Theologie und Kirche im Wirken Hans von Sodens: Briefe und Dokumente aus der Zeit des Kirchenkampfes 1933-1945 9783666557521, 3525557523, 9783525557525

141 92 12MB

German Pages [408] Year 1986

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Theologie und Kirche im Wirken Hans von Sodens: Briefe und Dokumente aus der Zeit des Kirchenkampfes 1933-1945
 9783666557521, 3525557523, 9783525557525

Citation preview

ARBEITEN ZUR KIRCHLICHEN ZEITGESCHICHTE REIHE A: QUELLEN · BAND 2

ARBEITEN ZUR KIRCHLICHEN ZEITGESCHICHTE Herausgegeben im Auftrag der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für kirchliche Zeitgeschichte von Georg Kretschmar und Klaus Scholder

REIHE A: QUELLEN

Band 2

Theologie und Kirche im Wirken Hans von Sodens Briefe und Dokumente aus der Zeit des Kirchenkampfes 1933-1945

G Ü T T I N G E N · V A N D E N H O E C K & R U P R E C H T · 1984

Theologie und Kirche im Wirken Hans von Sodens Briefe und Dokumente aus der Zeit des Kirchenkampfes 1933-1945 Herausgegeben von Erich Dinkier f und Erika Dinkler-von Schubert Bearbeitet von Michael Wolter

GÖTTINGEN • VANDENHOECK & RUPRECHT · 1984

Redaktionelle Betreuung dieses Bandes: Gertraud Grünzinger-Siebert

CIP-Kurztitelaufiiahme der Deutschen Bibliothek Soden, Hans von: Theologie und Kirche im Wirken Hans von Sodens: Briefe u. Dokumente aus d. Zeit d. Kirchenkampfes 1933-1945 / hrsg. von Erich Dinkier u. Erika Dinkier-von Schubert. Bearb. von Michael Wolter. - Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 1984. (Arbeiten zur kirchlichen Zeitgeschichte: Reihe A, Quellen; Bd. 2) ISBN 3-525-55752-3 NE: Dinkier, Erich [Hrsg.]; Wolter, Michael [Bearb.]; Arbeiten zur kirchlichen Zeitgeschichte / A; HST

© Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1984. - Printed in Germany. - Alle Rechte vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus auf foto- oder akustomechanischem Wege zu vervielfältigen. - Satz: Dörlemann-Satz, Lemförde. - Druck und Bindearbeit: Hubert & Co., Göttingen.

INHALTSVERZEICHNIS

Vorwort von Erika Dinkler-von

Schubert

9

Zu dieser Edition von Michael Wolter

13

Einleitung: H a n s Freiherr von Soden (1881-1945) von Erich Dinkier t

15

Dokumente 1 Erklärung H a n s von Sodens in der Vorlesung. 4. Mai 1933

37

2 Hans von Soden an Gustav Hölscher. 3. Juni 1933

43

3 Briefwechsel über freiwillige Amtsniederlegung von Theologieprofessoren. Juli 1933

45

4 Briefwechsel zum Gutachten der Marburger Theologischen Fakultät zur Einführung des Arierparagraphen in der Kirche. September/Oktober 1933

52

5 Aktionsversuch gegen den Reichsbischof. November 1933 .

60

6 Briefwechsel mit dem Preußischen Ministerium f ü r Wissenschaft, Kunst und Volksbildung. Dezember 1933 . . . .

68

7 Widerstand gegen den sog. Maulkorberlaß. Januar/Februar 1934

73

8 Briefwechsel zur Erklärung „Bekenntnis und Verfassung in den evangelischen Kirchen". Mai 1934

81

9 Rundbrief Bernhard Heppes und H a n s von Sodens an die Pfarrer der kurhessischen Kirche. August 1934

96

10 Versetzung Hans von Sodens in den Ruhestand. August 1934

101

11 Hans von Soden: „Gutachten über den Diensteid der Geistlichen". August 1934

108

12 Rundbrief H a n s von Sodens an die Pfarrer der Bekennenden Kirche in Kurhessen-Waldeck. 26. Oktober 1934 . . .

114

6

Inhaltsverzeichnis

13 Erklärung Hans von Sodens in der Vorlesung nach Wiedereinsetzung. November 1934

122

14 Briefwechsel zur Organisation der Bekennenden Kirche innerhalb der Theologischen Fakultäten. Dezember 1934/Januar 1935

126

15 Protest theologischer Hochschullehrer gegen den Erlaß des Reichs- und Preußischen Ministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung an die Theologischen Fakultäten vom 28. Februar 1935. März 1935

134

16 Walter Dreß an Hans von Soden. 20. Juli 1935

143

17 Briefwechsel zur Frage der theologischen Prüfungen und der Errichtung kirchlicher Hochschulen. Sommer 1935. . .

144

18 Hans von Soden an den Reichs- und Preußischen Minister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung. 4. September 1935

178

19 Hans von Soden an Emil Balla. 29. Dezember 1935

182

. . . .

20 Briefwechsel zur Disziplinarmaßnahme des Reichs- und Preußischen Ministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung gegen Hans von Soden. Januar/September 1936

186

21 Briefwechsel mit Karl Schlabritzky und Wilhelm Lütgert. Mai/Juli 1936

192

22 Rundbrief Hans von Sodens an die Vertrauensleute der Bekennenden Kirche an den Theologischen Fakultäten. 7. April 1937 206 23 Erklärung Hans von Sodens in der Vorlesung. 15. Juni 1937

212

24 Die Kontroverse in der „Gesellschaft für Kirchengeschichte". 1937/1938 213 25 Briefwechsel mit dem Vorsitzenden des Landeskirchenausschusses der Ev. Kirche von Kurhessen-Waldeck. August/ September 1937 250 26 Hans von Soden an den Kurator der Universität Marburg. 13. Dezember 1937

262

27 Die Diskussion bei Pfarrern und Studenten um den Führereid der Geistlichen. Mai/Juli 1938 266

7

Inhaltsverzeichnis

28 Briefwechsel zur sog. Gebetsliturgie. November 1938 . . .

278

29 Hans von Soden: „Erwägungen zur Frage des Bestandes Theologischer Fakultäten an den deutschen staatlichen Hochschulen"

292

30 Briefwechsel mit dem Vorsitzenden des Landeskirchenausschusses der Ev. Kirche von Kurhessen-Waldeck. Juli 1939/März 1940

297

31 Rundbrief Hans von Sodens an die Pfarrer und Studenten der kurhessischen Bekennenden Kirche zu Kriegsbeginn. 28. September 1939

318

32 Briefwechsel mit Ernst Wolf. Februar 1940/Mai 1941 . . .

321

33 Briefwechsel anläßlich des 60. Geburtstages Hans von Sodens. November 1941/Februar 1942

331

34 Hans von Soden an Bernhard Heppe. 31. Mai 1942

342

. . . .

35 Rudolf Bultmann: „Am Sarge Hans von Sodens". 8. Oktober 1945

347

Anhang I Gutachten der Theologischen Fakultät der Universität Marburg zum Kirchengesetz über die Rechtsverhältnisse der Geistlichen und Kirchenbeamten. 20. September 1933 (Zu Nr. 4)

352

II Neues Testament und Rassenfrage. 23. September 1933 (Zu Nr. 4)

359

III Offener Brief an den Herrn Reichsbischof der Deutschen Evangelischen Kirche (Zu Nr. 5)

362

IV Bekenntnis und Verfassung in den evangelischen Kirchen. 23. Mai 1934 (Zu Nr. 8)

364

V Erlasse des Reichs- und Preußischen Ministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung an die Theologischen Fakultäten. 28. Februar 1935/5. Juli 1935 (Zu Nr. 15)

369

VI To the Editor of

THE TIMES

(Zu Nr. 19)

VII Flugblatt Marburger Studenten zum Eid auf den Führer. 19. Mai 1938 (Zu Nr. 27)

372 373

8

Inhaltsverzeichnis

VIII Hans von Soden: Autobiographische Skizze (1945)

. . .

376

Abkürzungen

383

Chronologisches Dokumentenverzeichnis

385

Quellen- und Literaturverzeichnis

390

Index

397

VORWORT

Die vorliegende Quellensammlung sollte anläßlich des hundertsten Geburtstages von Hans von Soden, am 4. November 1981, erscheinen. Sie war, ebenso wie das schon publizierte Schriftenverzeichnis 1 , gedacht als Vorläufer einer Gesamtbiographie. Plan und Aufbau des Ganzen stammt von meinem Mann, der seit November 1932 in Marburg als Assistent bei Hans von Soden gearbeitet, sich auch bei ihm habilitiert hat und dem dieser sein nachgelassenes Material aus der Zeit des Kirchenkampfes anvertraute. Einen Teil dieser Akten hatten wir bereits 1959 im Einverständnis mit der Witwe Hedwig von Soden dem Archiv der „Kommission für die Geschichte des Kirchenkampfes" zu H ä n d e n von Kurt Dietrich Schmidt (Hamburg) übergeben, anderes, speziell für die Landeskirche von Kurhessen-Waldeck Wichtige, an deren Archiv in Kassel. Die Akten aus Hamburg sind heute an die der Kommission nachfolgende „Ev. Arbeitsgemeinschaft für kirchliche Zeitgeschichte" mit Geschäftsstelle in München gelangt, wo sie f ü r Auswertung seit längerem zugänglich sind. (Das Material besteht zum größten Teil aus einer noch durch von Soden selbst nach Sachprovenienzen geordneten Sammlung vorwiegend von Druckschriften, Hektographien, Durch- und Abschriften unterschiedlichster Herkunft.) Bei der hier vorgelegten Dokumentation wurde jedoch nur zum geringen Teil auf das Münchner Archiv zurückgegriffen. Vielmehr wird fast ausschließlich das bei uns in Heidelberg befindliche, noch unpublizierte Material dargeboten, auf das schon meines Mannes 1977 im Marburger Jubiläumsjahr erschienener Aufsatz aufmerksam machte 2 . Andernorts bereits veröffentlichte Dokumente sind nur in wenigen Fällen, wenn sachlich geboten, wieder abgedruckt. Die Vollendung des lange gehegten Planes war meinem Mann versagt. Aus den Vorbereitungen, die ihn bis in seine letzten Tage beschäftigten, wurde er am 28. Juni 1981 durch den Tod abberufen. Sein Leitziel bei der vorgelegten Quellensammlung war, Hans von Soden den ihm gebührenden Platz in der Geschichte des Kirchenkampfes zu sichern, seinen Einsatz als führende Persönlichkeit in 1

Bibliographie H a n s Freiherr von Soden, 1981. H a n s Freiherr von Soden. Vgl. auch und Rassenfrage, 1979. 2

E . DINKLER,

E . DINKLER,

Neues Testament

10

Vorwort

den kritischen Jahren 1933-1945 zu dokumentieren 3 und ihn als einen Hochschullehrer ins Gedächtnis zu rufen, der sich in vorbildlicher Weise für die Kirche verantwortlich wußte 4 . „Mich hat", schreibt Hans von Soden rückblickend auf sein Leben, „von meiner Jugend her der "Wunsch geleitet, Kirche und Theologie gleichsam zu verklammern'"'. Die Aufgliederung des vorliegenden Materials geschieht nach Sachkomplexen, deren chronologische Abfolge - neben dem individuell Biographischen - zugleich allgemein den Gang der Ereignisse im Kirchenkampf spiegelt. Dabei wird der heute oft übersehene, tatsächlich aber unmittelbar 1933 beginnende Widerstand auch von Seiten der wissenschaftlichen Theologie deutlich. Neben Hans von Soden sollte - so war meines Mannes Absicht - auch derjenige Kreis akademischer Theologen zu Worte kommen, deren Eintreten heute vielfach unbekannt oder auch infrage gestellt ist. Möge die Publikation dazu beitragen, das Bild jener in ihrer Vorgeschichte und Differenziertheit dem Heutigen oft schwer verstehbaren Epoche zu klären und zu gerechter Beurteilung einen Beitrag liefern. Für Aufnahme in diese Reihe habe ich der Ev. Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte zu danken. Die Drucklegung wurde ermöglicht durch namhafte Zuschüsse von Seiten des Herrn Bischof D. Dr. Hermann Kunst D. D., Bonn, sowie der evangelischen Landeskirchen von Kurhessen-Waldeck und Hessen und Nassau, denen an dieser Stelle herzlich gedankt sei. Für freundliche Beratung danke ich den Herren Prof. Dr. Gerhard Ebeling, Zürich, 3 ,,[H. v. Soden] in erster Linie verdanken es die theologischen Fakultäten, daß es Unrecht wäre, allgemein ihr Versagen im Kirchenkampf festzustellen" (Schreiben Bischof Meisers vom 31. Dezember 1941; vgl. unten Nr. 33d). 4 Als Stimme der jüngeren Generation ein Feldpostbrief E. Dinklers vom 18. Mai 1941 an H. v. Soden: „Gewiß ist man in den Jahren nun soweit, daß man auch allein seinen Weg gehen können müßte, aber das ändert nichts an der dringlichen N o t meiner Generation, daß sie der wirklichen Weisheit und weisen Kraft der vorangegangenen und vorankämpfenden Generation bedarf, zumal wenn man [wie wir hier draußen] . . . in der Diaspora steht, hinsichtlich der Anschauungen über Mensch, Volk, Staat, Religion, Moral, Wissenschaft, Wahrheit. . . Ihr Vorbild wird mich, wie so viele andere meines Alters als Forderung und Anspruch, als echtes Zeugnis, immer im Leben begleiten . . . Könnten wir nur ganz davon ergriffen sein, von dem Geiste, der Sie trägt!" 5 Brief an Hermann Dörries vom 5. Januar 1942 (vgl. unten Nr. 33f.). Ahnlich v. Soden an Hans Asmussen am 1. Januar 1942: „Was mir immer vorgeschwebt hatte, daß ich mit der Theologie der Kirche unmittelbarer denn nur als Lehrer dienen dürfte, ward mir zuteil" (vgl. unten Nr. 33e). Vgl. auch Bultmanns Vorwort zu H. v. SODEN, Urchristentum und Geschichte I (S. VIII). Beispielhaft für diese Haltung ist v. Sodens theologische Widerlegung der Thesen von Winkel und Grundmann (vgl. unten S. 27 f., 29ff.).

Vorwort

11

sowie Prof. Dr. Kurt Meier, Leipzig, für die sorgfältige Bearbeitung und Kommentierung des Materials dem Schüler meines Mannes, Herrn Dr. Michael Wolter, Mainz, der diese in selbstlosem Einsatz übernahm. Heidelberg, Sommer 1982

Erika Dinkler-von Schubert

ZU DIESER

EDITION

Die Übernahme der Bearbeitung dieser Edition, welche mir Frau Dr. Erika Dinkler-von Schubert nach dem Tode ihres Mannes anvertraute, war mir eine ebenso selbstverständliche wie ehrenvolle Verpflichtung und gibt mir Gelegenheit, von der Dankesschuld, in der ich meinem Lehrer Erich Dinkier gegenüber stehe, einen Teil abzutragen. Den Briefen und Dokumenten, die von Erich Dinkier zu bestimmten Sachkomplexen zusammengefaßt wurden, sind von mir in den meisten Fällen kurze Einleitungen vorangestellt worden, in denen zur Erleichterung des Verständnisses der jeweilige historische Kontext knapp skizziert wird. In den Anmerkungen werden - soweit dies möglich war und sinnvoll erschien - die direkt und indirekt in den Briefen erwähnten Personen, Ereignisse und Schriften etc. verifiziert. Einleitungen wie Anmerkungen sind bewußt etwas ausführlicher gehalten, um auch einem breiteren Leserkreis den Zugang zu den hier abgedruckten Quellen zu erleichtern. Sie beschränken sich jedoch auf ein für das Verständnis unentbehrliches Minimum, wobei auch hier in erster Linie die Quellen zu Wort kommen. - Die in den Briefen erwähnten Personen der Zeitgeschichte werden jeweils bei ihrer erstmaligen Erwähnung in einem Brief (vgl. Index) mit Lebensdaten und der Angabe ihrer zu dieser Zeit gerade ausgeübten Tätigkeit versehen, wobei spätere Veränderungen nur bei nochmaliger Erwähnung der betreffenden Person notiert werden. Für die vollständigen biographischen Daten sei auf die Register von GLANZ U N D N I E D E R G A N G , RGG 3 und EKL 2 verwiesen. Bei der Transkription der Briefe wurden die Briefköpfe vereinheitlicht. Zusätze des Bearbeiters sind durch Kursivdruck in eckigen Klammern ([ ]), Auslassungen durch Punkte (. . .) und ein Regest über den fortgefallenen Text gekennzeichnet. Stillschweigend korrigiert wurden offenkundige Schreibversehen sowie die Schreibweisen ss in ß und ae, oe, ue in ä, ö, ü. Bei der Bearbeitung dieser Edition habe ich vielfältige Hilfe und Unterstützung erfahren, w o f ü r ich mich an dieser Stelle bedanken möchte. Ausdrücklich hervorheben möchte ich Prof. Dr. Kurt Meier, Leipzig; Dr. Carsten Nicolaisen und seine Mitarbeiterinnen von der Geschäftsstelle der „Evangelischen Arbeitsgemeinschaft f ü r kirchliche

14

Zu dieser Edition

Zeitgeschichte", München; Archivrat Hans Georg Otte, Hannover; Bibliotheksdirektor Dr. Eckhart Plümacher, Berlin und Pfarrer i. R. Hermann Stehfen-Gervinus, Schaumburg-Elgershausen. Frau Iréta Nordhues-Zielinski, Berlin, habe ich für ihre Hilfe bei der Abschrift der Briefe und der Herstellung des Manuskriptes zu danken. Den Erben der Verfasser der an von Soden gerichteten Briefe danken wir für die Erteilung der Genehmigung des Abdrucks. Mainz, Dezember 1983

Michael Wolter

EINLEITUNG

Hans Freiherr von Soden

(1881-1945)'''

Als 1927 nach altem Brauch Hans von Soden als gewählter Rektor bei seinem Amtsantritt die Frage „Was ist Wahrheit?" zum Thema seiner akademischen Rede wählte und über den geschichtlichen Begriff sprach, legte er die zwei großen Wurzeln des abendländischen Geistes dar, die im hellenischen Humanismus einerseits und im biblischen Christentum anderseits gegeben sind: Für die Griechen ist die Wahrheit ein zu verstehender Sachverhalt, für den von hebräischem Denken nicht ablösbaren christlichen Sprachgebrauch ist Wahrheit am Geschehen Jesus Christus aufbrechende Lebensnorm, die in die Tat umgesetzt werden muß. „Für den Griechen ist der Begriff des Seins der Maßstab f ü r den Gedanken Gottes, für den Hebräer das Sein die von Gott geschaffene Wirklichkeit; für jenen ist Gott Inbegriff der Natur, f ü r diesen der Urheber der Geschichte . . .; für den Griechen [ist] Wahrheit grundlegend Sache des Verstehens, für die Bibel Sache des Bestehens." 1 Der hier erörterte christliche Wahrheitsbegriff, der das Tun des als wahr Erkannten einschließt, was nur in voller Freiheit geschehen kann, ist als Dienst in der Gemeinschaft zu realisieren und nicht ein der theoretischen und privaten Sphäre zugehörender. Man könnte die ganze Wirksamkeit von Sodens, der neben Rudolf Bultmann zu den profiliertesten Persönlichkeiten der Marburger Universitätsgeschichte im letzten Halbjahrhundert gehört, unter das Motto stellen: „Wahrheit als Prinzip des Handelns in Freiheit". Der Lebenslauf von Sodens soll im Folgenden kurz skizziert und sein Wirken in Marburg von 1924 bis 1945 an Beispielen illustriert werden, um zuletzt das individuell Einzigartige dieses in kritischer Zeit in der Marburger Theologischen Fakultät führenden Gelehrten hervorzuheben. Geboren am 4. November 1881 in Striesen bei Dresden, ist von Soden in Berlin aufgewachsen, wo der Vater Hermann von Soden seit 1887 Pfarrer an der Jerusalemskirche war, daneben

* Erstmals erschienen in: Marburger Gelehrte; bearbeitet von Frau Dr. Erika Dinkler-von Schubert. 1 Marburger Akademische Reden 46, 1927, S. 18 f. ( = Urchristentum und Geschichte I, S. 15).

16

Einleitung

seit 1889 Privatdozent, später o. Honorarprofessor für Neues Testament an der Berliner Universität. Das Theologiestudium des Sohnes, von 1900-1905 in Berlin, war ganz auf eine Forscherlaufbahn ausgerichtet und primär durch Adolf von Harnack geprägt. Schon 1904 erschien die Arbeit „Die Cyprianische Briefsammlung, Geschichte ihrer Entstehung und Überlieferung", die 1905 zur Promotion zum Lic. theol. führte. Es schloß sich eine fünfjährige Tätigkeit als Assistent für Patristik am damaligen Preußisch-Historischen Institut in Rom an, die Gelegenheit bot zu fruchtbarster Forschung: Aus den Handschriften - insbesondere der Biblioteca Vaticana - wurde versucht, das in Nordafrika zur Zeit Cyprians - also gegen 250 n. Chr. - in Gebrauch befindliche lateinische Neue Testament, eine zeitlich weit vor der Vulgata des Hieronymus liegende Textgestalt zu rekonstruieren. Das Werk dokumentiert die entsagungsvolle Detailarbeit des Archivforschers, der Philologe, Historiker und Theologe zugleich sein muß. Um nicht den Anschluß an die akademische Laufbahn zu verlieren, kehrte von Soden 1910 nach Berlin zurück, habilitierte sich in der Theologischen Fakultät und war, da die Dozentenstipendien nicht für den Lebensbedarf ausreichten, bis 1914 zugleich als Religions- und Geschichtslehrer an der Elisabethschule in Lichterfelde tätig. Obwohl infolge eines Herzfehlers für den Kriegsdienst untauglich, ging von Soden nach erfolgter Ordination von 1915-1918 als Divisionsgeistlicher an die Ost- und an die Westfront. In den Zusammenbruch des Kaiserreiches fiel 1918 seine Berufung als ao. Professor für Kirchengeschichte nach Breslau, wo von Soden - seit 1921 o. Professor — zwei Jahre mit Bultmann gemeinsam wirkte, um ihm 1924 als Ordinarius nach Marburg auf den Lehrstuhl von Adolf Jülicher zu folgen. Berufungen nach Jena, Heidelberg und Halle lehnte von Soden ab, teils aus gesundheitlichen Bedenken, wesentlich aber um der engen Freundschaft und Zusammenarbeit mit Bultmann in Marburg willen. Hier verbleibend, wirkte er 1927/28 als Rektor der Universität und 1933/34 als Dekan der Theologischen Fakultät. Er vertrat in der Lehre vier Disziplinen: Neues Testament und Kirchengeschichte sowie Christliche Archäologie und Kirchenrecht. Unter seiner Betreuung wurde innerhalb der kunstwissenschaftlichen und archäologischen Disziplinen 1927 im „Jubiläumsbau" zu Marburg das Christlich-Archäologische Seminar eingerichtet und ausgebaut 2 . Die durch humanistische Tradition, durch die Bibel und Goethe gekennzeichneten Gehalte waren die eigentliche Basis seiner univer2

Vgl. die Rede von H. v. Soden zur Grundsteinlegung am 9. Mai 1926: „Vom Wesen christlicher Kunst" (ebd., S. 90-105).

Einleitung

17

salen Bildung. Eine radikale philosophische oder theologische Infragestellung der biblischen Verkündigung und reformatorischen Erkenntnis lag ihm nicht. Zugang zur „modernen" Literatur vermittelten ihm Ibsen und Tolstoj, später auch Dostojewski. Die aufbrechende soziale Fragestellung wurde mit Friedrich Naumann in der Linie der „Christlichen Welt" Martin Rades als aktuelles Problem der Zeit f r ü h erkannt. Jede politische Ideologisierung und Demagogisierung war von Soden zuwider - f ü r die Hochschule schien sie ihm ein Todesstoß gegen die Freiheit von Forschung und Lehre. Gleichwohl forderte er vom Akademiker, daß er sich den Aufgaben der Polis zur Verfügung stelle und seine Entscheidungen so fälle, daß andere davon lernen können. Freilich müsse der Lehrer zwischen einer Verantwortung der Polis gegenüber und einer Politisierung der Wissenschaft sehr deutlich scheiden. Eine besondere Verantwortung erkannte er seit der Übernahme der Breslauer Professur bis zu seinem Tode in der Ausrichtung des Universitätslehramts auf die Kirche, weshalb er die Teilnahme an kirchlichen Prüfungen und Wahl zu Synoden suchte und die Mitarbeit aktivierte. Ein frühes Zeugnis seines Einsatzes, zugleich des unbestechlichen Urteils und der klaren, treffsicheren Formulierungsgabe ist die im Jahre 1922 auf der Verfassunggebenden Kirchenversammlung der Altpreußischen Union in Berlin gehaltene Ansprache 2 3 . In den Jahren des Kirchenkampfs ist dieses Anliegen leitend geblieben; dies belegen von Sodens Einsatz für intakte theologische Prüfungen und die Errichtung kirchlicher Hochschulen (Nr. 17 u. 22), seine Kritik an den Kirchenausschüssen, 1936 (Nr. 21), sein klares Wort an die lutherischen Bischöfe Meiser, Wurm, Marahrens in Sachen der sog. Gebetsliturgie, 1938 (Nr. 28). Dem zunehmend schweren Herzleiden wußte von Soden durch straffe Disziplin des Tageslaufs zu begegnen. Zu einer Zeit, in der das normale Lehrdeputat des Ordinarius acht bis zehn Wochenstunden betrug, hat er regelmäßig zwei vierstündige Vorlesungen - im Neuen Testament und in der Kirchengeschichte - gehalten, dazu ein Hauptseminar und eine Vorlesung oder Übung aus dem Gebiet der Christlichen Archäologie oder des Kirchenrechts. Trotz der in jenen Jahren weitaus geringeren verwaltungsbedingten Inanspruchnahme des Hochschullehrers bleibt die dienstliche Belastung, neben die seine kirchliche Wirksamkeit trat, erheblich. 1933 wurde von Soden Dekan der Theologischen Fakultät; von Anbeginn an hat er die durch den Nationalsozialismus bedingte neue politische Situation richtig zu beurteilen gewußt. Unter seiner 2a

Vgl. die entsprechenden Passagen in BERICHT, S. 380.

18

Einleitung

energischen Leitung widerstand die Marburger Fakultät - als einzige in Deutschland einige Zeit geschlossen - durch Gutachten der politischen Tendenz der NS-Zeit und der Politisierung der Evangelischen Kirche in Deutschland. Programmatisch war eine der Vorlesung über Reformationsgeschichte am 4. Mai 1933, der ersten Semesterstunde nach Beginn des NS-Regimes, vorangestellte Erklärung (Nr. 1), in der von Soden auf das Problem von Reformation und Revolution einging: „Man fordert heute stürmisch die Politisierung der Hochschule und stellt dem politischen Studenten, der der Volksgemeinschaft verhaftet ist, den individualistischen Vorkriegsstudenten, der seine Berufsbildung erwerben wollte, entgegen. Das sind zunächst Schlagworte, bei denen es auf die richtige Bestimmung des Gemeinten und vor allem des Gesollten ankommt. . . Wir dürfen jedoch keine Politisierung der deutschen Hochschule zulassen, die der an ihnen hochgehaltenen Wahrheitsforschung Schranken eines zeit- oder parteipolitischen Dogmas auferlegt." Sichtbar werden die Probleme, die auf die Universitäten zukamen, in dem Brief von Sodens an Gustav Hölscher wegen möglicher Amtsenthebungen an den theologischen Fakultäten (Nr. 2), in dem Briefwechsel mit Hermann Mulert über freiwillige Amtsniederlegung von Theologieprofessoren (Nr. 3), sowie in der Korrespondenz mit Ministerialrat Johann Daniel Achelis über die Fälle Ukkeley und Rade sowie Stipendium für Harbsmeier (Nr. 6). In der Vorlesung vom 4. Mai 1933 hatte von Soden bereits gegen die einsetzende Judenverfolgung eindeutig Stellung genommen. Doch zum aufsehenerregendsten Schritt kam es im September 1933, als das von ihm verfaßte Gutachten zum Arierparagraphen in der Kirche (Nr. 4 und Anhang Nr. I) der Anfrage des Kurhessischen Kirchentages eine von der Fakultät einstimmig beschlossene Antwort erteilte. Anlaß war ein Gesetz, das von der Generalsynode der Evangelischen Kirche der Altpreußischen Union aus dem neuen Reichsbeamtenrecht auf die Geistlichen übertragen worden war und bestimmte, daß diejenigen, die „nicht arischer Abstammung oder mit einer Person nicht arischer Abstammung verheiratet" sind, zu entlassen seien. Ferner, daß mangelnde Gewähr eines rückhaltlosen Einsatzes für den nationalen Staat und die Deutsche Evangelische Kirche zur Versetzung in den Ruhestand führen sollten. Das antwortende Gutachten ist ebenso unnachsichtig ablehnend wie klar in Gedankenführung und Diktion: „Die Fakultät hält die beiden angeführten grundsätzlichen Bestimmungen . . . für unvereinbar mit dem Wesen der christlichen Kirche, wie es durch die allein maßgebende Autorität der Heiligen Schrift und das Evangelium von Jesus Christus bestimmt und durch die Bekenntnisse der Reformation bezeugt ist." Unter Berufung auf Apg 10,34f. und Gal 3,28 wird die Bruder-

Einleitung

19

Schaft aller an Jesus Christus als Heiland der Welt Glaubenden und ihre in der Taufe g r ü n d e n d e Einheit, die jede Rechtsungleichheit ausschließt, betont. Das neue Gesetz mache dagegen „die Kirchenglieder nichtarischer H e r k u n f t zu Kirchengliedern minderen Rechtes und minderer W ü r d e " . W e n n man, so heißt es am Schlüsse, mit Jesus Christus, dem Zeugnis der Heiligen Schrift und den Bekenntnissen der Reformation Ernst macht, „so ist eine politische oder kirchenpolitische Fesselung kirchlicher Verkündigung ebenso wie eine Beschränkung der Rechte nichtarischer Christen in der Kirche damit unvereinbar" (Anhang Nr. I). Das Gutachten war f ü r die kirchenpolitische Situation in Deutschland wie auch f ü r die christliche Ö k u mene allgemein eine außergewöhnliche Tat - es bedeutet in gewisser Weise den H ö h e p u n k t in der Geschichte der M a r b u r g e r Theologischen Fakultät, zumal es ihre letzte in Geschlossenheit geführte Aktion war und theologische Klarheit wie M u t zum Widerspruch gegen eine die Wahrheit zersetzende P r o p a g a n d a des Staates bezeugte. Im Kontrast hierzu erschien, ebenfalls H e r b s t 1933, das Gutachten der Erlanger Theologischen Fakultät 3 , unterzeichnet von Paul Althaus und Werner Eiert in Ubereinstimmung mit der Fakultät. H i e r wurden die nicht aufhebbaren „biologischen und gesellschaftlichen Unterschiede", ja die „historisch-völkische Gliederung der christlichen Menschen" bei aller Universalität des Evangeliums, dem Zeitgeist entgegenkommend bejaht. Bei A n e r k e n n u n g der vollen Gliedschaft getaufter Juden in der deutschen evangelischen Kirche wird dennoch gesagt: „Die Kirche m u ß die Zurückhaltung ihrer J u d e n christen von den Ämtern f o r d e r n . " D e r G r u n d t e n o r des Gesetzes der Altpreußischen U n i o n wird nur in einem P u n k t e modifiziert: „Nicht ihre [Geistlicher jüdischer H e r k u n f t ] Belassung im Amte, sondern ihre Entlassung bedarf von Fall zu Fall besonderer Begründung." Kann man dieser Erlanger Stellungnahme eine schüchterne Kritik an der Ü b e r n a h m e des preußischen Beamtengesetzes in den Raum der Kirche auch nicht völlig absprechen, so bleibt doch das theologische U n b e h a g e n angesichts einer Preisgabe gerade der spezifisch christlichen Lehre von der Einheit aller Glieder an „einem Leibe Christi" a u f g r u n d der Taufe. Die Lehre von der „Schöpfungsordnung", die verschiedene Völker und „Rassen" gesetzt habe, sei nicht durch die in der Taufe gesetzte „neue Schöpfung" der Glaubenden aufgehoben. Diesem zwiespältigen, aber letztlich theologisch unverantwortlichen Gutachten der Erlanger Fakultät gegenüber war das M a r b u r g e r nicht nur sachlich überzeugender, sondern auch, durch 5

ThBl 12, 1933, S. 312 ff.

20

Einleitung

Abwehr der Behauptung staatlicher Maximen als für die Kirche ipso facto anwendbar, grundlegend. Erstmalig im Dritten Reich wagte eine Fakultät der Kirche zu sagen, daß es ihr aufgetragen sei, sich einer Politisierung zu erwehren - und zwar weil es ihrem Wesen widerspreche. Die Aktion der Marburger Fakultät unter von Sodens Dekanat wurde sekundiert durch eine Erklärung der Neutestamentler Deutschlands, „Neues Testament und Kassenfrage" (Anhang Nr. II), bei der Bultmann federführend war, die in der Beweisführung von der neutestamentlichen Theologie den Ausgang nahm und im Ergebnis sich mit dem Marburger Fakultäts-Gutachten deckte. Von Soden war gerade als liberaler Theologe aus der Schule Harnacks - unabhängig von der dialektischen Theologie Karl Barths4 der im kirchlichen Kampf führende Universitätstheologe jener Jahre. Da er mit Bultmann gemeinsam von Anfang an (Herbst 1933) zum sog. Pfarrernotbund gehörte, an der die Barmer Theologische Erklärung verfassenden ersten Bekenntnissynode im Mai 1934 teilnahm und Vorsitzender des Bruderrats der Bekennenden Kirche in Kurhessen und Waldeck war, wurde von Soden auch zum Vertrauensdozenten aller der „Bekennenden Kirche" angehörenden Hochschullehrer gewählt (Nr. 14). Bereits vor der Zerschlagung der seiner Zeit durch Karl Barth, Ernst Wolf, Gustav Hölscher und Karl Ludwig Schmidt theologisch relativ homogenen Fakultät in Bonn war die Initiative auf der Fakultätsebene des Kirchenkampfes nach Marburg übergegangen 5 . Freilich wurde nun zugleich bereits Ende November 1933 4

Bei Barth spielte eine Fehlbeurteilung der „liberalen Harnackschule" zeitweilig eine bedauerliche Rolle. In einem Brief an Bultmann vom 20. Juni 1931 schreibt Barth vorwurfsvoll: „Daß Sie sich mit der Neugründung der Theologischen Rundschau mit Hans v. Soden öffentlich an einen Tisch setzen, bedeutet wahrlich implicit auch eine Absage an mich, über die ich doch weder eine persönliche noch eine öffentliche Erklärung von Ihnen verlangt habe noch verlange. Erst recht nicht, seit mir aus Ihrer letzten Publikation (sc. „Krisis des Glaubens") klar geworden ist, daß Sie wirklich sachlich im Entscheidenden mit Hans v. Soden und nicht mit mir zusammengehen und daß eben das, was Sie mit H. v. S. verbindet, das ist, was Sie die ,Offenheit' und den ,Forschungscharakter' der Marburger Theologie nennen" (K. B A R T H / R . B U L T MANN, Briefwechsel, S. 128f.). Im Kirchenkampf hat dann Barth dies ablehnende Urteil grundlegend revidiert (vgl. Anm. 5). 5 Unberührt davon bleibt der enge Kontakt zwischen Bonn und Marburg in der Zeit 1933/34. Es ist nicht auszuschließen, daß aus wohlüberlegten taktischen Gründen man die Initiative von Marburg ausgehen ließ, um sie nicht durch den radikalen „Schweizer" K. Barth belastet sein zu lassen. Herbst 1933 (11./12. November) waren Karl Barth, Gustav Hölscher, Fritz Lieb und Ernst Wolf aus Bonn nach Marburg zu kirchlich-theologischen Besprechungen gekommen. Barth schrieb am 13. Dezember 1933 an Bultmann: „Im Übrigen war ich in einer mich selber überraschenden Weise angetan von Herrn von Soden, mit dem ich wohl noch einmal möchte weiterreden dürfen. Möchte diese Begegnung gute Fortsetzungen finden. Es ist heutzutage ein

Einleitung

21

innerhalb der Marburger Theologischen Fakultät ein theologischer und kirchenpolitischer Dissensus tiefgreifender Art deutlich, der hinfort ein gemeinsames Handeln nicht mehr möglich machte. Der Versuch von Sodens - nach Rücksprache mit den Bonner Kollegen f ü r einen offenen Brief an den Reichsbischof Ludwig Müller möglichst viele Unterschriften von Professoren und Dozenten der Theologie zu gewinnen (Nr. 5 und Anhang Nr. III), scheiterte einmal innerhalb der eigenen Marburger Fakultät, wo lediglich Bultmann und Heinrich Schlier sich mit von Sodens Absicht identifizierten, andererseits an dem Fortgang der kirchenpolitischen Ereignisse, die schließlich die Aktion inopportun werden ließen. In der Tat waren die aus allen Lagern der theologischen Richtungen und Schulen stammenden, in der Bekennenden Kirche vereinten Hochschullehrer ein Unruheherd im Bilde der nach offizieller Meinung „geschlossen hinter dem Führer stehenden" Universitäten geworden, zumal auch Professoren, die nicht formell der Bekennenden Kirche beitraten, je und je sich an Aufrufen beteiligten. So kam es zu dem „Maulkorberlaß" des Preußischen Kultusministers vom 13. Januar 1934, der den Professoren die Beteiligung an „öffentlichen Stellungnahmen gegen die Mitglieder oder die Maßnahmen der Kirchenregierung und die Zugehörigkeit zu Vereinigungen, die sich ihrer Gesamthaltung nach gegen die Kirchenregierung stellen", als nicht vereinbar mit den Pflichten eines Beamten, verbot. Der ministerielle Erlaß bezog sich explicite auf ein „Kirchengesetz vom 4. Januar 1934 (§ 2)", in dem der Reichsbischof jede gegen sein Regiment gerichtete Kritik zu verbieten suchte. Sowohl von Seiten der Greifswalder Fakultät als auch aus der Feder Hans von Sodens waren Protest-Erklärungen gegen diesen Erlaß in Umlauf gesetzt und von etwa 75 deutschen Theologieprofessoren (Nr. 7) unterschrieben worden. Es muß zur Ehre der Marburger Theologischen Fakultät gesagt werden, daß sie zwar nicht vollständig sich beteiligte, aber das Hauptkontingent an Unterzeichnern stellte. Inzwischen war es zu einem von Erich Seeberg vermittelten Empfang der als Vertreter der deutschen Theologieprofessoren auftretenden Herren Ernst Kohlmeyer-Halle, Julius Schniewind-Königsberg, Erich Seeberg—Berlin und Hans von Soden im Reichsinnenministerium zu Berlin am 22. Januar 1934 gekommen. Anstelle des wahres Himmelsgeschenk, einen Tisch voller Leute zu wissen, mit denen man stundenlang von der Leber w e g reden und von denen man ein verständiges Wort immer wieder erwarten kann" (K. BARTH/R. BULTMANN, Briefwechsel, S. 138). Neben Bonn und Marburg hatte damals auch Greifswald eine intakte und aktive T h e o l o g i s c h e Fakultät mit den Professoren Friedrich Baumgärtel, Rudolf Hermann, Joachim Jeremias u.a.m.

22

Einleitung

Staatssekretärs empfing die Genannten der „Rechtswalter" des Reichsbischofs, Ministerialdirektor August Jäger. Dieser bezeichnete alle Opposition als Rebellion gegen die Reichskirchenregierung und lehnte Änderung des Erlasses ab. Über den Verlauf der Gespräche sowie die folgende Auseinandersetzung mit Jäger hat von Soden selbst berichtet (Nr. 7b). Noch einmal ergriff Hans von Soden im Mai 1934 die Initiative zu einer öffentlichen Erklärung von 35 Hochschullehrern über „Bekenntnis und Verfassung in den evangelischen Kirchen" (Nr. 8 und Anhang Nr. IV), die sich gegen die deutsch-christliche Kirchenregierung und ihre Behauptung, nur Fragen der äußeren Ordnung zu regeln, wandte. Ihre Spitze richtet sich gegen das der Evangelischen Kirche aufoktroyierte „ungeistliche Führerprinzip", dessen verhängnisvolle Folgen bereits sichtbar würden: „1. Unter ihm werden vielen Gemeinden Prediger, die in Verantwortung gegen Amt und Gemeinde für die Geltung von Bekenntnis und Ordnung der Kirche eingetreten sind, ohne geordnetes Verfahren durch das Gutdünken des Reichsbischofs genommen. 2. Die freie öffentliche Aussprache in Presse und Versammlung über den christlichen Glauben und seine Auswirkung auf die Ordnung der Kirche wird Gemeinden und Pfarrern als Unbotmäßigkeit verboten und z . T . mit Hilfe weltlicher Gewalt zu unterbinden versucht. . . 3. Sogar das in der Kirchenordnung gesetzte Recht als solches wird von den Trägern des Kirchenregimentes, die zu seinen Hütern bestellt sind, nicht gehalten, sondern gebrochen. Es tut der Ehre der evangelischen Kirche, in der alles ehrbar und ordentlich zugehen soll, Abbruch, wenn staatliche Gerichte und juristische Gutachten den Anordnungen des Reichsbischofs die Rechtsgrundlage absprechen müssen . . ."

Kein Zweifel, daß derartige Verlautbarungen, die als Privatdruck allerorts - nicht zuletzt durch die Unterzeichner selbst, durch die „Theologischen Blätter" wie auch durch die „Junge Kirche" - verbreitet wurden, die Gemeinden wachhielten und das Kirchenbewußtsein stärkten. Die Erklärung ging unter dem 23. Mai 1934 hinaus - eine Woche später folgte die erste Synode der Bekennenden Kirche in Barmen, an der von Theologieprofessoren Karl Barth und Hans von Soden sowie Otto Schmitz-Münster, Friedrich DelekatLeipzig, Rudolf Hermann-Greifswald und Hermann Sasse-Erlangen beteiligt waren. Von Soden verstand seine Aufgabe neben anderem auch darin, dafür zu sorgen, daß nicht die theologische Linie in einen engeren Dogmatismus und falschen Biblizismus einmünde. Es war ja nicht zufällig, daß in Marburg gerade die Vertreter einer kritischen Theologie in der Bekennenden Kirche ihren Platz hatten, wodurch die Frage der Freiheit der Kirche gegenüber einer parteipo-

Einleitung

23

litischen Ideologisierung der schablonenhaften Etikettierung von „orthodox" oder „liberal", „lutherisch" oder „reformiert" entnommen und zu einer Entscheidung über die Verwirklichung christlicher Wahrheit im täglichen Leben wurde. Durch Hans von Soden hierin besonders unterstützt von Bultmann - wurde die „Marburger Theologie" zu einem Regulativ innerhalb der Bekennenden Kirche und zu einem kritischen Block innerhalb der Universität 6 . Am 11. August 1934 erhielt von Soden eine vom 4. August datierte Verfügung des Preußischen Ministers f ü r Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, der zufolge er aufgrund von § 6 des Gesetzes „zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" vom 7. April 1933 in den Ruhestand versetzt wurde (Nr. 10)- obgleich de facto § 6 jenes Gesetzes keinerlei Grundlage f ü r diese Maßnahme bot. Die Rückfrage des damaligen Rektors der Universität nach den Gründen für diese Entscheidung ergab: von Soden sei federführend bei der Erklärung der 35 Hochschullehrer über Bekenntnis und Kirchenverfassung gewesen und am Kampf gegen das Wirken des Rechtswalters der Deutschen Evangelischen Kirche bzw. des Kommissars des Reichsbischofs in der Kurhessischen Landeskirche führend beteiligt. In einem Brief an Geschwister und Verwandte vom 11. August 1934 schreibt von Soden: „Ungeachtet aller Verluste und Bitternisse, die diese Verfügung für mich bringt, kann ich sie nur als ein Stück Klärung der theologischen und kirchlichen Lage begrüßen und erhoffe so auch von ihr mittelbar eine fördernde Wirkung . . . Es ist mir nicht unlieb, daß ich, da ich in der letzten Zeit sehr oft in der Lage war, Pfarrern zu mutigem Bekennen und standhaftem Dulden zuzureden, selbst aus der Sicherheit genommen bin, in der solches Zureden weniger wirksam sein muß" (Nr. 10a). Drei Wochen zuvor war bereits der Ordinarius f ü r Neues Testament in Münster, D. Otto Schmitz, wegen seiner Mitwirkung an Prüfungen der Bekennenden Kirche gemäß § 6 des gleichen Gesetzes in den Ruhestand versetzt worden. Hierzu hatte von Soden eine Solidaritätserklärung f ü r O. Schmitz abgefaßt und Kollegen zur Unterschrift aufgefordert. Diese Aktion übernahm nun schriftführend Rudolf Bultmann und erweiterte sie auf Hans von Soden. Es kam zu etwa 50 Unterschriften eines an den Kultusminister gerichteten Briefes, der eine Nachprüfung und Anhörung der Betroffenen forderte und auf die Verpflichtung des theologischen Hochschullehrers hin-

6 Vgl. K. D. E R D M A N N , Professoren unter Hitler, S. 15. - Die Bekennende Kirche Kurhessens war in Barmen noch durch Pfarrer Dr. Karl Bernhard Ritter und Buchhändler Adolf Sonnenschein, beide Marburg, vertreten.

24

Einleitung

wies, an Kirchenfragen der Gegenwart mitzuwirken 7 . In diese Zeit der Amtsenthebung fällt das Gutachten von Sodens über den Diensteid der Geistlichen (Nr. 11). Bereits am 24. Oktober 1934 wurde die Beurlaubung von Sodens aufgehoben und seine Wiedereinsetzung als Ordinarius angeordnet, zugleich freilich das Amt des Dekans ihm versagt. Als er Anfang November seine Vorlesungen zum Wintersemester eröffnete, wurde er mit einer besonderen Ovation von den Studenten begrüßt. Seine als Erwiderung gegebene Kolleg-Erklärung (Nr. 13) geht auf das Verhältnis von Theologie und Kirche ein und weist die Forderung ab, der Theologe müsse sich um seine Wissenschaft und nicht um die Kirche und ihre Ordnung kümmern. Dem gegenüber heißt es: „Grundsätzlich behaupte ich, daß eine von der Kirche - auch praktisch - sich distanzierende Theologie Theologie nicht ist." Hier wird eine Wende deutlich, die für von Soden zwar bereits seit 1920 durch seine Wirksamkeit als Synodaler in Breslau gegeben war, die aber für die liberal-kritische Universitäts-Theologie ein novum darstellte; für von Soden bedeutete sie: Verzicht auf umfassende wissenschaftliche Publikationen und Beschränken auf kleinere, oft äußerst gewichtige Studien. Zwei Tage nach der Wiedereinsetzung in sein Amt verschickte von Soden unter dem 26. Oktober 1934 als berufener Leiter der Bekennenden Kirche Kurhessen-Waldeck, die sich im August 1934 konstituiert hatte (Nr. 9), einen im Privatdruck hergestellten Rundbrief an die Pfarrer (Nr. 12), der freilich vorher bereits gesetzt war. Praemisse ist: „Eine Anerkennung des gegenwärtig in Kassel amtierenden Kirchenregiments als rechtmäßiger Leitung ist für uns ausgeschlossen, weil seine Träger einer rechtswidrigen Berufung gefolgt sind, weil sie die bekenntnis- und verfassungswidrigen Gesetze des Reichskirchenregiments Müller-Jäger anerkennen . . Grundlage ist: „Ich bekenne mich mit Euch zum Evangelium von Jesus Christus als der Kraft Gottes, selig zu machen alle, die daran glauben, und ich will mit Euch, daß unsere Kirche dies Evangelium ganz und rein verkündigt ohne Abbruch und ohne Zusatz, daß sie ohne Menschenfurcht all ihr Handeln und Ordnen auf dieses eine Ziel richtet, zu dem sie berufen ist." Das Ganze ist ein echter Hirtenbrief mit klaren geistlichen und praktischen Weisungen. Der Tenor ist geprägt von der Einsicht: „Eine bekennende Kirche kann jetzt nur eine kämpfende, eine mit Ernst leidende Kirche sein." Es ergab sich von selbst, daß von Soden, wie kein anderer, Berater für die Kollegen im Kirchenkampf wurde und daß sein Rat besonde7

Vgl. auch das unten Nr. 10, Anm. 5 genannte juristische Gutachten.

Einleitung

25

res Gewicht besaß. In gleicher Weise erhielt jeder Pfarrer und auch jeder damals verfolgte Student, der sich an ihn wandte, individuellen Rat und Hilfe (vgl. besonders Nr. 27b-e). Die Beratung ist m . W . auch niemals mißbraucht worden, von Soden wurde mit einer Ausnahme, die ihn zu einer Kollegerklärung, 1937, veranlaßte (Nr. 23), nicht denunziert, obwohl er aus seinem Pessimismus im Hinblick auf die „deutsche" Z u k u n f t im Dritten Reich keinen Hehl machte und seinen Schülern kritische Distanz dem Staat und der Partei gegenüber empfahl. Da er von Anbeginn an klar erkannte, daß der Nationalsozialismus im Wesen antichristlich war und nicht etwa nur eine gleichgeschaltete, aber christliche Kirche wolle, sah von Soden auch in den Randerscheinungen wie Rosenbergs „Mythus des 20. Jahrhunderts", sowie in Erich und Mathilde Ludendorffs Pamphlet: „Das große Entsetzen - die Bibel nicht Gottes Wort" (1936) die Massenpsyche durch Verfälschungen der Wahrheit vergiftende Gefahren, denen er durch Vorträge und deren private Drucklegung entgegentrat. Die Schrift von Sodens: „Hat Ludendorff Recht?" (1936) wurde in 20 000 Exemplaren vertrieben. Die Schlußsätze lauten: „Die Bibel ist Gottes Wort, weil uns in ihr die Wahrheit Gottes begegnet, die uns freimacht von Selbsttäuschung und Selbstverknechtung jedes eigenen oder auch arteigenen Gotterkennens, von dem Ludendorff redet, und das doch nur ein schweres Gottverkennen ist. An diesem Felsen des Wortes Gottes werden immer wieder zerschellen, die ihn zu stürzen unternehmen. Denn Gottes Wort bleibt in Ewigkeit." Die Spaltung griff tief in die theologischen Fakultäten ein, wie der Brief von Walter Dress über Vorgänge in der Berliner Fakultät, 1935, zeigt (Nr. 16), sowie die folgenreiche Kontroverse in der Gesellschaft für Kirchengeschichte, 1937/38 (Nr. 24), deren zweiter Vorsitzender Hans von Soden war. Enttäuschend war es, daß plötzlich auch in der Marburger Theologischen Fakultät selbst eine Gruppe von Kollegen auftrat, die 1933 noch mit von Soden und Bultmann gegangen war, jetzt aber abrückte. Anfang Januar 1936 erging von ihr aus ein Brief „To the Editor of the Times" (Anhang Nr. VI) mit Beschwerde wegen angeblich einseitiger Berichterstattung über den deutschen Kirchenkampf, die eine Minderheit ( = Bekennende Kirche) als repräsentativ f ü r die Meinung der Christen in Deutschland hinstelle. Das Schreiben wurde in der deutschen Parteipresse sofort begrüßt, mit expliciter Feststellung - hier bedauernd wie im Ausland befriedigt - , daß die Namen von Soden und Bultmann fehlten. Noch bevor der offene Brief in der Times erschien, sprach von Soden einem der unterzeichnenden Kollegen in einem ausführlichen Privatbrief sein Bedauern aus: Man stelle sich als „Unparteiische" hin und

26

Einleitung

müsse sich doch fragen lassen, wo denn der Protest gegen die Einseitigkeit, ja Unterbindung jeder Kritik in der eigenen (sc. deutschen) Presse bleibe (Nr. 19). Freilich konnten vereinzelte Persönlichkeiten wie von Soden nicht den geschichtlichen Ablauf der Dinge hindern, aber es konnte erreicht werden, daß das christliche Gewissen wach blieb und die Gefahr der Gewöhnung an politische Diffamierung und Lügen durch das offene Wort des Bekennens gebannt wurde. Die Theologie-Studenten in Marburg waren schon vor Kriegsausbruch 1939 wohl sicher zu 80% auf Seiten der Bekennenden Kirche, von Soden war f ü r sie das hochgeachtete Vorbild. Auf Freizeiten, die in oberhessischen Dörfern an Wochenenden durchgeführt wurden, stellte er sich ihnen mit anderen führenden Theologen zur Diskussion wissenschaftlicher und aktueller kirchlicher Probleme zur Verfügung 8 . Trotz dieses Vertrauensverhältnisses kam es im Sommer 1938 zu einem kritischen Zwischenfall: Unter dem 6. Mai veröffentlichte das kirchliche Amtsblatt der Evangelischen Landeskirche von Kurhessen-Waldeck eine Verordnung vom 2. Mai 1938, die den Treueid der Pfarrer und Kirchenbeamten auf den Führer anordnete. In der Pfarrerschaft der Bekennenden Kirche entstand Unruhe, weil man eine Uberschneidung mit dem geleisteten Ordinationsgelübde befürchtete. Auf Drängen der Vertrauensleute erteilte von Soden am 12. Mai in einem Rundschreiben (Nr. 27a) den Rat, den bis 1918 von allen Geistlichen dem Landesherrn geleisteten Treueid auch jetzt zu leisten, freilich unter ausdrücklicher Bezugnahme auf das Ordinationsgelübde und dies vor der Eidleistung. Es ist anscheinend in diesem Sinne dann auch gehandelt worden. - Eine Gruppe Marburger Theologiestudenten jedoch meinte, daß hier der status confessionis gegeben und Eidableistung zu verweigern sei, denn dies bedeute eine Auslieferung des Predigtamtes an politische Instanzen. Ihre Maxime lautete: „Wer diesen Eid leistet, unterstellt sein Amt dem staatlichen Beamtenrecht. Er begibt sich damit in eine Staatskirche." Ein entsprechendes Flugblatt Marburger Studenten (Anhang Nr. VII) wurde am 19. Mai 1938 an alle evangelischen Pfarrer Kurhessens verschickt. Der als Akt des Bekennens vollzogene Schritt führte in zwei Tagen zur Verhaftung der sieben Verantwortlichen durch die Gestapo und letztlich zu ihrem Ausschluß von allen deutschen Hoch-

8 Es seien besonders genannt die Theologen Martin Fischer, Günter Jakob, Heinrich Schlier, Peter Brunner und der Philosoph Gerhard Krüger.

Einleitung

27

schulen. Auch hier trat von Soden nachdrücklich für die Studenten ein (vgl. N L I, Eidesfrage 1938 und unten Nr. 27γ. Seine neutestamentliche Forschungsarbeit machte von Soden nutzbar in der Abwehr der Pseudowissenschaft, die glaubte, ein „arisches" Christentum erarbeiten zu können. Exemplarisch ist von Sodens Kritik 10 an dem von der politischen Propaganda empfohlenen Werk von Erich Winkel, das 1937 mit dem Titel erschien: „Das ursprüngliche Evangelium - befreit von den erst nachträglich angebrachten dogmatischen Änderungen und Zusätzen, aus den ältesten Texten der Evangelienhandschrift wiedergewonnen und im Rhythmus des Urtextes wort- und sinngetreu ins Deutsche übertragen. Bd. 1: Das Evangelium nach Markus." Der Verfasser gab vor, einen bisher von der Forschung nicht erkannten oder verheimlichten Text zu „übersetzen". Obgleich bei Winkel genaue Angaben über die von ihm eklektisch aufgenommenen Textzeugen fehlen, hat sich von Soden der großen Mühe der Identifikation jeder eventuell benutzten Handschriften-Vorlage unterzogen 1 1 . Er stellte eine peinliche Anzahl von Ubersetzungsfehlern fest sowie „etwa 750 Stellen", an denen Winkels Ubersetzung vom allgemein geltenden griechischen Text des Markusevangeliums abweicht - und kommt zu dem Schluß: Winkels „Fleiß ist achtbar, seine Kenntnisse sind völlig unzulänglich und historisch-kritische Methode ist ihm ganz fremd . . . Winkel handelt genauso, wie ein Archäologe handeln würde, der bei einer Ausgrabung Stücke beseitigt, die zu der ihm vorschwebenden Rekonstruktion der auszugrabenden Bauten oder Bildwerke nicht passen. Mit demselben Nachdruck, mit welchem für volle Freiheit der Forschung auch in der Geschichte Jesu im Namen der Wissenschaft (und wahrlich auch im Interesse der Kirche!) einzutreten ist, ist jeder tendenziösen Verfälschung der Quellen entgegenzutreten . . .; die Ehre deutscher Forschung und evangelischer Fakultäten an den deutschen Hochschulen erforderte es, die vielberufenen F o r s c h u n gen' Winkels einmal gründlich nachzuprüfen und sie zu erweisen, 9 T r o t z eigener B e d e n k e n gegen d e n W o r t l a u t des R u n d s c h r e i b e n s setzte von Sod e n sich p e r s ö n l i c h ein u n d n a h m mit d e n Eltern d e r S t u d e n t e n , mit d e n verschieden e n K i r c h e n l e i t u n g e n u n d mit J u r i s t e n V e r b i n d u n g a u f , u m s o w o h l den A b s c h l u ß des S t u d i u m s als n a c h d e m E x a m e n die Einstellung zu gewährleisten. Die K o r r e s p o n d e n z von S o d e n s ist charakteristisch f ü r sein u n e r s c h r o c k e n e s u n d keine M ü h e s c h e u e n d e s Eintreten für Studenten. 10 T h B l 18, 1939, S. 6 5 - 8 1 ( = U r c h r i s t e n t u m u n d Geschichte I, S. 2 1 4 - 2 3 8 ) . W i n k e l , d e r s o g a r von der T h e o l o g i s c h e n F a k u l t ä t J e n a den D r . theol. erhielt u n d in Schwerin 1937 im S c h n e l l v e r f a h r e n ein t h e o l o g i s c h e s E x a m e n ablegte, w a r ein fleißiger A u t o d i d a k t o h n e m e t h o d i s c h e S c h u l u n g o d e r R e f l e x i o n . 11 D e m Verf. liegt das d u r c h g e a r b e i t e t e H a n d e x e m p l a r von S o d e n s vor, das v o n d e r Akribie seiner w i s s e n s c h a f t l i c h e n Ü b e r p r ü f u n g Z e u g n i s ablegt.

28

Einleitung

als das, was sie nach dieser Nachprüfung sind, subjektiv: krankhafte Einbildungen, objektiv: verwerfliche Fälschungen." 12 Fast könnte es scheinen, als hätten allein die Tagesfragen der Zeitgeschichte und ihre Einwirkung auf Theologie und Kirche von Sodens Arbeit als Forscher, Hochschullehrer und Kirchenführer bestimmt. Jedoch hinter von Sodens kirchenpolitischem Handeln stand eine spezifische Konzeption vom Sinn der Hochschule und der Aufgabe des Hochschullehrers: einerseits Akademiker für Berufe in Staat und Gesellschaft heranzubilden, anderseits aber vorurteilsfreie und uneigennützige Sachlichkeit durch eigene Entscheidungen vorzuleben. Dabei darf nicht auf den pragmatischen Nutzen der Bekundung der Wahrheit gesehen werden, sondern muß um der besseren Erkenntnis der Sachzusammenhänge und des geschichtlich Wahren willen das Wagnis des Unpopulären getragen werden (vgl. auch Nr. 29). Diesen absoluten Gehorsam gegenüber der Sache, die bei von Soden durch seinen christlichen Glauben und die Kirche als Trägerin von Verkündigung und Tradition gegeben war, lebte von Soden seinen Schülern und Kollegen wie auch den Pfarrern im Amte vor. Dabei war ihm stets bewußt, daß die Wahrheit nicht unzweideutig objektivierbar, nicht abstrakt, sondern konkret und geschichtlich wandelbar ist. Von hier aus ergab sich ihm die große Unvoreingenommenheit und Offenheit im Umgang mit Menschen, die eine andere Auffassung vertraten. Auch nach Niederlegung des Vorsitzes der Kurhessischen Bekennenden Kirche war es ihm nicht gleichgültig, wie man sich in den Bruderräten zu dem 1941 von seinem Freund und Kollegen Bultmann vorgelegten theologischen Programm der „Entmythologisierung" der neutestamentlichen Verkündigung stellte. In einem Brief vom 31. Mai 1942 an Kreispfarrer Heppe-Kirchhain heißt es: „ D i e A u f n a h m e v o n B u l t m a n n s V o r t r a g in d e r B e k e n n e n d e n K i r c h e m a c h t m i r s e h r e r n s t e S o r g e n . . . S e l b s t v e r s t ä n d l i c h s t e h t B . ' s V o r t r a g im G a n z e n wie im einzelnen z u r E r ö r t e r u n g u n d auch d u r c h a u s z u r kritischen E r ö r t e r u n g . N i e m a n d wird eine solche m e h r erwarten und sachlicher aufn e h m e n als e r s e l b s t . A b e r es m u ß d o c h n u n e b e n ein w i r k l i c h e s t h e o l o g i sches G e s p r ä c h sein, das auf die von B. ja wahrlich nicht e r f u n d e n e n Fragen e i n g e h t , die m i t V e r u r t e i l u n g e n e b e n s o w e n i g z u e r l e d i g e n s i n d w i e m i t d e n v o r z u g s w e i s e b e l i e b t e n V e r s c h w e i g u n g e n " (Nr. 34). 12 Die Besprechung hatte zur Folge, daß sich der von den Thüringer Deutschen Christen geförderte Winkel bald aus der Lehre zurückziehen mußte und eine D o r f p f a r r e in Thüringen übernahm. - Als Winkel im Kriege erneut eine persönliche Verbindung mit von Soden durch Korrespondenz suchte, antwortete von Soden freundlich und bestimmt: Winkel müsse seine „verleumderischen A n g r i f f e " vor Aufnahme persönlicher Verbindungen zurücknehmen - was jedoch ohne Echo blieb.

Einleitung

29

Es gibt noch viele in Briefen erfolgte Äußerungen von Sodens zu Bultmanns Programm, das er sachlich gut hieß, nur in seinen Spitzensätzen und an Heidegger sich anlehnenden Formulierungen nicht glücklich fand. Doch ist es ebenso charakteristisch, daß Bultmanns Vortrag über die Entmythologisierung in Alpirsbach innerhalb einer Tagung der „Gesellschaft für Evangelische Theologie"13, die eine Gründung der Bekennenden Kirche war und zum Vorstandsmitglied von Soden hatte (Nr. 32), stattfand, wie auch die Tatsache, daß trotz aller bereits während des Krieges hin und her gehenden Diskussionen, die den Bruderräten viel zu schaffen machten, die Bekennende Kirche stark genug war, dieses Problem der Hermeneutik mit seinen Konsequenzen für die Predigt zu tragen. Es zeigte sich auch, daß gerade die Marburger Theologie sowohl die ausstrahlende Kraft zur Stärkung des Kirchenbewußtseins besaß als auch die sachliche Wahrheitsverantwortung, neue theologische Einsichten auszusprechen und nicht etwa aus taktischen Gründen zurückzuhalten. Auf dieser Basis vermochten von Soden und Bultmann eng zusammenzuarbeiten, auch wenn sie in unterschiedlicher Haltung zur dialektischen Theologie wie auch zur Philosophie Heideggers, eigene Positionen vertraten. Schon im Sommer 1939 hatte von Soden - nach einer ersten Kontroverse, 1937, wegen der Ablehnung einer Kanzelabkiindigung des „Kasseler Gremiums" durch den kurhessischen Landeskirchenausschuß (Nr. 25) - die Zusammenarbeit mit diesem eingestellt (Nr. 30). Er tat dies in tiefer Enttäuschung, weil er ein Stück Brückenschlag zwischen Theologie und Kirche zerstört sah. Noch einmal wandte er sich, am 28. September 1939, nach Kriegsbeginn, als kurhessischer Bruderratsvorsitzender in einem Rundbrief an Pfarrer und Studenten (Nr. 31). Am 8. Februar 1940 legte er dann den Vorsitz im Landesbruderrat der Bekennenden Kirche von Kurhessen-Waldeck nieder, wozu er sich auch aus gesundheitlichen Gründen gezwungen sah (Nr. 30b). Die Zeit zwischen Kriegsbeginn und Rücktritt 1940 hatte von Soden benutzt, um ein von den Thüringer Deutschen Christen in Massenauflage verbreitetes „Volkstestament" zu überprüfen, dessen erster Teil als Evangelienharmonie unter dem Titel „Jesus der Heiland, die Jesusüberlieferungen der drei ersten Evangelien" erschien. In der mir aus dem Nachlaß vorliegenden Erstschrift des dem Dekan der Theologischen Fakultät Marburg unter dem 7. Januar 1940 vorgelegten Gutachtens wird ausdrücklich auf einen von der Fakultät an von Soden ergangenen Auftrag verwiesen. Es scheint mir, daß der 13

Entscheidende Initiatoren waren Pfarrer Joachim Beckmann, später Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, und Ernst Wolf.

30

Einleitung

Plan einer Veröffentlichung bestand, die aber einem politischen Verbot und der zögernden Haltung der Fakultätsmehrheit zum Opfer fiel. Mit einbezogen in das kritische Gutachten ist eine der Konzeption des Volkstestaments zugrunde liegende Arbeit von Walter Grundmann, „Jesus der Galiläer und das Judentum. Leipzig 1940". Aus von Sodens Korrespondenz mit Hermann Strathmann-Erlangen ist zu entnehmen, daß ab 1940 keine theologische Zeitschrift mehr eine gegen das Volkstestament der Deutschen Christen gerichtete, ausführliche und im Effekt vernichtende Kritik bringen konnte. Es gelang schließlich von Soden, seine Arbeit unter dem sachlichen Titel „Die synoptische Frage und der geschichtliche Jesus" in Essen 1941 als Handschrift drucken zu lassen - doch ist anscheinend ein öffentlicher Vertrieb schwer gewesen14. Was den Inhalt angeht, so zeigt sich erneut, wie von Soden seine Professur als Wächteramt in der Kirche auffaßte und hier dem Anspruch offen entgegentrat, als sei das Machwerk auf dem Boden wissenschaftlicher Methoden und Ergebnisse entstanden und könne den Forderungen der wissenschaftlichen Sauberkeit und Wahrhaftigkeit standhalten. Denn auch hier war es die Politisierung der Forschung, die zur Verzerrung des Geschichtsbildes führte, das seinerseits Kriterium für die Revision und Kompilation des „von judenchristlichem Einfluß" gereinigten Evangelientextes war. Um der „Entjudung" der Evangelien willen werden nicht nur tendenziöse Auslassungen vorgenommen, sondern greift man zu Textänderungen, bzw. wird, wie von Soden klar formuliert, „ein gefälschter Text" geboten: „Zitate Jesu aus dem Alten Testament bleiben nur bestehen, wo sie gegen die Juden pointiert sind. Wo im N T Jesus und die Juden dieselbe Sprache sprechen, gestaltet sie das Volkstestament grundsätzlich verschieden und möglichst gegensätzlich. Die Ubersetzung tilgt alles Jüdische aus den Worten Jesu, auch wo es sich dabei nur um Formen seiner Zeit und seines Landes handelt. An Stelle von Sabbat tritt z.B. ,Feiertag' (bei Jesus, nicht bei den Juden); die Worte Sünder, Gerechte, Buße, Demut müssen verschwinden; Namen wie Abraham oder Moses dürfen nicht von Jesus genannt werden" . . . In den Text werden 21 Stellen aus den Apokryphen mit Jesusworten aufgenommen und eingefügt. Die Position des Thüringer Verfassers wird in der Zusammenfassung des Buches über „Jesus" er14 Erfreulich ist das Echo der Bischöfe der Evangelischen Kirche Bayerns, D. Hans Meiser, und Württembergs, D. Theophil Wurm, die mit vielen anderen erkannten, d a ß hier der Kirche ein echter Dienst geleistet wurde. In einem Brief an Martin Dibelius-Heidelberg schreibt von Soden, „daß nicht die Kritik vom Teufel ist, sondern die Kritiklosigkeit" - das habe er in seinen Arbeiten über Winkel und G r u n d m a n n zeigen wollen (NL I, Kollegenkorrespondenz).

Einleitung

31

schlitternd deutlich, wenn Grundmann sagt: „Aus der unserer Zeit geschenkten Erkenntnis der Einheit seelischer Haltung und blutsmäßigen Erbes ergibt sich mit Notwendigkeit (!), daß aller Wahrscheinlichkeit (!) nach Jesus, da er aufgrund seiner seelischen Artung kein Jude gewesen sein kann, es auch blutsmäßig nicht war, w o f ü r wir bei der Frage nach seiner völkischen Zugehörigkeit einige wichtige Gesichtspunkte gewannen, die diese Beobachtung unterstützten." 1 5 Demgegenüber handelte es sich bei Sodens Kritik, die erst nach sorgfältigen Vorstudien 16 formuliert wurde, nicht etwa um übliche Besprechungen, sondern um wissenschaftliche Abhandlungen zu einer Sachfrage, die die Grundlagen der Kirche betraf. Sodens Arbeit geht bis ins Detail der Handschriftenbezeugung, der Frage nach der adäquaten Ubersetzung und den Voraussetzungen der letztlich politischen und rasse-ideologischen Tendenzen, die solche pseudo-wissenschaftlichen Produkte als „deutsche Wissenschaft" heraussetzten. Sodens Schlußergebnis lautet: „Die Herausgeber des Volkstestaments betonen noch besonders, daß sie in einer deutschen Verantwortung ihr Werk tun. Sollte diese eine andere sein können als die, daß das deutsche Volk kein anderes und ärmeres Neues Testament hat als die christliche Welt?" 17 Die Verwicklung von Sodens in den Kirchenkampf seit 1933 im engeren und weiteren Sinn führte dazu, daß er nur in Pausen der Tagesarbeit sein eigentliches Spezialgebiet aufnehmen konnte, die neu15 Jesus d e r Galiläer u n d das J u d e n t u m , S. 205. D i e k o n s t r u i e r t e H y p o t h e s e v o n Jesu A b s t a m m u n g von galiläischen u n d somit n i c h t j ü d i s c h e n Eltern bereits bei E. HIRSCH, D a s W e s e n des C h r i s t e n t u m s (S. 158 ff.) u n d E. JUNG Die H e r k u n f t J e s u im Lichte f r e i e r F o r s c h u n g , die alle z u r ü c k g e h e n auf H . L. STRACK, Jesus, die H a e r e t i ker u n d die C h r i s t e n . - D a in d e r A n p r e i s u n g des Buches von E. J u n g H a r n a c k s Urteil h i e r ü b e r als „ernste, kritische F o r s c h u n g " zitiert w o r d e n w a r , f r a g t e von S o d e n bei A. v. H a r n a c k z u r ü c k . D i e s e r schrieb u n t e r d e m 20. M ä r z 1921: „Ich erinnere mich g e r a d e n o c h , d . h . g a n z s c h l e i e r h a f t u n d d u n k e l , jenes Buches. Was ich d e m Verf. geschrieben h a b e (übrigens ist es u n s t a t t h a f t , einen Privatbrief ö f f e n t l i c h zu b e n u t z e n ) w e i ß ich nicht m e h r . G a n z ausgeschlossen ist es, d a ß ich das Ergebnis seiner F o r s c h u n g e n a n e r k a n n t habe; ich z w e i f l e vielmehr nicht, d a ß ich es ausdrücklich abgelehnt habe [ U n t e r s t r e i c h u n g e n bei v. H a r n a c k ] . H a b e ich die U n t e r s u c h u n g t r o t z d e m als eine e r n s t e F o r s c h u n g b e z e i c h n e t , so b e d e u t e t es eine g r o b e I r r e f ü h r u n g , das U r teil s o a u s z u d e u t e n , als h ä t t e ich das Ergebnis bestätigt; ja auch n u r d e n Schein einer solchen Billigung e n t s t e h e n zu lassen. Bitte, m a c h e n Sie von dieser m e i n e r M i t t e i l u n g , j e d e n I h n e n gut s c h e i n e n d e n G e b r a u c h " . " Es liegen d e m Verf. n o c h an die 100 Blätter von Text-Vergleichstabellen vor, die v o n S o d e n als V o r a r b e i t erstellte. - N i c h t u n e r w ä h n t soll bleiben, d a ß der den T h ü r i n g e r D e u t s c h e n C h r i s t e n z u n e i g e n d e N e u t e s t a m e n t i e r H a n s G e o r g O p i t z - aus d e r Schule H a n s L i e t z m a n n s h e r v o r g e g a n g e n - in einer k u r z e n R e z e n s i o n ü b e r von Sod e n s A b h a n d l u n g schrieb, d a m i t sei „die D i s k u s s i o n ü b e r die von W i n k e l a u f g e w o r f e n e n F r a g e n z u m Text des M k g e s c h l o s s e n " ( T h L Z 65, 1939, S. 350). 17 U r c h r i s t e n t u m u n d G e s c h i c h t e I, S. 213.

32

Einleitung

testamentliche Textkritik. Wenn auch von Sodens kirchenpolitisch brisante Abhandlungen über Winkels erdichtetes Markusevangelium oder über das Thüringer Volkstestament nur auf der Basis der besonderen Kenntnisse der griechischen Handschriftenüberlieferung möglich waren, so handelte es sich dort eben letztlich um eine Abwehr verfälschender Pseudoforschungen, die aus dem Umkreis des antisemitischen „Instituts zur Erforschung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben" hervorgegangen waren, um Kritik an Büchern, die gleichsam den Arierparagraphen in der Bibel durchführen wollten 18 . Daneben aber sind die Arbeiten zu stellen, in denen von Soden nicht polemisch oder apologetisch seiner Spezialforschung in der neutestamentlichen Textgeschichte nachgeht, anknüpfend an seine in Rom gefertigte Habilitationsschrift: „Das lateinische Neue Testament in Afrika zur Zeit Cyprians" sowie an seine Arbeit „Der Lateinische Paulustext bei Marcion und Tertullian" in der Festgabe für Adolf Jülicher (1927). Die gesamte Literatur zur neutestamentlichen Handschriftenüberlieferung und Textgeschichte wurde von ihm verfolgt und durchgearbeitet, wobei er jeweils in etwa 40 in der „Theologischen Literaturzeitung" und im „Gnomon" veröffentlichten Besprechungen eigene Beobachtungen und Lösungsvorschläge beitrug, stets bewußt des hypothetisch bleibenden Versuchscharakters einer Bestimmung des Archetypus der verschiedenen neutestamentlichen Schriften 19 . Der textkritischen Arbeit hatte von Soden sich seit Beginn seines Studiums gewidmet. Durch den frühen und plötzlichen Tod seines Vaters (1914) und die sehr kritische Aufnahme von dessen Lebenswerk, das 1913 im vierten Band mit der Veröffentlichung vom ältest erreichbaren Text des Neuen Testamentes samt kritischem Apparat zum Abschluß gebracht worden war, wurde er mit dessen wissenschaftlichem Erbe in gewisser Weise vielleicht belastet. Seit der großen Textedition der Engländer Westcott-Hort (1881 f.) war dies Werk des Vaters, Hermann von Soden, die erste auf einer großangelegten Handschriften-Kollation basierende Edition des griechischen Textes des Neuen Testamentes gewesen. Es war außer einer Eigenwilligkeit in der Benennung der Bibelhandschriften vor allem der neben dem sog. Koinetext und dem sog. Hesychiustext neu postulierte Jerusalemer Text, welcher auf Widerstand stieß, auch wenn die vermehrte Heranziehung der Minuskeln und der umfangreiche Apparat 18

Als Q u e l l e n m a t e r i a l sei n o c h z i t i e r t : VERBANDSMITTEILUNGEN - INSTITUT ZUR ER-

FORSCHUNG DES JÜDISCHEN EINFLUSSES AUF DAS DEUTSCHE KIRCHLICHE LEBEN, H e f t e 1

(1939) bis 5 / 6 (1941). " Vgl. E. DINKLER, Bibliographie H a n s Freiherr von Soden, 1981.

Einleitung

33

als zuverlässiges Hilfsmittel der Textkritik bejaht werden. Hans von Soden, der mit vielen Neutestamentlern seiner Generation Mitarbeiter an dem Unternehmen gewesen war, hatte schon vor dem Erscheinen des Textbandes seine Zweifel an der textgeschichtlichen Theorie des Vaters gehabt und hat später seine eigene differenzierte Sicht in einem umfangreichen Artikel dargelegt 20 . Die Tatsache, daß die gewiß viel benutzte Edition des Vaters nie ganz akzeptiert wurde, hat auf den Sohn Hans von Soden sich dahin ausgewirkt, daß er sich von aller Wissenschaftsorganisation zurückhielt. Vielmehr ist es symptomatisch, daß von Sodens letzte wissenschaftliche Arbeit zugleich ein praktisches aller Orts mit Dankbarkeit begrüßtes Werk war: die neue Kirchenverfassung f ü r die Evangelische Kirche in Kurhessen-Waldeck, verlesen und angenommen auf der Notsynode in Treysa am 25. September 1945 zusammen mit einer durch von Soden entworfenen Denkschrift. 2 1 Die Verfassung ist aus der Geschichte des Kirchenrechts und den Erfahrungen des Kirchenkampfes herausgewachsen - sie markiert einen Abschnitt der Kirchengeschichte insofern sie erstmalig das Amt des Bischofs einführt und dem Landeskirchenamt voranstellt. Mit dieser Annahme des ein Leben f ü r Kirche und Wissenschaft krönenden Verfassungswerkes wurde der Riß geheilt, der durch von Sodens Ausscheiden aus dem Landesbruderrat 1940 entstanden war. Dem Verfasser dieser Zeilen wurde nach Rückkehr aus der Gefangenschaft 1948 bei seiner ersten Begegnung mit Herrn Bischof Wurm, dem damaligen Ratsvorsitzenden der Ev. Kirche in Deutschland, von diesem mitgeteilt, daß unter den Bischöfen und Kirchenführern der deutschen Landeskirchen Herbst 1945 die Absicht bestand, H a n s von Soden das Amt des ersten Ratsvorsitzenden anzutragen. Von Sodens plötzlicher Tod hat solche Pläne verhindert. Er starb am 2. Oktober 1945 in seinem Arbeitszimmer. Ein Schreiben von Präses Happich schildert die besonderen Umstände, unter denen sich Leben und Wirken von Sodens vollendet hat: „Das neue ,Kirchengesetz betr. die Leitung und Verwaltung' unserer Landeskirche, ist im wesentlichen ihm [von Soden] zu danken. Es ist die reife Frucht seiner Lebensarbeit und Erkenntnisse auf einem bestimmten Gebiet der Kirche. Meinen eingehenden Bericht hat H e r r D. v. Soden noch erhalten und ihn in unendlich großer Freude Besuchern vorgelesen. Als er ihn am 2. des Monats Herrn Prof. D. Bultmann vorgelesen hatte und die beiden Herren darüber sprachen, erlitt H e r r D. von Soden den schweren Herzanfall, der nach einer 20

Text und Textkritik der Bibel. Vgl. ZEvKR 6, 1957/58, S. 183 ff. und A. FÜLLKRUG, Hans von Sodens kirchenrechtliches Werk, S. 325 ff. 21

34

Einleitung

Viertelstunde seinem irdischen Leben ein Ende bereitete. Das ist für uns alle und besonders für Herrn Bischof Wüstemann, der den väterlichen Berater und Freund gerade jetzt besonders nötig zu haben glaubte, ein großer Schmerz. Aber der Dank ûberwiègt alle Trauer."22 Hans von Soden war einer der Pfeiler der Marburger Universität, unbestechlich im Urteil, unermüdlich in persönlichem Einsatz, brillant in der Formulierungsgabe in freier Rede.' Einzigartig war, wie er, Schüler Harnacks und diesem als Historiker kongenial, seine eigene, bis 1914 außergewöhnlich gewichtige wissenschaftliche Produktion geopfert hat für das verantwortliche Wirken für Freiheit in theologischer Forschung und Lehre sowie in der Kirche, auf die die Theologie kritisch ausgerichtet sein muß. Die eigene Freiheit war hierfür Voraussetzung, wie es ausgeführt wird in einem Brief an den Reichs- und Preußischen Minister fiir Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, Bernhard Rust, vom 4. September 1935, in welchem von Soden eine angeforderte „verantwortliche Äußerung" über seine Tätigkeit in der Bekennenden Kirche gibt (Nr. 18): „(Zu der Tätigkeit außerhalb der Universität habe ich) zu erklären, daß ich Mitglied des Pfarrernotbundes, der Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche, ihres Reichsbruderrates und des Landesbruderrates der Bekennenden Kirche in Kurhessen-Waldeck bin . . . Ebenso ist die Wiederherstellung des kirchlichen Friedens ernstes Anliegen der genannten Vereinigungen, denen ich angehöre, und insbesondere Gegenstand meiner eigenen unausgesetzten Bemühungen. Es ist aber nur ein Friede möglich, der dem durch Schrift und Bekenntnis als ihrer unantastbaren Grundlage gesetzten Wesen der Kirche entspricht, sie einer falschen Politisierung entzieht und die eigene Ehre der Kirche in Recht und Ordnung wiederherstellt. Nur so kann unhaltbaren Zuständen ein Ende gemacht werden. Ich hoffe, im Sinne des Herrn Ministers zu urteilen, daß die Zugehörigkeit zu den genannten Vereinigungen mit den Pflichten eines Staatsbeamten vereinbar ist. Für mich ist sie die Erfüllung meiner kirchlichen Treue- und Bekenntnispflicht. Ich kann daher die Mitarbeit an solchen Vereinigungen . . . grundsätzlich nicht einer vorgängigen Genehmigung des Herrn Ministers unterstellen. Der Herr Minister kann der Natur der Sache nach theologische Entscheidungen weder gebieten noch verbieten, und es ist nicht an dem, daß die eigene Verantwortung der Theologie an der staatlichen Zuständigkeit des Herrn Ministers ihre Grenze fände, sondern umgekehrt." Im gleichen Sinne hatte von Soden bereits im März des Jahres sich gegen den Minister-Erlaß vom 28. Februar 1935 gewendet (Nr. 15 und 22 Abschiedswort von Präses Happich an die Mitglieder des ehemaligen Landeskirchenausschusses vom 25. Oktober 1945 (abgedruckt in: H . S L E N C Z K A , Kirche, S . 271 f.).

Einleitung

35

Anhang Nr. V); ebenso antwortete er unerschrocken auf eine Disziplinarmaßnahme, 1936 (Nr. 20), sowie auf die ministerielle Kritik an seinem Einsatz in der Bekennenden Kirche, 1937 (Nr. 26). Handelte es sich hier um die Freiheit des theologischen Hochschullehrers gegenüber dem Staat und seinen totalitär einengenden Gesetzen, so galt es anderseits, die Freiheit der Theologie in der Kirche zu wahren, die aber für von Soden nur Recht und Sinn hatte, „wenn der Kampf um die Freiheit der Kirche gekämpft und gewonnen wird; und die Unklarheit in dem, was man unter Bindung an Schrift und Bekenntnis zu verstehen hat, kann mich nicht daran hindern, oder vielmehr darf mich nicht davon entbinden, für die Geltung von Schrift und Bekenntnis überhaupt in der Kirche zu kämpfen, wenn diese durch andere säkulare Ansprüche bedroht wird. Die Fakultäten haben eine unerhörte Chance, die sich ihnen für die Führung von Kirche und Universität im Jahre 1933 geboten hat, sträflich verkannt und versäumt" (Nr. 19). Blickt man auf das erfüllte Leben von Sodens zurück, so wird man gerade die in Marburg verbrachten zwei Jahrzehnte als die volle Verwirklichung der von ihm vertretenen Grundsätze beurteilen müssen (vgl. hierzu besonders Nr. 33 und 35). Das Ziel einer Universitätsausbildung hat Hans von Soden 1928 als Rektor in einer Weise beschrieben, wie es heute kaum noch realisierbar erscheint: „Der Geistliche, der Richter, der Verwaltungsbeamte, der Arzt, der Lehrer, der Akademiker in Industrie, Wirtschaft, Politik - sie alle müssen befähigt sein, immer neuen Lagen und unendlich individualisierten Fällen und Forderungen durch freie Entscheidung aus dem Charakter der Sache, nicht aufgrund einer Regel, einer Vorschrift, eines Musters gerecht zu werden. Sie müssen das Wissen, das sie anwenden, immer neu erzeugen können; sie müssen für ihr Reden und Tun mit der vollen Verantwortung persönlicher Überzeugung eintreten können, denn es gibt für sie keine Deckung durch andere. Deshalb brauchen sie eine wissenschaftliche Bildung, vielmehr die Bildung durch Wissenschaft. Deshalb scheiden die Hochschulen, wie sie zu ihren Lehrern Forscher berufen, auch bei ihrem Unterricht bewußt und grundsätzlich nicht zwischen solchen, die später selbst die wissenschaftliche Arbeit zum Beruf machen, und solchen, die sich durch sie f ü r einen anderen Beruf rüsten wollen. Die spezifisch wissenschaftliche Bildung kennt keine Stufen, und das Ethos des Forschers muß das jedes Akademikers sein." 23 Erich Dinkier +, Heidelberg 23

S. 3.

D e r Sinn der Hochschule und die Aufgaben des Akademikers der Gegenwart,

DOKUMENTE

1 Erklärung Hans von Sodens in der Vorlesung [Marburg] 1933 Mai 4 NL I, Kollegerklärungen. - Maschinenschriftliche abdruck in Nachlaßblätter 21-23.

Ausfertigung.

- Teil-

In der Vorlesung 1 über Geschichte der christlichen Kirche im Zeitalter der Reformation und Gegenreformation, die ich heute eröffnen darf, haben wir einen Abschnitt großer Vergangenheit zu betrachten, in dem sich die Fäden der Geschichte unseres Glaubens mit denen der Geschichte unseres Volkes besonders eng verschlingen, in dem religiöse und politische Faktoren aufs stärkste in einander wirken. Durch die Reformation ist die evangelische Kirche mit der deutschen Nation geschichtlich fest verbunden. Diese Erinnerung läßt es wohl gerechtfertigt, ja geboten erscheinen, ein Wort zu sagen zu der besonderen Lage der Gegenwart, in der wir in diesem Semester unsere Arbeit beginnen. Als Professor hat man zu seinen Studenten zu reden und zu reden in voller Freiheit und Aufrichtigkeit; wie Sie sich zu dem Gehörten stellen, wenn Sie es gehört haben, steht dann ganz in Ihrer Freiheit. Wir beginnen dies Semester, während in unserem Volke noch eine Revolution im Gange ist, die von ihren Führern bei mehr als einer Gelegenheit mit der Reformation verglichen und als eine neue Reformation verkündigt worden ist. Man kann, wie immer man zu den Männern, welche die Verantwortung tragen, und zu den Ereignissen, welche sich vollzogen haben und weiter vollziehen, stehen mag, ja nur von Herzen wünschen, ja vielmehr man muß unter Hintansetzung aller persönlichen Empfindungen und Urteile sein eigenes Bestes d a f ü r einsetzen,

1

Erste Vorlesung nach der nationalsozialistischen Machtergreifung. - Am oberen Rand des ersten Blattes findet sich folgender handschriftlicher Zusatz: Bitte zurück! Kritik an diesen Äußerungen wurde mir nicht bekannt. Zustimmung mehrfach. vS. - Die Angabe einer Publikation in ThBl (12, 1933) bei E. DINKLER (Hans Freiherr von Soden, S. 503, Anm. 4) beruht auf einem Druckversehen.

38

Dokument 1

daß diese Revolution in der Tat eine Reformation werde. Denn wahrlich, wir brauchen eine solche; (auf sich erhebenden Beifall wird eingefügt: Ich wäre dankbar, wenn Sie das, was ich sagen möchte, ruhig anhören würden; es könnte doch auch sein, daß solche unter uns sind, die dem nicht zustimmen können, was ich sage, und ich möchte nicht, daß sich hier, in einem Hörsaal der Universität, jemand unterdrückt fühlt.) es wäre schlimm, wenn es aus dieser Revolution nicht zu einer Reformation käme, es wäre sehr schlimm, wenn so große Anstrengungen, so schwere Opfer vergeblich blieben. Zum Geschehenen gibt es keine Neutralität, sondern nur die Verpflichtung, tätig zu wirken, daß es gut ausgehe. Wenn bei dem Vergleich mit der Reformation heute zunächst an eine nationale Reformation gedacht ist, an die Wiederherstellung, die Erneuerung völkischer Gesinnung und Bewußtheit, nationaler Einheit, Reinheit und Kraft, an die Sprengung äußerer Fesseln und die Uberwindung innerer Spaltungen, so kann doch nicht verkannt werden und wird auch nicht verkannt, daß eine Glaubenserneuerung Seele und Gewissen politischer und nationaler Reformation werden muß, wenn es dabei nicht zu einem bloßen Wechsel, zu einem Sichauf die andere Seite-legen, sondern zu einer wirklichen Wendung kommen soll. Hier gilt nun freilich der Bibelspruch, daß die Gottesherrschaft - der Spruch meint: die Übernahme der Gottesherrschaft, und in der Tat ist Glauben ja gar nichts anderes als Gottes Herrschaft erkennen und im Richten des eigenen Tuns und über das eigene Tun anerkennen - , daß die Gottesherrschaft nicht in Worten steht, sondern in Kraft 2 . Und man kann das somit auch vom Nationalen sagen, daß es nicht in Worten steht, vor allem nicht in Schlagworten, sondern in Kraft, daß Deutsch nicht eine Parole, sondern ein Charakter ist. Man ist nicht deutsch, dadurch daß man für sich den Anspruch erhebt, es zu sein, sondern dadurch, daß man sich dazu bildet und erzieht, deutsch zu werden, und sich darin bewährt. Man wird auch nicht dadurch deutsch, daß man anderen das Recht, sich zum Deutschtum zu bekennen, und gar das Recht, deutsch zu sprechen und zu schreiben, abspricht. Unserem deutschen Volk ist durch natürliche und geschichtliche Bedingungen sein Nationwerden, mit einem modernen Ausdruck: seine Integration zur Nation, besonders schwer gemacht. Ein ernstes Problem dabei ist auch das in unserem Volk lebende Judentum, ein Problem, das freilich auch die anderen Nationen der Welt kennen, das aber bei uns seine besonderen Schwierigkeiten hat, die man im Ausland nicht so kennt oder nicht 2

1. Kor 4,20.

Dokument 1

39

kennen will und die sich in der Entwicklung der letzten Jahre zum Teil empfindlich zugespitzt haben. Man soll hier nicht nur klar sehen, sondern in Gefahr auch entschlossen handeln. Aber mit Gewalt ist das Problem nicht zu lösen, und durch Unrecht wird es nur unendlich verschärft. Das kern- und wurzelhaft Deutsche soll sich auswirken aus eigener Wesenskraft, durch die Treue gegen sich selbst und die eigene Art - auch bei der Verwaltung unseres Staates, nicht durch Kränkung von Menschen anderer rassischer H e r k u n f t und anderen - tragischen - Schicksals, die ihre Geschichte zu Bürgern unseres Staates und Genossen unserer Kultur gemacht hat, nicht durch Verfolgung von Menschen dafür, was sie sind, ohne Unterschied dessen, was sie tun. Gewiß, es mag unvermeidliche Härten geben; sind aber wirklich alle Härten, die wir sehen, unvermeidlich? Gibt es nicht auch unveräußerliche Gebote - wenigstens für Christen? Die Bibel ist ein Buch, das ins Deutsche erst übersetzt worden ist - von Luther, wie wir wissen - ; f ü r deutsche Christen bleibt sie, denke ich, das Buch der Bücher. Und wer die Wahrhaftigkeit gegen die Lüge beschwört, soll sich wohl fürchten, daß er dabei nicht unwahrhaftig werde; es gibt einen, der über solchen Schwüren wacht. Vollends dürfen wir wohl hoffen, daß bald aufhöre die Verdrängung und Verdächtigung von deutschblütigen Volksgenossen, die über das, was unserem Volk nottue, anders denken, aber national guten Willens sind. Sollen denn bald wieder neue Risse über die alten laufen, die sich schließen wollen? Vielleicht versteht man doch, daß eine kritische Haltung zu manchen Vorgängen oder Forderungen dieser sturmbewegten Tage nicht aus geringerem Eifer um die Nation entspringen könnte, sondern aus größerer Sorge um sie. Darüber müssen wir endlich lernen, uns zu vertragen, und aufhören, uns zu verachten. Der nationale Staat braucht selbständig denkende Mitarbeiter, die gerade und treu sind; mit Herden von Mitläufern, die Furcht, Vorteil oder Schwärmerei treiben, ist ihm nicht geholfen. Es ist deutlich, daß in der neuen Bewegung auf weitere Durchbildung zur Nation mit ihren mächtigen Antrieben und ihren ernsten Gefahren für Echtheit und Reinheit auch der evangelischen Theologie, die wir studieren, und der evangelischen Kirche, für deren Dienst im geistlichen Amt oder im Religionsunterricht wir uns bereiten, eine besondere Aufgabe und Verantwortung zufällt: der Mitarbeit, aber nicht des Mitmachens, der Führung, nicht des Nachlaufens, nicht der Neutralität, aber der Wachsamkeit. Man darf hierzu wohl beide Teile, Kirche und politische Bewegung, an ein gutes Wort Adolf Hitlers erinnern: „Es ist nach den bisherigen Erfahrungen der Geschichte noch niemals einer rein politischen Partei gelungen, zu einer religiösen Reformation zu kommen" und „dem politi-

40

Dokument 1

sehen Führer haben religiöse Einrichtungen und Lehren seines Volkes immer unantastbar zu sein." 3 In der Tat, wenn es das gute Recht des Gedankens der Nation ist, sich durchzusetzen auch gegen die ihre Einheit gefährdenden Sonderungen von Konfessionen, so ist es ebenso das gute Recht des Gedankens der Konfession, die Wahrheiten und Werte hochzuhalten, die sich in den Schranken der Nation nicht fassen lassen und doch dem Leben der Nation unentbehrlich sind. Der wirklich nationale Staat wird hier die Freiheit geben und schützen, die seiner Kraft würdig und seinem Frieden dienlich ist. Dies gilt, was uns hier ganz besonders angeht und mir daher als Letztes in diesen Bemerkungen am Herzen liegt, auch von der Wissenschaft. Man fordert heute stürmisch die Politisierung der Hochschule und stellt den politischen Studenten, der der Volksgemeinschaft verhaftet ist, dem individualistischen Vorkriegsstudenten, der seine Berufsausbildung erwerben wollte, entgegen. Das sind zunächst Schlagworte, bei denen es auf die richtige Bestimmung des Gemeinten und vor allem des Gesollten ankommt. Die deutsche Hochschule ist niemals in dem Sinne unpolitisch gewesen oder geworden, daß ihr nicht die nationale Verantwortung ihrer Arbeit klar und wichtig gewesen wäre. Steht doch ein Fichte am Eingang ihrer neuzeitlichen Entwicklung; die deutschen Hochschulen sind die Träger des nationalen Einheits- und Freiheitsgedankens im ganzen 19. Jahrhundert gewesen; die großen deutschen Historiker sind immer Politiker gewesen, nicht immer glückliche, aber immer von Herzen deutsche; der „individualistische Vorkriegsstudent", den die deutschen Hochschulen erzogen haben, erzogen haben im sog. liberalistischen, wilhelminischen Zeitalter, hat sich bei Langemarck bewährt. In der Nachkriegszeit sind die Hochschulen immer wieder in erster Linie Hort des nationalen Widerstandes in Zeiten nationalen Druckes oder nationaler Unsicherheit gewesen und haben so manches deshalb auch gelitten. Ich kann nicht für recht halten, daß sich die Professoren der Marburger Hochschule von dem Führer der gegenwärtigen Marburger Studentenschaft bei der akademischen Feier vorgestern sagen lassen mußten: „Wir - die Studenten - werden die Hochschule wieder deutsch machen". Unsere Hochschulen sind deutsch und erziehen deutsch. Ist doch auch das Ansehen deutscher Wissenschaft einer der stärksten Aktivposten in der deutschen Weltund Auslandsgeltung geblieben, an dessen innerem Gehalt alle Versuche der feindlichen Länder, deutsche Wissenschaft zu diffamieren

3

A. HITLER, Kampf (9. Auflage 1932) S. 127.

Dokument 1

41

und zu boykottieren, kläglich gescheitert sind. Lassen Sie uns zusehen, daß wir hier nicht verlieren, was wir noch haben. Daß dazu an den deutschen Hochschulen nicht nur erhalten, sondern auch entwickelt werden muß, daß nicht nur zu konservieren, sondern auch zu reformieren ist, das wissen wir und dürfen hoffentlich daran nun arbeiten. Wenn die öfter - und mit Recht - beklagte geringer gewordene öffentliche Geltung der Hochschulen in Deutschland selbst auch keineswegs nur an den Hochschulen liegt, sondern sehr erheblich am Unverständnis dessen, was sie leisten sollen und können, so haben sie doch Ursache, manchen Zopf abzuschneiden und manches Neue freundlich aufzunehmen. Sie sollen gewiß nicht in allem bleiben, wie sie sind, sie müssen aber unveräußerlich bleiben, was sie sind. Dazu gehört, daß wir keine Politisierung der deutschen Hochschulen zulassen, die der an ihnen hochgehaltenen Wahrheitsforschung Schranken eines zeit- oder parteipolitischen Dogmas auferlegt. Gewiß sind die Losungen von der „Freiheit der Wissenschaft" oder die jetzt oft so verächtlich abgetane von der „Voraussetzungslosigkeit der Wissenschaft" wie alle menschlichen Losungen zweideutig und einem Mißverständnis, auf Grund dessen auch einem Mißbrauch, ausgesetzt. Vernünftiger und sittlicher Weise kann man unter Freiheit der Wissenschaft nichts anderes verstehen, als daß jede, schlechthin jede Behauptung sich die wissenschaftliche Prüf u n g ihres Wahrheitsanspruchs gefallen lassen muß, und unter Voraussetzungslosigkeit nichts anderes, als daß sich die Wissenschaft keine Voraussetzungen von außerhalb ihrer selbst diktieren läßt, sowenig im Namen der Konfession wie in dem der Nation wie in dem heute besonders oft beschworenen der Generation; denn im Namen dieser Mächte geschieht das oder droht zu geschehen; die wirklichen Voraussetzungen, die Konfession, Nation oder Generation in der Tat bedeuten, die geschichtliche Bedingtheit durch ihren Charakter und die Verantwortung vor ihrem Recht, machen sich aus eigener Kraft geltend, sind aber eben in ihrer jeweiligen Erscheinung immer wieder zur Prüfung zu stellen, nicht um sie auszuschalten, sondern um sie zu erkennen. Denn sie sind lebendige Mächte und werden gerade da verkannt oder verleugnet, wo sie in dogmatischer Starrheit gefaßt werden. Zu dieser Haltung bestimmt uns nicht ein an theoretischer Erkenntnis sein Vergnügen findender hohler „Intellektualismus" - übrigens wieder ein zweideutiges Schlagwort! Denn Gott hat uns Intellekt, „Vernunft und alle Sinne" 4 , gegeben, damit wir sie gebrau4

M . LUTHER: D e r K l e i n e K a t e c h i s m u s ( 1 5 2 9 ) . I n : W A 3 0 / 1 , S . 2 9 3 , 1 8 .

42

Dokument 1

chen, und was man mit einem gewissen Recht im abschätzigen Sinn Intellektualismus nennen könnte, ist eigentlich nie intelligent. Zu dieser Haltung bestimmt uns vielmehr die echte Sorge um das Leben; denn das Leben hängt darin, wie weit es wirklich Leben ist, letztlich davon ab, wie weit es Wahrheit erkennt und, mit dem charakteristischen Sprachgebrauch der Bibel zu reden, Wahrheit tut. Man kann es sich an dem, was uns in diesem Semester beschäftigen soll, dem Studium eines Stücks bedeutsamster religiöser und nationaler Geschichte, unmittelbar klar machen. Denn auf zweierlei Weise kann man das Studium der Geschichte auf das Leben beziehen. Einmal so, daß man in der Geschichte Beispiele des Lebens studiert, aus denen man selbst f ü r das eigene und gegenwärtige Leben lernen kann. So sehr die Betrachtung der Geschichte als Erfahrungsbeispiel unter bestimmten Schranken steht, weil das große und eine Leben der Geschichte sich nicht in Typen erfüllt, und weil alle Vergleichbarkeit stets eng begrenzt ist, so wird doch der denkende Mensch sich diese Betrachtung niemals nehmen lassen, auf die zum Beispiel auch Luther großen Wert gelegt hat. So mögen wir denn auch in diesen Stunden f ü r die Reformation, die wir im 20. Jahrhundert wünschen, manches lernen können aus dem forschenden Studium der Reformation, die wir im 16. Jahrhundert gehabt haben. Weit wichtiger und durchaus entscheidend ist die zweite Weise, das Studium der Geschichte auf die eigene Gegenwart zu beziehen, nämlich in diesem Studium sich der Bedeutung des Geschehenen, der im Geschehen unwiderruflich gefallenen Entscheidungen f ü r das eigene Leben, nicht nur des Einzelnen, sondern noch viel mehr des Volkes und der Kirche, bewußt zu werden; zu erkennen, wie wir dadurch bedingt und verpflichtet sind, was damit über uns entschieden und von uns gefordert ist. Denn diese geschehene Geschichte ist das über uns verfügte Schicksal, das wir auf uns zu nehmen haben auch die Geschichte dieser Tage ist das durchaus - , und alle Freiheit persönlicher Entscheidung ist dadurch insoweit bestimmt, als sie nur auf der Grundlage der Anerkennung des Geschehenen als f ü r uns verbindlich zwischen den uns dadurch gegebenen Möglichkeiten wählen kann. Die Bestimmtheit unser selbst und zwar gerade unserer Gemeinschaft in Nation und Kirche zu erkennen, ist das eigentlich Wesentliche am Studium der Geschichte. Und es liegt doch nun wohl auf der H a n d , daß f ü r beide Weisen, die Geschichte auf unser Leben zu beziehen, die möglichst zutreffende, wahrheitsgemäße Erkenntnis des Geschehenen - und so auch des in diesen Tagen Geschehenden - von höchster, entscheidender Bedeutung ist. Sonst halten wir ja f ü r Erfahrung, was Erfahrung gar nicht ist, und f ü r Bedingung und Verpflichtung, was es nicht ist, und

43

Dokument 2

verfehlen unsere Aufgabe und Verantwortung. Man kann, darin hat die Kritik an dem Standpunkt der Voraussetzungslosigkeit ganz recht, Geschichte nur erkennen, wenn man sich ihr verhaftet weiß, sich vor ihr zu verantworten entschlossen ist; aber man kann sie eben auch nur erkennen, und das ist wiederum der richtige Gedanke an der Voraussetzungslosigkeit, wenn man um jeden Preis und ohne jede Rücksicht die Wahrheit sucht, wenn man der Geschichte, der man gehorchen will, nicht vorher vorschreibt, was sie sagen und fordern darf. Das bedeutet nicht Skepsis, aber allerdings Kritik, eine Kritik, die letztlich immer Selbstkritik und eben deshalb oft so schwierig ist, eben deshalb immer neu vollzogen werden muß. Diese kritische, selbstkritische Funktion ist die der Wissenschaft, die nicht handelt, aber zum Handeln erzieht, weil sie dem Menschen zur Erkenntnis seiner Möglichkeiten hilft, die dann der Entschluß besonnen, aber auch beherzt ergreifen muß. Deshalb lassen Sie uns in diesem bewegten Semester ruhig und ernsthaft arbeiten, was uns obliegt; das ist das Beste, was wir f ü r den nationalen Staat tun können, weil es uns in ihm befohlen ist.

2

Hans von Soden an Gustav Hölscher Marburg 1933 Juni 3 NL I, Korrespondenz Kollegen (ab 1933). - Durchschlag. Lieber Freund 1 ! Ich beeile mich, Ihren Brief von gestern 2 zu beantworten. Die Gerüchte, auf die Sie sich beziehen, haben keine Grundlage in Tatsachen. Es liegt in der Natur der Dinge, daß wir hier f ü r Wünsch und Hermelink gefürchtet haben 3 . Aber es ist hier nie notorisch geworden, daß Ihre Stellung gefährdet sei. Ich war am 28. April zu einer Besprechung wegen der Vertretung unserer praktischen Professur im

1

Gustav Hölscher (1877-1955), oProf. fur Altes Testament in Bonn. Nicht erhalten. 1 Georg Wünsch (1887-1964), oProf. für Ethik, Sozialethik und Apologetik und einer der theologischen Wortfiihrer der religiösen Sozialisten; Heinrich Hermelink (1877-1958), oProf. für Kirchengeschichte und aus der demokratisch-liberalen Schule Friedrich Naumanns kommend, beide an der Theologischen Fakultät Marburg. 2

44

Dokument 2

Ministerium und erlaubte mir dabei an Achelis 4 (von dem ich übrigens persönlich einen guten Eindruck hatte) die Frage zu stellen, ob außer den bereits bekannt gewordenen Beurlaubungen in Marburg (Röpke und Jakobsohn) 5 noch weitere, insbesondere auch etwa in der theol[ogischen] Fakultät in Aussicht genommen seien. Achelis erwiderte, daß er mir persönlich, nicht dienstlich, darauf sagen könne, daß dies nicht der Fall sei. Er fügte hinzu, daß die Regierung „aus naheliegenden Gründen" Theologen gegenüber ganz besonders zurückhaltend sei; es sei - wie er von sich aus sagte - niemals daran gedacht worden, Karl Barth zu beurlauben 6 ; schwierig sei der Fall KLSchmidt, aber nur wegen dessen rein politischer Betätigung außerhalb seiner Professur 7 . Ich dankte und bat, dringend raten zu dürfen, die Stellung der Hochschulen zur neuen Regierung, soweit es dieser nur irgend möglich sei, nicht durch Akte zu belasten, die [die~\ Freiheit der Hochschullehrer unsicher machten oder den Schein von Konzessionen an die politisch erregte Studentenschaft aufkommen ließen. Darauf äußerte sich A[chelis] mit scharfem Urteil über das Vorgehen der Studentenschaft in Kiel 8 . Bei dieser von mir festgestellten Lage der Dinge hatten wir bisher keinen Grund, die Frage der Solidarität mit in ihrer Stellung etwa gefährdeten Kollegen zu prüfen. W i r würden selbstverständlich für deren Lehrfreiheit jederzeit nachdrücklich eintreten, während die rein politische Betätigung einzelner etwa bei Wahlreden oder dergl. natürlich nicht von vornherein die Fakultät solidarisch machen könnte. Persönlich kann ich nur dringend raten, wenn bei Ihnen Schwierigkeiten drohen, auf der Basis des Vertrauens mit dem Ministerium 4 Johann Daniel Achelis (1898-1963), 1933-34 Ministerialrat im Preußischen Ministerium fur Wissenschaft, Kunst und Volksbildung. 5 Wilhelm Röpke (1899-1966), oProf. fiir Staatswissenschaft und Hermann Jacohsohn (1879-1933 [Freitod]), oProf. fur Indogermanische Sprachwissenschaft, beide in Marburg, wurden aufgrund des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" vom 7. April 1933 (REICHSGESETZBLATT 1933, 1, Nr. 34) beurlaubt. 6 Karl Barth (1886-1968), oProf. fiir Systematische Theologie in Bonn. Barths Stellung war aufgrund seiner SPD-Mitgliedschaft gefährdet (vgl. E . B U S C H , Karl Barths Lebenslauf, S. 237f.). 7 Karl Ludwig Schmidt (1891-1956), oProf. fur Neues Testament in Bonn und Herausgeber der „ Theologischen Blätter" war langjähriges Mitglied der SPD und bis zum 21. April 1933 (Mandatsniederlegung) sozialdemokratischer Stadtverordneter in Bonn. Er wurde am 15. September 1933 aufgrund von § 4 des genannten Gesetzes (vgl. Anm. 5) entlassen. 8 Möglicherweise meint von Soden hier die Aktion der studentischen Mitglieder der NSDAP und des NSDStB an der Universität Kiel, die zu Beginn des Sommersemesters 1933 jüdische Dozenten und Studenten am Betreten der Hochschule gehindert haben (vgl. K. D. E R D M A N N , Professoren unter Hitler, S. 15; zur Vorgeschichte: H. M U L E R T , Baumgarten).

45

Dokument 3

zu verhandeln und von diesem S c h u t z zu erbitten. - Die Vorlesungen sind hier bisher ungestört verlaufen, und auch sehr offene Erklärungen von Bultmann 9 , mir 10 und anderen sind durchaus gut aufgenommen worden. - Sehr ernst scheint mir f ü r die Fakultäten die kirchliche Lage zu sein; Sie kommen hoffentlich am nächsten Montag nach Berlin 11 oder jedenfalls sollte Ihre Fakultät diesmal nicht unvertreten sein 12 . Mit herzl[ichen] Grüßen in Eile Ihr

v. S.

3

Briefwechsel über freiwillige Amtsniederlegung von Theologieprofessoren 1933 Juli

a) Hermann Mulert an Hans von Soden, Martin Rade und Wilhelm Schubring mit zwei Anlagen Kiel 1933 Juli 3 NL I, Korrespondenz Kollegen (ab 1933). - Maschinenschriftliche fertigung.

Aus-

Liebe Freunde 1 , man kann meinen, heute dürften wir keinen Platz freiwillig räumen. Aber wenn die Politik der Regierenden in bisheriger Art weitergeht, wird wahrscheinlich mancher von uns bald beurlaubt werden, und f ü r diesen Fall ist es mir schon lieber, mich wenigstens einigermaßen aktiv noch am Kampfe beteiligt zu haben. Vor allem: können wir es verantworten, daß zwar einige Leute von andren Fa9 Rudolf Bultmann (1884-1976, oProf. fur Neues Testament in Marburg): Die Aufgabe der Theologie in der gegenwärtigen Situation (vorgetragen zur Einleitung der Vorlesung am 2. Mai 1933). / n . T h B l 12, 1933, S. 161-166. 10 Vgl. oben Nr. 1. 11 Zum dort am 12. Juni stattfindenden Fakultätentag (vgl. dazu F. BAUMGÄRTEL, Stellung). 12 Handschriftlicher Zusatz / D i e obigen Ausf [ iihrungen] über mein Gespräch mit A. bitte ganz vertraulich behandeln. Keinesfalls darf darauf bei etw[aigen] Verhandl[«wgen] in B[er]l[i]n Bezug genommen werden. 1 Martin Rade (1857-1940), emerit. oProf. für Systematische Theologie in Marburg; Wilhelm Schubring (1875-1945), Generalsekretär des Protestantenvereins in Berlin.

46

Dokument 3

k u l t ä t e n p r o t e s t i e r e n d ihr A m t a u f g e g e b e n h a b e n 2 , aber v o n u n s T h e o l o g i e p r o f e s s o r e n keiner, auch n a c h d e n n e u e s t e n E i n g r i f f e n in die K i r c h e n 3 nicht? S o w a r ich e n t s c h l o s s e n , da ich v o n d e n f ü r g e stern a n g e s e t z t e n V e r h a n d l u n g e n n i c h t s erwartete, b e i f o l g e n d e s S c h r e i b e n a b z u s e n d e n , w e n n Sie u n d die w e n i g e n F r e u n d e , die ich hier n o c h f r a g e n will, m i c h n i c h t ü b e r z e u g t e n , es sei unrichtig. N a c h d e n n e u s t e n N a c h r i c h t e n w e r d e ich a b w a r t e n , w a s in Berlin h e r a u s k o m m t , s e n d e I h n e n aber f ü r alle Fälle d e n T e x t s c h o n z u . M i t u n s r e m K u r a t o r s p r e c h e n w ü r d e ich, w e n n die S a c h e i n z w i s c h e n klarer g e w o r d e n ist, D i e n s t a g . V o n d e n B r i e f e n an H i n d e n b u r g u n d H i t l e r v e r s p r e c h e ich mir k e i n e W i r k u n g . Mulert4

H e r z l i c h Ihr D e n H e r r n Minister

bitte ich, nach Ende dieses Semesters mich zu beurlauben oder von meinen amtlichen Pflichten zu befreien. D e r G r u n d ist nicht der, aus dem ich im vorigen J a h r um U r l a u b f ü r ein Semester bat: d a ß ich, seit langer Zeit mit Schleiermacher beschäftigt, gern vor dem nächsten Jahr, in das sein 100. Todestag fällt, zu Arbeiten über diesen M a n n freier sein möchte, besonders z u r Fortsetzung der Diltheyschen Biographie, deren ersten Teil ich neu herausgegeben habe 5 . Ich glaube, d a ß Sch[leiermachei] gerade heute uns wieder viel zu sagen hat; aber w e n n ich diesen U r l a u b aus prinzipiellen G r ü n d e n nicht erhielt, so achte ich diese Gründe. Sondern was mich heute zu diesem Gesuch bestimmt, ist die Lage der deutschen evangelischen Kirche. O b u n d wie Professoren der T h e o l o g i e auch rechtlich der evangelischen Kirche eingeordnet sein sollen, d a r ü b e r besteht Meinungsverschiedenheit. Zweifellos besteht aber enge innere Z u s a m mengehörigkeit. Wir Professoren dienen der Kirche, indem wir ihre k ü n f t i gen D i e n e r heranbilden, sie also auch zu der gewissenhaften Selbständigkeit anleiten, die f ü r den V e r k ü n d e r des Evangeliums Pflicht ist. D a ß die Verk ü n d i g u n g des Evangeliums nicht beengt werden soll, ist bei den letzten staatlichen Maßregeln gegenüber der evangelischen Kirche versichert w o r den. Es g e h ö r t aber z u r V e r k ü n d i g u n g des Christentums auch, daß man gegen U n r e c h t k ä m p f t , das hier u n d da geschieht. Die Freiheit dazu ist heute

2

(vgl. 3

Ζ. B. Eduard Spranger (1882-1963), dazu

oProf. fiir Philosophie und Pädagogik in Berlin

G L A N Z UND N I E D E R G A N G , S . 1 1 4 0 )

u.a.

Die Einsetzung des Leiters der Kirchenabteilung im Preußischen Kultusministerium, Landgerichtsrat August Jäger (1887-1949), als Staatskommissar fiir sämtliche evangelische Landeskirchen Preußens am 23.124. Juni 1933 mit der Beurlaubung fast des gesamten EOK der APU und der Generalsuperintendenten Martin Schian (Breslau) und Otto Dibelius (Kurmark). 4 Hermann Mulert (1879-1950), oProf. fiir Systematische Theologie in Kiel. S W. DILTHEY: Leben Schleiermachers I. 2. Auflage. Berlin 1922.

Dokument 3

47

nicht mehr ausreichend da. Außerdem halte ich die Art, wie jetzt der Staat in innere Angelegenheiten der evangelischen Kirche eingreift, nicht für berechtigt. Daß in außerordentlichen Zeiten das formale Recht bisweilen hinter Erwägungen der Gerechtigkeit und des Volkswohls zurücktreten muß, weiß auch ich, aber die neuesten Vorgänge dienen m. E. weder dem inneren Frieden des evangelischen Volksteils noch der Erhaltung einer evangelischen Volkskirche. Diese meine Denkweise würde ich, wenn auch die Vorlesungen und Übungen, die ich in diesem Semester halte, andren Gegenständen gelten, auf die Dauer den Studenten nicht verschweigen können noch wollen. Ich würde manchen damit in innere Konflikte bringen. Es würde mir nicht leicht werden, aus einer Lehrtätigkeit zu scheiden, die ich länger als ein Vierteljahrhundert mit Freude ausgeübt habe. Ich nehme aber an, daß ihre Fortsetzung bei meiner dargelegten Einstellung dem Ministerium nicht erwünscht ist. Meine Behörde hat Anspruch darauf, daß ich ihr diesen Sachverhalt darlege und sie bitte, ihre Entscheidung zu treffen. Von den Briefen, die ich gleichzeitig absende, Abschrift vorzulegen, erscheint mir als Pflicht. An Hindenburg Als Herausgeber der christlichen Zeitschrift in Deutschland', die, wie ihr neulich einer ihrer schärfsten Gegner bescheinigte, die außerhalb Deutschlands meistbeachtete ist, bitte ich Sie, nun erst recht dazu zu helfen, daß die evangelische Kirche vor schwerem Schaden und Spaltung bewahrt werde. Der bisherige Verlauf der letzten Besprechungen mindert diese Gefahr nicht. Würde mir Gelegenheit gegeben, Ihnen oder einem von Ihnen Beauftragten meine Bedenken darzulegen, die mich veranlassen, gleichzeitig um Beurlaubung aus meiner Professur zu bitten, so würde ich dankbar sein. D a s gleichzeitig an den Kanzler zu sendende Schreiben hat entsprechenden Inhalt. Von ODibelius 7 erhielt ich einen verständigen Brief. Plan einer Zusammenkunft noch nicht aufgegeben.

6

Mulert war seit 1932 Herausgeber der „Christlichen Welt". Otto Dibelius (1880-1967), Generalsuperintendent der Kurmark, am 26. Juni 1933 beurlaubt. 7

48

Dokument 3

b) Hans von Soden an Hermann Mulert Marburg 1933 Juli 9 NL 1\ Korrespondenz Kollegen (ab 1933). - Durchschlag. Lieber Freund! Ich danke Ihnen herzlich für Ihren Brief. Ich möchte bitten, Ihnen von dem Schritt, den Sie nach demselben vorhaben, aufs dringendste abraten zu dürfen. Es hat jetzt keiner von uns das Recht, von seinem Posten zu weichen, solange ihm nicht Zumutungen gestellt werden, die ihm die Weiterführung seines Amtes in Wahrhaftigkeit und Selbstachtung unmittelbar unmöglich machen. Das kann noch kommen, aber es ist keine Rede davon, daß es jetzt daran wäre. Uber den Gewaltakt des Preuß[ischen] Staates gegen die Kirche würde ich mich sehr viel schärfer ausdrücken, als daß ich ihn nur „nicht berechtigt" nennen würde. Aber es ist durchaus Sache der unmittelbar betroffenen kirchlichen Stellen, zu ihm das richtige Verhalten zu finden. Diese haben sich zur Rechtsverwahrung entschlossen und außerdem die Vermittelung des Reiches angerufen und erreicht. Ihnen vorzugreifen oder ihnen durch einen Akt von zweideutiger Wirkung Verwicklungen zu bereiten, halte ich nicht für zulässig. Wir müssen abwarten, wie Sie ja auch tun wollen, was bei den Verhandlungen herauskommt. Vielleicht kommt es zum Bruch; dann werden wir ja uns zu entscheiden haben. Vielleicht kommt es zu einem tragbaren Verständnis; dann müssen wir uns damit abfinden und zum Guten helfen. Vielleicht kommt es zu einer untragbaren Kapitulation der kirchlichen Stellen; dann haben wir gegen diese und nicht gegen den Staat zu protestieren, dessen Handeln ja politisch durchaus als richtig erscheinen würde, wenn es zum Ziel der Unterwerfung der Kirche wirklich führte. Unsere spezifische Pflicht als Theologieprofessoren ist nicht die, darüber zu wachen, daß der S t a a t kein Unrecht tue; wenn dies unsere theol[ogí'jcÁe] Pflicht wäre, hätten wir oft und längst - auch in den vergangenen 14 Jahren! - protestieren müssen; es sind da viel schlimmere Dinge geschehen, als daß man der Kirche Staatskommissare gesetzt hat, und wir machen m.E. keine gute Figur, wenn wir gerade und erst das der Kirche angetane Unrecht zum Anlaß von Protestaktionen machen. Unsre eigentliche und hauptsächliche Pflicht als Theologieprofessoren ist vielmehr, darüber zu wachen, daß die K i r c h e christlich und evangelisch bleibt, was nach ihrem bisherigen Verhalten keineswegs unbedingt gesichert erscheint. So unrecht der Angriff des preuß[ischen] Staates menschlich und (m.E.) rechtlich gesehen ist, so

Dokument 3

49

verdient ist er religiös gesprochen durch die unverantwortliche Axt, wie die Kirche in diesen Wochen geleitet worden ist; ich denke vor allem an das Verhalten der lutherischen Bischöfe außer Marahrens 8 , an das immer wiederholte Versagen der Solidarität, an das Kochen aller der konfessionellen und kirchenpolitischen Süppchen an dem großen Feuer. Es ist nun mal Gottes Art, einen Buben durch den anderen zu züchtigen, und ich hoffe, daß diese Züchtigung hilft, womöglich beiden Buben, jedenfalls aber der Kirche, bin nur dessen leider gar nicht sicher. Soweit wir nicht zur Beteiligung an den kirchenpolitischen Aktionen berufen sind, haben wir Theologieprofessoren zu warten, bis man uns hindert, Theologie zu treiben. Das kann geschehen durch Reverse, die nicht zu unterzeichnen sind, durch Verbote zu lehren, denen nicht zu gehorchen ist, durch Angriffe der Staatskommissare auf die Substanz des Glaubens und der Verkündigung, sei es prinzipiell (für mich würde dazu ein Verfassungsartikel gehören, der in der Kirche das arische Prinzip einführte', für andere Theologen übrigens nicht!) sei es aktuell durch Verfolgung von Geistlichen, die nichts anderes lehren als was wir sie zu lehren unterrichtet haben. O b wir bei solchem Kampf mit der kämpfenden Kirche stehen oder gegen die weichende Kirche, ist dabei gleichgültig. Ich habe mich hier wiederholt und scharf öffentlich gegen die deutschen Christen geäußert, und bisher wehrt es mir niemand. Am Mittwoch war ich auf teleph[onische] Anforderung bei dem Min[isteriaÌ] Dir[ektor] Gerullis 10 und habe mit ihm ziemlich eingehend gesprochen, allerdings nur über das Verhaken der Fakultäten (Anlaß zu der Berufung gab unsere Marburger Erklärung f ü r Bodelschwingh] 1 1 ), da er jede Besprechung der kirchenpolitischen 8 August Marahrens (1875-1950), Landesbischof von Hannover, war der einzige lutherische Bischof Deutschlands, der in den Auseinandersetzungen um die Wahl des Reichsbischofs im Mai/Juni 1933 konsequent Friedrich von Bodelschwingh unterstützte. 9 Vgl. dazu unten Nr. 4. 10 Georg Gerullis (geb. 1888), Ministerialdirektor im Preußischen Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung. 11 Friedrich von Bodelschwingh der Jüngere (1877-1946), Leiter der „von Bodelschwingh'sehen Anstalten" in Bethel, war am 27. Mai 1933 zum Reichsbischof bestimmt

worden

(vgl. dazu DOKUMENTE ZUR KIRCHENPOLITIK I, 2 2 / 2 3 , S. 55). - Die

Marburger

Erklärung datiert vom 17. Juni 1933 und ging dem Evangelischen Kirchenbundesamt in Berlin zu. Mit einem Begleitschreiben des Dekans von Soden wurde sie auch an die Dekane aller deutschen Theologischen Fakultäten und an den Vorsitzenden des Fakultätentages, Prof. Hans Schmidt (Halle), gesandt. Die Erklärung muß vor dem Hintergrund der Diskussionen um die Reichsbischoffrage auf dem Fakultätentag am 12. Juni 1933 gesehen werden (vgl. dazu F. BAUMGÄRTEL, Stellung). Die Erklärung hat folgenden Wortlauten unterzeichneten Hochschullehrer der evangelischen Theologie sprechen dem Herrn Präsidenten des Deutschen Evangelischen Kirchenausschusses, D. Dr. Kapler, und

50

Dokument 3

Lage als außerhalb seiner Zuständigkeit entschieden ablehnte. Ich habe dabei gesagt, daß mir die Fakultäten als Kollegien f ü r eine Stellungnahme nicht kompetent erschienen, da die sonst bestehenden Gegensätze durch sie hindurchgehen, daß aber die Einzelnen f ü r sich oder gemeinsam Stellung nehmen müßten und würden, sobald nicht mehr die „Ordnung" in der Kirche, die der Staat - m . E . zu Unrecht, aber es ist seine Verantwortung - gefährdet glaube, sondern die Substanz des Glaubens, wobei ich die eben zuvor in diesem Brief gegebenen Beispiele anführte, in Frage gestellt sei. Ger[ullis\ hat nicht bestritten, daß ein solcher Gewissensfall f ü r Einzelne gegeben sein könnte, wünschte aber, daß tunlichst vor einer Aktion das Ministerium unterrichtet würde. Genau nach diesem von mir im Ministerium angekündigten Kanon habe ich bisher gehandelt und werde ich weiter handeln, und ich bin demgemäß nicht in der Lage, irgend ein Handeln mitzumachen oder zu decken, das von diesem Kanon abweicht und eine Theol[ogische] Professur einsetzt, wo es sich nicht um deren spezifische Verpflichtung handelt. Ein freiwilliger Rücktritt, als Zeichen des Protestes gegen Dinge, die man nicht verantworten will, obwohl man sie ja gar nicht zu verantworten hat und dies ja ruhig aussprechen kann, und ebenso ein erzwungenes Martyrium können uns nur schaden; der Staat kann dann mit einem Schein von Recht von Revolte reden. Sie müssen Ihre Professur verlieren, weil Sie etwas getan haben 12 , und nicht sie aufgeben, um dann etwas tun zu können. Damit würden Sie ja zugeben, daß wir ehrlich nicht im Amt bleiben können und erschweren uns, die wir im Amt bleiben und kämpfen wollen, bis wir fallen, die Lage. Eine Zusammenkunft hat jetzt m . E . keinen Sinn; ich muß auch hier so s[eÄ]r13 wie möglich auf meinem Posten bleiben. Wer jetzt nicht mitzuhandeln hat, soll schweigen, mögen das Aufgeregte wie immer deuten. Es ist mir bekannt, daß an die „Bodelschwinghfront" die Anregung ergangen ist, einige sachkundige Professoren zur Mitarbeit heranzuziehen, da es in der Öffentlichkeit Eindruck macht seinen nächsten Mitarbeitern am Umbau der deutschen Kirchenverfassung, Herrn Landesbischof D. Marahrens und Herrn Studiendirektor D. Hesse, unsere dankbare Zustimmung aus, daß sie von den ihnen rechtmäßig übertragenen Vollmachten Gebrauch gemacht und für die oberste geistliche Leitung der deutschen evangelischen Kirche im Amt eines Reichsbischofs Herrn D. Friedrich von Bodelschwingh bestimmt haben. Wir sind überzeugt, daß so das kirchliche Recht gewahrt und das Werk des Neubaus der evangelischen Volkskirche begonnen ist (NL II, von Soden 18. 1). Die Erklärung ist laut Begleitschreiben von allen zur Zeit erreichbaren Marburger theologischen Dozenten unterzeichnet (ebd.). 12 Mulert schied 193 5 auf eigenen Wunsch aus der Fakultät aus. 13 Lücke durch Randlochung.

51

Dokument 3

und auch praktisch ja nicht ohne Wirkung ist, daß in der Müllerfront Professoren angesehenen Namens mitarbeiten 14 . Man hat dies aber abgelehnt, wohl in der Meinung, daß Müller die Professoren nötiger hätte oder aus sonst welchen - mir nicht bekannten - Motiven. Ich suche mich möglichst zu informieren, sehe aber immer wieder, wie unmöglich ein Handeln aufgrund unzulänglicher, bezw. inzwischen schon überholter Information ist. Also walte ich meines Amtes und warte darauf, daß man es antastet; dann wird man mich bereit finden. So denken im wesentlichen auch die hiesigen Kollegen. Briefe von unsereinen an Hindenburg und Hitler kommen schwerlich ans Ziel; Kapler 15 hat an den letzteren sehr gut und scharf geschrieben. Ich bitte Sie also, weiter Geduld zu haben. Sehr gern würde ich Herrn Müller irgendwie für seine liturgischen Versuche ein theologisches Wort sagen, kann aber bisher keiner verläßlichen Auskunft darüber habhaft werden. Mit herzlichen Grüßen in treuem Mitempfinden Ihr

v. S.

Ich gebe Durchschlag dieses Briefes an Rade und Schubring.

c) Hermann Mulert an Hans von Soden Kiel 1933 Juli 10 NL I, Korrespondenz Kollegen (ab 1933). - Maschinenschriftliche fertigung.

Aus-

Lieber Freund, herzlichen D a n k für Ihren mir wichtigen Brief. „Nicht berechtigt" sagte ich nur, um in einem amtlichen Schreiben möglichst zurückhaltend zu reden; in der Sache empfinde ich viel schärfer, wie auch Sie. Im übrigen denke ich zwar nicht ganz wie Sie. Es macht schon einen Unterschied aus, d . h . f ü r uns, ob der Staat in wirtschaftlichen Dingen Unrecht tat oder ob er es unsrer Kirche tut; im letzteren Falle erwartet man von uns m. E. mit Recht eine Äußerung. Und daß man die Pfarrer, die unsre Schüler sind, hindert, das zu tun, was wir 14 Den Königsberger Wehrkreispfarrer und späteren Reichsbiscbof Ludwig Müller (1883-1945 [Freitod]) unterstützten v. a. Karl Fezer, Emanuel Hirsch und Friedrich Karl Schumann. 15 Hermann Kapler (1867-1941), bis Juni 1933 Präsident des Ev. Oberkirchenrates der Ev. Kirche der APU; Brief vom 19. Juni 1933 an den Reichskanzler, in hektographierter Abschrift verbreitet (NL II, Fase. 4).

Dokument 4

52

sie gelehrt haben, das ist meiner Überzeugung nach schon jetzt der Fall. Erstens erfahren wir infolge der Zensur vieles nicht, was im Lande geschehen mag; ζ. B. suche ich über den Hungerstreik des verhafteten schlesischen Superintendenten Bronisch Genaueres zu erkunden, von dem die Ν [eue] Ζ [iircher] Z[eitung] sprach und von dem ich schon vorher hörte 16 . Zweitens: Wenn ein Pastor sich gegen einige der neusten Maßregeln wendet, weil sie das Recht verletzen, so tut er, was ich ihm in der Ethik zur Pflicht machte; tut er es aber, so wird man wohl bald gegen ihn vorgehen. Aber in einem fürs Erste entscheidenden Punkt stimme ich Ihnen ganz zu: Man soll abwarten, welchen Verlauf die Besprechungen nehmen, die jetzt geführt werden. Auch ist die Antwort von Schubring an mich noch unterwegs. Überdies würde, was Gerullis Ihnen gesagt hat, da ich es nun einmal weiß, bedeuten, daß ich wohl zuerst mit einem der Herren des Ministeriums sprechen sollte, ehe ich ein Schriftstück in den amtlichen Gang gebe. Sie bekommen weiter Nachricht 17 . Herzlich Ihr

Mulert

Abschrift geht an Rade und (morgen) an Schubring.

4 Briefwechsel zum Gutachten der Marburger Theologischen Fakultät zur Einführung des Arierparagraphen in der Kirche 1933

September/Oktober

Die Generalsynode der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union hatte am 6. September 1933 ein „Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Geistlichen und Kirchen16

Die

N E U E Z Ü R C H E R Z E I T U N G schrieb

in N r .

1 1 8 1 / 2 v o m 30. Juni

1 9 3 3 unter

der

Überschrift D i e U m w ä l z u n g in der evangelischen Kirche Deutschlands: In Schlesien ist letzte Woche der evangelische Superintendent B r o h n s c h in Schutzhaft g e n o m men worden, weil er in einem Zeitungsartikel gegen die „Deutschen Christen" polemisiert hatte. In dem Konzentrationslager, w o der geistliche Würdenträger seither gef a n g e n gehalten wird, ist er in den H u n g e r s t r e i k getreten. H e u t e ist bereits der dritte T a g , an dem Brohnsch die N a h r u n g s a u f n a h m e verweigert, da ihm keine andere Möglichkeit des Protestes übrig blieb. Weitere Berichte über diesen Fall sind in der N2.Z gemäß Inhaltsverzeichnis nicht erschienen. - Bei G . EHRENFORTH (Kirche) und bei E . HORNIG (Bekennende Kirche) ist ein entsprechender Fall nicht nachgewiesen. Gemeint ist wohl Johannes Bronisch (1864-1942), Superintendent in Wilhelmsdorf Kirchenkreis Goldberg. 17 Kein entsprechender Brief erhalten.

53

Dokument 4

beamten " beschlossen, das die Übernahme des staatlichen „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" vom 7. April 19331 und damit die Einführung des Arierparagraphen im Bereich der altpreußischen Union bedeutete. Es war damit zu rechnen, daß die für den 27. September 1933 nach Wittenberg einberufene Nationalsynode die Einführung des Arierparagraphen fur die gesamte DEK beschließen würde. Auf Anforderung des kurhessischen Kirchentages erstellten die Theologischen Fakultäten der Universitäten Marburg2 und Erlangen3 jeweils ein theologisches Gutachten zu dieser Frage. Während das Marburger Gutachten, das aus Hans von Sodens Feder stammte, von der gesamten Fakultät getragen wurde, gab es zum Erlanger Gutachten von Paul Althaus und Werner Eiert ein Sondervotum durch den Dekan der Erlanger Fakultät, Hermann Strathmann*. Ergänzend zum Marburger Gutachten formulierte Rudolf Bultmann eine neutestamentliche Stellungnahme5.

» K G V O B 1 1 9 3 3 , N R . 2 6 , S . 1 4 1 f f . Teilweise

abgedruckt

in.: K J 1 9 3 3 - 1 9 4 4 , S . 3 3 f . ;

G. VAN NORDEN, Protestantismus, S. 357 f. 2 Vgl. Anhang Nr. I. 3 „ Theologisches Gutachten über die Zulassung von Christen jüdischer Herkunft zu den Ämtern der deutschen evangelischen Kirche" (ThBl 12, 1933, S. 321-324; vgl. auchH. LIEBING, Marburger Theologen, S. 20-23). Das Gutachten führt aus, daß die äußere O r d n u n g der christlichen Kirche . . . nicht nur der Universalität des Evangeliums, sondern auch der historisch-völkischen Gliederung der christlichen Menschen zu entsprechen hat. Weil das deutsche Volk . . . heute die Juden in seiner Mitte mehr denn je als fremdes Volkstum empfindet und sich die Kirche in ihrer gegenwärtigen Lage zu neuer Besinnung auf ihre Aufgabe, Volkskirche der Deutschen zu sein, gerufen weiß, würde f ü r die Stellung der Kirche im Volksleben und f ü r die Erfüllung ihrer Aufgabe . . . die Besetzung ihrer Ämter mit Judenstämmigen . . . eine schwere Belastung und H e m m u n g bedeuten. Die Kirche muß daher die Zurückhaltung ihrer Judenchristen von den Ämtern fordern. * „Kann die evangelische Kirche Personen nichtarischer Abstammung weiter in ihren Ämtern tragen ?" (ThBl 12, 1933, S. 324-327; vgl. auchH. LIEBING, Marburger Theologen, S. 24-27). Strathmann will die Frage ausdrücklich nur von kirchlichen Gesichtspunkten aus entschieden wissen. Kriterium ist demnach, ob die notwendigen Vorbedingungen f ü r ein ersprießliches Wirken im Dienst der Kirche gegeben sind. Schon im Amt befindliche Geistliche nichtarischer Herkunft, die bisher im Sinne des Evangeliums wirken konnten, dürften keineswegs nur aus diesem Grund entfernt werden. Hinsichtlich der künftigen Zulassung müsse die Kirche bei ihren judenchristlichen Mitgliedern die größte Zurückhaltung hinsichtlich des Eintritts in die kirchlichen Ämter erwarten und sicherstellen. 5 Vgl. Anhang Nr. II; sie wurde von 21 Neutestamentlern unterschrieben. Die in dem Gutachten unter }. genannte Konsequenz geht auf einen Vorschlag von Hans Lietzmann zurück

(vgl.

GLANZ UND NIEDERGANG, S . 1 3 3 f . ; N r . 8 4 0 , S . 7 4 8 f . ) . - Auf

Anregung

von

Bultmann konnten Werner Georg Kümmel und Gottlob Schrenk, beide Neutestamentier in Zürich und deutsche Staatsangehörige, in einem Rundschreiben vom 24. Oktober 1933 ge-

54

Dokument 4

a) Ham von Soden an Georg Gerullis Marburg NL I, Marburger

Ariergutachten.

-

1933 September

23

Durchschlag

Sehr verehrter Herr Ministerialdirektor! In den Anlagen darf ich Ihnen in drei Abdrucken ein theologisches Responsum übersenden, das die theologische Fakultät Marburg auf Anfordern der Oberhessischen Pfarrerkonferenz in diesen Tagen erstattet hat. Ich darf bemerken, daß die Anfrage nicht bestellt ist; ich habe von ihr erst in der Versammlung erfahren, in der der Antrag dazu eingebracht und angenommen wurde, habe mich aber selbstverständlich für die Fakultät sogleich bereit erklärt, die Anfrage anzunehmen. Für die Formulierung des Gutachtens trage ich die Verantwortung. Es tritt anstelle einer Kundgebung an die Fakultäten, die Evangelischen Kirchenregierungen und die Nationalsynode, zu der einige Kollegen und ich Professoren aller deutscher Theologischer Fakultäten sammeln wollen. Zugleich wird von etlichen Dozenten der neutestamentlichen Wissenschaft eine besondere Erklärung an die vorgenannten Instanzen gerichtet, von der ich mir gleichfalls drei Abdrucke beizulegen gestatte. Ich habe Ihrem mir in unserer Besprechung am 5. Juli ausgedrückten Wunsch, vor etwaigen Aktionen von Fakultäten oder Professoren in den Kirchenstreitigkeiten tunlichst durch Ihre Vermittlung mit der geistlichen Abteilung des Ministeriums Fühlung zu nehmen, vor der Versendung dieser Kundgebungen nicht folgen können. Einmal war es bei der Kürze der Zeit, die bis zu der überraschend früh eingerufenen Nationalsynode zur Verfügung stand, technisch gar nicht möglich. Aber es wäre auch sachlich nicht fruchtbar gewesen. Hat doch Herr Ministerialdirektor Jäger selbst entscheidend dazu mitgewirkt, daß der von unseren theologischen Bedenken getroffene Gesetzentwurf auf mehreren landeskirchlichen Synoden bereits angenommen 6 und dadurch der Entscheidung der Nationalsynode in rechtlich und sachlich wohl anfechtbarer Weise vorgegriffen wurde. Daß Herrn Ministerialdirektor Jäger die Widerstände, die in weitesten kirchlichen Kreisen und insbesondere bei der überwiegenden gen den Arierparagraphen zahlreiche ausländische Fachkollegen jur eine Unterschrift gewinnen (vgl. E. D I N K L E R , Neues Testament und Rassenfrage, S. 71 ff.). Diese Aktion sowie die Tatsache, daß die Erklärung der Neutestamentier zusammen mit dem Gutachten der Fakultät veröffentlicht wurde, veranlaßten im Oktober 1933 Karl Heim> Alfred Juncker und Julius Schniewind zur Rücknahme ihrer Unterschriften (vgl. JK 1, 1933, S. 321; H. L I E B I N G , Marburger Theologen, S. 46f.). 6 Vgl. G . VAN N O R D E N , Protestantismus, S . 3 5 8 ff.

55

Dokument 4

Mehrheit der evangelischen Geistlichen gegen die Übertragung der neuen reichsrechtlichen Bestimmungen über Beamte öffentlichrechtlicher Körperschaften auf die christliche Kirche nicht bekannt gewesen sind, ist gewiß nicht anzunehmen; ich darf mir nicht schmeicheln (ich bin in seiner Heimatprovinz einigermaßen über Anschauungen und Verfahrensweisen von Herrn Ministerialdirektor Jäger unterrichtet), daß ich jene Widerstände ihm so eindrücklich gemacht hätte, daß er den Bestrebungen einer entschlossenen Minderheit in der Kirche nach „Gleichschaltung" der Kirchen gerade in diesem für die unaufhebbare Verschiedenheit von Staat und Kirche wesentlichen Punkt keinen Beistand gewährt hätte. D a ß aber andererseits Theologieprofessoren, die die Verantwortung der Geistlichen, welche von ihnen erzogen werden, in allererster Linie als die eigene empfinden, zu diesem Angriff auf das Wesen der Kirche und ihre Freiheit, Kirche zu sein, schwiegen, ist, wie ich mir bereits am 5. Juli darzulegen erlaubte, f ü r meine Auffassung völlig ausgeschlossen. Ich möchte auch bitten, in diesem Zusammenhang offen aussprechen zu dürfen, daß das immer wiederholte Eingreifen der geistlichen Abteilung des staatlichen Ministeriums in innerkirchliche Auseinandersetzungen, insbesondere durch die Kundgebungen des Herrn Ministerialdirektors Jäger vor und nach [den]7 kirchlichen Wahlen am 23. Juli in der gesamten, f ü r alle anderen Stimmen völlig gesperrten Presse 8 mir zu meinem schmerzlichen Bedauern gezeigt hat, daß f ü r auf Vermittlung gerichtete Verhandlungen mit ihm die Grundlage einigermaßen übereinstimmender Anschauungen über Verpflichtung und Beschränkung staatlicher Gewalt in Glaubensfragen nicht vorhanden ist. Es hätte nur zu Auseinandersetzungen kommen können, die die Lage womöglich noch verschärft und Ihrem Streben, in dem ich mich mit Ihnen durchaus verbunden weiß, die Fakultäten nach Möglichkeit aus den politischen Kämpfen herauszuhalten, weitere Erschwernisse gebracht hätte. Ich kann nur wiederholen, was ich schon am Ende der mir von Ihnen freundlich gewährten Unterredung am 5. Juli gesagt habe, und wiederhole es aus bedrängtestem nationalem und staatlichem Gewissen, daß ich die von der geistlichen Abteilung des Ministeriums getragene bzw. gestützte Kirchenpolitik f ü r eine ganz schwere Belastung des nationalen Staates halte - ein Urteil, das übrigens auch von überzeugten Nationalsozialisten weithin geteilt wird. Belastend 7

Original: in.

8

Vgl.

DOKUMENTE ZUR KIRCHENPOLITIK

I, N r .

27/33/XXII,

S. 71 ff.; XII, S. 82; 34/33/11, S. 111 ff.; 38/33/1, S. 126 f.

S.

89;

27/33/VI,

56

Dokument 4

ist nicht nur das Eingreifen der Staatsgewalt in eine Sphäre, die sie um ihres eigenen Interesses und ihrer Ehre willen nur schützen dürfte, als solches; wie es um die „Freiheit" der kirchlichen Wahlen am 23. Juli in Wahrheit gestanden hat, brauche ich ja gewiß nicht auszuführen. Und nach dem Ergebnis dieser Wahlen sollen nun Behörden und Anstalten der Kirche - schlecht parlamentarisch - umgestellt werden 9 ! Nicht minder belastend ist es aber weiter, daß das Eingreifen der Staatsgewalt gerade in Verbindung mit und zugunsten von Persönlichkeiten geschah, denen die zur Leitung der Kirche erforderlichen Kräfte und Eigenschaften nach ihren Äußerungen und ihrem Auftreten offenbar nicht gegeben sind. Mir bangt sehr davor, daß unser Staat empfindlich in Mitleidenschaft gezogen werden könnte, wenn sich dies vielleicht in gar nicht so langer Zeit herausstellen sollte. Ich bitte, diesen Brief als Äußerung persönlichen Vertrauens aufzufassen, ohne Sie selbstverständlich damit in der Verwendung des Gesagten irgend beschränken zu wollen. Mit angelegentlicher Empfehlung Ihr sehr ergebener

[von Soden]

b) Agnes von Zahn-Harnack an Hans von Soden Unter-Uhldingen NL 7, Marburger Ariergutachten.

- Handschriftliche

1933 Oktober 3 Ausfertigung.

Lieber Herr von Soden, meine Mutter schickte mir10 vorgestern die Erklärung der theol[ogischen] Fakultät Marburg zur Arierfrage in der evan' Bei den Kirchenwahlen am 23. Juli 1933 konnten die Deutschen Christen - dank massiver nationalsozialistischer Unterstützung - fast überall die weitaus größte Zahl der Stimmen und Sitze erringen (vgl. GAUGER I, S. 95). In der darauf folgenden Zeit wurde von deutschchristlicher Seite gefordert, daß sich die Zusammensetzung von kirchlichen Behörden und Organisationen den neuen Mehrheitsverhältnissen anzupassen habe. Vgl. dazu JK 1, 1933 (S. 243f.) wo von einem Antrag der 21. ordentlichen brandenburgischen Provinzialsynode an die altpreußische Generalsynode berichtet wird, wonach diese gebeten wird, „ein Gesetz dahingehend zu erlassen, daß sämtliche kirchlichen Behörden, Verwaltungsorgane und die von der Kirche unterstützten Verbände und Anstalten in bezug auf ihre Besetzung durch Geistliche und Beamte der letzten Kirchenwahl entsprechend gleichgeschaltet werden, d. h., daß eine Besetzung entsprechend dem Willen des Kirchenvolkes, wie ihn das Ergebnis der letzten Kirchenwahl zum Ausdruck brachte, im Verhältnis von 75 % zu 25% für die Glaubensbewegung Deutsche Christen erfolgt" (vgl. auch GAUGER I, S. 101, Sp. III). 10 Agnes von Zahn-Harnack (1884-1950), ehemalige Vorsitzende des „Deutschen Akademikerinnenbundes" (1919-30) und des „Bundes Deutscher Frauenvereine" (1931-33).

Dokument 4

57

ge\{ischerì\ Kirche zu, und ich bin so glücklich, so erlöst dadurch, daß ich Ihnen gleich dafür danken muß. Mein Gewissen hat mich wirklich schwer gedrückt, daß ich weder einen Weg sah, noch den Mut hatte, das zum Ausdruck zu bringen, was ich dort nun im Druck vor mir sehe und was hoffentlich in v i e l e H ä n d e kommt? Kann man die Abdrücke irgendwoher beziehen? Ich möchte die Erklärung verbreiten, so weit ich irgend kann. Auch wüßte ich sehr gerne, was die Erlanger Fakultät geantwortet hat. Und da ich nun schon mal im Fragen bin, so füge ich gleich hinzu, daß mir auch das Schicksal der Studienstiftung 1 1 sehr auf der Seele liegt. D a ß ich nicht mehr zugezogen werde, nehme ich ja als selbstverständlich an (ob überhaupt ein weibl[/c^ei] Wesen?), aber ich hoffe so sehr, daß Sie dabei bleiben, um doch etwas von der Tradition zu retten, die doch gut war, wenn auch zuletzt schon etwas brüchig . . . [ Wünsche für die Familie] In unseren Geschwisterkreis hat ja die neue Zeit sehr eingegriffen; Ernst 12 Annie u[nd\ Elisabet haben ihre Arbeit verloren, m[e¿n] Mann ist aus einem Min\_isteriat\ Rat in einen Oberarchivrat verwandelt worden; hiergegen hat er an sich aber nichts, sondern ist mit seiner neuen, rein histor[ischen] Arbeit sehr zufrieden. O b es aber über den 1. April hinaus dauert, ist noch ungewiß. Ich habe seit Mitte Juni im Anschluß an eine Blinddarmoperation eine ganze Reihe von Krankheiten absolviert. Jetzt geht es mir aber schon wieder ganz leidlich u[nc(] in ein paar Wochen darf ich nach Hause, worauf ich große Sehnsucht habe. Mit den herzlichsten Grüßen an Sie beide Ihre Agnes v. Zahn-Harnack

u

Studienstiftung des Deutschen Volkes, für die von Soden als Gutachter tätig war. Emst von Hamack (1888-1945 [Hinrichtung]), Regierungspräsident von Merseburg und Mitglied der SPD, 1932 in den Ruhestand versetzt, 1933 endgültig entlassen. Nach dem 20. Juli 1944 verhaftet und vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt. 12

58

Dokument 4

c) Hans von Soden an Hermann Strathmann Marburg 1933 Oktober 30 NL I, Marburger Ariergutachten. - Durchschlag. Sehr verehrter, lieber Herr Kollege 13 ! Es geht mir immer nach, daß ich Ihnen auf Ihren Brief vom 29. September 14 nicht mehr geantwortet habe, und ehe die Semesterarbeit beginnt, soll es noch nachgeholt werden. Es verzögerte sich wegen sehr anspannender und dringender Arbeit für eine Pfarrerfreizeit, die ich übernehmen mußte, und anderer täglicher epistasis, außerdem deshalb, weil ich damit rechnete, daß wir uns auf einem Y[akultäten-JT[ag\ sprechen könnten. Zunächst möchte ich Ihnen vor allem für Ihre Broschüre über die ns WA 15 danken; sie ist mir und meiner Frau sehr wertvoll gewesen, und ich halte es für ein großes Glück, auch im Gedanken an spätere Zeiten, daß sie noch rechtzeitig so geschrieben werden konnte. Sie wird mir wie vielen sicher noch manches Mal nützlich sein, ist in ihrer sachlich schonungslosen Klarheit und ihrem ruhig überlegenen Ton vorbildlich geschrieben. Was nun die Gutachten unserer Fakultät betrifft, so sind wir ja praktisch nicht so weit auseinander. Es ist doch eigentlich selbstverständlich, daß man einsieht, daß die antisemitische Einstellung unserer Gemeinden berücksichtigt werden muß; das wissen wir wirklich auch in Marburg. Wir wenden uns aber gegen ein Gesetz, das den Nichtarier als solchen diffamiert, das völlig überflüssige und unzulässige Stammbaumuntersuchungen in die Kirche einführen will, als ob sie eine Rassenzuchtanstalt wäre, das sogar deutsche Menschen, die zu ihrem heutigen Unglück eine jüdische Großmutter haben, aber damit doch keine Juden sind, in der christlichen Kirche des deutschen Volkes entrechten will usw., das unbestreitbar nach Ursprung und Absicht einen Geist atmet, der der Geist Christi nicht ist und der seiner Kirche in keinem Volke und in keiner Zeit sein darf. Wenn man den Willen eines solchen Gesetzes erkennt - und man kann ihn ja gar nicht verkennen - , dann schreibt man ihm als theolo13

Hermann Strathmann (1882-1966), oProf. für Neues Testament in Erlangen. Brief Strathmanns an von Soden vom 26. [!] September 1933 (NL I, Korrespondenz Kollegen), in dem Strathmann sein Sondervotum verteidigt und hervorhebt, daß àie Zulassung von Judenchristen zum geistlichen A m t . . . sich keineswegs aus ihrer Zugehörigkeit zur Kirche ergibt. Der Brief war fur den Abdruck vorgesehen, wurde aber von den Erben Strathmanns nicht freigegeben. 15 Gemeint ist H . STRATHMANN, Nationalsozialistische Weltanschauung? 14

Dokument 4

59

gische Fakultät keine Apologie. Was das Marburger Gutachten sagt, ist grundsätzlich richtig, und daß man von diesen Grundsätzen in einer gegebenen geschichtlichen Lage verständige Ausnahmen macht, ist selbstverständlich und Sache einer taktvollen Verwaltung. Das Erlanger Gutachten stellt umgekehrt falsche Grundsätze auf und rettet sich das Gewissen durch Ausnahmen, in denen das christliche Prinzip gerettet werden soll. Und von dem politischen Paragraphen sagt es gar nichts! Auf Einzelheiten der Erlanger Apologie mit ihren seltsamen QuidproQuos will ich nicht eingehen, ζ. B. die Koppelung der Merkmale „körperlicher Eignung" mit denen der Abstammung unter „biologisch" usw. Ihrem eigenen Entwurf fühle ich mich ein gut Stück näher. Zunächst entwickelt er doch wenigstens offen einen Konflikt zwischen der völkischen und der christlichen Forderung, faßt dann die Verwickelung der Verhältnisse ins Auge und fordert, daß „die in der Gemeinschaft des Glaubens begründete Gemeinschaft der Liebe die aus dem völkischen Selbstgefühl kommenden Hemmungen überwinde". Im folgenden würde ich stärker modifizieren. Um es an einem Satz Ihres Briefes darzustellen: „Die Zulassung von Judenchristen zum geistlichen Amt ergibt sich keineswegs aus ihrer Zugehörigkeit zur Kirche"; sie ergibt sich m. E. doch, nur passen Judenchristen nicht an jede Stelle, und demgemäß kann die Prüfung, „ob die notwendigen Vorbedingungen etc." (S. 3 Ihres Entwurfes) 1 6 immer nur von Fall zu Fall geschehen, soweit es sich eben nicht um wirklich allgemeine, für das geistliche Amt als solches geltende Bedingungen handelt. Daß „regelmäßig der Träger des geistlichen Amtes dem Volke angehört, unter dem er wirkt", ist ja schon von selber so, und ein Gesetz, das dies festlegt, kann sich also nur gegen Ausnahmen richten, die sich aus dem Wesen der Kirche ergeben, ist also abzulehnen. Ich habe die Sache immer wieder durchgedacht, vermag aber nicht anders zu urteilen, als ich eben kurz ausgeführt habe. Wir haben eine ganz unerwartet starke Zustimmung erfahren. Aber die Erlanger ja vielleicht auch? Es ist bedauerlich, daß die Front der Abwehr gegen die, die Kirche nicht mehr Kirche sein lassen wollen, an diesem Punkt gespalten ist. Mit herzlichen Grüßen Ihr

16

Vgl. oben Anm. 4.

[von Soden]

60

Dokument 5

5

Aktionsversuch gegen den Reichsbischof 1933

November

Am 11.112. November 1933 fand in Marburg eine Zusammenkunft zwischen Rudolf Bultmann, Heinrich Schlier und Hans von Soden von der Marburger sowie Karl Barth, Fritz Lieb und Emst Wolf von der Bonner Theologischen Fakultät zur Erörterung der kirchlichen Situation statt. Dabei wurde beschlossen, einen offenen Brief1, den von Soden entworfen hatte, an den Reichsbischof zu richten, als Antwort auf dessen Erklärung vom 8. Novembei2. Hans von Soden formulierte auch die entsprechenden Anfragen an die Marburger und auswärtigen Kollegen mit der Bitte um Unterzeichnung des offenen Briefes3. - Die Auseinandersetzungen um die radikalen Forderungen der Glaubensbewegung „Deutsche Christen" nach einem „artgemäßen Christentum" und einer „deutschen Volkskirche", die von dem Berliner Gauobmann Reinhold Krause4 auf der Kundgebung im Berliner Sportpalast am 13. November 1933 vertreten wur-

1 Vgl. Anhang Nr. III. - Im Karl Barth-Archiv Basel befindet sich ein Durchschlag der Entwurfsfassung des Offenen Briefes mit einigen handschriftlichen Korrekturen Barths, die sämtlich in die endgültige Fassung übernommen wurden (Mitteilung Dr. Hinrich Stoevesandt, Basel). 2 epd Nr. 68 vom 8. November 1933 (NL I, Offener Brief . . . ) . · Die entscheidenden Sätze der Erklärung lauteten: D a ich von dem inneren Recht unserer Glaubensbewegung absolut überzeugt bin, so traue ich ihr auch die Kraft zu, die Gegnerschaft innerlich zu überwinden. Der kommende volksmissionarische Kampf wird unseren Gegnern zeigen, wie wir arbeiten. Er wird so geführt werden, daß diejenigen bisherigen Gegner, die uns nicht aus rein politischen Gründen Widerstand leisten, in unsere Gefolgschaft treten; der Abdruck ¿nJK 1, 1933 (S. 308) läßt das Wort bisherigen aus. Die Erklärung des Reichsbischofs antwortet auf eine Verfügung des Stellvertreters des Führers, Rudolf Heß, wonach kein Nationalsozialist irgendwie benachteiligt werden (darf), weil er sich nicht zu einer bestimmten Glaubensrichtung oder Konfession oder weil er sich zu überhaupt keiner Konfession bekennt (F. ZIPFEL, Kirchenkampf, S. 270); zur Vorgeschichte vgl. K. SCHOLDER, Kirchen, S. 668 ff. 5 Vgl. zu dieser Aktion auch iL. BARTH/R. BULTMANN, Briefwechsel, Nr. 74-76. Die Auskunft von B. Jaspert, es bandele sich um eine „Erklärung zur,Arierfrage'"(ebd., S. 141 Anm. 5), ist falsch. 4 Reinbold Krause (geb. 1893), Studienrat, Gauobmann der Deutschen Christen für Groß-Berlin und Mitglied der Provinzialsynode, des Provinzialkirchenrats der Mark Brandenburg und der altpreußischen Generalsynode. Krause hatte auf der „Sportpalastkundgebung" über „Die Aufgaben einer deutschen Reichskirche im Geiste Dr. Martin Luthers"gesprochen (vgl. GAUGER I, S. 109. I l l ; JK 1, 1933, S. 310 (.). Im Anschluß daran wurde er als Gauobmann abgelöst und seiner kirchlichen Amter enthoben.

61

Dokument 5

den, zwangen den Reichsbischof, sich öffentlich von den Deutschen Christen zu distanzieren'. Daraufhin wurde beschlossen, von der geplanten Erklärung abzusehen.

a) Hans von Soden an Kollegen außerhalb Marburgs Marburg 1933 November 15 NL I, Offener Brief an den Reichsbischof. - Maschinenschriftliche fertigung.

Aus-

Sehr verehrter, lieber Herr Kollege ! Mehrere Kollegen der Fakultäten in Bonn und Marburg haben sich dazu verbunden, den in der Anlage beigefügten offenen Brief an den Herrn Reichsbischof der Deutschen Evangelischen Kirche zu richten. Wir halten ein offenes und deutliches Wort evangelischer Lehrer der Theologie gegenüber der Haltung des Erlasses des Herrn Reichsbischofs f ü r ganz unerläßlich. Ich bin beauftragt, an Sie die Frage zu richten, ob Sie vielleicht bereit sein würden, den Brief mit uns zu unterzeichnen. Wenn Sie dazu bereit sein sollten, bitten wir Sie zu erwägen, ob auch andere Kollegen in Ihrer Fakultät um die Unterzeichnung angegangen werden sollen, und bitten Sie, dies gegebenen Falles in unserem Namen zu tun. Wir würden es natürlich freudig begrüßen, wenn andere Kollegen sich anschlössen, müssen aber, da die Angelegenheit sehr dringlich ist, darum bitten, daß mir spätestens bis Sonntag die Namen mitgeteilt werden. Falls grundsätzliche Ubereinstimmung mit unserem Entwurf besteht, gegen seine Fassung im Einzelnen Bedenken obwalten sollten, bitten wir zu erwägen und zu entscheiden, ob Ihnen diese Bedenken so gewichtig erscheinen, daß Sie die Unterzeichnung ablehnen müssen. Änderungen an dem beigefügten Text sind nicht mehr möglich. Ich darf mich versichert halten, daß diese Mitteilung von Ihnen und den gegebenen Falles von Ihnen zu unterrichtenden Kollegen bis zur Veröffentlichung unseres Briefes strengst vertraulich behandelt wird. Mit freundlicher Begrüßung Ihr ergebener

von Soden

5 Der Reichsbischof distanzierte sich am 15. November iti einer Erklärung von der auf der Kundgebung gefaßten Entschließung (vgl. GAUGER I, S. 110) und hob in einer gleichzeitigen Verfügung die Verbindlichkeit von Bibel und Bekenntnis hervor (vgl. ebd.J.

62

Dokument 5

b) Hans von Soden an Hans Lietzmann Marburg 1933 November 15 NL I, Offener Brief an den Reichsbischof. - Durchschlag. Lieber Herr Kollege 5a ! Wenn ich Ihnen die Anlagen zugehen lasse, so liegt mir in erster Linie daran, eine als freundschaftliche Loyalität empfundene Verpflichtung gegen Sie zu erfüllen. Da ich aus Ihrem Brief an Bultmann erfahre, daß Sie in die Theologenkammer der Reichskirche eingetreten sind, werden Sie wohl kaum in der Lage sein, sich an unserem Schritt zu beteiligen, wenn Sie ihm im Übrigen überhaupt zustimmen sollten. Die Anlagen gehen an je einen Kollegen in den deutschen Fakultäten mit Ausnahme derjenigen, in denen von uns Unterzeichnern in Bonn und Marburg niemand einen Vertrauensmann hat bezw. von denen man nach ihrer bisherigen Stellung nicht erwarten kann, daß wir in ihnen überhaupt Genossen finden. Die Motive zu unserem Schritt will ich nicht im Einzelnen auseinandersetzen. Sie ergeben sich ja von selbst, und man kann nur fragen, ob er trotz dieser Motive unterbleiben sollte. Wir würden ihn natürlich dann, aber nur dann unterlassen, wenn der Reichsbischof nach den Ereignissen im Sportpalast, die uns soeben erst bekannt werden, entweder abdizieren oder seine Schirmherrschaft über die Glaubensbewegung öffentlich niederlegen würde. Sollte dies etwa bevorstehen, so wäre ich Ihnen für eine Nachricht sehr dankbar wie überhaupt für jede Unterrichtung. Geschieht nichts dergleichen, so sind wir entschlossen, nicht dem Bischof von Chichester allein die Ehre zu überlassen, den R[e¿c¿w-]B[«cAo/] zur selbstverständlichen Ordnung einer christlichen Kirche zu rufen 6 und überhaupt die Schande dieser Kirchenleitung nicht schweigend zu tragen. Die mir aus Anlaß unseres Ariergutachtens täglich zugehenden Dankesäußerungen fordern vielfach ein Wort gegen die politische Vergewaltigung in der Kirche und die politische und kirchliche Diffamierung derer, die

5a

Hans Lietzmann (1875-1942), oProf. für Kirchengeschichte in Berlin. Der Bischof von Chichester, George K. A. Bell (1883-1958), äußerte in einem am 13. November 1933 in der „ Times " abgedruckten offenen Brief an den Reichsbischof (deutsche Übersetzung.· E. Dinkler, Neues Testament und Rassenfrage, S. 76) seine tiefe Betroffenheit über die Einfuhrung des Arierparagraphen in die Kirche durch die altpreußische Generalsynode und seine Genugtuung über den von der Marburger Fakultät ausgehenden Protest (vgl. oben Nr. 4). Weiterhin gibt er seiner Sorge über die Unterdrückung der kirchenpolitischen Gegner des Reichsbischofs Ausdruck und fordert diesen auf, für eine Beendigung der Diskriminierungen zu sorgen. 6

63

Dokument 5

noch wissen, was Christentum fordert. Über die Aktionen der Tübinger Fakultät 7 will ich zunächst schweigen. Es fehlt nur noch, daß sie den RB zum D. erhöbe. In Eile - mit herzlichen Grüßen - Ihr

von Soden

Die große Gefahr, die Heim sieht, sehe ich nicht, so sehr ich die Zürcher Korrespondenz bedaure, und „gerettet" hat er mit seiner Aktion jedenfalls nur s e i n e n Leib 8 .

c) Hans von Soden an Marburger Kollegen Marburg 1933 November 16 NL I, Offener Brief an den Reichsbischof. - Durchschlag. Verehrter, lieber Herr Kollege! Am vergangenen Sonntag hat eine Besprechung zwischen einigen Marburger und Bonner Kollegen stattgefunden, bei welcher vereinbart wurde, gemeinsam beifolgenden offenen Brief an den Reichsbischof zu richten. Ich möchte heute an diejenigen Marburger Kollegen, die an der Besprechung nicht beteiligt waren, die Frage richten, ob Sie diesen Brief mit zu unterzeichnen wünschen. Ich darf dazu bemerken, daß aus Bonn Barth, Hölscher, Wolf, Lieb9 unterzeichnen werden, aus Marburg bisher Bultmann, Schlier 10 und ich dazu entschlossen sind. (Von mir stammt im wesentlichen auch der Entwurf.) Die Kollegen Balla, Frick, Heiler, Hermelink, Siegfried, Wünsch 11 haben verschiedene Bedenken ge7 Veranlaßt waren diese „Aktionen" durch die erwähnte Initiative Kümmels und Schrenks (vgl. oben Nr. 4, Anm. 5). Die Tübinger Fakultät trat ihr entgegen und übersandte allen theologischen Dozenten außerhalb Deutschlands in Europa und Amerika (H. L I E B I N G , Marburger Theologen, S. 47) den Abschnitt „Kirche und Judenchristen" aus einem Buch von G. K I T T E L (Judenfrage) mit zusammenfassenden Thesen und einer zustimmenden Erklärung, in denen sich die Fakultät inhaltlich vom Marburger Gutachten distanzierte (vgl. ebd., S. 47f.; und L. S I E G E L E - W E N S C H K E W I T Z , Gerhard Kittel; E. D I N K L E R , Neues Testament und Rassenfrage, S. 71). 8 Karl Heim (1874-1958), oProf. für Systematische Theologie in Tübingen (vgl. dazu oben Nr. 4, Anm. 5). ' Ernst Wolf (1902-1971), oProf. für Kirchen- und Dogmengeschichte; Fritz Lieb (1892-1970), aoProf. für Systematische Theologie. 10 Heinrich Schlier (1900-1978), bis 1935 Priv. Doz. für Neues Testament. 11 Heinrich Frick (1893-1952), oProf. für Systematische Theologie; Friedrich Heiler (1892-1967), oProf. für vergleichende Religionsgeschichte und Religionsphilosophie; Theodor Siegfried (1895-1971), aoProf. für Systematische Theologie; Emil Balla (1885-1956), oProf. für Altes Testament.

64

Dokument 5

gen den in Aussicht genommenen Schritt, die sie teils dazu bestimmen, die Unterzeichnung abzulehnen, teils dazu, sich die Entscheidung noch bis zum Ende dieser Woche vorzubehalten. Die Bedenken gehen im wesentlichen dahin, daß zwar das, was in dem Briefe gesagt werde, durchaus richtig sei und auch zu gegebener Zeit gesagt werden sollte, daß aber Dozenten als solche nicht in erster Linie dazu berufen seien und der jetzige Augenblick wegen der Unübersichtlichkeit der Lage nicht als der gebotene erscheinen könne. Das Erstere gelte hauptsächlich deshalb, weil es sich nicht wie bei der Arierfrage um ein Votum zu reinen Lehrfragen, sondern zugleich oder vorwiegend um eine kirchenpolitische Aktion handele. Verfehle sie ihre Wirkung, so sei die Autorität der Fakultät bzw. der Unterzeichner geschädigt. Demgegenüber will mir und anderen zur Unterzeichnung entschlossenen Kollegen scheinen, daß gegen die Politisierung der Kirche durch ihren obersten Amtsträger (und nichts anderes bedeutet der Erlaß ja unstreitig) sofort Einspruch zu erheben und gegen den angekündigten volksmissionarischen Kampf theologischen Widerstand anzumelden, gerade Verpflichtung von Dozenten sei - wie mir denn Wünsche in dieser Richtung anläßlich der Besprechung unseres Ariergutachtens mehrfach nahe gebracht worden sind. Wir meinen weiter, daß ein relativ so günstiger Augenblick mit einer so klaren Parole wie eben jetzt kaum leicht wiederkehren dürfte. Ist ein großer Teil der Pfarrerschaft erst der im Erlaß mittelbar geäußerten Drohung gewichen, so ist es für uns zu spät. Der Brief verfehlt seine Wirkung nicht; wenn die Erklärung des Widerstandes angenommen wird, so hat sie ihre wesentliche Wirkung erreicht. Es kommt hinzu, daß es m . E . für die deutsche nationale und kirchliche Ehre nicht wohl erträglich ist, daß, was soeben der Bischof von Chichester in einem offenen Brief an den Reichsbischof in der Times diesem sagt, ihm nicht unabhängig davon von deutschen Theologen gesagt wird. Wir dürfen nicht den Eindruck im Auslande entstehen lassen, als ob dergleichen in Deutschland niemand mehr auszusprechen die innere Pflicht empfände oder die äußere Möglichkeit hätte. Ich verkenne nicht, daß es sich hier um eine Entscheidung handelt, die mit sachlichen Gründen nicht endgültig zu sichern ist, sondern bei der jeder schließlich seinem Gewissen, das in dieser Lage ein Gewissen des Gefühls ist, folgen muß. Es scheint mir deshalb nur im Sinne der unter uns stets gepflegten Einheit in Freiheit zu sein, wenn jeder hier seinem Gefühle folgt, ohne dabei das des Anderen weniger als das eigene zu achten. Eine Gefährdung des uns gemeinsamen Interesses der Fakultät vermag ich nicht zu sehen, da es sich ja auf alle Fälle um einen persönlichen Schritt derer, die ihn

65

Dokument 5

tun, handelt, den als solchen mitzutun ich mich freilich gerade auch im Interesse unserer Fakultät verpflichtet fühle. Ich darf Ihrem freundlichen Bescheid im positiven Fall bis spätestens Sonntag morgen entgegensehen. Die Frage nach Mitunterzeichnung ist von mir noch an je einen Vertrauensmann in denjenigen anderen Fakultäten gerichtet worden, die nach ihrer Zusammensetzung und Haltung für den geplanten Schritt überhaupt in Frage kommen. Mit herzlichem Gruß Ihr ergebener

von Soden

Ich erbitte den beiliegenden Entwurf des offenen Briefes zurück.

d) Hans von Soden an Kollegen Marburg 1933 November 20 NL I, Offener Brief an den Reichsbischof. - Maschinenschriftliche fertigung.

Aus-

Verehrter, lieber Herr Kollege! Ich möchte Ihnen hierdurch mitteilen, daß nach den kirchlichen Ereignissen der letzten Woche es nicht mehr angängig erscheint, den Ihnen vertraulich bekannt gegebenen Entwurf eines offenen Briefes an den Herrn Reichsbischof zu veröffentlichen. Er ist in seiner Formulierung durch die jüngsten Vorgänge so überholt, daß er in der ersten Dezemberwoche - und eher wäre es nach Lage der Redaktionstermine nicht möglich - nicht mehr erscheinen kann. Die erwähnten Vorgänge dürften ja vermutlich bewirken, daß der Herr Reichsbischof seine absolute Uberzeugung von dem inneren Recht der Glaubensbewegung Deutsche Christen überprüft; jedenfalls bleibt es zunächst abzuwarten, ob und mit welchem Ergebnis er dies tut. Ich darf Ihnen aber für Ihre Äußerung zu unserem Entwurf herzlich danken. Ihre und der anderen von mir angegangenen Kollegen Antworten zeigen ein sehr erfreulich weit reichendes Maß von sachlicher Ubereinstimmung, und so wird, denke ich, die Verständigung über eine notfalls später ins Auge zu fassende gemeinsame Aktion durch die Verhandlungen über die jetzt geplante, aber angesichts der veränderten Lage zurückzustellende günstig vorbereitet sein. Mit bestem Gruß Ihr ergebener

[von Soden]

66

Dokument 5

e) Hans von Soden an Ernst Wolf Marburg 1933 November 21 NL I, Offener Brief an den Reichsbischof. - Durchschlag. Verehrter, lieber Herr Kollege! Seit unseren telephonischen Gesprächen sind nun die meisten Antworten auf die Briefe an auswärtige Kollegen eingegangen. Uberwiegend sind sie zustimmend gehalten. Ablehnend antworten nur Bauer, Göttingen, zugleich für Dörries und Stange 12 , und StephanLeipzig, zugleich für Müller und Sommerlath 13 . Aber auch die anderen finden, wie begreiflich, die Aktion selbst und jedenfalls die Formulierung durch die Ereignisse überholt und haben Bedenken, sie noch mitzumachen. Einzelne stellen Abänderungen oder Zusätze zur Bedingung für ihre Unterschrift; die Summe dieser Abänderungen und Zusätze würde eine ziemlich schwierige Neufassung unseres Entwurfes bedeuten. Die geführten Verhandlungen erachte ich dennoch nicht für vergeblich. Ich bin hinreichend orientiert, wer von den Kollegen an anderen Fakultäten künftig für einen ähnlichen Schritt wie den jetzt ins Auge gefaßten in Betracht käme. Man muß nun zunächst abwarten, wieweit der Reichsbischof seine absolute Uberzeugung von dem inneren Recht der Glaubensbewegung selbst überprüft; bis zu einem gewissen Grade haben ihn die Ereignisse ja schärfer kritisiert als wir es vorhatten. Ich werde mich möglichst auf dem Laufenden halten und Sie gegebenen Falles unterrichten; ich freue mich der angeknüpften Verbindung und bitte auch Sie, dieselbe weiter zu pflegen. Aus den mündlich angedeuteten Gründen ist es für Marburg zur Zeit nicht ungünstig, daß die Aktion unterbleiben muß, und für weitere Schritte haben wir jedenfalls nichts verloren. Noch nicht geantwortet haben übrigens Strathmann, Erlangen, und Schmitz, Münster. Die grundsätzlich Zustimmenden sind Hermann, Baumgärtel, Cordier, Zscharnack, Noth, M. Schulze, Staerk, Lohmeyer 14 . Ich lege Ihnen in Abschrift einen Brief von College 12 Walter Bauer (1877-1960), oProf. ßr Neues Testament; Hermann Dörries (1895-1977), oProf. für Kirchengeschichte; Carl Stange (1870-1959), oProf. fiir Systematische Theologie; alle in Göttingen. Der Brief W. Bauers vom 17. November 1933 in N L I, O f f e n e r Brief. 13 Horst Stephan (1873-1954), oProf. fiir Systematische Theologie; Alfred Dedo Müller (1890-1972), oProf. fur Praktische Theologie; Emst Sommerlath (1889-1983), oProf. ßr Systematische Theologie; alle in Leipzig. Der Brief Stephans vom 16. November 1933 in N L I, O f f e n e r Brief. 14 Otto Schmitz (1883-1957), oProf. ßr Neues Testament in Münster; Rudolf Hermann (1887-1962), oProf. ßr Systematische Theologie; Friedrich Baumgärtel

67

Dokument 5

Lietzmann bei. Ich darf Sie wohl bitten, die Collegen Barth, Hölscher, Lieb von diesem Schreiben in Kenntnis zu setzen. Die auswärtigen Collegen habe ich entsprechend benachrichtigt. Mit herzlichem Gruß Ihr

[von Soden]

f) Hans von Soden an Hans Lietzmann Marburg 1933 November 22 NL I, Offener Brief an den Reichsbischof. - Durchschlag. Lieber Herr Kollege! Für Ihren Brief vom 17. November 15 danke ich Ihnen herzlich. Uber die Erledigung unseres Planes unterrichtet Sie die Anlage. Inzwischen ist nun der Fakultät die Einladung zur Einführung des 'K[eichs-~\R[ischofs\ am 1. Advent zugegangen. Soweit ich darüber bisher mit meinen Kollegen gesprochen habe, dürfte sich die Fakultät dahin schlüssig werden, keinen Vertreter zu entsenden, wenn nicht bis zum Antworttermin eine Änderung in der Zusammensetzung des Geistlichen Ministeriums und des Oberkirchenrates bekannt wird, von der leider bisher nichts verlautet. Es ist m. E. in der Tat ganz unerträglich, daß der Skandal im Sportpalast, zu dem eine Analogie in der Kirchengeschichte schwer aufzuzeigen sein wird, nur durch die schlichte Enthebung des Herrn Krause gesühnt wird. Er ist doch nur Exponent. Es ist unerträglich, daß unter der vor keiner Willkür schützenden Parole „sachlich ungeeignet" aufs neue alle Pfarrer mit Absetzung bedroht sind 16 , während Träger der höchsten Kirchenämter ungerügt bleiben, wenn sie ihre elementarste Pflicht so versäumen, wie sie es taten. Die Ersetzung von Krause durch Tausch 17 ist ja geradezu ein Hohn. Es ist auch unerträglich, daß Pfarrer, die sich gewissensmäßig gegen die Arierinquisition wehren, suspendiert wer(1888-1981), oProf. für Altes Testament; beide in Greifswald; Leopold Cordier (188 7-1939), oProf. fur Praktische Theologie in Gießen; Leopold Zschamack (1877-1955), oProf. für Kirchengeschichte; Martin Noth (1903-1968), oProf. für Altes Testament; Martin Schulze (1866-1943), oProf. fur Systematische Theologie; alle in Königsberg; Willy Staerk (1866-1946), oProf. fur Altes Testament in Jena; Emst Lohmeyer (1890-1946), oProf. für Neues Testament in Breslau. 15 Nicht erhalten. "

Vgl. GAUGER I , S . 1 1 0 .

17

Friedrich Tausch (1892-1958), Pfarrer in Berlin-Tempelhof, wurde an Stelle Krauses zum Berliner Gauobmann der Deutschen Christen ernannt. Tausch hatte vorher aktiv an der Kundgebung teilgenommen und vor der Entschließung 60 DC-Fahnen geweiht (vgl. J K 1, 1 9 3 3 , S . 3 1 2 ; GAUGER I , S.

111/

68

Dokument 6

den, während Bischöfe und Oberkonsistorialräte sich ohne merkbaren Protest und zum Teil mit festgestelltem Beifall die schwersten Schmähungen der Bibel gefallen lassen. Ich glaube nicht, daß unsere Fakultät sich von einem deutlichen Votum des Mißtrauens gegen die Einführung des RB dispensieren darf, so bescheiden natürlich seine Wirkung ist, wenn er uns so bei der ersten Probe im Stich läßt. Sein begrüßenswerter Erlaß ist ja doch wirklich ein leeres Wort, wenn die Männer, die durch ihre Leitung der G D C es zu diesem Skandal haben kommen lassen und durchaus die intellektuell und moralisch dafür Verantwortlichen sind, unangefochten in der Leitung der Kirche bleiben. Daß Hossenf[e/¿/er]18 (laut Zeit[wn]g noch am Luthersonntag auftreten durfte, ist empörend. Folgen umgekehrt diesem Worte wirkliche Taten, so würde ich meiner Fakultät raten, sich einem Versuch der Zusammenarbeit nicht zu versagen. Ich komme zu einem Vortrag in einer Theol[ogischen] Konferenz Ende der Woche nach Berlin und werde versuchen, Sie zu sprechen. Mit herzlichem Gruß Ihr

[von Soden]

Briefwechsel mit dem Preußischen Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung 1933

Dezember

a) Hans von Soden an Johann Daniel Achelis Marburg 1933 Dezember NL I, Fall Uckeley und Fall Rade. -

15

Durchschlag.

Sehr verehrter Herr Ministerialrat! Hiermit möchte ich mir die Bitte vorzutragen erlauben, mir in nächster Zeit einen Empfang zur Besprechung in Angelegenheiten der Marburger Fakultät zu gewähren. Ich werde dafür gern am Donnerstag oder Freitag nächster Woche zur Verfügung stehen, oder aber in den Tagen nach Weihnachten oder nach Neujahr, wenn 18 Joachim Hossenfelder (1899-1976), Reichsleiter der Deutschen Christen; er wurde nach dem „Sportpalastskandal" von Christian Kinder (1897-1972), Konsistorialrat in Kiel und Staatskommissar der Schleswig-Holsteinischen Landeskirche, abgelöst.

Dokument 6

69

Ihnen dies lieber sein sollte. Grund zu dieser Bitte sind die in den letzten Wochen an unsere Fakultät ergangenen Verfügungen des Herrn Ministers. Sie lassen mich leider befürchten, daß bei unserm vorgeordneten Ministerium das Vertrauen zu unserm Kollegium und seiner Arbeit im Dienste des Staates nicht in dem Maße besteht, ohne welches wir unsere Verpflichtung schwer in wirksamer Weise erfüllen können - schon deshalb nicht, weil für Außenstehende solche Entscheidungen unsere Stellung als erschüttert erscheinen lassen müssen. Ich darf die wichtigsten Punkte, die ich gern besprechen möchte, im voraus kurz bezeichnen. I. Der H e r r Minister hat über die Besetzung der praktisch theologischen Professur in Marburg durch Versetzung des Herrn Professor D. Uckeley aus Königsberg nach hier eine Entscheidung getroffen, welche an den Vorschlägen der Fakultät völlig vorübergeht, ohne dieser Gelegenheit zu einer Äußerung über den vom Herrn Minister jetzt berufenen Gelehrten zu geben 1 . Ich weiß natürlich, daß dies nach der formalen Rechtslage durchaus unanfechtbar ist; es weicht aber von dem üblichen, und ja aus guten sachlichen Gründen üblichen, Verfahren ab. Es muß der Fakultät daran gelegen sein, über die Gründe dieser Abweichung eine Auskunft zu erbitten soweit dies angängig erscheint. Es handelt sich dabei noch weniger um die freilich wohl kaum unberechtigten Empfindungen, die ein solches Nicht-Gehört-Werden bei den Betroffenen hinsichtlich der Würde ihres Amtes auslösen muß, als darum, daß auf diese Weise die Gelegenheit nicht gegeben war, sachliche und kirchliche Gesichtspunkte geltend zu machen, deren Nichtberücksichtigung sich ungünstig auswirken dürfte, zumal, wie ich erfahre, auch die in dem Staats-Kirchenvertrage vorgesehene Rückfrage bei der Kurhessischen Kirchenleitung unterblieben ist. Ich möchte daher bitten, diese Gesichtspunkte noch nachträglich zur Sprache bringen zu dürfen, um unerwünschten Verwicklungen nach Möglichkeit vorzubeugen. Die praktisch theologische Professur ist, auf die geistliche Erziehung künftiger Pfarrer gesehen, fast die wichtigste in einer theologischen Fakultät, und die Besetzung der e i n z i g e n praktischen Professur bei der e i n z i g e n Fakultät eines Landeskirchengebietes steht überdies unter besonderen, bei anderen Berufungen nicht in gleichem Maße erheblichen Rücksichten. II. Ein weiterer Punkt, den ich bitte besprechen zu dürfen, ist die Entlassung von D. Rade aus dem Staatsdienst auf Grund von § 4 des 1 Alfred Uckeley (1874-1955), oProf. für Praktische Theologie, wurde gegen den Wunsch der Fakultät als Nachfolger von Karl Bornhäuser von Königsberg nach Marburg versetzt.

70

Dokument 6

Gesetzes zur "Wiederherstellung des Berufsbeamtentums 2 . Ich selbst bin mit Rade seit 30 Jahren befreundet und glaube seine politische Einstellung und Betätigung hinlänglich zu kennen. Sie ist in ihrer konkreten Haltung keineswegs immer mit der meinigen übereinstimmend gewesen; wir haben in gewissen nationalpolitischen Fragen manche sachlich scharf gegensätzliche Verschiedenheit aneinander zu tragen gehabt und auch miteinander besprochen. Ich kenne ja die Tatsachen nicht, auf denen die Entscheidung des Herrn Ministers beruht, möchte aber einstweilen von vornherein annehmen, daß ich kaum Anlaß hätte, sie hinsichtlich ihrer Feststellung anzufechten. Ich weiß aber eben aus meinen Auseinandersetzungen mit Rade, daß f ü r ihn wirklich niemals etwas anderes bestimmend gewesen ist, als reinste und leidenschaftlichste Hingabe an Volk und Vaterland ebenso wie an Christentum und Kirche. Er wurzelt ganz in der nationalen Erinnerung der deutschen Einheitskriege und der Bismarckzeit, deren Eindrücke seine Jugend bestimmt haben, und ist einer der Träger des nationalsozialen Gedankens gewesen, der doch unbestreitbar in wichtigen Beziehungen dem nationalsozialistischen Wege bereitet hat. Ich kann gerade als entschiedener Gegner mancher politischer Äußerungen Rades d a f ü r einstehen, daß seine M o tive stets rein ethischer N a t u r gewesen sind; auch Irrtümer können ja aus solchen Motiven entstehen, zumal wenn der Gegner nicht immer moralisch zu überzeugen vermag. Ich bin wohl reif genug, und der Kreis meiner Lebenserfahrung und Menschenkenntnis ist weit genug, daß ich bitten darf, ernst zu nehmen, was ich jetzt sage: H ä t ten wir in Deutschland zwanzig Prozent Menschen von der charakterlichen Reinheit und Gesinnungsechtheit Rades, so wäre niemals eine nationalsozialistische Revolution nötig gewesen. N u n wird dieser Mann, den zu ihren Freunden und Kollegen zu zählen auch seine politischen Gegner in der Fakultät stolz sind und bleiben werden, wegen nationaler Unzuverlässigkeit aus dem Staatsdienst entlassen! Da er mit 77 Jahren in keiner Weise mehr wirksam ist, im aktiven Staatsdienst schon seit Jahren nicht mehr steht, ein Schaden von ihm also dem Staat in keiner Hinsicht erwachsen könnte, so

2 Nr. 2, Anm. 5. - § 4 lautet: Beamte, die nach ihrer bisherigen politischen Betätigung nicht die Gewähr dafür bieten, daß sie jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat eintreten, können aus dem Dienst entlassen werden. . . . Die Vorschriften des Abs. 1 finden auf Beamte, die bereits vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes in den Ruhestand getreten sind, entsprechende Anwendung, indem an die Stelle der Entlassung die Entziehung des Ruhegeldes tritt (ergänzt am 22. September 1933; R E I C H S G E SETZBLATT 1933, 1, S. 655); letzteres war bei Rade, der am 24. November 1933 entlassen wurde, der Fall.

Dokument 6

71

kann diese Entlassung nur als eine Ehrenstrafe wirken, die mit ihm selbst auch die Fakultät trifft, der er angehört. Damit aber geschieht ihm, ich darf das nicht anders nennen, ein Unrecht, und davon wieder ist die unvermeidliche Folge, die sich in der Auslandspresse bereits deutlich abzeichnet, daß unserem nationalen Staat gerade aus Rades Entlassung empfindlicher Schade erwächst, umso mehr als sie im Ausland unvermeidlich in den ohnehin so verhängnisvoll wirkenden kirchenpolitischen Zusammenhängen erscheint. Ich bitte daher herzlich und dringend, Ihren Rat darüber einholen zu dürfen, was geschehen kann, um den Herrn Minister zu bewegen, die getroffene Maßnahme aufzuheben oder abzuändern. III. Der H e r r Minister hat mir und meinem Kollegen D. Bultmann mit Erlaß vom 30. November d[¿eíe]s J[o/j] hingewiesen, und „was f ü r Sünden!" werden viele sagen: „das ist also der Einbruch in Glaubens- und Bekenntnisstand, daß ein einheitliches Gesangbuch und eine einheitliche Liturgie kommen sollen". Auf diese Nebenpunkte dürften wir die Sache nicht verschieben, weil den Gegnern auf solche Weise schöne Gelegenheit gegeben ist, solche Nebenpunkte als unsere „Hauptanliegen" hervorzuziehen. Man kann m. E. auch sehr verschiedener Meinung sein über diese beiden Punkte. Mir wäre es sehr lieb, wenn ein Einheitsgesangbuch käme! Ich würde mich auch durch eine Einheitsliturgie noch nicht geschmälert sehen in meinem kirchlichen Wohlbefinden, so sehr ich auch da anfinge, zu bedauern. Die „Laien" werden solche Anliegen n i c h t verstehen. Und dem Laien wird von der ganzen Erklärung vieles unverständlich bleiben. Er wird sich dann von solchen Sätzen her das Licht holen über unser Wollen und wird uns nicht verstehen. Ich möchte sehr gern, daß dieser ganze Passus einfach 13

Vgl. oben Nr. 7a.

87

Dokument 8

fallen gelassen wird. Einheitsgesangbuch und Einheitsliturgie sind zumindest sehr wenig eindrucksvolle Argumente. d e r S c h l u ß s a t z d e s G a n z e n : der wird wenigen verständlich sein; ich glaube ihn jetzt kapiert zu haben nach längerer Überlegung. Dieser letzte Satz schwächt infolge seiner Undurchsichtigkeit das ganze sehr ab. Vielleicht können auch aus diesem Satz Waffen gegen uns geschmiedet werden. Bitte nehmen Sie, verehrter Herr Kollege, die kritischen Bemerkungen nur als ein Zeichen der starken Anteilnahme an Ihrem Wollen. Mit bestem G r u ß Ihr ganz ergebener

Baumgärtel

d) Joachim Jeremias an Hans von Soden Greifswald 1934 Mai 10 NL I, Erklärung Mai 1934. - Maschinenschriftliche Sehr verehrter H e r r Kollege!

Ausfertigung.

Die Absicht, ein Wort zur kirchlichen Lage zu sagen, begrüße ich lebhaft. Ich würde allerdings eine knappere Fassung und die Konzentrierung auf ein theologisches Gutachten zu den beiden z . Z . brennendsten Fragen 1) Ist die Trennung von äußerer O r d n u n g und Glauben und Bekenntnis und 2) Ist eine katholisierende Hierarchie mit dem Bekenntnis vereinbar? begrüßt haben. Meine Unterschrift muß ich abgesehen von den von Herrn Koll. Hermann genannten Punkten von zwei Änderungen abhängig machen. 1) Abschn. I Abs. 1: „eine rein formal-politische ,Einheit'": hier bitte ich, das Wort politisch zu entfernen. 2) Abschn. III Abs. 2 und 3: Das Wort „Führerprinzip" ist mißverständlich, weil es ein fester politischer Begriff ist, der hier nicht gemeint ist. Der Zusatz „kirchlich" (also: das sogenannte kirchliche Führerprinzip) reicht m. E. nicht aus zur Ausschaltung des Mißverständnisses. Ich bitte, das Wort zu vermeiden, und würde als Ersatz vorschlagen: „katholisierende Hierarchie" oder ähnlich. 3) Außerdem schließe ich mich dem Wunsche des Herrn Koll. Baumgärtel an, meine Unterschrift nur zu verwenden, wenn die Erklärung mit 30 Unterschriften abgehen kann, da m. E. bei weniger Unterschriften im Interesse der Wirkung der Erklärung nach einer Fassung gesucht werden müßte, die weitgehendere Zustimmung findet.

88

Dokument 8

Sehr begrüßen würde ich es, wenn der Schlußabsatz des Ganzen (Umfassender Zusammenschluß . . .) wegfiele, da insbesondere die Wendung „gehorsame Bindung" (des Führenden? der Geführten? beider? Doch wohl das Erste!) unklar erscheint. Auch die Streichung bzw. Umredigierung des Abschn. I Abs. 2 (Wie wenig . . .) würde ich sehr begrüßen (Etwa: „Da es nicht möglich ist, eine Grenze zu ziehen" oder ähnlich). Mit kollegialer Begrüßung bin ich Ihr sehr ergebener

Jeremias

e) Friedrich Baumgärtel an Hans von Soden Greifswald NL I, Erklärung Mai 1934. - Maschinenschriftliche Sehr verehrter Herr Kollege!

1934 Mai 11

Ausfertigung.

Mein Schreiben vom 10. Mai muß ich noch in einem Punkte ergänzen, den ich sofort Herrn Kollegen Hermann gegenüber zur Sprache gebracht, dann aber auf Grund eines Gespräches mit ihm und Kollegen Deißner wieder fallen gelassen hatte. Ich komme aber doch nicht über ihn hinweg und muß nun doch auch davon die Vollziehung meiner Unterschrift abhängig machen: Sub II, Zeile 5 von unten: „daß der Staat die Verfassung der Kirche seinen eignen Formen anzugleichen habe". Es kann daraus m.E. herausgelesen werden ein Vorwurf gegen den Staat: er mache den Versuch, seine Formen der Kirche aufzudrängen. Da er das nicht tut, sondern da die Kirche solches unternimmt, müßte es m.E. heißen: „. . . und daß sie ihre Verfassung den Formen des Staates anzugleichen habe". Ich bitte Sie, diesen Punkt als Punkt 6 zu den in meinem Brief vom 10. Mai genannten fünf Punkten noch hinzuzunehmen. Ich kann nicht unterschreiben, wenn dieser Satz nicht geändert werden kann. Ihr ergebenster

Baumgärtel

89

Dokument 8

f) Friedrich Baumgärtel an Hans von Soden Greifswald 1934 Mai 12 NL I, Erklärung Mai 1934. - Maschinenschriftliche

Ausfertigung.

Sehr verehrter H e r r Kollege! Auf Grund eines Austausches mit D. Sellin 14 , der Ihnen ja wohl unterdessen seine Unterschrift unter bestimmter Bedingung (mindestens 50 Unterschriften) übermittelt hat, möchte ich Ihnen die Bitte schreiben, Sie möchten bei mir d i e s e Bedingung auch einsetzen (also 50 Unterschriften beamteter Dozenten mindestens, nicht 30). Ich bin nach wie vor - mit D. Sellin - überzeugt, daß eine geringe Anzahl von Unterschriften der Sache nur schadet, daß es überhaupt gut wäre, wenn die Sache nicht überstürzt, sondern evtl. doch noch einmal auf einer Zusammenkunft irgendwo durchberaten würde. Ich kann mich innerlich mit der grundsätzlichen Art Ihrer Erklärung wenig befreunden. Es läßt sich alles ebenso scharf sagen, ohne daß so starke Angriffsflächen geboten werden. Man muß es m . E . dem Gegner viel schwerer machen, die ganze Sache herunterzureißen! Ihr ergebener

Baumgärtel

g) Heinrich Frick an Hans von Soden Marburg 1934 Mai 14 NL I, Erklärung Mai 1934. - Handschriftliche

Ausfertigung.

Lieber H e r r von Soden, Die vorgeschlagene „Erklärung" kann ich nicht unterzeichnen. Bei nochmaliger Prüfung des Textes sind die schon neulich angedeuteten Bedenken nicht gewichen, sondern in erheblichem Maße gewachsen. Meine Einwände beziehen sich sowohl auf die Form als auch auf den Inhalt der Erklärung. Es fehlt ihr m. E. die wirksame Stilisierung und vor allem der systematisch strenge Gedankengang. Die gehäufte Zitation der Bekenntnisschriften halte ich f ü r schwerfällig und im Inhalt f ü r eine zweischneidige Waffe, die man eines Tages gegen uns schwingen wird. Das Verhältnis aber zwischen Kirche und Staat wie das zwischen Gemeindeaktivität und Führeramt ist als das zentrale theologische Thema der Erklärung einer klareren, tieferen und vor allem deutlicher evangelischen Behandlung bedürftig als 14

Emst Sellin (1867-1946),

oProf. für Altes Testament in Berlin.

90

Dokument 8

sie hier geboten wird. Angesichts der Folgenschwere dieser Fragen halte ich es f ü r gewiesen, meine Bedenken freimütig zu äußern. Es wird dadurch verständlich, daß ich ehrlicherweise diesem Text die Gefolgschaft weigern muß. Mit herzlichem Gruß Ihr

Heinrich Frick

h) August Marahrens an Hans von Soden Hannover 1934 Mai 16 NL I, Erklärung Mai 1934. - Maschinenschriftliche

Ausfertigung.

Hochzuverehrender Herr Professor! Für Ihre Zeilen vom 14. d.Mts. 1 5 und die Anlagen sage ich Ihnen aufrichtigen Dank. Vieles entspricht meiner Stellungnahme. Da in diesen Tagen unser Landeskirchentag stattfinden sollte, waren mir Ihre „Erklärungen" eine ganz besonders wertvolle Gabe zur Uberprüfung meines Standpunktes. Leider ist der Landeskirchentag nicht Wirklichkeit geworden. Der Kirchensenat, der die Ermächtigung hatte, hat gestern die Eingliederung der Landeskirche beschlossen 16 . Unter ausführlicher Begründung meines Standpunktes habe ich in dem Gremium, dem 5 Deutsche Christen und außer mir noch ein Nicht-D. C.-Propst angehören, gegen die Eingliederung votiert. Nach schweren Überlegungen - als Vorsitzender des Kirchensenats bin ich an sich zur Ausfertigung der getroffenen Gesetze verpflichtet - habe ich eine Unterzeichnung des Gesetzes abgelehnt 17 . Sie ist in meiner Abwesenheit rechtsgültig von dem stellvertretenden Vorsitzenden erfolgt. Die Folge dieser Lage ist die Bildung einer bewußten Bekenntnisfront. Ich bin entschlossen, von meinem Amt aus unbeirrt den Bekenntnisstand unserer Landeskirche zum Ausdruck zu bringen. Sobald ich klar sehe, ob Schritte gegen mich unternommen werden und dadurch die Lage vorangetrieben wird, bin ich gern bereit, Sie Näheres wissen zu lassen. Möchten wir nicht versagen! In aufrichtiger Verehrung Ihr ergebenster

15

Marahrens

Begleitschreiben zur Übersendung des Entwurfs der Erklärung ( N L II, Fase. 19). Vgl. dazuJK 2, 1934, S. 461-469; E. KLÜGEL, Landeskirche, S. 112ff. " Nach E. KLÜGEL (ebd., S. 122 ff.) hatte Marahrens zunächst das Gesetz unterzeichnet, dann aber seine Unterschrift durchgestrichen. 16

91

Dokument 8

i) Hans von Soden an Martin Rade Marburg 1934 Mai 17 NL I, Erklärung Mai 1934. - Durchschlag. Lieber Freund! Für Ihren Brief 18 herzlichen Dank! Um die gestrige Fakultätssitzung brauchen Sie sich nicht zu sorgen. Seit Uckeley der Fakultät angehört 1 9 , können wir selbstverständlich nichts Intimes mehr in ihr besprechen. Die Frage der Erklärung habe ich mit den einzelnen Kollegen besprochen, die zu unterschreiben oder nicht zu unterschreiben wünschten: je etwa die Hälfte. Ich muß es aber ein für allemal und nachdrücklich ablehnen, mich von der sogenannten Geschlossenheit der Fakultät in meinen Uberzeugungsentscheidungen bestimmen zu lassen. Ich kann nicht jedes Mal die eine Hälfte der Fakultät lahmlegen, wenn die andere Gründe hat, irgend einen Schritt, den ich f ü r richtig halte, mitzumachen, ihrerseits nicht mitzumachen. Geschlossen kann die Fakultät in einer so kritischen Lage auf die Dauer nur sein, wenn sie schweigt. Ich denke aber nicht, den Kollegen aus anderen Fakultäten, die gegen ihre Fakultätskollegen sich zu einem Protest gegen Gewalt und Lüge in der Kirche entschließen, das Eintreten für Recht und Wahrhaftigkeit zu überlassen und Marburg auszuschalten. Die in Rede stehende Erklärung wird von mehr als 30 Kollegen aus mindestens 6 Fakultäten unterzeichnet werden. Eine solche Gemeinschaft ist viel wertvoller als die stumme Geschlossenheit Marburgs. Ich werde mein Dekanat sofort niederlegen, wenn mir zugemutet wird, damit auf die Freiheit meines Redens und Tuns in Gewissensfällen zu verzichten. Ich gedenke nicht nach dem bekannten Wort zu handeln: Ich bin hier Führer, also muß ich ihnen gehorchen. Zumal die mit mir gehende Hälfte ja genau denselben Anspruch hat wie die andere. In der gegenwärtigen Lage müssen wir es, so schmerzlich es auch gerade mir ist, eben tragen, daß entscheidende Fronten auch einmal durch Marburg hindurchgehen. Ich lasse mir natürlich auch nicht nehmen, außerhalb zu verhandeln mit wem ich will. Den kirchenpolitischen Kredit habe ich auch für meine Person und gedenke ihn mir zu erhalten. Da ich sogleich verreisen muß, habe ich keine Zeit, die Motive für unsere Erklärung näher darzulegen. Die Zahl der Unterschriften aus verschiedenen Fakultäten zeigt Ihnen ja, daß sie starke Gründe hat. Sie wird

18

"

Brief zu Fakultätsproblemen Vgl. oben Nr. 6a.

vom 16. Mai 1934 (NL I, Erklärung Mai 1934).

92

Dokument 8

in der nächsten Woche nur dann nicht veröffentlicht werden, wenn sie durch die Ereignisse überflüssig werden sollte, und das ist kaum anzunehmen. Die Erklärung ist schon viel zu vielen bekannt, als daß ihre Zurückziehung überhaupt in Frage käme. Bei ihrer Formulierung habe ich meinerseits auch erhebliche Zugeständnisse machen müssen und trage deshalb die Zensuren der Kollegen über Mangel an systematischer Linienführung, evangelischer Tiefe und weiteren Qualitäten durchaus mit Fassung. Mit herzlichem Gruß stets Ihr

[von Soden]

j) Rudolf Otto an Hans von Soden Marburg 1934 Mai 18 NL I, Erklärung Mai 1934. - Maschinenschriftliche Lieber Herr Kollege.

Ausfertigung.

Ihre Anschrift habe ich20 erwogen. Es tut mir leid, daß ich bei einer Sache, bei der Sie Führer und Mitverantworter sind, nicht mitmachen kann. Ich weiß wahrlich in heutiger Lage eine so kräftige Führung mit soviel Tapferkeit, wie Sie beweisen, zu schätzen. Wie gern würde ich mich21 unterstellen. Aber ich kann es in diesem Falle nicht. Meine Gründe will ich Ihnen kurz sagen. Ich bin mein Leben lang dafür eingetreten, daß „Bekenntnis" nicht identisch ist mit „Bekenntnisschriften" und am wenigsten mit einzelnen Sätzen derselben, sondern daß „Bekenntnis" die neue Glaubens- und Gesinnungshaltung bedeutet, die in der Reformation durchgebrochen ist. Darum erscheint es mir unmöglich, mit einzelnen Bekenntnisparagraphen ins Feld zu ziehen. Eine solche Methode würde sich unmittelbar gegen mich selber richten. Und da ich als liberaler Theologe bekannt bin, würde mein Name unter der Anschrift diese selber diskreditieren. Denn manchen Satz der Bekenntnisschriften erkenne ich nicht als richtig und nicht als verbindlich an. Würde man erwiesen haben, daß die Haltung der Gegner gegen G e i s t und Sinn protestantischer Glaubens- und Gemeinschaftsauffassung geht, so wäre das etwas anderes. So aber wie sie ist, macht sie den Anspruch auf Geltung einzelner Sätze, und dem Gegner würde es in diesem Sinne ein leichtes sein, mir nachzuweisen, daß ich ja selber nicht 20 Rudolf Otto (1869-1937), oProf. für Systematische Theologie und vergleichende Religionswissenschaft in Marburg. 21 Original: mir.

Dokument 8

93

„auf dem Boden des Bekenntnisses stehe", d a ß ich also kein Recht habe, von hier aus seine H a l t u n g zu kritisieren. Es k o m m t noch eins hinzu. Bei meinem neuerlichen Aufenthalte in Berlin habe ich M ä n n e r der Gegenseite kennengelernt, die in diesem Sinne viel massiver als ich „auf dem Boden des Bekenntnisses stehen" und eine Berufung meinerseits auf den Buchstaben der „Bekenntnisschriften" mit Entrüstung u n d , wie ich zugeben muß, mit Recht abweisen würden. Bei solcher Sachlage habe ich die ernste Befürchtung, d a ß Ihr Schreiben den Process der Entspannung der Gegensätze, der ersichtlich schon eingesetzt hat, aufhalten und zu einer neuerlichen Verhärtung der Frontstellungen f ü h r e n kann, der dann ernstlich das Wenige, was wir noch an kirchlicher Gemeinschaft haben, in Frage stellen kann. Die Anschrift ist übrigens so elementar gehalten, d a ß ich, wenn ich sie unterzeichnen könnte, zu einer sehr sorgfältigen Redaktion raten müßte, besonders auch zu einer Vermeidung von Schärfen, die sich gelegentlich darin zeigen. Mit bestem G r u ß e Ihr

R. O t t o

PS. Nochmals besten D a n k f ü r Überlassung Ihres Seminarsaales. Ich h o f f e , daß meine kleine Schaar Ihnen keine Störungen bereiten wird.

k) Hans von Soden an Rudolf Hermann Marburg 1934 Mai 19 NL 1, Erklärung Mai 1934. - Durchschlag. Lieber H e r r Kollege! Vielen D a n k f ü r Ihren Brief 2 2 , den ich wegen einer Reise erst heute beantworten kann. Unseren vertrauensvollen Beziehungen entsprechend sende ich Ihnen mit der Bitte um Rückgabe die Durchschläge aller meiner in der Sache der Besprechung an Lütgert gerichteten Briefe 23 . Sie ersehen daraus, weshalb ich in dieser Sache eine

22 Brief vom 15. Mai 1934 (NL I, Erklärung Mai 1934) zur Frage der Besprechung (vgl. folgende Anm.) mit dem Vorschlag, Erich Seeberg als Dekan der Berliner Fakultät daran zu beteiligen. 23 Im Mai 1934 wurde (wohl auf eine Anregung Hermanns hin ) v. a. zwischen von Soden, Lütgert und Hermann die Frage erörtert, ob und in welcher Zusammensetzung eine Delegation theologischer Hochschullehrer einen Empfang bei Reichsinnenminister Frick erwirken solle, um dabei vor allem die Wiederherstellung des Rechts der Reichskirchenver-

94

Dokument 8

Verbindung mit E[rich] S[eeberg] nicht für förderlich halte. Er hat sich ja auch im Januar bei Jäger betont von mir differenziert 24 , was J[äger] auch sofort feststellte. Das ist natürlich das gute Recht von S [eeberg], und ich verüble es ihm persönlich nicht im Allergeringsten, auch betraf es ja damals nicht oder nur zum Teil den eigentlichen Gesprächsgegenstand. Ich würde jeden Schritt mit S [eeberg] gemeinsam tun, bei dem wir eben in der sachlichen Forderung einig wären. Es hat aber keinen Sinn, daß wir zusammmen zu Frick gehen. Denn von seinem Standpunkt aus müßte er sowohl meine Anklagen als meine Forderungen einschränken und abschwächen, und ich muß die Freiheit haben, falls das Gespräch sich so wenden sollte, auch das Berliner Gutachten 25 zu kritisieren. Ich will Entscheidung gegen die Gewalttäter und Lügner in der gegenwärtigen Kirchenleitung und Wiederherstellung des Rechts (gegen die harmlosen DC bin ich dann friedlich und nicht dogmatisch intransigent), ich lehne jede Vermittlung ab, die - um welchen Preis immer - die Anerkennung der gegenwärtigen Kirchenleitung bedeutete. Wollen andere vermitteln, so ist das ihr gutes Recht, und ich werde sie nicht stören, wünsche aber aus Einsichts- und Gewissensgründen daran unbeteiligt und dafür nicht verantwortlich zu sein. Ich füge einen Durchschlag der redigierten Erklärung bei, in der ich Ihren Wünschen Rechnung getragen habe. Diejenigen von Herrn Koll. Jeremias konnte ich nicht aufnehmen, da man sich nicht die Zähne ausbrechen soll, wenn man beißen will; außerdem haben die sonstigen Mitunterzeichner die Zugeständnisse auch bestimmt begrenzt. Auch Herrn Baumgärtel, dem ich sehr für seine Briefe danke, konnte ich nur zum Teil folgen. Wie man es dem Gegner leicht macht, ist immer Ansichtssache. Ich kenne Herrn Jäger wohl am besten und habe es ihm wahrhaftig nicht leicht gemacht. Es kommt jetzt gerade auf Schärfe an. Und wenn Herr Koll. Baumgärtel zur Bedingung macht, daß 50 beamtete Dozenten unterschreiben, so bekommt er heute keine Erklärung mehr zustande, in der etwas Ernsthaftes steht, es müßte sich dann um eine sachlich so einfache Angelegenheit handeln 26 wie bei unserem Protest gegen den 4. Jafassung vom Juli 1933 zu fordern. Diese Besprechung kam jedoch nicht zustande; ein Schreiben von Sodens an Ministerialrat Metzner vom 3. Juni 1934 ( N L I, Erklärung Mai 1934) blieb ohne Antwort (Brief von Sodens an Lütgert vom 22. Juni 1934; N L I, Erklärung Mai 1934). 24 Vgl. oben Nr. 7b. 25 Gemeint ist das Gutachten Reinhold Seebergs vom 8. Februar 1934 (JK 2, 1934, S. 498-503) zu den deutsch-christlichen „28 Thesen zum inneren Aufbau der Deutschen Evangelischen Kirche"(ebd., S. 31-33). 26 Original: halten.

95

Dokument 8

nuar 27 . Im übrigen glaube ich nach Lage der Sache, soweit und wie ich sie sehen kann, an keinerlei Fortschritt auf der Basis taktischer Zurückhaltung. Aber wir können das ja besprechen. Mit herzlichen Grüßen an Sie und die verbundenen Kollegen Ihr [•von Soden]

1) Hans von Soden an Heinrich Schlier Berlin 1934 Mai 24 NL I, Erklärung Mai 1934. - Handschrifiliche

Ausfertigung.

L [ieber] H [err] S eh [/¿er] Die Erkl[¿rung] kann nun abgehen. Es werden dringend noch 2 kl [eine] Änderungen gewünscht, die man m. E. konzedieren soll. Das „sogenannte" vor „Führerprinzip" ist zu streichen, es wird als abschätzig empfunden u[nd] ist ja überflüssig. Anstatt: „Es ist gegen die Wahrheit" 28 , soll es heißen: „es geht nicht an", ungenau, aber meinetwegen. - Unter den Unterschriften fehlt noch (von mir vergessen): Schuster - Göttingen 29 ; es kommt noch hinzu: Deissmann Berlin30, evtl. 3 weitere Berliner, die direkt an Sie schreiben. Ins RIM gehe ich zunächst Mo[ntag] Vorm[¿£TAG] allein U[«ÍÍ] privatim, um weiteres zu klären. Mit \ierz\[ichem] Gruß Ihr

HvSoden

Für die Zeitschr[¿/fen] ist auf die Erkl[ärung] zu setzen: „Mit der Bitte um Abdruck".

27

Vgl. oben Nr. 7. Im ersten Entwurf lautete die Formulierung :Es grenzt an H o h n (vgl. unten S. 367), inzwischen wohl redigiert. " Hermann Schuster (1874-1965), seit 1924 Honorarpro