihr süßer Sang, Ich verginge schier vor Schmerz!

Lydia. Meines Herzens stille Gluten Schürt jetzt des Ornytus Sohn: Willig möcht' ich sterben, bluten. Brächt' es dem Geliebten Lohn!

Horatius. Doch wie wär' es, wenn bei dir Liebend ich Verzeihung fänd'. Wenn dein lauschig Zimmer mir Wie vor Zeiten offen ständ'?

Lydia. Jenem ganz das Herz zu weihen Würde zwar das Klügre sein, Doch die Liebe kann verzeihen, — And so bin ich wieder dein!

V.

Wie schnell, o Freund, wie ganz undenkbar eilig Entflieht die Zeit! Da hilft kein Flehn und Beten; Die Stirn umlegt sich doch mit leichten Falten, Das Alter rückt trotz alledem heran! Es kommt der Tod, ob du mit reichen Spenden Den finstren Dämon täglich auch umschmeichelst, Den starken, der mit nie gebrochner Fessel Den Größten wie den Kleinsten an sich schließt. Wir müssen alle diese Fessel tragen. Die wir gesogen an der Erde Brust, Wir alle! Weder eine Königskrone Noch Bettlerarmut schützet uns davor! Umsonst vermeiden wir die blut'ge Feldschlacht And wilder Meerflut ungezähmte Wut, Vergebens fliehen wir dem rauhen Lerbststurm, Der auf den Körper gift'ge Pfeile schießt — Wir müssen endlich doch das Vaterland, Die treue Gattin und das Laus verlassen; Von allen unsren Schätzen folget uns Zum Grabe nur die trauernde Zypresse! * Derweil jedoch erblüht ein neu Geschlecht; Es zieht der Sohn ins Laus, genießt den Wein, Der uns der liebste war, und gießet Spenden Des edlen Tranks in schweigender Erinnerung Mit nassem Auge auf den reichen Marmor.

Liebesleid. Es rauscht und schäumet der Mühlenbach, Der Nachtwind säuselt im Lindendach; Am Wasser sitzet die junge Maid And klaget den Wellen ihr Liebesleid.

Das Wie Doch Dem

Bächlein tröstet: bezwinge dein Äerz, Wasser und Wellen verfließt der Schmerz! das Mägdlein seufzet: es gleicht mein Weh nie verfließenden, tiefen See!

Das Mühlrad mahnet: vergiß dein Leid, Es wandelt alles das Nad der Zeit! Doch das Mägdlein schüttelt das Laupt und spricht: Meine Sehnsucht wandelt die Stunde nicht! Der Nachtwind flüstert: ich bringe dir Ruh', Ich wehe dir Kühlung und Tröstung zu! Doch das Mägdlein seufzet: mich tröstet's allein. Wenn ich träume vom Lerzgeliebten mein!

— Da rauscht es im blühenden Lindenbaum, Da sinkt das Mägdlein in süßen Traum And schlummert entgegen dem jungen Tag------Wohl dem, der noch schlafen und träumen mag!

Mittsommernacht. Sanft schwindet der Sonne Verglühende Pracht — Willkommen denn, Wonne Der Sonnenwendnacht.

Zwar will es nicht dunkeln Im blühenden Tal, Die Sterne, sie funkeln Nur spärlich und fahl,

And oben im Norden Umschlingen sich fest Mit glühenden Borden Der Ost und der West. — Doch reicht auch der Abend Dem Morgen die Land, So kühlet doch labend Ein Nachthauch das Land,

And was sich am Leben And Lieben erfreut. Genießet das Weben Der Sommernacht heut.

Die Die Sie Ihr

Käfer und Grillen gehn nicht zu Bett, zirpen im stillen zartes Duett.

Nachtfalter durchziehen Die flimmernde Luft Und saugen im Fliehen Narkotischen Duft; Bald gaukelt das Völkchen Am murmelnden Bach, Bald zieht es den Wölkchen, Den fliehenden, nach —

Bald badet's die Flügel Im tauigen Moor, Bald schwingt sich's zum Lügel Mit lauschendem Ohr, Denn drüben am Lange, Im dämmernden Lain, Ergötzt sich am Sange Ein Waldvögelein. —

Nur dort, wo die Taube Das Nest sich gebaut. In blühender Laube, Da regt sich kein Laut; Da waltet tief inne Im Dämmer der Nacht Der süßen Frau Minne Verborgene Macht.

Glühwürmchen trägt Kohlen Zum stillen Altar, Und leuchtet verstohlen Dem glücklichen Paar,

Das tief sich ins Düster Der Neben versteckt, Daß ja sein Geflüster Kein Lauscher entdeckt!

O seliges Sinnen Zn blühender Pracht! O wonniges Minnen Im Weben der Nacht! Mit heiligen Schauern Erfüllst du die Brust — O könntest du dauern, Du himmlische Lust! Doch siehe schon wehret Der Morgen dem Glück: Im Osten schon kehret Die Sonne zurück!

Schon girret der Tauber, Die Lerche erwacht------Dahin ist der Zauber Der Sonnenwendnacht!

Anheilbar. Sieh, wie des Sturms dämonisch Wüten Der Gärten Zier, der Felder Pracht, And ach, der Rose zarte Blüten Vernichtet hat in einer Nacht! So schlägt auch wohl in finstrer Stunde Des Zornes Dämon übereilt Der Liebe eine Todeswunde, Die keine Neue wieder heilt.

Zwei hohe Dinge. Mir sind bekannt zwei hohe Dinge, Davon ich gerne red' und singe: Das eine ist des Mannes Kraft, Die nie im Lebenskampf erschlafft. Die als ein Fels int Strom der Welt Den Wogen sich entgegenstellt. Die nie die Land dem Schlechten reicht Und keinen Schritt vom Rechten weicht.

Das andre, hochgebenedeit. Ist echten Weibes Weiblichkeit, Die viel verträgt und wenig klagt, Zum Lader milde Worte sagt. Die in des Lebens wirrem Spiel Sich allzeit wahret Maß und Ziel Und oft durch Milde herrscht und siegt, Wo Mannesstarrheit unterliegt. — Doch wenn nun beide sich vereinen. In Treuen fest verbunden scheinen. Das Zarte gern dem Starken weicht. Das Strenge sich dem Milden neigt. So daß sich eins ans andre schmiegt Und dennoch keines unterliegt, Dann gibt's im weiten Erdenreiche Nichts, was solch edlem Bunde gleiche!

Sommernachtstraum. Doch diese nächtlichen Begebenheiten Bezeugen mehr als Spiel der Phantasie ...

(Shakespeare: Sommernachtstraum.)

Gewitterschwüle. Ich ruh' im Dämmerschatten Gewitterschwüler Nacht, Es liegen Wald und Matten Zn fahler Mondespracht.

Der Nachtwind rauscht und stöhnet Im Walde schwer und bang, And sehnsuchtsklagend tönet Der Drossel Nachtgesang.

Der Duft vom wilden Flieder Bedrückt mir Sinn und Brust, Ermüdet sink' ich nieder And schlummre halbbewußt. Da Im Als Als

kommt's — Traum mir ob du mich ob ich dich

kaum kann ich's fassen — plötzlich vor. verlassen. verlor!

Am meine Seele schweben Gedanken trübster Zeit And grauenvoll verweben Sich Traum und Wirklichkeit. Weh', Drosselsang und Flieder, Ihr habt mir's angetan!------Mir ist's, als breche wieder Das alte Chaos an!

Erfüllung. Nun ist das heil'ge Wort gesprochen. Das dich für immer mir vereint — Nun ist des Winters Eis gebrochen And meines Lenzes Sonne scheint.

Die Sonne meines Lenzes spendet Mir ihre hellste Strahlenpracht, And von des Lichtes Glanz geblendet Ersehnt mein Lerz die milde Nacht; Die milde Nacht mit ihren Wonnen, Die still des Laufes Pforte schließt — In deren Schalten, weltentronnen. Still flutend Seel' in Seele fließt.

Liedesschweigen. Kaum hat die hohen, die duftigen Salten Aufgeschlossen der grünende Wald, And schon schweigen die Nachtigallen — Saget, warum doch schweigt ihr so bald? Fehlt's euch an liebevoll lauschenden Ohren? Ward es zu laut euch im waldigen Zelt? Ach, wohl lauschte euch, traumverloren. Noch so gerne die sehnende Welt!

Sorch! Da gibt's aus den schwankenden Zweigen Leise flüsternde Antwort zurück: „Ernst ward das Leben, drum müssen wir schweigen; Kurz war der sorglosen Liebe Glück. Denn schon heischet, im Neste geborgen. Nährende Pflege die junge Brut, And so löst sich in liebende Sorgen Schweigend der Töne schmelzende Glut."

Nobbe, Gedichte.

49

Sankt Johannistag. Nun komm und laß uns wallen. Mein Lieb, durch Flur und Lag; Senf ist fürwahr von allen Der allerschönste Tag;

Leus schmückt mit Blütenkränzen Sich festlich Feld und Rain, And Erd' und Limmel glänzen Im Hellen Sonnenschein. Sieh, wie die Wiesen blinken Im klaren Morgentau, Wie aus dem Korn uns winken Zyanen, dunkelblau.

Wie im Smaragd der Felder Des Wildmohns Dolde glüht. And rings am Saum der Wälder Die Leckenrose blüht. — O wunderselig Wallen Mit dir durch Flur und Lag, Am schönsten Tag von allen, Am Sankt Johannistag. —

Maienrose. Prangst so schön im buff gen Kleide, Maienrose, Frühlingskind; Nächf ger Tau ist dein Geschmeide, Dein Gespiel der Morgenwind. Ach, in deiner Jugendsreude, Armes Röslein, ahnst du nicht. Daß ein wilder Sturm noch heute Dich und deine Knospe bricht. Maienrose, Maienrose, Tränend ruht aus dir mein Blick; Spiegelt sich in deinem Lose Doch das menschliche Geschick! Manche Blüte muß vergehen. Die den Sommer kaum genoß — Manches Lerz muß stille stehen. Das der Welt sich kaum erschloß! —

Sturm. Der Lerbstwind wirbelt übers Land Das Laub der waldigen Lallen, And wo ein grünes Reis noch stand. Er bricht's — es muß ihm fallen! O Sturm, wie mahnt mich deine Macht An jenes Wetters Wüten, Das einst in dunkler Schicksalsnacht Mir brach des Glückes Blüten!

Mohnblüte. Dolde des Mohns! In berückender Pracht Leuchtet dein brennendes Rot, Doch in des Kelches verborgenem Schacht Nährst du den Schlaf und den Tod.

Gleichnis des Lebens! In gleißender Pracht Leuchtet des Irdischen Kleid, Doch in der Tiefe, im Dunkel der Nacht, Wohnet der Gram und das Leid!

Rückkehr. Hoch vom Baume tönt der reine. Wohlbekannte süße Schall — Bist du wieder da, du kleine. Flüchtige Freundin Nachtigall?

Ja, aus weiter Ferne wieder Kehrtest heim du über Nacht, Hast die alten süßen Lieder Alle wieder milgebracht. — Doch was ist dir? Warum schweigst du Plötzlich, holde Sängerin? Und warum, o liebe, neigst du Still den Blick zur Erde hin? Ach, wohl siehst du traurig nieder. Und dein suchend Auge spricht: Alle, alle seh' ich wieder. Nur die Eine seh' ich nicht! —

Leben und Traum. Vom Limmel wallte nieder Ein Traumbild hold und licht; Mir war's, als seh' ich wieder Dein liebes Angesicht. Es war so sanft und milde. Dein Blick so klar und weit, Als schau ich ein Gebilde Beseelter Wirklichkeit.

Doch als ich wollte fassen Nach deiner lieben Land, Da sah ich's still verblassen. Bis Bild und Traum verschwand. O weile, süßer Schlummer, Du machst so licht die Nacht! Es weichen Leid und Kummer Vor deiner Zaubermacht,

And Sein und Schein verweben Sich unterscheidbar kaum: O Traumbild, wärst du Leben — O Leben, wärst du Traum! —

Was möcht' es sein — Wir saßen hoch am Waldesrand And uns zu Füßen lag das Land In stiller Sabbatruh; Nichts regte sich, vom Tal nur schwang Sich einer Morgenglocke Klang Der Bergeshalde zu. Da legtest du die müde Land, Die schlichte Blumenkränze wand, Still feiernd in den Schoß, And in des Äimmels blauen Flor, Den unermeßlichen, verlor Dein Blick sich, klar und groß.

So hörtest du in sel'ger Ruh' Den stillen Feierklängen zu And träumtest tief und lang. Bis aufwärts sich vom Waldestal Im morgenhellen Sonnenstrahl Ein lichter Falter schwang.

Da sahst du auf, der Traum verschwand. Und sinnend folgte deine Land Des Falters lust'gem Spiel; Ich aber nahm verstohlen wahr. Wie eine Träne, rein und klar Auf deine Blumen fiel.

— Was möcht' es sein, was damals sich So wundersam und feierlich In deinen Traum gewebt? War's Ahnung der Vergänglichkeit? War's das, was über Raum und Zeit Die freie Seele hebt?

Abendfrieden. Es legt sich kühl und labend Nach heißen Tages Glut, Aufs Land der Feierabend, Und Fleiß und Arbeit ruht. Kein Rauschen in den Bäumen, Kein Blättlein, das sich regt. Und in des Limmels Räumen Kein Lauch, der sich bewegt.

Kein Zirpen einer Grille, Kein Laut — mir ist zu Mut Als höre ich die Stille, Die auf dem Lande ruht! Und still wird's auch im Lerzen, Als weh' aus Wald und Flur Ein Lauch durch meine Schmerzen: „Bald dunkelt's — warte nur!"

Ich nur ward ein andrer! Ein Blütenmeer durchwogt die wald'gen Satten, And Maienglöckchen, die mir deine Sand So gern zu duft'gem Frühlingsstrauße wand. Sind aufgeblüht als lieblichste von allen. Zurückgekehrt auch sind die Nachtigallen Als nahen Sommers tröstlich Anterpfand, And allerorten sieht man rings im Land In frischem Grün die jungen Saaten wallen, And doch------- ist das dieselbe Frühlingspracht, Die mir dereinst so hell ins Serz gelacht, Wenn ich das Land durchstreift' als muntrer Wandrer?

Ist das derselbe süße Drosselsang, Der dir und mir so wonniglich erklang?------— Es ist derselbe! Ich nur ward ein andrer!

Nachtgedanken. Wenn zur Nacht mir die Gedanken schattengleich vorübergleiten, Tauchen wunderbare Bilder auf aus weitentlegnen Zeiten, Wunderbare Märchenbilder, längst entschwunden, längst zerstoben. Nur vom goldnen Äeil'genscheine der Erinnerung hell umwoben. Aber was sie mir verkünden, was sie flüstern, was sie sagen, Äat sich wirklich einst begeben, hat sich wahrhaft zu­ getragen; Keines holden Blendwerks Täuschung, kein phantastisch Wetterleuchten Leerer Träume sind die Bilder, die den trüben Blick mir feuchten.

Jene sonnenhellen Tage, jene stillen Feierzeiten Waren mir an deiner Seite wundervolle Wirklich­ keiten; Jene milden Sommernächte, von des Mondes Glanz umflossen, §>ab' ich einst in sel'gem Frieden still beglückt mit dir genossen.

O, wie strahlte da dein Auge sanft von wunderbarem Glanze, Wenn es träumend aufwärts blickte, zu der Wolken flüchtigem Tanze, Die, vom weichen Windeshauche linder Sommernacht umflogen. An des Mondes voller Scheibe geisterhaft vorüber­ zogen!

Was wir da zusammen sprachen, was in solchen Feierstunden Ansre gleichgestimmten Seelen einst gedankenvoll em­ pfunden, Was der reine Glanz der Sterne ahnungsvoll uns offenbaret — Alles ist in meinem Äerzen unvergeßlich aufbewahret.

Abendstimmung. Vom Abendgold umwoben reift die Flur Dem Tag der Ernte friedevoll entgegen, And stille Menschen wallen allerwegen Linaus in die entzückende Natur. Es ist, als weil auf Erden Frieden nur. Als müsse, eingewiegt von Glück und Segen, Sich endlich müde auch zur Ruhe legen Das Leid, das meiner Seele widerfuhr!

Doch ach, mich täuscht das heitre Angesicht, Das wechselnde, des Erdenglückes nicht. And nicht bei ihm erwart' ich Trost zu finden. Von dem nur, was dem Wechsel mich enthebt. Was zeitlos jenseits der Erscheinung lebt. Erwart' ich Kraft, mein Leid zu überwinden.

Warum schon singst du wieder. Warum schon singst du wieder. Wo noch so wund dein Äerz? — Warum? Die tiefsten Lieder Gebar von je der Schmerz! Denn wie nach finstrer Stunde, Wenn noch die Wolke weinr, Schon hell auf düstrem Grunde Der Iris Bild erscheint:

So kehret schon tief innen Der Lieder Trost zurück. Wenn noch die Tränen rinnen Um ein entschwundnes Glück!

O Lenzeslust, o Wonne — O Lenzeslust und Wonne, O wundersamer Schein, Wie leuchtet Licht und Sonne Mir hell ins Lerz hinein!

Mir ist als treff’ ein Klingen Von einst’gem Glück mein Ohr, Als quell’ ein Helles Singen Aus tiefer Brust hervor;

Doch was in solchen Stunden Mir weitet Lerz und Sinn, Ist alles längst verschwunden. Ist alles längst dahin!

Mitternacht. Wenn mitternächtig Das Leben schweigt. Dann schwankt und steigt Erinnerungsmächtig Aus Seelentiefen Dein Bild hervor. And horch, ein Chor Von süßen, leisen Bekannten Weisen, Die drinnen schliefen, Amwallt mein Ohr. Kein Erdenmeister Schuf solche Klänge; Es sind Gesänge Der Liebesgeister, Die aus dem Grunde Der Seele tauchen. In nächtiger Stunde Mich leis' umhauchen. Die Brust mir weiten And tief im Innern An sel'ge Zeiten Mich leis' erinnern,

Bis ich, erbebend Von süßem Grauen, Dein Bildnis lebend Im Traum kann schauen; Bis ich umfange. Was ich ersehne — And still zur Wange Mir rinnt die Träne!

Du freilich wirst's nicht hören. Einst klagtest du mir kummervoll: „Ich kann's und mag's nicht fassen. Daß ich in wenig Monden soll Mein liebes Leim verlassen; Daß dem gewohnten Glockenklang Ich fürder nicht soll lauschen. Daß mich der Tannen Nachtgesang Nicht soll in Schlaf mehr rauschen!" Geduld, mein Kind! Dir wird geschehn Wie du gewollt so gerne; Du brauchst nicht mit uns fortzugehn In unbekannte Ferne — Dich wird umrauschen ernst und schwer Der Nachtgesang der Föhren, Dir tönt's wie einst vom Kirchturm her-----Du freilich wirst's nicht hören! Robbe, Gedichte.

65

Es ruht die Welt — Es ruht die Wett im Abendgolde, Von Glanz umsäumt sind Baum und Strauch, Und zitternd wiegt die Blütendolde Sich lichtumglänzt im Windeshauch. Harmonisch rinnt der Strom des Lebens, Und Rosen blühen ungezählt — Mir aber duften sie vergebens. Denn ach, die schönste Rose fehlt!

Run senkt sich leise auf die Auen Die weihevolle Sommernacht, Und an dem Firmament, dem blauen. Sind still die Sterne aufgewacht. Es schweigt des Tages Drang und Sehnen, Und Friede waltet nah und fern — Mir aber schwimmt der Blick in Tränen, Denn ach, mir fehlt der schönste Stern!

Früher Tod. Was in holder Jugend Prangen Blühend aus der Welt gegangen. Was dahin schwand schön und jung. Wandelt jugendlich und heiter Auch im Reich der Schatten weiter, Glänzend in Erinnerung. Nie berührt der Wolkenschatten Welken Einfalls, nie der matten Altersschwäche Hauch sein Bild: Selbst im Tode noch umschweben Das zu früh entschwundne Leben Lichtgestalten zart und mild.

Und das feuchte Naß, das bange Zitterte auf heißer Wange, Stockt in seinem Schmerzenslauf, Denn aus Leid und Kümmernissen Blüht, was uns der Tod entrissen, Unverwelklich wieder auf!

Zu Klopstocks Ode: „Die frühen Gräber." Es flutet hernieder ins Tal Nach des Tages erloschner Glut Mondesglanz, sanft und mild, wie in jener Nacht, Die dich weihevoll einst, Klopstock, gestimmt.

Wie du, so gedenke auch ich Treuer Toten in stillem Sinn, And der Mond strahlt mir nicht in ein Frohgesicht, Denn ich hebe zu ihm einsam den Blick.

Du Edler! Dein alterndes Bild Ruft noch heute mir Sehnsucht wach, Denn der Zeit flücht'ger Lauf wandelt alles zwar. Doch das wahre Gefühl trotzt ihrer Macht.

Vorüber. Der feuchte, tränenschwere West, Zerstört des Sommers letzten Rest And schickt zur Erde todesmatt Das frostgebleichte, welke Blatt — Vorüber Lenz und Rosen!

Wie anders war's an jenem Tag, Als uns der sangbelebte Lag, Durchleuchtet von des Vollmonds Pracht, Zum Paradiese schuf die Nacht — Vorüber Lenz und Rosen! Wie war so schön die junge Welt, Wie zauberisch des Waldes Zelt, Wie ruhten wir in sel'ger Lust In seinem Schatten Brust an Brust — Vorüber Lenz und Rosen!

Gedenkst du noch, mein Lieb, der Zeit? Wie liegt sie fern, wie ist sie weit! — Es bricht des Sommers letzten Rest Der feuchte, tränenschwere West — Vorüber Lenz und Rosen!

Freude. Mit duftenden Rosen Schmücket die Freude, Die anmutreichste Der Erdentöchter, Blühender Jugend Das Lockenhaar, Wenn nachts im Kreise Schwärmender Freunde Im Laubendickicht Der Becher schäumt, And wenn vom Strom her Kühlender Lufthauch Die Glutenwange Der Zecher streift, Oder wenn schelmisch And unergründlich Aus Mädchenaugen Ein Strahl der Sehnsucht Den Jüngling trifft! Doch mindres Glück nicht Spendet die Lolde, Die Menschenfreundin, In Weihestunden Dem ernsteren Manne,

Wenn still im Saufe Aus Frauenaugen Ihm Liebe strahlt, And fröhlicher Kinder Soldes Gelichter Sich beutelustig Am Tische aufpflanzt, Oder wenn freudig Nach wohlvollbrachter Nützlicher Arbeit Er freier atmend An Sohnes Seite Zu fröhlicher Bergfahrt Rüstig sich anschickt! Was aber bietet Die Gabenreiche Des stillen Greises Alterndem Saupt? Soll leer er ausgehn Im Kreise der Frohen And keiner Gabe Dankbar sich freun? Ach! Nicht mehr lockt ihn Suchender Liebe Stillverstohlener Sehnsuchtsblick, And nicht mehr perlt ihm Der Taumelbecher Überschäumender Iugendlust! Ja selbst im Sause, Dem einst so lauten.

Ist's still geworden; Die Kinder schatten Im eignen Neste, And nur ein Spätling Noch blieb ihm eigen. Der schon zum Fluge Die Schwingen prüft! And dennoch strahlet — Zwar milderen Glanzes, Doch hell und wärmend — Auch seinem Blicke Der Freude Licht, Denn frei von Täuschung Sieht er im Spiegel Des Leut' und Gestern Tröstlicher Zukunft Nahenden Tag; And sinnend schaut er Im Enkelauge Der längst verschwundenen Eigenen Jugend Leuchtendes Bild!-------So steht er, umgeben Von Lieb' und Hoffnung, Im Ehrenschmucke Des Alters da, And freundlich flicht ihm Äolde Erinnerung Duftende Nosen Ins bleiche Äaar! —

Vor der Trennung. Noch zauberst du liebliche Weisen mir vor, And sinnend lausch' ich dem Klange noch; Noch schlägt mir dein liebes Geplauder ans Ohr, And zärtlich streichl' ich die Wange noch; Noch seh' ich dir liebend ins Auge hinein. Doch frag' ich schon seufzend: wie lange noch?------Zwar war's ja mein Wille, es möge so sein: Warum denn ist mir so bange doch?

Nach der Trennung. Nun ist vom Neste, traut und warm. Mein Letztes weggeflogen. And ist an des Erwählten Arm Ans ferne Meer gezogen.

Nun sieht Als ob es Nun senk' Den Blick

die Welt so kahl mich an, Winter werde, ich als verlassner Mann bewegt zur Erde.

Des Lind Des Auf

Äerbstes weißer Nebel steigt, Frühreif deckt die Runde; Lebens rosiges Uhrwerk zeigt späte Abendstunde.

Und doch, mein Kind, doch klag' ich nicht Und hab' mich drein ergeben — Kann doch der Strom der Tage nicht Zurück zur Quelle streben!

Drum zieh getrost den andern nach, Umblüht von Lenz und Sonne, Und finde unter eignem Dach Dein Glück und deine Wonne! Dann wird, was mich dereinst gelabt. Auch deine Jugend laben: Ich habe meinen Tag gehabt — Nun magst du deinen haben!

Limmelsahrtstag am Rhein. Noch lagert auf dem Rheine Ein zarter Nebelflor, Doch ragt im Sonnenscheine Schon Burg und Fels empor. Nun sinkt die letzte Äülle, Und wonneatmend lacht Des Landes Blütenfülle In Heller Maienpracht.

Des Werktags Pulse stocken. Stillflutend wallt der Strom, And leise klingt der Glocken Geläut von Kirch' und Dom:

Und holde Kinder schreiten Mit lieblichem Gesang An beiden Uferseiten Den grünen Strom entlang. Sie gehn, mit Kranz und Schleiern Geschmücket, hold gepaart. Mit frommem Sinn zu feiern Das Fest der Himmelfahrt. 75

And wie ich sie so selig Am Ufer wallen seh'. Beschleichet mich allmählich Ein tief geheimes Weh.

O könnt' ich mit euch fingen, Ihr holden Kinderlein, Mit euch mich aufwärts schwingen In Andacht fromm und reut, Und wunschlos unterdessen, Beglückt von gläub'gem Wahn, Verträumen und vergessen. Was mir die Welt getan! —

Nachtbild. Es brütet die Nacht auf dem feuchten Moor, And keines Sternes Gefunkel Durchdringt den himmlischen Trauerflor — Die Welt liegt schweigend im Dunkel. Meines mürrischen Rosses klappernder Lus Ist der einzige Laut den man höret — Nur bisweilen klaget des Kiebitz Rus, Dem die Buben sein Lossen zerstöret. And weit in der Ferne, vom Rande des Moors, Vernimmt stch's wie heimliches Rollen, Da dringt durch die Spalten des Wolkentors Eines Wetters drohendes Grollen. — Doch sieh! Was schwebt dort über dem Bruch In wirrem, hüpfendem Tanze? Bald gleicht's eines Nachtmars neckischem Trug, Bald leuchtet's im siechenden Glanze.

And wie ich's betrachte mit scheuem Blick, Durchzuckt mich ein heimliches Beben: Mir ist, als seh' ich mein eignes Geschick Am Auge vorüberschweben!

Auch mir verhüllt sich in schweigende Nacht Das Ziel und der Stern meines Lebens; Was einst ich gehofft und gewollt und gedacht. Ich hofft' es und dacht' es vergebens. Selbst was ich auf Felsen zu gründen gestrebt. Ist mählich im Moore versunken, And über dem allen nur glänzt und schwebt Noch ein bleicher, irrender Funken!

Der Der And Das

findet auf Erden den Frieden nicht. möchte zum Äimmel fliegen------ist doch vielleicht nur ein flackerndes Licht, dem sumpfigen Boden entstiegen!

*

Es brütet die Nacht aus dem feuchten Moor, And keines Sternes Gefunkel Durchdringt den himmlischen Trauerflor — Die Welt liegt schweigend und dunkel.

Vergebens. Du lächelst und versuchst zu scherzen. Wenn ich dir still ins Auge seh' — Und dennoch nagt an deinem Serien, Mein armes Kind, ein tiefes Weh. Dein Lächeln selbst verrät mir leise, Was du dem Fragenden verschweigst. Und was du in der Fremden Kreise Dem Blick der Neugier niemals zeigst. O schweig' dem Freunde nicht vergebens. Denn jeder deiner Züge klagt, Daß dir der Widersinn des Lebens Ein großes, großes Glück versagt!

Zwielicht. Wenn Tag und Nacht zusammenfließen And wenn sich nach des Werktags Lauf Die müden Augen feiernd schließen. Dann geht das innre Auge auf!

Dann steigen liebliche Gebilde Lerauf aus dunklem Seelengrund, Es glänzt der Jugend Lichtgefilde, And leise spricht manch teurer Mund.

Wie fernes Glockenläuten klinget Der Mutter süßes Wort im Ohr, Aus schlummernder Erinnrung ringet Ein sel'ges Traumbild sich hervor! — Ein Traumbild nur? Nein, diese Töne Verlieren ihre Wahrheit nie. And dieser Bilder reine Schöne Ist mehr als Spiel der Phantasie! —

Kannst du die heil'gen Runen lesen. Die in der Seele Tiefe stehn? Sie lauten: „Was dereinst gewesen. Macht selbst ein Gott nicht ungeschehn!

Totensonntag. Schweigend schreiten wir zu zweien Zu der lieben Tochter Grabe, Liebesehnend ihr zu weihen Äerbstlich-späte Blumengabe!

Totensonntag mahnt ans Scheiden; Ach, es wird nicht lange dauern. Dann wird einer von uns beiden An zwei lieben Gräbern trauern.

Waldesschweigen. Still rings umher; ein heimlich Ahnen Von tiefer, wundersel'ger Ruh' Durchzieht die Brust mit leisem Mahnen: O werde still, mein Lerz, auch du!

Schon webt die Dämmrung in den Zweigen And deckt das müde Leben zu; Der Wald versinkt in tiefes Schweigen------So schweige denn, mein Lerz, auch du! —

Robbe, Gedichte.

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Wie damals. Einst hab' ich diese wald'gen Löhn Mit dir vereint bestiegen And sehe sie so abendschön. Wie damals vor mir liegen.

Wie Der And Den

damals breitet sich im Tal, Nebel auf die Auen, friedlich küßt der Abendstrahl Fels, den altersgrauen;

Wie damals schwingt am Himmelszelt Ein Schwalbenzug den Reigen; Wie damals sinkt die müde Welt In feierliches Schweigen; And leis', wie damals, dringt Geläut' Vom Tal herauf ins Weite------Doch ach, wie anders klang's als heut'. An deiner lieben Seite!

Die Jahre werden kommen. Die Jahre werden kommen, Die Jahre werden gehn. And nie und nimmer werd' ich. Dein Antlitz Wiedersehn.

Dein liebes Antlitz schleicht sich In mattem Dämmerschein Nur leise noch und heimlich In meinen Traum hinein; Nur noch im Traume strahlt mir Dein klares Auge fort. Nur noch im Traume hör' ich Dein lieberfülltes Wort; Dein Wort, das mir die Sorgen Der Welt so leicht vertrieb — Dein Wort, das meinem Lerzen So teuer war und lieb!

An den Mond. Laß, o Mond, die reinsten Strahlen Um die stillen Dulder fluten, Deren Herzen noch an Qualen Lang entschwund'nen Glückes bluten!

Laß zum Frieden sie gelangen. Tröste, lindre nicht vergebens; Überhauche ihre Wangen Mit dem Schimmer neuen Lebens,

Und aus weiter Himmelsferne Lehre sie an deinem Bilde, Wie auch längst verglühte Sterne Noch verbreiten Licht und Milde! —

Es war — O wunderbares Wort: „es war" — Wer kann dich ganz durchdenken? Wer kann sein Sinnen ganz und gar In deine Tiefen senken?

Was gestern noch in lichter Pracht Der Jugend durfte prangen. Verlor den Schein wohl über Nacht------Es war------- und ist vergangen.

Das Lerz, das manchen süßen Tag An deinem durfte schlagen. Das steht nun still, es stockt sein Schlag------Es war — du mußt's ertragen.

So endet jedes Menschenglück, Es muß dereinst verblassen, And läßt's auch Licht und Glanz zurück------Es war — wer kann es fassen?

Sternennacht. Mit ihren Wonnen kehrt die Dämmrung wieder. Des Nachtwinds würz'ger Odem kühlt die Luft, Und aus den Baumeswipfeln weht's hernieder Wie Lindenduft. —

Einst hab' ich das mit dir vereint genossen, Einst strahlt uns beiden diese Sternenpracht, Und einst, ach, hat sich mir dein Äerz erschlossen Zn solcher Nacht!

O kehrten jene lang entschwundnen Tage Noch einmal mir zurück im Zeitenlauf — O weckte dich, Geliebte, meine Klage Noch einmal auf! Ein kurzes Wort nur sagt' ich dir noch gerne — Dein schneller Abschied ließ mir keine Zeit — Das Wort: „ich bleibe dein!" — bezeugt's ihr Sterne — „In Ewigkeit."

Abendlicht. So finster geht der Abend nicht. So trüb' kein Tag zu Rüste, Daß nicht ein Strahl von Limmelslicht Zuvor drauf weilen müßte!

Und wär's auch nur der Widerschein Von Glück, das einst dein Lerz erfuhr — Und wär's an das, was einstmals dein. Auch ein geweiht Erinnern nur!

Getrost. Und ist der Limmel noch so grau. Und scheint das Licht verschwunden — Getrost! Es zeigt ein Stücklein Blau Sich wohl in wenig Stunden! Und meinst du oft, es sei so schwer Sich durch die Welt zu schlagen — Getrost! Es hat wohl mancher mehr Als du und ich zu tragen! Und zagst du, wenn um unsern Lauf Sich nächt'ger Schatten breitet — Getrost! Dann geht ein Stern wohl auf, Der uns durchs Dunkel leitet!

Leben. Von allem, was die Erde beut. Was Leben, Leiden, Lieben Im Wechsel auf den Weg uns streut. Ist nichts mir fern geblieben. Mich hat des Zephirs Lauch gelabt, Amtost des Wetters Grollen — Manch trüben Tag hab' ich gehabt. And manchen wundervollen! Ich habe auf des Lebens Bahn Mich schlicht und recht gehalten And manchen liefen Blick getan In des Geschickes Walten;

Ich habe manchen Kampf durchlebt And manchen Feind bezwungen. Von dem, was ich gewollt, erstrebt. Ist manches mir gelungen.

Was menschlich ist, das hat mein Lerz Erschüttert und erhoben; Aus Leid und Lust, aus Freud' und Schmerz Ist mein Geschick gewoben. And wenn am Lerzen Laß genagt. Ließ Liebe mich genesen — Mit einem Worte sei's gesagt: Ich bin ein Mensch gewesen!

Wie es euch gefällt. Sie sagen, ihr wärt ein melancholischer Gesell! — — „Das bin ich: ich mag es lieber sein als Lacher----es ist eine Melancholie nach meiner Weise." (Shakespeare: Wie es euch gefällt.)

Aus Wolkenhöhen. Und rinnt auch spärlich oft der Quell der Lieder, Als rnüfT er ganz der Wüstenglut erliegen — Getrost! Die Dürre wird ihn nicht besiegen. Das edle Naß des Kümmels speist ihn wieder!

Dann wie aus Wolkenhöhen stäubt's hernieder Mit neuer Kraft; die wilden Wasser fliegen Zu Tal, und im Kristall der Wellen wiegen Beschwingte Elfen jauchzend ihre Glieder! Und was die hohen Götter heimlich droben Aus Ätherglanz und Nebeldunst gewoben, Das macht die Gunst der Stunde offenbar.

O sel'ges Schauen, himmlisches Empfangen, Wie harret dein in sehnendem Verlangen Die arme Brust, die matt zum Sterben war!

Alpenzyklus. i. Aufwärts. Aus dem Staube der schmachtenden Ebne And der vielgeschäftigen, großen Menschenwimmelnden, lauten Stadt Mit den bleichen, murrenden Massen Raff' ich mich auf mit verlangender Seele, Labung suchend und wonnesame, teilende Luft für die fiebernde Brust. Bleibe zurück mir, nagende Sorge, Die du als allzutreue Gefährtin Niemals weichst von der Menschen Seite And mit eifersüchtigen Blicken Deiner Lieblinge Schritt bewachst! Folge mir nicht, denn ich eile hinauf, Steile Pfade, bis abgrundtief Anter mir liegen die Märkte der Welt Mit den rasselnden Stätten der Arbeit And den stolzen Palästen der Neichen, Deren Gemach du so gern bewohnst! Kleide dich dort in den prächtigen Purpur Schlaflos brütender Lerrschermacht Oder in die brokatnen Gewänder

Schmachtender, liebesehnender Frauen, Oder vermeide die säulenreichen, Kühlen, schattigen Marmorhäuser — Suche die Stätten der Armut auf. Wo, von der Sonne heilenden Strahlen Abgeschieden, vergrämte Jugend Ämter erblindeten Fensterscheiben Freudlos den Lenz des Lebens verträumt! Mich aber fliehe, denn sorglos will ich Zu den Gefilden der Götter eilen, Zu den Gefilden der klugen Götter, Die sich auf steilen, leuchtenden Bergen Einst bereitet das himmlische Leim. Trotzen will ich von jenen Höhen Menschlichem Wahn und den Riesennöten Eherner Zeit. Atalanten gleich Will ich von Gipfel zu Gipfel schreiten. Will in des Bergsees kühlende Flut Meine brennenden Glieder tauchen. Gleich den guten und klugen Göttern, Die sich dereinst im kastalischen Quell Nachts die ermatteten Glieder kühlten. — II.

Jupiter pluvius. Nebel ringsum! Von den Traufen der Dächer Tropfet und plätschert und fließet der Regen, Endlos langer, unendlicher Regen Auf das satte, triefende Moos.

Aus den Schluchten des Lochgebirgs Ziehen in langen, duftigen Schleiern — — Wallenden Weihrauchwolken gleich — Weiße Nebel ins Felsental, And die dampfenden Wälder feiern, Jupiter pluvius, dir ein Hochamt! Donnernd rauschet der schwellende Fallbach Aus der nächtlichen Schlucht hervor, And vom überragenden Hange Rötlich schimmernder Bergeswand Fließet in langem, schäumendem Rinnsal Perlenstäubend die Regenflut. — Solche Stunden ersehnt ich mir, Jupiter pluvius, mondelang. Wenn die ermattenden Sonnenstrahlen Schwülen, brennenden Sommertags Auf den lechzenden Fluren lagen, Oder wenn im Gewühle der Stadt Nur die Menschen, die lärmenden, sprachen, And die Natur, die erhabene, schwieg. Hier vor deinem gewaltigen Altare, Den dir die Menschen lassen mußten, Als fie dir höhnend die Tempel verschlossen. And statt deiner von andren Heiligen Regen und fruchtbares Wetter erbaten. Hier verstummen die lärmenden Massen, Nur die Natur, die erhabene, redet. And die dampfenden Wälder feiern, Jupiter pluvius, dir ein Hochamt.

III.

Edelweiß. Rüstig steig' ich auf steinigem Pfade Über des Bergbachs schlüpfrige Kiesel Lind verwittertes Felsgestein Aufwärts, lohnendem Ausblick zu. Anter mir schon in verschwindender Ferne Liegen der Sennen friedliche Lütten, And kein Schall mehr meldet der Hellen Lerdenglocken melodisch Geläut'. Stille ringsum! In erhabenem Schweigen Ruhen die Wälder, und lautlos zieht Über dräuenden Felsenklüften

Seine Kreise ein göttlicher Aar. — Zögernd hemm' ich den eilenden Schritt, Denn was ich suchte mit brennender Seele, Lab' ich gefunden: der Einsamkeit Anaussprechliches Lochgefühl! Einsamkeit! Mit gewaltigem Zauber Labst du die sriedenbedürftige Brust, Dehnest die lange zurückgestauten Wellen und Wogen reinen Empfindens Weltweit aus und erfüllest das Lerz, Das sich, des Leids und der Torheit satt, Menschlichem Elend verschließen wollte, Reu mit seligem Liebesdrang! — Also brechen in Wolkenhöhen, Anentweiht von dem Lauche der Welt, Reinste Blüten der Seele auf —

Dir vergleichbar, du Wunderblume, Die du in himmlischer Einsamkeit Deine leuchtenden Sterne entfaltest: Silberglänzendes Edelweiß!

IV.

Lochgebirg. Bangen ergreift mich bei eurem Anblick, Lochausragende, eisumgürtete Anheildräuende Alpenhäupter, Die ihr als stumme, gewaltige Zeugen Längst entschwundener Weltentage Ragt in die neue, geglättete Zeit. Schirmend haltet ihr Wacht als hehre, Aralt heilige Völkerscheide Zwischen dem ernsten, sinnenden Deutschland Mit den vielen gelehrten Leuten, And dem sonnigen, heitern Welschland Mit den fröhlichen, scherzenden Frauen And den pfiffigen, tonsurierten, Weihrauchduftenden Enkeln Roms! Traun! Es sollte des Völkerwalls Keiner spotten, denn mancher schon. Der mit verlangendem Sehnsuchtsblick Rach den Gefilden Italiens schaute, — Sei er ein König oder ein Feldherr, Oder ein armer, fahrender Schüler, Ließ dort Glück und Seele zurück! —

Wer auch gebot dir, o Lannibal, Deine trotzigen Punierscharen Anter unsäglicher, qualvoller Mühsal Aber die schneeigen Gipfel zu führen? Doppelt werden auf ihren Lippen Nun- die Küsse etrurischer Frauen, Schöner, schmeichelnder Frauen brennen; Doppelt wird ihr behaglicher Pfuhl Deine nervigen Krieger fesseln. Während die bleiche, schlotternde Roma Kräfte sammelt und Atem schöpft. Also auch euch, ihr gewaltigen Goten, Lat die bezwungene, alte Riesin Buhlend gefangen in listigen Garnen, Lat dem Geschlechte der Longobarden Ihre alternden Reize enthüllt. Bis sie der keuschen, nordischen Leimat Nicht mehr gedachten im Arm der Buhlin And in die Lände schleichender Priester Gleiten ließen die Lerrschermacht. Oder erging es euch besser, ihr stolzen Fränkischen, schwäbischen Fürstengeschlechter, Die ihr auf endlosen Römerzügen Für den Flitter der welschen Krone Opfertet gutes, germanisches Recht? Lächelnd drückte der Pontifex Euch die nichtige Krone aufs Laupt, Lächelnd sah er die nordische Kraft Welken im Lichte der wärmeren Sonne, Zwiefach lächelnd, o Conradin, Nobbe, Gedichte.

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Sah er dich steigen vom Alpenjoch, Denn schon hob der gewaltige Anjou Seine blutige Mörderhand, Deinem Geschlechte die Zeche zu machen!------Fürwahr, es sollte des Völkerwalls Keiner spotten, denn mancher schon. Der mit verlangendem Sehnsuchtsblick Nach den Gefilden Italiens schielte. Ließ dort Glück und Seele zurück! —

V.

Sorge. Vor mir weiden aus blumigen Triften Friedliche Äerden; im Wiesengrunde Nieselt und plätschert der eilende Bergbach, And aus klüftigem Felsgestein Springt ihm entgegen ein blinkender Quell. Lochaufragende, hundertjährige Fichten umsäumen den steilen Grat, And inmitten der grünen Alm — Ganz umwoben vom Duft und Glanze Lerzersreuenden Sommertags — Zeigt sich des Lüttleins schützendes Dach. Bienen summen, und naschend saugt sich Farbiger Falter durstige Schar An die Kelche der Blüten fest — Traun die Helle, leuchtende Sonne Sieht auf Erden kein schöneres Bild!

— Doch was sag' ich? Am Waldesrand Zeigt fich den Blicken ein schöneres noch. Denn, geschützt vor des Mittags Glut, Äält auf schattiger Felsenbank Rast die liebliche Sennerin. Sei mir willkommen, du heiß ersehnte, Ost gesuchte, doch nie entdeckte Stätte des Friedens! Mir klingt im Ohr Alter Sage mahnendes Wort: „Löse vom Fuß die Sandale, denn wisse. Wo du wandelst ist heiliges Land!" Aber was schleichet dort still und heimlich Finster blickend den Berg herauf? Dräuend hebt sich die düstre Gestalt Ab von dem blühenden, sterndurchwirkten Wiesenteppich und breitet Schalten, Lange, wallende Niesenschatten Über das leuchtende, lachende Tal.

Siehe, da ballt sich ums Sonnenbild Finstres Gewölk; es rauschet und Pfeift Anheildräuend im Tannendunkel And die schlummernde Sennerin Wacht mit heimlichem Seufzer auf! — Bist du es wirklich, du wohlbekannte Allzutreue Menschengefährtin? Bist du es wirklich, du grämliche Sorge, Die sich so gern meinen Schritten gesellt? Folgtest du tückisch des Wanderes Spuren, Oder warst du schon vormals hier? Kanntest du schon den verborgenen Pfad

Zu dem lieblichen Felsentale, Wo in stiller, verschwiegener Lütte Schlug ein stilles, verschwiegenes Lerz?

VI.

Traum. Loch auf der Bergwand klüftigem Grat Steh' ich, umgeben von ewigem Schnee, Sinnend in toter, erstarrter Natur. Bleich und glanzlos sendet der Sonne Silberne Scheibe ein mattes Zwielicht Durch des Nebels weißlichen Flor, And in der weiten, erstorbenen Wüste Schlägt nur mein eigenes, fühlendes Lerz! Fröstelnd schließ' ich das matte Auge, Fröstelnd send' ich die wirren Gedanken Unermeßlicher Zukunft zu. Lasse Äonen vorüberfliegen. Denke des letzten, frierenden Menschen, Der den erkalteten, alten Planeten Arm an Liebe und hoffnungsleer, Nahrung heischend bewohnen wird. Schaudernd denk' ich seine Gedanken, Grüble dem schmerzlichen Seufzer nach. Der sich beim Blick auf den bleichenden Tagstern Seinem Busen entwinden wird. Düster werden seine Gedanken An dem verstorbenen Knaben haften.

Dem die magere Renntierkuh Allzuspärliche Nahrung gab; Aber mit tieferer Wehmut noch Wird er der glücklichen Ahnen gedenken, Die sich iri schwellendem Frohgefühl Einst des lieblichen Lenzes freuten. Wenn er in tauigem Goldgelock Segnend über die Berge stieg. Denken wird er der Glücklichen, ah! Denen friedliche Abendglocken Einst geläutet im blühenden Tal; Denken auch wird er der großen Zeiten, Als die gereifte, mündige Menschheit Auf sich schwang aus den Fesseln des Wahns Und mit männlicher Werdekraft Bessere Tage den Enkeln schuf. — Also sinnend wird er das Licht In der eisigen Lütte löschen Und sein letzter, sterbender Seufzer Wird als leise verhallender Ton Enden das traurige, nie gelesene Letzte Kapitel des Menschengeschlechts!------Lorch! Da raschelt's zu Füßen mir. Und mit klugem, verwundertem Blick Sieht mir ein irrendes Gemslein ins Auge. Leben! Leben! Ein zitterndes Lerz Schlägt bei dem meinen — und wär's nur das fromme Lerz eines Tieres! O fürchte dich nicht. Flüchtige Freundin; ich atme Leben, Und der schreckliche Traum entweicht!

Selig will ich hinuntersteigen Aus des Todes starrem Bereiche Zu den traulichen, friedlichen Äütten Und den gläubigen, lieben Menschen, Denen der Messner die Abendvesper Eben läutet im blühenden Tal! —

Der fernste Stern. Zu dem bleichen Feuerfunken, Den der fernste Stern versprüht. Schickt in ernsten Traum versunken. Eine Frage mein Gemüt: Der du hältst in stiller, kalter Nacht am Schöpfungstore Wacht: Fand bei dir der Welterhalter Eine Grenze seiner Macht?

And es fliegt die bange Frage In den weiten Raum hinaus. Dringt wie eine Riesenklage Rings ins große Weltenhaus, Zieht bis in die fernste Ferne, Wo verborgne Sonnen stehn. Andre Monde, andre Sterne, Sich in ew'gen Bahnen drehn;

Wo in diamantenem Glanze Algol und Bootes glühn, Wo versteckt im Sternenkranze Weltenknospen neu erglühn, Wo des Feuernebels Ballen Kaum geformt den zarten Kern, Äeiße Dünste lodernd wallen Am den neugebornen Stern.

Und die Frage ist verronnen In das ew'ge All hinein. Aber keine aller Sonnen Will im Raum die fernste sein. Denn es winkt aus Nebelweiten Stets ein neues Sternenheer — Uferlos nach allen Seiten Dehnt sich aus des Raumes Meer. Keine Stimme bringt mir Kunde, Stumm und sprachlos bleibt das All, Nur im eignen Seelengrunde Klingt's wie Offenbarungshall: „Was die Sterne schweigend künden. Nimm zur Antwort, Kind der Zeit, Keinem Wesen zu ergründen Ist des Alls Unendlichkeit!" „Wie der Geist, der sie durchwebet, Ist die Schöpfung grenzenlos; Was da ist und was da lebet, Ruht in ihrem Mutterschoß, Ruht, vom ew'gen Geist durchdrungen. Dem sich neigen Raum und Zeit, Deffen Land das All umschlungen. Dessen Lauch — Unendlichkeit!"

Wohin? Du blinkende Welle, wohin so schnell Aus des Bergwalds finsteren Schluchten? — Ich weiß es, du sehnst dich als Wandergesell Nach des Weltmeers sonnigen Buchten! Lier hemmt dich die Wurzel, hier hält dich der Stein, Lier stürzen die Felsen über dir ein, Lier rauschen so düster die Eichen, Lier kannst du dein Ziel nicht erreichen! — Du eilende Wolke, wohin dein Lauf? Was zieht dich empor aus den Klüften? — Ich weiß es, du strebest zum Äther hinauf, Du sehnst dich nach sonnigen Lüften; Lier haftest du träumend am Felsgestein, Lier fehlt dir des Lichtes goldener Schein, Lier hält dich die Tiefe gefangen — Lier kannst du dein Ziel nicht erlangen!

And du, meine Seele, wohin dein Flug? Was regst du so kräftig die Schwingen? — Ich weiß es, du sehnst dich aus Irrtum und Trug Und möchtest die Freiheit erringen! Glück auf denn zum Fluge ins sonnige Licht, Und will es dich blenden, so fürchte dich nicht. Denn wisse, dein innerstes Wesen Kann einzig am Lichte genesen!

Vorrecht. Dir ward, o Mensch, ein hohes Recht gegeben. Ein wundervolles Vorrecht für das Leben! Es ist vor deinen Mitgeschöpfen allen Allein dir die Befugnis zugefallen Nicht nach der Weisung blinden Drangs zu handeln. Nein, in dem Lichte der Vernunft zu wandeln! Vernunft! O laß dir vor dem Wort nicht grauen, Vernunft ist ein Vernehmen, ist ein Schauen Des Ewigen, das ganz mit Lichteswellen Geist, Seele und Erkenntnis will erhellen. Ein Offenbartsein in der Brust tiesinnen. Des Geistes klares auf sich selbst besinnen! Sie ist das ew'ge Wort, aus Gott geboren. Das aus dem Schoß des Vaters sich verloren Am im Erschaffnen wieder sich zu finden — Ein Licht, die Finsternis zu überwinden!

Forschung. Vermag des Menschen Kopf und Land Das Siegel der Natur zu brechen? — So fragt' ich zweifelnd den Verstand, And der hob also an zu sprechen: „Willst du der Dinge Stoff und Kraft And ihres Wesens Grund erfassen. So frage nur die Wissenschaft, Die wird dir keinen Zweifel lassen." So rief er kühn und sieggewiß And führte mich in seine Stuben; Darinnen lag in Finsternis Ein Berg von Flaschen, Gläsern, Tuben. „Dir bangt, ich weiß es," fuhr er fort, „Vor dem Geheimnis der Erkenntnis, Doch wisse, durch ein einzig Wort Gelangst du zum Naturverständnis. In diesem Zauberworte schaut Der Geist des Werdens tiefste Quellen; Es heißt — merk' auf! — Das Leben baut Sich auf aus Zellen — Zellen — Zellen!

Und wie sich der Prozeß Im Reich der Plasmen, Das demonstrieren Glied Dir meine Tuben, meine

Bis Das Wo Der

vollzieht Algen, Gräser, für Glied Gläser,

endlich sich dem Blicke zeigt nächtlich dämmernde Gestade, aus dem Nichts ins Dasein steigt Zellen Ursprung — die Monade!"

— Genug, genug! Ich danke dir. Doch darf ich länger nicht verweilen, Sonst, guter Freund, verschwindet mir Das Ganze unter seinen Teilen!

Wohl hast du Bau und Eigenschaft Der Lebensteile mir entfaltet, Ich aber forsche nach der Kraft, Die zu Gebilden sie gestaltet!

Was hilft es mir, das Maschen-Netz Der Lebensadern aufzutrennen? Ich will das ewige Gesetz, Das sie zusammenfügt, erkennen! Da sah ich eine Lichtgestalt Aus Limmelstiefen niederschweben. And tiefer Ahnung Allgewalt Erfüllte mich mit freudigem Leben.

Sie aber sprach: „Nicht vom Verstand Darfst du des Rätsels Lösung hoffen,

Denn dem nur, was er forschend fand And prüfte, steht sein Auge offen. Er kennt der Glieder Art und Zahl, Doch nicht die Kraft, die sie geboren. Nicht jenen einen Geistesstrahl, Drin alles Teilen geht verloren.

Sein Scharfsinn sieht die Lösung nicht Des Rätsels im Gewirr der Zahlen; Vergebens sucht er nach dem Licht — Geblendet von des Lichtes Strahlen.

Nur dem, was in die Sinne fällt. Gilt all sein Grübeln, Schaffen, Sorgen; Was hinter der Erscheinungswelt Besteht, bleibt ewig ihm verborgen. Das aber grade sucht dein Geist, Das will er kennen und ergründen. Das ist's, was Ruhe ihm verheißt, Drum laß dir das Geheimnis künden:

Es lebt, gebannt in Zeit und Raum, Ein Ew'ges in der Wesen Reihen, And ringt aus unbewußtem Traum Sich auf zum Menschengeist, dem freien;

In ihm bewußt, drum nennt er sich Sohn Gottes, der in geistiger Klarheit Im Weltall und im eignen Ich Erkennt den Abglanz ew'ger Wahrheit." —

So sprach die Lichtgestatt und stand Umwallt von Limmelsglanz und Segen; Ich aber streckte meine Land In heißer Inbrunst ihr entgegen:

Wer bist du? O belehre mich. Wie darf dich meine Seele nennen? Sie aber sprach: „Erkenne dich Im All — so wirst du mich erkennen!"

Was ist's? Was ist's, das aus dem All zum Lerzen spricht. Und uns magnetisch zieht in seinen Bann? Wer deutet uns dies heil'ge Dämmerlicht? Kein Name reicht an's Innerste hinan! Es ist die Macht, die zwar begreifbar nicht, Sich dennoch laut dem Lerzen kündet an, Und die allein dem Geist das Weltgedicht, Das rätselhafte, finnvoll deuten kann.

Sie ist's, die in der ehernen Verkettung Des starren Kreislaufs heil'ge Freiheitsrettung Und ew'ge Weltenziele uns läßt ahnen. Sie zeigt uns in der Kräfte blindem Walten Ein geistdurchdrungnes Werden und Entfalten Und spendet Licht und Wärme unsern Bahnen!

Irrtum. Im Kreis der Grübelnden wird lauter stets die Frage, Ob wirklich Zweck und Ziel das Dasein in sich trage. Ob nicht der Menschengeist, von allen Schranken frei. Ein glänzendes Phantom des Augenblicks nur sei; Ob nicht im Sinnenglück des Lebens Reiz bestehe. Ob mit den Formen nicht das Wesen selbst vergehe. Ob nicht, was Brust und Äerz mit gläubiger Ahnung füllt, Ein Wahn nur sei, in den Vernichtungsfurcht uns hüllt? Es quält die Menschheit sich mit windigen Problemen, Die, kaum erdacht, vergehn wie wesenlose Schemen; Sie möchte halten gern, was sie dereinst beglückt, And fühlt sich doch dem Grund des gläubigen Traums entrückt! Den unerschaffnen Gott, den in der Kindheit Tagen Der Zweifler kindlich fromm in reiner Brust getragen. Er hält ihn zögernd fest, doch räumt er ihm nur ein Im neuen Weltsystem ein Auszugskämmerlein! Als dunkles „Ding an sich" nur läßt er ihn noch gelten. Als Hypothese für die Möglichkeit der Welten, Doch zwingt er, was dem All sein ew'ges Ziel verleiht. Betört in das Gesetz des Raumes und der Zeit! Was aber übrig bleibt, darfman's noch göttlich nennen? Wird sich die Menschheit noch zu einem Gott bekennen. Der ziellos, unbewußt das All ins Leben rief And sich entwickeln ließ, derweil er traumlos schlief? — O Wahn, der sinnverwirrt Vernunft und Torheit paaret. Der, was dem Geiste sich unleugbar offenbaret.

Was unsres Wesens Grund und Quell des Guten bleibt. Aus seiner eignen Welt durch Trugsysteme treibt! Ermiß, o Menschenwitz, an dieses Zerrbilds Blöße Den Trugschluß, der dich narrt und deines Irrtums Größe, And lerne demutsvoll: den flüchtigen Sinnenschein Macht Gottbewußtsein erst zum wahren, vollen Sein!

Die Grille am Dom. Es kroch einst eine Grille Den Stefansdom hinan And fing mit scharfer Brille Den Bau zu messen an.

Von außen und von innen Durchlief sie Tür und Tor, Die Dächer und die Zinnen, Den Lettner und den Chor. And bei der letzten Sparre Da wiegte fie den Kopf And sprach: ich war ein Narre — Fort mit dem alten Zopf!

Jüngst sah ich Künstler stehen. Die phantasierten laut. Der Meister hab' Ideen Mit in den Dom gebaut. And in den Turm, den schlanken. Der auf zum Limmel strebt, Da> hab' er Gottgedanken Andächtig eingewebt.

Jetzt merk' ich, daß dies alles Nur eitle Märchen sind, Nur Worte leeren Schalles, Kaum glaubhaft für ein Kind.

Woraus der Turm gebauet, Das weiß ich nun genau: Ich habe ja durchschauet Den ganzen Münsterbau; And habe nichts gesehen Als Lolz und Glas und Stein — Wie könnten da Ideen Im Bau verborgen sein? —

So sprach sie voll Verständnis And macht's den andern klar — Da jauchzt ob der Erkenntnis Die ganze Grillenschar! —

Robbe, Gedichte.

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Ob? Es sagen und lehren die Weisen, Der Glanz der Sternelein, Die hoch am Limmel kreisen, Sei mehr als bloßer Schein. Sie sagen, es seien Sonnen, Blüten im Weltenkranz, Strahlenden Lichtes Bronnen, Leuchtend in eigenem Glanz. —

Nun funkeln auch mir im Äerzen Gestirne, klar und rein. Strahlenden Lichtes Kerzen In wundersamem Schein —

Da kommt mir oft der Gedanke, Daß es Sonnen möchten sein. Schließend in enger Schranke Welten des Lichtes ein!

Kennst du die Nacht. Kennst du die Nacht------Die ohne Schlummer In Gram und Kummer Das Leid durchwacht?

Kennst du die Not, Die Menschheitsklage? Die Niesenplage Ums liebe Brot? Vernahmst du je Im Kreis der Frohen Das düstre Drohen Von Wahn und Weh?

Gewißlich nein. Dir blieb's verborgen, Dir trübt kein Sorgen Den Sonnenschein! Denn würdest du Die Wahrheit wissen. So wich vom Kissen Dir Schlaf und Ruh! — Und doch ist's Pflicht, Daß du der Wahrheit Mit scharfer Klarheit Blickst ins Gesicht:

-------- o säume nicht!

Iahrhundertschluß. 1900.

Zu Ende ging ein glänzendes Jahrhundert, Das — viel gescholten und bewundert — Ein Zeitraum ohne Gleichen war. Das hundert Knospen brach und Tausende entfaltet. Das, wie noch keins, den Erdball umgestaltet. Durch Kräfte groß und wunderbar. Kühn griff des Menschengeistes Wagen In das verborgne Triebwerk der Natur, Und was ein Wunder galt den Vatertagen, Erscheint des Enkels Blick alltäglich nur! Es fliegt das Wort zum fernsten Weltgestade In einem einzigen Augenblick, Und pfeilschnell folgt ihm auf dem Eisenpfade Der Äandel und sein Glück. Zu Stätten, vom Verkehr der Welt geschieden. Nimmt Forschermut den wagefrohen Lauf, Und an dem Fuß ergrauter Pyramiden Keimt aus Ruinen neues Leben auf. Es fühlt, erlöst aus finstren Wahnes Schranken, Der Geist von schweren Fesseln sich befreit, Und schon erspähn vorahnend die Gedanken Die nahende, die nicht mehr ferne Zeit, In der der Forschung Ströme sich ergießen Ins eine freie Meer der Wissenschaft, Wo alle Kräfte sich zusammenschließen Und unzertrennbar ineinanderfließen In die geahnte eine Kraft!

Der Wassersturz der aus den Felsenschächten Des steilen LochgebirgH zu Tale springt. Erzeugt den Funken, der den finstren Nächten Der fernen Ebne Licht und Leben bringt, Den Funken, der durch Punkt und Intervalle Geheimnisvoll Gedanken niederschreibt And der zugleich in weiter Arbeitshalle In kühnem Schwung des Fleißes Näder treibt! Bewundernd schweigt beim Anblick solcher Größe Der Menschheit Genius! Er mißt erstaunt der Vorzeit kahle Blöße An dieser Kräfte Überfluß, Die unerschöpft an jedem Tage Dem Schoß der Erde neu entsteigen Und sieht bei dem Vergleich die Wage Sich wuchtig für das Leute neigen! Doch wie? Welch inneres Bewegen Umdüstert seine hohe Stirn, Gleich Wolken, die sich um den Firn Des Bergesgipfels dräuend legen? Was treibt des Schmerzes herbe Lauge, Der Wehmut Naß dem Genius ins Auge, Was bleicht sein edles Angesicht? Was sucht er unter all' den tausend Gaben, Die Fleiß und Denkerkraft geschaffen haben. Und welche fehlt ihm, welche fieht er nicht? Genügt ihm nicht der Ernst, der arbeitsbleiche. Der grübelnd nach Erkenntnis ringt, Und in des Denkens freiem Reiche Gedanken in Systeme zwingt —

Der mit der Forschung kühner Leuchte Sich prüfend selbst ans höchste wagt, Und, was der Vorwelt unantastbar deuchte. Um seines Daseins Recht befragt? Wie, oder zeigt sich, Lerz und Sinn berückend. Ihm nicht der freien Künste holder Flor, Die mit erhöhtem Glanz das Leben schmückend Durch Färb' und Töne blenden Aug' und Ohr? Erstaunt er nicht, wie flücht'ge Sonnenstrahlen In einem kurzen Augenschlag Das Abbild lieber Menschen treuer malen Als Künstlerhand in Monden es vermag? Er steht es und erstaunt, und dennoch wendet Er trauernd ab das ernste Angesicht, Denn ob auch tausendfacher Glanz ihn blendet. Er findet was er suchet, nicht: Das höchste Gut, das auf der Menschheit Landeln Erst wahrer Größe Stempel drückt. Das einzig Lerz und Geist beglückt Und Erdengut in Segen kann verwandeln, Das mild versöhnend in dem Kampf des Lebens Die Wunden heilt, die rohe Selbstsucht schlägt. Und als den höchsten Lohn des Strebens Den Frieden in die Lerzen trägt! Wohin er sieht, erblickt er Kampf und Lader, Es ringt nach Macht die zügellose Kraft, Und zornig schwillt des Volkes Sohn die Ader Beim Anblick dessen, was er schafft. Er murrt, weil das Gebilde seiner Lände Nicht ihm allein, auch andern schafft Gewinn,

And freudlos schleicht ihm, ohne Ziel und Ende, Der lange Kreis der Tage hin. Sein Äirn erfaßt ein brennendes Verlangen, Ein fieberhaftes Sehnen nach Genuß, And heißer Anmut rötet seine Wangen Beim Anblick von Besitz und Überfluß. Er wähnt enterbt sich und verstoßen And fühlt sich nicht als Glied des Ganzen mehr, Er zürnt den Mächtigen und Großen And trägt im Zorn die Lasten doppelt schwer. Da tönen aus der Schmeichler Munde Sirenenklänge an sein Ohr And singen der Erlösung Stunde In Zaubertönen süß ihm vor; Sie zeigen lockend ihm von ferne Den heiß ersehnten Freiheitstag And sieh, er folgt dem Äoffnungssterne In gläubiger Begeistrung nach. Er schaut im Geist des Glückes Tore offen And spottet der Genügsamkeit, Doch ach! er wird vergeblich hoffen Auf die verträumte, goldne Zeit, Denn nimmer reift das Glück des Lebens Im Sonnenbrand der Leidenschaft; Als edle Beute ernsten Strebens Nur fällt es zu der keuschen Kraft. — Wie aber steht's mit jenen andern. Die auf des Lebens Äöhen wandern And denen Macht und Fülle ward beschert? Auf deren Pfad die Stunden Rosen streuen?

Sind sie der Schätze, deren sie sich freuen And ihres Vorzugs wert? Sind sie es nicht, für die bei Tag und Nächten Das Nad sich sausend um die Spindel dreht, Für die der Bergmann schweigend zu den Schächten Der grauenvollen Tiefe geht? Sind sie es nicht, für die im fernen Lande Der Schiffer seine Waren sucht. Für die der Farmer am Miffouristrande Erzeugt des Lalmes goldne Frucht? Was aber bieten sie zum Lohne Dem Fleiße, der sich rastlos für sie müht? Sind sie der edlen Menschlichkeit Patrone, In deren Brust der Liebe Fackel glüht? Verwalten sie die anvertrauten Güter Zum Äeil des menschlichen Geschlechts — And sind sie treue, felsenfeste Äüter Des angebornen, ew'gen Rechts? Gewähren sie dem Äbermütig-Schlechten In ihrem Kreis die Herrschaft nicht. And wissen sie, daß des Besitzes Rechten Gebieterisch zur Seite steht die Pflicht? — Weh, daß sie's nicht erkennen, daß die Röte Der Scham nicht glühend in ihr Antlitz steigt, Daß durch des Elends riesenhafte Röte Sich nicht ihr starres Lerz zur Demut neigt! Der Erde Güter wähnen sie ihr eigen, Genuß allein ist Losungswort und Ziel, And will des Busens Mahnruf ganz nicht schweigen. So übertäubt ihn flachen Witzes Spiel.

Der Arbeit Segen wird der Labgier Beute, Im Schoß der Selbstsucht mehrt sich Gold und Macht; Was morgen ist — wer weiß! Drum sei das Leute Im Taumel des Genusses zugebracht! Zwar fühlt ihr starres Lerz ein leises Ahnen Von schwerer Sühne und des Lochmuts Fall, And alte, halbvergess'ne Stimmen mahnen An ein Gericht, wie ferner Donnerhall; Allein wer glaubt der Geister hohem Munde? Vergeblich tönt ihr Ruf ins Land hinaus. And dräuend rückt heran die zwölfte Stunde — Schon hebt zum Schlag der Lämmer aus!------Doch wie? Soll fo viel Fleiß der Lände And so viel Großes untergehn? Soll in dem heißen Kampf der Stände And in dem Lader ohne Ende Kein Friedenbringer auferstehn? Kein Netter, der gleich einem Gotte Durch seiner Worte Feuergeist Der Selbstsucht pflichtvergessene Rotte Die Larve von dem Antlitz reißt? Der mit erhabnen Limmelsworten Vom Quell des wahren Friedens zeugt, And dessen Mahnung allerorten Erschüttert sich die Menschheit beugt?------Ihr harrt vergebens! Nicht erretten Wird euch ein neuer Siegesheld, Kein Wundermann zersprengt die Ketten Der schmachtenden, betörten Welt, Denn der Erretter, des die Völker harrten

And dessen Geist allein das Wettleid hebt. Er hat auf Erden längst gelebt — Was wollt ihr eines andern warten? Er ist's, der mit der Liebe Limmelstau Die frost'ge Welt befruchtend netzt. And der zu der Versöhnung Bau Die starken Pfeiler hat gesetzt! Auf, greift zur Kelle, greift zum Lämmer And füget Stein um Stein zum Bau, Bis er aus Not und Erdenjammer Linausragt in das Himmelsblau! Nur eins tut not: Ein kräftiges Entschließen Zur guten Tat, And neue Segensströme werden fließen, Es wird der Liebe Limmelssaat Am Licht der Sonne sich gestalten Zu einem reichen Ernteschnitt, And tausend Kräfte werden sich entfalten, Die jetzt der Selbstsucht Fuß zertritt! O säumet nicht! Noch kann das Rad sich wenden. And friedlich einen kann sich Pflicht und Recht, Allein der neue Äon darf nicht enden, Er schaffe denn ein neu Geschlecht! —

Sonette. i. In Wehen liegt die Zeit! Es sprengt den alten. Den ausgedienten Schlauch der neue Wein, Und an des lenzes Hellem Sonnenschein Will frisches Leben sich mit Macht entfalten.

Zu neuen Formen will sich's ausgestalten. Am alten Bau zerbröckelt Stein um Stein, Die festgefügten Mauern stürzen ein — Es dröhnt in den verwitterten Basalten! Erkennt die Zeit — wer Ohren hat der höre — Auf daß die Kraft des Neuen nicht zerstöre Das Recht des Alten, das die Väter schufen.

Ihr Meister auf! Entsagt verlebten Normen Und gebt dem neuen Geiste neue Formen — Die ihr zum Bau vor vielen seid berufen!

II. „Ihr seid das Licht der Welt," so spricht der Meister Noch heut' zu allen, deren Brust ein Ahnen Des Ew'gen füllt, und ruft mit heil'gem Mahnen Sie auf den Weg des Lichts! Doch von sich weist er

Die Toren, die sich zwar nach ihm mit dreister Entstellung nennen, doch den morschen Fahnen Des Zwanges und der Nacht auf finstern Bahnen Noch folgen zur Bekämpfung edler Geister. Wohl! Mögen sie auf ihre Satzung pochen! Für sie ward dennoch einst das Wort gesprochen: Wie soll man salzen, wenn das Salz verdummte? Wie finster wär' die Nacht, wenn die Gedanken Sich beugen müßten vor des Wahnes Schranken, And wenn der Wahrheit kühner Mund verstummte?

III.

Was streitet ihr? O legt die Waffen nieder And sammelt euch um eures Meisters Wort, Das klinge klar und kräftig fort und fort Als Fahnenruf in euren Reihen wieder. Erkennet euch als eines Hauptes Glieder, And wähnet nicht, der lebensfrische Hort Des Glaubens sei zu Formeln eingedorrt. Gehütet von des Bannstrahls grauser Hyder. Denn ach, die Formeln einen nicht — sie trennen, And um des Glaubens Wesen zu erkennen. Genügt, die Schrift bezeugt's — ein Wörtlein schon —

Das Wort, das in der seligsten der Stunden Einst Petrus sprach: „Wir haben dich erfunden Als Christus, des lebend'gen Gottes Sohn!"

IV. Du warst, o Paul, kein Glied der Iüngerschar, Die einst versucht' in gläubigem Vertrauen Das wunderbare Gottesreich zu bauen. Das ihres Meisters heil'ger Sinn gebar. Du sähest Jesum nicht. Dein Christus war Nicht jener, den in Galiläas Auen Die schlichten Fischersöhne durften schauen, Und dessen Wort erklang so menschlich klar. Zm Abglanz nur erkanntest du sein Wesen Als des Erretters, der von Gott erlesen. Der Welterlösung opfernd sich zu weihn!

Weh uns! Du zwängst in des Systemes Formen Das Himmelreich! Du wirst der Glaubensnormen Und Anathemen großer Vater sein!

V.

O See Genezareth, an dir genas Die kranke Menschheit einst zu neuem Leben, Als jene kleine Schar, ganz hingegeben Dem Gottesreich, die Welt und sich vergaß!

Du Zu Du In

sähest, wie die Tochter Magdalas Jesu Füßen sank mit freud'gem Beben, fühltest auf der Flut den Nachen schweben, dem der Meister, völkerlehrend, saß!

And an den Ufern lauschten frohe Scharen Andächtigen Sinnes seinem wunderbaren And niegehörten, gotterfüllten Wort! O selige Stunden — eure fromme Sage Lebt, wie der eignen Jugend goldne Tage, In unsrer Seele unauslöschlich fort!

VI. Wie warst du, Äerr, in Galiläas Fluren Doch ganz daheim! Wie ging das Äerz dir auf Zn jenem Kreis, der alles gab in Kauf Für deiner Lebensworte Perlenschnur!

O seid gegrüßt, ihr liebenden Naturen! Die fernste Nachwelt schaut zu euch hinauf. Denn nie in der Jahrtausende Verlauf Vergißt die Menschheit eures Daseins Spuren. And ihr auch, fromme Frauen, seid gesegnet. Die hilfreich seinem Notbedarf begegnet. Die ihn gepflegt, gelabt bei seinem Wandern;

Die ihm gedient in edlem Selbstvergessen And lauschend dann zu Füßen ihm gesessen: Johanna — ihr Marien — und ihr andren!

VII. (Palmensonntag.) Sie boten Palmen dir und Blumengaben In jubelnder, begeisterter Verschwendung; Osannah! klang's, du Bringer der Vollendung Des wir geharrt, Sohn Davids, hocherhaben! Wie mußte diese Stunde, Lerr, dich laben. In der das Volk nach langer Wahnverblendung Zum endlichen Verstehen deiner Sendung Sich geisterfüllt schien aufgerafft zu haben! Doch ach, der freud'ge Aufschwung war vergebens. Du konntest nicht mit deinem Wort des Lebens Den Groll der Tempelfürsten überwinden.

Sie haßten dich, drum durftest du nicht siegen. Denn stets wird Geist und Freiheit unterliegen. Wo Macht und geist'ge Starrheit sich verbinden.

VIII. (Du sagst es.) „So sag uns, Jesus, ich beschwöre dich. Ob du bist Christus, des Lebendigen Sohn?" So fragte bebend mit gehobnem Ton Der Lohepriester im Verhöre dich!

And du?------- „Du sagst's!"-------- da, als betöre dich Der Geist des Bileam, als sei der Thron Des Zahve in Gefahr vor frevlem Lohn, Verdammten laut der Richter Chöre dich!

Erhabner Gegensatz, der nie zu schlichten! Lier darf allein das Lerz der Menschheit richten, Wer tiefrer Wahrheit Zeuge war von beiden. Ist doch das Wort „du sagsfs", das kurze schlichte. Noch jetzt der Markstein in der Weltgeschichte, An welchem sich der Volker Grenze scheiden! —

IX. Sie schleppten mitleidslos dich durch die Gassen Jerusalems hinauf nach Golgatha; Wohin dein Dulderblick sich wandte, sah Er freche Neugier und den Spott der Massen. Auf sanftem Frauenantlitz nur, dem blassen, Stand frommen Mitleids Träne leuchtend da — Das Niesenunrecht, das an dir geschah. Sie ahnten's, konnten sie's auch ganz nicht fassen!

Wo aber waren jene, deren Land Dir noch vor wenig Tagen Kränze wand, Die jauchzend dich an Salems Tor empfangen? Sie waren längst von ihrem Rausch erwacht, And als es ernst ward, flüsterten sie sacht: „'s war ein Phantast, wir sind zu weit gegangen!"

X.

Was ist's, o Lerr, das unser Lerz beschweret Mit immer neuem Gram, neuer Klage, Wenn das Gedächtnis deiner Leidenstage Im Lauf der Monde jährlich wiederkehrt?

Lält doch dem Leidenskelch, den du gelehret. Auch andrer Sterblichen Geschick die Wage, Die aus des Lebens schwerster Prüfungsfrage Gleich dir hervorgegangen unversehret? Gibt's Äelden doch, die in den Todesstunden Die schwersten Qualen klaglos überwunden. Derweil du selbst nur ringend Kraft gefunden? — Ach, das gerade greift ins Äerz der Deinen, Daß sich in dir, dem Göttlichen, dem Reinen, So wahr und menschlich Schmerz und Sieg vereinen!

XL Von jenen Seufzern, die sich deinen blaffen, Erstarrten Lippen, Äerr, am Kreuz entrungen. Ist einer stets mir bis ins Mark gedrungen: „Mein Gott! Warum doch hast du mich verlassen?"

Wer darf es glauben, und wer möcht' es fassen. Daß dich, aus dessen Mund mit Himmelszungen Das Wort der Gotteskindschaft einst erklungen, Am Kreuz der Vater ohne Trost gelassen! Nobbe, Gedichte.

129

Vermochte wirklich Todesnot den Glauben An seine Vaternähe dir zu rauben Im schwersten Augenblick des Überwindens? Wie, oder legte nur die fromme Sage Dir in den Mund des Psalmworts düstre Klage Als Ausdruck eignen, tiefen Mitempfindens?

XII. Ist das der Schluß? Dem Laß des unverständigen Und blinden Volks erliegt der Menschensohn, Und unter schlauer Priester seichtem Lohn Darf Kreuzesschmach den Geistesadel bänd'gen? Weh! Daß ein solches Leben so darf end'gen! Doch wie? Erklingt nicht triumphierend schon Aus Grabesnacht der Helle Osterton: Was sucht ihr bei den Toten den Lebendigen?

Triumph, es graut ein neuer Weltentag! Zu höher'm Dasein, frei von Tod und Schmach, Erweckte ihn die Liebe und der Glaube!

Und nichts mehr hemmet seinen Siegeslauf, Denn als ein Fürst des Lebens steht er auf Und nimmt das Starke siegend sich zum Raube!

Sankt Franziskus. Legende.

Sein Felsenhaus, umrauscht von Koniferen, Verließ Franziskus, um das Volk zu lehren. Frühsommer war's, es senkte kühl und labend Sich auf das heiße Land der Feierabend, And leise führte, wie auf Engelsflügeln, Der Wind das Ave zu den Rebenhügeln. Seit Wochen hielt der Leil'ge sich verborgen. Schon war das treue Volk um ihn in Sorgen, Da tönt es Plötzlich durch Alvianos Gassen: Franziskus kommt, er hat uns nicht verlassen! And jubelnd eilt auf Wegen und auf Stegen Die gläubige Schar dem heil'gen Mann entgegen; Es will ihm jeder seine Liebe zeigen, Franziskus aber heißt die Menge schweigen And schickt sich an, die Toren und die Weisen Mit seines Leilands Limmelsbrot zu speisen. Doch als er eben segnend will beginnen, Da sammeln sich auf Türmen und auf Zinnen, Auf Bäumen und auf Dächern allenthalben Geschwätzig um den Greis die muntren Schwalben. Ihr Tagwerk ist getan, sie wollen rasten In Abendkühle von des Tages Lasten, Es schläft die Brut im warmen Rest geborgen, Run gilt's zu plaudern von den Elternsorgen.

Das ist ein Singen, Zwitschern, Lüpfen, Nicken — Franziskus sieht sie an mit milden Blicken And denkt bei sich mit leichtem Kopfesneigen: Labt ihr zu reden, nun, so kann ich schweigen. Denn wohl versteh' ich eure schlichten Weisen — Auch euer Zwitschern ist ein Dankespreisen! Die Menge aber kann sein Tun nicht fassen. And endlich ruft's vernehmlich aus den Massen: Beginne, heil'ger Mann, wir wollen hören. Laß dich der Schwalben Schwätzerei nicht stören; Sieh her, wir harren lange schon vergebens Auf deinen Segen und das Wort des Lebens! Da unterbricht der Leilige sein Schweigen, Blickt freundlich auf zu den belebten Zweigen And spricht bescheiden: Lört mich, liebe Schwestern, Nun ist's genug! Nun fliegt zu euren Nestern, Ihr habt viel Zeit zum Plaudern euch genommen. Nun laßt auch euren Freund zu Worte kommen! Da wird es still und stiller in den Zweigen, Es liegt der Markt in feierlichem Schweigen, And laut erklinget in der Gläub'gen Kreise Franziskus Wort zu Gottes Lob und Preise. —

Sirmis. Am Vorzeit Trümmer Spinnt seine Fäden das Abendgold, And plätschernd schlagen ans flache Äser Deine sonnigen, leuchtenden Wellen, Benakus! Setze dich, Wandrer, zur Seite mir And laß uns reden im Abendschimmer Von einstiger Schönheit entschwundenem Tag. Vor Sonnengluten Schütz' uns dies schattige Rebendach, And uns zum Sitze Diene der alten, geborstenen Säule Moosumwachsener Überrest. Laß uns den Manen des liederreichen Lellasfreundes, des sanften Catull, Rosen frommer Erinnerung weih'n. Denn wisse, Fremdling, des Strandes Name, An dem du weilest, ist Sirmis! So sprechend sah ich am Aserstrande Im Abendgold ein junges Weib, Vom Tagwerk rastend. Am Busen bergend ein schlummerndes Kind.

„Wie bist du glücklich, du junge Mutter," Begann ich, „an diesem sonnigen Strande Leben zu dürfen! And weißt du auch, Wer diese Stätte dereinst bewohnte. And wer vor Zeiten dies Laus gegründet. Das nun zerfallen in Trümmern liegt?" Verwundert hörte die junge Frau Die felfne Frage, dann sprach sie leise: „Das Laus, o Fremdling, von dem du redest. War schon zerfallen zu Väter Zeiten, Wie sollt' ich wissen, wer's einst bewohnte And wer's erbaut?" Drauf schlug sie züchtig die Augen nieder And bot dem Knaben, dem aufgeschreckten. Die Mutterbrust. — Doch mir entrang sich Ein leiser Seufzer, und still beklagt' ich Die Flucht des Schönen und des Gemeinen Stets alltägliche Gegenwart, Bis mein sinnender Weggenosse Milden Wortes das Schweigen brach: „Was stimmet dich trübe, und was bewegt dich Bei dieses Weibes lieblichem Anblick? Empfinde schweigend der Stunde Weihe And ehre sinnend in dem Geschauten Allmutters ewige Menschheitsordnung And weisen Kreislaufs heil'ges Gesetz! Wie oder hätte der edle Catull In seines Schaffens köstlichsten Stunden Jemals schöner empfinden können Als dieses Weib?

Zwar das Vergangne, das einst Gewesene, Was geht sie's an? Ihr ist's genug, daß diese Erde, Die früchtereiche, ihr Nahrung biete. Daß diese Traube sie würzig labe Und diese Sonne, die gnadenreiche, Mit Licht umflute ihr Kind und sie!"

Veilchen und Aster. Der Sommer neigt sich still zu Ende, Der Garten steht im Äerbfiesflor, Da lugr versteckt aus dem Gelände Ein blaues Veilchen scheu hervor. Es hat sich, wie's ja mag geschehen, In seiner Zeit getäuscht und steht Still blühend nun und ungesehen An einem reichen Blumenbeet. Bescheiden senkt's den Blick, als tauge Ihm nicht solch ungeahnter Glanz, Dann aber heftet es das Auge Auf einer Aster Blütenkranz,

And leise hebt es an zu klagen: Wie schön ist, Schwestern, euer Los! Euch fällt in euren Blütentagen Des Jahres Erbteil in den Schoß.

Euch lacht des Lerbstes bunte Fülle, Euch glänzt der Früchte goldne Pracht, Wenn meine Schwestern längst schon stille Vergessen ruhn in Grabesnacht! Da neigt die Aster still sich nieder And flüstert tröstend: Klage nicht. Das Veilchen hört der Lerche Lieder, Ihm lacht des Lenzes goldnes Licht!

Wir Armen kommen erst zum Frieden, Wenn uns des Winters Reif verdirbt — Den preis' ich glücklich, der hinieden Im Anblick schönrer Zeiten stirbt.

Mittagstille. Laßt mich rasten auf sonniger Flur, Laßt mich im leuchtenden Weltendome Lauschen dem tiefen, melodischen Strome Wonnigen Lebens ein Stündlein nur.

Wie? Ihr hörtet sein Brausen nicht? Schweigend, sagt ihr, liege die Runde, Müde schlummre in heißer Stunde wimmel und Erde im sengenden Licht?

Spottet ihr? Lört ihr die Wellen nicht gehn? Äört ihr die himmlischen Sphären nicht klingen? Lört ihr die Wesen-Millionen nicht singen. Fühlt ihr des Weltalls Odem nicht wehn? Klingt's nicht im Ohre wie Orgelklang? Spürt ihr nicht, wie euch Akkorde umschweben, Die sich vereinen und jauchzend verweben Zu erhabenem Weltensang?

And in dem Psalm der gewaltigen Natur Äörtet ihr nichts, als ermattetes Schweigen? — Laßt mich, o Freunde, dem himmlischen Reigen Lauschen ein seliges Stündlein nur!

Stilleben. Ich streife einsam Durch Flur und Leide; Busch, Wald, Getreide dient mir gemeinsam Zur Augenweide. Wohin ich schaue. Bin ich umgeben Von stillem Leben; In Feld und Aue Herrscht ems'ges Leben.

Sieh, wie zum Berge Mit Müh und Plagen — Doch ohne Klagen — Ameisenzwerge Sich Nadeln tragen. Sieh, wie aus Garben Das schwache Mäuslein Ein Ährensträußlein, Um nicht zu darben. Sich schleppt ins Häuslein.

Sieh, wie geschwinde Der Waldspecht nicket Und emsig picket, Bis er im Spünde Den Wurm erblicket.

Sieh Dies Dies Nur Das

all dies Listen, Sorgen, Streben, Schaffen, Weben, um zu fristen süße Leben!

O laß sie sorgen Und mit Verlangen Am Dasein hangen. Denn kommt das Morgen So ist's vergangen.

Der Harfner. Es spielte vor den Türen Ein Äarfner, alt und blind. Der Alte ließ sich führen Von seinem bleichen Kind.

Er — Er —

sang von des Lenzes Blühen Und war doch alt und blind! sang von der Liebe Glühen Es starrte vor Frost das Kind.

Er sang vom Glück der Erde, — Ihr Glanz wohl macht' ihn blind; Es lauschte mit stummer Gebärde Ungläubig das bleiche Kind!

Friederike von Sesenheim. Nicht schmücket dich der Zauber der Antike, Der uns berückt die schönheitstrunknen Sinne — Im sanftren Lichte treuer Frauenminne Erscheinst du unsern Blicken, Friederike. Enttäuscht in deinem Lösten, deinem Lieben, Last du des Glückes Linsall still ertragen, And hast in mildem, rührendem Entsagen Des Frauenleides volle Bahn umschrieben.

Warum auch mußte dein Geschick dich führen Leraus aus deines Friedens stillem Kreise? Warum auch mußten deine Lebensgleise Die Sonnenbahn des Genius berühren? Zwar ein Moment nur war's, dann trennten wieder Die Bahnen sich; die seine, sonnig-heiter, Erhob in kühnem Schwung sich prachtvoll weiter — Die deine senkte sich bescheiden nieder. Dir aber war genug geschehn für immer! Zu blendend war des Augenblickes Lelle; Wie hätte auch für den, der in die Quelle Des Lichts geblickt, die Welt noch Glanz und Schimmer?

O wäre nie der holden Dämmrung Lülle, Die dich umgab, vom Glanz des Lichts betroffen — O hätte sich dein Lieben und dein Loffen Entfallen dürfen ungesehn und stille!

Zwar der Unsterblichkeit geweihter Orden, Er würde nimmer deine Brust dann schmücken; Du würdest keine Äerzen mehr entzücken-------Doch glaub' ich, du wärst glücklicher geworden!

Gautama. i. Dem Freudentaumel seiner Prunkgemächer Entfloh Gautama. Müde sank er nieder, And über seine schön geformten Glieder Bog schattend sich des Bodhibaumes Fächer.

Schon hob die heißerregte Brust sich schwächer. Schon schlossen sich zum Schlaf die Augenlider, Da rief zur Äelle des Gedankens wieder Ein dreifach Bild den lusterschlafften Zecher.

Es schlich ein Greis vorbei, gebeugt von Leiden, Ihm folgt ein Leichenzug, und fern von beiden Ging kastenstolz ein Priester zur Pagode. Gautama aber sank in tiefes Sinnen, And in die Wüste ging er, zu beginnen Den Kampf mit Elend, Stolz — und mit dem Tode!

II.

Durch Büßung hofft er und durch milde Güte Den Bann zu heben, der das Seil verscheuchte. Allein umsonst! Kein Götterwink bezeugte Erlösung dem verzagenden Gemüte. Doch als die heil'ge Nacht der Lotosblüte Die Stirn ihm kühlte durch des Taues Feuchte, Da war's, als ob ihn Brahma selbst erleuchte, Bis reinster Wahrheit Glanz sein Serz durchglühte. And tief die Seele in das All versenkend, Erkannte er, den Gang der Welt durchdenkend: „Das Sein ist Leid auch in den hehrsten Tagen,

Denn auch das Schöne stirbt, und Todesbangen Sält im Genuß die Menschheit selbst umfangen — — Drum liegt die Rettung einzig im Entsagen!"

IIL

Gestärkt verließ er die entlegnen Orte, Am sich als Weiser seinem Volk zu nahn; In Demut wandelt er der Armut Bahn And sprach zur Welt die goldnen Wahrheitsworte:

Drei Feinde lagern dräuend vor dem Sorte Des Seiles: Elend, Stolz und Todeswahn! Auf, macht euch diese Feinde untertan. Dann öffnet sich des Friedens Segenspforte! Das Elend wird durch Mitleid überwunden. Vom Stolz der Kaste werdet ihr gesunden Im Bannkreis eures heiligen Vereines —

Doch wollt ihr auch das höchste Ziel erringen. Wollt ihr den schlimmsten Feind, den Tod, bezwingen. So werft entschlossen fort die Welt des Scheines.

Nirwana. Nirwana, dunkles Wort! Betroffen stehn Die Denker still vor deiner Rätseldichtung, Wenn freudlos sie in unverstandner Richtung Des Lebens Strom vorüberfluten sehn!

Ich aber fühle heil'ge Schauer wehn, And mich umdämmert Helle Morgenlichtung: Du bist die Seligkeit und die Vernichtung — Des blinden Willens schmerzlos Antergehn!

Wenn wir des Scheines Nichtigkeit begreifen And blöder Selbstsucht Fesseln von uns streifen. So wird sich uns des Worts Bedeutung zeigen: Die Leidenschaften schwinden und der Wille, Versenket sich in heil'ge Götterstille — Ja selbst die Wünsche schlummern ein und schweigen!

Nobbe, Gedichte.

145

Erlösung. Still war die Nacht! Des Tages Wünsche schliefen. And meiner Seele Heimweh war erwacht. Da war's, als ob mir aus dem Schoß der Nacht Geheime Stimmen leis' entgegenriefen: Was alter Ahnung Worte dir verbriefen: — Du seist nach Gottes Ebenbild gemacht — Ist Wahrheit! Tief im Innern ruht ein Schacht, Der führt hinab bis zu der Gottheit Tiefen! Auf, wag' es nur, in ihn hineinzudringen. Ob auch die Tiefe schreckt! Denn sieh, dein Ningen Führt der verlornen Heimat dich entgegen.

Wo wesenlos das Trugbild der Erscheinung Zerrinnt, und wo in seliger Vereinung Du in des Vaters Schoß das Laupt darfst legen!

Der Erdstern. In unerforschten Fernen kreisen Zahllose Sonnen wunderbar. And in harmonisch sichern Gleisen Amtanzt sie der Planeten Schar! Wohin sich unsre Blicke wagen. Erspähn sie neuer Welten Strand, Soweit uns die Gedanken tragen, Allüberall glänzt neues Land. — Doch prunklos in dem weiten Raum, Dem nächsten Stern bemerkbar kaum. Dem Sandkorn gleich am Aferplane, Dem Tropfen gleich im Ozeane, Ein schwacher, kleiner Punkt von fern. Flammt still und bleich der Erdenstern. Wie matt sein Licht, wie still sein Gang, Wie schwach sein Ton im Sphärenklang! And doch! Welch hehre Wundermacht Lat seinem Schoße sich entrungen. Welch' edler Brunnquell ist dem Schacht Des starren Felsenkerns entsprungen! Denn unter Glück und unter Tränen, In stetem Lieben, Lösten, Sehnen Erzittert drauf in Wonn' und Schmerz, Das unerforschte Menschenherz!

Offenbarung. Wohl dem, der in geweihten Stunden, Von heiligem Ahnungsdrang durchbebt. Das Unaussprechliche gefunden. Das werdend im Erschaffnen lebt! Er schaut im Wechsel der Erscheinung Den unverrückbar ew'gen Pol; 3hm glänzt in herrlicher Vereinung Das Ewige und sein Symbol. —

Sehnsucht. 3n Nacht erlosch des Westens Purpursaum, Der eben noch vom Abendgold umsonnte; Orion flammt empor am Horizonte, Und Sternenglanz erfüllte rings den Raum. Ich aber sank in wunderbaren Traum! Loch oben stand ich in der Welten Fronte, Wo ich den Punkt nicht mehr erspähen konnte. Der Erde heißt — ja selbst die Sonne kaum! Den wucht'gen Pendelschwung der Ewigkeiten Vernahm mein Ohr — es schwanden Raum und Zeiten, Und an des Denkens Stelle trat das Schauen. — Da überkam mich ein unendlich Sehnen Nach dieser Welt des Irrtums und der Tränen, Und ich erwachte mit geheimem Grauen! —

148

Dithyramben. i.

Genius. Äüte dich, Erdgeborener, Der du umfriedete Pfade wandelst, Vor des Genius Flammenblick! Schließe die Lider Vor des Erhabenen Allbezwingendem Götterauge, Wenn dir die Schwinge — die himmlische — fehlt. Schwindelnde Löhen Kühn zu erfliegen Furchtlosen Blicks! Denn fern von den sicheren. Allen bekannten Ausgetretenen Lebensgleisen Wandelt der Himmlische Einsam einher, And weltverachtend Meidet er trotzig Lachende Pfade des Erdenglücks. Fliehe drum, Glücklicher, Seine Begegnung! Streife ihm nicht den Saum des Kleides,

Wenn er aus blühenden Palmenhainen Loheitsvoll Dem Erschreckten entgegenschreitet, Oder im Dunkel lichtloser Nächte Vorüberrauschet Im Wettersturm! Denn heiß und zehrend Weckt seine Nähe Unauslöschlichen Sehnsuchtsdrang Nach dem verborgenen, Nie zu erforschenden Ziel seines Fluges, Und deiner Schwäche nicht eingedenk, Sinkst du dem himmlischen Willenlos wollend Ans Götterherz! Er aber trägt dich Stürmischen Fluges Mit starken Armen Aufwärts! hinan! Des Lebens Lasten sinken zur Erde, Das irdisch hemmende Löst sich in Nebeldunst, Und leuchtender siehst du Über dir glühen

Ewige Sterne! Da rieselt Wonne Durchs junge herz; Du fühlest wachsen himmlische Flügel

And wähnst dich kräftig Zu eignem Flug. Die Lände entgleiten Dem schützenden Führer, And jauchzend, heiliger Ahnung voll. Schwebst du in eig'ner Bahn! Doch wehe — wehe. Es war ein Wahn! Die Schwingen versagen den neuen Dienst; Du glaubst zu fliegen und sinkest taumelnd Aus lichten Sphären Zur Erde nieder!------Lüte dich drum. Verwegner, Vor des Genius Flammenblick, Wenn dir die Schwinge, Die himmlische, fehlt. Schwindelnde Höhen kühn zu erfliegen Furchtlosen Blicks!

II.

Schicksal. Schlage den Schleier zurück. Ewige Moira! Zeige mir hüllenlos, Leil'ge, dein Antlitz, Das du mit bunten, farbigen Bildern Meinem suchenden Blicke verhüllst. Laß mich dein Walten

Schauend erkennen. Löse der Seele Schwellende Sehnsucht Klar in sichre Gewißheit auf! Lullst du dich etwa In dichte Nebel, Weil Märchenzauber And holder Irrtum Des Lebens Bürde Ans leichter macht? Weil die belebende Menschenfreundin, Die gläubige Loffnung, Senken würde das müde Laupt, Wenn sie an Stelle des liebenden Auges, Das sich erbarmend Unfern Gebresten und Bitten neigt, Starren Gesetzes Ewigen Kreislauf Linter den Bildern des Lebens sähe? Wie? Oder zeigst du Darum den Menschen Statt des verzehrenden Lichtes der Wahrheit Lieblicher Märchen farbigen Tand, Weil sich das Auge, Das erdgeborne, Vom Strome des Lichtes im Nerv getroffen. Geblendet schlöffe. And Nacht empfände An Lichtes statt?-------

Wär's das, o Göttin? Dann freilich preis' ich. Ewige Moira, Deine waltende Vorsicht, And wandle klaglos Zm Dämmerschatten Ahnender Loffnung Den Nebelpfad! —

III.

Erbteil. Auf heiligen Gräbern Wandeln der Nachwelt Späte Geschlechter, Der Ahnen spottend. — Sicher und stolz Schreitet der Enkel, Der spät geborene, Über der Erde grünende Fluren; Freut sich der üppigen. Sprossenden Saaten, Während die Väter, Die fleißigen, treuen. Die ihm den Boden — den steinig-harten — Redlich zu einstiger Ernte bereitet, Vergessen schlummern!

So zehren vom Fleiße Alter Geschlechter Lachende Erben; So nähren sich schnaufend In frohem Gelage Vom reichlichen Vorrat Der Väter und Ahnen Götter und Menschen!

IV.

Arsprung. öffnet euch, finstre Tiefen der Erde, Die ihr des stolzen Menschengeschlechtes Nächtlichen Arsprung Schweigend verhüllt! Glücklicher Zufall nur Führt uns bisweilen Spuren verschwundener Geschlechter ans Licht; Zeigt uns des Erdballs Iugendgebilde In geschichtetem Felsgestein, Oder enthüllt uns Auf wundervollen Silberglänzenden Schieferplatten Einstigen Lebens erstarrtes Bild. Aber es suchet der forschende Geist

Noch vergebens im Erdenschoße Nach der allverbindenden Kette, Die das Einst mit dem Jetzt verknüpft And das herrische Menschenvolk Seines kindlichen Wahns beraubt. Einzigartig im Schöpfungskreise Irdischer Wesen dazustehen. Kärgliche Blicke nur Gönnt uns die strenge Unerbittliche Mutter des Lebens In den einstigen Werdegang Aufwärtsstrebender Ahnenreihen; Wischet sorglich die Bindeglieder Aus den Reihen der Schöpfung aus. And als weise Erzieherin Reichet sie lächelnd — Nach Mutterweise — Freundliche Märchen den Kindern dar. Wenn sie zu stürmisch Den dunklen Arsprung Ihres Geschlechtes erfahren wollen, Auf daß die Wahrheit Den schwachen Seelchen Nicht schädlich werde. And nichts den Schleier Der Isis hebe. Bis reife Mannheit Das Rätsel löst! -

V.

Aufschwung. Schwinget der Geist sich Über den trüben Wolkigen Dunstkreis irdischen Wahns Auf zu dem einsam ragenden Gipfel Trugloser Weisheit, zu dessen Grat Menschentorheit den Pfad nicht kennt: Klein dann erscheint ihm Das scheinbar Große, And unentwirrbar Fließt ineinander Das Tun und Treiben Des Erdengeschlechts. Ragende Loheit Wird von dem Kleinen, Verachtet Niedren, Kaum unterscheidbar; Verdienst und Würde, Die stolzen Schwestern, Verlieren beide erborgten Glanz, And trugfrei löst sich In Irrtumnebel Die Erdenschuld! — Was zieht die Grenze Betörtem Wahne? Was zwingt zur Demut Den eitlen Stolz? —

Ein leises Ahnen, Daß vor der Weisheit erhabenem Blicke Das Groß' und Kleine In eins zerrinnt! Wir tragen alle Das Kleid der Schwachheit, And Schuld des einen Ist aller Schuld! —

Kunst. Nicht mit dem scharfen, blendenden Strahle Ungebrochnen, reinen Lichts — Wie es dem Auge des Forschers leuchtet, Wenn ihm aus geistigen Irrtums Nacht Lösende Wahrheit entgegenglänzt — Labst du, o Kunst, die verlangenden Blicke Deiner Schönheit heischenden Kinder; Liebevoll sorgend erquickst du sie Mit den sanften, leuchtenden Strahlen Bunter, farbiger Erdgebilde, Lehrest sie ahnend In den Tiefen der ew'gen Natur Unermeßliche Schätze finden. Um sie schaffensfreudigen Sinnes Umzuwerten in eignen Besitz! Seit dann dem Glücklichen, Der dem Schoß der gewaltigen Ahnfrau Seelenvolle Gebilde entwindet. Liebend geleitet von deiner Sand! Denn du ja bist es. Die dem Entzückten im Block des Marmors Zeigt das schlummernde Götterbild, Die ihm den Meißel ahnungsvoll führet, Bis es erwacht! Oder wer anders lehrt ihn als du, Steine zu Steinen geschickt zu fügen. Bis, den Gesetzen der Schwerkraft spottend, Simmelan steiget das Götterhaus? —

Lier schlingt der Weise — Von dir beseelt — Orphische Worte zu rhythmischen Strophen, Dort fügt die Jugend — Auf deine Weisung — Festliche Klänge tönenden Erzes Zu dem zarteren Klang der Saiten, Bis sie allmählich — Tastend und suchend — Findet der Tonkunst harmonisches Maß!------Nur selten zwar Wölbet sich dauernd ein heiterer Limmel Über der Künstler grübelndem Laupt, Und seltener noch Lässest du, feindlichen Mächten zum Trotz, Leicht sie erreichen den Siegespreis------Doch die Beharrlichen, Großes Erstrebenden, Führest du endlich an leisem Zügel Leiß umworbenen Zielen zu! Denn ohne Macht nicht Sandte der ewige Göttervater Zu dem irrenden Menschenvolke Dich, sein lieblichstes Kind, hinab: Aus seinem reichen Limmlischen Schatze Gab er das reinste Köstlichste Kleinod: — Die Macht der Schönheit Dir zum Geleit!

Zur hundertjährigen Geburtstagsfeier Beethovens 16. 12. 1870. Der Morgen graut! Zn sternumflammter Schöne Erlischt der Äon, der dem Reich der Töne Den Meister gab, den Lerrn des Heiligtums — And weihevoll erschließt ein neu Jahrhundert Ihm, dem Ansterblichen, den wir bewundert, Den wir geliebt, die Pforte neuen Ruhms.

Wo aber ist das festliche Gepränge, Des Chores Amzug und des Volks Gedränge, Das diesem großen Weihetäg gebührt? Wie, müßte heut in Tempeln und in Lallen Richt alles Volk erschüttert niederfallen, Vom Klang der Messe bis ins Mark berührt? Denn wer entzöge roh sich der Gemeinde, Die ohne Sektenhader, ohne Feinde Sich in den Dienst des Ewigschönen stellt? Lat jedem doch durch ihrer Töne Wahrheit Des Meisters Kunst in furchtbar ernster Klarheit Des eignen Wesens Tiefen oft erhellt?

Wo wär' der Szythe, der in stillen Stunden Nicht dieser Klänge heil'ge Macht empfunden And huldigend das Göttliche verehrt? Wo der Barbar, der nicht von solchen Tönen Besiegt, im heiligen Gefühl des Schönen Umsonst der Kindesträne sich erwehrt? And doch kein Evoe, kein Iubelreigen, Kein Völkerhymnus, der das düstre Schweigen Des großen Tages würdig unterbricht? Kaum hie und da im Saal, im stillen Kreise Ein Werk des Meisters, eine Festesweise, Die ernst zum Ohr bewegter Äörer spricht?

O herb' Geschick! Der Dämon, der das Streben Des edlen Meisters einst gelähmt im Leben And neidisch ihm mit Taubheit schlug das Ohr, Er waltet auch bei der Jahrhundertfeier And übertäubt das sanfte Spiel der Leier Durch der Kanonen grauenvollen Chor!

Doch wenn des Krieges Stürme schweigen werden And wenn die Engelstimme: „Fried' auf Erden" Ans allen beugen wird das troh'ge Knie — Dann soll des Meisters Schatten Sühnung haben. Denn Schmerz und Trauer wollen wir begraben Zm Jubelchor der Neunten Symphonie!

Nobbe, Gedichte.

161

1866. Geschlagen ist die Böhmer Schlacht, Sie hat den Preußen Sieg gebracht In heißer, blut'ger Stunde; Des Kaisers Leer zerstob, verschwand, Schon fliegt ins ferne Leimatland Am Draht die Siegeskunde.

And als man's liest im Zeitungsblatt, Da flaggen festlich Dorf und Stadt, Man drückt sich froh die Lände; Nach langer, banger Spannung regt Sich neues Leben frohbewegt. Des Jubels ist kein Ende! And doch, wie klopft bei aller Lust Des Kriegers Frau so bang die Brust, Wie schlägt ihr Lerz mit Bangen! Sie weiß ja fern beim Preußenheer Den Mann, der ach, so ahnungsschwer Von Laus und Los gegangen.

Wie leicht ist dem am blut'gen Tag Ein tückisch Blei, ein Schwerlesschlag Ins warme Lerz gedrungen! Es hat dem braven Landessohn Vielleicht der Siegsposaune Ton Das Sterbelied gesungen!

And wenn sein treues Lerz noch schlägt, Gott weiß, wo sie ihn hingelegt, Verwundet und verlassen! Er liegt wohl bleich in stillem Lärm, And ach, es kann ihr treuer Arm Den Teuren nicht umfassen! So klagt sie und so sinnt sie fort — O könnt' ihr doch ein einzig Wort Von ihm Gewißheit geben! Sie wiegt ihr Kind in Tränen ein: Wer soll fortan dein Lüter sein. Wer sorgt für dich im Leben?

So schwindet langsam Tag um Tag, Es tönt so trüb der Glocke Schlag, So träge schleicht die Stunde! Das Posthorn schallt, es dampft der Zug — Er meldet viel, doch nicht genug — Er bringt ihr keine Kunde! Schon pflanzt ein bös Gerücht im Ort Von Mund zu Mund sich flüsternd fort O Gott, wie will das enden! Da endlich klopft's — ein Brief! ein Brief! Sie sieht und liest und atmet tief: Gottlob! Von seinen Länden!

1870. Was dampfen durch die Sommernacht Die Züge all' gen Westen? Sie führen in die blut'ge Schlacht Die Bravsten und die Besten! Sie rollen in die Nacht hinein, Linaus zum Rhein und über'n Rhein, Dem schweren Kampf entgegen. And mehr und mehr und immer mehr, Als sei's ein Völkerwandern; Es wächst der Zug, es schwillt das Leer Von einer Stadt zur andern! Der Bürger und der Reichsbaron, Der Bauer und der Grafensohn, Es fehlt von allen keiner! Llnd allerorten rüsten schon Zum Kampf sich neue Scharen. Leb, Mutter, wohl — leb wohl, mein Sohn, And mag dich Gott bewahren! Leb wohl, mein Kind, leb wohl, mein Weib — Für euch mein Blut, für euch den Leib, Für euch dem Tod entgegen!

Geht heim, gedenket eurer Pflicht Lind trocknet eure Zähren, Vor Not nnd Lunger zittert nicht, Der König wird euch nähren! And krümmt im Feld die Ähre sich. So wird der Nachbar sicherlich Das Stücklein Korn euch schneiden! Doch nun genug! Die Zeit verflog, Schon klingen die Signale! Macht mir das Lerz nicht schwerer noch — Ade zum letzten Male! ------- Ein schriller Pfiff — ein Schrei — ein Ach — Nun komme, was da kommen mag. Das Schwerste ist ertragen!

Die Kanone auf Lohenzollern. Wie Die Wie Wie

schaut so majestätisch von ihrem hohen Stein alte Burg der Zollern ins grüne Land hinein! ragen ihre Zinnen so kühn zum Himmelsblau, schmücken ihre Türme so stolz den Schwabengau!

Sie hat in alten Tagen manch' harten Strauß gesehn, Zweimal ward sie gebrochen, um wieder zu erstehn, Dann löst ein halb Jahrtausend zerbröckelnd Stein und Wand, Nun schirmt die neu erstandne des Kaisers starke Land. Wohl uns, nun sind die Fehden im Schwabenlande aus. Nun steht in gleichem Schutze Palast und Bauernhaus, Es dringen keine Reisigen mehr in die Städte ein. Es dräut den werden fürder kein Wolf von Wunnenstein! Nur einmal noch geschah es — es wird nicht mehr geschehn — Daß Zollern böse Gäste im Burgwall durfte sehn. Gottlob man darf erzählen davon in heiterm Scherz, Nicht fürchtend zu verletzen ein treues Schwabenherz!

Zum Grabe wankte sichtlich der morsche Staatenbund, Es gab im deutschen Lande sich neues Leben kund. Doch eh' das Angewohnte gewonnen Macht und Stand, Durchzog ein letztes Wetter das schwergeprüfte Land.

Lie Nord! Lie Süd! so grollt es in wildem Wetter­ schein, Es donnern die Kanonen von Böhmen bis zum Main. Mo aber ist der Schutzherr, der über Zollern wacht? Er waltet größrer Pflichten, und fern ist seine Macht! Die Burgbesatzung weiß es und senket trüb den Blick, Sie kann ins Nad nicht fallen dem rollenden Geschick; Sie gäbe gern ihr Leben für ihren König hin. Doch wäre blut'ge Wehre hier trutz'ger Widersinn!

Die Burg ward übergeben so wie sie liegt und steht; Das alte Zollernbanner, das hier so lang geweht. Es neigt sich trauernd nieder, als sei der Burgherr tot, And in die Lüfte steiget das düstre Schwarz und Rot! Doch eh' der Pakt geschlossen, wird noch zuvor bei Nacht Die alte Burgkanone in Sicherheit gebracht. Wohin? Ich weiß es selbst nicht, doch wüßt' ich's, schwieg ich auch: Geheimnis zu verraten ist wider Landesbrauch!

Die Württemberger mustern zufrieden Turm und Tor, Die Schlüssel und die Schätze, sie finden alles vor. Nur die Kanone fehlet auf dem bezwungnen Wall — Ist doch im weiten Lande gar wohl bekannt ihr Schall! Zwar nicht zu Kampf und Fehde erdröhnte mehr ihr Mund, Doch wenn ein Feuerzeichen sich malt am Limmelsrund,

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Dann hallte dumpf und schaurig ihr Angstruf durch die Nacht Und rief zu Schutz und Lilfe die nachbarliche Wacht. „Wo habtIhrdieKanone, LerrLauptmann, hingetan? Wir brauchen sie, auf daß man Viktoria schießen kann. Das Schwabenland soll wissen, weß Banner nun hier weht. Und wie es um die Lerrschaft auf Lohenzollern steht!"

Der Preuße streicht sich schmunzelnd den blonden Bart und spricht: „Ja Lerr, solch großes Aufsehn just eben wollt' ich nicht; Drum hab' ich die Kanone, verzeiht, in letzter Nacht, Zu meines Burgherrn Ehre in Sicherheit gebracht. Ich übergab die Feste so wie sie lag und stand. Als ich die Dokumente vollzog mit eigner Land; Ich tat dabei nicht minder noch mehr als meine Pflicht Allein verborgne Schätze, ihr Lerr'n, verrat' ich nicht!"

Da denkt der Württemberger: Lier nützt kein Lärm und drohn, Gemach ihr schlauen Preußen, man wird sie finden schon! Indes so viel man suchet, so viel man gräbt und sticht. So viel man hackt und schaufelt — man kann sie finden nicht!

Man klopft an Stein und Mauer, durchsuchet Schloß und Laus, Man forscht in dunklen Kellern, man fragt die Mannschäft aus, Man will zum Reden bringen die Schweigenden durch Wein, Doch lächelnd spricht die Mannschaft: ihr schenkt ver­ gebens ein! Da dringt die frohe Kunde durchs Land von Preußens Sieg; Entschieden sei die Fehde, beendet sei der Krieg, Und aus dem Hauptquartiere wird streng die Weisung kund. Der Zollern sei zu räumen noch zu derselben Stund!

Da geht's ans Abschiednehmen — die Feindschaft war nicht groß: „Behüt' euch Gott, ihr Preußen, nun werdet ihr uns los. Nun aber sagt uns endlich, bevor wir heimwärts gehn. Wo hattet ihr zum Teufel die Burgkanone stehn?" Doch achselzuckend schweiget die Mannschaft wie das Grab. Die Schwaben ziehen mürrisch den steilen Berg hinab, — Da plötzlich kracht von oben ein donnergleicher Schuß: Die Burgkanone sendet dem Feind den Abschieds­ gruß! —

Lübeck. Der Seewind kühlt die Sommernacht, Die Dünste wallen und ziehen. Es liegen in Heller Mondespracht Die Türme von Sankt Marien.

Sie ragen in die Nacht hinein Gespenstisch, ungeheuer; Es glänzt in wundersamem Schein Notleuchtend ihr Gemäuer. And unten liegt die alte Stadt In schweigsam düstrer Nunde; Die Turmuhr zeigt am Zifferblatt Die mitternächtige Stunde. And wie der Trumm auss Schlagwerk fällt. Da ist's als wollt' er sagen: Ich habe einer andren Welt Die Stunden einst geschlagen!

Lassan. Warum schlägst du, junger Lassan, Deine dunklen Augen nieder? Warum singst du nicht die alten. Wohlbekannten Negerlieder?

An die ferne Leimat dacht' ich Mit der Kindheit freien Tagen, An den lieben Vater dacht' ich. Den dein hartes Volk erschlagen!

Sprich die Wahrheit, junger Lassan, Oftmals hast du uns erzählet Von des Vaters Tod, doch nimmer Lat's an Liedern dir gefehlet! An die liebe Mutter bucht' ich. Die ihr an die Küste brachtet. An die liebe Schwester dacht' ich. Die in Indiens Larem schmachtet!

Sprich die Wahrheit, junger Lassan, Oft wohl dachtest du der Sippe, Aber dennoch fehlt es abends Nicht an Liedern deiner Lippe! ------- Wohl, so wisse denn: ich dachte An den süßen Tag der Rache, Wo ich, so wie jetzt, dich könne Sehn in deines Blutes Lache!

Die ungleichen Brüder. GuLherz und Zornesmut, Drollige Jungen, Sind aus demselben Blut Beide entsprungen.

Ahnherr hieß Brausewind, Ahnfrau hieß Schwäche, Kind bis zum Kindeskind, Zahlt nun die Zeche. Raset wie Wüstenwind Zornmut in Gluten, Lenkt ihn das Mutterkind Wieder zum Guten. Reißet der Wütende Alles in Stücke, Sinnt der Begütende, Wie er's wohl flicke!

Weiht, was nicht feuerfest, Zornmut den Flammen, Kehret den Aschenrest Gutherz zusammen. Aber die Werte sind Richt zu ersetzen; Was er erkehrte — sind Scherben und Fetzen! —

Die Lexe. Wo hab' ich, du Dirne, dich schon gesehn? — Was hilf' es, dir Rede und Antwort zu stehn? Wo ist deine Kammer, wo liegt dein Laus? — Am Rabenstein, vor dem Stadttor drauß'. So bist du des Lenkers Töchterlein? — Ei freilich, es wird nicht anders sein! Dann sah ich dich, als man die Rosel verbrannt! — Du sagst es, ich habe dich wohl erkannt; Du starrtest damals ins Feuer so wild! Es hing mein Lerz an dem Frauenbild. — So hast du das trotzige Ding geliebt? Es war eine Rose, wie's keine gibt! — Es war eine Buhle vom Lexengeschlecht, Mein Vater hat sie gerichtet gerecht!-----------And hat er gerichtet nach Recht und Brauch, So richt' er sein eigenes Kind nun auch; So soll es mir Leben und Ehre weihn. So muffe es selbst eine Lexe sein!------— O weh, was sagst du, du schrecklicher Mann? Du bist der Versucher — ich sehe dir's an! Wie funkelt dein Auge — wie brennt dein Kuß — Was zwingst du mich, daß ich dich lieben muß? Wie glüht meine Seele, wie kocht mein Blut — Run weiß ich, wie es den Lexen zu Mut: Ich liebe dich, weil ich nicht anders kann — And will man mich brennen — was ficht's mich an?

Benakus. Sonnig erglänzte der See, und es tanzt in der Furche des Kieles Sinter dem eilenden Kahn zitternd des Tages Gestirn; Lautlos schwebte das Boot auf der leuchtenden Fläche, und flimmernd Senkte sich bläulicher Dunst über das Küstengestad'. Aber noch ehe dem Blick die umschleierten Ufer ent­ schwanden, Winkt aus der Ferne bereits grüßend das steile Gebirg', Das, unter Blumen versteckt, aus der Tiefe der Fluten emporsteigt And den geklüfteten Fels schmücket mit Reben und Wald, Während, von Furchen zerwühlt, der gewaltige Gipfel sich auftürmt, So ch aufstreb end und stolz ragend ins himmlische Blau. Siehe, da nahen auch schon die Zitronengelände Limones, Zwar noch sorglich geschützt gegen des Boreas Macht, Aber vom nordischen Gast als willkommene Zeichen des Südens Stets mit begeistertem Rus heiterster Freude begrüßt! 174

Sehnt sich mit heimlichem Weh nach den sonnigen Fluren des Welschlands Seit Jahrtausenden doch jedes germanische Lerz! — Wilder nun ward das Gebirg', und im Golde der sinkenden Sonne Winkten die Berge Tirols heimische Grüße mir zu. Während der Spiegel der Flut sich zu kräuseln begann und zu heben, Bis sich, vom Winde bewegt, Welle mit Welle verband. Löher da schlug mir das Lerz, und entzückt von den steigenden Wogen Nies ich begeisterten Sinns laut in die Brandung hinein: „Zeige dich, herrlicher See, wie du einst dem Virgil dich gezeiget. Als er bewundernd dich sah, rühmend mit tönendem Wort, Daß deine schwellende Flut im Getöse der donnernden Windsbraut Lebe das grollende Laupt gleich dem gewaltigen Meer!" — Siehe da ballte Gewölk sich zusammen, und zuckende Blitze Eilten als Boten des Sturms über das schwarze Gebirg', And es erbrauste die Flut, und es trieb auf den .rollenden Wogen Machtlos wider den Sturm ächzend der schwankende Kahn!

Ich aber achtele nicht der Gefahr und durchflog, in Gedanken Rückwärts schauend, im Geist zweier Jahrtausende Lauf. Liebend gedacht' ich Virgils, des unsterblichen Sängers von Andes, Der am Benakus einst träumte von künftigem Ruhm, And des begeisterten Freunds der hellenischen Kunst, des Katullus, Der am Gestade des Sees dereinst sich die Lütte gebaut. Ach, wohl schwelgten sie da gleich mir in erhab'ner Empfindung, Wenn ihr begeisterter Blick ruht' auf der brandenden Flut — Aber die Lütte zerfiel, und es schloß sich das Auge der Sänger — Rur die bewegliche Flut rauschet und brandet noch heut'!

Phaechon. (Ballade.)

„Keinen Wunsch mir zu versagen Last du, Vater, einst versprochen, And ein Gott hat nie gebrochen, Was er seinem Kinde schwor. Ohne Scheu drum will ich's wagen. Deines Wortes dich zu mahnen. And des Lerzens gläubig Ahnen Birgt Erfüllung mir zuvor. Einmal nur an deiner Stelle Laß mich durch des Limmels Weiten Deinen Sonnenwagen leiten, Großer Vater Lelios! Aber Land und Stromeswelle Lenk' ich ihn zur rechten Stunde Durch der Sphären heil'ge Runde Sicher zum Okeanos!" „Lalt, o Knabe! Welch' Verlangen Reget sich in deinen Sinnen! Welch' verwegenes Beginnen Reißet, Phaethon, dich fort? Kühle die erhitzten Wangen, Lemme deiner Schläfen Pochen And laß ewig ungesprochen Das vermessne schnelle Wort!" Robbe, Gedichte.

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Doch mit immer heißerm Flehen Mahnt ihn Phaethon des Eides, And beim Anblick seines Leides Wankt des Gotts Entschlossenheit. Eilend flieht die Zeit, es stehen Stampfend schon die mut'gen Rosse, Kaum gebändigt von dem Trosse Ihrer Wärter, fahrtbereit! ,-Wohl, so sei es denn, so lenke, Trotziger, den goldnen Wagen, Mög' er schwindelfrei dich tragen Durch der Tiere heil'gen Kreis! Aber, Knabe, eins bedenke: Laß die Rosse niemals weichen Aus der Spur, der ewig gleichen. And dem altgewohnten Gleis!"

And der Knabe nimmt die Zügel; Leicht vom Morgenhauch umwoben Äebt der Wagen sich nach oben In den Äther, hell und klar. Aber Flächen, über Äügel Geht die Fahrt, und wonnetrunken Lenkt, in Seligkeit versunken, Phaethon das Rossepaar.

Jauchzend blickt er auf die Fluren, Wo die Erdgebornen wohnen, Wo in südlich warmen Zonen Reich und blühend prangt das Land.

Sicher in den alten Spuren Gehn die Rosse stolz und prächtig. Und er zügelt sie bedächtig Ohne Furcht mit leichter Land.

Plötzlich schaut er, fern im Norden Tief in Nebeln die Gefilde, Wo sich, fern dem Sonnenbilde, Die Kimmerier angebaut. Träge, pelzumhüllte Äorden Sieht er in der Dämmerung schleichen, Troglodyten zu vergleichen. Denen nie der Äimmel blaut. Da ergreift ihn tiefer Kummer. Wehe, ruft er, weh euch Armen, Die ihr nie euch labt am warmen, Freudereichen Sonnenschein! Dürst' ich doch in euren Schlummer Einen Strahl des Lichtes tragen. Dürfte doch mein goldner Wagen Einmal nur euch nahe sein! And indem er's denkt, ergreifen Anbewußt die zarten Äände Kräftiger der Zügel Ende, And betört von Schreck und Wahn Ziehn die Rosse an und schweifen Angstbeflügelt auf die Seite, Stürmen rasend in die Weite And verlassen scheu die Bahn!

Äa, Entsetzen! Wie sie schnauben. Wie des Knaben Antlitz glühet. Wie er schreckbetäubt sich mühet And sie doch nicht meistern kann! Drohend ruft er, doch die tauben Renner trotzen seinem Drohen, And vom Lirnrnelsring, dem hohen, Rast zur Erde das Gespann!

Aufgewühlt vom Strahlenfeuer Der verstärkten Sonnengluten Bäumen sich des Meeres Fluten Schäumend auf am Felsenriff, And gewaltsam, ungeheuer. Bergeshoch emporgehoben, Ziehn sie in der Brandung Toben Anentrinnbar Mann und Schiff.

Flur und Gärten, Wald und Auen Welken schmachtend und vergehen Vor des Glutenhauches Wehen, And vom fernen Wüstenrand Wälzt sich, furchtbar anzuschauen. Eine rote Feuerwolke Anheilkündend allem Volke, Sengend über Strom und Land. Aufwärts jetzt mit einem Male Fliehn die Rosse, die gehetzten. And es wendet mit entsetzten Blicken Phaethon sich ab.

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Denn was eben noch im Strahle Heißer Sonnenglut geschmachtet. Sinkt, von Reif und Dunst umnachtet. Fröstelnd nun ins eis'ge Grab. Schaudernd bergen sich in nächtigen Höhlen der Lebendigen Scharen Vor den wechselnden Gefahren, Die ihr Auge hilflos schaut, Und empor zu Zeus, dem mächt'gen. Sieht man Gaea angstvoll schweben. Zitternd für der Kinder Leben, Die der Gott ihr anvertraut.

Wehe, ruft sie, mach' ein Ende, Hilf uns, rett' uns, Weltberater! Kann dein Aug', o Himmelsvater, Solchen Greuels Zeuge sein? Dürfen eines Knaben Hände Stören deine heil'gen Gleise Und vermesien in die Kreise Deiner Schöpfung greifen ein? Schweigend hört es der Chronide, Zürnend schüttelt er die Locken, Und des Lebens Pulse stocken Vor des Allgewalt'gen Groll. An dem heil'gen Augenlide Zuckt die Wimper — seine Blicke Überschaun die Weltgeschicke Adlergleich und hoheitsvoll.

Und in eins fließt Tat und Wille, Denn von seinem Wolkensitze Zielt er mit gewaltigem Blitze Auf den Nofselenker schon. Furchtbar unterbricht die Stille Lauter Donner, und erschlagen Sinkt von seinem goldnen Wagen Phaethon, der Göttersohn! Selber dann, die Not erkennend. Schwingt fich Zeus im Sturmestosen Zum Gefährt, dem führerlosen, Und mit einem Druck der Land Die verwirrten Zügel trennend. Bändigt er die wilden Noffe Und verteilt die Lichtgeschoffe Segnend über Meer und Land. Da entsprießt dem Schoß der Erde Neues Glück; die Schrecken weichen. Und dem Gott, dem gnadenreichen. Der die Prüfung hilfreich schloß. Danken am Altar und Lerde Die erlösten Erdgebornen; — Doch um seinen Frühverlornen Weint untröstlich Lelios!

Das Märchen. Den Schlaf nicht findend, sprang ich auf vom Pfühle, Bedrückt von tiefgeheimem Seelenschmerz; Es sehnte sich mein brennend Haupt nach Kühle Und nach Erlösung mein gequältes Herz. Dich sucht' ich — doch ich suchte dich vergebens — Gerechtigkeit, die jedem das gewährt. Was ihm gebührt, und die im Gang des Lebens Das Recht zum Siege führt und Dunkles klärt.

Wo weilst du? Bist du aus der Welt verschwunden? Wohin, Gerechtigkeit, bist du entflohn? Ich raste nicht, bevor ich dich gesunden Und forsche in den Hütten, auf dem Thron — Allein umsonst! Einst seist du dagewesen, So hieß es überall — o herbe Qual! In alten Märchen sei davon zu lesen, Doch heute heißt es stets: „es war einmal!" „Es war einmal —" allüberall das gleiche. Das alte, oft gehörte Märchenwort! Wohlan, so such' ich dich im Märchenreiche; Gewiß, da find' ich dich, da lebst du fort! Da wird — o süßer, wundervoller Schrecken — Sich offenbaren, was mein Herz erstrebt. Da werd' ich dich, Gerechtigkeit, entdecken — Allein wer sagt mir, wo das Märchen lebt?

Ich fragte den Gelehrten, und er sagte: Das Märchen wohnte einst im Volksgemüt, Doch ist es draus entflohn, das viel beklagte, Und ach, sein Lebensfunke ist verglüht! — Einst haust' es an Kaminen, rief ein andrer. Dort spricht man noch von ihm zur Winterzeit — Auf hoher See, belehrte mich ein Wandrer, Erblickt' ich's einst — doch das ist fern und weit!

Da kam ein Kind des Wegs, das fragt' ich leise: Kennst du des holden Märchens Aufenthalt? Den kenn' ich, sprach das Kind in schlichter Weise: Das Märchen wohnt im tiefen, tiefen Wald! Dort wirst du's finden, folge nur dem Wege, Der zu des Dickicht's Finsternissen führt. Da wohnt's in einem lieblichen Gehege, Da hab' ich seinen Atem oft verspürt! —

Ich folgte seinem Wink. Im Maiengrüne Lag rings der Wald — es wölbte sich sein Dach Zu einer wundervollen Zauberbühne, Und Äunderte von Sängern waren wach. Die sangen von der Liebe Lust und Leide Und von der Sehnsucht tiesgeheimem Drang, Ich aber seufzte, denn ich kannte beide. Und lauschte still dem schmelzenden Gesang. Doch dichter ward der Wald; im Gras und Moose Verlor allmählich sich des Pfades Saum, Und leiser ward das liebliche Gekose Der Sängerschar — der Wald versank in Traum.

Nur selten noch durchdrang die dichte Fülle Des Blättermeers ein goldner Sonnenstrahl, And eine zauberische Nebelhülle Amwob geheimnisvoll das Waldestal.

Da hort' ich plötzlich leise Silberstimmen, Lichtvolle Kerzen flammten rings im Kreis, And holde Blumenäuglein sah ich glimmen. Gleich Sternen blau und rot und silberweiß; Aus goldnen Fäden spannte zarte Netze Von Baum zu Baum der Elfen leichte Schar, And tief im Grase glühten reiche Schätze, Rubine und Topase, rein und klar. And zaubermächtig fühlt' ich mich beschleichen Ein wonniges Gefühl von Müdigkeit; Mir war's, als rauschten Buchen mir und Eichen Ein Lied ins Ohr aus ferner Kinderzeit, Als wiege mich ein Traum in süßen Schlummer, Als fühl' ich mich der Stätte nahe schon, Wo ich, erlöst von Sehnsucht und von Kummer, Mich schmiegen dürfe an des Märchens Thron.

Da drang von fern in wunderbarer Schöne Ein tief geheimes Klingen an mein Ohr, Als mischten zauberische Äarfentöne Sich einem weltentrücktes Geisterchor, And endlich war des Äarrens Zeit verflossen. Ich sah sie selbst, die holde Märchenfee, Auf weichem Polster lieblich hingegossen, Amhüllt von Rosenglanz und Blütenschnee.

And leise winkend bat sie mich zu nahen: Auf! Tritt in meinen Zauberkreis hinein — Was deine Blicke einst nur ahnend sahen. Das siehst du hier in lieblichem Verein. Lier braucht die Tugend nicht um Lohn zu bangen, Lier trotzt das Glück dem flüchtigen Gang der Zeit, Lier blüht Erfüllung sehnendem Verlangen, Lier wohnt vergeltende Gerechtigkeit. Wo Mangel herrscht, da stellt sich reiche Labe, Wo Lunger darbt, ein „Tischlein deck' dich" ein; Mit Elend teilt der Überfluß die Labe, And nächt'ges Dunkel weicht dem Sonnenschein. Lier freien Königssöhne um die Schönen, Wenn Tugend neben ihrer Schönheit blüht, Lier hörst du Helle Silberglöcklein tönen, Wenn Toms der Reimer durch die Wälder zieht! Lier findet jeder, was sein Tun verdiente, Lier schlingt um Liebe sich der Treue Band; Die Schuld allein, die keine Reue sühnte. Verfällt in meinem Reich des Rächers Land. Lier ruht die Arbeit, glätten sich die Sehnen, Lier schwingt den Lämmer nicht die rohe Kraft, — Derweil da draußen unter Leid und Tränen Die Welt in harter Frohne wirkt und schafft.

Sie schwieg! Ich lauscht' in sel'gen Traum versunken Dem holden Wort, mein Auge strahlte Dank And suchte ihre Lippen, bis ich trunken Vor ihrem goldnen Lager niedersank. —

------------ Da sah ich plötzlich — Wehemir! erblassen Ihr holdes Bild! Es löste sich in Duft — Noch wollt' ich zitternd ihre Äand erfassen And griff danach — doch griff ich in die Luft! Was war geschehn? Ich warf mit lauten Klagen Mich gramerschüttert auf die Erde hin — Da hört' ich sie aus weiter Ferne sagen: „Ich bin nur schön, so lang' ich Märchen bin! Du aber suche fürder nicht im Leben Nach Schattenbildern der Gerechtigkeit — Nein, ringe drum in heißem Arbeitsstreben Als Kind der Gegenwart im Kampf der Zeit!" — Da sank mir von der Stirn des Traumes Binde; Mit Hellen Sinnen sprang ich schnell empor. Verschwunden war das lustige Gesinde Der Märchenwelt. Es sang der Vöglein Chor So lieblich, wie er nie zuvor gesungen. And draußen lag im Maienglanz die Welt; Mir aber war, ich fühlt' es kraftdurchdrungen. Ein wundervolles Arbeitsziel gestellt! —

Einst und Jetzt. Was waren wir, ihr Brüder, Für frische Burschen doch! Wie sträubten wir uns wider Des Lebens Alltagsjoch! Wir wandelten die Schänken Zum Äörsaal um, zumeist Und lehrten von den Bänken Das Wort vom Stoff und Geist. Wir waren Chiliasten Und Skeptiker zugleich; Wir wähnten schon zu tasten Ein neues Zukunftsreich.

Wir sprachen von reformieren, Vom Sauerteig im Mehl, Wir wollten die Welt kurieren Von ihrem alten Fehl! Wir wollten vorwärts treiben Der Menschheit träge Schar — Nur wir, wir wollten bleiben Dieselben immerdar.

Nun sind wir von den Winden In alle Wett zerstreut And würden wir uns finden Nochmals zusammen heut'. So stände wohl zu lesen Auf aller Angesicht: „Die Welt blieb gleich im Wesen — Wir aber blieben's nicht!" —

Was nützt es dir? Was nützt es dir, von Vorurteiles Banden And schwer gelösten Fesseln frei zu sein? Auf weiter Fläche segelst du allein, And ach, wie selten wird dein Kurs verstanden?

Wär's besser nicht, du liefst — anstatt zu stranden An neiderfüllter Mißgunst sprödem Stein, In den bequemen Ruhehafen ein, Wo alle andren froh gemächlich landen? Wer dankt es dir, daß du im heißen Streben Das Beste, was du hast, der Welt zu geben. Dich mühst, des Geistes Kräfte zu entfalten?

Du Tor! Ich höre deine Neider lachen: Seht da den Schwärmer! Laßt ihn Verse machen — Bei uns inzwischen bleibt es bei dem alten!

Luther. Dein Wort ist schwertesscharf! Es dringt beim Lesen Ins Äerz mir oft wie greller Wetterschein, And fegt, dem Sturmwind gleich, die Tenne rein Vom Staub der Zeit mit allzuscharfem Besen. Doch blick' ich tiefer in dein wahres Wesen, In deiner Seele Heiligtum hinein. So zeigt sich mir ein Äerz, das still und fein Im Frieden Gottes steht, vom Leid genesen. — Im Antlitz Trotz, im Lerzen schlichter Glaube, An Mut ein Leu, an Demut eine Taube, So stehst du vor mir, stark zugleich und lind;

Ein Bauernsohn, unbeugsam wie die Eiche Im Wettersturm, und doch in Gottes Reiche Ein echter Jesus-Jünger und ein Kind! —

Tag und Nacht. Du goldnes Licht, dem alles Sein entstammt, Das unsrem blöden Schritt den Pfad erhellt. Wie sonnet sich in dir die frost'ge Welt, Wie huld'gen dir die Wesen allesamt!

Doch dir auch ward zuteil ein hohes Amt, O Nacht, denn wenn des Tages Leuchte fällt, So öffnest schweigend du das heil'ge Zelt, In dem das Licht des Weltalls prächtig flammt.

Erhabnes Bild des Geistes! Sonnengleich Erleuchtet der Verstand des Diesseits Reich, Doch zeigt er uns des Äimmels Tiefen nicht. Dem heil'gen Dunkel der Gefühle nur Erschließt sich ahnungsvoll die Sternenflur Der Ewigkeit nrit ihrem Limmelslicht! —

ÄoffNUNg. So brünstig du auch ringst — nicht löst sich dir Des Daseins Rätsel; düstre Wolken halten Der Wahrheit Bild umhüllt, und Truggestalten Verwirren die Erkenntnis dir und mir! In Raum und Zeit gebannt, erkennen wir Rur stümperhaft des ew'gen Geistes Walten; Wohl ahnen wir sein Werden und Entfalten And fühlen Unaussprechliches schon hier,

Doch wollen wir's begreifen und erfassen. So sehen wir es schemengleich verblassen In wirrer Zweifel trübem Nebelflor. Und doch — das Lerz bezeugt's! Die Loffnungssterne, Die auf uns niederschaun aus heil'ger Ferne, Sind mehr als ein verschwindend Meteor!

Befreiung. Mit starker Fessel kettet dich das Leben An der Erscheinungswelt berückend Bild, And nie gestillte Wünsche lassen wild Im Sturm der Leidenschaft das Lerz erbeben.

Doch wenn der Wille schweigt, wenn glatt und eben Der Seele Spiegel glänzt, so fühlst du mild — Gleich einem Gruß aus himmlischem Gefild — Den Geist des Friedens auf dich niederschweben. And allem Leid entrückt, erkennst du klar. Daß deiner Kette Druck ein Traum nur war. Den irrend du für Wirklichkeit gehalten.

Es schwindet vor dem Lauch der Ewigkeit, Der dich umweht, der trübe Wahn der Zeit, And betend seh' ich dich die Lände falten.

Nobbe, Gedichte.

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Lebenswasser. Vermische mit der Sinne Taumelwein Den Brunnquell des lebendigen Wassers nicht. Der aus den Tiefen deiner Seele bricht. Genährt vom Tau des Kümmels klar und rein.

Sein kühles Naß soll dir Erquickung sein, Wenn heiß die Sonne deinen Scheitel sticht. Ob gleißend auch dir bessern Trank verspricht Der Weltlust trügerischer Zauberschein. Denn wisse, ihre Nebelpracht entweicht. Sobald du wähnst, der Bronnen sei erreicht, Den du ersehnt mit brennendem Verlangen,

Derweil der reine Quell, den Gottes Geist Aus seines eignen Wesens Tiefen speist, Die Seele labt, bis aller Durst vergangen!

Wunder. i. Erhabnes Wunder, niemals auszudenken, Daß einst im Raum sich zwei Atome fanden Die, andere an sich ziehend, sich verbanden Und einer Welt das Dasein durften schenken! Wohl möchte grübelnd sich der Geist versenken In das Geheimnis, wie das All entstanden. Doch wer vermöchte, ohne jäh zu stranden. Der Forschung Kahn in diese Nacht zu lenken?

Was sand' er auch? Nie tagte ihm ein Morgen; Das große Wunder blieb ihm doch verborgen, Nach dessen „wie" sein Geist verlangend fragt; Denn niemals wird ein Mund der Welt erzählen. Wie Geist sich konnte totem Stoff vermählen, Bis Selbstbewußtsein im Erschaffnen tagt!

II.

So laß denn, Sohn des Staubs, die Loffnung schwinden, Des Wettendaseins Rätsel zu erkennen, And laß dir noch ein größres Wunder nennen. Vor dem Vernunft und Wissenschaft erblinden: Das Wunder, dessen Tiefe wir empfinden, Wenn unsere Lerzen liebsehnend brennen. Das siegreich uns von Welt und Tod kann trennen And mit dem Ewigen ahnend kann verbinden.

Loch thront es über der Erkenntnis Reichen Als des lebendigen Gottes Wahrheitszeichen, Das Kunde uns von seinem Wesen bringt:

Es ist des Glaubens Macht, die, selig waltend And Limmelskräfte wunderbar entfaltend Aus seinem Geist in unsre Seele dringt.

Weltkinder. So spielt denn munter fort am Tageslichte, Wellkinderlein, und nascht vom Lebensbaum; Die Erde hat für viele Gäste Raum And geht nicht gern mit ihnen zu Gerichte!

Ihr seht ja doch im ernsten Weltgedichte Ein Lustspiel nur. Daß euch dabei ein Traum Verlockt und irre führt, ihr ahnt es kaum — Euch gilt der Schein für wirkliche Geschichte. And merkt ihr doch, daß euch ein Wahn belog. Daß euch ein fliehend Zauberbild betrog. So häuft ihr neue Täuschung zu der alten. And wähnet, daß im unerforschten „dort" Das wirre Spiel der Zeit sich setze fort Mit seinem Schein und seinen Truggestalten!

Unsterblichkeit. Unsterblichkeit, du inhaltschweres Wort, Wie leicht bist du gesagt, wie schwer durchdacht — Und dennoch bleibst du in der Erdennacht Der Loffnungsstern der Seelen fort und fort.

Zwar wähnt dich mancher nur als Nuheport, In dessen Schoß ihm ew'ge Freude lacht; Was ihm das Diesseits rauh zu nicht gemacht. Erhofft er wieder vom ersehnten „Dort"! Doch nur der Tor kann Ew'ges irdisch messen. Und besser, traun, wär' ewiges Vergessen Als zwecklos fortgesetztes Schicksalspiel! Endlose Zeit------------ vernichtender Gedanke! Doch Ewigkeit, frei von der Sinnen Schranke Ist edler Seelen höchstes Sehnsuchtsziel.

Die Liebe höret nimmer auf. Was dein Verstand erforscht, was du im Lauf Des Lebens an Erkenntnis dir gewinnst, Was du erlernst, begreifst, was du ersinnst. Was dir das Glück, der Zufall gab in Kauf, Selbst was dich zu den Sternen trägt hinauf. Die Palme edlen Ruhms, um die du minnest. Die Kunst, die sinnig du ins Leben spinnest, — das alles blühet, welkt und höret auf.

Zur Erde geht, was von der Erde stammt! Rur was dem Äerzen Gottes selbst entflammet, Was dich hinausweist über Welt und Zeit, Was du als Liebe ahnend darfst empfinden. Das bleibt, wenn Wissen und Erkenntnis schwinden, And wirket fort in alle Ewigkeit.

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Meinem verstorbenen Kinde. i.

Wir haben dich nur 18 Jahr besessen, Lind doch, und doch! Es waren 18 Jahr! Genug für unsern Schmerz auf immerdar. Genug, um keins der Jahre zu vergessen! Denn was du uns gewesen unterdessen. Das macht uns jeder Tag aufs neue klar. Und dunkel bleibt uns eins nur: warum war Dir nicht die Zeit der Reise zubemessen?

Ist denn die Welt so reich an Lieb' und Güte, Daß kaum sie's merkt, wenn eine Menschenblüte Zu früh geknickt vom Baum des Lebens fliegt?

Wenn ein Atom, ein Lauch, ein Windeswehen Der Lerzen wärmstes zwingt zum Stillestehen, Und wenn dem Niedren Edelstes erliegt? —

II. Du fragtest, Kind, mich ost nach hohen Dingen, Nach Gott, Unsterblichkeit und Schicksalswalten, Als könnten die Erfahrungen, die alten, Der jungen Seele Zweifeln Lösung bringen.

Dann sucht' ich dir zu geben, was im Ringen Mit Wett und Zeit in meines Lerzens Falten An Liebe, Glaub' und Loffnung blieb erhalten, — Und im Versuche wuchsen mir die Schwingen!

Ich schürte freudig halberlosch'ne Flammen, Das fast Vergessne fügt' ich neu zusammen, Zur Schlichtung dessen, was dein Lerz beschwerte.

Und sieh! Allmählich tauschten wir die Rollen, Denn du, du selber wurdest mir zum vollen Beweis für das, was zweifelnd ich dich lehrte!

III.

Wenn deine liebe Land die Saiten rührte. Und wenn dein Spiel mich bald wie flücht'ger Schaum Des Glücks umkoste, bald zu ernstem Traum Von Erdenlos und Menschenschicksal führte.

Was war es dann, was solche Glut mir schürte? Was hob so mächtig mich aus engem Raum, Daß ich der Wirklichkeit, der starken, kaum Den Zoll entrichtete, der ihr gebührte? War's nur die Macht der Kunst, die mich entzückte? Der Strom des Wohllauts, der mein Ohr berückte. Wenn leise schwellend er vorüberfloß?

Wie, oder war's, daß ich dein Sein und Wesen Dich selbst in deinen Tönen durfte lesen, Und daß dein Spiel mir ganz dein Lerz erschloß?

IV. Gedenk' ich dein in weihevollen Stunden, And fliegt entgegen dir mein sehnend Lied, So ist's, als ob ein Traumbild nur uns schied. Als sei ich noch wie einst mit dir verbunden.

And bin ich's nicht mehr? Was ich auch empfunden, Seit mein umflorter Blick den deinen mied. Stets fühl' ich dich als ein lebend'ges Glied Des Reifs, der einst mir ward ums Lerz gewunden.

Ans hält ein unzerreißbar Band umschlungen, Rur scheinbar ist der feste Ring zersprungen: Die erdgeborne Form nur ging in Scherben! Dein Ew'ges aber ist in Gott gerettet; In seinem Schoße liegt es wohl gebettet And ttotzet der Vernichtung und dem Sterben.

V. Zur Des Am And

sonnenheißen Erde senkt sich sacht Limmels Tau; erquickend spielt der Wind duftende Violen, weich und lind. um der Bäume Wipfel rauscht die Nacht.

Ich aber schleiche still durch diese Pracht And denke dein, du heißgeliebtes Kind; Der Augen denk ich, die geschloffen sind. And denen nie der Sommer wieder lacht.

O Jammer, dem kein andrer Jammer gleicht, O Kummer, den kein Erdenweh erreicht: Ein Kind im Glanz der Jugend sterben sehn! Fürwahr, zu weich geschaffen ist das Äerz, Das fühlende, für solchen Riesenschmerz------Es sollte härter sein, um fest zu stehn!

VI.

Nun ziehn wir in die ferne, fremde Welt, Lind du nur bleibst und kannst nicht mit uns gehn. Kannst nicht einmal die Abschiedsträne sehn. Die heiß und schwer für dich zur Erde fällt. So schlaf denn wohl, mein Kind! Schlaf wohl im Zelt Der Linden, die zu deinen Läupten stehn, In deren Zweigen bei des Nachthauchs Wehn Die sangesreiche Drossel Wache hält. Es störe dir kein banger Erdentraum Den tiefen Schlaf; des Frührots goldner Saum Erwecke nur in uns den alten Kummer!

Nur an das lebende, verwaiste Lerz, Das gramgewohnte, wage sich der Schmerz — Dir aber störe nichts den stillen Schlummer.

VII. Nur der hat ganz des Erdenschicksals Walten And seinen vollen Schmerzenskreis durchlebt. Der stumm und tränenlos, von Weh durchbebt. Ein sterbend Kind in seinem Arm gehalten. Was aus der Menschenseele tiefsten Falten In solchen Stunden zum Bewußtsein strebt, Was ahnend über Welt und Tod uns hebt — Wer könnt' es sagen mit dem Wort, dem kalten?

Nur ein Empfinden, feierlich und groß. Entringt gewaltsam sich der Seele Schoß, Vermag es auch der Mund nicht auszusprechen: „Erscheinung nur ist Werden und Vergehn; Das Ewige, das Wesen bleibt bestehn — Sonst wär' das All ein riesiges Verbrechen!"

Letzter Abschied. Des Scheidens schwere Stunde war gekommen — Der Tod zerriß, was Lieb' und Leben einte — Der Tag, den nie ich zu erleben meinte. War da: du wurdest vor mir hingenommen.

Ich stand an deinem Lager schmerzbeklommen, And weiß nicht, ob ich klagte, ob ich weinte. Als dir der Tod das Angesicht versteinte And deine Augen brach, die lieben, frommen! Nur eins noch weiß ich — mag mir's Gott vergeben — Mir schien in jenem Augenblick das Leben Nicht lebenswert — ich sag' es unverhohlen. And spät erst, als der Überwindung Frieden Die Starrheit löste, hab' ich mich beschieden And unsre Seelen schweigend Gott befohlen.

Die Seligpreisungen. Vorwort. Aus der Geschichte trüben Dämmerungen Erhebt sich wie ein Bild auf goldnem Grunde Des Menschensohns Gestalt, aus dessen Munde Das fefge Wort vom Himmelreich erklungen.

In allen Landen und in allen Zungen Vereint erlösend nun die frohe Kunde Der Jünger Schar zu hehrem Bruderbünde And hat der Selbstsucht starres Herz bezwungen. Was aber kündet die erhab'ne Lehre? Verheißt sie ihren Jüngern Macht und Ehre, And was auf Erden stolz und groß will scheinen?

Von allem nichts! Hört selbst — sie preist die Armen, Die Leidenden, die Herzen voll Erbarmen, Die Sanften, die Verfolgten und die Reinen!

Selig sind die geistlich Armen. Verwundert hört die Welt die Seligpreisung Der geistlich Armen, Serr, aus deinem Munde, And mürrisch trotzt der Grübler Fleiß im Bunde Mit Wissens Hochmut deiner Unterweisung. Und doch, wie weckt aus tödlicher Vereisung Den falschen Wahn die heitre Himmelskunde, Wie straft sie den, der seines Wissens Pfunde Stolz überzählt in knöcherner Vergreisung.

Wohl zeigt dem menschlichen Geschlecht das Wissen Den Saumpfad in des Erdsterns Felsenrissen, Doch nicht den Himmelsweg zum Gottessrieden!

Dem Kindessinn allein, der ahnend fühlet. Daß Wissen nicht der Seele Gluten kühlet. Ist Zutritt zu dem Himmelreich beschieden.

Selig sind die Leidtragenden. O laß den Wahn aus deiner Seele schwinden. Als ob im Sonnenbrand der Wett, dem schwülen. Das Glück die heiße Stirn dir könne kühlen, And Lust die Wehmut könne überwinden. Wer wahren Trostes Frieden will empfinden. Dem muß erst tiefer Schmerz die Brust durchwühlen. Der muß zuvor den Druck der Feffel fühlen. Mit der ihn Wett und Wille knechtisch binden; Der muß als höchstes Wettleid es betrachten. Daß in des Stoffes Bann der Geist darf schmachten, Umhüllt vom engen, dürftigen Erdenkleide!

Denn dem nur, der im tiefsten Seelengrunde Dies Leid getragen, schlägt der Freiheit Stunde, And sel'ger Trost erblühet ihm im Leide.

Selig sind die Sanftmütigen. An die des Reiches darrenden, die Stillen, Soll einst das Regiment auf Erden fallen; Der Lärm der Gegensätze soll verhallen And Sanftmut siegen über Eigenwillen. Wie widerspricht dies Zukunftswort dem schrillen And rauhen Kampfgetös', bei dessen Schallen Die Welt sich trennt in Herren und Vasallen, And Mannessinn sich beugt vor Herrschergrillen!

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Doch sieh! Derweil die Erde kreisend ringet, Erblüht ein neuer Weltgeist und bezwinget Das Chaos durch ein tausendfaches „Werde!"

Der Geist des Menschensohns, der sanfte, schlichte. Durchdringt die Zeit, erfüllet die Geschichte, And unterwirft sich waffenlos die Erde!

Robbe, Gedichte.

209

Selig sind, die da hungert und dürstet nach Gerechtigkeit. Des Himmelreichs Entfaltung hat auf Erden Nicht äußre Macht und Ehre im Geleit — Allmählich nur im Werdegang der Zeit Erwächst es unter Leiden und Beschwerden. Nicht überrascht's mit äußeren Gebärden Die Welt als fertige Begebenheit; Aus heißer Sehnsucht nach Gerechtigkeit Muß mühsam es herausgeboren werden.

Drum selig, wer dies edle Sehnen spüret, Wer für den Sieg des Rechts die Waffen führet, And nicht am Kelch der Lust sein Dürsten stillt! Entbehrend wird er doch Genüge haben. Denn in des Kampfes Äitze wird ihn laben Der Bronnen, draus das Lebenswasser quillt!

Selig sind die Barmherzigen. 0, warum muß auf soviel Not und Leiden Des Kümmels goldne Sonne niederscheinen. And warum darf sich nicht ihr Strahl am reinen And ungetrübten Glück der Menschheit weiden?

Warum? 0 lerne diese Frage meiden. And laß dein Zweifeln, laß dein grübelnd Meinen! Warum? Weil Liebe sich mit Leid muß einen, Wenn Selbstsucht aus der Menschenbrust soll scheiden!

Das Tiefste, was in uns hineingeboren. Im Selbstgefühl des Glückes ging's verloren Verlockt vom Schimmer irdischen Geschmeides; Doch beugt's barmherzig sich zum Nächsten nieder. So findet's, ganz sich gebend, ganz sich wieder. And wirket Frucht im Lindern fremden Leides!

Selig sind, die reinen Äerzens sind. Wie hoch du auch des Lebens Wert magst schätzen. Doch können Glück und Macht, der Erde Äerrn, Mit ihren Gaben niemals dir von fern Des reinen Äerzens Edelstein ersetzen! Drum hüt' ihn wohl! Leicht ist er zu verletzen. Ein Äauch kann trüben seinen lichten Kern; Bewahr' ihn wie des eignen Auges Stern, And laß ihn nicht vom Tau der Schuld benetzen! Denn nur des Äerzens ungetrübter Reinheit Erschließet sich die wunderbare Einheit Von Gott und Mensch, die kein Verstand ermißt.

O selig Schaun! Als zweifellose Wahrheit Erkennt das reine Äerz, daß seine Klarheit Ein Abglanz nur des ew'gen Lichtes ist!

Selig sind die Friedfertigen. Es herrscht auf Erden schonungslos ein blinder Vernichtungskrieg, und keinen hat hinieden Die Wut des Kampfes gänzlich noch gemieden, Wir tragen alle Narben mehr und minder. Lind dennoch ruft der Todesüberwinder, Dem aller Kämpfe schwerster ward beschieden. Die Seinen nicht zur Wehre, nein zum Frieden, And preist die Friedlichen als Gotteskinder!

Erhabnes Wort, von dem nur ganz zu fassen. Der in dem wirren Daseinskampf der Massen Vorahnend schon den Sieg vermag zu sehn! Er weiß, daß aller Kampf und Streit auf Erden Durch Jesu Geist nur kann geschlichtet werden. And fühlt beseligt schon des Friedens Wehn!

Selig sind die um Gerechtigkeit willen Verfolgten. Es wird dem Lohn der Spötter nicht entgehn. Wer zum Panier des Menschensohnes schwört; Die Menge hält ihn lächelnd für betört And läßt ihn bestenfalls bei Seite stehn.

Doch weh ihm gar, wenn seines Geistes Wehn Durch Wort und Tat ihr Alltagstreiben stört! Dann bäumen sie sich auf und ruhn empört Nicht eher, bis sie ihn vernichtet sehn!

And dennoch zaget nicht, ihr Reichsgenossen! Der Welt zum Trotz verteidigt unverdrossen Des Himmelreichs Gerechtigkeit hinieden! Sie sei das feste Ziel, auf das ihr schauet, Sie sei der Leitstern, dem ihr mutig trauet — Sie führe euch zu Seligkeit und Frieden!

Das Himmelreich. Das And Kein And

Reich der Simmel stehet nicht in Worten äußrem Tun; es steht in Geist und Kraft! Lehrsatz schlägt es je in Bann und Saft, keine Formel öffnet seine Pforten.

Auch sagt man nicht: Sier ist es oder dorten! Doch wie des jungen Lenzes Lebenssaft Aus Winterstarre weckt den dürren Schaft, So weckt es Licht und Leben allerorten.

Erstorbnes wachet aus vom Todesschlummer; Der welken Brust, erdrückt vom Erdenkummer, Entsprießen freudig neue Lebenstriebe,

And von der Selbstsucht Todesbann genesen. Erkennst du klar des Simmeireiches Wesen, Bis still dein Serz bekennt: Gott ist die Liebe!

Thüringer Balladen. i.

Leinz von Velsbach. Von einem treuen Manne soll Mnden (teuf mein Sang; Ist allzeit doch die Treue ein Wort von gutem Klang. Drum gebet Raum der Märe, sie stammt aus alter Zeit, Und haltet ihrer Kunde ein wachsam Ohr bereit! Gestorben war in Ehren des Dauses letzter Sproß, Der lange ruhmgepriesen geherrscht im Wartburg­ schloß; Ob auch als „Pfaffenkönig" die Gegner ihn verhöhnt — Was tut's? Sein Ende hatte die Feinde selbst versöhnt. Doch weint um ihn kein Erbe, drum weh' dir, armes Land! Wer breitet als Beschützer nun über dir die Land? Wer wehret deinen Drängern, wer schützt dich vor dem Lohn Der Ritter und der Grasen, die dein Gefild' bedrohn? Wer schirmet deine Lerden und deiner Bauern Gut? Wer nimmt den Fleiß der Bürger fortan in treue Sut? Wer pfleget hohen Sinnes den edlen Minnesang, Der in der Wartburg Lallen so wonniglich erklang?

Schon starrt das Land von Waffen, schon stampft der Rosse Huf Die Saat, die vielverheißend der junge Frühling schuf; Es hallet durch die Berge, es klingt durchs ebne Land: „Sie Heinrich Graf von Meißen" — „Sie Heinrich von Brabant!" Wer aber ist's von beiden, für den das Reichsrecht spricht? Mich deucht, des Rechtes Wage verharr' im Gleich­ gewicht. Der Stammbaum ist bei beiden untadelhast und echt, Doch darf das Herz entscheiden, so ist Brabant im Recht!

Als Landgraf Hermanns Enkel durch Lehnspruch an­ erkannt. Verlangt der Graf von Meißen des Ahnherrn Schloß und Land, Doch des Brabanters Anspruch macht, traun, den seinen wett: Er ist der Enkel Ludwigs und der Elisabeth! Der Meißner ist ein tapfrer und kampferprobter Mann, Brabant ist noch ein Knabe, der sich nicht schützen kann. Drum klopft für ihn die Mutter ans Tor von Eisenach And flehet für ihr Kindlein bewegt um Schutz und Dach.

Die Bürger stehn betroffen und wägen Grund um Grund, Voll Vorbedacht und Fürsicht spricht mancher kluge Mund;

Man weitz nicht ob man öffnen, ob sperren soll das Tor, Da tritt des Rates erster, Lerr Leinz von Velsbach, vor.

„Was sinnt ihr, wackre Bürger, und stehet so verzagt? Ist keiner, der das Leben für Ludwigs Enkel wagt? Ist keiner, der am Lerde der Fürstin Schutz gewährt. Die einst am keuschen Busen Elisabeth genährt? Wohlan denn, wenn ihr zaudert, so will ich selbst es tun, In meinem Lause sollen sie beide sänftlich ruhn; Dem auserkornen Paare, das solche Ahnen hat, Soll nicht verschloffen bleiben die Pforte unsrerStadt!"

Er spricht's und sprengt die Riegel des Tors mit eigner Land, Da löset Helles Jauchzen der Zungen furchtsam Band, Da ist die Wahl entschieden, da nimmt der BürgerLauf' Laut jubelnd Kind und Mutter in seine Mauern auf. And in die Städt' und Dörfer dringt Velsbachs kühnes Wort, Es fliegt von Mund zu Munde wie Frühlings­ brausen fort; Da tauscht die fromme Pflugschar gar mancher mit dem Schwert, Der heil'gen Fraue Enkel ist, traun, des Kampfes wert. Doch mürrisch schau'n die Ritter und Lerrn im Lande drein: „Soll uns ein schwacher Knabe im Felde Führer sein?

218

Zst's nicht genug des Jammers, daß schon das deutsche Land Seit Jahren muß entbehren der starken Kaiserhand? Nun soll auch in der Äeimat ein Kind am Steuer stehn? Auf, laßt uns Ehre suchen, wo Meißens Banner wehn! Der Mann sei nur dem Manne, nicht Knaben unter­ tan — Der Graf von Meißen führ' uns auf sieggewohnter Bahn."

Sie folgen seinem Rufe, es kommt zu blut'ger Schlacht, Die Bürger unterliegen des Adels Übermacht; Sie werfen sich geschlagen nach Eisenach hinein, And in die alte Wartburg zieht stolz der Meißner ein. Da flieht mit ihrem Knäblein die Fürstin von Brabant: „Nun legt, ihr treuen Bürger, die Waffen aus der Land! Macht nicht durch weitre Fehde das Maß des Un­ glücks voll. Ergebt euch Meißens Gnade und reizt nicht seinen Groll!"

Allein die Ratsherrn schütteln das Laupt und Velsbach spricht: „Noch stehet unsre Sache so gar verzweifelt nicht! Noch ist für uns der Lerzog von Braunschweig auf dem Plan, And täglich kann sein Heerbann, sich unsren Mauern nahn!

Drum bergt Euch, edle Fraue, getrost in Sicherheit, Wir aber führen weiter für Euren Sohn den Streit. Ob auch das Glück fein Antlitz dem Meißner zu­ gewandt — Das Serz des Volks ist dennoch beim Kinde von Brabant!"

Da kommen nächtens Boten, die bringen trübe Mär: Geschlagen sei der Serzog, zersprengt sein gutes Seer! „Wohlan," ruft Seinz von Velsbach, „so kämpfen wir allein. Noch bleibet uns zum Rückhalt der feste Metilstein!" Doch sieh, da flammt's am Simmel wie Niesenfackeln auf, Die Bürger sehn erschrocken zum Metilstein hinauf. Verraten ist die Feste, erstiegen und verbrannt. Schon wird von Meißens Scharen der Wall der Stadt berannt.

Wohl wehren sich die Treuen, vergeltend Stoß um Stoß Sei, wie da für ein Knäblein das Blut der Männer floß! Wohl noch nach hundert Jahren erzählt sich weit und breit Von diesem blut'gen Strauße das Volk zur Winters­ zeit! — Als nun aus Morgennebeln die Sonne bricht hervor. Da ist die Stadt verloren, erbrochen Turm und Tor,

And unter'm Wall, von Seufzern der Sterbenden umhallt, Sält stolz zu Roß der Meißner — sein Blick ist marmorkalt! Man bringt ihm Leinz von Velsbach, den treusten Sohn der Stadt, Aus zwanzig Wunden blutend und bis zum Sterben matt; Da glüht des Meißners Auge wie blutiger Wetter­ schein, And rings im Kreis wird's stille — wie wird sein Richtspruch fein?

„Sei mir willkommen, Velsbach," so fährt's ihm rauh heraus, „Ich geb' dir einen Auftrag, gewiß, du führst ihn aus! And tust du's gern, so schwör' ich bei meiner Fürsten­ hand: Ich lasse Gnade walten, statt Rechts in Stadt und Land!

Siehst du die Wurfmaschine dort oben auf dem Wall? Du hast aus ihr geschleudert manch unheilvollen Ball! Die schwersten Lasten wirbelt zum Äimmel das Geschoß, And mancher ihrer Grüße drang fast hinauf zum Schloß. Run höre meinen Auftrag, er ist von sondrer Art: Auf, rüste dich und mache du selbst die lust'ge Fahrt! Bring' unsrer Hausfrau droben des Gatten Siegesgruß; Die Fahrt wird dir gefallen! Sie schont den müden Fuß!"

Er spricht's da stockt vor Schrecken das Blut den Hörern all'. Doch Velsbach steigt entschlossen und ernst hinauf zum Wall. Dort spricht er kurz und schneidend: „ich habe deinen Eid!" And macht sich leise betend zur Todesfahrt bereit.

— Soll ich den Schluß noch melden? Es widerstrebt mir fast! Loch schleudert die Maschine die unerwünschte Last-----Da klingt's aus Wolkenhöhen weit hörbar übers Land: „Das Herz des Volks ist dennoch beim Kinde von Brabant!"

II. Albrecht der Entartete. Beendet war die Fehde, der Meißner hielt sein Wort And waltete in Gnaden des Herrscheramts hinfort. Doch blieb er fremd dem Lande und fremd blieb ihm das Land: Das Herz des Volks war dennoch beim Kinde von Brabant!

Nicht wurde durch sein Walten Verdruß und Zorn erregt — Man trug es still, so wie man, den düstern Tag erträgt. And strahlte seine Feste in Prunk und Herrlichkeit, So schlich man still vorüber und dachte alter Zeit.

Nicht lange hielt der Markgraf solch' trübes Leben aus. Was sollt' er unter Fremden? Er sehnte sich nach Laus; Mit seinem neuen Erbe war Lust und Glück entflohn, Drum übergab er's mürrisch Lerrn Albrecht, seinem Sohn.

O Albrecht, wer dich nennet, dem wölkt die Stirne sich, „Entartet" nennt die Stimme des Volks noch heute dich! Es heftet finstre Märe sich an dein düstres Bild Und trübt mit gift'gem Lauche der Wartburg Ehren­ schild.

Man würde dich vergeffen, es würde dich kein Sang Aus deutschem Munde nennen und keines Liedes Klang, Wenn deines edlen Weibes erschütterndes Geschick Nicht zürnend auf dich lenkte des Dichters Flammenblick. Wie Wie Wie Der

waltete so milde Frau Margaretens Land, wehrte sie so linde der Not in Stadt und Land, herrlich offenbarte in ihrem Wesen sich Sinn des edlen Vaters, des zweiten Friederich!

Doch ihre höchste Wonne, ihr Kleinod hold und zart. Das waren ihre Söhne, ein Kleeblatt seltner Art! Wie ihres Auges Apfel bewahrte sie die Brut Im hohen Felsenneste in mütterlicher Lut. — Der Landgraf sah es grollend, oft wallte auf sein Zorn, Es war ihr stilles Walten ihm längst im Aug' ein Dorn. „Die Fürstin soll," so sprach er, „dem Throne Glanz verleihn — Sie aber sperrt sich täppisch in Kinderstuben ein!"

Das Der Wie Bis

hört mit stiller Freude die schöne Kunigund', Fürstin Edelfräulein. Wie zuckte da ihr Mund, würzte sie die Tafel mit doppelt losem Scherz, schmeichelnd sie betörte des Fürsten lüstern Lerz.

„Du Liebliche," so girrt er in trunknem Liebeswahn, „Wie würd' ich dich so gerne als mein Gemahl um­ sahn!" „Du aller Äelden hehrster," so gab sie ihm zurück, „Wie gerne würd' ich leben für dich nur und dein Glück!"

„Wie aber mag das werden, du holdeste, sag' an?" „Wohl wüßt' ich Rat zu schaffen, du vielgeliebter Mann! Was im geheimen blühet, wie leicht doch bricht man's ab — Die Mitternacht ist schweigsam und ohne Mund das Grab!

Ich habe einen Diener von Welschland mitgebracht. Der wüßte wohl zu schleichen in ihr Gemach zur Nacht." „So dinge," flüstert Albrecht, „den treuen Äelfersmann, And was zur Nacht geschehen, erfahr' ich morgen dann!" Das Fräulein dingt den Diener; der Feigling sagt ihr's zu. Doch als er's kaum versprochen, verläßt ihn Mut und Ruh'. Frau Margaretens sanfter, holdselig milder Blick Erscheint ihm vor der Seele und hält die Tat zurück.

„Ich kann es," ruft er schaudernd, „und will's voll­ bringen nicht!" Er fällt vor Margareten zerknirscht aufs Angesicht, Erbittet sich Vergebung für seinen finstren Plan And offenbart der Fürstin des Gatten Liebeswahn!

„O rettet Euch," so fleht er, „bevor die Nacht entweicht. And flieht, bevor die Nöte am Sommerhimmel steigt. Vertraut Euch dieser Leiter aus festem Hanf gedreht, And baut auf meine Hilfe, die Euch zur Seite steht!" Da sinkt, betäubt vom Schmerze, die Fürstin auf die Knie, Solch' Todesweh durchzuckte ihr Dulderherz noch nie; Dann eilt sie an das Lager der holden Kinderschar — Die schlummert sanft und friedlich, nicht ahnend die Gefahr! „Lebt wohl, ihr heißgeliebten! Gott schirme euren Lauf!" Sie ruft's, da wacht erschrocken der kleine Friedrich auf. Er schlingt um sie diehände: „Was ist dir,Mütterlein?" Sie aber hüllt den Knaben in ihren Mantel ein.

And drückt ihn, ihrer Sinne nicht mächtig, an das herz. And küßt ihn auf die Wange in namenlosem Schmerz, And herzt und drückt und preßt ihn mit heißer Liebes­ glut — — Da rieselt von der Wange des Knaben warmes Blut.

Sie hat hineingebissen vor Weh und Liebesdrang, Er trug die edlen Narben davon sein Leben lang. Nobbe, Gedichte.

225

And hat es nie vergessen, wie heiß der Kuß gebrannt: „Mit der gebissnen Wange", so ward er zugenannt. Wohl glückt die Flucht der Fürstin, wohl fand sie Sicherheit, Doch schon nach wenig Monden erlag sie ihrem Leid. O Albrecht, finstre Märe umwölkt dein düstres Bild And trübt mit gift'gem Lauche der Wartburg Ehren­ schild!

III. Friedrich mit der gebissenen Wange. Verwandelt sind die Zeiten; Gras Albrecht liegt im Grab, Verlassen legt er nieder als Greis den Wanderstab And von Frau Margaretens holdseligem Kleeblatt schaut Nur einer noch die Sonne — auch er schon längst ergraut. Er, der die Spur der Liebe auf seiner Wange trägt, Lerr Friedrich iffg. Sein Leben war ernst und sturm­ bewegt. And oftmals wollt' es scheinen, als solle immerdar Sein Tagwerk sich verzehren in Sorge und Gefahr.

Nun aber rosten endlich am Nagel Schild und Schwert; In die bewegte Seele ist Frieden eingekehrt, And auf der alten Wartburg, in seiner Mannen Kreis, Sitzt, alter Zeit gedenkend, der edle Leldengreis!

Da tritt manch Abenteuer ihm nah aus alter Zeit, Wie fliehend er im Kloster die Gattin einst gefreit. Und wie er, eingeschlossen von Feinden, einst bei Nacht Sein liebes Kind zur Taufe nach Neinhardsbronn gebracht. Doch auch manch' schwere Stunde tritt aus dem Nebelflor Vergangner Tage düster und schauerlich hervor: Der Kampf mit seinem Vater um gutes Recht und Land — Noch zittert beim Gedanken daran des Greises Land. Sodann die bittren Tage, da ihn des Kaisers Macht Um seines Erbes willen getan in Bann und Acht, Bis seines Volkes Treue nach schwerem blut'gem Streit Am heißen Tag von Lucka ihn siegreich draus befreit. Und endlich jene Fehde im Brandenburger Land, Da er im Schlachtgewühls geriet in Feindes Land-----Genug! Ihn will bedünken, als sei des Schicksals Spiel, Das ernste, fast gewesen für einen Mann zuviel!

Da macht ein Helles Klingen den stillen Träumer wach. Die Osterglocken läuten im nahen Eisenach, Man stellt im Pred'gerkloster ein geistlich Schauspiel dar. Schon wallt auf Weg und Stegen zur Stadt des Volkes Schar. Da mahnt es auch den Fürsten, das Festspiel anzusehn; Vielleicht, so denkt er, mag es nach Gottes Rat geschehn.

Daß mir das heil'ge Gleichnis zu meinem Seit gereicht Und meiner müden Seele den Weg zumÄimmel zeigt.— — Wohl lockt zu Feld und Aue der Ostersonne Schein, Allein die Menge drängt sich zum Klostertor hinein. Und in des Äofes Räumen steht harrend Mann an Mann, Kaum daß dem greisen Fürsten den Weg man bahnen kann.

Schon tönet aus der Löhe des Chores ernster Sang Und mischt sich herzergreifend mit der Posaune Klang, Und alles lauschet schweigend und wagt zu atmen kaum Und blickt, des Spieles harrend, auf den verhüllten Raum. Da teilet sich der Vorhang und vor des Altars Schrein Erscheinen lichtumflossen zehn holde Mägdelein, Die tragen Blumenkränze und festliches Gewand Und reichverzierte Krüglein und Lampen in der Land. Sie alle sind entboten zum Äochzeitsfest des Lamms, Zu harren des Verheißnen, des Seelenbräutigams; Sie sollen ihn empfangen mit Hellem Lampenschein, Ihr Licht soll seine Freude beim Lochzeitsmahle sein.

Doch fünf nur von den zehnen benutzen klug die Zeit Und halten ihre Leuchten und Öl im Krug bereit; Die andren aber stellen bei Seit' den leeren Krug Und scherzen leichten Sinnes: wir haben Zeit genug!

So kommt herbeigeschlichen die Zeit der Mitternacht, Die Mägdelein ermüden von ihrer langen Wacht;

Noch einmal sehn die Klugen nach ihrer Lampen Licht, Dann legt sich tiefer Schlummer auf aller Angesicht.

Da klinget stark und mächtig mit eins der Tuba Ton, Und siehe, hehr und prächtig erscheint der Menschen­ sohn! Nun wachet auf, ihr Frommen, und leuchtet seinem Pfad, Die Stunde ist gekommen — der lang Ersehnte naht!

Da hüpft das Äerz vor Freuden den klugen Mägdelein, Äell flammen ihre Kerzen in wundersamem Schein, Sie jauchzen laut entgegen dem Äerrn der Herrlichkeit: O Äerr, wie lang', wie lange! Sieh her, wir sind bereit! Die Trägen aber hören entsetzt den Iubelchor, Sie schrecken übernächtig aus tiefem Schlaf empor. Weh uns, wo ist ein Äelfer, der unsre Lampen speist? O Äerr, wer konnte denken, daß du so nahe seist!

Der Bräut'gam aber winket die Klugen in den Saal: Nun haltet, ihr Getreuen, mit mir das Abendmahl! Doch zu den andren spricht er, das Antlitz abgewandt: Entweicht, ihr Ungetreuen — ich hab' euch nie gekannt! *

— Das Spiel ist aus, es schließt sich der Vorhang am Altar; In tief bewegtem Schweigen verharrt der Äörer Schar, Und manchen, der sich wiegte in stolzer Sicherheit, Durchzittert bang die Frage: „bist wirklich du bereit?"

— Was aber ist Äerrn Friedrich, dem edlen Greis, geschehn? Sein Antlitz ist verfallen, die starren Augen sehn Bewegungslos nach oben, die welke Lippe bebt. Man sieht, daß sie vergebens nach Wort und Aus­ druck strebt.

Man bringt des Fürsten Sänfte, man trägt ihn weinend fort. Doch spricht seit diesem Tage sein müder Mund kein Wort; Nur seine Blicke zeugen von stiller Heiterkeit, And tief im Äerzen seufzt es: „Komm Herr, ich bin bereit!"

Im Philosophenhain. Introitus. Zagend betret ich den Lain, der den Tempel der Weisheit umgrünet, Durst nach Wahrheit allein gibt mir das Recht und den Mut. Auf denn, ihr Priester, gewährt mir erlösende Lehren der Weisheit: Gern wohl vergönnt ihr dabei mir auch ein schüchternes Wort!

Spinoza. „Nun, so vernimm denn, Adept", — denn mir wohl geziemt's, zu beginnen: „Jegliches leite ich ab aus dem unendlichen Sein! Freilich entdeck' ich daran nur zwei Attribute: das Denken And die Bewegung — allein eben dies beides genügt!

Denkend erkennet sich selbst die Substanz, und in ew'ger Bewegung Webt und schafft sie das Bild glänzender Theophanie!" — Aber, o Rabbi, wie schützt deine Lehre die sittliche Freiheit? — „Die, mein kritischer Freund, hat im Systeme nicht Raum!"

Kant. „Willst du das Wesen der Welt und der Dinge er­ fassen, so ziemt sich's Erst das Erkenntnisorgan unter die Lupe zu tun. Zeigen dann wird es sich bald, daß die aprioristische Denkform Nichts zu erkennen vermag, was die Erfahrung nicht gibt!"

So verschlösse woht gar die Vernunft der unfaßbaren Dreiheit: Weltall,Seele und Gott ohne Erbarmen das Laus? „Wohl! Doch die Spröde besitzt zum Glück eine praktische Schwester, Die den Verstoßenen flugs öffnet ein seitliches Tor!"

Wie?

Fichte. „Einzig real ist das Ich, das sich tatenbedürftig dem Nicht-Ich — Andre nennen es Welt — einst gegenüber gestellt! Rüstig bekämpft's nun den Feind, den es selber er­ zeugte, und ringt sich Siegend zum höchsten Besitz geistiger Freiheit empor!"

Wie? So wäre die Welt nur ein Selbstkampf geistigen Wesens, Das sich aus Schranken befreit, die es sich selber gesetzt? — „Fehlgeschossen!" Es zeigt meine Wissenschaftslehre dir deutlich. Daß du selber als Ich kämpfend die Freiheit erringst."—

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Leget. „Nichts ist wirklich real!

Es ist alles im Ringen und Werden; Jedes Entstandene strebt wieder dem Gegenteil zu. Also auch ist's im Bereich der Ideen, denn immer vollzieht sich Gleich dem realen Geschehn auch der Gedankenprozeß."

Aber, o Meister, wie kommt die Geschichte zu Ende? ------- „Vortrefflich! Denn das Verwandelte lebt auf in geläuterter Form, Bis sich zuletzt die Idee ihres Wesens im Menschen bewußt wird And in bengalischem Licht ihre Entwicklung beschließt!"

Schelling. „Mir wohl hätte das Wort vor dem letzten Genossen gebühret. Weil ich schon früher als er fand das erlösende Wort, Daß das Gesetz der Natur dem Gesetz des Be­ wußtseins entspreche. Also daß sich dem Geist eins durch das andre erschließt!

Klar nun ward mir die Welt; es entwirrte sich jeglicher Zwiespalt, And der erleuchtete Sinn trotzte empirischem Kram. Sagte Natur mir auch nichts über Gott und die sittliche Freiheit, Legt' ich doch beides hinein, weil's mein Bewußtsein gebot!"

Schopenhauer. „In dem unendlichen Raum eine Kette erleuchteter Kugeln, Von dem gemeinen Geschmeiß lebender Wesen be­ wohnt — Das ist die Welt! Doch es ist zum Glück das Phantom der Erscheinung, Nimmer das Ding an sich—nur ein Gehirn-Phänomen!" Wohl, das richtet mich auf, doch wie nennst du, o Weiser, das Wesen, Das sich als letzte Instanz hinter dem Bilde verbirgt? „Das ist der Wille, mein Freund, der gewaltige, nach dessen Verneinung Dir zum Lohne die Welt sinkt in das tröstliche Nichts!"

E. von Startmann. „Anbewußt nenn' ich das Ding, dem die Welt der Erscheinung entstammt. Denn das Bewußtsein entspringt einzig dem mensch­ lichen Lirn! Freilich vermeldet das Wort dir nur das, was der Ewige nicht ist. Aber ich folgere draus doch meine grämliche Welt!" Gut denn, ich lasse sie dir, doch ich meine, ein dunkleres Beiwort Labe kein Sterblicher noch jemals dem Ew'gen geliehn! Sagt mir's doch Neues auch nicht, denn die Lehre, das Ewige denke Nicht nach menschlicher Art, war mir schon früher bekannt!

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Nietzsche. Ihr steckt noch im Banne semi­ tischen Denkens, Euer Empfinden beherrscht sklavische Lerrenmoral! Nicht die Verneinung der Welt, die Bejahung fördert den Weltlauf! Fort mit der Schwäche — die Kraft schwinge zum Throne sich auf!

„Fehde euch allen!

Leil dem entschloflenen Geist, der zum herrschen sich fühlet berufen, Jenseits von Böse und Gut glänzt ihm ein herrlicher Tag! Mir zwar raubte sein Glanz das Gesicht, und es kam mir zugute, Daß man die neue Moral nicht an mir selber erprobt!"

Exodus. War es ein Traum, oder war ich wahrhaftig im Tempel der Weisheit? Laben des pythischen Lains Wipfel mich wirklich um­ rauscht? Oder entführte der Geist mich zur Löhe des nordischen Berges, Wo korybantischer Lärm Sinn und Gedanken verwirrt?

Wie anders war's. Wie anders war's, als noch die Morgenwinde Der Jugend mir umspielten Stirn und Laar, Als heißer Schaffensdrang mir wunderbar Die Brust durchwogte, stürmisch bald, bald linde!

Nun nahm die Zeit mir ab des Wahnes Binde, Lind oft beschleicht mich banger Zweifel gar. Ob jener sel'ge Drang kein Trugbild war, Lind das nur Wahrheit, was ich jetzt empfinde! Doch wie? Weil jetzt die Fluren herbstlich stehen, Llnd kühle Winde um die Schläfen wehen, Wär meines Lebens Mai ein Traum gewesen?

Ein Traum nur, daß mir einst Violen blühten. Daß mir im Glanz des Sommers Rosen glühten. An deren Duft mein Lerz so oft genesen?

Wintermärchen. Dem Alter ziemend. Schenkst du uns Winterblumen. (Shakespeare: Wintermärchen.)

Sprüche und Paradoxen. Introitus. Bedrückt mich die Enge des Lebens zu schwer. And drängt es mich, daß ich der Schwüle enteile, So setz' ich mich lachend ans Binsenmeer Menschlicher Torheit und schnitze Pfeile!

*

Doppelwesen. Wenn jemand dir die neue Zeit Zu eifrig preist, so laß ihn schweigen, Weil ihr bei aller Herrlichkeit Ein seltsam Doppelwesen eigen! Bald badet sie im Sonnenlicht Erhabner Weisheit Äaupt und Glieder, And bald verhüllt sie ihr Gesicht In Kutte und Kapuze wieder!

Kultur. Überschätze nicht die Zeiten And die Äöhe der Kultur — Gibt's doch allerorten nur Kultivierte Minderheiten!

Gegensätze. Goethe war ein Feind der Masse — Dennoch preist ihn jedermann; Wagner schwelgt im Judenhass — Dennoch beten sie ihn an; Nietzsche sprach von Herdentieren, Wenn vom Volk die Rede war — And sieh da, auf allen Vieren Springt ihm zu die Lämmerschar!

Großmutters Klugheit. Großmutters Klugheit sucht vergebens Mit Zeit und Jugend Schritt zu halten! Den Wonnedrang des jungen Lebens, Ein Neues, Eignes zu gestalten Macht dennoch niemand klar der Alten!

Optimismus. Laß dich von keinem überlisten. Des Lebens Elend sei nur Schein, Denn warnend spricht der Mann am Main: „Schwachköpfe nur sind Optimisten!" — Das freilich will ich drum nicht sagen. Daß alles, was dir nicht beliebt. Dir schon ein Recht zu eitlen Klagen And zu blasiertem Weltschmerz gibt!

Mut. Still nur! Nicht den Mut verloren Ob auch Nebel uns umhüllen; Wenn die Zeiten sich erfüllen. Wird der Netter doch geboren. —

Quieta non movere! Nutzendes soll man nicht bewegen, Aber man soll auch die leisen Gewalten, Die sich unter der Decke regen. Nicht zu lange für Ruhe halten!

Vergänglichkeit. Was das Leute hat geboren. Glänzt und gleißt's auch noch so fein. Geht oft morgen schon verloren, And so wird's auch gut wohl sein. Denn das liebe Übermorgen Wird schon für sich selber sorgen.

Verspätete Klage. Ihr klagt noch, daß die Eierschale Zerbrochen auf der Erde liegt. And seht nicht, daß im Sonnenstrahle Sich singend schon der Vogel wiegt! Robbe, Gedichte.

241

Embryo. Wie im Embryo sich Formen Früherer Entwicklung finden. Die zu neuen Lebensnormen Aufwärts steigend sich verbinden, Also wird zu neuen Stufen Der Erkenntnis der nur kommen. Der, was einst die Väter schufen. Denkend in sich ausgenommen.

Gleiches Geschick. Nicht das vergängliche Volk nur der Sterblichen steigt in den Orkus: Mancher „Ansterbliche" auch ging schon den freudlosen Pfad!

Den Materialisten. Mag auch, was ihr lehrt und wißt Noch so richtig scheinen. Eins in eurer Rechnung ist Dennoch nicht im Neinen! Wähnt ihr in der Formel Bann Alles auch zu schlagen: Wie der Stoff empfinden kann. Könnt ihr doch nicht sagen!

Kommt euch aber der Kalkül Dabei schon abhanden, Wird am sittlichen Gefühl Vollends er zuschanden!

Herrenmenschen. Ihr wähnt, aus der Willkür selbstischem Walten Würden sich Herrenmenschen gestalten. Die über Moral und Gesetzen ständen-------Versucht es! Doch soll es nicht tragisch enden. So wiffet: Das herrschen steht dem nur an. Der sich selber beherrschen — und dienen kann!

Übergebung. Ist euch im Äirn ein Schlangenei Modernster Torheit ausgekrochen. So macht ihr ein Geschrei, als sei Die Götterdämmrung angebrochen!

Gefährlich. Das Spielen mit dem Licht laßt sein. Denn überall liegt Zunder, And fällt ein Fünklein nur hinein, So brennt der ganze Plunder.

Den Schweigsamen. Das ist die alte Leier And wird sich immer zeigen: Es setzt mehr durch ein Schreier Als Hunderte, die schweigen.

II.

And doch ist oftmals Schweigen Die nützlichste der Gaben: — Der Welt nicht alles zeigen Heißt nicht „sein Pfund vergraben"! —

Regiment. Große Massen zu regieren. Ist kein Ding für jedermann; Wer's mit Güte will probieren. Fange lieber gar nicht an. Aber auch die größte Strenge Führt allein zum Ziele nie; Dreierlei verlangt die Menge: Herz, Verstand und Energie!

Vereint. Siehst du die Wölkchen Schimmern dort oben? — Schon ist das Völkchen Flatternd zerstoben!

Merk' es: alleine Sind sie nichts nütze, Doch im Vereine Schmieden sie Blitze!

Vorsicht. Traue nicht dem Enthusiasmus, Jedem hat er noch gelogen: Erster Rausch ist bald verflogen, And dem Aufschwung folgt Marasmus!

Paracelsus. Es wird ein Wort des Theophrast Auf Enkel sich vererben: „Wenn man das Leben kaum erfaßt, So geht's ans Sterben!"

Macht des Erfolges. Ob leicht dein Werk, ob voll Gefahr — Gleichviel, es muß dir nur gelingen. Denn der Erfolg wird immerdar Das Äerz des guten Mob bezwingen.

Abkühlung. Kühl wird Äerz und Sinn, wenn kalter Äerbstwind um die Schläfen weht;' Keiner blieb bis in sein Alter Reformator und Prophet!

Klugheit. Gib deinem Denken gemessene Lattung And hüte dich vor der Gedankenzerspaltung, Denn erkennen läßt sich der kluge Kopf An des geistigen Lausrats weiser Verwaltung; Nur der selbstgefällige, eitle Tropf Gefällt sich in sprunghafter Unterhaltung.

Anentschiedenheit. Ze mehr Erfahrung, Urteil, Wissen, Um desto zögernder die Meinung; Man kommt vor lauter Lindernissen Kaum zur Bejahung und Verneinung!

Beistand. Weise, eh' du Land gewonnen Fremden Beistand nicht zurücke; Mancher ist der Flut entronnen Nur auf einer — Eselsbrücke!

Kränze. Kränze sind der Welt Symbol: Außen bunt und innen hohl!

246

Reptile. Mit den Reptilen in Sümpfen und Pfützen Laßt euch in langen Disput nicht ein — Am euch vor solchem Gelichter zu schützen Genügt ein Stein!

Toren. Die auf einander mit Fingern deuten. Das sind die Toren, die hitzigen, raschen; Kluge werden vor fremden Leuten Nie ihre schmutzige Wäsche waschen!

Schwierig. Schwer sind die Menschen zu ergründen In Groll und Neigung, Laß und Liebe, Denn in das Meer des Willens münden Alltäglich Trieb' und Gegentriebe!

Vorschnell. Während sich endlose Möglichkeiten Bieten dem prüfenden, klaren Verstand, Sind die Schwätzer zu allen Zeiten Gleich mit dem „entweder — oder" zur Äand.

Erfahrung. Persönliche Erfahrung kann Man leider nicht vererben — Ein jeder fängt von vorne an And muß sie selbst erwerben!

Trotz. Zst der Trotzkopf nicht zu beugen. Schweigt der Kluge weislich still: Keiner ist zu überzeugen. Der nicht überzeugt sein will!

Ehrlicher Kampf. Bekämpf den Gegner frank und frei, And hast du recht, mag's glücken; — Doch komm ihm hübsch von vorne bei And schone seinen Rücken!

Schwer verdaulich. Gibt sich die Bosheit ohne Scheu, So läßt sie sich ertragen, Doch zum Verdaun der Heuchelei Gehört ein guter Magen!

Eigenart. Was dir bei Leine recht wohl gefällt. Würde bei Geibel dir wenig behagen; Laß drum getrost in der geistigen Welt Jeden das eigene Röcklein tragen!

Nicht zu ängstlich. Verletzen dich lustige Gesellen Durch Witze und Poffenreißen, So wisse, daß Lunde, die bellen. Meistens nicht beißen!

Leider. Lange lebt im Volksmund fort, Was dem Spotte Nahrung bot, And ein einiges Torenwort Schlägt oft hundert Kluge tot!

Abwehr. Wenn deinem Tun die Welt nicht huldigt, So füge dich, du mußt's ertragen, Doch wenn sie sittlich dich beschuldigt. So darfft du ins Gesicht ihr schlagen!

Bene notandum. Steckst du, wenn die andren naschen. Selber Kirschen in die Taschen, Last du wenig Grund zum klagen, Faßt man dich zuerst beim Kragen!

Größenwahn. Schwer ist Hochmut zu besiegen; Manchem Lümmel, wie ihr wißt. Ist es schon zu Kopf gestiegen. Daß er ein Halunke ist!

Anpassung. Der geht am leichtsten durch die Welt, Der's immer mit den Mächt'gen hält, Sich ihren Launen anbequemt. Vor keiner Heuchelei sich schämt And stets nach ihrem Munde spricht------Du aber. Wackrer, tu' das nicht!

Toleranz. Aus Hang zum Frieden darfst du nicht Die Bosheit unterstützen, Denn nie hat Toleranz die Pflicht, Gemeines zu beschützen!

Wortgefecht. Wenn eifernd sich im Wortgefecht Gelehrte Herrn bestreiten. So haben häufig beide recht: „Das Ding hat halt zwei Seiten!"

ÄberHalt frei die Sinne und den Geist Von alledem, was „über" heißt: Von Übermaß und Überfluß, Von Übermut und Überdruß, Von Übertreibung, Überreizung, Von ekler Sinnesüberheizung, Von Überstürzung, Überhetzung, Von Äberhebung, Überschätzung, Vom Übermenschentum der Zeit, Von aller Überschwänglichkeit. — And nebenbei auch halt' — o Grauen! — Dich fern von überspannten Frauen!

Freundschaft. Den halte fern dem Herzen dein. Der jedem will gefallen; Wer aller Menschen Freund will sein, Jst's keinem unter allen.

Gründe. Gute Gründe sind ein Schatz, Saft du aber keine, So behaupte zum Ersatz Immerfort das eine!

Gedankenstriche (den Modernen). Begegnen sich zwei Gedanken im Satz, So sind Gedankenstriche am Platz; Ihr aber wendet sie meistens an. Wenn der Gedanke nicht weiter kann!

Gedächtnis. Ein gut' Gedächtnis, zweifelsohne, Ist jedermann zu gönnen, And doch sind's klägliche Patrone, Die nicht vergessen können!

Frage. Nennt sich prahlend ein hohler Kopf Frauenverächter, fo frage den Tropf, Ob er denn ganz und gar vergessen. Daß er ein Mütterlein einst besessen.

Gute Lehre. Sind Kinder dir verliehen, So laß den Rat dir geben: Die kleinen sollst du erziehen, Mit den großen sollst du leben!

Allzu korrekt. Friedrich der Große pflegte zu sagen: Mein Bruder hat seit den Kindertagen Niemals einen Fehler gemacht — Drum gewinnt er auch keine Schlacht!

Gastfreiheit. Wer Geheimes im Versteck hat. Wird mir stets von Grund verhaßt sein, Wer da schwatzt, was keinen Zweck hat. Wird mir fast noch mehr zur Last sein; Wer an seiner Ehr' ein Leck hat. Mag auf offne Tür gefaßt sein — Doch wer's Lerz am rechten Fleck hat. Wird mir stets ein lieber Gast sein!

Friederike von Sesenheim. Den Den Lat Dir

Orden der Ansterblichkeit, Goethe dir verliehen, pfäffischer Skribentenneid niemals recht verziehen.

Man munkelt, tuschelt, deutet an, Man inquirieret peinlich. And was man nicht beweisen kann, Das gibt man als wahrscheinlich! Nun hat man gar das Findelhaus Zum Zeugnis aufgeboten And ruft dich laut als Dirne aus------Schämt euch! Nefpekt den Toten!

Klatsch. Lört ihr, wie die Enten schnattern. Wie ihr Schnabel sich bewegt: „Frau Gevattern, Frau Gevattern, Labt ihr schon ein Ei gelegt?"

Nachsicht. Bei den Fehlern großer Geister Müßt ihr nicht gleich Zeter schrein — Schlüter blieb ein großer Meister, Stürzt ihm gleich der Münzturm ein!

Den Minderheiten. Wenn Mehrheit euch den Weg vertritt. So wirkt durch Schrift und Rede: Nicht jede Zeit ist reif zum Schnitt. Doch reif zur Arbeit jede!

Den Geistlichen. Verlangt es euch, Frauen und Kinder zu leiten. So tut's in Soutanen von Seide — Doch wollt' ihr mit Männern euch messen und streiten, So kämpfet im weltlichen Kleide!

Genügsam. Wenn bei Reden und bei Nüssen Nur der Kern der meisten schwer ist, Wird man's auch ertragen müssen, Wenn mal eine taub und leer ist.

Imponierend. Skapuliere, Rosenkränze, Prozessionen, Wallfahrtstänze, Gnadenorte, Opferstöcke, Äeil'ge Windeln, heil'ge Röcke, Exerzitien und Indulte, Mystische Äerz-Iesu-Kulte, Bittgesänge, Litaneien, Echte Teufelsbannereien, Äeil'ge Grotten, heil'ge Bronnen, Brüderschaften, Mönche, Nonnen, Jesuiten, Liguorianer------Traun, ihr starken Lutheraner, Alles dies, so vielgestaltig, Imponiert euch doch gewaltig! —

Lalbbildung. An das, was vormals ist gewesen. Reicht euer Wissen nicht hinan — Es fängt erst mit dem Zeitungslesen Für euch die Weltgeschichte an.

Volksspiritisten. I.

Den Worten des Geistlichen trauen sie nicht. Die alten Geschichten erbauen sie nicht. Der Wissenschaft Lehren verdauen sie nicht. Einen andren Ausweg schauen sie nicht, Drum helfen sie sich — es ist traurig genug — Durch Medien, Apporten und Geisterbetrug. II. Hypnose, Trance und Suggestion, Wer will den Wirrwarr schlichten! — Man sollte, statt zu lehren schon. Das Material erst sichten!

Leichtgläubig. Was ihr täglich wird empfohlen. Glaubt zuletzt die Kinderschar, And so wird durch Wiederholen Endlich selbst das Märchen wahr. —

Nachbarschaft. Neben dem philosophischen Geist Wohnt seine schwatzhafte Base. Wißt ihr, wie die Vortreffliche heißt? — Frau Phrase!

Vorsicht. Traut keinem Leisetreter, Ob auch heilig sein Gesicht ist! Wiffet, daß der glattste Beter Oft ein Schleicher und ein Wicht ist!

Guter Rat. Versiehst du in der Volksgemeinde Ein führend Amt, so sollst du lernen: Vertrau' dich lieber deinem Feinde Als deinem Subalternen!

Den Wandelbaren. Noch im letzten Sommer wäret Andrer Ansicht ihr als heute, And vielleicht, bevor es jähret. Seid ihr wieder andre Leute. Also wechselt ihr wie Kleider Wort und Meinung, Satz und Lehren — And versteht es dennoch leider. Manches Närrlein zu bekehren. Robbe, Gedichte.

257

Neue Moral. Ans einzuleben in Beruf und Pflichten, Erschien uns einst als höchstes Willensziel. Nun rufen uns die Jungen zu: „Mit Nichten! Ausleben sollt' ihr euch im Daseinsspiel And was sich in den Weg euch stellt — vernichten!"

Soziale Frage. Ob die „soziale Frage" schier Die ganze Welt auch möcht' umfassen, So gibt's im geistigen Revier Doch Fragen, die sich nicht von ihr Polypenhaft umklammern lassen.

Geduld. Die Schonung, die der Ahn gepflegt. Wird erst der Enkel schlagen — Wer edler Zukunft Keime hegt. Darf nicht nach Früchten fragen.

Andre Zeiten. Gar manches, was die Welt verlachte. Wird jetzt von jedermann geehrt; — Was Ketzer auf den Lolzstoß brachte. Wird vom Katheder heut' gelehrt.

Quellwasser. Es kann der durstigen Seele nicht Zisternenwasser genügen; Am Quell nur, der aus der Tiefe bricht, Schlürft sie mit brennenden Zügen!

Zu furchtsam. Manch' Seelchen sitzt im Schneckenhaus Aus Scheu vor Weltberührung, Und steckt es mal die Fühler aus. So wittert's gleich Verführung! Du aber, Jüngling, sollst dich nicht So zimperlich gebärden: Gesunder Sinn braucht Luft und Licht, Um stark und frei zu werden!

Gleichmut. Stürmt mit Leiden und Gefahren Welt und Schicksal auf dich ein. Sollst du Gleichmut dir bewahren. Aber nicht gleichgültig sein!

Ruhiges Blut. Wenn dich blinder Zorn umbraust. Streue drauf des Gleichmuts Asche; Ballt der Gegner feine Faust — Steck' die deine in die Tasche!

Entladung. Wenn geistige Schwüle Sich muß entladen. So folgt zwar Kühle, Doch tut's oft Schaden!

Versöhnung. Das Feld, auf dem der Realist Zur rechten Zeit zur Ernte schreitet, Äat ihm vielleicht vor langer Frist Sein Feind gepflügt und vorbereitet.

Zu spät. Mancher denkt erst an die Reise, Wenn die Zeit zur Fahrt versäumt ist; Mancher wird erst klug und weise. Wenn des Lebens Tag verträumt ist!

Phantasie und Verstand. Königin sei Phantasie im Bereiche der Kunst und der Schönheit, Nimmer beraube des Throns dort sie der jüng're Verstand; Aber es scheide sich streng ihr Gebiet von der Grenze des Bruders, Denn in des Wissens Bereich gelte das salische Recht! —

260

Kunstwerk. Bei des Kunstwerks Planerfindung Muß sich Zwang mit Freiheit einen, And in lieblicher Verbindung Regel selbst wie Willkür scheinen.

Bildung. Bilden sollst du deine Natur, Aber nimmer vernichten: Durch dein eigenstes Wesen nur Kannst du Großes verrichten.

Selbständigkeit. Sitte um der Wahrheit willen Dich vor fremder Leute Brillen; Bist du ein gereifter Mann, Sieh die Welt dir selber an!

Kritiket. Von denen die im Lande Kritik als Sandwerk treiben, Sind wenige imstande, Ein leidlich Buch zu schreiben!

Wer ist im Recht? Was die Bejahrten für Schönheit halten. Nennen die Jungen veralteten Zopf! Wer ist im Recht nun? Die Jungen? Die Alten? — Fraget die Enkel — mir schwindelt der Kopf!

Widersinn. Was das Spiel mir oft verleidet? Wenn das Edle unterliegt. Wenn ein Goethe grollend scheidet, And der Lund des Aubry siegt!

Ergänzung. Nicht alles bringt Genie zustande, Wenn's nicht vom Können ist begleitet; Gar mancher Quell versiegt im Sande, Wenn Fleiß ihm nicht das Bett bereitet.

Den Dramatikern. Eins ist Not, ihr Äerrn Poeten: Bildet wirkliche Gestalten, Die ihr Tun geschickt vertreten. Aber keine Reden halten!

Nordische Götterlehre. Schlürft mit Behagen am Nebelquell Nordischer Göttergeschichte, Aber beleuchtet sie nicht zu grell Mit hellenischem Lichte!

Den Realisten. i. Ich kann, ihr Realisten, Eure biblischen Bilder nicht leiden: Ihr malt mir zu heidnisch für Christen. Zu christlich für Leiden!

II. Was wir geflissentlich Fliehn auf der Straße, Stellt ihr uns wissentlich Sinter die Nase!

Den Archaisten. Dürers Schüler zu sein und den Vätern zu gleichen vermeint ihr, Wenn ihr der Heiligen Schar malet in Schaube und Wams, Aber ihr täuschet uns nicht! Was dereinst bei den Vätern naiv war. Ist bei den euren, verzeiht, meist raffinierte Manier!

Ja so! Sechs Buchen, kerzengrad', mit steifen. Blattlosen Asten ausstaffiert. Das nennt ihr Wald? Ist's zu begreifen?------„Du Tor! Der Wald ist stilisiert!"

Eignes Arteil. Loch den Kopf und hell die Augen! Nimm die Dinge wie sie sind, Konvention und Schule taugen Nur dem Blöden und dem Kind!

Rembrandt als Erzieher. Alle Künste, Wissenschaften Führst du uns am Geist vorbei. Aber leider bleibt drin haften Nur ein — Sächsisch-Allerlei! —

Geheimnis. s'ist wahr, in jedem Marmorstein Verbirgt sich ein Apoll, Doch muß man, traun, ein Künstler sein. Wenn man ihn finden soll!

Klingers Drama. Ein Kunstwerk Klingers weist nicht ab Mit allzu flücht'gem „Nein", Denn wer der Welt schon Großes gab, Will ernst genommen sein.

Freie Bühne. Weil Polizei und Moral es gebieten, so stellt ihr vors Schlimmste Zögernd die spanische Wand — aber die Wand ist von Glas.

Den Modernsten. Frage. Sagt uns, wo nehmt ihr noch her die pikanten Pro­ bleme? Man schöpft ja Jede Zisterne zuletzt, jede Kloake doch aus? Antwort. Immer aufs neue gewährt uns der Kehricht der frän­ kischen Hauptstadt Frischen dramatischen Dung, der den Banausen behagt!

Den Frühreifen. Kaum ist das Bärtchen am Kinn, so verfaßt ihr schon Sittenromane. Freilich, die wurmige Frucht reifet ja immer zu früh!

Neuer Geschmack. Daß euch der Herrgott zu Hilfe nicht rief, Als er die Augen formte, ist schade! Sicherlich stand' sonst das eine schief. Das andere grade!

Lauf der Welt. Meint ihr, das Neue, das hochmoderne Werde nicht auch wie das andre veralten? Wisset, es hat auf dem Erdensterne Alles sich mal für modern gehalten.

Aus Gnaden allein. Zwar läßt mit Eifer und Geschick Gar manches sich erzwingen. Doch nur der günst'ge Augenblick Bringt wirkliches Gelingen!

Verjüngung. Gewiß, der Herr Philister hält Es immer mit den stillen Leuten, Allein was würde aus der Welt, Wenn Sturm und Drang sie nicht erneuten?

Fortschritt. Laßt die alten Basen schelten Ob der Neuzeit scharfem Lauch; In der besten aller Welten Muß nun mal die Regel gelten: Andre Zeiten — andrer Brauch!

Oben und unten. Es drückt sich unsres Denkens Spur Gar tief ins Lirn der Massen: Des Volkes Weltbild zeigt uns nur. Wie wir die Welt erfassen!

Vorsicht. Was als Problem nur die Weisen erfassen. Als Hypothese kaum gelten lassen, Sickett gar bald aus dem Bücherschrein In die breiten Massen hinein, Wo's dann begierig die Jungen und Alteil Für erwiesene Wahrheit halten!

Den Forschern. Ihr habt das „Warum" verschworen Und forscht nur nach dem „Wie" — Und steckt doch bis an die Ohren In „Teleologie". —

Äarmonie. Wohl schuf symetrisch die Natur Den Bau der einzelnen Organe, Im ganzen aber waltet nur harmonisch Maß beim Schöpsungsplane.

Artenbildung. Bei der Arten weiser Entfaltung Machte Natur ihr Meisterstück, Aber des Einzelwesens Erhaltung Überläßt sie dem Tag und dem Glück!

Entdeckung. Nun habt ihr gefunden des Denkens Kammer And meinet, ihr habet was Rechtes getan — Allein ihr verwechselt auch hier, o Jammer, Das geistige Wesen und sein Organ!

Phantasie-Religion. Laßt nicht länger euch betrügen Von den Priestern, deren Lügen Einst die Götter uns geraubt! holet aus Walhall uns wieder Wotan, Baldur, Freia nieder------Ob kein Kind auch an sie glaubt!

Warnung. Es ist ums Land nicht wohlbestellt, Solange zwei Nationen, Getrennt durch Bildung, Reichtum, Welt, In seinen Grenzen wohnen.

Mittelalter. i. Wohl war's herrlich im Mittelalter, Kirche und Künste standen im Flor — Aber als Ketzer zieh ich Halter Mir die nüchterne Neuzeit vor! II.

Schön ist's von Rittern und Fehden zu singen, Stolz war das Leben bei Minne und Wein, Wenn man — das eine nur wär' zu bedingen — Selber ein Ritter durfte sein!

Anfehlbar. Immer begehret das Volk einen göttlichen Richtspruch zu hören: Schweiget der delphische Gott — gibt ihn der Vater in Rom.

Gute Freundschaft. Zwei haben Schutz und Waffen Immer gern sich angeboten: Der Despot dem schlauen Pfaffen, Schlauer Pfaffe dem Despoten.

Notschrei. „Altar und Staat sind in Gefahr", Ruft alle Welt empört — Doch wenige sind sich drüber klar, Was Kirch' und Staat zerstört!

Glaubensstreitigkeiten. Bei gottgelahrten Zänkereien Sind oft am störrigsten die Laien; Die Zünftigen hülfen sich schon fort, — Aber die Laien haften am Wort!

Inkonsequent. Den Namen dessen, den Äerz und Mund Betend nicht mehr bekennen, Solltet ihr auch in Briefen und Beim Glückwunsch nicht mehr nennen.

Dogmen. Mit Dogmen geht es wie mit Pillen! Verschluckt man sie, so geht's noch an, Doch wolle man um Gotteswillen Sie nicht zerkaun — sonst stirbt man dran!

Wandlungen. Auch Götter verwandeln sich mit den Jahren! Was hat Jahve nicht alles erfahren. Eh' er vom Schutzherrn wandernder Lorden Ist zum Kantischen Gotte geworden!

Den Modernisten. Lostet ihr wirklich, es sei hinfort Mit kleinen Reformen genug? Kennt ihr nicht das mahnende Wort Vom Lappen auf altem Tuch?

Luther. Lätte nicht Luther, der Bauernsohn, Fester gegriffen ins Wespennest, Säßen wir heut' noch in Babylon Mit zerstochenen Länden fest!

Macht des Tropfens. Betrachtet man heute die Ablaß-Thesen, So fragt man sich, wie es nur möglich gewesen. Daß solche verzwickten, mönchischen Sachen Stürme im Volke konnten entfachen! — Was Wunder! Das tat des Tropfens Macht, Der das Faß zum Überlaufen gebracht!

Das „Zwanzigste Jahrhundert". Ob ihr auch grollt und brummt Im „zwanzigsten Jahrhundert", Rom spricht und ihr verstummt------Ist einer, den das wundert?

Evangelisation. Ihr Geistlichen habt geträumt — Nun wecken euch auf die „Frommen"; — Hättet ihr nichts versäumt, So wär' es so weit nicht gekommen! — Wie aber, rüst ihr erboßt, Sollten wir fesseln die Massen? — Ihr solltet die himmlische Kost Abständig nicht werden lassen! —

Neues Dogma. i. Ihr sollt die 55änbe davon lassen Ein neues Dogma aufzufinden; Das alte läßt sich geschichtlich fassen. Aber das neue würde uns binden!

II. Neues Dogma? Wollt erlauben. Sollt es wirklich euch gelingen. Neue Zweifel, alten Glauben Anter einen Lut zu bringen?

Ernste Frage. Ein Wunderbares fängt im Äirn Des Volkes an zu gären, And zweifelnd falten wir die Stirn: Wird fich der Most auch klären? Wird's edler Wein? Wir wissen's nicht. Das wird erst klar den Kindern — Ans fällt nur zu die ernste Pflicht, Die Klärung nicht zu hindern!

Parteiung. Fürchten würd' ich die Parteiung, Die den Sinn der Menschen spaltet Müßt' ich nicht, daß durch Entzweiung Stets ein Bessres sich entfaltet. Robbe, Gedichte.

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Vorbild. Wenn du, o Freund, mit dem Volke schmollst And den begehrlichen Masten grollst. Weil sie über den eignen Int'resten Ganz die Rechte der andern vergessen, Sag dann, du Guter, doch sag's mit Bedacht: Last du's nicht ihnen erst vorgemacht?

Die Lebensalter. Die Jugend preiset den zumeist. Der kühn das Alte niederreißt; Bei Mannesjahren sieht sich dann Die Sache doch schon anders an; Das Alter aber schenkt Vertraun Rur dem, der klug und stark kann baun!

Verschiedene Kriege. Ist der Einsatz im Kriege zu klein. Wird's für die Völker kein Segen sein — Fröhliche Fehde läßt sich schon wagen, Aber geht es um Kopf und Kragen, Werden die Fürsten sich wohl überlegen, Ob sie ziehen sollen den Degen.

Boulanger. Es klang des Selben letztes Weh Wie Stimme des Gerichts: „Mich hat die Welt verkannt, drum geh' Ich schweigend in das Nichts!" ------- So schreibt dem schönen General Denn auf den Leichenstein: „Er ging nach dieses Lebens Qual Zu seinen Taten ein!"

Den Sozi. Sagt selbst: so Ins Spöttische Was wärt ihr And preußische

viel ihr's auch versucht zu ziehn — ohne preußische Zucht Disziplin?

Deutschtümelei. Ich liebe deutsches Volk und Land, Doch ist mir's fast zum Lachen, Wenn ihr zum Kultusgegenstand Das Deutschtum wollet machen; Denn Land auf's Lerz, ihr Lerrn! Es liegt Manch Übles uns im Blute, And gar nicht selten überwiegt Das Läßliche das Gute!

Lucas 18, 9 sequ. Wenn ihr als Wächter frommer Sitte Verächtlich auf die Menge seht. So greift zu eurer Bibel, bitte, And lest, was „Lucas achtzehn" steht.

Den Evangelischen. Warum haltet ihr, werte Genoffen, Wochentags die Kirchen verschlossen? Etwa, weil in der Bibel steht. Daß sich der Geist in verschwiegener Kammer Sammeln solle zu stillem Gebet? Recht gelesen! Doch fehlt, o Jammer, Leutzutage für groß und klein Meist im Hause solch Kämmerlein, Während die weite Kirchenhalle Just es werden könnte für alle!

Chiliasmus. Der Chiliasmus spukt noch heute Im Kopfe der enterbten Leute, Nur hoffen sie nicht wie ehedem Auf ein himmlisches Jerusalem, Sie wollen lieber die löblichen Gaben Aus den vollen Taschen der andern haben.

Llnglück der Könige. Könige wollen, so klagt ihr, die Wahrheit nicht hören? Warum wohl? Weil es so wenige gibt, die sie zu sagen verstehn!

Den Lehrern. Viel Gutes lehrt ihr, doch mit Nichten Wie Trieb und Neigung man bezwinge, Denn ach, erziehn und unterrichten Sind leider sehr verschiedne Dinge!

Geschichtsunterricht. i. Wann zogen die Sieben vor Theben? „Zwölfhundertfünfundzwanzig!" — Ihr wißt's? Ei, ihr Gelehrten! — Doch wann ward übergeben Den Polen unser Danzig? — Ihr schweigt? Ei, ihr Verkehrten!

II. Wann Cymon Frieden hat gemacht. Weiß jeder Bube im Examen, Doch von der Tannenberger Schlacht Kennt mancher Deutsche kaum den Namen!

Karriere. Erst macht man sich das Köpflein dumm An Regeln im Gymnasium, Dann paukt man weidlich sich herum And schwänzet das Kollegium; Dann geht's, Kopf wüst und Rücken krumm, in domum examinium, And endlich blickt man stolz und stumm Lerab aufs niedre Publikum!

Scheidung. Was sich geschichtlich und geistig geschieden. Kommt auch dann nicht wieder zum Frieden, Wenn die brennenden Grundgedanken Längst im Strome der Zeit versanken! —

Nord und Süd. Erst jetzt, wo uns dieselbe Luft Amgibt, wird's offenbar. Wie abgrundtief die geist'ge Kluft, Die einst uns trennte, war!

Deutsches Geschick. Es liegt ein wunderlich Geschick Auf unsrem deutschen Volke — Nach jedem kurzen Sonnenblick Droht eine Regenwolke!

And sieht's nach außen hell mal aus. And sitzt der Laubfrosch oben — So wird gewiß im eignen Laus Gar bald ein Wetter toben!

Semper idem. Kommst du des Abends ins Wirtshauszimmer, Triffst du dieselben Leute immer: Kritische Männer der Politik, Tüftler, die sich mit Kennerblick Auf das Gebiet der Probleme wagen, Nietzsche und Kant in die Kneipe tragen. Andre wieder, die Possen reißen, Trefflich mit Witzen um sich schmeißen. Endlich den pensionierten Major And der gähnenden Bürger Corps; Kurz, es ziehen die Lerrn Philister Allerorten dasselbe Register, Plaudern und necken sich, gestern wie heute: Trinkende, schwatzende, glückliche Leute!

Geschmeidig. Den nenn' ich den wirkungsvollsten Debatter, Der seine Phrasen so dreht und schraubt. Daß jeder einzelne Äerr Gevatter Die eigene Weisheit erwiesen glaubt!

Falsche Erziehung. Mit Schalmei und Friedensweisen Schüfet ihr, befürcht' ich stark. Ein Geschlecht von jungen Greisen — Klug vielleicht, doch ohne Mark!

Natur und Geist. Mel Schweres gibt Natur und Geist Dem Glauben zu verdauen, And wer das vornehm von sich weist. Dem ist nicht wohl zu trauen!

Arsprung des Bösen. Du fragst die Weisen vergebens Nach Grund und Zweck des Bösen — Nicht jedes Exempel des Lebens Ist ohne Rest zu lösen.

Weltzweck. Von dem sittlichen Weltzweck kann Keiner das Fazit ziehen; Überall stolpert und strauchelt man Über Antinomieen.

Philosophie. Philosophie! Nicht in den Wolken schweben. Nein, fußen soll dein Wort auf festem Grund; Doch kannst du mich der Erde nicht entheben, — Was nützt mir, Freundin, dann dein weiser Mund?

Naiver Glaube. Naiver Glaube — wer möcht' ihn rauben? Doch wer vermag noch naiv zu glauben?

Vernunft und Glaube. Vermag Vernunft — so lehrt die Zunft — Den Glauben nicht zu fassen. So mag auch Glaube die Vernunft Fein ungeschoren lassen.

Determinismus. Wenn wirklich sich der Wille nicht Dem Kismet kann entreißen. Wie dürft ihr dann den Bösewicht Noch einen Schurken heißen?

Willensfreiheit. Von Wahn und Trieben übermannt. Entschuldigt mancher Brave Sich mit dem Sprüchlein wohl bekannt. Der Wille sei ein Sklave! ------- Ganz recht! Doch wär' er nicht in Last Vom Schwächling selbst geschlagen. So würd' er seine Götterkrast Schon zu gebrauchen wagen!

Ewigkeit. Es bleibt der Ewigkeitsbegriff Für die erschaffne Welt Ein diamantnes Felsenriff, Dran Menschenwitz zerschellt.

Reif. Herrlich, wenn bei reifen Jahren Noch der Mann für Edles glüht. Wenn, was er erlebt, erfahren. Nicht verhärtet sein Gemüt.

Widrig aber, wenn im Manne Noch der Most der Jugend gärt. Ohne daß der Zeiten Spanne Ihn zu edlem Wein verklärt. —

Allgemeine Schätzung. Wißt ihr, wen jedermann schätzt? Den Starken, der Keinen verletzt. Die Frau, die nicht keifet und hetzt. Die Magd, die sich nie widersetzt Und den Greis, der nicht poltert und schwätzt!

Klassisch. Den eracht' ich für den wahren Klassiker, dem noch behagt. Was vor fünfundzwanzig Zähren Er geschrieben und gesagt. —

Quod licet Jovi-----Es ist im Borodiner

Gefecht mehr Blut gestossen. Als durch die Iaeobiner Zn Jahren ward vergossen! Doch während diese Wichte Im Fluch der Welt verkamen. Verherrlicht die Geschichte Noch heut' des Korsen Namen.

Weltlauf. Es schont die rohe Meute des edlen Wildes nicht; Der Geier nimmt zur Beute, Was ihm ins Auge sticht; Der Starke drückt den Schwachen, Der Protz den kleinen Mann------Das sind bekanntlich Sachen, Die niemand ändern kann!

Bismarck. Legt der Neid mit stumpfen Pfeilen Auf dich an — was schadet's viel? Auch im Leben folgt bisweilen Großer Tat das Satyrspiel.

Moltke. Warum Moltke, der freie Denker, Doch gewandelt in Kirchenbahnen? Weil der erfahrene Schlachtenlenker Ehrfurcht hatte vor alten Fahnen.

Indiskretion. Gestern raunt's euch zu ein Späher, And zu Markt schon bringt ihr's heute — Ei, was seid ihr Pharisäer Doch für tugendhafte Leute!

Quibusdam. Lalbgläubig nennt ihr andre gern, Doch dieses Wort verrät. Daß ihr des Glaubens Kern und Stern Nur meßt nach Quantität!

Weisheit. Kennt ihr die Summe der Weisheit? Sie heißt Einheit der seelischen Kräfte! Wer sie zerspaltet, zertrennt und zerreißt — Treibt Obskuranten-Geschäfte!

Verschiedene Methoden. Es zeigt uns, wie alles in Übergangszeiten, Auch die Anterrichtsfrage verschiedene Seiten; And würde man scharf ins Gebet genommen. Welche Methode man höher stelle. Die simultane, die konfessionelle. And welches Prinzip man für richtiger halte, Das neue reale, das klassische alte — Man würde in arge Verlegenheit kommen!

Parlamentarischer Rat. Wer zur Tribüne als Neuling will gehn. Muß sein Thema gründlich verstehn; Ist er erst ein politischer Mann, Kommt es darauf schon weniger an!

Äurra. Im Lurra können die Massen was leisten, Am lautesten schreien die Dummen und Dreisten; Es geht diesen albernen Tröpfen Genau wie den irdenen Töpfen: Die hohlen klappern am meisten!

Genügsam. Wem keine Frucht mehr sprießen kann. Der halte Ährenlese, And wer nicht mehr genießen kann. Der preise die Askese!

Frauenhaß. Lassest du die Frauenzimmer, Freund, so tu’ es keinem kund, Denn der Frauenhaß hat immer Irgendeinen Schwächegrund!

Wechsel. Alles, beachte dies. Machet die Runde: Wie man einst Götter hieß, Leißt man jetzt Lunde.

Luftball. Was gestern noch undenkbar schien Ist heute schon alltäglich — Der Ball, der schier unlenkbar schien Gehorcht schon ganz erträglich!

Den Geist dämpfet nicht. Wenn ihr den Ketzer verfolgt, so meint ihr den Geist zu vernichten. Toren, was kümmert's den Lenz, ob ihr die Lerche erschlagt?

Den Astronomen. Könntet ihr forschend aus Sternenkreisen — Etwa vom Mars aus — zur Erde sehn. Würdet ihr sicherlich klar beweisen, Lebendes könne hier nicht bestehn!

Nach dem Wetter. Lat das Wetter sich verzogen. Grollt's nur noch aus weiter Ferne, Leuchten uns am Limmelsbogen Doppelt hell die lieben Sterne!