Theoderich der Große und das gotische Königreich in Italien 9783110686692, 9783110658200

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Theoderich der Große und das gotische Königreich in Italien
 9783110686692, 9783110658200

Table of contents :
Inhalt
Dank
Verzeichnis der Abkürzungen
Zur Einleitung
Die Städte Nord- und Mittelitaliens im 5. und 6. Jahrhundert n. Chr
Die gotischen Könige und die Stadtlandschaft Roms
Landscapes, Townscapes, and Trade in Sicily AD 400–600
Ostrogothic Italy: Questioning the Archaeologies of Settlement
Ipse Haereticus favens Judaeis. Homöer und Juden als religiöse Minderheiten im Ostgotenreich
Katholische Geistliche, homöischer König. Gedanken zu konfessioneller Differenz und politischer Kooperation
Quod prosperum nobis utile rei publicae sit. Senatorische Macht und Ressourcenkontrolle im Italien Theoderichs
Das Edikt Theoderichs des Großen. Konzepte der Kodifikation in den post- römischen Königreichen
Von Theoderich zu Athalarich: das gotische Königtum in Italien
Römische Identität(en) im gotischen Italien
Gotische Identitäten
“Anthologizing their successes”: Visions of the Past in Gothic Italy
(K)Ein Gote? Theoderich und die Heldensage der Germanen
Statt eines Nachworts: Theoderich und die Goten in Italien, 1544–2018
Kurzbiographien der Autoren
Personenregister
Ortsregister

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Theoderich der Große und das gotische Königreich in Italien

Schriften des Historischen Kollegs Herausgegeben von Martin Schulze Wessel Kolloquien 102

Theoderich der Große und das gotische Königreich in Italien

Herausgegeben von Hans-Ulrich Wiemer

Schriften des Historischen Kollegs herausgegeben von Martin Schulze Wessel in Verbindung mit Florian Albert, Birgit Emich, Thomas O. Höllmann, Hartmut Leppin, Susanne Lepsius, Bernhard Löffler, Frank Rexroth, Willibald Steinmetz und Gerrit Walther Das Historische Kolleg fördert im Bereich der historisch orientierten Wissenschaften Gelehrte, die sich durch herausragende Leistungen in Forschung und Lehre ausgewiesen haben. Es vergibt zu diesem Zweck jährlich bis zu drei Senior Fellowships und bis zu drei Junior Fellowships sowie alle drei Jahre den „Preis des Historischen Kollegs“. Die Senior Fellowships, deren Verleihung zugleich eine Auszeichnung für die bisherigen Leistungen darstellt, sollen den berufenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern während eines Kollegjahres die Möglichkeit bieten, frei von anderen Verpflichtungen eine größere Arbeit abzuschließen. Professor Dr. Hans-Ulrich Wiemer (Erlangen-Nürnberg) war – zusammen mit Professor Dr. Stefan Plaggenborg ­(Bochum), Dr. Magnus Ressel (Frankfurt a. M.) und Dr. Peter Svík (Tartu/Estland) – Fellow des Historischen Kollegs im Kollegjahr 2015/2016. Den Obliegenheiten der Fellows gemäß hat Hans-Ulrich Wiemer aus seinem Arbeitsbereich ein Kolloquium zum Thema „Theoderich der ­Große und das gotische Königreich in Italien“ vom 18.–20. Februar 2016 im Historischen Kolleg gehalten. Das Kolloquium wurde durch die Fritz Thyssen Stiftung gefördert. Die Ergebnisse des Kolloquiums werden in diesem Band veröffentlicht. Das Historische Kolleg wird seit dem Kollegjahr 2000/2001 – im Sinne einer „public private ­partnership“ – in seiner Grundausstattung vom Freistaat Bayern finanziert, die Mittel für die ­Stipendien kamen bislang unter anderem von der Fritz Thyssen Stiftung, dem Stiftungsfonds ­Deutsche Bank, der Gerda Henkel Stiftung, der C.H.Beck Stiftung und dem Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft. Träger des Historischen Kollegs, das vom Stiftungsfonds Deutsche Bank und vom Stifterverband errichtet und zunächst allein finanziert wurde, ist die „Stiftung zur Förderung der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und des ­Historischen Kollegs“. Hans-Ulrich Wiemer wurde im Kollegjahr 2015/2016 von der Fritz Thyssen Stiftung gefördert. www.historischeskolleg.de Kaulbachstraße 15, D-80539 München Tel.:+49 (0) 89 2866 380 Fax:+49 (0) 89 2866 3863 Email: [email protected] ISBN 978-3-11-065820-0 e-ISBN (PDF) 978-3-11-068669-2 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-068683-8 Library of Congress Control Number: 2020941472 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://portal.dnb.de abrufbar. © 2020 Walter De Gruyter GmbH, Berlin/Boston Die Bildnachweise zu den Abbildungen in den Beiträgen befinden sich jeweils in der Bildunterschrift. Sollten trotz sorgfältiger Recherche nach den Rechteinhabern berechtigte Ansprüche bestehen, wenden Sie sich bitte unmittelbar an den Autor/die Autorin des jeweiligen Beitrages. Umschlagbild: Grabstätte Theoderichs des Großen in Ravenna; Bild und ©: Prof. Dr. Carola Jäggi (Kunsthistorisches Institut der Universität Zürich) Satz: Typodata GmbH, Pfaffenhofen/Ilm Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com

Inhalt Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Verzeichnis der Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX Hans-Ulrich Wiemer Zur Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Christian Witschel Die Städte Nord- und Mittelitaliens im 5. und 6. Jahrhundert n. Chr. . . . . . . . 37 Ralf Behrwald Die gotischen Könige und die Stadtlandschaft Roms . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 Emanuele Vaccaro Landscapes, Townscapes, and Trade in Sicily AD 400–600 . . . . . . . . . . . . . . . . 89 Neil Christie Ostrogothic Italy: Questioning the Archaeologies of Settlement . . . . . . . . . . . 125 Hanns Christof Brennecke Ipse Haereticus favens Judaeis. Homöer und Juden als religiöse Minderheiten im Ostgotenreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 Jan-Markus Kötter Katholische Geistliche, homöischer König. Gedanken zu konfessioneller ­Differenz und politischer Kooperation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 Peter Eich Quod prosperum nobis utile rei publicae sit. Senatorische Macht und ­Ressourcenkontrolle im Italien Theoderichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 Karl Ubl Das Edikt Theoderichs des Großen. Konzepte der Kodifikation in den ­post-römischen Königreichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223

VI

Inhalt

Hans-Ulrich Wiemer Von Theoderich zu Athalarich: das gotische Königtum in Italien . . . . . . . . . . . 239 Timo Stickler Römische Identität(en) im gotischen Italien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 Walter Pohl Gotische Identitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 Massimiliano Vitiello “Anthologizing their successes”: Visions of the Past in Gothic Italy . . . . . . . . . 341 Florian Kragl (K)Ein Gote? Theoderich und die Heldensage der Germanen . . . . . . . . . . . . . 369 Hans-Ulrich Wiemer Statt eines Nachworts: Theoderich und die Goten in Italien, 1544–2018 . . . . . 393 Kurzbiographien der Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 449 Ortsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 457

Dank Der vorliegende Band verdankt seine Entstehung dem Historischen Kolleg in München, dem ich 2015/2016 als Senior Fellow angehören durfte. Ich denke sehr gerne an dieses Jahr zurück, in welchem ich in einer wunderbaren Umgebung unbeschwert arbeiten konnte. Mein Dank gilt dem gesamten Team des Hauses, insbesondere Dr. Karl-Ulrich Gelberg, Dr. Elisabeth Hüls und Dr. Jörn Retterath. Das Team des Hauses sorgte auch für die perfekte Organisation der Tagung „Theoderich der Große und das gotische Königreich in Italien“, deren Referate den Grundstock des vorliegenden Bandes bilden. Die Fritz Thyssen Stiftung leistete einen namhaften Beitrag zu den Kosten der Tagung, die vom 18.–20. Februar 2016 in den Räumen des Historischen Kollegs stattfand. Danken möchte ich allen Kolleginnen und Kollegen, die sich an der Tagung beteiligt haben, ganz besonders denen, die anschließend Beiträge für den vorliegenden Band geschrieben haben. Sie haben viel Arbeit in dieses Projekt investiert und dafür anderes zurückgestellt. Die Redaktion des Bandes war ein aufwendiger und langwieriger Prozess, bei dem mich Elisabeth Hüls mit großer Sorgfalt und unerschütterlichem Gleichmut unterstützt hat. Die Zusammenarbeit mit ihr war zu jeder Zeit ein Vergnügen. Erlangen im April 2020 

https://doi.org/10.1515/9783110686692-203

Hans-Ulrich Wiemer

Verzeichnis der Abkürzungen AAAH

Acta ad archaeologiam et artium historiam pertinentia. Roma [Oslo] ACO Acta Conciliorum Oecumenicorum AE L’année épigraphique AKG Archiv für Kulturgeschichte AntTard Antiquité Tardive ARS African Red Slip (ware) BBKL Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon BCAR Bullettino della Commissione Archeologica Comunale di Ro­ ma. Rom. CCL Corpus Christianorum. Series Latina CIL Corpus Inscriptionum Latinarum CP Classical Philology DA Deutsches Archiv DFG Deutsche Forschungsgemeinschaft DLZ Deutsche Literaturzeitung EME Early Medieval Europe fol. folium/Blatt FWF Fonds zur Föderung der wissenschaftlichen Forschung/Österreich HJ Klaus Herbers/Philipp Jaffe (Hg.): Regesta pontificum Romanorum. Bd. 1: A S. Petro usque ad a. DCIV. Göttingen 2016. HZ Historische Zeitschrift ICI Inscriptiones Christianae Italiae ICUR Inscriptiones Christianae urbis Romae ILCV Inscriptiones Latinae Christianae Veteres ILS Inscriptiones Latinae Selectae InscrIt Inscriptiones Italiae JK Philipp Jaffé/Ferdinand Kaltenbrunner (Hg.): Regesta pontificum Romanorum ab condita ecclesia ad annum post Christum natum 1198. Bd. 1: A S. Petro ad a.MCXLIII. Leipzig 1885. JLA Journal of Late Antiquity JRS Journal of Roman Studies l. line ll. lines LR1 Late Roman 1 amphora https://doi.org/10.1515/9783110686692-204

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Abkürzungen

LR2 Late Roman 2 amphora LTUR Lexicon Topographicum Urbis Romae MGH Monumenta Germaniae Historica MGH AA Monumenta Germaniae Historica, Auctores Antiquissimi MGH Epp. Monumenta Germaniae Historica, Epistulae MGH LL Monumenta Germiniae Historica, Leges MGH SS Monumenta Germaniae Historica, Scriptores MGH SS rer. Germ. Monumenta Germaniae Historica, Scriptores rerum Germanicarum MIÖG Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung MNI Minimum Number of Individuals ND Neudruck/Nachdruck NS Nationalsozialismus/nationalsozialistisch NSA Atti della Accademia Nazionale dei Lincei. Notizie degli Scavi di Antichità. Rom. NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei PCBE II Prosopographie chrétienne du Bas-Empire. Bd. II: Charles Piétri/Luce Piétri (Hg.): Prosopographie de l’Italie chrétienne. 2 Bde. Rom 1999/2000. PIB Salvatore Cosentino: Prosopografia dell’Italia bizantina. 2 Bde. Bologna 1996/2000. P. Ital. I. Jan-Olof Tjäder: Die nichtliterarischen lateinischen Papyri Italiens aus der Zeit 445–700. Bd. 1: Papyri 1–28. Lund 1955. P. Ital. II. Jan-Olof Tjäder: Die nichtliterarischen lateinischen Papyri Italiens aus der Zeit 445–700. Bd. 2: Papyri 29–59. Lund 1982. P. Ital. III Jan-Olof Tjäder: Die nichtliterarischen lateinischen Papyri Italiens aus der Zeit 445–700. Bd. 3: Tafeln. Lund 1954. PLRE I A[rnold] H. M. Jones/J[ohn] R. Martindale/J[ohn] Morris (Hg.): The Prosopography of the Later Roman Empire. Bd. 1: A. D. 260–395. Cambridge 1971. PLRE II J[ohn] R. Martindale (Hg.): The Prosopography of the Later Roman Empire. Bd. 2: A. D. 395–527. Cambridge 1980. PLRE III J[ohn] R. Martindale (Hg.): The Prosopography of the Later Roman Empire. Bd. 3: A. D. 527–641. 2 Bde. Cambridge 1992. PRS Phocean Red Slip (ware) r recto/Vorderseite RAC Reallexikon für Antike und Christentum RAL Rendiconti dell’Accademia Nazionale dei Lincei RCRF Rei Cretariae Romanae Favtores RE Pauly-Wissowas Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaften RGA Reallexikon der Germanischen Altertumskunde RGG Religion in Geschichte und Gegenwart

Abkürzungen

XI

sc. silicet/nämlich SFB Sonderforschungsbereich SS Schutz-Staffel s. v. sub voce/unter dem Ausdruck Taf. Tafel ThLL Thesaurus linguae Latinae TRE Theologische Realenzyklopädie v verso/Rückseite Vf. Verfasser/Verfasserin ZPE Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik ZRG, GA Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung ZRG, RA Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Romanistische Abteilung

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Abkürzungen

Hans-Ulrich Wiemer Zur Einleitung Die Beiträge des vorliegenden Sammelbands sind (mit wenigen Ausnahmen) aus Vorträgen entstanden, die vom 18. bis 20. Februar 2016 auf einem Kolloquium am Historischen Kolleg in München gehalten wurden.1 Ziel der Tagung war es, eine Bilanz der neueren Forschungen zum gotischen Königreich in Italien zu ziehen und zugleich Perspektiven für die Zukunft aufzuzeigen. Dabei wurde der Blick bewusst auf strukturelle Dimensionen gerichtet: auf soziale Beziehungen, auf Wirtschafts- und Siedlungsformen, auf die institutionelle Verstetigung und diskursive und performative Repräsentation von Macht, auf Konstruktionen von Identität. Beabsichtigt war, diese eigentümliche Herrschaftsbildung im Kontext der Transformationsprozesse zu betrachten, die sich seit dem frühen 5. Jahrhundert im Westen des Mittelmeerraums vollzogen. Aus diesem Grund war es in v­ ielen Fällen erforderlich, Zusammenhänge in den Blick zu nehmen, die über die gotische Phase in der Geschichte Italiens hinausreichen. Die wechselhafte Geschichte des Kriegerverbands, mit dessen Hilfe Theoderich Italien eroberte, wurde hingegen ebenso ausgeklammert wie die Außenpolitik des Königs. Die Tagung hatte nicht die Geschichte der Ostgoten zum Gegenstand, sondern das (ost-)gotische Reich in Ita­ lien. Die Person Theoderichs kommt zwar in fast allen Beiträgen vor, steht aber nirgendwo im Zentrum der Betrachtung. Die folgenden Ausführun­gen versuchen, die Beiträge dieses Bandes in die Forschungsgeschichte einzuordnen.2 Das gotische Königreich in Italien ist uns besser bekannt als jede andere poströmische Herrschaftsbildung im westlichen Mittelmeerraum. Dies verdanken wir in erster Linie Cassiodor, der über 400 Schreiben, die er im Auftrag und Namen gotischer Könige verfasst hatte, in Form einer Sammlung herausgab, nachdem er sich aus dem Dienst am gotischen Hof zurückgezogen hatte.3 Cassiodor hat zwar 1 

Ein Tagungsbericht von Henning Börm erschien in: H-Soz-Kult, 14. 3. 2016, und ist online zugänglich unter: www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-6446 (letzter Zugriff am 6. 11. 2019). Die Beiträge des Herausgebers wurden für diesen Band geschrieben. Ich danke Florian Kragl und Stefan Rebenich sehr herzlich für Vorschläge zur Verbesserung des Textes dieser Einleitung. Für das, was ich daraus gemacht habe, bin ich allein verantwortlich. 2  Ich habe meine Sicht der Dinge vor Kurzem ausführlich dargelegt; Hans-Ulrich Wiemer: Theoderich der Große. König der Goten, Herrscher der Römer. München 2018. 3  Ein unentbehrliches Arbeitsinstrument ist der große Kommentar einer Gruppe italienischer Forscherinnen und Forscher: Flavio Magno Aurelio Cassiodoro Senatore, Varie. Direzione di Andrea ­Giardina. A cura di Andrea Giardina, Giovanni Alberto Cecconi, Ignazio Tantillo con la collaborazione di Fabrizio Oppedisano. Vol. II: Libri III–V. Rom 2014; Vol. III: Libri VI–VII. Rom 2015; https://doi.org/10.1515/9783110686692-001

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Hans-Ulrich Wiemer

gewiss nicht alle Schreiben veröffentlicht, die er als quaestor sacri palatii in den Jahren 507–511, als magister officiorum in den Jahren 523–527 und als praefectus praetorio Italiae in den Jahren 533–537 verfasste. Die Schreiben jedoch, die er in die Variae aufnahm, scheinen in der Substanz unverändert zu sein.4 Die Variae entstanden als Medium der Kommunikation der königlichen Zentrale mit gotischen und römischen Funktionsträgern und Untertanen. Sie offenbaren uns damit wesentliche Aspekte ihres Regierungsstils. Wie alle Verlautbarungen der könig­ lichen Zentrale dienten auch Cassiodors Varien dem Zweck, die Herrschaft Theoderichs und seiner Nachfolger in Italien zu legitimieren; sie sollten den Eindruck vermitteln, dass der gotische König Verstöße gegen die Rechtsordnung zwar nicht immer verhindern konnte, aber unermüdlich dafür sorgte, dass Vergehen geahndet und Missstände beseitigt wurden. Da Cassiodor Formeln für die Bestellung von Funktionsträgern in die Sammlung aufgenommen hat, gewinnen wir aus ihr ein konkretes Bild von der Vielfalt der Ämtsträger, die im Auftrag des Königs ­tätig wurden. Indirekt zeichnen die Variae aber auch ein Bild des Landes, über das Theoderich und seine Nachfolger herrschten, und derjenigen Teile seiner Bevölkerung, die mit der königlichen Zentrale in Verbindung traten. Dieser Spiegel verzerrt die Verhältnisse freilich schon deswegen, weil er den Norden Italiens gegenüber dem Süden, die Städte gegenüber den Dörfern und die großen Städte gegenüber den kleinen privilegiert. Darüber hinaus ist in Rechnung zu stellen, dass die k ­ önigliche Zentrale kein Interesse daran hatte, die Lage Italiens ungeschminkt darzustellen. Eine ganz andere Perspektive nimmt der oströmische Historiograph Procopius ein. Procopius erwähnt in seiner Darstellung des Krieges, den Justinian zur Rückeroberung Italiens führte, viele Städte und Landschaften vor allem im Norden des Landes. Da Italien für ihn jedoch in erster Linie der Schauplatz eines großen Krieges war, richtete sich sein Interesse vor allem auf topographische und urbanistische Merkmale, die militärisch relevant waren, wenngleich er hin und wieder auch antiquarische Informationen übermittelt. Kayoko Tabata hat diese Informationen gesammelt und in einer 2013 veröffentlichten Monographie systematisch ausgewertet.5 Vol. IV: Libri VIII–X. Rom 2016; Vol. V: Libri XI–XII. Rom 2015. Der erste Band mit der Einleitung und dem Kommentar zu den ersten beiden Büchern steht noch aus. Für die Formeln des sechsten Buchs siehe jetzt auch Friederike Gatzka: Cassiodor, „Variae“ 6. Einführung, Übersetzung und Kommentar. Berlin 2019. Willkommene Hilfe beim Verständnis des lateinischen Textes bietet zudem die gerade eben erschienene vollständige Übersetzung der Varien ins Englische: M. Shane Bjornlie: Cassiodorus. The Variae: The Complete Translation. Oakland 2019. 4  Die beste Analyse der Varien bietet Christina Kakridi: Cassiodors Variae. Literatur und Politik im ostgotischen Italien. München 2005. Anders, aber nicht überzeugend M. Shane Bjornlie: Politics and Tradition between Rome, Ravenna and Constantinople. A Study of Cassiodorus and the Variae, 527–554. Cambridge 2013. Vgl. dazu meine Rezension, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 11, online zugänglich unter: www.sehepunkte.de/2013/11/22995.html (letzter Zugriff am 6. 11. 2019) sowie die von Peter Heather, in: EME 24 (2016), S. 369–372. Die These von Peter Barnwell: Emperor, Prefects & Kings. The Roman West, 395–565. London 1992, S. 166–169, die Laufbahn ­Cassiodors sei eine literarische Fiktion, ist zu Recht auf allgemeine Ablehnung gestoßen. 5  Kayoko Tabata: Città dell’Italia nel VI secolo d.C. Rom 2013.

Zur Einleitung

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Auf die begrenzte Aussagekraft der literarischen Quellen für die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Italiens wurde schon oft hingewiesen. Gleichwohl gehen die Urteile über die Siedlungs- und Wirtschaftsformen, die Produktion und Distribution von Gütern sowie die materiellen Lebensverhältnisse nach wie vor weit auseinander. Bisweilen ist noch immer ebenso pauschal wie nichtssagend von ­einer Blüte (oder Nachblüte) Italiens unter Theoderich die Rede. Es lässt sich unschwer zeigen, dass diese Deutung auf einer unkritischen Lektüre der literarischen Zeugnisse beruht; schaut man genau hin, erkennt man die Risse in der schönen Fassade, welche Cassiodor im Auftrag gotischer Könige errichtet hat. Die Wohltätigkeit des Königs kam nur sehr wenigen Städten zugute, neben Rom vor allem denen, die er selbst aufsuchte, das räumen auch die Bewunderer Theoderichs ein. Diese Art von Quellenkritik stößt jedoch an ihre Grenzen, wenn man sich ein konkretes Bild davon machen will, wie es um 500 in den Städten und Dörfern Italiens denn tatsächlich aussah. Weite Bereiche der Lebenswelt werden in den Schriftquellen eben gar nicht thematisiert.

Siedlungsformen und materielle Kultur: archäologische Zugänge Darum können nur archäologische Befunde weiterhelfen, die sich seit einigen Jahrzehnten sprunghaft vermehren. Freilich werfen auch die materiellen Überreste gravierende Deutungsprobleme auf. Diese Probleme sind zum Teil technischer Art: die Ungenauigkeit der Datierung, punktuelle und partielle Befunde, fehlende Kontexte, unzulängliche Dokumentation und so weiter. Kontrovers sind aber auch die Kategorien, welche die Interpretation bestimmen. Will man etwa die Frage klären, wie die Lage der Städte Italiens um 500 zu charakterisieren ist – etwa als Konsolidierung oder Stagnation, als Krise oder Regression –, muss man zunächst klären, welche Indikatoren geeignet sind, bedeutsame Veränderungen zu erfassen oder gar zu messen.6 Wer den Begriff „Niedergang“ verwendet, muss offenlegen, welche Standards urbanistischer Entwicklung er oder sie als normativ ansieht. Wer stattdessen lieber von Wandel spricht, verzichtet zwar auf eine explizite Wertung, ist deswegen aber nicht der Notwendigkeit enthoben, Kriterien für Relevanz zu definieren. In der Debatte, ob die Städte Italiens sich bereits zur Zeit Theoderichs im Niedergang befanden, spielen daher methodische und theoretische Aspekte stets eine wichtige Rolle. Die Antwort auf die Frage „Niedergang oder Wandel?“ hängt vor allem davon ab, wie sie gestellt wird, denn sie verein-

6 

Die klassische, vor allem auf Schriftquellen beruhende Studie zu den Städten Nord- und Mittel­ italiens in der Spätantike ist Bryan Ward-Perkins: From Classical Antiquity to the Middle Ages. Urban Building in Northern and Central Italy AD 300–800. Oxford 1984. Eine umfassende, freilich inzwischen schon wieder teilweise überholte Bestandsaufnahme der archäologischen Forschungen bieten Annette Haug: Die Stadt als Lebensraum. Eine kulturhistorische Analyse zum spätantiken Stadtleben in Norditalien. Rahden 2003 und Neil Christie: From Constantine to Charlemagne. An Archaeology of Italy AD 300–800. Aldershot 2006, S. 183–299.

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Hans-Ulrich Wiemer

facht ein komplexes Problem zu einer simplen Alternative.7 Ähnliches gilt aber auch, wenn man fragt, wie sich die Herrschaft gotischer Könige über Italien in der materiellen Kultur niedergeschlagen hat, die mit archäologischen Methoden erforscht werden kann. Die literarischen Quellen lassen wenig Zweifel, dass die ­Goten Theoderichs überwiegend in Oberitalien ansässig waren. Wo und wie wird die Anwesenheit dieser bewaffneten Zuwanderer im materiellen Befund greifbar? Was kann die Archäologie über ihr Verhältnis zu den einheimischen Römern, über Identität und Akkulturation, über Integration oder Separation aussagen? Lebten sie in Städten oder auf dem Lande? In Clustern oder verstreut? Die bis heute maßgebliche Monographie des Prähistorikers Volker Bierbrauer beruht auf der methodischen Prämisse, dass die mit Theoderich in Italien eingewanderten Goten sich von ihrer Umgebung vor allem durch eine distinktive Art, Frauen zu bestatten, unterscheiden lassen: Frauengräber, die Beigaben enthalten, sind demnach als nicht-römisch anzusprechen; wenn solche Gräber während der gotischen Herrschaft angelegt wurden und Beigaben enthalten, die auch außerhalb des Imperiums verwendet wurden, gelten die bestatteten Frauen als Gotinnen.8 Gräber ohne Beigaben gelten im Umkehrschluss als romanisch.9 Dabei wird vorausgesetzt, dass gotische Frauen bei ihrer Ankunft in Italien eine spezifische Tracht trugen und auf eine traditionelle Weise bestattet wurden, die in Italien nur langsam aufgegeben wurde. Ob diese Prämissen tragfähig sind, wird seit einiger Zeit diskutiert.10 Die Existenz einer gotischen Tracht wird ebenso in Zweifel gezogen wie die ethnische Homogenität des gotischen Heeres, mit dem Theoderich Italien eroberte. Zudem steht fest, dass gotische Krieger nicht-gotische Frauen heirateten.11 Neil Christie untersucht die Frage, welche Spuren das gotische Königreich im archäologischen Befund hinterlassen hat, und versucht zu klären, ob sich innerhalb dieses relativ kurzen Zeitraums Wandlungen in den Siedlungsformen und in der militärischen Infrastruktur feststellen lassen, die mit der Entwicklung dieses Königreiches im Zusammenhang stehen. Dabei konzentriert er sich auf das nördliche Italien, wo die gotische Siedlung und Herrschaft wesentlich stärker präsent waren als im Süden des Landes. Christie verweist darauf, dass die ethnische Interpretation materieller Befunde stets mit großen Unsicherheiten behaftet sei, und  7  Eine

gute Orientierung vermittelt Bryan Ward-Perkins: Continuitists, Catastrophists and the Towns of Post-Roman Northern Italy. In: Papers of the British School at Rome 65 (1997), S. 157– 176.  8  Ellen Riemer: Romanische Grabfunde des 5.–8. Jahrhunderts in Italien. Rahden 2000.  9  Philipp von Rummel: Habitus barbarus. Kleidung und Repräsentation spätantiker Eliten im 4. und 5. Jahrhundert. Berlin 2007; ders.: Gotisch, barbarisch oder römisch? Methodologische Überlegungen zur ethnischen Interpretation von Kleidung. In: Walter Pohl (Hg.): Archaeology of Identity – Archäologie der Identität. Wien 2010, S. 51–78. 10  Volker Bierbrauer: Die ostgotischen Grab- und Schatzfunde aus Italien. Spoleto 1975; ders.: Archäologie und Geschichte der Goten vom 1.–7. Jahrhundert. In: Frühmittelalterliche Studien 28 (1994), S. 51–171, bes. S. 140–152. Ergänzungen dazu ders.: Neue ostgermanische Grabfunde des 5. und 6. Jahrhunderts in Italien. In: Acta Praehistorica et Archaeologica 39 (2007), S. 93–124. 11  Hans-Ulrich Wiemer: Keine Amazonen. Frauen in ostgotischen Kriegergruppen. In: AKG 99 (2017), S. 265–298.

Zur Einleitung

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optiert daher für eine pragmatische Vorgehensweise: Man müsse grundsätzlich alle Siedlungen berücksichtigen, die während der Herrschaft gotischer Könige in Italien bestanden; die Frage nach der ethnischen Identität sei nur eine neben anderen. Zunächst sei zu diskutieren, ob eine Siedlung zivilen oder militärischen Charakter trage, wer sie gegründet und wer sie genutzt habe. Allerdings können die Befunde häufig nicht genau genug datiert werden, um sie sicher der gotischen Phase zuzuordnen. Die materielle Kultur Italiens habe sich zwischen dem 5. und dem frühen 6. Jahrhundert im Kern gerade nicht verändert. Eine dem Rhythmus der politischen Geschichte entsprechende Feinchronologie der archäologischen Befunde stehe darum nicht zur Verfügung. Als Ausweg schlägt Christie vor, umgekehrt die archäologischen Befunde in einen Erwartungshorizont einzuordnen, der durch die Entwicklung des gotischen Königreiches bestimmt ist: 1.) Konsolidierung des Staates, circa 490–510, 2.) stabiler Staat, circa 510–530, 3.) Destabilisierung des Staates durch innere Konflikte und den römisch-gotischen Krieg, ca. 530–550. Christie ordnet die archäologischen Befunde drei Bereichen zu: Städten („towns“), Landschaften („landscapes“) und Grenzbefestigungen („frontiers“). Gotische Präsenz in den Städten Italiens ist archäologisch nach wie vor nur ganz vereinzelt nachweisbar, in Chiusi anhand von Gräbern und einer Brosche, in Trento durch Ausgrabungen und Streufunde sowie Inschriften; im Süden Italiens fehlen materielle Spuren fast völlig. Investitionen gotischer Könige in das Straßennetz sind nach Christie archäologisch nicht nachweisbar; viele Straßenstationen seien bereits seit dem 4. Jahrhundert verfallen. Siedlungsgrabungen in Nordwest­ italien vermitteln das Bild, dass im Laufe des 5. Jahrhunderts viele Villen aufgegeben wurden. In einigen Fällen haben sich auf ihrem Gelände offenbar Neuankömmlinge niedergelassen, in Villaro al Ticineto (Provinz Alessandria) und in Mombello Montferrato (bei Turin). Die in Desana (Provinz Vercelli) ausgegrabene Villa ist wohl mit dem Schatz zu verbinden, der nach diesem Ort benannt ist, und könnte einem gotischen Ehepaar als Wohnsitz gedient haben. Im Nordosten, in der Nähe Veronas, hielten sich Villen in größerer Anzahl. An der Ostseite des Gardasees war die ländliche Besiedlung gegenüber der hohen Kaiserzeit in der Spätantike erheblich reduziert und nahm im Laufe des 5. Jahrhunderts weiter ab; zugleich entstanden jedoch neue Siedlungen in Höhenlagen. Christie formuliert deshalb die Hypothese, dass die ländlichen Verhältnisse vom späten 5. Jahrhundert bis zur Mitte des 6. Jahrhunderts im Wesentlichen stabil blieben. In dieses Bild lassen sich zwei ländliche Siedlungen – Dörfer oder Gehöfte – einfügen, die eine bei Frascaro (Provinz Alessandria), die andere bei Collegno (bei Turin), die aufgrund von Grabbeigaben als gotisch angesprochen werden. Große Aufmerksamkeit hat die befestigte Anlage auf dem Monte Barro bei Como erregt, denn man fand im zweistöckigen Hauptgebäude neben drei Kreuzen eine Krone aus Bronze. Die Funktion dieser Anlage kann jedoch nicht genau bestimmt werden: königliches Jagdschloss, Alterssitz eines gotischen Adligen, Festung und Amtssitz eines königlichen Funktionärs? Die klarsten Befunde ergeben sich für die Grenzverteidigung. Mittlerweile ist eine Reihe von Anlagen untersucht worden, die aufgrund ihrer Lage und Befes­

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tigung für militärische Zwecke geeignet waren und sicher oder wahrscheinlich in gotischer Zeit genutzt wurden. Eine davon befindet sich auf dem Doss Trento gegenüber von Trient, eine weitere bei Castelvecchio di Peveragno (Provinz ­ ­Cluneo). In jüngster Zeit ist die Insel Sant’Andrea di Loppio im Nordosten des Gardasees hinzugekommen. Die Siedlung auf dem Monte S. Martino ai Campi (bei Tenno) hingegen war unbefestigt; Indizien für eine militärische Funktion wurden nicht gefunden. Die seit 1998 erforschte, gleichnamige Anlage bei Lundo/ Tomaso dagegen besaß eine Umfassungsmauer und war auch aufgrund ihrer Lage auf einem Berg von 895 m für eine militärische Nutzung prädestiniert. Unklar ist freilich in der Regel, ob diese Befestigungsanlagen während der gotischen Herrschaft oder bereits früher angelegt wurden. Christie zieht aus den vorgestellten Befunden den Schluss, dass sich das gotische Königreich in den Jahren 500–525 durch Stabilität und Prosperität ausgezeichnet habe; die Halbinsel sei von einem starken Monarchen regiert worden, der zu Investitionen ermutigt und auch Planungen für die Zukunft entwickelt habe. Besonders deutlich zeichne sich die Initiative der königlichen Zentrale im Festungsbau ab. Der römisch-gotische Krieg markiert nach Christie für die Städte, aber auch für die ländlichen Siedlungen Italiens eine scharfe Zäsur. Die Kriegsjahre selbst im archäologischen Befund nachzuweisen, bleibe freilich eine Aufgabe zukünftiger Forschung. Ebenfalls auf archäologischen Befunden beruht der Beitrag von Emanuele Vaccaro, der sich mit der Insel Sizilien befasst. Sizilien wurde in der Antike nicht zu Italien gerechnet, besaß aber große ökonomische Bedeutung für die Stadt Rom und ihre Senatoren. Diese Bedeutung nahm in der Spätantike noch weiter zu.12 Die Stadt Rom konnte ohne Getreideimporte aus Sizilien nicht ausreichend versorgt werden, seit Tunesien unter vandalischer Herrschaft stand. Viele illustre ­Senatoren und Hofbeamte, aber auch die römische Kirche bezogen einen erheblichen Teil ihrer Einkünfte aus Besitzungen, die auf Sizilien lagen. Diese Besitzungen waren noch wertvoller geworden, seit die in Italien ansässigen Senatoren ihre Landgüter und Häuser in Gallien und Hispanien barbarischen Herren hatten überlassen müssen. Procopius berichtet, „die Römer“ hätten Theoderich darum gebeten, Sizilien nicht mit Garnisonen zu belegen.13. Die Schriftquellen für die Geschichte Siziliens unter gotischer Herrschaft sind dünn gesät. Aus Cassiodors Varien erfahren wir, dass eine Gesandtschaft sich bei Theoderich über den gotischen Kommandanten von Syrakus beklagte, der für die gesamte Insel zuständig war; eine von Theoderich angeordnete Steuererhöhung wurde nach seinem Tod zurückgenommen.14 Keine zehn Jahre später ergab sich die Insel dem kaiserlichen Feldherrn Belisar kampflos. Die Korrespondenz Gregors des Großen lässt erken12  Den älteren Forschungsstand fasst Lellia Cracco-Ruggini: La Sicilia e la fine del mondo antico (IV–VI secolo). In: Emilio Gabba/Georges Vallet (Hg.): La Sicilia antica. Bd. 2/2. Neapel 1980, S. 483–524, gut zusammen. 13 Procopius, Bella 7, 16, 6  f. 14 Cassiodorus, Variae 9, 10–12; 9, 14.

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nen, wie der päpstliche Grundbesitz auf der Insel verwaltet wurde.15 Ein belastbares Bild der wirtschaftlichen und sozialen Situation auf der Insel um 500 lässt sich auf dieser Grundlage nicht zeichnen. Archäologische Befunde, die Aufschluss über die Geschicke der Insel in der Spätantike gewähren können, standen aber bis vor Kurzem kaum zur Verfügung. Dieser unbefriedigende Zustand beginnt sich zu ändern. Emanuele Vaccaro präsentiert und interpretiert die Ergebnisse zahlreicher surveys und Grabungen, die seit der Jahrtausendwende auf der Insel durchgeführt wurden, ergänzt um bislang unpublizierte Resultate eigener Forschungen auf dem Gebiet der „Ackerstadt“ (agro-town) Sophiana (Provinz Caltanissetta). Er beschränkt sich nicht darauf, Siedlung und Wirtschaft Siziliens unter gotischer Herrschaft zu betrachten, sondern nimmt einen wesentlich längeren Zeitraum in den Blick, der von etwa 400 bis 600 reicht, weil sich langfristige Entwicklungen so besser erfassen lassen. Vaccaro behandelt zunächst die ländlichen Siedlungen, dann Städte, deren spätantike Entwicklung in jüngster Zeit durch Grabungen erforscht wurde, sowie die „Ackerstadt“ Sophiana (bei Piazza Armerina). In einem dritten Schritt wertet er schließlich Verteilungsmuster von Keramik als Indikatoren für ökonomischen Austausch aus. Die Entwicklung der ländlichen Besiedlung auf Sizilien ist nach Vaccaro durch eine erhebliche Vermehrung der Fundstellen (sites) zwischen dem 4. und späten 5. Jahrhundert gekennzeichnet. Surveys im Umland von Catania erbrachten Hinweise auf eine hohe Siedlungsdichte in der Spätantike, die bis ins 7. Jahrhundert andauerte. Bei einem survey zwischen Ragusa und Modica wurden für die Spätantike zwar weniger Fundstellen, dafür aber größere Dörfer festgestellt. Eines dieser Dörfer bei Punta Secca scheint die Funktion eines Austauschplatzes (emporion) zwischen Südostsizilien, Nordafrika und Malta erfüllt zu haben. Auch im Umland von Megara Hyblaea bestand, wie mehrere surveys ergaben, die gesamte Spät­ antike hindurch ein dichtes Netzwerk ländlicher Siedlungen. Weiter im Landes­ inneren, in Morgantina, erreichte die ländliche Besiedlung in der Spätantike einen Höhepunkt. Ähnliche Ergebnisse erbrachten surveys im Umland von Agrigent; auch hier blieb die Mehrheit der Siedlungsplätze bis ins späte 6. Jahrhundert oder noch länger aktiv. In Contrada Carabollace an der Mündung des gleichnamigen Flusses wurde eine Art emporion ausgegraben. In Westsizilien stammen die aus­ sagekräftigsten Befunde aus surveys im Umland von Segesta. Die ländliche Besiedlung blieb hier bis ins 7. Jahrhundert hinein stabil, während die Stadt sich in ein Bergdorf verwandelte. Aufs Ganze gesehen, war die Entwicklung vom späten 3. bis ins späte 6. Jahrhundert nach Vaccaro durch die Zunahme ländlicher Siedlungen und ökonomisches Wachstum gekennzeichnet, auch wenn die Siedlungsdichte im 6. und 7. Jahrhundert stellenweise abgenommen habe. Im Gegensatz dazu sei nur schwer zu beurteilen, wie Villen, die sich im 4. Jahrhundert im Besitz von Senatoren befanden, sich im Laufe des 5. und 6. Jahrhunderts entwickelten. 15  Vincenzo

Recchia: Gregorio Magno e la società agricola. Rom 1978; Elena Caliri: Società ed economia della Sicilia di VI secolo attraverso il Registrum Epistularum di Gregorio Magno. Messina 1997.

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Unter den Städten greift Vaccaro Agrigent im Südwesten, Lilybaeum im Westen und Catania im Osten der Insel als Beispiele heraus: Agrigent scheint seit dem 4. Jahrhundert geschrumpft zu sein. Auf dem Tempelberg baute man Gräber in die Befestigungsmauer ein; das Forum wurde nach einem Brand in der Mitte des 5. Jahrhunderts aufgelassen. In anderen Teilen der Stadt breiteten sich Nekropolen aus, auch im Hafen, der gleichwohl weiterhin in Betrieb blieb. Öffentliche ­Gebäude verfielen, öffentliche Räume wurden mit Wohn- und Arbeitsgebäuden überbaut. Große Häuser wurden in kleinere Einheiten aufgeteilt. Die Befestigungsmauern wurden nicht mehr instandgehalten. Gleichwohl blieb die Stadt besiedelt und erhielt um 600 eine neue Kathedrale, die an der Stelle des ConcordiaTempels errichtet wurde. Diese Entwicklung verläuft in Bahnen, die für die Spät­ antike insgesamt typisch sind; ähnliches kann auch an vielen anderen Orten beobachtet werden. Die spätantike Entwicklung von Lilybaeum ist wegen der bis in die Gegenwart andauernden Siedlungskontinuität weniger gut erforscht. Auch hier schrumpfte offenbar das Siedlungsareal. Catania wiederum war nach Ausweis der Schriftquellen eine der wichtigsten Städte Siziliens in der Spätantike. Auch hier wurden öffentliche Räume und Gebäude nun überbaut und für private ­Zwecke genutzt. Das Theater wurde in ein Schlachthaus umgebaut. Als viertes und letztes Beispiel für städtische Siedlungen behandelt Vaccaro Philosophiana, eine Siedlung, die zwar nicht den rechtlichen Status einer civitas besaß, aber die Funktionen einer Stadt erfüllte; sie entstand unter Augustus, wuchs in der Spät­ antike beträchtlich und bedeckte im 5. Jahrhundert mehr als 21 ha. Diese „Ackerstadt“ verfügte über monumentale Gebäude und war von zahlreichen ländlichen Siedlungen umgeben, deren Zahl im Laufe des 6. Jahrhunderts jedoch anscheinend stark zurückging. Keramikfunde sind seit wenigen Jahren zu einem Leitfossil der antiken Wirtschaftsgeschichte geworden. Nach Vaccaro deuten Befunde in Sizilien darauf hin, dass die Importe im 4. und 5. Jahrhundert beträchtlich zunahmen, vor allem Fischsauce, Öl und das als A(frican) R(ed) S(lip) bezeichnete Tafelgeschirr. In der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts hätten die Importe aus dem östlichen Mittelmeerraum beträchtlich zugenommen, vor allem die von Wein und Öl. Vaccaro betont, dass sich Sizilien in dieser Hinsicht stark vom italischen Festland unterscheide, wo die Importe im frühen 6. Jahrhundert, von Rom und Ravenna abgesehen, stark zurückgegangen seien. Weiterhin hebt er hervor, dass die auf Sizilien pro­ duzierten Amphoren zu einem erheblichen Teil nicht für den Export, sondern für den regionalen und lokalen Handel verwendet wurden; diese Zirkulation sei ein Indikator für die Komplexität der regionalen Wirtschaft. Vaccaros Schlussfolgerungen lassen die Geschichte Siziliens in der Spätantike in einem veränderten Licht erscheinen. Dabei zeichnet sich ein starker Kontrast zwischen Stadt und Land ab. Die Städte behielten zwar die Funktionen eines politischen Zentralorts, schrumpften aber und büßten ihren monumentalen Charakter teilweise ein; der Wohnkomfort der Eliten ging zurück. Die ländlichen Siedlungen expandierten; die agrarische Produktion prosperierte. Getreide blieb das wichtigste Exportprodukt, doch wurde auch Wein ausgeführt. Die vandalischen Überfälle

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verursachten offenbar keine nachhaltigen Schäden; die Landwirtschaft erholte sich schnell. Die Zahl der ländlichen Siedlungen ging im 6. Jahrhundert an einigen Stellen leicht zurück. Die Keramikfunde bezeugen die Vernetzung der sizilischen Wirtschaft mit Nordafrika und der Levante und zugleich das Ausmaß des regionalen Warenaustauschs. Sizilien war, so könnte man resümieren, auch zur Zeit Theoderichs ein komplexer und weithin vernetzter Wirtschaftsraum, der hohe Überschüsse erzielte.

Die Städte: Norditalien und Rom Die Herrschaft Theoderichs galt lange als eine Zeit, in der die Städte auf der ­italischen Halbinsel eine letzte Blüte erlebten. Zwar habe der Niedergang schon wesentlich früher eingesetzt, der gotische König habe jedoch durchaus erfolg­ reiche Anstrengungen unternommen, diesen seit Langem andauernden Prozess aufzuhalten. Erst der römisch-gotische Krieg, so meinte man, habe die materiellen Grundlagen der städtischen Kultur untergraben und damit das Ende der Antike herbeigeführt.16 Dieser Auffassung wird entgegengehalten, dass weder die Selbstdarstellung der königlichen Kanzlei noch panegyrische Äußerungen von Zeit­ genossen ein ungeschminktes Bild der Realität vermitteln.17 Man dürfe sich nicht vom Glanz Ravennas blenden lassen; die typische Provinzstadt habe von der Munifi­zenz des Königs so gut wie gar nicht profitiert. Vereinzelt wird in jüngster Zeit sogar von einer weit fortgeschrittenen Ruralisierung Italiens zur Zeit Theoderichs gesprochen.18 In der Diskussion wird die Frage nach dem Wandel der Stadtbilder, nach Zahl und Größe, Anlage und Ausstattung städtischer Siedlungen häufig verquickt mit der Frage nach der Entwicklung der städtischen Selbstverwaltung. Dabei geht es vor allem um die Frage, welche Folgen der Abstieg alter und der Aufstieg neuer Eliten für die politische Struktur der Städte hatte.19 Verloren die Städte Italiens durch den Übergang von einem Regiment der Kurialen zu einem Regiment der Notabeln ihre Bedeutung als politische Gemeinden? Christian Witschel unterzieht dieses vielschichtige Problem am Beispiel Nordund Mittelitaliens einer sorgfältigen Prüfung, wobei er drei Untersuchungsebenen unterscheidet: die politisch-administrativen Strukturen, den Wandel der epigra16  Exempli

gratia sei auf Mark J. Johnson: Toward a History of Theoderic’s Building Program. In: Dumbarton Oaks Papers 42 (1988), S. 73–96, verwiesen. 17  Cristina La Rocca: Una prudente maschera „Antiqua“. La politica edilizia di Teoderico. In: Teoderico il Grande e i Goti d’Italia. Atti del XIII Congresso internazionale di studi sull’Alto Medievo. Milano 2–6 novembre 1992. 2 Bde. Spoleto 1993, hier: Bd. 1, S. 451–516. 18 Sean D. W. Lafferty: Law and Society in the Age of Theodoric the Great. A Study of the ­Edictum Theoderici. Cambridge/New York 2013, S. 201–240. 19  J. H. Wolfgang G. Liebeschuetz: The Decline and Fall of the Roman City. Oxford 2001; Sebastian Schmidt-Hofner: Der „defensor civitatis“ und die Entstehung des Notabelnregiments in den spätrömischen Städten. In: Mischa Meier/Steffen Patzold (Hg.): Chlodwigs Welt. Organisation von Herrschaft um 500. Stuttgart 2014, S. 487–522.

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phischen Kultur und die Transformation der Stadtbilder. Im Bereich der politischadministrativen Strukturen konstatiert Witschel ein hohes Maß an Kontinuität. In der Provinz Venetia et Histria sind die meisten der um 300 belegten Stadtgemeinden noch im 6. Jahrhundert nachweisbar, wenngleich nicht alle über einen eigenen Bischof verfügten. In der Provinz Tuscia et Umbria scheiterte im selben Zeitraum offenbar etwa ein Drittel der Städte, vor allem im südlichen Etrurien, wobei die Nähe der Metropole Rom eine ursächliche Rolle gespielt haben dürfte. Auch die traditionellen Organe städtischer Selbstverwaltung, die Stadträte (curiae), Ratsherren (curiales) und städtischen Amtsträger, sind durch Inschriften und Papyri (sowie das Edikt Theoderichs) noch vielfach belegt, wobei der curator civitatis und der defensor civitatis besonders hervortreten. In Ravenna lässt sich ein kleiner Kreis führender Familien sogar über mehrere Generationen hinweg fassen. Zugleich stellt Witschel aber auch deutliche Veränderungen fest. Die Tatsache, dass die königliche Kanzlei die curiales in der Regel nicht mehr an erster Stelle adressiert, wertet er als Indiz für den Übergang zum Regiment der Notabeln. Der vom König eingesetzte comes civitatis habe zwar eine potenziell herausgehobene Machtposition innegehabt, sei aber in das innerstädtische Konkurrenzgefüge eingebunden geblieben; zudem habe das Amt keineswegs flächendeckend existiert. Auch der Bischof sei immer nur einer unter mehreren Akteuren gewesen, die das Geschehen auf städtischer Ebene bestimmten, was sich auch bei der gemischten Finanzierung kirchlicher Bauten zeige. Die Städte Italiens waren nach Witschel zu Beginn des 6. Jahrhunderts durch die Konkurrenz verschiedener Ämter und Gruppen gekennzeichnet; zugleich seien die Angehörigen der lokalen Eliten nach wie vor auf die Stadt als Lebensraum fokussiert gewesen. Die epigraphische Kultur hingegen hatte sich gegenüber dem 4. Jahrhundert grundlegend gewandelt. Ehreninschriften für Mitglieder des Herrscherhauses wurden seit dem späteren 5. Jahrhundert kaum noch errichtet. Bauinschriften, die nach Herrschern datiert sind, werden äußerst selten, Meilensteine verschwinden völlig. Standbilder für Theoderich und oströmische Herrscher sind nur literarisch bezeugt und waren offenbar vereinzelt. Auch Statuen und ehrende Inschriften für städtische Honoratioren spielen keine Rolle mehr. Dagegen gewinnen Grab­ inschriften als Medium der Elitenrepräsentation erheblich an Bedeutung, ebenso die Bau- und Stifterinschriften in Kirchen, die ein hohes Maß an sozialer Stratifikation erkennen lassen. Auch im Bereich der Stadtbilder konstatiert Witschel tiefgreifende Veränderungen: eine zunehmende Vernachlässigung öffentlicher Räume, insbesondere der Foren, und einen Wandel der Lebensformen, der am Wandel der Wohnbauten ­ablesbar ist. Luxuriöse Stadthäuser wurden nun häufig durch Einbauten, die in primitiven Techniken ausgeführt wurden, in kleinere Einheiten aufgeteilt. Die stadtsässigen Eliten mussten ihren Wohnkomfort offenbar vielerorts erheblich einschränken. Witschels Resüme lautet: Einerseits zeichnete sich das Städtenetz Italiens im 6. Jahrhundert besonders im politisch-administrativen Bereich durch ein im Vergleich zu Gallien hohes Maß an Kontinuität aus. Andererseits veränderten sich die Städte Italiens im 6. Jahrhundert sehr viel stärker als die Städte im

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östlichen Mittelmeerraum. Witschel betont, dass alle diese Transformationsprozesse vor Beginn der Herrschaft Theoderichs begonnen hätten, oftmals bereits im frühen 5. Jahrhundert. Der gotische König habe sich zwar demonstrativ um den Erhalt der Städte und ihrer Eliten gekümmert, auf deren Engagement er nicht verzichten konnte. Es sei ihm jedoch nicht gelungen, die „starke Umwandlung der Stadtbilder […] umzukehren“ (S. 61). Rom war auch im italischen Reich Theoderichs eine Stadt sui generis, wenngleich der König Ravenna in den Rang einer urbs regia erhob, die gleichrangig neben der urbs aeterna stehen sollte.20 Der König inszenierte seinen Rom-Besuch im Jahre 500 nach dem Vorbild römischer Kaiser.21 Im Jahre 519 diente Rom ­neben Ravenna als eine Art zweite Bühne für die Feier des Konsulats, das der ­präsumtive Nachfolger Eutharich gemeinsam mit Kaiser Justin bekleidete. Später hat Rom Theoderichs Neffen Theodahad sogar noch einmal für kurze Zeit als Residenz gedient.22 Die politische Bedeutung der Stadt beruhte vor allem darauf, dass sie sowohl die Standesvertretung der reichsten und mächtigsten Männer ­Ita­liens als auch das reichste und angesehenste Bistum der westlichen Mittelmeerwelt beherbergte. Es ist darum nicht überraschend, dass die königliche Kanzlei wiederholt erklärte, dass Theoderich eine besondere Beziehung zur Metropole am Tiber unterhalte. Teile der modernen Forschung haben sich diese Äußerungen zu eigen gemacht; auch für Rom gilt die Herrschaft Theoderichs mitunter geradezu als letzte Blütezeit. Nach den Verwüstungen des 5. Jahrhunderts habe der go­ tische König der ewigen Stadt noch einmal eine Phase der Erholung verschafft. Noch bei Richard Krautheimer liest man, die Stadtlandschaft sei bis ins frühe 6. Jahrhundert weitgehend intakt geblieben; erst der Gotenkrieg Justinians habe dazu geführt, dass sich die auf wenige Zehntausende geschrumpfte Bevölkerung auf das Marsfeld, den Bereich um das Forum Boarium und den Bereich bei St. Peter zurückgezogen habe.23 Dagegen erbrachten Grabungen in den letzten Jahrzehnten immer mehr Indizien für die Annahme, dass Teile der innerstädtischen Bebauung bereits im 5. Jahrhundert in Verfall gerieten; besonders deutlich sind die Befunde an der Crypta Balbi auf dem mittleren Marsfeld, die seit 1981 erforscht wurde. Ralf Behrwald wirft vor diesem Hintergrund die Frage auf, ob Theoderich für die Stadt Rom so etwas wie eine Baupolitik verfolgte, wie seine Maßnahmen sich zur Baupolitik früherer Herrscher verhielten und welche Auswirkungen sie hatten. Eine sorgfältige Bestandsaufnahme der archäologischen Forschungen führt Behrwald zu dem Schluss, dass das Weichbild Roms schon zur Zeit Theoderichs von einer „Isolierung einzelner Quartiere“ geprägt gewesen sei, die sich sukzes­

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Wiemer: Theoderich (wie Anm. 2), S. 538–542. Vitiello: Momenti di Roma ostrogota: adventus, feste, politica. Stuttgart 2005; Wiemer: Theoderich (wie Anm. 2), S. 22–32. 22 Massimiliano Vitiello: Theodahad. A Platonic King at the Collapse of Ostrogothic Italy. ­Toronto/Buffalo/London 2014, S. 111–119. 23  Richard Krautheimer: Rom. Schicksal einer Stadt 312–1308. München 32004, S. 43–71. 21 Massimilano

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sive zu einzelnen Siedlungskernen entwickelt hätten. Immerhin seien vitale Elemente der Infrastruktur wie Wasserversorgung und Stadtmauern unter gotischer Herrschaft noch intakt gewesen. Das Forum Romanum sei weiterhin gepflegt worden, die meisten Kaiserforen hingegen hätten sich im Verfall befunden. Lediglich das Trajansforum und das Forum Transitorium wurden anscheinend weiter unterhalten. Behrwald wendet sich gegen die Auffassung, Kaiser oder Senatoren hätten Rom als eine historische Stadtlandschaft betrachtet, die zu erhalten man sich verpflichtet gefühlt habe. Die Bau- und Stiftungstätigkeit der Kaiser habe sich im 5. Jahrhundert auf Kirchen konzentriert; gesetzgeberische Maßnahmen gegen die Spoliierung von Gebäuden seien utilitaristisch oder ästhetisch, nicht mit der Sorge um ein monumentales Erbe begründet worden. Ebenso hätten bei den Stiftungen von Senatoren Größe und Pracht der Gebäude, nicht ihre historischen Bezüge im Vordergrund gestanden. Nach Behrwald fügt sich die Baupolitik Theoderichs bruchlos in diese Kontinuität ein: Der Charakter der Gebäude habe für Neubauten und Renovierungen keine Rolle gespielt, das finanzielle Engagement des Königs sei viel geringer gewesen, als das pauschale Lob zeitgenössischer Autoren (und die programmatischen Erklärungen der königlichen Kanzlei) bei oberflächlicher ­Lektüre suggeriere. Die Aussagekraft von Dachziegeln hält Behrwald für sehr begrenzt, weil sie sich nur in wenigen Fällen sicher mit zeitgenössischen Baumaßnahmen verbinden ließen; eine Förderung des römischen Bistums durch den ­König sei aus ihnen nicht abzuleiten. Zusammenfassend stellt Behrwald fest, dass Theoderichs Baupolitik „in der weiterhin verfallenden Stadt nur einzelne Inseln fördern konnte“ (S. 87). Die königliche Kanzlei habe jedoch sehr erfolgreich das Bild einer Restauration der alten Hauptstadt verbreitet.

Religiöse Gemeinschaften im Reich Theoderichs Die überwältigende Mehrheit der Untertanen, über die Theoderich in Italien herrschte, gehörte einer anderen Konfession an als der König selbst. Sie betrachteten sich selbst als rechtgläubige Katholiken; Theoderich war für sie ein Arianer, also ein Häretiker. Aus der Sicht der Konfession, der Theoderich und die große Mehrheit seiner Goten angehörte, verhielt es sich genau umgekehrt: Sie ­waren ­Katholiken, die anderen waren Häretiker. Jede Art von kirchlicher Gemeinschaft war unter diesen Voraussetzungen ausgeschlossen. Im römischen Reich war Häretikern die öffentliche Ausübung ihrer Religion durch staatliche Gesetze verboten, wenngleich Soldaten von diesen Gesetzen ausgenommen waren. Theoderich machte aus seiner Zugehörigkeit zur „Kirche des gotischen Gesetzes“ keinen Hehl, aber er behandelte die Repräsentanten der „katholischen“ Kirche in seinem Reich mit Respekt und garantierte ihre Privilegien, ja mitunter betraute er sie sogar mit politischen Aufgaben. Dass der König ein abweichendes Bekenntnis nicht nur duldete, sondern auch Personen wie etwa Cassiodor, die ihm anhingen, in die höchsten Ämter beförderte, wurde seit den Anfängen der modernen Beschäfti-

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gung mit seiner Herrschaft in Italien immer wieder herausgestellt. Während römische Kaiser sich vergeblich bemühten, ihre christlichen Untertanen unter einem Bekenntnis zu vereinen, behandelte Theoderich zwei christliche Konfessionen als gleichberechtigt. Diese Duldsamkeit war in einem konfessionell gespaltenen ­Europa bemerkenswert, aufgeklärten Denkern erschien sie geradezu als Modell der Toleranz. Aber auch im Vergleich mit anderen germanischen Königen seiner Zeit schnitt Theoderich meist gut ab. Anders als der westgotische König Eurich oder der vandalische König Hunerich versuchte Theoderich niemals, die Ausübung des „katholischen“ Bekenntnisses einzuschränken. Jan-Markus Kötter unterwirft die Frage, wie sich das Verhältnis Theoderichs zu den katholischen Bischöfen seines Reiches gestaltete, einer neuerlichen Betrachtung. Ihm geht es darum zu erklären, wie die politische Kooperation zwischen König und katholischem Episkopat trotz konfessioneller Differenz möglich war. Um sie zu beantworten, nimmt er zunächst die Seite des Königs, dann diejenige der katholischen Bischöfe in den Blick. Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist die Feststellung, dass Theoderich zwar keineswegs religiös indifferent gewesen sei, Fragen der Religion aber dem Primat des Politischen untergeordnet habe, wie es für spätantike Herrscher insgesamt typisch sei. Wie andere Herrscher seiner Zeit sei er vor allem darauf bedacht gewesen, „das spaltende Potenzial eines dogmatischen Universalismus nicht Oberhand über ordnungspolitisch definierte Einheitsziele gewinnen zu lassen“ (S. 178). Theoderich habe erkannt, dass die katholischen Bischöfe in seinem Reich eine wichtige herrschaftsstabilisierende Funktion übernehmen konnten. Da sie durch ihre Seelsorge und Armenfürsorge weite Teile der Bevölkerung erreicht hätten, zu denen der homöische Klerus keinen Zugang gehabt habe, seien sie für ihn geradezu unersetzlich gewesen. Darum habe Theoderich die katholische Kirche zwar nicht gefördert, aber ihren Besitzstand geschützt und ihre Privilegien anerkannt. Die Haltung des Königs zur katholischen Mehrheit seines Reiches entsprang nach Kötter folglich einer sorgfältigen Abwägung der Vorteile, die er aus einer Kooperation ziehen konnte. Die Bereitschaft der Bischöfe zur Kooperation mit einem häretischen König erklärt sich nach Kötter aus der sozialen Stellung, welche die Bischöfe in den Städten Italiens bereits innehatten, als der gotische König das Land eroberte. Am Ende des 5. Jahrhunderts seien die Bischöfe aufgrund ihrer pastoralen und karitativen Funktionen und des Reichtums ihrer Gemeinden ein wichtiger Teil der städtischen Eliten gewesen. Die Regierung habe mit den italischen Städten in wichtigen Teilbereichen über die Bischöfe kommuniziert. Da aber Theoderich den Besitzstand der Bistümer und die Rechtsstellung der Kleriker nicht antastete, hätten die Bischöfe keine Veranlassung gehabt, sich seiner Herrschaft zu widersetzen, obwohl ihnen das Bekenntnis, dem der König anhing, als häretisch galt. Auch die Beendigung des Akakianischen Schismas war nach Kötter entgegen einer in der Forschung verbreiteten Auffassung „nicht sonderlich problematisch“, da die kirchliche Gemeinschaft zwischen West und Ost die Wahrscheinlichkeit verringert habe, dass dogmatische Streitigkeiten der Reichskirche nach Italien exportiert wurden. Für die um ihre Autonomie besorgten katholischen Bischöfe Italiens

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aber sei ein orthodoxer Kaiser mehr zu fürchten gewesen als ein häretischer König, der sich aus ihren Angelegenheiten heraushielt. Kötter interpretiert das Verhalten der Akteure konsequent aus einem Primat des Politischen über die Religion; er formuliert resümierend, Theoderich sei in erster Linie Herrscher, nicht Missionar gewesen. Wie die Zeitgenossen konfes­sionelle Differenz theologisch zu rechtfertigen und diskursiv zu bewältigen vermochten, spielt in diesem Modell keine Rolle. Kooperation trotz konfessioneller Differenz ist für Kötter lediglich eine besondere Ausprägung eines für die christliche Spät­ antike insgesamt typischen Handlungsmusters. Wie aber passt der Konflikt zwischen Theoderich und Papst Johannes I. in dieses Modell? Kötter argumentiert, dass dieser Konflikt nicht religiös fundiert gewesen sei, und betont, dass die Kooperation zwischen katholischem Episkopat und homöischen Königen auch nach dem Tod Theoderichs zunächst fortgesetzt wurde. Auf die Frage, wie und warum diese Kooperation schließlich endete, geht Kötter nicht mehr ein. Homöer, Manichäer und Juden bildeten im Reich Theoderichs religiöse Minderheiten. Die von ihren Gegnern als Arianer verunglimpften Homöer waren zahlenmäßig eine sehr kleine Gruppe, die weit überwiegend aus zugewanderten Germanen, vor allem aus Goten bestand; gotische Gemeinden scheint es nur dort gegeben zu haben, wo gotische Truppen dauerhaft stationiert waren.24 Homöische Bischöfe sind nur für ganz wenige Städte nachweisbar. Trotz ihrer geringen Zahl besaßen die homöischen Gemeinden aber den Rückhalt am gotischen Königtum, denn Theoderich und alle seine Nachfolger gehörten dieser Konfession an. Die ehemalige „Palastkirche“ Sant’Apollinare Nuovo kündet bis heute von der Großzügigkeit, mit der Theoderich seine Kirche förderte. Noch kleiner war die Zahl derjenigen, die sich als Anhänger des iranischen Propheten Mani betrachteten; diese Gruppierung wurde zudem seit dem Ende des 3. Jahrhunderts verfolgt.25 Die Juden waren demgegenüber eine weit größere Gruppe, die seit Langem in vielen Städten Italiens ansässig war und dort eigene Kultgebäude besaß. Ihre Gemeinden standen auch in der Spätantike unter dem Schutz der Kaiser, wenngleich die Juden seit dem frühen 5. Jahrhundert in Ost und West vom Dienst in staatlichen Behörden (militia) ausgeschlossen waren. Zwar war es ihnen untersagt, neue Synagogen zu erbauen oder christliche Sklaven zu erwerben, der Besitz bereits vorhandener Synagogen aber wurde ihnen vom Kaiser ebenso garantiert wie der Besitz christlicher Sklaven, solange diese in der Ausübung ihres Glaubens nicht behindert wurden. Erst Kaiser Justinian hat diese Privilegien beschnitten.26 24 

Eine andere Auffassung vertritt Patrick Amory: People and Identity in Ostrogothic Italy, 489– 554. Cambridge 1997, S. 236–276. Vgl. dazu jedoch die Kritik von Robert A. Markus, in: Journal of Theological Studies n. s. 49 (1998), S. 414–417. 25  Grundlegend ist Samuel Lieu: Manichaeism in the Later Roman Empire and Medieval China. Tübingen 21992. 26  Zu den Juden im spätantiken Italien grundlegend Lellia (Cracco-)Ruggini: Ebrei e Orientali nell’Italia settentrionale fra il IV e il VI secolo d. Cr. In: Studia et Documenta Historiae et Iuris 25 (1959), S. 185–308; auch abgedruckt in: dies.: Gli ebrei in età tardoantica. Presenze, intolleranze, incontri. Rom 2011, Nr. II. Zur kaiserlichen Judengesetzgebung zuletzt ausführlich Friedrich

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Die christliche Polemik warf den Gegnern des Bekenntnisses von Nizäa gerne vor, sie seien Freunde der Juden und leugneten wie diese die Gottheit Christi.27 In der modernen Forschung wurde vermutet, als religiöse Minderheiten in Italien hätten sich Juden und Homöer gegenseitig gestützt.28 Hanns Christof Brennecke geht in seinem Beitrag der Frage nach, welche Rolle diese beiden religiösen ­Gruppen im Reich Theoderichs tatsächlich spielten. Er ruft in Erinnerung, dass die von ihren Gegnern als Arianer bezeichneten Christen sich selbst keineswegs in der Tradition des alexandrinischen Presbyters Arius sahen, dessen Lehren 325 auf der Synode von Nizäa verurteilt worden waren. Die „Arianer“ Italiens hingen vielmehr einem Glaubensbekenntnis an, das 359 und dann noch einmal 360 von „Reichs­synoden“ angenommen worden war und bis zum Beginn der Regierung des Kaisers Theodosius I. (379) im ganzen Reich als verbindlich gegolten hatte. Weil das Verhältnis zwischen Gottvater und Gottsohn in diesem Bekenntnis als „homoios (gleich) gemäß den Schriften“ bestimmt wird, nennt die kirchengeschichtliche Forschung diese Glaubensrichtung homöisch und ihre Anhänger ­Homöer. Die Goten und andere germanische Völkerschaften übernahmen dieses Bekenntnis, bevor es im Reich zur Häresie erklärt wurde, und hielten daran fest, nachdem sie Reichsboden betreten hatten. Brennecke weist darauf hin, dass das homöische Glaubensbekenntnis in der Tradition griechischer Theologie verwurzelt war, und betont, dass es keine Anzeichen für eine besondere Affinität der Germanen zu dieser Christologie gebe. Die religiöse Praxis der homöischen Kirche in Italien war nach Brennecke von einem „konservativen Grundzug“ geprägt. So verehrte man die Heiligen, die auch in Konstantinopel verehrt wurden, kannte aber keine monastisch lebenden Kleriker. Auch die Wiederholung der Taufe bei Konvertiten war in den Gemeinden des Ostens lange praktiziert worden, bevor die Reichskirche sie zum Missbrauch stempelte. Brennecke hebt hervor, dass die Konfessionszugehörigkeit im religiösen Alltag wohl weniger durch die unterschiedlichen Bekenntnisse erkennbar wurde als vielmehr durch die Verwendung des Gotischen als Liturgiesprache, die abweichende Form der Doxologie und die sogenannte Häretikertaufe. Er hält gegen Patrick Amory daran fest, dass die Kirche der Goten in Italien ethnisch, nämlich als Kirche des gotischen Gesetzes definiert gewesen sei. Manichäer wurden zur Zeit Theoderichs in Rom ebenso verfolgt wie unter den letzten Kaisern des Westreiches, aber davon abgesehen fehlen Zeugnisse für diese religiöse Minderheit. Kaum mehr lässt sich über die Menschen aussagen, die von Christen als Heiden bezeichnet wurden. Greifbar werden dagegen die Juden. Brennecke vertritt die Auffassung, bereits den Zeitgenossen sei aufgefallen, dass Lotter: Die kaiserzeitliche Judengesetzgebung von Konstantin bis zur Veröffentlichung von Justinians Novelle 146 (553). In: Aschkenas 22 (2014), S. 247–390. Eine umfassende, nach Textsorten gegliederte Sammlung aller Zeugnisse bietet Alfredo M. Rabello: Giustiniano, ebrei ed samaritani alla luce delle fonti storico-letterarie, ecclesiastiche e giuridiche. 2 Bde. Mailand 1987/1988. 27  Grundlegend Bernhard Blumenkranz: Die Judenpredigt Augustins. Ein Beitrag zur Geschichte der jüdisch-christlichen Beziehungen in den ersten Jahrhunderten. Basel 1946, S. 194–198. 28  John Moorhead: Theoderic in Italy. Oxford 1992, S. 114–136.

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die Juden im Reich Theoderichs eine erheblich bessere Stellung gehabt hätten als in Byzanz. Tatsächlich behauptet der Anonymus Valesianus, dass der Kämmerer des Königs die Juden begünstigt habe; ein jüdischer Advokat (scholasticus) soll dem König sogar ein Verfolgungsedikt formuliert haben, das wegen des Todes des Königs freilich nicht mehr zur Durchführung gekommen sei.29 Vor allem aus den Varien geht hervor, dass der König Übergriffe auf jüdische Kultgebäude ahndete, wie es seine kaiserlichen Vorgänger getan hatten. Brennecke möchte die Politik und Gesetzgebung Theoderichs gegenüber den Juden „in erster Linie aus dem Gedanken einer zu bewahrenden oder wiederherzustellenden Rechtskontinuität“ (S. 172) erklären; der König habe die Verschlechterung der Rechtsstellung der ­Juden im Osten bewusst nicht nachvollzogen. Diese Deutung ist dem Einwand ausgesetzt, dass alle glaubwürdig bezeugten Maßnahmen Theoderichs gegenüber jüdischen Gemeinden der durch den Codex Theodosianus und die im Westen rezipierten Novellen geschaffenen Rechtslage vollauf entsprechen. Diese Rechtslage galt aber bis zum Beginn der Alleinregierung Justinians (527) auch im Osten, also während der gesamten Dauer der italischen Herrschaft Theoderichs.

Das Edikt Theoderichs Der Humanist Pierre Pithou edierte 1579 unter dem Titel Edictum Theoderici ­regis eine in 154 Kapitel gegliederte Sammlung von Rechtssätzen, die seitdem als das Edikt Theoderichs bekannt ist.30 Da die von Pithou benutzte Handschrift ­anschließend spurlos verloren ging, beruhen alle späteren Ausgaben auf diesem Druck. Auch wenn bis in die Gegenwart hinein immer wieder einmal Zweifel an der Authentizität geäußert wurden, gibt es gute Gründe, das Edikt für das zu nehmen, als was es sich gibt: eine im Namen und Auftrag eines Königs ­Theoderich promulgierte Sammlung von Rechtssätzen, die im Text selbst als edicta bezeichnet werden. Dass es sich bei diesem König Theoderich um den gotischen König in Italien handelt, galt lange Zeit als selbstverständlich. Die Frage wurde jedoch strittig, als der italienische Rechtshistoriker Giulio Vismara seit den 1950er-Jahren mehrfach und mit Nachdruck dafür eintrat, das Edikt dem gleichnamigen, von 466 bis 484 regierenden König der Westgoten zuzuschreiben.31 Diese Position 29 

Anonymus Valesianus 93–94. Eine Ausgabe des lateinischen Textes mit einer nicht durchweg zuverlässigen Übersetzung und juristischen Paralleltexten bietet jetzt Ingemar König: Edictum Theoderici regis. Lateinisch und Deutsch. Herausgegeben, eingeleitet und kommentiert. Darmstadt 2018. Orazio Licandro: Edictum Theoderici. Un misterioso caso librario del Cinquecento. Rom 2013, berichtet ausführlich über die Editions- und Forschungsgeschichte und bietet neben einer italienischen Übersetzung auch ein Faksimile der editio princeps. Seine These, die von Pithou als Edictum Theoderici regis veröffentlichte Sammlung von Rechtssätzen sei in Wahrheit eine private Kompilation des 6. Jahrhunderts, dürfte kaum auf Zustimmung stoßen. 31  Giulio Vismara: Edictum Theoderici. Mailand 1967; auch abgedruckt in: ders.: Scritti di storia giuridica. Bd. 1. Mailand 1987, S. 1–338. 30 

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konnte sich in der anschließenden Diskussion jedoch nicht durchsetzen. Hermann Nehlsen wies Vismaras Argumente schon 1969 überzeugend zurück.32 ­Inzwischen darf es wieder als herrschende Meinung gelten, dass kein anderer als Theoderich der Große der Urheber des Edikts ist, das unter seinem Namen bekannt ist. Das Edikt Theoderichs gibt der Forschung viele Probleme auf, die bis heute ungelöst sind. Das betrifft zunächst die Genese und Form der Sammlung: Wann und wie wurden die einzelnen Rechtssätze zu der vorliegenden Sammlung zusammengefügt? Ein Datum ist nicht überliefert; die im Auftrag des Königs tätigen Kompilatoren bleiben anonym. Ebenso strittig ist die Frage nach dem Zweck der Sammlung: War sie als Leitfaden für Richter gedacht? Falls ja, wurde sie tatsächlich angewendet, von wem und in welchem Umfang? Wie wurde die Rechtssammlung bekannt gemacht und verbreitet? Umstritten ist schließlich auch die Aussagekraft des Edikts als historische Quelle: Ist das Edikt ein Ausdruck erfolgreicher Bemühungen um die Sicherung der Rechtsordnung? Oder spiegelt es im Gegenteil gerade die Verbreitung der Delikte, die es mit Strafe belegt, und zeugt dadurch indirekt von Selbsthilfe und Eigenmacht? Seit Felix Dahn hat man das Edikt immer wieder als Reaktion auf einen strukturellen Konflikt zwischen römischen Zivilisten und gotischen Kriegern interpretiert.33 Sean Lafferty ist kürzlich noch erheblich weiter gegangen: Für ihn spiegelt sich in den Rechtssätzen des Edikts die Ineffizienz und Korruption staatlicher Verwaltung, die Dominanz nackter Gewalt und der Rückgang einer auf den Städten beruhenden Verkehrswirtschaft – die Ruralisierung Italiens.34 Andere verweisen seit eh und je darauf, dass die Varien ein unablässiges Bemühen des Königs um die Wahrung von Recht und Ordnung belegten. Auch wer diese Verlautbarungen nicht für bare Münze nehmen will, wird sich fragen, ob nicht die Stabilität der Herrschaft Theoderichs der beste Beweis für die Wirksamkeit seiner Maßnahmen ist. Am Ende seiner mehr als dreißigjährigen, nahezu unangefochtenen Herrschaft befanden sich immerhin nicht weniger als 40 000 Pfund Gold in der Schatzkammer des Königs.35 Karl Ubl stellt in seinem Beitrag eine neue Deutung zur Diskussion. Er fragt nach den Absichten, die der König verfolgte, indem er sich der damals neuen Form einer Kodifikation rechtlicher Vorschriften bedient habe. Dabei definiert er 32 

Hermann Nehlsen: Rezension von Vismara, Edictum Theoderici (wie Anm. 31), in: ZRG, GA 86 (1969), S. 246–260. 33  Felix Dahn: Die Könige der Germanen. Das Wesen des ältesten Königtums der germanischen Stämme. 4. Abt.: Anhänge zur dritten Abtheilung. Würzburg 1866. Ähnlich auch Aarne Stüven: Rechtliche Ausprägungen der „civilitas“ im Ostgotenreich. Mit vergleichender Berücksichtigung des westgotischen und des burgundischen Rechts. Frankfurt a. M. u. a. 1995. 34  Lafferty: Law and Society (wie Anm. 18); vgl. dazu die kritische Rezension von Detlef Liebs, in: ZRG, RA 132 (2015), S. 560–570. 35 Procopius, Bella 5, 2, 26; vgl. dazu Ernest Stein: Histoire du Bas-Empire. Tome 2: De la disparition de l’Empire d’Occident à la mort de Justinien (476–565). Paris/Brüssel/Amsterdam 1949, S. 333; Matthias Hardt: Gold und Herrschaft. Die Schätze europäischer Könige und Fürsten im ersten Jahrtausend. Berlin 2004, S. 143–145.

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Kodifikationen im Anschluss an Niklas Luhmann als eine spezifische Form der Gesetzgebung, die „ein paradigmatisches Abbild der normativen Ordnung einer Gemeinschaft“ (S. 226) vermittle. Aus diesem Grund sei das Edikt Theoderichs kein getreues Abbild der Klagen, die Untertanen beim König einreichten, sondern das Produkt eines gezielten Ausdruckswillens. Es greife folglich zu kurz, das Edikt mit den Varien zu vergleichen, wenn man erklären wolle, weshalb bestimmte Delikte im Edikt mehr oder weniger häufig behandelt werden. Ubl schlägt daher einen anderen Weg zur Deutung des Edikts ein: Er vergleicht das Edikt Theoderichs nicht mit den Varien, sondern mit anderen, ungefähr ­zeitgleichen Kodifikationen germanischer Könige, und zwar mit dem wohl 470 erlassenen Edikt des westgotischen Königs Eurich, das früher oft, aber wohl zu Unrecht Codex Euricianus genannt wurde,36 sowie mit dem im Jahre 506 oder 507 erlassenen Breviarium Alarichs II. und mit der im Burgunderreich vor 517 erlassenen Lex Romana. Man hat schon immer bemerkt, dass das Edikt Theoderichs im Gegensatz zu den meisten anderen Kodifikationen des 5. und 6. Jahrhunderts keinerlei Ordnung aufweist. Nach Ubl enthält die mangelnde Systematik eine ­politische Botschaft; sie symbolisiere die kontinuierliche Sorge des Königs für den allgemeinen Frieden. Das Edikt Theoderichs wolle „kein systematisches Elementarwerk sein, sondern eine Widerspiegelung der praktischen Probleme, die an den Hof des Ostgotenkönigs herangetragen wurden“ (S. 230). Die praktische Brauchbarkeit des Gesetzbuchs sei für den König gegenüber dieser ideologischen Botschaft zweitrangig gewesen, zumal er mit dem Edikt ja kein neues Recht setzen, sondern lediglich bestehendes bestätigen wollte. Nach Ubl hat die bisherige Forschung die Spezifik von Kodifikationen nicht oder nicht hinreichend beachtet und darum häufig unzulässige Folgerungen aus dem Edikt gezogen. Dass im Edikt Theoderichs Korruption, Selbsthilfe und Amtsmissbrauch so stark thematisiert werden, erkläre sich aus dem Umstand, dass die Kooperation des gotischen Militärs mit einer römischen Verwaltung ein politisch sensibler Bereich gewesen sei. Auch als Beleg für eine weit fortgeschrittene Ruralisierung Italiens könne das Edikt nicht dienen. Zum einen nämlich sei die ländliche Lebenswelt im Edikt Theoderichs sehr viel weniger präsent als im Edikt Eurichs (soweit man dieses rekonstruieren kann). Zum anderen aber spiegele sich in dieser Themenwahl zunächst einmal der fürsorgliche Anspruch des Herrschers; wie Eurich habe auch Theoderich zeigen wollen, dass er die Belange der bäuerlichen Landbevölkerung ernst nahm. Ubl fasst seine Überlegungen in drei Thesen prägnant zusammen (S. 237 f.): Erstens müsse die Unordnung des Edikts „als Stilisierung einer beständigen Sorge um Rechtswahrung gelesen werden“. Zweitens sei die Fokussierung von Delikten in der Rechtspflege nicht als „Reflex 36  Hermann Nehlsen: Alarich II. als Gesetzgeber. Zur Geschichte der Lex Romana Visigothorum. In: Gerhard Dilcher (Hg.): Studien zu den germanischen Volksrechten. Frankfurt a. M. u. a. 1982, S. 143–203, hier: S. 182–185, vertritt allerdings die These, die in einem Pariser Palimpsest ohne Angabe des Urhebers als Fragment überlieferte Rechtssammlung gehe nicht auf den westgotischen König Eurich, sondern auf dessen Sohn und Nachfolger Alarich II. zurück.

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auf Anarchie, sondern als eine bewusste Akzentuierung“ zu deuten. Und drittens schließlich komme in den Regelungen zur bäuerlichen Lebenswelt „die universale Sorge des Gesetzgebers für alle Teile der Bevölkerung zum Ausdruck“.

Soziale Eliten: Senatoren und senatorisches Milieu Die winzige Gruppe von Männern, die im spätantiken Italien den Rang eines vir illustris erreichte, genießt in der modernen Forschung seit Langem große Aufmerksamkeit. Dafür gibt es gute Gründe. Keine andere Personengruppe ist in unseren Quellen auch nur annähernd so gut greifbar. Zudem verfügte diese Gruppe über außerordentlich große ökonomische und soziale Macht und besaß im Senat von Rom auch so etwas wie eine Standesvertretung. Einer lange Zeit herrschenden Auffassung zufolge hatten im römischen Senat des späten 5. Jahrhunderts allein viri illustres Sitz und Stimme; viri clarissimi und viri spectabiles gehörten zwar weiterhin dem ordo senatorius an, waren aber keine Mitglieder des Senates mehr, also sozusagen Senatoren zweiter Klasse. Die moderne Forschung wurde lange durch zwei Monographien bestimmt, die der finnische Althistoriker Johannes Sundwall während des Ersten Weltkriegs verfasste; die erste erschien 1915, die zweite 1919.37 Da diese Monographien auf einer umfassenden Auswertung des prosopographischen Materials (einschließlich einer Chronologie der EnnodiusBriefe) beruhen, haben sie bis heute ihren Wert behalten. Sundwall beschrieb die Senatoren des weströmischen Reiches als eine Klasse von superreichen Grundbesitzern, die ihre ökonomischen Interessen auf Kosten des Staates verfolgten, indem sie sich der Zahlung von Steuern mit stets wachsendem Erfolg widersetzten. Die politischen Differenzen innerhalb dieser Gruppe waren seiner Ansicht nach dadurch begründet, dass die einen sich primär als Weströmer, die anderen primär als Unter­tanen des Kaisers verstanden hätten. Sundwall sprach von einer „Nationalpartei“ unter den illustren Senatoren Italiens, die zur Kooperation mit einem gotischen König bereit gewesen sei, weil dieser die Unabhängigkeit des weströmischen Reiches gegenüber dem Kaiser am Bosporos gesichert habe. Nach Sundwall lag diese „national-römische Partei“ stetig im Kampf mit einer probyzantinischen „Reichspartei“, die auf eine Wiedervereinigung mit dem Ostreich gehofft habe, und wurde gegen Ende der Herrschaft Theoderichs zunehmend von progotischen Opportunisten bedrängt, die sich der gotischen Aristokratie anpassen wollten. Nach dem Tode Theoderichs sei diese moderate und kooperationsbereite „Nationalpartei“ zwischen der probyzantinischen „Reichspartei“ und einer progotischen Richtung allmählich zerrieben worden. Diesem Erklärungsmodell stellte Christoph Schäfer 1992 ein anderes gegenüber: Nach Schäfer war das politische Verhalten der Senatoren wesentlich durch ihre soziale Herkunft und regionale Verankerung bestimmt. Seiner Deutung zu37  Johannes

Sundwall: Weströmische Studien. Berlin 1915; ders.: Abhandlungen zur Geschichte des ausgehenden Römertums. Helsingfors 1919.

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folge standen sich im Reich Theoderichs zwei Gruppen von illustres gegenüber: Die einen entstammten Familien, die bereits Konsuln und Präfekten hervorgebracht hatten, waren der Stadt Rom eng verbunden und hatten Grundbesitz in Mittelitalien. Die anderen waren in Oberitalien beheimatet und konnten keine Ahnen im Rang von illustres vorweisen; diese Senatoren waren soziale Aufsteiger, die ihre Stellung allein dem König verdankten, dem sie bereitwillig dienten. Dieser Konflikt zwischen einem stadtrömischen „Erbadel“, der auf seine Vorrechte pochte, und einem oberitalischen „Dienstadel“, der im Dienst für gotische Könige zu illustrem Rang und Reichtum gelangte, durchzog nach Schäfer die gesamte ­Regierung Theoderichs; aus ihm erklärten sich auch der Prozess und die Hinrichtung des Boethius.38 John Moorhead legte seinen Analysen zur selben Zeit ähnliche Kategorien zugrunde; der australische Historiker stellte Aristokraten und „Apparatschiks“ gegenüber.39 Das empirische Material, auf dem diese und andere Studien fußen, ist seit 1980 im zweiten Band der „Prosopography of the Later Roman Empire“ leicht zugänglich. In dieses Werk haben die Ergebnisse Eingang gefunden, die André Chastagnol durch ein systematisches Studium der Sitzinschriften des Colosseums in Rom erzielte und 1966 in einer grundlegenden Monographie veröffentlichte. Chastagnol glaubte, dort etwa 195 Senatoren, darunter 24 illustres, 6 spectabiles und 54 clarissimi, in einer Art Momentaufnahme mehr oder weniger deutlich fassen zu können, denn er nahm an, dass die Sitze anlässlich einer Renovierung unter Odovakar in einem Zuge beschriftet wurden.40 Diese These muss freilich revidiert werden. Wie Silvia Orlandi gezeigt hat, wurden vielmehr bis in die Zeit Theoderichs hinein neue Inschriften auf Sitzplätzen angebracht.41 In jüngster Zeit haben Adolfo La Rocca und Fabrizio Oppedisano die formalen Regeln für die Konstitution und Funktion des Senates einer gründlichen Untersuchung unterzogen und dabei gezeigt, dass die in der älteren Forschung einhellig geteilte Auffassung, zur Zeit Odovakars und Theoderichs hätten im Senat allein viri illustres Sitz und Stimme gehabt, mit den Quellen nicht zu vereinbaren ist. Auch wenn nicht daran zu zweifeln ist, dass die Angehörigen dieser Rangklasse den weströmischen Senat dominierten, waren Senatoren niedrigeren Ranges von seinen Sitzungen keineswegs grundsätzlich ausgeschlossen.42 38 

Christoph Schäfer: Der weströmische Senat als Träger antiker Kontinuität unter den Ostgotenkönigen (490–540 n. Chr.). St. Katharinen 1991. 39  Moorhead: Theoderic in Italy (wie Anm. 28), S. 155; vgl. auch ders.: The Decii under Theoderic. In: Historia 33 (1984), S. 107–115. 40  André Chastagnol: Le sénat romain sous le règne d’Odoacre. Recherches sur l’épigraphie du Colisée au Ve siècle. Bonn 1966. Vgl. die zustimmenden Besprechungen von Karl Friedrich ­Stroheker, in: Gnomon 40 (1968), S. 805–809 und John F. Matthews, in: JRS 58 (1968), S. 265 f. 41  Silvia Orlandi: Epigrafia anfiteatrale dell’occidente romano. VI. Roma. Anfiteatri e strutture annesse con una nuova edizione e commento delle iscrizioni del Colosseo. Rom 2005, bes. S. 191– 198, S. 286–306, S. 545–550. Die Sitzinschriften für Arcadius Placidus Magnus Felix, cos. 511 (ebd., S. 480–482, Nr. 70) und Iobius Philippus Ymelcho Valerius, cos. 521 (ebd., S. 517 f., Nr. 173) ge­ hören sicher in die Zeit Theoderichs. 42  Adolfo La Rocca/Fabrizio Oppedisano: Il Senato romano nell’Italia ostrogota. Rom 2016.

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Peter Eich geht das Thema in seinem Beitrag auf neue Weise an. Zum einen nimmt Eich nicht allein die viri illustres in den Blick, sondern untersucht das gesamte Spektrum der Personen, die sich als Mitglieder des Senatorenstandes betrachten konnten, also auch die viri clarissimi und die viri spectabiles. Zum anderen erweitert er die Perspektive dadurch, dass er neben dem Konsulat und der Stadtpräfektur auch die drei „Finanzministerien“ als Indikatoren für die Personalpolitik Theoderichs heranzieht. Eich geht von der Überlegung aus, dass zwischen dem Senat als politischem Gremium und den Senatoren als politischen, sozialen und ökonomischen Akteuren grundsätzlich zu unterscheiden sei. Der Senat hatte im Reich Theoderichs seiner Ansicht nach zwar eine legitimierende Funktion für das Königtum, erfüllte ansonsten aber eher die Rolle eines Stadtrates. Der Wirkungsraum vieler Senatoren reichte jedoch weit über dieses Gremium hinaus. Wer illustren Status erlangen wollte, musste in den Dienst des Königs treten und sich dafür zumindest zeitweise von Rom entfernen. Der Senatorenstand sei darum ­wesentlich heterogener gewesen als der Senat. Auch müsse stets bedacht werden, dass unsere Quellen die prominentesten Mitglieder des Senatorenstandes privi­ legieren: viri clarissimi und viri spectabiles, die dem Senat angehörten, sind als ­Individuen kaum zu fassen. Das senatorische Milieu Italiens umfasste nach Eich all diejenigen, die als ­clarissimi oder spectabiles dem Senatorenstand angehörten oder ihm zumindest eng verbunden waren, aber meist fern von Rom lebten. Aus den Varien kennen wir Titel und Aufgaben einer Reihe von Amtsträgern, die im Dienst des Königs den Rang eines spectabilis erlangten. Diese Personen waren am Hof tätig und ­hatten administrative Funktionen. Konkrete Aussagen über ihr Selbstverständnis, ihre Verhaltensmuster und ihren politischen Einfluss sind freilich kaum zu treffen. Die Mehrzahl der spectabiles ist als Gouverneur einer Provinz bezeugt. Ihre Aufgaben und Handlungsspielräume in der Steuererhebung und Jurisdiktion sind bekannt. Vermutlich deckten sich diese beiden Personenkreise, wenngleich man keine Karrieremuster erstellen könne. Eich nimmt an, dass das von Cassiodor propagierte Ethos des Dienstes an der res publica in diesem Personenkreis am tiefsten verankert gewesen sei. In Grabinschriften dagegen werden spectabiles greifbar, für die weder Rom noch der Hof bedeutsam waren; ihr Aktionskreis blieb offenbar lokal beschränkt. Bei den clarissimi zeigt sich grundsätzlich dasselbe Bild. Auch für diese Personengruppe ist durch die Varien eine Reihe administrativer Funktionen bei Hof belegt, und zwar solche der mittleren und unteren Ebene. Personen mit dem Titel clarissimus sind aber auch als Honoratioren in italischen Städten bezeugt, und zwar in sehr großer Zahl. Diese clarissimi gehörten lokalen Machtnetzwerken an, die Eich als „pseudo-senatorial elites“ bezeichnet. Die bisher vorliegenden Analysen der illustren Senatoren leiden nach Eich da­ runter, dass sie die Finanzverwaltung zu wenig berücksichtigen. Da der König das Heer, mit dem er Italien erobert hatte, zu dessen Zufriedenheit versorgen musste, hätten die „Finanzminister“ neben den Prätoriumspräfekten im gotischen Italien eine Schlüsselfunktion innegehabt. Eich geht die bekannten Inhaber dieser Chargen in einer sorgfältigen Analyse durch. Bei der Prätoriumspräfektur bestätigt

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sich die These der älteren Forschung, dass Theoderich dieses Amt in der zweiten Hälfte seiner Regierung mit Personen besetzte, die keine illustren Vorfahren ­hatten; dasselbe Bild zeigt sich in dieser Phase auch beim Konsulat. Diese Er­ weiterung der Rekrutierungsbasis sei aber nicht auf die Rom-basierten Ämter ­beschränkt gewesen, sondern auch bei einem Hofamt wie der Quästur zu beobachten. Auch könne für die Jahre nach 511 nicht von einem Bruch in der Personalpolitik Theoderichs die Rede sein; überblicke man sie als ganze, erscheine sie eher als eine Rückkehr zu den Prinzipien, die er auch am Anfang befolgt, aber um 500 kurzzeitig aufgegeben habe. Bei den Finanzministerien ergibt sich ein völlig anderes Bild. Unter den In­ habern dieser drei Hofämter finden sich kaum Personen, die aristokratischer ­Herkunft waren. Die königliche Zentrale war offenbar nicht bereit, Ämter, deren Aufgabenfeld ganz Italien umfasste, Repräsentanten großer stadtrömischer Familien anzuvertrauen. Eich erklärt diese Personalpolitik als Kompromiss zwischen dem Interesse der Zentrale an effektiver Kontrolle und ihren begrenzten Ressourcen. Einerseits sei ein Ausbau der Bürokratie aus Kostengründen nicht infrage ­gekommen. Andererseits waren mächtige Aristokraten als Leiter der Verwaltung kaum zu kontrollieren. Da sie zudem in der Lage waren, sich der Besteuerung ­erfolgreich zu widersetzen, habe der König in diesem für ihn entscheidenden ­Bereich auf soziale Aufsteiger gesetzt. Eich bezweifelt, dass die hohen Funktionsträger des Hofs überwiegend in Norditalien verwurzelt gewesen seien. Eine generelle Charakterisierung dieser Personen als Aufsteiger führe in die Irre. Auch der von der älteren Forschung postulierte Konflikt zwischen „Bürokraten“ und „Aristokraten“ lasse sich in den Quellen nicht verifizieren. Da der Dienst am Hof im Gegensatz zu den stadtrömischen Ämtern die Chance eröffnete, Einfluss auf politische Entscheidungen zu nehmen, und zudem fürstlich honoriert wurde, hält Eich es für wahrscheinlich, dass viele Mitglieder der soziopolitischen Eliten ein stadtrömisches Amt überhaupt nicht anstrebten.

Römische und gotische Identitäten im gotischen Italien Timo Stickler untersucht in seinem Beitrag die Bedeutung römischer Identität oder Identitäten im gotischen Italien. Dabei konzentriert er sich auf eine kleine Personengruppe, die er als „Senatsaristokratie“ bezeichnet, die viri illustres. Viri clarissimi und viri spectabiles bleiben damit ausdrücklich ausgeklammert, erst recht all diejenigen, die zwar nach römischem Recht als cives Romani galten, aber im Rang unter den viri clarissimi standen, mochte es sich nun um Angehörige des Stadtrates (curiales), um Händler und Handwerker oder um freie Bauern handeln. Zeitlich fokussiert Stickler nicht die über dreißigjährige Regierungszeit Theoderichs, sondern den 535 beginnenden römisch-gotischen Krieg. Dafür ist die Überlegung ausschlaggebend, dass sich die Frage der Identität für die italischen Senatoren in diesem Krieg neu und nachdrücklich gestellt habe, weil sie gezwungen wurden, für eine der beiden Seiten Partei zu ergreifen. Stickler stellt zunächst klar,

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wie er den viel diskutierten Begriff „ethnische Identität“ verstanden wissen möchte, dann untersucht er das Verhalten der italischen Senatoren während des römischgotischen Krieges, indem er diese Gruppe zunächst als ganze in den Blick nimmt und sich dann einem besonders bezeugten Beispiel, Nicomachus Cethegus, dem Konsul des Jahres 504, zuwendet. In einem dritten Schritt geht er der Frage nach, was das praktische Verhalten der Senatoren über ihre Identität aussagt. Ethnische Identität ist für Stickler stets situativ und relational, ihre Bedeutung ist daher variabel. Gemeinsamkeiten wie Sprache, Lebensweise oder Herkunft führen dieser Auffassung zufolge nur unter bestimmten Bedingungen dazu, dass Individuen sich einer ethnischen Gruppe zurechnen. Aus dieser Perspektive erscheint ethnische Identität als eine soziale Ressource, über welche Individuen relativ frei, geradezu strategisch verfügen können. Ethnische Identität sei nur eine von vielen Möglichkeiten, den inneren Zusammenhalt einer Gruppe herzustellen und zu bewahren, und Individuen gehörten stets mehreren Kollektiven an. Wer nach römischer Identität im gotischen Italien frage, müsse folglich klären, welche Bedeutung Angehörige des Kollektivs „Römer“ dieser ethnischen Identität im Verhältnis zu anderen Formen der Selbstbeschreibung zugemessen haben. Denn grundsätzlich sei davon auszugehen, dass die italischen Senatoren sich vielen Kollektiven zugerechnet hätten. Stickler geht von der Beobachtung aus, dass in den ersten Jahren des römischgotischen Krieges vor allem solche Senatoren den Anschluss beim Kaiser suchten, die in Rom lebten und in seiner Nähe begütert waren. Senatoren hingegen, die in Oberitalien ansässig waren, seien in dieser Phase dem gotischen König gegenüber loyal geblieben. Insofern waren die Senatoren also nicht auf ein Handlungsmuster festgelegt. Mit dem Fortschreiten des Krieges verringerten sich die Handlungsoptionen der Senatoren jedoch zunehmend. Justinian zog die Senatoren Italiens immer weniger für hohe Ämter heran; die italische Präfektoriumspräfektur besetzte er mit Personen aus dem Osten. Zudem zerstörte der Krieg die materiellen Grundlagen, auf denen die soziale Dominanz der italischen Senatoren bis dahin beruht hatte. Viele fielen zudem kurz vor Kriegsende einem von Totila angeordneten Massaker zum Opfer. Für Stickler war der Untergang der Senatsaristokratie Italiens damit besiegelt, auch wenn Justinian in der „Pragmatischen Sanktion“ nach Kriegsende Maßnahmen zu ihren Gunsten verfügte. Da er darauf verzichtete, den Hof von Ravenna wiederherzustellen, gab es kaum noch Möglichkeiten, in Italien den Rang eines vir illustris zu erlangen. Welche Rolle spielten bei alledem ethnische Identitäten wie Römer oder Italiker? Stickler verweist darauf, dass Procopius in Reden, die er Goten in den Mund legt, die Untertanen des Kaisers wiederholt als „Griechen“ (Graikoi) von den ­Römern in Italien abgrenzt. Da diese Reden an Senatoren gerichtet sind, folgert Stickler, dass eine Zuordnung der Senatoren zu einem Kollektiv „Italiker“ durchaus vorgekommen sei. Eine solche Zuordnung sei jedoch nur selten und stets in polemischem Kontext erfolgt. Viel wirksamer sei freilich der Appell an die Wohltaten gewesen, welche die Senatoren von gotischen Königen erfahren hätten. Nur so erkläre sich, weshalb ein Teil der Senatoren sich zunächst loyal verhielt: Nicht

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die Zugehörigkeit zum Kollektiv „Römer“ sei für die Senatoren ausschlaggebend gewesen, sondern die Zugehörigkeit zum Kollektiv „(potenzielle) Amtsträger“, und zwar unabhängig davon, wer ihnen diese Ämter verlieh. Mit zunehmender Dauer des Krieges schließlich habe die Sorge um die Bewahrung ihres Reichtums dann alle anderen Motive und Loyalitäten in den Hintergrund gedrängt. Die Laufbahn des Cethegus ist nach Stickler geeignet, dieses Bild zu bestätigen, denn einerseits diente er Theoderich als magister officiorum und erlangte den Rang ­eines patricius, andererseits trat er im römisch-gotischen Krieg auf die Seite des Kaisers. Nachdem er lange im Lande ausgehalten hatte, floh er schließlich nach Konstantinopel, wo er Justinian zu einer energischeren Kriegführung anzutreiben versuchte. Stickler zieht folgendes Fazit: Die ethnische Identität im spätantiken Italien sei schon vor den Gotenkriegen „sekundär“, nach ihnen aber geradezu „obsolet“ gewesen. Gotische Identität und römische Identität waren seiner Ansicht nach „kein entscheidender Gegensatz“; das Verhalten der illustren Senatoren sei vom Streben nach kaiserlichen Ämtern und purem Überlebenskampf bestimmt worden. Sticklers Beitrag stellt die vorherrschende, bislang kaum hinterfragte Auffassung, das Standesbewusstsein italischer Senatoren sei auch unter den gotischen Königen durch die ostentative Identifikation mit der römischen Tradition geprägt gewesen, nachhaltig infrage. Gerade die Schreiben, die Cassiodor im Namen und Auftrag gotischer Könige an den Senat und einzelne Senatoren gerichtet hat, be­tonen bekanntlich die römische Tradition mit großem Nachdruck.43 Es bleibt a­ bzuwarten, ob und wie diese auf den ersten Blick diametral entgegengesetzten Positionen miteinander zu vereinbaren sind. Gotische Identitäten sind das Thema des Beitrags von Walter Pohl. Aus zeitgenössischen Quellen geht zweifelsfrei hervor, dass die königliche Kanzlei die Herrschaft Theoderichs in Italien als Herrschaft über zwei Völker – über Goten und Römer – definierte. Die beiden Völker sollten komplementäre Rollen erfüllen, die einen als Zivilisten, die anderen als Soldaten. Die ältere Forschung hat sich wenig dafür interessiert, was sich hinter diesen ethnischen Vokabeln verbirgt. Völker wurden als Abstammungsgemeinschaften verstanden, die in ihrer Sprache und Kultur einen harten Wesenskern besitzen, der in grauer Vorzeit entstanden ist und daher jedweder historischen Analyse vorgegeben ist. Die Germanen galten als eine große, ursprünglich in Nordeuropa beheimatete Völkerfamilie, und die ­Goten wurden dieser Völkerfamilie zugerechnet. Dieser Stamm habe zunächst im südlichen Skandinavien gesiedelt, sei dann an die gegenüberliegende Ostseeküste ausgewandert und von dort in den Raum zwischen Donau und Dnjester weiter­ gezogen. Auch wenn sich der Stamm dort in zwei Großgruppen, West- und Ostgoten, geteilt habe, sei das Bewusstsein, einem Stamm anzugehören, nie verloren 43 Siehe

etwa Beat Näf: Senatorisches Standesbewußtsein in spätrömischer Zeit. Freiburg i. Ü. 1995, S. 193–235; Kakridi: Variae (wie Anm. 4), S. 348–373; Tabea L. Meurer: Vergangenes ver­ handeln. Spätantike Statusdiskurse senatorischer Eliten in Gallien und Italien. Berlin 2019, S. 254– 349.

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gegangen. Dieses Modell reproduziert eine zeitgenössische Erzählung, die für uns in der „Gotengeschichte“ des Jordanes fassbar wird, und entspricht einem Volksbegriff, der im 19. Jahrhundert vorherrschend wurde und nicht nur die deutsche Geschichtsforschung bis weit ins 20. Jahrhundert hinein prägte. Die Wurzeln der deutschen Geschichte lagen demnach im germanischen Altertum.44 Ein grundsätzliches Umdenken setzte erst nach dem Zweiten Weltkrieg ein. Der ­Mediävist Reinhard Wenskus entfaltete 1961 auf breiter empirischer Grundlage die These, dass für den inneren Zusammenhalt ethnisch definierter Gruppen im „Frühmittelalter“ eben nicht die objektive Gemeinsamkeit der Herkunft, sondern vielmehr der subjektive Glaube daran entscheidend gewesen sei. Ethnische Gruppen („Stämme“) entstanden demnach dadurch, dass Personen das Bewusstsein entwickelten, einer Gruppe anzugehören, die als Abstammungsgemeinschaft verstanden wurde; Wenskus nannte diesen Prozess „Stammesbildung“. Die notwendige Voraussetzung dafür sei die Existenz von „Traditionskernen“ gewesen, wo­ runter Wenskus Adelsfamilien verstand, die Überlieferungen pflegten, die auf dem Gedanken gemeinsamer Herkunft beruhten. Das Entstehen und Vergehen ethnischer Gruppen hing seiner Ansicht nach daher vor allem davon ab, ob adlige Anführer erfolgreich waren oder nicht.45 Wenskus’ Thesen setzten sich im deutschsprachigen Raum bald allgemein durch. Wenngleich seine Terminologie der Tradition germanischer Altertumskunde verhaftet blieb, entsprach seine Position in der Sache in vieler Hinsicht den Ansätzen, die zur selben Zeit in der angloamerikanischen Soziologie und Ethnologie entwickelt wurden. „Ethnizität“ und „ethnische Identität“ wurden schnell zu Leitbegriffen althistorischer und mediävistischer Forschung. Herwig Wolfram legte seiner „Geschichte der Goten“, die 1979 in erster Auflage erschien, das ­Modell von Wenskus zugrunde, wenngleich er nun nicht mehr wie Wenskus von Stammesbildung, sondern von Ethnogenese sprach. Die Ostgoten waren für Wolfram eine aus vielen Völkerschaften gemischte Personengruppe, die sich der Führung der Amaler unterstellt hatte, eine königliche Gefolgschaft, die vom Kaiser als Föderatenheer anerkannt wurde und sich unter Führung Theoderichs in Italien niederließ. Dieses Modell der gotischen Ethnogenese wurde im deutschsprachigen Raum schnell zur herrschenden Meinung und prägte die sogenannte Wiener Schule der Mediävistik nachhaltig.46 44  Die

Lehre von der germanischen Kontinuität hat František Graus einer grundsätzlichen und durchschlagenden Kritik unterzogen; vgl. dazu František Graus: Verfassungsgeschichte des Mittelalters. In: HZ 243 (1986), S. 529–589; auch abgedruckt in: ders.: Ausgewählte Aufsätze (1959– 1989). Sigmaringen 2002, S. 213–258. 45 Reinhard Wenskus: Stammesbildung und Verfassung. Das Werden der frühmittelalterlichen gentes. Köln/Graz 1961. 46  Herwig Wolfram: Die Goten. Von den Anfängen bis zur Mitte des 6. Jahrhunderts. Entwurf einer historischen Ethnographie. München 31990, S. 17: „Des weiteren bezeugen die Quellen die grundsätzliche Polyethnie der Gentes. Sie sind keine ‚ganzen‘ Völker; sie umfassen niemals alle möglichen Angehörigen einer Gens und sind stets gemischt; ihre Entstehung ist keine Sache des Blutes, sondern der Verfassung. Dies bedeutet zunächst nicht viel mehr als das Zusammenfassen

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Im angloamerikanischen Bereich geriet das Wiener Modell der Ethnogenese in der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre in die Kritik. Man warf den Anhängern des Ethnogenese-Modells vor, die alte Germanen-Ideologie in neue Kleider gehüllt zu haben.47 Patrick Amory argumentierte in einer empirisch anfechtbaren, aber theoretisch außerordentlich anregenden Studie, dass man für das Reich Theoderichs gar nicht von gotischer Identität sprechen könne und solle. Es handle sich vielmehr um eine Ideologie, die im Auftrag des Königs verbreitet worden sei und der Legitimation seiner Herrschaft gedient habe. Die gotische Herkunftserzählung sei ein ethnographisches Konstrukt, worunter er eine frei erfundene Erzählung verstand, die keinerlei Wirkungsmacht entfaltet habe. Ebenso wenig habe es andere Merkmale gegeben, die eine Person eindeutig als Mitglied einer ethnischen ­Gruppe ausgewiesen hätten wie etwa Sprache, religiöses Bekenntnis, Haartracht, Kleidung oder Totenritual. Die Zurechnung zur privilegierten Gruppe der Goten habe Vorteile eingebracht und sei daher eine Frage der Opportunität gewesen, ­solange das Königreich Bestand hatte. Die Bezeichnung von Personen als Goten sage jedoch weder über deren Herkunft noch über deren Selbstverständnis etwas aus.48 Walter Pohl stellt in seinem Beitrag die aktuelle Position der Wiener Schule dar. Der Begriff „Ethnogenese“ spielt dabei keine zentrale Rolle mehr; der Begriff „Traditionskern“ wird ganz vermieden. Verteidigt wird jedoch die Auffassung, dass Ethnizität und ethnische Identität unverzichtbare Begriffe sind, wenn man verstehen möchte, wie sich soziale Gruppen im „Frühmittelalter“ konstituierten und reproduzierten. Pohl weist den Vorwurf zurück, dass das Modell der Ethnogenese im Grunde nur eine Neuauflage der Theorie einer germanischen Kontinuität von Caesar bis in die hohe Stauferzeit sei, und erhebt gegen die Kritiker seinerseits den Vorwurf, die Relevanz ethnischer Identität zu bagatellisieren oder gar zu negieren. Ethnizität auf bloße Ideologie zu reduzieren, entspreche weder dem Sprachgebrauch der zeitgenössischen Quellen, die sich durchweg ethnischer Termino­logie bedienen, noch dem Diskussionsstand der Sozialwissenschaften, die unter Ideologie wirkungsmächtige Diskurse verstehen. Es sei darum unsinnig „ethnographische Ideologie“ gegen „ethnische Identitätsstiftung“ auszuspielen. Pohl schlägt demgegenüber vor, ethnische Identitäten auf einer Skala anzusiedeln, die von „hochmotivierenden und tief geglaubten ethnischen Identitäten auf der und Zusammenhalten derjenigen heterogenen Gruppen, die ein Barbarenheer ausmachen. An­ führer und Repräsentanten von ‚bekannten‘ Sippen, das heißt von solchen Familien, die ihre ­Herkunft von Göttern ableiten und ihr Charisma in entsprechenden Erfolgen beweisen können, bilden die ‚Traditionskerne‘, um die neue Stämme entstehen, mit deren Hilfe ethnische Gruppen sich abspalten und umbilden. Wer sich zu dieser Tradition bekennt, sei es, daß er hineingeboren oder durch Bewährung zum Bekenntnis zugelassen wird, ist Teil der Gens, nicht Angehöriger einer biologischen Abstammungsgemeinschaft, sondern einer Abstammungsgemeinschaft aus ­ Überlieferung.“ 47  Repräsentativ sind die Beiträge in: Andrew Gillett (Hg.): On Barbarian Identity. Critical Approaches to Ethnicity in the Early Middle Ages. Turnhout 2002. 48  Patrick Amory: People and Identity in Ostrogothic Italy, 489–554. Cambridge 1997.

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einen Seite“ bis zu „reiner ethnographischer Spekulation auf der anderen“ reiche (S. 321). Die Durchlässigkeit ethnischer Grenzen dürfe nicht mit Beliebigkeit verwechselt werden, denn der Wechsel ethnischer Identität setze die Anerkennung durch diejenigen voraus, denen eine Person sich anschließen wolle. Ethnische Identität sei darum kein dem Individuum jederzeit frei verfügbares „situatives Konstrukt“.49 Als ethnisch betrachtet Pohl soziale Gruppen, deren Identität „in der Gruppe und ihren Mitgliedern selbst gesehen“ (S. 322) werde. Ethnizität sei eine Form der kognitiven und relationalen Gliederung der sozialen Welt, die Kommunikation erlaube. Ethnische Identität dagegen sei ein System kollektiver Unter­scheidung und Zuordnung, das durch Kommunikation und Interaktion ­erzeugt und umgebildet werde. Wenn in den Quellen ethnische Terminologie zur Bezeichnung von Gruppen verwendet wird, ist nach Pohl davon auszugehen, dass diese Gruppen eine ethnische Dimension hatten. Freilich koexistierten ethnische Identifikationsformen in der Regel mit anderen, territorialen, politischen, sozialen, kulturellen oder religiösen. Aufgabe historischer Forschung sei es daher, die Bedeutung ethnischer Identifikationen im Verhältnis zu anderen konkret zu bestimmen. Pohl geht von der Beobachtung aus, dass in den Quellen seit dem 3. Jahrhundert immer wieder von Goten als kollektiven Akteuren die Rede ist. Dieses Handlungsvermögen äußere sich unabhängig vom territorialen und politischen Rahmen, sei auch nicht religiös oder kulturell bedingt. Auch wenn Umfang und ­Bedeutungsinhalt des Gotennamens schwankten, habe er über lange Zeit als Bezugsgröße gewirkt. Dass es sich hier um eine Fremdwahrnehmung handle, die keinen Bezug zum Selbstverständnis der in dieser Weise beschriebenen Personen habe, sei kaum vorstellbar. Gegen diese Annahme spreche auch die Tatsache, dass unsere Quellen neben dem Gotennamen auch Sonderbezeichnungen für Teilgruppen (wie etwa Tervingen und Greutungen) überliefern. Mit Wolfram geht auch Pohl davon aus, dass es im Laufe der gotischen Geschichte zu ethnischen Verschiebungen – sowohl Teilungen als auch Zusammenschlüssen – gekommen sei. Wie groß der Anteil von Personen war, die im Heer Theoderichs dienten, aber keine Goten waren und auch in Italien nicht dazu wurden, lässt er jedoch offen. Pohl hebt hervor, dass sowohl die Westgoten als auch die Ostgoten über einen starken inneren Zusammenhalt verfügt hätten, der langfristig wirksam war. Anders als die Gefolgschaften römischer Heermeister überdauerten diese beiden ­gotischen Gruppen wiederholt den Tod ihrer Anführer. Die Frage, ob es sich bei ihnen um ein Volk oder ein Heer („nation or army?“) gehandelt habe, sei falsch gestellt. Volk und Armee seien gerade nicht deckungsgleich gewesen, weil den Kriegern in der Regel Frauen und Kinder, aber auch Kleriker und Unfreie gefolgt seien. Wären die Goten nichts anderes als eine „Gewaltgemeinschaft“ gewesen, 49 

Die klassische Formulierung steht bei Patrick Geary: Ethnic Identity as a Situational Construct in the Early Middle Ages. In: Mitteilungen der anthropologischen Gesellschaft in Wien 113 (1983), S. 15–26; auch abgedruckt in: ders.: Writing History. Identity, Conflict, and Memory in the Middle Ages. Bukarest 2012, S. 19–32.

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bleibe unverständlich, weshalb sie den Truppen des Kaisers so hartnäckig Widerstand leisteten. Pohl betont, dass die Ausdrucksformen gotischer Identitäten im Reich Theoderichs vielfältig gewesen seien; gotische Sprache und „arianisches“ Bekenntnis ­hätten ebenso dazu gehört wie die Zugehörigkeit zum exercitus Gothorum. Gegen Walter Goffart plädiert er für die Wirkmächtigkeit gotischer Überlieferung im Reich Theoderichs. Die Annahme, die Goten hätten über keinerlei Art von historischer Überlieferung verfügt, als sie sich auf dem Boden des Imperium Romanum niederließen, entbehre jeder Plausibilität. Die Werke eines Jordanes und I­sidor seien vielmehr das Produkt intensiver Kommunikation zwischen der lateinischen Tradition und der „hybriden Vorstellungswelt der neuen militärischen Eliten“ (S. 335). Die Annahme, dass Herkunftserzählungen eine identitätsstiftende Wirkung entfalteten, entspreche zudem vollauf dem Bild, das die Forschung der letzten Jahrzehnte von der Funktionsweise oraler Gesellschaften gezeichnet hat.50 Pohl resümiert: Das Selbstverständnis der Goten in Italien habe sich aus einem „ausdifferenzierten Repertoire an Identifikationsformen“ (S. 338) gespeist, das sowohl Distanzbewusstsein als auch Integrationsbereitschaft habe stützen können. Die Elemente dieses Repertoires seien oftmals problematisch oder widersprüchlich gewesen, ihre Einheit sei stets prekär geblieben. Gleichwohl sei dieses „Konglomerat“ stabil genug gewesen, um den Zusammenhalt der Goten zu sichern, solange das Königtum in Italien bestand.

Das gotische Königtum in Italien Theoderich der Große herrschte in Italien über zwei Völker, Goten und Römer, so verkündete es die königliche Kanzlei in seinem Namen und Auftrag. Zugleich definierte sie sein Reich als einen der beiden Teile des Imperium Romanum, als Fortsetzung des weströmischen Reiches. Worauf aber beruhte die Herrschaft eines gotischen Königs in Gebieten, in denen wenige Jahrzehnte früher noch römische Kaiser regiert hatten? Die klassische Antwort formulierte am Ende des 19. Jahrhunderts Theodor Mommsen: Demnach regierte Theoderich Italien im Auftrag des in Konstantinopel residierenden Kaisers, der ihm zu diesem Zweck das Amt eines Heermeisters (magister militum) verliehen habe; in dieser Stellung habe er Odovakar lediglich abgelöst, denn „die Aufrichtung des italischen Königthums“ habe sich „in der Form der Wiederherstellung der Reichseinheit vollzogen“. Für Mommsen entsprach die Stellung Theoderichs gegenüber dem Kaiser 50  Bahnbrechend war Jan Vansina: Oral Tradition as History. Madison, WI 1985. Zur Rezeption in den historischen Wissenschaften vgl. die bei Jürgen von Ungern-Sternberg/Hansjörg Reinau (Hg.): Vergangenheit in mündlicher Überlieferung. Stuttgart 1988, gesammelten Beiträge. Später vermittelte Jan Assmann: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen. München 1992, der Diskussion im deutschsprachigen Raum nachhaltige Impulse. Eine gute Zusammenfassung des Forschungsstandes bietet Nicolas Pethes/Jens Ruchatz (Hg.): Gedächtnis und Erinnerung. Ein interdisziplinäres Lexikon. Reinbek bei Hamburg 2001.

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derjenigen, welche der Kaiser den Phylarchen arabischer Stammesbünde verlieh.51 Mommsen ging es darum, die Stellung Theoderichs in rechtlichen Kategorien zu bestimmen; die Frage, weshalb seine Herrschaft von Goten und Römern akzeptiert wurde, bedurfte für ihn keiner gesonderten Erörterung, weil sie mit dem Nachweis seiner Legitimität beantwortet schien: Die Untertanen erwiesen Theoderich den Gehorsam, zu dem sie gegenüber einem Amtsträger des Kaisers verpflichtet waren. Mommsens Modell beherrschte lange das Feld und findet bis heute Anhänger. Wilhelm Enßlin akzeptierte Mommsens Position im Prinzip, modifizierte sie aber dahingehend, dass der König sich in Italien immer mehr als Herrscher aus eigenem Recht verstanden habe.52 Grundsätzliche Kritik an Mommsens Modell äußerte 1962 der britische Althistoriker Hugo Jones, der meinte, Odovakar und Theoderich seien ganz einfach Könige („kings pure and simple“) gewesen.53 Jones verwies mit Recht darauf, dass Theoderich den Titel ­eines magister militum als Herrscher Italiens niemals geführt hat; die königliche Kanzlei verwendete für ihn stets den Titel rex. Wie Mommsen versuchte auch Jones, die Herrschaft Theoderichs aus einer einzigen Wurzel abzuleiten, mit dem Unterschied, dass er nicht ein vom Kaiser verliehenes Amt, sondern umgekehrt das Königtum als dessen Grundlage ansah. Von Mommsen und Jones gleich weit entfernt ist die kürzlich vorgetragene Auffassung, Theoderich habe in Italien ­weder als Amtsträger des Kaisers noch als König geherrscht; vielmehr habe er als princeps das römische Kaisertum im Westen erneuern wollen. Diese Auffassung widerspricht freilich den Quellen so eklatant, dass sie sich schwerlich durchsetzen wird.54 Einen anderen Ansatz entwickelte in den 1970er-Jahren Herwig Wolfram. Nach Wolfram hatte sich das gotische „Heerkönigtum“55 auf römischem Boden zu einer römischen Institution entwickelt. Dieses imperiale Königtum über ein Heer von Föderaten, die dem Kaiser zum Dienst verpflichtet waren, habe die höchsten Ämter des römischen Militärs in sich aufgenommen, sei aber nicht regional be51  Theodor

Mommsen: Ostgothische Studien. In: Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde 14 (1889), S. 225–249, S. 453–544, mit Nachtrag in Bd. 15 (1890), S. 181–186; auch abgedruckt in: ders.: Gesammelte Schriften. Bd. 6: Historische Schriften, Bd. 3. Berlin 1910, S. 362–484, hier: S. 505 f. (= Gesammelte Schriften, S. 444 f.) und S. 245 (= Gesammelte Schriften, S. 383). Mommsen fasste seine Position mit folgenden Worten zusammen (S. 538 [= Gesammelte Schriften, S. 478]): „Theoderich hat die weitgezogenen, aber dennoch seine Stellung von der der Könige der Burgunder und der Westgothen scharf scheidenden Schranken nach der formalen Seite streng eingehalten und nie aufgehört den Westen als Beamter des Kaisers zu regieren. Daneben war der magister militum zugleich König derjenigen im römischen Reich angesiedelten, aber nicht zu den Reichsbürgern zählenden Germanen, denen er durch seine Geburt angehörte.“ 52  Wilhelm Enßlin: Theoderich der Große. München 21959, S. 74–79. 53  Arnold Hugh Martin Jones: The Constitutional Position of Odoacer and Theoderic. In: JRS 52 (1962), S. 126–130, hier: S. 126 (= ders.: The Roman Economy. Studies in Ancient Economic and Administrative History. Oxford 1974, S. 365–374, hier: S. 365): „In my opinion Odoacer and Theoderic were kings pure and simple, in the same position as the other barbarian kings.“ 54  Jonathan J. Arnold: Theoderic and the Roman Imperial Restoration. Cambridge 2014. 55  Walter Schlesinger: Herrschaft und Gefolgschaft in der germanisch-deutschen Verfassungsgeschichte. In: HZ 176 (1953), S. 225–275.

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schränkt gewesen. Nach Wolfram war Theoderichs Heer vom Kaiser legitimiert worden, den gotischen König als kaisergleichen Herrscher in Italien einzusetzen. Als Ausdruck dieser kaisergleichen Stellung habe Theoderich den Geschlechtsnamen Flavius angenommen, den zuvor zwei kaiserliche Dynastien getragen hatten; er habe auf diese Weise eine „flavische Dynastie der Könige“ begründen wollen.56 Für Wolfram war das „imperiale Königtum“ Theoderichs eine „spätrömische Institution“, auf der seine Herrschaft in Italien beruhte. Dorothee Kohlhas-Müller schließlich betonte nach eingehender Diskussion aller Positionen den hybriden Charakter der Herrschaft Theoderichs, die sich einer rechtlichen Kategorisierung entziehe.57 In meinem eigenen Beitrag versuche ich, die Herrschaft Theoderichs in Italien von einer anderen Seite her in den Griff zu bekommen. Es geht mir nicht um eine rechtliche Definition der Stellung, die Theoderich innehatte, sondern um die Gründe, weshalb der gotische König sowohl bei römischen als auch bei gotischen Untertanen Unterstützung fand, also um seine Akzeptanz. Dabei ist die Annahme leitend, dass Theoderichs Herrschaft sich nicht aus einer einzigen, wie auch immer definierten, Wurzel herleiten lässt. Gerade die Gruppen, auf deren Unterstützung der König in besonderem Maße angewiesen war, hatten durchaus unterschiedliche Vorstellungen davon, was einen guten Herrscher ausmacht, und verfolgten ihren jeweils eigenen Vorteil. Der Begriff „Legitimität“ führt daher auf eine falsche Fährte: die Suche nach einem Grundkonsens über Normen, Symbole und Prozeduren. Ich verstehe politische Institutionen als verinnerlichte Handlungsmuster, die zu einer Trennung zwischen Person und Amt führen; wenn diese Auffassung zutrifft, lässt sich die Stabilität politischer Institutionen daran ermessen, ob ein Amt reibungslos auf eine andere Person übertragen werden kann. Um zu überprüfen, wie stabil das gotische Königtum in Italien tatsächlich war, untersuche ich die Art und Weise, wie das Königtum nach dem Tode Theoderichs auf dessen Enkel Athalarich übertragen wurde. Als Grundlage dienen acht Schreiben, die Cassiodor im Namen des minderjährigen Enkels und Nachfolgers Athalarich verfasst hat. Diese acht Schreiben gewähren einen einzigartigen Einblick in die Art und Weise, wie die Herrschaft dieses regierungsunfähigen Kindes kommuniziert und legitimiert wurde. Sie zeigen, welche Personengruppen die königliche Zentrale für sich einzunehmen suchte, und lassen den improvisierten Charakter der Thronfolge Athalarichs deutlich erkennen. Die Argumente wurden im Hinblick auf die Adressaten sorgsam ausgewählt. Dabei steht die Erbfolge innerhalb der Familie der Amaler hinter dem letzten Willen Theoderichs an Bedeutung zurück. Im Brief an den Senat wird an transpersonale Staatsideen appelliert; im

56  Herwig

Wolfram: Gotisches Königtum und römisches Kaisertum von Theodosius I. bis Jus­ tinian. In: Frühmittelalterliche Studien 13 (1979), S. 1–28; auch abgedruckt in: ders.: Gotische ­Studien. Volk und Herrschaft im frühen Mittelalter. München 2005, S. 139–173, bes. S. 163–167, vgl. auch S. 173. 57 Dorothee Kohlhas-Müller: Untersuchungen zur Rechtsstellung Theoderichs des Großen. Frankfurt a. M. u. a. 1995, S. 28–44, vgl. die Zusammenfassung auf S. 368.

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Brief an die Goten Italiens dagegen an die Schicksalsgemeinschaft von Amalern und Goten. Der Treueid, den alle Untertanen dem neuen König zu leisten hatten, ist keineswegs als Routine aufzufassen. Vielmehr handelte es sich um eine Improvisation, mit der die Thronfolge Athalarichs abgesichert werden sollte. Ebendeshalb wurde er durch einen Eid des neuen Königs gegenüber seinen Untertanen ergänzt. In einem zweiten Schritt befasse ich mich mit den Interessen und Handlungsoptionen derjenigen, um deren Zustimmung die königliche Zentrale warb. Die Thronfolge Athalarichs war am Hof in Ravenna durchsetzbar, weil sie von Amalas­ vintha und einigen hochrangigen Römern betrieben wurde, aber auch deswegen, weil sie die Entscheidung über den künftigen Kurs der Regierung vertagte. Aber auch der angesehene Gote Tuluin unterstützte Athalarich, obwohl er selbst als Nachfolger in Erwägung gezogen wurde. Der Senat akzeptierte die Thronfolge innerhalb der weiblichen Linie nachträglich, weil dynastische Erbfolge stabilisierend wirken konnte. Die gotischen Krieger in Italien und Dalmatien respektierten die Entscheidung Theoderichs für seinen Enkel. Die städtischen Eliten waren unfähig zu kollektivem Handeln, hofften aber auf Steuererleichterungen und Schutz gegen Misshandlung und Erpressung durch staatliche Akteure. Die katholischen Bischöfe schließlich hatten keine starken Präferenzen, solange sie keine Bedrückung oder Verfolgung zu befürchten hatten. Die Goten Hispaniens dagegen waren nach dem Tode Theoderichs nicht länger bereit, einem König zu gehorchen, der in Ravenna residierte, und lösten damit die Union zwischen den beiden gotischen Königreichen. Die Beziehungen zum Kaiser waren beim Tode Theoderichs gespannt. Die neue Regierung versuchte, ein auf wechselseitiger Anerkennung beruhendes Verhältnis zwischen König und Kaiser wieder herzustellen, ohne den Anspruch auf Gleichrangigkeit aufzugeben; das konkrete Ziel der Verhandlungen war, den Vertrag zu erneuern, den Theoderich mit Kaiser Anastasios geschlossen hatte. Der Übergang des Königtums von Theoderich auf Athalarich war das Werk einer kleinen Gruppe von Goten und Römern am Hof und nicht von langer Hand vorbereitet. Eine differenzierte, adressatenspezifische Propaganda sollte diese Entscheidung begründen, ein allgemeiner Treueid die Untertanen an den neuen Herrscher binden. Ein Konsens über die normativen Grundlagen des gotischen Königtums in Italien wird in diesen Diskursen nicht erkennbar. Vielmehr wird deutlich, dass das Konzept einer Doppelherrschaft über zwei Völker deren institutionelle Verfestigung gerade verhinderte. Die Herrschaft gotischer Könige in Italien blieb hybrid und instabil.

Geschichtsschreibung und Heldensage Die „Gotengeschichte“ des Jordanes ist das früheste Beispiel eines Geschichtswerks, das die Herkunft und Geschichte eines nicht-römischen Volkes nicht von außen (etisch), wie in der lateinischen und griechischen Ethnographie, sondern

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aus einer Innenperspektive heraus (emisch) darstellt.58 Der Verfasser schildert die Geschichte der Goten von den Ursprüngen im hohen Norden bis zum Untergang des gotischen Königreiches in Italien. Dabei teilt er vieles mit, was römischen Lesern sonderbar, wenn nicht geradezu unverständlich erscheinen musste: zahllose Völker-, Personen- und Ortsnamen aus fremden Sprachen, seltsame Bräuche, Geschehnisse weit jenseits der Reichsgrenzen, Genealogien gotischer Könige und anderes mehr. Wie aber war diese Kunde zu Jordanes gelangt? Jordanes rechnet sich einerseits selbst zu den Goten, deren Geschichte er schreibt, und gibt sich andererseits als treuer Untertan des Kaisers Justinian, der die Goten in Italien besiegt und unterworfen habe. Nach eigenen Angaben legte er seinen Ausführungen ein im Original verlorenes Geschichtswerk Cassiodors zugrunde, ergänzte diese Hauptquelle freilich durch andere Texte. Von Cassiodor selbst erfahren wir, dass er seine „Gotengeschichte“ im Auftrag König Theoderichs begonnen habe; vollendet wurde sie indessen erst nach dessen Tode; 533 lag sie bereits vor. Die Forschung hat sich seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts bemüht zu ermitteln, wie das Verhältnis zwischen der erhaltenen Darstellung des Jordanes zu ihrer verlorenen Vorlage zu bestimmen ist.59 Die einen vertreten die Auffassung, dass Jordanes die 12 Bücher umfassende Darstellung Cassiodors zwar radikal gekürzt, ihre Substanz aber dennoch bewahrt habe, und zwar einschließlich der Passagen bei Jordanes, die Kenntnis früherer Geschichtswerke verraten. Andere dagegen meinen, dass der Versuch, sich aufgrund der „Gotengeschichte“ des Jordanes ein Bild von der „Gotengeschichte“ Cassiodors zu machen, zum Scheitern verurteilt sei, weil Jordanes mehr als eine Quelle benutzt und diese sehr frei bearbeitet habe. In dieser Debatte spielt daher die Frage, ob Jordanes neben Cassiodor andere Autoren direkt benutzt hat, eine erhebliche Rolle. Ihre Relevanz reicht weit über die Literaturgeschichte hinaus: Wenn es möglich ist, die „Gotengeschichte“ Cassiodors wenigstens im Umriss zu rekonstruieren, lassen sich Einsichten in das Geschichtsbild gewinnen, das der gotische Hof verbreiten wollte. Massimiliano Vitiello wirft in seinem Beitrag einen neuen Blick auf das vielfach behandelte Problem, wie Cassiodor in der „Gotengeschichte“ gearbeitet hat, indem er die Darstellung des Jordanes einem genauen Vergleich mit den vor ­Kurzem entzifferten Fragmenten des Historiographen Dexippos von Athen unterzieht, der um 270 in griechischer Sprache eine Geschichte der „Skythenkriege“ Roms verfasste. Dabei geht er von der Annahme aus, dass Passagen bei Jordanes, die in stilistischer und lexikalischer Hinsicht Übereinstimmungen mit erhaltenen Wer58 Diese

Herkunftserzählungen sind wiederholt untersucht worden: Herwig Wolfram: Origo gentis. In: RGA, Bd. 22 (2003), Sp. 174–183; auch abgedruckt in: ders.: Gotische Studien. Volk und Herrschaft im frühen Mittelalter. München 2005, S. 207–224; Alheydis Plassmann: Origo gentis. Identitäts- und Legitimitätsstiftung in früh- und hochmittelalterlichen Herkunftserzählungen. Berlin 2006; Magali Coumert: Origines des peuples. Les récits du haut Moyen Âge occidental (550–850). Paris 2007. 59  Die Forschung des 19. Jahrhunderts fasst Charles Christopher Mierow in der Einleitung zu seiner Jordanes-Übersetzung gut zusammen; siehe: The Gothic History of Jordanes in English Version with an Introduction and a Commentary. Princeton, NJ 1915, S. 19–37.

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ken Cassiodors aufweisen, auf dessen verlorene „Gotengeschichte“ zurückgehen. Dieses Werk diente nach Vitiello „dynastischer Propaganda“; es habe die Herrschaft der Amaler in Italien aus der Vergangenheit der Goten legitimieren sollen. Tatsächlich erklärt Cassiodor selbst, dass er in der „Gotengeschichte“ die Könige aus der Familie der Amaler verherrlicht habe, und benennt Ursprung, Orte und Sitten der Goten (originem eorum et loca moresque) als dessen Gegenstand. Vitiello füllt diese abstrakte Charakteristik mit konkreter Anschauung. Er unter­sucht an zwei Beispielen, wie Cassiodor die Vorfahren Theoderichs in seine „Gotengeschichte“ einfügte. Das erste Beispiel ist ein König, der bei Jordanes ­Ostrogotha heißt. Weil dieser Name auch als Volksname gebraucht wurde und im Stammbaum der Amaler erscheint, der heute meist als späte Erfindung betrachtet wird, wurde auch die Historizität des Königs Ostrogotha angezweifelt. Der Wiener Dexippos-Palimpsest lässt für diese radikale Skepsis keinen Raum mehr, da der Text im Zusammenhang mit Ereignissen in der Mitte des 3. Jahrhunderts, die auch anderweitig glaubhaft bezeugt sind, von einem skythischen Anführer ­namens Ostrogouthos berichtet, der in Konkurrenz zu einem König namens Cniva stand. Vitiello arbeitet durch den Vergleich mit Dexippos heraus, dass Jordanes die Misserfolge des Ostrogouthos, der als Vorfahr Theoderichs beansprucht wurde, verschleiere, während er die Erfolge Cnivas, der nicht als Amaler galt, herunterspiele. Da diese Darstellung dem Ruhm der Amaler diene, müsse sie auf Cassiodor zurückgehen. Aus demselben Interesse erkläre sich auch, weshalb Jordanes Ostrogotha, der bei Dexippos als Rivale Cnivas erscheine, als Vorgänger Cnivas darstelle. Ähnliche Tendenzen prägten auch das zweite Beispiel, das Vitiello untersucht: Jordanes’ Darstellung des Königs Ermanarich. Bereits Mommsen hatte fest­ gestellt, dass Jordanes das ruhmlose Ende dieses Königs, der nach Ammianus ­Marcellinus Selbstmord beging, nachdem er im Kampf gegen Hunnen verwundet worden war, beschönigt hat. Vitiello führt nun sprachliche Parallelen zwischen Jordanes und Cassiodors Varien an, um die Annahme zu stützen, dass bereits Cassiodor Ermanarich in einen Helden verwandelt hat, Jordanes folglich die Darstellung des Ammianus Marcellinus nicht direkt benutzt hat. Auch für die bereits in der älteren Forschung vertretene Annahme, dass Jordanes aus Cassiodor schöpfe, wenn er die Goten als gebildete Krieger darstelle, führt Vitiello zusätzliche Indizien ins Feld. Die Untersuchung erbringt Ergebnisse auf zwei Ebenen: Indem Vitiello neue Argumente für die Abhängigkeit der Getica des Jordanes von der Historia Gothorum Cassiodors bringt, stärkt er die Position derjenigen, die Jordanes nur geringe Originalität zubilligen. Zugleich eröffnet er neue Einblicke in die Arbeitsweise Cassiodors, der für seine „Gotengeschichte“ zwar historiographische Quellen benutzte, diese aber bearbeitete, um sie amalischer Propaganda dienstbar zu machen.60 60  Die

Folgerungen für die Rekonstruktion der „Gotengeschichte“ Cassiodors zieht Vitiello an anderer Stelle: Massimiliano Vitiello: Theoderic and the Italic Kingdom in Cassiodorus’ Gothic History. A Hypothesis of Reconstruction. In: Klio 96 (2014), S. 645–663. Die amalische Propaganda untersucht jetzt auch Robert Kasperski: Propaganda im Dienste Theoderichs des Großen.

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Die kurze Dauer des Gotenreiches in Italien steht in merkwürdigem Gegensatz zum Nachleben Theoderichs im germanischen Mittelalter. Der König war zu Lebzeiten der mächtigste und reichste Herrscher eines post-römischen Reiches. Nach seinem Tode aber zerfiel das gotische Königreich in Italien rasch. Theoderichs Tochter Amalasvintha wurde 535 ermordet; ihr Mörder Theodahad, ein Neffe Theoderichs, fand im Jahr darauf ebenfalls ein gewaltsames Ende. 552 fiel mit Teja der letzte gotische König in Italien. In Norditalien herrschten am Ende des 6. Jahrhunderts langobardische Herzöge; in Ravenna residierte ein Statthalter des oströmischen Kaisers. Als politisch handlungsfähiges Kollektiv waren die Goten damit aus Italien verschwunden, auch wenn es dort noch lange Individuen gab, die sich in irgendeiner Weise als Goten verstanden haben dürften.61 Nicht viel später als das Königtum verschwand aber auch die Kirche des gotischen Gesetzes, deren Besitz im Herrschaftsbereich des Kaisers konfisziert wurde. Die Erinnerung an einen König namens Theoderich, der in Italien geherrscht hatte, aber lebte fort und verbreitete sich in Form mündlicher Erzählungen über den gesamten germanischen Sprachraum, bis nach England und nach Skandinavien. Diese orale Tradition entwickelte sich parallel zur literarischen Überlieferung in lateinischer Sprache; fassbar wird sie seit dem 8. Jahrhundert in kurzen, meist fragmentarischen Texten in germanischen Sprachen, die erkennen lassen, dass Erzählungen über den König Theoderich weithin bekannt waren. Freilich erlebte der historische Theoderich in diesem Überlieferungsstrang eine bemerkenswerte Verwandlung: Aus dem gotischen König, der mehr als dreißig Jahre in Italien herrschte, wurde ein Herrscher, der, von einem Onkel namens Otaker oder (meistens) E ­ rmenrich aus Italien vertrieben, dreißig Jahre bei König Attila im Exil verbracht hat, bevor er versucht, sein angestammtes Königreich zurückzugewinnen. Diese Grundkonstellation begegnet bereits im althochdeutschen Hildebrandslied, das um 840 aufgezeichnet wurde. Seit dem 13. Jahrhundert entstanden umfangreiche Epen in mittelhochdeutscher Sprache, die schildern, wie der aus seinem Reich vertriebene König Dietrich bei dem Versuch, die Rückkehr nach Italien zu erzwingen, zwar Siege errang, aber dennoch scheiterte. Weil in Dietrich von Bern der historische Theoderich, der um Verona und ­Ravenna kämpfte und an beiden Orten gerne residierte, von Ferne noch gerade erkennbar ist, heißen solche Texte in der Germanistik „historische Dietrichepen“. Diese Bezeichnung entspricht der Überzeugung, dass Heldendichtung der Ausdruck lebendiger mündlicher Überlieferung sei, mit anderen Worten: dass Helden­ dichtung auf Heldensage beruhe. Heldensage wiederum wurde und wird als eine spezifische Form historischer Überlieferung verstanden. Germanische Helden­ sage galt bis weit in die 1960er-Jahre hinein als eine spezifisch germanische Art Die dynastische Tradition der Amaler in der ‚Historia Gothorum‘ Cassiodors. In: Frühmittel­ alterliche Studien 52 (2018), S. 13–42. 61  Die Untersuchung von Ludwig Schmidt: Die letzten Ostgoten. In: Abhandlungen der Preußischen Akademie der Wissenschaften. Phil.-hist. Klasse 10, Berlin 1943, S. 1–15 (auch abgedruckt in: Ernst Schwarz (Hg.): Zur germanischen Stammeskunde. Aufsätze zum neuen Forschungsstand. Darmstadt 1972, S. 87–103), bedarf dringend der Erneuerung.

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des Geschichtsbewusstseins.62 Auch die sogenannte Dietrich-Sage wurde so v­ erstanden, wenngleich sich auf die Frage, wann, wie und wo sie entstanden sei, ­niemals eine befriedigende Antwort geben ließ. Das emphatische Bekenntnis zum Germanentum ist in der Germanistik nicht anders als in der Geschichtswissenschaft seit den 1970er-Jahren verpönt. Gehalten hat sich jedoch die Auffassung, dass Heldendichtung in germanischen Sprachen auf mündlicher Überlieferung, auf Heldensage, beruhe, die den Produzenten, Tradenten und Rezipienten der Texte als glaubwürdige Kunde von einer fernen Vergangenheit, als historische Tradition, gegolten habe. Das Heldenzeitalter, von dem die Heldendichtung aufgrund mündlicher Überlieferung berichte, sei als Vorzeit der eigenen Gruppe aufgefasst worden; eben deswegen habe die Heldensage kollektive Identität stiften können. Florian Kragl rollt das Problem in seinem Beitrag von seiner Grundlage her neu auf. Sein Ausgangspunkt ist die Feststellung, dass die germanistische Forschung über Heldendichtung und Heldensage stillschweigend noch immer die Existenz eines Kollektivs voraussetze, das sich im Erzählen von Geschichten seiner eigenen Ursprünge in einem „heroischen Zeitalter“ vergewissert habe.63 Die Geschichtswis­ senschaft hingegen habe sich von der Vorstellung, die als germanisch klassi­fizierten Personengruppen hätten eine ethnische Einheit gebildet, die auf gemeinsamer ­Abstammung, Sprache, Kultur und Verfassung beruht habe, längst ver­abschiedet. Wenn es jedoch die Germanen als eine durch das Gefühl der Zusammengehörigkeit verbundene Personengruppe, die politische Verbände überspannte und überdauerte, gar nicht gab, wie könne die germanische Heldensage dann das kulturelle Gedächtnis einer bestimmten Personengruppe gewesen sein? Kragl wirft vor diesem Hintergrund die Frage auf, ob der Dietrich der Sage, wie er in den frühen Zeugnissen greifbar wird, überhaupt das Identifikationspotenzial besaß, welches die Altgermanistik der Heldensage zuschreibt. In einem zweiten Schritt untersucht er die räumliche und zeitliche Verbreitung und narrative Ausdifferenzierung der Dietrich-Sage, um zu klären, wie sich in diesem Prozess Erzählgemeinschaften bildeten. Unter Sage versteht Kragl das sich stetig wiederholende Erzählen von inhaltlich-thematisch verwandten Geschichten, unter Dietrich-Sage die Erzählungen, die sich um diese Gestalt rankten. Dieses Erzählen war Kragl zufolge von Anfang an uneinheitlich und vielfältig; fassbar wird es lediglich indirekt, in literarischen Texten, die darauf rekurrieren. Das aber geschieht selten, denn Sage und lateinische Historiographie drifteten früh auseinander; bis ins hohe Mittel­ alter hinein existieren kaum Interferenzen zwischen der Dietrich-Sage und der ge62 Repräsentativ

ist Karl Hauck (Hg.): Zur germanisch-deutschen Heldensage. Sechzehn Auf­ sätze zum neuen Forschungsstand. Darmstadt 1961. Der „neue Forschungsstand“ des Jahres 1961 wurde, wie die Auswahl der Beiträge zeigt, bereits im „Dritten Reich“ erreicht und danach nur noch ausgebaut. 63  Elisabeth Lienert: Mittelhochdeutsche Heldenepik. Eine Einführung. Berlin 2015, S. 12: „Heroische Überlieferung ist das kollektive Gedächtnis einer schriftlosen Kriegergesellschaft. Es bewahrt Wissen um Ereignisse und Personen der Vorzeit, die für die jeweilige Rezipientengegenwart formative oder normative Funktionen hat.“

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lehrten Überlieferung in lateinischer Sprache. Im Bereich der volkssprachlichen Heldendichtung gehört die Dietrich-Sage zu den frühesten Erzählstoffen, für uns fassbar im altenglischen Heldenlied Widsith und im fragmentarischen alteng­ lischen Waldere, im Runenstein von Rök (in Gotland) und im althochdeutschen Hildebrandslied. Kragl hebt hervor, dass Theoderich in diesen frühen Zeugnissen „so gut wie nie ein Gote ist“ (S. 380), während sein Onkel und Widersacher Ermenrich wiederholt als solcher bezeichnet wird. Der historische Gehalt der frühen Dietrich-Sage ist nach Kragl sehr gering; wenn man von Ortsnamen absehe, sei Theoderich schon sehr früh aus seinem historischen Kontext herausgelöst worden. Für die Annahme, die Dietrich-Sage habe der historischen Erinnerung von Goten oder Germanen gedient, gebe es keinerlei Anhaltspunkte; sie könne folglich nicht als Medium des kulturellen Gedächtnisses gedeutet werden. Kragl hebt hervor, dass die Dietrich-Sage zwar innerhalb des germanischen Sprachgebiets sehr verbreitet war, aber so gut wie nicht über diesen hinausdrang. Innerhalb dieses Bereichs aber sei dieser mündliche Traditionsstrom erst in der Frühen Neuzeit versiegt. Das Verbreitungsmuster der Dietrich-Sage lege die Annahme nahe, dass dieser Erzählstoff sich zu einer Zeit verbreitete, als die germanischen Sprachen noch relativ homogen waren. Diese Überlegung führt auf die Zeit vor 700, denn nach der zweiten Lautverschiebung war das gegenseitige Verstehen kaum noch möglich. Weshalb aber wurden die Geschichten um Theoderich immer wieder neu erzählt? Kragl verweist auf den Unterhaltungswert des Stoffes. Vor allem aber habe das fortwährende Wieder- und Umerzählen der Dietrich-Geschichten einen Zusammenhalt und ein Gefühl der Zugehörigkeit bewirkt; es habe „Erzählgemeinschaften“ geprägt und geschaffen, die über einen gemeinsamen Fundus an Figuren, Erzählmotiven und Handlungsmustern verfügt hätten. Kragl plädiert gegen die herrschende Meinung für die Primordialität sprachlicher und narrativer Identitätskonstruktionen. Theoderich sei zwar kein Held der Ger­ manen gewesen, wenn man unter Germanen eine Abstammungsgemeinschaft verstehe. Er sei jedoch ein Held der „Germanischsprachigen“ gewesen, denn sie und nur sie hätten unaufhörlich von seinem Leben und seinen Taten geredet. Den Band beschließt ein Beitrag des Herausgebers über Theoderich und das Gotenreich in Italien als Gegenstand historischer Forschung seit dem Erscheinen der ersten modernen Biographie des Königs im Jahre 1544. Er skizziert mit groben Strichen den Gang der Forschung vom 16. bis zum 20. Jahrhundert, gibt einen Überblick über die seit der Jahrtausendwende erschienenen Publikationen, identifiziert Desiderate und zeigt Perspektiven für die Zukunft auf.

Christian Witschel Die Städte Nord- und Mittelitaliens im 5. und 6. Jahrhundert n. Chr. Einführung Die Vorstellung, die ostgotischen Herrscher hätten eine gezielte Politik zur Förderung beziehungsweise zur Wiederherstellung der Stadtgemeinden (civitates) in den ihnen unterstellten Gebieten betrieben und sich dabei insbesondere um den Erhalt des überkommenen monumentalen Baubestandes der Städte gekümmert, also insgesamt ein an klassischen Idealen angelehntes Konzept der renovatio verfolgt, ist in den zeitgenössischen Quellen mehrfach und sehr prononciert zu finden.1 So lässt Cassiodor Theoderich in einem Schreiben an den Senat in Rom behaupten, er wolle alle Dinge in ihren früheren Status zurückversetzen;2 und ein führender Senator wird von ihm wegen seiner Bautätigkeit sowohl als Imitator der Alten (antiqui) wie auch als Lehrmeister der Heutigen (moderni) bezeichnet.3 Die Wiederherstellung alter Städte wird von Cassiodor als eine bevorzugte Aufgabe der Eliten benannt; insgesamt sei es von großer Wichtigkeit, die Monumente der Vergangenheit zu bewahren.4 1 

Allgemein zu Theoderichs „Baupolitik“ vgl. Bryan Ward-Perkins: From Classical Antiquity to the Middle Ages. Urban Public Building in Northern and Central Italy AD 300–800. Oxford 1984; Mark J. Johnson: Toward a History of Theoderic’s Building Program. In: Dumbarton Oak Papers 42 (1988), S. 73–96; Bettina Pferschy: Bauten und Baupolitik frühmittelalterlicher Könige. In: MIÖG 97 (1989), S. 257–328, hier: S. 259–291; Ian Wood: Theoderic’s Monuments in Ravenna. In: Samuel J. Barnish/Federico Marazzi (Hg.): The Ostrogoths from the Migration Period to the Sixth Century. An Ethnographic Perspective. Woodbridge 2007, S. 249–277; Yuri A. Marano: ‚Watered … with the life-giving wave‘. Aquaeducts and Water Management in Ostrogothic Italy. In: Paul Erdkamp/Koenraad Verboven/Arjan Zuiderhoek (Hg.): Ownership and Exploitation of Land and Natural Resources in the Roman World. Oxford 2015, S. 150–169 sowie insbesondere die kritische Bestandsaufnahme von Cristina La Rocca: Una prudente maschera ‚antiqua‘: la politica edilizia di Teoderico. In: Teoderico il Grande e i Goti d’Italia. Atti del XIII Congresso internazionale di studi sull’Alto Medioevo. Milano 2–6 novembre 1992. 2 Bde. Spoleto 1993, hier: Bd. 2, S. 451–515. 2 Cassiodorus, Variae 3, 31, 1; vgl. auch Variae 1, 25, 1; 3, 9, 1; 7, 15, 1. 3 Cassiodorus, Variae 4, 51, 2 über Q. Aurelius Memmius Symmachus (PLRE II Symmachus 9): antiquorum diligentissimus imitator, modernorum nobilissimus institutor; dazu Valérie FauvinetRanson: Une restauration symbolique de Théoderic: le théâtre de Pompée (Cassiodore, Variae IV, 51). In: Michel Sot (Hg.): La mémoire de l’Antiquité dans l’Antiquité tardive et le haut Moyen Age. Nanterre 2000, S. 37–54. Vgl. ferner AE 2001, 508. 4 Cassiodorus, Variae 1, 28, 1. https://doi.org/10.1515/9783110686692-002

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So nimmt es nicht Wunder, dass in einigen panegyrischen Passagen in der Chronik des Cassiodor, beim Anonymus Valesianus sowie bei Ennodius der Ostgotenherrscher als restaurator civitatum oder amator fabricarum gelobt wird.5 In ­diesem Zusammenhang ist ferner auf eine Reihe von Bauinschriften zu verweisen, in denen seine Bautätigkeit beziehungsweise diejenige seiner Nachfolger verewigt ist.6 Auffällig ist eine Serie von umfangreichen Inschriften, in denen der König dafür gefeiert wurde, dass auf seine Anweisung hin das Sumpfgebiet nördlich von Tarracina im Abschnitt Decemnovium trockengelegt und so die hier verlaufende via Appia für Reisende wieder sicher gemacht worden sei.7 Laut der Inschriften war der Senator Caecina Mavortius Basilius Decius im Auftrag des Königs für die Durchführung dieser Arbeiten verantwortlich. Dieselbe Angelegenheit ist auch Thema in den Variae Cassiodors; dort ist nun allerdings zu erfahren, dass zuerst Decius die Initiative ergriffen und die Beseitigung der Sümpfe versprochen hatte, und zwar offenbar auf eigene Kosten.8 Hieran zeigt sich, dass solche epigraphischen Monumente durchaus dazu geeignet waren, komplexere Handlungszusammenhänge zu verschleiern. Die rhetorische Sprache der Bau- beziehungsweise Restaurierungs­inschriften, welche auf einer langen Tradition aufbaute, ist zudem immer in Rechnung zu stellen. Wir besitzen jedoch Indizien dafür, dass die ­Darstellungen der Bauaktivitäten unter Theoderich in den literarischen und epigraphischen Quellen keine reinen Phantasieprodukte waren, sondern es solche Maßnahmen tatsächlich in nicht unerheblichem Umfang gegeben hat. Darauf ­verweisen insbesondere gestempelte Ziegel mit dem Namen des Königs9 sowie ­fistulae aquariae, die sich mit der Erneuerung der Wasserversorgung in Ravenna verbinden lassen.10 Eine etwas ausführlichere Beschreibung der Bautätigkeit Theoderichs bei dem Anonymus Valesianus lässt allerdings erkennen, dass diese offenbar auf wenige he 5 Cassiodorus, Chronicon a. 500; Anonymus Valesianus 70 (dazu Ingemar König: Aus der Zeit Theoderichs des Großen. Einleitung, Text, Übersetzung und Kommentar einer anonymen Quelle. Darmstadt 1997, S. 38–42, S. 175); Ennodius, Panegyricus 56–59 (dazu Christian Rohr: Der Theoderich-Panegyricus des Ennodius. Hannover 1995, S. 63, S. 237 mit Anm. 53).  6  Eine Zusammenstellung aller infrage kommenden Inschriften mit Kommentar findet sich bei Paola Guerrini: Theodericus rex nelle testimonianze epigrafiche. In: Temporis signa. Archeologia della tarda antichità e del medioevo 6 (2011), S. 133–174.  7 CIL X 6850–52; zu der komplizierten Überlieferungsgeschichte dieser Tituli vgl. Guerrini: Theodericus (wie Anm. 6), S. 167–171. Vgl. ferner die eingehende Diskussion bei Andrea Giar­ dina: Cassiodoro politico. Rom 2006, S. 73–99, der zudem die Hypothese ins Spiel bringt, dass Cassiodor selbst der Autor des Inschriftentextes gewesen sein könnte.  8 Cassiodorus, Variae 2, 32–33.  9  Dazu Valeria Righini: Felix Roma – felix Ravenna. I bolli laterizi di Teoderico e l’attività edi­ lizia teodericiana in Ravenna. In: La Macedonia iugoslava. XXXIII Corso di cultura sull’arte ­ravennate e bizantina. Ravenna 1986, S. 371–398. Die Produktion von gestempelten Ziegeln unter den Ostgotenkönigen war allerdings offenbar auf Rom und dessen Umgebung beschränkt. 10  AE 1941, 94: Eine Serie von Bleirohren mit der Aufschrift D(ominus) n(oster) rex Theodericus / civitati reddidit, gefunden im Stadtgebiet von Ravenna. Zur Restaurierung des ravennatischen Aquädukts durch Theoderich s. Anonymus Valesianus 71; Cassiodorus, Chronicon a. 502; Cassiodorus, Variae 5, 38.

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rausgehobene Orte vornehmlich in Nord- und Mittelitalien wie Ravenna, Verona und Ticinum (Pavia) konzentriert war, auch wenn hier hinzugefügt wird: sed et per alias civitates multa beneficia praestitit.11 Genannt werden in dieser Passage vor allem Infrastrukturmaßnahmen wie die Restaurierung von Aquädukten oder die Instandsetzung von Stadtmauern. Daneben findet die Erbauung von großen Thermenanlagen sowie von königlichen Residenzen (palatia) eine ausdrück­liche Erwähnung. Schließlich wird im Falle von Ticinum auch auf die Errichtung eines Amphitheaters eingegangen – dieses erfuhr im Übrigen, wie wir durch eine Bauinschrift wissen, noch unter Athalarich im Jahr 528/529 einen weiteren Ausbau.12 Das zeigt, dass die ostgotischen Herrscher im Rahmen ihrer plakativ auf die Bewahrung von städtischen Traditionen ausgelegten Politik punktuell auch das Spielewesen in Italien unterstützt haben, wovon jedoch nur wenige Orte p ­ rofitierten.13 Andere öffentliche Gebäude oder Räume von einstmals großer ­Bedeutung für das Stadtleben wie die Fora kommen hingegen in der Beschreibung des Anonymus nicht vor. Das dürfte, wie noch zu zeigen sein wird, durchaus der zeitgenössischen Realität entsprochen haben. Zudem wurde die Metropole Rom durch Theoderich besonders gefördert.14 Schließlich ist auf die Situation in Ravenna zu verweisen, das in mehrfacher Hinsicht einen Sonderfall darstellte:15 Zum einen war Ravenna seit 402 Kaiser­ residenz, auch wenn die Stadt zwischen der Mitte des 5. Jahrhunderts und dem Herrschaftsantritt des Odoaker nur eine untergeordnete Rolle gespielt hatte. Theoderich hielt sich jedoch wieder regelmäßig dort auf, und so erlebte die Stadt im 5. und 6. Jahrhundert einen Ausbau, der nicht unbedingt typisch für die übrigen Gemeinwesen in Italien war. Zum anderen sind die dortigen Baumaßnahmen außergewöhnlich gut dokumentiert, insbesondere durch den im mittleren 9. Jahrhundert entstandenen Liber pontificalis des Agnellus von Ravenna.16 Wenn man nun zusätzlich die Variae des Cassiodor, die wichtigste Quelle zum ostgotischen Italien, heranzieht, so zeigt sich eine etwas breitere Streuung der

11 

Anonymus Valesianus 71–72. CIL V 6418 = ILS 829. 13  Hierzu zählten insbesondere die Metropole Rom, aber auch Mediolanum (Mailand), wo ein tribunus voluptatum eingesetzt wurde und wo es aurigae gab: Cassiodorus, Variae 5, 25; 7, 10 sowie Variae 3, 39. Vgl. zum Spielewesen im ostgotischen Italien Valérie Fauvinet-Ranson: Decor civitatis, decor Italiae. Monuments, travaux publics et spectacles au VIe siècle d’après les Variae de Cassiodore. Bari 2006, S. 303–440; ferner allgemein Alexander Puk: Das römische Spielewesen in der Spätantike. Berlin/Boston 2014. 14  Vgl. hierzu auch den Beitrag von Ralf Behrwald in diesem Band. 15  Zum spätantiken Ravenna vgl. Sauro Gelichi: Ravenna, ascesa e declino di una capitale. In: Gisella Ripoll/Josep M. Gurt (Hg.): Sedes regiae (ann. 400–800). Barcelona 2000, S. 109–134; En­ rico Cirelli: Ravenna: archeologia di una città. Borgo San Lorenzo 2008; Deborah Mauskopf ­Deliyannis: Ravenna in Late Antiquity. Cambridge 2010; Carola Jäggi: Ravenna. Kunst und ­Kultur einer spätantiken Residenzstadt. Regensburg 2013. 16  Claudia Nauerth: Agnellus von Ravenna, Liber pontificalis/Bischofsbuch I–II. Freiburg i. Br. u. a. 1996. 12 

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Maßnahmen Theoderichs.17 Zwar ist auch hier eine gewisse Schwerpunktsetzung unverkennbar, doch wurden auch einige Orte erfasst, die nicht in der ersten Reihe standen. Ihnen hat Theoderich – zumeist auf Anfrage hin – ebenfalls seine Fürsorge angedeihen lassen. Das sei an zwei Beispielen exemplifiziert: Auf Anweisung des Königs erhielten die Bürger von Spoletium (Spoleto) zusätzliche Mittel zum Unterhalt ihrer Bäder.18 In der gleichen Stadt wurde es dem diaconus Helpidius auf dessen Anfrage hin gestattet, eine angeblich verfallene, in öffentlichem Eigentum befindliche porticus bei einer der Badeanlagen in Besitz zu nehmen und wiederherzustellen.19 Die Behörden von Catina (Catania) erhielten nach einer Eingabe die Erlaubnis, Baumaterial aus dem Amphitheater der Stadt, das in einem rui­ nösen Zustand gewesen sein soll, für den Bau einer Stadtmauer wiederzuverwenden.20 Bei genauerem Hinsehen offenbart sich hier allerdings (und der noch zu besprechende archäologische Befund bestätigt dies), dass gerade die bauliche Situation in den Städten nicht durch eine ungebrochene Kontinuität zu den vorangegangenen Epochen geprägt gewesen sein kann, geht es doch in beiden Fällen auch um die königliche Erlaubnis für die Umnutzung früherer Gebäude beziehungsweise die Wiederverwertung von deren Baumaterial für andere Zwecke. Gerade eine solche Spolienverwendung, welche ein prägendes Merkmal der spätantiken Urbanistik war, wurde zwar von den Kaisern durch entsprechende Gesetze immer wieder einzudämmen versucht, aber dies gelang nicht wirklich. Das gilt auch für Theoderich, der die Praxis gelegentlich explizit erlaubte oder sogar selbst ini­ tiierte, so beim Ausbau von Ravenna, für den Baumaterial und Fachleute aus Rom herbeigebracht wurden.21 Hieran wird deutlich, dass die Situation in den Städten komplexer war, als es das allgemein gehaltene Lob des Theoderich als Städteförderer vermuten lässt. Schließlich sei noch auf einen weiteren Kontext hingewiesen, in dem Cassiodor literarische „Stadtbilder“ entworfen hat und der für unser Thema von Bedeutung ist. Diese Darstellungen betreffen die Situation der alteingesessenen Eliten in den 17 

Hierzu ausführlich Fauvinet-Ranson: Decor civitatis (wie Anm. 13), S. 49–195; vgl. ferner dies.: Le d ­ evenir du patrimoine monumental romain des citès d’Italie à l’époque ostrogothique. In: Massimiliano Ghilardi/Christophe J. Goddard/Pierfrancesco Porena (Hg.): Les cités de l’Italie tardo-antique (IVe–VIe siècle). Institutions, économie, société, culture et religion. Rom/Paris 2006, S. 205–216. 18 Cassiodorus, Variae 2, 37; dazu Fauvinet-Ranson: Decor civitatis (wie Anm. 13), S. 82–84. 19 Cassiodorus, Variae 4, 24; dazu Fauvinet-Ranson: Decor civitatis (wie Anm. 13), S. 124–127. 20 Cassiodorus, Variae 3, 49; dazu Fauvinet-Ranson: Decor civitatis (wie Anm. 13), S. 119–122. Anzumerken ist allerdings, dass Catina offenbar trotz der königlichen Erlaubnis weitgehend unbefestigt blieb, so jedenfalls Procopius, Bella 7, 40, 21 (vgl. auch ebd. 5, 5, 12). Eine Stadtmauer wurde nach neuen archäologischen Befunden wohl erst im 7./8. Jahrhundert errichtet (freundlicher Hinweis von Emanuele Vaccaro), während das Amphitheater teilweise noch bis in das 9. Jahrhundert aufrecht stand – der städtebauliche Transformationsprozess scheint also erheblich komplexer gewesen zu sein, als es bei Cassiodor aufscheint; und man fragt sich zudem, was die Bewohner der Stadt mit dem ihnen zugewiesenen Baumaterial tatsächlich unternommen haben. 21 Cassiodorus, Variae 1, 6; 3, 9–10; 5, 8; vgl. ferner Variae 2, 7; 3, 29; 7, 44 (hier wird ein allgemeines Prinzip formuliert: öffentlicher Besitz kann, wenn er in Ruinen gefallen ist, an Privatleute vergeben werden unter der Bedingung, dass diese den Ort wieder herrichten).

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Stadtgemeinden, also vornehmlich der curiales, welche sich nach den Ausführungen Cassiodors als schwierig präsentierte: Die Curialen in Bruttium seien von ­höher gestellten Amtsträgern bedrängt worden und sollen teilweise gar auf ihre Landgüter geflohen sein. Gleichzeitig entwirft Cassiodor in diesem Zusammenhang das anzustrebende Modell einer vitalen städtischen Gemeinschaft nach klassischem Vorbild, die für das Funktionieren des ostgotischen Reiches nach wie vor unentbehrlich sei.22 Auf diese interessanten Passagen in den Variae hat Claude Lepelley schon vor einiger Zeit hingewiesen;23 fraglich bleibt meines Erachtens allerdings, ob sich an den rhetorisch aufgeladenen Äußerungen Cassiodors tatsächlich eine tiefe Krise aller Stadtgemeinden in der Zeit um 530 ablesen lässt. Es ist jedenfalls unverkennbar, dass Cassiodor hier ein tief in der römischen Vergangenheit verwurzeltes Idealbild der Stadt und ihrer Eliten entwirft, das zu seiner Zeit zumindest teilweise bereits anachronistische oder „nostalgische“ Züge trug – so werden beispielsweise an dieser Stelle kirchliche Strukturen mit keinem Wort erwähnt, so wie er auch sonst in den Variae kaum auf Kirchenbauten eingeht, obwohl Italien zu seiner Zeit bereits weitestgehend christianisiert war.24 Trotz der zuletzt angeführten Beobachtungen hat ein nicht unerheblicher Teil der Forschung aus literarischen Beschreibungen wie den oben vorgestellten eine ziemlich optimistische Vorstellung von der Städte- und Baupolitik des Theoderich entwickelt. Stellvertretend hierfür seien einige Ausführungen von Mark Johnson aus einem 1988 publizierten Aufsatz über Theoderichs Bauprogramm zitiert: „One of the most striking aspects of Theoderic’s patronage is its extensive nature. A vast number of major buildings were repaired or constructed anew throughout his kingdom. This stands in marked contrast to what had taken place in Italy in the decades prior to his arrival. […] In short, the attention lavished on buildings by Theoderic was something that much of the Empire, and Italy in particular, had not seen for a long time.“25 Es wird im Folgenden zu klären sein, ob diese Einschätzung zutrifft, ob also die Herrschaft der ostgotischen Könige tatsächlich eine grundlegende Restaurierung der Städtelandschaft in Italien bewirkt hat. Diese Frage soll auf drei Untersuchungsebenen diskutiert werden: Erstens auf der Ebene der Entwicklung der politisch-administrativen Strukturen, insbesondere der Selbstverwaltung in den Stadtgemeinden; zweitens auf derjenigen des Wandels der 22  Vgl.

Cassiodorus, Variae 8, 31 aus dem Jahr 527 zur angeblichen Flucht von possessores und curiales in Bruttium aus den Städten auf ihre Landgüter, die nunmehr rückgängig gemacht werden soll; sowie Variae 9, 2 (Edikt des Königs Athalerich zur Lage der Curialen; Datum: 526/527). 23  Claude Lepelley: Un éloge nostalgique de la cité classique dans les Variae de Cassiodore. In: Michel Sot (Hg.): Haut Moyen-Age. Culture, éducation et société. Études offertes à P. Riché. Paris 1990, S. 33–47; ders.: La survie de l’idée de cité républicaine en Italie au début du VIe siècle, dans un édit d’Athalaric rédigé par Cassiodore (Variae, IX, 2). In: ders. (Hg.): La fin de la cité antique et le début de la cité médiévale. De la fin du IIIe siècle à l’avènement de Charlemagne. Bari 1996, S. 71–83. 24  Vgl. dazu die Beobachtungen von Valérie Fauvinet-Ranson: Le paysage urbain de Rome chez Cassiodore: une christianisation passée sous silence. In: Ralf Behrwald/Christian Witschel (Hg.): Rom in der Spätantike. Historische Erinnerung im städtischen Raum. Stuttgart 2012, S. 139–151. 25  Johnson: History (wie Anm. 1), S. 95  f.

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Inschriftenkultur in den Städten; und drittens auf der Ebene der Transformation der Stadtbilder, also der städtischen Lebensräume, wobei Letztere nur sehr ausschnitthaft behandelt werden können. Geographisch konzentriert sich diese Abhandlung auf Nord- und Mittelitalien. Die Situation in der Metropole Rom wird nur am Rande gestreift, insbesondere bei den Betrachtungen zum Wandel des epigraphic habit; dasselbe gilt für Südita­ lien. Chronologisch ist nicht nur die Regierungszeit Theoderichs in den Blick zu nehmen, sondern ein breiter gefasster Zeitraum zwischen dem früheren 5. und dem späten 6. Jahrhundert. Da die literarischen Quellen zum italischen Städtewesen in der ostgotischen Epoche, insbesondere die Variae Cassiodors, in den letzten Jahren eine intensive Würdigung erfahren haben, möchte ich mich im Folgenden vor allem mit den epigraphischen Zeugnissen sowie ausgewählten archäologischen Befunden auseinandersetzen. Diese beziehen sich insbesondere auf die beiden spät­ antiken Provinzen Venetia et Histria sowie Tuscia et Umbria, für die im Rahmen eines Heidelberger Forschungsprojekts das spätantike Inschriftenmaterial systematisch aufgenommen wurde.26 Keine größere Aufmerksamkeit soll in diesem Beitrag hingegen die Frage der ethnischen Identität der Bewohner der Städte Italiens finden. Zwar ist aus den Quellen bekannt, dass diese verschiedenen rechtlichen Gruppierungen mit jeweils unterschiedlichen Funktionen zugeordnet waren;27 und man hat auch versucht, distinkte ethnische Gruppen in Inschriften – etwa über „germanische“ Namen, die hier einige Male auftauchen28 – sowie im materiellen Befund vor allem der Gräber nachzuweisen,29 aber dies ist in beiden Fällen nicht unumstritten30 und hilft ohnehin bei der Erklärung der urbanen Transformationsprozesse nicht weiter, da sich beispielsweise die in den spätantiken Städten Italiens zunehmend verbreitete Holzbauweise, wie schon länger erkannt wurde, nicht kausal mit dem Auftreten von „Germanen“ verbinden lässt.31

26  Diese

Arbeiten erfolgen im Rahmen des von der DFG geförderten SFB 933 „Materiale Textkulturen“; https://www.materiale-textkulturen.de/teilprojekt.php?tp=A01&up (letzter Zugriff am 20. 3. 2020). 27  So deutlich Cassiodorus, Variae 12, 5, 4 oder Anonymus Valesianus 60. 28  Vgl. die Auflistung bei Volker Bierbrauer: Die ostgotischen Grab- und Schatzfunde in Italien. Spoleto 1975, S. 39–42, Anm. 132, mit Abb. 5. 29 Vgl. hierzu Bierbrauer: Grab- und Schatzfunde (wie Anm. 28); Ellen Riemer: Romanische Grabfunde des 5.–8. Jahrhunderts in Italien. Rahden 2000. 30  Zum Aussagewert der Namen in Grab- und sonstigen Inschriften des ostgotischen Italien vgl. die kritischen Bemerkungen von Patrick Amory: People and Identity in Ostrogothic Italy, 489– 554. Cambridge 1997, S. 348–485. Zum archäologischen Befund und dessen – oftmals problema­ tischer – ethnischer Deutung vgl. Philipp von Rummel: Habitus barbarus. Kleidung und Repräsentation spätantiker Eliten im 4. und 5. Jahrhundert. Berlin/New York 2007, S. 331–337. 31 Vgl. Richard Hodges/Richard Buckley/Antonio Sennis: An Early Medieval Building Tradi­ tion? A Pagliaio at Colli a Volturno (Provincia di Isernia, Molise). In: Papers of the British School at Rome 62 (1994), S. 311–321; in größerem Zusammenhang Paolo Delogu: Longobardi e ­Romani: altre congetture. In: Stefano Gasparri/Paolo Cammarosano (Hg.): Langobardia. Udine 31993, S. 111–167.

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Die Entwicklung der politisch-administrativen Strukturen in den Städten Italiens Es steht außer Frage, dass die antiken Stadtgemeinden in Italien noch im 6. Jahrhundert von erheblicher Bedeutung waren. Dies zeigt sich etwa an der Darstellung des Prokop zu den Gotenkriegen, in der Städte an vielen Stellen Erwähnung finden.32 Man kann dies ferner durch einen gleichsam makroskopischen Blick auf die Entwicklung des Städtenetzes in zwei ausgewählten Regionen in Nord- und Mittelitalien, nämlich die spätantiken Provinzen Venetia et Histria und Tuscia et Umbria, bekräftigen.33 Für Venetia et Histria lassen sich zu Beginn des 4. Jahrhunderts 26 politisch eigenständige civitates nachweisen. Die meisten dieser Stadtgemeinden haben bis zum 6. Jahrhundert in der einen oder anderen Form überdauert. Einige von ihnen (insgesamt sechs) scheinen allerdings im Laufe der Zeit an Bedeutung verloren zu haben, denn in ihnen wurde kein Bischofssitz eingerichtet. Auch dies muss jedoch nicht auf einen völligen Niedergang des städtischen Zentrums hinweisen, wie drei Beispiele zu zeigen vermögen: So hatte Ateste (Este) zwar augenscheinlich schon seit dem frühen 3. Jahrhundert stark an Bedeutung eingebüßt, aber Funde aus Gräbern belegen hier das Vorhandensein einer durchaus nicht völlig verarmten Bevölkerung in der ostgotischen Epoche.34 Atria (Adria) scheint ebenfalls bereits seit dem 2. Jahrhundert nur noch ein unbedeutender Ort gewesen zu sein; ein Schreiben Cassiodors zeigt jedoch, dass noch zu Beginn des 6. Jahrhunderts die curiales der civitas Adriana in einer Steuerangelegenheit aktiv wurden.35 Auch für Forum Iulii (Cividale) kennen wir keinen spätantiken Bischof. Nichtsdestotrotz ist unbestreitbar, dass Forum Iulii ab dem späteren 5. Jahrhundert eine nicht unbedeutende Position in der Region einnahm; so befanden sich hier in der ostgotischen Epoche horrea in staatlichem Besitz zur Lebensmittelversorgung.36 Zudem wurden die Stadtmauern im späteren 5. oder früheren 6. Jahrhundert massiv verstärkt, und die Errichtung eines großzügig gestalteten Wohnhauses im Zentrum der Stadt während der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts deutet auf die Präsenz wohlhabender Persönlichkeiten hin.37 Größer war die Zahl gänzlich „gescheiterter“ Städte in der Region Tuscia et Umbria. Auch hierbei gilt es jedoch zu differenzieren. So ist zunächst zu konsta32 

Siehe beispielsweise Procopius, Bella 6, 11; 6, 23; 7, 10–11; 7, 26. Vgl. die ausführliche Diskussion bei Kayoko Tabata: Città dell’Italia nel VI secolo d.C. Rom 2013, S. 169–223. 33 Zum Folgenden vgl. Christian Witschel: Sterbende Städte? Betrachtungen zum römischen Städtewesen in der Spätantike. In: Angelika Lampen/Armin Owzar (Hg.): Schrumpfende Städte. Ein Phänomen zwischen Antike und Moderne. Köln/Weimar/Wien 2008, S. 17–78, hier: S. 34–39; ferner Yuri A. Marano: The Towns of Central and Eastern Venetia in the Ostrogothic Period. In: Orsolya Heinrich-Tamáska (Hg.): Keszthely-Fenékpuszta im Kontext spätantiker Kontinuitätsforschung zwischen Noricum und Moesia. Budapest u. a. 2011, S. 173–194. 34  Marano: Towns (wie Anm. 33), S. 186. 35 Cassiodorus, Variae 1, 19. 36 Cassiodorus, Variae 12, 26. 37  Marano: Towns (wie Anm. 33), S. 180–182.

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tieren, dass circa zwei Drittel der römischen Stadtgemeinden am Ende der Spät­ antike immer noch als funktionsfähige Einheiten bestanden. Wenn man nun das restliche Drittel, also jene Städte, welche keine wie auch immer geartete Kontinuität bis in das Hochmittelalter aufwiesen, einer genaueren Betrachtung unterzieht, so fällt auf, dass sie innerhalb der Großregion ungleich verteilt sind. In Nord­ etrurien und auch in Umbrien war die Kontinuität sehr hoch. Deutlich mehr ­abgegangene Städte gab es hingegen in Mitteletrurien, insbesondere in der ökologisch anfälligen Region der Maremma, die bereits seit der Spätantike immer stärker versumpfte. Ebenfalls recht zahlreich finden sich solche „gescheiterten“ Städte in Südetrurien, wo noch in der frühen Kaiserzeit eine Vielzahl kleinerer Gemeinden existiert hatte. Erheblichen Einfluss auf deren „Scheitern“ hatte offenbar die unmittelbare Nähe zu der Großstadt Rom: Die starke Ausstrahlungskraft der Metropole hatte den Ausleseprozess bereits frühzeitig in Gang gesetzt, sodass sich hier einige Städte kaum halten konnten und schon im 3./4. Jahrhundert nicht mehr für die Etablierung eines Bischofssitzes infrage kamen. Der Prozess des „Scheiterns“ einer Stadtgemeinde war jedoch in vielen Fällen komplex und teilweise sehr langwierig, da er sich bis weit in das Mittelalter hinziehen konnte. Das zeigt der Fall von Luna (Luni).38 Hier wurde zwar das Forum ab dem 5. Jahrhundert zunehmend aufgelassen und später mit einfachen Holzgebäuden überdeckt. Gleichzeitig entstanden aber im Stadtzentrum noch einige größere Wohnhäuser sowie eine christliche Basilika, die bis in das frühe Mittelalter als Bischofskirche genutzt wurde.39 Grabinschriften des 5./6. Jahrhunderts zeigen zudem, dass es hier weiterhin eine ortsansässige Elite von einiger Bedeutung gab.40 Die Siedlung war im 7. Jahrhundert ein wichtiger byzantinischer Militärposten; und der Bischofssitz wurde gar erst im frühen 13. Jahrhundert endgültig in das nahegelegene Sarzana verlegt. Aus dieser Perspektive lässt sich eine recht hohe Konstanz des römischen Städte­netzes in Italien bis in das spätere 6. Jahrhundert postulieren. Das scheint sich bei einem näheren Blick auf die Entwicklung der politisch-administrativen Strukturen in den Stadtgemeinden während des 5./6. Jahrhunderts sowie auf deren ­Eliten zu bestätigen.41 So sind die Stadträte (curiae) und deren Mitglieder, die Curialen (mit der Spitzengruppe der principales), sowie städtische Magistrate ­ durch verschiedene Quellen noch bis in das 6. Jahrhundert zu belegen. Außer auf 38  Zu Luna vgl. Antonio Frova (Hg.): Luni. Guida archeologica. Sarzana 51998; zum Schicksal der Stadt im Mittelalter Silvia Orvietani Busch: Luni in the Middle Ages: the Agony and the Disappearance of a City. In: Journal of Medieval History 17 (1991), S. 283–296; vgl. auch die Beiträge in: Antonio Manfredi/Paola Sverzellati (Hg.): Da Luni a Sarzana – 1204–2004. VIII centenario della traslazione della sede vescovile. Vatikanstadt 2007. 39  Siehe dazu AE 2000, 556 (Mosaik-Inschrift auf dem Fußboden der Basilika aus dem mittleren 6. Jahrhundert). 40  So etwa CIL XI 1412 (ein vir clarissimus); CIL XI 7019 (eine honesta femina; datiert auf das Jahr 528); CIL XI 7587 (ein laudabilis puer; datiert auf das Jahr 545). 41 Vgl. zusammenfassend Frank M. Ausbüttel: Die Verwaltung der Städte und Provinzen im ­spätantiken Italien. Frankfurt a. M. u. a. 1988, S. 204–227; Tabata: Città (wie Anm. 32), S. 41–168.

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die Briefe des Cassiodor42 ist hierbei vor allem auf die exzeptionell gut beleuchtete Situation in Ravenna zu verweisen. Mit Hilfe der dort ausnahmsweise erhalten gebliebenen Papyri lassen sich für diese Stadt die munizipalen Strukturen im ­späteren 5. und 6. Jahrhundert im Detail erfassen. 43 Die Papyri überliefern die Namen von nicht weniger als 48 Curialen beziehungsweise principales, die oftmals mit dem Rangprädikat eines vir laudabilis versehen sind. Daneben sind hier auch städtische Ämter wie diejenigen eines magistratus und eines quinquennalis bezeugt. Deutlich wird ferner, dass die lokale Elite von Ravenna aus einem relativ kleinen Kreis führender Familien bestand, die über Generationen hinweg immer wieder curiales stellten.44 Auch die Nachbargemeinde Faventia (Faenza) taucht in den Papyri auf; für sie ist dadurch eine entsprechende städtische Administration im mittleren 6. Jahrhundert nachzuweisen.45 Das dürfte sich auch auf viele andere Gemeinden in Italien, für die der Quellenbestand nicht so gut ist, übertragen ­lassen. Die Zahl der „öffentlichen“ Inschriften, die für die vorangegangenen Epochen unsere wichtigste Quellengattung für munizipale Strukturen darstellen, war zwar im 5./6. Jahrhundert stark zurückgegangen, vereinzelt gibt es aber auch für die ostgotische Periode noch epigraphische Belege für die fortdauernde Existenz städtischer Institutionen.46 Von besonderem Interesse ist ein Neufund aus Tarquinia:47 Dort wurde auf einem wiederverwendeten Stein im Jahr 504 eine Inschrift angebracht, die von einer Badeanlage berichtete, welche sich augenscheinlich im Besitz des städtischen ordo befand und nun den Bürgern nach einer Restaurierung (wieder) zugänglich gemacht wurde. Der jugendliche Stifter Aurelius Gloriosus, curator und magistratus, sein Vater, ein vir clarissimus, sowie der Bau42  So

werden in Cassiodorus, Variae 2, 17 die honorati, possessores, defensores und curiales von Tridentum (Trento) nebeneinander angesprochen. Vgl. dazu auch Enrico Cavada: Trento in età gota. In: I Goti. Ausstellungskatalog Milano. Mailand 1994, S. 224–227. Vgl. ferner beispielsweise Cassiodorus, Variae 4, 9: honoratis possessoribus et curialibus Forolivensibus. Vgl. die Auflistung bei Tabata: Città (wie Anm. 32), S. 43–51. 43  Die ravennatischen Papyri wurden ediert von Jan-Olof Tjäder: Die nichtliterarischen Papyri Italiens aus der Zeit 445–700. Bde. I–III. Lund 1954–1982. Vgl. dazu Frank M. Ausbüttel: Die Curialen und Stadtmagistrate Ravennas im späten 5. und 6. Jh. In: ZPE 67 (1987), S. 207–214. 44  Zur Gesellschaft von Ravenna im 5. und 6. Jahrhundert vgl. Charles Pietri: Les aristocracies de Ravenne (Ve–VIe s.). In: Studi Romagnoli 34 (1983), S. 643–673; Thomas S. Brown: Everyday Life in Ravenna under Theoderic: an Example of his ‚Tolerance‘ and ‚Prosperity‘? In: Teoderico il Grande (wie Anm. 1), hier: Bd. I, S. 77–99. 45 Etwa Papyri Italiae 31 II 1, 5–6 (Datierung: 540) mit der Anrede defensori, mag(istratui) q(uin­ quenna)l(i) cunctoque ordini curiae civitatis Faventine Domnicus v(ir) h(onestus) sal(utem). 46 So sind curatores epigraphisch bezeugt in Faventia (?) (CIL XI 268; Datierung: frühes 6. Jahrhundert) und in Beneventum (CIL IX 2074; Datierung: 522); sowie defensores in Abelli­ num (AE 2008, 335; Datierung: 513) und in Nola (CIL X 1352; Datierung: 542). 47  AE 2008, 524b; dazu Mario Torelli: Tarquitius Priscus haruspex di Tiberio e il laudabilis puer Aurelius. Due nuovi personaggi della storia di Tarquinia. In: Archeologia in Etruria meridionale. Atti delle giornate di studi in ricordo di M. Moretti, Civita Castellana 2003. Rom 2006, S. 249– 286, hier: S. 278–283; und jetzt Giovanni A. Cecconi/Ignazio Tantillo: Un atto di evergetismo muni­cipale in Italia in età ostrogota. A proposito di una iscrizione di Tarquinia. In: Mélanges Claude Lepelley (im Druck).

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aufseher gehörten der lokalen Elite der curiales und honorati an. Somit belegt diese Inschrift, die in ihrer Zeit allerdings bislang ganz isoliert dasteht, sowohl die Existenz städtischer Magistraturen als auch des ordo civitatis Tarquiniensium noch im frühen 6. Jahrhundert. Bei den städtischen Ämtern treten im Quellen­ befund die im späteren 3. und 4. Jahrhundert neu etablierten Spitzenposten des curator rei publicae und insbesondere des defensor civitatis stärker hervor, während die traditionellen Magistraturen wie die aediles oder die duumviri nur noch sehr selten Erwähnung finden.48 Das muss jedoch nicht bedeuten, dass diese ­Ämter gänzlich verschwunden waren. Insgesamt sind alle diese Phänomene im Gesamtkontext des spätantiken Städtewesens als durchaus „normal“ zu bezeichnen. Auszumachen sind aber auch einige deutliche Veränderungen im Vergleich zu der Situation im 3. und 4. Jahrhundert. Das zeigt sich etwa bei einem Blick auf die Adressaten der Schreiben Cassiodors sowie auf deren Inhalte: In ihnen werden die Curialen – wenn sie überhaupt noch genannt sind – oftmals hinter anderen Gruppen aufgeführt, die als honorati und possessores bezeichnet werden.49 Das ist ein klares Indiz dafür, dass sich mittlerweile auch in den Städten Italiens der Übergang zu einem sogenannten Notabelnregiment vollzogen hatte.50 Diese Entwicklung hatte ihren Anfang im ausgehenden 4. Jahrhundert genommen und war im späten 5. Jahrhundert augenscheinlich weitgehend abgeschlossen, ohne dass dies zu gravierenden Verschlechterungen in der Selbstverwaltung der Stadtgemeinden geführt haben muss. Auch die neue Führungsgruppe blieb in der Regel stadtbasiert, wie zahlreiche in den Städten Italiens gefundene Grab- und kirch­ liche Stifterinschriften etwa von viri clarissimi und spectabiles zu zeigen vermögen.51 Diese und andere Zeugnisse demonstrieren zudem, dass sich diese Männer weiterhin für ihre Gemeinden engagierten. In der ostgotischen Epoche sind einige neue, auf die Städte Italiens bezogene Beamte hinzugekommen, die vor allem für die Verwaltung der hier angesiedelten Gotengemeinden zuständig waren.52 An erster Stelle ist der vom König eingesetz48  Quaestores und aediles tauchen in den Quellen der ostgotischen Epoche nicht mehr auf; ­duumviri werden noch im Edictum Theoderici 52–53 erwähnt. 49  Vgl. Anm. 42; ferner Cassiodorus, Variae 4, 45: comitibus, defensoribus et curialibus Ticinensis civitatis sowie ebd., 6, 24, die formula honoratis possessoribus et curialibus civitatis Neapolitanae. Possessores als Einzelgruppe werden beispielsweise in Feltria (Cassiodorus, Variae 5, 9) addressiert. Vgl. zusammenfassend Giovanni A. Cecconi: Honorati, possessores, curiales: competenze istituzionali e gerarchie di rango nella città tardoantica. In: Rita Lizzi Testa (Hg.): Le trasformazioni delle élites in età tardoantica. Rom 2006, S. 41–64. 50 Zu diesem „post-curial government“ vgl. J. H. Wolfgang G. Liebeschuetz: The Decline and Fall of the Roman City. Oxford 2001, S. 104–136; Sebastian Schmidt-Hofner: Der defensor civita­ tis und die Entstehung des Notabelnregiment in den spätrömischen Städten. In: Mischa Meier/ Steffen Patzold (Hg.): Chlodwigs Welt. Organisation von Herrschaft um 500. Stuttgart 2014, S. 487–522 (mit zahlreichen weiteren Belegen). 51  Dazu Anm. 83 (Grabinschriften) sowie Anm. 92 (Stifterinschriften in Kirchen). 52  Hinzuweisen ist hier auch auf die Aktivitäten der saiones; Roberto Morosi: I saiones, speciali agenti di polizia presso i Goti. In: Athenaeum 69 (1981), S. 150–165.

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te comes civitatis zu nennen, der über umfangreiche Befugnisse etwa im Bereich der Gerichtsbarkeit verfügte. Allerdings stellt sich die Frage, wie weit verbreitet dieses neue Amt tatsächlich war, denn die Goten waren ja sehr ungleich über die italische Halbinsel verteilt. Ein comes ist jedenfalls in den literarischen Quellen nur für relativ wenige Städte (sicher) bezeugt und wird auch in Inschriften nur selten erwähnt.53 Daraus ergibt sich der Eindruck, dass keineswegs jede italische Gemeinde über einen eigenen comes civitatis verfügte. Selbst dort, wo es ihn gab, ist zu beachten, dass er trotz seiner potenziell herausgehobenen Machtposition in ein innerstädtisches Konkurrenzgefüge eingebunden blieb und sich nicht entscheidend von den anderen einflussreichen Statusgruppen absetzen konnte. Letzteres gilt schließlich auch für den Bischof, der im Laufe des 5. Jahrhunderts unzweifelhaft an Bedeutung gewonnen hatte, und damit verbunden für den ­Klerus. Bischöfe waren in vielen Bereichen für ihre Gemeinden aktiv, etwa in der Armenfürsorge oder als Vermittler, aber auch als Initiatoren kirchlicher Bauaktivitäten.54 Einige Male wurden Bischöfe ferner als Aufseher bei nicht-kirchlichen Baumaßnahmen eingesetzt, so ein Aemilianus episcopus (höchstwahrscheinlich von Vercelli), der zu Beginn des 6. Jahrhunderts von Theoderich aufgefordert wurde, die Wiederherstellung eines Aquädukts, für die ihm die cura übertragen worden war, zu Ende zu bringen.55 Dies stellt jedoch in den Variae einen Aus­ nahmefall dar, und es gibt keine Hinweise darauf, dass Bischöfe regelmäßig auf diesem Feld tätig wurden.56 Während sich solche bischöflichen Aktivitäten zumeist nur punktuell belegen lassen, sind einzelne herausragende Persönlichkeiten unter den Bischöfen Italiens dieser Epoche in ihrem Wirken über längere Zeiträume hinweg bekannt, so die Bischöfe Epiphanius und Ennodius von Ticinum.57 Gerade die Vita Epifani des 53  Ein

solcher comes (Gothorum) civitatis scheint etwa in der stark fragmentierten Grabinschrift AE 1991, 864 = AE 1999, 752 = AE 2003, 771 (aus Brezzo di Bedero in der Nähe des Lago Maggiore; Datierung: spätes 5./früheres 6. Jahrhundert) belegt zu sein; vgl. dazu und zu den weiteren Belegen für dieses Amt Kayoko Tabata: I comites Gothorum e l’amministrazione municipale in epoca ostrogota. In: Jean-Michel Carrié/Rita Lizzi Testa (Hg.): „Humana sapit“. Études d’antiquité tardive offertes à Lellia Cracco Ruggini. Turnhout 2002, S. 67–78; ferner Gideon Maier: Amtsträger und Herrscher in der Romania Gothica. Vergleichende Untersuchungen zu den Institutionen der ostgermanischen Völkerwanderungsreiche. Stuttgart 2005 (mit jeweils unterschiedlicher Interpretation des Amtes). 54 Hierzu liegen nicht wenige epigraphische Belege vor. Für Venetia et Histria siehe die Zu­ sammenstellung bei Christian Witschel: Der epigraphic habit in der Spätantike: Das Beispiel der Provinz Venetia et Histria. In: Jens-Uwe Krause/Christian Witschel (Hg.): Die Stadt in der ­Spätantike. Niedergang oder Wandel? Stuttgart 2006, S. 359–411, hier: S. 397–401. In Tuscia et Umbria ist insbesondere auf die gut bezeugten Aktivitäten der Bischöfe von Spoletium zu verweisen: ICI VI 45–47 und 72; ferner ICI VI 1 aus Ocriculum. 55 Cassiodorus, Variae 4, 31; dazu Fauvinet-Ranson: Decor civitatis (wie Anm. 13), S. 131–133. 56  So auch Marano: Watered (wie Anm. 1), S. 164  f., S. 169: „there is no evidence that in Ostro­ gothic Italy water management, as well as other specific duties, was assigned to bishops“. 57 PCBE II Epiphanius 1 und Ennodius. Zu Magnus Felix Ennodius, Bischof von Ticinum 513/515–521, vgl. ferner Bianca-Jeanette Schröder: Bildung und Briefe im 6. Jahrhundert. Studien zum Mailänder Diakon Magnus Felix Ennodius. Berlin/New York 2007; vgl. auch seine erhaltene Grabinschrift: CIL V 6464 = ILS 2952.

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Ennodius zeigt ihren Protagonisten, der von 466 bis 496 Bischof von Ticinum war, in vielfältiger Weise aktiv, und dies nicht nur auf den Feldern, die mit den engeren kirchlichen Aufgabenbereichen verbunden waren.58 Breit ausgemalt wird vor allem Epiphanius’ Tätigkeit als legatus zu verschiedenen Herrschern seiner Zeit. Sowohl Epiphanius als auch Ennodius unternahmen Gesandtschaftsreisen im Auftrag ihrer Heimatprovinz Liguria und begaben sich auch zu Theoderich nach Ravenna.59 Gerade die angesprochenen diplomatischen Missionen des Epiphanius und anderer Bischöfe resultierten aber zumeist aus Ausnahmesituationen und erscheinen in den hagiographischen Quellen oftmals überbetont; zudem wurden neben Bischöfen auch andere Personen als Gesandte eingesetzt.60 In die normale städtische Administration wurde der Bischof im Laufe des 5. Jahrhunderts zwar ebenfalls zunehmend integriert, aber hier blieb er stets einer unter mehreren anderen Akteuren, welche in den Städten Italiens, wie gesehen, noch in erheblicher Zahl und Stärke vorhanden waren. Die Bischöfe konnten daher ihren innerstädtischen Einfluss nicht unbegrenzt ausdehnen.61 Das zeigt sich schließlich auf einem weiteren Gebiet, auf dem zumindest einzelne Bischöfe sehr umtriebig waren, nämlich bei der Errichtung von kirchlichen Bauten, welche ab dem späten 4. Jahrhundert in den Städten Italiens einen starken Aufschwung nahm, der auch in der ostgotischen Epoche andauerte. Der Kirchenbau ist ein in den zeitgenössischen Quellen recht gut bezeugtes bischöfliches Betätigungsfeld, wie wir etwa am Beispiel des Laurentius, des Bischofs von Mailand zwischen 488/489 und 503/506, sehen können, für dessen ausgedehnte kirchliche Bautätigkeit erneut die Schriften des Ennodius das wesentliche Zeugnis bilden.62 Besonders gut sind wir ferner über die diesbezüglichen Aktivitäten der Bischöfe von Ravenna unterrichtet, da zu dieser Stadt mit dem Werk des Agnellus eine Quelle von exzeptioneller Ausführlichkeit vorliegt, die auch die entsprechenden Bauinschriften überliefert.63 So erfahren wir, dass die episcopi in Ravenna seit dem frühen 5. Jahrhundert nicht nur Kirchen errichteten beziehungsweise restaurierten, sondern auch deren Annexbauten, Bischofsresidenzen und sogar Bäder für

58  Zu der Vita Epifani vgl. Maria Cesa: Ennodio. Vita del beatissimo Epifanio vescovo della chiesa pavese. Como 1988; Elisabeth Hermann-Otto: Der spätantike Bischof zwischen Politik und Kirche: Das exemplarische Wirken des Epiphanius von Pavia. In: Römische Quartalschrift 90 (1995), S. 198–214. 59 Ennodius,Vita Epiphanii 122–135, 182–189; Ennodius, Epistulae 9, 11, 6. 60  Vgl. dazu Andrew Gillett: Envoys and Political Communication in the Late Antique West, 411–533. Cambridge 2003, S. 148–171. 61  Das ist auch das Fazit von Adam Izdebski: Bishops in Late Antique Italy: Social Importance vs. Political Power. In: Phoenix 66 (2012), S. 158–175. 62  Siehe etwa ICI XII 25 (nach Ennodius, Carmina 2, 8); für weitere Belege vgl. PCBE II Laurentius 15; dazu die wichtigen Beobachtungen von Claire Sotinel: L’évergétisme dans le royaume gothique: le témoignage d’Ennode de Pavie. In: Marc Mayer/Mònica Miró (Hg.): Committenza e committenti tra antichità e alto medioevo. Homenatge a F. Giunta. Barcelona 1996, S. 213–222. 63  Vgl. Claudia Nauerth: Agnellus von Ravenna. Untersuchungen zur archäologischen Methode des ravennatischen Chronisten. München 1974.

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den Gebrauch des Klerus.64 Dieselben Quellen zeigen weiterhin, dass es beim Bau und der Ausstattung von Kirchen, die im späteren 5. und 6. Jahrhundert zur wichtigsten Bauaufgabe in den Städten geworden waren, oftmals zu einem Zusammenspiel zwischen dem Bischof (als dem nominellen Bauherren), dem Klerus, reichen Stiftern aus der Oberschicht sowie zahlreichen weiteren Gemeindemitgliedern, die sich mit kleineren Summen etwa an der Ausgestaltung der Mosaikfußböden beteiligten, gekommen ist.65 Selbst auf diesem Sektor waren die Bischöfe also keineswegs die allein Handelnden. Einerseits ist somit ein hohes Maß an Kontinuität im Bereich der städtischen Administration zu konstatieren. Diese war in Italien wesentlich stärker ausgeprägt – so zumindest scheint es aufgrund einer relativ günstigen Quellenlage – als in anderen Regionen des Westens, was sich etwa im Vergleich mit der Situation in Gallien zeigt: In den Städten Italiens waren die administrativen Strukturen noch im früheren 6. Jahrhundert um Einiges komplexer, und so konnte der Bischof hier lange keine so dominante Rolle spielen wie in vielen Gemeinden Galliens. Im Gegenzug lässt sich für Italien eine höhere Bedeutung des Amtes des defensor civita­ tis ausmachen, während sich dieses in Gallien kaum durchzusetzen vermochte.66 Andererseits unterliegt es keinem Zweifel, dass wir mit der ostgotischen Epoche auch in Italien in der Phase der „Later Late Antique City“ angekommen sind, die vor allem durch den Übergang zum „Notabelnregiment“ charakterisiert war. Nochmals betont sei jedoch, dass sich in den Städten Italiens während des 5. und 6. Jahrhunderts keine der in den Gemeinden einflussreichen Amtspersonen oder Gruppierungen endgültig gegen die jeweils anderen durchsetzen konnte – vielmehr traten Curialen, honorati/possessores, defensor/comes civitatis und Bischof in ein Konkurrenzverhältnis zueinander und neutralisierten sich damit in gewisser Weise gegenseitig. Hervorzuheben ist schließlich, dass alle diese Elitegruppen in starkem Maße auf die Stadt als zentralem Lebensraum fokussiert blieben und hier weiterhin einen Teil ihres Reichtums investierten – auch wenn die Klagen des Cassiodor über das Verhalten der städtischen Oberschichten in Bruttium an diesem Punkt ein anderes Bild aufscheinen lassen.67

Der Wandel des epigraphic habit im spätantiken Italien Bei der Erforschung der munizipalen Strukturen der römischen Kaiserzeit bilden Inschriften unsere wichtigste Quellengrundlage. Es lohnt sich daher, einen kurzen 64 

Vgl. etwa CIL XI 255 (= Agnellus, Liber pontificalis ecclesiae Ravennatis 28) zum Ausbau des Baptisteriums der Kathedrale durch Bischof Neon (ca. 450–470), der auch einen neuen Speisesaal mit reicher Dekoration im episcopium einrichtete (ebd., 29); oder aber CIL XI 263 (= Agnellus, Liber pontificalis ecclesiae Ravennatis 66) zur Erneuerung eines balneum für den Klerus durch Bischof Victor (537–544). 65  Vgl. unten Anm. 91. 66  Vgl. Schmidt-Hofner: Defensor (wie Anm. 50), S. 511–522. 67  Dazu oben Anm. 22.

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Blick auf die Entwicklung der Inschriftenkultur in Italien während des 5./6. Jahrhunderts zu werfen. Als Fallstudien können die beiden spätantiken Provinzen ­Venetia et Histria sowie Tuscia et Umbria dienen, für welche die epigraphischen Zeugnisse systematisch aufgearbeitet worden sind.68 Auf dieser Basis lassen sich einige allgemeine Tendenzen aufzeigen: Auffällig ist zunächst der starke quantitative Rückgang bei der Herstellung neuer Inschriften, der sich bereits ab dem mittleren 3. Jahrhundert deutlich bemerkbar machte und augenscheinlich mit einem veränderten Repräsentationsverhalten der städtischen Eliten einherging.69 Eine weitere markante Zäsur ist in der Zeit um beziehungsweise bald nach 400 an­ zusetzen. Nun verschwanden endgültig wichtige, auf den öffentlichen Raum der Städte ausgerichtete Inschriftentypen, die sogenannten civic inscriptions. Hierzu zählten vor allem Ehreninschriften für Kaiser, Reichsbeamte und munizipale Würdenträger, die in der Regel auf Statuenbasen angebracht waren. Dieser Entwicklung soll daher unsere erste Aufmerksamkeit gelten; hierfür wird der Blick ausgeweitet auf die gesamte Apennin-Halbinsel unter Einschluss von Rom, wo die Verhältnisse – vor allem in quantitativer Hinsicht – zwar etwas anders aus­ geprägt waren, aber insgesamt doch denselben Trends folgten wie im restlichen Italien.70 Statuenbasen mit darauf angebrachten Ehreninschriften sind im gesamten Italien für die Zeit nach dem ersten Drittel des 5. Jahrhunderts nur noch ganz vereinzelt bezeugt.71 Das gilt gerade für die Ehrung von Mitgliedern des Herrscherhauses durch die Stadtgemeinden, die in der Kaiserzeit eine gängige Praxis gewesen war. In Nord- und Mittelitalien scheint diese nach Ausweis der erhaltenen Statuenbasen bereits um die Mitte des 4. Jahrhunderts zum Erliegen gekommen zu sein. Aber selbst in Rom und in dem mit Blick auf die epigraphische Praxis in der Spätantike „konservativeren“ Süditalien stellt sich die Situation kaum anders dar, denn auch aus diesen Regionen besitzen wir keine Ehreninschriften für die Herrscher aus der Zeit nach Honorius. Bei den Zeugnissen für öffentlich aufgestellte Statuen von Mitgliedern der Reichsaristokratie sowie der lokalen Eliten bietet sich ein ähnliches Bild. In Norditalien waren solche Ehrungen schon früh fast völlig verschwunden, in Mittel- und Süditalien hielten sie sich im Laufe des 4. und frühen 5. Jahrhunderts ein ganzes Stück besser. In seltenen Fällen trifft Letzteres auch noch für 68 

Venetia et Histria: Witschel: Epigraphic habit (wie Anm. 54); die Neufunde seit 2003 haben das hier herausgearbeitete Bild kaum verändert. Tuscia et Umbria: Katharina Bolle: Spätantike Inschriften in Tuscia et Umbria: Materialität und Präsenz. In: dies./Carlos Machado/Christian ­Witschel (Hg.): The Epigraphic Cultures of Late Antiquity. Stuttgart 2017, S. 147–212 sowie die Datenbank The Late Antique Inscriptions of Tuscia et Umbria, online zugänglich unter: https:// tusciaetumbria.materiale-textkulturen.de (letzter Zugriff am 20. 3. 2020). 69  Dazu Barbara Borg/Christian Witschel: Veränderungen im Repräsentationsverhalten der römischen Eliten während des 3. Jhs. n. Chr. In: Géza Alföldy/Silvio Panciera (Hg.): Inschriftliche Denkmäler als Medien der Selbstdarstellung in der römischen Welt. Stuttgart 2001, S. 47–120. 70  Zu der Situation in Rom vgl. Christian Witschel: Alte und neue Erinnerungsmodi in den spät­ antiken Inschriften Roms. In: Behrwald/Witschel (Hg.): Rom (wie Anm. 24), S. 357–406. 71  Vgl. den Überblick bei Carlos Machado: Italy. In: Roland R. R. Smith/Bryan Ward-Perkins (Hg.): The Last Statues of Antiquity. Oxford 2016, S. 43–55.

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das spätere 5. Jahrhundert zu, so auch – auf etwas höherem Niveau – für Rom, von wo wir jedoch keine einzige gesicherte statuarische Ehrung eines Senators aus der ostgotischen Epoche kennen.72 Das gilt mit einer einzigen Ausnahme auch für das übrige Italien.73 Ins­gesamt gesehen war diese Sitte bereits um 420/430 weitgehend zum Erliegen gekommen. Die wenigen erhaltenen Porträts aus dem betrachteten Zeitraum aus Italien, die zu solchen Ehrenstatuen gehört haben könnten, bestätigen diesen ­Befund.74 Der deutliche Wandel in der Elitenrepräsentation dürfte auch Folgen für die traditionell hierfür genutzten öffentlichen Räume, insbesondere die Fora, gehabt haben, worauf noch zurückzukommen sein wird. Allerdings besitzen wir einige Hinweise darauf, dass der in den Städten aus früheren Zeiten vorhandene Statuenbestand, der als Teil des ornatus urbium angesehen wurde, auch an der Wende vom 5. zum 6. Jahrhundert zumindest in einigen Fällen weiterhin gepflegt wurde. So kam es zur Wiederherstellung sowie zur Umsetzung älterer Statuen, aber auch zu Maßnahmen gegen den unerlaubten Abtransport solcher Stücke, die offenbar zunehmenden Gefahren ausgesetzt waren.75 Nichtsdestotrotz scheinen diese Aktivitäten zu zeigen, dass in den Städten Italiens trotz aller mittlerweile eingetretener Veränderungen wie der zunehmenden Nutzung von Spolien noch kein totaler Bruch mit den Monumenten der Vergangenheit eingetreten war. Mit Blick auf die (nicht-christlichen) Bauinschriften ist zu konstatieren, dass diese Gattung nicht völlig verschwand, aber ab dem frühen 5. Jahrhundert ebenfalls sehr rar wurde. Als Beleg können gerade solche Bauinschriften dienen, in denen der oder die regierende(n) Kaiser im Nominativ oder aber im Ablativ zu Datierungszwecken oder mit einer Formel wie „Salvo …“ angeführt wurden und die sich daher besonders gut datieren lassen. Solche Tituli gibt es aus der langen Regierungszeit Valentinians III. aus Rom noch in einiger Zahl, aber auch in einigen anderen Städten vornehmlich Süditaliens.76 Aus der Zeit nach 455 liegen jedoch nur noch ganz wenige Belege für Inschriften dieser Art vor, die zudem teil72  Hingegen

hat die neue Untersuchung der Sitzstufeninschriften für Senatoren im Colosseum durch Silvia Orlandi: Epigrafia anfiteatrale dell’Occidente romano VI. Roma: Anfiteatri e strut­ ture annesse, con una nuova edizione e commento delle iscrizioni del Colosseo. Rom 2004, gezeigt, dass diese auch noch in der ostgotischen Epoche, das heißt bis in das frühe 6. Jahrhundert, angefertigt wurden. 73  CIL X 4859 aus Venafrum, eine Basis für eine Statue des Flavius Pius Marianus (PLRE II Maximus 23), rector provinciae; errichtet von cu[n]ctus o[rdo et] populus Venafranae urbi[s] für ihren Patron im späten 5. oder frühen 6. Jahrhundert. 74  Siehe hierzu das in der Datenbank The Last Statues of Antiquity gesammelte Material, online zugänglich unter: http://laststatues.classics.ox.ac.uk (letzter Zugriff am 20. 3. 2020). 75 Siehe Cassiodorus, Variae 2, 35–36 zu den Bemühungen, den Raub einer statua aenea in ­Comum aufzuklären; dazu Fauvinet-Ranson: Decor civitatis (wie Anm. 13), S. 78–82. In Rom wurde bald nach 472 ein simulacrum der Minerva restauriert (CIL VI 526 = 1664 = ILS 3132); in Cati­ na ließ um 500 ein Statthalter eine Skulpturengruppe, welche die hostilitas (der Vandalen?) geraubt hatte, der Stadt zurückgeben und im Theater aufstellen (AE 1956, 259); und in Faventia wurde im frühen 6. Jahrhundert eine Statue nach einer Erdbebenzerstörung repariert (CIL XI 268). 76 Für Bauinschriften mit der Nennung Valentinians III. im Nominativ oder im Ablativ siehe etwa CIL X 1485 = ILS 804 (Neapolis) oder AE 1982, 154 (Minturnae).

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weise unsicherer Natur sind.77 Die rasch wechselnden Kaiser der Jahre zwischen 455 und 476 waren augenscheinlich inschriftlich kaum noch vertreten,78 und dies gilt auch für Odoaker, der lediglich auf drei Inschriften in Rom Erwähnung fand.79 Diese sehr schwach ausgeprägte epigraphische Präsenz der Herrscher bereits ab dem mittleren 5. Jahrhundert hat auch damit zu tun, dass eine weitere Inschriftengattung, in welcher die Kaiser zuvor an prominenter Stelle genannt worden waren, zu dieser Zeit bereits völlig verschwunden war, nämlich die Meilensteine. Das ist umso erstaunlicher, als Meilensteine eine der wenigen Monument-Typen ­waren, deren Errichtung in vielen Regionen Italiens während des 4. Jahrhunderts noch zugenommen hatte.80 Die Meilensteine dienten ihrem Formular nach in der Spätantike vornehmlich zur Ehrung des jeweiligen Herrschers, die sich somit zumindest partiell von den Hauptplätzen der Städte auf die Fernstraßen verlagert hatte. Die letzten Meilensteine wurden in Italien am Ende des 4. beziehungsweise zu Beginn des 5. Jahrhunderts errichtet; aus der Zeit danach kennen wir kein einziges Exemplar mehr, was nicht nur dem Überlieferungszufall geschuldet sein kann. Wie fügen sich nun die Inschriften Theoderichs und seiner Nachfolger in dieses Bild ein?81 Zunächst einmal ist zu konstatieren, dass wir keine einzige Ehreninschrift für Theoderich oder einen der zeitgenössischen oströmischen Herrscher aus Italien kennen. Diese Beobachtung führt zu der Frage nach der statuarischen Repräsentation der ostgotischen Könige in den Städten Italiens: Standbilder der ostgotischen Könige sowie der oströmischen Kaiser werden zwar in den literarischen Quellen mehrfach erwähnt und scheinen noch von einiger Bedeutung gewesen zu sein;82 im materiellen Befund ist hiervon jedoch kaum etwas zu erkennen. Mit Blick auf die Bauinschriften ist zu beobachten, dass auch in diesem Bereich die epigraphische Präsenz der ostgotischen Könige keine wirkliche Ausnahme von dem geschilderten generellen Trend darstellt. Gegenüber dem ­Zustand in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts lässt sich zwar eine Wiederzu­ 77 So

die einzige Bauinschrift, in welcher der Kaiser Maiorian genannt gewesen sein könnte: AE 2000, 376 aus Potentia; dazu Giovanni Mennella: Una nuova dedica a Maioriano e un probabile corrector Lucaniae et Brittii nel 459. In: ZPE 133 (2000), S. 237–242. 78  Dies gilt zumindest für öffentlich präsentierte „Monumentalinschriften“. Etwas häufiger werden die Herrscher der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts in „Kleininschriften“ (zum Beispiel den sogenannten exagia) sowie im Rahmen von Konsuldatierungen genannt. 79  Dazu Silvia Orlandi: L’epigrafia romana sotto il regno di Odoacre. In: Giorgio Bonamente/Rita Lizzi Testa (Hg.): Istituzioni, carismi ed esercizio del potere (IV–VI secolo). Bari 2010, S. 331–338. 80  Das zeigt sich besonders deutlich in Venetia et Histria; vgl. Christian Witschel: Inschriften und Inschriftenkultur der konstantinischen Zeit in Aquileia. In: Aquileia Nostra 83/84 (2012/13 [2015]), S. 29–66, hier: S. 39–41. 81  Vgl. dazu oben Anm. 6. 82  So die bekannte Beschreibung des Agnellus, Liber pontificalis ecclesiae Ravennatis 94 zu einem Reiterstandbild des Theoderich in Ravenna; siehe auch Procopius, Bella 5, 6, 5 (Anweisungen über die Errichtung von Statuen des Theodahad); Bella 7, 20, 29 (Bildnisse des Theoderich) sowie Anonymus Valesianus 44 zu imagines des Kaisers Zeno in Rom.

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nahme solcher Inschriften, die den Namen des Herrschers anführten, ausmachen, aber diese Tituli sind auf wenige, besonders herausgehobene Orte konzentriert. Angesichts der Lobpreisungen insbesondere des Theoderich als Bauherr in den literarischen Quellen ist dies doch ein eher bescheidener Befund. Es ist somit festzuhalten, dass sich die Formen der Präsentation und Kommemoration von gesellschaftlichem Rang und Leistungen für die Gemeinschaft, die in den Städten Italiens traditionellerweise durch epigraphische oder statuarische ­Monumente im öffentlichen Raum zum Ausdruck gekommen waren, mittlerweile stark gewandelt hatten. Diese Entwicklung hatte bereits im mittleren 3. Jahrhundert eingesetzt und im frühen 5. Jahrhundert noch einmal erheblich an Fahrt gewonnen; in der ostgotischen Epoche war sie weitgehend abgeschlossen. Es ist jedoch zu betonen, dass auch im 5. und 6. Jahrhundert noch eine durchaus vitale und quantitativ nicht unbedeutende Inschriftenkultur existierte, die nun jedoch auf wenige Bereiche beschränkt blieb, welche zudem sehr viel stärker als zuvor – aber immer noch nicht durchgehend – christlich geprägt waren. Hierzu zählten in erster Linie Grabinschriften, in denen uns eine Vielzahl von lokalen Elitenangehörigen – unter Einschluss von Klerikern – begegnet. Es war nämlich im 5. und 6. Jahrhundert durchaus noch üblich, in solchen Epitaphen neben dem christlichen Bekenntnis auch den sozialen Rang der Verstorbenen anzuführen.83 Unter diesen befanden sich historisch bedeutende Persönlichkeiten wie der vir illustris und comes domesticorum Pierius oder aber Asbadus, ein oströmischer magister militum gepidischer Herkunft in der Endphase der Gotenkriege in Italien.84 Gerade bei der Grabinschrift des Letzteren, die um die Mitte des 6. Jahrhunderts angefertigt wurde, fällt auf, wie wenig an genuin christlichem Gedankengut hier aufscheint – es handelt sich vielmehr um ein Elogium auf seine militärischen und zivilen Leistungen (darunter auch die Restaurierung von Städten) ganz nach klassischem Vorbild. Der zweite Bereich, in dem Inschriften auch im 5./6. Jahrhundert noch eine wichtige Rolle spielten – gerade für die Repräsentation der verschiedenen städtischen Statusgruppen – waren Bau- und Stifterinschriften in Kirchen, welche im innerstädtischen sowie im suburbanen Raum präsentiert wurden. Hierzu ist anzumerken, dass die Christianisierung der Stadtbilder in Italien, welche vor allem von

83 Zu

Venetia et Histria vgl. die Zusammenstellung bei Witschel: Epigraphic habit (wie Anm. 54), S. 386–401. Eine kleine Auswahl entsprechender Grabinschriften aus Tuscia et Umbria: CIL XI 1707 (Florentia; ein vir clarissimus); CIL XI 4968 (Spoletium; ein clarissimus puer); CIL XI 4333 (Interamna Nahars; ein vir honestus; datiert auf das Jahr 490); CIL XI 4336 (ebd.; ein vir laudabi­ lis; datiert auf das Jahr 511). 84  Grabinschrift des Pierius (PLRE II Pierius 5): AE 1993, 803 (Garlate; Datierung: 490); dazu Marco Sannazaro: Un’epigrafe di Garlate: il comes domesticorum Pierius e la battaglia dell’Adda del 490. In: Mélanges de l’Ecole Française de Rome. Antiquité 105 (1993), S. 189–219. Epitaph des Asbadus (wohl PLRE III Asbadus 2): Supplementa Italica 9 (1992), Ticinum Nr. 15 (Ticinum; Datierung: um 555–560); dazu Christophe Badel: Un chef germain entre Byzance et l’Italie. ­L’épitaphe d’Asbadus à Pavie (Supp.It. 9, 15). In: Ghilardi/Goddard/Porena (Hg.): Cités (wie Anm. 17), S. 91–100.

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der Errichtung größerer Gemeindekirchen wie auch von Memorialbauten geprägt war, in größerem Umfang erst ab dem späteren 4. Jahrhundert begonnen hatte. Ein veritabler „Kirchenbau-Boom“ prägte dann das 5. und (frühere) 6. Jahrhundert.85 In diesem Rahmen sind auch zahlreiche Inschriften gesetzt worden. Nicht selten ist dabei ein Materialwechsel auszumachen: Neben Inschriften in Stein wurden Texte im Kirchenraum nun zunehmend in Mosaik ausgeführt, und zwar sowohl auf den Fußböden als auch an den Wänden. Das Medium „Mosaik“ bot bestimmte Potenziale etwa in der Kombination von Bild und Schrift oder in der farblichen Ausgestaltung der Inschriften, um die Aufmerksamkeit der Betrachter auf sich zu ziehen.86 Neu waren zudem die räumlichen Bezüge, denn die Inschriften waren nun in ihrer großen Mehrzahl im Innenraum der Kirchen angebracht. Unter den im Kirchenraum vertretenen Inschriften lassen sich nach Formular und Format verschiedene Typen ausmachen. An erster Stelle zu nennen sind die an zentraler Stelle, häufig im Apsisrund, angebrachten sogenannten Hauptbau­ inschriften, die rhetorisch ausgefeilt und nicht selten in metrischer Gestaltung die Baugeschichte referierten. Prominent wurde hierbei in der Regel die Rolle des Bischofs in Szene gesetzt. Besonders gut zu sehen ist dies in Parentium (Poreč), wo der lokale Bischof Eufrasius um die Mitte des 6. Jahrhunderts beim Neubau der Kathedrale für sich die wesentliche Leistung in Anspruch nahm. Er hat sich dazu in mannigfacher Form gleichsam in den Kirchenraum „eingeschrieben“: Neben einer metrisch gefassten Bauinschrift in der Apsiskalotte finden sich Monogramme des Bischofs an den Kapitellen und in der Wandverkleidung der Apsis aus opus sectile.87 Ebenfalls repräsentativ gestaltet waren in der Regel die Inschriften, die gesellschaftlich herausragende Personen, welche nicht dem Klerus angehörten, an einzelnen Bauteilen oder Ausstattungselementen anbringen ließen. Deren Aktivitäten wurden in aufwendig gestalteten und (vermutlich) an prominenten Positionen innerhalb des Kirchenraumes angebrachten Bauinschriften in Stein kommemoriert, wofür wir zwei aussagekräftige Beispiele aus Patavium (Padua) und Vicetia (Vicenza) kennen. In Patavium ließ der praefectus praetorio Opilio im früheren 6. Jahrhundert einen kirchlichen Baukomplex errichten, während in Vicetia der sublimis vir Gregorius um 500 ein oratorium erbaute.88 Angefügt werden kann das durch Agnellus überlieferte Wirken des Bankiers Iulianus argentarius in 85 

Vgl. Pasquale Testini/Gisella Cantino Wataghin/Letizia Pani Ermini: La cattedrale in Italia. In: Actes du XIe Congrès International d’Archéologie Chrétienne I, Lyon u. a. 1986. Rom/Paris 1989, S. 5–232. 86 Dazu Katharina Bolle/Stephan Westphalen/Christian Witschel: Mosaizieren. In: Thomas ­Meier/Michael R. Ott/Rebecca Sauer (Hg.): Materiale Textkulturen. Konzepte – Materialien – Praktiken. Berlin/München/Boston 2015, S. 485–501. 87  InscrIt X 2, 81 u. 90; zur Mosaik-Ausstattung der Eufrasius-Basilika vgl. ferner Ann Terry/ Henry Maguire: Dynamic Splendor. The Wall Mosaics in the Cathedral of Eufrasius at Poreč. University Park 2007. 88  Patavium: CIL V 3100 = ILS 1297 = AE 1991, 807; Vicetia: AE 2011, 412. Vgl. ferner CIL XI 2089 = ILS 1296 aus Perusia und AE 1983, 364 = AE 1988, 492 aus Spoletium.

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­ avenna, der während des zweiten Viertels des 6. Jahrhunderts bei kirchlichen R Bauprojekten als großzügiger Geldgeber auftrat.89 Quantitativ sehr viel stärker vertreten waren kurz gefasste Texte, mit denen zahlreiche Einzelstifter ihren Beitrag zur Anfertigung des Mosaikschmucks einer Kirche direkt auf diesem verzeichneten. Zu den Überlieferungsbedingungen solcher Inschriften ist zu bemerken, dass sich bei ihnen der oben angesprochene Material­wechsel insofern negativ bemerkbar macht, als sich die in Mosaik ausgeführten „Hauptbauinschriften“ in vielen Fällen nicht erhalten haben, da das aufgehende Mauerwerk frühchristlicher Kirchen nur recht selten konserviert wurde. Der exzeptionelle Befund in Bezug auf Ravenna, wo zahlreiche Kirchenbauinschriften sowohl im Original als auch insbesondere durch die in den Liber ponti­ ficalis des Agnellus aufgenommenen Abschriften bekannt sind, kann demonstrieren, wie viel uns hierbei verloren gegangen sein dürfte.90 Einfache, in die Mosaikfußböden der Kirchen integrierte Stifterinschriften sind hingegen in sehr viel größerer Zahl überliefert, allerdings mit ungleicher geographischer Verteilung: Während wir viele Exemplare aus Venetia et Histria kennen, sind solche in Mittel­ italien nur selten dokumentiert.91 Eine überzeugende Erklärung für dieses Phänomen steht noch aus. Nicht selten wurden in solchen Mosaik-Stifterinschriften Rangangaben gemacht, so etwa in Tergeste (Triest) und in Grado.92 Durch diese lässt sich ein beträchtliches Engagement der städtischen Bevölkerung auf diesem Sektor erkennen, und zwar sowohl von Klerikern als auch von Angehörigen der „weltlichen“ Aristokratie und sogar von „kleinen Leuten“. Die soeben besprochenen Inschriftengruppen liefern somit eine Reihe von wichtigen Erkenntnissen zu den zeitgenössischen Sozialstrukturen in den Städten Ita­ liens. So werden in ihnen verschiedene gesellschaftliche Akteure sichtbar. Zwar nahmen hierbei die Bischöfe als Bauherren und bisweilen auch die sie unterstützenden Kleriker einen besonderen Platz ein, sie waren aber keineswegs die einzigen handelnden Personen. Hinzu traten einige hochrangige Persönlichkeiten wie Senatoren und reiche Bürger als Finanziers ganzer Kirchenbauten oder Stifter einzelner Bauelemente. In den Mosaikinschriften der Kirchenfußböden fassen wir schließlich die Beteiligung breiterer Bevölkerungskreise an der Ausstattung von Kirchenbauten. 89  Vgl. hierzu Samuel J. B. Barnish: The Wealth of Iulianus Argentarius: Late Antique Banking and the Mediterranean Economy. In: Byzantion 55 (1985), S. 5–38; Salvatore Cosentino: Le fortune di un banchiere tardoantico. Giuliano argentario e l’economia di Ravenna nel VI secolo. In: Andrea Augenti/Carlo Bertelli (Hg.): Santi, banchieri, re. Ravenna e Classe nel VI secolo. San Severo – il tempio ritrovato. Mailand 2006, S. 43–48. 90  Vgl. oben Anm. 15–16. 91 Diese Mosaikinschriften sind gesammelt bei Jean-Pierre Caillet: L’évergétisme monumental chrétien en Italie et à ses marges d’après l’épigraphie des pavements de mosaïque (IVe–VIIe s.). Paris/Rom 1993. 92  So sind unter den Stiftern auf dem Mosaikfußboden der zweiten Phase der Basilika in der Via Madonna del Mare in Tergeste aus dem früheren 6. Jahrhundert ein vir inlustris und ein vir claris­ simus bezeugt: AE 1975, 422e/g; sowie in der Basilika S. Eufemia in Grado (spätes 6. Jahrhundert) ebenfalls ein vir clarissimus: AE 1975, 416 f. Vgl. hierzu die Aufstellungen bei Witschel: Epi­ graphic habit (wie Anm. 54), S. 386–390.

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Diese reichten von Mitgliedern der Oberschicht bis hin zu Angehörigen einer „Mittelschicht“ unter Einschluss von Soldaten. Erkennbar wird dadurch eine immer noch stark stratifizierte städtische Gesellschaft. Zudem verdient hervorgehoben zu werden, dass gerade die Eliten weiterhin einen Teil ihres Vermögens in den Ausbau der Städte investierten, wenn auch nunmehr vornehmlich für Kirchenbauten. Die Kirchenbauten wurden dadurch zu neuen, stärker nach innen gerichteten Repräsentations­räumen der Eliten. Neben innovativen Elementen wie anonymen Schenkungen oder solchen, die erkennbar auf das Seelenheil des Stifters abziel­ten,93 lassen sich dabei auch Verbindungslinien zum klassischen Euergetismus ausmachen, so etwa in der ostentativen Verewigung der eigenen Leistung vor der Gemeinschaft in Tituli, die mit ihrer auffälligen Gestaltung um Aufmerksamkeit warben. Diese Inschriften waren somit nach wie vor auf ein breiteres städtisches Publikum ausgerichtet. Ähnliche Beobachtungen lassen sich generell in Bezug auf die Inschriftenkultur des 5./6. Jahrhunderts in Italien machen. Deutlich werden daneben aber auch die wichtigen Veränderungen im epigraphic habit der Apennin-Halbinsel, die zu Beginn des 5. Jahrhunderts eingesetzt hatten und in der ­ostgotischen Epoche nicht wieder umgekehrt wurden, sondern sich vielmehr u ­ ngebrochen fortsetzten.

Die Transformation des städtischen Lebensraumes Die urbanistische Transformation der Städte Italiens zwischen Spätantike und Frühmittelalter ist in den letzten Jahren mehrfach umfassend behandelt worden, und zwar sowohl monographisch als auch in einer Reihe von Sammelbänden.94 Deren Ergebnisse sollen hier nicht wiederholt werden; es kann vielmehr an dieser Stelle lediglich darum gehen, kurz auf einige charakteristische Phänomene aufmerksam zu machen, die sich gerade an dem archäologischen Befund ablesen lassen. Generell ist nochmals darauf hinzuweisen, dass viele Städte Nord- und Mittel­ italiens trotz der wiederholten kriegerischen Ereignisse während des 5. Jahrhunderts in der einen oder anderen Form fortbestanden, auch wenn sich die Stadtbilder nicht unerheblich verändert hatten. Als Beispiel sei die Region des östlichen 93  Zu

diesen Aspekten vgl. Alfons Zettler: Offerenteninschriften auf den frühchristlichen Mosaikfußböden Venetiens und Istriens. Berlin/New York 2001; Rudolf Haensch: Zwei unterschiedliche epigraphische Praktiken: Kirchenbauinschriften in Italien und im Nahen Osten. In: Bolle/ Machado/Witschel (Hg.): Epigraphic Cultures (wie Anm. 68), S. 535–554. 94  Vgl. etwa Christian Witschel: Rom und die Städte Italiens in Spätantike und Frühmittelalter. In: Bonner Jahrbücher 201 (2001 [2004]), S. 113–162; Annette Haug: Die Stadt als Lebensraum. Eine kulturhistorische Analyse zum spätantiken Stadtleben in Norditalien. Rahden 2003; Gian Pietro Brogiolo: Dwellings and Settlements in Gothic Italy. In: Barnish/Marazzi (Hg.): Ostro­ goths (wie Anm. 1), S. 113–142; vgl. auch die Beiträge in: Jacobo Ortalli/Michael Heinzelmann (Hg.): Abitare in città. La cisalpina tra impero e medioevo. Leben in der Stadt. Oberitalien ­zwischen römischer Kaiserzeit und Mittelalter. Wiesbaden 2003; Andrea Augenti (Hg.): Le città ­italiane tra la tarda antichità e l’alto medioevo. Florenz 2006; Ghilardi/Goddard/Porena (Hg.): Cités (wie Anm. 17).

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Venetien angeführt, die im Gegensatz zu Istrien und dem westlichen Venetien in den Quellen der ostgotischen Epoche, so bei Cassiodor, nur sporadisch erwähnt wird.95 Das hat zu der Vorstellung geführt, die Städte in diesem Gebiet, insbesondere die Metropole Aquileia, hätten sich nie mehr von den Zerstörungen während des verheerenden Einfalls der Hunnen unter Attila im Jahre 452 erholen können. Dieser Eindruck ist jedoch nach neueren Erkenntnissen augenscheinlich zu kor­ rigieren, denn das Überleben der Stadt bis in das spätere 6. Jahrhundert scheint mittlerweile gesichert.96 Zwar tritt diese späte Phase nach wie vor nicht sehr klar hervor, aber es deutet sich doch an, dass einige wichtige Bauwerke zumindest teilweise instandgehalten wurden, so die Kathedralgruppe oder die „Grandi Terme“, die bis in das fortgeschrittene 5. Jahrhundert in Benutzung waren. Zugleich ­werden jedoch Veränderungen im Stadtbild sichtbar: So wurde das Forum von Aquileia, das während des 4. Jahrhunderts zu einem „Schaukasten“ der Stadtgeschichte umgestaltet worden war, im Laufe des 5. Jahrhunderts zunehmend aufgelassen. Damit in Zusammenhang stand eine Verlagerung des städtischen Schwerpunktes nach Süden in den Umkreis der Bischofskirche. Abgeschlossen wurde dieser Prozess durch die Errichtung einer neuen, im Umfang deutlich reduzierten Stadtmauer in einer modernen Fortifikationstechnik, deren genaue Datierung (mittleres 6. Jahrhundert?) allerdings immer noch unklar ist. Im benachbarten Concordia lässt sich ebenfalls die Fortexistenz der Stadt bis (mindestens) in das 6. Jahrhundert belegen, aber auch hier kam es zu einem starken städtebaulichen Wandel.97 Die feststellbaren Bauaktivitäten während des 5./6. Jahrhunderts konzentrierten sich auf den kirchlichen Sektor und hier insbesondere auf eine extramurale Basilika, die einen Annex in Form einer Trikonchen-Anlage mit Vorhof erhielt. An diese wurde im frühen 6. Jahrhundert (?) eine Grabkapelle angefügt, welche für die repräsentative Bestattung einer clarissima femina in einem Sarkophag mit Inschrift genutzt wurde.98 Auch die Basilika selbst wurde im mittleren 6. Jahrhundert recht aufwendig restauriert. Die zunehmende Vernachlässigung gerade des öffentlichen Stadtraumes und insbesondere der Fora, die für die städtische Identität während der Kaiserzeit und auch noch zu Beginn der Spätantike eine herausragende Bedeutung besessen hatten,99 ist also nicht zu verkennen. Die95 

Vgl. Marano: Towns (wie Anm. 33). Aquileia vgl. Monika Verzár-Bass/Giulia Mian: L’assetto urbano di Aquileia. In: Ortalli/ Heinzelmann (Hg.): Abitare (wie Anm. 94), S. 73–94; Yuri A. Marano: Urbanesimo e storia ad Aquileia tra V e VI secolo d. C. In: Jacobo Bonetto/Monica Salvadori (Hg.): L’architettura privata ad Aquileia in età romana. Padua 2012, S. 571–590; Cristiano Tiussi/Luca Villa/Marta Novello (Hg.): Costantino e Teodoro. Aquileia nel IV secolo. Catalogo della Mostra, Aquileia. Mailand 2013. 97  Vgl. Pierangela Croce Da Villa/Elena Di Filippo Balestrazzi (Hg.): Concordia Sagittaria. Tremila anni di storia. Padua 2001. 98  AE 1951, 91. Die Datierung dieser Sarkophagbestattung in das frühe 6. Jahrhundert ist allerdings nicht gesichert; vgl. die Diskussion bei Witschel: Epigraphic habit (wie Anm. 54), S. 390 mit Anm. 146. 99  Dazu Christian Witschel: Statuen auf spätantiken Platzanlagen in Italien und Africa. In: Franz Alto Bauer/Christian Witschel (Hg.): Statuen in der Spätantike. Wiesbaden 2007, S. 113–169. 96 Zu

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se Entwicklung, die zumeist im früheren 5. Jahrhundert einsetzte, lässt sich – mit wenigen Ausnahmen wie in Ostia100 – in vielen Städten Nord- und Mittelitaliens beobachten; sie passt zu den Veränderungen, die wir im Bereich des epigraphic habit ausgemacht haben. Der Wandel städtischer Lebensformen während des 5. und 6. Jahrhunderts zeigt sich auch auf dem Sektor der Wohnbebauung. Davon waren nicht zuletzt die ­domus der Eliten betroffen, die vielfach im 4. Jahrhundert noch ausgebaut be­ ziehungsweise mit neuen Mosaiken geschmückt worden waren.101 Diese Entwicklungen sind in einigen Städten des westlichen Venetien gut nachzuvollziehen, da hier umfangreiche Grabungen mit modernen stratigraphischen Methoden durchgeführt worden sind. Das gilt etwa für Verona, das während der ostgotischen Epoche nach Ausweis der literarischen Quellen einer der wichtigsten Orte in Norditalien war.102 Dies manifestierte sich unter anderem in der Errichtung ­eines zweiten Stadtmauerringes unter Theoderich, der vor die frühere Mauer gesetzt wurde, wobei es zu einem massiven Einsatz von Spolien kam – eine in dieser Zeit allgemein verbreitete Praxis.103 Die Wohnhäuser in Verona erlitten ab dem 5. Jahrhundert ein sehr unterschiedliches Schicksal: So wurde eine domus an der Piazza Nogara bis in das 4. Jahrhundert noch ausgebaut und teilweise neu dekoriert; danach erfolgten jedoch „primitiv“ wirkende Einbauten in dem Komplex wie etwa ein direkt auf den Mosaikboden gesetzter, aus Ziegeln bestehender Unterbau eines Ofens. Ein weiteres Haus unter dem Cortile del Tribunale wurde ab dem späteren 6. Jahrhundert gänzlich aufgelassen und als Gartengelände genutzt. In unmittelbarer Nachbarschaft kam es hingegen zur Errichtung eines neuen Steingebäudes unter der Via Dante im Laufe des 5. Jahrhunderts. Die Fassade dieses Gebäudes griff zunehmend auf die Straße über; es wurde dann über eine sehr lange Zeit bis in das Hochmittelalter genutzt. In Tridentum (Trento) lassen sich mit Blick auf die Stadtentwicklung im 5./6. Jahrhundert auf der einen Seite erhebliche Aktivitäten im Bereich des Kirchenbaues ausmachen. Knapp vor der Stadtmauer entstand die große Basilika S. Vigilio, die intensiv für Bestattungen genutzt wurde, laut der Grabinschriften auch für solche der Angehörigen der lokalen Elite.104 Auf dem der Stadt benachbarten Doss Trento wurde um 530/540 eine Kirche errichtet, deren Stifter sich auf 100 Zu

der in einiger Hinsicht exzeptionellen Situation in Ostia vgl. Axel Gering: Das Stadt­ zentrum von Ostia in der Spätantike. Vorbericht zu den Ausgrabungen 2008–2011. In: Römische Mitteilungen 117 (2011), S. 409–509. 101  Das ist mittlerweile beispielsweise in Aquileia gut nachzuvollziehen: Marta Novello: L’autorappresentazione delle élites aquileiesi nelle domus tardoantiche. In: Bonetto/Salvadori (Hg.): ­Architettura (wie Anm. 96), S. 221–242. 102  Vgl. Margherita Bolla (Hg.): Archeologia a Verona. Mailand 2000; Giuliana Cavalieri Manasse/ Brunella Bruno: Edilizia abitativa a Verona. In: Ortalli/Heinzelmann (Hg.): Abitare (wie Anm. 94), S. 47–64. 103  Vgl. oben, Anm. 21. 104  Dazu Iginio Rogger/Enrico Cavada (Hg.): L’antica basilica di San Vigilio in Trento. Storia, archeologia, reperti I–II. Trient 2001. Siehe etwa AE 1990, 246 = ICI XV 3, die Grabinschrift des vir spectabilis Censorius aus dem mittleren 6. Jahrhundert.

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dem Mosaikfußboden verewigte.105 Auf der anderen Seite kam es auch in Triden­ tum ab dem 5. Jahrhundert zur teilweisen Auflassung von Straßenzügen sowie zur Veränderung der öffentlichen Infrastruktur.106 In einigen Gebieten der Stadt breiteten sich Gartenareale aus, an anderen Stellen siedelten sich Handwerkerbetriebe wie Glasmacherwerkstätten in ehemaligen Wohnbereichen an. Schließlich lässt sich hier, wie auch an vielen anderen Orten in Italien, ab dem 6. Jahrhundert eine Zunahme intramuraler Bestattungen konstatieren. Ein Blick auf Brixia (Brescia) kann diese Entwicklungen bestätigen:107 Auch in dieser Stadt erfolgte im Laufe der Spätantike eine Schwerpunktverlagerung weg von dem alten Zentrum und hin zu der Kathedralgruppe und dem palatium (?) im Westen der Stadt. Dieser Prozess ging einher mit der Aufgabe und dem teilweisen Abriss von erheblichen Teilen der öffentlichen Bausubstanz der kaiserzeitlichen Stadt seit dem 5. Jahrhundert; einige Areale wurden mit Holzhütten überbaut. Hiervon erfasst wurden auch die luxuriösen domus im Osten der Stadt; allerdings in durchaus unterschiedlichen Rhythmen. So lässt sich hier die Unterteilung von Raumeinheiten und die „Einnistung“ neuer Behausungen in „primitiver“ Bauweise beobachten: In die teilweise noch aufrecht stehenden Ruinen eines Wohnhauses wurden im 5. Jahrhundert Holzeinbauten installiert, deren Pfostenlöcher die Mosaik­böden durchschlugen; eingebracht wurden zudem Stampflehmböden und Öfen. An einer anderen Stelle kehrte sich dieser Prozess im späten 5. Jahrhundert noch einmal teilweise um, denn es kam nun zu der Errichtung eines großen Steingebäudes. Ab dem Ende des 6. Jahrhunderts erfolgte hier dann aber eine längere Siedlungsunterbrechung, während sich andernorts die im 5. Jahrhundert etablierten Wohnformen bis in das Frühmittelalter hielten. Angesichts solcher Befunde stellt sich die Frage, wo beziehungsweise wie die Angehörigen der lokalen Oberschichten in der ostgotischen Epoche gewohnt haben. Wie wir bereits gesehen haben, blieben die Eliten in Italien in einem hohen Maße stadtbasiert; in den Städten lassen sich für das 5./6. Jahrhundert durch eine Vielzahl unterschiedlicher Quellen zahlreiche Vertreter der Aristokratie nachweisen, die hier teilweise auch sehr aktiv waren, etwa bei der Ausstattung von Kirchen. Lebten diese Personen tatsächlich in den zumeist eher „primitiv“ wirkenden Behausungen, die nur noch wenig mit den luxuriösen domus gemein hatten, die vielerorts noch im 4. Jahrhundert ausgebaut worden waren? Man muss dies wohl annehmen, zumal auch bei den ländlichen Villen ähnliche Veränderungen zu beobachten sind. Das würde auf einen erheblichen Wandel des städtischen Lebensstils hindeuten. Allerdings gibt es auch einige abweichende Befunde, insbesondere in der Kapitale Ravenna und in benachbarten Städten wie Ariminum (Rimini) 105 

Supplementa Italica 6 (1990), Tridentum Nr. 36. Vgl. Ezio Buchi (Hg.): Storia del Trentino II. L’età romana. Bologna 2000; Gianni Ciurletti: Il caso Tridentum. In: Ortalli/Heinzelmann (Hg.): Abitare (wie Anm. 94), S. 37–45. 107  Vgl. Gian Pietro Brogiolo: Brescia altomedievale. Urbanistica ed edilizia dal IV al IX secolo. Mantua 1993; ders. (Hg.): S. Giulia di Brescia. Gli scavi dal 1980 al 1992. Reperti preromani, ­romani e alto medievali. Florenz 1999; Filli Rossi: Trasformazioni nell’edilizia abitativa urbana a Brescia. In: Ortalli/Heinzelmann (Hg.): Abitare (wie Anm. 94), S. 27–35. 106 

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und Faventia (Faenza), also dort, wo sich der kaiserliche und später der ostgo­ tische comitatus bevorzugt aufhielten. Hier wurden noch im späteren 5. und im frühen 6. Jahrhundert einige domus ausgebaut und mit neuen Mosaiken ausgeschmückt, was auf eine Fortführung des gehobenen Wohnluxus zumindest durch einige Elitenangehörige hindeutet.108

Schluss Die herausgestellten Kontinuitätslinien gerade im politisch-administrativen Bereich, welche die Stadtgemeinden Italiens noch im mittleren 6. Jahrhundert als erkennbar „antik“ geprägte Gebilde erscheinen lassen, sind nicht zu unterschätzen; sie waren, soweit wir sehen können, in Italien deutlich stärker ausgeprägt als fast überall sonst im (ehemaligen) Weströmischen Reich. Dies spricht meines Erachtens einerseits gegen zu drastisch ausgemalte Niedergangsszenarien unter Stichworten wie „Ruralisierung“ oder „De-Urbanisierung“, wie sie gerade in letzter Zeit wieder postuliert worden sind.109 Erheblich zu dieser strukturkonservativen Situation beigetragen haben dürfte die Beibehaltung einer komplexen und auf mehreren Ebenen angeordneten Verwaltungshierarchie durch die ostgotischen Könige, aber auch die nach wie vor gegebene Präsenz einer breit gefächerten und in verschiedene Funktionsgruppen aufgeteilten Elite in den Städten, welche weiterhin als Aktionsraum und Bühne für politische und gesellschaftliche Ambitionen genutzt wurden. Die Konkurrenz dieser Gruppen untereinander verhinderte jedenfalls, dass es in Italien frühzeitig zur Konzentration der innerstädtischen Machtpositionen in den Händen einzelner Amtsträger wie etwa der Bischöfe kam. Andererseits ist unverkennbar, dass die Städte Italiens im 5. und 6. Jahrhundert markante Transformationsprozesse durchliefen. Diese sind charakteristisch für die „Later Late Antique City“ – hierzu gehörten etwa die stärkere Ausdifferenzierung des Städtenetzes und der Beginn des Phänomens der „gescheiterten Städte“, der Übergang zum „Notabelnregiment“, der Wandel des epigraphic habit, die zunehmende Christianisierung der Stadtbilder, die Auflassung von öffentlichen Räumen und die Umwandlung von großen Wohnhäusern in kleinere Einheiten. Gerade die zuletzt angesprochenen urbanistischen Veränderungen während des 5. und 108 

Ravenna: Giovanna Montevecchi (Hg.): Archeologia urbana a Ravenna. La ‚domus dei tappeti di pietra‘ – il complesso archeologico di via D’Azeglio. Ravenna 2004; Enrico Cirelli: Élites civili ed ecclesiastiche nella Ravenna tardoantica. In: Hortus Artium Medievalium 13 (2007), S. 301– 318. Rimini: Jacobo Ortalli: L’insediamento residenziale urbano nella Cispadana. In: Ortalli/ Heinzelmann (Hg.): Abitare (wie Anm. 94), S. 95–119; Claudio Negrelli: Rimini tra V ed VIII secolo: topografia e cultura materiale. In: Augenti (Hg.): Città (wie Anm. 94), S. 219–268. Faenza: Maria Grazia Maioli: Il complesso di Via Dogana e altri mosaici tardoantichi in Faenza. In: R. Ling (Hg.): Fifth International Colloquium on Ancient Mosaics, Bath 1987. Ann Arbor 1995, S. 189–206. 109  Vgl. etwa Hans-Rudolf Meier: Zentrumsverlagerung oder Deurbanisierung? Eine Frage zur ‚Christianisierung‘ der spätantiken Stadt. In: Gunnar Brands/Hans-Georg Severin (Hg.): Die ­spätantike Stadt und ihre Christianisierung. Wiesbaden 2003, S. 165–177.

Die Städte Nord- und Mittelitaliens im 5. und 6. Jahrhundert n. Chr.

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6. Jahrhunderts, die man aus der Perspektive der klassischen Stadtkultur durchaus als „Niedergang“ bezeichnen mag, waren sehr viel stärker ausgeprägt als im öst­ lichen Mittelmeerraum zur gleichen Zeit. Hervorzuheben ist dabei vor allem ein Punkt: Praktisch alle der hier geschilderten Transformationsprozesse hatten eindeutig bereits vor der ostgotischen Epoche begonnen, nämlich zumeist (spätestens) im Laufe des früheren oder mittleren 5. Jahrhunderts, ohne dass der Auslöser hierfür jeweils im Einzelnen klar wäre; sie wurden aber auf jeden Fall nicht erst durch die Ankunft der Ostgoten in Italien in Gang gesetzt. Die ostgotischen Könige haben diese Prozesse nicht aufhalten wollen oder können: Die eingangs angesprochene Herausstellung des Theoderich als Förderer der Städte und Wiederhersteller ihres einstigen (äußeren) Glanzes ist zwar sicherlich nicht völlig aus der Luft gegriffen, denn die ostgotischen Könige haben sich – hierbei in der Nachfolge der römischen Kaiser stehend und im ­Rahmen einer gezielten Legitimationsstrategie – demonstrativ um den Erhalt der Stadtgemeinden und ihrer Eliten gekümmert, da sie nach wie vor auf deren En­ gagement insbesondere im administrativen Bereich angewiesen waren. Auch die Ausrichtung von Theoderichs „Baupolitik“, die vor allem auf die Restaurierung bestehender Gebäude und den Erhalt der Infrastruktur abzielte, während Kirchenbauten nur eine untergeordnete Rolle spielten, stand durchaus in der Tradition früherer Herrscher der Spätantike. Gerade die bereits zuvor begonnene, starke Umwandlung der Stadtbilder haben die ostgotischen Herrscher jedoch nicht umzukehren vermocht, und das klingt auch einige Male in den Variae an. Das diesbezügliche Lob des Theoderich in den literarischen Quellen war somit zumindest teilweise eher den Anforderungen der Herrscherpanegyrik verpflichtet als den ­realen Verhältnissen in den Städten des ostgotischen Reiches.110

Abstract This chapter examines the cities of northern and central Italy during the fifth and sixth centuries. Starting from literary sources and building inscriptions, which praise King Theoderic as “renovator of towns”, I consider three different topics: the survival of cities into the Ostrogothic period and their administration during this epoch; the change in epigraphic practice (epigraphic habit) in Italy from the late fourth to the sixth century; and the development of the urban fabric in the same period. The record shows both continuity and transformation across time. Neither trend, however, seem directly connected with the activities of the Ostrogothic kings, since most of the general patterns had already commenced long before the Ostrogoths reached Italy.

110  Das

ist im Wesentlichen auch das Fazit der jüngsten Synthese zu unserem Thema: Federico Marazzi: Ostrogothic Cities. In: Jonathan J. Arnold/M. Shane Bjornlie/Kristina Sessa (Hg.): A Companion to Ostrogothic Italy. Leiden/Boston 2016, S. 98–120.

Ralf Behrwald Die gotischen Könige und die Stadtlandschaft Roms Theoderichs Auftreten in Rom und die bauliche Entwicklung der Stadt unter sei­ ner Herrschaft sind immer wieder herangezogen worden, wenn man versuchte, seine Stellung und seine Selbstdarstellung gegenüber den italischen Eliten zu ver­ stehen: Scheint hier doch seine Verehrung für die römischen Traditionen am deut­ lichsten zum Ausdruck zu kommen, der Bruch mit den Verhältnissen des fünften Jahrhunderts am klarsten hervorzutreten.1 Spätere Autoren und schon Zeitgenos­ sen wie Cassiodor2 schreiben dem König als einem amator fabricarum und För­ derer Roms eine besondere Beziehung zur Ewigen Stadt zu. Isidor von Sevilla betont sogar, durch Theoderich sei der Stadt eine nicht geringe Würde wieder­ gegeben worden (urbis Romae dignitas non parva est restituta).3 Nicht wenige moderne Forscher sind diesem Bild gefolgt,4 auch wenn gelegentlich eine gegen­ 1  Für

wichtige Hinweise sei Eva Margarete Steinby und Elizabeth Jane Shepherd, für ihre auf­ merksame redaktionelle Betreuung sei Elisabeth Hüls auch an dieser Stelle herzlich gedankt. Das Verhältnis Theoderichs zur Stadt Rom und ihren Monumenten ist wiederholt diskutiert worden; die jüngste Zusammenfassung gibt Paola Quaranta: Teoderico a Roma. Fonti e testimo­ nianze archeologiche. In: Claudia Barsanti/Andrea Paribeni/Silvia Pedone (Hg.): Rex Theode­ ricus. Il medaglione di Morro d’Alba. Rom 2008, S. 67–80; vgl ferner Massimiliano Vitiello: „Per il bene di Roma“. I privilegi di Teoderico, da Cassiodoro alla Constitutio Pragmatica. In: Lato­ mus 68 (2009) 1, S. 146–163, bes. S. 153 f.; Letizia Pani Ermini: Forma Urbis e renovatio murorum in età teodericiana. In: Antonio Carile (Hg.): Teoderico e i Goti tra Oriente e Occidente. Ravenna 1995, S. 171–225; Bettina Pferschy: Bauten und Baupolitik frühmittelalterlicher Könige. In: MIÖG 97 (1989), S. 257–328, hier: S. 259–291 (zum programmatischen Charakter der Maßnahmen: S. 265 f.); Giuseppina della Valle: Teoderico e Roma. In: Rendiconti della Accademia di archeologia, lettere e belle arti, Napoli 34 (1959), S. 119–176; Luigi Danese: Rinascita edilizia di Roma ed ultimi bagliori d’arte classica sotto re Teoderico (493–526). Trani 1924. 2  Dessen Darstellung von Theoderichs Baupolitik untersucht nach Cristina La Rocca: Una pru­ dente maschera ‚antiqua‘. La politica edilizia di Teoderico. In: Teoderico il Grande e i Goti d’Italia. Atti del XIII Congresso internazionale di studi sull’Alto Medioevo. Milano 2–6 novembre 1992. Spoleto 1993, S. 451–515, vor allem Valérie Fauvinet-Ranson: Decor civitatis, decor Italiae. Monuments, travaux publics et spectacles au VIe siècle d’après les Variae de Cassiodore. Bari 2006; vgl. dies.: Les valeurs idéologiques de la parure monumentale des cités en Italie chez Cassi­ odore. In: Hervé Inglebert (Hg.): Idéologies et valeurs civiques dans le monde romain. Hommage à Claude Lepelley. Paris 2002, S. 231–240. 3  Isidorus Hispalensis, Historia Gothorum Vandalorum et Sueborum 39. 4  So Biagio Saitta: La civilitas di Teoderico. Rigore amministrativo, „tolleranza“ religiosa e recupe­ ro dell’antico nell’Italia ostrogota. Rom 1993, S. 101–138, der (S. 103–105) ein „grandioso disegno“ Theoderichs erkennt, durch die Baupolitik die Loyalität der Untertanen zu stärken; Jonathan Ar­ nold: Theoderic and the Roman Imperial Restoration. Cambridge 2014, S. 201–229; zuletzt etwa Jason Moralee: Rome’s Holy Mountain. The Capitoline Hill in Late Antiquity. Oxford 2018, S. 64. https://doi.org/10.1515/9783110686692-003

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über Ravenna, das unter Theoderich ebenso wie Rom als urbs regia bezeichnet werden kann, gesunkene Bedeutung der alten Hauptstadt konstatiert wurde.5 Auch in der Geschichte Roms wird die Zeit des Ostgotenkönigs bisweilen als letzte Nachblüte gesehen, in der die Bemühungen Theoderichs den Verfall hätten aufhalten können: Unter Theoderich „Roma riacquistò in buona parte il suo ­antico splendore“, meinte etwa Giuseppina della Valle.6 Vor diesem Hintergrund sollen die folgenden Überlegungen noch einmal der Frage nachgehen, inwieweit sich für die Stadt Rom eine Baupolitik Theoderichs rekonstruieren lässt, welchen Konzepten sie gegebenenfalls folgte und wie seine Maßnahmen sich zur Baupolitik der vorangegangenen Kaiser in Rom verhielten. Die bisherige Forschung hat für diese Frage die literarischen Zeugnisse und unter ihnen vor allem die Variae Cassiodors in den Mittelpunkt gestellt; doch ergibt sich, so wird zu zeigen sein, ein deutlich anderes Bild, wenn zunächst die urbanis­ tischen Gegebenheiten in Rom am Ende des 5. Jahrhunderts und ihre Reflexe in der zeitgenössischen Literatur als Ausgangspunkt gewählt und dann die sicheren Zeugnisse für Theoderichs Bauten besprochen werden. Die archäologischen Forschungen der letzten Generation haben die bauliche Entwicklung der Stadt Rom in den etwa achtzig Jahren zwischen der Eroberung der Stadt durch Alarichs Goten im Jahr 410 und dem Herrschaftsantritt Theode­ richs in ein neues Licht gestellt. Nach den grundlegenden Synthesen, die an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert den damaligen Forschungsstand und die Er­ gebnisse der Ausgrabungstätigkeiten nach der Italienischen Einigung präsentier­ ten, galt zunächst vor allem der Bereich des Forum Romanum als paradigmatisch für die Entwicklung des spätantiken Rom: ein langsamer Verfallsprozess seit dem 4. Jahrhundert, beschleunigt durch die Ereignisse des Jahres 410, in dessen Ver­ lauf jedoch eine Christianisierung des politischen Zentrums lange ausblieb, und eine letzte Atempause in ostgotischer Zeit, nach der die Zerstörungen der Goten­ kriege mit ihren mehrmaligen Belagerungen Roms der Stadt wie ganz Italien ei­ nen entscheidenden Schlag versetzt hätten.7 Auch Richard Krautheimer, der aus­ 5 John

Moorhead: Theoderic in Italy. Oxford 1992, S. 140–142 (sowie S. 144 zu urbs regia bei Cassiodor und Jordanes); besonders Mark J. Johnson: Towards a History of Theoderic’s Building Program. In: Dumbarton Oaks Papers 42 (1988), S. 73–96, bes. S. 78; zuletzt Hans-Ulrich W ­ iemer: Rom – Ravenna – Tours. Rituale und Residenzen im poströmischen Westen. In: Dieter ­Boschung/ Karl-Joachim Hölkeskamp/Claudia Sode (Hg.): Raum und Performanz. Rituale in Residenzen von der Antike bis 1815. Stuttgart 2015, S. 167–218, bes. S. 182–185. 6  della Valle: Teoderico e Roma (wie Anm. 1), S. 129; ähnlich noch Quaranta: Teoderico a Roma (wie Anm. 1), S. 68: „Alla fine del V secolo la città si manteneva pressoché intatta, conservando gran parte del suo antico splendore.“ Für Massimiliano Vitiello: Momenti di Roma ostrogota. Adventus, feste, politica. Stuttgart 2005, S. 146, nach dem Ende der Ostgotenherrschaft „la fiac­ cola che sotto i Goti ancor poco ardeva si era spenta“. Nüchtern fällt das Urteil von Wilhelm Enßlin: Theoderich der Große. München 21959, S. 251, aus, der den römischen Verhältnissen die­ jenigen in Norditalien vorteilhaft gegenüberstellt. 7  So vor allem in populären Veröffentlichungen wie Rodolfo Lanciani: The Destruction of An­ cient Rome. A Sketch of the History of the Monuments. London/New York 1901 (ital. 1986), für den (S. 77) mit Theoderich „a ray of light“ gekommen ist: „A new era seemed to dawn with the

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gehend von den Kirchenbauten die Vorstellung einer neuen, päpstlich initiierten Urban­istik im Rom des 5. Jahrhunderts und damit die Idee einer dynamischen Neu­entwicklung vertrat, nahm eine bis zu den Ostgoten im Wesentlichen unge­ störte Stadtlandschaft an, die nach der byzantinischen Eroberung rasch in großen Teilen als disabitato aufgegeben worden sei. Eine auf wenige 10 000 Bewohner geschrumpfte Bevölkerung habe sich in der Folge auf das Marsfeld und den Be­ reich um das Forum Boarium sowie in die civitas Leonina bei St. Peter zurück­ gezogen.8 Hatten schon früher Detailuntersuchungen zu einzelnen Stadtvierteln Zweifel an diesem Bild geweckt,9 so haben die Ergebnisse der Stadtarchäologie seit den 1980er-Jahren dieses Bild grundlegend revidiert. Die Ausgrabungen an der Crypta Balbi auf dem südlichen Marsfeld zeigten erstmals den frühen Verfall innerstädti­ scher Bebauung,10 der mit dem Einsturz öffentlicher Gebäude schon im 5. Jahr­ hundert sogar die Verlegung älterer Straßenachsen mit sich bringen konnte. Die weiteren stadtarchäologischen Forschungen haben zu einer grundlegenden Neu­ bewertung des spätantiken Rom geführt: Einerseits wurde – in Einklang mit einer allgemeinen Neubewertung der Spätantike und einer Abkehr von Krisenmodellen bei deren Beschreibung – die hohe Qualität spätantiker Architektur nicht nur im Kirchenbau, sondern auch in der Wohnarchitektur – etwa in der Iunius-BassusBasilika oder den senatorischen domus auf dem Caelius – vor allem des 4. und frühen 5. Jahrhunderts hervorgehoben,11 und für die öffentlichen Plätze, beson­ accession of Theoderic, whose enlightened administration (500 [sic!] – 526) gave itself no little concern for the remains of Rome’s greatness.“ Ähnlich Léon Homo: De la Rome Païenne à la Rome Chrétienne. Paris 1950; Bertrand Lançon: Rome dans l’antiquité tardive. 312–604 après J.-C. Paris 1995 (engl. Übersetzung: Edinburgh 2000); zuletzt Federico Marazzi: L’ultima Roma antica. In: Andrea Giardina (Hg.): Roma antica. Rom/Bari 2000, S. 349–378 (engl. Übersetzung in: ders./Samuel J. B. Barnish [Hg.]: The Ostrogoths from the Migration Period to the Seventh Century. An Ethnographic Perspective. Woodbridge 2007, S. 279–302). Zu den Entwicklungen im 5. Jahrhundert vgl. Angelo di Berardino/Gianluca Pilara/Lucrezia Spera (Hg.): Roma e il sacco del 410. Realtà, interpretazione, mito. Rom 2012; Johannes Lipps/Carlos Machado/Philipp von Rum­ mel (Hg.): The Sack of Rome in 410 A.D. The Event, its Impact and its Context. Wiesbaden 2013.  8  Richard Krautheimer: Rom. Schicksal einer Stadt 312–1308. München 32004, S. 43–71.  9  So vor allem für den Caelius Antonio Maria Colini: Storia e topografia del Celio nell’antichità. Rom 1944 – mit dem Hinweis auf den Verfall aristokratischer domus schon im 5. Jahrhundert. 10  Daniele Manacorda: Archeologia urbana a Roma. Il progetto della Crypta Balbi. Florenz 1982; eine vorläufige Abschlusspublikation gibt ders.: Crypta Balbi. Archeologia e storia di un paesag­ gio urbano. Mailand 2001. Die Forschungen dauern an, vgl. zuletzt: Francesco Marco Paolo Car­ rera/Sara Colantonio/Mirella Serlorenzi: Crypta Balbi. Un panificio di età tardoantica. In: Bullet­ tino della Commissione Archeologica Comunale di Roma 117 (2016), S. 289–294. 11  So programmatisch im Katalog zu der Ausstellung Aurea Roma (Rom, 2000): Serena Ensoli/ Eugenio La Rocca (Hg.): Aurea Roma. Dalla città pagana alla città cristiana. Rom 2000. Eine Zusammen­fassung zur Entwicklung der Wohnarchitektur gibt Federico Guidobaldi: Le domus ­tardoantiche di Roma come „sensori“ delle trasformazioni culturali e sociali. In: William Vernon Harris (Hg.): The Transformations of Urbs Roma in Late Antiquity. Portsmouth 1999, S. 53–68; Jochen Griesbach: Domus und villae der Spätantike. Veränderte „Lebensräume“ in Rom und Umgebung. In: Nadin Burkhardt/Rudolf H. W. Stichel (Hg.): Die antike Stadt im Umbruch. Wiesbaden 2010, S. 55–70.

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ders für das Forum Romanum, betonten mehrere Gelehrte das ungebrochene Be­ mühen um deren Erhaltung, gerade von Seiten des Senatorenstandes.12 Andererseits hat die archäologische Erforschung der Stadt immer wieder Be­ funde zutage gebracht, die die Beobachtungen an der Crypta Balbi bestätigen.13 Auf dem Caelius hat sich an der Basilica Hilariana im Bereich des Ospedale Mili­ tare gezeigt, wie bereits im 5. Jahrhundert wohlhabende domus aufgegeben und von bescheideneren Werkstätten ersetzt wurden;14 auf dem Aventin sprechen die jüngsten Forschungen für einen weitgehenden Siedlungsabbruch (mit Ausnahme der Kirchen S. Prisca und S. Sabina) im 5. Jahrhundert, von dem nur eine Ölpresse auszunehmen ist, die bis ins 7. Jahrhundert hinein in Betrieb blieb, aber eine ganz neue Nutzung der ehemaligen Wohngebiete bezeugt.15 In Transtiberim markiert bereits das 4. Jahrhundert einen deutlichen Rückgang der Besiedlung;16 auch von den Wassermühlen am Gianicolo, die noch Prokop für die Zeit der Gotenkriege 12  So

etwa Franz Alto Bauer: Stadt, Platz und Denkmal in der Spätantike. Untersuchungen zur Ausstattung des öffentlichen Raums in den spätantiken Städten Rom, Konstantinopel und Ephe­ sos. Mainz 1996; ders.: Beatitudo Temporum. Die Gegenwart der Vergangenheit im Stadtbild des spätantiken Rom. In: ders./Norbert Zimmermann (Hg.): Epochenwandel? Kunst und Kultur zwischen Antike und Mittelalter. Mainz 2001, S. 75–94; jüngst Gregor Kalas: The Restoration of the Roman Forum in Late Antiquity. Transforming Public Space. Austin 2015. 13 Die wichtigste Zusammenfassung dieser Forschungen geben Roberto Meneghini/Riccardo Santangeli Valenzani: Roma nell’altomedioevo. Topografia e urbanistica della città dal V al X ­secolo. Rom 2004; vgl. ferner Maria Stella Arena u. a. (Hg.): Roma dall’antichità al medioevo. Archeologia e storia nel Museo Nazionale Romano Crypta Balbi. Mailand 2001 (nicht auf die Crypta Balbi beschränkt); Lidia Paroli/Laura Venditelli (Hg.): Roma dall’antichità al medioevo. Bd. 2: Contesti tardoantichi e altomedievali. Mailand 2004 mit Beiträgen zu jüngeren Grabungen und dem Überblick von Lidia Paroli: Roma dal V al IX secolo. Uno sguardo attraverso le strati­ grafie archeologiche. In: ebd., S. 11–40. Das jüngste Handbuch zur römischen Topographie von Andrea Carandini/Paolo Carafa (Hg.): Atlante di Roma antica. Mailand 2012 (engl. Übersetzung: The Atlas of Ancient Rome. Transl. by Andrew Campbell Halavais. Princeton 2017), setzt andere Schwerpunkte und ist für die Spätantike von uneinheitlicher Qualität, enthält jedoch die gelun­ gene, knappe Skizze von Riccardo Santangeli Valenzani: The End of the Ancient City. In: ebd., S. 116–121. Im Folgenden ist eine vollständige Dokumentation der archäologischen Befunde nicht beabsichtigt; vielmehr genügt es, auf die jüngeren, bei Meneghini/Santangeli Valenzani noch nicht behandelten Befunde einzugehen. Die knappe Skizze von Fauvinet-Ranson: Decor civitatis (wie Anm. 2), S. 227–244, hat die jüngeren Ausgrabungsergebnisse nur teilweise rezipieren können und dürfte ein zu optimistisches Bild der Verhältnisse zeichnen. 14 Zur Basilica Hilariana jüngst Paola Palazzo/Carlo Pavolini: Gli dèi propizi. La Basilica Hilari­ ana nel contesto dello scavo dell’Ospedale Militare Celio (1987–2000). Rom 2015, bes. S. 89–128. Vgl. zum Caelius insgesamt den neueren Überblick von Carlo Pavolini: Archeologia e topografia della regione II (Celio). Un aggiornamento sessant’anni dopo Colini. Rom 2006; vgl. zur Wohn­ architektur Carlo Pavolini: Il Caput Africae nella topografia antica e medievale. In: ders. (Hg.): Caput Africae. Bd. I. Rom 1994, S. 19–72, bes. S. 43–51. 15 Barbara Ciarrocchi/Marco Ricci: I materiali. Dati per l’elaborazione di un profilo storico dell’Aventino. In: Alessandra Capodiferro/Lisa Marie Mignone/Paola Quaranta (Hg.): Studi e Scavi sull’Aventino 2003–2015. Rom 2018, S. 171–184, bes. S. 176 f.; vgl. zur Ölpresse den Beitrag von Valeria Beolchini u. a.: Un contesto di VII secolo dall’Aventino. In: ebd., S. 544–568. 16  Paola Guerrini: Il Trastevere nella tarda antichità e nell’alto medioevo. Continuità e trasforma­ zioni dal IV all’VIII secolo. In: Letizia Pani Ermini: Trastevere. Un’analisi di lungo periodo. Convegno di Studi, Roma 13–14 marzo 2008. Rom 2010, S. 35–96.

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erwähnt,17 hatte ein Teil wohl bereits im 5. Jahrhundert seinen Betrieb eingestellt; die Zuleitung zu einer Wassermühle, die unter dem Parkplatz der American Aca­ demy ergraben wurde, ist bereits um 400 verschlossen worden.18 Auch auf dem Marsfeld konnten die Beobachtungen an der Crypta Balbi um die benachbarten Zonen erweitert werden. Während eine jüngst untersuchte Bä­ ckerei an der Crypta Balbi bis in das 7. Jahrhundert hinein in Betrieb war,19 fan­ den sich am nahen Palazzo Venezia aristokratische domus aus dem 1. bis 4. Jahr­ hundert, deren Nutzung bereits im Laufe des 4. Jahrhunderts endete; Spuren deu­ ten auf eine Spoliierung hin. Wenig weiter östlich haben die Grabungen nördlich des Trajansforums dagegen für das Athenaeum eine Benutzung mindestens bis in das 5. Jahrhundert ergeben; die letzte Renovierung wohl im dritten Viertel des 5. Jahrhunderts ist inschriftlich datiert.20 An anderer Stelle auf dem Marsfeld ­lassen sich in den Thermen des Agrippa Reparaturen nur bis in die 340er-Jahre beobachten,21 während unmittelbar nördlich an der Piazza rotonda die Renovie­ rung eines unbekannten Komplexes, vielleicht einer großen Stallung, durch eine neugefundene Inschrift des Stadtpräfekten Rufius Valerius Messala belegt ist.22 17 Procopius,

Bella 5, 19, der das Funktionieren der Mühlen bis zur Belagerung 537 voraussetzt; vgl. Cassiodorus, Variae 11, 39, 2, wo nur vage von illa numerositas molarum die Rede ist, was kein Beleg für das Funktionieren der Wassermühlen ist. 18  Andrew Wilson: The Water-Mills on the Janiculum. In: Memoirs of the American Academy in Rome 45 (2000), S. 219–246. Optimistischer war noch die Einschätzung von Malcolm Bell: An Imperial Flour Mill on the Janiculum. In: Le ravitaillement en blé de Rome et des centres urbains des débuts de la république jusqu’au haut empire. Actes du colloque international Naples 14–16 Février 1991. Neapel/Rom 1994, S. 73–88, bes. S. 84, der aber auch eine Aufgabe im Laufe des 5. Jahrhunderts annimmt. Für ein früheres Ende zumindest eines größeren Teils der Wassermüh­ len am Gianicolo könnten auch die Hinweise auf eine Einrichtung neuer Mühlen am Nordrand des Palatins, wohl noch im 4. Jahrhundert, sprechen, die Andrew Wilson: Late Antique WaterMills On The Palatine. In: Papers of the British School at Rome 71 (2003), S. 85–109, vorgelegt hat; allerdings ist deren Datierung noch ungesichert, auch ein früheres Datum denkbar: Henry Hurst: The Scalae (ex-Graecae) above the Nova Via. In: Papers of the British School at Rome 74 (2006), S. 237–291, bes. S. 288 f. 19  Francesco Marco Paolo Carrera/Sara Colantonio/Mirella Serlorenzi: Crypta Balbi. Un panifi­ cio di età tardoantica. In: Bullettino della Commissione Archeologica Comunale di Roma 117 (2016), S. 289–294. 20  Mirella Serlorenzi: L’area dell’Athenaeum in età medievale e moderna. In: Bollettino di Archeo­ logia online 4 (2013), S. 72–95; die Datierung beruht auf zwei Inschriftenfunden: Silvia Orlandi: Le testimonianze epigrafiche. In: ebd., S. 45–59 (= AE 2011, 136); online zugänglich unter: https:// bollettinodiarcheologiaonline.beniculturali.it/wp-content/uploads/2018/12/2013_2-3-4_Orlandi. pdf (letzter Zugriff am 30. 7. 2020). 21  So Federico Guidobaldi/Giuseppe Conte: La parte centrale delle terme di Agrippa nel Campo Marzio. Una totale o parziale ricostruzione a fundamentis in età tardo-costantiniana. In: Rivista di archeologia cristiana 87/88 (2011/2012), S. 175–207, mit Blick auf CIL VI 1165; Alessandro Blanco: I bolli laterizi delle Terme di Agrippa: nuove acquisizioni. In: Fedora Filippi (Hg.): Cam­ po Marzio. Nuove ricerche. Seminario di studi. Rom 2016, S. 137–142, weist darauf hin, dass die spätesten datierbaren Ziegel aus der Zeit des Maxentius stammen. Noch Sidonius Appolinaris, Carmina 23, 495–499, nennt die Agrippathermen als möglichen Ort des Badevergnügens. 22  Silvia Orlandi/Silvio Panciera/Paola Virgili: Attività edilizia monumentale nel centro di Roma nel V sec. d. C. A proposito di una nuova iscrizione del prefetto urbano Rufius Valerius Messala. In: Massimiliano Ghilardi/Christophe J. Goddard/Pierfrancesco Porena (Hg.): Les cités de l’Italie tardo-antique. Rom 2006, S. 123–136 (AE 2006, 187).

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Die Kirche von S. Lorenzo in Lucina scheint im 5. Jahrhundert auf einem Ge­ bäude errichtet worden zu sein, das im 4. Jahrhundert aufgegeben worden war;23 für den Tempel der Matidia nördlich des largo Argentina ist eine Aufgabe und Spoliierung im 5. Jahrhundert nachgewiesen.24 Das Weichbild der Stadt war also zur Zeit Theoderichs schon seit längerer Zeit von einer Isolierung einzelner Quartiere geprägt, die sich zwischen aufgegebenen, häufig der Spoliierung freigegebenen Bereichen befanden25 und sich sukzessive zu separaten Siedlungskernen entwickelten.26 Mit diesem Prozess ging die Einrich­ tung intramuraler Begräbnisstätten einher.27 Diese Entwicklung ist bislang nur in Umrissen zu erkennen: Bis in das 6. Jahrhundert hinein blieben innerstädtische Bestattungen auf wenige Ausnahmen beschränkt. Jüngere Forschungen zu den Trajansthermen und dem Palatin deuten darauf hin, dass an einzelnen Orten auf ad hoc und wohl in Notsituationen vorgenommene Begräbnisse durchaus wieder 23 

Maria Iride Pasquali: La chiesa di S. Lorenzo in Lucina nel Campo Marzio Settentrionale: scavo archeologico del 1985 e brevi considerazioni sulla topografia antica della zona. In: Olof Brandt (Hg.): San Lorenzo in Lucina. The Transformation of a Roman Quarter. Stockholm 2012, S. 17–47. 24  Fedora Filippi/Francesca Dell’Era: Il complesso di Matidia. I nuovi dati archeologici. Rappor­ to preliminare degli scavi (2005/2013). In: Fedora Filippi (Hg.): Campo Marzio. Nuove ricerche. Seminario di studi. Rom 2016, S. 219–239. Lucrezia Spera: Trasformazioni e riassetti del tessuto urbano nel Campo Marzio centrale tra tarda antichità e medioevo. In: Mélanges de l’École fran­ çaise de Rome. Moyen Âge 126 (2014) 1, S. 47–74, möchte diese Befunde mit dem von ihr be­ obachteten Fortbestand der Großbauten auf dem Marsfeld verbinden, die sie in einem Muster von „macromaglie“ sieht, zwischen denen die städtische Bebauung in Auflösung ist. Für das von ihr näher diskutierte Domitiansstadium und die Crypta Balbi erkennt sie jedoch ebenso Spoliie­ rung und Umnutzung ab dem späten 4. oder frühen 5. Jahrhundert. Das Urteil von Maria Teresa d’Alessio: Region IX. Circus Flaminius. In: Carandini/Carafa (Hg.): Atlas of Ancient Rome (wie Anm. 13), S. 493–541, S. 525: „most of the public buildings were abandoned in the fourth century AD, even in the Campus Martius“, erscheint folglich überpointiert, dürfte den Zustand des Mars­ feldes aber insgesamt treffen. 25  Ähnlich Bryan Ward-Perkins: Old and New Rome Compared. The Rise of Constantinople. In: Lucy Grig/Gavin Kelly (Hg.): Two Romes. From Rome to Constantinople. Oxford/New York 2012, S. 53–78, hier: S. 66–71. Unklar bleibt dabei, wie Santangeli Valenzani: End of the ­Ancient City (wie Anm. 13), S. 117, hervorgehoben hat, inwieweit hölzerne Einbauten in älteren Wohnbauten, die der archäologische Befund nicht abbildet, das Bild verzerren; solche Einbauten sind bereits im 4. Jahrhundert Gegenstand der kaiserlichen Gesetzgebung (so in Codex Theodosi­ anus 14, 14, 1 aus dem Jahr 397; vgl. Ammianus Marcellinus, Res gestae 27, 9, 10 unter den Maß­ nahmen des Praetextatus als Stadtpräfekt). 26  Die Bedeutung dieser Entwicklung für die Sakraltopographie hat Steffen Diefenbach: Römi­ sche Erinnerungsräume. Heiligenmemoria und kollektive Identitäten im Rom des 3. bis 5. Jahr­ hunderts n. Chr. Berlin/New York 2007, S. 404–487, unterstrichen; vgl. bereits J. H. Wolfgang G. Liebeschuetz: Decline and Fall of the Roman City. Oxford 2001, S. 373 f. 27  Eine jüngere Skizze bietet Daniele Manacorda: The Necropoleis. In: Carandini/Carafa (Hg.): Atlas of Ancient Rome (wie Anm. 13), S. 101–107; die wichtigste Zusammenstellung hat Roberto Meneghini: Sepolture urbane. In: ders./Santangeli Valenzani: Roma nell’altomedioevo (wie Anm. 13), S. 103–125 gegeben: Von 85 Belegen stammen vier sicher aus dem 5. Jahrhundert, weite­ re sieben könnten in das 5. Jahrhundert datieren. Meneghini vermutet (S. 125–127), die frühen Be­ stattungen seien sämtlich auf Notsituationen zurückzuführen, erst ab dem späteren 6. Jahrhun­ dert seien innerstädtische Nekropolen angelegt worden; vgl. auch ders: Le vicende del 408–410 e la comparsa delle sepolture urbane a Roma. In: Lipps/Machado/von Rummel (Hg.): Sack of Rome (wie Anm. 7), S. 403–410.

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eine Rückkehr zur früheren Nutzung folgen konnte. Nach einzelnen, provisorisch eingerichteten Begräbnisplätzen, die teilweise wieder eingeebnet wurden,28 kam es wohl erst nach der Mitte des sechsten Jahrhunderts zur permanenten Einrichtung intramuraler Nekropolen, die die außerstädtischen Begräbnisplätze ablösten.29 Die Gotenkriege, die bereits Osborne für diese Veränderungen im Stadtbild verant­ wortlich gemacht hat,30 müssen auch den neueren Forschungen zufolge weiterhin als die entscheidende Zäsur in einem längeren Prozess gesehen werden, auf den freilich bereits Theoderich meinte reagieren zu müssen.31 Für eine sichere Rekon­ struktion dieser Entwicklung fehlen gegenwärtig aber noch aus­reichend dokumen­ tierte und datierte Funde. Dazwischen scheinen mit Wasserversorgung32 und Stadtmauern33 die vitalen Elemente der Infrastruktur intakt geblieben und regelmäßig gepflegt worden zu sein. Die Paläste auf dem Palatin, deren Nutzung noch beim Aufenthalt Theode­ richs im Jahr 500 überliefert ist, zeigen schließlich ein ähnliches Bild.34 Nach letz­ 28  So

vor allem die Begräbnise am Colosseum, wo bereits im 5. Jahrhundert eine Nekropole ein­ gerichtet wurde (vgl. Rosella Rea/Rossana Martorelli: Roma. L’uso funerario della valle del Co­ losseo tra tardoantico e alto medioevo. In: Archeologia Medievale 20 [1993], S. 645–658; Rossella Rea: L’assedio di Alarico. Inizio dell’uso sepolcrale della valle. In: Rota Colisei. La valle del Co­ losseo attraverso i secoli. Hg. von Rossella Rea. Mailand 2002, S. 85–112), und an den Trajansther­ men. Francesca Carboni: Le sepolture tardo antiche nelle Terme di Traiano. In: Bullettino della Commissione Archeologica Comunale di Roma 111 (2010), S. 328–334, S. 332, hat darauf hin­ gewiesen, dass sich hier die letzten Restaurierungsarbeiten des Jahres 467 (CIL VI 1670 = 31889), die Aufstellung von Statuen und Bestattungen unmittelbar vor der nordöstlichen Exedra, zeitlich überschnitten; erst ab dem späten 6. Jahrhundert ist dann eine dauernde Nutzung als Nekropole nachweisbar. Von diesen Beispielen zu trennen sind einzelne Bestattungen, zumeist von Kindern, im Stadtgebiet. 29  So auf dem Palatin, vgl. Ulrike Wulf-Rheidt: Die schwierige Frage der Nutzung des Römi­ schen Kaiserpalastes auf dem Palatin in Rom in der Spätantike. In: AntTard 25 (2017), S. 127–148; vgl. zum Nordosten des Palatins Eric Hostetter/J. Rasmus Brandt: Summary and Future Study. In: dies. (Hg.): Palatine East Excavations. Bd. 1: Stratigraphy and Architecture. Rom 2009, S. 251– 255. Zu dem Phänomen im spätantiken Rom vgl. ferner Marios Costambeys: Burial Topography and the Power of the Church in Fifth- and Sixth-Century Rome. In: Papers of the British School at Rome 69 (2001), S. 169–189; zu Italien insgesamt vgl. Neil Christie: From Constantine to Charle­ magne. An Archaeology of Italy AD 300–800. Aldershot 2006, S. 252–259. 30  John Osborne: Death and Burial in Sixth Century Rome. In: Classical Views. Les Échos du Monde classique 28 (1984) 2, S. 291–299. 31  Edictum Theoderici 111. 32  Vgl. Robert Coates-Stephens: The Water-Supply of Rome from Late Antiquity to the Early Middle Ages. In: Acta ad archaeologiam et artium historiam pertinentia 17 (2003), S. 165–186; ders.: Gli impianti ad acqua e la rete idrica urbana. In: Mededelingen van het Nederlands Insti­ tuut te Rome 60/61 (2004), S. 135–153. 33 Grundlegend jetzt Hendrik W. Dey: The Aurelian Wall and the Refashioning of Imperial Rome. AD 271–855. Cambridge 2011; Reparaturen des 5. Jahrhunderts sind an den Mauern je­ doch kaum archäologisch zu fassen, für die nach dem Ausbau unter Honorius erst wieder eine Phase in ostgotischer Zeit nachweisbar ist (dazu s. u.). 34  Wulf-Rheidt: Schwierige Frage der Nutzung (wie Anm. 29). Bereits Andrea Augenti: Il Palatino nel medioevo. Archeologia e topografia (Secoli VI–XIII). Rom 1996, weist (S. 117 f.) auf diese „destrutturazione“ hin. An der Vigna Barberini beobachtet Manuel Royo: Le Palatin entre le IIe et le VIe siècle apr. J.-C.: Évolution topographique. In: Révue Archéologique (2001), S. 37–92, bes.

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ten Umbauten am Anfang des 4. Jahrhunderts lassen sich nur noch Einbauten im Hippodrom nachweisen, bei denen wohl ein kleines Amphitheater im Palast ein­ gerichtet wurde; andere Bereiche des Palastes, etwa die domus Tiberiana oder der Bereich im Nordosten des Palatin, dürften im 5. Jahrhundert bereits aufgegeben gewesen sein, worauf auch die erwähnten Bestattungen zu deuten scheinen.35 Gleichzeitig wurde auf dem Pincio ein neuer, kleinerer Palast errichtet,36 der wohl seit Honorius Residenz der Kaiser in Rom war, bis er Ende des 5. Jahrhunderts aufgegeben wurde und einstürzte. Für das Forum Romanum und die Kaiserfora zeigt sich ein überaus uneinheit­ liches Bild.37 Für das Forum Romanum geht man wohl zu Recht auch für das 5. Jahrhundert von einer fortgesetzten Pflege des verehrungswürdigen Zentrums der Stadt aus.38 Die Basilica Aemilia galt dabei lange als ein Beispiel, das auch die Grenzen dieser Pflege aufzeigte, denn nach einem Brand wurde die Halle nicht wieder vollständig aufgebaut, sondern der Schaden lediglich weitgehend kaschiert. Nun hat allerdings jüngst Johannes Lipps die bisherige Datierung dieser Zerstö­ rungen auf die Eroberung Alarichs in Zweifel gezogen und sie stattdessen mit dem

S. 42–53, eine Spoliierung der Bauten bereits Ende des 4. Jahrhunderts (!), danach die Anlage von Gräbern im 5./6. Jahrhundert, dann aber eine Neuanlage von Gärten wohl des byzantinischen Palastes. Unterhalb der Vigna ergibt der Bereich an der meta sudans ein ähnliches Bild: Giacomo Pardini: Le Curiae Veteres sul Palatino nord-orientale: nuove acquisizioni tra repubblica e tardo impero. In: Scienze dell’antichità 22 (2016) 1, S. 111–143, beobachtet ab der Mitte des 5. Jahrhun­ derts eine Aufgabe der Wohnbauten und die Spoliierung durch Werkstätten, die neu eingerichtet werden; zu den benachbarten curiae veteres, wo die Keramik um 475 abbricht; vgl. Marta Casalini: Pendici nord-orientali del Palatino. Contesti ceramici tardoantichi a confronto. In: Clementina Panella/Lucia Saguì (Hg.): Materiali e contesti. Bd. 2: Valle del Colosseo e pendici nord-orientali del Palatino. Rom 2013, S. 163–288. Zur Domus Tiberiana vgl. ferner Massimiliano Munzi u. a.: Domus Tiberiana. In: Paroli/Venditelli (Hg.): Roma dall’antichità al medioevo (wie Anm. 13), S. 91–161. 35  Riccardo Santangeli Valenzani: Il Palatino. In: ders./Meneghini: Roma nell’alto­medioevo (wie Anm. 13), S. 207–211; Wulf-Rheidt: Schwierige Frage der Nutzung (wie Anm. 29). 36  Die Ergebnisse der Ausgrabungen fassen zusammen Vincent Jolivet/Claire Sotinel: Die Do­ mus Pinciana. Eine kaiserliche Residenz in Rom. In: Therese Fuhrer (Hg.): Rom und Mailand in der Spätantike. Berlin/New York 2011, S. 137–160; Mark Humphries: Valentinian III and the City of Rome (425–455). Patronage, Politics, Power. In: Lucy Grig/Gavin Kelly (Hg.): Two Romes. From Rome to Constantinople. Oxford/New York 2012, S. 161–182, hier: S. 174, bringt dagegen die Möglichkeit einer Erbauung unter Valentinian III. ins Spiel. 37  Grundlegend bleibt Cairoli Fulvio Giuliani/Patrizia Verducchi: L’area centrale del Foro Ro­ mano. Florenz 1987; die jüngste Zusammenfassung gibt Roberto Meneghini: Il Foro Romano e i Fori Imperiali. In: ders./Santangeli Valenzani: Roma nell’altomedioevo (wie Anm. 13), S. 157–188, der (S. 157) zu der Feststellung kommt, dass „durante il regno di Teoderico, il Foro Romano era sempre lo splendido centro della città“, weil noch keine Kirchen errichtet worden seien und nur der nördliche Abschnitt 410 Schaden genommen habe; die genauere Entwicklung des 5. Jahrhun­ derts übergeht er. Die Restaurierungsmaßnahmen des 5. Jahrhunderts bespricht eingehend Kalas: Restoration of the Roman Forum (wie Anm. 12). 38  Dieses Bild, communis opinio seit dem späten 19. Jahrhundert, wurde in jüngerer Zeit beson­ ders überzeugend vertreten von Bauer: Stadt, Platz und Denkmal (wie Anm. 12) sowie von Kalas: Restoration of the Roman Forum (wie Anm. 12).

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Brand unter Carinus im Jahr 283 in Verbindung gebracht.39 Über diese – nicht ein­ deutig datierten – Instandsetzungsarbeiten hinaus wurden auf dem Forum Roma­ num im 5. Jahrhundert lediglich kleinere Renovierungsarbeiten vorgenommen;40 bei Durchsicht des von Bauer gesammelten epigraphischen Materials fällt auf, dass wiederholt Stadtpräfekten sich der (Wieder-)Aufstellung von Statuen rühmten,41 größere Eingriffe auf dem Forum aber nicht mehr stattfanden, bis im Jahr 491 der Stadtpräfekt Valerius Florianus das Atrium libertatis an der Curia renovierte.42 Für die Kaiserfora haben die Grabungen der letzten Jahre unsere Kenntnisse beträchtlich erweitert.43 So war das Forum Pacis, für das lange eine Kontinuität bis in das 6. Jahrhundert vermutet wurde,44 bereits seit dem 4. Jahrhundert als ­Forumsanlage aufgegeben und diente wohl nach dem Bau der Maxentiusbasilika als Lagerstätte anstelle der alten Horrea piperataria.45 Auf dem Caesarforum, das 39  Johannes

Lipps: Alarichs Goten auf dem Forum Romanum? Überlegungen zu Gestalt, Chro­ nologie und Verständnis der spätantiken Platzanlage. In: ders./Machado/von Rummel (Hg.): Sack of Rome (wie Anm. 7), S. 103–122. Dagegen bleiben Klaus Stefan Freyberger/Christine Ertel (Hg.): Die Basilica Aemilia auf dem Forum Romanum in Rom. Bauphasen, Rekonstruktion, Funktion und Bedeutung. Wiesbaden 2016, S. 125, bei der traditionellen Datierung. 40 Die Datierung der sogenannten Rostra Vandalica auf der Grundlage von CIL VI 32005 ist überzeugend revidiert und in die tetrarchische Zeit gesetzt worden von Giuliani/Verducchi: Area centrale (wie Anm. 37), S. 46, S. 70–73, sowie Paolo Liverani: Osservazioni sui rostri del Foro ­Romano in età tardoantica. In: Anna Leone/Domenico Palombi/Susan Walker (Hg.): Res Bene Gestae. Richerche di storia urbana su Roma antica in onore di Eva Margareta Steinby. Rom 2007, S. 169–193; vorsichtig zustimmend auch Bauer: Stadt, Platz und Denkmal (wie Anm. 12), S. 24 f. Anders Dirk Henning: CIL VI 32005 und die „Rostra Vandalica“. In: ZPE 110 (1996), S. 259–264. Am gegenüberliegenden Ende des Forums zeigt der Bereich des lacus Iuturnae bereits im 4. Jahr­ hundert keine erkennbaren Bauaktivitäten mehr bis zur Einrichtung des Oratoriums der 40 Mär­ tyrer im 6. Jahrhundert, sodass die Ausgräber für die Spätantike von den „secoli bui“ sprechen: Eva Margareta Steinby (Hg.): Lacus Iuturnae II: Saggi degli anni 1982–85. Rom 2012, S. 89–100. 41  Das Material sammelt und diskutiert Bauer: Beatitudo Temporum (wie Anm. 12), S. 75–94; vgl. auch Lucrezia Spera: La realtà archeologica. Restauro degli edifici pubblici e riassetto urbano dopo il sacco. In: dies./di Berardino/Pilara (Hg.): Roma e il sacco del 410 (wie Anm. 7), S. 113– 155; Silvia Orlandi: Le tracce del passaggio di Alarico nelle fonti epigrafiche. In: Lipps/Machado/ von Rummel (Hg.): Sack of Rome (wie Anm. 7), S. 335–352. 42  CIL VI 1794 = 31933 = 40807. 43  Nützliche Zusammenstellungen gibt Roberto Meneghini: Gli scavi dei Fori Imperiali. Bilancio di un ventennio di indagini (1986–2008). In: Studi Romani 56 (2008), S. 64–108; ders: Le trasfor­ mazioni dei Fori Imperiali nella tarda antichità. In: Bullettino della Commissione Archeologica Comunale di Roma 109 (2008), S. 145–160; Roberto Meneghini/Riccardo Santangeli Valenzani: I Fori Imperiali. Gli scavi del Comune di Roma (1991–2007). Rom 2007, bes. S. 115–125. 44  So zuletzt noch Roberto Meneghini/Riccardo Santangeli Valenzani: Episodi di trasformazione del paesaggio urbano nella Roma altomedievale attraverso l’analisi di due contesti. Un isolato in piazza dei Cinquecento e l’area dei Fori Imperiali. In: Archeologia Medievale 23 (1996), S. 53–99, hier: S. 93. 45 Silvana Rizzo: Indagini nei fori Imperiali. Oroidrografia, foro di Cesare, foro di Augusto, templum Pacis. In: Römische Mitteilungen 108 (2001), S. 215–244, bes. S. 241 f.; Riccardo Santan­ geli Valenzani: I fori Imperiali nel Medioevo. In: Römische Mitteilungen 108 (2001), S. 269–283. Es ist umso bemerkenswerter, dass die berühmte Schilderung von Procopius, Bella 8, 21, 11–14, die doch auf Autopsie beruhen soll, von diesen Veränderungen nichts weiß. Zum spätantiken Umbau der großen Aula vgl. Pier Luigi Tucci: The Temple of the Peace in Rome. Cambridge 2017, S. 557–626.

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Anfang des 4. Jahrhunderts größere Umbauten erfahren hatte und auf das noch Anfang des 5. Jahrhunderts Statuen versetzt wurden,46 begann die Spoliierung wohl in der Mitte des 5. Jahrhunderts, als eine Werkstatt mit Schmelzofen in einer der tabernae der Portiken eingerichtet wurde47 – auch wenn der genaue Umfang dieser Umnutzung noch unklar ist.48 Das Augustusforum wurde wohl erst unter Theoderich aufgelassen und spoliiert,49 möglicherweise eine der Apsiden dem ­Decius Albinus zur Nutzung überlassen.50 Für das Trajansforum, auf dem die letzte Ehrenstatue für einen Stadtpräfekten im Jahr 441 errichtet wurde,51 hat die Spoliierung seiner Pflasterung jede Stratigraphie zerstört, sodass seine Gestalt im 5. Jahrhundert unklar bleibt;52 immerhin kann man aufgrund seiner besonderen Bedeutung für die Selbstdarstellung römischer Kaiser und als Ort der Ehrungen von Senatoren vermuten, dass man seinen Unterhalt sicherstellte; seine Erwäh­ nung bei Cassiodor mag dafür sprechen.53 Einzig am Forum Transitorium lässt sich eine fortgesetzte Pflege der Anlage, die im 5. Jahrhundert noch einmal neu gepflastert wurde, bis in das 6. Jahrhundert beobachten.54 Dieser Umstand – dem keine besondere Wertschätzung des Nervaforums in den literarischen Quellen ge­ genübersteht – dürfte sich aus der gewachsenen Bedeutung des Forum Transitorium 46  Antonella Corsaro u. a.: Nuovi dati archeologici per la storia del Foro di Cesare tra la fine del IV e la metà del V secolo. In: Lipps/Machado/von Rummel (Hg.): Sack of Rome (wie Anm. 7), S. 123–136, hier: S. 123, Anm. 4. 47 Ebd., bes. S.  130; den Zusammenhang der Werkstatt mit dem Recycling von Metall der Forums­anlage stellt Santangeli Valenzani in: I Fori Imperiali (wie Anm. 43), S. 121 f., her. 48 Corsaro u. a.: Nuovi dati (wie Anm. 46), S. 131, gehen davon aus, dass es sich nur um eine ­beschränkte Umnutzung einzelner tabernae gehandelt habe, während der restliche Forumsplatz weiter genutzt worden sei; Santangeli Valenzani: End of the Ancient City (wie Anm. 13), S. 117 f., hebt dagegen die Umstrukturierung eines öffentlichen Platzes und die Spoliierung seiner Metall­ bestände hervor. 49  Vincent Cousì/Fabrizio Felici: Dall’ Alto Medioevo al XVI secolo: Le spoliazioni. In: Roberto Meneghini/Riccardo Santangeli Valenzani (Hg.): Scavi dei Fori Imperiali. Foro di Augusto – L’Area Centrale. Rom 2010, S. 143–148. Allerdings beruht die Datierung dieser Spoliierungen ­bisher allein auf der Interpretation der Inschrift AE 1996, 244 auf einer der Säulen des Augustus­ forums in der Erstpublikation von Meneghini/Santangeli Valenzani: Episodi di trasformazione (wie Anm. 44), S. 78–80. 50 Cassiodorus, Variae 4, 30. 51  CIL VI 1725. Zu diesen Ehrungen siehe Heike Niquet: Monumenta virtutum titulique. Sena­ toren im spätantiken Rom im Spiegel epigraphischer Denkmäler. Stuttgart 2000, S. 19 f., S. 232 mit Anm. 104; Robert Chenault: Statues of Senators in the Forum of Trajan and the Roman Forum in Late Antiquity. In: JRS 102 (2012), S. 103–132; Bauer: Stadt, Platz und Denkmal (wie Anm. 12), S. 93–97. 52 Roberto Meneghini: Il foro di Traiano nel Medioevo. In: Mélanges de l’École française de Rome. Moyen Âge 113 (2001) 1, S. 149–172. 53 Cassiodorus, Variae 7, 6, wo das Trajansforum als bewundernswertes Bauwerk im Ernen­ nungsschreiben für den comes formarum genannt wird, um zu verdeutlichen, dass die Bedeutung der Wasserleitungen diejenige selbst der großartigsten Monumente Roms übersteige. 54  Santangeli Valenzani in: I Fori Imperiali (wie Anm. 43), S. 122; zur Pflasterung vgl. Meneghini/ Santangeli Valenzani: Episodi di trasformazione (wie Anm. 44), S. 91–93, und die Grabungspubli­ kation von Chiara Morselli/Edoardo Tortorici (Hg.): Curia, Forum Iulium, Forum Transitorium. Rom 1989.

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seit der Neugestaltung des Forum Romanum in tetrarchischer Zeit erklären, das sich nun auf das Forum Transitorium hin ausrichtete. Neben diesen ästhetischen Aspekten spielte wohl auch die Verkehrsgeographie eine Rolle, war das Forum Transitorium doch einer der wichtigsten Zugänge zum Forum Romanum.55 Es stellt sich damit die Frage nach der Reaktion der Zeitgenossen auf diese Ver­ änderungen. Géza Alföldy hat darauf hingewiesen, dass der zu beobachtende Ver­ fall in den spätantiken Inschriften Roms keineswegs unerwähnt bleibt, vielmehr weit über das bis dahin übliche Maß hinaus – ebenso wie andere Probleme – he­ rausgestellt wird.56 Allerdings sind die in Inschriften überlieferten Klagen nicht, wie an anderer Stelle darzulegen war, auf ein antiquarisches Bemühen um das alte Rom zurückzuführen; 57 im Gegenteil scheinen weder die Kaiser noch der römi­ sche Senatorenstand bis in das 5. Jahrhundert hinein die Vorstellung von einer historischen Stadtlandschaft kultiviert zu haben, deren Schutz sie besonderes ­ ­Gewicht beigemessen hätten.58 Diese Haltung schlug sich auch in der Baupolitik ­nieder. Besonders deutlich ist dieser Umstand für die Kaiser zu erkennen, die ab den 440er-Jahren wieder zumeist in Rom residierten.59 Ihre Bau- und Stiftungs­ tätigkeit konzentrierte sich nun auf Kirchenstiftungen oder kaiserliche Mausoleen wie das Mausoleum des Honorius.60 Eine besondere Sorge um die Stadt Rom ist 55 

Cairoli Fulvio Giuliani/Patrizia Verducchi: L’area centrale del Foro Romano. Florenz 1987. Alföldy: Difficillima tempora. Urban Life, Inscriptions and Mentality in Late Antique Rome. In: Thomas S. Burns/John W. Eadie (Hg.): Urban Centers and Rural Contexts in Late Antiquity. East Lansing 2001, S. 3–24, bes. S. 11 f.; dass diesen Problemen dann aber die Vor­ stellung der aeternitas Roms gegenübergestellt wird, hebt er (S. 13) hervor. Zur Erwähnung von Niedergang und von Ruinen in früheren Inschriften vgl. Edmund Thomas/Christian Witschel: Constructing Reconstruction. Claim and Reality of Roman Rebuilding Inscriptions from the ­Latin West. In: Papers of the British School at Rome 60 (1992), S. 135–177 (mit den Ergänzungen von Garrett G. Fagan: The Reliability of Roman Rebuilding Inscriptions. In: Papers of the ­British School at Rome 64 [1996], S. 81–93). 57  So etwa Bauer: Stadt, Platz und Denkmal (wie Anm. 12), S. 93–97; ders.: Beatitudo Temporum (wie Anm. 12). 58  Ralf Behrwald: Die Stadt als Museum? Die Wahrnehmung der Monumente Roms in der Spät­ antike. Berlin 2009, bes. S. 97–128, S. 182 f. 59 Andrew Gillett: Rome, Ravenna and the Last Western Emperors. In: Papers of the British School at Rome 69 (2001), S. 131–167. 60  Eine knappe Skizze dieser Baupolitik gibt Manuela Gianandrea: La „riscoperta“ di Roma nel patronato artistico imperiale di V secolo. In: dies./Francesco Gangemi/Carlo Costantini (Hg.): Il potere dell’arte nel medioevo. Studi in onore di Mario Onofrio. Rom 2014, S. 497–511, engl. Übersetzung in: dies./Ivan Foletti (Hg.): The Fifth Century in Rome. Rom 2017, S. 243–254. Vgl. Mark Humphries: Valentinian III and the City of Rome (425–455). Patronage, Politics, Power. In: Lucy Grig/Gavin Kelly (Hg.): Two Romes. From Rome to Constantinople. Oxford/New York 2012, S. 161–182; Meaghan McEvoy: Rome and the Transformation of the Imperial Office in the Late Fourth-Mid-Fifth Centuries AD. In: Papers of the British School at Rome 78 (2010), S. 151– 192, darin: The Mausoleum of Honorius, S. 178–185. Zum Mausoleum: Fabrizio Paolucci: La tomba dell’imperatrice Maria e altre sepolture di rango in età tardoantica a San Pietro. In: Tempo­ ris signa. Archeologia della tarda antichità e del medioevo 3 (2008), S. 225–252; Meaghan McEvoy: The Mausoleum of Honorius. Late Roman Imperial Christianity and the City of Rome in the Fifth Century. In: Rosamond McKitterick u. a. (Hg.): Old Saint Peter’s. Cambridge 2013, S. 119– 136. 56  Géza

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darüber hinaus allenfalls in einer Gesetzgebung zu erkennen, die sich der Spoliie­ rung von Gebäuden entgegenstellte – und dies aus ästhetischen Motiven heraus, die bereits in der Kaiserzeit zu entsprechenden Regelungen geführt hatten. Erst im Jahr 458 hat Valentinian III. in einem Gesetz, das die Spoliierung öffentlicher Gebäude untersagte, angeprangert, dass antiquarum aedium dissipatur speciosa constructio et ut parvum aliquid reparetur, magna diruuntur61. Doch auch wenn sich hier eine besondere Wertschätzung alter Gebäude manifestieren mag, steht für den Kaiser doch anderes im Vordergrund: der Romanae civitatis ornatus, der in den öffentlichen Gebäuden bestehe, und der Schutz von Gebäuden, die propter usum vel amoenitatem publicam errichtet worden waren. Weniger deren Alter – und überhaupt nicht eine besondere Eigenschaft als historische Monumente – als vielmehr deren überlegene Qualität kommt denn auch im Gegensatz von parvum aliquid und magna zum Ausdruck. Noch deutlicher ist der Befund für den Senatorenstand. Denn wenn spätantike Restaurierungsinschriften als Beleg für eine besondere Sorge der Senatoren um ihre Stadt interpretiert werden,62 dann geht diese Einschätzung nicht nur an den Gepflogenheiten der Kaiserzeit vorbei, in der über dreihundert Jahre die Kaiser ein faktisches Baumonopol in Rom besessen hatten. Sie übersieht auch den Um­ stand, dass bis zu den Restaurierungsarbeiten im Colosseum, die Marius Venan­ tius Basilius unter Odoaker oder unter Theoderich sumptu proprio durchführen ließ,63 die private Finanzierung öffentlicher Bauvorhaben durch Senatoren in Rom nicht belegt ist. Gerade eine in diesem Zusammenhang oft genannte Inschrift, die wohl im Jahr 472 den Stadtpräfekten Petronius Quadratianus dafür rühmt, dass er die Konstantinsthermen deputato ab amplissimo ordine parvo | sumptu quantum publicae patiebantur angustiae ab extremo | vindicavit occasu et provisione largis­ sima in pristinam | faciem splendoremque restituit, illustriert den Sachverhalt tref­ fend: Die Gelder waren vom Senat bereitzustellen, der sich in dieser Zeit in be­ sonderen angustiae befand. Es lag Quadratianus fern, als großzügiger Stifter über diesen Umstand hinwegzugehen.64 Ganz ähnlich verhält es sich mit Stiftungen an die Kirche: Eine Analyse der epigraphisch überlieferten Stiftungen zeigt, dass An­ gehörige des Senatorenstandes – in bemerkenswertem Gegensatz zu Angehörigen des Kaiserhauses – kaum je als Stifter belegt sind.65

61  Novellae Maioriani, 4. Es geht deshalb wohl auch an der Sache vorbei, wenn Neil Christie: Lost Glories? Rome at the End of the Empire. In: Jon Coulston/Hazel Dodge (Hg.): Ancient Rome. The Archaeology of the Eternal City. Oxford 2000, S. 306–331, hier: S. 314, in diesem Text ein „ideological desire to maintain the past“ erkennen will. 62  Vgl. die Angaben bei Behrwald: Stadt als Museum (wie Anm. 58), S. 132–134. 63  CIL VI 1716a–c = 32094a–c. 64  CIL VI 1750 = 31920; vgl. Behrwald: Stadt als Museum (wie Anm. 58), S. 141  f. 65  Ralf Behrwald: Senatoren als Stifter der Kirche im spätantiken Rom. In: Hanneke van Asperen/ Lex Bosman/Mariëtte Verhoeven (Hg.): Monuments & Memory. Christian Cult Buildings and Construction of the Past. Essays in Honour of Sible de Blaauw. Turnhout 2016, S. 163–176; zu den kaiserlichen Stiftungen vgl. auch Gianandrea: „Riscoperta“ di Roma (wie Anm. 60).

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Vor diesem Hintergrund erklärt es sich, dass auch im 5. Jahrhundert Größe und Pracht von Bauten, nicht ihre historischen Bezüge im Vordergrund standen: Ansätze zu einer Beschreibung Roms als historische Stadtlandschaft, wie sie sich bei Servius,66 bei Claudian und bei Prudentius am Anfang des Jahrhunderts fin­ den, wurden zunächst nicht aufgegriffen.67 Wenn in der Mitte des Jahrhunderts Sido­nius Apollinaris über die Ewige Stadt schreibt, bewegt er sich zwischen ­literarischen Reminiszenzen und der Nennung einiger weniger Orte, an denen das stadtrömische Leben noch pulsierte: zwischen den Nerothermen, deren schon längst nicht mehr gebräuchlicher Name ihm aus seiner Lektüre bekannt war, und der Kapitolsterrasse, die als Ort eleganter Einkäufe beschrieben wird, ohne dass der Blick auf den mittlerweile zerstörten Kapitolinischen Tempel fallen wür­ de.68 Die Baupolitik Theoderichs und ihre Darstellung bei den zeitgenössischen Au­ toren erklären sich vor diesem Hintergrund.69 Das pauschale Herrscherlob, das im Anonymus Valesianus dem amator fabricarum et restaurator civitatum gezollt wird,70 aber auch die Finanzierung öffentlicher Bauten durch den König aus An­ lass seines Rombesuchs im Jahr 50071 folgten auf eine lange Zeit der Vernachlässi­ gung, sind aber in ihrer Stoßrichtung nicht überraschend: Einerseits lobten die Autoren Neubauten und Renovierungen ohne Rücksicht auf den Charakter der Gebäude, andererseits blieb das Engagement des Königs auch in Rom beschränkt. 66 Vgl.

Andrea Pellizzari: I monumenti del passato in un testo tardoantico. I Commentarii in Vergilii carmina di Servio. In: Nuova rivista storica 76 (1992) 3, S. 589–612; Philippe Bruggisser: Romulus Servianus. La légende de Romulus dans les commentaires à Virgile de Servius. Mytho­ graphie et idéologie à l’époque de la dynastie théodosienne. Bonn 1987. 67  Behrwald: Stadt als Museum (wie Anm. 58), S. 87–96, S. 260–270. 68  Vgl. Ralf Behrwald: Das Bild der Stadt Rom im 5. Jh. Das Beispiel des Sidonius Apollinaris. In: Therese Fuhrer (Hg.): Rom und Mailand in der Spätantike. Berlin/Boston 2011, S. 283–302; zur Bedeutung literarischer Vorbilder in diesem Verfahren Sigrid Mratschek: Identitätsstiftung aus der Vergangenheit. Zum Diskurs über die trajanische Bildungskultur im Kreis des Sidonius Apol­ linaris. In: Therese Fuhrer (Hg.): Die christlich-philosophischen Diskurse der Spätantike. Stutt­ gart 2008, S. 363–380; Sigrid Mratschek: Creating Identity from the Past: The Construction of History in the Letters of Sidonius. In: Gavin Kelly/Joop A. van Waarden (Hg.): New Approaches to Sidonius Apollinaris. Löwen/Paris 2013, S. 249–272. 69  Die jüngste, im folgenden kritisch zu revidierende Zusammenfassung bietet Fauvinet-Ranson: Decor civitatis (wie Anm. 2), S. 255–261 (im Zusammenhang der Baupolitik in ganz Italien), die jedoch explizit nicht unterscheidet „qu’ils soient commandités et financés par le roi ou effectués par une cité“ und damit die königliche Munifizenz deutlich überzeichnet. 70  Anonymus Valesianus 70. Auch Cassiodorus, Chronicon 1339 (500 n. Chr.), schließt an seine Beschreibung des Rombesuches das pauschale Lob an: sub cuius felici imperio plurimae renovan­ tur urbes, munitissima castella conduntur, consurgunt admiranda palatia, magnisque eius operibus antiqua miracula superantur. 71  Anonymus Valesianus 67: […] Donavit populo Romano et pauperibus annonas singulis annis, centum viginti milia modios et ad restaurationem palatii seu ad recuperationem moeniae civitatis singulis annis libras ducentas de arca vinaria dari praecepit. Dieselbe Maßnahme berichtet Cassio­ dorus, Chronicon 1339 (500 n. Chr.), geht dabei aber nicht auf die aufgewendete Summe ein: ­Romanae plebi donavit annonas, atque admirandis moeniis deputata per singulos annos maxima pecuniae quantitate subvenit.

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In seiner Großzügigkeit griff er auf die Gelder der arca vinaria zurück, welche ohnehin dem Stadtpräfekten unterstand; eine finanzielle Unterstützung aus zen­ tralen Mitteln war mit dieser Maßnahme gerade nicht verbunden.72 Diesen Eindruck stützen die Angaben Cassiodors, auch wenn sie häufig in eine ganz andere Richtung gelesen wurden.73 Die große Bedeutung,welche Cassiodors Briefe dem Schutz der antiquitas und der besonderen Rolle Roms zuweisen, ist unbestreitbar. Doch die sieben bei Cassiodor überlieferten Baumaßnahmen sind in ihrem Umfang durchaus beschränkt:74 Cassiodor berichtet von Reparaturen an den cloacae der Stadt75 und von Arbeiten am Pompeiustheater, für welche aus­ drücklich die königliche Finanzierung hervorgehoben – und damit wohl eine Pa­ rallele zwischen Pompeius, der non inmerito creditur […] hinc potius Magnus fuisse vocitatus, und dem König hergestellt wird, unter dem videatur antiquitas decen­ tius innovata.76 Schließlich ist der portus Licini zu nennen, ein Ziegellager wohl in der Nähe Roms, für dessen Wiederherstellung eine bestimmte Summe bereitge­ stellt worden ist und das nun eine festgelegte jährliche Lieferung an Ziegeln leis­ ten soll.77 Weitere Maßnahmen, die Cassiodor überliefert, verschieben die Perspektive be­ trächtlich. Auf die Restaurierung der Curia durch den Vater des Reparatus (Stadt­ präfekt circa 527) wird in den Varien nur angespielt;78 wer diese Reparatur finan­ 72  Vgl.

dazu Massimiliano Vitiello: Teoderico a Roma. Politica, amministrazione e propaganda nell’adventus dell’anno 500 (Considerazioni sull’„Anonimo Valesiano II“). In: Historia 53 (2004), S. 73–120, bes. S. 83–86. Die genannte Summe war allerdings beträchtlich: Im Jahr 368 hatte Valen­ tinian I. aus derselben Kasse 3000 solidi jährlich für Mauerbauarbeiten veranschlagt, also 41⅔ Pfund Gold, von denen nur ein Viertel aus der arca vinaria, der Rest von den possessores auf­ gebracht werden musste (Codex Theodosianus 14, 6, 3); vgl. André Chastagnol: La préfecture ur­ baine à Rome sous le Bas-Empire. Paris 1960, S. 341, S. 348. Vitiello weist (ebd., S. 86) zu Recht darauf hin, dass hier wie in der Pragmatischen Sanktion Justinians (Kap. 25) ein getrennter Fonds (dort pauschal titulus) für das Bauwesen vorgesehen war. 73  Die Auswertung der Variae mit Blick auf ihr Verständnis der Stadtlandschaft (nicht nur) Roms hat wesentlich La Rocca: Prudente maschera (wie Anm. 2) angestoßen; doch vgl. bereits della Valle: Teoderico e Roma (wie Anm. 1). Grundlegend ist jetzt Fauvinet-Ranson: Decor civitatis (wie Anm. 2). 74 Fauvinet-Ranson: Decor civitatis (wie Anm. 2), S. 256  f.; doch dokumentiert pace FauvinetRanson die Erwähnung eines aquilegus, der in den Vororten von Rom nach Quellen suchen soll, die dann zu Brunnen ausgebaut werden (Cassiodorus, Variae 3, 53), keine Bautätigkeiten des ­Königs. Umgekehrt übergeht sie Cassiodorus, Variae 3, 30, wo für die Restaurierung der cloacae Maßnahmen angeordnet werden, die ausdrücklich nicht von Privatpersonen zu erledigen sind. 75 Cassiodorus, Variae 3, 30. 76 Cassiodorus, Variae 4, 51; für die Finanzierung wird angekündigt, dass expensas vobis de nostro cubiculo curavimus destinare; vgl. dazu den Kommentar von Fauvinet-Ranson: Decor civitatis (wie Anm. 2), S. 135–141. 77 Cassiodorus, Variae 1, 25. 78 Cassiodorus, Variae 9, 7, 2. Fauvinet-Ranson: Decor civitatis (wie Anm. 2), S. 247, bezieht die­ se Annahme irrigerweise auf Reparatus; gemeint ist aber sein Vater: Dudum itaque illustris recor­ dationis genitoris tui res publica sensit Romana diligentiam. Comitivae siquidem largitionum prae­ sidens, functus etiam vicibus praefectorum, praetorianam egit [!] integerrime dignitatem, curiam reparans, pauperibus ablata restituens et quamvis liberalibus studiis fuerit impolitus, placere non omisit industriis […].

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zierte, bleibt zumindest offen. Eine Horreumsanlage, die bereits teilweise ver­ fallen war, wurde einem Senator übergeben, damit er dort bauen könne. Allerdings umfasst die hier verliehene aedificandi et ad posteros transmittendi licentia nur das Baurecht mit dem klaren Zusatz suis utilitatibus profutura disponat; der Empfän­ ger soll zwar eine Reparatur vornehmen, aber von königlichen „travaux“ zu spre­ chen, dürfte an der Sache vorbeigehen.79 Ganz ähnlich liegt der Fall der Porticus curva, für die der König die superimponendis fabricis licentiam gewährt, wodurch privatarum aedium habitatio protendatur. Die Besitzfrage wird hier nicht aufge­ worfen, aber es ist eindeutig, dass keine königliche Maßnahme, sondern die Ab­ gabe öffentlicher Immobilien geregelt wird, wobei freilich das erklärte Ziel ist, dass antiquis moenibus novitatis crescat aspectus.80 Für die Spoliierung von Ge­ bäuden hat Cassiodor eine eigene formula in seine Sammlung aufgenommen;81 die von Valentinian III. noch untersagte Praxis wurde hier sanktioniert.82 Als einzige in den Varien genannte Maßnahme zum Erhalt des Forum Roma­ num ist schließlich die Restaurierung von Elefantenstatuen an der Via sacra unter Theodahad zu nennen. Dadurch, dass in dem Brief geschildert wird, wie die Sta­ tuen mit Klammern geflickt und durch einen Unterbau vor dem Einsturz bewahrt werden sollen, wird klar, wie bescheiden man sich die Restaurierungen auf dem Forum vorzustellen hat.83 Man kann die Briefe Cassiodors mithin nicht als Zeugnisse einer umfangreichen königlichen Baupolitik lesen; noch nicht einmal eine besondere Sorge um die alten Gebäude Roms, eine programmatische Bewahrung des Alten scheint aus ihnen zu sprechen,84 auch wenn ihr Vokabular dies auf den ersten Blick nahezulegen scheint. Zwar ist einerseits in diesen Texten antiquitas ein durchgängig positiv konnotierter Begriff, doch ist diese antiquitas andererseits ständig durch vetustas bedroht: durch die verderblichen Einflüsse des Alters. Ist ein Gebäude nicht mehr 79 Cassiodorus,

Variae 3, 29 mit dem Kommentar von Fauvinet-Ranson: Decor civitatis (wie Anm. 2), S. 102–105, die (S. 256) den Brief unter die Zeugnisse für „travaux“ aufgenommen hat. 80 Cassiodorus, Variae 4, 30, 2. 81 Cassiodorus, Variae 7, 44. Zwar wird durch die Last, die der private Besitzer übernimmt, und durch den Auftrag, den decor der Stadt wiederherzustellen, eine Renovierung als Ziel suggeriert, doch macht die Regelung, dass dabei Metallfunde und Marmor im Staatsbesitz bleiben sollen, klar, dass ein zumindest teilweiser Abriss vorgesehen ist. Dem widerspricht nicht, dass andere Schreiben der ungeordneten Spoliierung und dem Metallraub entgegentreten, wie etwa die for­ mula comitivae Romanae; Cassiodorus, Variae 7, 13. 82  Vgl. Anm. 63. Allerdings steht die Regelung Theoderichs in einer Tradition, die weit zurück­ reicht und auch im Codex Theodosianus ihren Niederschlag gefunden hat: so Kaiser Arcadius in einem Gesetz des Jahres 398 – Codex Theodosianus 15, 1, 40 (~ Codex Justinianus 8, 11, 15); im Jahr 405 erlässt Honorius eine entsprechende Verordnung: Codex Theodosianus 15, 1, 43. Zu die­ sen Regelungen vgl. Anna Anguissola: Note alla legislazione su spoglio e reimpiego di materiali da costruzione ed arredi architettonici, I sec. a. C.–VI sec. d. C. In: Walter Cupperi (Hg.): Senso delle rovine e riuso dell’antico. Pisa 2002, S. 13–29. 83 Cassiodorus, Variae 10, 30. 84  So aber Letizia Pani Ermini: La „città di pietra“: forma, spazi, strutture. In: Morfologie sociali e culturali in Europa fra tarda antichità e alto medioevo. Spoleto 1998, S. 211–255. Differenzierter dagegen Fauvinet-Ranson: Decor civitatis (wie Anm. 2), S. 262–265.

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ästhetisch ansprechend, ja stellt es als ruina dem Betrachter sein Alter zu sehr vor Augen, so ist es abzureißen.85 Neues ist durchaus positiv konnotiert,86 und nicht nur im Fall der porticus curva kann Cassiodor hoffen, dass antiquis moenibus ­novitatis crescat aspectus.87 Bemerkenswert ausgeprägt ist in diesen Briefen – ge­ rade im Gegensatz zur antiquitas – das Konzept der utilitas, und das gilt auch für die verehrte Stadt Rom.88 Bei der Genehmigung einer Spoliierung steht das Krite­ rium des usus publicus an erster Stelle,89 das durchaus einmal den Abriss römi­ scher Gebäude nahelegen kann. Dieser Befund lässt sich mit Blick auf die weiteren Zeugnisse zur Bautätigkeit der Ostgotenkönige in Rom erhärten. Neben den Angaben Cassiodors sind nur wenige Baumaßnahmen in Rom inschriftlich belegt.90 Wohl in den ersten Jahren von Theoderichs Herrschaft, der hier noch nicht den Titel rex trägt, ließ der Stadt­ präfekt Valerius Florianus91 Reparaturen im Atrium libertatis an der Curia durch­ führen. Für diese Arbeiten ist häufig ein programmatischer Charakter angenom­ men worden; die fragmentarische Inschrift gibt aber keinen Hinweis darauf, dass Theoderich an der Entscheidung über die Reparaturen beteiligt gewesen wäre – eher wird man sie als eine der üblichen Reparaturen zu werten haben, die in die Zuständigkeit des Stadtpräfekten fielen. Die Inschrift lässt auch nicht erkennen, dass die historische oder programmatische Bedeutung des Atrium libertatis be­ sonders herausgestellt worden wäre; vielmehr wird in den erhaltenen Teilen nur die besondere Größe der 70 Fuß hohen Säulen hervorgehoben,92 die Florianus 85 Cassiodorus,

Variae 4, 29, 2. Liverani: Reimpiego senza ideologia. La lettura antica degli spolia dall’arco di Costan­ tino all’età carolingia. In: Römische Mitteilungen 111 (2004), S. 383–434, bes. S. 424–428. 87  Weniger eindeutig ist der Fall des Kaiserpalastes auf dem Pincio, aus dem Theoderich Spolien­ material nach Ravenna kommen lässt (Cassiodorus, Variae 3, 10). Der Brief, der eingangs Wider­ stand auf römischer Seite ahnen lässt (Decet prudentiam vestram in augendis fabricis regalibus obtemperare dispositis, quia nobilissimi civis est patriae suae augmenta cogitare, maxime cum sit studii nostri illa decernere, quibus cunctos notum est sine suis dispendiis oboedire), lässt sich auch als programmatische Auseinandersetzung mit dem monumentalen Erbe der letzten römischen Kaiser lesen, dem Theoderich hier – anders als dem Palast auf dem Palatin – den Respekt versagt. 88  So bereits della Valle: Teoderico e Roma (wie Anm. 1), S. 143  f. 89 Cassiodorus, Variae 4, 29, wo usus publicus und die Belange des fiscus Einschränkungen be­ gründen; weitere Kriterien werden nicht genannt. 90  Vgl. dazu zuletzt Spera: Realtà archeologica (wie Anm. 41), S. 133–142; Augusto Fraschetti: La curia e l’atrio della Libertà. In: ders.: La conversione di Roma pagana in Roma cristiana. Rom/ Bari 1999, S. 175–217 (erweiterte Fassung von: Per la storia dell’„Atrium Libertatis“ in epoca ­tardoantica. In: Epigraphica 61 [1999], S. 103–121). Der archäologische Befund ist aufgrund der Vorgehensweise der Ausgräber nicht hinreichend dokumentiert; vgl. Alfonso Bartoli: Lavori nella sede del senato romano al tempo di Teodorico. In: Bullettino della Commissione Archeologica Comunale di Roma 73 (1949/1950), S. 77–88. 91  Die Person ist nur hier belegt, wenn sie nicht mit dem in Cassiodorus, Variae 1, 5 genannten Florianus identisch ist (PLRE II Florianus 4). Christoph Schäfer: Der weströmische Senat als Träger antiker Kontinuität unter den Ostgotenkönigen (490–540 n. Chr.). St. Katharinen 1991, S. 71 f., setzt die Stadtpräfektur auf die Jahre zwischen 491 und 496 an. 92  Zu dieser Nennung der columnae septuagenariae vgl. Spera: Realtà archeologica (wie Anm. 41), S. 135 mit Anm. 91. Es kann deshalb nicht überzeugen, wenn Bauer: Stadt, Platz und Denkmal 86  Paolo

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wiederherstellen ließ.93 Eine fragmentarische Inschrift, die an der Crypta Balbi gefunden wurde, könnte sich auf die auch von Cassiodor überlieferte Renovie­ rung des Pompeiustheaters beziehen, aber auch auf eine noch nicht bekannte Res­ taurierung des Marcellustheaters.94 Zuletzt soll hier die bemerkenswerte Reno­ vierung des Colosseums untersucht werden, die Marius Venantius Basilius sumptu proprio durchführen ließ.95 Auch wenn die Diskussion um die Datierung seiner Stadtpräfektur nicht abgeschlossen ist,96 erklärt wohl doch eine Datierung auf 484, nach der Absetzung des Romulus Augustulus und vor dem Herrschaftsan­ tritt Theoderichs, am ehesten die ungewöhnliche private Finanzierung der Maß­ nahme. In jedem Fall lässt sich an den Reparaturen, die nach einem Erdbeben not­ wendig geworden waren, kaum eine besondere Programmatik erkennen – umso weniger, als die Spoliierung des durch ein Erdbeben beschädigten Colosseums wohl bereits unter Theoderich einsetzte.97 Damit fällt abschließend der Blick auf die Ziegelproduktion, die der König in Rom angeregt und gefördert haben soll und die in zahlreichen Ziegelfunden der Stadt ihren Niederschlag gefunden hat. In einem Schreiben an den vir spectabilis Sabinianus wird propter Romanae moenia civitatis die Bereitstellung von jährlich 25 000  tegulae durch den portus Licini verlangt.98 Zuvor war die Wiederherstel­ (wie Anm. 12), S. 136, Anm. 212, diese Inschrift unter den Texten aufführt, die den Anspruch ­unterstreichen, es „trugen die Monumente ihre Geschichtlichkeit nach außen und formulierten den Anspruch auf Bewahrung des status quo auch in der Zukunft“. 93 Unklar ist, ob die von Gian Luca Gregori: Alcune iscrizioni imperiali, senatorie ed equestri nell’Antiquarium Comunale del Celio. In: ZPE 116 (1997), S. 161–175, hier: S. 168–173, Nr. 9, pub­ lizierte Inschrift (AE 1997, 154) sich auf dieselben Bauarbeiten bezieht (so Silvia Orlandi in ihrem Kommentar, den Gregori aufgenommen hat); die Nennung der Curia (Reg[nante d(omino) n(ostro) Theoderico? - - -]|ris Fla[- - -] | curia [ - - - ) ist zu isoliert, um aus ihr Schlüsse zu ­ziehen. 94 AE 2001, 508a mit dem Kommentar von Fauvinet-Ranson: Decor civitatis (wie Anm. 2), S. 246 f., die hier sogar die Handschrift Cassiodors erkennen will. Ungeklärt ist der Zusammen­ hang der Inschriften CIL VI 1665, 1795 und 40807a, die in die Zeit des Theoderich datieren. 95  CIL VI 1716a–c = 32094a–c; zur umstrittenen Datierung (484 oder 508) vgl. den Kommentar von Silvia Orlandi: Epigrafia anfiteatrale dell’occidente romano VI. Rom 2004, S. 51–57, Nr. 5, die sich für eine Datierung auf 484 ausspricht. Dagegen kehren Rossella Rea u. a.: Anfiteatro Flavio. Epigrafe di Rufus Caecina Lampadius. In: Bullettino della Commissione Archeologica Comunale di Roma 91 (1986), S. 318–339, bes. S. 324–339 (Stefano Priuli), zu einer Datierung auf 508 zurück, für die sich bereits della Valle: Teoderico e Roma (wie Anm. 1), S. 153–157, ausgesprochen hatte. 96  Vgl. PLRE II Basilius 13 (ebenfalls für 484). Die Nennung eines Erdbebenschadens hilft nicht weiter, weil mögliche Erdbeben dieser Jahre in keiner anderen Quelle überliefert sind; vgl. Ema­ nuela Guidoboni/Alberto Comastri/Giusto Traina: Catalogo. In: Emanuela Guidoboni (Hg.): I terremoti prima del Mille nell’area mediterranea. Bologna 1989, S. 574–756, hier: S. 609. 97  So die Interpretation von AE 1985, 45 in der Erstpublikation von Stefano Priuli: Nuove attes­ tazioni senatorie nell’anfiteatro Flavio. In: Silvio Panciera (Hg.): Atti del Colloquio Internazionale AIEGL su Epigrafia e ordine senatorio. Rom 1982, S. 575–589, hier: S. 583, die zuletzt Giovanni Giaccomo Pani/Rossella Rea: Geronti vs. La spoliazione teodericiana. In: Rossella Rea (Hg.): Rota Colisei. La valle del Colosseo attraverso i secoli. Mailand 2002, S. 153–160, ausgeführt haben (vgl. auch Orlandi: Epigrafia anfiteatrale [wie Anm. 95], Nr. 33). 98 Cassiodorus, Variae 1, 25. Moenia muss dabei, wie schon lange gesehen wurde, nicht die Stadt­ befestigungen meinen, sondern kann sich auf verschiedene Bauten beziehen; vgl. etwa Giuseppina della Valle: Moenia. In: Rendiconti della Accademia di archeologia, lettere e belle arti 33 (1958), S. 167–176.

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lung des portus mit staatlichen Mitteln finanziert worden (portum Licini deputatis reditibus reparari iussio nostra constituit), nun hatte Sabinianus für die Bereitstel­ lung der Ziegel Sorge zu tragen und gegen die private Nutzung benachbarter por­ tus vorzugehen. Die Menge von 25 000 Ziegeln pro Jahr ist eher gering; Roberto Parenti schätzt die Produktion an Ziegeln im ostgotischen Ravenna auf insgesamt circa sechs Millionen, also das 240-fache99 – allerdings ist in dem königlichen ­Schreiben ausdrücklich von weiteren, benachbarten portus die Rede, die ebenfalls Ziegel liefern sollten.100 Ziegel mit Stempeln Theoderichs und Athalarichs wurden neben Rom auch an anderen Orten gefunden, die Umstände ihrer Verbringung sind jedoch häufig ­unbekannt. Funde an der Via Flaminia101 und an Orten entlang des Tibers, in ­Fidenae, Nazzano, Bomarzo und Baschi bei Todi,102 dürften den Transport von Ziegeln illustrieren, ohne dass klar wäre, wann und in welchem Umfang er ge­ schah. Auf Bauprojekte der ostgotischen Zeit dürften mehrere Funde in Mailand zurückgehen;103 in Ravenna sind zwei Ziegel mit Stempeln des Athalarich aus dem Jahr 527 aus unklarem Zusammenhang bekannt.104 Auch wenn der Herstel­ lungsort der Ziegel ungewiss ist, wird man sie aufgrund ihrer Stempel denselben Werkstätten zuweisen, aus denen auch die römischen Exemplare stammen; so wie Spolienmaterial aus Rom geliefert werden sollte,105 so wurden anscheinend gele­ gentlich auch Ziegel aus Rom oder seinem Umland exportiert.106  99 

Roberto Parenti: Le tecniche costruttive fra VI e X secolo. Le evidenze materiali. In: Riccardo Francovich/Ghislaine Noyé (Hg.): La storia dell’alto medioevo italiano (VI–X secolo) alla luce dell’archeologia. Convegno internazionale (Siena, 2–6 dicembre 1992). Florenz 1994, S. 479–496, bes. S. 487. 100  Die Organisation dieser Ziegelherstellung, die als jährliche illatio behandelt wird, bespricht zuletzt Jonathan Bardill: Brickstamps of Constantinople. Oxford 2004, S. 13 f.; zur Lokalisierung des portus Licini vgl. Giorgio Filippi/Tiziano Gasperoni/Enrico Angelo Stanco: Produzione e diffusione dell’opus doliare nella media valle del Tevere. In: Filippo Coarelli/Helen Patterson (Hg.): Mercator Placidissimus. Rom 2009, S. 935–952, bes. S. 937. 101  CIL XV 1669.11 (1 Meile nördlich von Rom); CIL XV 1669.12 (bei Prima Porta). 102  AE 2001, 744 (Fidenae); CIL XI 6672 (Streufund eines Ziegels CIL XV 1671 bei Nazzano und eines Ziegels CIL XV 1699 bei Bomarzo); E. Stefani: Regione VI (Umbria). In: NSA 10 (1913), S. 113–115 (Baschi). 103  Silvana Fiorilla: Bolli e iscrizioni su laterizi altomedievali del territorio lombardo. In: Archi­ vio Storico Lombardo 112 (1986), S. 321–415, hier: S. 338 f., Nr. 15b (sechs heute verschollene, mit Ziegelstempeln Theoderichs versehene Ziegel, die 1905 bei Arbeiten in S. Calimero gefunden wur­ den). 104  CIL XV 1674, 3 (Streufund, erstmals 1796 dokumentiert); CIL XV 1675, 3 (erzbischöflicher Palast). Valeria Righini: Materiali e tecniche da costruzione in età tardoantica e altomedievale. In: Antonio Carile (Hg.): Storia di Ravenna II 1. Venedig 1991, S. 193–221, sind diese zwei Ziegel entgangen; sie hebt (S. 210 f.) für alle Bauten Ravennas ostgotischer Zeit das unregelmäßige Mauer­ werk und die Verwendung von Spolienziegeln hervor. Erst in den Bauten des Julius Argentarius unter justinianischer Herrschaft seien wieder Ziegel neu produziert worden. 105 Cassiodorus, Variae 3, 10. 106  Ein einzelner Ziegel wurde als Grababdeckung in Tivoli verwendet: CIL XV 1665, 15 = CIL XIV 4092, 18; ein isolierter Fund aus Annicia in Bruttium (CIL XV 1665, 16) ist unerklärt. Wei­ tere gestempelte Ziegel finden sich, teils mit nicht verifizierbaren Herkunftsangaben (etwa CIL XV 1665, 17, angeblich aus Sizilien) in Museen.

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Die weit überwiegende Zahl der Ziegel mit Stempeln Theoderichs und seines Nachfolgers stammt allerdings aus Rom selbst.107 Dort gelten sie gemeinhin als Be­ leg für eine intensive Bautätigkeit bei der Restaurierung älterer Gebäude: So wur­ den Stempel im Bereich der Basilica Aemilia,108 der Curia,109 des Vestaheiligtums110 sowie jüngst am Forum Augusti gefunden – dort allerdings in Schichten des 8. oder 9. Jahrhunderts.111 Weitere Exemplare fanden sich auf dem Kapitol im Bereich des Tempels des Veiovis,112 an der Arx113 und am Colosseum, wo sie ­freilich ohne gesi­ cherten Zusammenhang bei Reinigungsarbeiten zutage gefördert wurden.114 Siche­ rer Hinweis auf Reparaturen sind Ziegel in den Caracalla­ther­men,115 wo der Fuß­ 107  Nach

den grundlegenden Untersuchungen von Herbert Bloch: I bolli laterizi e la storia edi­ lizia romana. In: Bullettino della Commissione Archeologica Comunale di Roma 64 (1947), S. 142–225 sowie 65 (1947), S. 83–187 und 66 (1947), S. 61–221, neu als: I bolli laterizi e la storia edilizia romana. Rom 1947 (ND 1968) sowie ders.: The Roman Brick-Stamps not Published in Volume XV 1 of Corpus Inscriptionum Latinarum. In: Harvard Studies in Philology 56/57 (1947), S. 1–128 und 58/59 (1948), S. 1–103 (Indizes), neu als: Supplement to Volume XV,1 of the Corpus Inscriptionum Latinarum. Boston 1948, ist vor allem auf die Forschungen von Eva Mar­ gareta Steinby hinzuweisen: L’industria laterizia di Roma nel tardo impero. In: Andrea Giardina (Hg.): Società romana e impero tardoantico II. Bari 1986, S. 99–164, bes. S. 114 f. (Fundorte) und S. 146–148 (Auswertung); zuletzt Margareta Steinby: La cronologia delle figlinae tardoantiche. In: Margherita Cecchelli (Hg.): Materiali e tecniche dell’edilizia paleocristiana a Roma. Rom 2001, S. 127–150, bes. S. 142 f.; auf der dort gegebenen Zusammenstellung der Fundorte in Rom beruht auch die topographisch geordnete, aber nicht aktualisierte Liste von Richard Westall: Theoderic Patron of the Churches of Rome? In: Acta ad archaeologiam et artium historiam pertinentia 27/n.  s. 13 (2014), S. 119–138, hier: S. 135 f. (die keineswegs nur Ziegel „employed in roofs“ um­ fasst). Eine sehr gute Einführung in die Problematik gibt Giorgio Filippi im Kommentar zu ­einem Ziegelstempel unbekannter Herkunft in den Vatikanischen Museen in: Ivan di Stefano ­Manzella (Hg.): Le iscrizioni dei cristiani in Vaticano. Materiali e contributi scientifici per una mostra epigrafica. Vatikanstadt 1997, S. 242 f. Nr. 3.4a.1. 108 Zu deren spätantiken Bauphasen siehe zuletzt Klaus Stefan Freyberger/Christine Ertel (Hg.): Die Basilica Aemilia auf dem Forum Romanum in Rom. Wiesbaden 2016, bes. S. 125– 130. 109  Alfonso Bartoli: Lavori nella sede del senato romano al tempo di Teodorico. In: BCAR 73 (1949/50), S. 77–88. 110  Giacomo Boni: Nuove scoperte nella città e nel suburbio. Regione VIII. Le recenti esplorazi­ oni nel Sacrario di Vesta. In: Notizie degli scavi di antichità (1900), S. 159–191, hier: S. 170 (Stem­ pel des Typs CIL XV 1665, gefunden in einer Opfergrube in tieferen Schichten, gemeinsam mit einer Münze des Tiberius). 111  Elisabetta Bianchi: I laterizi dall’età imperiale all’età moderna. In: Roberto Meneghini/Riccar­ do Santangeli Valenzani (Hg.): Scavi dei Fori Imperiali. Foro di Augusto – L’Area Centrale. Rom 2010, S. 185–195, hier: S. 186. 112  Antonio Maria Colini: Aedes Veiovis inter Arcem et Capitolium. In: BCAR 70 (1942), S. 5–55, hier: S. 46, Nr. 21 (drei gestempelte Ziegel, CIL XV 1665 und 1670), S. 52. 113  CIL XV 1665, 30 (gefunden bei den Bauarbeiten für das Vittoriano). Moralee: Rome’s Holy Mountain (wie Anm. 4), S. 64, interpretiert den Fund als Beleg dafür, dass Theoderich sich als Restaurator des Kapitols betätigt habe; freilich ist der ursprüngliche bauliche Zusammenhang ­unklar, und der Ziegel wurde auf der Nordseite der Arx in undokumentiertem Zusammenhang gefunden. 114  Guglielmo Gatti: Roma. Nuove scoperte nella città e nel suburbio. In: NSA (1895), S. 101– 103, hier: S. 103. 115  CIL XV 1665, 3  f. (mehrere Ex.); CIL XV 1669, 7.

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boden im caldarium in der Zeit des Theoderich erneuert wurde,116 und in den Konstantinsthermen, wo sie in der südlichen Exedra vermauert gefunden wur­ den.117 Auf dem Gebiet des Largo Argentina wurden gestempelte Ziegel gefun­ den118 in grobem Mauerwerk, mit dem die Interkolumnien der Porticus am Nord­ rand des Bezirkes zugesetzt wurden. Bemerkenswert sind weitere Funde auf dem Marsfeld, an einem Abschnitt der Aqua virgo119 und an einem Abwasserkanal nahe der Porticus Octaviae,120 die für eine fortbestehende Sorge um die Wasserversor­ gung Roms in der Zeit Theoderichs sprechen. Auch am Tiberhafen am Lungotevere Testaccio wurde ein theoderichzeitlicher Stempel gefunden, ohne dass man den baulichen Zusammenhang erkennen könnte.121 Auf dem Palatin lassen sich Ziegelfunde mit Stempeln Theoderichs und des ­Athalarich einem Umbau des 6. Jahrhunderts zuordnen. Wie die jüngsten Unter­ suchungen von Wulf-Rheidt gezeigt haben, wurde im Gartenstadium des Palastes wohl schon im 4. Jahrhundert ein kleines Amphitheater eingebaut, das aber erst im 6. Jahrhundert Sitzreihen erhielt, in deren Unterbauten sich Stempel beider Ostgotenkönige fanden.122 Weitere Streufunde in Rom sind nicht aussagekräftig; schließlich sprechen zwei gestempelte Ziegel Theoderichs für Arbeiten an der ­Villa der Livia in Prima Porta. Dort wurden in einem spätantiken Mauerabschnitt der Thermenanlage zwei Ziegel gefunden, die Reparaturen an diesem sicher bis in die Spätantike kaiserlichen Komplex belegen.123 116  Janet

DeLaine: The Baths of Caracalla. Portsmouth, RI 1997, S. 37–40; Marina Piranomonte: Thermae Antoninianae. In: LTUR, Bd. V (1999), S. 42–48, spricht (S. 43) nur allgemein vom „cor­ po centrale“ der Thermen. 117 CIL XV 1665, 2; vgl. Silvia Vilucchi: Thermae Constantinianae. In: LTUR, Bd. V (1999), S. 49–51, hier: S. 49. Virginio Vespignani: Di alcuni antichi edifizi scoperti nella villa Aldobrandini e nelle sue vicinanze. In: BCAR (1876), S. 102–120, weist (S. 120) noch auf weitere Stempel Theo­ derichs in den Thermen hin, die er aber nicht dokumentiert. 118  Eva Margareta Steinby: I bolli laterizi. In: Filippo Coarelli u .a.: L’area sacra di Largo Argen­ tina I. Rom 1981, S. 297–332, hier: S. 328, Nr. 132 (bei Steinby: Cronologia [wie Anm. 107] über­ sehen). Den archäologischen Zusammenhang erläutert Riccardo Santangeli Valenzani: Tra la ­Porticus Minucia e il Calcarario. L’Area Sacra di Largo Argentina nell’Altomedioevo. In: Archeo­ logia Medievale 21 (1994), S. 57–98, hier: S. 78 f. 119  CIL XV 1664, 1 (mehrere Exemplare) mit den Anmerkungen von Steinby: Cronologia (wie Anm. 107), S. 143. 120  Angiolo Pasqui: Roma. Nuove scoperte nella città e nel suburbio. In: NSA (1910), S. 419–431, bes. S. 420 f.; der Abwasserkanal war aus Ziegeln und spoliierten Inschriften aufgemauert. 121  CIL XV 1665, 32 und CIL XV 1669, 8. In der jüngsten Untersuchung von Elisabetta Bianchi: I bolli laterizi del porto fluviale romano di lungotevere Testaccio. In: Bullettino della Commissio­ ne Archeologica Comunale di Roma 108 (2007), S. 89–124, begegnen keine Stempel aus ostgoti­ scher Zeit. 122  Vgl. Lucrezia Ungaro: Note sulle strutture tarde del palazzo imperiale sul Palatino. In: Rivis­ ta di Archeologia 3 (1979), S. 106–113; Evelyne Bukowiecki/Ulrike Wulf-Rheidt: I bolli laterizi delle residenze imperiali sul Palatino a Roma. In: Römische Mitteilungen 121 (2015), S. 311–482; zur Interpretation des Befundes vgl. Wulf-Rheidt: Schwierige Frage der Nutzung (wie Anm. 29), bes. S. 139–145. 123  Giuseppe Fiorelli: Via Flaminia. In: NSA (1878), S. 370  f.; Giuseppe Lugli: Note topografiche intorno alle antiche ville suburbane. In: BCAR (1923), S. 3–62, bes. S. 37; Gaetano Messineo: La

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Während Isidor von Sevilla gerade die Pflege der Stadtmauern Roms hervor­ hebt, und als Grund für die Errichtung einer goldenen Statue für Theoderich in Rom anführt,124 ist die Zahl der Funde gestempelter Ziegel an den Stadtmauern eher gering. Am alten Prätorianerlager125 sowie in der Nähe der Porta Asinaria126 und an der Porta Flaminia127 wurden Ziegel mit Stempeln Theoderichs gefunden. Allerdings handelt es sich um jeweils eng umgrenzte Fundorte:128 Nahe der Porta Asinaria stürzte 1902 ein knapp dreißig Meter langer Abschnitt der Mauer ein, und in dem Schutt kamen insgesamt 832 Ziegelstempel zum Vorschein, von denen 464 gelesen und publiziert werden konnten.129 Nur fünf der Stempel tragen den Namen des Theoderich,130 über die Hälfte aber wiesen die Bearbeiter dem 1. und 2. Jahrhundert zu, dem auch der größte Teil der von ihnen nicht datierten Stempel angehören dürfte. Dieser Befund verdeutlicht ein grundlegendes methodisches Problem bei der Interpretation der Ziegelstempel: Über die Hälfte der gelesenen Ziegelstempel stammten aus der Zeit vor der Errichtung der Mauer, waren also in jedem Fall als Spolien in ihr verbaut. Ob es in der Zeit der Errichtung unter Aure­ lian oder zu einem späteren Zeitpunkt – beispielsweise während einer Reparatur unter Theoderich – dazu gekommen ist, lässt sich nicht mehr entscheiden; umge­ kehrt ist auch nicht auszuschließen, dass Ziegel aus der Zeit des Theoderich erst später, etwa während der Gotenkriege, als Belisar die Stadt befestigen ließ, in die Aurelianische Mauer gelangten131 – dies ist umso mehr zu vermuten, als nach der ostgotischen Zeit die Herstellung von Ziegeln in Rom anscheinend zum Erliegen kam.132 Via Flaminia da Porta del Popolo a Malborghetto. Rom 1991, S. 183 (die Angabe von 12 Ziegel­ stempeln bei Steinby: Cronologia [wie Anm. 107] beruht auf einem Versehen); die Arbeiten be­ trafen anscheinend nur kleinere Ausbesserungen. 124  Isidorus Hispalensis, Historia Gothorum Vandalorum et Sueborum 39. 125  CIL XV 1 1669, 4. 126  CIL XV 1 1664, 1665a (2 es.), 1665b, 1666, 1669. 127  CIL XV 1 1665b, 17 (gefunden 1877 beim Abriss der Türme an der Porta Flaminia). 128  Zu der Befundlage vgl. Ian Archibald Richmond: The City Wall of Imperial Rome. Oxford 1930 (ND College Park, MD 1971), S. 37 f. 129  Henry H. Armstrong/Albert W. Van Buren/George J. Pfeiffer: Stamps on Bricks and Tiles from the Aurelian Wall at Rome. In: Supplementary Papers of the American School of Classical Studies in Rome 1 (1905), S. 1–86, bes. S. 8; die Stempel sind Nr. 114–118, S. 52–55. Die Funde theoderichzeitlicher Ziegel diskutiert ausführlich Dey: Aurelian Wall (wie Anm. 33), S. 32–63. 130  Nr. 214–218. 131  So schon Richmond: City Wall (wie Anm. 128), S. 37  f., der das aber nicht für alle theoderich­ zeitlichen Ziegel annehmen will. 132  Rossana Mancini: Il recupero dei materiali nella costruzione e nella riparazione delle Mura aureliane di Roma. In: Jean-François Bernard/Philippe Bernardi/Daniela Esposito (Hg.): Il reim­ piego in architettura. Recupero, trasformazione, uso. Rom 2008, S. 303–313, bes. S. 307 f.; für die Funde an der Porta Flaminia und an der Porta Asinaria geht dies.: Le Mura Aureliane di Roma. Atlante di un palinsesto murario. Rom 2001, S. 29 f., von einer späteren Verwendung aus. Zur Bedeutung mittelalterlicher Reparaturen an der Aurelianischen Mauer allgemein vgl. Robert Coates-Stephens: The Walls and Aqueducts of Rome in the Early Middle Ages, A. D. 500–1000. In: JRS 88 (1998), S. 166–178, bes. S. 167–171 und ders.: Quattro torri altomedievali delle mura aureliane. In: Archeologia Medievale 22 (1995), S. 501–517. An der Annahme einer ostgotischen

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Für Renovierungsarbeiten an der Aurelianischen Mauer unter Theoderich sind freilich auch weitere Argumente herangezogen worden: So wurden die Türme des ehemaligen Prätorianerlagers wohl nach der Aufstockung der Aurelianischen Mauer unter Honorius noch einmal zusätzlich befestigt, indem man ihnen drei­ eckige Verstärkungen vorlegte. Die so entstandenen, charakteristischen Fünfeck­ türme, die sich in Rom nur am Prätorianerlager finden, werden von Ortolani vor­ sichtig mit fortifikatorischen Innovationen des 5. Jahrhunderts erklärt, die mög­ licherweise unter Theoderich erstmals in Rom umgesetzt worden seien. Freilich hält Ortolani auch eine Datierung in das 5. Jahrhundert für möglich.133 Ähnlich hat Richmond an der Porta Appia, wo ebenfalls Ziegelstempel Theoderichs gefun­ den wurden, die Verstärkung der Türme durch quadratische Vorbauten in die ost­ gotische Zeit datiert; jüngst hat Dey aber darauf hingewiesen, dass vieles dafür spricht, hier eine Umsetzung oströmischer Vorbilder wie der Porta Aurea in ­Konstantinopel zu sehen, die nach seiner Einschätzung eher in die Zeit nach der byzantinischen Rückeroberung passe.134 Die Ziegelstempel mit den Namen Theoderichs und Athalarichs lassen also kein Bauprogramm, kaum einmal klare Baumaßnahmen erkennen; sie belegen entgegen dem ersten Anschein keine besonderen Bemühungen um die Erhaltung der Ewigen Stadt. Nur in wenigen Fällen erlaubt die Fundsituation einen Einblick in die Bautätigkeit: bei den Wasserleitungen und den Bädern, in den Umbauten am Largo Argentina, in einem kleinen Bereich des Kaiserpalastes auf dem Palatin und in den Thermen der Villa von Prima Porta. In anderen Fällen, wie etwa dem Fund von Ziegeln in Versturzlage am alten Tempel des Veiovis oder in einer Opfer­grube am Vestatempel, wird man sehr im Zweifel sein, ob tatsächlich eine Renovierung des Tempels ihre Spuren hinterlassen hat.135 Nicht anders stellt sich der Befund an stadtrömischen Kirchen dar: Schon Dres­ sel hat im CIL darauf hingewiesen, dass die Kirchen Roms den Großteil der Zie­ gelstempel Theoderichs überliefert haben, und Westall hat diesen Befund jüngst als Beleg für Theoderichs Rolle als Stifter der römischen Kirchen herangezogen: Reparaturphase hält auch Paolo Sommella: Le mura di Aureliano a Roma. Osservazioni generali. In: Antonio Rodríguez Colmenero/Isabel Rodá de Llanza (Hg.): Murallas de ciudades romanas en el Occidente del imperio. Lugo 2007, S. 47–57, fest. Wenig überzeugend ist dagegen der Ver­ such von Cristina La Rocca: Fortificare le città e prevenire i pericoli. In: Laurent Jegou u. a. (Hg.): Faire lien. Aristocratie, réseaux et échanges compétitifs. Mélanges d’histoire médiévale offerts à Règine Le Jan. Paris 2015, S. 421–428, allein aus der geringen Zahl von acht Schreiben unter den 34 Varien Cassiodors, die sich mit Bauten beschäftigen, auf ein geringes Interesse Theoderichs an Stadtbefestigungen zu schließen. 133 Giorgio Ortolani: Le torri pentagonali de Castro Pretorio. In: Analecta Romana Instituti ­Danici 19 (1990), S. 240–252, bes. S. 246, mit einer vorsichtigen Einschätzung, die auch eine Da­ tierung in die Zeit Valentinians III. oder Theodosius II. offenlässt; ihm folgt Letizia Pani Ermini: Roma da Alarico a Teoderico. In: William Vernon Harris (Hg.): The Transformations of Urbs Roma in Late Antiquity. Portsmouth 1999, S. 35–52, bes. S. 39. 134  Richmond: City Wall (wie Anm. 128), S. 121–142; Dey: Aurelian Wall (wie Anm. 33), S. 50–61. 135  Vgl. bereits die Einwände bei Steinby: Industria laterizia (wie Anm. 107), S. 146  f. und Pani Ermini: Forma Urbis (wie Anm. 1), S. 223 f.

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„the brick-stamps of the roof-tiles of the Catholic churches of Rome survive to demonstrate that Theoderic sought to consolidate his power over Italy and Rome by peaceful means in a traditional form of patronage“, schließt Westall seine Unter­suchung.136 Der Befund ist auch zunächst beeindruckend:137 Theoderichs Ziegel fanden sich in der Peterskirche, in S. Maria Maggiore, S. Martino ai Monti, SS. Giovanni e Paolo, S. Paolo fuori le Mura, S. Croce in Gerusalemme, S. Gio­ vanni a Porta Latina, S. Martina am Forum, S. Giorgio in Velabro, S. Salvatore, S. Gregorio, S. Stefano degli Unghari, S. Prisca und S. Agnese fuori le Mura. Freilich ist die Befundlage weniger eindeutig, als es scheinen mag: So sind die Stempel auf den Dachziegeln von S. Maria Maggiore aus einer Untersuchung von Pietro Crostarosa bekannt, der am Ende des 19. Jahrhunderts die Ziegel auf dem Kirchendach inventarisierte.138 Dabei tragen von 110 identifizierten Ziegelstem­ peln gerade einmal vier (auf 13 Ziegeln) Stempel den Namen des Königs; die ­überwiegende Mehrheit gehörte dem 1. oder 2. Jahrhundert an; für S. Croce in ­Gerusalemme waren es von 119 Stempeln gerade einmal zwei Stempel (auf drei Ziegeln).139 Anders stellt sich der Befund für S. Martino ai Monti dar, wo 11 % der Stempel aus ostgotischer Zeit stammen140 und für die unter Papst Symmachus neu eingerichtete Kirche SS. Cosma e Damiano.141 Ein weiteres kommt hinzu: Die Dachstühle von S. Maria Maggiore und S. Croce sind, wie bautechnische Un­ tersuchungen gezeigt haben, sicher hochmittelalterlich.142 Vielleicht noch mehr als im Fall der Stadtmauern hat also auch hier der Gebrauch von Spolienziegeln das Bild verfälscht; auch wenn man vermuten darf, dass bei mittelalterlichen Dach­ renovierungen die alten Ziegel aufbewahrt und wiederverwendet wurden, lässt sich doch aus den erhaltenen Ziegeln Theoderichs kein Rückschluss auf eine För­ derung der stadtrömischen Kirche ziehen – zumal der Anteil der Ziegel aus ost­ gotischer Zeit häufig unauffällig ist.143 136 

CIL XV 1665, Kommentar; Richard Westall: Theoderic Patron of the Churches of Rome? In: AAAH 27/n. s. 13 (2014), S. 119–138, der (S. 135 f.) die Liste von Steinby: Cronologia (wie Anm. 107) nach Regionen gegliedert bietet. 137  Die beste Übersicht gibt Steinby: Industria laterizia (wie Anm. 107), S. 146–148. 138  Pietro Crostarosa: Inventario dei sigilli impressi sulle tegole del tetto di S. Maria Maggiore. In: Nuovo Bullettino di Archeologia Cristiana 2 (1896), S. 52–89. 139 Ders.: Inventario dei sigilli impressi sulle tegole del tetto di S. Croce in Gerusalemme in Roma. In: Nuovo Bullettino di Archeologia Cristiana 7 (1901), S. 119–144, S. 291–294. 140 Ders.: I bolli doliari del tetto delle chiese dei SS. Silvestro e Martino ai Monti. In: Nuovo ­Bullettino di Archeologia Cristiana 3 (1897), S. 201–239 mit der Auswertung durch Bloch: Bolli laterizi (wie Anm. 107), S. 199. 141  Richard Krautheimer: Corpus basilicarum christianarum Romae. Bd. 1. Vatikanstadt 1937, S. 138. 142  Simona Valeriani: Kirchendächer in Rom. Beiträge zu Zimmermannskunst und Kirchenbau von der Spätantike bis zur Barockzeit. Petersberg 2006, bes. S. 62–76 (S. Croce), S. 76–81 (S. Maria Maggiore). 143  So schon Krautheimer: Corpus basilicarum (wie Anm. 141), S. 138, dem Herbert Bloch: Ein datierter Ziegelstempel Theoderichs des Großen. In: Römische Mitteilungen 66 (1959), S. 196– 203, S. 199, folgt. In einzelnen Fällen ist auch der problematische Fundzusammenhang zu beach­ ten: In S. Prisca fand sich ein Ziegel am Fuß einer karolingischen Mauer (Bloch: Ziegelstempel [diese Anm.], S. 196), in der Lateransbasilika als Abdeckung eines späteren Grabes (CIL XV 1 1667, 1; auf dem Kirchendach finden sich allerdings zahlreiche weitere).

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Die Befunde an den Stadtmauern werfen schließlich eine letzte Frage auf. Ne­ ben den ostgotischen Königen und ihren senatorischen Amtsträgern in Rom ist gerade für die Päpste Symmachus und Hormisdas eine umfangreiche Bautätigkeit bezeugt. Besonders Symmachus, der in den ersten Jahren wegen der Auseinander­ setzungen mit Laurentius auf den Vatikan als Bischofssitz zurückgeworfen war, scheint diesen umfangreich ausgebaut zu haben:144 Diese Bautätigkeit, so hat ­Paolo Liverani zuletzt zeigen können,145 brachte neben der Errichtung von S. Andreas bei der Peterskirche auch eine repräsentative Ausgestaltung des Vatikan mit epis­ copia und der Errichtung einer Porticus zwischen Peterskirche und Tiberufer mit sich, der wahrscheinlich ähnliche Säulenstraßen zu den Kirchen S. Paolo fuori le mura und S. Lorenzo folgen sollten.146 Wenn die Angaben einer in der Sylloge von Cambridge erhaltenen Versinschrift zutreffen, erneuerte Symmachus mit der Porta S. Petri auch mindestens ein Stadttor, die alte Porta Aurelia.147 Weitere Kir­ chenbauten in Rom werden im Liber pontificalis seinem Nachfolger Felix IV.148 zugeschrieben, darunter SS. Cosma e Damiano: Theoderich, der mindestens die Zustimmung zum Umbau des „Mausoleum Romuli“ und am Forum Pacis ge­ geben haben dürfte, wird dagegen in der Symmachusvita nicht erwähnt; ein Be­ streben, die Rolle des Königs auszublenden und allein die päpstliche Initiative zu beleuchten, ist unverkennbar. Die Angaben des Liber pontificalis werfen also die Frage auf, in welchem Um­ fang die Ziegelproduktion ostgotischer Zeit päpstliche Bauprojekte förderte, für die sie vielleicht bestimmt war.149 Ähnlich wie im Fall der Fundzusammenhänge der Ziegel wird auch für die kirchlichen Bauprojekte nicht klar ersichtlich, inwie­ 144 

Liber pontificalis 53, 6–10. Paolo Liverani: St Peter’s and the City of Rome between Late Antiquity and the Early Middle Ages. In: Rosamond McKitterick u. a. (Hg.): Old Saint Peter’s, Rome. Cambridge 2013, S. 21–34, hier: S. 26–31; zu S. Andreas vgl. bereits Joseph Alchermes: Petrine Politics. Pope Symmachus and the Rotunda of St. Andrew. In: Catholic Historical Review 81 (1995), S. 1–40. 146  Zu ihnen vgl. zuletzt die Angaben bei Hendrik W. Dey: The Afterlife of the Roman City. Architecture and Ceremony in Late Antiquity and the Early Middle Ages. Cambridge 2015, S. 68–77 sowie Pani Ermini: Roma da Alarico a Teoderico (wie Anm. 133), S. 41 f. 147 ICUR n.  s. II (1935), 4107. Die Angaben der Inschrift wurden angezweifelt von Louis ­Duchesne: Le recueil épigraphique de Cambridge. In: Mélanges d’Archéologie et d’Histoire de l’École Française de Rome 30 (1910), S. 279–311, bes. S. 300 f., der die Errichtung eines Stadttores durch den Papst unter ostgotischer Herrschaft für ausgeschlossen hält; weitere, ebenfalls in der Sylloge überlieferte Inschriften und die in ihnen genannten Bauprojekte zweifelt Duchesne hin­ gegen nicht an. Nach Angelo Silvagni: La silloge epigrafica di Cambridge. In: Rivista di archeolo­ gia cristiana 20 (1943), S. 49–112, bes. S. 97, hat sich zuletzt Letizia Pani Ermini: Forma Urbis: lo spazio urbano tra V e IX secolo. In: Roma nell’alto medioevo. Spoleto 2001, S. 255–323, bes. S. 280 f., für die Echtheit der Angaben ausgesprochen; vgl. auch Robert Coates-Stephens: Quattro torri altomedievali delle mura aureliane. In: Archeologia Medievale 22 (1995), S. 501–517, hier: S. 501, der als Parallele auf die Situation in Vercelli hinweist, dessen Bischof in Cassiodorus, ­Variae 4, 31 aufgefordert wird, eigenverantwortlich einen Aquädukt zu reparieren. 148  Liber pontificalis 56, 2. 149  So bereits Margherita Maria Trinci Cecchelli: Le strutture murarie di Roma tra IV e VII seco­ lo. In: dies (Hg.): Materiali e tecniche dell’edilizia paleocristiana a Roma. Rom 2001, S. 11–101, bes. S. 85. 145 

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fern sie eine königliche Baupolitik reflektieren oder vielmehr Ausdruck einer Zusammenarbeit zwischen dem König und dem von ihm favorisierten Papst ­ sind.150 Wenn das hier geschilderte Bild einer Baupolitik, die sich in eng gesteckten Grenzen hielt und – auch angesichts der Bevölkerungszahlen – in der weiterhin verfallenden Stadt nur einzelne Inseln fördern konnte, zutrifft, so ist zu fragen, wie diese Politik mit der Bedeutung Roms für die Selbstdarstellung des Königs zu verbinden ist. Cassiodors Varien zeigen, wie administrative Schreiben und ihre Veröffentlichung das Bild eines Ostgotenkönigs verbreiten konnten, der die Wür­ de der alten Hauptstadt restituierte. Anscheinend wirkte diese Selbstdarstellung über die Grenzen Italiens und auch in den Osten des Reiches hinein. Wenn Pro­ kop in seinem Werk über die Gotenkriege die große Bedeutung der alten Monu­ mente Roms und ihren wundersamen Erhaltungszustand lobt, so spricht er vor allem den Römern seine Bewunderung aus, auch wenn es an einer lobenden Er­ wähnung der Gotenkönige nicht fehlt. Aufschlussreicher mag aber sein, was noch am Ende des 6. Jahrhunderts die anonyme syrische Chronik, die unter dem ­Namen des Zacharias Rhetor überliefert wurde, über Theoderich berichtet: Gleich zweimal wird dort hervorgehoben, wie sehr der Ostgotenkönig sich besonders um die Stadt Rom gekümmert habe.151 Da wir nicht wissen, aus welchen Quellen die Chronik ihre Angaben zum Westen des Reiches – darunter eine Liste der ­Monumente Roms, deren Zusammenhang mit den im Westen überlieferten Listen von Breviarium und Notitia ebenfalls unklar bleibt152 – schöpfte,153 ist ihr Wert schwer zu beurteilen. Doch an ihr wird ebenso wie an den Aussagen Prokops deutlich, dass die propagandistische Darstellung des Ostgotenkönigs weder auf 150  Daneben

scheint es Ziegeleien gegeben zu haben, die päpstliche Stempel anbrachten, so viel­ leicht CIL XV 1695 (nur mit dem Namen Johannes und einem Christogramm) oder CIL XV 1724–1726 mit der Inschrift in nomine Dei. 151  Zacharias Mytilenaeus, Historia ecclesiastica 7, 12, im Zusammenhang der angeblichen Syno­ de von Tyros und des Fehlens römischer Vertreter; Zacharias Mytilenaeus, Historia ecclesiastica 9, 18, im Zusammenhang der Eroberung Roms durch Belisar 536. An beiden Stellen wird Theo­ derich als Tyrann geschildert, der sich jedoch den Bewohnern Italiens und besonders der Stadt Rom zugewandt gezeigt und diese ausgebaut habe. Vgl. dazu zuletzt Andreas Goltz: Barbar – König – Tyrann. Das Bild Theoderichs des Großen in der Überlieferung des 5. bis 9. Jahrhun­ derts. Berlin/Boston 2008, der (S. 547–550) hinter dem Gegensatz zwischen der Bewertung Theo­ derichs als Tyrann und der positiven Darstellung seiner Baupolitik bei ps.-Zacharias Rhetor die Verwendung verschiedener Quellen vermutet. 152  Zacharias Mytilenaeus, Historia ecclesiastica 10, 16; vgl. dazu Heinrich Jordan: Topographie der Stadt Rom im Alterthum. Bd. 2. Berlin 1871, S. 148–152, mit den Korrekturen bei Ignazio Guidi in: Roberto Valentini/Giuseppe Zucchetti: Codice topografico della Città di Roma. Bd. I. Rom 1940, S. 320–334. 153 In der jüngsten Untersuchung von Geoffrey Greatrex: Le pseudo-Zacharie de Mytilène et l’historiographie au VIe siècle. In: Muriel Debié (Hg.): L’historiographie syriaque. Actes de la ­table ronde de la Société d’Études Syriaques. Paris, 18 novembre 2008. Paris 2009, S. 33–55, wird (S. 45) für die oben genannte Liste eine unbekannte Vorlage angeführt; Greatrex übergeht den Umstand, dass der vorangegangene Abschnitt über die Belagerung Roms durch Totila 546 berich­ tet. Die Notizen über Theoderich berücksichtigt er nicht.

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den Westen des Reiches noch auf engere Hofzirkel beschränkt blieb, sondern auch im Osten wahrgenommen wurde – unabhängig von ihrem realen Gehalt. Dieser jedoch, so bleibt festzuhalten, dürfte – angesichts der enormen Aufgaben in einer Stadt, die im Rückzug begriffen war, aber auch angesichts der finanziellen Möglichkeiten – eher gering gewesen sein.

Abstract Respect for Rome, the old capital of his realm, and an intense care for its build­ ings loom large among the many aspects of King Theoderic’s reign applauded by contemporary and later sources. Modern research tends to emphasize the impor­ tance of his rule as a last epoch of (modest) splendour, cut off in the course of Justinian’s Gothic Wars. Archaeological research has shown, however, that already by the time of Theoderic’s arrival in Italy, large parts of the city were in disrepair. Already in the fifth century, living quarters and part of the public buildings could not be maintained. Already, a process had started that led to the dissolution of Rome’s urban fabric and that affected even places such as the imperial Fora or the palace on the Palatine. Apparently, neither senators nor the emperor followed a consistent policy of urban conservation; the idea of an historical city centre whose monuments deserved particular care seems to have developed only later. The situation did not change dramatically under Theoderic: while Cassiodorus emphasizes the royal care for Rome, actual building took place only on a modest scale. In fact, the demolition of buildings beyond repair even gained official sanc­ tion, whereas earlier prohibitions had been reinforced by Valentinian III in the middle of the fifth century. The phrasing of Cassiodorus’ letters, which opposes (positive) antiquitas to a (negative) vetustas, highlights this policy. An analysis of Rome’s brick production under Theoderic, as observed from finds of brick stamps bearing his name, further confirms the same result: most of those bricks appear on the roofs of Roman churches, only a few of which attest to actual restoration work carried out on the historic monuments of Rome. The high esteem for Rome as an historical cityscape that ancient authors attribute to Theoderic tells more about their admiration for Theoderic himself than about the city’s architecture.

Emanuele Vaccaro Landscapes, Townscapes, and Trade in Sicily AD 400–600 Introduction This chapter aims to provide an overview of urban and rural settlements and the economy in Sicily during the Ostrogothic period (AD 476–533). In order to ­generate a more comprehensive analysis of the relevant archaeological materials currently available, however, I will broaden the perspective to the longer period of the fifth to seventh centuries AD; this scope will make it easier to evaluate the transformations both in the towns and in the countryside between late Roman and early Byzantine times and to gauge the degrees of complexity of the island’s regional economy.1 The archaeology of late antique Sicily was underdeveloped until a few decades ago. In recent years an increase of archaeological work (particularly in the countryside) has produced a significant amount of data that lends itself to a detailed regional analysis. However, an imbalance between rural and urban archaeology should be emphasised when attempting such an overview of late antique Sicily and particularly its Ostrogothic phase: this specific historical period is not easy to pinpoint in datasets which encompass the fifth and sixth centuries AD as a whole, sometimes with low chronological refinement. Late Roman Sicily as a territory saw sizeable economic growth. One key factor in this development will have been the massive levels of grain production that, after the foundation of Constantinople and before the Vandal conquest of North Africa, supplied Rome through the channels of a free market (rather than fiscal trade).2 It was only after the fall of Roman North Africa that fiscal pressure on Sicilian grain increased.3 The archaeological evidence, particularly from the countryside, nevertheless does not point to decline, impoverishment, or any decrease 1 

This chapter was submitted in early 2016; therefore the literature is updated until late 2015. Vera: Fisco, annona e commercio nel Mediterraneo tardoantico: destini incrociati o vite parallele? In: Simonetta Menchelli et al. (eds.): LRCW 3. Late Roman Coarse Wares, Cooking Wares and Amphorae in the Mediterranean. Archaeology and Archaeometry. Comparison between Western and Eastern Mediterranean. Vol. 1. Oxford 2010, pp. 1–18. 3  Domenico Vera: I Paesaggi rurali del Meridione tardoantico: bilancio consuntivo e preventivo. In: Giuliano Volpe/Mariuccia Turchiano (eds.): Paesaggi e insediamenti rurali in Italia meridionale fra Tardoantico e Altomedioevo. Atti del I Seminario sul Tardoantico e l’Altomedioevo in Italia meridionale (Foggia, 12–14 Febbraio 2004). Bari 2005, pp. 25–38. 2  Domenico

https://doi.org/10.1515/9783110686692-004

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of regional and overseas trade, which instead remained constant and widespread. The development of a capillary road system in Sicily’s interior (particularly the road between Catania and Agrigento) serving the main estates situated in the island’s corn-belt was determined by the rise in importance of Sicilian grain (fig. 1).4 As this chapter demonstrates, archaeological data from extensive field surveys, as well as from excavations at a number of rural sites located in different areas of Sicily, helps rewrite several traditional narratives. Rather than suggesting a destructive economic impact – caused by pressurising extraction of Sicilian grain through the tax system (after AD 439) and the Vandal raids (c. mid-fifth century AD) – the data points instead to a long-term economic vitality in the fifth and sixth centuries – and beyond.

Figure 1: Map of Sicily with the late antique cities of Sicily, the main rural sites mentioned in the text, and the inland road connecting Agrigento to Catania (dashed-line). 1. Palermo; 2. Carini; 3. Lilybaeum/Marsala; 4. Caltabellotta; 5. Agrigento; 6. Lentini; 7. Tindari; 8. Lipari; 9. Messina; 10. Taormina; 11. Catania; 12. Syracuse; 13. Megara Hyblaea; 14. Valcorrente; 15. Castel di ­Iudica; 16. Morgantina; 17. Villa del Casale at Piazza Armerina; 18. Philosophiana; 19. Ragusa; 20. Modica; 21. Caddeddi; 22. Punta Secca; 23. Cignana; 24. Butermini; 25. Carabollace; 26. Verdura; 27. Segesta; 28. Patti Marina.

4  On late antique Sicily and its economic vitality, see Emanuele Vaccaro: Patterning the Late Antique Economies of Inland Sicily in a Mediterranean Context. In: Luke Lavan (ed.): Local Economies? Production and Exchange of Inland Regions in Late Antiquity. Leiden/Boston 2013, pp. 259–314 with bibliography.

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Urban archaeology in Sicily remains far from as widespread, systematic, and detailed as it has been for central and northern Italy; nevertheless, some main aspects can be analysed and discussed here. In particular, we will see that the available data – no matter how scanty and sparse – no longer support the view that in the late Roman period economic growth in the countryside was paralleled by a decline of urban life. The archaeological evidence instead seems to show that late antique Sicily persisted as a region in which towns played a significant role, not just as administrative centres but also as places of production, exchange, and consumption.5 Indeed, we should recognise that the main late Roman Sicilian towns became the seats of bishoprics in the early Byzantine period.6 One final aspect that I will touch upon is the rich evidence for patterns of regional and overseas trade provided by new and recent ceramic studies in Sicily, highlighting its important central Mediterranean setting and economic role. From these analyses, I hope to be able to offer some comment on the vitality of Sicily under Ostrogothic rule.

The Rural Landscapes of Late Antique Sicily An overview of late antique rural settlement patterns, mostly based on field surveys and, to a lesser extent, excavations, reveals a remarkable increase in the overall number of sites at several areas between the fourth and late fifth centuries AD. It also shows a general trend towards the development of massive sites, such as villages and the so-called agro-towns,7 that seem to have served as central places for the rural population, around which the exploitation of agrarian resources was organised, and as hubs for both regional and Mediterranean goods. Moving from east to west in the island, I will present here several case studies that help us to define some of the rhythms of late antique growth (and change) in the Sicilian countryside. The Calatino territory, that includes the hilly and mountainous areas to the south-west of the Catania Plain, was recently the focus of an overall re-analysis of settlement patterns in the Roman imperial and late antique periods, mostly based on published data. Despite the non-systematic field coverage, the analysis record5 

For a current overview of the archaeology of late antique and early medieval towns in Sicily, see Lucia Arcifa: Trasformazioni urbane nell’Altomedioevo siciliano. Uno status quaestionis. In:­ ­Maria Concetta Parello/Maria Serena Rizzo (eds.): Paesaggi urbani tardoantichi. Casi a confronto. Atti delle Giornate Gregoriane VIII Edizione (29–30 Novembre 2014). Bari 2016, pp. 31–40. 6  Roger Wilson: Sicily under the Roman Empire. The Archaeology of a Roman Province. War­ minster 1990. 7  The term “agro-town” was used by Roger Wilson (ibid.) to describe large sites of imperial and late antique Sicily that played the same role as the massive agglomerations seen on the 19th-century island and whose population largely comprised farmers. For these early modern agro-towns, see Paolo Malanima: Urbanisation and the Italian Economy during the Last Millennium. In: European Review of Economic History 9 (2005), pp. 97–122.

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ed 116 sites. Considered in light of chronological divisions, the late Roman period coincided with the highest peak in settlement density, with as many as 89 sites, clearly attesting a significant increase in the total number of rural sites compared to those for the early and middle Roman periods. The rural landscape continued to be widely populated in the Byzantine period, as revealed by the presence of at least 57 settlements (fig. 2).8

Figure 2: Diachronic distribution of rural sites in the Calatino territory (after Bonacini: Territorio [see note 8], Tav. XLV).

This general picture finds some confirmation from occasional excavations at rural sites carried out by the Superintendency of Catania in inland areas west of the city. Two rural sites, examined in recent rescue archaeology work, are worth noting: one in Contrada Franchetto at Castel di Iudica and one in Contrada Grammena at Valcorrente. The former is a large surface scatter, of which only a small part was excavated. This investigation produced evidence for a substantial rural site constructed in the first century AD on the remains of a late Republican/late Hellenistic settlement and then occupied without interruption until the third century. The site was interpreted as a farm located in a large land estate. It comprised a series of rooms of different functions around a central courtyard and, perhaps, included some detached buildings such as stables and storerooms. The presence of glass wasters seems to point to on-site glass production, and the quality of the findings may suggest a high level of local lifestyle. Interestingly, although the limited extension of the sondages (as opposed to the large scatter with surface materials) prevented the excavators from exploring the late antique phases, the presence of some pottery from both the surface survey and the upper strata implies reoccu8 

Elisa Bonacini: Il territorio calatino nella Sicilia imperiale e tardoromana. Oxford 2007.

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pation taking place in the fifth and sixth centuries. The pottery also suggests a connection between the site and Catania through an inland redistribution of overseas commodities from both the Eastern Mediterranean and Tunisia.9 Far richer is the evidence for late antique development provided by the site of Contrada Grammena at Valcorrente where the Superintendency located and partly excavated a rural farm used between the third and seventh centuries AD, constructed in an area previously occupied by a Hellenistic site. The late Roman farm had three main construction phases: one from the third to fifth centuries AD, the second in the mid-sixth century, and the last between the mid-sixth and early seventh centuries. The third- to fifth-century farm was likely quite a large establishment, one articulated in a series of rooms, including a courtyard and a large room (later partitioned) with pillars, conceivably for supporting a suspended wooden floor or platform, as occurs in structures used for storage and for preserving agricultural produce. In this and adjacent rooms, possibly, cereals were also processed, as implied by the presence of a fragmentary millstone. After a period of vibrant life in the fourth and fifth centuries – well documented by the variety of material culture and the comparative wealth of ceramic imports – the site suffered a phase of abandonment and destruction in the first half of the sixth century. Various building activities followed around the mid-sixth century, however, and helped reshape the site in new spaces: the north-eastern area, for instance, saw the construction of new small storerooms. This second phase was short-lived and came to an end in the late sixth century, possibly after a fire. A new settlement developed from c. AD 600; it adapted to the pre-existing structures and was characterised by an alternation of small rooms of domestic function, open spaces, and storages. The quality of overseas ceramic imports, particularly ARS and Tunisian ­amphorae from the fourth to sixth/early seventh centuries, and the increasing ­frequency of Eastern Mediterranean commodities from the fifth century onwards, further corroborate the crucial role played by Catania as a gateway to the island’s interior for Mediterranean goods.10 Still in eastern Sicily, a different and unusual trend of the decrease of rural sites was observed on the Hyblean plateaus, between Ragusa and Modica, on the basis of a total of 135 rural sites ranging the Roman Imperial and early Byzantine periods. In total, 40.7 % refer to the Imperial period, 25.9 % are late Roman, 18.5 % are early to middle Byzantine and the rest are of uncertain chronology. The diminished overall number of sites seems counterbalanced by the large size of some villages. One significant example comes from the large village in Contrada Piani 9  Elisa

Bonacini/Maria Turco: L’insediamento rurale di Contrada Franchetto a Castel di Iudica (Ct). Un sito rurale tra età repubblicana ed età imperiale. Available online: http://www. fastionline.org/docs/FOLDER-it-2015-339.pdf (FastiOnline Documents & Research. 2015) (last accessed: 25. 3. 2020). 10  Elisa Bonacini/Maria Turco: L’insediamento di Contrada Grammena a Valcorrente tra tardoantico e alto medioevo. La longue durée di un sito rurale in provincia di Catania. With an Appendix by Lucia Arcifa. Available online: http://www.fastionline.org/docs/FOLDER-it-2012-251. pdf (FastiOnline Documents & Research. 2012) (last accessed: 25. 3. 2020).

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cella, possibly comprising a total of 52 buildings, including a church and two cisterns, plus a cemetery. The many house units likely accommodated single families and comprised two or more rooms and enclosed courtyards.11 The most interesting case study of the area, however, is the substantial emporium at Punta Secca that was occupied without interruption from the mid-fourth to the seventh century AD and which seems to have played a major role in the system of connections between south-eastern Sicily, North Africa, and Malta. This large village does not follow the classical topographic schemes of well-planned sites, characterised instead by a more spaced and less organised distribution of the buildings; they included a church, a bazaar, small enclosed properties, a “palace”, and at least 20 domestic dwellings, of both simple and more elaborate plans, as well as two-storey structures and storage units (fig. 3). It has been hypothesised that the more articulated houses with storage areas belonged to proprietors/merchants, whereas the smaller ones, alternating with open spaces, gardens, and orchards, may have been occupied by local farmers.12

Figure 3: Map of the late antique village at Punta Secca, south-west of Ragusa (after Di Stefano: Kaukana [see note 12], p. 56, fig. 2).

In the hinterland of the Greek colony of Megara Hyblaea, north of Syracuse, ­recent field surveys and the re-analysis of older materials in three sample areas 11  Giovanni Di Stefano: Villaggi rurali e fattorie fortificate degli Iblei. Un modello siciliano tardoantico. In: Volpe/Turchiano (eds.): Paesaggi e insediamenti rurali (see note 3), pp. 667–674. 12  Giovanni Di Stefano: Kaukana: architetture private e pubbliche del quartiere vandalo. In: Patrizio Pensabene/Carla Sfameni (eds.): La villa restaurata e i nuovi studi sull’edilizia resi­ denziale tardoantica. Bari 2014, pp. 55–60; Roger Wilson: Punta Secca (‘Kaukana’): i risultati degli scavi canadesi 2008–2010. In: Pensabene/Sfameni (eds.): La villa restaurata (this note), pp. 61–68.

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produced interesting datasets on the complexity of the late antique settlement. In the ancient city of Megara there developed, between the first and fourth centuries AD, a mansio/statio with production and storage facilities. Between the later fourth and fifth centuries the settlement shifted eastwards in the area previously occupied by the Hellenistic and late Republican site, and took on the shape of a rural agglomeration with structures for processing agricultural produce and others for lime-making. The new site, closer to the sea, also enabled fishing and took advantage of a small landing area for receiving supplies of Mediterranean imports well into the later fifth and sixth centuries. Some 1.8 km west of Megara a large rural site (5 ha of surface scatter) emerged in the late fifth or early sixth century and was only abandoned in the ninth. This site was closely connected to the coastal markets, as revealed by a variety of Tunisian and eastern Mediterranean imports. The area of Costa Saracena, further north, shows a slight increase of rural sites (both of small and large size) in the mid-/late fifth century AD, as part of a rural settlement network that persisted until the early medieval period. In this latter area, notably, the fifth century coincides with the development of rural sites not just – as had been the case in the third and fourth centuries – in the most fertile areas with higher agrarian yields, but also in new areas, which, although less favourable, may have been better suited for both grain production and alternative activities, such as pastoralism. In general, the increasing demand for Sicilian grain after the loss of North Africa to the Vandals may have stimulated the regional expansion of cultivated areas to increase cereal production. Finally, south of Megara, in the territory near the town of Priolo, a late Roman rural site of large extension (8 ha) was abandoned in the mid-fifth century. Another substantial settlement developed 2 km to its north-east, in the area of the Christian basilica of San Foca, the foundation of which likely comes from the fifth century as well. The new site seemingly endured until the early Middle Ages and the topographical coincidence between the new site and the basilica may signify that the complex was at the centre of an ecclesiastical land estate.13 As regards inland areas in eastern Sicily, it is worth referring to the partial, though significant, data from a single-season survey in the upper Simeto valley, near the north-western flank of Mount Etna. Here a continuity of settlement pattern from the Greek period until the Middle Ages has been detected, one significant example of this tendency being the large settlement about 8 ha in size discovered at Galatese, which, given the complexity and variety of surface finds and its extent, may have been a small urban-style site.14

13  Giuseppe

Cacciaguerra: Dinamiche insediative in Sicilia tra V e X secolo: tre contesti a confronto nell’area megarese. In: Giuliano Volpe/Pasquale Favia (eds.): V Congresso Nazionale di Archeologia Medievale. Florence 2009, pp. 296–301. 14  Anna Leone et al.: The Upper Simeto Valley Project. An Interim Report of the First Season. In: Matthew Fitzjohn (ed.): Uplands of Ancient Sicily and Calabria. The Archaeology of Landscape Revisited. London 2007, pp. 49–58.

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In an area far inland, an intensive field survey directed at Morgantina by S­ tephen Thompson, as yet unpublished, revealed a pattern of settlement increase from as early as the second century AD, although a major peak in rural site density dates to the late Roman period. Interestingly, the mean size of the identified sites was over one hectare and the largest settlements reached about 2.5 and 3 ha. The close distribution of these villages has been interpreted as proof of the existence of a complex network of private properties centred on the largest sites. The distribution trend for ARS reveals a substantial supply, if with some discontinuities, up to the early fifth century, followed by a progressive decrease. The amphora evidence tends to present a similar pattern: sixth- and seventh-century amphorae are very rare, although Mediterranean imports (from both Tunisia and the Aegean) are still common in the early Byzantine period at the new, “protected” settlement. It developed during the sixth century on the “Farmhouse Hill” within the boundaries of the ancient town of Morgantina.15 Moving to central-southern Sicily, a coastal to inland area which has been thoroughly investigated is the Platani valley, in the territory of Agrigento. The zone may not have been much (if at all) affected by Vandal raids in the mid-fifth century. A re-organisation of the settlement network, however, immediately followed a short period of crisis, with new sites emerging in the late fifth and early sixth centuries, while others continued to be settled. Nevertheless, the majority of the sites in use at the end of the fifth and early sixth remained active up to the late sixth and seventh centuries. Some villas, possibly abandoned in the mid-fifth century, were re-occupied and may have become villages. Even here, the early Byzantine period did not witness any marked transformation of the settlement network, with many sites persisting. Interesting data emerge from the intensive survey in a smaller area of about 4 km2 in Contrada Butermini, still in the Platani valley. Here, the central place was the large site at Masseria Genuardi (about 5 ha of ­surface scatter), occupied without interruption from the first to seventh centuries AD. In the second half of the fifth century another large site (c. 9,000 m2) reoccupied the area of a Hellenistic settlement at Canalicchio and was active up to the seventh century. Potentially the new site at Canalicchio was subordinate to the major site at Masseria Genuardi, which still played a central role in a large estate.16 Further information on the significant development of large late antique sites in the area of Agrigento comes from excavations undertaken by the Sicilian Superintendency. The site in Contrada Carabollace, at the mouth of the river of the same name, comprised at least two rectangular buildings divided into several rooms; the complex served as a sort of emporium for imports between the mid-fourth and sixth centuries, and probably formed part of a larger village (fig. 4). The site also 15 

Vaccaro: Patterning the Late Antique Economies (see note 4) with bibliography. Maria Serena Rizzo: L’insediamento rurale nella valle del Platani tra tardoantico e alto-medioevo. In: Volpe/Turchiano (eds.): Paesaggi e insediamenti rurali (see note 3), pp. 641–647; Maria Serena Rizzo: L’insediamento medievale nella valle del Platani. Rome 2005. 16 

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took advantage of a very favourable position along the route connecting Agrigento to Lilybaeum. Despite its position open to the sea, it was not seemingly hit by any of the Vandal raids.17 On the other hand, these raids – according to the excavators – brought about the destruction and abandonment of the rural site at the mouth of the Verdura river, just south-east of Carabollace. Here, excavation focused on one large rectangular building within a much larger settlement, which saw usage between the mid-fourth and mid-fifth centuries; the site may have been another landing place for south-western Sicily.18 Nor was there any evidence detected of mid-fifth-century destruction at the very large village (10 ha) at Cignana, on the ancient coastal road between Syracuse and Lilybaeum. Constructed in the fifth century on the remains of an early to mid-imperial villa, the site was occupied continuously until the seventh century AD, positioned at the centre of intensive trade in both Mediterranean and sub-regional commodities.19

Figure 4: Part of the late antique site at Carabollace (after Caminneci: Tra il mare [see note 17], fig. 5). 17  Valentina

Caminneci: Tra il mare ed il fiume. Dinamiche insediative nella Sicilia occidentale in età tardoantica: il villaggio in contrada Carabollace (Sciacca, Agrigento, Sicilia, Italia). Available online: http://www.fastionline.org/docs/FOLDER-it-2010-213.pdf (In: FastiOnline Documents & Research. 2010) (last accessed: 24. 3. 2020), fig. 5. 18  Maria Concetta Parello/Annalisa Amico/Fausto D’Angelo: L’insediamento alla foce del Verdura in territorio di Scaicca (Agrigento-Sicilia-Italia). I materiali ceramici. In: Menchelli et al. (eds.): LRCW 3 (see note 2), pp. 283–291. 19  Maria Serena Rizzo/Luca Zambito: Ceramiche comuni ed anfore dal villaggio tardoantico di Cignana (Naro-Agrigento, Sicilia, Italia). In: Menchelli et al. (eds.): LRCW 3 (see note 2), pp. 293– 300.

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For western Sicily, the most comprehensive data produced by large-scale systematic field survey come from the territory around Segesta. Here, the agglomeration of the rural population, and a parallel widespread abandonment of small sites, were already underway by the second century BC. A trend towards rural villages is evident as early as the first and second centuries AD. Several villages are characterised by their long continuity, while others were founded ex novo from the third century AD, especially between the fourth and fifth centuries. Despite such nucleation trends, two major sites played a central role in framing the area’s rural settlement network: Ponte dei Bagni (in the southern sector of the study area) and Contrada Rosignolo (in the northern sector). Ponte dei Bagni along the via Valeria has been identified with the site of Aquae Segestanae in the Itinerarium Antonini.20 Settled in the Hellenistic period for the cult use of its hot spring water, a major development took place in the imperial period, and its surface area increased massively from the mid-fourth century onwards, when new buildings were built on both sides of the road; in late antiquity the site attained a surface area of 3 ha. It was continuously occupied up to AD 700, although there is evidence for a drop in ceramic density from the mid-seventh century. The other large rural village at Contrada Rosignolo, by contrast, was founded ex novo in the fourth century AD, and continued to flourish until the end of the seventh. In summary, the territory of Segesta seems to have been characterised by a long continuity of major rural settlements from the late Roman to the Byzantine periods. The general pattern was the development of villages mainly located in areas with fertile soils, near the major transport network and in naturally protected areas. The town of Segesta itself probably became a hilltop village in late antiquity. Late antique villages became core for organising the exploitation and management of the countryside in the large late antique Sicilian estates. Stores for agricultural produce and both craft-working and commercial activities took place there, as shown by the archaeological evidence.21 These datasets demonstrate clearly that the trend of settlement expansion and economic growth of Sicily started in the third and fourth centuries AD and continued in the Ostrogothic period and later, although in some areas the levels of settlement density seem to have been lower in the sixth and seventh centuries than in the fourth and fifth. Villages became the main reference points for the rural population and the foci around which the exploitation of agricultural resources was organised and undertaken; they also served as redistribution hubs for both regional and extra-regional bulk goods. It is more difficult to define the later fifth- and sixth-century fates of the monumental fourth-century villa sites owned by rich members of the senatorial aristoc20 

Itinerarium Antonini 91, 2; 98, 3. Bernardini et al.: Il territorio di Segesta fra l’età arcaica e il medioevo. Nuovi dati dalla carta archeologica di Calatafimi. In: Alessandro Corretti (ed.): Atti delle Terze Giornate Internazionali di Studi sull’Area Elima (Gibellina, 23–26 Ottobre 1997). Pisa 2000, pp. 91–133; Franco Cambi: Segesta. I villaggi di età imperiale. In: Volpe/Turchiano (eds.): Paesaggi e insediamenti ­rurali (see note 3), pp. 623–640. 21  Sandra

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racy. Long attracting the attention of researchers, such sites include those of Caddeddi on the Tellaro river in south-eastern Sicily, that at Patti Marina west of Messina, and, in particular, the famous villa at Piazza Armerina in the centre of the island.22 Thanks to older excavations and more recent archaeological work by the University La Sapienza, the Villa del Casale is better known than the others, not just for its overall plan but for its phasing too. Here the presence of two large storage rooms to the west of the entrance square (situated in the south-western sector of the site) points to the close control exercised by an actor (steward of the owner) or a conductor (tenant) over agricultural production (particularly grain) (fig. 5). This arrangement also demonstrates that the luxury villa was not simply a means for displaying wealth and social status; it had a crucial economic function. No significant transformations occurred at the villa in the fifth century AD when both architectural decorations and mosaics were maintained and some of the latter were restored. No significant later building activities took place, however, and the mosaic restorations became ever more crude, indicating that the site only hosted an actor or conductor and no longer a high status proprietor. New excavations at the southern baths have revealed that a catastrophic event led to the collapse of the columns of the peristyle and the reinforcement of almost all the wall perimeter of the baths. In addition, the inhabited areas of the heart of the villa

Figure 5: Plan of the late Roman Villa del Casale at Piazza Armerina with the two presumed ­granaries situated west of the main complex and the new baths excavated to the south-west (after Pensabene: Nuove scoperte [see note 23], p. 10, fig. 1).

22 On

the late Roman luxury villas of Sicily, see, in general, Carla Sfameni: Ville residenziali nell’Italia tardoantica. Bari 2006, pp. 29–46.

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shrank in the second half of the sixth century: occupation became concentrated in the western baths and adjacent rooms, whereas the large basilica (the most important building for self-representation) had already collapsed and was exploited in the Byzantine period instead for funerary purposes. To this period we should also assign the transformation of the frigidarium of the western baths into a room possibly used as a church, as well as the installation of a tile kiln in a room to the north of the villa’s large peristyle. It seems clear, however, that at least in the Gothic period, the site as a whole was maintained in its original topographical and architectural design and, although the main owner may no longer have been pre­ sent, the villa (now in the hands of a manager) continued to be the administrative centre of its large estate.23

Townscapes of Late Antique Sicily Although urban archaeology in Sicily has not yet reached the level of thoroughness and systematic coverage achieved for the north of the Italian peninsula, the available archaeological data do lend themselves in some cases to an overall understanding of the transformations that occurred at some of the island’s principal Greek and Roman cities in the late antique period. My discussion will use three case studies: Agrigento in the south-west, Lilybaeum/Marsala in the west, and Catania in the east. To these three cities, I add the case study of the agro-town at Philosophiana since it exemplifies large urban-style agglomerations typical of several areas of the Sicilian countryside in late antiquity. Ongoing work elsewhere offers a picture of significant activities, transformations, and fair socio-economic vitality at many late antique Sicilian cities that runs counter to some traditional concepts of progressive de-urbanisation and marked decline of urban life.24 At the same time, historical research is showing that the Sicilian cities, at least in the fifth and sixth centuries AD, continued to be not just foci of political and ecclesiastical administration, but also the main reference points for the organisation of the fiscal system. Indeed, the island’s large estates (massae fundorum) were under close control by the civic bureaucracy.25 Thanks to long-running excavations, Agrigento offers some of the best and more significant archaeological materials for defining urban transformations in late antiquity. From the fourth century onwards, this city seems to shrink in size 23  Patrizio Pensabene: Nuove scoperte alla Villa del Casale di Piazza Armerina: propilei, terme e fornaci. In: Pensabene/Sfameni (eds.): La villa restaurata (see note 12), pp. 9–20. 24  On the recent data generated from urban archaeology in Sicily, see the valuable contributions in Parello/Rizzo (eds.): Paesaggi urbani tardoantichi (see note 5). On the theme of urban Christianisation, see Denis Sami: Changing Beliefs. The Transition from Pagan to Christian Town in Late Antique Sicily. In: Denis Sami/Gavin Speed (eds.): Debating Urbanism. Within and Beyond the Walls, A. D. 300–700. Leicester 2010, pp. 213–237. 25  Elena Caliri: Città e campagna nella Sicilia tardoantica: Massa Fundorum ed istituto civico. In: Mediterraneo Antico. Economie Società Culture IX (2006) 1, pp. 51–69.

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compared to the Roman period and even more to the Classical (fig. 6).26 Traces of intensive occupation appear on the hill of the Greek temples and in surrounding areas, around Poggio San Nicola and in the so-called Hellenistic/Roman District. In all these areas, which correspond to the central-southern portion of the ancient city, occupation seems to continue uninterrupted until the seventh century. But the Hill of the Temples radically changes its function in late antiquity: here, the walls had been demolished after the Roman conquest when they ceased to serve their defensive function and were repurposed from the fourth to fifth centuries to accommodate burial grounds. Portions of the city walls carved into the emergent bedrock were reused to establish arcosolia (i. e. tombs with an arched recess carved

Figure 6: Agrigento: the reduction of occupied surfaces in late antiquity (after Sami: “And build a new church” [see note 36], p. 226, fig. 1).

26  Maria

Concetta Parello/Maria Serena Rizzo: Agrigento tardoantica e bizantina: nuovi dati dal quartiere residenziale e dalle aree pubbliche. In: Parello/Rizzo (eds.): Paesaggi urbani tardoantichi (see note 5), pp. 51–62, here: pp. 51 f.

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into the rock).27 Around AD 600, the Temple of Concordia was converted, after significant investment, into the urban Cathedral. To the north-west of this temple a series of classical cisterns were reused for hypogeic graves. Such findings reveal that burials intruded into the city in the fourth and fifth centuries.28 Public buildings in the Forum seem to have been maintained, partly, until the first half of the fifth century, although a violent fire in c. AD 450 caused the final destruction of the Forum buildings. Over a large levelling layer dated to between the late fifth and early sixth centuries, new structures were then erected re-using older building materials; occupation here seems to have continued until the mid-seventh cen­ tury.29 Another public area of Agrigento that was transformed in late antiquity is the gymnasium, where a monumentalization process occurred in the Constantinian period when two symmetrical rectangular buildings for commercial and economic activities were constructed. These buildings were short-lived, however, destroyed shortly after AD 360. After a period of systematic spoliation, in the sixth century AD thick alluvial layers sealed the area. In the seventh century, a press for processing agricultural produce was installed re-using some of the remains of one of the two fourth-century buildings.30 Large-scale transformations also occurred in the area of the Hellenistic/Roman District, where, by the mid-fifth century AD, a series of houses was sealed by thick rubble layers, that, according to some scholars, were caused by destructions in the Vandal raids. These rubble deposits were not subsequently cleared; instead, in some houses, they were levelled up by a thin layer, and new partition walls were constructed over it or directly on the mid-fifth-century levels. In other cases, partition walls were constructed on top of abandonment levels containing seventh- to early eighth-century pottery. It seems that both the late antique and early medieval walls respected the layout of the older houses without encroaching onto the roads. In the course of the seventh century AD or shortly after, several graves, both isolated and in groups, were established in different areas of the Hellenistic/ Roman District.31 Notable is the case of the house II-D measuring some 353 m2 and divided into nine rooms arranged along the northern, western, and southern sides of a courtyard. Constructed by the end of the second century BC, the house witnessed a series of new building activities between the early first century BC and the third century AD. The complex was then robbed at different stages, partly in the fourth and fifth centuries AD, and partly in the sixth and seventh centuries. Parts of the house were reused, after the early sixth century, for funerary purposes; interestingly, these graves were used to accommodate several burials at 27 

Ibid., p. 52. Serena Rizzo/Maria Concetta Parello: Abitare ad Agrigentum in età tardoantica ed ­altomedievale. In: Pensabene/Sfameni (eds.): La villa restaurata (see note 12), pp. 127–136, here: pp. 133 f. 29  Ibid., pp. 129–132. 30  Parello/Rizzo: Agrigento tardoantica (see note 26), pp. 52  f. 31  Ibid., pp. 55–61. 28 Maria

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different times.32 Anthropological analysis applied to a selection of late antique graves from the Hellenistic/Roman District has shown that they had been used repeatedly, with several burials belonging to different phases from the early sixth to the seventh century. This pattern of reuse and over-crowding can be explained by the assumption that the burials in each grave belonged to members of the same family. Many of the deceased suffered from dental pathologies caused by a poorly variegated subsistence-diet, mostly relying upon agricultural products (carbohydrates in particular, with very little contribution of vitamins A and D); some skeletal markers also point to functional stresses generated by heavy work activities, possibly related to agriculture. Overall, the continuing use of the same (family?) tombs, their simplified architecture, and the poverty of both diet and burial goods may all point to the low status of the buried population (or at least part of it, ­given the small sample processed) who lived and died in the Hellenistic/Roman District of Agrigento in late antiquity.33 This process of expanding funerary areas has also been observed at the Emporium (sea-port) of Agrigento. Between the late fifth and seventh centuries some portions of this sea-port were occupied by enchytrismos graves, a type of burial in which the body is deposited in an amphora. The practice reflects the wide availability of (discarded?) amphorae, particularly the large cylindrical ones imported from the zone of Nabeul in Tunisia. Besides the funerary evidence, however, the persistence of building activities at the sea-port has been demonstrated in a rescue excavation, which identified cobblestones associated with sixth- and/or seventhcentury walls that covered a building collapsed at some point in the fifth century. At least up until the seventh century, moreover, the harbour of Agrigento seemingly maintained an important role in the systems of maritime exchange that connected the area of Nabeul with south-western Sicily, as attested by the regular supply of ARS and Tunisian amphorae.34 Further evidence for Agrigento’s late Roman economic vitality comes from the recent identification of a suburban craft-working district specialising in the production of medium-sized wine-amphorae in the fourth and fifth centuries.35 Overall, the data from Agrigento show some clear patterns of transformation across the period AD 400–600: firstly, the progressive decommissioning and decay of public buildings and spaces and the concomitant establishment of domestic and 32  Anna

Rita Pecoraro: La casa II-D del quartiere Ellenistico-Romano di Agrigento. In: Parello/ Rizzo (eds.): Paesaggi urbani tardoantichi (see note 5), pp. 359–366. 33  Raffaele Fanelli: Il quartiere Ellenistico-Romano tra tardoantico e altomedioevo: le indagini archeoantropologiche del 2014. In: Parello/Rizzo (eds.): Paesaggi urbani tardoantichi (see note 5), pp. 253–258. 34 Valentina Caminneci/Vincenzo Cucchiara/Giuseppe Presti: ΕΙΣ TO ΠΕPI ΠOΛIN TO ΛEΓOMENON EMΠOPION (PG 98, COL.581). Nuove ipotesi sulla topografia dell’Emporion di Agrigentum. In: Parello/Rizzo (eds.): Paesaggi urbani tardoantichi (see note 5), pp. 63–75, here: pp. 63–67. 35 Domenica Gullì/Serena Sanzo: Archeologia preventiva ad Agrigento. Nuovi dati da recenti interventi di tutela. In: Parello/Rizzo (eds.): Paesaggi urbani tardoantichi (see note 5), pp. 241– 247, here: pp. 244–246.

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production activities; secondly, the division of large domus, like those in the Hellenistic/Roman District, into smaller dwellings, presumably with the aim of accommodating a larger number of families; thirdly, the Christianisation of intramural areas, as demonstrated by the establishment (from as early as the fourth/ fifth century AD) of isolated graves as well as planned cemeteries; fourthly, the reuse of the city-walls of the southern stretch for the installation of arcosolio graves seems to point to a neglect of the urban defensive structures – a phenomenon likely underway since the Roman conquest of Sicily (when there was no further need for protection), although their exploitation here for funerary needs only comes in the late antique period. Largely transformed and reduced in its size, late antique Agrigento still appears characterised by intensive occupation (witness the extended use of graves), culminating in the massive efforts by bishop Gregory to construct the new Cathedral in the Temple of Concordia, attributed to c. AD 600.36 Lilybaeum (modern Marsala) has the peculiarity (for Sicily) of a quite precise overlapping of the modern and the ancient cities. The large area of Capo Boeo, part of ancient Lilybaeum, however, has not suffered modern urban development, meaning that the archaeological remains are here well preserved and extensive excavations over an area of some 25 ha are possible. Consequently, the most interesting data for Lilybaeum derive from excavations by the Superintendency in this large sample area. Here was located part of the decumanus maximus set up in the late Republican period. The area of the decumanus and adjacent insulae seems to have been used and occupied continuously until the fourth century AD. A partial abandonment hereabouts took place for the first time from c. AD 400, while the associated drain system underwent final abandonment only at the end of the sixth century. Significant functional changes occurred on the decumanus between the sixth and seventh centuries when the road was reduced in its extension and its central sector was transformed into a Christian space with a cemetery installed and an east-west apsed burial cell erected, which accommodated two well-built graves. Similar transformations occurred in the area of Insulae I and II in the northern sector of Capo Boeo: here, occupation continued uninterrupted from the late Republican period to the second/third century AD; then, after a shortterm frequentation in the fourth century, a cemetery was established in the fifth century, which was used continuously until the sixth. Another fifth- to sixth-century burial ground was located (and partly excavated) on the northern edge of Capo Boeo, just outside the ancient city walls. In addition, thick burnt layers in some areas of the town have been tentatively attributed to the effects of the mid-fifth-century Vandal raids, although the available evidence remains inconclusive. 36  Denis

Sami: “And build a new church there faithful to God and the bishop’s palace that you want”. The Seventh-Century Life of Bishop Gregory and the Bishop-Residence of Agrigento. In: Pensabene/Sfameni (eds.): La villa restaurata (see note 12), pp. 223–232; Rosa Maria Bonacasa Carra: Agrigento: 30 anni di scavi e ricerche nell’area della necropoli paleocristiana. In: Parello/ Rizzo (eds.): Paesaggi urbani tardoantichi (see note 5), pp. 77–86.

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The overall picture for late antique Lilybaeum shows a progressive contraction of the urban area in the ancient city’s north-eastern portion, corresponding to the funerary use of the north-western districts. A demographic interpretation of the encroachment of public and private urban spaces by cemeteries and isolated graves would usually provoke controversy; it is difficult, after all, to define whether a population decrease necessarily entails a reduction of occupied spaces for ­domestic use. In late antique towns the spaces for the living and for the dead frequently co-exist, and non-sophisticated dwellings and production facilities ­ generally appear in the proximity of graves.37 Catania, our third case study, was one of the episcopal seats of eastern Sicily at the time of Gregory the Great and was certainly one of the most important cities of the island in late antiquity. Although urban excavations have been sparse and non-systematic, they do allow for an overall consideration of the main transformations that occurred between the fifth and seventh centuries. The first aspect to point out is the transformation and reuse of public buildings, which has been observed in several areas. For example, excavation at the Benedictine monastery of San Nicolò showed that the Roman decumanus was, by the late fourth/early fifth century, covered by a thick rubble level, which extended to the pillars on the northern side of the road. This level was in turn sealed by a cobble layer that might have formed a higher surface of the road until the mid-seventh century. In the same area, a series of structures with the same orientation as the late Hellenistic and proto-imperial district was constructed between the fifth and seventh century.38 In the mid-fifth century, the marble floor of the orchestra of the Roman theatre, maintained to some extent until the fourth/early fifth century, was occupied by a quadrangular building interpreted as a macellum (slaughterhouse) on the basis of the large faunal remains. This building in turn was certainly abandoned in the first half of the seventh century when all the orchestra was sealed by a thick collapse layer and occupied by humble houses (fig. 7).39 Late antique building­­activities were also identified at other areas near the theatre: immediately to the north-west, a wall that would have partly blocked the view towards the outer facade of both the theatre and the odeion was likely constructed in the sixth century when the complex had already been decommissioned as a public monument, as suggested by materials from the foundation trench.40 In the external space 37  Rossella Giglio Cerniglia et al.: Lilibeo (Marsala). Risultati della campagna 2008. In: Carmine Ampolo (ed.): Sicilia occidentale. Studi, rassegne, ricerche. Pisa 2012, pp. 225–237; Rossella Giglio: Lilibeo tardoantica e medievale note sulle caratteristiche dello spazio urbano. In: Pensabene/­ Sfameni (eds.): La villa restaurata (see note 12), pp. 147–156. 38  Maria Grazia Branciforti: Da Katané a Catina. In: Maria Grazia Branciforti/Vincenzo La Rosa (eds.): Tra lava e mare. Contributi all’archaiologhia di Catania. Catania 2010, pp. 135–258, here: pp. 157–162. 39  Ibid., pp. 196–199. 40  Agata Taormina: Nuove ricerche archeologiche nel teatro antico di Catania. In: Fabrizio Nicoletti (ed.): Catania Antica. Nuove prospettive di ricerca. Palermo 2015, pp. 281–349, p. 303.

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north-east of the theatre, between the sixth and seventh centuries two parallel walls were constructed and the space in-between backfilled with rubble materials; the walls supported a floor some 3 m higher than the abandoned Roman road.41

Figure 7: Catania: late antique structures obliterating the opus sectile of the orchestra of the ­Roman theatre (after Branciforti: Da Katané [see note 38], p. 197, fig. 96).

The second major aspect is the Christianisation of urban spaces. At Catania the precise identification of the first cathedral remains uncertain. Recent work around the churches of S. Agata la Vetere and S. Agata in Carcere in the city’s northern sector, however, is providing important evidence for the translation of the cult of Agata, Catania’s patron saint, from the suburban Christian basilica of Via Dott. Consoli, used until the sixth century, to the urban area of Sant’Agata in Carcere, where the new church likely reused the structures of a Roman temple. Most interesting is the identification of a seventh-century (Christian) cemetery in the adjacent complex of S. Agata la Vetere, the first to document the occupation of Catania’s spaces by new funerary areas.42 Meanwhile, excavations at the complex of S. Agata in Carcere provide possible data for the controversial presence and construction date of Catania’s fortifica41 

Ibid., pp. 333–341. Arcifa: La città nel Medioevo: sviluppo urbano e dominio territoriale. In: Lina Scalisi (ed.): Catania. L’identità urbana dall’antichità al settecento. Catania 2009, pp. 73–111. 42  Lucia

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tions. According to Cassiodorus, King Theoderic authorised the citizens to reuse stones from the amphitheatre “ut in murorum faciem surgat” (Variae 3, 49, 3), interpreted as a restoration of the city walls for defensive purposes; only a few decades later, however, Procopius in an aside describes the town as still “unwalled” (ateichistos) (Bella 7, 40, 21). New archaeological data show that the Roman cryptoporticus constructed on the hill at the time when the amphitheatre was built was partly reused by a small building that had collapsed by AD 600. From the seventh century well into the eighth, the remains of the cryptoporticus were reused and integrated into a substantial urban circuit, which may suggest that Catania was only provided with fortifications at the transition from the early and middle Byzantine periods.43 The available archaeological evidence, however, does not lend itself to either supporting or ruling out the presence of a functioning city wall at Catania in the Ostrogothic period. Recent work, largely based on historical sources but drawing also on archaeological datasets for mainland Italian cities at the time of the Greco-Gothic war, has demonstrated that when Procopius applies the term ateichistos to cities he is not always reliable. By calling a city ateichistos, he might mean to say that it was unwalled, but quite possibly he simply means that its fortifications and/or garrison were insufficient for it to play any significant strategic role. In addition, it cannot be ruled out that Procopius exaggerated the weakness of some urban fortifications.44 Since we know that Theode­ ric had granted the honorati, possessores, defensores, and curiales of Catania the right of exploiting building materials from the amphitheatre to restore the city walls (supra), possibly to protect the city against the Byzantine attacks in AD 508,45 (re)construction activity might have been too humble to be recorded by Procopius – i. e. the structure might have been a crude restoration of an old wall or of a citadel area.46 Recently published excavations at the so-called Rotonda in Catania cast further light on how one of the most famous monuments of this ancient city was transformed in late antiquity. The complex comprised a large central space provided with a cupola roof and surrounded by a radial system of tubs ending in a quadrangular perimeter. It connected to a large cistern to the north through an articulated series of arches and exedras, that should have represented the main access point (fig. 8). The monument’s original function was likely as a bath-complex, which, based on coin evidence, was active in the fourth and fifth centuries AD. Significant architectural and functional changes occurred in the 580s–590s AD

43 Lucia

Arcifa: Trasformazioni urbane e costruzione di una nuova identità: Catania nell’alto­ medioevo. In: Giuliano Volpe/Roberto Giuliani (eds.): Paesaggi e insediamenti urbani in Italia meridionale fra Tardoantico e Altomedioevo. Atti del Secondo Seminario sul Tardoantico e ­l’Altomedioevo in Italia meridionale (Foggia–Monte Sant’Angelo, 27–28 Maggio 2006). Bari 2010, pp. 233–251. 44  Kayoko Tabata: Città dell’Italia nel VI secolo d.C. Rome 2013, pp. 206–215. 45  Ibid., p. 140. 46  Ibid., p. 207.

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when the Rotonda’s complex became a church, while the imperial-period cistern was turned into a service-building related to it.47

Figure 8: Catania: overall plan of the ­Roman ­imperial and late antique complex of the Rotonda (after Buda/Nicoletti/­Spinella: Catania [see note 47], p. 559, fig. 135).

One significant case study that allows us to analyse urban and rural settlements in parallel is represented by the urban-style site of Philosophiana and its hinterland, adjacent to the late Roman villa of Piazza Armerina, in central Sicily. Here, an 47  Giovanna

Buda/Fabrizio Nicoletti/Viviana Spinella: Catania. Scavi e restauri a nord della Rotonda. In: Nicoletti (ed.): Catania Antica (see note 40), pp. 507–589.

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ongoing multidisciplinary landscape archaeology project, carried out by the present author and the University of Messina, is investigating the agro-town of Philosophiana over the longue-durée.48 The combination of intra-site survey, geophysics, and both recent and previous excavations at Philosophiana has identified a Roman urban-style settlement that was probably founded in the Augustan ­period. It then experienced a phase of remarkable surface expansion between the fourth and fifth centuries AD when it exceeded 21 ha.49 Late antique expansion is further confirmed by the intensive use of both the western and eastern necropoleis. The Christianisation of the space is documented by the transformation of the frigidarium of the Constantinian period baths into a small Christian basilica with baptistery in the late fourth or early fifth century AD.50 Additional evidence for fourth- and fifth-century growth is provided by the identification of a large surface scatter covering about 2.6 ha (Topographic Unit 1), which is separated by a gap of about 20–30 m in surface artefacts from the south-eastern edge of the main site. The analysis of pottery from this scatter allowed for the identi­ fication of a high concentration of materials dating from the late fourth to the sixth centuries, in addition to the presence of several eighth- to ninth-century ceramics (fig. 9).51 Although showing a decrease in both quantity and distribution, the sixth- and seventh-century surface ceramics at the main site reveal a continuing occupation of the majority (approximately 70 %) of the areas settled in the fourth and fifth centuries. We should stress that sixth-century materials, documented in almost the same quantity as in the fourth century, are far more common than those dated to the seventh century, suggesting a less intense occupation of the “agrotown” after AD 600.52 Ongoing excavations by the Philosophiana Project in a previously wholly untouched area between the Constantinian baths to the south and the northern district of the site, largely abandoned after the third quarter of

48 

The project’s co-directors are Gioacchino Francesco La Torre (University of Messina) and the present author. 49  On the Philosophiana Project, see in particular Kimberly Bowes et al.: Preliminary Report on Sofiana/mansio Philosophiana in the Hinterland of Piazza Armerina. In: Journal of Roman Archaeology 24 (2011), pp. 423–449; Emanuele Vaccaro: Re-evaluating a Forgotten Town Using Intra-site Surveys and the GIS Analysis of Surface Ceramics: Philosophiana-Sofiana (Sicily) in the Longue Durée. In: Paul Johnson/Martin Millett (eds.): Archaeological Survey and the City. Oxford 2012, pp. 107–145; Vaccaro: Patterning the Late Antique Economies (see note 4); Emanuele Vaccaro/Gioacchino Francesco La Torre (eds.): La produzione di ceramica a Philosophiana (Sicilia centrale) nella media età bizantina: metodi di indagine ed implicazioni economiche. In: Archeologia Medievale 42 (2015), pp. 53–91. 50  Excavations at the necropoleis around Philosophiana, as at the Constantine period bath-complex, were carried out by Dinu Adamesteanu in the 1950–1960s; for these data, see Dinu Adamesteanu: Sofiana. Scavi 1954 e 1961. In: Giovanni Rizza/Salvatore Garraffo (eds.): La villa romana del Casale di Piazza Armerina. Catania 1988, pp. 74–83; see also the discussion in Bowes et al.: Preliminary Report (see note 49); and Vaccaro: Re-evaluating (see note 49). 51  Vaccaro: Re-evaluating (see note 49). 52 Ibid.

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Figure 9: Philosophiana: the map shows the largest extent of the site in the fourth and fifth centuries AD, on the basis of the ceramic density observed in the intra-site survey, and the main archaeological features around the central-place.

the third century AD,53 is shedding light on the overall settlement sequence between the site’s foundation in the late first century BC and its abandonment around AD 1200. As for the late antique period, the early imperial buildings aligned with the street grid, and that likely relate, in part, to a bath complex that pre-existed that of the Constantinian period, seem to have been completely abandoned between the second and third century, when part of the early imperial paved road was robbed. The area north of the late Roman bath complex was then occupied by a dry-stone boundary wall, slightly curved and running east-north/ west, that cut off the northern district of the site. The space between this rough wall and the northern edge of the late Roman bath-complex was occupied by a cobble floor that provided a front-yard to the baths. This area seems to have been used as an open space between the fourth and mid-sixth century AD and was kept clean (fig. 10). It was only between the second half of the sixth and the early sev-

53  The 1988–1990 excavations in the northern district of Philosophiana uncovered part of a wellplanned urban-style settlement founded in the Augustan period and abandoned by the end of the third century AD. The settlement was characterised by a street grid, a peristyle domus, and, at the northern end of the site, a possible terrace wall. For this excavation, see Gioacchino Francesco La Torre: Mazzarino (CL). Contrada Sofiana. Scavi 1988–1990. In: Kokalos 39/40 (1993/1994), pp. 765–770.

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enth century that the area underwent further transformations: by then, the boundary wall had partly collapsed, and the cobble floor was progressively covered by waste, particularly rich in ceramics, faunal remains, and other finds. This accumulation process was produced by both domestic and production activities that occurred in the Byzantine period at the Constantinian bath-complex. The complex itself seems to have fallen redundant after the fifth century, reused for different purposes including habitation and production.

Figure 10: Ongoing excavations at Philosophiana: plan of the area between the Constantinianperiod baths and the imperial-period north-eastern district with the early to mid-imperial structures sealed by a cobble floor, the late Roman boundary wall, and the spoliated Roman paved street.

The two construction phases of the basilica near the south-western edge of the site, one in the sixth and the other by the third quarter of the seventh century, provide strong evidence of the site’s persisting vitality, and may indicate the presence of a local élite capable of investing economic resources in the enlargement of the church, first by adding a central nave and then two small aisles.54 The church’s original nucleus was represented by a fourth-century martyrial apsed cell. The 54  On

the Christian basilica and its phases, see Rosa Maria Bonacasa Carra: Sofiana. In: id./Rosalba Panvini (eds.): La Sicilia centro-meridionale tra il II ed il VI sec. d. C. Caltanissetta 2002, pp. 105–113, here: pp. 108–111.

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varied socio-economic status of the population living at Philosophiana at this stage is also documented in the wealth of some graves and their gravegoods.55 If we look at the settlement network in the hinterland of Philosophiana as revealed from intensive and systematic field surveys in a 4 km diameter centred on the site,56 we can establish close comparisons between urban and rural transformations (fig. 11). The fourth- and fifth-century expansion of the main site is reflected by the contemporary increase in the total number of rural sites (20 overall). The largest surface scatters of this period are represented by either the very wide (2.6 ha) detached site south-east of Philosophiana, which may have constituted the late antique expansion of the main site, or by the two “suburban” nuclei along the eastern edge of the central place (ranging between 4,000 and 5,000 m2). Five sites interpreted as farmsteads on the basis of their size and density of both building materials (tiles and stones) and pottery vary between 1,000 and 1,300 m2, apart from one whose large size of c. 4,000 m2 seems more the result of intensive ploughing and the subsequent displacement of surface materials. Five additional sites vary between 170 and 650 m2 in size and are interpreted as small houses or outbuildings, represented by small concentrations of building materials and ceramics, plus dolia. In the case of five other very compact surface sites, we have applied the interpretative category of frequentation/occasional structures (e. g. shepherd huts and small stores); they feature very small clusters of fourth- to fifth-century pottery collected at sites with an earlier or later date. As this pottery is scarce and not associated with contemporary building materials it seems likely that more ancient sites were temporarily reoccupied or that the first occupation of some sites that developed after late antiquity was short-lived. Finally, we identified one small site measuring some 615 m2 on a hill west of Philosophiana; given its isolated location and rough terrain it does not seem to have been part of an actual farm. When the agro-town shrank in the sixth and seventh centuries, the number of rural sites decreased significantly too: out of those 20 sites documented in the fourth and fifth centuries, only four continued to be occupied. They were represented by the very large (2.6 ha) late antique nucleus located south-east of Philosophiana, two farmsteads, and the small hilltop site of uncertain function. After AD 500, the complete disappearance of both small rural houses/outbuildings and shelters that together accounted for about 50 % of the rural units in the environs of Philosophiana in the fourth and fifth centuries points to a much less intensive occupation of the countryside; one possible explanation would be the use of most of the land around the central place for extensive cereal production. 55  On the burial goods from the late antique necropoleis around Philosophiana see Maria Lauricella: I materiali. In: Bonacasa Carra/Panvini (eds.): La Sicilia centro-meridionale (see note 54), pp. 115–218, here: pp. 171–218. 56  The sample area centred on Philosophiana was chosen to determine, from a diachronic perspective, the relationships between the large central place and rural sites in the hinterland. The selection of this survey-area was based upon the observation of physical boundaries (such as high hills with steep slopes, deep valleys, and rivers) and was considered the possible catchment-area of the site of Philosophiana.

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Figure 11: Chronological distribution of the rural sites in the environs of Philosophiana between the later first century BC and the seventh century AD.

Systems of Exchange: The Ceramic Evidence This next section offers a synthetic analysis of regional and overseas trade in late antique Sicily, and therefore intends to emphasise the intensity and complexity of the systems of exchange both across the island and between it and other Mediterranean regions.57 The centrality of Sicily at the cross-roads of Mediterranean economic interactions is well supported by an overall consideration of ceramic distribution. I use here data from different areas of Sicily, drawing in particular on fresh datasets from new excavations at Philosophiana; they shed light on the continuity of long-distance ceramic connections engaged by inland sites of Sicily until the seventh century AD. The vast majority of late antique sites, both rural and urban, for which relevant pottery reports are available, show a significant increase of imports in the fourth and fifth centuries. Imports are mostly represented by amphora-borne foodstuffs

57 On

late antique Sicily exemplifying the variety and sophistication of ceramic exchange, see also Vaccaro: Patterning the Late Antique Economies (see note 4).

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from Tunisia (specifically fish-sauces/garum and olive oil) and ARS.58 From the mid-/late fifth century onwards, a widespread increase of Eastern Mediterranean wine and olive oil amphorae and PRS is also registered, particularly in the eastern and southern territories but also inland. The peak reached by imports in the fourth and fifth century appears unprecedented compared to earlier periods. In the territory of Segesta, for instance, the increase of late antique overseas amphorae has been interpreted as a consequence of the intensification of grain monoculture which will have determined the need to rely upon extra-regional sources for other agricultural produce.59 This explanation does not seem convincing, however, when explored on a more comprehensive level: while late antique Sicily was certainly one of the main grain producers of the central Mediterranean, its production of other goods also grew significantly from the later fourth to the sixth and seventh centuries for both the regional and overseas markets, particularly that of Rome. This is the case of wine (and related amphorae) production that was the key vocation of several coastal areas such the north-eastern (with types Keay 52, Crypta Balbi 2, and Termini Imerese 151/354) and the south-western ones (only with type Termini Imerese 151/354).60 One interesting aspect is the significant regional circulation of these amphorae which were not simply intended for exportation. Intensity of regional and local trade, as Chris Wickham has pointed out, represents one main indicator for evaluating the complexity of a regional economy.61 At the inland context of Philosophiana (some 30 km from the coast), regional amphorae are well documented in the fifth century and continue to be present until the seventh (infra). At Cignana, in the territory of Agrigento, they still represent some 14 % of all the amphorae from the sixth to the mid-seventh century (fig. 12).62 An overview of ceramic circulation in Sicily between the later fifth and seventh centuries shows the persisting capillarity of Mediterranean imports at both coastal and – perhaps more interestingly given the additional transport costs – inland sites. From this viewpoint, the case study of Philosophiana with its long continuity of occupation offers a litmus test for evaluating the rhythms of ceramic circulation in late antiquity. Here, the infra-site survey showed that the highest peak of ARS coincides with the period AD 400–500; 58 

See Daniele Malfitana/Michel Bonifay (eds.): La ceramica africana nella Sicilia romana. Catania 2016, on the widespread circulation of Tunisian products in Roman and late antique Sicily. 59  Bernardini et al.: Territorio (see note 21). 60  See Carmela Franco/Claudio Capelli: New Archaeological and Archaeometric Data on Sicilian Wine Amphorae in the Roman period (1st to 6th century AD). Typology, Origin and Distribution in Selected Western Mediterranean Contexts. In: Rei Cretariae Romanae Favtorvm Acta 43 (2014), pp. 547–555. 61 Chris Wickham: Framing the Early Middle Ages. Europe and the Mediterranean, 400–800. Oxford 2005, pp. 693–708. 62  Rizzo/Zambito: Ceramiche (see note 19). Maria Serena Rizzo et al.: Anfore di tipo siciliano dal territorio di Agrigento. In: Natalia Poulou-Papadimitriou/Eleni Nodarou/Vassilis Kilikoglou (eds.): LRCW 4. Late Roman Coarse Wares, Cooking Wares and Amphorae in the Mediterranean. Archaeology and Archaeometry. The Mediterranean: a Market Without Frontiers. Vol. I. Oxford 2014, pp. 213–223.

Landscapes, Townscapes, and Trade in Sicily AD 400–600

115

­ unisian fineware imports then remained constant, although with some fluctuaT tions, until the seventh century, as did the North African and Eastern Mediterranean amphorae.

Figure 12: Interpretative categories of the surface sites around Philosophiana dated from the first century BC to the seventh century AD.

Ceramic assemblages from new excavations at Philosophiana offer some insights on patterns of pottery exchange and consumption at a central, late antique place in inland Sicily. Although analyses of the finds are still underway, a selection of four assemblages suggest the connections engaged by the site between the mid-/ late sixth and late seventh century. Three deposits (US 1005, 1007, and 1014),

Figure 13: Examples of late antique Sicilian wine-amphorae from Philosophiana (mid-/third quarter of the fifth century AD) and Cignana (sixth to early seventh century; redrawn after Rizzo et. al.: Anfore [see note 62], here: p. 222, Tav. I, n. 6).

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Ceramic Classes (631 potsherds)

MNI (74)

ARS

10

Tunisian small spatheia (Bonifay’s spatheia 3C)

2

Tunisian spatheia Keay 26

1

Tunisian Keay 61 or 62

1

Tunisian Keay 61D

1

Generic large cylindrical Tunisian amphorae

2

Tunisian (?) flanged-bowls referable to Bonifay’s Commune 18 type

2

LR1

1

LR2

2

Sicilian amphorae

4

Extra-regional (volcanic source?) handmade cooking-pan/tegame

1

Aegean casserole/bowl Fulford 35/36

1

Local or regional kitchenware

19

Local or regional table and storage ware

21

Sicilian “a rosario” lamps

2

4th and 5th century AD residual finds

4

Table 1: Ceramic classes and MNI from three selected assemblages dated from the mid-/late sixth to mid-seventh century AD from the recent excavations at Philosophiana.

r­ eferable to the dumping activity that took place in the new excavation area, cover the period between the mid-/late sixth and mid-seventh century AD, whereas one smaller deposit (US 1041) sheds some light on the second half of the seventh century. The first three deposits yielded a total of 631 potsherds accounting for 74 MNI (= Minimum Number of Individuals), four of which represent residual fourth- and fifth-century materials (table 1). Of the 70 in-phase specimens, imports account for 34.28 % (24 MNI), most of which are of Tunisian origin63 (17 MNI). ARS is well documented with dishes Hayes 90B (1 MNI; fig. 14, n. 5), 105A (4 MNI; fig. 14, nn. 1–4), bowls Hayes 99B (3 MNI; fig. 14, nn. 6–8), bottle Fulford 2 (1 MNI; fig. 14, n. 9), and the lamp 63  For the identification of Tunisian products, see Michael Bonifay: Etudes sur la céramique romaine tardive d’Afrique. Oxford 2004.

Landscapes, Townscapes, and Trade in Sicily AD 400–600

117

Figure 14: Selected deposits from Philosophiana (mid-/late sixth to mid-seventh century AD). ARS: 1-4. Dishes Hayes 105A; 5. Dish Hayes 90B; 6-8. Bowls Hayes 99B; 9. Bottle Fulford 2; 10. Lamp Atlante X. Eastern Mediterranean amphorae: 11. LR2; 12. LR1. Tunisian amphorae: 13. Keay 61D; 14. Spatheion Keay 26 (Bonifay’s spatheion 2B); 15-16. Small spatheia Bonifay’s type 3C. Tunisian coarseware: 17-18. Flanged-bowls Bonifay’s commune 18. Local and regional coarseware: 21-22. Basins; 23. Dish; 24-26. Flanged-bowls; 27-28. Table jars; 29. Bowl; 30. Jug. Imported kitchenware: 31. Hand-made casserole; 32. Casserole Fulford 35/36. Local/regional kitchenware: 35-38. Casseroles; 39-41. Cooking-pots; 42. Cooking-jug; 43. Lid. Sicilian a rosario lamps: 33-34.

­ tlante X (1 MNI; fig. 14, n. 10). Five out of eight imported amphorae originated A in Tunisia, including large cylindrical containers such as Keay 61/62 and Keay 61D (fig. 14, n. 13), as well as smaller types such as Keay 26 (fig. 14, n. 14) and the late little spatheia Bonifay type 3 (fig. 14, nn. 15–16), whereas the other three represent the Eastern Mediterranean types LR1 (fig. 14, n. 12) and LR2 (fig. 14, n. 11). Two flanged-bowls may refer to variants of Bonifay’s Commune 18, produced in Tunisia in the late seventh century (fig. 14, nn. 19–20);64 their presence in this context may suggest a slightly earlier beginning of production in the late sixth/ mid-seventh century. Two kitchenware vessels come from overseas sources: one casserole/bowl refers to the Aegean type Fulford 35/3665 (fig. 14, n. 32) and one 64 

Ibid., p. 259 (fig. 141, n. 3 and related text). Michael Fulford: The Coarse (Kitchen and Domestic) and Painted Wares. In: Michael Fulford/ David Peacock (eds.): Excavations at Carthage: the British Mission. Vol. I, 2. The Avenue of Habib Bourguiba Salammbo. The Pottery and Other Ceramic Objects from the Site. Sheffield 1984, pp. 155–231, here: p. 176 (fig. 65, nn. 35 and 36 and related text). 65 

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hand-made cooking-pan in a coarse brown to dark grey fabric with frequent limestone, calcite, iron oxides, and black (volcanic?) inclusions shows parallels with materials well-documented in the Bay of Naples between the fifth and seventh centuries (fig. 14, n. 31).66 These assemblages also show the persistence of Sicilian medium-sized amphorae (fig. 14, nn. 17–18). This pattern of continuing production and circulation of Sicilian amphorae into the sixth to early seventh centuries has been observed elsewhere on the island,67 although the apogee of production of the main types so far identified seems to be in the fourth and fifth century.68 Local and regional table and storage wares comprised a wide range of products, such as flanged-bowls, bowls, basins, dishes, lids, jars, and small (drinking?) table pots (fig. 14, nn. 24–30). Some of these forms show close morphological similarities with late antique Tunisian coarsewares, the exportation of which to Sicily is now well documented through archaeological and archaeometric work.69 In the specific case of the Philosophiana materials, however, a local origin appears more plausible on the basis of the similarities of the fabrics (and the shape) of most of these vessels with the coarsewares produced at the late seventh-/early eighth- to mid-ninth-century ceramic workshop identified immediately east of the main site.70 Kitchenwares of Sicilian origin are mostly represented by wide-mouthed casseroles and, to a smaller extent, cooking pots, jugs, and lids (fig. 14, nn. 35–43). Finally, the ceramic repertoire documented by a selection of assemblages is completed by two specimens of “a rosario” lamps, the name of which derives from the decoration in the shape of a rosary (composed of raised beads and small crosses) stamped on the disk;71 these lamps are also of Sicilian origin (fig. 14, nn. 33–34). Another context (US 1041) offers data on ceramic consumption at Philosophiana in the second half of the seventh century AD – and thus almost at the eve of the Arab conquest of North Africa that led to the interruption of large-scale ex66  Gianfranco De Rossi et al.: Il porto di Miseno (Campania - Italia) in età tardoantica: analisi dei contesti ceramici. In: Menchelli et al. (eds.): LRCW 3 (see note 2), pp. 487–495, here: p. 493 (fig. 3, n. 1 and related text). 67  See, for instance, the case of the late antique village at Cignana near Agrigento in Rizzo/Zambito: Ceramiche (see note 19). 68  For an in-depth study of Sicilian amphorae between the first and sixth century AD, see Franco/Capelli: New Archaeological and Archaeometric Data (see note 60). 69  See, for instance, the presence of Tunisian coarsewares at late antique sites of south-western Sicily, such as Carabollace (Valentina Caminneci et al.: Ceramiche comuni e da fuoco dall’insediamento tardoantico di Carabollace [Sciacca, Sicilia, Italia]: caratterizzazione tipologica e archeometrica. In: Poulou-Papadimitriou/Nodarou/Kilikoglou [eds.]: LRCW 4 [see note 62], pp. 81– 89), Verdura (Parello/Amico/D’Angelo: Insediamento [see note 18]) and Cignana (Rizzo/Zambito: Ceramiche [see note 19]). 70  For the middle-Byzantine ceramic workshop at Philosophiana and its products, see Vaccaro/ La Torre (eds.): La produzione di ceramica a Philosophiana (see note 49). 71  This type of Sicilian lamp, imitated elsewhere (including at Rome), dates from the sixth to the seventh century and includes two variants (Provost 10 A and B) on the basis of the shape of the handle: Lucia Saguì: Lucerne. In: Maria Stella Arena et al. (eds.): Roma dall’Antichità al Medioevo. Archeologia e Storia. Milan 2001, pp. 276–282, here: pp. 279–281.

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portation of Tunisian products to the central and western Mediterranean. Out of 27 MNI documented in this context, at least 24 are in-phase, whereas two MNI are residual Tunisian products from the fourth and fifth century and one specimen is an early medieval casserole with inverted thickened rim in a spatic, calcite-rich fabric (table 2; fig. 15, n. 23). Ceramic Classes (127 potsherds)

MNI (27)

ARS

3

Tunisian small spatheia (Bonifay’s spatheia 3C)

1

Late local/regional amphorae

3

Local or regional table and storage ware

8

Local or regional kitchenware

8

Sicilian “a Rosario” lamps

1

Intrusive 8th- to mid-9th century kitchenware

1

4th to 5th century AD residual finds

2

Table 2: Ceramic classes and MNI from one selected assemblage (US 1041) dated to the second half of the seventh century AD from the recent excavations at Philosophiana.

Figure 15: Selected deposits from Philosophiana (mid- to late seventh century AD). ARS: 1. Hayes 104A3; 2. Hayes 109A; 3. Hayes 109B. Sicilian amphorae: 4-6. Local/regional coarseware: 7-8. Jugs; 9. Bowl; 10-11, 13-14. Basins; 12. Table jar. Local/regional kitchenware: 15-20. Casseroles; 21. Lid; 22. Cooking-pot. Intrusive early-medieval casserole of local/regional origin: 23.

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The presence of this latter intrusion can be explained by the fact that context US 1041 was directly covered by a levelling layer related to the installation of an eighth- to mid-ninth-century outbuilding. Compared to the contexts previously discussed, this deposit of the second half of the seventh century shows a decrease of importations, now reduced to some 16.6 % of all in-phase pottery. It is worth noting, however, the presence – with one specimen each – of some of the latest ARS products, such as dishes of Hayes 104A3, 109A, and 109B (fig. 15, nn. 1–3), and of the small spatheion Bonifay’s type 3C, which was already documented with two MNI in the late sixth- to mid-seventh-century assemblages. In contrast with earlier contexts presented in this chapter, no Eastern Mediterranean import was noted in deposit 1041. A completely new type of medium-sized (?) amphora of local or regional origin, however, is documented in this assemblage with as many as three MNI (fig. 15, nn. 4–6). This amphora has clear differences from the well-known Sicilian types of the fourth through the sixth/early seventh century AD,72 such as its grooved strap-handles and the rim with a slightly triangular profile. The repertoire of local/regional table and storage vessels shows parallels with that documented in earlier contexts, and comprises large basins, bowls, table jars, and jugs; flanged-bowls are not documented here (fig. 15, nn. 7–14). Local/regional kitchenware vessels are dominated by the presence of widemouthed open forms, such as the casseroles (largely documented in contexts 1005, 1007, and 1014 too), whereas cooking pots and lids are attested by only one specimen each (fig. 15, nn. 15–22). The origin of one casserole remains uncertain (fig. 15, n. 20). Despite its initial assignment to a local/regional origin, it does not in fact show parallels with other late antique materials attested at Philosophiana or elsewhere in central Sicily; its shape generically recalls a hand-made cooking-pan in Pantellerian ware, but the fabric at the level of macroscopic analysis seems ­different. A possible comparison can be established with a type of casserole documented in the area of Megara Hyblaea in eastern Sicily between the early seventh and mid-eighth century.73 Finally, one handle fragment of an “a rosario” lamp (Provoost 10B) is documented. We would stress that the evidence from this settlement is not in any way unique. It finds parallels at numerous Sicilian sites, thereby attesting the long-lasting centrality of the island in the context of Mediterranean trade. But such a pattern is unparalleled in late antique mainland Italy, where, apart from Rome and Ravenna, a reduction of imports is strongly visible from the early decades of the sixth century. Thus, in late antiquity, Sicily had a higher level of economic connectivity than any region of mainland Italy.

72 

Rizzo et al.: Anfore (see note 62). Cacciaguerra: La ceramica da fuoco nella Sicilia tardoantica e altomedievale. L’evidenza dell’area iblea orientale. In: Menchelli et al. (eds.): LRCW 3 (see note 2), pp. 301–310, here: p. 309 (fig. 5, n. 6 and related text). 73  Giuseppe

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Conclusions In sum, the countryside of Ostrogothic Sicily was characterised by continuing economic vitality, as documented by the high density of sites, the large size of some villages and of the agro-towns that represented the nodal points of the settlement network, and the evident capillarity of its economic connections. I would argue that the Vandal raids, which started in the 440s, and which some traditional scholarship considers a major cause of economic decline, were not in reality very widespread or substantial, and did not dramatically affect either the economic mechanisms that caused the fourth- and fifth-century growth or the complex system of interregional trade. Recent historical re-interpretation of the impact of Vandal raids on Sicily has in fact pointed out that Vandal incursions aimed more at robbing food from the Roman communities;74 such attacks seem mostly to have hit coastal sites, leaving almost untouched the inland settlements that were much more involved in grain production than those on the coast. The Vandal raids may well have affected the economic vitality of some sites, but, according to the available archaeological evidence, Sicily’s agrarian production does not seem to have suffered long-lasting damages. The new role imposed on Sicily as Rome’s main supplier of fiscal grain after the Vandal conquest of North Africa, as opposed to the island’s primacy as a grain producer for the free market in the fourth to mid-fifth centuries AD, does not seem to have a deleterious effect on its economic status or to push the large land estates to increase grain production. The island’s role as Getarum nutrix underwent no marked change (so far) visible in the archaeological record.75 At the time of the Byzantine landing in Sicily in AD 535, strikingly, the Sicilian cities surrendered without any real resistance, and the Byzantine and Gothic armies do not appear to have clashed on the island. This surrender of the cities immediately provided the Byzantines with a strategic base from which to plan the conquest of the Italian peninsula, and, even more importantly, gave an important logistical (food, materials, perhaps manpower) boost to the imperial forces.76 The slight decrease in the overall number of small rural settlements visible in some areas in the sixth century may be interpreted as a further expansion of the massae fundorum to the detriment of small landholdings, and as a possible consequence of an intensification of extensive grain production.77 In other areas, how74  Elena

Caliri: Orizzonti mediterranei nel V secolo: la Sicilia, i Vandali e Odoacre. In: Claudia Giuffrida/Margherita Cassia (eds.): Silenziose Rivoluzioni. La Sicilia dalla Tarda Antichità al ­Primo Medioevo. Atti dell’Incontro di Studio Catania-Piazza Armerina, 21–23 maggio 2015. ­Catania/Rome 2016, pp. 137–159. 75 Jordanes, Getica 308: dux providentissimus (sc. Belisarius) haud secus arbitratus Getarum subicere populum, nisi prius nutricem eorum occupasset Siciliam. 76  Tabata: Città (see note 44), pp. 184–186. 77  Domenico Vera: Massa fundorum. Forme della grande proprietà e poteri della città in Italia fra Costantino e Gregorio Magno. In: Mélanges de l’Ecole française de Rome. Antiquité 11 (1999) 2, pp. 991–1025.

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ever, such as, for example, the territory near Megara Hyblaea, less fertile areas not previously cultivated started being exploited extensively from as early as the fifth century AD through the foundation of new rural sites. In the environs of the agro-town of Philosophiana, the decrease in the overall number of rural sites is mirrored by the partial shrinkage of occupied surface in the main site. That site still continued to be large, however, beyond the standards of contemporary large agglomerations in the Italian peninsula. Cities, although less well studied than the countryside, show evidence of profound transformations from as early as the fifth century AD. A pattern common to most of the Italian peninsula is the reduction of occupied areas, although this reduction seemingly did not entail widespread decline or de-urbanisation. The Sicilian cities, in the Ostrogothic period, were still the main foci for political and fiscal organisation, and continued to be important consumption centres, as attested by the sophisticated ceramic evidence produced in some urban contexts, such as Catania, where a variety of both Tunisian and Eastern Mediterranean imports are well documented until the seventh century.78 The role of the main Sicilian ­cities as central points for the administration of the imperial power endured into the Byzantine period without evident interruption.79 The process of Christianising townscapes accelerated in the fifth century AD (particularly in the second half) with the establishment of intramural Christian cemeteries. Nonetheless, this process seems to have been completed only in the Byzantine period when new urban cathedrals were constructed in previously public areas as marks of substantial episcopal and civic investment. The progressive use of both public and private spaces for funerary purposes provides evidence of human activities and occupation in adjacent areas. The intensity of building activities, the transformation of large domus into a number of smaller households, and the reuse of public spaces for both domestic and production activities, visible in most of the Sicilian cities between the fifth and seventh centuries AD, support the overall idea of intensive occupation. One significant difference between Sicilian and northern Italian cities in the Ostrogothic period is the total lack, at the former, of archaeologically-documented investments in constructing or restoring city walls. This lack, however, may involve more a problem of material visibility than an actual absence of evidence. It would certainly be unexpected that there was not some effort on the part of civic authorities – albeit undocumented – to ensure wall circuits were in fair order given the wider politico-military context. Finally, a rapid overview of patterns of ceramic (and related goods) trade in late antique Sicily shows the wide range of connections engaged by both urban and 78  See, for instance, Lucia Arcifa: Nuove ipotesi a partire dalla rilettura dei dati archeologici: la Sicilia orientale. In: Annliese Nef/Vivien Prigent (eds.): La Sicile de Byzance à l’Islam. Paris 2010, pp. 15–49, and the sixth- and seventh-century AD contexts preliminarily presented in Buda/Nicoletti/Spinella: Catania (see note 47). 79  Tabata: Città (see note 44), pp. 327–336.

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rural sites. Tunisia represented the main partner for the importation of finewares, amphora-borne foodstuffs, and, to a lesser extent, coarsewares, although eastern Mediterranean imports (particularly amphorae) are well documented too. The inland site of Philosophiana, with its late antique ceramic assemblages, represents a quintessential case-study to demonstrate the levels of inland penetration of overseas goods (mostly of Tunisian origin) well into the seventh century, a period in which imports became extremely rare at most of the sites of the Italian peninsula. The capillary regional circulation of Sicilian medium-sized wine amphorae until the sixth century and later provides further evidence for the existence of a well-developed and efficient system of connections and the island’s economic vitality.

Zusammenfassung Dieses Kapitel bietet einen Überblick über die städtische und ländliche Besiedlung sowie die Wirtschaft Siziliens in der gotischen Zeit (476–535). Um eine umfassendere Analyse des heute für das spätantike Sizilien verfügbaren archäo­ logischen Materials zu ermöglichen, wird die Perspektive jedoch auf die Zeit ­zwischen 400 und 600 ausgeweitet. Im spätantiken Sizilien spielten Städte als Verwaltungs-, Wirtschafts- und Konsumzentren weiterhin eine bedeutende Rolle. Aufgrund der spärlich vorhandenen Daten fällt es jedoch nach wie vor schwer, die materiellen und topographischen Aspekte dieser Städte zu rekonstruieren. Gleichwohl arbeite ich anhand von drei Fallstudien – Catania, Lilybaeum und Agrigent – einige wesentliche Entwicklungen heraus, wie die Christianisierung der Städte und die funktionalen Umwälzungen sowohl des öffentlichen als auch des privaten Bauens in der Spätantike. Im Gegensatz dazu erlauben die archäologischen Daten über den ländlichen Raum in dieser Zeit eine tiefergehende Untersuchung. Ein Hauptgrund für das sizilianische Wirtschaftswachstum scheint eine massive Getreideproduktion gewesen zu sein, welche – nach der Gründung von Konstantinopel und vor der Eroberung Nordafrikas durch die Vandalen – über die Wege des freien Markts Rom versorgte. Erst nach dem Fall des römischen Nordafrikas erhöhte sich der fiskalische Druck auf sizilianisches Getreide. Die Belege, insbesondere jene aus ländlichen Gebieten, deuten jedoch nicht auf Niedergang und Verarmung oder einen Rückgang des regionalen Handels oder des Seehandels hin, die beide auf gleichem Niveau und weit verzweigt blieben. Ein letzter Aspekt betrifft die Muster des regionalen Handels und des Seehandels, die durch bedeutende neue Untersuchungen der Keramikfunde in Sizilien aufgedeckt wurden. Die weite Verbreitung und engmaschige Zirkulation in Amphoren transportierter Lebensmittel aus Tunesien und dem östlichen Mittelmeerraum sowie tunesischer Feinkeramik sowohl an der Küste als auch im Inland der Insel belegen den hohen Grad ihrer kommerziellen Vernetzung. Gleichzeitig lassen in verschiedenen ­Gebieten des spätantiken Sizilien hergestellte Wein- (und möglicherweise auch Olivenöl-)Amphoren auf das Vorhandensein eines hochentwickelten Systems des regionalen Austauschs schließen. Dieses Kapitel stützt sich insbesondere auf

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­ efunde aus dem laufenden Grabungs- und Forschungsprojekt in Philosophiana B und dessen Hinterland, das einen Vergleich funktionaler und ökonomischer Veränderungen zum Ziel hat. Dabei tritt das Bild eines hochentwickelten, langlebigen Handelssystems zutage, über das sowohl lokale und regionale Produkte als auch Überseeprodukte verbreitet wurden und das bis weit ins 7. Jahrhundert hinein bestehen blieb.

Neil Christie Ostrogothic Italy: Questioning the Archaeologies of Settlement Introduction Scholars have usually envisioned the Ostrogothic settlement of Italy as a takeover, occasionally by forced surrender, of Italian cities and towns during the period of internal conflict with Odoacer in the late 480s and early 490s, with a subsequent farming out of lands and properties (primarily confiscated and State lands) to Gothic elites, soldiers and families, and a re-occupation of military strategic sites, such as in the Alpine territories (on both sides of the Alps). Our surviving textual documentation then reveals focussed investment in major cities in the north of the peninsula, plus provision of State granaries at urban hubs and strategic road centres; these cities played a core role in the Ostrogoths’ government of Italy.1 The archaeological evidence, first coherently compiled by Volker Bierbrauer2 in 1975, comprises primarily ethnically-assigned material culture from burials or hoards or “stray” finds such as brooches, buckles, military dress fittings, and coins. That (small) corpus reinforces the image of a settlement (and administrative) focus in the northern territories of the peninsula, centred on the Po plain, but with concentrations also in central eastern Italy (Picenum province) and across the Adriatic on the Dalmatian coast.3 This chapter both revisits and questions this core image of Ostrogothic settlement in the Italian peninsula in the late fifth to mid-sixth centuries AD. Foremost is our labelling of the sites and the archaeology, asking whether “Ostrogothic” meant anything different from previous phases and modes of settlement and organisation. What, if anything, marked this new political period out on the ground? From this we can ask the significance – political, ideological, economic, military – of these differences or, rather, emphases in the settlement pattern. En route it is important to highlight problems either in accessing archaeological data or in pin1 Federico

Marazzi: Ostrogothic Cities. In: Jonathan Arnold/M. Shane Bjornlie/Kristina Sessa (eds.): A Companion to Ostrogothic Italy. Leiden/Boston 2016, pp. 98–120, esp. pp. 102–105. 2  Volker Bierbrauer: Die ostgotischen Grab- und Schatzfunde aus Italien. Spoleto 1975. 3  This distribution is again displayed in Volker Bierbrauer: Archeologia degli Ostrogoti in Italia. In: id./Otto von Hessen/Ermanno Arslan (eds.): I Goti (Exhibition Catalogue, Milan – Palazzo Reale, 1994). Milan 1994, pp. 170–213. https://doi.org/10.1515/9783110686692-005

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pointing chronologies to guide on practice and change. Indeed, it is essential to recognise that Ostrogothic Italy was not a static kingdom: in its early phases the King, his nobility, armies, and embassies took time to secure the peninsula and their territories beyond the Alps, and to establish trade and diplomatic bonds; in its later phases it was a kingdom under both external and internal stresses. Can the archaeology identify variances and changes in settlement form or strategy that responded to and so reflected the evolving Kingdom? Or is the narrow chronol­ogy of the Ostrogoths in Italy too problematic in formulating answers to these questions? Finally, I would stress that this chapter necessarily focusses on northern Italy, since it is here that the archaeology speaks loudest (albeit, arguably, still quietly so) in due reflection of the Padane and Alpine regions being those more fully occupied by and allocated to the Ostrogoths at the end of the fifth century.

Labels and Dates A few initial framing comments are essential. We can approach, define, and question the “Ostrogothic” settlement in Italy on a variety of levels: is this specifically sites to which we might assign non-Roman groups or dominance based on placename/toponymic evidence? Is “Ostrogothic” assigned on the basis of material cultural indicators – namely burials with objects of dress and/or display or stray finds of such type which have been labelled by specialists as “Ostrogothic” from comparison with items elsewhere? Do finds of Ostrogothic-period coins in the name of their kings form indicators of the presence of Gothic soldiers and their pay?4 There are, admittedly, a number of grey areas within any of the above types of data: toponyms are often a renaming of an older site not necessarily signifying a physical presence of new owners; one stray find does not make a “site”; “Ostrogothic” material culture in Italy can differ from pre-Italian Ostrogothic items and draws on peninsular (and wider) fashions; adoption of local cultural forms could quickly obscure “Ostrogoths” in the archaeological record – as noted, we struggle especially to see Goths in towns, for example; and some “natives” adopted “Ostrogothic” material culture through intermarriage, or simply as fashion choices.5 We should ask how many “Ostrogothic” items from a cemetery or site would make an ethnically-distinctive community. The latter question raises concerns as to what we expect or want to find: should we expect distinct communities? Is it right to think that Ostrogoths formed the sole military? In a large and well-pop­ ulated peninsula, the Goths were numerically a minority: a geographic focussing 4  Amory provided the first notable questioning of “Ostrogoths” in the peninsula; Patrick Amory: People and Identity in Ostrogothic Italy, 489–554. Cambridge 1997. 5 Brian Swain: Goths and Gothic Identity in the Ostrogothic Kingdom. In: Arnold/Bjornlie/ Sessa (eds.): Companion (see note 1), pp. 203–233, esp. pp. 212–214.

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of settlement and control in a heartland area like the Po plain makes sense; but a working union with the “natives” would be a necessity to run the kingdom effectively; and, arguably, the general invisibility of the Ostrogoths is itself a sign of the overall success of that working union.6 As a minority ruling group seeking to work with the “natives”, the choice by the Ostrogoths to settle in existing centres rather than separate ex novo sites is inherently logical. Goths might hold high offices including count, duke, or saio, but these offices were assigned normally to serve at already populous or active sites.7 Badges of office and displays of past and current lineages would make for some differences, but how and where would such be displayed? In the 490s what made an “Ostrogoth” might not be on display materially; and not all of Theoderic’s followers were males, military, or viewed themselves as “Goths”.8 In the Gothic-Byzantine War from the 530s, did tensions and outright conflict create more evident differences? Would dress and language have become more Ostrogothic as symbols of fighting for a name and a kingdom? Or would such differences have largely been lost anyway after a previous generation or more of living and working in Italy? A town or fort might be “Ostrogothic” in the conflict when oc­cupied by that army’s forces, but the majority of its population would not be “Gothic”. If that city held out, then the city would be deemed “Gothic” in the eyes of the State, army, and locals – and the enemy. And yet we would not fail to call Ravenna under King Theoderic “Ostrogothic” and the “Ostrogothic capital”: texts tell us this was his capital; it was the seat of an Arian bishop; there were Gothic military here. But of course a majority of its population were not Goths; the Catholic bishop accordingly continued; the architects and workers for the many building projects were native, Italian, or else imported Easterners; Latin persisted; trade at Classe continued with many of its old contacts; and the vast bulk of the ceramics and goods used and consumed were 6  Halsall

neatly debates the vexed issues of ethnic visibility and Gothic landholdings, highlighting royal efforts to maintain and manage the army; Guy Halsall: The Ostrogothic Military. In: Arnold/Bjornlie/Sessa (eds.): Companion (see note 1), pp. 173–199. 7  For a tidy overview of administrative offices, both Goth and Roman, see Shane Bjornlie: Governmental Administration. In: Arnold/Bjornlie/Sessa (eds.): Companion (see note 1), pp. 47–72. See also Kayoko Tabata: I comites Gothorum e l’amministrazione municipale in epoca ostrogota. In: Jean-Michel Carrié/Rita Lizzi Testa (eds.): Humana sapit. Études d’Antiquité Tardive Offertes à Lellia Cracco Ruggini. Turnhout 2002, pp. 67–78. 8  On dress, display, and rank in late Roman and Gothic Italy, see Elisa Possenti: Abbigliamento e rango in Italia settentrionale tra V e VI secolo. In: Gian Pietro Brogiolo/Alexandra Chavarría Arnau (eds.): Archeologia e società tra tardo antichità e alto medioevo. 12o Seminario sul Tardo Antico e l’Alto Medioevo, Padova, 29 Sett.–1 Ott. 2005. Mantua 2007, pp. 279–298. A valuable paper which merges recent archaeology with the historical issue of Ostrogothic integration or difference is Marco Aimone: Romani e Ostrogoti fra integrazione e separazione. Il contributo dell’archeologia a un dibattito storiografico. In: Reti Medievali Rivista 13 (2012) 1, pp. 31–96. For wider, ongoing discussions of “barbarian” identity, ethnicity, and archaeologies, see papers in Jorge López Quiroga/Michel Kazanski/Vujadin Ivanišević (eds.): Entangled Identities and Otherness in Late Antique and Early Medieval Europe. Historical, Archaeological and Bioarchaeological Approaches. Oxford 2016.

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“Roman-style” or Mediterranean.9 Logically, therefore, we must think of “Ostrogothic” settlement as largely the sites and patterns evident in Italy in the Ostrogothic period, i.e. under the rule of the Gothic kings. If we observe a defended site in the Alps of c. AD 500–530 we should call it “Ostrogothic” because it forms part of the settlement network operating in that period; if finds are sufficient we might question if it is military or civilian or both; if finds allow, we might query if some of the residents were ethnically distinctive or if their material displays sought to show a specific authority; and such material culture might enable discussion on whether that site is “official” or supported by the State, such as in food supply mechanisms or in provision of pay. In sum we need to generate a picture of how settlement and population were articulated in core terms before seeking out pos­sible “signatures” of difference.10 Finally we need also to register that archaeological data can be at times frustratingly problematic in terms of pinpointing dates of events and activities: material from an occupation layer (discarded items, rubbish deposits, lost items) can be invaluable in confirming a date range, but where quantities are slight or diagnostic elements few (e. g. finewares, coins), being more precise than “finds of the first half of the sixth century” or “likely first phase activity of the mid-sixth century” is difficult. The core material culture of fifth-century Italy did not change greatly into the sixth century, with imports still arriving from the southern and eastern Mediterranean, although more regional products do emerge and imports generally struggle to penetrate far inland.11 This late antique ceramic continuity means that, for some urban excavations especially – but less so for (generally) less disturbed  9 For

Ostrogothic Ravenna, see Deborah Mauskopf Deliyannis: Ravenna in Late Antiquity. Cambridge/New York 2010, notably chapter 4; she notes on pp. 115 f. how the Gothic capital was not a magnet for most elite Romans/Italians. At Classe, noticeably, “Gothic” dress finds remain few; see Giovanna Bermond Montanari (ed.): Ravenna e il porto di Classe. Venti anni di ricerche archeologiche tra Ravenna e Classe. Bologna 1983, esp. p. 186. 10  See the useful overview on architecture by Gian Pietro Brogiolo: Edilizia residenziale di età gota in Italia settentrionale. In: Bierbrauer/von Hessen/Arslan (eds.): I Goti (see note 3), pp. 214– 223. On p. 214 he states that he sees no “connotazione etnica” in the buildings of the period and stresses how, on current knowledge, we should simply refer to “architettura di età gota”; he does, however, register (on pp. 216 f.) as fairly distinctive some two-room houses (some two-storey) of functional design emerging in some northern towns such as Verona and Brescia in this period. See also Deborah Mauskopf Deliyannis: Urban Life and Culture. In: Arnold/Bjornlie/Sessa (eds.): Companion (see note 1), pp. 234–262, esp. pp. 249 f. 11  But see below on the ceramic supply to some fortresses. The materials from Santa Giulia at Brescia give a very strong guide to north Italian urban ceramic patterns across the fourth to seventh centuries – see contributions in Gian Pietro Brogiolo (ed.): S. Giulia di Brescia: gli scavi dal 1980 al 1992. Reperti preromani, romani e alto medievali. Florence 1999. Note that, unlike for the later sixth and seventh centuries, when distinctive ceramics can be associated with the Lombard occupation, there is no “ceramica ostrogota”. Essential to understanding trade, trade flows, and economics in the study period are the rich assemblages of ceramics at the port of Classe, serving the capital of Ravenna – for one summary stressing the city’s privileged position in trade flows, see Enrico Cirelli: Ravenna e il commercio nell’Adriatico in età tardoantica. In: Andrea Augenti/ Carlo Bertelli (eds.): Felix Ravenna. La croce, la spada, la vela: l’alto Adriatico fra V e VI secolo. Milan 2007, pp. 45–54.

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rural contexts such as villas – affirming whether the building, restoration, or decay of a town house or monument is of Ostrogothic date or Byzantine can be tricky. Given the upheavals of the Gothic-Byzantine War that prevented much of anything but survival or basic maintenance in towns, however, it is reasonable to view any substantive and active building work as belonging to the more stable context of Ostrogothic Italy, from c. AD 490–530; likewise it is easier to view decay or loss as fitting the period of conflict. One example might be cited: compact excavations in 2007–2011 in Alba in Piemonte/Piedmont, north-west Italy, generated many useful new data on Roman and late Roman Alba Pompeia and especially the roots and evolution of the cathedral of San Lorenzo.12 In brief, the fifth century was marked by houses being built over robbed and demolished public spaces in Alba; but these houses were cleared in the sixth century to accommodate a first presumed church (with likely first-phase font), which was enlarged in the seventh century. While the excavator assigns a sixth-century date to the earliest church, he does not ascribe the complex to an Ostrogothic- or Byzantine-period bishop; the former, however, surely provides the more socio-economically secure context.

A Changing Kingdom and a Changing Settlement Scheme? Crudely we might divide the Ostrogothic Kingdom into three phases, each of twenty years, the first two roughly fitting the extended reign of King Theoderic in Italy (489/493–526): I: Securing the State (c. AD 490–510) – This phase stretches from arrival to ­occupation (post-Odoacer) and involves a stabilising or solidification of Gothic authority. II: A settled State (c. 510–530) – Marked by progressive efforts at integration, this phase is reflected in politico-economic stability. III: Destabilisation of the State (c. 530–550) – Post-Theoderic, this phase witnesses an internal political and religious fracturing, as well as external, Byzantine assaults, which, in the form of the extended Gothic-Byzantine War, generate military trauma and economic decay within the peninsula. It can be contended that the settlement archaeology – plus wider Ostrogothic ­activity (military action, administrative organisation, religious policy, diplomacy) – should broadly reflect these respective phases. For example, emergency military measures will better fit Phase III and the context especially of the Gothic-Byzantine War; however, orderly military activation – the setting up of urban granaries, the provision of new fortresses or road-watchposts – aligns with Phase I and the stabilisation of a newly Ostrogothic Italy. For Phase II, “normal” rural and urban activity – living, working, producing, maintaining, recycling – plus some new building initiatives should be expected, alongside a blurring or merging of iden­ 12 

See Egle Micheletto (ed.): La cattedrale di Alba. Archeologia di un cantiere. Florence 2013.

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tity/identities in funerary contexts. In terms of “Ostrogothic” identity, Phase I should be more prominent materially – carried-over dress items, symbols of tra­ ditional (non-Roman) display, language, and names (including placenames) – where­ as Phase III would see the identity expressed more vocally as rallying calls to save the kingdom and individual power, with much of the “old” identity (if ever strongly present) having been lost across Phase II. Our key textual source, the letters and formulae (the Variae) of Cassiodorus, provides ample support to the above sequencing in terms of content, language, and audiences, with the materials of the 530s especially recognising the internal strains and stresses of the Kingdom; the visibility of factions and specific Ostrogothic-led measures (for example, in the posting of garrisons) are then likewise highlighted in Procopius’ narrative.13 But a principal issue regards the legibility and support of the archaeology for the phases outlined before. Most problematic is the fact that we are dealing with a compact timespan, a maximum of 60 years, which, measured for individuals of the time was long but measured in terms of archaeology via domestic ceramic debris, house plans, circuit wall repairs, and landscape archaeology is very short and tricky to decipher. Stating whether a farmhouse or watchtower was established in AD 495, 505, or 520 is very difficult unless sufficient material evidence – either in quantity (more pottery of a specific period) or in quality (e. g. imported finewares and coins with narrower date ranges) – is available and supported by secure archaeological contexts. A good example comes from a warehouse or store (magazzino n. 17) at Ravenna’s port city of Classe, burnt down between AD 500–515, with the structure and its contents – a mass of mainly North African amphorae (large and small), table wares, lamps – then left unclaimed (fig. 1).14 Generally, therefore, without scientific dating of specific finds, assemblages, or contexts, assigning Gothic-period activity to specific phases (I–III above) may be problematic. And, of course, we should not assume that all episodes of destruction belong to a moment in the Gothic-Byzantine War unless carbon-14 dating, for example, secures such a date range. A notable issue highlighted in efforts to chart Ostrogothic settlement is the restricted number of burials that can be directly attributed to Ostrogoths (or even directly to the Ostrogothic period) – in direct contrast with contemporary dominant Germanic groups such as the Franks in Gallia or even the Visigoths in Spain, as well as later power-leaders in Italy, the Lombards. This contrast tallies with documented directives from King Theoderic to avoid showing “otherness” and inutil13 Selected translations and excellent commentary of the Variae are by Samuel J. B. Barnish: ­Selected Variae of Magnus Aurelius Cassiodorus Senator. Liverpool 1992. Various papers in: ­Arnold/Bjornlie/Sessa (eds.): Companion (see note 1) clarify the content, scope, and significance of these letters and edicts, noting how their compilation involved a careful editorial process with biases both explicit and implicit. 14  See Luigi Malnatti et al.: Nuovi scavi archeologici a Classe: campagne 2004–2005. In: Augenti/ Bertelli (eds.): Felix Ravenna (see note 11), pp. 33–38, esp. pp. 35 f. Such closed contexts at the same time greatly aid fine-tuning of internal dating of materials found in these sites.

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Figure 1: The excavated debris in a destroyed warehouse at Ravenna’s harbour city of Classe, of c. AD 515 (Photo courtesy of Andrea Augenti, University of Bologna).

ity in burying the dead with dress items or other goods.15 The recovery of some grave items in diverse contexts, however, often in suburban churchyards, signifies that some individuals and their families still elected to bury in a form suiting them and their status and beliefs. While archaeologists continue to question the ethnic reading of artefacts, such as the gilt-silver chip-carved stirrup or bow brooches ­recovered from burials at and near the early Christian suburban (now cathedral) church of San Vigilio at Trento, such objects at least identify high-ranking individuals who probably relate to personnel (Gothic or even Roman) administering that city and who sought burial at the city’s primary religious complex.16 Thus for ­Aquileia, Marano cites Kerbschnitt-decorated buckles and brooches and a pendant cross which come from disturbed, presumed burial contexts near the suburban churches at Monastero and S. Stefano; he interprets these items as attesting Gothic/ Gotho-Roman elites associated with a strategic urban centre (albeit a shrunken one), and who curried favour with a prominent local church.17 15 Cassiodorus, Variae 4, 34 of AD 507–511 – note that this directive comes a few decades into the Italian Kingdom, at the end of our Phase I/start of Phase II. Cf. Bierbrauer: Archeologia degli Ostrogoti (see note 3), p. 173. 16  Enrico Cavada: Trento in età gota. In: Bierbrauer/von Hessen/Arslan (eds.): I Goti (see note 3), pp. 224–231; cf. Halsall: Ostrogothic Military (see note 6), pp. 189 f. on such “grave-goods”. 17  Yuri Alessandro Marano: The Towns of Central and Eastern Venetia in the Ostrogothic Period. In: Orsolya Heinrich-Tamáska (ed.): Keszthely-Fenékpuszta im Kontext spätantiker Kontinuitätsforschung zwischen Noricum und Moesia. Budapest/Leipzig 2011, pp. 173–194, see esp. pp. 178–180.

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Towns Towns can be recognised as core components in the Kingdom’s administration, as points of display, and as points of both continuity with the past and legitimisation.18 We are, however, somewhat coloured in this recognition by the urban data generated from the documentary guide of the Variae, which actively flags the value of the old Roman/Italian urban institutions and their administrators, recording over 40 centres and an array of officials including curiales.19 The Goths inherited these places and workers, and Theoderic’s policy seems geared to keeping these places and people active and feeling part of the whole. It is harder to tell, however, if Goths were physically integrated within these areas: we cannot ascertain how far towns were where they settled or whether Gothic elites and families preferred seats in the landscape near these towns; but to function effectively some immediate presence (including military) must have been required. Archaeologically, this will be difficult to pin down and we currently rely on rare epitaphs with Gothic or Germanic names, as at Pavia. Three examples can be offered. The first is Como, where epitaphs record elites (senators, clarissimi, spectabiles) across the fifth and sixth centuries, with nearly 30 inscriptions for the first half of the sixth.20 A second example comes in Chiusi, which saw varied action in the Gothic-Byzantine War given its strategic location in the Tuscia province near both the via Cassia and  Via Amerina, with Procopius reporting a Gothic garrison in 537/538 of 1,000 men;21 the archaeology – sporadic finds, robbed graves, and urban works – while offering a good picture for the Lombard period, for the Gothic phase comprises only two instances of skull deformation in burials and a sixth-century silver bow brooch broadly claimed as “from Chiusi”.22 Finally, for Trento, excavations, stray finds, epigraphic evidence, and a letter of Cassiodorus23 demonstrate the continued usage of the town itself; good numbers of fifth- to seventh-century burials in the northern suburbs and notably around the early basilica (later cathedral) of San Vigilio, some wealthy, reinforce the idea of an Ostrogothic regional centre of note.24

18 

See the general survey by Mauskopf Deliyannis: Urban Life and Culture (see note 10), pp. 234– 262. 19  Marazzi: Ostrogothic Cities (see note 1), esp. pp. 102–105. 20  Marco Sannazaro: Ceti sociali a Como nella produzione epigrafica di V e VI secolo. In: Rivista Archeologica dell’Antica Provincia e Diocesi di Como 197 (2015) (= Atti del Convegno ‘Luoghi, Funzioni, Trasformazioni tra Tardoantico e Primo Medioevo nel Territorio dell’Antica Diocesi e Provincia di Como’, Como 24–25 ottobre 2014), pp. 34–44. 21 Procopius, Bella 6, 11, 1. 22  Claudio Azzara: Chiusi nella Toscana longobarda. In: Carla Falluomini (ed.): Goti e Longobardi a Chiusi. Chiusi 2009, pp. 4–9, esp. pp. 5 f.; Giulio Paolucci: Archeologia gota e longobarda a Chiusi, tra antiche e nuove scoperte. In: Falluomini (ed.): Goti e Longobardi (this note), pp. 11– 29, esp. pp. 22–26; Bierbrauer: Die ostgotischen Grab- und Schatzfunde (see note 2), pp. 339 f. 23 Cassiodorus, Variae 2, 17. 24  See Cavada: Trento in età gota (see note 16).

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But what can be traced in a number of places, through the documentary evidence and some archaeology, are the efforts – propagandist/aspirational and material – to breathe vitality, order, and pride back into cities which had seen progressive decay across the fifth century, especially in the north and centre of the peninsula, with a majority of public spaces affected, such as entertainment complexes abandoned and many thermae disused.25 Cassiodorus’ Chronica for AD 500 duly reports that in Theoderic’s “happy reign, many cities were renovated, strong forts were founded, marvellous palaces rose up, and ancient miracles were surpassed by his great works”.26 Hence the texts (including tile- or brick-stamps) record work to renew town walls, repair baths, improve water-supply, re-open some entertainment venues, and restore churches.27 For Rome there was the appointment of a “Custodian of the Monuments”, plus a reprimand to the city nobility to be more public-minded and to contribute accordingly and dutifully.28 Yet, there are imbalances: the larger, more populous cities (and favoured royal seats) often receive the most attention, no doubt because more wealth and authority was concentrated here – as in centres including Verona, Ravenna, Milan, Pavia, and Como in the north, and Rome and Spoleto in the middle. Indeed, in many of these sites we find investment in seats of power, i. e. palaces, although, again, archaeological support is low.29 We might assume also investment in new religious structures for Arian Christian worship, but the sources are, perhaps diplomatically, very quiet on such practices, even for royal Ravenna.30 The capitals (most already with elevated military and State roles in the fifth century) were the backbone to the Kingdom and became foci for power and ­assembly – especially the calling together of the scattered Ostrogothic forces/

25  For

a general survey of urban change, see Neil Christie: From Constantine to Charlemagne. An Archaeology of Italy, AD 300–800. Aldershot 2006, chapter 3. 26 Cassiodorus, Chronica a. 500. 27  See Deliyannis: Ravenna in Late Antiquity (see note 9), p. 112. On walls, Letizia Pani Ermini: Forma Urbis e renovatio murorum in età teodericana. In: Antonio Carile (Hg.): Teoderico e i Goti tra Oriente e Occidente. Ravenna 1995, pp. 171–225. On water supply, Yuri Alessandro Marano: “Watered… with the life-giving wave”. Aqueducts and Water Management in Ostrogothic Italy. In: Paul Erdkamp/Koenraad Verboven/Arjan Zuiderhoek (eds.): Ownership of Land and Natural Resources in the Roman World. Oxford 2015, pp. 150–170. 28 Cassiodorus, Variae 3, 30–31 of AD 510. Variae 3, 30 reports on misappropriation of water from the aqueducts and the theft of bronze and lead from public structures: “Our care is for the whole Republic, in which, by the power of God, we are striving to bring back all things to their former state; but especially for the City of Rome. We hear that great depredations are being committed on public property there […]. We have appointed the vir spectabilis John to inquire into and set straight all these matters. You ought […] at least now support him with the necessary compensations.” 29  Bryan Ward-Perkins: From Classical Antiquity to the Middle Ages. Urban Public Building in Northern and Central Italy AD 300–850. Oxford 1984, pp. 158–166. 30  Marazzi: Ostrogothic Cities (see note 1), p. 113. For Theoderican patronage in Ravenna, see Deliyannis: Ravenna in Late Antiquity (see note 9), chapters 4 and 5; Mark J. Johnson: Art and Architecture. In: Arnold/Bjornlie/Sessa (eds.): Companion (see note 1), pp. 350–389, esp. pp. 359– 378.

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people, so as to renew loyalty and unity, offer donatives, mete out punishments, give out offices, and counter threats from rival factions.31 To stress this military strength and State authority Theoderic put much focus on renewal of urban ­defences of his capitals and other (strategically key) sites:32 hence we have good archaeological support for Theoderican-period wall-work at Como, Parma, Pavia, and Verona, with the latter a new, outer circuit to the third-century Gallienic line – the near contemporary Anonymous Valesianus refers to these as muros ­alios novos – which crossed the river to enclose the elevated palace.33 Of note are recent considerations of Padua, whose old Roman defences may have been reinforced in the ­Ostrogothic period and whose baths were restored under Theode­ ric; Padua also features an inscription recording the funding of a basilica vel oratorium by the (Roman) Praetorian Prefect, Opilio, prior to AD 524 – likely the suburban ­Santa Giustina (a local martyr) which may well have been an Arian church.34 Towns will have remained the point of manufacture and distribution of wea­ ponry and armour. Cassiodorus recorded that the Praetorian Prefect was in overall charge of the “arms-makers” or armifactores, who were “fulfilling their customary tasks [… to] make arms well and to guard the safety of all”.35 Quite possibly the seats for these factories or fabricae remained in those same cities attested for fourth-century Italy – again a strongly north Italian phenomenon.36 Alongside the attention on circuit walls, there was a provision in the main (northern) regional seats of large granaries, which were reflections of a busy countryside, a sign of the State securing food for the citizenry (for winter and emergencies), and markers of redistribution points for supplies to go to troops in forts in each region. Such granaries are thus documented for Tortona, Como, Milan, Pavia, Treviso, Trento; we must expect Verona and Ravenna and lesser foci such as Cividale and Susa to have also featured major depots to feed state officials, the army and the wider population. Their value is fully stated by Cassiodorus in 31 

Halsall: Ostrogothic Military (see note 6), pp. 183 f. See Pani Ermini: Forma Urbis (see note 27); Aldo Settia: Le fortificazioni dei Goti in Italia. In: Teoderico il Grande e i Goti d’Italia. Atti del XIII. Congresso internationale di studi sull’Alto Medioevo. Milano 2–6 novembre 1992. Spoleto 1993, pp. 101–131. 33 Giuliana Cavalieri Manasse: Le mura teodoriciane di Verona. In: Teoderico il Grande (see note 32), pp. 633–644, referencing also a ninth-century graphic depiction of this wall fronting the cityscape – the so-called Iconografia Rateriana. For updates and wider sequence, see Giuliana Cavalieri Manasse/Peter Hudson: Nuovi dati sulle fortificazioni di Verona (III–XI secolo). In: Gian Pietro Brogiolo (ed.): Le fortificazioni del Garda e i sistemi di difesa dell’Italia settentrionale tra tardo antico e alto Medioevo. Atti del 2º Convegno, Gardone Riviera, 1998. Mantua 1999, pp. 71–91. 34  Gian Pietro Brogiolo: La cattedrale e Santa Giustina tra il re Teodorico e il vescovo Olderico. In: Alexandra Chavarría Arnau (ed.): Ricerche sul centro episcopale di Padova. Scavi 2011–2012. Mantua 2017, pp. 373–382, esp. pp. 374–376. 35  See Cassiodorus, Variae 7, 17 and 18. 36  Simon James: The fabricae: State Arms Factories of the Later Roman Empire. In: Jon C. Coulston (ed.): Military Equipment and the Identity of Roman Soldiers. Proceedings of the 4th Roman Military Equipment Conference. Oxford 1988, pp. 257–332, esp. pp. 281–286. 32 

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AD 537, as the Gothic-Byzantine War gained momentum. “In this new war”, he observes, “the citadels are well-stored granaries.”37 Arguably, defensive and logistic forethought are exemplified in the site of Grado, located near the head of the Adriatic and often viewed as a successor to imperial Aquileia, the formerly prominent status and role of which had been reduced in the fifth century, although not fatally so.38 While originally viewed as a defensive installation of the early to mid-fifth century and a response to attacks in the ­region under Alaric and later Attila, the new town or castrum of Grado now appears to belong to the late fifth or earlier sixth century, with its role – and monumentality – later increased under the Byzantines. Brogiolo suggests the castrum belongs to the later stages of the Gothic-Byzantine War, but an earlier Ostrogothic foundation would equally fit.39 Either way, Grado is an interesting site for definitions of role and character: the walls make it military on one level, the location stresses an economic or trade role (we must expect a state granary also sited here), while the Church presence (with a Byzantine bishop installed from the 560s/570s) equally points to a civilian community in place; so too does the evidence of dedications of blocks of mosaic floor in the episcopal church of Santa Eufemia built in the 570s (but replacing a “decrepit” older building – this perhaps a slight to a ­prior Arian Gothic church?), with panels paid for by lectors, notaries, deacons, ordinary families, as well as soldiers of different rank.40 Only brief note is made here of towns in the southern half of Italy and in Sicily, which evidently remained more the “Roman” or Italian heartland, with Church and senatorial estates especially prominent on Sicily, and Rome-based elites like Boethius and Cassiodorus holding lands in Lucania and Bruttium. Cassiodorus provides formulae for the southern city counts like those of Syracuse and ­Naples.41 These positions seemingly represent, however, Gothic appointments with a small Gothic or Romano-Gothic entourage sent to oversee Italian landowners and town councillors. Notably, the Syracusan posting states that: “We must provide such governors for our distant possessions that appeals from them shall not be frequent”; we also hear that the governor’s retinue and soldiers must not be “insolent” to local landowners. For that same city there was a renewal of the town defences – here with a call for citizens to contribute to a levy for these operations.42 Elsewhere on Sicily, however, the locals did their own bit, as attested

37 Cassiodorus,

Variae 12, 25. Cf. Marano: Towns of Central and Eastern Venetia (see note 17). 39  Gian Pietro Brogiolo: Grado: da castello a città. In: Augenti/Bertelli (eds.): Felix Ravenna (see note 11), pp. 71 f. For the older dating sequence at Grado, see Christie: From Constantine to Charlemagne (see note 25), pp. 333 f. 40  Christie: From Constantine to Charlemagne (see note 25), pp. 175  f. 41 Cassiodorus, Variae 6, 22–24. 42 Cassiodorus, Variae 9, 14. See Ward-Perkins: From Classical Antiquity (see note 29), p. 212 and p. 194 respectively. We do not know how works in the north were funded, but presumably the public were involved there too, though perhaps with more obvious State grants provided. 38 

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for Catania where some citizens asked permission to use material from their ruinous amphitheatre to repair the curtain walls.43

Landscapes Roads and road-stations While there are some epigraphic and textual data to indicate Theoderic’s government sought to improve the roads to re-enable State traffic (cursus publicus), it is hard to pinpoint such engagement on the ground. For example, a recent compilation of studies44 on the archaeology of road-stations (mansiones, mutationes) offers some relevant guidance on the durability (or not) of these highway stop- and change-overs in Italy. A majority seem to show problems or even loss in the fourth century; robbing is attested of materials and structures in the fourth and fifth centuries, although sometimes such activities meant a downgrading of a site, with more use of spolia and timber. Near Calenzano (Florence region) the presumed mansio ad Solaria saw likely destruction by fire in the first half of the sixth century (its end viewed as connected to the Gothic-Byzantine War).45 A number do attract later (usually from the later sixth century) settlements and/or burials, but these relate mainly to convenient reuse of a site and materials, renewal of associated lands, and an ongoing, viable roadway; they do not necessarily signify any State engagement with highway maintenance.46 Indeed, current data make it hard to trace any close revival/re-investment in the early sixth century under Theoderic and his successors, although such renewal might not be (coherently) traceable in these aged road-stations. It is harder still to track investment of the cursus publicus on water, with boats (dromonarii) on the Po river seemingly as the ­favoured mode of connecting the court at Ravenna with Padane cities and Gothic groups in the northern peninsula.47 43 Cassiodorus,

Variae 3,  49, noting “blocks no longer serving a function as public ornaments, but rather appearing as ugly ruins”. On the walls of Catania, see also Vaccaro in this volume. 44  Patrizia Basso/Enrico Zanini (eds.): Statio amoena. Sostare e vivere lungo le strade romane. Oxford 2016. 45  Daria Pasini/Marco Bonaiuto/Francesco Carrera: La mansio ad Solaria della Tabula Peutingeriana? Un contesto inedito di recente indagine nel comune di Calenzano (FI). In: Basso/Zanini (eds.): Statio amoena (see note 44), pp. 165–172. 46  See the diverse “Casi di studio”. A well-excavated example of a site with change but fair con­ tinuity into the fifth to sixth century is at San Michele di Trino (Vercelli province), potentially the mansio Rigomagus; see Maria Maddalena Negro Ponzi Mancini (ed.): San Michele di Trino (VC). Dal villaggio romano al castello medievale. 2 vols. Florence 1999, esp. pp. 462–492. Discussed also by Marco Aimone: Il tesoro di Desana. Una fonte per lo studio della società romano-ostrogota in Italia. Oxford 2010, pp. 53 f. 47  Bjornlie: Governmental Administration (see note 7), p. 57. CIL X 6850 of AD 510 valuably records marsh-draining to help revive a road near Terracina: “Our lord, the glorious and famous king Theoderic, victorious and triumphant, perpetual Augustus, born for the good of the Commonwealth, guardian of liberty and propagator of the Roman name, tamer of the tribes, has re-

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Villas and villages Roads connected towns, but also communicated with farms and villages and food suppliers. While there continues to be debate about allocations of land to the Gothic arrivals – scale, ownership, places48 – core here is to ask if we can trace (or hope to trace) any Ostrogothic colonists and landowners. Can we, for example, identify new rural sites of Gothic date, whether villas, farms, or villages? If so, are there associated churches and might these be Arian in orientation? Alternatively, did Goths settle alongside native groups in the landscape and make use of pre-existing non-Arian churches?49 De Vingo’s surveys50 of settlement, church building, and rural communities in the territory of late antique and early medieval Piedmont, north-west Italy, provide useful starting-points for discussion, especially since the region’s recent archaeology has identified at least a few villages and burial groups that might be assigned to the Ostrogothic period and perhaps directly to Gothic settlers.51 Excavations at Villaro al Ticineto (prov. Alessandria) revealed a set of rooms of a villa transformed in the fifth century into a private oratory; this place seems to have continued to function as a cult point, even after the villa failed, since late fifth- to seventh-century burials came to gather round this space. In part based on anthropological characteristics of certain burials – a noticeable percentage of taller than average males – here the claim is made by De Vingo that locals were joined by a group of ethnically new settlers who initially buried their dead (inhumed without grave-goods) in a separate zone, but then integrated with the locals in a second phase.52 Noticeably, the general scenario appears to be of wider villa loss across the fifth century in Piedmont, in part reflecting the damages to the landscape in wake of civil war, Visigothic-Roman conflicts, Burgundian raids, concomitant militarisation, and wider economic malaise.53 As a result we tend not to see Gothic takestored the route and places of the via Appia at Decemnovium, that is from Tripontium to Terracina, to the public use and the safety of travellers, by wonderful good fortune and the favour of God.” 48  Halsall: Ostrogothic Military (see note 6), esp. pp. 177–183. 49  A problem here is the assumption that Arianism was predominant among the new powerful minority. That assumption cannot be demonstrated, even if King Theoderic was an evident patron of the Gothic Church – see summary comments in Swain: Goths and Gothic Identity (see note 5), pp. 225–227. 50  Paolo De Vingo: Il fenomeno della sovrapposizione della popolazione nel Piemonte centro-­ meridionale. Le trasformazioni di una società mista tra tardoantico e altomedioevo. In: Archeologia Medievale 34 (2007), pp. 303–327; id.: Churches, Territory and Population Dynamics in the Piedmont Countryside between the 5th and 8th Centuries. In: Archäologisches Korrespondenzblatt 42 (2012), pp. 401–420. 51  De Vingo: Churches, Territory and Population (see note 50), pp. 406–415, shows much clearer relationships and displays in the later, Lombard period, with a variety of new churches and burial grounds established. 52  De Vingo: Churches, Territory and Population (see note 50), p. 405; De Vingo: Il fenomeno della sovrapposizione (see note 50), pp. 307–310. 53  De Vingo: Il fenomeno della sovrapposizione (see note 50), pp. 305–307, noting also, on p. 304, early fifth-century settlement by the late Roman/Italian authorities of federate or defeated Sarmatian and other groups across the Po territories; cf. Christie: From Constantine to Charlemagne (see note 25), pp. 304 f.

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overs of active villas, although the worked landscapes of some villas may have persisted and been re-vamped – as may be inferred at Villaro al Ticineto. For Mombello Monferrato, east of Turin, a late fifth- and early sixth-century settlement of unknown scale was seemingly imposed in the wing of a former villa ­rustica; close by were set three burials, badly preserved, which may be associated with a Gothic silver brooch with eagle-heads. As at Villaro, a Lombard community later established itself in the same site.54 More striking is the combination of excavated and stray hoard evidence interpreted around Desana (prov. Vercelli), near the Roman road linking the towns of Vercelli and Asti.55 Firstly, at the site of a substantial courtyard villa established in the fourth century, what might be termed a workers’ community with basic dwellings grew up in its northern part in the later fourth to fifth centuries which might signify tenant, or perhaps immigrant workers (or maybe even a settled federate group?). In the same sector of the site, however, an apsidal church was added in the earlier fifth century, which attracted burials (ten excavated; but the area was badly ploughed).56 The excavators propose that activity continued on the villa site into the sixth century, but site damage prevents clarity on how much of the aristocratic villa remained in use, and in what fashion, into this period. Fascinatingly, however, Aimone has connected convincingly this complex with the stunning “Desana Treasure”, a hoard composed of 51 items of gold and silver jewellery and heirlooms, ranging from brooches and buckles to earrings, necklaces, and rings, plus 18 silver spoons, dating to the earlier sixth century AD (but with some items dating back to the second); the quality of the metalwork, along with the use of garnets and emeralds, make the possessions stand out as highly elite indeed. Most telling is a marriage ring recording a Latin male – Stefanius – and a Germanic ­female – Valatrud (another, Gundila, is recorded in monogram form on nine of the spoons); Aimone reconstructs here a high level marriage between Roman and Ostrogothic elites, with a gold crossbow brooch signifying a very prominent male official, likely the owner of estates in the region, and perhaps even the owner of the noted villa complex itself. If so, this hoard provides a rare archaeological guide to enduring elite villa landholding, to efforts to link new and old powers, to material cross-overs, and to highly prominent displays of elite wealth.57 That villas were still active in parts of Italy is attested in the letters of Cass­io­ dorus who writes especially of (his and fellow senators’) fine estates down in the south of Italy, in Bruttium and Lucania provinces; he also references a populous and well-tended villa landscape around the northern lakes: “Around it [Lake Como] the beautiful peaks of lofty mountains are gathered like a crown; its coasts are exquisitely adorned by great and gleaming villas, and are enclosed as though 54 

De Vingo: Il fenomeno della sovrapposizione (see note 50), p. 307. in full in Marco Aimone: Il tesoro di Desana. Una fonte per lo studio della società romano-ostrogota in Italia. Oxford 2010. 56  Ibid., pp. 43–49. 57  Ibid., p. 219, supposes the hoard was buried in the late 530s when Piedmont suffered from damaging movements of Gothic, Byzantine, Burgundian, and Frankish forces. 55  Discussed

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by a belt with the perennial greenery of a forest of olives. Above this, leafy vines climb the mountain sides.”58 This lake of course lies near the royal centres of ­Milan, Pavia, and Como and we might assume that some local (and now Gothic) elites still retained villas – although archaeology is not yet able to give strong ­material support to Cassiodorus’ picture here. Briefly, it is worth summarising results from landscape archaeological surveys further east, in the Veneto region. Two related studies can be cited which highlight some notable trends in rural settlement over a broader span. The first centred on the Veronese plains and showed variability, but with general site loss/desertion already occurring in the second to mid-third century (perhaps up to 80 % of sites in the Valli Grandi Veronesi); yet often there is a good continuity of larger villae rusticae into the late Roman period, and some sites endure into the fifth and even sixth centuries (as based on surface finds, although these cannot properly guide on the character and scale of occupation at these sites). Closer to Verona itself, however, there seem to be larger villas which have a longer lifespan, in a few cases perhaps into the seventh century.59 Interestingly, the author here avoids reference to any of the political powers and so does not cast judgement on whether late sites are Gothic or Byzantine, nor if the warfare of the early fifth century and the later Gothic-Byzantine conflict are possible end contexts for some late antique habitats. To the west and north-west, the Cavaion Project explored the landscape evolution on the east side of Lake Garda down to the Po, with an emphasis on understanding changes in the late Roman period.60 After a number of villa losses in the second century AD came stability in site numbers and general density until new failures in the fourth century. A fair number of sites – from villas to farms and villages – still persisted into the fifth century, if seemingly with decreasing levels of display, material culture, and contacts: previous excavations at a number of the wealthy lakeside villas of the Gardesana (such as Desenzano, Sirmione, and Toscolano Maderno) reveal that these complexes were evidently struggling by the mid-fifth century, although some may have featured partial continuity beyond that. The project team showed that from this broad time rural settlement sees further contraction, countered by the emergence of a number of upland, slope, and hilltop sites. Not necessarily defensive, the sites perhaps responded to a weakened security; this pattern continues into the sixth century. As ever, while survey work like this is helpful and identifies trends, hard detail and precision will only come from research or rescue excavation which will offer better data on the demographics, scale, and longevity of sites. We might hypothesise, however, a general stability

58 Cassiodorus,

Variae 9, 14 of AD 535. Saggioro: Late Antique Settlement on the Plain of Verona. In: Will Bowden/Luke Lavan/Carlos Machado (eds.): Recent Research on the Late Antique Countryside. Leiden/Boston 2004, pp. 505–534, see esp. pp. 527–531. 60  Nicola Mancassola/Fabio Saggioro: La fine delle ville romane. Il territorio tra Adda e Adige. In: Archeologia Medievale 27 (2000), pp. 315–331. 59  Fabio

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of/in rural affairs from the later fifth into the mid-sixth century, but with the expectation of some change in how the landscape was populated and exploited.61

Figure 2: Plan of the Ostrogothic burial grouping at Collegno ­(Image from Pejrani Baricco: L ­ ongobardi [see note 63]).

As well as these broad patterns, however, we are fortunate now to be able to cite some actual Gothic rural sites – not just traces of possible villa reuse or association. Excavations have discovered Ostrogothic and Ostrogothic-period sites likely to equate to villages or farms and related burial plots. Inevitably, these sites ­often lie near older Roman farms (as opposed to villas), which would have proliferated in the full Roman period, and proving any direct continuity or link is difficult; again, however, we would stress that even if built Roman features may have gone out of use, the working landscape and its field systems, etc. could easily have been revived. Frascaro in the south of the Piedmont province features a site of the first half of the sixth century with (as so far known) at least three timber huts and 17 burials, the latter yielding both male and female dress accessories (including silver stirrup brooches), plus a coin of Theoderic; burial in hollowed-out logs was 61  For a wider set of landscape reviews, see surveys in Gian Pietro Brogiolo/Alexandra Chavarría Arnau/Marco Valenti (eds.): Dopo la fine delle ville: le campagne dal VI al IX secolo. 11o Seminario sul Tardo Antico e l’Alto Medioevo, Gavi, 8–10 Maggio 2004. Mantua 2005. While many authors in this volume focus on the sixth to ninth centuries, most provide the late antique context in terms of site numbers, character of settlement, land changes, levels of study, etc. Giuliano Volpe: Villaggi e insediamento sparso in Italia meridionale fra Tardoantico e Altomedievo: alcune note, pp. 221–249, summarises usefully how the south differs in terms of enduring and sometimes increased villa economic roles into the sixth century, and with more in the way of rural churches of sixth-century date. For a summary review of land-use and rural populations across Italy, see Cam Grey: Landowning and Labour in the Rural Economy. In: Arnold/Bjornlie/Sessa (eds.): Companion (see note 1), pp. 263–295. This essay should be read alongside the interesting effort in the same volume to consider environments: Paolo Squatriti: Barbarising the Bel Paese: Environmental History in Ostrogothic Italy, pp. 390–421.

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also proposed as a Germanic rite.62 Notable are findings from a site near Col­ legno, west of Turin and on the road leading to the fortress-city of Susa, featuring a group of eight burials (fig. 2): prominent was a male burial with two belt buckles, set within a cobblestone-framed and topped tomb; there was deformation practice on the skull and signs of extended horse-riding evident in the bones of his lower body. Around this “family head” burial were seven other inhumations, two male, two infant, and three female; the latter contained dress items, including a silver dove brooch, a stirrup brooch, and a glass-beaded necklace. These objects date the group to a broad period from the end of the fifth century to the midsixth; some of their houses (equipped with hearths) lay close by.63 Such sites as Collegno are rare finds in the Italian landscape. But even a few comparable sites help the process of recognising Ostrogoths in the rural world and of asking what types of communities they formed, and whether these sought independence or else local integration. But we will need more than a small ­necropolis and a few houses in one part of Piedmont to provide full and detailed answers. An Ostrogothic Castrum or Royal Rural Retreat? A well-known and yet much debated rural site to note is Monte Barro in the Como district of Lombardy in north Italy, not far, potentially, from some of the lake’s “gleaming villas” claimed by Cassiodorus. Detailed excavations on this elevated site (main terrace at 650 m) have revealed a partial defensive circuit (the “Muraioo”) comprising a southern wall with gates and towers (fig. 3) plus diverse groupings of buildings, mainly domestic, storage, and workshop, and one main complex (the “Grande Edificio”) (fig. 4); a possible church (and citadel?) may have lain at the higher location of the “Eremo”.64 The material culture points to both local and long-distance supplies, in sufficient quantities to show regular ­usage, but this conceivably may not have been permanent (i. e. all year-round) settlement. Some of the archaeology might also point to two phases of use within the towers, with a possible break between; as noted above, however, being able to pinpoint such activities with precision is not really feasible. Most strikingly, the 62 

Aimone: Il tesoro di Desana (see note 46), p. 238. Pejrani Baricco: Longobardi da guerrieri a contadini. Le ultime ricerche in Piemonte. In: Brogiolo/Chavarría Arnau (eds.): Archeologia e società (see note 8), pp. 363–383, see esp. pp. 364–367. See also Aimone: Il tesoro di Desana (see note 46), p. 238. Pejrani Baricco highlights subsequent Lombard burials and settlement from the final third of the sixth century into the eighth, suggesting a rural site that was ready for reuse (pp. 368–376); see also De Vingo: Il feno­ meno della sovrapposizione (see note 50), pp. 317–319. 64  Full excavation reports appear in Gian Pietro Brogiolo/Lanfredo Castelletti (eds.): Archeologia a Monte Barro, I. Il grande edificio e le torri. Lecco 1991; Gian Pietro Brogiolo/Lanfredo Castelletti (eds.): Archeologia a Monte Barro, II. Gli scavi 1990–97 e le ricerche al S. Martino di Lecco. Lecco 2001. Summary comments appear in Gian Pietro Brogiolo/Sauro Gelichi: Nuove ricerche sui castelli altomedievali in Italia settentrionale. Florence 1996, pp. 22–31. A recent ­review of the site role is A. Javier Martínez-Jiménez: Monte Barro. An Ostrogothic Fortified Site in the Alps. In: Assemblage 11 (2011), pp. 34–46. 63  Luisella

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finds (notably the collection of coins) point firmly to Monte Barro as an Ostrogothic-period foundation, active certainly by c. AD 520 and with a likely end date in the mid-sixth century, marked by violent burnt and collapsed deposits.65 Key to the whole site is the “Grande Edificio”, a courtyard complex, with three wings, the eastern one a long unit, potentially for barracks and/or stores; the northern, two-storey wing generated finds that indicate a high status presence, including spurs, a ring, stuccoed walls, plus a bronze hanging crown and three hanging crosses. The crown signifies some royal connection for the complex, but there is debate on whether this wing is a royal hunting-lodge, a Gothic military official’s retreat-cum-villa, or a fortress with a commander’s block. It could of course be a combination of all, such as a retreat that gained more of a military role (e. g. in our cited Phase II, after Theoderic’s reign) and even a refuge role (in Phase III); either way, its prominence and setting certainly show a strategic and defensive potential from the outset, alongside a desire to display strength and security.

Figure 3: View across the Ostrogothic-period circuit and one of the towers of the Muraioo on Monte Barro, below the “Eremo”, looking west (Photo courtesy of ­Federico Bonifacio, Parco Monte Barro).

Monte Barro remains unique, but comparable might be the castellum built by bishop Honoratus of Novara in the 490s, as recorded by Ennodius66 and generally identified with the fortification at Pombia, a high promontory overlooking the River Ticino; Pombia later had a notable regional role under the Lombards. However, the link with Honoratus is not secure, nor is it clear if his castellum was a private episcopal retreat or else a refuge created for the locals.

Frontiers One might anticipate that for Ostrogothic Italy few major changes needed to be enacted in terms of defensive provision: few towns of note will have remained unfortified by the mid-fifth century and the diverse internal and external military 65  Note,

though, that discussion by Brogiolo/Castelletti (eds.): Archeologia a Monte Barro, II (see note 64), pp. 95–102, does not exclude a mid-fifth century, i. e. pre-Gothic origin. 66 Ennodius, Carmina 2, 110.

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Figure 4: Reconstruction drawing of the building complexes and wall circuit on Monte Barro. The “Grande Edificio” is at the top right of the image (Watercolour by Antonio Monteverdi; image courtesy of Parco Monte Barro).

threats of the fourth and fifth centuries had necessitated construction of an array of military installations, especially in Italy’s northern regions – the Alps and sub-Alpine zones chiefly – including watchtowers, forts, road-guards, lake for­ tresses, and even island fleet bases.67 Yet the chronology and character of some of these late Roman sites are not always well defined, and it remains disputed in some cases whether attested Longobard/Lombard period forts such as in Friuli, at Italy’s north-eastern Alpine passages, had late Roman or else Gothic or Byzantine roots.68 Should we, for example, assume more in the way of watchtowers and for67 

See broad review in Christie: From Constantine to Charlemagne (see note 25), chapter 4, plus coverage in Brogiolo/Gelichi: Nuove ricerche sui castelli (see note 64); Elisa Possenti: Castelli tra tardo antico e alto medioevo nell’arco alpino centrale. In: Elisa Possenti et al. (eds.): APSAT 6. Castra, castelli e domus murate. Corpus dei siti fortificati trentini tra tardo antico e basso medioevo. Saggi. Mantua 2013, pp. 7–40; Volker Bierbrauer: Frühmittelalterliche castra im östlichen und mittleren Alpengebiet: germanische Wehranlagen oder romanische Siedlungen? Ein Beitrag zur Kontinuitätsforschung. In: Archäologisches Korrespondenzblatt 15 (1985), pp. 497–513. 68  See the evidence presented by Luca Villa: Nuovi dati archeologici sui centri fortificati tardo­ antichi-altomedievali del Friuli. In: Paolo Diacono e il Friuli altomedievale (secc.VI–X). Atti del XIV Congresso Internazionale di Studi sull’Alto Medioevo. Cividale-Bottenico di Moimacco, Settembre 1999. Spoleto 2001, pp. 825–862.

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tified granaries than actual military forts in late Roman, fifth-century Italy, with more developed military bases being established later, such as in the Ostrogothic or Byzantine period? Here an issue might lie in expectations: namely that the late Roman State surely was more organised and better resourced than later powers and so the scale and quality of its defensive investment should be better displayed. In other words, we should envision Goths, Byzantines, and Lombards as heirs to a defensive pattern established already in the last century of Roman control; at the same time, these weaker states might have provided the right context for a proliferation of smaller defended communities. Potentially, we might credit the Ostrogothic regime with much more co-ordinated engagement with Italy’s borders and military defensive provision. After all, Theoderic’s Kingdom was established after a period of conflict with Odoacer and had come after relatively slight efforts to counter the Ostrogoths’ arrival in 489 via the Julian Alps in the north-east and then in 490–492 in engagements around Verona, Trento, and Ravenna.69 Walled cities stood out in these encounters, as well as defensive bases in the sub-Alps; Theoderic and his commanders no doubt observed the effectiveness or otherwise of these installations and their defenders. Much emphasis seems to have been directed at securing the kingdom, and a careful review of current dispositions combined with local feedback (from regional counts and saiones) on gaps and needs in the defensive frame will have prompted a level of strategic investment; in fact, given the economic stability that came with Theoderic’s reign, perhaps additional resources were put into this programme of security. We can recall in this regard the letter70 to the Gothic officer or saio ­Leodefrid, which recommends for locals to populate the fort at castrum Verruca (likely the distinctive wart-like hill of Doss Trento opposite the town of Trento-Tridentum) (fig. 5): “It is the duty and the glory of a ruler to provide with wise forethought for the safety of his subjects.” We are told that this site was a bolt and

Figure 5: View across the river Adige to Doss Trento (Verruca), a late antique stronghold to the town of Trento in the central Alps; at the foot of the hill lay a Lombard cemetery; on its summit an early sixth-century church (Photo: author, Neil Christie).

69 

Peter Heather: The Goths. Oxford 1996, p. 219. Variae 3, 48 of AD 510.

70 Cassiodorus,

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barrier to both region and peninsula: tenens claustra provinciae and munimen Italiae.71 In a similar vein, Theoderic wrote to Goths and Romans living at Tortona, requiring a fort to be built nearby, since: “It is expedient to execute works of this kind in peace rather than in war […] Therefore, you should second our efforts by building there good houses in which you can shelter while the enemy (whenever he comes) will be in the worst possible quarters and exposed to all the severity of the weather.”72 Archaeologically we might claim an upgrading of a compact, late Roman military installation to a larger, post-Roman defended site with scope for some civilian/non-military residents in the case of Castelseprio. This well-known castrum, located in the Olona valley south-west of Como, saw excavation by ­diverse groups in the 1950s, 1960s, 1970s, and 1980s especially. Some of the site’s chronologies and structural sequences still need clarification, however, in part due to problems in early site recording and clearance work and due to improved dating techniques and understanding of ceramic types since the earlier investigations. Nonetheless, the basic sequence of “upgrade” from a set of individual late Roman (late fourth-?/fifth-century) watchtowers to a fortified complex in the late fifth/ earlier sixth century, followed by revamping under Byzantines and then Lombards, is still retained.73 Given how the letters and formulae of Cassiodorus and Theoderic seem to point to a government busy advertising its many efforts to support the Italian population in terms of its security and well-being, and given how more data are starting to emerge of State works at least in urban contexts, we should not see these claims from Theoderic via Cassiodorus as mere rhetoric and propaganda: these were measures intended to secure the regime, not just the natives, and wider military threats required enhanced surveillance, plus some direct action. Thus, some campaigns were waged to extend Ostrogothic frontiers and influence ­beyond the immediate Alpine range, with annexed provinces in Provence and at least nominal control over Raetia, Noricum, and Dalmatia, as overseen by dukes and viri spectabiles.74 In Cassiodorus’ formula for the Duke of Raetia,75 the prov71  Settia

prefers to site Verruca at Fragsburg near Merano (Settia: Le fortificazioni dei Goti [see note 32], pp. 113–115). The presence on the summit of Doss Trento of a late fifth-century church to SS. Cosma e Damiano, however, with dedicatory mosaic inscription by Bishop Eugippius, as well as a coin hoard of the Gothic-Byzantine War era, reinforce the picture of a significant Gothic-period stronghold-cum-refuge at Doss Trento. Possenti: Castelli tra tardo antico (see note 67), pp. 21–24, notes likely late Roman, fifth-century defences at the base of the hill. 72 Cassiodorus, Variae 1, 17. 73  See the major – albeit rather confusing – synthesis of materials in Paola Marina De Marchi (ed.): Castelseprio e Torba. Sintesi delle ricerche e aggiornamenti. Mantua 2013. Note esp. the section by Thea Tibiletti: Testimonianze letterarie e indagini archeologiche a Castelseprio. Interpretazioni, problemi, spunti di riflessione, pp. 45–85, esp. comments on p. 54, pp. 74 f., and details across Part II. 74  Herwig Wolfram: History of the Goths. Translated by T. Dunlap. Berkeley/Los Angeles 1988, pp. 315–324. 75 Cassiodorus, Variae 7, 4.

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inces are described as the “bars and bolts of Italy” guarding against “wild and cruel nations”; the dukes’ soldiers are told to “live on friendly terms with the provincials”. Archaeological finds from forts, hilltop settlements, cemeteries in Istria/Slovenia and Dalmatia/Croatia duly point to defended or militarised landscapes active across the Gothic to Lombard periods.76 Within the frontier zone of the Italian north, documentary, toponymic, and archaeological evidence, though relatively sparse, suggests relatively widespread and ordered attention to defensive installations. Much cited is the passage in the war narrative of Procopius, describing events in AD 540 but presumably identifying a long established set-up: “Now there are numerous strongholds in the Alps which separate Gaul from Liguria, and which the Romans call the Cottian Alps. These strongholds were garrisoned, as had been the custom for many years, by many of the noblest of the Goths, who resided in them together with their wives and children.”77 Much earlier in the sixth century is Cassiodorus’ reference to pay and supplies being sent on to “the sixty soldiers who are keeping guard in the Augustanis ­clusuris […]”.78 These clusurae will have likely comprised variable assemblages of blocking walls, forts, and watchtowers, overseeing routeways along Alpine valleys and over passes and acting as visible deterrents – and points to signal back to larger troop-bases. Clusae/chiusa placenames exist in various points in the Alps and pre-Alps and may relate to late antique frontier works, such as the Chiusa di Pesio, not far from Pedona in Piedmont, which is recorded as the seat of a Gothic count,79 and the Chiusa di San Michele in the Susa valley.80 Relevant for the Chiusa di Pesio zone is the evidence from the hilltop site of Castelvecchio di Pev­ eragno, denoting stable fifth- and sixth-century occupation, and including a few Gothic-type finds – notably a belt buckle with chip-carved design.81 The hilltop site was perhaps a fortified village with a military role linked to the watching of routes into the Padane region from the south (western Liguria – Ventimiglia zone) along the Pesio valley. Might Peveragno be one of the fort-communities noted by Procopius? In this regard the mix of finds – agricultural, domestic, military – show these communities to be self-sustaining, but with imports as indicators of pay/supplies and their formal, official role.

76  See

Slavko Ciglenečki: Höhenbefestigungen aus der Zeit vom 3. bis 6. Jh. im Ostalpenraum. Ljubljana 1987, pp. 121–127; Slavko Ciglenečki: Romani e Longobardi in Slovenia nel VI secolo. In: Paolo Diacono e il Friuli (see note 68), pp. 179–201. 77 Procopius, Bella 6, 28, 28–29. 78 Cassiodorus, Variae 2, 5. 79  See pp. 141  f. of Egle Micheletto et al.: Il Castelvecchio di Peveragno (CN). Rapporto preliminare di scavo (1993–94). In: Quaderni della Soprintendenza Archeologica del Piemonte 13 (1995), pp. 137–219. 80  For the Trentino and the Vallagarina chiuse, see Gian Pietro Brogiolo/Annamaria Azzolini: Fortificazioni e chiuse nella Val d’Adige. In: Possenti et al. (eds.): APSAT 6. Castra, castelli e domus murate (see note 67), pp. 41–60. 81  Micheletto et al.: Il Castelvecchio di Peveragno (see note 79), pp. 145–148, pp. 154  f.

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The north-eastern territory of Friuli was centred on ancient Forum Iulii (Cividale), which may well have been refortified in the early sixth century – again in recognition of its important regional role, on a par with centres like Trento and Pavia which were given granaries.82 That territory, as noted above, was vital in control of the Julian Alps route into Italy, which Theoderic himself took in 489. Well documented for its network of Lombard castra in the seventh century, the area has been much discussed regarding the nature, role and scale of the Claustra Alpium Iuliarum, documented in the fourth century: but questions arise on whether ­elements of this late Roman system were revamped by Theoderic.83 More likely, however, is the emergence and occupation of a range of hilltop sites and watchtowers from the fifth century as local groups reacted to insecurity; some of these sites were probably charged with military duties, and others may have been more formal military bases. Attention has naturally been focussed on the well-excavated site of Invillino in the northern reaches of the territory, where an existing hilltop community took on a more organised and perhaps semi-military role in the course of the fifth century.84 Here Ostrogothic-period occupation can be assumed, albeit without noticeable change. Elsewhere diverse archaeology – stray, rescue, occasional small-scale research – points to an Ostrogothic phase at a number of defended/strategic sites: clerical epitaphs occur at San Pietro di Zuglio and Osoppo; and Gothic finds and placenames are associated with the forts of Gemona, Artegna and San Giorgio in Attimis.85 Without detailed explorations, of course, it is impossible to gauge the nature and scale of Gothic works and to assess any regional “strategy”. A fascinating guide to how detailed research excavation can open new doors to understanding the defended landscapes of late antique Italy, and to enable questioning of specific periods and phases, comes from the Trentino province in central north Alpine Italy: extensive and regular excavations from 2000–2014 on the island site of Sant’Andrea di Loppio close to the north-east tip of Lake Garda have uncovered an important sequence of structures with valuable finds including assemblages related to a castrum which was likely established in the later fifth century and which remained active into the later seventh century.86 A distinctively military role can be assigned based on finds (mainly of the sixth and seventh cen-

82 

Marano: Towns of Central and Eastern Venetia (see note 17), pp. 180 f. Christie: The castra of Paul the Deacon and the Longobard frontier in Friuli. In: Paolo Diacono e il Friuli (see note 68), pp. 231–251. 84  Phase III in the site sequence – see Volker Bierbrauer: Invillino – Ibligo in Friaul I. Die römische Siedlung und das spätantike und frühmittelalterliche Castrum. Munich 1987; id.: Invillino – Ibligo in Friaul II. Die spätantiken und frühmittelalterlichen Kirchen. Munich 1988. 85  Finds in the area reported in Villa: Nuovi dati archeologici (see note 68), pp. 825–862; Luca Villa: Le tracce della presenza gota nell’Italia nord-orientale e il caso dell’insediamento di S. Giorgio in Attimis (UD). In: Maurizio Buora/Luca Villa (eds.): Goti nell’arco alpino orientale. Trieste 2006, pp. 147–173. See, for a broader perspective, the same co-edited volume as a whole. 86  Barbara Maurina: Ricerche archeologiche a Sant’Andrea di Loppio (Trento, Italia). Il castrum tardoantico-altomedievale. Oxford 2016. 83  Neil

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tury) such as arrowheads, sword fragments, spurs, lamellar armour pieces, as well as imported goods such as amphorae, which suggest regular external supplies. Eight sixth-century coins is a rich haul and these include Gothic issues. On the basis of finds related to the earliest circuit, the excavators propose a fortification created in the late fifth or early sixth century (Odoacer/Theoderic);87 potentially, however, a full military role might not have been activated until the Gothic-Byzantine War period. Either way the site shows strategic thinking: early on, it created a more secure base for a local community, perhaps charged with some military duties; later revised, it assumed a more explicitly military character. The site was protected by the nearby lake which enabled swift movement and patrols; the location was effectively a bar to passage along a valley from the River Adige to the northern head of Lake Garda. More work is needed in the territory to see how far Sant’Andrea was part of a set of watchposts and other defences and defended communities. To the west, we can cite the excavations at Monte S. Martino ai Campi near Tenno, north-west of Riva del Garda.88 This upland site (c. 800 m above sea level) lies in a position which oversees communications from the upper lake plains (the ancient Sommolago) to the valleys of the Ledro and Chiese and thence westwards towards Brescia, while to the north it observes traffic towards the Ballino Pass, and thence to the Non valley (fig. 6). Following later Iron Age activity, as well as a more monumental Roman-period cult complex, in use into the third century AD, a planned village was established perhaps already in the fourth century, on the downslope of the sanctuary. Occupation of this new settlement extends into the seventh century; mortared stone buildings, cisterns, and workshops point to a ­stable community. Notable components of the site are a 24 x 11 m “palace”, which could have been an administrative building or even a combined residence and store. No circuit wall is yet traced, although a ditch cutting is evident at the more accessible north end. The investment in the “palace” and settlement is clear; the presence of coinage (including Byzantine coins and one of the Ostrogothic king Totila (Baduela), AD 541–552) and imported materials might support the argument that a garrison was based here. Whether a military role can be claimed across its whole span is uncertain without further excavation. A more evident military role can be assigned to another Monte San Martino site, located near the habitat of Lundo/Lomaso, approximately 20 km north-east of Tenno, which occupies the summit of a high hill (895 m) with extensive views overseeing routeways. Most striking here are the 1 km-long turreted circuit walls (fig. 7), a cistern, a series of buildings and workshops built up to the curtain wall and in the wide site interior (ongoing excavations have so far studied 10,000 m2 of the settlement), and a church, the first phase of which dates back to c. AD 500, 87 

Ibid., pp. 750 f. Bellosi et al.: The Late Antique and Early Medieval Habitat and Church on the Monte S. Martino, Riva del Garda District, North Italy. In: Medieval Settlement Research 28 (2013), pp. 9–17. 88 Giovanna

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and features an internal double-burial of the earlier sixth century. Finds set the well-built defences to the mid-fifth to the early sixth centuries – i. e. either a very late Roman creation or else an Ostrogothic base.89

Figure 6: San Martino ai Campi (Tenno, Riva del Garda) – aerial view to the excavated sector of the late antique church, palace, and village settlement (Photograph: foto Rensi. Image courtesy of Archivio della Soprintendenza per i Beni ­Architettonici e ­Archeologici, Ufficio Beni Archeologici).

Figure 7: Circuit wall and internal structures of the late Roman to Byzantine fortress site of San Martino at Lundo/Lomaso (Image: author, Neil Christie). 89 

Enrico Cavada/Elia Forte: Progetto “Monte San Martino/Lundo-Lomaso”. L’oratorio. Evidenze, modifiche, significati. In: Gian Pietro Brogiolo (ed.): Nuove ricerche sulle chiese altomedievali del Garda. 3o convegno archeologico del Garda (Gardone Riviera, 6 Novembre 2010). Mantua 2011, pp. 131–156, esp. pp. 140–143. For defended sites in the Trentino, see papers in Possenti et al. (eds.): APSAT 6. Castra, castelli e domus murate (see note 67), notably Elisa Possenti: Castelli tra tardo antico e alto medioevo nell’arco alpino centrale, pp. 7–40; Brogiolo/Azzolini: Fortificazioni e chiuse (see note 80), pp. 41–60.

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In summary, this sub-Alpine and Alpine zone features a number of sites that, in combination, build a fairly dense – perhaps more dense and planned than might be expected – pattern of upland and defended sites. A number of them could be deemed to be “strategic” and reflective of a co-ordination of control and safeguarding of routes and of communities. As in the case of Invillino and Loppio, however, the issues of the archaeology and of assigning clear chronologies, roles, and characters to sites in the individual phases (Late Roman, Gothic, Byzantine, Lombard) are often problematic, chiefly due to the restricted level of excavation. Nonetheless, what often stands out is the way that such sites retain roles across the sixth and seventh centuries and so point to an ongoing need to occupy their space. Does that need stem from insecurity alone or from politico-military demands? In fact, more work is required on the ends of these places, to answer when and why many of them go out of use, where their communities moved to, and why many were not even re-occupied by medieval castles.

The Gothic-Byzantine War Mention has been made at various points above of the changes and effects of the Gothic-Byzantine War (Phase III in the Kingdom), most notably in terms of apparent losses to forts and villas (such as the destructive end to Monte Barro), damage to the landscape and rural settlement, and the lasting downturn in urban fortunes across northern and central Italy especially. It will be noticeable that much of the discussion above, especially in consideration of frontiers and defended sites, centres on the northern regions of the peninsula: the sites here were seemingly well-prepared for conflict, whereas doors from the south remained open – scattered garrisons at port cities such as Naples, Cumae, Otranto, and Brindisi provided no effective defensive “front”. This southern weakness but northern strength duly contributed to the highly damaging drawn-out nature of the conflict with Justinian’s imperial armies, with each side under-resourced in terms of manpower to bring about lasting victory. Meanwhile, the native Italians responded in diverse ways, wanting, above all, to remain safe.90 The Histories of both Procopius and Agathias reveal the constant strategy of town and fort occupation or capture, the provision of garrisons (often small), and efforts to secure food. For example: “Now Vitigis with the remainder of his army marched towards Ravenna; and he strengthened the fortified places with a great number of guards, leaving in Chiusi, the city of Tuscany, 1,000 men and Gibimer as commander, and in Orvieto an equal number, over whom he set Albilas, a Goth, as commander. And he left Uligisalus in Todi with 400 men. And in the land of Picenum, he left in the fortress of Petra 400 men who lived there previously, and in 90  Maria

Kouroumali: The Justinianic Reconquest of Italy: Imperial Campaigns and Local Responses. In: Alexander Sarantis/Neil Christie (eds.): War and Warfare in Late Antiquity. Current Perspectives. Leiden/Boston 2013, pp. 969–999.

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Osimo, which is the largest of all the cities in that country, he left 4,000 Goths […] and 2,000 men with Moras in Urbino. There are also two other fortresses, Cesena and Montefeltro, in each of which he established a garrison of not less than 500 men.”91 The movement of armies, their demands on locals for food and materials, rising problems of food shortages through the desertion of fields, plus documented plagues and, of course, loss of life in war all impacted on Italy’s settlements and communities, leaving, as a result, a much impoverished archaeological record. Close scrutiny of strata and finds, as well as of people in the form of burials, will in the future give more substance to the archaeology of the war years. As seen above, it is primarily where detailed research excavation occurs – at sites like Monte Barro, Loppio, Luni, and Brescia – that we might be able to undertake such scrutiny and thereby to chart Gothic resistance and failures.

Conclusion The Ostrogothic Kingdom is becoming much “louder” in terms of archaeological evidence, with urban and rural excavations generating more data related to the Ostrogothic period, even if not to Ostrogoths themselves. This pattern should not of course be surprising, nor should it disappoint, since, as recent scholarship has argued, defining what a Goth was and how he/she/they will have viewed themselves, and how such perceptions were modified through settlement and integration, remain contentious. While we will continue to look for specific Ostrogothic material “signatures” (which will appear now and then in burial groups like Collegno), the archaeology does enable us now to get a better grasp of the state of towns, especially in the period AD 490–540, and to recognise, on occasion, where works of renewal – to walls, infrastructure, housing – occur. The ­textual evidence, also on occasion, can guide on the input or initiative, whether by the Gothic King (though even then it would be funds largely gathered by civic authorities), dignitaries, and/or officials, either Roman or Gothic, or through ­urban groups; each at least passes a message of regard and attention to those sites and their structures. We should properly recognise that the period AD 500– 525 at least was overall stable, economically sound, well-administered, and productive; the peninsula was overseen by an efficient monarch keen to impress; such a strong leader encouraged positive displays; and a wider political perspective also looked to planning for future needs. All these ingredients gave at least a taste of renewal. For the most part, therefore, the Ostrogothic period is marked by towns remaining active and in some cases emboldened; the Church is perhaps subdued in the north, but bishops in southern Italy do gain more visibility, with individuals such as bishop Sabinus at Canosa clearly revelling in the stability of the times and 91 Procopius,

Bella 6, 11, 1–2.

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inputting local Church wealth into his redesigned city;92 indeed, in turn, the landscape, although no longer populated in all areas by villas and vast elite estates, appears tended and productive – and in the south there was clearly good money to be made. Senators remained wealthy and could still invest here in their big estates, while bishops looked to build similar fortunes and reputations.93 There remain many differences between north and south of the Kingdom to be interrogated. Arguably, the best picture that we can draw on relates to defence: in addition to the noted urban defensive renewals, the growing archaeology shows much activity in the Alpine regions, marked by defended and upland communities as well as fortresses. We should be more willing to see Ostrogothic input and planning in this activity and not always assume late Roman roots; after all, Theoderic appears at pains to secure his Kingdom. Time and resources generated by stable rule, moreover, enabled attention to be invested in the many holes that could deflate Ostrogothic power in the peninsula. What surprises on many levels, however, is the number of sites potentially active and activated across the sub- and pre-Alpine zones, suggesting a fair population density and accordingly a busier worked landscape than some scholars might envision. And there is still much to be done to properly trace the early phases of the Gothic-Byzantine War and its impacts on places and people. Such a project involves a much more challenging archaeology: here we should try to see the unravelling of what had been stabilised in towns, the disruption of economies, and the anxieties of insecurity; we need look to interruptions in land-use and rural communities; and we need also ask if defended sites swell in size and take on different characteristics. There would be in this analysis some clear divergences, with the northern zones, the noted Ostrogothic heartlands, most affected by the drawnout conflict and heightened militarisation, but with zones in the central belt also damaged; the contrast should lie with a disrupted but less scarred South. Archaeology needs to chart in these varied landscapes the waves and ripples of war and better understand how the Italian communities struggled and adapted to a much changed world as Ostrogothic Italy fell away.

Zusammenfassung Das ostgotische Reich in Italien war ein relativ kurzlebiges politisches Gebilde, und während Textüberlieferungen eine recht gute Rekonstruktion von Strukturen, Politik, Religion, Außenbeziehungen und Gesellschaft – der „gotischen“ wie der „italienischen“ – des Königreichs ermöglichen, sind die archäologischen Über92 

For more on Sabinus of Canosa, see Christie: From Constantine to Charlemagne (see note 25), p. 111. 93  Volpe: Villaggi e insediamento sparso in Italia meridionale (see note 61); Giuliano Volpe: Il ruolo dei vescovi nei processi di trasformazione del paesaggio urbano e rurale. In: Brogiolo/­ Chavarría Arnau (eds.): Archeologia e società (see note 8), pp. 85–106.

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reste dürftig. Heute können wir zwar die urbane Investitionsstrategie der Herrscher nachvollziehen, aber kaum ostgotische „Signaturen“ in der Siedlungslandschaft nachweisen. Ist dieser Mangel ein Problem? Bedeutet er, dass sich die all­ täglichen Abläufe der Ostgoten kaum von denen der „eingeborenen“ Bevölkerung unterschieden? Und was verraten uns jene wenigen „Signaturen“, die entdeckt wurden, über die Ostgoten und ihre Politik in Italien? Können wir der ostgotischen Herrschaft bleibende verändernde Wirkungen auf Städte, Land oder Verteidigung ­zuordnen? Dieses Kapitel gibt einen Überblick über neue (und alte) Funde – vorwiegend aus Norditalien, dem gotischen Kernland in Italien – und verweist auf einige Gebiete, aus denen die Archäologie in jüngster Zeit dringend benötigte Daten ge­ liefert hat.

Hanns Christof Brennecke Ipse Haereticus favens Judaeis1  Homöer und Juden als religiöse Minderheiten im Ostgotenreich

Das Problem Der Begriff „Minderheit“ ist sowohl dem griechischen wie auch dem lateinischen antiken Sprachgebrauch fremd. Nach unserem heutigen Sprachgebrauch sind die Juden im Imperium Romanum jedoch nicht nur eine religiöse, sondern auch eine ethnische Minderheit, die allerdings seit Jahrhunderten auch im lateinischen Westen des Reiches heimisch und besonders in den größeren Städten verbreitet war und bei durchaus vorhandener Ablehnung seit jeher gewisse Privilegien genoss.2 Die von uns heute im wissenschaftlichen Sprachgebrauch als „Homöer“3 bezeichneten christlichen Einzelpersonen oder Gruppen – man kann sie nicht ein1 

Anonymus Valesianus 82: „Selbst ein Häretiker und Begünstiger der Juden…“ (deutsche Übersetzung nach Ingemar König: Aus der Zeit Theoderichs des Großen. Einleitung, Text, Übersetzung und Kommentar einer anonymen Quelle. Darmstadt 1997, S. 88 f.). Gemeint ist der praepositus sacri cubiculi Triwila (PRLE II, S. 1126), auf dessen Rat Theoderich nach antijüdischen Pogromen befahl, dass die (christlichen) Einwohner Roms und Ravennas auf eigene Kosten die niedergebrannten Synagogen wieder aufbauen mussten; vgl. dazu den Kommentar von König, ebd., S. 188 f. 2  Heinrich Graetz: Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Bd. 5: Vom Abschluß des Talmud bis zum Aufblühen der jüdisch-spanischen Kultur. Leipzig 41909 [ND Berlin 1998], S. 34–71; Günter Stemberger: Juden. In: RAC, Bd. XIX (2001), Sp. 160–228, hier: Sp. 217–219; Karl Leo Noethlichs: Das Judentum und der römische Staat. Minderheitenpolitik im antiken Rom. Darmstadt 1996; ders.: Die Juden im christlichen Imperium Romanum (4.– 6. Jahrhundert). Berlin 2001; Steven T. Katz (Hg.): The Later Roman-Rabbinic Period. Cambridge 2006, S. 492–518. 3  Hanns Christof Brennecke: Homéens. In: Dictionnaire d’Histoire et de Géographie ecclésiastique, Bd. XXIV (1993), Sp. 932–960; ders.: Studien zur Geschichte der Homöer. Der Osten bis zum Ende der homöischen Reichskirche. Tübingen 1988; Winrich Löhr: Die Entstehung der homöischen und homöousianischen Kirchenparteien – Studien zur Synodalgeschichte des 4. Jahrhunderts. Diss. ev. theol. Bonn 1986; Uta Heil: The Homoians. In: Guido M. Berndt/Roland Steinacher (Hg.): Arianism: Roman Heresy and Barbarian Creed. Burlington 2014, S. 85–115. Der Name „Homöer“ ist von dem wichtigsten theologischen Stichwort ὅμοιος (similis)/gleich zur Beschreibung des Verhältnisses von Gott Vater und Christus in der Trinität auf den Synoden von Rimini und Konstantinopel (359) abgeleitet. Es handelt sich um einen modernen in der Wissenschaft inzwischen üblichen Terminus technicus zur theologischen Differenzierung, nicht aber um den antiken Sprachgebrauch. https://doi.org/10.1515/9783110686692-006

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fach als eine in sich abgeschlossene Gruppierung oder gar Kirchenpartei ansehen4 – sind Vertreter einer Auffassung der Trinität und damit auch von Christus in seinem Verhältnis zu Gott Vater, die bei ihren zeitgenössischen Gegnern immer „Arianer“ heißen.5 Sie galten als Anhänger der Theologie des Arius von Alexan­ drien, die 325 auf der von Kaiser Constantin einberufenen Synode6 von Nizäa als Häresie verurteilt worden war, was allerdings als eine in erster Linie auf Athana­ sius von Alexandrien zurückgehende polemische Unterstellung anzusehen ist.7 Sie vertraten eine bestimmte Form christlicher Theologie, die noch unter Constan­ tius II. und Valens im Osten den kirchlichen Mainstream gebildet hatte, im lateinischen Westen aber ebenfalls verbreitet war und im Zusammenhang mit den ­innerchristlichen dogmatischen Auseinandersetzungen der Spätantike, die unter dem Namen „arianischer Streit“8 bekannt sind, im späten vierten Jahrhundert als Häresie aus der Reichskirche ausgeschlossen worden war. Seit den Beschlüssen der Synoden von Konstantinopel und Aquileia,9 die beide im Jahre 381 stattfanden, standen sie außerhalb der offiziellen Reichskirche, waren durch die seit ­Kaiser Theodosius I. in schneller Folge erlassenen Religionsgesetze prinzipiell als Häretiker verboten und wurden gelegentlich verfolgt.10 Vor allem in Illyrien konnten sie aber noch bis ins sechste Jahrhundert eigene Kirchen – nach heutigem Sprachgebrauch Ortsgemeinden – bilden mit Bischöfen an ihrer Spitze, die zwar eigentlich illegal waren, aber dennoch zeitweise völlig unbehelligt blieben.  4 

So noch Löhr: Entstehung (wie Anm. 3) im Titel seiner Bonner Dissertation. Codex Theodosianus XVI 5 (de haereticis) sind mit Arriani immer die Homöer (das heißt die Vertreter der Beschlüsse der Synoden von Rimini und Konstantinopel im Jahre 359) gemeint, wie an der strikten Unterscheidung zwischen Arriani, Macedoniani (Homöusianer) und Eunomiani deutlich wird.  6  Zum Sprachgebrauch der christlichen Antike: Der griechische Begriff σύνοδος/Synode und der lateinische Begriff concilium/Konzil bezeichnen beide dieselbe Veranstaltung, nämlich eine Versammlung von Bischöfen zur Regelung innerkirchlicher Probleme des Glaubens und der Diszi­ plin und sind in der Kirche der Antike nicht hierarchisch differenziert. Allerdings kann im Latei­ nischen auch einfach der latinisierte, eigentlich griechische Begriff synodus benutzt werden. Die Differenzierung beider Begriffe in dem Sinne, dass concilium der übergeordnete Begriff ist beziehungsweise eine hierarchisch höher angesiedelte Veranstaltung bezeichnet, ist modern. Verunklarend Ferdinand Gahbauer: Synode. In: Theologische Realenzyklopädie, Bd. 32 (2001), S. 559–566; vgl. Hanns Christof Brennecke: Konzil. In: RGG, Bd. IV (42001), S. 1656 f. Ich will in diesem Sinne hier durchgängig den Terminus „Synode“ benutzen, auch für die heute als ökumenische Konzile bezeichneten Synoden von Nizäa (325) und Konstantinopel (381).  7  Vgl. Uta Heil: Athanasius von Alexandrien. In: Siegmar Döpp/Wilhelm Geerlings (Hg.): Lexikon der antiken christlichen Literatur. Freiburg i. Br./Basel/Wien 32002, S. 69–76.  8  Die umfangreichste Darstellung dieser Auseinandersetzung ist von Richard Patrick Crosland Hanson: The Search for the Christian Doctrine of God. The Arian Controversy 318–381. Edinburgh 1988; Hanns Christof Brennecke: Arius/Arianismus. In: RGG, Bd. I (41998), Sp. 738–743; ders.: Introduction: Framing the Historical and Theological Problems. In: Berndt/Steinacher (Hg.): Arianism (wie Anm. 3), S. 1–19.  9  Die überlieferten Dokumente der beiden Synoden werden von Annette von Stockhausen und Christian Müller kritisch ediert und kommentiert in der 6. Lieferung der „Dokumente zur Geschichte des arianischen Streites“ erscheinen. 10  Codex Theodosianus XVI 1, 2; XVI 1, 3; XVI 5, 6; XVI 5, 8; XVI 5, 11–13.  5 Im

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Da die germanischen Föderaten – und dazu gehörten auch die Ostgoten – zum größten Teil das Christentum im Laufe des vierten und fünften Jahrhunderts in dieser „arianischen“ Form angenommen hatten,11 aber weithin Autonomie besaßen und so den Religionsgesetzen nicht unterlagen, konnten sie ihren christlichen Glauben weiterhin in dieser für die reichsrömische Bevölkerung als Häresie verbotenen und zeitweise auch verfolgten Form leben und praktizieren.12 Schon Odoaker13 war in diesem Sinne „Arianer“ gewesen und dann auch die Goten unter ihrem König Theoderich. Der anonyme, dem nizänischen Bekenntnis anhängende Verfasser einer Art Biographie des ostgotischen Königs Theoderich, die nach ihrem ersten Heraus­ geber Henri Valois auch Excerpta Valesiana genannt wird,14 hat die für ihn häretischen gotischen „Arianer“ und die für ihn ebenfalls häretischen Juden eng aufeinander bezogen gesehen, weshalb es vielleicht sinnvoll ist, beide Gruppen hier gemeinsam in den Blick zu nehmen,15 auch wenn ich die Sicht von John Moorhead von gotischen Arianern und Juden als zwei sich gegen die katholische Mehrheit im Ostgotenreich verbindende und stützende Minderheiten nicht teilen kann.16

„Arianer“ und „Homöer“ Als Theoderich 488 mit dem exercitus Gothorum und den von ihm beherrschten gentilen Gruppen, die nicht nur aus Ostgoten bestanden, nach Italien aufbrach, 11 Knut

Schäferdiek: Germanenmission. In: RAC, Bd. X (1978), Sp. 492–548; Hanns Christof Brennecke: Lateinischer oder germanischer „Arianismus“? In: Hildegund Müller/Dorothea ­Weber/Clemens Weidmann (Hg.): Collatio Augustini cum Pascentio. Einleitung, Text, Übersetzung. Wien 2008, S. 125–144; Berndt/Steinacher (Hg.): Arianism (wie Anm. 3). Eine Ausnahme sind die Franken, die am Ende des fünften Jahrhunderts das Christentum in der in Gallien verbreiteten nizänischen (katholischen) Form übernehmen; vgl. Schäferdiek: Germanenmission (­diese Anm.), Sp. 534–541; Uta Heil: Chlodwig, ein christlicher Herrscher. Ansichten des Bischofs Avitus von Vienne. In: Mischa Meier/Steffen Patzold (Hg.): Chlodwigs Welt. Organisation von Herrschaft um 500. Stuttgart 2014, S. 67–90; Bernhard Jussen: Chlodwig der Gallier. Zur Strukturgeschichte einer historischen Figur. In: Meier/Patzold (Hg.): Chlodwigs Welt (diese Anm.), S. 27–43. 12 Canon II der Synode von Konstantinopel 381. In: Giuseppe Alberigo (Hg.): Conciliorum oecumenicorum generalorumque decreta I. The Oecumenical Councils. Turnhout 2006, S. 65: […] Ecclesias autem Dei in barbaricis gentibus constitutas gubernari convenit iuxta consuetudinem, quae est patribus instituta/„Es ist beschlossen worden, dass die Kirchen Gottes unter den barbarischen Völkern entsprechend dem althergebrachten Brauch verwaltet werden.“ 13  Anonymus Valesianus 48; zu Odoaker vgl. PLRE II, S. 791–793. 14  Zum anonymen Verfasser der Excerpta vgl. König: Aus der Zeit Theoderichs des Großen (wie Anm. 1), S. 54–63. 15  Der Vorwurf des Judaisierens gegen die Arianer ist seit den Anfängen des arianischen Streites ein verbreiteter Topos, der im sechsten Jahrhundert schon nahezu klassisch ist; vgl. Rudolf ­Lorenz: Arius judaizans? Untersuchungen zur dogmengeschichtlichen Einordnung des Arius. Göttingen 1980. Der Verfasser der Excerpta Valesiana steht hier also in einer inzwischen mehr als zweihundertjährigen Tradition der antiarianischen Polemik. 16  John Moorhead: Theoderic in Italy. Oxford 1992, S. 114–139.

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um im Auftrag des Kaisers Zeno die Herrschaft Odoakers zu beseitigen und an Stelle des Kaisers vorläufig das Westreich zu regieren, waren die Ostgoten17 und ihr König Christen.18 Die Hintergründe der Christianisierung der Ostgoten sind im Einzelnen unklar. Auch der Zeitpunkt lässt sich nicht genau bestimmen. Die Angaben des Jordanes sind chronologisch vage: „So wurden auch die Vesegoten vom Kaiser Valens eher zu Arianern als zu Christen gemacht. Sie evangelisierten aus Liebe sowohl die Ostrogoten als auch die Gepiden, ihre Verwandten, und lehrten sie die Verehrung dieser Irrlehre. So luden sie das ganze Volk dieser Sprache zur Verehrung dieses falschen Kultes ein.“19 Die Ostgoten hatten demnach wahrscheinlich nach dem Untergang des Hunnenreiches und ihrer Ansiedlung in Pannonien in der zweiten Hälfte des fünften Jahrhunderts das Christentum an­ genommen, aller Wahrscheinlichkeit nach durch die Vermittlung von Goten, die einst mit Wulfila20 in Moesien angesiedelt worden waren. Wie alle germanischen Völker auf dem Boden des Imperiums – mit Ausnahme der Franken – hatten sie also den christlichen Glauben in der Form des „Arianismus“, so der zeitgenössische Sprachgebrauch, angenommen. Bei der inhaltlichen Beschreibung dieses „Arianismus“ ist die Literatur über die Ostgoten oft eigenartig unsicher und manchmal auch noch von der spätantiken Polemik gegen die „Arianer“ nicht ganz frei.21 Gegen den alexandrinischen Presbyter Arius hatte die Synode von Nizäa (325) Gott und Christus als wesenseins (ὁμοούσιος/unius substantiae22) definiert und die Auffassung des Arius, dass der Sohn/Logos ein Geschöpf Gottes und nicht 17 

Bei diesem Begriff will ich trotz der mir bewussten Problematik des Namens bleiben. Germanenmission (wie Anm. 11), Sp. 511–523; Guido M. Berndt/Roland Steinacher: The ecclesia legis Gothorum and the Role of „Arianism“ in Ostrogothic Italy. In: Berndt/ Steinacher (Hg.): Arianism (wie Anm. 3), S. 219–229. 19 Jordanes, Getica 132–133: sic quoque Vesegothae a Valente imperatore Arriani potius quam Christiani effecti. de cetero tam Ostrogothis quam Gepidis parentibus suis pro affectionis gratia evangelizantes huius perfidiae culturam edocentes, omnem ubique linguae huius nationem ad culturam huius sectae invitaverunt. Die Westgoten hatten seit Anfang des fünften Jahrhunderts ein eigenes Reich in Gallien gebildet und kommen daher für die direkte Vermittlung des Christentums an die Ostgoten nicht mehr infrage. Die Goten, die mit Wulfila von Constantius II. in ­Moesien angesiedelt worden waren, lebten noch zur Zeit des Jordanes nach Getica 267 als selbstständige Gruppe in Moesien (Gothi minores/Kleingoten). 20  Zu Wulfila vgl. zuletzt Knut Schäferdiek: Wulfila und der sogenannte gotische Arianismus. In: Berndt/Steinacher (Hg.): Arianism (wie Anm. 3), S. 21–43; Herwig Wolfram: Wulfila pontifex ipseque primas Gothorum minorum, sed non apostolus eorum. Wulfila, Bishop and Secular Leader of his People but not their Apostle. In: Berndt/Steinacher (Hg.): Arianism (wie Anm. 3), S. 131– 144. Nicht folgen kann ich der theologischen Interpretation Wulfilas von Sara Parvis: Was Wulfila Really a Hoimoian? In: Berndt/Steinacher (Hg.): Arianism (wie Anm. 3), S. 49–65. 21  Vgl. zum Beispiel Moorhead: Theoderic (wie Anm. 16); Patrick Amory: People and Identity in Ostrogothic Italy 489–554. Cambridge 1997; Thomas S. Brown: The Role of Arianism in Ostrogothic Italy: The Evidence from Ravenna. In: Samuel J. Barnish/Federico Marazzi (Hg.): The Ostrogoths from the Migration Period to the Sixth Century. An Ethnographic Perspective. Woodbridge 2007, S. 417–441. 22 Erst im Bekenntnis der Synode von Konstantinopel 381 wird der Begriff ὁμοούσιος in der lateinischen Fassung mit consubstantialis wiedergegeben. 18 Schäferdiek:

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gleichewig mit dem Vater sei,23 verworfen.24 Vor allem die Homousie, die Wesenseinheit Christi mit Gott, stieß bei einer großen Zahl griechischer Theologen, die durchaus nicht immer die Auffassungen des Arius teilten, aber in der Tradition der griechischen Theologie seit Origenes die Eigenexistenz von Vater, Sohn und Heiligem Geist in der Trinität betonten,25 auf Protest, weil hier die Gefahr bestand, Gott und Christus geradezu gleichzusetzen.26 In der in dieser Hinsicht im Vergleich zur griechischen Theologie sehr anders ausgeprägten lateinischen Tradition, die die Einheit der drei Personen in der Trinität immer viel stärker betont hatte, sah man diese Problematik nicht oder zumindest viel weniger.27 Für die Befürworter der Beschlüsse der Synode von Nizäa – das gilt vor allem für Athana­ sius von Alexandrien, der die Sichtweise auf deren Gegner für die Zukunft prägen sollte – waren allerdings nun alle Kritiker dieser Beschlüsse „Arianer“, denen man wegen ihrer Betonung der eigenen Hypostase28 des Gottessohnes unterstellte, ­seine Göttlichkeit eigentlich zu leugnen und ihn sogar als bloßen Menschen anzusehen. Das ist natürlich Polemik, allerdings eine in erstaunlichem Maße bis in die Gegenwart erfolgreiche!29 Diese Kritiker des Konzils von Nizäa, unter denen es durchaus auch Lateiner gab, bestimmten unter den Kaisern Constantius II. und Valens vor allem im griechischen Osten den Kurs der Reichskirche.30 Im Jahre 359 haben sie auf der Sy­ node von Rimini, der mit etwa 400 Teilnehmern bis dahin größten,31 ihre theologische Position für den Westen folgendermaßen definiert: „Wir glauben an einen allein wahren Gott, den allmächtigen Vater. Wir glauben auch an den einziggeborenen Sohn Gottes, der vor allen Zeiten und vor allem Anfang aus Gott geboren ist. Geboren aber ist der Einziggeborene allein aus dem alleinigen Vater, Gott aus 23 Vgl.

den Brief des Arius und einiger Weggefährten an Bischof Alexander von Alexandrien: Hans-Georg Opitz (Hg.): Urkunden zur Geschichte des arianischen Streites. Berlin/Leipzig 1934, S. 12 f.; eine deutsche Übersetzung in: Hanns Christof Brennecke u. a. (Hg.): Dokumente zur Geschichte des arianischen Streites. Lieferung 3. Berlin/New York 2007, S. 77. 24  Das Bekenntnis der Synode von Nizäa (Nicaenum): Opitz (Hg.): Urkunden zur Geschichte des arianischen Streites (wie Anm. 23), S. 51 f.; eine deutsche Übersetzung bei: Brennecke u. a. (Hg.): Dokumente zur Geschichte des arianischen Streites (wie Anm. 23), S. 109. 25 Jeder Person der Trinität wird eine eigene Hypostase zugeordnet, was im Lateinischen mit persona wiedergegeben werden kann; vgl. Jürgen Hammerstaedt: Hypostasis. In: RAC, Bd. XVI (1994), Sp. 986–1035. 26  Zum theologischen Diskurs vgl. Charles Piétri/Christoph Markschies: Theologische Diskus­ sionen zur Zeit Konstantins. In: Charles Piétri/Luce Piétri (Hg.): Das Entstehen der einen Christenheit. Freiburg i. Br./Basel/Wien 1996, S. 271–344 (wieder abgedruckt in: Christoph Markschies: Alta Trinità Beata. Tübingen 2000, S. 99–195). 27  Hanns Christof Brennecke: Der Trinitarische Streit im Westen bis Ambrosius. In: Volker Henning Drecoll (Hg.): Augustin Handbuch. Tübingen 2007, S. 119–127. 28  In der lateinischen Tradition meist persona/Person. 29  Hanns Christof Brennecke: „Arianismus“. Inszenierung eines Konstrukts. Erlangen 2014. 30  Vgl. Brennecke: Studien (wie Anm. 3); Löhr: Entstehung (wie Anm. 3). 31  Zur 359 von Constantius II. einberufenen Reichssynode, die für den Westen in Rimini und für den Osten in Seleukeia am Kalykadnos tagte, vgl. Hanns Christof Brennecke u. a. (Hg.): Dokumente zur Geschichte des arianischen Streites. Lieferung 4. Berlin/Boston 2014, S. 445–503.

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Gott, seinem Vater, der ihn gezeugt hat, gleich nach den Schriften; dessen Geburt kennt keiner außer dem allein, der ihn gezeugt hat, der Vater. Dieser stieg vom Himmel herab, wurde vom Heiligen Geist empfangen, geboren aus der Jungfrau Maria, gekreuzigt von Pontius Pilatus; am dritten Tag ist er auferstanden; er sitzt zur Rechten des Vaters und wird kommen zu richten die Lebenden und die Toten.“32 Hier werden sowohl die Position des Arius als auch die des Konzils von Nizäa abgelehnt und Christus als Sohn Gottes, geboren aus dem Vater vor aller Zeit, Gott aus Gott, seinem Vater, „der ihn gezeugt hat, gleich nach den Schriften“33 beschrieben. Similis ist hier die Übersetzung von ὅμοιος in den mehrheitlich griechischen Bekenntnissen dieser Gruppe und muss daher mit „gleich“ (und nicht „ähnlich“) übersetzt werden. Wegen des Begriffes ὅμοιος zur Beschreibung des Verhältnisses von Gott Vater und Sohn in der Trinität spricht die neuere Forschung (teilweise zumindest) von Homöern und nicht mehr einfach und undif­ ferenziert von „Arianern“, denn mit Arius hat das alles eigentlich nichts mehr zu tun. Das Bekenntnis der Synode von Rimini wurde dann auch die Glaubensgrundlage aller homöischen germanischen Kirchen.34 An der östlichen Parallelsynode in Konstantinopel35 hatte auch der gotische ­Bischof Wulfila teilgenommen, der von Constantius in den vierziger Jahren des vierten Jahrhunderts mit einer gotischen Gruppe in Moesien angesiedelt worden war und bis zu seinem Tod als Vertreter homöischer Theologie und des kirchenpolitischen Kurses der Kaiser Constantius und Valens erscheint. Durch die Übersetzung der Bibel ins Gotische,36 eine an griechischen Vorbildern orientierte goti-

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u. a. (Hg.): Dokumente zur Geschichte des arianischen Streites (wie Anm. 31), S. 477–482: credimus in unum solum uerum deum patrem omnipotentem. credimus in unigenitum filium dei, qui ante omnia saecula et ante omne principium natus est ex deo. natum autem unigenitum solum ex solo patre, deum ex deo, similem genitori suo patri secundum scripturas; cuius natiuitatem nemo novit, nisi solus qui genuit eum, pater. qui de coelo descendit, conceptus est de spiritu sancto, natus ex Maria uirgine, crucifixus a Pontio Pilato; tertia die resurrexit, sedet ad dexteram patris, uenturus iudicare uiuos ac mortuos. Für den Osten vgl. die Theologische Erklärung der Synode von Konstantinopel 359, in: ebd., S. 550, Z. 8–S. 552, Z. 24. 33  Similem genitori suo secundum scripturas; ebd., S. 478, Z. 15  f. 34  Eine Überlieferung in einer germanischen Sprache ist nicht bekannt und wird auch nirgends erwähnt. Noch bis zur III. Synode von Toledo 589 galt das Bekenntnis von Rimini im Westgotenreich als verbindlich; vgl. Hanns Christof Brennecke: Das Athanasianum – ein Text aus dem Westgotenreich? Überlegungen zur Herkunft des symbolum quicumque. In: Uta Heil (Hg.): Das Christentum im frühen Europa. Diskurse – Tendenzen – Entscheidungen. Berlin/New York 2019, S. 317–338. 35  An der Jahreswende 359/360 hatten mehrere nicht streng voneinander zu trennende Synoden in Konstantinopel stattgefunden. Die Teilnahme Wulfilas ist bezeugt bei der Synode anlässlich der Einweihung der Hagia Sophia im Februar 360; vgl. Brennecke u. a. (Hg.): Dokumente zur Geschichte des arianischen Streites (wie Anm. 31), S. 553. 36  Wilhelm Streitberg (Hg.): Die gotische Bibel. Heidelberg 72000. Dazu Kurt Aland: Bibelübersetzungen 1.10: Die Übersetzung ins Gotische. In: Theologische Realenzyklopädie, Bd. VI (1980), S. 211–213; Knut Schäferdiek: Der vermeintliche Arianismus der Wulfila-Bibel. Zum Umgang mit einem Stereotyp. In: Zeitschrift für antikes Christentum 6 (2002), S. 320–329; Amory: People and

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sche Liturgie und einen Heiligenkalender37 hat die Gruppe um Wulfila die Christianisierung der auf den Boden des Reiches kommenden Germanen maßgeblich geprägt. Noch sein 383 unmittelbar vor seinem Tod vor Theodosius abgegebenes Bekenntnis, das allerdings nur am Rand einer Handschrift ziemlich verstümmelt und überhaupt sehr schlecht überliefert ist, macht seinen Glauben deutlich. Dort heißt es: „Ich, Wulfila, Bischof und Bekenner, habe immer so geglaubt und in diesem alleinigen und wahren Glauben begebe ich mich hinüber zu meinem Herrn. Ich glaube, dass es einen einzigen Gott Vater gibt, allein ungeboren und unsichtbar, und an seinen einziggeborenen Sohn, unseren Herrn und Gott, Urheber und Schöpfer jeglicher Kreatur, der keinen hat, der ihm gleich ist, – daher ist ein einziger Gott Vater aller, der auch der Gott unseres Gottes ist – und an einen heiligen Geist, die erleuchtende und heiligende Kraft, wie Christus nach der Auferstehung zu seinen Aposteln sagt: ‚Siehe, ich sende die Verheißung meines Vaters in euch, ihr aber bleibt in der Stadt Jerusalem, bis ihr anlegt die Kraft aus der Höhe‘, ebenso auch: ‚Ihr werdet empfangen die Kraft, die über euch kommen wird durch den Heiligen Geist‘, weder Gott noch unser Gott, sondern Diener Christi , dem Sohn in allem untergeben und gehorsam, und der Sohn auch in allem seinem Vater und Gott untergeben und gehorsam, durch seinen Christus im heiligen Geist geordnet hat.“38 Unter Theodosius I., der das Bekenntnis von Nizäa favorisierte,39 wurden die Homöer als „Arianer“ und somit Häretiker aus der Reichskirche ausgeschlossen und begannen jetzt eine eigene, eigentlich illegale und immer wieder auch verfolgte Kirche zu bilden, von der Reste theologischer Literatur sowohl auf Lateinisch Identity (wie Anm. 21), S. 239–241. Eine kritische Edition der gotischen Bibelübersetzung ist zur Zeit in Vorbereitung. 37  Knut Schäferdiek: Das gotische liturgische Kalenderfragment – Bruchstück eines Konstantinopler Martyrologs. In: ders.: Schwellenzeit. Beiträge zur Geschichte des Christentums in Spätantike und Frühmittelalter. Berlin/New York 1996, S. 147–168. 38  Dissertatio Maximini 40: Ego Wulfila episcopus et confessor semper sic credidi et in hac fide sola et uera transitum facio ad dominum meum. Credo unum esse deum patrem, solum ingenitum et invisibilem, et in unigenitum filium eius, dominum et deum nostrum, opificem et factorem uniuersa creaturae, non habenten similem suum, – ideo unus est omnium deus pater, qui et dei nostri est deus,– et unum spiritum sanctum, virtutem illuminantem et sanctificantem, ut ait Christus post resurrexionem ad apostolos suos: ‚Ecce ego mitto promissum patris mei in uobis, uos autem sedete in ciuitatem Hierusalem, quoadusque induamini uirtutem ab alto‘, item et: ‚Accipietis uirtutem superuenientem in vos sancto spiritu‘, nec deum nec deum nostrum, sed ministrum Christi subditum et oboedientem in omnibus filio, et filium subditum et oboedientem et in omnibus deo patri suo per Christum eius in spirito sancto ordinavit. Text und Übersetzung nach der kritischen Edition von Annette von Stockhausen (erscheint in der in Druckvorbereitung befindlichen 6.  Lieferung der Dokumente zur Geschichte des arianischen Streites), eine diplomatische Edition der Handschrift (Codex Parisinus latinus 8907) bei Roger Gryson (Hg.): Scripta arriana latina I. Turnhout 1982, S. 166; vgl. Brennecke: Lateinischer oder germanischer „Arianismus“ (wie Anm. 11), S. 136–140. 39  Codex Theodosianus XVI 1, 2 und 3; XVI 5, 6; XVI 5, 8; XVI 5, 11 und 12; vgl. Adolf Lippold: Theodosius I. In: Realenzyklopädie der klassischen Altertumswissenschaft, Suppl. Bd. XIII (1973), Sp. 837–961; ders.: Theodosius der Große und seine Zeit. München 1980; Hartmut Leppin: Theodosius der Große. Auf dem Weg zum christlichen Imperium. Darmstadt 2003.

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als auch Griechisch überliefert sind.40 An diesen Homöern ist der Name „Arianer“ hängengeblieben. Die Föderaten waren zwar von den religionspolitischen Gesetzen ausgenommen, galten aber für die Reichsorthodoxie selbstverständlich ebenfalls als häretische Arianer. Die ältere, vor allem deutsche Forschung hat seit der Entdeckung und Erstedition des Bekenntnisses Wulfilas durch Georg Waitz im Jahre 184041 im Kontext der Suche nach den Ursprüngen der deutschen Nation zur Erklärung dieses „germanischen Arianismus“ eine besondere germanische Affinität zu dieser Form des christlichen Glaubens behaupten wollen, der angeblich dem germanischen Wesen in besonderer Weise entsprochen habe. Diese bis heute immer wieder anzutreffende Auffassung geht von einer falschen, aus der spätantiken Polemik stammenden Interpretation des „Arianismus“ als einer nur die Menschheit Jesu betonenden Theologie aus, die mit einem angeblichen germanischen Gefolgschaftsdenken verbunden gewesen sei.42 Da an diesem „Arianismus“ schlechterdings nichts Germanisches ist, habe ich vorgeschlagen, auf den in der Forschung weit verbreiteten 40 

Codex Veronensis LI überliefert zum Teil fragmentarisch eine Sammlung einiger theologischer Texte aus der homöischen Überlieferung, wahrscheinlich vor allem sermones: Ein Fragment über die Namen der Apostel, Evangelienlesungen, die offenbar liturgisch benutzt wurden, eine Abhandlung über die Feste und eine apologetische Schrift contra paganos. Vgl. Gryson (Hg.): Scripta arriana latina (wie Anm. 38), S. 3–145; Codex Parisinus latinus 8907 bietet als Randschrift (zum Teil sehr zerstört) eine Art Kommentar zum Konzil von Aquileia (darin auch der Brief des Auxentius über das Leben Wulfilas); Gryson (Hg.): Scripta arriana latina (wie Anm. 38), S. 149–196; der Mailänder Codex Ambrosianus S.P. 9/9 überliefert Fragmente eines Kommentars zum Lukas­ evangelium, Gryson (Hg.): Scripta arriana latina (wie Anm. 38), S. 199–225; Codex Ambrosianus S.P. 9/1-2 und Codex Vaticanus latinus 5750 enthalten Fragmente einer theologischen Abhandlung, Gryson (Hg.): Scripta arriana latina (wie Anm. 38), S. 229–265; Max Josef Suda (Hg.): Sancti Augustini opera, Contra sermonem Arrianorum pracedit sermo Arrianorum. Wien 2000, S. 33– 45; Kenneth B. Steinhauser (Hg.): Anonymi in Iob Commentarius. Wien 2006. Leider ist von der seit Langem angekündigten kritischen Edition des opus imperfectum in Matthaeum (Clavis ­Patrum Latinorum 707 = Clavis Patrum Graecorum 4569; Patrologia Graeca 56, Sp. 611–946),­ einem fragmentarisch unter dem Namen des Johannes Chrysostomus überlieferten Kommentar zum Matthäusevangelium, bisher nur die Praefatio erschienen: J. Van Banning (Hg.): Opus imperfectum in Matthaeum. Bd. 1: Praefatio. Turnholt 1988. Die theologische Position der lateinischen Homöer ist am klarsten definiert in der Debatte zwischen Augustin und Maximinus, vgl. Hombert (Hg.): Collatio cum Maximino (wie Anm. 44). Die wenigen überlieferten griechischen homöischen Texte sind in die Zeit vor Theodosius zu datieren. 41 Georg Waitz: Über das Leben und die Lehre des Wulfila. Bruchstücke eines ungedruckten Werkes aus dem Ende des vierten Jahrhunderts. Hannover 1840. 42  Hanns Christof Brennecke: Der sogenannte germanische Arianismus als „arteigenes Christentum“. Die völkische Deutung der Christianisierung der Germanen im Nationalsozialismus. In: Thomas Kaufmann/Harry Oelke (Hg.): Evangelische Kirchenhistoriker im „Dritten Reich“. Gütersloh 2002, S. 310–329; ders.: Christianisierung der Germanen oder „Germanisierung des Christentums“. Über Ideologisierung und Tabuisierung in der Geschichtsschreibung. In: Klaus Manger (Hg.): Akademie gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt. Geisteswissenschaftliche Klasse. Sitzungsberichte 5. Klassensitzungsvorträge 2000–2004. Erfurt 2006, S. 153–172; ders.: „Arianismus“ (wie Anm. 29). Auf dieses Deutungsmuster als ideologische Grundlage völkischer Religiosität im 19. und 20. Jahrhundert und seine fatalen Folgen im Nationalsozialismus kann ich hier leider nicht weiter eingehen, ich plane eine Monographie zu diesem Thema.

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Begriff „germanischer Arianismus“ zu verzichten und schon gar nicht von einer „Germanisierung des Christentums“ zu sprechen.43 Im fünften Jahrhundert ist zu beobachten, dass sich römische Anhänger dieses „Arianismus“ in den Schutz der Föderaten begaben, bei ihnen gleichsam untertauchten beziehungsweise unter dem Schutz ihrer germanischen „Arbeitgeber“ durchaus sehr offen und manchmal sogar aggressiv auftraten wie jener Maximinus, der den greisen Augustin in ein für ihn nicht sehr erfreuliches Streitgespräch verwickelte.44 Diese Theologen haben die Kirchen in den germanischen Reichen durchaus geprägt. Nichtsdestoweniger galt dieser homöische „Arianismus“ den „orthodoxen“ Zeitgenossen geradezu als eine Art Kennzeichen der neuen germanischen gentes, und so auch als typisch barbarisch.45 Es handelte sich um ein Identitätsmerkmal, das Burgunder und Westgoten im Laufe des sechsten Jahrhunderts durch ihren Übertritt zur Reichsorthodoxie in einem faszinierend zu beobachtenden Prozess ablegten.46 Die Vandalen und die Ostgoten haben aufgrund der militärischen Liquidierung ihrer Reiche durch Justinian dieses Stadium nicht mehr erreicht.

Die Kirche der Ostgoten in Italien Über Struktur und Organisation des homöischen gotischen Christentums im ostgotischen Italien ist fast nichts bekannt. Organisiert war es als eigene Kirche mit einem eigenen Klerus. Der Verfasser der Excerpta Valesiana nennt sie jedoch „arianische Sekte“/arriana secta, spricht ihr also den Charakter einer Kirche ab.47 Für ihn handelt es sich eben um eine häretische Gemeinschaft. Die Selbstbezeichnung der gotischen Kirche, die sich selbst als die eigentliche ecclesia catholica verstand, war nach den ravennatischen Papyri ecclesia legis Gothorum/Kirche des Gesetzes der Goten.48 43 

Brennecke: Lateinischer oder germanischer „Arianismus“ (wie Anm. 11), S. 143 f. Hombert (Hg.): Collatio cum Maximino. Turnholt 2009, eine deutsche Übersetzung bei Hermann Josef Sieben: Augustinus antiarrianische Schriften. Paderborn u. a. 2009, S. 154–247. Hanns Christof Brennecke: Maximinus. In: BBKL, Bd. 5 (1993), S. 1082–1084. Durch einen leider bisher nicht berichtigten Irrtum der Redaktion des Lexikons ist dieser Artikel unter dem Stichwort „Maximilianus“ zu finden. Offenbar hat diese falsche Zuschreibung dazu geführt, dass in Band 16 (1999), S. 1092, noch ein Artikel „Maximinus“ von Johannes Madey erschien, der allerdings einen wesentlich älteren Forschungsstand repräsentiert. 45  Vgl. Canon II der Synode von Konstantinopel 381 (wie Anm. 12). 46  Uta Heil: Avitus von Vienne und die homöische Kirche der Burgunder. Berlin/Boston 2011; Hanns Christof Brennecke: Rom und die ehemaligen „arianischen“ regna im Spiegel der syno­ dalen Überlieferung In: Claudia Alraum u. a. (Hg.): Zwischen Rom und Santiago. Festschrift für Klaus Herbers zum 65. Geburtstag. Bochum 2016, S. 273–283; ders.: Athanasianum (wie Anm. 34). 47  Anonymus Valesianus 48; 60; vgl. auch Jordanes, Getica 133. 48  P. Ital. II, Papyrus 33, S. 84  f. Der Verfasser Tjäder gibt in P. Ital. lex Gothorum auf Deutsch mit „gotisches Bekenntnis“ wider. Christlicher Glaube als (nova) lex ist in der Spätantike nicht ungewöhnlich. Dissertatio Maximini 37 (Gryson [Hg.]: Scripta arriana latina [wie Anm. 38], S. 164) vergleicht Auxentius Wulfila mit Mose. Wie einst Mose hat Wulfila das Volk der Goten über die Donau geführt und ihnen ein Gesetz gegeben. 44  Pierre-Marie

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Aufgrund der wenigen Informationen, die zur Kirche der Ostgoten erhalten sind, liegt hier methodisch die Gefahr nahe, durch Analogieschlüsse aus dem ebenfalls geringen Wissen über die anderen homöischen germanischen Kirchen (vor allem in den Reichen der Westgoten, Vandalen und Burgunder) Lücken aufzufüllen. Das hat auf der einen Seite durchaus eine gewisse Plausibilität, ist aber auf der anderen Seite nicht ungefährlich, auch wenn man ganz ohne Schlüsse wohl nicht auskommen kann. Wegen ihrer Herkunft aus dem Osten ist die Kirche der Ostgoten von griechischer Tradition geprägt. Auffällig ist ein konservativer Grundzug, der in vieler Hinsicht noch auf die vorkonstantinische Zeit zurückweist: So weit wir wissen, kennt diese Kirche noch keine monastisch lebenden Kleriker, kein Mönchtum.49 Dass sie die sogenannte Häretikertaufe, also die erneute Taufe bei Konvertiten, die aus einer anderen christlichen Gemeinschaft in ihre Kirche aufgenommen werden wollten, als typisches Erbe aus dem Osten praktiziert haben, ist anzunehmen, aber Belege von solchen Konversionen haben wir aus dem Ostgotenreich nicht.50 Das östliche Erbe wird an der eng an den griechischen Text an­ gelehnten gotischen Bibelübersetzung Wulfilas besonders deutlich, aber auch an den Fragmenten einer gotischen Übersetzung eines griechischen Kommentars zum Johannesevangelium des Theodor von Herakleia,51 an der an griechischen Vorbildern orientierten gotischen Liturgie und an dem aller Wahrscheinlichkeit aus Konstantinopel übernommenen Heiligenkalender, in dem für den 3. November eine ­Memorie für Constantius II. genannt ist.52 Eine Eigentümlichkeit gerade der ostgotischen Kirche scheint zusätzlich darin zu bestehen, dass sie sich das ­literarische Erbe lateinisch-homöischer Theologie aus Italien intensiv angeeignet hat.53 Gotische Gemeinden sind in einigen italischen Städten bezeugt (Rom, Ravenna),54 ebenso eigene Kirchengebäude dieser gotischen Gemeinden, die zumindest in Rom und Ravenna auch mehr oder weniger gut erhalten sind.55 Sie 49 

Schäferdiek: Germanenmission (wie Anm. 11), Sp. 522. Die III. Synode von Toledo (can. 5) verbietet anlässlich des Übertritts der Westgoten zum Katholizismus die erneute Taufe; vgl. Schäferdiek: Germanenmission (wie Anm. 11), Sp. 522 f. 51  Knut Schäferdiek: Die Fragmente der Skeireins und der Johanneskommentar des Theodor von Herakleia. In: ders.: Schwellenzeiten. Beiträge zur Geschichte des Christentums in Spätantike und Frühmittelalter. Berlin/New York 1996, S. 69–87. 52  Schäferdiek: Das gotische liturgische Kalenderfragment (wie Anm. 37). 53 Der lateinische Codex Veronensis LI (Gryson [Hg.]: Scripta arriana latina [wie Anm. 38], S. XVIII–XX, S. 3–145) hat gotische Glossen; vgl. Roger Gryson: Le recueil arien de Vérone (Ms. LI de la Bibliothèque Capitulaire et feuillets inédits de la collection Giustiniani Recanati). Étude codicologique et paléographique. Den Haag 1982; zu zweisprachigen gotisch-lateinischen liturgischen Texten vgl. Amory: People and Identity (wie Anm. 21), S. 247–251. 54  Brown: The Role of Arianism (wie Anm. 21). 55  Christian Huelsen u. a.: S. Agata di Goti. Rom 1924; Hugo Brandenburg: Die frühchristlichen Kirchen Roms vom 4. bis zum 7. Jahrhundert. Regensburg 32013, S. 237 f.; Deborah Mauskopf Deliyannis: Ravenna in Late Antiquity. Cambridge 2010, S. 106–187; Carola Jäggi: Ravenna. Kunst und Kultur einer spätantiken Residenzstadt. Regensburg 2013, S. 149–216. 50 

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lassen sich äußerlich von katholischen nicht unterscheiden. Nach der endgültigen militärischen Niederlage des Ostgotenreiches wurden alle problemlos katholisiert.56 Mehrere Bischöfe mit germanischen Namen werden genannt, sicher bezeugt ist einer von Ravenna.57 Da König Vitigis einen Brief an „seine Bischöfe“ geschickt hat,58 muss es eine ganze Reihe von Bischöfen des homöischen Bekenntnisses gegeben haben, ohne dass eine hierarchische Gliederung des Episkopats oder ein Metropolitansystem wie beispielsweise bei den Vandalen erkennbar ist.59 Völlig unklar ist die Rolle des Königs in der ostgotischen Kirche.60 Die homöischen ­Kirchen der einzelnen Reiche sind für sich völlig selbstständig und zugleich an die jeweilige Herrschaft eines Königs gebunden. Es gibt keine irgendwie übergeordnete kirchliche Ebene. Aus dem italischen Ostgotenreich ist keine synodale Überlieferung erhalten.61 Angesichts der nahezu bikonfessionellen Situation in den germanischen Nachfolgereichen auf dem Boden des ehemaligen weströmischen Reiches erscheint als wichtige Frage, worin eigentlich für die romanischen katholischen und gotischen homöischen Christen der auch erlebbare Unterschied zwischen den beiden Kirchen bestand. Die dogmatischen Unterschiede und das Glaubensbekenntnis, das damals noch nicht in der Messe täglich rezitiert wurde, haben wohl eine eher geringe Rolle gespielt. Vermutlich waren sie den einzelnen Christen – wenn überhaupt – nur in jeweils polemischer Verzerrung bekannt.

56 Agnellus, Liber pontificalis 85  f., berichtet die Übergabe des bisher gotischen Kirchenbesitzes in Ravenna an den Erzbischof Agnellus durch Kaiser Justinian. Agnellus, Liber pontificalis 86: „So hat der allerseligste [Agnellus] alle gotischen Kirchen, die während der Gotenherrschaft oder unter König Theoderich erbaut worden waren, wieder zurückgebracht.“/Igitur iste beatissimus omnes Gothorum ecclesias reconciliavit, quae Gothorum temporibus vel regis Theuderici constructae sunt. Auch für die Übernahme der von den Goten erst erbauten Kirchen durch die Katholiken benutzt er reconciliare. Die Übersetzung „rekatholisiert“ von Claudia Nauerth: Agnellus von Ravenna Liber pontificalis/Bischofsbuch I. Freiburg i. Br./Basel/Wien 1996, S. 341, erscheint daher ungeschickt. 57 Agnellus, Liber pontificalis 86, nennt Bischof Unimundus von Ravenna als Erbauer der Kirche des Priesters und Märtyrers Eusebius. 58 Cassiodorus, Variae 10, 34; vgl. Variae 2, 18, einen Brief Theoderichs an einen Bischof namens Gudila. 59  Vgl. Ralph W. Mathisen: Barbarian „Arian“ Clergy, Church Organization, and Church Practices. In: Berndt/Steinacher (Hg.): Arianism (wie Anm. 3), S. 145–191, hier: S. 167–169. 60  Für das Ostgotenreich fehlen über die Rolle des Königs in der Kirche Nachrichten. Bei den Westgoten und den Vandalen berufen und leiten die Könige Synoden, ebenfalls bei den dann katholischen Franken. Hier nicht thematisiert werden soll die Rolle des häretischen ostgotischen Königs in der katholischen Kirche, wie sie im Laurentianischen Schisma deutlich wird und vielfach beschrieben und untersucht ist. 61  Auch bei den anderen nicht homöischen germanischen Reichen ist keine Synodalüberlieferung erhalten, lässt sich aber bei den Westgoten und den Vandalen erschließen. Überliefert sind nur die katholischen Synodalüberlieferungen.

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Für jedermann erkennbar waren hingegen wohl folgende Unterschiede: – Auch wenn das Lateinische im Ostgotenreich als Amtssprache wichtig gewesen ist, so scheint nach dem liturgischen Kalenderfragment das Gotische als Kultsprache für den Gottesdienst üblich gewesen zu sein.62 – Wichtig war zudem der Unterschied in der liturgischen Doxologie. Die Doxologie der Homöer lautete: „Ehre sei dem Vater durch den Sohn im Heiligen Geist“, was dem allgemeinen Gebrauch bis ins vierte Jahrhundert entsprach. Die Doxologie der nizänischen Katholiken lautete dagegen: „Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist“.63 Vermutlich lag hier der deutlichste Unterschied, an denen die Kleriker auch den Gläubigen die inhaltlichen Differenzen zwischen katholischem und homöischem Glauben nahebringen konnten. – Die Homöer hielten daran fest, Konvertiten aus anderen christlichen Kirchen zu taufen (Häretikertaufe), was in der katholischen Polemik als „Wiedertaufe“ denunziert wurde. Alle germanischen Homöer haben die Häretikertaufe geübt. Wenn ein Katholik oder ein Vertreter einer anderen christlichen Gruppierung (zum Beispiel Manichäer oder Novatianer) zur gotischen Kirche übertrat, musste er als bis dahin einer häretischen Kirche angehörig neu getauft werden. In der Großkirche war diese Frage im dritten Jahrhundert heftig diskutiert worden. Dabei hatte sich die Gültigkeit einer Taufe auch durch Häretiker durchgesetzt, wenn sie trinitarisch erfolgt war. Im Osten dauerte dieser Prozess aber bis ins vierte Jahrhundert hinein. Die germanischen Homöer bewahrten also eine etwas altertümliche Form der Taufe. Im Unterschied zu den Vandalen und auch teilweise zu den Westgoten haben die Ostgoten romanische Katholiken, also die Glieder der Mehrheitskirche in Italien, offenbar nicht zum Übertritt zu ihrer Kirche gedrängt.64 Dagegen sind durchaus Übertritte von Goten zum reichskirchlichen Katholizismus mehrfach bezeugt, was angesichts der Machtverhältnisse im Ostgotenreich erstaunlich ist. Nach den Excerpta Valesiana (aber nur dort!) war Theoderichs Mutter Katholikin: „Seine [scil. Theoderichs] Mutter war nämlich eine Gotin namens Ereleuva, eine Katholikin, die in der Taufe den Namen Eusebia erhalten hatte.“65 62 Vgl.

dazu jetzt das Fragment einer gotischen Predigt aus Bologna, dazu Carla Falluomini: Zum gotischen Fragment aus Bologna II: Berichtigungen und neue Lesungen. In: Zeitschrift für deutsches Altertum 146 (2017), S. 284–294. 63  Vgl. dazu Basilius von Caesarea, De spiritu sancto, der die Einführung der neuen Doxologie in Aufnahme der Beschlüsse von Nizäa ausführlich behandelt, und Nicephorus Callistes, Historia ecclesiastica 16, 35, der die doxologische Formel bei einer arianischen Taufe überliefert. 64 Procopius, Bella 6, 6, 18: Nach der bei Theodorus Lector, Historia ecclesiastica. Epitome 463 über­ lieferten Legende hat es aber durchaus Versuche von Konversionen zur gotischen Kirche gegeben. 65 Anonymus Valesianus 58: mater Ereriliva dicta Gothica catholica quidem erat, quae in baptismo Eusebia dicta. Die Bezeichnung von Ereleuva als sanctam matrem et venerabilem sororem im Panegyricus des Ennodius auf den ostgotischen König (§ 42) könnte ein Hinweis auf das katholische Bekenntnis der Mutter des Königs sein. Auch die beiden Briefe des Gelasius an sie (abgedruckt bei Theodor Mommsen (Hg.): Cassiodori Senatoris Variae (MGH AA 12). Berlin 1894, S. 390 f.) sind nicht eindeutig. Jordanes, Getica 269, weiß jedenfalls nichts von einem katholischen Bekenntnis der Mutter Theoderichs. Die Überlegungen von König im Kommentar zu Excerpta

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Kontrovers diskutiert wird, ob die homöische Kirche in Italien ethnisch definiert war. Dagegen hat sich vor allem in jüngster Zeit Patrick Amory ausge­ sprochen,66 der zu Recht die von den Goten aufgenommenen Traditionen des ­älteren lateinischen Homöismus und die Verwendung des Lateinischen für theologische Literatur betont (was allerdings andere längst vor ihm ebenfalls getan hatten, die er verschweigt). Dass die Kirche, der die Goten in Italien mehrheitlich angehörten, in erster Linie ethnisch, eben als gotische Kirche definiert war, geht jedoch aus ihrer Selbstbezeichnung als ecclesia legis Gothorum hervor. Theoderichs ziemlich intensiver Einsatz am Ende seines Lebens für die H ­ omöer (Goten?) in Konstantinopel, die offenbar unter Justin und Justinian zum Übertritt zur Orthodoxie genötigt worden waren, zeigt, dass er sich über die Grenzen s­ eines Reiches und seines Volkes hinaus in der Verantwortung sah.67 Nach dem Zeugnis der ravennatischen Papyri hat in Ravenna die gotische homöische Kirche noch in den fünfziger Jahren des sechsten Jahrhunderts bestanden, erst Anfang der sechziger Jahre wurde ihr gesamter Besitz enteignet.68 Danach verlieren sich ihre Spuren.

Andere religiöse Minderheiten? Die gotischen Homöer waren im ostgotischen Reich zahlenmäßig gegenüber der katholischen romanischen Bevölkerung in der Minderheit, aber sie stellten die militärische Machtelite. Wie sah es mit anderen religiösen Minderheiten aus? ­ Nach dem Codex Theodosianus gab es in der Mitte des fünften Jahrhunderts zahllose christliche Häresien.69 Zu ihnen wurden auch die Manichäer gezählt,70 die sich im Westen als eine Art christliche Elite verstanden und im fünften Jahr­ hundert außerordentlich attraktiv und verbreitet waren trotz aller Verbote und strikter Strafandrohungen.71 Weder im Edictum Theoderici noch in den Varien Cassiodors werden religiöse Minderheiten genannt. Es ist mit aller WahrscheinValesiana 58 führen eher in die Irre. Die Bemerkung von Ps. Zacharias, Historia ecclesiastica 7, 12 über eine Konversion Theoderichs vom Arianismus zum Diophysitismus muss auf einem Missverständnis beruhen, vgl. Geoffrey Greatrex (Hg.): The Chronicle of Pseudo-Zachariah Rhetor (Translated Texts for Historians, Bd. 55). Liverpool 2011, S. 274. 66  Amory: People and Identity (wie Anm. 21). 67  König hat im Kommentar zu Excerpta Valesiana 88 allerdings den Text falsch verstanden. Es geht nicht um Zwangstaufen ehemaliger „Arianer“ in Konstantinopel, da die katholische Kirche bei Konversionen eben keine neue Taufe forderte, sondern im Gegenteil als häretisch ablehnte; vgl. Codex Theodosianus XVI 6: ne sanctum baptisma iteretur. Vgl. auch Geoffrey B. Greatrex: Justin I and the Arians. In: Studia Patristica 34 (2001), S. 73–81. Vgl. auch die Einschätzung Theoderichs durch Avitus von Vienne, Epistula 7 (S. 36, Z. 13 f. Peiper). 68  Knut Schäferdiek: Die Ravennater Papyrusurkunde Tjäder 34, der Codex argenteus und die ostgotische arianische Kirche. In: Zeitschrift für Kirchengeschichte 120 (2009), S. 215–231. 69  Codex Theodosianus XVI 5: de haeresibus. 70  Manfred Hutter: Manichäismus. In: RAC, Bd. XXIV (2012), Sp. 1–48, hier: Sp. 42–48. 71  Ein Beispiel aus dem späten vierten Jahrhundert wäre Augustins Hinwendung zum Manichäismus; vgl. Gregor Wurst: Manichäismus um 375 in Nordafrika und Italien. In: Drecoll (Hg.): Augustin Handbuch (wie Anm. 27), S. 85–92.

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lichkeit davon auszugehen, dass die Häretikergesetze des Codex Theodosianus in dieser Hinsicht im Prinzip weiter galten. Der römische Liber pontificalis berichtet, dass unter den Päpsten Gelasius, Symmachus und Hormisdas – das deckt sich etwa mit der Zeit der Herrschaft Theoderichs – die Manichäer aus Rom vertrieben und ihre Bücher verbrannt wurden, wobei deutlich wird, dass diese Ausweisungen offenbar nicht sehr erfolgreich waren.72 Auch gegenüber dem, was wir nicht ganz korrekt und zusammenfassend „Heidentum“73 zu nennen pflegen, scheint Theoderich im Sinne des Codex Theodosianus und vor allem ganz in der Tradition der Kaiser Constantius II. und ­Valens vorgegangen zu sein: „Wenn entdeckt worden ist, dass jemand nach heidnischem Ritus geopfert hat, ebenso Wahrsager und Geisterbeschwörer, wenn sie entdeckt und unter gerichtlicher Untersuchung überführt worden sind, sind sie mit dem Tode zu bestrafen. Die Mitwisser der üblen Künste, das heißt des Verbrechers, sollen ihrer gesamten Habe, die sie besitzen können, beraubt und, wenn sie vornehmen Standes (honesti) sind, zu lebenslangem Exil verurteilt werden, wenn sie niedrigeren Standes (humiliores) sind, sind sie mit dem Tode zu bestrafen.“74 Nach Prokop gab es aber in Rom noch (oder erneut?) zur Zeit des byzantinischen Gotenkrieges Anhänger der alten Kulte, die die Pforten des Janus­ tempels wieder öffnen wollten: „Während dieser Belagerung nun versuchten es [= die Öffnung der Tore des Tempels] heimlich einige Leute – ich vermute, Anhänger des alten Glaubens.“75

Die Juden Die Juden im Imperium Romanum hatten Privilegien, die seit Caesar und Augustus immer wieder bestätigt wurden76 und für das Überleben in einer nichtjüdi72  Vgl. Louis Duchesne (Hg.): Le liber pontificalis I. Paris 1886 [ND Paris 1981], S. 255, S. 261, S. 270 f. Nach dem Liber pontificalis wurden die Vertreibungen der Manichäer von den Päpsten durchgeführt, was angesichts der Abhängigkeit der Päpste vom König so nicht vorstellbar erscheint. Bei den Manichäerverfolgungen unter Leo I. lässt sich das Zusammenspiel zwischen römischem Bischof, Senat und (noch) Kaiser beobachten; vgl. Claude Lepelley: Saint Léon le Grande et la cité romainis. In: Revue des Sciences Religieuses 35 (1961), S. 130–150. 73  Mit diesem Sammelbegriff (lateinisch gentes oder pagani) werden Anhänger aller Kulte außer Christen und Juden bezeichnet, in der Spätantike vornehmlich Anhänger der traditionellen römischen Kulte. 74  Edictum Theoderici 108: Si quis pagano ritu sacrificare fuerit deprehensus, arioli etiam atque umbrarii, si reperti fuerint, sub iusta aestimatione convicti, capite puniantur, malarum artium conscii, id est malefici, nudati rebus omnibus, quas habere possunt, honesti perpetuo damnantur exilio, humiliores capite puniendi sunt. Vgl. auch Codex Theodosianus XVI 10, 6; XVI 10, 23. 75 Procopius, Bella 5, 25, 24: ἀλλ’ ἐν ταύτῃ δὴ τῇ πολιορκίᾳ τινὲς  τὴν  παλαιὰν,  οἶμαι,  δόξαν  ἐν  νῷ  ἔχοντες  ἐγκεχειρήκασι  μὲν  αὐτὰς  ἀνοιγνύναι  λάθρᾳ. Zu Magieprozessen unter Theoderich vgl. Cassiodorus, Variae 4, 22 f. und Gregorius Magnus, Dialogi 1, 4; vgl. auch die Vorwürfe gegen Boethius, Consolatio philosophiae 1, 4. 76  Noethlichs: Das Judentum und der römische Staat (wie Anm. 2), S. 76–124; ders.: Die Juden im christlichen Imperium Romanum (wie Anm. 2), S. 31–52, S. 99–161; Stemberger: Juden (wie Anm. 2), S. 217–219.

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schen Umwelt unerlässlich waren.77 Diesen Privilegien standen gewisse Einschränkungen wie die sogenannte Judensteuer78 gegenüber. Wichtig erscheint nun gegen weitverbreitete moderne Vorurteile über eine grundsätzlich antijüdische Politik der christlichen Kaiser seit Constantin, dass trotz antijüdischer Polemik mancher christlichen Bischöfe und sogar Kaiser79 auch die christlichen Kaiser seit Constantin an der Privilegierung der Juden und vor allem auch an ihrem Schutz gegen christlichen Fanatismus prinzipiell festgehalten haben80. Im Jahre 393 bestätigte Theodosius I. den Schutz der Synagogen.81 Auch wenn die Religionsfreiheit und die bürgerliche Existenz der Juden im Prinzip erhalten blieb, so ist seit Honorius und Theodosius II. ein zunehmend schikanöser Zug gegenüber den Juden in der Gesetzgebung unverkennbar.82 Standen früher den Juden prinzipiell alle Ämter offen, soweit deren Ausübung mit den jüdischen kultischen Vorschriften vereinbar war, so wurden unter Honorius und Theodosius II. die Juden von jeglicher militia ausgeschlossen.83 Seit Mitte des fünften Jahrhunderts etwa wurden die Juden allgemein mit unter die Häretiker gerechnet, eine Tendenz, die während der Herrschaft Justinians zunehmen sollte.84 Schon den Zeitgenossen ist aufgefallen, dass die Stellung der Juden im ostgotischen Reich sich signifikant von der in Byzanz unterschied.85 Der Verfasser der Excerpta Valesiana sieht einen engen Zusammenhang zwischen der arianischen Häresie der Goten und ihrer Begünstigung der Juden. Die Begünstigung der Juden entsprach nach Ansicht des Autors einer zunehmenden Feindschaft Theode77 

Zum Beispiel zur Erfüllung der kultischen Vorschriften und zur Einhaltung der Feiertage; vgl. Noethlichs: Das Judentum und der römische Staat (wie Anm. 2), S. 76–78. 78  Codex Theodosianus XVI 8, 29 (= Codex Justinianus I 9, 17); vgl. Amnon Linder: The Jews in Roman Imperial Legislation. Detroit, MI 1987, S. 320–323; Noethlichs: Das Judentum und der römische Staat (wie Anm. 2), S. 110. 79  Vgl. den Brief Constantins nach der Synode von Nizäa über das Osterfest; Opitz (Hg.): Urkunden zur Geschichte des arianischen Streites (wie Anm. 23), S. 54–57; eine deutsche Übersetzung in: Brennecke u. a. (Hg.): Dokumente zur Geschichte des arianischen Streites (wie Anm. 23), S. 116–118. 80  Codex Theodosianus XVI 8: de Iudaeis, Caelicolis et Samaritanis; dazu Noethlichs: Das Judentum und der römische Staat (wie Anm. 2), S. 100–124; ders.: Die Juden im christlichen Imperium Romanum (wie Anm. 2). 81  Codex Theodosianus XVI 8, 9 vom 29. 9. 393. Ob Theodosius hier auf die Zerstörung der ­Synode von Callinicum durch christliche Fanatiker und den daraus entstandenen Konflikt mit Ambrosius reagiert, der allerdings schon 389 stattgefunden hatte, erscheint unklar. Zu dem Konflikt zwischen Theodosius und Ambrosius vgl. Leppin: Theodosius der Große (wie Anm. 39), S. 139–144, S. 179. Vgl. auch Codex Theodosianus XVI 8, 25, ein Gesetz Theodosius’ II. vom 15. 2. 423: Der Besitz der Synagogen ist geschützt, aber es dürfen keine neuen errichtet werden. 82  Noethlichs: Das Judentum und der römische Staat (wie Anm. 2), S. 106–117. 83  Codex Theodosianus XVI 8, 24 aus dem Jahr 418 (Kaiser Honorius), verschärft in der 3. Novelle Theodosius’ II. von 438; vgl. Noethlichs: Das Judentum und der römische Staat (wie Anm. 2), S. 110. 84  Codex Justinianus I 5, 9. 85  Dazu Hanns Christof Brennecke: Imitatio – reparatio – continuatio. Die Judengesetzgebung im Ostgotenreich Theoderichs des Großen als reparatio imperii? In: Zeitschrift für antikes Christentum 4 (2000), S. 133–148.

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richs gegenüber den Katholiken. Der Kämmerer Triwa, ein katholikenfeindlicher Häretiker, soll die Juden besonders bevorteilt haben.86 Angeblich sollte der jüdische Advokat Symmachus sogar im Todesjahr Theoderichs eine Katholikenverfolgung durchführen. Die Excerpta Valesiana deuten den Tod des Königs als göttliche Strafe für die geplante Katholikenverfolgung: „Der Advokat Symmachus, ein Jude, erließ auf Befehl eines Tyrannen [= Theoderichs], nicht eines Königs, am vierten Wochentag, dem 26. August in der vierten Indiction unter dem Consulat des Olybrius [= 526] eine Anordnung, dass am kommenden Sonntag die Arianer die katholischen Kirchen besetzen sollten. Aber Er, der nicht zulässt, dass seine getreuen Gläubigen von Fremdlingen unterdrückt werden, verhängte alsbald über den König das gleiche Urteil wie über Arius, den Begründer seiner Religion: Er bekam Durchfall und nachdem er sich drei Tage lang entleert hatte, verlor er an eben demselben Tag, da er sich gefreut hatte, die Kirchen zu besetzen, Herrschaft und Leben zugleich.“87 Die antiarianische Polemik hat dem „Arianismus“ von Anfang an Judaismus vorgeworfen: So, wie die Juden die Gottessohnschaft Jesu leugnen, so leugnen auch die Arianer die wahre Gottheit Christi.88 Das ist pure Polemik, in deren Tradition auch der Verfasser der Excerpta Valesiana steht. Die Homöer zeigten weder dogmatisch irgendwelche Beziehungen zu judenchristlichen Vorstellungen, wie sie etwa im zweiten Jahrhundert durchaus noch verbreitet waren,89 noch signifikant judenfreundliche Züge. Prokop berichtet, dass bei der Eroberung Neapels durch Belisar die Juden der Stadt nicht nur im Gegensatz zur römischen Bevölkerung gegen Byzanz und für die gotische Herrschaft optierten, sondern sich äußerst aktiv an der Verteidigung Neapels beteiligten. Nach Prokop entsteht der Eindruck, dass die Juden die eigent­ lichen militärischen Verteidiger der Stadt waren: „An der Seeseite der Stadtmauer, wo nicht Barbaren, sondern Juden Wache hielten, konnten die Soldaten weder ­Leitern verwenden, noch die Befestigung ersteigen. Denn die Juden hatten sich durch ihren Widerstand gegen eine kampflose Übergabe der Stadt den besonderen Hass der Feinde zugezogen und durften, wenn sie in deren Hände fielen, keine 86  Anonymus Valesianus 81–83. In Rom, Ravenna und anderen italischen Städten hatte es antijüdische Pogrome gegeben. 87  Anonymus Valesianus 94–95: Igitur Symmachus scholasticus Iudaeus, iubente non rege, sed ­tyranno, dictavit praecepta die quarta feria, septimo kalend. Septembr., indictione quarta, Olybrio consule, ut die dominico adveniente Arriani basilicas catholicas invaderent. Sed qui non patitur fideles cultores suos ab alienigenis opprimi, mox intulit in eum sententiam Arrii, auctoris religionis eius: fluxum ventris incurrit et dum intra triduum evacuatus fuisset, eodem die, quo se gaudebat ecclesias invadere, simul regnum et animam amisit. Deutsche Übersetzung nach König: Aus der Zeit Theoderichs des Großen (wie Anm. 1), S. 95. Zum Tod des Arius in Konstantinopel vgl. die überaus polemische Schrift von Athanasius von Alexandrien, de morte Arii. Der Tod des Arius ist seit Athanasius immer wieder polemisch gegen den Arianismus benutzt worden. 88  Lorenz: Arius judaizans (wie Anm. 15), S. 141–179. 89  Im Judenchristentum ging es immer um die Geltung des jüdischen Gesetzes auch für Christen, nicht um die Gottheit Christi; vgl. Günter Stemberger: Judenchristen. In: RAC, Bd. XIX (2001), Sp. 228–245.

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Schonung erwarten. Sie kämpften also trotz der Einnahme der Stadt tapfer weiter und hielten wider Erwarten dem feindlichen Ansturm stand. Mit Tagesanbruch wurden sie jedoch von einigen Eindringlingen im Rücken angegriffen und beschossen. Da wandten auch sie sich zur Flucht, worauf die Stadt im Sturm erobert wurde.“90 Die Juden konnten sich offenbar mit der gotischen Herrschaft identifizieren, zogen sie angesichts der unter Justinian sich im Reich deutlich verschlechternden Lage der Juden91 jedenfalls offenbar einer byzantinischen Herrschaft vor. Theoderich scheint der Rechtsentwicklung zuungunsten der Juden in Byzanz ganz bewusst und unter Berufung auf römische Rechtstradition, die im Codex Theodosianus und in den Novellen niedergelegt war, nicht gefolgt zu sein. Trotz des vielzitierten Satzes „Religiöses Bekenntnis können wir nicht befehlen, da ­niemand gezwungen wird, gegen seinen Willen zu glauben“ aus einem Brief an die Juden von Genua,92 der in Theoderichs vielverhandelte Herrschaftskonzeption von civilitas93 gehört, sollte man jedoch seine Religionspolitik nicht von einem neuzeitlichen Toleranzgedanken her zu deuten versuchen. Die Juden sind für ihn durchaus Häretiker, Vertreter einer superstitio, eines falschen Glaubens, den er nahezu verabscheut.94 Auffällig ist aber, dass die ausdrückliche Bestätigung der Schutzgesetze für die Juden ganz offensichtlich die byzantinische Judengesetzgebung konterkarierte, indem sie sich in besonderer Weise auf die Tradition der römischen Gesetzgebung berief, die Theoderich, der König der Goten und Römer, bewahren und wiederherstellen wollte. Das heute weithin Theoderich zugeschriebene Edictum Theoderici garantiert den Juden die Bewahrung aller überlieferten Privilegien: „Was die Juden betrifft, so sollen die ihnen durch Gesetze verliehenen Privilegien bewahrt werden.“95 Offensichtlich bezieht sich diese Formulierung auf die im Codex Theodosianus überlieferten Gesetze. Die in den Variae Cassiodors überlieferten Briefe, Gesetze und Entscheidungen Theoderichs in Einzelfällen zeigen deutlich den Willen, den Juden Rechtsschutz zu gewähren. Vor allem werden immer ­wieder Verletzungen jüdischen Eigentums und Brandstiftungen von Synagogen mit Strafen bedroht und Wiedergutmachungen angeordnet, wobei gewisse Einschränkungen des Neubaues von Synagogen aus den kaiserlichen Gesetzen übernommen werden. Hier scheint der Anschluss an die entsprechenden Gesetze im ­Codex Theodosianus besonders deutlich.96 90 Procopius,

Bella 5, 10, 24–26. Vgl. die umfangreiche Zusammenstellung nahezu aller infrage kommenden Belege durch A ­ lfredo A. M. Rabello: Giustiniano, ebrei ed samaritani alla luce delle fonti storico letterarie, ecclesiastiche e giuridiche. 2 Bde. Mailand 1987/1988. 92 Cassiodorus, Variae 2, 27: religionem imperare non possumus, quia nemo cogitur ut credat ­invitus. Zu den Varien Cassiodors vgl. stets den umfangreichen Kommentar von Andrea Giardina/ Giovanni Cecconi/Ignazio Tantillo (Hg.): Flavio Magno Aurelio Cassiodoro Senatore, Varie. (Bisher) 4 Bde. Rom 2014–2017. 93 Brennecke: Imitatio – reparatio – continuatio (wie Anm. 85), S. 142. 94 Cassiodorus, Variae 2, 27, 2; 3, 45, 2 (Samaritaner); 5, 37, 3. 95  Edictum Theoderici 143: circa Iudaeos privilegia legibus delata seruentur. 96 Cassiodorus, Variae 4, 43; 5, 37. 91 

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In den Excerpta Valesiana wird mit deutlicher Kritik an der judenfreundlichen Politik Theoderichs vor allem über den Schutz der Synagogen berichtet.97 Für ihren Verfasser beginnt Theoderich durch seine judenfreundliche Politik im Grunde bereits zum Christenverfolger zu werden. Das zeigt sich dann besonders an dem jüdischen scholasticus Symmachus, der 526 angeblich eine Anordnung über die Beschlagnahme katholischer Kirchen für die Arianer von Ravenna erließ. Abgesehen vom mehr als fragwürdigen historischen Hintergrund der Episode weist der Text zumindest auf einen jüdischen Beamten oder Berater am Hof Theoderichs hin, was im deutlichen Widerspruch zur reichsrömischen Gesetzgebung seit ­Honorius und Theodosius II. stand.98 Angesichts des eindeutigen Befundes einer sich deutlich von Byzanz unterscheidenden Politik gegenüber den Juden muss die Frage nach den Hintergründen gestellt werden. Die theologische Deutung der ostgotischen Judenpolitik in den Excerpta Valesiana vor dem Hintergrund eines angeblich judaisierenden „gotischen Arianismus“ scheidet als Erklärung aus. Unbefriedigend erscheinen auch Versuche, die Stellung der Ostgoten zu den Juden vor dem Hintergrund einer ­beiden gemeinsamen Situation als Minderheit und damit Randgruppe oder sozialgeschichtlich von der ökonomischen Rolle der Juden in den italischen Städten her zu interpretieren. Die Juden erscheinen weithin als finanziell durchaus potente, wirtschaftlich erfolgreiche und überaus mobile Bewohner nicht nur der größeren Städte, sondern auch in kleineren Orten und auf dem Land, und galten als inte­ graler Teil der römischen Gesellschaft in Italien.99 Die erhaltene Überlieferung lässt vielleicht am ehesten den Schluss zu, dass die Politik und Gesetzgebung Theoderichs gegenüber den Juden in erster Linie aus dem Gedanken einer zu bewahrenden oder wiederherzustellenden Rechtskontinuität zu erklären ist. Theoderich hat sich gerade bei seiner Judenpolitik mehrfach darauf berufen, die Tradition der römischen Kaiser zu bewahren, die, so muss man in diesem Falle wohl ergänzen, der Kaiser in Konstantinopel inzwischen verlassen hatte. Sowohl im Edictum Theoderici als auch wiederholt in den Varien geht es bei den die Juden betreffenden Gesetzen um die Wahrung der Rechts­ kontinuität. Die Bewahrung der iura veterum, so Cassiodor in einem Schreiben Theoderichs an die Juden von Genua, mache die civilitas aus.100 So wird man Theoderichs Judenpolitik in erster Linie vor dem Hintergrund der Bewahrung  97 

Anonymus Valesianus 81–83. Prinzipiell waren die Synagogen allerdings auch im Ostreich geschützt.  98  Anonymus Valesianus 94 (vgl. Anm. 87); dagegen Codex Theodosianus XVI 8, 24 vom 10.3.418 (Honorius), wonach jeder Staatsdienst für Juden verboten war. Scholasticus bezeichnet eine ­Qualifikation, aber kein Amt. Nach dem Anonymus Valesianus muss es sich bei dem scholasticus Symmachus um einen Rechtskundigen gehandelt haben, der aber im Auftrag des Königs die ­Befehle des Königs formulierte.  99 Moorhead: Theoderic in Italy (wie Anm. 16); Stemberger: Juden (wie Anm. 2), S. 202–204, S. 217 f.; Leonard V. Rutgers: The Jews of Italy. In: Katz (Hg.): The Later Roman-Rabbinic P ­ eriod (wie Anm. 2), S. 492–508. 100 Cassiodorus, Variae 4, 33 an die Juden von Genua.

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e­ iner Rechtskontinuität sehen dürfen und ebenso als Ausdruck seines auch sonst bezeugten Anspruches, als rex Gothorum et Romanorum in der Kontinuität zu den römischen Kaisern zu stehen.101

Abstract The creed of the Homoians (always called “Arians” in polemics), formulated by the synods of Rimini and Constantinople held under the Emperor Constantius II in 359, prevailed in the East until the death of Emperor Valens (378). Since the beginning of the reign of Theodosius I (379), and especially since the Council of Constantinople (381), the Homoians were considered as Arian heretics and were excluded from the Church. The Germanic federates had adopted Christianity in this form and clung to it even after it had been declared heretical in the empire. This denomination thus became an identity marker of the Germanic groups, which now carried the name “Arians” for the Catholic Romans. The Ostrogoths too had adopted the Christian faith in this homoian (“Arian”) form before they migrated to Italy in the second half of the fifth century. Much remains unknown about the structure and organization of this Ostrogothic Church in Italy. Surviving attestations point to the existence of bishops, as well as other clerics, along with church buildings. The Gothic Bible translation of Wulfila, a Gothic liturgy, and a Gothic festival calendar indicate an independent ecclesiastical tradition rooted in the Church of the Greek East. The practice of re-baptizing converts was common in the Gothic Church. Though widespread among Christians in the first centuries, the practice had become heretical by the fifth in the Catholic Church in Italy. Nothing is known about the role of the Ostrogothic king in the Gothic Church. Like the Goths, the Jews formed a minority in the Ostrogothic Empire. Unlike them, however, the Jews were excluded from polit­ ical power. Even less is known about other religious minorities; Manichaeans ­receive barely any mention at all. The privileges granted to the Jews by Augustus and his successors were upheld repeatedly under Ostrogothic rule. Meanwhile, in the Byzantine Empire, especially since Theodosius II, the rights of the Jews were increasingly restricted. The policy of Theoderic and his successors towards the Jews continued the policy of the former emperors. Catholic authors vehemently polemicized against the pro-Jewish policies of the Ostrogothic kings.

101  Vgl.

dazu die Interpretation des nach der byzantinischen Eroberung veränderten Mosaiks in der Hofkirche Theoderichs in Ravenna von Paul Speck: Theoderich und sein Hofstaat. Die Prozessionsmosaiken von Sant’Apollinare Nuovo in Ravenna. In: Boreas 16 (1993), S. 91–96. Vgl. Brennecke: Imitatio – reparatio – continuatio (wie Anm. 85), S. 137–140.

Jan-Markus Kötter Katholische Geistliche, homöischer König Gedanken zu konfessioneller Differenz und politischer Kooperation Problemstellung Theoderich der Große herrschte als König über ein Reich, in dem der Großteil seiner Untertanen einer anderen Konfession angehörte als er selbst. Ein solches Aufeinandertreffen eines homöischen Herrschers mit einer katholischen Mehrheitsbevölkerung, die hinsichtlich ihres Glaubens durch die katholischen Bischöfe vertreten wurde, war potenziell spannungsgeladen.1 Trotzdem kam es, soweit wir wissen, im ostgotischen Italien niemals zu religiös motivierten Widerständen gegen die Herrschaft Theoderichs, der sich seinerseits auch niemals grundsätzlich gegen die katholische Kirche wandte. Dieser Befund ist genau so wenig neu wie die Feststellung, dass beide Seiten von ihrer gegenseitigen Duldung profitierten. Allerdings bleibt eine solche Feststellung diffus, wenn sie weder die Kontingenz der Duldung einer in Theoderichs Augen häretischen Kirche problematisiert noch erklärt, was konkret die Vorteile für die katholische Seite gewesen sein s­ ollen.2 Die Annäherung an diese beiden Themenkreise wird durch eine vergleichsweise dünne Quellenlage erschwert, welche Kontakte zum ostgotischen König lediglich für das römische Papsttum in einer ausreichenden Breite beleuchtet. Dieser Umstand schlägt sich auch in der Anlage der meisten Forschungsarbeiten zum Thema nieder.3 Für die katholischen Bischöfe im restlichen Italien beschränken sich die 1  Mitte

der 480er-Jahre kam es im Vandalenreich zu einer Verfolgung der katholischen Kirche, die Victor von Vita in seiner Historia persecutionis Africanae provinciae beschreibt. Etwas früher schon hatte sich der Westgotenkönig Eurich vereinzelt gegen katholische Bischöfe gewandt. Eine Duldung der katholischen Kirche war also keineswegs selbstverständlich. Zu diesen Vergleichs­ aspekten: John Moorhead: Theoderic in Italy. Oxford 1992, S. 90–92. 2  Vorteile für die katholische Seite lediglich aus einem nicht selbstverständlichen Ausbleiben von Verfolgungen zu deduzieren, ist nicht zufriedenstellend. Auch erklärt sich auf dieser Grundlage kaum der bischöfliche Wunsch nach einem aktiven Eingreifen des „häretischen“ Königs im Laurentianischen Schisma, den der König deutlich zurückwies, vgl. Acta Synhodorum Habitarum Romae, 4, Praeceptio Regis vom 1. 10. 501; der Text ist von Theodor Mommsen ediert in MGH AA 12. Dieser Wunsch der Bischöfe darf genauso wenig wie die Duldungspolitik des Königs einfach vorausgesetzt werden. 3  So die Feststellung von Jörg Köpke: Die italischen Bischöfe unter ostgotischer Herrschaft (490– 552 n. Chr.). Prosopographische Untersuchungen zur Stellung des italischen Episkopats zwischen https://doi.org/10.1515/9783110686692-007

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Informationen hingegen maßgeblich auf einige hagiographische Schriften und auf vereinzelte Dokumente in den Variae Cassiodors,4 die bei der Interpretation wiederum Schwierigkeiten bereiten können, beispielsweise bezüglich der mitunter unklaren Bewertung onomastischer Befunde.5 Nichtsdestotrotz dürfte das Material insgesamt ausreichend sein, um die eigentlich alte Frage nach den Grundlagen und der Ausgestaltung des Verhältnisses zwischen katholischen Bischöfen und homöischem König zumindest in Grundzügen einer neuerlichen Analyse zu ­unterziehen. Dabei soll im Folgenden bewusst die verschränkte Zweiseitigkeit der Beziehung betrachtet und die Argumentation so wenig wie möglich auf Informationen zur römischen Kirche aufgebaut werden.6

Der homöische König und die katholischen Bischöfe Theoderich war im Römischen Reich sozialisiert worden: Er hatte Teile seiner ­Jugend als Geisel am Hof in Konstantinopel verbracht, bekleidete das Amt eines magister militum und war für das Jahr 484 sogar zum Konsul ernannt worden.7 Antike und Mittelalter. Diss. Hamburg 1999. Digital hg. von der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg 2006, S. III. Auch Georg Pfeilschifter: Der Ostgotenkönig Theoderich und die katholische Kirche. Münster 1896, die klassische und umfangreichste Studie zum Thema, bildet keine Ausnahme. Zwar dürfte sich die römische Perspektive nicht grundlegend von der gesamt­ italischen unterschieden haben, musste sich im Detail aber auch nicht immer mit ihr decken. ­Pilaras Versuch, das Problem durch den Hinweis auf die streng hierarchische Kirchenstruktur zu marginalisieren (Gianluca Pilara: Ancora un momento di riflessione sulla politica Italiana di Teoderico, re dei Goti. In: Studia Romana 53 [2005], S. 431–459, hier: S. 438), trifft zumindest die Situation der recht eigenständigen Kirchen Norditaliens nur bedingt. 4  Unter den hagiographischen Quellen ist in erster Linie die Vita Epiphanii des Ennodius von Pavia zu nennen, ediert von Friedrich Vogel in MGH AA 7, S. 84–109. Die Variae sind von Theodor Mommsen ediert in MGH AA 12. Insgesamt bieten die Quellen eine weitgehend auf Norditalien beschränkte Perspektive. Da aber gerade dort die Kontakte zwischen Theoderich und den Bischöfen auch am regelmäßigsten waren, ist dies kein allzu schwerwiegender Mangel. 5  Grundsätzlich deuten römische Namen meist auf katholische Kleriker, gotische Namen meist auf Homöer. Im Einzelfall ergeben sich aber wiederholt Unsicherheiten: So wird ein in Cassiodorus, Variae 2, 18 erwähnter Bischof Gudila mal aufgrund seines Namens als Homöer (Hans von Schubert: Staat und Kirche in den arianischen Königreichen und im Reiche Chlodwigs. Mit Exkursen über das älteste Eigenkirchenwesen. Berlin/München 1912), mal aufgrund des Briefinhalts (vgl. Anm. 40) als katholischer Bischof gesehen (Pfeilschifter: Ostgotenkönig [wie Anm. 3], S. 233, Anm. 7; gefolgt von Köpke: Bischöfe [wie Anm. 3], S. 271). 6  Insbesondere das Laurentianische Schisma bleibt außen vor. Das Verhalten Theoderichs in diesem bestätigt letztlich nur seine mangelnde Bereitschaft zur Intervention in rein innerkirchliche Angelegenheiten (vgl. Anm. 2), zumal er kein tieferes Interesse an den Positionen der beiden Parteien hatte, da diese inhaltlich weniger stark differierten als gemeinhin angenommen. Zur Relativierung der theologischen Differenzen im Schisma: Jan-Markus Kötter: Zwischen Kaisern und Aposteln. Das Akakianische Schisma (484–519) als kirchlicher Ordnungskonflikt der Spätantike. Stuttgart 2013, S. 119–122. 7 Zur frühen Karriere im Überblick: PLRE II, S. 1077–1084 (Fl. Theodericus 7), bes. S. 1077– 1081. Ennodius weist auf die reichsrömische Sozialisierung des Königs in seinem Panegyricus (ediert von Friedrich Vogel in MGH AA 7, S. 203–214) explizit hin: Educavit te in gremio civilitatis Graecia praesaga venturi (hier: § 11).

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Die politische Sprengkraft dogmatischer Differenzen muss ihm, beispielsweise durch die Wirren um die Rezeption des Konzils von Chalcedon (451), vertraut gewesen sein, gerade auch hinsichtlich negativer Konsequenzen für die Stabilität der Herrschaft einzelner Kaiser.8 Allein deshalb war es unwahrscheinlich, dass er bereit gewesen wäre, seine 489/493 frisch begründete Herrschaft über Italien durch Repressalien gegen die dortige religiöse Mehrheit zu belasten – zumal er seinen Legitimitätsanspruch nicht zuletzt daraus herleitete, offiziell im Auftrag Konstantinopels in den Westen gekommen zu sein.9 Allerdings stand eine Konversion des Königs hin zum nizänischen Katholizismus ebenfalls nicht zur De­ batte, da Theoderich hinsichtlich des Dogmas keineswegs indifferent war: Er war Homöer und hatte seine Macht auf die Waffengewalt seiner Ostgoten gegründet, die ebenfalls mehrheitlich Homöer waren.10 Gleichzeitig war der König aber weit davon entfernt, ein homöischer Eiferer zu sein. Auch dies hatte politische Gründe: Zum einen war die aufrechterhaltene Trennung katholischer Romanen und homöischer Goten Theoderichs politischer Konzeption einer funktionalen Trennung beider Gruppen geschuldet und garantierte ihm eine gewisse Unabhängigkeit von beiden Seiten.11 Zum anderen war es durchaus typisch für spätantike Herrscher, Fragen der Religion dem Primat des Politischen unterzuordnen.12 Als Maßgabe politischen Handelns taugte eine  8 

Kaiser Zeno erfuhr entsprechende Gefahren im Jahr 475/476, als er kurzzeitig dem Usurpator Basiliscus weichen musste, der sich mit Zenos kirchenpolitischen Gegnern zusammengetan hatte. Basiliscus wiederum scheiterte dann am Widerstand seiner eigenen kirchenpolitischen Gegner. Es ist kein Zufall, dass es 482 dann Zeno war, der die dogmatischen Kämpfe im Osten durch ein theologisches Kompromissdokument, das sogenannte Henotikon, einzudämmen versuchte.  9  So die grundlegende These von Dorothee Kolhaas-Müller: Untersuchungen zur Rechtsstellung Theoderichs des Großen. Frankfurt a. M. u. a. 1995. Vgl. schon Wilhelm Enßlin: Theoderich der Große. München 21959, S. 93. Die Position wird verschiedentlich relativiert, niemals jedoch grundsätzlich zurückgewiesen. 10  So zählt Patrick Amory: People and Identity in Ostrogothic Italy, 489–554. Cambridge 1997, S. 348, das Homöertum dezidiert unter die Kriterien der gotischen Identität. Zur Frühzeit der christlichen Entwicklung bei den Goten und zum zusammenfassenden Überblick über die homöische Kirche vgl. Knut Schäferdiek: Ulfila und der sogenannte gotische Arianismus. In: Guido M. Berndt/Roland Steinacher (Hg.): Arianism. Roman Heresy and Barbarian Creed. Farnham/ Burlington 2014, S. 21–43. 11 Hans-Ulrich Wiemer: Odovakar und Theoderich. Herrschaftskonzepte nach dem Ende des Kaisertums im Westen. In: Mischa Meier/Steffen Patzold (Hg.): Chlodwigs Welt. Organisation von Herrschaft um 500. Stuttgart 2014, S. 293–338, hier: S. 302 f. Eine entspannte persönliche Grunddisposition gegenüber dem katholischen Glauben wird auch durch die Konversion der Theoderich-Mutter Ereleuva/Eusebia (Anonymus Valesianus 58) nahegelegt: Pfeilschifter: Ost­ gotenkönig (wie Anm. 3), S. 48 f. Von einer durchaus persönlichen Überzeugung des Königs zur Duldung geht ebenfalls aus: Andreas Goltz: Barbar – König – Tyrann. Das Bild Theoderichs des Großen in der Überlieferung des 5. bis 9. Jahrhunderts. Berlin/New York 2008, S. 353 f. 12  Wenn Salvianus, De gubernatione dei 5, 2 um 440 feststellt, dass die Vandalen sich für katholisch hielten und die gallischen Romanen als „Häretiker“ verfolgten, so mag ein solcher Eifer zwar die Haltung einzelner Homöer spiegeln (vielleicht sogar einzelner homöischer Herrscher im ­Privaten), für gewöhnlich aber nicht auch die handlungsleitende Position der Entscheidungsträger. Das Problem aus katholischer Sicht scheint daher eher die vermehrte Anwesenheit von „Arianern“ an sich gewesen zu sein, worauf auch Chronica Gallica (452) 138 (ad annum 452) hindeutet.

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­ ogmatische Frontstellung jedenfalls nur bedingt. Außenpolitisch wurden Glaud bensdifferenzen zwar immer wieder als Begründung für Bündnisse oder Kriege angeführt; über den Status von legitimierenden Hilfsargumenten für eigentlich anderweitig hergeleitete Interessen kamen sie dabei jedoch nur selten hinaus.13 Und vor allem innenpolitisch waren Herrscher darauf bedacht, das spaltende Potenzial eines dogmatischen Universalismus nicht Oberhand über ordnungspolitisch definierte Einheitsziele gewinnen zu lassen. So entsprangen vereinzelte Verfolgungen katholischer Christen durch homöische Herrscher, beispielsweise im Vandalenreich, selten religionssystemischen Notwendigkeiten.14 Ein religiöser Ausgleich im Aufeinandertreffen zweier Konfessionen war damit zwar niemals per se vorauszusetzen; solange er aber die Stabilität der Herrschaft beförderte (oder zumindest nicht gefährdete), war es unwahrscheinlich, dass von Seiten des Herrschers ein offener Konflikt gesucht wurde. Ein genuin religiöses Interesse an der Bekämpfung der katholischen Kirche hätte ohnehin in erster ­Linie der homöische Klerus gehabt, dem es aber niemals gelingen sollte (sofern er es denn überhaupt versucht hat), den König auf einen Kurs religiöser Intoleranz festzulegen. Da die Legitimität von Theoderichs Herrschaft nach der erfolgreichen Eroberung Italiens vonseiten seiner gotischen Anhänger offenbar nicht mehr wirksam infrage gestellt werden konnte, gab es für ihn auch keine Notwendigkeit, sich übermäßig stark an einzelne gotische Akzeptanzgruppen, beispielsweise den homöischen Klerus, zu binden.15

13  Justinian

verzichtete laut Procopius sogar darauf, seine Kriege gegen Vandalen und Ostgoten Mitte des sechsten Jahrhunderts religiös zu begründen. Den Vorwand boten jeweils dynastische Ereignisse (Absetzung Hilderichs: Procopius, Bella 3, 9; Ermordung Amalasvinthas: Procopius, Bella 5, 4, 30). Dass die katholischen Franken in Gallien den Rückeroberungen Justinians entkamen, lag insofern wohl weniger an ihrem Bekenntnis als an ihrer Erreichbarkeit. 14 Zeitgenössisch ist für den politischen Einheitsprimat auf das Beispiel des Henotikon Zenos (482) zu verweisen. Im vierten Jahrhundert hatte schon Constantius II. vergebliche Versuche einer Einheitsbekenntnisherstellung kraft kaiserlicher Autorität unternommen. Zum dogmatischen Relativismus römischer Herrscher vgl. Jan-Markus Kötter: Die Suche nach der kirchlichen Ordnung. Gedanken zu grundlegenden Funktionsweisen der spätantiken Reichskirche. In: HZ 298 (2014), S. 1–28, bes. S. 16–19. Die vandalische Verfolgung unter Hunerich hing wahrscheinlich mit Konflikten um die von diesem angestrebte Nachfolgeregelung zusammen, worauf Victor Vitensis, Historia persecutionis Africanae provinciae 2, 12–16 hindeutet. Vgl. dazu den Kommentar von Konrad Vössing: Victor von Vita. Historia Persecutionis Africanae Provinciae Temporum ­Geiserici et Hunerici Regum Wandalorum. Kirchenkampf und Verfolgung unter den Vandalen in Africa. Darmstadt 2011, S. 26 f. 15  In dieser Perspektive stellte der Klerus für den König in erster Linie keine liturgisch-sakramental, sondern eine sozial-politisch verfasste Gruppe dar. Wiederum sind also politische Erwägungen leitend. Zur stabilen innergotischen Legitimität durch das Prestige der Italieneroberung vgl. Christian Rohr: Das Streben des Ostgotenkönigs Theoderich nach Legitimität und Kontinuität im Spiegel seiner Kulturpolitik. Beobachtungen zu imperialen Elementen im Theoderich-Panegyricus des Ennodius. In: Maximilian Diesenberger/Walter Pohl (Hg.): Integration und Herrschaft. Ethnische Identitäten und soziale Organisation im Frühmittelalter. Wien 2002, S. 227–231, hier: S. 228. Ähnlich Hans-Ulrich Wiemer: Die Goten in Italien. Wandlungen und Zerfall einer Gewaltgemeinschaft. In: HZ 296 (2013), S. 593–628, hier: S. 613–615.

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In diesen Rahmenbedingungen konnte der König dann vom entspannten Verhältnis zum katholischen Klerus nur profitieren, stellte dieser doch eine der zen­ tralen romanischen Akzeptanzgruppen für die Legitimität seiner Herrschaft dar. Theoderichs Enkel und direkter Nachfolger Athalarich versäumte es 527 jedenfalls nicht, seinen Herrschaftsantritt mit der Bitte um Fürsprache unter anderem auch den katholischen Bischöfen seines Reiches anzuzeigen.16 Ganz ähnlich hatte schon Theoderich die katholischen Bischöfe als Bindeglied im Kontakt zu seinen romanischen Untertanen genutzt und sie beispielsweise dazu herangezogen, wohltätige Maßnahmen zu vermitteln: Im Jahr 508 ließ er südgallischen Provin­ zialen eine Entschädigung für die beim Durchzug seiner Truppen entstandenen Schäden jedenfalls nicht über königliche Amtsträger zukommen, sondern über den lokalen Bischof Severus;17 und bereits bei der Bewältigung der Folgen des Krieges gegen Odovakar hatte der König in den 490er-Jahren in Oberitalien eng mit den Spitzen der katholischen Kirche zusammengearbeitet. Es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass solche Kooperationen nur auf unmittelbare Nachkriegssituationen beschränkt gewesen wären.18 Angesichts der relativ einfach und theoretisch jederzeit aktualisierbaren ethnischen Gegensätze zwischen italischer Vor- und Neubevölkerung, unter anderem eben auch auf religiösem Gebiet, war es für den Gotenkönig also erstrebenswert, seine Macht über seine romanischen Untertanen mithilfe eines kommunikativen Umwegs über romanische Elitegruppen auszuüben. In dieser Hinsicht war er auf den katholischen Klerus geradezu angewiesen, da dieser sich aus verschiedenen Gründen besonders dafür eignete, herrschaftliche Maßnahmen auf lokaler Ebene zu vermitteln: Zum einen bildeten die Bischöfe eine Gruppe, deren sozialer Einfluss beständig wuchs und die durch seelsorgerliche Funktionen und christliche caritas bereits eine gewisse Patronage über Teile der katholischen Bevölkerung ausübte. Zum anderen galten die Vertreter der Kirche wohl als weniger anfällig für Korruption als die lokale Aristokratie.19 Trotz der Differenz im Bekenntnis 16 Cassiodorus,

Variae 8, 8, 3: Quapropter sanctitas vestra provinciales cunctos ammoneat, ut i­nter se habentes concordiam regno nostro per omnia debeant esse purissimi. Als exemplarischer Empfänger des Rundschreibens begegnet in den Variae ein Bischof Victorinus. Dessen katholischer Glauben ergibt sich zwar nicht aus dem Brief selbst, wird aber durch weitere Dokumente im Umfeld wahrscheinlich gemacht: Mit dem oströmischen Kaiser (8, 1), dem römischen Senat (8, 2), dem Volk Roms (8, 3), den Römern in Italien und Dalmatien (8, 4), dem praefectus praetorio Galliarum Liberius (8, 6) und den gallischen Provinzialen (8, 7) erhielten auch weitere roma­ nische Akzeptanzgruppen (zu diesen Wiemer ausführlich in diesem Band) Schreiben des frisch gekürten Königs. 17 Cassiodorus, Variae 2, 8. 18  Köpke: Bischöfe (wie Anm. 3), S. 87  f., weist auf diese Rolle der Bischöfe als „Krisenmanager“ hin. Insbesondere die Vita Epiphanii gibt dabei einen ausführlichen Einblick in das patronale und karitative Handeln eines Bischofs an der Schnittstelle zwischen lokaler Gemeinschaft und neuem Herrscher. 19  Vgl. wieder Cassiodorus, Variae 2, 8 (zum Kontext bei Anm. 17 und Anm. 37): Bischof Severus waren 1 500 Solidi offenbar bedenkenloser anzuvertrauen als einem zivilen Funktionsträger. Eine Akzeptanzsteigerung königlicher Maßnahmen durch bischöfliche Vermittlung erkennt Rita Lizzi Testa: Bishops, Ecclesiastical Institutions, and the Ostrogothic Regime. In: Jonathan J. Arnold/M.

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profitierte Theoderich also von der Rolle, die die katholischen Bischöfe für ihn spielen konnten – und offenbar auch zu spielen bereit waren. Das bedeutete auch, dass der König die Grundlage für diese herrschaftsstabilisierende Rolle der Bischöfe, nämlich ihre zunehmende lokale Bedeutung, stärken oder zumindest absichern musste. Da diese Bedeutung nicht zuletzt auf dem stetig wachsenden Kirchenbesitz fußte, der den Episkopat ökonomisch wie sozial mehr und mehr den reichen zivilen possessores anglich, war es naheliegend, dass der König diesen Besitz zwar besteuerte, nicht aber eigentlich antastete und ihn darüber hinaus auch gegen Übergriffe und Begehrlichkeiten anderer Akteure schützte.20 Während diese Statussicherung die Bischöfe umso bereiter machte, ihre kommunikative Schnittstellenfunktion zwischen Hof und Bevölkerung wahrzunehmen, sorgte Theoderich mit seiner aktiven Akzeptanz der katholischen Kirche gleichzeitig auch für einen gewissen sozialen Ausgleich. Der Kirchenbesitz diente immerhin von jeher der Sicherstellung bischöflicher Wirksamkeit in seelsorgerlicher und karitativer Hinsicht, also hinsichtlich aller Aufgaben, die im ­weitesten Sinne ein patronales Potenzial in sich bargen und damit Gründe für die Bedeutungssteigerung der Bischöfe waren. Hierzu gehörte auch die Armenfür­ sorge.21 Zwar mussten die Ostgoten kaum konkret mit sozialen Unruhen rechnen, es konnte ihnen aber trotzdem nicht daran gelegen sein, die latenten ethnischen Gegensätze zwischen Goten und Römern und den latenten dogmatischen Gegensatz zwischen Homöern und Katholiken fahrlässig durch eine soziale Komponente anzureichern und damit gegebenenfalls doch zu aktivieren – mit kaum absehbaren Konsequenzen für die Herrschaftsstabilität.

Shane Bjornlie/Kristina Sessa (Hg.): A Companion to Ostrogothic Italy. Leiden/Boston 2016, S. 451–479, hier: S. 472–474, auch in der innerkirchlichen Behandlung der Fälle straffällig gewordener Kleriker. Die wachsende patronale Rolle katholischer Bischöfe gründete nicht allein auf dem karitativen Wirken im engeren Sinn, sondern beispielsweise auch auf der zunehmenden ökonomischen Potenz der Kirchen als Landbesitzer (s. u.). 20  Vgl. Biagio Saitta: The Ostrogoths in Italy. In: Polis 11 (1999), S. 197–216, hier: S. 205f. Näheres zur Garantie kirchlicher Besitzungen und Privilegien auch unten im Abschnitt „Die katholischen Bischöfe und der homöische König“. 21  Weitere Aspekte christlicher caritas waren unter anderem Betreuung und Loskauf von Gefangenen oder die Unterstützung von Pilgern. Auch die episcopalis audientia kann hinzugezählt werden, kam ihr doch ursprünglich ebenfalls eine Schutzfunktion zu. Hinsichtlich des konkreten Umfangs gerade der Armenfürsorge häufen sich jedoch kritische Stimmen: Richard Finn: Almsgiving in the Later Roman Empire. Christian Promotion and Practice (313–450). Oxford/New York 2006, bes. S. 70–73, hält beispielsweise fest, dass die Gruppe der Zuwendungsberechtigten nicht sehr groß gewesen sein kann. Ähnlich: Peter Garnsey/Caroline Humfress: The Evolution of the Late Antique World. Cambridge 2001, S. 107–131. Bereits Charles Pietri: Les pauvres et la pauvreté dans l’Italie de l’empire chrétien (IVe siècle). In: Miscellanea Historiae Ecclesiasticae 6. Congrès de Varsovie 25 juin–1er juillet 1978. Section 1: Les transformations dans la société ­chrétienne au IVe siècle. Brüssel u. a. 1983, S. 267–300, hat auf die Differenz zwischen der geringen faktischen Bedeutung der Armenfürsorge und ihrer Prominenz in der diskursiven Vermittlung hingewiesen. Gerade hierin dürfte aber ihre eigentliche Relevanz gelegen haben: Es mochte ausreichend sein, dass entsprechende Aufgaben der Bischöfe als bedeutsam wahrgenommen und anerkannt wurden.

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Die Rolle der katholischen Bischöfe hatte in den Augen des Ostgotenkönigs also nicht allein eine religiöse, sondern vor allem auch eine sozialpolitische und kommunikative Komponente. Da die Ebenen eng miteinander verflochten waren, konnte Theoderich weder für die sozialpolitischen noch für die kommunikativen Aufgaben auf seinen eigenen homöischen Klerus zurückgreifen: Da die homöische Kirche in erster Linie eine Kirche der Goten war, hätte sie zwar gegenüber gotischen Homöern caritas üben können (und hat dies sicherlich auch getan), kaum aber gegenüber den katholischen Romanen. Der der bischöflichen Fürsorge innewohnende kommunikative Aspekt hätte in diesem Fall keine ähnlich stabilisierende Wirkung für die Herrschaft Theoderichs entfaltet. Wohlfahrt war über die Schnittstelle der katholischen Bischöfe eben nicht nur effektiver zu organisieren, sondern auch akzeptabler zu vermitteln. Ebenfalls im Zusammenhang mit den patronal-karitativen Funktionen des Epis­ kopats ergab sich ein weiteres Betätigungsfeld, auf dem Theoderich die katholischen Bischöfe in seinem Sinne nutzen konnte und das nicht mehr allein auf deren Heimatgemeinden bezogen war: Es kam zu einer verstärkten Übernahme diplomatischer Aufgaben durch den katholischen Klerus.22 Dies hatte bereits eine ­gewisse Tradition, wenn man sich die Gesandtschaften Papst Leos I. an den Hunnenkönig Attila 452 und an den Vandalenkönig Geiserich 455 vor Augen führt. In ähnlicher Weise hatte Epiphanius von Pavia 472 einen Waffenstillstand zwischen Kaiser Anthemius und dem magister militum Rikimer aushandeln können, während Odovakar Anfang 493 seinen kurzfristigen Ausgleich mit Theoderich durch Bischof Johannes von Ravenna vermitteln ließ.23 Nach der Ausschaltung Odovakars hatten sich dann andere oberitalische Spitzenbischöfe, allen voran Laurentius von Mailand und abermals Epiphanius, mit der Bitte um Gnade für die OdovakarAnhänger an den neuen Herrscher gewandt.24 Für Theoderich lag es daher nahe, die katholischen Bischöfe seines Herrschaftsbereichs nun in ganz ähnlicher Manier zu nutzen. Die übernommenen diplomatischen Missionen konnten dabei im Zusammenhang mit der karitativen Funktion der Bischöfe stehen, beispielsweise als Epiphanius von Pavia zusammen mit ­Victor 22 Im

Sinne einer klaren Trennung von sozialem Einfluss und politischer Macht der Bischöfe (Adam Izdebski: Bishops in Late Antique Italy: Social Importance vs. Political Power. In: Phoenix 66 [2012], S. 158–175, bes. S. 158 f.), ist aber einzuräumen, dass die meisten dieser diplomatischen Aufgaben eher als soziales denn als politisches Agieren zu werten sind. In jedem Fall ließen sich aus ihnen keine politischen Ansprüche ableiten. Sehr wohl aber spiegelte die erhöhte Gesandtschafts­ tätigkeit von Bischöfen ihren schrittweisen sozialen Aufstieg innerhalb der Elite: Andrew Gillett: Envoys and Political Communication in the Late Antique West, 411–533. Cambridge 2003, S. 274 f. 23  Leo vor Attila und Geiserich vgl. unter anderem Prosper, Chronicon 1367; 1375. Zu Epipha­ nius’ Vermittlung zwischen Rikimer und Anthemius: Ennodius vgl. Vita Epiphanii 51–75. Zum durch Johannes vermittelten Ausgleich vgl. Agnellus, Liber pontificalis 39 f.; Procopius, Bella 1, 1, 24. Bezüglich des Epiphanius ist freilich festzuhalten, dass seine Wirksamkeit eher an seiner Persönlichkeit als an seinem Amt hing (Izdebski: Bishops [wie Anm. 22], S. 162); ähnliches galt auch für Leo. Allerdings wird die dem Bischofsamt inhärente politische Neutralität den Missionen auch nicht abträglich gewesen sein. Zu dieser Neutralität vgl. Anm. 27. 24 Ennodius, Vita Epiphanii 120–135.

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von Turin und dem Diakon Ennodius von Mailand im Jahr 494/495 bei den ­Burgunden die Freilassung kurz zuvor verschleppter Einwohner Liguriens verhandelte.25 Der König betraute die Bischöfe aber auch mit stärker politischen Missionen: So gab er den Gesandtschaften, die bei Kaiser Anastasios in Konstantinopel die Anerkennung seiner Königsherrschaft erreichen sollten, immer wieder auch Kirchenvertreter mit.26 Bei allen diesen Beispielen fällt auf, dass eine Kongruenz der Konfession von bischöflichen Gesandten und weltlichen Adressaten für den Erfolg einer Mission zweitrangig war. Wichtiger war zum einen, dass die Bischöfe als nicht genuin der politischen Sphäre zugehörige Akteure per se weniger Argwohn erwecken mochten, parteiisch zu sein;27 zum anderen scheint ihre spirituelle Autorität selbst von homöischen Verhandlungspartnern im Grundsatz anerkannt worden zu sein, ungeachtet dogmatischer Differenzen.28 Hinzu kam ein weniger augenscheinlicher Aspekt: Die Einbindung katholischer Bischöfe in die katholische Ökumene senkte mitunter das Risiko eines Scheiterns ihrer Missionen. Als beispielsweise die finanziellen Mittel der Burgunden-Gesandtschaft um Epiphanius erschöpft waren, sprang den Gesandten ihr katholischer Mitbischof Avitus von Vienne zur Seite; in der Residenz Lyon wurden die Legaten vom ebenfalls katholischen Ortsbischof Rusticus empfangen und dem burgundischen König empfohlen.29 Den ostgotischen Homöern hingegen mangelte es in ihrer gänzlich auf das regnum Theoderichs bezogenen kirchlichen Organisation an ähnlichen ökumenischen Kontakten und am ökumenischen Zusammenhalt. Die katholischen Bischöfe waren daher auch im diplomatischen Kontakt nicht eins zu eins durch ihr homöisches Pendant zu ersetzen.30 25 Ennodius, Vita Epiphanii 136–177. Die oben erwähnte patronale Funktion der Bischöfe war solchen Aspekten der christlichen caritas inhärent; vgl. auch Anm. 21. 26  Zwar verhandelten die Bischöfe in erster Linie über die Beilegung des Akakianischen Schismas; gänzlich unabhängig von der politischen Frage nach der Anerkennung Theoderichs war das theologische Thema aber nicht. Beide Ebenen griffen immer wieder ineinander, wie sich beispielsweise 497 in der vorschnellen Versicherung des Senators Festus zeigte, Papst Anastasius zur Annahme des Henotikon zu bewegen: Theodorus Lector, Historia ecclesiastica. Epitome 461. 27  So zumindest Claire Sotinel: Rom und Italien am Übergang vom Römischen Reich zum Gotenreich. In: Luce Pietri (Hg.): Der lateinische Westen und der byzantinische Osten (431–642). Freiburg i. Br. u. a. 2001, S. 300–342, hier: S. 308. 28 Laut der Vita Severini des Eugippius wurde der heilige Severinus von Noricum auch von ­Homöern um Rat gebeten, beispielsweise von Odovakar und von den Rugierkönigen Flaccitheus und Feletheus. Vgl. hierzu Gert Haendler: Die abendländische Kirche im Zeitalter der Völkerwanderung. Berlin (Ost) 1980, S. 88 f. Auch die erfolgreichen Verhandlungen Papst Leos mit At­ tila und Geiserich (Anm. 23) belegen, dass die Autorität von Bischöfen bekenntnisübergreifend wirksam sein konnte. Natürlich spielte immer auch die Persönlichkeit des jeweiligen Amtsträgers eine Rolle, dogmatische Differenzen wirkten sich aber offensichtlich nicht per se negativ aus. 29 Ennodius, Vita Epiphanii 151; 173. Schon Pfeilschifter: Ostgotenkönig (wie Anm. 3), S. 32 und Andreas Schwarcz: Beato Petro devotissimus ac si catholicus. Überlegungen zur Religionspolitik Theoderichs des Großen. In: MIÖG 112 (2004), S. 36–52, hier: S. 39, weisen auf diesen Umstand hin. 30 Für einen Versuch der Beleuchtung homöischer Kirchenorganisation unter besonderer Berücksichtigung des höheren Klerus vgl. Ralph W. Mathisen: Barbarian ‚Arian‘ Clergy, Church Organization, and Church Practices. In: Guido M. Berndt/Roland Steinacher (Hg.): Arianism.

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Die Duldungspolitik Theoderichs gegenüber der katholischen Kirche beruhte also nicht einfach auf einer Abwägung reiner Mehrheitsverhältnisse und einer ­daraus resultierenden Angst vor Unruhen. Der König hatte sich im Sinne der Stabilisierung seiner Herrschaft vielmehr sehr bewusst und sehr bereitwillig mit den katholischen Bischöfen arrangiert, die er aktiv zur Vermittlung herrschaftlicher Maßnahmen und zu diplomatischen Aufgaben heranzog. Dass der katholische Klerus selbst für Herrscher anderer Bekenntnisse von Nutzen sein konnte, hatte schon Theoderichs Vorgänger Odovakar erkannt und sich gegenüber der katholischen Kirche ähnlich verhalten wie der Gote jetzt.31 Theoderich konnte sich diese Duldsamkeit leisten, weil sich seine Haltung zur Kirche maßgeblich politisch ­herleitete. Daher stand eine Aufkündigung seines Wohlwollens auch nur dann in Aussicht, wenn sich entweder die internen gotischen Machtverhältnisse zu seinen ­Ungunsten verschoben, oder aber wenn die katholische Kirche ihm ihrerseits die Loyalität aufkündigte.32 Ersteres sollte während Theoderichs Herrschaft nicht geschehen; eine aktive Opposition des katholischen Klerus gegen den homöischen Herrscher war ebenfalls nicht zu erwarten, da dieser Klerus seinerseits stark von der Herrschaft Theoderichs profitierte.

Die katholischen Bischöfe und der homöische König Der katholische Klerus verdankte seine Bedeutung nicht der Milde Theoderichs, sondern einem Prozess, der schon lange vor 489/493 eingesetzt hatte. Die fortschreitende Christianisierung des Römischen Reichs, der wachsende Reichtum der Kirchen und die karitativen Funktionen des Episkopats hatten dazu geführt, dass die Bischöfe im Laufe der Jahre ein Teil der städtischen Eliten in Italien geworden waren. Zwar war die zivile Administration der italischen civitates noch weitgehend intakt, sodass die Bischöfe dort, anders als beispielsweise in Gallien, nicht zu alleinig maßgeblichen Akteuren der Stadtgemeinden wurden und auch keinen im engeren Sinne „politischen“ Bedeutungsgewinn innerhalb ihrer GeRoman Heresy and Barbarian Creed. Farnham/Burlington 2014, S. 145–191. Da der stammeskirchliche Charakter des Homöertums darüber hinaus ein Aspekt der gentilen Identität und Distinktion war (beispielsweise John Moorhead: Culture and Power among the Ostrogoths. In: Klio 68 [1986], S. 112–122, hier: S. 115), wären ökumenische Bestrebungen im Rahmen des Homöertums sogar widersinnig gewesen. 31  Vgl. beispielsweise Dirk Henning: Periclitans res publica. Kaisertum und Eliten in der Krise des Weströmischen Reiches 454/5–493 n. Chr. Stuttgart 1999, S. 185–187; die Forschung zur Frage des Vorbildcharakters Odovakars für Theoderich zusammenfassend vgl. Wiemer: Odovakar (wie Anm. 11), S. 293 f. 32  Der oftmals beschworene Einschnitt durch das Ende des Akakianischen Schismas 519 relativiert sich dadurch, dass sich in diesem Kontext beide Voraussetzungen der gotischen Duldungspolitik nicht änderten. Die katholische Kirche des Westens wurde durch die kirchliche Wieder­ annäherung an den Osten keineswegs dem byzantinischen Kaisertum in die Arme getrieben, das Verhältnis zu Konstantinopel blieb schwierig. Für einen weiteren relativierenden Aspekt hinsichtlich der Bedeutung der Beendigung des Akakianischen Schismas vgl. Anm. 45.

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meinwesen verzeichneten; wenn es aber 489/493 meist Bischöfe waren, die in Oberitalien zwischen Odovakar und Theoderich vermittelten, so zeigt dies deutlich, dass mittlerweile auch Kleriker als Sachwalter ziviler Gemeinden auftreten konnten, gerade in Krisenzeiten.33 Diese Rolle ließ sich nach 493 nicht mehr allein auf den Sonderfall einer unmittelbaren Kriegssituation beschränken. So wissen wir von Epiphanius, dass er sich 495 am Hof einfand, um Steuererleichterungen für Ligu­rien zu verhandeln; der Klerus von Spoleto setzte sich für die Durchführung einiger Baumaßnahmen ein;34 und wenn schließlich Papst Gelasius den frisch ­ernannten Bischof von Volterra offenbar dafür kritisierte, sich ohne päpstliches ­formatum nach Ravenna begeben zu haben, so ergibt sich ganz allgemein ein Bild keineswegs seltener bischöflicher Legationen an den Hof des homöischen Königs.35 In diesen Legationen begegnen die Bischöfe einmal mehr in ihrer Schnittstellenfunktion zwischen homöischem Hof und katholischer Bevölkerung.36 Diese Funktion wurde sukzessive noch dadurch gestärkt, dass die Bischöfe von den Goten­königen mitunter sogar ohne vorherige eigene Bitte mit entsprechenden Aufgaben betraut wurden. Beispiele sind die bereits erwähnte Anweisung von 1 500 Solidi an Bischof Severus zur Verteilung unter seinen Provinzialen als Entschädigung für den Durchzug eines Heeres, oder aber die Bitte des TheoderichNachfolgers Athalarich um bischöfliche Unterstützung bei Maßnahmen gegen Kornspekulanten.37 Die Kommunikation zwischen der Regierung und den itali33 

Vgl. Sotinel: Rom (wie Anm. 27), S. 308. In Kriegszeiten mag bischöfliche Vermittlung sinnvoll gewesen sein, weil kirchliche Vertreter im Gegensatz zur Ziviladministration politisch als neutral gelten durften. Epiphanius von Pavia reiste beispielsweise unmittelbar nach Ankunft der Goten in Oberitalien zu Gesprächen mit Theoderich: Ennodius, Vita Epiphanii 109. Andererseits lag es kaum an den Bischöfen, dass Theoderich frühzeitig den Großteil der oberitalischen Städte für sich gewinnen konnte (Procopius, Bella 5, 1, 15), hierfür waren die zivilen Eliten Italiens noch zu einflussreich. Vgl. zum Fortleben der zivilen Administration Sebastian Schmidt-Hofner: Der ­defensor civitatis und die Entstehung des Notabelnregiments in den spätrömischen Städten. In: Mischa Meier/Steffen Patzold (Hg.): Chlodwigs Welt. Organisation von Herrschaft um 500. Stuttgart 2014, S. 487–522. In Gallien mag es später im Fall des Caesarius von Arles anders ge­ wesen sein, der in den Verdacht geriet, seine Stadt an die Burgunden verraten zu wollen: Vita Caesarii Arelatensis 1, 30 f. Zur Situation in Gallien vgl. Anm. 50. 34 Ennodius, Vita Epiphanii 182–189; Cassiodorus, Variae 4, 24 an den Diakon Helpidius. Ähnlich: Cassiodorus, Variae 4, 31 an Bischof Aemilianus. 35 Gelasius, Epistulae fragmentum 7: Quo ausu, qua temeritate rescribis Ravennam te parare proficisci, quum canones evidenter praecipiant nullum omnino pontificem nisi nobis ante visis atque consultis ad comitatum debere contendere. Mit Gillett: Envoys (wie Anm. 22), S. 113 f., ist einzuräumen, dass die Bischöfe lokale Legationen der Städte an den Hof keineswegs monopolisierten; als zunehmend prominente Akteure übernahmen nun aber auch sie Gesandtschaften. 36 Im Vergleich zu säkularen Funktionsträgern konnten Bischöfe die Schnittstellenfunktion umso besser ausfüllen, als sie Kraft ihrer spirituellen Autorität den Maßnahmen der ostgotischen Regierung im Falle einer Ablehnung aus konfessionellen Gründen – und das war wohl die am einfachsten zu aktualisierende Differenz – leichter doch noch Legitimität verschaffen konnten. Vgl. oben Abschnitt „Der homöische König und die katholischen Bischöfe“. 37 Zur Entschädigung der Provinzialen vgl. Cassiodorus, Variae 2, 8; zu Maßnahmen gegen Kornspekulanten vgl. Cassiodorus, Variae 9, 5.

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schen Städten erfolgte also, wie bereits gesehen, in wichtigen Teilbereichen über katholische Bischöfe. Einer dieser Teilbereiche betraf das weite Feld christlicher Fürsorgeaufgaben. Gerade diese Aufgaben waren eine der Voraussetzungen für die Bedeutungssteigerung katholischer Bischöfe innerhalb ihrer Stadtgemeinden gewesen; die Bischöfe hatten hier schon früh davon profitiert, dass das spätantike Staatswesen entsprechende Aufgaben nahezu gänzlich in die Obhut der Kirche gegeben hatte.38 Indem Theoderich dieser Praxis nun folgte und indem er die ­katholischen Bischöfe aus Gründen der Stabilisierung seiner Herrschaft sogar mit weiteren Aufgaben betraute, setzte sich dieser Trend fort. Und da dem homöischen König im Sinne seiner Herrschaftskommunikation an einem entsprechenden Wirken der Bischöfe gelegen war, musste er die katholische Kirche in seinem Reich auch in die Lage versetzen, ihren Pflichten nachzukommen. Aus diesem Grund befasst sich ein Großteil derjenigen Schreiben in den Variae, die einen Kirchenbezug aufweisen, mit dem Schutz von Kirchenbesitz. In Variae 2, 29 beispielsweise vertraut der König Güter der Kirche von Mailand auf Sizilien der expliziten Obhut des comes Adila an, während er in Variae 4, 20 auf Bitten eines Bischofs Constantius die Rückerstattung von unrechtmäßig enteignetem Kirchenbesitz anordnet.39 Analog zu diesem Schutz kirchlicher Besitztümer garantierte Theoderich dem katholischen Klerus seinen traditionell privilegierten Gerichtsstand und tastete auch die Ausnahme des Klerus von kurialen Leistungspflichten nicht an.40 Dass sich die Interessen von Kirche und Königtum gerade im Komplex kirchlicher Besitzstandswahrung überschnitten, spiegelt sich auch darin, dass die Frage nach der Verfügungsgewalt über Kirchenbesitz ein Hauptstreitpunkt im Laurentianischen Schisma war. Die königlich-kirchliche Interessensüberschneidung führte dazu, dass die Bereitschaft der Kirche zum Widerstand gegen den „häretischen“ König niemals allzu ausgeprägt war, immerhin war dieser bereit, ihr ihren Besitzstand und den Bischöfen damit die Grundlage ihrer wachsenden sozialen Bedeutung zu garantieren, auch und gerade gegenüber anderen romanischen Gruppen.41 38 

Köpke: Bischöfe (wie Anm. 3), S. 83. Beispiele ließen sich vermehren, etwa durch Cassiodorus, Variae 3, 45 an den comes Arigern zur Klärung von umstrittenen Besitzverhältnissen bezüglich eines von der römischen Gemeinde gekauften Gebäudes. Vgl. ferner Cassiodorus, Variae 4, 17. Ebenfalls der Sicherstellung der caritas diente die Privilegierung der Kirche von Mailand zum steuerfreien Handel: Cassiodorus, Variae 2, 30. 40  Zur Untersuchung von Vergehen von Klerikern durch Bischöfe vgl. Cassiodorus, Variae 1, 9; 3, 14; 4, 18; 4, 44; 8, 24. Vgl. auch Gelasius, Epistulae fragmentum 11. Zur Ausnahme von kurialen Leistungspflichten vgl. vor allem Cassiodorus, Variae 2, 18 (ähnlich: Cassiodorus, Variae 4, 44), wo Bischof Gudila angewiesen wird, den Status einiger Kleriker zu überprüfen, denen von Seiten lokaler Kurialen vorgeworfen wurde, sich durch den Eintritt in den Klerus vor ihren kurialen Pflichten drücken zu wollen. Zur Identifizierung Gudilas als katholisch, die sich aus dem Briefinhalt letztlich zwingender ergibt (wegen der geringen Wahrscheinlichkeit, dass die erwähnten Kurialen Homöer waren) als eine Identifizierung des Bischofs als Homöer auf Grundlage seines Namens vgl. Anm. 5. 41  In diesen Fällen konnten die Fronten also quer zu den ethnischen Differenzen liegen. 39  Die

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Der König musste dabei nicht einmal sonderlich weit vorpreschen, um die Loyali­tät des katholischen Klerus zu gewinnen. Die meisten Maßnahmen, durch die die katholische Kirche profitierte, bewegten sich im Rahmen traditioneller ­Linien. Der Umgang Theoderichs mit Kirchengut und Privilegien war nichts per se Neues, es kam unter ihm zu keiner wirklichen Besserstellung des katholischen Klerus, sondern lediglich zu einer Bestätigung von Rechten, die der Kirche noch von den römischen Kaisern zugestanden worden waren und deren Respektierung die Vertreter der Kirche als Selbstverständlichkeit erachteten. Diesem Anspruch kam der König nach und stellte sich dabei mehrfach ostentativ in entsprechende imperial-reichskirchliche Traditionen, beispielsweise wenn er festhielt, dass er nicht erlaube, dass die Kirche derjenigen Besitzungen beraubt werde, die sie in vergangenen Zeiten (also noch unter den römischen Kaisern) erhalten habe.42 Allerdings kam dieser Bestätigung weithin bekannter Rechte unter Theoderich insofern eine neue Qualität zu, als die Beachtung dieser Rechte in der relativen politischen Stabilität des Ostgotenreichs von Seiten der Regierung nun auch tatsächlich garantiert werden konnte. Dies war in den vergangenen Jahrzehnten im Westen so selten der Fall gewesen, dass sich italische Bischöfe allein schon darüber zufrieden zeigten, dass die Regierung Theoderichs überhaupt ihre eigentliche Aufgabe erfüllte, nämlich die Stabilität rechtlich-politischer Rahmenbedingungen zu gewährleisten: Wenn Ennodius in seinem Panegyricus auf Theoderich im Jahr 507 mehrfach genau diese Stabilität der Rechts- und Herrschaftsverhältnisse betont, spiegelt er eine typische Sicht des (nord-)italischen Klerus auf das Regime des homöischen Herrschers. Ins gleiche Horn stößt der Bischof von Pavia, wenn er nach dem Krieg der Ostgoten gegen Burgunden und Franken im selben Jahr feststellt, dass nun auch das besetzte Gallien die Segnungen der Herrschaft Theoderichs genießen könne, die sich in erster Linie in der Garantie kirchlicher Besitztümer und in der Sorge des Königs um den Klerus zeigen würden.43 Solange die Entwicklung der in ihren Augen rechtgläubigen Kirche nicht behindert wurde, war die dogmatische Ausrichtung des Herrschers für die katholischen Bischöfe zweitrangig. Ohnehin hatte Theoderich, im Sinne der 494 durch Gelasius formulierten Zweigewaltenlehre, eigenverantwortlich nur für die welt­ liche Sphäre zu sorgen, und gerade das tat er vorbildlich.44 In genuin kirchliche

42 Cassiodorus,

Variae 4, 20, 1: Si desideramus locum beneficiis invenire, ut titulos nostrae possimus pietatis erigere, quanto magis aliena beneficia intacta volumus defendi, qui propria cupimus sponte largiri, maxime quando et illud conscientiae nostrae reponitur, quod de fisco sub antiqua sollemnitate praestatur. 43  Pfeilschifter: Ostgotenkönig (wie Anm. 3), S. 113, sieht in Ennodius hier dezidiert den „Dolmetsch der Gefühle des norditalienischen Klerus“. Ennodius gegenüber den gallischen Bischöfen: Ennodius, Epistula 9, 30, 5–7. 44 Gelasius, Epistula 12. Auch wenn die Position des Gelasius einen päpstlich-römischen Anspruch spiegelt, dürfte sie grundsätzlich auch von anderen kirchlichen Vertretern im Westen ­geteilt worden sein, war das Wissen um den Problemkomplex durch das seit 484 andauernde Akakianische Schisma doch grundsätzlich präsent. Zur umstrittenen Deutung der Gelasius-Aussagen mit weiterer Literatur vgl. Kötter: Kaiser (wie Anm. 6), S. 108 mit Anm. 322.

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Belange hingegen griff er so gut wie gar nicht ein, wohl seine Lehren aus den verschiedenen reichskirchlichen Spaltungen der letzten Jahre und Jahrzehnte ziehend, die meist gerade nicht auf die kirchenpolitische Zurückhaltung römischer Herrscher zurückgeführt werden konnten. In diesem Sinne kann für den König auch das Ende des Akakianischen Schismas im Jahr 519, trotz der dadurch hervorgerufenen Wiederannäherung der römischen Kirche an Byzanz, nicht sonderlich problematisch gewesen sein; es machte immerhin den Import externer dogmatischer Frontlinien nach Italien und damit potenziell delegitimierende Entscheidungssituationen für ihn unwahrscheinlicher. Für die katholischen Bischöfe wiederum stellte ein zu Übergriffen in kirchliche Sphären neigender orthodoxer Kaiser wahrscheinlich sogar ein größeres Problem dar als ein diesbezüglich zurückhaltender häretischer König. Insofern war selbst nach Beendigung des Schismas das gute Einvernehmen der italisch-römischen Kirche mit Byzanz kaum weniger prekär als das Verhältnis der katholischen Kirche zu Theoderich.45 Der Wille zur Kooperation war also nicht allein vonseiten des homöischen Königs gegeben, der nicht bereit war, aus Bekenntnisgründen unnötigerweise seine Herrschaft zu destabilisieren. Die katholischen Bischöfe hatten ihrerseits ebenso wenig ein Interesse daran, potenzielle Spannungen, die sich aus der dogmatischen Differenz zwischen Herrscher und Eliten zweifellos ergaben, eskalieren zu lassen und dem König die Loyalität zu versagen, nur weil er in ihren Augen häretisch war. Solange es nicht zu homöischen Übergriffen kam, konnte sich der katholische Klerus offensichtlich gut mit der Situation arrangieren – und solange Theoderich keinen Anlass zur Sorge um die bischöfliche Loyalität haben musste, kam es auch zu keinen Übergriffen.46 Die jeweiligen Duldungen der einen durch die andere Seite stabilisierten sich also wechselseitig. Mögliche Konflikte konnten auch dadurch vermieden werden, dass Theoderich bei der Integration der Homöer ins Gebiet der katholischen Mehrheit auf Vorleistungen Odovakars zurückgreifen konnte und wir beispielsweise kaum etwas über Konflikte hinsichtlich der Umwidmung bestehender Kirchenbauten hören.47 Da die Zahl der Homöer im 45  Die

maßgeblich auf eine autonome Kirchlichkeit bedachte römisch-italische Kirche war vor allem dann mit einer Regierung zufrieden, wenn diese das ihrige (und eben ausschließlich das) tat und der kirchlichen Entwicklung einen stabilen politischen Rahmen zur Verfügung stellte. Insofern sollte die Änderung der reichskirchlichen Rahmenbedingungen durch das Ende des Akakianischen Schismas 519 nicht als allzu großes Problem für Theoderichs Verhältnis zur Kirche gesehen werden, zumal er mit der Anerkennung seines Schwiegersohns Eutharich als Nachfolger (Annahme zum Waffensohn durch Kaiser Justin: Cassiodorus, Variae 8, 1, 3) zunächst politischen Nutzen aus der Situation ziehen konnte. Vgl. zur überschätzten Signifikanz des Akakianischen Schismas auch Anm. 32. 46  Selbst im Fall bischöflicher Illoyalität traf der Zorn des Königs weniger die katholische Kirche als ganze, sondern vielmehr einzelne Vertreter dieser, wie 525/526 Papst Johannes (s. u.). Dass ein solcher Fall in der katholischen Polemik relativ einfach zur generellen Verfolgungsattitüde zu stilisieren war, steht auf einem anderen Blatt. 47  Ingemar König: Theoderich der Große und die Kirche S. Stefano zu Verona. In: Trierer Theologische Zeitschrift 95 (1986), S. 132–142, weist anhand von Anonymus Valesianus 83 einen ­solchen Fall in Verona nach; es dürfte sich aber um eine Ausnahmesituation gehandelt haben, die

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Reich darüber hinaus gering blieb, war die katholische Hierarchie wohl an vielen Stellen auch überhaupt nicht mit homöischer Konkurrenz konfrontiert. Außerhalb von Ravenna sind Belege für homöische Kirchen in Italien jedenfalls recht dünn.48

Schlussbetrachtung Die katholische Kirche profitierte unter der Herrschaft Theoderichs in erster Linie von der politischen Stabilität des Ostgotenreichs. Dieser stabile Rahmen war die Grundvoraussetzung dafür, dass die Kirche ihre traditionellen (und von Theoderich explizit bestätigten) Privilegien in großer Verlässlichkeit genießen und ­ihren Besitz im Sinne einer christlichen caritas nutzen konnte. Nutznießer hiervon waren in erster Linie die Bischöfe, da sich der schon länger anhaltende Prozess ihres Vorstoßens in die soziale Elite ihrer Bischofsstädte auch unter dem ­homöischen König fortsetzen konnte. Hinsichtlich einiger spezifischer Aufgabenfelder trat der Episkopat den traditionellen zivilen Leitungsämtern der civitates nun auch in politisch-administrativer Hinsicht zur Seite.49 Zwar waren die Verhältnisse nicht so weit vorangeschritten wie in Gallien, wo die Bischöfe frühzeitig zu dominierenden Figuren in den Städten wurden,50 aber auch in Italien traten ihre Schärfe dadurch gewann, dass die ursprüngliche Bischofskirche 492 bei einem Erdbeben zerstört worden war, es also einen Mangel an Räumlichkeiten in Verona gab. Darüber hinaus waren die Goten nicht in ganz Italien angesiedelt worden, und die Ansiedlung erfolgte noch auf den Landlosen, die bereits Odovakar den Romanen genommen hatte, um sie seinen Anhängern zu geben: Procopius, Bella 1, 1, 28. Vgl. unter anderen auch Amory: People (wie Anm. 10), S. 246 f. und vor allem Pfeilschifter: Ostgotenkönig (wie Anm. 3), S. 50. 48  Mit Schubert: Staat (wie Anm. 5), waren homöische Bischöfe hauptsächlich dort anwesend, wo gotisches Militär stationiert war. Hinzu kam, dass das konfessionelle Kriterium für die ethnische Zuschreibung keineswegs allein entscheidend war (vgl. die Analyse der Prosopographie bei Amory: People [wie Anm. 10], vor allem S. 464), sodass Anlass zu der Überlegung besteht, dass die Frontlinien von vornherein gar nicht so klar gezogen waren, wie es aus der Perspektive ex post erscheint. 49  Zur Differenzierung zwischen sozialer und politischer Prominenz in der Bewertung der Befunde vgl. Izdebski: Bishops (wie Anm. 22), S. 158–160. Zur Identifizierung der neuen Betätigungsfelder vgl. Köpke: Bischöfe (wie Anm. 3), S. 201. Pilara: Momento (wie Anm. 3), S. 433, stellt fest, dass das politische Ziel Theoderichs, die Reorganisation lokaler Verwaltungsstruk­ turen, ohne die Bischöfe kaum mehr zu erreichen war. Trotzdem ist Schmidt-Hofner: Defensor civitatis (wie Anm. 33), beizupflichten, dass der Einfluss der Bischöfe auf breiter Basis in den Städten erst im Laufe des 5. Jahrhunderts größer wurde, wenn auch nie dominierend; ähnlich Frank M. Ausbüttel: Die Verwaltung der Städte und Provinzen im spätantiken Italien. Frankfurt a. M. u. a. 1988, S. 64. 50  In Gallien rekrutierte sich der Episkopat vornehmlich aus der lokalen Aristokratie. Vgl. hierzu Susanne Baumgart: Die Bischofsherrschaft im Gallien des 5. Jahrhunderts. Eine Untersuchung zu den Gründen und Anfängen weltlicher Herrschaft der Kirche. München 1995; ferner (und nachgerade klassisch) Martin Heinzelmann: Bischofsherrschaft in Gallien. Zur Kontinuität römischer Führungsschichten vom 4. bis zum 7. Jahrhundert. Soziale, prosopographische und bildungsgeschichtliche Aspekte. München 1976, bes. S. 203–232.

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Bischöfe nun vermehrt als Vertreter ihrer zivilen Gemeinden vor den König, wurden Bischöfe verstärkt in die Verwaltung der Städte eingebunden. Die bischöf­ lichen Aufgaben umfassten dabei zuvorderst das traditionelle Betätigungsfeld der Armenfürsorge, wurden im Einzelfall aber auch auf andere Bereiche ausgedehnt, beispielsweise auf die bauliche Ausgestaltung der Städte. Dies geschah mitunter sogar aufgrund unmittelbarer Delegierung durch den König und schwächte den Einfluss der Bischöfe in ihren Heimatgemeinden sicherlich nicht. Zwar war die wachsende soziale (und beginnend auch politische) Prominenz der katholischen Bischöfe bei alldem kein genuines Produkt der ostgotischen Kirchen­politik; sehr wohl aber war diese Prominenz darauf angewiesen, dass die Staatsmacht unter ihrem homöischen König die Entwicklung nicht hemmte. Gerade aber weil die soziale Rolle der Bischöfe bereits deutlich vor 489 angelegt war, konnte Theoderich von vornherein gar kein Interesse daran haben, sich gegen den katholischen Klerus zu wenden. Der König wusste um den Einfluss der Bischöfe und um ihren Einfluss auf die Stabilität seiner Herrschaft und rang sich daher mitnichten nur zu einer widerwilligen Duldung der Mehrheitskirche in Italien durch. Er erkannte diese vielmehr aktiv an, zumal der Wegfall ihres Einflusses hinsichtlich der Vermittlung herrschaftlicher Maßnahmen nach innen wie nach außen eine Lücke gerissen hätte, die vom homöischen Klerus in seiner gotischkirchlichen Beschränkung kaum auszufüllen gewesen wäre. Im Sinne politischer und sozialer Stabilität kam Theoderich gar nicht umhin, die katholische Kirche weder sozial noch theologisch, weder juristisch noch materiell anzugreifen. Da er ihr ihre Privilegien beließ und darüber hinaus einen politisch stabilen Rahmen zur Nutzung dieser Privilegien zur Verfügung stellte, entwickelte auch die katholische Seite begreiflicherweise keine Neigung, sich gegen die Herrschaft des „häretischen“ Königs zu stellen. Die Duldung war also eine zweiseitige und gewann gerade dadurch Stabilität: Während es dem Herrscher zweitrangig erschien, wie die religiöse und soziale Elite in seinem Reich konfessionell verfasst war, solange sie sich ihm gegenüber loyal verhielt, erschien es dem Klerus zweitrangig, welcher Konfession ihr Herrscher angehörte, solange dieser seine weltlichen Aufgaben erfüllte und dabei die Kirche Kirche sein ließ. Zwar blieb dieser Ausgleich stets prekär, da das Argument für die mögliche Aufkündigung der gegenseitigen Anerkennung in der religiösen Differenz ja stets vorhanden war; weil aber beide Seiten genau daran kein Interesse hatten, solange sich die jeweils andere Seite entsprechend verhielt, lieferte sie der Gegenseite auch keine Gründe für die Aktualisierung dieses Arguments. Theoderich war in erster Linie Herrscher und kein Missionar, während der italische Weltklerus offensichtlich ­interessierter an den eigenen Wirkungsmöglichkeiten war als an der Konfession einer im Vergleich zur Vorbevölkerung nur kleinen Gruppe von Einwanderern. Auch die der Duldungspolitik Theoderichs auf den ersten Blick widersprechende Episode um die angebliche Einkerkerung von Papst Johannes 526 passt sich gut in dieses Bild ein. Die dieser Maßnahme vorausgegangene diplomatische ­Mission nach Konstantinopel, wo der Papst Kaiser Justin um die Beendigung von antihomöischen Maßnahmen bitten sollte, war alles in allem erfolgreich gewesen.

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Es dürfte also kein religiös fundierter Konflikt gewesen sein, der den König zur Wendung gegen Johannes veranlasste. Die Verstimmung des Gotenkönigs hatte ihren Grund vielmehr darin, dass der Papst wegen seines allzu innigen Kontakts zum Kaiser das Misstrauen des Königs bezüglich seiner Loyalität auf sich ge­zogen hatte.51 Genau diese Loyalität aber war die Conditio sine qua non für das beiderseitig vorteilhafte Einvernehmen zwischen Kirche und König. Da die Zwangsmaßnahmen gegen Johannes aber nur diesen persönlich betrafen und nicht von generellen antikatholischen Maßnahmen begleitet wurden, kündigten Theoderich und seine Nachfolger den Ausgleich mit der katholischen Kirche auch 526 nicht auf.52 Die katholische Kirche tat es dem homöischen Königtum gleich und hielt ihrerseits am Konsens zur Kooperation fest.

Abstract To develop a comprehensive picture of the reign of Theoderic, I examine his religious policy, which was characterized by a constitutive state of latent tension between the King’s homoios denomination and the Catholic creed of the majority of his subjects. This article approaches the topic, however, not by emphasizing these differences, but by considering the mutual benefit both sides could derive from a more tranquil relation towards each other. Theoderic’s tolerance for the Catholic Church and its bishops was neither reluctant nor passive. Instead, he used it ­actively to gain widespread acceptance for his rule and even to perform stately 51 Der

König richtete sich daher auch nicht gegen alle Teilnehmer der Mission, Ecclesius von Ravenna beispielsweise blieb unbehelligt. Zur Mission und ihrem Nachspiel: Anonymus Valesianus 15, 88–93. Ein ausführlicher Kommentar bei Ingemar König (Bearb.): Aus der Zeit Theoderichs des Großen. Einleitung, Text, Übersetzung und Kommentar einer anonymen Quelle. Darmstadt 1997, bes. S. 203–206. König versteht Theoderichs Reaktion (in der Folge von Heinz Löwe: Theoderich der Große und Papst Johannes I. In: Historisches Jahrbuch 72 [1953], S. 83–100, bes. S. 100) eher als germanischen „Huldentzug“ denn als regelrechte Kerkerhaft (gegen Liber ponti­ ficalis 55, 6). Der Papst sei insofern wohl an den Reisestrapazen gestorben. Zur Wertung von Theoderichs Verhalten als politisch motiviert vgl. Amory: People (wie Anm. 10), S. 216–221; Wolfgang Hage: Das Christentum im frühen Mittelalter (476–1054). Vom Ende des weströmischen Reiches bis zum west-östlichen Schisma. Göttingen 1993, S. 54; Pfeilschifter: Ostgoten­ könig (wie Anm. 3), S. 198; Sotinel: Rom (wie Anm. 27), S. 319–321. Dass hinter der Episode ­keine breite religionspolitische Konzeption stand, sieht auch Wiemer: Odovakar (wie Anm. 11), S. 328. 52 Dass Theoderich den Nachfolger des Johannes selbst bestimmte, kann angesichts einer zweimonatigen Vakanz dem ordnungspolitischen Problem innerrömischer Nachfolgekontroversen geschuldet gewesen sein; Jeffrey Richards: The Popes and the Papacy in the Early Middle Ages, 476–752. London 1979, S. 120. Vgl. Cassiodorus, Variae 8, 15, 2. Erst spätere Einmischungen des Athalarich mögen eine neue Stufe im Verhältnis gekennzeichnet haben, für die die hier zu Theoderich getroffenen Feststellungen nicht mehr in vollem Maße gelten. Aber selbst wenn sich Athalarich 533 einen Entscheidungsvorbehalt bei der Besetzung katholischer Bischofssitze zugestehen ließ (vgl. Cassiodorus, Variae 9, 15, 3), so wäre dieser doch wohl nicht zuletzt gegen die Simonie bei Papst- und Metropolitenwahlen gerichtet gewesen, was die Maßnahme wiederum in Deckung mit einem genuin kirchlichen Interesse bringen würde.

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duties. Not only did the Catholic bishops benefit from a mere absence of persecution. They gained even more from the King’s guarantee of their established social role and their legal and financial privileges. Their role and privileges did not, in fact, exceed the state of affairs under the rule of the former Roman emperors. The newly gained political stability under Theoderic, however, made it possible, after a long time, to perform and enjoy them with greater confidence. Consequently, the bishops had an interest in the stability of the royal rule – notwithstanding the denomination of the ruler, as long as it did not affect the welfare of the Catholic Church. The King, in turn, maintained a reciprocal interest: As long as the Catholic bishops remained loyal to his political authority, he used them to stabilize his rule over Italy. The comparatively calm relation between the Catholic clergy and the homoion King rested on a mutually reinforcing bilateralism, in which both sides had no reason to activate the latent existing points of religious conflict.

Peter Eich Quod prosperum nobis utile rei publicae sit Senatorische Macht und Ressourcenkontrolle im Italien Theoderichs

Hinführung In ihrem Beitrag zum „Companion to Ostrogothic Italy“ hat Christina Radtki die vorherrschenden Forschungspositionen zu Rolle und Bedeutung des Senats und der Senatoren unter den Gotenkönigen konzise zusammengefasst. Der Senat habe vor allem eine legitimierende Funktion gehabt. Ihr primär in Landgütern angeleg­ ter Reichtum habe die Senatoren zugleich zu wichtigen Mitspielern in der politi­ schen Konfiguration Italiens gemacht, die die bedeutendsten diplomatischen, poli­ tischen und administrativen Aufgaben für den König wahrgenommen hätten (und die die Geschicke der römischen Kirche wesentlich mitbeeinflussten).1 Diese Ein­ schätzungen sind unbestreitbar zutreffend. Sie bleiben jedoch auch bemerkens­ wert konservativ. Trotz des immensen Fortschritts, der gerade im letzten Jahr­ zehnt in unserem Verständnis des gotischen Italiens erzielt worden ist, ist unser Wissen über die römische Senatsaristokratie zumindest aus der sozialgeschicht­ lichen Perspektive, die Radtki und auch dieser Beitrag wählen (zu der rechthisto­ rischen siehe im Anschluss) offenbar nicht substanziell angewachsen. Um aus ­diesem Engpass wenigstens einige Schritte heraustreten zu können, ist meines Er­ achtens vor allem die sorgfältige Beachtung zweier methodischer Prämissen not­ wendig: Zunächst ist es wichtig, klarer noch als Radtki zwischen dem Gremium Senat und den Senatoren als politischen, sozialen und ökonomischen Akteuren zu unterscheiden.2 Der Senat verankerte institutionell die Erinnerung an imperiale Größe. Aus dieser Konstellation ergab sich die angesprochene legitimatorische Funktion, die aber unterbestimmt blieb. Offenbar qualifizierte sie die Senatoren 1  Christina

Radtki: The Senate at Rome in Ostrogothic Italy. In: Jonathan J. Arnold/M. Shane Bjornlie/Kristina Sessa (Hg.): A Companion to Ostrogothic Italy. Leiden/Boston 2016, S. 121– 146, hier: S. 143 f. Vgl. Filippo Burgarella: Il senato. Roma nell’alto medioevo. 2 Bde. Spoleto 2001, hier: Bd. 1, S. 121–177, S. 124, S. 144, S. 177; Alan Cameron: Basilius and his Diptychs Again. In: Journal of Roman Archaeology 25 (2012), S. 513–530, hier: S. 515 f. 2  Peter Eich: Aristokratie und Monarchie im kaiserzeitlichen Rom. In: Hans Beck u. a. (Hg.): Die Macht der Wenigen. Aristokratische Herrschaftspraxis, Kommunikation und „edler“ Lebensstil in Antike und Früher Neuzeit. München 2008, S. 125–151; vgl. Radtki: Senate (wie Anm. 1), S. 131. https://doi.org/10.1515/9783110686692-008

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auch für wichtige diplomatische Missionen. Sieht man von der legitimatorischen Geltung ab, erfüllte die hohe Körperschaft in der Praxis anscheinend eher die Rolle eines Stadtrates, der allerdings immer dann, wenn er auch die römische ­Kirche in seinen Kompetenzbereich zu ziehen suchte, mittelmeerweite Bedeutung erlangen konnte. Trotz oder vielleicht gerade wegen des sich ab 498 entwickeln­ den Schismas verlor das Gremium in dieser Hinsicht unter Theoderich eher an Einfluss, weil sich die monarchische Entscheidungsgewalt in wesentlichen Fragen als unverzichtbar erwies.3 Als Körperschaft hatte der Senat auch im 6. Jahrhundert ein komplexes Regelwerk, das die Aufnahme neuer Mitglieder oder Abstimmun­ gen regelte. Solche formalen Aspekte der Institution haben Adolfo La Rocca und Fabrizio Oppedisano einer stringenten Analyse unterzogen.4 Sie werden daher ausgespart bleiben. Viele Senatoren haben allerdings den eng abgesteckten Wirkungsbereich des Gremiums deutlich transzendiert. Eine hermetische Scheidung zwischen Senat und Senatoren wäre zwar irreführend: Die prominenten Senatoren profitierten von der legitimatorischen Ausstrahlung des Gremiums ebenso wie die Monar­ chen; ihre eigenen, mehr oder minder gut abgesicherten Familientraditionen speis­ ten wiederum das Ansehen des Senats.5 Der Einfluss aktiver Senatoren ruhte aber eben nicht nur auf diesem Faktor auf, sondern auch auf ihrem Reichtum und da­ neben wesentlich auf ihrem Zugang zu den höchsten (in ihrer Reichweite aller­ dings klar unterschiedenen) Ämtern des späten Kaiserreichs und der Nachfolge­ herrschaften. Hoforientierung war zum Erhalt eines illustren Status zwingend vorgegeben, konnte aber in ihrer Intensität stark variieren: Längere Karrieren minderten auch bei den italischen Senatoren den Rombezug, der bei ihren gallorömischen Pendants ohnedies schwächer ausgeprägt war.6 Die Gruppe der Se­ natoren war daher heterogener als jenes Bild des Senats, das zu Beginn dieses ­Beitrags evoziert wurde. Zwar lässt auch das formalisierte Regelwerk des Senats Aussagen über die Konstruktion der durch ihn konstituierten Elite und interne Asymmetrien zu. Doch sind es vor allem personenbezogene Daten, die Fugen 3  Zu der Konstellation unter Odoaker vgl. Silvia Orlandi: Anfiteatri e strutture annesse con una nuova edizione e commento delle iscrizioni del Colosseo. Rom 2004, S. 467 f.; Charles Pietri: Ari­ stocratie et société cléricale dans l’Italie chrétienne au temps d’Odoacre et de Théoderic. In: Mélanges de l’École française de Rome. Antiquité 93 (1981), S. 417–467, hier: S. 430–432. Vgl. Lel­ lia Cracco Ruggini: Nobiltà romana e potere nell’età die Boezio. In: Sergio Roda (Hg.): La parte migliore del genere umano. Aristocrazie, potere e ideologia. Turin 1995, S. 105–140, hier: S. 120. Contra John Moorhead: The Church and the Popes in Late Antiquity. London u. a. 2014, S. 37, S. 45, der die Kontinuität in senatorischem und königlichem Handeln zwischen Odoaker und Theoderich betont. 4  Adolfo La Rocca/Fabrizio Oppedisano: Il senato romano nell’Italia ostrogota. Rom 2016. 5  Standesbewusstsein und Stellung der Senatoren ruhten zudem im Verständnis der Zeit auf einer spezifischen Bildung und auf Tugend(mythen) auf: Christophe Badel: La noblesse romaine. Les masques et les vertus. Paris 2005, S. 380–386; Beat Näf: Senatorisches Standesbewusstsein in spät­ römischer Zeit. Freiburg i. Ü. 1995, S. 193–232. 6  Siehe zu dieser Gruppe Giulia Marconi: Ennodio e la nobiltà gallo-romana nell’Italia ostrogota. Florenz 2013.

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und Differenzierungen abbilden und dadurch Detailstudien senatorischer Karrie­ ren und senatorischen Handelns wesentlich ergiebiger erscheinen lassen als solche des Gremiums. Viele Studien haben denn auch unter dem Stichwort „Senat“ eher dessen einzelne Mitglieder gefasst. Der vorliegende Beitrag fügt sich in diese For­ schungsrichtung ein. Meine zweite methodische Vorbemerkung weist andererseits auf die Probleme dieser Herangehensweise hin: Untersuchungen zu den höchsten römischen Stän­ den in vorhergehenden Phasen römischer Geschichte konnten zeigen, dass die Quellen deren sozial angesehensten Mitglieder privilegieren.7 Zum Teil, aber wohl kaum ausschließlich, ergibt sich dieses Sichtbarkeitsgefälle aus den Besonderhei­ ten der epigraphischen Überlieferung, die für die Hohe Kaiserzeit deutlich dichter ist. Wir müssen daher auch für die Theoderichzeit mit einer solchen Privilegie­ rung und so auch mit Verzerrungen in der Abbildung des komplexen soziopoliti­ schen Feldes Italiens rechnen. Dies kann das ganze senatorische Milieu Italiens in seiner Vielfältigkeit betreffen. Bekanntlich ist seit dem 4. Jahrhundert eine innere Stratifizierung der Gruppe der Senatoren in clarissimi, spectabiles und illustres zu beobachten. Nach einer häufig vertretenen Forschungsposition hatten in der Zeit Odoakers und Theoderichs mit Ausnahme einer geringen Zahl von Amtsträgern, die ex officio partizipierten, nur noch illustres Sitz und Stimmrecht im Senat und Anrecht auf den Titel Senator.8 Seit wann diese Beschränkung bestanden haben soll, wird diskutiert. Der wichtigste Einzelbeleg (Digesten 1, 9, 12, 1) kann offen­ sichtlich nicht Ulpian zugeschrieben werden, sondern gehört einer späteren Zeit an. Die meisten Forscher nehmen längere Entwicklungen an, mit Zäsuren etwa 438/440 und im späten 5. Jahrhundert.9 Diese These bleibt der Tendenz nach rich­ tig, bedarf aber der Differenzierung. Adolfo La Rocca und Fabrizio Oppedisano haben vereinfachende, auch schon von anderen Forschern mit Skepsis betrachtete Ansätze, die sich auf eine vordergründig simple Deutung der Digesteninterpola­ tion stützen, nachhaltig in Zweifel ziehen können. Nicht nur in Konstantinopel waren im 6. Jahrhundert auch weitere (hauptstädtische) clarissimi und spectabiles im Senat präsent. Auch der stadtrömische Senat war in gotischer Zeit heterogener, als es die kurz zuvor referierte These suggeriert.10 La Rocca und Oppedisano ­machen überzeugend folgende Gruppen aus: „a) clarissimi e spettabili di stirpe senatoria entrati in senato alla maggiore età; b) uomini nuovi di rango clarissimo e  7 Werner

Eck: Sozialstruktur des römischen Senatorenstandes und statistische Methode. In: ­ hiron 3 (1973), S. 375–394; Orlandi: Anfiteatri (wie Anm. 3), S. 549; Samuel J. B. Barnish: Trans­ C formation and Survival in the Western Senatorial Aristocracy, c. A. D. 400–700. In: Papers of the British School at Rome 56 (1988), S. 120–155, hier: S. 129 f.  8  Siehe beispielsweise Christoph Schäfer: Der weströmische Senat als Träger antiker Kontinuität unter den Ostgotenkönigen (490–540 n. Chr.). St. Katharinen 1991, S. 3 f.; Truesdell S. Brown: Gentlemen and Officers. Imperial Administration and Aristocratic Power in Byzantine Italy A. D. 554–800. London 1984, S. 26.  9  Siehe die Diskussion dieser Ansätze bei La Rocca/Oppedisano: Senato (wie Anm. 4) , S. 23–48. 10  Ebd., zu Konstantinopel: S. 23–54, zur Digestenstelle: S. 36  f. Vgl. auch André Chastagnol: Le sénat romain à l’époque impériale. Paris 1992, S. 359–361; Burgarella: Senato (wie Anm. 1), S. 151.

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spettabile inseriti dal sovrano attraverso la relatio in senatu; c) uomini nuovi di rango spettabile, entrati attraverso le poche cariche spettabili che davano ancora diritto all’accesso in senato; d) illustri di estrazione senatoria, entrati in senato come clarissimi e successivamente elevati a cariche illustri; e) uomini nuovi di ­rango illustre, entrati in senato direttamente attraverso le cariche illustri.“11 Schon die clarissimi und spectabiles, die an den Senatssitzungen partizipierten (a und b), treten uns kaum als Individuen entgegen.12 Wie sehr sie sich von den illustres in Rom (zum Teil ihren Eltern) oder, bei homines novi, anderen Trägern dieser Rangtitel, die keine Senatoren waren, unterschieden, ist hermeneutisch nicht zu klären. Neben ihnen gab es in Italien um 500 viele weitere spectabiles und ­clarissimi variabler sozialer Prägung, die in den Quellen ebenfalls deutlich hinter den illustres zurücktreten. Die schwächere Dokumentation sollte aber eben nicht vorab mit geringer Bedeutung etwa für den comitatus gleichgesetzt werden. Die­ sen Gruppen ist in diesem Beitrag ein eigener Abschnitt gewidmet, der einen ­Sockel für die weitere Untersuchung bildet. Aber auch die illustres sind sehr unterschiedlich in den Quellen abgebildet. Wir haben anteilig mehr Kenntnisse über die Konsuln als etwa über die Finanzcomites (soweit es nicht Schnittmengen gibt). Auch in diesem Fall dürfte die Quellenprivi­ legierung der angesehensten gesellschaftlichen Gruppen ein wichtiger Grund für diese Unwucht sein. Die prominenten Literaten Boethius und Cassiodor sind zu­ dem in jeder Studie fast notwendig überrepräsentiert, ihre Selektoren wiederum sind in gewisser Weise fast zwingend auch unsere. Schließlich weisen viele literari­ sche Quellen ein erhöhtes Interesse an der Stadt Rom auf. Ennodius’ Briefe sind stärker auf Norditalien fokussiert, behandeln jedoch stil- und zielbedingt primär das Wirken von wenigen hochgestellten Patronen, zum Teil auch mit Rombezug. Die Variae bleiben unsere beste Quelle für illustres in gotischer Zeit.13 Sie enthal­ ten jedoch vor allem Briefe, die aus der Zentrale (inklusive der Prätoriumspräfek­ tur) an die Außenwelt gerichtet wurden. Deutlich seltener finden sich in ihnen Belege für hofinternes Handeln.14 11 

La Rocca/Oppedisano: Senato (wie Anm. 4), S. 181. Zu der bekannten Ausnahme des Armentarius siehe Cassiodorus, Variae 3, 33; Andrea Giardi­ na/Giovanni Cecconi/Ignazio Tantillo (Hg.): Flavio Magno Aurelio Cassiodoro Senatore, Varie. Bd. 2. Rom 2014, S. 261–263. 13  Trotz oder auch wegen der Dichte an rezenten Studien zu den Varien werde ich an zwei klas­ sischen Thesen zu dieser problemgesättigten Schrift festhalten. Zum einen scheint mir die seit Mommsen gängige (Früh-)Datierung auch heute noch die überzeugendste: Theodor Mommsen (Hg.): Cassiodori Senatoris Variae (MGH AA 12). Berlin 1894, S. XXVII–XXXIX. Das feinere Datierungsraster von Stefan Krautschik: Cassiodor und die Politik seiner Zeit. Bonn 1983, ist in Einzelfällen hilfreich, grundsätzlich aber problematisch; vgl. Christina Kakridi: Cassiodors ­Variae. Literatur und Politik im ostgotischen Italien. München u. a. 2005, S. 234–239. Und auch wenn sich um die Variae viele Rätsel ranken, scheint es mir doch plausibel, dass die einzelnen berichteten Episoden, die Senatoren betreffen, zwar mit einer uns oft nicht klaren Agenda ausge­ wählt und aus bestimmter Perspektive dargelegt wurden, aber dennoch einen Bezug zu konkre­ tem Geschehen in der Zeit haben. 14  Gideon Maier: Amtsträger und Herrscher in der Romania Gothica. Vergleichende Untersuchun­ gen zu den Institutionen der ostgermanischen Völkerwanderungsreiche. Stuttgart 2005, S. 152. 12 

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Ungleichgewichtungen in der Überlieferung zu Untergruppen von illustres sind also vorab miteinzukalkulieren. Römische Häuser könnten dominieren. Nun ­bildeten nicht einmal diese sozial sehr ähnlich konstruierten Familien eine einheit­ liche Pressure-Group. Bekanntlich haben sich Mitglieder des Hauses der Decii in römischen Streitfragen durchaus unterschiedlich positioniert.15 Die Differenzen zwischen Decii betrafen allerdings primär tagespolitische Fragen. Hiervon zu scheiden sind langfristige Wert- und Normorientierungen unterschiedlicher ­Segmente der Senatorenschaft und des senatorischen Milieus, denen auch schon mehrere Studien gewidmet worden sind. Es ist das Erkenntnisinteresse dieses Bei­ trags, solche bestehenden Ansätze, interne Differenzierungen entlang langfristiger Überzeugungen auszumachen, mit einem neuen Raster zu komplementieren. Aus­ gangspunkt für einen Perspektivenwechsel wird eine Auffächerung der Machttypologie und -chancen im Italien der Theoderichzeit sein, wobei speziell der Zugang zu jenen Ressourcen, die für das gotische Königreich die entscheiden­ de Basis bildeten, in den Fokus treten wird.

Das senatorische Milieu Italiens In Italien hatten viele Mitglieder der erweiterten Oberschicht, die selbst keine ­Senatoren waren, das Anrecht, die (ehemals) senatorischen Rangtitel zweiter und dritter Ordnung zu führen. Ob sie Teil eines ordo senatorius waren, lässt sich nicht sicher klären.16 Ihre Rangtitel, einige Privilegien und – bei den administrativ Aktiven oder aus langem Dienst Ausgeschiedenen – auch ihre Aufgaben für die res publica verbanden sie mit der senatorischen Tradition, wobei dieses Band ver­ mutlich unterschiedlich stark ausgeprägt war. Zudem besaßen einige von ihnen die Chance, durch ein hohes Amt oder eine königlich initiierte relatio in den Senat zu gelangen. Sie lebten jedoch zumeist fern von Rom. Zu diesen Typen von ­spectabiles und clarissimi in gotischer Zeit stehen uns drei Zugangspfade (mit un­ terschiedlichem methodischen Substrat) zur Verfügung: die literarischen Quellen, Dokumente und komparative Ableitungen. Vor allem in Cassiodors Variae ist eine größere Zahl von Personen mit diesen Rangtiteln bezeugt, von denen die meisten aktive Funktionsträger sind. Inschriften nennen immer wieder einzelne Männer und Frauen dieses sozialen Status, oft auf Grabmonumenten. Papyri ge­ ben Einblicke in Handlungszusammenhänge vor allem (aber nicht nur) von clarissimi in Ravenna. Schließlich ermöglicht es die genetische und sachliche Ähnlich­ keit von Theoderichs comitatus mit dem kaiserlichen Vorläufer und dem oströmi­ schen Hof, mehr oder minder plausible Vermutungen über das Vorhandensein

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John Moorhead: The Decii under Theoderic. In: Historia 38 (1984), S. 107–115. Siehe etwa Philippe Lécrivain: Le sénat romain depuis Dioclétien à Rome et à Constantinople. Paris 1888, S. 217–229; Chastagnol: Sénat (wie Anm. 10), S. 359, mit der Kritik von La Rocca/ Oppedisano: Senato (wie Anm. 4), S. 49 f., S. 129 f. 16 

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und vielleicht sogar die Struktur kaum beziehungsweise gar nicht belegter admi­ nistrativer Corps in Italien anzustellen. M. Shane Bjornlie hat vor Kurzem die These vertreten, Theoderichs Administra­ tion sei erheblich kleiner als ihr östliches Pendant gewesen. Im Aggregat sind Bjornlies Annahmen wohl zutreffend (wenn auch die einzelnen Argumente oft problematisch sind).17 Konkrete Zahlen liegen uns nicht vor. Noch in der ver­ kleinerten (?) westlichen Zentraladministration muss eine signifikante Zahl von Funktionsträgern den Rangtitel spectabilis geführt haben. Diese Administratoren werden in den Variae auch immer wieder genannt, doch sind die entsprechenden Schreiben in der Regel stark einzelfallbezogen. Die einschlägigen formulae wiede­ rum scheinen die Spektabilität nicht systematisch abzubilden und geben das routi­ nemäßige Handeln solcher Funktionsträger wie stets in Cassiodors fassadenhafter Rhetorik wieder.18 Die formula für einen comes primi ordinis (6, 12) verweist auf die Spektabilität als Rang für Administratoren wie die consiliarii der Präfekten; gleiches gilt für die formula des magister scrinii (6, 13). Notarii und referendarii hatten unse­ rer Kenntnis nach ebenfalls spektablen Rang, der aber von den for­mulae (6, 13 so­ wie 6, 14) nicht expliziert wird. Insgesamt bleiben die Angaben spärlich. Bei einigen Funktionen müssen wir Rang und Aufgabengebiet gänzlich erschließen. Können wir mit den gerade besprochenen Mitteln und Wegen noch einigerma­ ßen verlässliche Aussagen über die Positionierung und die grundsätzlichen Auf­ gaben von spectabiles in der Administration machen, bleiben uns Wert- und Norm­ orientierungen sowie die Einflusschancen dieser Funktionsträger beinahe voll­ ständig verborgen. Steckte der comitatus für sie Sinnhorizonte ab und hatten sie einen Esprit de Corps? Konnten sie die politische Entscheidungsfindung beein­ flussen? Wie selbstständig konnten sie ihre Positionen wahrnehmen? Wie stark war bei unterschiedlichen Gruppen der Rombezug ausgebildet? Suchten alle Funktionsträger spektablen Rangs ausschließlich den persönlichen Aufstieg, um Senatoren mit Stimmrecht werden zu können? Wir können auf diese Fragen keine fundierten Antworten geben. Bei einigen in den Variae genannten spectabiles ­können wir nicht einmal mit Sicherheit sagen, ob sie als Amtsträger und, wenn ja, in welcher Funktion sie angeschrieben worden sind;19 gelegentlich wird deutlich, 17  M.

Shane Bjornlie: Governmental Administration. In: Arnold/Bjornlie/Sessa (Hg.): Compan­ ion (wie Anm. 1), S. 47–72, hier: S. 49–54. Vgl. auch das kleinere officium der afrikanischen Präfek­ tur unter Justinian: Codex Justinianus 1, 27, 1, 13 mit Roberto Morosi: L’officium del prefetto del pretorio nel VI secolo. In: Romanobarbarica 2 (1977), S. 104–148, hier: S. 106. 18  Siehe Andrea Giardina/Giovanni Cecconi/Ignazio Tantillo (Hg.): Flavio Magno Aurelio Cas­ siodoro Senatore, Varie. Bd. 3. Rom 2015, S. 265 zu Aporien. 19 Cassiodorus, Variae 1, 2 (?); 5; 19; 21; 22; 25; 36; 38; 2, 12 (?); 2, 21; 23; 35; 3, 13 (Giardina/ Cecconi/Tantillo [Hg.]: Cassiodoro [wie Anm. 12], Bd. 2, S. 223); 3, 15 (ebd., S. 229; Bd. 3 [wie Anm. 18], S. 266); 3, 52; 4, 15; 20 (Giardina/Cecconi/Tantillo [Hg.]: Cassiodoro [wie Anm. 12], Bd. 2, S. 341); 4, 27 (PCBE II, S. 1738f.); 28 (Giardina/Cecconi/Tantillo [Hg.]: Cassiodoro [wie Anm. 12], Bd. 2, S. 355); 38 (?; vgl. ebd., S. 373–375); 41; 46 (und vgl. 4, 2 mit Giardina/Cecconi/ Tantillo [Hg.]: Cassiodoro [wie Anm. 12], Bd. 2, S. 386); 5, 25 (Giardina/Cecconi/Tantillo [Hg.]: Cassiodoro, Bd. 2 [wie Anm. 12], S. 443; Bd. 3 [wie Anm. 18], S. 266); 30; 35 und 39 (Alessandro Mancinelli: Sul centralismo amministrativo di Teodorico. Il governo della Spagna in età ostrogota. In: Atti dell’Accademia Romanistica, Costantiniana 13 [2001], S. 217–263); 36 (Nicoletta Fran­

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dass entweder Privatangelegenheiten verhandelt werden oder die genannten spectabiles nicht mehr aktive Verwalter oder vom König nur ehrenhalber mit diesem Rang ausgezeichnete Personen sein müssen.20 Die Mehrzahl der bei Cassiodor bezeugten spectabiles sind Statthalter (mit ent­ sprechendem Rang) in einer der italischen Provinzen (oder auch außerhalb). Die Gouverneure hatten sicher politischen Ermessensspielraum21 und waren in die Steuererhebung involviert. Aber sie unterlagen auch mehreren Kontrollmechanis­ men. Auch sind uns nicht genügend längere Karrieren von Statthaltern bekannt, um deren relative Positionierung in der Administration exakt bestimmen zu ­können. Andere Ämter werden seltener klar bezeichnet; aus ihnen ragen die spek­ tablen Funktionen in Rom hervor, besonders jene mit Sitz und Stimmrecht im ­Senat.22 Über die spectabiles an den Schaltstellen im comitatus wissen wir deutlich weniger. Ihr Handeln, ihre Normen und Einflusschancen können wir kaum je dicht beschreiben. Zwar handelt es sich vermutlich oft um die gleichen Personen, die auch Gouverneure wurden, doch können wir die erhaltenen personenbezo­ genen Daten nicht zu einem dichteren Informationsnetz verweben. Immerhin scheint es eine plausible Vermutung zu sein, dass solche Funktionsträger der zweiten Reihe das Substrat zu Cassiodors zahlreichen Aussagen zum Dienst an der res publica als höchstem Wert bildeten.23 Ein einschlägiges Beispiel bietet der covich Onesti: I nomi degli Ostrogoti. Florenz 2007, S. 89); 8, 29–30; 12, 5 (doch siehe die Dis­ kussion in Andrea Giardina/Giovanni Cecconi/Ignazio Tantillo [Hg.]: Flavio Magno Aurelio Cassiodoro Senatore, Varie. Bd. 5. Rom 2015, S. 248: Statthalter oder Grundbesitzer?). 20 Cassiodorus, Variae 1, 39; 2, 10–11 (mit Giardina/Cecconi/Tantillo [Hg.]: Cassiodoro [wie Anm. 18], Bd. 3, S. 265 f.); 2, 21; 4, 6 (Giardina/Cecconi/Tantillo [Hg.]: Cassiodoro [wie Anm. 12], Bd. 2, S. 320). Siehe auch die spectabilis femina 2, 10. 21 Besonders groß scheint dieser Spielraum bei dem gallischen vicarius Gemellus gewesen zu sein: Cassiodorus, Variae 3, 17; 18; 32; 41; 4, 12; 18; 21; vgl. 4, 46. Die Situation in der Provence ist aber vermutlich nicht mit der Italiens vergleichbar. Zu Gemellus siehe Christine Delaplace: La provence sous la domination ostrogothique (508–536). In: Annales du Midi 115 (2003), S. 479– 499, hier: S. 481–483. Er hatte bereits eine längere Laufbahn hinter sich, aber wir wissen nicht, ob er noch befördert worden ist. Zu den außeritalischen duces und comites siehe Jonathan J. Arnold: Ostrogothic Provinces. Administration and Ideology. In: ders./Bjornlie/Sessa (Hg.): Companion (wie Anm. 1), S. 73–97. 22 Cassiodorus, Variae 1, 22 (advocatus fisci); 2, 28 (comes primi ordinis; ehemaliger princeps); 2, 29 (comes); 3, 8 (corrector Lucaniae et Bruttiorum mit Giardina/Cecconi/Tantillo [Hg.]: Cassio­ doro [wie Anm. 12], Bd. 2, S. 214 f.); 3, 27 (consularis Campaniae , ebd. S. 246–248); 3, 30 (illustris sublimitas tua specta­bilem virum Iohannem nos direxisse cognoscat propter splendidas Romanae cloacas civitatis); 3, 46 (Lucaniae at Bruttiorum praesul); 4, 10 (consularis Campaniae); 4, 18 ­(Comes); 4, 27; 28 (Comes); 5, 21; 22 (zum rector decuriarum: La Rocca/Oppedisano: Senato [wie Anm. 4], S. 141–143); 6, 12 (comes primi ordinis); 7, 5 (cura palatii); 8, 25 (referendarius); 8, 31-33 (wohl corrector Lucaniae et Bruttiorum); 9, 11-12 (ad Victorem et Vitigisclum spectabiles viros Siciliae provinciae censitores); 11, 18 und 22 (tribuni et notarii mit Giardina/Cecconi/Tantillo [Hg.]: Cassiodoro [wie Anm. 19], Bd. 5, S. 213); 12, 8 (consularis provinciae Liguriae); Sitz und Stimm­ recht: La Rocca/Oppedisano: Senato (wie Anm. 4), S. 87–89: comes primi ordinis, vicarius urbis, primicerius notariorum sowie der rector decuriarum (ebd., S. 89 f.). 23  M. Shane Bjornlie: Politics and Tradition between Rome, Ravenna and Constantinople. A Study of Cassiodorus and the Variae, 527–554. Cambridge 2013, S. 48, S. 133. Siehe schon Theodor Mommsen: Ostgothische Studien. In: Gesammelte Schriften 6. Historische Schriften. Hg. von Otto Hirschfeld u. a. Berlin 1910, S. 362–484, hier: S. 404.

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Brief an den im Dienst aufsteigenden Stephanus (2, 28, 3). Die formula für die ­comitiva primi ordinis (6, 12) setzt allerdings den illustren Rang als Referenzrah­ men für spectabiles, sodass Ämter des unteren Rangs als reine Durchlaufstation erscheinen. Doch bei dem bereits hoch positionierten comes primi ordinis mag dieser Gedanke auch näher gelegen haben. Die Briefe des Ennodius können – wenn auch aus anderen Gründen – dieser Problematik nicht abhelfen: Sein Hauptaugenmerk galt seinem Status als Patro­ nagemakler bei den herausragenden und das heißt illustren Teilhabern an den Ent­ scheidungsfindungen des comitatus.24 Betrachten wir im Anschluss kurz die inschriftlich dokumentierten spectabiles aus Italien. Die Masse der Zeugnisse bilden Grabinschriften, deren dürre Worte nur wenige sozialgeschichtlich relevante Informationen bieten und die zudem oft schwer datierbar sind.25 Viele der Zeugnisse deuten unbefangen gelesen eher auf 24  Ennodius

bietet zwar immer wieder detailreiche, allerdings evident auch ge- oder überformte Einblicke in die Lebenswelt einzelner Briefpartner. Für die häufig angeschriebenen illustres (neben Faustus niger etwa Eusebius, Olybrius, Constantius, aber auch weniger prominente ­ ­Personen wie Pamphronius, dessen Aufstieg Ennodius nachvollziehen lässt: Ennodius, Epistulae 2, 16; 4, 14; 16; 5, 16; 7, 2; 9, 13; PLRE II Pamphronius, S. 825) lassen sich denn auch politischadministrative Aufgaben, Rollen und Rollenerwartungen mehr oder minder gut aus den Briefen rekonstruieren. Doch bereitet der linguae murex der Zeit, den Ennodius widerspiegelt, schon in diesen Fällen erhebliche Probleme: Stéphan Gioanni: La langue de „pourpre“ et la rhétorique administrative dans les royaumes ostrogothique, burgonde et franc (VIe–VIIIe siècles). In: Fran­ çois Bougard/Régine Le Jan/Rosamond McKitterick (Hg.): La culture du Haut Moyen Âge. Une question des élites? Turnhout 2009, S. 13–38, hier: S. 21 f. Bei nur selten oder einmal angeschriebe­ nen illustres wird die Einordnung schwieriger, zu starr ist in vielen Schreiben das von Ennodius unterlegte Korsett aus literarischen Formeln zu den Themen Christentum, Bildung und brieflich vermitteltem Gabentausch (vgl. etwa Ennodius, Epistulae 2, 3, 2 oder 3, 1, 3; 9, 8 [?] mit PCBE II, Victor 10, S. 2276; 3, 9; 23 mit PLRE II Marcellianus S. 707; 3, 21; 4, 6); doch siehe beispielsweise den Prozess vor dem Comes Sacrarum Largitionum Epistulae 3, 23; 4, 2; cf. 8, 23: Der Prätoria­ nerpräfekt delegiert eine Causa an einen vicarius – Italiae?). Diese Beschränkungen wirken sich auf eine Analyse der spectabiles und clarissimi noch gravierender aus. Spectabiles werden öfter erwähnt, aber weder der gesellschaftliche Status noch die politische Rolle des Einzelnen, ge­ schweige denn der jeweiligen Primärgruppen lassen sich mit der notwendigen Plausibilität re­ konstruieren. Siehe beispielsweise Ennodius, Epistulae 4, 9, vermutlich zu sehen mit Cassiodorus, Variae 3, 8; 46; zu dem nicht klar zu verortenden Maximus (PLRE II Maximus 16, S. 747): 7, 20; 21; 23; 8, 10; 11; Ennodius, Carmina 1, 4; vgl. noch Epistulae 8, 23. Zu dem oft erwähnten Deute­ rius vir spectabilis siehe Samuel J. B. Barnish: Liberty and Advocacy in Ennodius of Pavia. Hom­ mages a Carl Deroux V. Christianisme et Moyen Age, Néo-latin et survivance de la latinité. Brüs­ sel 2003, S. 20–28; Clarissimat: Ennodius, Epistulae 1, 20, 6; 4, 25; 26 zu dem vir clarissimus Bas­ sus; ein Arator wird Ennodius, Dictiones 18 als vir clarissimus angesprochen. Oft bleibt Ennodius’ Terminologie aber unscharf. Kleinere Namensabweichungen in den Manuskripten im Vergleich mit Cassiodor bewirken zudem, dass wir bisweilen offen lassen müssen, ob Personen mehrfach belegt sind: Vgl. beispielsweise Ennodius, Epistulae 1, 26, 2; Cassiodorus, Variae 1, 22. Es würde den Rahmen sprengen, auf die diversen tatsächlichen oder möglichen Umschreibungen der Rang­ prädikate wie claritudo etc. einzugehen. Vir sublimis kann, muss aber keine Variante von vir ­spectabilis sein: Siehe etwa Ennodius, Epistulae 7, 18; La Rocca/Oppedisano: Senato (wie Anm. 4), S. 99 f. zur Forschungsgeschichte. 25  Vgl. zum Beispiel CIL IX 1378 = ILCV 248; CIL IX 1383 = ILCV 3185d = Supplementa Ita­ lica 29, p. 151; AE 1991, 431; CIL X 4859; AE 1975, 138; siehe den Beitrag von Christian Witschel in diesem Band.

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lokal mächtige Familien als auf einen Hof- oder gar einen Rombezug hin. Die Spektabilität wurde nicht vererbt, konnte aber wohl ehrenhalber verliehen wer­ den. Zudem muss mit der missbräuchlichen Verwendung von Rangtiteln gerech­ net werden.26 Ohnedies darf man diese Inschriften sicher nicht mit Interpreta­ tionsversuchen überfrachten. Eingesprengte Geschichten aus Gregors Dialogen, die von lokal einflussreichen Personen erzählen, bieten einen Einblick, wie soziale Prominenzrollen fünfzig Jahre nach dem Ende der Gotenherrschaft gedeutet oder kolportiert wurden; methodisch absichern lässt sich der Vergleich zwischen der Zeit Gregors und der des Theoderich allerdings nicht.27 Vornehme Reiche schei­ nen in Gregors Darstellung kaum Traditionsorientierung aufzuweisen, doch blen­ det der Bischof in den Dialogen und generell in seinem Rombild weltliche Macht­ faktoren oft einfach aus.28 Ob dieser Darstellungsmodus sich aus dem weitgehen­ den Zusammenbruch nichtkirchlicher ziviler Strukturen im römischen Umland ergab oder ob sich in ihm Gregors Vorstellung und Wille abbilden, muss letztlich unklar bleiben. Die Frage nach der Kontinuität der römischen Elite zwischen den dreißiger Jahren und dem byzantinischen Italien ist zurzeit höchstens ansatzweise zu beantworten. Weitaus größer muss die Zahl der Funktionsträger gewesen sein, die den Claris­ simat führen durften. Aufgrund der schon angesprochenen „Informationssie­ bung“ sind die Träger dieses Rangtitels in den Variae jedoch noch deutlicher un­ terrepräsentiert. Auch bei den verzeichneten clarissimi bleibt gelegentlich unklar, in welcher Funktion sie genannt werden; mehrfach finden Söhne römischer Sena­ toren Erwähnung.29 Aber die Variae geben doch auch Hinweise auf Funktionsträ­ ger der mittleren und unteren Ebene mit diesem Rangprädikat. Öfter genannt werden arcarii und cancellarii aus dem Stab des Prätoriumspräfekten. Nach die­ sem Befund zu schließen, war der Clarissimat weit verbreitet. Allerdings führen einige cancellarii das Prädikat, andere nicht, sei es, dass dies dem Zufall geschuldet ist, sei es, dass es inneradministrative Gründe für diese Varianz gab, was weniger wahrscheinlich ist.30 Ein spezieller Rombezug oder andere Wertorientierungen 26 

Giardina/Cecconi/Tantillo (Hg.): Cassiodoro (wie Anm. 18), Bd. 3, S. 265. Magnus, Dialogi 1, 9; 3, 16; 4, 37; 40; 54. Auffällig ist allerdings, wie oft Senatoren aus der Gotenzeit, genannt werden: 2, 3; 35 (Liberius); 3, 16 (Armentarius); 4, 13; 30 (Symma­ chus); 31 (Reparatus). Dies ergibt sich allerdings zum Teil aus Gregors über Gewährsleute kon­ struierten Zeithorizont. Zu möglichen in italischen Städten lebenden Aristokraten in den Briefen siehe Brown: Gentlemen (wie Anm. 8), S. 403–405. 28  Sofia Boesch Gajano: Dislevelli culturali e mediazioni ecclesiastiche nei Dialogi di Gregorio Magno. In: Quaderni di Studi 41 (1979), S. 398–415. Besser ist die Dokumentation von senatori­ schen Familien auf dem vom Krieg verschonten Sizilien; Roberta Rizzo: Papa Gregorio Magno e la nobiltà in Sicilia. Palermo 2008. 29 Cassiodorus,Variae 1, 7; 2, 10; 3, 25; 26 (Giardina/Cecconi/Tantillo [Hg.]: Cassiodoro [wie Anm. 12], Bd. 2, S. 245); 5, 6 (doch siehe ebd., S. 416); 12. Zu 3, 33 (Armentarius) vgl. ebd., Bd. 2, S. 261–263; zu 4, 42; 5, 12; La Rocca/Oppedisano: Senato (wie Anm. 4), S. 99–110. 30 Cassiodorus, Variae 5, 7 (mit Giardina/Cecconi/Tantillo [Hg.]: Cassiodoro [wie Anm. 12], Bd. 2, S. 616); 12, 8; 20 (arcarius) und vgl. Giardina/Cecconi/Tantillo (Hg.): Cassiodoro (wie Anm. 19), Bd. 5, S. 278; 5, 31: Thomas (vir clarissimus intra Apuliam Calabriamque provincias de siliquatici titulo indictionum octavae nonae undecimae primae secundae et quintae decimae); 11, 10; 37; 39; 27  Gregorius

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lassen sich keinem der von Cassiodor aufgenommenen Schreiben entnehmen; an­ gesichts der erhaltenen Textsorten war dies aber auch nicht anders zu erwarten. Der Präfekt suchte die Dienstaufgaben einzuschärfen und Fehlverhalten zu sank­ tionieren. Die Variae bieten in dieser Hinsicht wenig Überraschendes.31 Auch clarissimi sind inschriftlich in italischen Städten bezeugt; die Probleme der Interpretation sind die gleichen wie bei den spectabiles, doch bildet sich das erwartbare Spektrum ab.32 Die Aufmerksamkeit der Forschung hat aber eher der Clarissimat in den lateinischen Papyri der Zeit auf sich gezogen, die sich zu einem erheblichen Teil auf Ravenna beziehungsweise Classe beziehen. Ravenna war seit 402 zwar nicht die einzige, aber doch die bedeutendste Residenz der jeweiligen Zentralgewalt, und auch die Gemeinde hatte von dieser Entwicklung profitiert.33 Die typischen Stadtmagistrate führen nach dem Zeugnis der Papyri jedoch kaum den Clarissimat.34 Mehrfach begegnen jene Funktionsträger aus dem administra­ tiven Umfeld, die das Substrat der Zentralverwaltung gebildet haben (müssen), wenn auch meist erst aus „byzantinischer“ Zeit, etwa v.c. cancellarii, vermutlich ein v.c. praepositus cursorum dominicorum, ein v.c. silentiarius, ein v.c. notarius sacri vestiarii domini nostri, ein v.c. scholaris oder, mit niedrigeren Rangprädika­ ten, ein strator inlustris potestatis, praefectiani oder scriniarii.35 Die Papyri bezeu­ gen zugleich, dass die ehemals exklusive senatorische Ehrenbezeichnung sozial diffundierte. Scheint der Clarissimat im 5. Jahrhundert (außerhalb von Konsul­ datierungen) noch zumindest auf das weitere senatorische Umfeld zu verweisen, führten später auch Personen aus anderen Milieus diese Auszeichnung. Berühmt ist etwa das Testament des Georgius aus dem Jahr 552, in dem auch gunnarii und proemptores als clarissimi erscheinen.36 Edward McCormick Schoolman hat sol­ che Gruppen glücklich als (wenn überhaupt) „pseudo-senatorial elites“ bezeich­ net und als lokale Machtnetzwerke identifiziert.37 Dass lokale Netzwerke dieses Typs sich in den Papyri besonders deutlich abbilden, überrascht angesichts des Quellenkontextes nicht: Die Papyri bieten oft Auszüge aus gesta municipalia. Die 12, 3; 15 (cancellarius vir clarissimus); aber in 11, 6; 14; 12, 1; 10; 14 nicht vir clarissimus (vgl. zu diesen Stellen und der Unterscheidung zwischen den diversen Typen von cancellarii, die aber hier nicht für die Differenzierung bei den Rangprädikaten verantwortlich sein dürfte, Giardina/Cec­ coni/Tantillo [Hg.]: Cassiodoro [wie Anm. 19], Bd. 5, S. 239, S. 241, S. 174); 12, 11 (erogator opsoniorum). 31  Vgl. Roberto Morosi: Cancellarii in Cassiodoro e in Giovanni Lido. In: Romanobarbarica 3 (1978), S. 127–157. 32  Siehe zum Beispiel Supplementa Italica 10, 1992, S. 271  f. Nr. 38 = AE 1992, 6; CIL X 4500; 4502 = ILCV 140; CIL IX 1378 = ILCV 248; AE 1957, 43. 33  Charles Piétri: Les aristocraties de Ravenne (Ve–VIe s.). In: Studi Romagnoli 34 (1983), S. 643– 673; Andrew Gillet: Rome, Ravenna, and the Last Western Emperors. In: Papers of the British School at Rome 69 (2001), S. 131–167. 34  Nur fünf Amtsträger mit dem Clarissimat sind verzeichnet; Frank M. Ausbüttel: Die Curialen und Stadtmagistrate Ravennas im späten 5. und 6. Jh. In: ZPE 67 (1987), S. 207–214. 35  P. Ital. I. 6, 7; 37; 8, III 7; 18, 41; 66; 30, 108; 113; 31 I 16; II 4; 7; 33, 7. 36  P. Ital. I. 4–5; Brown: Gentlemen (wie Anm. 8), S. 61  f. 37  Edward McCormick Schoolman: Local Networks and Witness Subscriptions in Early Medie­ val Ravenna. In: Viator 44 (2013), S. 21–42, hier: S. 23.

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mit dem Clarissimat bezeichneten Personen werden in der Regel als Zeugen oder in ähnlicher Funktion erwähnt. Auch die meisten spectabiles, die in den Papyri genannt sind, erscheinen in privatrechtlichem Kontext.38 Darüber, wie groß der Einfluss der in Ravenna tätigen Funktionsträger unteren und mittleren Rangs auf die Zentralregierung war, geben diese Texte keine Auskunft. Auch das Verhältnis, in dem lokal einflussreiche Personen mit dem Clarissimat zu den in den Papyri genannten, bei Cassiodor bezeugten oder erschließbaren clarissimi in der könig­ lichen Administration gestanden haben, bleibt unklar. Hat die zuletzt erwähnte Gruppe, wenn ein weiterer Aufstieg in der Verwaltung nicht mehr möglich war, ihren im Dienst für den König und die res publica erworbenen Status genutzt, um sich in Ravenna oder in anderen Städten eine neue Stellung aufzubauen und da­ durch auch neue Einkünfte zu erschließen? Die Vermutung ist ansprechend; harte Belege fehlen jedoch. Der knappe Überblick über die spectabiles und clarissimi der Zeit bietet eine wichtige Basis für den Versuch der Ausdifferenzierung einer senatorischen Macht­ typologie unter Theoderich. Die je spezifischen Befunde bleiben jedoch isoliert und sind für sich genommen nicht reichhaltig genug, um einer solchen Studie Anhalts­punkte zu bieten. Mit Aussicht auf Erfolg kann die Analyse von Machtre­ lationen nur unter Einbeziehung der illustres durchgeführt werden. Dabei wird die folgende Untersuchung die Scheidung zwischen illustres und spectabiles über­ greifen: Von mehreren illustren Amtsträgern wissen wir, dass sie zuvor schon Po­ sitionen unterhalb dieser Stufe bekleidet hatten. Doch kennen wir nicht genügend Karrieren, um nur ansatzweise „Beförderungskriterien“ erschließen zu können.

Illustres und illustre Ämter Dass Senatoren illustren Rangs unter Theoderich zu großer Prominenz gelangen konnten, wird in allen Darstellungen der Zeit hervorgehoben. In Überblickswer­ ken oder Arbeiten mit einem anderen thematischen Schwerpunkt geschieht dies oft eher pauschal. Aber immer wieder wurde in der Vergangenheit auch mit vari­ ablen methodischen Zugriffen gezeigt, dass auch diese innere senatorische Elite nach unseren Quellen und plausiblen sozialgeschichtlichen Vermutungen keine homogene Gruppe bildete und dass die Unterschiede zwischen ­illustres sich nicht in dem jeweils voraussetzbaren Interesse am eigenen Erfolg erschöpften. Beson­ ders das Engagement von Senatoren während des Schismas der römischen Kirche und der Boethiusprozess boten sich als Ansatzpunkte für ­Analysen an, die kon­ kurrierende Netzwerke herausarbeiten wollten. Diese beiden heraus­ ragenden ­historischen Geschehnisse werden im Folgenden ausgeklammert werden, da sie einerseits schon sehr intensiv erforscht worden sind und andererseits die hier in den Blick gerückten stetigen Orientierungen und langfristigen Einflusschancen nicht von einem oder mehreren fanalartigen Ereignissen her erforscht werden kön­ 38 

Zu den spectabiles: P. Ital. I. 7, 97; 13, 65; 76; siehe auch den clarissimus puer P. Ital. I. 7, 66.

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nen. Die apologetischen und auch eher allgemein gehaltenen Erklärungen des ­Boethius, auf welche Motivlagen sich die Anklage gegen ihn gestützt habe, sind in der Vergangenheit immer wieder auch vor dem Hintergrund je aktueller Erfah­ rungen diskutiert worden; sie bilden für sich genommen aber kein stabiles Fun­ dament für eine sozialgeschichtliche Untersuchung. Die spätere Verklärung von Symmachus und Boethius hüllt ihren Tod zusätzlich in Obskurität.39 Als ein noch feiner gesponnenes Gewebe haben sich die Deutungen der Verhaltensmuster der ­Senatoren in und nach der römischen Doppelwahl von 498 erwiesen. Trotz sorg­ fältiger prosopographischer Behandlungen ist die Forschung bei der Klärung der Motive der sich engagierenden Senatoren nur wenig über die pauschalen Aus­ sagen in den Quellen hinausgelangt.40 Die senatorischen Häuser Roms hatten bei ihrem Versuch, das Bistum der Stadt als eine innere Angelegenheit zu behandeln, sicher auch materielle Interessen im Sinn, doch waren individuelle religiöse Über­ zeugungen in ihre Handlungen eingekreuzt, die sich mit sozialgeschichtlichen Diagnose­instrumenten kaum erfolgversprechend analysieren lassen. Die folgende Untersuchung hat wie angesprochen ein soziologisches, vom spektakulären Einzelfall abstrahierendes Erkenntnisinteresse. Auch solche An­ sätze sind seit Johannes Sundwalls Grundlagenarbeit41 schon mehrfach verfolgt worden; mehrere Vorschläge, mithilfe welcher Raster sinnvoll zwischen den Sena­ toren differenziert werden könne, liegen vor, von denen zunächst die klareren noch einmal als Folie entfaltet werden sollen, auf der sich die Resultate der fol­ genden knappen Analyse besser abheben können. Christoph Schäfer hatte in seiner Studie der Senatoren in gotischer Zeit speziell zwischen stadtrömischen und norditalischen, oft sozial erst aufsteigenden Senato­ ren unterschieden. Solche novi hatte auch John Moorhead etwa zeitgleich den al­ ten Familien gegenübergestellt und sie in seiner klarsten Formulierung als „Appa­ ratschiks“ bezeichnet. Als Untersuchungssample unterlegte er (wie implizit auch Schäfer) die westlichen Konsuln und, bereits in geringerem Maße, die Stadtprä­ fekten.42 Im Übrigen teilt auch Moorhead die Annahme, dass Stadtrömer und Norditaliker Pole des senatorischen Spektrums mit gewissen Abstoßungstenden­ zen bildeten. Beide Forscher operieren offenbar mit einem homogenen, also ­wenig differenzierten Konzept soziopolitischer Macht. Schäfers und Moorheads 39  Siehe vor allem Boethius, Consolatio philosophiae 1, 4, 10; 12; 13; 20–23; 31  f.; Andreas Goltz: Barbar – König – Tyrann. Das Bild Theoderichs des Großen in der Überlieferung des 5. bis 9. Jahr­ hunderts. Berlin 2008, S. 355–400. 40 Siehe Schäfer: Senat (wie Anm. 8), S. 212–239; John Moorhead: Theoderic in Italy. Oxford 1992, S. 114–139; Eckhard Wirbelauer: Zwei Päpste in Rom. Der Konflikt zwischen Laurentius und Symmachus (498–514). München 1993, S. 57–65. Nachträge finden sich etwa bei Rita Lizzi Testa: Bishops, Ecclesiastical Institutions and the Ostrogothic Regime. In: Arnold/Bjornlie/Sessa (Hg.): Companion (wie Anm. 1), S. 451–479, hier: S. 461–463; Jan-Markus Kötter: Zwischen ­Kaisern und Aposteln. Das Akakianische Schisma (484–519) als kirchlicher Ordnungskonflikt der Spätantike. Stuttgart 2013, S. 114–122. 41  Johannes Sundwall: Abhandlungen zur Geschichte des ausgehenden Römertums. Helsinki 1919. 42  Schäfer: Senat (wie Anm. 8); Moorhead: Theoderic (wie Anm. 40), S. 155. Siehe schon Cracco Ruggini: Nobiltà (wie Anm. 3), S. 131.

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Studien bilden auch weiterhin die Grundlage der Beschäftigung mit den Senatoren der Zeit. Es gibt jedoch auch abweichende Entwürfe: Christina Kakridi etwa ­arbeitete in ihrer Cassiodor-Analyse vor allem Spannungslinien zwischen militär­ nahen und militärfernen Mitgliedern der Elite heraus. Shane Bjornlie hat in einer konstantinopolitanischen Lesart der Variae einen Dauerkonflikt zwischen Büro­ kraten und Adligen ausgemacht, in dessen Zentrum die Familie der Anicier und Cassiodor (sowie in gewisser Weise: Justinian) gestanden haben sollen.43 Bjornlie spitzt damit einen älteren Beitrag von John Matthews zu, der sehr viel punktueller und konturierter dem Prozess gegen Boethius einen ähnlichen Streit zugrunde legte.44 Andere Forscher führen Hinweise auf Partikularinteressen nicht auf unter­ schiedliche Normorientierungen zurück, sondern sehen rein persönliche Motive, also Karrierewünsche und -barrieren, als Antriebskräfte hinter den in den Quellen begegnenden Rivalitäten. Besondere Bedeutung könnten solche Konflik­ te nach dem Tod Eutharichs gewonnen haben.45 Politisch aktive Senatoren moch­ ten schlicht gezwungen gewesen sein, sich zu positionieren, und hätten beispiels­ weise gegen Theoderichs Entscheidungen einen anderen Nachfolger wie Theoda­ had favorisieren können, der ihnen aufgrund eines ähnlichen Lebensstils als die bessere Wahl erscheinen mochte – oder bessere Einflusschancen versprach.46 Ziel der folgenden Analyse wird es sein, die zitierten ausführlichen Studien um zusätzliche Befunde zu ergänzen, indem ein anderes Personensample in den Lichtkegel der Untersuchung gerückt wird. John Moorhead, aber auch viele ande­ re haben implizit oder in seiner Folge bei der Suche nach aussagekräftigen Quel­ lenkomplexen bei den gut dokumentierten Konsulaten und Stadtpräfekturen an­ gesetzt, bei Ämtern also, auf die die Rangordnung des Senats in der Tat auch aus­ gerichtet war. Daneben sind auch die magistri officiorum als herausragende Funktionsträger der Zeit angesprochen worden. Andrea Giardina hat in seinem Beitrag zum „politischen Cassiodor“ der Tendenz nach zustimmend die Position dieses Autors herausgearbeitet, dass die Quästur das Herzstück des romano-goti­ schen Herrschaftsapparates gebildet hätte.47 Für diese Herangehensweisen und Thesen lassen sich jeweils gute Argumente anführen. Sie sparen jedoch einen ent­ scheidenden Aspekt von Theoderichs Herrschaft weitgehend aus. Die heißen Kerne administrativer Organisationen bilden nach einer starken, meines Erach­ tens überzeugenden Forschungsposition die untereinander eng korrelierten Ak­ 43 Kakridi:

Variae (wie Anm. 13), S. 242–245, in Anlehnung an Procopius, Bella 5, 2, 17; Bjornlie: Politics (wie Anm. 23). 44  John Matthews: Anicius Manlius Severinus Boethius. In: Margaret T. Gibson (Hg.): Boethius. His Life, Work and Influence. Oxford 1981, S. 17–43. 45  Radtki: Senate (wie Anm. 1), S. 139  f.; La Rocca/Oppedisano: Senato (wie Anm. 4). 46  Die Quellen tragen diese Position allerdings nur bedingt. Zu möglichen Hintergründen vgl. Massimiliano Vitiello: Theodahad. A Platonic King at the Collapse of the Ostrogothic Empire. Toronto/Buffalo/London 2015, S. 41–44. 47  Andrea Giardina: Cassiodoro politico. Rom 2006, S. 33  f.; siehe schon Mommsen: Studien (wie Anm. 23), S. 387–394; Maria Goretti Castello: Evoluzione e funzioni del magister officiorum. In: Giorgio Bonamente/Rita Lizzi Testa (Hg.): Istiuzioni, carismi ed esercizio del potere (IV–VI ­secolo d. C.). Bari 2010, S. 99–116.

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tivitäten der Hebung, Kontrolle und Distribution der wichtigsten benötigten ­Ressourcen, oft die Finanzen.48 Für den von Theoderich kontrollierten adminis­ trativen Apparat gilt dies aber nicht nur aus einer grundsätzlichen Überlegung heraus, sondern gerade auch aufgrund der spezifischen historischen Situation, in der die gotische Herrschaft entstand und sich konsolidierte. Hans-Ulrich Wiemer hat Theoderichs Heer überzeugend als „Gewaltgemeinschaft“ gedeutet, die nach dem Sieg über Odoaker und seine wahrscheinlich noch stärker in imperial-römi­ scher Tradition stehenden Truppen als neue Elite hatte „domestiziert“ werden müssen.49 Diesem Ziel standen viele Hindernisse im Weg, vor allem aber musste der Übergang von einer mobilen Gewaltgemeinschaft zu einer auch landsässigen Kriegerelite finanziell abgesichert werden.50 Die Frage nach der Versorgung von Theoderichs Soldaten ist notorisch dornig. Die meines Erachtens unbestreitbare Zuweisung von Land hat die finanziellen Hürden für eine Verstetigung der militä­ risch gewonnenen Herrschaft sicher gesenkt, aber nicht einfach eingeebnet. Auch weiterhin fielen stetig hohe Kosten an,51 besonders, aber nicht allein, für die Unter­stützung von Truppen auf Kampagnen, die Bevorratung von Garnisonen, Donativvergaben und militärische Nutzbauten.52 Die unleugbare Bedeutung der Finanzadministration für Theoderichs Erfolg sollte daher auch bei der Auswahl von Personensamplen für prosopographische Studien der illustren Amtsträger ­berücksichtigt werden.

Ein Zwischenproöm: Machttypen im gotischen Italien Die Konstruktion der soziopolitischen Elite des Imperiums und ihrer variablen Führungszirkel hatte in spätrömischer Zeit eine kontinuierliche Veränderung er­ fahren. Die Wahrnehmung und Darstellung des nobilitas-Konzepts hatten sich merklich gewandelt, die Zurschaustellung von zeittypischer Bildung und Rezi­ prozitätspflege gegenüber der Hohen Kaiserzeit deutlich an Bedeutung gewon­ nen.53 Christentum und Aristokratie gingen bei unterschiedlichen Kontingentie­ 48  Siehe speziell Peter Eich: Zur Metamorphose des politischen Systems in der römischen Kaiser­ zeit. Die Entstehung einer „personalen Bürokratie“ im langen dritten Jahrhundert. Berlin 2005, S. 36–40. 49  Hans-Ulrich Wiemer: Theoderich und seine Goten. Aufstieg und Niedergang einer Gewalt­ gemeinschaft. In: Winfried Speitkamp (Hg.): Gewaltgemeinschaften. Von der Spätantike bis ins 20. Jahrhundert. Göttingen 2013, S. 15–38; ders.: Die Goten in Italien. Wandlungen und Zerfall einer Gewaltgemeinschaft. In: HZ 296 (2013), S. 593–628 (Zitat: S. 601). 50 Hans-Ulrich Wiemer: Odovakar und Theoderich. Herrschaftskonzepte nach dem Ende des Kaisertums im Westen. In: Mischa Meier/Steffen Patzold (Hg.): Chlodwigs Welt. Organisation von Herrschaft um 500. Stuttgart 2014, S. 293–338, hier: S. 303 f. 51 Beispielsweise mussten auch die angesiedelten Goten Steuern zahlen: Pierfrancesco Porena: L’insediamento degli Ostrogoti in Italia. Rom 2012, S. 183–227. 52  Vgl. etwa Guy Halsall: The Ostrogothic Military. In: Arnold/Bjornlie/Sessa (Hg.): Compan­ ion (wie Anm. 1), S. 173–199, hier: S. 183–191; Porena: Insediamento (wie Anm. 51), S. 195. 53  Siehe oben Anm. 5.

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rungen neue Amalgame ein. Aber das Hauptinteresse schon der antiken Betrach­ ter und auch, teils dadurch gelenkt, der Forschung an dem „Indian Summer“ der italischen Aristokratie seit der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts war stets auf ei­ nen anderen Aspekt der senatorischen Lebenswelt gerichtet:54 In Italien traf in der Phase der Agonie des Kaisertums und nach dessen (wie immer bewerteten) Ende die traditionsbasierte und ökonomisch abgesicherte Autorität der Senatoren auf einen neuen, militärgestützten Herrschaftsanspruch – den der magistri militum und dann der reges. Zumindest auf den ersten Blick überraschend scheint der Ein­ fluss des Senats und der Senatoren auf die Geschicke Italiens in dieser Zeit aber eher gestiegen zu sein. Machtfragen grundieren wesentlich das Forschungsinte­ resse an den wechselnden italischen Figurationen. In die Reihe der einschlägigen ­Studien fügt sich dieser Beitrag ein. Macht kann sehr unterschiedlich gelagert sein und ihre Übertragung entsprechend variabel verlaufen. Die weitere Untersuchung soll daher an Michael Manns Studie sozialer Macht ausgerichtet werden. Mann hat Gesellschaften als organisierte Machtgeflechte interpretiert55 und im An­ schluss vier Quellen von sozialer Macht identifiziert (i. e. ideologische, ökono­ mische, militärische und politische), die zumeist in hybrider Form begegnen. Königs­macht und senatorischer Einfluss, diese oxymorale Mischung aus Komple­ ment und Gegensatzpaar, soll im Weiteren in losem Anschluss an Mann neu kon­ turiert werden. Militärische Macht lag in Italien nach 493 primär beim König und seinen als gotisch angesprochenen Truppen, der beziehungsweise die zusätzlich in unter­ schiedlich intensiver Form auch die anderen Machtquellen auszuschöpfen ­suchten: als Landbesitzer, über die Fiskalstrukturen und den Comitatus, via den Amalerdiskurs oder das civilitas-Konzept, durch eine Annäherung an die Impe­ ratorenrolle und vielleicht auch durch eine Stärkung einer homöischen Kirche.56 Senatoren und andere Mitglieder der Elite konnten in Italien nach 493 ebenfalls in sehr unterschiedlicher Form Macht ausüben. Alten senatorischen Familien mit Rombezug standen auch ohne Ämter mehrere Einflusskanäle offen: traditionsba­ sierte Autorität (mit Mann: „ideologische Macht“) zählte ebenso dazu wie Ver­ bindungen zur römischen Kirche und Reichtum. Genuin politische Macht wurde in der Umgebung des Königs, am Hof, meist in Ravenna, ausgeübt. Die Mitglie­ der der höfischen Figuration konkurrierten dabei um Entscheidungsfreiräume vor dem Entscheider. Aus dessen Perspektive verhindert werden musste nur, dass sie 54 

Zum Ausdruck siehe Cameron: Basilius (wie Anm. 1), S. 516. Mann: Geschichte der Macht. Bd. 1. Frankfurt a. M. 1994, S. 13–63, speziell: S. 17 f. Das Gesellschaftskonzept hat Mann danach allerdings gründlich dekonstruiert. 56  Siehe zum Beispiel Katharina Wojciech: Die Gerichtsbarkeit des Praefectus urbi über Senato­ ren unter Theoderich. In: Rudolf Haensch u. a. (Hg.): Recht haben und Recht bekommen im Imperium Romanum. Warschau 2016, S. 265–298, hier: S. 270; Jonathan J. Arnold: Theoderic and the Roman Imperial Restoration. New York 2014; Thomas S. Brown: The Role of Arianism in Ostrogothic Italy. The Evidence from Ravenna. In: Samuel J. B. Barnish/Frederico Marazzi (Hg.): The Ostrogoths from the Migration Period to the Sixth Century. An Ethographic Perspective. Woodbridge 2007, S. 405–427; Christian Rohr: Der Theoderich-Panegyricus des Ennodius. Han­ nover 1995, S. 42–44. 55 Michael

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mit ihm konkurrierten. Von militärischer Macht im engeren Sinn wurden die ­Senatoren vor Theoderichs Tod weitgehend abgeschirmt.57 Die Finanzen bilden wie angesprochen oft die zentrale Komponente formaler Organisationen. Und wenn das deklariert gotische Heer das wichtigste Machtmit­ tel des Königs war, so boten Zufriedenheitsüberschüsse bei den Truppen durch eine langfristig gute Absicherung, aber auch durch eine stabile Versorgung in tem­ porären Einsätzen sicher einen, wenn nicht den Schlüssel zu einer ­stabilen Herr­ schaft. Damit rückt das bedeutendste reguläre Scharnier zwischen dem königlichen Heer und der illustren Administration, die Prätoriumspräfektur, ins Zentrum der Aufmerksamkeit ein;58 hinzutreten in geringerem Maße die Finanzcomites, für die die Quellenlage jedoch schlechter ist. Zwar können wir die Wege der Ressour­ cen zwischen den Dienststellen der genannten Funktionsträger selten nachvoll­ ziehen (so wenig wie das Ausmaß der Kontrolle durch gotische Amtsträger klar wird),59 in der Summe aber waren die Präfekten und Comites für das Gros der aus Italien gewonnenen Einkünfte verantwortlich. Die nichtitalischen Einkünfte der Könige (einschließlich denen von den Inseln) hätten auf Dauer ­allein kaum zur Bestreitung aller Aufgaben in Italien ausgereicht, und Verluste in einem Bereich der Einnahmen mussten aller Wahrscheinlichkeit nach aus anderen ausgeglichen werden. Die Senatoren waren alle reich, die zweifelsfrei gegebenen Unterschiede kön­ nen wir aber nicht annähernd präzise beziffern. Ihren politischen Einfluss konn­ ten der König und seine Berater in erheblichem Ausmaß steuern (etwa durch ­angeordnete Demissionierungen). Aber nicht alle Senatoren hatten „ideologische Macht“ durch ein schon länger bestehendes Band zu dem auratisierten Hort der Tradition, der von Rom und seinem Senat verliehenen Autorität. Aus der Mann’schen Dialektik kristallisiert sich daher die Leitfrage heraus, in welchem Ausmaß Senatoren die vorhandenen Machtquellen außerhalb des militärischen Bereichs in einer Hand vereinigen konnten beziehungsweise auch wollten, also ererbte und in Rom aktualisierte Autorität mit echten Einflussmöglichkeiten auf die Pfeiler der Monarchie, ihre Finanzen und dadurch auch die Heeresversorgung, verknüpften. Bei aller B ­ edeutung der Kommunikation zwischen König und Eliten 57 

Arnold: Provinces (wie Anm. 21). Insediamento (wie Anm. 51); Massimiliano Vitiello: Momenti di Roma ostrogota. Aduentus, feste, politica. Stuttgart 2005, S. 191–195. Dagegen sieht Alan Cameron: Anician Myths. In: JRS 102 (2012), S. 133–171, hier: S. 170, viele hohe Ämter einschließlich der Prätoriums­ präfektur im späten 5. und 6. Jahrhundert als „largely ceremonial“ an, oft wären sie von sehr jungen Aristokraten wahrgenommen worden. Während ich diesen Ausführungen mit Blick auf den Konsulat und zum Teil die Stadtpräfektur zustimme, kann man der Überlieferung nicht ent­ nehmen, dass die Präfekten Liberius, Cassiodorus oder Faustus gänzlich unerfahren waren und alle wichtigen Aufgaben anderen überließen. Dies mag auf Theodorus und Albinus zutreffen, doch scheint Faustus Albinus die Präfektur immerhin acht Jahre nach seinem Konsulat übernom­ men zu haben, also kaum als halbes Kind. 59  Siehe immerhin Cassiodorus, Variae 2, 2; 3, 41; 42 und vielleicht 5, 13; 7, 19 sowie 2, 31; 3, 8; 6, 8; 7, 21; 9, 13. Vgl. Porena: Insediamento (wie Anm. 51), S. 183–195 mit reichen Literaturan­ gaben (S. 189 f., Anm. 5); Bjornlie: Politics (wie Anm. 23). 58 Porena:

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und anderen Herrschaftsträgern der Umgebung konnte die Abfassung der offiziel­ len Communiqués in der Rhetorik der Zeit kaum den gleichen Stellenwert einneh­ men, trotz aller (auto-)suggestiven Bemühungen Cassiodors.

Die hohen Vertreter der italischen Fiskaladministration Die Präfekten Petrus Marcellinus Liberius Felix steht am Beginn der Reihe hier zu behandelnder Funktionsträger und bietet zugleich ein gutes Exemplum der Probleme der ge­ wählten Herangehensweise. Über Liberius wissen wir in Relation zu anderen Sena­toren der Zeit viel.60 Aber Angaben über seine Abstammung und Familie sind gleichwohl dünn gesät. James J. O’Donnell plädiert für eine Herkunft aus Ligurien, auf der Basis weniger Indizien, aber plausibel.61 Agretia, Liberius’ Frau, stammte vielleicht aus Gallien; dies könnte den langen Zeitraum erklären, den ­Liberius als Präfekt dort verbrachte.62 Liberius war verwandt mit Rufius Faustus Magnus Avienus.63 Aber weitere Hinweise auf eine enge Einbindung in die ita­ lische Aristokratie mit traditioneller Autorität haben sich nicht erhalten.64 Der Name ist selten. Diese Indizien sind nicht beweiskräftig, aber sie deuten doch ­darauf hin, dass Liberius, auch wenn er unter Odoaker in unbekannter Funktion schon aktiv gewesen war,65 weder aus den ganz alten Familien des Senats kam, noch ihr ganz fremd war. Eine solche Äquidistanz würde ihn – königliches Ver­ trauen vorausgesetzt – für die Aufgabe prädestiniert haben, den Prozess der Ab­ sicherung von Theoderichs Heer aus leitender Position zu begleiten.66 Unsere Überlieferung reicht aus, um plausibel machen zu können, dass Liberius – jetzt wieder nach dem vereinfachten Mann-Schema – nicht ideologische, politische und fiskalökonomische Macht vereinte. Eher steht er emblematisch für einen Typus Senator, der illustren Rang hatte, in dessen Lebenswelt aber das Gremium Senat keinen zentralen Platz einnahm: Zu lange war er von Rom abwesend. Aber Libe­ rius scheint mir weder als „Apparatschik“, noch als novus, noch als reiner Militär akkurat charakterisiert.67 Handlungsleitend für ihn scheinen neben kaum rekon­ 60  PLRE II

Liberius 3, S. 677–681; PIB, Liberius Nr. 2, S. 291–294; PCBE II, Liberius 4, S. 1298– 1301; James J. O’Donnell: Liberius the Patrician. In: Traditio 37 (1981), S. 31–72; Schäfer: Senat (wie Anm. 8), Nr. 65, S. 79–83. 61  O’Donnell: Liberius (wie Anm. 60) S. 34  f. 62 Delaplace: Provence (wie Anm. 21), S. 496–499. Delaplace glaubt nicht an die gallische Ab­ stammung Agretias (O’Donnell: Liberius [wie Anm. 60], S. 45), die in der Tat nicht bewiesen werden kann. 63 Ennodius, Epistulae 9, 7. 64  Der Sohn des Faustus niger nimmt diesbezüglich eine besondere Stellung ein; Schäfer: Senat (wie Anm. 8), S. 303. 65 Cassiodorus, Variae 2, 16. 66 Cassiodorus, Variae 2, 15; 16; Ennodius, Epistulae 9, 23; Anonymus Valesianus 12, 68. 67  Vgl. Kakridi: Variae (wie Anm. 13), S. 246  f., S. 360–373.

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struierbaren persönlichen Motiven die Interessen der Regierungszentrale des ehe­ maligen hesperium imperium gewesen zu sein, die seit vielen Jahrzehnten in der Regel in Norditalien (meist Ravenna) angesiedelt war und oft enge Beziehungen zum südgallischen Raum unterhielt.68 Nach Liberius fiel die Wahl des Königs jedoch auf einen anderen Typus von Präfekt: Flavius Theodorus (500) und, nach der von mir akzeptierten Datierung, Faustus Albinus (501–503) waren unzweifelhaft römische Insider.69 Für ihre In­ stallierung kann es viele Gründe gegeben haben. Aber einer scheint mir besonders plausibel. Theoderichs Rombesuch 500 hat immer wieder die Aufmerksamkeit der Forschung auf sich gezogen. Dieser Besuch hatte unter anderem auch eine fi­ nanzielle Komponente – und die zusätzlichen oder neu betonten Kosten wurden sehr wahrscheinlich in Teilen der arca praefectoria angelastet.70 Dass dieses neue Interesse an Rom, verbunden mit Ausgaben, dazu beigetragen hat, Präfekten aus romzentrierten Familien zu wählen, kann als plausible Vermutung gelten. Es schließt sich die Präfektur des älteren Cassiodor an. Über die Cassiodori ist wegen der Quellenlage viel gearbeitet worden; die sich daraus entwickelnden De­ batten kann ich hier nicht abbilden. Vom prosopographischen Standpunkt gleicht die Laufbahn des Vaters der des Liberius: Er war mindestens ebenso intensiv für den comitatus tätig wie sein bekannterer Sohn und offenbar eng mit der Monar­ chie verbunden.71 Die Familie hatte zwar schon vor dieser Generation Zugang zum Senat erhalten, war jedoch, weil aus dem Osten zugewandert und in Südita­ lien begütert, anscheinend kein Mitglied jener Aristokratenfamilien, die das Erbe Roms in besonderer Weise für sich vereinnahmen konnten. Jedenfalls handelten 68  Delaplace: Provence (wie Anm. 21), S. 488–491, speziell: S. 497. Südgallien: Dies gilt trotz der in diesem Punkt notwendigen „Nuancierungen“. Vgl. Bruno Bleckmann: Arelate metropolis. Überlegungen zur Datierung des Konzils von Turin und zur Geschichte Galliens im 5. Jahrhun­ dert. In: Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte 98 (2003), S. 162–173, hier: S. 167. 69  PLRE II Theodorus 62, S. 1097  f.; Schäfer: Senat (wie Anm. 8), Nr. 102, S. 111 f.; PLRE II Albi­ nus (iunior) 9, S. 51 f.; Schäfer: Senat (wie Anm. 8), Nr. 8, S. 16–18; PIB, S. 119 f. zu Flavius Albinus (die Datierung der Präfektur 512/3 halte ich für verfehlt); sehr viel vorsichtiger ist PCBE II, Al­ binus iunior 3, S. 78 f. Ich folge hier Schäfer: Senat (wie Anm. 8), auch in der Einordnung von Olybrius Nr. 71, S. 87 f. Ennodius’ Formulierung, Olybrius habe die gubernacula rei publicae und die cura Italiae inne (Epistulae 2, 13, 3), kann kaum auf die Präfektur zielen, da in den Fasten für diesen Amtsinhaber kein Platz mehr ist. 70 Vgl. Massimiliano Vitiello: Teodorico a Roma. Politica, Amministrazione e Propaganda nell’Adventus dell’anno 500. In: Historia 52 (2004), S. 73–120, hier: S. 81–102; vgl. Giardina/Cec­ coni/Tantillo (Hg.): Cassiodoro (wie Anm. 19), Bd. 5, S. 256 zu Cassiodorus, Variae 12, 11. Ein Teil der Kosten wurde mit Sicherheit auch von anderen Kassen getragen. Wie belastbar die einschlägige Begrifflichkeit ist, bleibt aber oft unklar. 71  PLRE II Cassiodorus 3, S. 264  f.; Roland Delmaire: Les responsables des finances impériales au Bas-Empire romain (IVe–VIe s.). Études prosopographiques. Brüssel 1989, Nr. 152, S. 233 f.; PCBE II, Cassiodor 2, S. 264 f.; Schäfer: Senat (wie Anm. 8), Nr. 33, S. 45 f.; Cracco Ruggini: No­ biltà (wie Anm. 3), S. 119 f. Cassiodor übernahm nacheinander die Finanzcomitate unter Odoa­ ker, war danach (noch unter Odoaker?) vermutlich in offizieller Funktion auf Sizilien und corrector Bruttii et Lucaniae. Seit 502 oder 503 war er Prätoriumspräfekt (bis 507) und blieb anschlie­ ßend hofnah.

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die Cassiodori oft gemeinsam mit den vor allem in den politischen Kapitalen akti­ ven Senatoren. In die Amtszeit Cassiodors (502–507) fielen vermutlich die Kon­ flikte mit Ostrom in Pannonien (seit 505) und vielleicht noch die Probleme mit einer oströmischen Flotte in Süditalien (507):72 Mit diesen Kämpfen wird die ­Präfektur wahrscheinlich befasst gewesen sein, womit eine gewisse Kompromit­ tierung gegenüber Konstantinopel schwer vermeidbar gewesen sein dürfte. Der Konflikt mit Ostrom zog sich noch mehrere Jahre hin. Nach Cassiodor war dann mit Anicius Probus Faustus iunior niger noch einmal ein relativ gut dokumentierter Aristokrat Präfekt Italiens. Faustus niger gehört zu den Personen, die durch Alan Cameron einigen anicischen Glanz verloren haben. Christoph Schäfer ordnete ihn unter dem Lemma „Sonderfall“ ein, weil er enge Ligurienkontakte hatte, also nicht rein rombasiert war.73 Doch trotz der Came­ ron’schen Relativierung und dem aus Ennodius’ Episteln eindeutig hervorgehen­ den Ligurienbezug genoss Faustus niger, Sohn des Gennadius Avienus und damit Spross einer der prominentesten Familien der Zeit, hohes traditionsbasiertes Pres­ tige. Faustus hatte sich früh Theoderich angeschlossen und war im ersten Jahr­ zehnt des 6. Jahrhunderts über Jahre am oder für den comitatus tätig, als Quästor und dann als Präfekt, vielleicht die ganze Dekade von 503 bis 512. Zwar ist er mehrfach von Vertretern des Königshofs kritisiert worden, aber Hinweise auf eine dauerhafte Entfremdung liegen uns nicht vor.74 Die politische Konstellation bei Hof (oder am weiten Hof) war offenbar kompetitiv, und es wäre sicher verfehlt, hier nur zwei größere Blöcke am Werke zu sehen.75 Über die Präfekten der Jahre 511/512 bis 526 sind wir deutlich schlechter un­ terrichtet. Die dokumentierten Amtsträger scheinen aber nicht mehr zu den durch Geburt besonders prominenten Senatoren zu gehören. Dies gilt sicher für Abun­ dantius und auch Johannes,76 meines Erachtens aber auch für (Rufius) Venantius

72 

Wiemer: Odovakar (wie Anm. 50), S. 333 f.; Arnold: Provinces (wie Anm. 21), S. 81. Senat (wie Anm. 8), S. 49, S. 64–66; Cameron: Myths (wie Anm. 58), S. 166; PCBE II, Faustus 4, S. 756–759; PLRE II Faustus 9, S. 454–456; PIB, Faustus 2, S. 439–442; Orlandi: Anfite­ atri (wie Anm. 3), 62, S. 476–478. Siehe Orlandi (ebd., S. 476 ) zu der Frage, ob Faustus magister gewesen ist; dies ist eher unwahrscheinlich. 74 Diese Datierung der Präfektur (507 bis mindestens 512) scheint mir überzeugender als der Ansatz von PLRE II (509–512). Zu der Kritik siehe Cassiodorus, Variae 3, 20 (vgl. Giardina/ Cecconi/Tantillo [Hg.]: Cassiodoro [wie Anm. 12], Bd. 2, S. 236); vermutlich 3, 27; vielleicht Ennodius, Epistulae 4, 26. 75  Siehe Kakridi: Variae (wie Anm. 13), S. 244 mit reichen Literaturangaben. 76 Abundantius: PLRE II Abundantius 3, S. 3  f.; Schäfer: Senat (wie Anm. 8), Nr. 2, S. 9; PIB, ­Abundantius 4, S. 91 f.; Johannes: PCBE II, Johannes 25, S. 1074; PLRE II Ioannes 67, S. 609 f.; Delmaire: Responsables (wie Anm. 71), S. 161, S. 242–244: 515–520?; Schäfer: Senat (wie Anm. 8), Nr. 60, S. 75 f. Siehe aber PIB, Ioannes 57, S. 138 und S. 142 Ioannes 69. Ennodius nennt Johannes zwar nobilis (Epistulae 1, 1), gebraucht diesen Terminus aber nicht eindeutig: Stéphane Gioanni: Ennode de Pavie, lettres 1, livres I et II. Texte établi, trad. et comm. Paris 2006, S. 87. Die lange Laufbahn und die Bekleidung der Vizepräfektur weisen nicht auf ein weit zurückreichendes Stemma hin, gleichgültig, welche Präfektur er vertreten hat. Der Wortlaut deutet auf die Prätori­ umspräfektur hin. 73  Schäfer:

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Opilio ( = [Opil]io Venantius Faustus?).77 Fraglich und prosopographisch nicht einzuordnen bleiben ein Anonymus und Flavius Faustus.78 Theoderich scheint in seiner zweiten Regierungshälfte auch Mitglieder der Elite ohne berühmte Vorfahren oder echte novi zu Präfekten gemacht zu haben. Die lacunae, die sich primär aufgrund von Cassiodors Gestaltungsprinzipien bezie­ hungsweise Amtszeiten ergeben, sind jedoch beachtlich und damit alle Aussagen hypothetisch. Allerdings stützt eine Parallele die Annahme, die Präfekten seien nach 511/512 nach anderen Prinzipien als in der vorhergehenden Dekade ausge­ wählt worden. Wie angesprochen haben John Moorhead und Christoph Schäfer herausgearbeitet, dass in diesem Jahrzehnt auch unter den Konsuln Aufsteiger oder primär im comitatus agierende Funktionsträger erscheinen. Bei den Stadtprä­ fekten setzte diese Entwicklung schon früher ein. Wenn Theoderich bereit war, in diese „Pfründen“ der großen Häuser einzugreifen, lag das bei der Prätoriumsprä­ fektur sicherlich noch näher. Die Parallele zwischen den Prätoriumspräfekten und den Konsuln stützt das bisherige Untersuchungsergebnis zwar, sie wirft zugleich aber die Frage auf, was durch die Auswahl eines anderen Samples (die Präfekten) mit höherer Variablen­ 77 

Venantius Opilio: PLRE II Opilio 5, S. 808; Schäfer: Senat (wie Anm. 8), Nr. 74, S. 90 f.; PIB, Opilio 5, S. 435 f. Erneut sehr zurückhaltend: PCBE II, Opilio 4, S. 1557 f. Opilio ist besonders schwierig einzuordnen. Schäfer: Senat (wie Anm. 8) rechnet ihn aufgrund seiner Güter bei ­Padua zu den Norditalikern, denen er wohl auch politisch nahestand (etwa S. 237). Den Konsulat erhielt er erst spät (524). Spätestens 506 (wenn die klassische Datierung von Ennodius’ Werken zutreffend ist!) war er allerdings bereits illustris, möglicherweise eben durch die Bekleidung der Prätoriumspräfektur. Doch sind die Fasten der Präfektur in diesem Jahrzehnt weitgehend ge­ füllt, wahrscheinlich hat Opilio früh in der Karriere ein anderes illustres Amt innegehabt. Wie schwierig es ist, ihn in den Netzwerken der Zeit zu verorten, zeigt der Kommentar Moorheads: Theoderic (wie Anm. 40), S. 227, der ihn für ein Mitglied einer Decischen factio hält (anders ders.: Boethius and Romans in Ostrogothic Service. In: Historia 27 (1978), S. 604–612, hier: S. 610). Diese These scheint mir zu gewagt. Die unklare Verwandtschaft mit Venantius Seve­ rinus Faustus (Orlandi: Anfiteatri [wie Anm. 3], 17, 151 B, S. 436; 64, S. 478 f.) hilft bei der Ein­ ordnung ebenso wenig wie die mit Faustus niger (Barnish: Transformation [wie Anm. 7], S. 135 mit Anm. 71). Der Name Venantius ist im höchsten Segment der Senatsaristokratie mehrfach belegt, aber nicht alle Träger dieses Namens lassen sich ihm zuordnen. Sollte der Präfekt Opilio mit [Opil]?io Venantius Faustus identisch sein, wie Silvia Orlandi vorsichtig angeregt hat (Or­ landi: Anfiteatri [wie Anm. 3], 17, 151 C, S. 433 f.; 65, S. 469 f.), hätte er wie Severinus Faustus die comitiva domesticorum bekleidet, wird allerdings nicht ex comite genannt. Die Probleme, die mit dieser comitiva und ihrer entmilitarisierten Form verbunden sind, sind Legion (Schäfer: Senat [wie Anm. 8], S. 5–7). Immerhin könnte sich so der frühe illustre Status Opilios erklären lassen. 78  PLRE II Anonymus 8, S. 1221 (auf der Basis von CIL VI 32052) und Faustus 6, S. 452. Der Eintrag in CIL VI 8, 3, S. 4807 f. verdeutlicht die Probleme der Deutung der Inschrift. In der Tat scheint in Novellae Justiniani 166 auch ein italischer Präfekt genannt zu sein (zum Vergleich: Denis Feissel: L’ordonnance du préfet Dionysios inscrite à Mylasa en Carie. In: ders.: Droit, do­ cuments, diplomatique tardi f. Paris 2010, S. 429–476). Aber dass der Name Faustus notwendig auf eine hohe italische Abstammung verweist, ist nicht zutreffend (siehe PLRE II Faustus 3, 5, 7, S. 451 f.). Es steht nicht einmal fest, dass Faustus der italische Präfekt war und nicht Stephanus (siehe etwa den vicarius Stephanus Ennodius, Dictiones 3; PLRE II Stephanus 18, S. 1031). Auch ist das Datum unsicher.

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zahl gewonnen wurde. Die kritische Nachfrage ist sicher berechtigt, sie lässt sich aber entkräften. Zum einen zeigt sich durch den geänderten Blickwinkel, dass in der zweiten Regierungshälfte Theoderichs offenbar nicht nur und vielleicht auch nicht primär die rombasierten Ämter für einen größeren Kreis von Aspiranten geöffnet wurden, sondern dass die Personalpolitik auch mit Bezug auf jene Funk­ tionen (erneut!) neujustiert wurde, die nach der hier vertretenen These stärker in die konkrete Administration zumindest großer Teile des regnum involviert waren. Auch bei anderen Ämtern wie der Quästur deuten die erhaltenen Namen auf eine Erweiterung des Rekrutierungsreservoirs hin.79 Die andersartige Auswahl der Konsuln ist vor diesem Hintergrund weniger auffällig. Ebenso wichtig wie die Hinweise, die uns die lückenhaften Fasten nach 511 ge­ ben, sind jedoch die Ergebnisse der Untersuchung der höfischen und hofnahen Amtsträger aus den vorhergehenden anderthalb Jahrzehnten. Die Fasten der Prä­ fektur (und auch die der schlechter dokumentierten Fiskalcomitate, s. u.) deuten nicht darauf hin, dass von Anfang an oder auch nur in der gesamten ersten Dekade des 6. Jahrhunderts Vertreter der prominentesten Familien diese Aufgaben übernom­ men haben beziehungsweise übertragen erhielten. Liberius scheint dieser Grupp­e nicht angehört zu haben. Faustus niger und, weniger deutlich, der ältere Cassio­ dor waren Mitglieder alter Familien, haben sich aber rasch Theoderich zur Verfü­ gung gestellt und ihren Lebensmittelpunkt für signifikante Zeitspannen an den Hof verlagert.80 Der Blick auf die Konsuln und Stadtpräfekten suggeriert, dass in der zweiten Hälfte von Theoderichs Regierung ein Bruch in der Personalpolitik eintrat, der Blick auf höfische oder hofnahe Funktionsträger aber eher, dass die Jahre nach 500 eine gewisse Ausnahme darstellten (wobei die Scheidewände zwi­ schen den Zeiten und Gruppen in jedem Fall porös waren). Theoderichs Romreise mag also Einfluss auf die Auswahl hoher Amtsträger ­gehabt haben. Können wir auch plausible Vermutungen über die Gründe für die erneute (aufgrund der lacunae aber stärker hypothetische) Änderung in der Per­ sonalpolitik des gotischen Italiens einige Jahre später anstellen? Die Ernennungen könnten einerseits stets individuell begründet gewesen sein. Den Wunsch, Ämter in Ravenna zu bekleiden, können wir bei den großen römischen Familien zudem keineswegs voraussetzen. Eine Gesamtanalyse legt andererseits nahe, dass Theo­ derichs Herrschaft nach der Anfangsphase stabiler war als die Odoakers.81 Der König und seine Berater waren daher vermutlich auch freier in der Entscheidung, ob sie zusätzliches symbolisches Kapital vereinnahmen oder seine Träger lieber vom Hof fernhalten wollten. Trotz des notwendig hypothetischen Charakters der folgenden Überlegung sei aber auch darauf verwiesen, dass ein erheblicher Teil der Variae aus den Jahren 507–511 Kritik an Mitgliedern des Senats enthält. Ein­ zelne der unterliegenden Kontroversen wie etwa die Theaterunruhen sind intensiv 79 

Schäfer: Senat (wie Anm. 8), S. 305; PLRE II, S. 1258 f. Schäfer: Senat (wie Anm. 8), Nr. 33, S. 45 f. und Nr. 49, S. 64–66; La Rocca/Oppedisano: Senato (wie Anm. 4), S. 21 f. 81  Wiemer: Odovakar (wie Anm. 50). 80 

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in der Forschung diskutiert worden.82 Für den vorliegenden Zusammenhang sind meines Erachtens Variae 2, 24 und 25 aber noch aussagekräftiger: Cassiodor kri­ tisiert im Namen Theoderichs, dass die von den senatoriae domus geforderten Steuern nicht eingingen, sondern systematisch umgangen würden. Mir scheinen die erhaltenen Texte als im Kern verlässlich.83 Eine Anzahl von Konstitutionen demonstriert schon das Interesse der kaiserlichen Zentralen, mehr oder minder legale Möglichkeiten von Großgrundbesitzern, ihre Steuerbelastung zu reduzie­ ren (durch individuelle Dispense, niedrige Veranlagungen, soweit noch vorhanden gute Adärationskonditionen oder lange Zahlungsaufschübe mit abschließender Abschreibung), einzuschränken.84 An diesem Interesse hatte der Wechsel zu einer Königsherrschaft nichts geändert. Die stetige Bewältigung der bereits im Vorste­ henden aufgelisteten Kernaufgaben des gotisch dominierten Gemeinwesens hing unter anderem vom Eingang der regulären Steuern ab, selbst wenn nicht immer klar ist, welche der dort verzeichneten Ausgaben aus der hier fokussierten arca praefectoria bezahlt wurden. Ein Grund dafür, Mitglieder der höchsten Aristo­ kratie mit der Präfektur zu betrauen, könnte nach von mir an anderer Stelle aus­ geführten Überlegungen gewesen sein, dass ihnen zugetraut wurde, Steuerfor­ derungen auch gegenüber Mitgliedern der Oberschicht durchzusetzen.85 Der Gedankengang folgt einer für historische Analysen adaptierten Variante der ­ ­Principal-Agent-Theory. Nach diesem Modell waren „Geschäftsgänge“ wie die Steuererhebung einer Zentrale in den Peripherien immer wieder vergleichbaren Schwierigkeiten ausgesetzt, deren Kern Probleme der Überwachung bildeten. An­ gewandt auf die konkrete Situation heißt das, dass sich die Entscheidungseliten um den König vor folgendes Dilemma gestellt sahen: Mitglieder des senatorischen Milieus besaßen ausgedehnten Grundbesitz in Italien. Um die Steuererhebung auf ihren und den Gütern ihrer „Freunde“ überwachen zu können, hätte die Zentrale 82  Siehe

etwa Valérie Fauvinet-Ranson: Decor civitatis, decor Italiae. Monuments, travaux publics et spectacles au VIe siècles d’après les Variae de Cassiodore. Bari 2006, S. 394–408; Cracco Rug­ gini: Nobiltà (wie Anm. 3), S. 129. 83  Vgl. schon Rosario Soraci: Aspetti di storia economica italiana nell’età di Cassiodoro. Nova 1974, S. 117; Kakridi: Variae (wie Anm. 13), S. 178; Marios Costambeys: Settlement, Taxation and the Condition of the Peasantry in Post-Roman Central Italy. In: Journal of Agrarian Change 9 (2009), S. 92–119, hier: S. 109, mit weiteren Stellen, besonders Cassiodorus, Variae 6, 24. Gehört Cassiodorus, Variae 3, 27 (ein Streit zwischen dem später vermutlich aufsteigenden consularis Campaniae Johannes und einem Prätoriumspräfekten – Faustus niger? – in einen ähnlichen Kon­ text?). Vgl. ebenfalls Cassiodorus, Variae 3, 8 (mit Giardina/Cecconi/Tantillo [Hg.]: Cassiodoro [wie Anm. 12], Bd. 2, S. 214–216). Die oft zitierten Stellungnahmen von Boethius, Consolatio Philosophiae 1, 4, 10; 12; 13 zu seinen höfischen Gegnern zeigen vergleichbare Vorgänge aus der ent­ gegengesetzten Perspektive. Siehe noch Cassiodours, Variae 11, 7 (mit Giardina/Cecconi/Tantillo [Hg.]: Cassiodoro [wie Anm. 19], Bd. 5, S. 182 f.), dies jedoch bereits aus einer anderen Zeit. 84  Ein Schlüsseltext ist Codex Theodosianus 11, 20, 6 von 430; ansonsten folge ich dem Durch­ gang durch die einschlägigen Quellen bei Arnold H. M. Jones: The Later Roman Empire. Oxford 1964, S. 465–469. 85  Peter Eich: The Common Denominator. Late Roman Imperial Bureaucracy from a Compara­ tive Viewpoint. In: Walter Scheidel (Hg.): State Power in Ancient China and Rome. Oxford 2015, S. 90–149, hier: S. 141–144.

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eine umfangreiche, ­dezentral agierende, tendenziell nicht aus dem obersten gesell­ schaftlichen Stratum rekrutierte Verwaltung aufbauen müssen. Dies hätte hohe Kosten verursacht, ohne die Gefahr ausschließen zu können, dass Großgrundbe­ sitzer sich erfolgreich der Zusammenarbeit mit ihnen vom sozialen Status her nicht gewachsenen Funktionsträgern verweigern würden. Auch spezifische Formen der Kollusion bieten sich in solchen Konstellationen an. Sozial hochrangige Admi­ nistratoren hatten eine weit größere Durchsetzungschance auch gegenüber sozial Hochgestellten, doch war bei einer solchen Besetzungspraxis das Monitoring nicht mehr nur der Steuersubjekte, sondern eben der obersten Amtsträger sehr erschwert. Sie konnten fast nur durch administrationsexterne Anreize (etwa „Ehren“) zur ste­ tigen Koopera­tion angehalten werden. Aus der Sicht der Zeitgenossen scheint sich die zuletzt genannte Vorgehensweise, die Ressourcen sparte, angeboten zu haben. Gelang es aber dennoch nicht, im notwendigen Umfang die Steuern von den Aris­ tokraten und anderen reichen possessores einzutreiben, verlor die Politik, die wich­ tigsten Aufgaben in der Finanzadministration Amtsträgern zu übertragen, die auf­ grund ihres hohen Status oft sehr unabhängig agierten, an Reiz. An einen massiven Ausbau der Administration war im frühen 6. Jahrhundert schon aus Kostengrün­ den nicht zu denken. Eine andere Rekrutierungspraxis bei den höchsten königli­ chen Vertretern, also jene Veränderung, die sich in den Quellen abzubilden scheint, wäre ein unter den bestehenden Bedingungen sinnvoller Kompromiss gewesen. Dieser Ansatz ist aber nur eine auf historisches Vergleichsmaterial gestützte Ver­ mutung.86 Möglich bleibt natürlich auch, dass Theoderich mit dem Verhalten der stadtrömischen Häuser während des Schismas der Römischen Kirche unzufrieden war. Für diese Auslegung fehlt uns dann aber jeder Hinweis auf eine Koinzidenz, und Cassiodor zumindest hat keine einschlägigen königlichen Stellungnahmen tra­ diert, die bei einer solchen Deutung eher zu erwarten gewesen wären.87 Da in etwa gleichzeitig auch bei den Konsuln und Stadtpräfekten Männer ohne langen Stamm­ baum oder starken Rombezug zahlreicher wurden, muss man wohl von einer viel­ schichtigen Motivlage bei allen Beteiligten ausgehen, in die auch die Absicht der Zentrale, Rom und den Senat besser zu kontrollieren, einzuordnen sein dürfte. Der Wunsch von Aufsteigern bei Hofe, ihre Karrieren in Rom zu krönen, wird bei der neuen Politik nur ein Aspekt unter vielen gewesen sein. Die Finanzcomites Neben den Präfekten waren auch drei illustre Consistorialräte mit Aufgaben in der Fiskal- (und Patrimonial-)Administration betraut, nach ihrer Titulatur mit

86 

Vgl. besonders Edgar Kiser/Justin Baer: The Bureaucratization of States. Toward an Analytical Weberianism. In: Julia Adams u. a. (Hg.): Remaking Modernity. Politics, History, and Sociology. Durham 2005, S. 225–248. 87  Thomas Noble: Theoderic and the Papacy. In: Teoderico il Grande e i Goti d’Italia. Atti del XIII Congresso internazionale di studi sull’Alto Medioevo. Milano 2–6 novembre 1992. Spoleto 1993, S. 395–429, hier: S. 399.

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Zuständigkeit für die sacrae largitiones, die res privata und das patrimonium.88 Sie haben weniger Aufmerksamkeit erfahren als die Konsuln und Präfekten, obwohl ihre Aufgaben für die Stabilität des italischen regnum ebenfalls von großer Bedeu­ tung waren. Oft werden diese Funktionen relational zum Konsulat zumindest nach der Mitte des 5. Jahrhunderts als Einstiegsämter in eine illustre Karriere be­ trachtet, als eine Art spätantike Variante der frühkaiserzeitlichen Quästur.89 Diese These ist auch nicht falsch, doch gilt es festzuhalten, dass die comites andere ­Wurzeln hatten als der Konsulat und dass Konsulat und Stadtpräfektur seltene Ehrungen blieben. Es gab im 6. Jahrhundert kein Äquivalent zu dem hochkaiser­ zeitlichen Suffektkonsulat. Nur wenige Quästoren der Hohen Kaiserzeit wollten auf dieser Stufe verharren. Längere Anwesenheit bei Hof muss dagegen nicht per se als unerfüllter Karrierewunsch gewertet worden sein.90 Prosopographische Einzelstudien der dokumentierten comites führen meist zu unsicheren Resultaten. Alle erhaltenen Informationen lassen sich aber doch zu ei­ nem belastbaren Befund zusammenfügen. Wir kennen sicher zehn, vielleicht drei­ zehn Amtsträger, und in aller Regel verweisen die Namen und die vorhandenen Indizien nicht auf eine Herkunft aus einer der traditionsreichen Familien des Se­ nats.91 Das mag im Einzelfall täuschen – die Namen müssen nicht sprechend sein. Dieses Argument ist allerdings nicht nur in eine Richtung valide. Viele Forscher gehen bei dem belegten comes rei privatae Apronianus von einer Verwandtschaft zu Flavius Turcius Rufius Apronianus Asterius92 aus, der unter Odoaker die glei­ che Position bekleidet hatte. Der Name Apronianus kann in der Tat, muss aber nicht auf eine solche Verbindung schließen lassen. Auf einer Inschrift aus dem Kolosseum findet sich beispielsweise im relevanten Zeitraum auch ein Obi­nius Apronianus.93 Die Zuordnung aus anderem Kontext bekannter Namensbestand­ 88  Zu ihren Aufgaben siehe Roland Delmaire: Les institutions du Bas-Empire romain de Cons­ tantine à Justinien. Bd. I: Les institutions civiles palatines. Paris 1995, S. 119–147. 89  Ebd., S. 15, S. 146  f.; Mommsen: Studien (wie Anm. 23), S. 426 f. 90 Zum Suffektkonsulat im 6. Jahrhundert siehe La Rocca/Oppedisano: Senato (wie Anm. 4), S. 172 f. 91  Bei den comites sacrarum largitionum betrifft dies : Valerius Florianus; vgl. Delmaire: Respon­ sables (wie Anm. 71), Nr. 158, S. 240 f. (507–511 n. Chr.); zu Mastallo vgl. Delmaire: Responsables (wie Anm. 71), Nr. 154, S. 237 (494/495 n. Chr.); zu Stephanus vgl. PCBE II, Stephanus 16, S. 2117 = Delmaire: Responsables (wie Anm. 71), Nr. 157, S. 240 (der allerdings nach Delmaire nicht comes sacrarum largitionum war); Agnellus? (Schäfer: Senat [wie Anm. 8], Nr. 4, S. 13–15; zu Johannes vgl. Delmaire: Responsables (wie Anm. 71), Nr. 161, S. 242–244 (siehe Anm. 76); zu Cyprianus vgl. Delmaire: Responsables (wie Anm. 71), Nr. 162, S. 244 f.; // bei den comites rei privatae betrifft dies: Ambrosius; vgl. Delmaire: Responsables (wie Anm. 71), Nr. 146, S. 247 f.; vgl. zu Arator Delmaire: Responsables (wie Anm. 71), Nr. 168, S. 259 f. (526–544 n. Chr.); vgl. zu Flavius Turcius Rufius Apronianus Asterius Delmaire: Responsables (wie Anm. 71), Nr. 153, S. 235–237 (vor 492) // bei den comites patrimonii betrifft dies: Iulianus; vgl. Delmaire: Respon­ sables (wie Anm. 71), Nr. 195, S. 292 f.; vgl. zu Senarius Delmaire: Responsables (wie Anm. 71), Nr. 196, S. 293–297; vgl. zu Wilia Delmaire: Responsables (wie Anm. 71), Nr. 197, S. 296 f. (526 n. Chr.); vgl. zu Bergantinus Delmaire: Responsables (wie Anm. 71), Nr. 198, S. 297 (527 n. Chr.). 92  PLRE II Apronianus 2, S. 124 = Delmaire: Responsables (wie Anm. 71), Nr. 156, S. 239  f. (506– 507); anders PIB, Apronianus, S. 2, S. 171. 93  Orlandi: Anfiteatri (wie Anm. 3), S. 463  f.

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teile zu herausragenden senatorischen Familien muss nicht zutreffend sein. Eher schon deuten die rekonstruierbaren Fasten der Finanzcomites unter Theoderich in die gegenteilige Richtung. Aber auch wenn Apronianus aus einer Familie stammte, deren Repräsentanten schon lange zur inneren senatorischen Elite ge­ hörten (bei längerer Latenzzeit), ändert sich der Gesamteindruck der Fasten nur unwesentlich – die comites waren in der Regel offenbar keine prominenten Aris­ tokraten. Die spärlichen Hinweise aus der unmittelbar vorhergehenden Zeit las­ sen vermuten, dass Odoaker diesbezüglich anders verfahren war, aber die Ver­ gleichsgrundlage ist statistisch nicht belastbar und lässt nur Impressionen zu. Das Quellenmaterial für die Auswahl hoher Amtsträger und damit zugleich auch für die Zusammensetzung des Senats für die Zeit Theoderichs ist also nur bedingt aussagekräftig, doch stabilisieren sich die Befunde gegenseitig: Die königliche Zentrale scheint bei allen Ämtern mit einem Aufgabenportfolio, das sich auf ganz Italien erstreckte, eher selten auf Repräsentanten großer stadtrömischer Familien zurückgegriffen zu haben. Die Konzentration auf Rom, die Konsuln und Stadt­ präfekten, erweist sich bei der Einordnung von Theoderichs Personalpolitik als Verengung des Blickwinkels. Nicht alle Funktionsträger bei Hof waren deswegen reine Aufsteiger, denen der Zugang zu den höchsten stadtrömischen Würden zu­ nächst verwehrt blieb. Orientierung am comitatus und der dort primär angesiedel­ ten politischen Macht war nicht zwingend ein Noch-nicht. Diese Schlussfolgerung hätte nur Gültigkeit, wenn alle Mitglieder der Elite Konsulat und Stadtpräfektur als von ihnen notwendig anzustrebende Ziele angesehen hätten. Dies wissen wir jedoch nicht. Wie repräsentativ Cassiodors/Theoderichs Ausführungen zu den städtischen Ämtern für die Wertvorstellungen der höfischen Elite waren, können wir nicht überprüfen.

Fazit Die knappe Übersicht über die bekannten Präfekten und Finanzcomites wirft eine Reihe von Fragen auf und legt einige Antworten nahe. Das größte Problem bleibt, ob die erhaltenen Daten ausreichen, um Aussagen über Theoderichs Personalpoli­ tik und sein Verhältnis zu den politisch aktiven Senatoren zuzulassen. Meines Er­ achtens ist dies der Tendenz nach möglich, wenn auch Kautelen notwendig sind und Zweifel bleiben. Im Moment zeichnet sich folgendes Bild ab: Theoderichs Zentrale scheint auf die Schlüsselpositionen in der Fiskaladministration nur selten Repräsentanten der höchsten römischen Aristokratie berufen zu haben, also Per­ sonen, die – im Sinne Michael Manns – über ideologische Macht verfügen konn­ ten. Viele dokumentierte Funktionsträger stammen oft nicht aus besonders alten oder stadtrömischen Familien; die entsprechenden Personen waren aber auch kei­ ne sich emporarbeitenden Funktionsträger niedrigen Ranges (wie etwa scriniarii). Bei der Prätoriumspräfektur setzt mit dem Jahr 500 allerdings ein Wandel ein, vielleicht im Zusammenhang mit Theoderichs Rombesuch. Die Präfekten der fol­ genden Dekade hatten soweit erkennbar mehr ererbtes Sozialprestige und einen

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größeren Rombezug. Allerdings kommt der Laufbahn des Faustus niger bei der Gewichtung der Fasten sehr große Bedeutung zu: Die Einordnung seiner Karriere ist geeignet, die Waagschalen in Bewegung zu setzen. Faustus verfügte über „ideo­ logische Macht“ und war doch ungewöhnlich lange in hohen Ämtern außerhalb Roms aktiv. Er hatte sich früh Theoderich angeschlossen und orientierte sich offen­sichtlich an Ravenna und den anderen norditalischen Zentren. In der Summe muss seine Laufbahn als eher untypisch gelten.94 Über die Präfekten der Zeit nach 512 wissen wir deutlich weniger. Die Hinweise, die wir haben, deuten aber darauf hin, dass Theoderich und seine Berater von der Personalpolitik der Jahre nach 500 wieder abgewichen sind.95 Unter den Finanzcomites sind durchgängig kaum prominente Aristokraten bezeugt. Wie verhält sich nun dieser Befund zu den von der Forschung bisher entwickel­ ten Modi der Differenzierung zwischen senatorischen Gruppen oder der Schich­ tung des senatorischen Milieus?96 Viele der Funktionsträger des Hofs hatten ­Güter in Norditalien. Aber stammten sie auch aus dieser Region? Wir müssen mit der Möglichkeit rechnen, dass der König treue Anhänger in Norditalien versorgte oder sich hohe Amtsträger, die planten, längere Zeit bei Hofe tätig zu sein, dort Güter kauften, wenn auch Ennodius bei einigen Aufsteigern eine Herkunft aus Norditalien zu belegen oder doch vorauszusetzen scheint.97 Aber auch wenn viele hohe Amtsträger des gotischen regnum aus dem Norden Italiens stammten, bilde­ te diese Abkunft bei ihnen noch nicht notwendig ein dominantes Identitätskonsti­ tuens. Faustus niger etwa pflegte enge Verbindungen mit Ligurien, doch lässt sich die Darstellung des norditalischen Patronagemaklers Ennodius auch nicht so deu­ ten, dass Faustus vor allem aus diesem Grund längere Zeit Aufgaben am comitatus übernommen hat. Waren einige der späteren Präfekten und viele comites Theode­ richs novi? Oft wissen wir dies nicht; auch generationenübergreifende Hoforien­ tierung ist bezeugt.98 Eine generelle Charakterisierung dieser Personen als novi lässt sich nur rechtfertigen, wenn wir Familien, die Konsuln und Präfekten in ­ihren Reihen hatten, pauschal Neulinge gegenüberstellen würden. Ein derartiges Schema würde illustre Aufgaben vor allem mit ideologischer Macht und primär wieder die stadtrömischen Ämter als mehr oder minder allein verbindliche Kul­ minationspunkte und Richtmarkierungen öffentlicher Aktivität der soziopoli­ tischen Eliten ansetzen (die Prätoriumspräfektur ist wie angesprochen anders, 94 

Schäfer: Senat (wie Anm. 8), S. 302, S. 306. Siehe schon die interessante Präzisierung Moorheads: Theoderic (wie Anm. 40), S. 149. 96  La Rocca/Oppedisano (Senato [wie Anm. 4], bes. S. 196–200, S. 77, S. 116) vertreten die These, die Gruppe der Senatoren sei einheitlich konstruiert gewesen, der Senat habe als einziger autono­ mer Referenzrahmen ihres Handelns fungiert. Dies ist der einzige Teil ihrer exzellenten Studie, von dem meine Ergebnisse und Vorstellungen markant abweichen. Meines Erachtens wirken sich hier die rechtssystematischen Ansätze der beiden Forscher auf ihre sozialhistorischen Vorannah­ men aus. Allein dieser Beitrag enthält genügend Beispiele für die Heterogenität der Gruppe der Senatoren und für Divergenzen in ihrem politischen Handeln. 97  Barnish: Transformation (wie Anm. 7), S. 130–132. 98  Vgl. ebd., S. 129  f. 95 

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z­ umindest polyvalent, zu bewerten). Wertmaßstäbe dieses Typs erscheinen auch in den Quellen, aber waren sie tatsächlich für das ganze senatorische Milieu hand­ lungsleitend? Haben also etwa viele Finanzcomites nur deshalb Aufgaben bei Hof übernommen, um ihrer Familie die Chance zu sichern, in die Fußstapfen der Decii zu treten? Cassiodors Elogen auf den Senat und das Hochhalten republika­ nischer Abstammung unter den römischen Familien könnten darauf hindeuten.99 In den hundertfünfzig Jahren nach Konstantin waren jedoch viele clarissimi, spectabiles und auch illustres offensichtlich eher auf den comitatus fixiert gewesen als auf Rom oder den konstantinopolitanischen Senat, sonst hätte sich das senatori­ sche Milieu in nachkonstantinischer Zeit kaum so deutlich ausdifferenziert. Dass im 6. Jahrhundert viele politisch Aktive Ravenna über Rom stellten, ist zumindest eine plausible Möglichkeit.100 Christina Kakridi exemplifiziert ihren Differenzierungsansatz, zwischen mili­ tärnahen und rein zivilen Mitgliedern der politischen Figuration Italiens hätten sich Spannungen aufgebaut, vor allem an den Vorgängen in der Spätphase der go­ tischen Herrschaft. Indizien für eine solche Polarisierung aus der frühen Zeit exis­ tieren, so etwa in Liberius’ Karriere, dessen Militärnähe von Variae 11, 1, 16 nahe­ gelegt wird und der nach Theoderichs Tod patricius praesentalis wurde.101 Dass jedoch speziell die Bereitschaft, auch Kommanden zu übernehmen, ihn und Sena­ toren mit ähnlichen Laufbahnen schon zwischen 493 und 525 von kultiviert-lite­ rarischen illustres schied, geben die Quellen nicht her (und wird auch von Kakridi nicht impliziert). Eher schon brachte die Orientierung an den Interessen des ­comitatus ein erweitertes Aufgabenspektrum mit sich. Ähnliches könnte für den viel diskutierten Colosseus gelten, einen comes illustren Ranges mit militärischen Aufgaben, aber einem „nichtgotischen“ Namen.102 Die Aufstiegschancen von ­duces oder lokalen comites mit römisch klingenden (!) Namen in den außerita­ lischen Provinzen lassen sich nicht mit genügender Klarheit eruieren.103 Für die Zeit vor den späten zwanziger Jahren lässt sich die Existenz und das gemeinsame Auftreten einer spezifisch militärisch ausgerichteten römisch-senatorischen Grup­ pe nicht aus den Quellen herausarbeiten. Insgesamt scheint mir die Annahme nicht gerechtfertigt, dass der senatorische Status der gotischen Zeit vor allem von den außeritalischen Provinzen her zu denken sei. Dass sich ein dauerhafter, auf Normenorientierungen beruhender Konflikt zwi­ schen westlichen „Bürokraten“ wie Cassiodor und den Anicii (sowie, als Re­ ferenzgröße im Hintergrund, Justinian) ausmachen lässt, wie M. Shane Bjornlie  99 

Vgl. Cassiodorus,Variae 1, 13; 3, 6; 6, 14; Cameron: Myths (wie Anm. 58). Vgl. La Rocca/Oppedisano: Senato (wie Anm. 4), S. 23–48, S. 185–187. 101 Der Hinweis auf die Narben scheint mir sprechend: vulneribus pulchriorem. Vgl. Arnold: Provinces (wie Anm. 21), S. 88; O’Donnell: Liberius (wie Anm. 60), S. 46–48; vgl. Cassiodorus, Variae 8, 21 zu Cyprianus’ früher Karriere. 102  Mit PLRE II, S. 305 s. v. Colosseus scheint mir Cassiodorus, Variae 3, 23 aber doch so zu verstehen zu sein, dass er „Gote“ war; Onesti: Ostrogoti (wie Anm. 19) hat aber kein eigenes ­Lemma „Colosseus“. 103  Arnold: Provinces (wie Anm. 21). 100 

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vorschlägt, ist aus mehreren Gründen nicht haltbar. Spätestens Alan Camerons klärende Worte zu der hypostasierten politischen gens Anicia haben die Grenzen einer so stark personalisierenden Herangehensweise aufgezeigt.104 Lassen wir die Protagonisten einen Schritt zurücktreten und formulieren das Problem um: Bildet sich in den literarischen Quellen der Zeit ein dauerhafter Gegensatz zwischen „Bürokraten“ und „Altadligen“ ab?105 Zur Klärung dieser Frage müsste zunächst Einigkeit über die Bedeutung der je verwendeten Schlüsseltermini bestehen. An­ gesichts der vielfältigen Konstituentien (Geburt, Rombezug, monarchische Er­ nennung zu illustren Positionen) fällt schon die präzise Bestimmung des Adels­ konzepts nicht leicht. In diesem Beitrag wurde für eine Definition in Anlehnung an Michael Mann plädiert: traditionsgestütztes, aber gleichwohl aktualisiertes Prestige brachte speziell stadtrömischen Familien „ideologische Macht“. Erklä­ rungsbedürftig ist aber auch, was denn unter den Bedingungen der Zeit der ­Begriff „Bürokratie“ meinen kann. Die gotische Monarchie baute zwar in der Tat auf ­einer historischen Bürokratieform auf.106 Aber Personen wie Liberius, Faustus ­niger oder der jüngere Opilio haben sich wohl kaum als Bürokraten in auch nur einer der heutigen semantischen Ladungen des Wortes verstanden. Bjornlie defi­ niert Bürokraten als besonders gebildete Literaten.107 Diese Deutung scheint mir jedoch eine problematische Überbewertung des Befundes, dass zwei prominente Funktionsträger der Zeit, Cassiodor und Johannes Lydus, auch Schriftsteller ­waren. Sicher ist der Ansatz richtig, sich bei der Analyse der Orientierungen der Administratoren nicht nur auf die Leiter der „Ressorts“ zu konzentrieren. Ein westliches Pendant zu Lydus hat sich in unserer Überlieferung jedoch nicht er­ halten. Wie gezeigt, besitzen wir jedoch nicht einmal über die spectabiles der kö­ niglichen Administration genug Informationen, um ihre Wertorientierung und Interessen über allgemeine Vermutungen hinaus nachzuzeichnen. Die Annahme, sie seien in der Mehrzahl Abbilder von Johannes Lydus gewesen, ist (trotz Hin­ weisen auf Gleichgesinnte bei Johannes) zumindest gewagt. Johannes selbst hat zudem die weit stärker bürokratischen Zielsetzungen dienende fiskalische Abtei­ lung der Prätoriumspräfektur fast schon verachtet. Zu den plausiblen Vermutun­ gen darf aber zählen, dass die längerfristig beim comitatus engagierten Funktions­ träger zweiter und dritter Ordnung für die Stabilität der Königsherrschaften ebenso wichtig waren wie die kürzer aktiven illustres. Status und Einkünfte, die während des Dienstes gewonnen wurden, konnten später in die soziale Pyramide Italiens eingespeist werden und dieser Kohäsion verleihen. Der Hinweis auf Personen wie den jüngeren Opilio oder auch seinen Bruder Cyprianus ist gleichwohl hilfreich. Beide erscheinen in vielen Darstellungen pri­ mär als Feinde des Boethius, doch ist damit nur eine exzeptionelle Episode ihres Lebens angesprochen. In den Variae wird die generationenübergreifende Tätig­ 104 

Bjornlie: Politics (wie Anm. 23); Cameron: Myths (wie Anm. 58). Burgarella: Senato (wie Anm. 1), S. 156; Cracco Ruggini: Nobiltà (wie Anm. 3), S. 105–140. 106  Siehe etwa Eich: Denominator (wie Anm. 85) mit weiteren Literaturangaben. 107  Vgl. Bjornlie: Politics (wie Anm. 23), S. 39–59. 105 

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keit der Familie für die res publica hervorgehoben.108 Auch sonst finden in diesem Werk immer wieder Erfahrung, lange Dienstzeiten, Orientierung am Nutzen des Gemeinwesens lobende Erwähnung.109 John Moorhead und Christoph Schäfer sahen Konfliktpotenzial in dem Wunsch der Aufsteiger bei Hof, zum Konsulat und zur Stadtpräfektur zu gelangen. Das Ziel des ersten Abschnitts war, auf die Möglichkeit beziehungsweise das Risiko hinzuweisen, dass unsere Überlieferung Rom mit konkaven und den comitatus mit konvexen Gläsern betrachtet, die fol­ genden Abschnitte konkretisieren diese Überlegungen durch den Blick auf das senatorische Milieu Italiens. Aber auch die im Licht von Michael Manns Grundla­ genwerk vorgenommenen prosopographischen Analysen illustrer Karrieren stüt­ zen die zu Beginn ausgesprochenen Vermutungen: Die Überlieferung privilegiert die großen römischen Aristokraten, den Konsulat als Ehrung. Diese Fokussierung auf Ehrungen in einem romzentrierten Wertesystem muss jedoch nicht die Motiv­ lagen aller Mitglieder der soziopolitische(n) Elite(n) idealtypisch einholen. Über viele der in Ravenna agierenden Funktionsträger wissen wir einfach zu wenig. Die Akteure des comitatus hatten die Chance, über längere Zeit an politischer Macht zu partizipieren. Dass sie überhaupt die kostspielige Würde des ordentlichen Konsulates übernehmen wollten, können wir nicht bei allen voraussetzen.110 Ebenso wenig muss die Stimmabgabe im Senat als besonders hohes Gut erachtet worden sein. In dem Hohen Haus scheinen kaum über die Stadt selbst (damit al­ lerdings unter Umständen auch über ihr Bistum) hinausreichende wichtige Fragen verhandelt worden zu sein. Nur wenn wir in Kategorien wie nationalrömisch, probyzantinisch und progotisch denken, wird der Dienst im comitatus zu einer problematischen oder erklärungsbedürftigen Entscheidung gegen etwas – und nicht für den Einsatz für Italien oder die res publica. Der Wunsch nach persönli­ chem Aufstieg zunächst in der Entscheidungszentrale war mit einer solchen Kon­ stellation durchaus vereinbar.

Abstract This chapter takes a fresh look at the senatorial milieu in Italy under King Theod­ eric. In contrast to previous scholarship, I treat the spectrum of holders of senato­ rial ranks in its entirety. Combining Michael Mann’s typology of power with Adol­ fo La Rocca and Fabrizio Oppedisano’s approach to the forms of access to the Western Senate in the late fifth and sixth centuries, I examine the internal differen­ tiation of the illustrious members of the Senate in relation to wider political and

108 Cassiodorus,

Variae 8, 16. Bjornlie: Politics (wie Anm. 23), S. 48, S. 133. Auch Ennodius kennt als Mittel der Herausstel­ lung nicht nur den Hinweis auf den fulgor palatinus (Epistulae 4, 6), sondern weiß auch um die eingeforderten Aktivitäten der illustres; vgl. etwa Ennodius, Epistulae 1, 22, 6; 2, 4, 2; 17, 2. 110  La Rocca/Oppedisano: Senato (wie Anm. 4), S. 171, S. 189; Orlandi: Anfiteatri (wie Anm. 3), S. 286–306. 109 

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social conditions. This context allows for the analysis of a different set of senato­ rial offices. Most previous studies have focused on the Consuls and City Prefects, even though such offices had little to no involvement in the administration of the kingdom. In contrast, the Praetorian Prefects and the comites who headed the fi­ nancial administration in Italy performed essential tasks for the king. The king and his advisors, as the membership of these ranks suggests, kept political power away from the senators who had high social prestige resulting from their descent and close connections to Rome. A few exceptions to this rule appear around the year 500. The chapter therefore revises the older scholarly consensus of a close involvement of senators with prestigious and ancient family backgrounds in Gothic rule.

Karl Ubl Das Edikt Theoderichs des Großen Konzepte der Kodifikation in den post-römischen Königreichen Althistoriker und Mediävisten nähern sich der Gesetzgebung post-römischer ­Könige häufig aus unterschiedlichen Richtungen. Während in der Perspektive der Alten Geschichte vornehmlich interessiert, wie sich die Könige in ihren Kodifikationen die römische Rechtstradition aneigneten, stellen sich Mittelalterhistoriker in erster Linie die Frage, warum Rechtsbücher überhaupt für das Königtum von Nutzen gewesen sein können. Paradigmatisch für die mediävistische Herangehensweise ist der wegweisende Aufsatz von Patrick Wormald über „Legislation and Germanic Kingship from Euric to Cnut“1 aus dem Jahr 1977. Wormald bezweifelt darin den praktischen Nutzen der Kodifikationen, da sie häufig nur einen kleinen Bereich des Rechtslebens schriftlich erfasst, im Übrigen aber auf der Geltung eines mündlichen Gewohnheitsrechts in einer vorwiegend oralen Gesellschaft beruht hätten. Daneben gibt Wormald zu bedenken, dass häufig längst überholte Vorschriften des römischen Rechts schriftlich tradiert und durch im Laufe von Jahrhunderten hinzugekommene Missverständnisse oder Abschreibfehler verunstaltet worden seien. Einen unmittelbaren praktischen Nutzen schließt Wormald folglich aus und betrachtet die barbarische Gesetzgebung als Ausdruck rein ideologischer Motive: „Germanic kings made laws, partly in order to emulate the literary legal culture of the Roman and Judaeo-Christian civiliza­tion, and partly in order to reinforce the links that bound a king or dynasty to their ­people.“2 Dieser Gegensatz zwischen praktischem und ideologischem Nutzen, den Wormald als heuristisches Paradigma verwendet, ist in der althistorischen Forschung weniger prominent. Jill Harries und John Matthews, die sich in den letzten Jahrzehnten den Kodifikationen Eurichs und Alarichs II. zugewandt haben, nehmen den praktischen Nutzen der Gesetzgebung als gegeben an und untersuchen das 1 Patrick

Wormald: Lex scripta and Verbum regis. Legislation and Germanic Kingship from ­ uric to Cnut. In: Peter H. Sawyer/Ian N. Wood (Hg.): Early Medieval Kingship. Leeds 1977, E S. 105–138. 2  Ebd., S. 136. Später schwächte Wormald seine Position ab: ders.: The Leges Barbarorum. Law and Ethnicity in the Post-Roman West. In: Hans-Werner Goetz/Jörg Jarnut/Walter Pohl (Hg.): Regna and gentes. The Relationship between Late Antique and Early Medieval Peoples and Kingdoms in the Transformation of the Roman World. Leiden 2003, S. 21–53. https://doi.org/10.1515/9783110686692-009

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Verhältnis der barbarischen Könige zur Tradition des römischen Rechts.3 Auch die Forschung zu Theoderichs Edikt geht wie selbstverständlich von der Voraussetzung aus, dass der König ganz konkrete und pragmatische Ziele mit seinem Rechtsbuch verfolgte. Wenn man die Forschung von Felix Dahns immer noch brauchbarem Kommentar aus dem Jahr 1866 bis zur ersten monographischen Studie von Sean Lafferty von 2013 überblickt, beruht die Analyse des Edikts auf drei Vorannahmen: Erstens habe das Edikt auf Klagen aus der Bevölkerung reagiert, die häufig vor den König gebracht worden seien und deshalb einer recht­ lichen Klärung bedurft hätten. Zweitens sei es möglich, die Klagen der Bevölkerung aus den Missständen zu rekonstruieren, die in der von Cassiodor gesammelten Korrespondenz der ostgotischen Könige benannt werden und den Anlass für das Eingreifen des Königs und seiner Amtsträger gaben. Drittens sei das Edikt als ein Versuch des „state-building“ zu verstehen, das heißt als Versuch der Errichtung einer gemeinsamen Grundlage für das Zusammenleben von Römern und Goten. Während diese Vorannahmen mehr oder weniger unumstritten sind, haben sich zwischen Dahn und Lafferty vor allem die Erklärungen dafür verändert, warum es im Ostgotenreich überhaupt häufig zu Klagen und „brennenden Übelständen“4 gekommen sei. Nach Felix Dahn war dafür der Zusammenprall römischer und germanischer Lebensart verantwortlich. Das Edikt habe „den Lieblingsverbrechen der Germanen“5 Einhalt bieten wollen: „Denn abgesehen von der Neigung der Gothen zur Verfolgung ihrer Rechtsforderungen mit den Waffen statt mittelst gerichtlicher Klage, waren es begreiflicherweise vorzugsweise die Liegenschaften der römischen Nachbarn und die fremdartige Schönheit ihrer Frauen, was die Leidenschaften der Sieger reizte.“6 Diese germanozentrische Interpretation des Edikts ist heute nicht mehr vertretbar, nachdem die ethnischen Zuschreibungen in ostgotischen Quellen durch Patrick Amory grundsätzlich problematisiert wur3  Jill D. Harries: How to Make a Law-Code. In: dies./Christopher J. Smith/Michael M. Austin (Hg.): Modus Operandi. Essays in Honour of Geoffrey Rickman. London 1998, S. 63–78; dies.: Legal Culture and Identity in the Fifth-Century West. In: Stephen A. Mitchell/Geoffrey Greatrex (Hg.): Ethnicity and Culture in Late Antiquity. London 2000, S. 45–58; dies.: Not the Theodosian Code. Euric’s Law and Late Fifth-Century Gaul. In: Ralph Mathisen/Danuta Shanzer (Hg.): ­Society and Culture in Late Antique Gaul. Revisiting the Sources. Aldershot 2001, S. 39–51; John F. Matthews: Roman Law and Barbarian Identity in the Late Roman West. In: Mitchell/Greatrex (Hg.): Ethnicity and Culture (diese Anm.), S. 31–44; ders.: Interpreting the Interpretationes of the Breviarium. In: Ralph W. Mathisen (Hg.): Law, ­Society, and Authority in Late Antiquity. Oxford 2001, S. 11–32. 4  Felix Dahn: Die Könige der Germanen. Abt. 3: Verfassung des ostgothischen Reiches in Italien. Abt. 4: Anhänge. Würzburg 1866, S. 15. 5  Ebd., S. 16. 6  Ebd., S. 15. Das Paradigma des germanischen Einflusses ist in der Rechtsgeschichte noch nicht ganz überwunden: Aarne Stüven: Rechtliche Ausprägungen der „civilitas“ im Ostgotenreich. Mit vergleichender Berücksichtigung des westgotischen und des burgundischen Rechts. Frankfurt a. M. 1995; Christoph D. Müller: Das Recht der Ehevoraussetzungen in den Leges der Goten, Burgunder und Franken unter besonderer Berücksichtigung des römischen Vulgarrechts. Berlin 2016, S. 93–96.

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den.7 Was bei Dahn noch zu einer Auswirkung der germanischen Eroberung ­erklärt wurde, erscheint bei Sean Lafferty daher als die Folge des Untergangs rö­ mischer Zivilisation tout court. Das Edikt reflektiert ihm zufolge eine Welt des ­Verfalls der städtischen Kultur, der rechtlichen Unsicherheit, der richterlichen Korruption, der Unterdrückung durch die Mächtigen und des Mangels an Arbeitskräften. Der König sei nicht in der Lage gewesen, die Aristokraten, die „mit ihren Privatarmeen Amok liefen“, durch „juristische Formalitäten einer vergan­ genen Kultur“ zu bändigen. Das Edikt, so Lafferty prägnant, sei ein Versuch der Bewältigung von „Anarchie“.8 In meinem Beitrag möchte ich die ersten beiden Prämissen der Interpretation des Edikts in Zweifel ziehen, nämlich dass das Edikt ausschließlich auf Klagen aus der Bevölkerung zurückgeht und dass die Variae des Cassiodor der „Schlüssel zum Verständnis des Edikts“9 sind. Mit diesem Vorgehen möchte ich nicht ­bestreiten, dass die genannten Prämissen für bestimmte Fragestellungen sinnvoll sind – im Gegenteil: Der Vergleich zwischen dem Edikt und den Variae hat sehr viel zu unserem Verständnis der Gesetzgebung Theoderichs beigetragen,10 gerade deshalb, weil beide Quellen in ihrer sprachlichen Form, in ihrer Überlieferung11 und in ihrer gattungsgeschichtlichen Spezifik unterschiedlicher kaum sein könnten. Auch möchte ich nicht bestreiten, dass Theoderich auf Klagen aus der Be­ völkerung reagiert hätte – schließlich behauptet der König selbst dies im Prolog seines Edikts, und es spricht nichts dafür, dieser Information zu misstrauen. Ich meine allerdings, dass die Orientierung an diesen beiden Prämissen in die Irre ­leiten kann, wenn angenommen wird, dass diejenigen Verbrechen, die besonders häufig erwähnt sind oder besonders schwer bestraft werden sollen, deshalb auch besonders weit verbreitet gewesen sein müssen. Nur weil das Edikt sich nicht wie die Briefe Cassiodors der rhetorischen Einkleidung von Normsetzungen bediente, darf man daraus nicht schließen, es spiegele unverfälscht die Realität Italiens an der Wende zum 6. Jahrhundert wider. Ich halte es für abwegig, einen Gegensatz zwischen der rhetorischen „Vernebelung“ der Verhältnisse bei Cassiodor und der

 7 

Patrick Amory: People and Identity in Ostrogothic Italy, 489–554. Cambridge 1997. Zur Kritik an den radikalen Schlussfolgerungen vgl. Peter Heather: Merely an Ideology? Gothic Identity in Ostrogothic Italy. In: Samuel J. B. Barnish/Federico Marazzi (Hg.): The Ostrogoths from the Migration Period to the Sixth Century. An Ethnographic Perspective. Woodbridge 2007, S. 31–60.  8  Sean Lafferty: Law and Society in the Age of Theoderic the Great. A Study of the Edictum Theoderici. Cambridge 2013, S. 233 („anarchy“), S. 241 („warlords running amock“). Im Anhang der Studie befindet sich die erste Übersetzung in eine moderne Sprache. Hierzu vgl. die Rezension von Detlef Liebs zu Lafferty, Law and Society, in: ZRG RA 132 (2015), S. 560–570.  9  Dahn: Könige der Germanen (wie Anm. 4), S. 15. 10  Hier sind vor allem zu nennen: Dahn: Könige der Germanen (wie Anm. 4); Dorothee Kohlhas-Müller: Untersuchungen zur Rechtsstellung Theoderichs des Großen. Frankfurt a. M. u. a. 1995, S. 228–258; Lafferty: Law and Society (wie Anm. 8). 11  Während die Variae zum Vorbild der Briefliteratur im gesamten Mittelalter wurden, ist das Edikt nur in handschriftlichen Fragmenten (vgl. http://www.leges.uni-koeln.de/lex/edictumtheoderici/) sowie in der vollständigen editio princeps des 16. Jahrhunderts erhalten geblieben.

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schonungslosen Benennung von Missständen im Edikt zu konstruieren.12 Schließlich ist zu bedenken, dass eine praktische Anwendung des Edikts gar nicht be­ wiesen werden kann: Kein einziger Brief der ostgotischen Könige enthält einen eindeutigen Verweis auf Inhalte des Edikts.13 Das Edikt steht vielmehr trotz des Anscheins von Praktikabilität unverbunden neben den Briefen und Direktiven der Könige. Von der Präsenz eines Verbots darf somit nicht automatisch auf die Präsenz eines Missstandes geschlossen werden. Darüber hinaus führt die Reduzierung von Gesetzgebung allein auf die praktische Anwendung dazu, dass andere Funktionen der Normsetzung außer Acht gelassen werden. Dabei geht es mir nicht darum, den ideologischen Nutzen gegen den praktischen Nutzen auszuspielen, wie es Wormald getan hat, sondern vielmehr andere Dimensionen der Gesetzgebung zu identifizieren, die parallel zum praktischen Nutzen wirksam wurden, ja sogar ohne diesen zugrundeliegenden praktischen Nutzen gar nicht ihre Wirkung entfalten konnten.14 Meines Erachtens ist besonders zu berücksichtigen, dass es sich bei Kodifikationen nicht einfach um Gesetzgebung handelt, sondern um eine s­pezifische Form von Gesetzgebung. Kodifikation ist nicht nur wie Gesetzgebung ein „index of governing mentality“,15 wie Wormald es formuliert hat, sondern Kodifikation gibt darüber hinaus ein paradigmatisches Abbild der normativen Ordnung einer Gemeinschaft.16 Um es in der Terminologie von Niklas Luhmann zu beschreiben: Gesetzgebung verhält sich zur Kodifikation wie die Beobachtung erster Ordnung zur Beobachtung zweiter Ordnung. Kodifikationen reflektieren über die vorhandene normative Ordnung, stellen bewusst Systematik und Ein12 Lafferty

spricht vom „smokescreen of Roman civilitas offered up by Cassiodorus“ (ebd., S. 241). In seiner neuen Publikation Sean Lafferty: The Law. In: Jonathan J. Arnold/M. Shane Bjornlie/Kristina Sessa (Hg.): A Companion to Ostrogothic Italy. Leiden/Boston 2016, S. 147– 172, stützt er diese Behauptung durch den Verweis auf die problematische These von Bjornlie über die spätere Verfälschung der Briefe durch Cassiodor: M. Shane Bjornlie: Politics and Tradi­ tion between Rome, Ravenna and Constantinople. A Study of Cassiodorus and the Variae, 527– 554. Cambridge 2013. Vgl. die Besprechung von Hans-Ulrich Wiemer, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 11 [15. 11. 2013], online zugänglich unter: www.sehepunkte.de/2013/11/22995.html (letzter Zugriff am 4. 3. 2020). 13  Implizite Verweise auf das Edikt werden diskutiert für Cassiodorus, Variae 4, 10 und Kommentar von Andrea Giardina/Giovanni Cecconi/Ignazio Tantillo (Hg.): Flavio Magno Aurelio Cassiodoro Senatore, Varie. Bd. 2. Rom 2014, S. 324 und für Cassio­dorus, Variae 5, 33, S. 208 und Kommentar, Bd. 2, S. 454. Die Diskrepanz zwischen den Variae und dem Edikt bei der Behandlung des Frauenraubs diskutiert M. Shane Bjornlie: Law, Ethnicity and Taxes in Ostrogothic Italy. A Case for Continuity, Adaptation and Departure. In: EME 22 (2014), S. 138–170, hier: S. 145. 14  Ausführlicher hierzu Karl Ubl: Sinnstiftungen eines Rechtsbuchs. Die Lex Salica im Frankenreich. Ostfildern 2017, S. 24–35. 15 Patrick Wormald: The Making of English Law. King Alfred to the Twelfth Century. Bd. 1: Legislation and its Limits. Oxford 1999, S. 480. 16  Vgl. Dieter Simon: Legislation as Both a World Order and a Legal Order. In: ders./Angeliki E. Laiou (Hg.): Law and Society in Byzantium. Ninth–Twelfth Centuries. Proceedings of the Symposium on Law and Society in Byzantium, 9th to 12th Centuries. Washington 1994, S. 1–25; M. T. G. Humphreys: Law, Power, and Imperial Ideology in the Iconoclast Era, c. 680–850. Oxford 2015, S. 8.

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heitlichkeit her und zielen ihrem Selbstverständnis nach darauf ab, das Recht der Bevölkerung publik und zugänglich zu machen.17 Dies bedeutet nicht, dass ich einer Gleichsetzung von spätantiken und modernen Gesetzbüchern das Wort reden möchte. Es ist evident, dass die kodifikatorische Reflexion über Gesetzgebung an die kulturellen Bedingungen der Spätantike zurückgebunden war.18 Aber die Entscheidungen über die Systematik, die Auswahl an Themen und die Formen der Vereinheitlichung vermitteln einen Eindruck vom Entwurf der politischen Gemeinschaft.19 Mit anderen Worten: Bei Kodifikation ist die symbolische Aus­ sage bedeutend höher einzuschätzen als bei dem Erlass einzelner Gesetze.20 Unter dieser Voraussetzung liegt es nahe, das Edikt Theoderichs nicht mit der gesammelten Korrespondenz der gotischen Könige in den Variae des Cassiodor, sondern mit anderen barbarischen Kodifikationen der Zeit um 500 zu vergleichen.21 Erst mit einem solchen Vergleich kann ergründet werden, welches Konzept von Kodifikation im Edictum Theoderici formuliert worden ist. Vieles spricht dafür, dass Theoderich sein Edikt in den Anfangsjahren kurz nach 500 erlassen hat.22 In etwa zeitgleich entstanden das Edikt König Eurichs (um 470), das Breviar Alarichs II. (506/507) und die burgundische Lex Romana (vor 517). Von diesen wird hier das Breviar nicht herangezogen, weil es römisches Recht wörtlich wiedergibt und nur in der Auswahl eigene kodifikatorische Inte­ ressen verfolgt.23 Das westgotische Rechtsbuch Eurichs und die Lex Romana aus Burgund stehen dem Edikt Theoderichs näher, weil sie wie das ostgotische Edikt fast ausschließlich auf der römischen Rechtstradition beruhen, aber eigenständig 17  Niklas

Luhmann: Rechtssoziologie. Opladen ³1987, S. 193: „Die mit Kodifikationen verfolgten politischen Ziele waren zumeist nicht eigentlich legislatorischer Art, vielmehr in erster Linie solche der ordnungserhaltenden Jurisdiktion: Einheitlichkeit, Publizität und Zugänglichkeit des Rechts sowie Unabhängigkeit der Rechtspflege von lokalen Zersplitterungen und Deformierungen und von Machteinflüssen.“ 18  Harries: How to Make a Law-Code (wie Anm. 3), S. 63–78. 19  Zum Thema vgl. Clemens Gantner/Richard Payne/Walter Pohl (Hg.): Visions of Community in the Post-Roman World. The West, Byzantium and the Islamic World, 300–1100. Farnham 2012; vgl. zudem die paradigmatische Studie von Helmut Reimitz: History, Frankish Identity and the Framing of Western Ethnicity, 550–850. Cambridge 2015. 20  Dies gilt unabhängig davon, dass das Edikt möglicherweise aus älteren Teilen oder Gesetzen zusammengesetzt ist: Detlef Liebs: Magnus von Narbonne. In: ders./Matthias Armgardt (Hg.): Liber amicorum Christoph Krampe zum 70. Geburtstag. Berlin 2013, S. 239–249, hier: S. 248. Ein klarer Hinweis auf solche älteren Teile ist aber nicht vorhanden. 21  Vorbildhaft Hermann Nehlsen: Sklavenrecht zwischen Antike und Mittelalter. Germanisches und römisches Recht in den germanischen Rechtsaufzeichnungen. Bd. 1: Ostgoten, Westgoten, Franken, Langobarden. Frankfurt a. M. 1972; Harald Siems: Handel und Wucher im Spiegel frühmittelalterlicher Rechtsquellen. Hannover 1992. 22  Wilhelm Enßlin: Theoderich der Große. München 21959, S. 239; Detlef Liebs: Die Jurisprudenz im spätantiken Italien (260–640 n. Chr.). Berlin 1987, S. 191; Kohlhas-Müller: Untersuchungen zur Rechtsstellung (wie Anm. 10), S. 230; Lafferty: Law and Society (wie Anm. 8), S. 53. 23  Zur Frage der Auswahl beziehungsweise der Autorschaft der Interpretationes vgl. Matthews: Interpreting the Interpretationes (wie Anm. 3); Detlef Liebs: Römische Jurisprudenz in Gallien (2.–8. Jahrhundert). Berlin 2002, S. 166–176; Bruno Dumézil/Michel Rouche (Hg.): Le Bréviaire d’Alaric. Aux origines du Code civil. Paris 2008.

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mit dieser Tradition verfahren und auf unterschiedliche Weise zu neuen Norm­ setzungen gelangen. Beim Edikt Eurichs stellt sich das bekannte Problem, dass nur ein kleiner Teil des Textes in einer palimpsestierten Handschrift überliefert ist, während der Rest aus sekundärer Überlieferung rekonstruiert werden muss.24 Die burgundische Lex Romana ist dadurch charakterisiert, dass ihre Struktur dem ­Liber constitutionum König Gundobads folgt, das heißt der Kodifikation, die für Burgunder und Römer gleichermaßen in Geltung war und die damit den Rahmen für die Lex Romana weitgehend abgesteckt hat.25 Nur die letzten 12 Titel der Lex Romana sind davon unabhängig ergänzt worden. Neben diesen Unterschieden in Überlieferung und Ausmaß sind noch andere offensichtliche Differenzen vorab zu benennen. Während die Präsenz von Goten beziehungsweise Burgundern im Edikt Eurichs und in den burgundischen Rechtsbüchern deutlich benannt wird, thematisierte Theoderich mit keinem Wort die Herrschaft der Goten. Die Goten werden durchgehend als „Barbaren“ bezeichnet, die dem römischen Recht genauso unterworfen sein sollten wie die Römer selbst. Dies unterscheidet das Edikt auch von den Briefen Cassiodors, in denen die Goten immer als solche angesprochen werden, während „barbarische“ Völker außerhalb Italiens lokalisiert werden.26 Nur zwei Bestimmungen des Edikts sind ausschließlich an die „Barbaren“ adressiert und erklären sich aus deren Stand als Soldaten.27 An keiner Stelle wird für die Goten eine eigene Rechtsordnung in Anspruch genommen. Gegenüber dem römischen Reich und der universalen Geltung des römischen Rechts scheint keine Veränderung stattgefunden zu haben. Gleichwohl benannte Theoderich nicht die römischen Quellen seiner Edikte ausdrücklich, wie es Alarich II. im Breviar und Gundobad in der Lex ­Romana getan haben. Der Anschein einer Unterordnung unter das bestehende römische Reich wird damit vermieden, was auch durch Formulierungen in erster Person (praecipimus, iubemus, decernimus) unterstrichen wird. Theoderich vermittelte daher wie Eurich den Eindruck eines selbstständigen, selbstbewussten und praxisorientierten Umgangs mit Recht, folgte aber viel enger als j­ener dem Wortlaut der römischen Quellen. Bei dem folgenden Vergleich der Kodifika­ 24  Die

beste, aber auch problematische Rekonstruktion lieferte Alvaro d’Ors: Estudios Visigo­ ticos II: El Código de Eurico. Edición, Palingenesia, Indices. Rom/Madrid 1960. Vgl. Siems: Handel und Wucher (wie Anm. 21), S. 119–127; Liebs: Römische Jurisprudenz in Gallien (wie Anm. 23), S. 157–163. 25  Liebs: Römische Jurisprudenz in Gallien (wie Anm. 23), S. 116–118, S. 176–179; Ian Wood: Le Bréviaire chez les Burgondes. In: Dumézil/Rouche (Hg.): Bréviaire d’Alaric (wie Anm. 23), S. 151– 160. 26  Ian Wood: The Term barbarus in Fifth-, Sixth- and Seventh-Century Gaul. In: Zeitschrift für Linguistik 41 (2011), S. 39–50; Amory: People and Identity (wie Anm. 7), S. 81; Bjornlie: Law, Ethnicity and Taxes (wie Anm. 13), S. 154. 27  Edictum Theoderici 32. Dahn: Könige der Germanen (wie Anm. 4), S. 59–61, meint, hier sei den Goten allgemein das Testierrecht und im Speziellen das Recht des Militärtestaments gewährt worden. Lafferty: Law and Society (wie Anm. 8), S. 43, erkennt darin dagegen zu Recht nur die Erlaubnis zum Militärtestament. Edictum Theoderici 145: Kontumazverfahren für abwesende Soldaten; vgl. Lafferty: Law and Society (wie Anm. 8), S. 122.

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tionen müssen diese unterschiedlichen Voraussetzungen im Auge behalten werden.

Systematik Auf den ersten Blick fällt auf, dass Theoderichs Edikt keine ausgefeilte Systematik aufweist, sondern 154 Gesetze ohne erkennbare Ordnung aneinanderreiht. Dies ist deshalb bemerkenswert, weil die meisten anderen Kodifikationen des 5. und 6. Jahrhunderts eine zweistufige Ordnung befolgen. Das Edikt des Westgoten­ königs Eurich hat eingeschobene Titelrubriken ohne Zählung, welche den über 300 Kapitel zählenden Text gliedern. Überliefert ist zum Beispiel der Titel De venditionibus, der 19 untergeordnete Kapitel umfasst.28 Ein wenig anders verhält es sich bei der burgundischen Lex Romana, die nicht die Kapitel, sondern die insgesamt 47 Titel durchzählt. Der Titel De venditionibus findet sich hier an 35. Stelle und umfasst 6 Kapitel.29 Bei Theoderich sind dagegen die Ausführungen zum Verkauf auf zwei Stellen des Edikts verstreut: auf die Kapitel 138–141 und auf das Kapitel 147.30 Von diesem Befund ausgehend liegt die Vermutung nahe, dass Theoderichs Edikt für den praktischen Gebrauch kaum geeignet war, weil der Benutzer keine Orientierung in die Hand bekam und mühsam nach den geeigneten Stellen hätte suchen müssen. Detlef Liebs urteilte 2013 in diesem Sinn: „Es ist ohne Ordnungsplan zusammengeschustert, tastet sich assoziativ von Kleinkomplex zu Kleinkomplex vor. Gegen Ende stehen immer seltener mehrere Vorschriften desselben Regelungsbereichs beieinander; ein bunter Sack noch nicht berücksichtigter Punkte beschließt das Ganze. So gehen Nichtjuristen vor, die nichtsdestoweniger sinnvolle Einzelbestimmungen zu formulieren in der Lage sind, wie etwa bei Vereinen und ihren im Laufe der Zeit zustande gekommenen Vereinsbeschlüssen beobachtet werden kann.“31 Dieses vernichtende Verdikt (das auch von Dahn und Lafferty32 geteilt wird) ist aber nur dann plausibel, wenn wir ausschließen können, dass die Köpfe, die hinter dem Edikt standen, mit der Unordnung eine spezifische Botschaft vermitteln wollten. Dass es sich bei diesen gelehrten Köpfen um vollkommene Neulinge auf dem Gebiet des Rechts handeln könnte, ist allein durch die Reichhaltigkeit der juristischen Quellen schwer vorstellbar, die dem Edikt Theoderichs zugrunde liegen. Die Autoren des Edikts zogen die pseudo-paulinischen Sentenzen, Schriften von Ulpian und Papinian, die Codices Gregorianus, Hermogenianus und Theodosianus sowie eine Novellensammlung heran.33 Ist es wahrscheinlich, dass Juris28 

Codex Euricianus CCLXXXVI. Lex Romana sive forma et expositio legum Romanarum XXXV. In den Handschriften gibt es keine Unterteilung der Titel. 30  Edictum Theoderici 138–141; 147. 31  Liebs: Magnus von Narbonne (wie Anm. 20), S. 248. 32  Lafferty: Law and Society (wie Anm. 8), S. 241; vgl. auch Dahn: Könige der Germanen (wie Anm. 4), S. 13. 33  Liebs: Jurisprudenz im spätantiken Italien (wie Anm. 22), S. 191–194. 29 

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ten mit dieser Kenntnis des römischen Rechts und mit einem beachtlichen Verständnis für juristische Feinheiten nicht zu einer ansprechenden Systematik in der Lage gewesen wären? Ich wage es zu bezweifeln. Meines Erachtens soll die Ungeordnetheit vielmehr die Botschaft des Prologs unterstreichen: Der König habe auf Klagen reagiert, „dass einige innerhalb der Provinzen die Vorschriften des Rechts mit Füßen treten“; er habe die Augen darauf gerichtet, was häufig vorkommen kann.34 Im Epilog betont der König erneut, dass er im Edikt festhalten ließ, „so viel es seine Beschäftigungen erlauben und was ihm bis zu dieser Zeit aufgefallen“35 sei. Der Eindruck, den das Edikt hinterlässt, ist somit, dass sich der König in jeder Hinsicht um die Geltung des ius publicum bemüht habe. Die Unordnung ist nicht Folge von Nachlässigkeit, sondern symbolisiert die kontinuierliche Sorge des Königs für die quies generalitatis, den allgemeinen Frieden. Im Vergleich mit der Lex Romana für Burgund liegt somit ein anderes Konzept der Kodifikation zugrunde. Der burgundische König Gundobad kündigte in seiner prima constitutio eine Kurzfassung des römischen Rechts für die Romanen an, eine forma et expositio legum conscripta. Dieses Werk hat tatsächlich die Form ­eines Elementarwerks, welches durch die Übernahme der Gliederung aus dem ­Liber constitutionum Gundobads die Eigenheiten des römischen Rechts gegenüber der barbarischen Rechtsordnung umso deutlicher hervortreten lässt. Das Edikt Theoderichs behandelt dagegen Römer und Barbaren gleich und will kein systematisches Elementarwerk sein, sondern eine Widerspiegelung der praktischen Probleme, die an den Hof des Ostgotenkönigs herangetragen wurden. Ist aber Liebs nicht insofern recht zu geben, als dass die Unordnung trotzdem praktische Nachteile mit sich gebracht haben muss? Dies ist zwar richtig, fällt aber meines Erachtens nicht ins Gewicht. Denn der König erließ in seinem Edikt ohnehin kein neues Recht, sondern bestätigte letztlich die Gültigkeit des römischen Rechts, wie er im Prolog und Epilog nicht müde wurde zu betonen. Im Prolog schrieb er: „Wir haben befohlen, die vorliegenden Edikte zu beachten, damit unbeschadet der Achtung vor dem öffentlichen Recht (ius publicum) und unter Wahrung aller Konstitutionen (leges) durch die Ergebenheit aller die Barbaren und Römer erkennen, was sie kraft der hier ausgeführten Rechtssätze beachten sollen.“36 Das ius publicum und die leges beziehen sich auf die beiden Hauptquellen des Edikts, die pseudo-paulinischen Sentenzen und den Codex Theodosianus. Die Unordnung des Edikts ist somit deshalb unproblematisch, weil das Edikt nichts anderes ist als eine Sammlung von Einzelproblemen, deren Inhalte präg34  Edictum Theoderici, prol.: Querelae ad nos plurimae pervenerunt, intra provincias nonnullos legum praecepta calcare. Et quamvis nullus iniuste factum possit sub legum auctoritate defendere: nos tamen cogitantes generalitatis quietem, et ante oculos habentes illa, quae possunt saepe contin­ gere, pro huiusmodi casibus terminandis, praesentia iussimus edicta pendere. 35  Edictum Theoderici 155: Haec quantum occupationes nostrae admittere, vel quae nobis ad praesens occurrere potuerunt, cunctis, tam barbaris quam Romanis, sumus profutura complexi: quae omnium barbarorum sive Romanorum debet servare devotio. 36  Edictum Theoderici, prol.: […] praesentia iussimus edicta pendere ut salva iuris publici reveren­ tia, et legibus omnibus cunctorum devotione servandis, quae barbari Romanique sequi debeant super expressis articulis, edictis praesentibus evidenter cognoscant.

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nant zusammengefasst und eingeschärft werden. Es will kein neues Recht setzen, sondern die Rechtsförmigkeit der ostgotischen Herrschaft unter Beweis stellen.37

Korruption und Amtsmissbrauch Das zweite Beispiel, bei dem meines Erachtens eine buchstäbliche Lektüre des Edikts in die Irre führt, betrifft die zahlreichen Regelungen zu Korruption, Selbsthilfe und Amtsmissbrauch der Funktionsträger des gotischen Königreichs. Bereits der Anfang gibt den Ton vor: „An erster Stelle setzen wir daher fest, dass ein Richter, wenn er Geld annimmt, damit er zu Lasten einer unschuldigen Person gegen die Kaisergesetze und gegen die Vorschriften des ius publicum urteilt, mit dem Tod bestraft werde.“38 Weitere Regelungen zur Rechtspflege folgen vor allem am Beginn des Edikts bis Kapitel 14 und werden sporadisch immer wieder bis zum Schluss eingestreut. In Kapitel 44 wird beispielsweise verfügt, dass kein mächtiger Römer oder Barbar sich als Verteidiger oder Fürsprecher in Prozesse einmische.39 In Kapitel 99 ist festgesetzt, dass die Kapitalstrafe über denjenigen verhängt werden müsse, der einen Menschen ohne Anhörung und ohne Amtsgewalt oder Gerichtsgewalt eines zuständigen Richters schuldlos hinzurichten befiehlt oder dazu Rat gibt.40 Wichtig ist dem Gesetzgeber sowohl die strenge Achtung der Grenzen richterlicher Macht als auch die Bestrafung von Anmaßung richterlicher Gewalt durch potente Privatpersonen. Diese Fokussierung auf die Rechtspflege hat immer wieder das Urteil provoziert, der ostgotische König habe auf diese Weise „den Zerfall der staatlichen Ordnung“41 aufhalten wollen, wie Detlef Liebs schreibt. Lafferty zeichnet aufgrund der häufigen Erwähnung richterlicher Korruption ein noch düstereres Bild der öffentlichen Ordnung im ostgotischen Staat: „Our sources also underscore just how fragil Theoderic’s justice system was, and call attention to the dangers that threatened to take it down: the exercise of patronage, judicial venality and corruption, and the limitations of government. These problems were not unique to Theoderic’s Italy, but rather were endemic throughout the former parts of the western Roman Empire […] What was the difference in the case of Theoderic, however, was the King’s ability to mask these problems behind a rhetoric of Roman renewal […].“42 37 

Cassiodor prägt hierfür den Begriff der civilitas, der aber im Edikt nicht begegnet. Hierzu vgl. Amory: People and Identity (wie Anm. 7), S. 43–85; Christina Kakridi: Cassiodors Variae. Literatur und Politik im ostgotischen Italien. München 2005, S. 339–347. 38  Edictum Theoderici 1: Priore itaque loco statuimus, ut si iudex acceperit pecuniam, quatinus adversum caput innocens contra leges et iuris publici cauta iudicaret, capite puniatur. 39  Ebd. 44: Nullus se potens Romanus aut barbarus tamquam defensor aut suffragator misceat. 40 Ebd. 99: Qui hominem sine audientia et sine potestate vel iurisdictione iudicis competentis ­immerito iusserit vel suaserit occidi, tanquam reus homicidii occidatur. 41  Liebs: Jurisprudenz im spätantiken Italien (wie Anm. 22), S. 191. 42  Lafferty: Law and Society (wie Anm. 8), S. 155. Die Argumentation ist oft problematisch wie ebd., S. 72, wo die Verbreitung von Viehdiebstahl in Italien mit einem Brief an die Provinzen ­Siscia und Savia belegt wird: Cassiodorus, Variae 4, 49.

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Dieses Verdikt steht nicht nur im Widerspruch zu einem Großteil der Forschung zum ostgotischen Italien,43 es hängt auch an einer voraussetzungsreichen Annahme, nämlich dass normative Regelungen zu Korruption, Selbsthilfe und Amtsmissbrauch notwendigerweise den Rückschluss auf die tatsächliche Existenz solcher Probleme erlauben. Ich möchte an dieser Stelle nicht die Debatte darüber aufgreifen, ob die vielen Kaisergesetze der Spätantike zu Korruption und Amtsmissbrauch eher die Stärke des römischen Staates belegen oder ein Indiz für seine innere Schwäche sind.44 Ich möchte nur darauf hinweisen, dass es etwas anderes ist, wenn einzelne Gesetze gegen Korruption und Amtsmissbrauch erlassen werden, als wenn in einer Kodifikation der Akzent auf diese Probleme gelegt wird. Gesetze, ich wiederhole es, sind Normsetzungen erster Ordnung, Kodifikationen Normsetzungen zweiter Ordnung. Wenn Theoderich also sein Edikt mit einer Reihe von Bestimmungen zu Amtsmissbrauch, Korruption und anderen Rechtspflegedelikten beginnt, wird es wohl so gewesen sein, dass es in diesem Bereich auch Missstände gab. Viel interessanter ist jedoch die dadurch vermittelte Botschaft, nämlich dass Theoderich in der Nachfolge spätantiker Kaiser mit diesen Missständen aufräumen will und sich als neuer Garant für die Herrschaft des Rechts in Szene setzt. Auch hier hilft ein Vergleich mit den anderen Kodifikationen der Zeit um 500. Die burgundische Lex Romana zum Beispiel hat fast nichts zum Thema von Korruption und Amtsmissbrauch beizusteuern. Nur in Titel 30 geht es um die Gerichtsgehilfen, die apparitores, die sich bei der Exekution durch ein königliches Bestallungsschreiben ausweisen müssen und nicht mehr als einen solidus als Sporteln annehmen dürfen.45 Ansonsten schweigt die burgundische Lex Romana zu diesem Thema. Bedeutet dies, dass es im Reich der Burgunder weniger Probleme mit Korruption und Amtsmissbrauch gegeben hat? Dies wird niemand ernsthaft behaupten wollen, wissen wir doch, dass König Gundobad in der ersten Kon­ stitution seines Liber constitutionum genau diese Probleme thematisierte und die integritas et aequitas iudicandi wortgewaltig einforderte.46 Wenn dagegen in der 43 Enßlin:

Theoderich (wie Anm. 22), S. 152–207; Frank Ausbüttel: Die Verwaltung der Städte und Provinzen im spätantiken Italien. Frankfurt a. M. u. a. 1988; Gideon Maier: Amtsträger und Herrscher in der Romania Gothica. Vergleichende Untersuchungen zu den Institutionen der ­ostgermanischen Völkerwanderungsreiche. Stuttgart 2004; Hans-Ulrich Wiemer: Die Goten in Italien. Wandlungen und Zerfall einer Gewaltgemeinschaft. In: HZ 296 (2013), S. 593–628, hier: S. 604. Eine Extremposition von Kontinuität vertritt Jonathan J. Arnold: Theoderic and the ­Roman Imperial Restoration. Cambridge 2014. 44  Ramsay MacMullen: Corruption and the Decline of Rome. New Haven u. a. 1988; Lafferty: Law (wie Anm. 12), S. 163 f. Contra: Jill D. Harries: Law and Empire in Late Antiquity. Cambridge 2000, S. 153–171; Christopher Kelly: Ruling the Later Roman Empire. Cambridge ²2006; Sebastian Schmidt-Hofner: Reagieren und Gestalten. Der Regierungsstil des spätrömischen Kaisers am Beispiel der Gesetzgebung Valentinians I. München 2008, S. 71–80. 45  Lex Romana sive forma et expositio legum Romanarum 30. Vergleichbar: Edictum Theoderici 73. 46  Liber constitutionum sive Lex Gundobada. In: Ludwig Rudolf von Salis (Hg.): Leges Burgundionum. Hannover 1892, S. 29–122, hier: S. 29–34. Hierzu vgl. Stefan Esders: Römische Rechtstradition und merowingisches Königtum. Zum Rechtscharakter politischer Herrschaft in Burgund

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Lex Romana Korruption und Amtsmissbrauch nicht mehr eigens angesprochen werden, so lässt sich vermuten, dass hiermit Probleme des Zusammenlebens zwischen Römern und Burgundern berührt wurden, dem der Liber constitutionum gewidmet ist. Das wird wohl auch der Hintergrund dafür gewesen sein, dass Theoderich sein Edikt, das er ausdrücklich für das friedliche Zusammenleben zwischen Römern und Barbaren erlassen hat, mit diesem Themenbereich be­ ginnen ließ. Korruption und Amtsmissbrauch waren deshalb so heikel, weil ­gegenseitige Vorwürfe von Bestechlichkeit, gerichtlicher Patronage, Anmaßung öffentlicher Gewalt und Übervorteilung das Verhältnis zwischen den Bevölkerungsgruppen vergiften konnten, da die Barbaren als Soldaten ein enges Vertrauensverhältnis zum König hatten, der Staatsapparat aber weiterhin aus Romanen bestand.47 Ich möchte nicht bestreiten, dass Rechtspflegedelikte wie gerichtliche Anmaßung, Kontumaz, Korruption und Amtsmissbrauch verbreitet waren und deshalb vom ostgotischen König mit schweren Strafen bedroht werden mussten. Ich meine allerdings, dass man die Verbreitung dieser Missstände dem Edikt nicht durch eine buchstäbliche Lektüre entnehmen kann. Es gibt nämlich zu denken, dass Lafferty in dem Abschnitt seines Buches, in dem er Rechtspflegedelikte diskutiert, kaum auf die Variae des Cassiodor zurückgreift und deshalb vermuten muss, dass die im Edikt angesprochenen Probleme in der Korrespondenz der gotischen Könige durch großspurige Rhetorik überdeckt worden seien.48 Vielleicht verhält es sich aber gerade anders herum: Das Edikt thematisiert vollmundig eine Problematik, die vor Ort gar nicht als so drängend empfunden und deshalb in den Variae nicht in der gleichen Prominenz abgehandelt wurde. Die Variae hinterlassen den Eindruck, dass nicht Selbsthilfe und Kontumaz (nach Dahn die „Lieblingsverbrechen der Germanen“) verbreitet waren, sondern dass die Bevölkerung gegen die Bedrückung durch die Amtsträger geschützt werden musste.

Die Präsenz der bäuerlichen Lebenswelt Zuletzt soll eine dritte Thematik angesprochen werden, die starke Präsenz von Regelungen der bäuerlichen Lebenswelt. Sean Lafferty zieht aus dieser Fokussierung den Schluss, dass die urbane Kultur bereits untergegangen sei, die Städte kleinen befestigten Siedlungen gewichen seien und dass die ökonomische Produktion weitgehend auf das Land verlagert worden sei: „The law’s concern for land and landholders underscores the predominantly rural character of the early meim 6. und 7. Jahrhundert. Göttingen 1997. Auch das Edikt des Königs Eurich hat vermutlich mit einer Bestimmung gegen Amtsmissbrauch begonnen: Karl Zeumer: Geschichte der westgothischen Gesetzgebung II. In: Neues Archiv 24 (1899), S. 39–122, hier: S. 76; d’Ors: Estudios (wie Anm. 24), S. 56–70. Gerichtliche Patronage: Codex Euricianus CCCXII. 47 Vgl. Maier: Amtsträger und Herrscher (wie Anm. 43), S. 207–225; Heather: Gothic Identity (wie Anm. 7); Wiemer: Die Goten in Italien (wie Anm. 43), S. 611–614. 48  Lafferty: Law and Society (wie Anm. 8), S. 155; ders.: Law (wie Anm. 12), S. 166.

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dieval Italian economy.“49 Die Belege für diese Behauptung sind erstaunlich dünn. Dass in einem eigenen Kapitel Wahrsagerei und Zauberei mit der Todesstrafe bedroht werden, wird man wohl kaum als Indiz für die Verbreitung von „black arts among rural populations“50 werten können. Ebenso ist die Prominenz des Viehdiebstahls, der in Kapitel 56–58 abgehandelt wird, nicht allein auf die Deurba­ nisierung der Gesellschaft zurückzuführen. Schließlich hing von der Viehhaltung auch die Versorgung der Großstädte mit Fleisch ab, wie Detlef Liebs anmerkte.51 Auch die Tatsache, dass sich das Edikt nicht zum Raub von geweihten Jungfrauen oder Witwen äußert, ist wohl kaum darauf zurückzuführen: „that they were an uncommon feature of rural life in the Italian countryside“.52 Nähme man dies als Maßstab, so müsste man Burgund, wo dieses Delikt thematisiert wird, im Vergleich zu Italien als geradezu hochurbanisiert bezeichnen. Ich denke, diese Beispiele genügen, um zu zeigen, dass der Grad an Urbanisierung einer Gesellschaft nicht aus den Rechtsquellen abgelesen, sondern dass diese Frage den Archäologen und Siedlungshistorikern überlassen werden sollte.53 Dennoch bleibt der Befund zu erklären, warum Tatbestände im Edikt einer Regelung unterzogen wurden, bei denen die Adressaten nur schwer zu bestimmen sind. Es bedarf keiner besonderen Erklärung, warum der König sich im Edikt für eine strenge Ehemoral (21 von 154 Kapiteln),54 für die Verfolgung flüchtiger Sklaven oder, wie bereits ausgeführt, für die Bestrafung von Korruption und Amtsmissbrauch einsetzt. Für solche Regelungen lassen sich leicht die Adressaten bestimmen, weil die Grundbesitzer ein Interesse an der strengen Aufrechterhaltung der persönlichen Unfreiheit des Sklavenstandes hatten, weil die Elite die Aufsicht über ihre Frauen und die Ehepolitik behalten wollte und weil der König selbst sich durch Gesetze gegen Korruption als legitimer Herrscher darstellte. Schwieriger ist die Frage zu beantworten, wer an den folgenden Regelungen ein Interesse hatte: Wer ein herrenloses Rind, ein Pferd oder ein anderes Kleinvieh wegführt, muss im höheren Grade als des Diebstahls schuldig beurteilt werden, und er soll die Tiere oder das Kleinvieh vierfach zurückerstatten; außer er hat es öf­ fentlich bekannt gemacht von dem Tage an, als er es fand, die sieben folgen­ 49 

Lafferty: Law and Society (wie Anm. 8), S. 236. Ebd., S. 92. 51  Vgl. die Rezension von Detlef Liebs zu Lafferty, Law and Society, in: ZRG RA 132 (2015), S. 560–570, hier: S. 564. 52  Lafferty: Law and Society (wie Anm. 8), S. 185. 53  Vgl. die Beiträge von Neil Christie, Emanuele Vaccaro und Christian Witschel in diesem Band. Kritisch gegenüber den Einschätzungen von Lafferty auch Cam Grey: Landowning and Labour in the Rural Economy. In: Arnold/Bjornlie/Sessa (Hg.): Companion (wie Anm. 12), S. 263–295, hier: S. 274–284. 54  Lafferty: Law and Society (wie Anm. 8), S. 169–192. Zum Inzestverbot vgl. Karl Ubl: Inzestverbot und Gesetzgebung. Die Konstruktion eines Verbrechens (300–1100). Berlin/New York 2008, S. 105–109. Zum Frauenraub vgl. auch Judith Evans-Grubbs: Abduction Marriage in Antiquity: A Law of Constantine (CTh. IX. 24. I) and its Social Context. In: JRS 79 (1989), S. 59–83; Sylvie Joye: La femme ravie. Le mariage par rapt dans les sociétés occidentales du haut Moyen Âge. Turnhout 2012, S. 64–67; Bjornlie: Law, Ethnicity and Taxes (wie Anm. 13). 50 

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den Tage an öffentlichen und sehr belebten Orten oder vor dem Sitz des Richters; wenn er dies gemacht hat, erleide er nämlich nicht den Schaden ­irgendeiner Strafe.55 Wenn die fremde Saat oder irgendein Baum durch die Arglist einer Person zerstört wird oder irgendein Schaden daraus entsteht, wird [dem Opfer] das Vierfache im Namen desjenigen, der dies gemacht hat, zugesprochen.56 Über Feldfrüchte, die von jemandem aus dem Landgut irgendeines weg­ genommen werden, kann sowohl ein Kolone als auch der Eigentümer eine Klage anstrengen, weil dies beide angeht.57 Solche Regelungen zieht Lafferty heran, um ein „predominant rural character of the early medieval Italien economy“ und ganz generell „depressed economic conditions“ anzunehmen.58 Ein Vergleich mit Kodifikationen der Zeit um 500 kann auch in diesem Fall dazu beitragen, eine andere Perspektive auf die Regelungen zur bäuerlichen Lebenswelt zu gewinnen. Dabei fällt auf, dass in dem Edikt Eurichs, sofern wir der Rekonstruktion der verlorenen Teile durch Alvaro d’Ors trauen können, diesem Bereich viel mehr Aufmerksamkeit gewidmet wurde als in der Kodifikation Theoderichs. 59 Aus der späteren Rezeption des westgotischen Edikts ist deutlich zu erkennen, dass Eurich die Frage des durch Tiere oder Bäume angerichteten Schadens in großer Ausführlichkeit regelte. Alvaro d’Ors rekonstruierte drei Titel über den Schaden durch Bäume, über die Verletzung von Tieren und über den Schaden von kranken Tieren. Im ersten Titel (De damnis ar­ borum) werden der Schnitt fremder Bäume, die Verwüstung von (Wein-)Gärten, die absichtslose Körperverletzung durch Baumschnitt, die Beschädigung eines Zaunes oder eines Zaunpfahls und der Diebstahl von Holz im fremden Wald behandelt. Ebenso fällt unter ihn der durch Tiere verursachte Schaden auf Feldern, bei dem präzise das Verfahren der Einhegung fremder Tiere und der Rückgabe geregelt wird. Im zweiten Titel (De vitiatis animalibus) geht es um die Verletzung fremder Tiere, indem sie zum Beispiel zur Arbeit eingesetzt oder ohne Erlaubnis 55  Edictum Theoderici 58: Qui bovem vel equum errantem vel aliud pecus abduxerit, furti magis reus tenendus est, et in quadruplum animalia vel pecora sublata restituat: nisi ea ab eo die quo in­ venerit, septem diebus continuis in publicis celeberrimisque locis aut ante praetorium iudicis propo­ suerit; hoc enim facto nullius poenae damna sustineat. Vgl. Lex Romana sive forma et expositio legum Romanarum 4. 56  Edictum Theoderici 151: Sive seges aliena, sive quaelibet arbor cuiusque dolo deiecta fuerit, aut aliquid damni provenerit, in quadruplum eius nomine, qui hoc fecerit, addicatur. Vgl. Hans Hattenauer: De arbore inciso homineque occiso. Stationen eines Rechtsproblems. In: Götz Landwehr (Hg.): Studien zu den germanischen Volksrechten. Gedächtnisschrift Wilhelm Ebel. Frankfurt a. M. 1982, S. 11–34, hier: S. 12–14. 57  Edictum Theoderici 146: De frugibus ab aliquo ex fundo cuiuslibet sublatis, tam colonus, quam dominus, quia utriusque interest, agere potest. 58  Lafferty: Law and Society (wie Anm. 8), S. 239. 59  Lex Visigothorum 8, 3, 1–8, 4, 31. Vgl. d’Ors: Estudios (wie Anm. 24), S. 158–169. Dies gilt mutatis mutandis auch für die burgundische Lex Romana: Lex Romana sive forma et expositio legum Romanarum 12–13; 17; 29; 39.

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des Eigentümers genutzt werden. Im dritten Titel (De vitiosis animalibus) erlässt der Gesetzgeber Vorschriften zum Schaden, den kranke Tiere oder aufgereizte Hunde anrichten. Dazu stellt der Gesetzgeber auch den unbeabsichtigten Schaden durch Tierfallen und nur lose damit verbundene Delikte, welche den öffentlichen Raum betreffen, wie die Wegsperrung und die Zerstörung von Mühlen. Diese drei Titel, zusammen mit den folgenden über Schweine- und Bienenzucht, umfassen ungefähr 50 Kapitel von den insgesamt etwas über 300 Kapiteln des Edikts Eurichs. Sie zeichnen sich durch große Detailfülle aus, die im römischen Recht der Zeit keine Vorbilder hat. Zum geringeren Teil beruhen die Regelungen auf Vorbildern aus den pseudo-paulinischen Sentenzen – die römischen Kaiser setzten sich jedoch in ihren Konstitutionen mit solchen geringfügigen ­Delikten nicht auseinander. Welche Ziele verfolgte Eurich, wenn er die agrarische Lebenswelt so sehr in den Mittelpunkt stellte? Es versteht sich von selbst, dass dieser agrarische Schwerpunkt nicht dazu dienen konnte, die gallo-römische Aristokratie für sich einzunehmen. Für die hochkultivierten Kreise um den Poeten und Schriftsteller Sidonius Apollinaris waren solche Regelungen kaum von Inte­ resse und mussten nur die Kluft zur abstrahierenden Methode des römischen Rechts vor Augen führen. Auch die gotischen Aristokraten, die von den Einkünften ihrer Latifundien lebten und als Gefolgsherren und Patrone im Edikt erwähnt werden, nahmen kaum in direkter Weise Anteil an den Einzelheiten der agrarischen Lebenswelt. Dass der König gerade in diesem Gebiet viele juristische Neuschöpfungen tätigte, ist nur unter einer Voraussetzung plausibel: Eurich wollte ein umfassendes Gesetzbuch erlassen, in welchem die Sorgen jenes Teils der Bevölkerung ernstgenommen werden, der sich nach einem halben Jahrhundert in Aquitanien nicht als aristokratische Grundbesitzerklasse etablieren konnte, sondern einer bäuerlichen Tätigkeit nachging.60 Dabei ging es dem König nicht darum, autochthone Traditionen der gotischen Bevölkerung aufzugreifen, da die Regelungen weitgehend der Logik des römischen Rechts folgen. Sein Ziel war es vielmehr, auch gegenüber der Landbevölkerung als König aufzutreten, der sich für Gerechtigkeit und Ordnung einsetzt. Der universale Anspruch des Rechts kommt in Kodifikationen besonders deutlich zum Ausdruck, weil Kodifikationen als Normsetzungen zweiter Ordnung ein mehr oder weniger vollständiges Abbild der normativen Ordnung geben wollen. Eurich realisierte dieses Ziel, indem er tatsächlich eine umfassende ­Kodifikation erstellen ließ, die sich – in den Worten von Harald Siems – durch ein „Streben nach abstrakter und in gewisser Weise auch den Gegenstand umgreifender Regelung“61 auszeichnet. Theoderich hingegen deckte in seinem Edikt nicht alle Rechtsbereiche ab, aber er konnte Universalität dadurch in Anspruch nehmen, dass er die Interes60  Zur

Situation der Goten in Aquitanien vgl. Herwig Wolfram: Die Goten. Von den Anfängen bis zur Mitte des 6. Jahrhunderts. Entwurf einer historischen Ethnographie. München ³1990, S. 213–244; Manuel Koch: Ethnische Identität im Entstehungsprozess des spanischen Westgotenreiches. Berlin u. a. 2012, S. 33–111. 61  Siems: Handel und Wucher (wie Anm. 21), S. 127.

Das Edikt Theoderichs des Großen

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sen der bäuerlichen Landbevölkerung ernst nahm und durch die ungeordnete und repetitive Ansammlung von Antworten auf Klagen der Bevölkerung den Anschein erweckte, potenziell für alle Rechtsbereiche zuständig zu sein. Den universalen Anspruch formulierte Theoderich ganz explizit in seinem Vor- und Schlusswort, in dem er von der quies generalitatis, der securitas omnium ­provincialium und von der devotio cunctorum sprach. Nur wurde dieser Anspruch nicht durch eine umfassende Kodifikation, sondern durch die Vielheit der angesprochenen Themen und sozialen Gruppen eingelöst.

Schluss Das Edictum Theoderici beruht zwar auf römischer Jurisprudenz, beschreibt aber eine Gesellschaft, die sich im Verhältnis zu den Jahrhunderten römischer Herrschaft dramatisch verändert zu haben scheint. Das Edikt spiegelt nach der vorherrschenden Deutung eine große rechtliche Unsicherheit, die Bedrückung durch Privatarmeen und die Dominanz der kleinen ländlichen Welten wider. War die Gesellschaft des Ostgotenreichs also schon auf dem halben Weg zu den mittelalterlichen Zuständen von Fehde, Gewalt und Agrarwirtschaft? Dieser Vermutung liegt eine voraussetzungsreiche Annahme zugrunde, und zwar dass aus einer Kodifikation nicht nur die Regelungsinteressen des Gesetzgebers, sondern auch die akuten Probleme einer Zeit erschlossen werden können. Problematisch erscheint die Annahme jedoch allein schon deshalb, weil die Gesetze der gotischen Könige nicht als Reskripte entstanden sind, sondern in der damals neuartigen Form einer Kodifikation. Als Normsetzungen zweiter Ordnung folgen Kodifikationen jedoch einer eigenen Logik, weil sie über das Recht der Gesellschaft reflektieren. Nur wenn dieser Aspekt von Kodifikation berücksichtigt wird und die Spezifik des ostgotischen Edikts im Vergleich mit den anderen barbarischen Rechtsbüchern herausgearbeitet wird, kann es in einem zweiten Schritt eine sinnvolle Frage sein, inwiefern der Inhalt des Edikts Rückschlüsse auf die Lebenswelt im Reich des Königs Theoderich erlaubt. Es muss berücksichtigt werden, dass die Auswahl der Rechtsbereiche durch die Erwartungen präjudiziert wurde, die an die Kodifikationen der neuen Könige des Westens herangetragen wurden und die sich im Vergleich besser erkennen lassen. Vorüberlegungen hierzu habe ich in diesem Beitrag angestellt. Als Ergebnis lässt sich erstens festhalten, dass die Unordnung des Edikts nicht als Fehlleistung des Gesetzgebers, sondern als Stilisierung einer beständigen Sorge um Rechtswahrung gelesen werden sollte. Zweitens bewerte ich den Schwerpunkt auf Delikten der Rechtspflege in den ersten Kapiteln des Edikts nicht als einen Reflex auf Anarchie, sondern als eine bewusste Akzentuierung, die das im Prolog formulierte Ideal der Rechtsstaatlichkeit aufgreift. Drittens waren die Regelungen zur bäuer­lichen Lebenswelt kein Vorbote des „Mittelalters“, sie dienten vielmehr dazu, die universale Sorge des Gesetzgebers für alle Teile der Bevölkerung zum Ausdruck zu bringen. Es wäre daher zu einfach, die Fortschreibung des römischen Rechts im Edikt

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auf das Interesse an der Festigung der sozialen Dominanz der Elite zu reduzieren.62 Theoderich positioniert sich als Herrscher über einen Rechtsstaat – und dies gegenüber verschiedenen sozialen Gruppen in seinem Gemeinwesen.

Abstract The Edictum Theoderici, based on Roman jurisprudence, describes a society that seems to have changed dramatically in relation to centuries of Roman rule. According to the prevailing interpretation, the edict reflects great legal uncertainty, the oppression by private armies and the dominance of small rural communities. Was the society of the Ostrogoth Empire halfway to the medieval era of feud, ­violence, and agriculture? This familiar interpretation rests on the idea that a legal codification directly reflects the acute problems of a society. In this paper, I call this idea into question by comparing the Edictum Theoderici with other barbaric law books of the fifth and sixth centuries. First, I argue that the edict’s disorder represents not a failure of the legislator but a stylization of a constant concern for the protection of the law. Second, I treat the edict’s focus on crimes of the administration of justice not as a reaction to anarchy but as a deliberate emphasis on the rule of law. Third, I show that the regulations on rural communities do not constitute a harbinger of the “Middle Ages”. Rather, they served to express the universal concern of the legislator for all parts of society.

62  Peter Heather: The Restoration of Rome. Barbarian Popes and Imperial Pretenders. London 2013, S. 63.

Hans-Ulrich Wiemer Von Theoderich zu Athalarich: das gotische Königtum in Italien1 Einführung Am 30. August des Jahres 526 starb in Ravenna Theoderich der Große im Alter von über 70 Jahren. Der gotische König hatte in Italien volle 33 Jahre lang weitgehend unangefochten geherrscht, seit er 493 Odovakar beseitigt hatte, der seinerseits 476 den letzten römischen Kaiser in Italien abgesetzt hatte. Im Laufe dieser drei Jahrzehnte hatte Theoderich das Gebiet, über das sich seine Herrschaft ­erstreckte, mehr als verdoppelt: Nach der Niederlage des westgotischen Königs Alarich gegen den Franken Chlodwig im Jahre 507 hatte Theoderich zunächst die Provence und wenige Jahre später auch große Teile der iberischen Halbinsel unter seine Herrschaft gebracht.2 Im Jahre 523 konnte er die Grenze seines Herrschaftsgebiets in Gallien dann über die Durance hinaus noch ein wenig weiter nach Norden vorschieben (bis zur Isère, wie es scheint). Im Osten hatte Theoderich sein Herrschaftsgebiet bereits zu Beginn des 6. Jahrhunderts bis zum Zusammenfluss der Save mit der Donau ausgedehnt.3 Theoderich konnte am Ende seines langen Lebens als der mächtigste und reichste Herrscher im post-römischen Westen ­gelten, der allein dem Kaiser einen Vorrang einräumen musste. Gleichwohl hatte der alte Theoderich durchaus Grund, sich Sorgen zu machen. Während sein Reich wuchs, hatte sich der Kreis auswärtiger Herrscher, auf deren 1  Dieser

Aufsatz geht auf einen Vortrag zurück, den ich seit 2013 in verschiedenen Fassungen an den Universitäten Tübingen, Basel, Heidelberg, Erlangen-Nürnberg und Wien sowie der Münchner Kommission für Alte Geschichte und Epigraphik gehalten habe. Ein besonderer Dank gilt Stefan Esders, der mir vorab Einblick in seinen Artikel „Schwur“ für das „Reallexikon für Antike und Christentum“ gewährt hat, Rene Pfeilschifter, der mir geholfen hat, die Argumentation zu präzi­ sieren, Christoph Schubert für Unterstützung beim Verständnis einer schwierigen Jordanes-Stelle, ­Rainer Thiel, der meine Varien-Übersetzungen überprüft und mich vor Fehlern bewahrt hat, sowie ­Sabina Walter für die sorgfältige Korrektur der Druckfahnen. Der von Andrea Giardina, Giovanni Alberto Cecconi und Ignazio Tantillo herausgegebene, grundlegende Kommentar zu den Büchern VIII–X der Varien Cassiodors sei bereits hier genannt: Andrea Giardina/Giovanni Cecconi/ Ignazio Tantillo: Flavio Magno Aurelio Cassiodoro Senatore, Varie. Bd. 4: Libri VIII–X. Rom 2016. Um die Anmerkungen zu entlasten, verweise ich im Folgenden häufiger auf mein Buch: Hans-Ulrich Wiemer: Theoderich der Große. König der Goten, Herrscher der Römer. München 2018. 2  Wiemer: Theoderich (wie Anm. 1), S. 353–397. 3  Ebd., S. 330–352. https://doi.org/10.1515/9783110686692-010

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Unterstützung er zählen konnte, immer weiter verkleinert. Der burgundische König Sigismund ließ 522 seinen Sohn Sigerich aus der Ehe mit Theoderichs Tochter Thiudigotho umbringen.4 Theoderich schloss sich daraufhin 524 dem Kriegszug des fränkischen Königs Chlodomer gegen Sigismund an. Er gewann dadurch 534 einige Städte in der Provence, verlor aber einen potenziellen Bundesgenossen gegen die Merowinger.5 Das Vandalenreich schwenkte auf einen anti-gotischen Kurs ein, als 523 Hilderich auf Thrasamund folgte.6 Die Witwe des Königs, Theoderichs Schwester Amalafrida, musste vom Hof fliehen, wurde gefangengenommen und starb in der Haft.7 Theoderich empfand sich und sein Reich als akut bedroht. Er gab ein gigantisches Flottenprogramm in Auftrag; bis zum 26. Juni 526 sollten nicht weniger als 1 000 leichte Kriegsschiffe, sogenannte Dromonen, erbaut und ausgerüstet werden. Die Umsetzung dieses Plans stieß jedoch auf große Schwierigkeiten; die nötigen Ressourcen konnten nicht wie geplant mobilisiert werden.8 Auch im Bereich der Innenpolitik stauten sich ungelöste Probleme. Auf der iberischen Halbinsel war der Wille Theoderichs nur schwer durchzusetzen: Der „Landesverweser“ Theudis weigerte sich rundheraus, einer Ladung an den Hof von Ravenna Folge zu leisten.9 In Italien war der sorgfältig austarierte Kompromiss zwischen gotischen Kriegern und römischen Eliten ins Wanken geraten. Die Hinrichtung hochrangiger Senatoren in den Jahren 524 und 525 hatte an den Grundlagen gerüttelt, auf denen die Kooperation zwischen dem König und dem Senat bis dahin beruht hatte.10 Auch das über Jahrzehnte hinweg kooperative Verhältnis zum katholischen Episkopat Italiens war inzwischen belastet, nachdem  4 Gregorius

Turonensis, Historiae 3, 5; Gregorius Turonensis, Liber in gloria martyrum 74; Marius Aventicus, Chronicon sub anno 522.  5 Cassiodorus, Variae 8, 10, 8; Procopius, Bella 5, 12, 23–32; Agathias, Historiae 1, 3, 3; 1, 3, 5  f.; Gregorius Turonensis, Historiae 3, 6; Marius Aventicus, Chronicon sub anno 523 und 524; dazu Reinhard Kaiser: Die Burgunder. Stuttgart 2004, S. 68–71. Die These von Justin Favrod: Histoire politique du royaume burgonde (443–554). Lausanne 1997, S. 439–443, Gregor von Tours habe den Frankenkönig Theuderich mit Theoderich dem Großen verwechselt, ist nicht hinreichend begründet.  6 Dazu jetzt grundlegend Konrad Vössing: Das Vandalenreich unter Hilderich und Gelimer (523–534 n. Chr.). Neubeginn und Untergang. Paderborn 2019; vgl. auch Konrad Vössing: Das Königreich der Vandalen. Darmstadt 2014, S. 125–130; Roland Steinacher: Die Vandalen. Aufstieg und Fall eines Barbarenreichs. Stuttgart 2016, S. 289–292.  7 Cassiodorus, Variae 9, 1; Victor Tunnunensis, Chronicon sub anno 523; Procopius, Bella 3, 9, 4. Amalasvintha wies den comes patrimonii Bergantinus (PLRE II Bergantinus) bald nach dem Tod Theoderichs an, Theodahad eine der massae als Erbteil zu übertragen, die zum patrimonium s­ einer verstorbenen Mutter Amalafrida gehört hatte: Cassiodorus, Variae 8, 23.  8  Auf das Flottenprogramm werde ich an anderer Stelle ausführlich eingehen.  9 Jordanes, Getica 302; Procopius, Bella 5, 12, 50–54; PLRE II Theudis. 10  Die Literatur zum Boethius-Prozess ist kaum noch zu überschauen; zuletzt Andreas Goltz: Barbar – König – Tyrann. Das Bild Theoderichs des Großen in der Überlieferung des 5. bis 9. Jahrhunderts. Berlin/New York 2008, S. 355–399; Katharina Wojciech: Die Gerichtsbarkeit des Praefectus urbis Romae über Senatoren zur Zeit Theoderichs. Verfahrensrechtliche Kontinuität und politischer Pragmatismus. In: Rudolf Haensch (Hg.): Recht haben und Recht bekommen im Imperium Romanum. Das Gerichtswesen der römischen Kaiserzeit und seine dokumentarische Evidenz. Warschau 2016, S. 265–298; Wiemer: Theoderich (wie Anm. 1), S. 544–550.

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Theoderich kurz vor seinem Tod Papst Johannes gezwungen hatte, sich beim Kaiser für Anhänger derjenigen Glaubensrichtung einzusetzen, welcher der König und die große Mehrheit seiner Goten anhingen. Diese in der zeitgenössischen ­Polemik und in Teilen der modernen Forschung als Arianismus bezeichnete Glaubensrichtung nämlich war aus katholischer Sicht nichts anderes als Ketzerei. Der gedemütigte Papst war bald nach seiner Rückkehr aus Konstantinopel gestorben und wurde in Rom als Märtyrer des wahren Glaubens verehrt.11 Schließlich und endlich aber war es Theoderich nicht geglückt, die Nachfolgefrage zu Lebzeiten zu regeln. Der König hatte lange auf einen leiblichen Sohn gehofft, der ihm jedoch versagt blieb. Dann hatte er ab 515 einen Westgoten namens Eutharich zum Thronerben aufgebaut und für diese Nachfolgeregelung auch die Zustimmung des Kaisers erwirkt. Eutharich heiratete 515 Theoderichs Tochter Amalasvintha,12 die ihm bald darauf zwei Kinder gebar, den Knaben Athalarich (im Jahre 516 oder 518)13 sowie das Mädchen Matasuentha. Im Jahre 519 be­ kleidete Eutharich gemeinsam mit Kaiser Justin den Konsulat, was in Rom und ­Ravenna großartig gefeiert wurde.14 Der designierte Thronerbe verstarb jedoch vor Theoderich, wahrscheinlich im Jahre 522 oder 523.15 Seitdem war die Frage, wer Theoderich nachfolgen sollte, wieder offen. Diese Unsicherheit blieb bis in die letzten Tage des Königs hinein bestehen.16 11 

Auch die Gesandtschaft des Papstes Johannes ist oftmals analysiert worden, zuletzt von Goltz: Bild Theoderichs (wie Anm. 10), S. 160–172; Wiemer: Theoderich (wie Anm. 1), S. 551–558. Quellen: ILCV 985 (Epithaph); Marcellinus Comes, Chronicon anno 525; Anonymus Valesianus 88–91; 93; Liber pontificalis 55; Gregorius Magnus, Dialogi 3, 2; 4, 30; Gregorius Turonensis, Liber in gloria martyrum 39; vgl. auch Theophanes, Chronica anno mundi 6016; Pseudo-Dorotheus in Ludwig Dindorfs Ausgabe des Chronicon Paschale. Bonn 1832. Bd. II, Appendix VIII. 12  Zu Amalasvintha siehe Martina Hartmann: Die Königin im Mittelalter. Stuttgart 2009, S. 30– 34; Massimiliano Vitiello: Amalasuintha. The Transformation of Queenship in the Post-Roman World. Philadelphia 2017. Sie war die dritte Tochter Theoderichs aus der Ehe mit Audefleda, ­einer Schwester des fränkischen Königs Chlodwig: Anonymus Valesianus 63; Jordanes, Getica 295–297 (der Audefleda fälschlich als Tochter Chlodwigs bezeichnet); Gregorius Turonensis, ­Historiae 3, 31. Ihre Geburt dürfte um 495 anzusetzen sein. 13  Nach Procopius, Bella 5, 2, 1 war Athalarich beim Regierungsantritt im August 526 „acht Jahre alt“ (ὀκτὼ γεγονὼς ἔτη), nach Jordanes, Getica 304 dagegen „kaum zehn Jahre alt“ (adhuc vix ­decennem). Jordanes, Romana 367 (octo annos quamvis pueriliter vivens matre tamen regente Amalasuentha degebat) scheint sich nicht auf das Alter beim Regierungsantritt (so PLRE II ­Athalaricus), sondern auf die gesamte Dauer der Regierung zu beziehen. 14 Cassiodorus, Chronica sub anno 519; Cassiodorus, Oratio 1; Cassiodorus, Variae 9, 25, 2  f.; Ordo generis Cassiodorum; Anonymus Valesianus 80; Liber pontificalis 54, 10. 15  Das genaue Datum des Todes Eutharichs ist ungewiss. 16  In Cassiodorus, Variae 8, 16, 5 heißt es, die Untertanen seien beim Tode Theoderichs in ängstlicher Sorge wegen der Nachfolge Theoderichs gewesen: cum post transitum divae memoriae domni avi nostri anxia populorum vota trepidarent et de tanti regni adhuc incerto herede subiectorum se corda perfunderent. Nach Cassiodorus, Variae 8, 4, 1 waren über die Thronfolge lediglich Gerüchte im Umlauf: honorabile credidimus indicare quod fama potuistis teste cognoscere (Hervorhebungen hier und im Folgenden durch den Vf.; die Aussage ist an die Römer in Italien und Dalmatien gerichtet). Nach Cassiodorus, Variae 8, 2, 4, übertrug Theoderich seine Herrschaft so rasch, dass der personelle Wechsel kaum zu bemerken war: magnitudinem dominationis suae tanta in nos celeritate transfudit, ut non regnum tam vestem crederes mutatam.

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Kaum dass der König freilich das Zeitliche gesegnet hatte, verbreitete man von Ravenna aus in alle Richtungen die Nachricht, Theoderich habe kurz vor seinem Ableben seinen Enkel Athalarich, ein Kind von acht oder zehn Jahren, zu seinem Nachfolger bestimmt und die anwesenden Goten und Römer hätten einen Eid auf den neuen König geleistet. Diese Nachricht muss für viele überraschend gekommen sein. Gewiss, die Herrschaft eines Kindes war in der römischen Tradition nicht ohne Vorbild. Aber die Erinnerung an die von ihrer Umgebung dominierten „Kinderkaiser“ des späten 4. und frühen 5. Jahrhunderts war auch und gerade unter Senatoren keineswegs positiv besetzt.17 Das letzte Beispiel, auf das man sich berufen konnte,18 war Valentinian III., der 425 im Alter von sechs Jahren in Rom zum Augustus ausgerufen worden war. Valentinian hatte lange Jahre unter der Vormundschaft seiner Mutter Galla Placidia gestanden, die seit 421 selbst den Titel Augusta führte.19 Tatsächlich benutzt Cassiodor in einem Schreiben, das er 533 im eigenen Namen an den Senat richtete, das Beispiel der Galla Placidia als negative Folie für die Regierung Amalasvinthas: Das Reich sei unter ihrer Regierung „auf unziemliche Weise gemindert“ worden. Galla Placidia habe die Heirat ihres Sohns mit der Kaisertochter Licinia Eudoxia durch die Abtretung des Illyricum erkauft und das Heer durch zu lange Friedensperioden geschwächt. Valentinian sei eine bloße Marionette seiner Mutter gewesen: „Derjenige, der unter ihrem Schutz stand, musste von seiner Mutter erdulden, was er kaum hätte erleiden können, wenn er verwaist gewesen wäre.“20 In der Geschichte des Kriegerverbandes jedoch, dem Theoderich seine Herrschaft verdankte, war das Königtum eines Kindes ein Skandal. Mündigkeit war nach gotischer Vorstellung an die Fähigkeit geknüpft, Waffen zu führen.21 Der im 17 

Meagan A. McEvoy: Child Emperor Rule in the Late Roman West. Oxford 2013. Der 476 von Odovakar abgesetzte Romulus, der Sohn des Heermeisters Orestes, war in Konstantinopel nicht anerkannt worden und konnte daher schwerlich als Präzedenzfall gelten. Über ihn ausgezeichnet Dirk Henning: Periclitans res publica. Kaisertum und Eliten in der Krise des weströmischen Reiches 454/5–493 n. Chr. Stuttgart 1998, S. 55 f., S. 103 f., S. 176–178, S. 208 f. Wie es scheint, lebte Romulus noch dreißig Jahre nach seiner Absetzung als Privatmann im castellum Lucullanum bei Neapel: Cassiodorus, Variae 3, 35. 19  PLRE II Placidia 4; Stewart Irvin Oost: Galla Placidia Augusta. A Biographical Essay. Chicago/London 1968. Galla Placidia war 421 von ihrem Ehemann Constantius zur Augusta proklamiert worden: Olympiodorus, Fragmentum 34 Müller = 33 Blockley. Der Augusta-Titel erscheint auf Münzen, auf Inschriften in Rom (ILS 817: S. Croce in Gerusalemme) wie in Ravenna (ILS 818: S. Giovanni Evangelista) und auch in der Korrespondenz, die 450 zwischen ihr, Theodosius II. und Pulcheria geführt wurde: Leo Magnus, Epistula 58; Epistula 63. Sie selbst verwendet im Brief an Theodosius II. freilich die Titulatur ἡ εὐσεβεστάτη καὶ ἀνθου˜σα αἰωνία βασιλὶς καὶ μήτηρ: Leo Magnus, Epistula 56. 20 Cassiodorus, Variae 11, 1, 9: Placidiam mundi opinione celebratam, aliquorum principum prosapia gloriosam purpurato filio studuisse percepimus, cuius dum remisse administrat imperium, indecenter cognoscitur imminutum. nurum denique sibi amissione Illyrici comparavit factaque est coniunctio regnantis divisio dolenda provinciis. Militem quoque nimia quiete dissolvit. pertulit a matre protectus quod vix pati potuit destitutus. 21 Cassiodorus, Variae 1, 38, 2: iuvenes nostri, qui ad exercitum probantur idonei, indignum est ut ad vitam suam disponendam dicantur infirmi et putentur domum suam non regere, qui creduntur 18 

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Kampf erbrachte Nachweis mannhafter Tüchtigkeit (virtus) war die unabdingbare Voraussetzung dafür, von gotischen Kriegern dauerhaft als König anerkannt zu werden.22 Noch anstößiger wurde die nach Theoderichs Tod proklamierte Nachfolgeregelung dadurch, dass sie die faktische Entscheidungsgewalt in die Hand ­einer Frau legte. Auch im römischen Bereich war die Regentschaft einer Frau für ihren unmündigen Sohn kein geregeltes Institut, wenngleich nicht ohne jedes Beispiel.23 Für das Heer Theoderichs aber war die Regierung einer Frau geradezu unerhört, auch wenn sie als Vormundschaft für einen Sohn befristet war. Dennoch wurde Athalarich in Italien, Gallien und Dalmatien als Nachfolger Theoderichs akzeptiert und blieb König bis zu seinem frühen Tod am 2. Oktober 534, ohne freilich jemals selbst regiert zu haben. Regiert hat bis zum Schluss allein seine Mutter Amalasvintha. Ausgesprochen wurde das jedoch erst kurz vor seinem Tod.24 bella posse tractare, Gothis aetatem legitimam virtus facit et qui valet hostem confodere, ab omni se iam debet vitio vindicare. 22  Goten, die mit Theoderich nach Italien gekommen waren, mögen sich daran erinnert haben, dass Rekitach, der Sohn des Theoderich Strabo, sich nach dem Tode seines Vaters im Jahre 481 die Herrschaft zunächst mit seinen beiden, uns namentlich unbekannten Onkeln geteilt hatte. Rekitach ließ diese jedoch schon „wenig später“ umbringen: Johannes Antiochenus, Fragmentum 211, 5 Müller = 303 Roberto: καὶ τὴν μὲν του˜ πλήθους ἐπικράτειαν διαδέχεται Ῥεκιτὰχ Θεοδερίχου πα˜ις· παρεδυνάστευον δὲ αὐτῳ˜ οἱ ἐκ του˜ πατρὸς θε˜ιοι, οὓς ἀνελὼν μικρὸν ὕστερον μόνος τω˜ν Θρᾳκω˜ν ἐδυνάστευεν, ἀτοπώτερα του˜ πατρὸς ἀπεργαζόμενος. Wir wissen nicht, wann Rekitach, der 484 von Theoderich getötet wurde, geboren wurde; das Wort πα˜ις scheint auf ­jugendliches Alter zu deuten. Aber da man Rekitach nachsagte, er selbst habe seinen Vater erschlagen, weil dieser ihn gezüchtigt habe (Johannes Antiochenus, Fragmentum 214, 3 Müller = 306 Roberto), war Rekitach offenbar schon damals alt genug, eine Waffe zu führen. Die Beseitigung der beiden Onkel dürfte jeden Zweifel an seiner Regierungsfähigkeit ausgeräumt haben. Unwahrscheinlich ist hingegen, dass unter den Goten Theoderichs auch das Beispiel des greutungischen rex Viderich präsent war, der mehr als hundert Jahre früher gelebt hatte und von Jordanes nicht erwähnt wird. Ammianus Marcellinus (31, 3, 3; 31, 4, 12) berichtet, zwei erfahrene und entschlossene Heerführer (duces exerciti et firmitate pectorum noti) namens Alatheus und ­Saphrax hätten für Viderich, den „kleinen Sohn“ (parvus filius) des Königs Vidimir, eine Art Regentschaft ausgeübt. Thilo Offergeld: Reges pueri. Das Königtum Minderjähriger im frühen Mittelalter. Hannover 2001, S. 67–72, meint, Viderich habe „als Sohn des gefallenen Königs, wahrscheinlich auch als Angehöriger der amalischen Königssippe“ eine „gesteigerte, sicherlich sakral-geblütsmäßige Legitimation verkörpert“. Diese Interpretation geht von überholten Prämissen aus. 23  Audrey Becker-Piriou: De Galla Placidia à Amalasonthe, des femmes dans la diplomatie romano-barbare en Occident? In: Revue Historique 310 (2008), S. 507–543, betont mit Recht, dass selbst Galla Placidia nur durch die Vermittlung von Männern Zugang zur Macht besaß. Die Handlungsspielräume kaiserlicher Frauen analysiert knapp, aber treffend Rene Pfeilschifter: Der Kaiser und Konstantinopel. Kommunikation und Konfliktaustrag in einer spätantiken Metropole. Berlin/New York 2013, S. 461–463, S. 491–495. 24 Cassiodorus, Variae 10, 3, 2 (quae cum parvulo filio imperavit sola); Cassiodorus, Variae 10, 4, 5 (quae hactenus rei publicae molem solitaria cogitatione pertulimus); Cassiodorus, Variae 11, 1 mit Valérie Fauvinet-Ranson: Portrait d’une régente. Un panégyrique d’Amalasonthe (Cassiodorus, Variae 11, 1). In: Cassiodorus 4 (1998), S. 267–308; vgl. Jordanes, Romana 367 (matre tamen regente); Procopius, Bella 5, 2, 3: Ἀμαλασου˜νθα δὲ ἅτε του˜ παιδὸς ἐπίτροπος οὐ˜σα, τὴν ἀρχὴν διοικε˜ιτο.

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Ein Konsulardiptychon des Jahres 530, angefertigt für den Konsul Rufius Gennadius Probus Orestes, hält diese Konstellation im Bild fest (Abb. 1).

Abbildung 1: Konsulardiptychon des Orestes (Ausschnitt), Victoria and Albert Museum, London; © DAI, D-DAI-Z-ASC-8915.

Man sieht in den beiden Bildnisschilden links vom Kreuz den königlichen Knaben Athalarich in Tunica und Leibrock, aber ohne Herrschaftsinsignien, rechts davon seine Mutter Amalasvintha im Mantel mit Juwelenkragen, Perlenschnüren und ­einer perlengesäumten Kopfbedeckung. Ob es sich bei dieser Kopfbedeckung um ein Diadem handelt, ist in der Forschung umstritten und mit u ­ nseren Mitteln schwerlich endgültig zu klären. Klar ist jedoch, dass ihr Mantel demjenigen der oströmischen Kaiserin Ariadne sehr ähnlich sieht.25 Der Übergang des Königtums von Theoderich auf seinen Enkel Athalarich hat bislang noch nicht die Aufmerksamkeit gefunden, die er verdient.26 Die ältere 25  Richard

Delbrueck: Die Consulardiptychen und verwandte Denkmäler. 2 Bde. Berlin 1929, hier: Bd. 1, S. 148, Nr. 32 (mit Taf. 32 in Bd. 2), meint, Athalarich trage Tunica und Schultermantel, Amalasvintha eine phrygische Mütze. Wolfgang Fritz Volbach: Elfenbeinarbeiten der Spätantike und des Frühen Mittelalters. Mainz 31976, S. 40 f., Nr. 31 mit Taf. 16, 1 und 2, schreibt dagegen, Athalarich trage germanische Tracht, Tunika und Leibrock, Amalasvintha Chlamys und das kaiserliche Diadem. Philipp von Rummel: Habitus barbarus. Kleidung und Repräsentation spät­ antiker Eliten im 4. und 5. Jahrhundert. Berlin 2007, S. 263 f., wiederum deutet Athalarichs Kleidung als römische Militärtracht; Amalasvintha trage „eine Art von Haube bzw. Schleier“, wenn es sich nicht um eine Eigenart der Frisur handle. 26  Aus der älteren Literatur seien genannt Horst Kohl: Zehn Jahre ostgotischer Geschichte vom Tode Theoderich’s des Grossen bis zur Erhebung des Vitigis (526–536). Diss. Leipzig 1877, S. 1–50; Julius von Pflugk-Harttung: Die Thronfolge im Reiche der Ostgothen. In: ZRG, GA 10 (1889), S. 203–229, hier: S. 203–207; Walther Schücking: Der Regierungsantritt: Eine rechtsgeschichtliche und staatsrechtliche Untersuchung. Bd. 1: Die Urzeit und die Zeit der ost- und westgermanischen Stammesreiche. Leipzig 1899, S. 30–53, bes. S. 33–49. In jüngerer Zeit haben sich Dietrich Claude: Die ostgotischen Königserhebungen. In: Herwig Wolfram/Falko Daim (Hg.): Die Völker an der unteren und mittleren Donau im fünften und sechsten Jahrhundert. Wien 1980, S. 149–186, bes. S. 159–162, Wolfgang Giese: Designative Nachfolgeregelungen in germani-

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Forschung versuchte, aus dem Vorgang rechtliche Prinzipien zu abstrahieren. Man fragte nach der Bedeutung von Erbrecht und Idoneität für die Legitimität gotischer Könige. Vor Kurzem hat Massimiliano Vitiello sich in diese Tradition eingereiht, indem er nachzuweisen versuchte, dass Theoderich rechtzeitig für eine reibungslose Thronfolge gesorgt habe, indem er Amalasvintha den Titel einer ­regina verlieh.27 Dagegen hat Peter Heather mit Recht darauf hingewiesen, dass der Übergang von Theoderich zu Athalarich keineswegs konfliktfrei verlief.28 Die Thronfolge Athalarichs wurde am Hof in Ravenna in kurzer Zeit ausgehandelt und kam für die große Mehrzahl der Untertanen überraschend; sie bedurfte daher sorgfältiger Begründung. Der Ansatz Heathers soll hier fortgeführt und vertieft werden. Es geht mir um die Frage, wie das Königtum eines unmündigen Kindes, noch dazu in Verbindung mit der Regentschaft einer Frau, möglich war. In der Forschung ist das Königtum Athalarichs als Indiz für die Stärke dynastischer Loyalität unter den Goten im Reich Theoderichs gedeutet worden. Das exklusive Herrschaftsrecht der Amaler sei die Grundlage für die Institutionalisierung des Königtums gewesen. Dabei ging man freilich insofern von falschen Vo­ raussetzungen aus, als man lange Zeit annahm, dass die gotischen Krieger, denen Theoderich seine Herrschaft verdankte, einer Völkerschaft angehörten, deren Könige seit vielen Generationen der Familie der Amaler entstammten. Der berühmte Amaler-Stammbaum mit seinen 17 Generationen gilt heute jedoch mit Recht als genealogische Fiktion.29 Auch die verbreitete Annahme, die Ostgoten hätten Theoderichs Onkel Valamir den Thron sozusagen freigehalten, bis dieser mündig geworden sei, lässt sich nicht halten.30 Glaubhaft bezeugt sind gotische Könige

schen Reichen der Völkerwanderungszeit. In: ZRG, GA 117 (2000), S. 39–121, hier: S. 54–68 und Offergeld: Reges pueri (wie Anm. 22), S. 78–83, mit der Nachfolgekrise beschäftigt. 27  Vitiello: Amalasuintha (wie Anm. 12), bes. S. 29–38. Für seine These, Amalasvintha habe beim Tode Theoderichs bereits den Titel regina geführt, fehlen die Belege (vgl. unten Anm. 52). Wie im Folgenden gezeigt werden soll, trat die Tochter Theoderichs beim Übergang des Königtums auf Athalarich offiziell gerade nicht in Erscheinung. 28  Peter J. Heather: Theoderic, King of the Goths. In: EME 4 (1995), S. 145–173, bes. S. 168–172. 29  Bahnbrechend wirkte Peter J. Heather: Cassiodorus and the Rise of the Amals: Genealogy and the Goths under Hun Domination. In: JRS 79 (1989), S. 103–128. In dieselbe Richtung zielte Arne Søby Christensen: Cassiodorus, Jordanes and the History of the Goths. Studies in a Migration Myth. Kopenhagen 2002. Robert Kasperski: Propaganda im Dienste Theoderichs des Großen. Die dynastische Tradition der Amaler in der „Historia Gothorum“ Cassiodors. In: Frühmittelalterliche Studien 52 (2018), S. 13–42, weist überzeugend nach, dass die Vidmir-Erzählung der Legitimation Eutharichs als Nachfolger Theoderichs dient. Der Amaler-Stammbaum steht bei Jordanes, Getica 79–81. 30 Die Auffassung, Valamir sei König geworden, bevor er mündig wurde, geht auf Rudolf ­Köpke: Das Königthum bei den Gothen. Berlin 1859, S. 141 f., und Felix Dahn: Die Könige der Germanen. Das Wesen des ältesten Königtums der germanischen Stämme und seine Geschichte bis zur Auflösung des karolingischen Reiches. Bd. 2: Die kleineren gotischen Völker – Die äußere Geschichte der Ostgoten. Leipzig 21911, S. 56 f., zurück und begegnet noch bei Offergeld: Reges pueri (wie Anm. 22), S. 74 f., und Herwig Wolfram: Die Goten. Von den Anfängen bis zur Mitte des 6. Jahrhunderts. Entwurf einer historischen Ethnographie. München 52009, S. 254 f. Sie beruht jedoch auf einer unhaltbaren Deutung der einzigen Quelle, Jordanes, Getica 251; siehe dazu ­unten Anhang B.

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aus dem Geschlecht der Amaler erst in seiner Generation. Diese Erkenntnis könnte zu dem Schluss verleiten, der Glaube an das exklusive Herrschaftsrecht der Amaler habe für die Akzeptanz Athalarichs als Nachfolger Theoderichs keinerlei Rolle gespielt. Dieser Schluss wäre jedoch übereilt, denn für das politische Verhalten ist bekanntlich nicht die tatsächliche, sondern die geglaubte Geschichte ausschlaggebend. Theoderich hatte sich aber über Jahrzehnte hinweg alle Mühe gegeben, den Glauben an die Einzigartigkeit seiner Familie zu propagieren, und eben diesem Zweck diente ja auch der besagte Stammbaum. Die Frage, wie die Übertragung des gotischen Königtums auf ein Kind von acht oder zehn Jahren möglich war, stellt sich vor diesem Hintergrund neu und mit verstärkter Dringlichkeit. Dabei frage ich zunächst nach den diskursiven und performativen Strategien, mit denen der Herrschaftsantritt Athalarichs kommuniziert und legitimiert wurde. Ich möchte auf diese Weise ermitteln, welche Gründe angeführt wurden, um die Untertanen zur Anerkennung des jungen Königs zu bewegen. Weiterhin geht es mir um die verschiedenen sozialen Gruppen, welche die Thronfolge Athalarichs betrieben, unterstützten, hinnahmen oder eben auch ablehnten. Welche Interessen und Motive waren für ihre jeweilige Haltung ausschlaggebend? Daraufhin werde ich mich mit der Frage beschäftigen, wie die ­königliche Kanzlei das Verhältnis Athalarichs zum römischen Kaiser beschrieb. Abschließend werde ich zu bestimmen versuchen, wie fest das gotische Königtum in Italien gegründet war.

Die Quellen Oströmische Geschichtsschreiber berichten übereinstimmend, Theoderich habe kurz vor seinem Ableben seinen Enkel Athalarich zum König erhoben; so steht es sowohl in der Gotischen Geschichte als auch in der Römischen Geschichte des ­Jordanes und beim Anonymus Valesianus.31 In den Getica, die auf der verlorenen Historia Gothica Cassiodors fußen, erzählt Jordanes, der sterbende König habe die zu seinem Hof gehörenden Goten von Ansehen (Gothos comites gentisque suae primates) zusammengerufen und ihnen als letzten Willen aufgetragen, sie sollten den Senat ehren, das römische Volk lieben und sich den oströmischen ­Kaiser stets geneigt halten.32 Alle diese Berichte wurden freilich Jahrzehnte nach 31 Jordanes,

Romana 367: Theoderico rege defuncto Athalaricus nepus eius ipso ordinante successit, octo annos quamvis pueriliter vivens matre tamen regente Amalasventha degebat; Jordanes, Getica 304 (siehe nächste Anm.); Anonymus Valesianus 96: ergo antequam exhalaret, nepotem suum Athalaricum in regnum constituit [sc. Theodericus]. Procopius, Bella 5, 2, 1, geht auf die Umstände des Herrscherwechsels nicht ein: τελευτήσαντός τε αὐτου˜ [sc. Θευδερίχου] παρέλαβε τὴν βασιλείαν Ἀταλάριχος, ὁ Θευδερίχου θυγατριδου˜ς, ὀκτὼ γεγονὼς ἔτη καὶ ὑπὸ τῇ μητρὶ Ἀμαλασούνθῃ τρεφόμενος. 32 Jordanes, Getica 304: Sed postquam ad senium pervenisset et se in brevi ab hac luce egressurum cognusceret [sc. Theodericus], convocans Gothos comites gentisque suae primates Athalaricum infantulum adhuc vix decennem, filium filiae suae Amalasventhae, qui Eutharico patre orbatus

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den Ereignissen verfasst und spiegeln die Sichtweise wider, welche der Hof in ­Ravenna selbst nach dem Tode Theoderichs verbreitete. Gerade das „politische Testament“ Theoderichs, wie Jordanes es überliefert, geht ohne Zweifel auf die offizielle Version zurück, die Cassiodor im Auftrag Amalasvinthas verbreitete. Es ist durchaus zweifelhaft, ob der König überhaupt in der Lage gewesen war, einen letzten Willen zu formulieren. Der Gesundheitszustand Theoderichs verschlechterte sich allem Anschein nach plötzlich und unerwartet, vielleicht erst wenige Wochen oder Tage vor seinem Tod am 30. August. Der König bestimmte den ­Diakon Felix zum Nachfolger des Papstes Johannes, der am 18. Mai in Ravenna gestorben und am 27. Mai in Rom beigesetzt worden war. Felix stieß jedoch auf Widerstand unter den Senatoren und konnte die cathedra Petri erst am 12. Juli auf ausdrücklichen Befehl Theoderichs besteigen.33 Angeblich hatte Theoderich noch am 26. August angeordnet, die Kirchen der katholischen Gemeinden zu konfiszieren, und war dafür von Gott mit heftigem Durchfall bestraft worden. Das war üble Nachrede, wäre aber so nicht verbreitet worden, wenn den König ein langes Siechtum geplagt hätte.34 Aber selbst dann, wenn der sterbende Theoderich sich tatsächlich über seine Nachfolge geäußert haben sollte, gibt es keine Gewähr dafür, dass seine ultima verba unverfälscht überliefert wurden. Das neue Regime konnte gar nicht anders, als die Autorität des toten Königs für sich zu beanspruchen, auch und gerade dann, wenn es seinen Kurs nicht oder jedenfalls nicht in jeder Hinsicht fortsetzen wollte. Das gilt namentlich für das Verhältnis zu den ­illustren Senatoren: Theoderichs Verhältnis zum Senat war zuletzt gespannt gewesen, nachdem er nicht nur Boethius, sondern auch dessen Schwiegervater Symmachus, das caput senatus, hatte hinrichten lassen. Die neue Regierung gab sich versöhnlich, indem sie den Kindern des Boethius ihr Vermögen zurückgab.35 Die Aussagekraft der historiographischen Zeugnisse ist folglich sehr beschränkt. Im vorliegenden Fall stehen uns jedoch zusätzliche Quellen zur Verfügung, die in großer zeitlicher und sachlicher Nähe zu den Vorgängen entstanden sind. Es handelt sich um Schriftstücke, die Cassiodor aus Anlass der Thronfolge Athalarichs in dessen Namen verfasst hat. Zwar sind die Originale samt und sonders verloren, die Texte selbst sind jedoch mit geringfügigen Änderungen, die vor allem Überschrift und Schluss betreffen, überliefert, weil Cassiodor sie etwa anderthalb Jahrzehnte nach der ersten Veröffentlichung noch einmal gesammelt herausgegeben hat.36 Unter den Variae, die Cassiodor im Namen des Athalarich verfasst erat, regem constituit, eisque in mandatis ac si testamentali voce denuntians, ut regem colerent senatum populumque Romanum amarent principemque Orientalem placatum semper propitiumque post deum. quod praeceptum quamdiu Athalaricus rex eiusque mater adviverent, in omnibus custodientes pene per octos annos in pace regnarunt. 33  Tod und Beisetzung des Papstes Johannes: Liber pontificalis 55, 4 und 6. Weihe des Papstes Felix: Liber pontificalis 56, 1. 34  Angebliches Verfolgungsedikt Theoderichs: Anonymus Valesianus 94. 35 Procopius, Bella 5, 1, 5. 36  Andrew Gillet: The Purposes of Cassiodorus’ Variae. In: Alexander C. Murray (Hg.): After Rome’s Fall: Narrators and Sources of Early Medieval History. Toronto 1998, S. 37–50. M. Shane

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hat, befinden sich acht Schreiben, die wenige Tage nach den Ereignissen versandt wurden, um verschiedene Personen oder Gruppen, deren aktive oder passive Unterstützung der neue König zu gewinnen suchte, über den Herrscherwechsel zu informieren:37 • Nr. 1 = Cassiodorus, Variae 8, 1: Brief an Kaiser Justin • Nr. 2 = Cassiodorus, Variae 8, 2: Brief an den römischen Senat • Nr. 3 = Cassiodorus, Variae 8, 3: Brief an das Volk der Stadt Rom • Nr. 4 = Cassiodorus, Variae 8, 4: Brief an die in Italien und Dalmatien ansässigen Römer • Nr. 5 = Cassiodorus, Variae 8, 5: Brief an die Goten Italiens • Nr. 6 = Cassiodorus, Variae 8, 6: Brief an Liberius, den P ­ rätoriumspräfekten Galliens • Nr. 7 = Cassiodorus, Variae 8, 7: Brief an die Provinzialen Galliens • Nr. 8 = Cassiodorus, Variae 8, 8: Brief an den Bischof Victorinus Ein so umfangreicher Bestand an Quellen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit einer Herrschaftsfolge entstanden sind, ist in der Spätantike einzigartig.38 Natürlich ist auch dieses Dossier kritisch zu benutzen. Man wird nicht erwarten, dass sozusagen regierungsamtliche Schreiben uns vollständig und ausgewogen über die Hintergründe der Thronfolge informieren. Es handelt sich um sorgfältig stilisierte Texte, deren erklärter Zweck darin besteht, die Zustimmung der Adressaten zu einem Fait accompli zu gewinnen; es ist also methodische Vorsicht geboten. Zudem hat Cassiodor keineswegs alle Schreiben, die er im Zusammenhang mit dem Herrscherwechsel verfasst hat, in die Sammlung der Varien aufgenommen. Das Dossier ist also nicht vollständig. Schließlich ist in Rechnung zu stellen, dass vieles, was in den Schreiben bloß angedeutet wird, von den Überbringern mündlich erläutert wurde. Diese mündliche Kommunikation dürfte zum Teil in gotischer Sprache erfolgt sein, weil auch die Adressaten zum Teil Goten waren. Von diesen Einschränkungen bleibt jedoch unberührt, dass die Varien Cassiodors uns einen direkten Zugang zu der Art und Weise gewähren, wie der Übergang des Königtums von Theoderich auf Athalarich kommuniziert und legitimiert wurde. Aufschlussreich ist bereits die Auswahl der Adressaten. Von den acht Schreiben ist eines an Justin, den Kaiser des oströmischen Reiches, gerichtet (Nr. 1); wegen der überragenden Stellung des Adressaten ist es von Cassiodor an den Anfang des Bjornlie: Politics and Tradition between Rome, Ravenna and Constantinople. A Study of Cassiodorus and the Variae, 527–554. Cambridge 2013, meint, Cassiodor habe seine amtliche Korrespondenz erst während seines Aufenthalts in Konstantinopel in den 540er-Jahren veröffentlicht, nachdem er sie für diesen Zweck gründlich überarbeitet habe. Argumente gegen diese Hypothese bringt Peter J. Heather, der das Buch in: EME 24 (2016), S. 369–372, rezensiert. 37  Eine deutsche Übersetzung dieser acht Varien findet sich unten Anhang C. 38  Am nächsten kommt diesem Quellenbestand das Dossier von Schreiben (Cassiodorus, Variae 10, 1–4), die Cassiodor anlässlich der Erhebung Amalasvinthas und Theodahads verfasst hat. Diese ­Schreiben sind jedoch lediglich an Kaiser Justinian und den Senat gerichtet. Sie werfen daher ­wenig Licht auf die Frage, wie diese Herrschaftsfolge nach innen kommuniziert wurde.

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achten Buches der Varien gestellt worden. Auf dieses Schreiben werde ich später ausführlich eingehen. Auf den Brief an den Kaiser folgen zwei Schreiben, die in die Stadt Rom geschickt wurden; eines (Nr. 2) ist an den Senat Roms, das andere (Nr. 3) an das Volk von Rom adressiert. Aus den Texten geht hervor, dass die Überbringer dieser beiden Schreiben hochrangige Personen des Hofes waren, der Gote Sigismer und der römische Senator Ambrosius.39 Sigismer gehörte zu den Goten am Hof Theoderichs, die den Rang eines illustris trugen, ist aber sonst unbekannt. Ambrosius bekleidete beim Tode Theoderichs das Amt eines comes rei privatae, übte aber zusätzlich die Aufgaben eines quaestor palatii aus.40 Darüber hinaus enthält die Sammlung ein Schreiben, das an die in Italien und Dalmatien ansässigen Römer adressiert ist (Nr. 4). Dieses Schreiben wurde offenbar allen Stadtgemeinden (civitates) Italiens und Dalmatiens zugestellt. Wer es überbrachte, bleibt ungesagt. Das folgende Schreiben an die Goten Italiens (Nr. 5) wurde vermutlich nur dorthin gesandt, wo sich gotische Garnisonen befanden. In beiden Fällen haben wir es demnach mit Zirkularbriefen zu tun, die in zahlreichen Ausfertigungen verbreitet wurden. Aus diesem Grund bleibt der Name des Überbringers im Brief an die Goten Italiens offen; es wird lediglich angegeben, dass es sich um eine Person handeln solle, die als comes zum Hof des Königs gehört.41 Zwei weitere Schreiben wurden in die Provence geschickt, die seit 510 als eigene Präfektur organisiert und dadurch dem italischen Reich Theoderichs adminis­ trativ angegliedert worden war.42 Eines der beiden Schreiben (Nr. 6) ist an den Prätoriumspräfekten Galliens gerichtet, dessen Amtssitz sich in Arles befand. Petrus Marcellinus Felix Liberius bekleidete dieses Amt, seit Theoderich es erneuert hatte, bereits etwa anderthalb Jahrzehnte.43 Liberius hatte als junger Mann Odovakar als Prätoriumspräfekt Italiens gedient, war dann in den Dienst Theoderichs getreten und hatte bei der Ansiedlung der Goten eine leitende Funktion innegehabt; bei seinem Ausscheiden aus dem Amt des Prätoriumspräfekten (500) war er mit dem Titel patricius ausgezeichnet worden. Das andere Schreiben (Nr. 7), das in die Provence geschickt wurde, ist an die römischen Provinzialen adressiert, die in 39 Cassiodorus,

Variae 8, 2, 9: illustrem Sigismerem comitem nostrum vobis cum his qui directi sunt fecimus sacramenta praestare; Variae 8, 14, 2: per eum [sc. Ambrosium] vobis et nostri auspicii et vestrae securitatis optata patuerunt. 40  PLRE II Ambrosius 3; über ihn vgl. unten. 41 Cassiodorus, Variae 8, 5, 2: illum vero comitem vobis fecimus iurata voce promittere. Das Wort illum dient hier als Platzhalter für den Namen desjenigen, der einen bestimmten Ort auf­ suchen sollte. 42  Über die Provence im Reich Theoderichs siehe Dietrich Claude: Niedergang, Renaissance und Ende der Praefekturverwaltung im Westen des römischen Reiches (5.–8. Jahrhundert). In: ZRG, GA 114 (1997), S. 352–379; Wiemer: Theoderich (wie Anm. 1), S. 371–385. 43  PLRE II Liberius 3; James J. O’Donnell: Liberius the Patrician. In: Traditio 37 (1981), S. 31– 72; Bruno Dumézil: Le patrice Liberius: développement et redéploiement d’un réseau dans la première moitié du VIe siècle. In: Alban Gautier/Céline Martin (Hg.): Échanges, communications et réseaux dans le Haut Moyen Âge. Études et textes offerts à Stéphane Lebecq. Turnhout 2012, S. 27–44.

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Gallien ansässig waren. Sein Inhalt sollte aber auch den in der Provence stationierten Goten zur Kenntnis gebracht werden, denn Goten und Römer sollten sich gegenseitig Eide leisten. Die königliche Zentrale überließ es Liberius, dafür geeignete Mittel und Wege zu finden.44 Als achtes und letztes Schreiben in dieser Serie folgt ein Brief an einen Bischof namens Victorinus. Dieser Victorinus, dessen Bistum nicht genannt wird, ist sonst unbekannt, scheint aber Katholik gewesen zu sein, denn es wird ihm aufgetragen, Einfluss auf „alle Provinzialen“ auszuüben,45 was homöische Bischöfe kaum hätten tun können. Die Überschrift eines Briefs, den Cassiodor 535 für König Vitigis an homöische Bischöfe schrieb (Variae 10, 34), lautet „König Vitigis an seine Bischöfe (episcopis suis)“; in diesem Fall unterscheidet das Possessivpronomen die Bischöfe homöischer Konfession als Bischöfe des Königs von denen der Katholiken.46 Der Inhalt des an Victorinus gerichteten Schreibens lässt erkennen, dass es sich um die für ihn bestimmte Ausfertigung eines Briefes handelt, der an alle katholischen Bischöfe Italiens (und vielleicht auch Dalmatiens und Galliens) versandt wurde. Mit den Adressaten dieser acht Schreiben ist ein Kreis von Akteuren umschrieben, die der neue Herrscher für sich zu gewinnen suchte; man könnte sie Akzeptanzgruppen nennen. Neben dem Kaiser sind das: der Senat und das Volk von Rom, die Römer und die Goten in Italien, die Bewohner der gallischen Präfektur und deren Leiter Liberius sowie die katholischen Bischöfe Italiens. Weshalb war die Unterstützung gerade dieser Gruppen so wichtig für das neue Regime? Der Senat von Rom war ein kleines, streng hierarchisch aufgebautes Gremium, das die reichsten Grundbesitzer Italiens in sich vereinigte. Ihm gehörten nur die Senatoren an, die im Dienst für den gotischen König oder durch königliches Privileg den Rang eines illustris erlangt hatten. Das waren wohl weniger als 100 Personen.47 44 Cassiodorus,

Variae 8, 7, 3: Gothi Romanis praebeant iusiurandum et Romani Gothis sacramento confirment se unanimiter regno nostro esse devotos. Angaben über den oder die Überbringer fehlen, und es wird auch nicht ausgeführt, wie das Schreiben den Provinzialen Galliens zur Kenntnis gebracht werden sollte. 45 Cassiodorus, Variae 8, 8, 3: sanctitas vestra provinciales cunctos ammoneat, ut inter se habentes concordiam regno nostro per omnia debeant esse purissimi. Der Brief enthält nichts, was für ein bestimmtes Bistum spezifisch wäre, und formuliert Aufträge, die sich an alle katholischen Untertanen des Königs richten. 46  Die konfessionelle Verbindung zwischen dem König und den Adressaten wird auch im Text selbst (Cassiodorus, Variae 10, 34, 8 f.) betont: necesse est ut bene velitis quos vobis religione iunctos esse cognoscitis. Vgl. auch Sidonius Apollinaris, Epistula 1, 2: antelucanos sacerdotum suorum coetus minimo comitatu expetit (über den westgotischen König Theoderich II.); Ennodius, Vita Epifanii 92: ille iam compererat iugiter per sacerdotes suos polluta habere convivia (über den westgotischen König Eurich). 47 Zu Senat und Senatoren siehe Adolfo La Rocca/Fabrizio Oppedisano: Il senato romano nell’Italia ostrogota. Rom 2016, sowie jetzt Peter Eich in diesem Band. Die Prosopographie der weströmischen Senatoren von Christoph Schäfer: Der weströmische Senat als Träger antiker Kontinuität unter den Ostgotenkönigen (490–540 n. Chr.). St. Katharinen 1991, ist durch die Neubearbeitung der Sitzinschriften des Colosseums von Silvia Orlandi: Epigrafia anfiteatrale dell’occidente romano. VI. Roma. Anfiteatri e strutture annesse con una nuova edizione e commento delle iscrizioni del Colosseo. Rom 2005, teilweise überholt.

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Das ethnische Begriffspaar „Römer“ und „Goten“ definierte im Sprachgebrauch der königlichen Kanzlei die Gesamtheit der Untertanen Theoderichs in Italien und Dalmatien, wobei „Römer“ als gleichbedeutend mit Zivilist und „Gote“ als Synonym für Soldat gebraucht wurde. Es versteht sich heutzutage fast von selbst, dass es sich dabei um ein diskursives Konstrukt handelt, das eine komplexe Realität auf eine simple, kontradiktorische Formel brachte.48 Auffallend ist weiter, dass die Bewohner der gallischen Präfektur als eine Gruppe für sich behandelt werden, für deren Verhalten ein im Lande ansässiger Amtsträger verantwortlich gemacht wird. Schließlich erscheint auch der katholische Episkopat als eine Akzeptanzgruppe. Ein Schreiben, das speziell an den Bischof der Stadt Rom gerichtet wäre, ist nicht überliefert. Auch die Bewohner der hispanischen Provinz, die Theoderich noch kurz vor seinem Tod zu ordnen versucht hatte,49 erscheinen nicht unter denjenigen, die durch ein Schreiben Cassiodors über den Regierungsantritt Athalarichs informiert wurden. Auf die Gründe wird zurückzukommen sein.

Strategien zur Gewinnung von Akzeptanz Betrachtet man die Texte von der inhaltlichen Seite, so fällt zunächst auf, dass die mit der Übertragung des Königtums auf Athalarich verbundene faktische Regentschaft seiner Mutter an keiner Stelle angesprochen wird.50 Es ist nirgendwo davon die Rede, dass Amalasvintha formell an der Herrschaft beteiligt wäre, schon gar nicht als regina. Es erschien offenkundig nicht ratsam, die faktische Regierung ­einer Frau offen zur Sprache zu bringen. Es sollten sieben volle Jahre vergehen, bis Cassiodor in einem Brief an den Senat, den er bald nach seinem Amtsantritt als Prätoriumspräfekt schrieb, Amalasvintha offen als Herrscherin (domina) ansprach, die für einen „Fürsten ohne Aufgaben“ (princeps feriatus) die Regierung führe, ohne ihr jedoch den Titel einer Königin (regina) beizulegen.51 Diesen Titel nahm Amalasvintha erst nach dem Tod ihres Sohns an.52 Der oströmische Histo48  Bahnbrechend war Patrick Amory: People and Identity in Ostrogothic Italy, 489–554. Cambridge 1997. 49 Cassiodorus, Variae 5, 39; 5, 40; dazu Alessandro Mancinelli: Sul centralismo amministrativo di Teodorico. Il governo della Spagna in età ostrogota. In: Atti dell’Accademia romanistica costantiniana. XII Convegno Internazionale in Memoria di André Chastagnol. Neapel 2001, S. 217– 263; Wiemer: Theoderich (wie Anm. 1), S. 386–397. 50  Zur Regentschaft der Amalasvintha siehe Vito Antonio Sirago: Amalasunta la regina (ca. 495– 535). Mailand 1999, bes. S. 59–70; Offergeld: Reges pueri (wie Anm. 22), S. 77–86; Vitiello: Amalasuintha (wie Anm. 12), S. 78–171. 51 Cassiodorus, Variae 11, 1. Allerdings spricht schon 530 Papst Felix IV. in seiner Verfügung über die Nachfolge im römischen Bistum (JK 879a = HJ 1717) von regierenden Personen im Plural: hanc voluntatem meam et domnis et filiis nostris regnantibus indicavi. Aber diese Formulierung bleibt vage, und das Dokument war für den internen Gebrauch der Kurie bestimmt. 52  Die frühesten Belege sind die Überschriften von Schreiben, die Cassiodor nach dem Tode Atha­ larichs am 22. Oktober 534 im Namen Amalasvinthas und Theodahads verfasste: Cassiodorus, Variae 9, 1; 9, 3. Vitiello: Amalasuintha (wie Anm. 12), S. 33–38, führt das Fehlen früherer Belege

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riograph Prokopios deutet die Rolle der Amalasvintha als Vormundschaft der Mutter über einen unmündigen Sohn und mag damit eine unter den Zeitgenossen verbreitete Vorstellung wiedergeben.53 Die Texte, durch die der Regierungsantritt Athalarichs verbreitet wurde, vermeiden es jedoch sorgfältig, das offene Geheimnis auszusprechen. Sie sind ausnahmslos als Rede des Königs gestaltet und verbreiten dadurch die Fiktion, der Enkel Theoderichs sei fähig, als König selbstständig und ohne fremde Hilfe zu handeln. Dasselbe Bild vermitteln die Münzen, die im Namen Athalarichs geprägt wurden: In Ravenna geprägte Silbermünzen ­zeigen auf der Vorderseite Kaiser Justin und später Justinian im Profil mit der Legende D(ominus) N(oster) IUSTINUS AUC(ustus) bzw. D(ominus) N(oster) IUSTINIANUS AUC(ustus), auf der Rückseite Athalarichs Monogramm oder den Titel D(ominus) N(oster) ATHALARICUS REX (oder RIX) (Abb. 2).54 Dasselbe Monogramm und dieselbe Legende finden sich auch auf einem Teil der Kupfermünzen, die in Rom geprägt wurden. Abbildung 2: ¼ Siliqua (Vorder- und Rückseite), mit freundlicher Genehmigung der Münzenhandlung Gerhard Hirsch Nachfolger (München). Vs.: [D N IU]STI-NUS AUC. ­Drapierte und gepanzerte Büste mit Diadem nach rechts. Rs.: D N ­ATHALARICVS RIX in Lorbeerkranz.

Auf einer römischen Emission von Kupfermünzen im Wert von 10 Nummi sieht man auf der Vorderseite eine Büste der Roma und auf der Rückseite Athalarich selbst stehend mit Speer und Schild (Abb. 3).55 Das jugendliche Alter des neuen Königs wird in den Schreiben, die Cassiodor in seinem Namen verfasste, nur selten angesprochen und dann immer sehr vorsichtig. Am deutlichsten wird der Sachverhalt im Brief an Kaiser Justin (Nr. 1) benannt; Athalarich habe als adulescens noch mehr Anspruch darauf, vom Kaiser

für den regina-Titel auf den Verlust von Texten zurück, die Cassiodor in ihrem Namen verfasst habe. Diese Hypothese erklärt aber nicht, weshalb Cassiodor in keinem der hier untersuchten Briefe darauf hinweist, dass die Mutter des neuen Königs bereits Königin sei. 53 Procopius, Bella 5, 2, 3: του ˜ παιδὸς ἐπίτροπος οὐ˜σα. Ähnlich beschreibt Jordanes, Getica 302 das Verhältnis des Theudis zu Theoderichs Enkel Amalarich: Thiudem suum armigerum post mortem Alarici generi tutorem in Spaniae regno Amalarici nepotis constituit. Vgl. oben Anm. 9. 54 Keine Münzen für die Regentin: Franz Ferdinand Kraus: Die Münzen Odovakars und des Ostgotenreiches in Italien. Halle a. d. S. 1928, S. 130 f. Silber (Viertelsiliqua) in Ravenna: Michael Andreas Metlich: The Ostrogothic Coinage in Italy from A. D. 476. With a Die Study of Theodahadus’ Folles by E. A. Arslan and M. A. Metlich. London 2004, S. 104f,. Nr. 56–59 mit Taf. VII. 55  Kupfermünzen in Rom: Metlich: Ostrogothic Coinage (wie Anm. 54), S. 116, Nr. 86 (10 Nummi), Nr. 87a und b (5 Nummi), Nr. 88 (2 ½ Nummi) mit Taf. X. Athalarich mit Speer und Schild: ebd., S. 115, Nr. 85a und 85b mit Taf. X.

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Abbildung 3: 10 Nummi (Vorderund Rückseite), Münzkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin, https://ikmk.smb.museum/ object?id=18217617 (Fotos: Lutz-Jürgen Lübke). Vs.: INBICT-A ROMA, Büste der Roma nach rechts; Rs.: [D N] ATALARICVS. Stehender Krieger mit Speer und Schild, beiderseits S - C. Im linken Feld die Wertzahl X.

Sohn genannt zu werden, als Theoderich und Eutharich, die beide älter waren.56 Im Brief an den Senat (Nr. 2) wird Athalarich ebenfalls als adulescens bezeichnet, der anderen nicht aufgrund bereits erworbener Verdienste, sondern aufgrund seiner Herkunft vorgezogen worden sei.57 Im Schreiben an die Goten in Italien (Nr. 5) ist beiläufig von einer „Kindheit im Purpur“ (infantia purpurata) die Rede.58 In allen Schreiben, die an Untertanen gerichtet sind, wird die Herrschaft Athalarichs durch den erklärten Willen Theoderichs legitimiert.59 Mehrfach wird betont, dass der König selbst Athalarich in Anwesenheit von Goten und Römern zu seinem Nachfolger bestimmt habe; im Brief an den Senat (Nr. 2) wird ausdrücklich gesagt, dass der König seinen Nachfolger in extremis, also auf dem Sterbebett, bestimmt habe.60 Durchweg heißt es, alle Anwesenden hätten freudig zugestimmt und diese Zustimmung durch einen Eid bekräftigt.61 Dabei gilt die Zustimmung 56 Cassiodorus,

Variae 8, 1, 3 f.: hoc nomen [sc. filii] adulescenti congruentius dabitis, qualia ­nostris senioribus praestitistis […] pueritia tuitionem gratiae consequatur. 57 Cassiodorus, Variae 8, 2, 2  f.: in illa republica adulescentem dominum fieri, ubi multos constat maturis moribus inveniri. non enim potest cuilibet aetati deesse consilium, ubi tot parentes publicos constat inventos. praelata est ergo spes nostra cunctorum meritis et certius fuit de nobis credi quam quod de aliis potuit approbari. 58 Cassiodorus, Variae 8, 5, 2: Hamalorum regalem prosapiam, blatteum germen, infantiam ­purpuratam. 59 Cassiodorus, Variae 8, 2, 4: magnitudinem dominationis suae tanta in nos celeritate transfudit [sc. Theodericus], ut non regnum tam vestem crederes mutatam; Cassiodorus, Variae 8, 3, 3: ­gloriosi domni avi nostri ita vobis nuntiamus ordinatione dispositum; Cassiodorus, Variae 8, 4, 2: glorioso domno avo nostro feliciter ordinante; Cassiodorus, Variae 8, 5, 1: nos heredes sui deo sibi imperante substituit [sc. Theodericus]; Cassiodorus, Variae 8, 6, 2: in sellam regni sui nos dominos collocavit [sc. Theodericus]; Cassiodorus, Variae 8, 7, 1: ad continuandam gubernationem, quam singulariter gesserat, nos reliquit [sc. Theodericus]; Cassiodorus, Variae 8, 8, 2: nos in sede regni sui divinitate propitia collocavit [sc. Theodericus]. 60 Cassiodorus, Variae 8, 2, 4: cum domni avi nostri pro beneficiorum quantitate dulcissima nobis recordatio urgeretur extremis. 61 Cassiodorus, Variae 8, 2, 7: ut Gothorum Romanorumque nobis generalis consensus accederet et voluntatem suam, quam puris pectoribus offerebant, iuris etiam iurandi religione firmarent [sc. Gothi et Romani]; Cassiodorus, Variae 8, 3, 3: dispositum, ut Gothorum Romanorumque suavissimus consensus in regnum nostrum accederet, et […] vota sua sacramentorum interpositione ­firmarunt [sc. Gothi et Romani]; Cassiodorus, Variae 8, 4, 2: tam Gothorum quam Romanorum praesentium pro munimine indepti regni sacramenta suscepimus [zwischen pro munimine und

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der Anwesenden als Ausdruck eines universellen Konsenses (consensus generalis), dem die Adressaten allein deswegen mit Verspätung beitreten werden, weil sie zufällig nicht am Ort des Geschehens waren. Im Brief an den Senat (Nr. 2) wird dieser Gedanke explizit formuliert: Es bestehe kein Zweifel, dass die Adressaten dem Beispiel der in Ravenna versammelten Goten und Römer zwar „in der Zeit, aber nicht in der Liebe nachfolgen“ würden, denn bei ihnen hätte die Zustimmung beginnen können, der sie sich aufgrund der großen Entfernung anschlössen.62 Dass beim Herrscherwechsel ein universeller Konsens inszeniert und propagiert wurde, erscheint auf den ersten Blick als bruchlose Fortsetzung römischer Traditionen. Tatsächlich gehört der universelle Konsens (consensus generalis) seit Augustus zum ideologischen Instrumentarium der römischen Monarchie. Auch in der Spätantike galt die ausnahmslose Zustimmung aller als Grundlage monarchischer Herrschaft.63 Es besteht jedoch ein wesentlicher Unterschied: Im Falle Athalarichs wurde nicht ein universeller Konsens schlechthin beschworen. Vielmehr ist in allen an römische Adressaten gerichteten Schreiben vom Konsens zweier Völker (populi) die Rede, der Goten und Römer, wobei die Goten stets an erster Stelle genannt werden. Das Königtum, das für Athalarich beansprucht wurde, war also als Herrschaft über zwei ethnisch definierte, separate Bevölkerungsgruppen gedacht.64 Der Anspruch Athalarichs auf das Königtum wird je nach Adressaten durchaus unterschiedlich begründet. In allen sieben Schreiben, die an Untertanen gerichtet sind, wird an die Vorstellung appelliert, dass Athalarich schon allein deswegen, weil er ein Enkel Theoderichs war, die Gewähr dafür biete, dass er die Regierung Theoderichs bruchlos fortsetzen werde. Mehrfach wird der Gedanke ausgesprochen, herausragende Befähigung könne innerhalb einer Familie vererbt werden; die Nachkommen seien ein lebendes Abbild ihrer Vorfahren, weil sie deren Gestalt und Geisteskraft fortsetzten. Im Schreiben an den Senat (Nr. 2) wird geradezu behauptet, der tote König lebe in seinem Enkel fort; er hinterlasse einen Erben seiner Vorzüge, der seine Wohltaten vermehren könne.65 Im Brief an den Bischof i­ndepti regni ist kein Komma zu setzen; siehe unten Anhang D]; Cassiodorus, Variae 8, 6, 2: cui ordinationi Gothorum Romanorumque desideria convenerunt, ita ut sub iurisiurandi religione promitterent fidem se regno nostro devoto animo servaturos; Cassiodorus, Variae 8, 7, 2: vos ­quoque praedicta convenit imitari, ut Gothi Romanis praebeant iusiurandum et Romani Gothis sacramento confirment se unanimiter regno nostro esse devotos. Allein im Schreiben an die Goten werden die Eidleistenden nicht ethnisch definiert: Cassiodorus, Variae 8, 5, 1: sacramenti inter­ positione cunctorum vota sociata sunt. 62 Cassiodorus, Variae 8, 2, 8: quod vos secuturos esse minime dubitamus tempore, non amore: nam a vobis potuit inchoari quod praeventi longinquitate sequimini. 63 Hans-Ulrich Instinsky: Consensus universorum. In: Hermes 75 (1940), S. 264–278; Lothar ­Wickert: Princeps. In: RE, Bd. XXII, 2 (1954), Sp. 1998–2296, hier: Sp. 2292. 64  Dazu ausführlich Wiemer: Theoderich (wie Anm. 1), S. 193–202. 65 Cassiodorus, Variae 8, 2, 4: dilatatum quam mutatum videtur imperium, cum transit ad posteros: nam quodam modo ipse putatur vivere, cuius [sc. Theoderici] vobis progenies cognoscitur ­imperare; § 5: haec illius fuit indubitata sententia, ut heredem bonorum suorum relinqueret qui beneficia eius in vobis possit augere. amore principum constat inventum, u  t simulacris aeneis fides

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Victorinus (Nr. 8) wird versichert, der tote König erstehe in seinem Nachfolger wieder auf.66 An Liberius schreibt Cassiodor (Nr. 6) der Verlust sei kaum zu spüren, weil der Nachfolger nicht von außerhalb komme,67 an die gallischen ­ ­Provinzialen (Nr. 7), sie würden den Verlust des guten Fürsten nicht spüren, weil dessen Familie in Athalarich weiterhin regieren werde.68 Im Brief an die Goten Italiens (Nr. 5) gilt Erbfolge innerhalb der Familie (successio sanguinis) als Garantie für die Fortsetzung der Politik des Verstorbenen; der neue König werde alle Wohltaten, die Theoderich ihnen gewährt habe, bewahren und weiter vermehren.69 Dem römischen Volk (Nr. 3) verspricht Cassiodor, der neue König werde den „ehrwürdigen Entscheidungen seines Großvaters Folge leisten“.70 Den Römern in Italien und Dalmatien (Nr. 4) werden Wohltaten versprochen, damit man über den neuen König nicht anders denke, als man seine Verwandten (parentes) beurteilt habe.71 Die familiäre Verbindung zwischen Athalarich und Theoderich wird in allen Schreiben als diejenige zwischen Großvater und Enkel bestimmt. Athalarichs Vater Eutharich dagegen wird nur im Schreiben an den Kaiser (Nr. 1) ausdrücklich benannt. Die Mutter Amalasvintha kommt gar nicht vor. Dass Athalarich mit seinem Großvater in weiblicher Linie verwandt war, wird so unterschlagen. Ausdrücke wie Geschlecht (genus) oder Nachkommenschaft (progenies) lassen die Frage offen.72 Nur im Brief an den Senat (Nr. 2) und im Brief an die Goten in Italien (Nr. 5) begründet die Zugehörigkeit zur Familie der Amaler als solche ein Anrecht auf das Königtum. Die Funktion dieses Arguments ist jedoch unterschiedlich. Im Schreiben an die Senatoren (Nr. 2) wird die dynastische Erbfolge als Stabilitäts­faktor gepriesen, der eine reibungslose Herrschaftsfolge ermöglicht und dadurch Schaden von der res publica abgewandt habe: Athalarich habe das Königtum nicht durch Aufruhr oder Bürgerkrieg erlangt, sondern im Frieden, wie es servaretur imaginis, quatenus ventura progenies auctorem videret, qui sibi rem publicam multis beneficiis obligasset. sed quanto verior est qui vivit in poste­ris, per quos plerumque et forma corporis redditur et vigor animi protelatur. 66 Cassiodorus, Variae 8, 8, 2: nos in sede regni sui divinitate propitia collocavit, ut in totum desiderio vestro non videatur ereptus, qui vobis consurgit in successione reparatus. 67 Cassiodorus, Variae 8, 6, 1: vix sentitur amissus cui [sc. Theoderico] non succedit extraneus; § 3: nos dominos collocavit, quatenus decus generis, quod in illo [sc. Theoderico] floruit, in successores protinus aequali luce radiaret. 68 Cassiodorus, Variae 8, 7, 1: ad continuandam gubernationem, quam singulariter gesserat, nos reliquit, ne damnum boni principis sentiretis, cuius [sc. Theoderici] vobis noscitur regnare progenies. 69 Cassiodorus, Variae 8, 5, 1: nos heredes regni sui deo sibi imperante substituit [sc. Theodericus], ut successione sanguinis sui beneficia vobis a se collata faceret esse perpetua, dum nos illa et augere et tueri cupimus, quae ab illo facta esse cognoscimus. 70 Cassiodorus, Variae 8, 3, 2: nunc vero persona tantum, non est autem vobis gratia commutata, quando recte nobiscum agi credimus, si veneranda iudicia avi subsequamur. 71 Cassiodorus, Variae 8, 4, 2: locum sinistris cogitationibus amputantes aliter de nobis non ­patimur credi, quam quod de nostris parentibus potuit aestimari. 72 Cassiodorus, Variae 8, 2, 3 (claritas generis); § 4 (progenies); Cassiodorus, Variae 8, 5, 2 (regalis prosapia); Cassiodorus, Variae 8, 6, 2 (decus generis); Cassiodorus, Variae 8, 7, 1 (progenies).

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sich für den Urheber einer zivilisierten, auf Gesetzestreue beruhenden Ordnung (auctor civilitatis) gezieme. Es sei ein großes Glück, dass er ohne Streit den principatus erlangt habe und dadurch dominus innerhalb der res publica geworden sei.73 Man habe ihn mit Recht allen anderen vorgezogen, weil der Glanz der Amaler jede andere Familie überstrahle.74 Im Brief an den Senat (Nr. 2) und nur dort steht das regnum im Dienst einer transpersonalen Staatsidee. Der gotische König garantiert den Zustand der civilitas; als princeps und dominus herrscht er innerhalb der res publica. Die königliche Kanzlei nahm damit einen zentralen Bestandteil des senatorischen Selbstverständnisses auf. 75 Im Brief an Liberius (Nr. 6) dagegen heißt es, der sterbende König habe gewollt, dass „die Zierde des Geschlechts (decus generis), das in ihm geblüht habe, auf seine Nachfolger beständig mit gleicher Helligkeit ausstrahle“.76 Hier wird die Thronfolge gerade nicht erbrechtlich begründet. Entscheidend ist nicht die Abstammung vom Geschlecht der Amaler, sondern der letzte Wille Theoderichs: Der König habe gewollt, dass seine Familie in alle Zukunft herrschen solle, und durch die Übertragung des Königtums auf seinen Enkel dafür Sorge getragen, seinem Reich den Frieden zu erhalten, damit keine Neuerung (novitas) wohl­ geordnete Zustände durcheinanderbringe.77 Diese Argumentation kommt zudem ohne expliziten Bezug auf die res publica aus, denn Liberius wird als Diener des Königs angesprochen. Auch im Brief an die Goten in Italien (Nr. 5) fehlt jede Spur einer transperso­ nalen Staatsidee: Hier rühmt Cassiodor Athalarich als Spross einer königlichen „Sippe“ (regalis prosapia), der eine ganze Serie von Königen (ordo regum) ent-

73 Cassiodorus,

Variae 8, 2, 2: quanta exultatione suscipi debet omnium rectorem feliciter provenisse terrarum, quem non protulit commota seditio, non bella ferventia pepererunt, non rei publicae damna lucrata sunt, sed sic factus est per quietem, quemadmodum venire decuit civilitatis auctorem; § 5: quatenus ventura progenies auctorem videret, qui sibi rem publicam multis beneficiis obligasset; § 10: nunc vestrum est tale aliquid sperare, quod communem rem publicam possit augere; vgl. § 9: quia inviolabiliter servare cupimus quae publica auctoritate promittimus. 74 Cassiodorus, Variae 8, 2, 3: quoniam quaevis claritas generis Hamalis cedit et sicut ex vobis qui nascitur, origo senatoria nuncupatur, ita qui ex hac famila progreditur, regno dignissimus appro­ batur. 75 Werner Suerbaum: Vom antiken zum frühmittelalterlichen Staatsbegriff. Über Verwendung und Bedeutung von Res Publica, Regnum, Imperium und Status von Cicero bis Jordanis. Münster 31977, S. 247–267. Suerbaum resümiert den Befund für Cassiodor folgendermaßen (S. 267), „daß das Gotenreich in Italien regnum, imperium und auch res publica heißen kann. Eine nähere Charakterisierung durch einen Völkernamen wird vermieden. Bemerkenswert ist dabei vor allem, daß die Verbindung von Romanorum mit einem Staatsbegriff nie vorkommt. Res publica, der zahlenmäßig am häufigsten vertretene Begriff, und imperium werden nur vom römischen Kaiserreich und vom gotischen Reich, nicht aber von anderen Staatsgebilden gebraucht. […] Im ganzen ergibt sich das Bild, daß das Gotenreich die Staatsbezeichnungen des alten Römerreichs in Analogie zum Ostreich übernimmt.“ 76 Cassiodorus, Variae 8, 6, 2: in sellam regni sui nos dominos collocavit [sc. Theodericus], quatenus decus generis, quod in illo floruit, in successores protinus aequali luce radiaret. 77 Cassiodorus, Variae 8, 6, 2: Sic enim sibi deo imperante prospexit [sc. Theodericus], dum esset et post fata providus, ut regionibus suis pacem relinqueret, ne aliqua novitas quieta turbaret.

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sprungen sei, und verweist auf eine gemeinsame Erfolgsgeschichte von Amalern und Goten: „Nehmt daher den Namen, der euch immer Glück verhieß, entgegen, die königliche Sippe der Amaler (regalis prosapia), den purpurnen Spross (blatteum germen), die Kindheit im Purpur (infantia purpurata), [ihr,] durch die unsere Vorfahren (parentes) mit Gottes Hilfe auf anständige Weise emporgebracht worden sind und inmitten einer langen Reihe von Königen (ordo regum) stets Wachstum erlebt haben. Denn wir glauben, dass die gnädige Gottheit, die unsere Vorfahren (maiores) gütig unterstützt hat, auch jetzt die Gunst ihrer Gnade erweist, sodass ihr auch uns als Herrschern die sehr süßen Früchte guter Dinge zutragt, die ihr unter unseren Vorfahren (nostri parentes) im reichen Lob der Tugenden geblüht habt.“78 In diesem Schreiben wird Athalarich einerseits ein Anrecht auf die Herrschaft zugesprochen, weil er einer Familie angehöre, die seit Langem über Goten herrsche und dabei immer erfolgreich gewesen sei. Andererseits wird aber auch betont, dass die Amaler ihren Aufstieg ihrerseits den Goten zu verdanken hätten. Der letzte Wille Theoderichs wird an einigen Stellen als Ausdruck göttlicher Gnade gedeutet, einmal auch der allgemeine Konsens zur Thronfolge Athalarichs; insofern fehlt eine religiöse Legitimation des Herrscherwechsels nicht völlig.79 Im Schreiben an die Goten Italiens (Nr. 5) heißt es, Gott, der die Amaler stets unterstützt habe, werde auch Athalarich gnädig sein.80 Aus dem Brief an Bischof Victorinus (Nr. 8) geht hervor, dass die katholischen Bischöfe aufgefordert wurden, dafür zu beten, dass der „himmlische König“ die „menschliche Königsherrschaft“ Athalarichs bestätige, die auswärtigen Feinde niederwerfe und das von den Vorfahren Erreichte befestige und bewahre.81 Es wird für das Königtum Athalarichs jedoch an keiner Stelle eine Legitimation beansprucht, die man als sakral bezeichnen könnte: Es fehlt jeder Hinweis auf eine direkte Beauftragung durch Gott, auf 78 Cassiodorus, Variae 8, 5, 2–3: recipite itaque prosperum semper vobis nomen, Hamalorum regalem prosapiam, blatteum germen, infantiam purpuratam, per quos [sc. Gothos] deo iuvante parentes nostri decenter evecti sunt et inter tam prolixum ordinem regum susceperunt semper augmentum. Credimus enim de divinitate propitia, quae maiores nostros dignanter adiuvit, nunc quoque gratiam dignationis impendere, ut et nobis regnantibus bonarum rerum fructus dulcissimos afferatis, qui sub nostris parentibus copiosa virtutum laude floruistis. 79 Cassiodorus, Variae 8, 2, 4: ita cum magno gaudio secuti sunt principis sui iudicia, ut voluntatem ibi potius agnosceres confluxisse divinam; § 7: divina providentia fuisse dispositum, ut Gothorum Romanorumque nobis generalis consensus accederet; Cassiodorus, Variae 8, 5, 1: nos heredes sui deo sibi imperante substituit [sc. Theodericus]; Cassiodorus, Variae 8, 6, 2: sic enim deo imperante prospexit [sc. Theodericus]; Cassiodorus, Variae 8, 7, 2: cum ad regni culmina perveniremus, omnia nobis sic felicia, sic tranquilla cessisse ut unum loqui crederes quod generalitas insonabat nec putaretur humanum quod tot vota ingentium populorum nihil probata sunt habere contrarium; Cassiodorus, Variae 8, 8, 2: nos in sede regni sui divinitate propitia collocavit [sc. Theodericus]. 80 Cassiodorus, Variae 8, 5, 3: credimus enim de divinitate propitia quae maiores nostros dignanter adiuvit, nunc quoque gratiam suae dignationis impendere. 81 Cassiodorus, Variae 8, 8, 2: favete nunc orationibus sacris nostris libenter auspiciis, ut rex ­caelestis humana nobis regna confirmet, gentes externas atterat, peccata absolvat, consolidet et conservet propitius quod parentibus nostris dignatus est praestare gloriosis.

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eine Art Erbcharisma oder auf kultische Handlungen, die anlässlich seiner Investitur vollzogen worden wären. Nirgendwo ist davon die Rede, dass religiöse Spezialisten, welcher Konfession auch immer, an der Herrschaftsübertragung mit­ gewirkt hätten. Von „Sakralkönigtum“ kann daher bei den gotischen Königen in Italien keine Rede sein.82 Da im Reich Theoderichs zwei christliche Kirchen koexistierten,83 die sich gegenseitig die Existenzberechtigung absprachen, kam eine durch kultische Handlungen vermittelte Legitimation der Herrschaft nicht infrage; erst recht konnte der König nicht als Priester oder gar als Stellvertreter Christi apostrophiert werden. Ein gotischer König homöischer Konfession musste so auftreten, dass er auch für die katholische Mehrheit akzeptabel war. Das oströmische Kaisertum konnte daher im gotischen Italien kein Vorbild sein. In Konstantinopel war der Patriarch seit der Mitte des 5. Jahrhunderts an der Krönung des Herrschers beteiligt. Die Kaiser Anastasios (491) und Justin (518) wurden von ihm gekrönt.84 Im hispanischen Reich der Westgoten beseitigte erst der 82 

In der (west-)deutschen und österreichischen Mediävistik herrschte bis weit in die 1980er-Jahre hinein die namentlich von Otto Höfler: Der Sakralcharakter des germanischen Königtums. In: Theodor Mayer (Hg.): Das Königtum. Seine geistigen und rechtlichen Grundlagen. Sigmaringen 1956, S. 75–104, propagierte Auffassung vor, am Anfang der historischen Entwicklung habe ein sakrales, auf „Geblütsrecht“ und „Königsheil“ beruhendes Königtum gestanden. Auch Reinhard Wenskus: Stammesbildung und Verfassung. Das Werden der frühmittelalterlichen gentes. Köln u. a. 1961, S. 305–314, war noch der Ansicht, ein „sakrales Königtum“ sei bei fast allen „alteuropäischen Völkern“ verbreitet gewesen. Gegen dieses hypothetische Entwicklungsmodell wandte sich schon früh František Graus: Volk, Herrscher und Heiliger im Reich der Merowinger. Studien zur Hagiographie der Merowingerzeit. Prag 1965, S. 313–334. Grundsätzliche Kritik übte dann Eve Picard: Germanisches Sakralkönigtum? Quellenkritische Studien zur Germania des Tacitus und zur altnordischen Überlieferung. Heidelberg 1991. Der von vielen Autoren verfasste Artikel „Sakralkönigtum“ in: RGA, Bd. 26 (2004), Sp. 179–320, orientiert gut über die Forschungsgeschichte und den aktuellen Diskussionsstand. Der Abschnitt über die Ostgoten (§ 14, Sp. 239– 247) stammt von Andreas Goltz, der abschließend festhält, dass es ein Sakralkönigtum bei den Ostgoten nicht gegeben habe (Sp. 247). Vgl. auch die kritischen Bemerkungen zur Debatte über das „germanische Sakralkönigtum“ bei Franz-Rainer Erkens: Herrschersakralität im Mittelalter. Von den Anfängen bis zum Investiturstreit. Stuttgart 2006, S. 80–87. 83  Wiemer: Theoderich (wie Anm. 1), S. 473–532. 84  Friedhelm Winkelmann: Zur Rolle der Patriarchen von Konstantinopel bei den Kaiserwechseln in frühbyzantinischer Zeit. In: Klio 60 (1978), S. 467–481, und Pfeilschifter: Der Kaiser und Konstantinopel (wie Anm. 23), S. 378–383, weisen gegen Wilhelm Enßlin: Zur Frage nach der ­ersten Kaiserkrönung durch den Patriarchen und zur Bedeutung dieses Aktes im Wahlzeremoniell. Würzburg 1947, darauf hin, dass es keine tragfähigen Belege für die lange Zeit vorherrschende Annahme gibt, dass bereits Leon I. (oder gar Markian) vom Patriarchen der Kaiserstadt gekrönt wurde. Allerdings ist die Anwesenheit des Patriarchen sowohl bei der Krönung Markians (Theophanes, Chronica anno mundi 5942; Zonaras, Epitome historiarum 13, 24) als auch bei derjenigen Leons I. belegt: Constantinus Porphyrogenitus, De caerimoniis 1, 91. Bei der Krönung Leons II. sprach der Patriarich ein Gebet: Constantinus Porphyrogenitus, De caerimoniis 1, 94. Zur Sakralisierung des oströmischen Kaisertums vgl. neben dem „Klassiker“ von Otto Treitinger: Die oströmische Kaiser- und Reichsidee nach ihrer Gestaltung im monarchischen Zeremoniell. Jena 1938, S. 7–43, vor allem Sabine McCormack: Art and Ceremony in Late Antiquity. Berkeley u. a. 1981, S. 240–256; Steffen Diefenbach: Zwischen Liturgie und civilitas. Konstantinopel im 5. Jahrhundert und die Etablierung eines städtischen Kaisertums. In: Rainer Warland (Hg.): Bildlichkeit und Bildorte von Liturgie: Schauplätze in Spätantike, Byzanz und Mittelalter. Wiesbaden 2002, S. 21–49; Kai Trampedach: Kaiserwechsel und Krönungsritual im Konstantinopel des 5. und

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Übertritt Rekkareds zum katholischen Glauben (589) die konfessionellen Hürden für eine sakrale Überhöhung des Königtums.85 Alle Schreiben, die an Untertanen gerichtet sind, verbinden die Nachricht, dass das Königtum von Theoderich auf Athalarich übergegangen sei, mit der Aufforderung, dem neuen König Treue (fides) oder Ergebenheit (devotio) zu erweisen.86 Beide Begriffe meinen im Grunde dasselbe; die königliche Kanzlei forderte von allen Untertanen Loyalität. Bezeichnenderweise fordert Cassiodor die gallischen Provinzialen (Nr. 7) auf, sie sollten ihre altbewährte Treue (fides) nun mit noch größerer Ergebenheit (devotio) zeigen.87 An die Römer in Italien und Dalmatien schreibt er (Nr. 4), sie, die früher Athalarichs Vorfahren treu (fideles) gedient hätten, sollten nun ihm selbst mit derselben Ergebenheit (devotio) gehorchen.88 Es fällt jedoch auf, dass in den Schreiben, die an den Senat (Nr. 2) und einzelne ­Bischöfe (Nr. 8) gerichtet sind, weder das Substantiv devotio noch das Adjektiv devotus verwendet wird. Vermutlich vermied man diese Ausdrücke deshalb, weil der Titel vir devotus und die Anrede devotio tua für Leute gebraucht wurde, die dem Herrscher in subalterner Stellung persönlich dienten, am Hof oder im Heer, als comitiaci oder als saiones.89 Senatoren und Bischöfe aber beanspruchten für sich eine Stellung aus eigenem Recht. 6. Jahrhunderts. In: Marion Steinicke/Stefan Weinfurter (Hg.): Investitur- und Krönungsrituale im kulturellen Vergleich. Köln u. a. 2005, S. 275–290. 85  Zur Sakralisierung des westgotischen Königtums noch immer lesenswert Dietrich Claude: Adel, Kirche und Königtum im Westgotenreich. Sigmaringen 1971, S. 77–80, S. 154–161; dazu vor allem Alexander Pierre Bronisch: Reconquista und heiliger Krieg: Die Deutung des Krieges im christlichen Spanien von den Westgoten bis ins frühe 12. Jahrhundert. Münster 1998, S. 327–335; Christoph Dartmann: Die Sakralisierung König Wambas. Zur Debatte um frühmittelalterliche Sakralherrschaft. In: Frühmittelalterliche Studien 44 (2010), S. 39–58. Zeitpunkt und Umstände der Einführung der Salbung sind umstritten: Während Bronisch die bei der Krönung Wambas 673 erstmals belegte Salbung (Julianus Toletanus, Historia Wambae regis 4) auf eine postbaptismale Salbung Rekkareds bei seiner Konversion zum katholischen Bekenntnis (589) zurückführen möchte, schließt Dartmann (S. 52) eine Salbung vor der Abfassung der „Etymologiae“ Isidors von Sevillas (ca. 630) aus und hält es für fraglich, ob es eine Salbung vor Wamba überhaupt gegeben hat. Claude wiederum hielt es für „so gut wie sicher“ (S. 156), dass König Sisenand (632–636) gesalbt wurde. 86 Cassiodorus, Variae 8, 2, 6: nobilitatis vestrae fidem maiore nunc studio debetis ostendere; Cassiodorus, Variae 8, 3, 3: se dominatum nostrum tanto gaudio subire, tamquam si illis domnus avus noster fatali sorte non videretur esse subtractus, ne solis linguis, sed etiam imis pectoribus proba­ rentur esse devoti; Cassiodorus, Variae 8, 4, 2; Cassiodorus, Variae 8, 5, 2: hoc vos sequentes exemplum pari devotione peragite; Cassiodorus, Variae 8, 6, 2: se regno nostro devoto animo ser­ vaturos; Cassiodorus, Variae 8, 7, 2; § 3: se unanimiter regno nostro esse devotos; Cassiodorus, ­Variae 8, 8, 1: fide et constantia; § 3: cupimus enim in subiectis fidem reperiri, quam larga possimus pietate munerari. 87 Cassiodorus, Variae 8, 7, 2: fidem pristinam maiore nunc vos convenit devotione monstrare. 88 Cassiodorus, Variae 8, 4, 2: qui fideles parentibus nostris extitistis, nobis quoque simili devotione pareatis. 89 Über devotio und viri devoti Karl Winkler/Alfred Stuiber: Devotio. In: RAC, Bd. 3 (1957), Sp. 849–862; Pier Maria Conti: „Devotio“ e „viri devoti“ in Italia da Diocleziano ai Carolingi. Padua 1971, bes. S. 83–122, der jedoch vergeblich versucht, germanische Vorstellungen hinter lateinischen Begriffen zu finden. Zum Begriff fides Carl Becker: Fides. In: RAC, Bd. 7 (1969), Sp. 801– 839, über Treue als Loyalität siehe Stefan Esders: Treue. In: RGA, Bd. 31 (2006), Sp. 165–170.

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Die Untertanen sollten ihre Treue zum neuen König in einem öffentlichen Eid beschwören. Diesen allgemeinen Treueid erwähnen mit einer Ausnahme sämtliche Schreiben an Untertanen; er fehlt lediglich im Brief an den Bischof Victorinus (Nr. 8). Mehrfach wird erwähnt, dass die Überbringer der Schreiben den Auftrag hatten, den jeweiligen Adressaten, sowohl Goten als auch Römern, den Treueid abzunehmen.90 Nur in der gallischen Präfektur sollten Goten und Römer sich diesen Schwur gegenseitig leisten und abnehmen. Das hatte wohl pragmatische Gründe: Die Provence war weit entfernt von Ravenna und administrativ weit weniger durchdrungen als Italien; da dort keine Provinzen oder Diözesen mehr existierten, war die gallische Präfektur die einzige zentrale Behörde in diesem Raum.91 Nichts deutet darauf hin, dass die geforderte Eidesleistung zu Protokoll genommen wurde, wie es im 7. Jahrhundert im Westgotenreich der Fall war.92 Von der Eidespflicht ausgenommen waren allein die Bischöfe. Offenkundig nahm man Rücksicht darauf, dass es starke Bedenken gab, ob Klerikern das Schwören überhaupt gestattet sei,93 zumal dann, wenn der Herrscher selbst als Garant des Eides angerufen wurde, was in den Treueiden für Athalarich offenbar vorgesehen war.94 90 Cassiodorus, Variae 8, 2, 7  f.: voluntatem suam, quam puris pectoribus offerebant, iuris etiam iurandi religione firmarent. quod vos secuturos esse minime dubitamus tempore, non amore; § 9: illustrem Sigismerem comitem nostrum vobis cum his qui directi sunt fecimus sacramenta praestare, quia inviolabiliter servare cupimus quae publica auctoritate promittimus; Cassiodorus, Variae 8, 3, 4 f.: Quod si vos, ut opinamur, libenti animo similia feceritis, harum portitores sub ­obtestatione divina vobis fecimus polliceri iustitiam nos et aequabilem clementiam, quae populos nutrit, iuvante domino custodire. Ecce ad condicionem clementissimam sacramenti inclinando nostrum eveximus principatum; Cassiodorus, Variae 8, 4, 2 f.: tam Gothorum quam Romanorum praesentium pro munimine indepti regni sacramenta suscepimus. quod vos quoque facturos esse libentissime iudicamus […] iuris iurandi vobis fecimus religione promitti, quod et nostrum possit declarare propositum et spem debeat munire cunctorum; Cassiodorus, Variae 8, 5, 2: Hoc vos sequentes exemplum pari devotione peragite, ne quid a praesentibus minus fecisse videamini, a quibus creditur totum similiter posse compleri. illum vero comitem vobis fecimus iurata voce promittere, ut, sicut nobis vestrum animum proditis devotissime, sic optata de nostris sensibus audiatis. 91 Cassiodorus, Variae 8, 6, 3: ab his, qui in Galliis regno pietatis nostrae devoti sunt, simile proferatur exemplum et, sicut animos nostros circa se minores non desiderant effici, ita pari condicione [sc. sub iuris iurandi religione] teneantur astricti; Cassiodorus, Variae 8, 7, 3: Gothi Romanis praebeant iusiurandum et Romani Gothis sacramento confirment se unanimiter regno nostro esse devotos, quatenus et nobis vestra sinceritas laudabiliter innotescat et ad quietem vestram proficiat invicem promissa concordia. 92  Julianus Toletanus, Historia Wambae regis. Iudicium 6. 93  Nach Victor von Vita, Historia persecutionis 3, 19 verweigerte ein Teil der katholischen Bischöfe Nordafrikas den 484 von König Hunerich geforderten Eid, seinen Sohn Hilderich als Nachfolger anzuerkennen, unter Verweis auf das neutestamentliche Schwurverbot (Matthäus, 5, 34). Kaiser Markian setzte 456 ohne Weiteres voraus, dass Kleriker nicht schwören dürfen und nahm sie daher von der Eidesleistung aus (Codex Iustinianus 1, 3, 25, 1b): quia ecclesiaticis regulis et canone a beatissimis episcopis antiquitus instituto clerici iurare prohibentur. Eine unter dem ­Titel „Statuta ecclesiae antiqua“ bekannte Sammlung kirchenrechtlichen Inhalts, die um 475 in Gallien entstanden sein dürfte, verbietet Klerikern in § 61 den Eid per creaturas und droht bei Zuwiderhandlung mit Exkommunikation. 94 Cassiodorus, Variae 8, 4, 5: iurat vobis per quem iuratis, nec potest ab illo quisquam falli, quo invocato non licet impune mentiri. In griechischen Papyri ist die Anrufung des Kaisers beim Eid

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Man hat vermutet, ein solcher allgemeiner Treueid habe römische Wurzeln.95 In diesem Fall würde es sich um ein Ritual handeln, das durch jahrhundertelange Übung zur Routine geworden war. Tatsächlich scheint im Imperium Romanum ein Treueid aller Untertanen gegenüber dem Herrscher – in der Forschung Kaiser­ eid genannt – bis ins frühe 3. Jahrhundert hinein üblich gewesen zu sein.96 Danach aber kam diese Praxis außer Übung und verschwindet daher aus den Quellen. ­Gewiss vereidigte Julian seine Soldaten und Höflinge auf sich, als er 361 zum Bürger­krieg gegen Constantius II. aufbrach, aber das geschah im Kontext einer Usurpation, nicht beim Regierungsantritt wie beim Kaisereid der ersten beiden Jahrhunderte.97 In Ostrom kommt diese Praxis erst während des Bilderstreits im 8. Jahrhundert wieder auf.98 Darum ist eine andere Deutung vorzuziehen: Dass im bis ins 7. Jahrhundert hinein belegt: Klaas A. Worp: Byzantine Imperial Titulature in the Greek Documentary Papyri: The Oath Formulas. In: ZPE 45 (1982), S. 199–223. 95  So zuletzt Stefan Esders: Rechtliche Grundlagen frühmittelalterlicher Staatlichkeit: Der allgemeine Treueid. In: Walter Pohl/Veronika Wieser (Hg.): Der frühmittelalterliche Staat – Europäische Perspektiven. Wien 2009, S. 423–432; ders.: „Faithful believers“. Oaths of Allegiance in PostRoman Societies as Evidence for Eastern and Western „Visions of Community“. In: Walter Pohl u. a. (Hg.): Visions of Community in the Post-Roman World. The West, Byzantium and the Islamic World, 300–1100. Aldershot 2012, S. 357–374. Ältere Vertreter dieser Ansicht verzeichnet Dietrich Claude: Königs- und Untertaneneid im Westgotenreich. In: Helmut Beumann (Hg.): Historische Forschungen für Walter Schlesinger. Köln/Wien 1974, S. 358–378, hier: S. 358 f. Claude und Esders nehmen an, bereits Theoderich habe sich einen „allgemeinen Treueid“ leisten lassen. Es ist jedoch sehr fraglich, ob sich Cassiodorus, Variae 8, 4, 2 in diesem Sinn deuten lässt; die Römer in Italien und Dalmatien waren dem König auch ohne Eid „treu“ (fideles). Die Annahme, schon die Goten, die 376 auf Reichsboden traten, hätten einen Eid auf den Kaiser geleistet, lässt sich mit der Historia Nova des Zosimus (4, 56, 1 f.) nicht belegen, wie der Vergleich mit der in diesem Falle erhaltenen Vorlage Eunapius beweist: Fragmentum 60 Müller = 59 Blockley, Z. 1–11. Im Original ist von einem „zuhause geschworenen Eid“ (τὸν οἴκοι γεγονότα ὅρκον) die Rede, durch den die Goten sich verpflichtet hätten, das Imperium zu vernichten. Siehe François Paschoud: Zosime. Histoire nouvelle. Tome II, 2e partie (Livre IV). Texte établi et traduit. Paris 1979, S. 460–462. 96  Grundlegend ist Peter Herrmann: Der Römische Kaisereid. Untersuchungen zu seiner Herkunft und Entwicklung. Göttingen 1968; ergänzt durch Julián González: The First Oath pro ­salute Augusti Found in Baetica. In: ZPE 72 (1988), S. 113–127. In der Korrespondenz Plinius’ des Jüngeren mit Kaiser Trajan erscheint der alljährlich am Tag des Herrschaftsantritts (dies imperii) erneuerte „Kaisereid“ als Routine: Epistulae 10, 52 und 53; 10, 102 und 103 mit Adrian Nicholas ­Sherwin-White: The Letters of Pliny. A Social and Historical Commentary. Oxford 1966, S. 633 f. Das letzte sichere Beispiel stammt aus der Zeit des Kaisers Septimius Severus: Cassius Dio 75, 14, 7. Einige Stellen in der „Histora Augusta“ (Vita Maximini 24, 3; Vita Claudii 11, 2), die sich auf spätere Erhebungen beziehen, sind von zweifelhafter Glaubwürdigkeit. 97 Libanius, Oratio 18, 109; Ammianus Marcellinus 21, 5, 7; 21, 5, 10  f.; vgl. Herrmann: Kaisereid (wie Anm. 96), S. 115; ungenau Joachim Szidat: Historischer Kommentar zu Ammianus Marcellinus Buch XX–XXI. Teil III: Die Konfrontation. Wiesbaden 1995, S. 42. Ähnlich handelte 365 der Usurpator Procopius: Ammianus Marcellinus 26, 7, 9. 98 Zum angeblichen allgemeinen Treueid unter Anastasios siehe unten. Nach Nicolas George Svoronos: Le serment de fidélité à l’empereur byzantin et sa signification constitutionnelle. In: Revue des études byzantines 9 (1951), S. 106–142, hier: S. 109, stammt das früheste Beispiel für einen Treueid aller Untertanen aus der Zeit Leons IV. (775–780), der Senat, Armee und Volk anlässlich der Erhebung seines Sohnes Konstantinos zum Mitkaiser einen Treueid schwören ließ (Theophanes, Chronica anno mundi 6268). Weitere Beispiele aus der Zeit des Bilderstreits bringt Wolfram Brandes: Bilder und Synoden. In: Rechtsgeschichte 12 (2008), S. 176–182, hier: S. 179 f.

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Jahre 526 Goten und Römer einen Treueid auf Athalarich leisten sollten, war eine den besonderen Umständen geschuldete Improvisation. Diese Improvisation diente dem Zweck, die in sich höchst unterschiedlichen Gruppen, die für das ­Königtum Athalarichs gewonnen werden sollten, in einem öffentlichen Akt mit hoher moralischer Bindewirkung auf den neuen Herrscher zu verpflichten.99 Eines besonderen Vorbilds bedurfte es dafür nicht, weil der Eid als Garantiemittel im privaten und im öffentlichen, im zivilen und im militärischen Bereich außerordentlich verbreitet war.100 Diese Annahme wird durch die Tatsache gestützt, dass dem Treueid der Untertanen gegenüber dem König ein Eid entsprach, den Athalarich gegenüber den ­Römern und Goten in Italien und Dalmatien ablegte; er wird in den Schreiben an den Senat (Nr. 2), an das Volk der Stadt Rom (Nr. 3) und an die Römer in Italien und Dalmatien (Nr. 4) sowie im Schreiben an die Goten in Italien (Nr. 5) erwähnt.101 Ein solcher Herrschereid entsprach keineswegs römischer Tradition, auch wenn Cassiodor im Brief an das Volk von Rom (Nr. 3) insinuiert, dass Athalarich dem exemplum Traiani folge.102 Dieser angebliche Präzedenzfall ist jedoch weit hergeholt und zudem historisch fragwürdig; in jedem Fall hatte sich aus ihm gerade keine Tradition entwickelt.103 Dagegen gibt es zeitgenössische Beispiele dafür, dass Herrscher in krisenhaften Situationen mitunter gedrängt wurden, einen Eid zu leisten: So hatte im Jahre 491 Kaiser Anastasios vor seiner Krönung schwören müssen, gegen niemanden einen Groll zu hegen und das Reich nach bestem Gewissen zu regieren.104 Zu Beginn der römischen Invasion Italiens, im Jahre 535, garantierte König Theodahad die Sicherheit (securitas) der Stadt Rom durch einen Eid gegenüber Senat und Volk.105 Umgekehrt ließ König Vitigis Ende 536 Papst  99  Esders:

Treueid (wie Anm. 95), S. 426–431, unterscheidet fünf Funktionen des „allgemeinen Treueids“: 1) personenbezogene Vereinfachung, Entdifferenzierung komplexerer Rechtsfiguren, 2) Sicherung des kaiserlichen Rechtsanspruchs durch Aufbrechen von Solidaritäten, 3) Vereinheitlichung des Rechts, 4) Regionalisierung und Kontraktualisierung, 5) Ethisierung königlicher Herrschaft. Zum Eid als Garantiemittel siehe auch Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft. ­Tübingen 51972, S. 401 f. 100 Einen guten Überblick vermittelt Stefan Esders’ Artikel „Schwur“ im RAC, den ich im ­Manuskript einsehen durfte. 101 Cassiodorus, Variae 8, 2, 9; 8, 3, 5; 8, 4, 3; 8, 5, 2. 102 Cassiodorus, Variae 8, 3, 5 (ecce Traiani vestri clarum saeculis exemplum reparamus: iurat vobis per quem iuratis) verweist auf Plinius, Panegyricus 68, 4 (scis tibi ubique iurari cum ipse iuraveris omnibus). 103  Theodor Mommsen: Römisches Staatsrecht. Bd. 2. 2. ND Basel 31952, S. 792. Plinius, Panegyricus 65–68, vermengt den Kaisereid der Untertanen am dies imperii und die Gelübde zum Jahresbeginn; vgl. Plinius, Epistulae 10, 35 und 36; 10, 100 und 101 mit Sherwin-White: Commentary (wie Anm. 96), S. 611 f., S. 714. Römische Kaiser schworen seit Nerva und bis ins 3. Jahrhundert hinein, keinen Senator hinrichten zu lassen; dazu Anthony R. Birley: The Oath not to Put Senators to Death. In: Classical Review n. s. 12 (1962), S. 197–199. Aber dieser Eid wurde eben nur den Senatoren geleistet. 104  Constantinus Porphyrogenitus, De caerimoniis 1, 92; dazu Mischa Meier: Anastasios I. Die Entstehung des byzantinischen Reiches. Stuttgart 2009, S. 63–75, bes. S. 69. 105 Cassiodorus, Variae 10, 16, 2: postulata siquidem sacramenta vobis ab illo atque illo praestari nostra decrevit auctoritas, quod bene imperaturo non est difficile persuasum, quia sic vobis securitatem dedimus, ut nihil nostro proposito addere videremur; Cassiodorus, Variae 10, 17, 1: flexi

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Silverius, die Senatoren und das Volk von Rom schwören, den Goten die Treue zu halten, bevor er Rom Richtung Ravenna verließ.106 In Gallien schwor Chlodwigs Enkel Charibert bei seinem Regierungsantritt im Jahre 561, dass er dem populus keine neuen Vorschriften und Gebräuche auferlegen werde, insbesondere keine neue Steuerschätzung.107 Nur im westgotischen Spanien, wo die Thronfolge nach dem Tode Amalarichs (532) notorisch instabil war, entwickelte sich der wechselseitige Eid von Untertanen und König zu einer Institution. Aber diese Entwicklung wird erst im frühen 7. Jahrhundert fassbar.108 Auch der mutmaßliche Inhalt des Eides, den Athalarich schwor, lässt kaum ­einen Zweifel, dass er ad hoc konzipiert wurde. Der Brief an das Volk von Rom (Nr. 3) lässt nämlich erkennen, dass Athalarich nicht bloß Gerechtigkeit (iustitia) und „gleichmäßige Milde“ (aequabilis clementia) versprach, sondern auch zusagte, dass für Goten und Römer ein gemeinsames Recht (ius commune) gelten werde. Goten und Römer sollten sich allein dadurch unterscheiden, dass die einen zum allgemeinen Nutzen die Mühen der Kriegführung auf sich nähmen, während die anderen in Ruhe leben und ihre Zahl vermehren könnten.109 Athalarich verpflichtete sich durch diesen Eid auf die Fortsetzung einer Politik, die schon Edward Gibbon als Separation von Goten und Römern charakterisiert hat.110 petitionibus vestris, per illum atque illum praestari vobis sacramenta censuimus, ut regis vestri ani­ mum non habeatis incognitum: nec liceat falsis suspicionibus errare, dum manifeste teneatur quod credatis in principe. 106 Procopius, Bella 5, 12, 26: μετὰ δὲ Σιλβερίῳ τε τω ˜ τη˜ς πόλεως ἱερε˜ι καὶ Ῥωμαίων το˜ις ἐκ βουλη˜ς καὶ τῳ˜ δήμῳ πολλὰ παραινέσας Οὐίτιγγις, καὶ τη˜ς Θευδερίχου ἀρχη˜ς ὑπομνήσας, ἐνεκελεύετο ἅπασιν ἐς Γότθων τὸ ἔθνος εὐνοϊκω ˜ ς ἔχειν, ὅρκοις το˜ις δεινοτάτοις ὑπὲρ τούτων καταλαβών. Nach Victor Vitensis, Historia persecutionis 3, 19, versuchte König Hunerich kurz vor seinem Tod vergeblich, die katholischen Bischöfe seines Reiches durch einen Eid darauf zu verpflichten, dass sie sich für die Thronfolge seines Sohns Hilderich einsetzen würden; dazu Dietrich Claude: Probleme der vandalischen Herrschaftsnachfolge. In: DA 30 (1974), S. 329–355, hier: S. 340–342. Nach Procopius, Bella 5, 4, 8 musste Theodahad sich gegenüber Amalasvintha durch die „heiligsten Eide“ (ὅρκοις δεινοτάτοις) verpflichten, dass er nur nominell König sein werde; dazu Massimiliano Vitiello: Theodahad. A Platonic King at the Collapse of Ostrogothic Italy. Toronto/Buffalo/London 2014, S. 59–65. 107 Gregorius Turonensis, Historiae 9, 30: Post mortem vero Chlothari regis Charibertho rege populus hic sacramentum dedit; similiter etiam et ille cum iuramento promisit, ut leges consuetudinesque novas populo non infligeret, sed in illo, quo quondam sub patris dominationem statu vixerant, in ipso hic eos deinceps reteneret; neque ullam novam ordinationem se inflicturum super eos, quod pertinerit ad spolium, spopondit. 108  Claude: Königs- und Untertaneneid (wie Anm. 95), bes. S. 360–362. Claude führte den wechselseitigen Eid auf den „germanischen“ Gefolgschaftsgedanken (im Sinne Walter Schlesingers) zurück. Ein allgemeiner Treueid der Untertanen wird in den Akten des 4. Konzils von Toledo (633) erstmals erwähnt; die Synodalen beklagten, dass er gebrochen werde, und forderten, ihn einzuhalten (§ 75). Die Akten des 6. Konzils von Toledo (636) enthalten die früheste Erwähnung des Königseids (§ 3). 109 Cassiodorus, Variae 8, 3, 4: harum portitores sub obtestatione divina vobis fecimus polliceri iustitiam nos et aequabilem clementiam, quae populos nutrit, iuvante domino custodire et Gothis Romanisque apud nos ius esse commune nec aliud inter vos esse divisum, nisi quod illi labores bellicos pro communi utilitate subeunt, vos autem habitatio quieta civitatis Romanae multiplicat. 110 Edward Gibbon: History of the Decline and Fall of the Roman Empire. Hg. von David Womersley. Bd. 2. London 1994, S. 535 f.: „Distress might sometimes provoke the indigent

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Das Ringen um die Macht Die Analyse der öffentlichen Diskurse und Rituale, welche die Akzeptanz des minderjährigen Königs Athalarich sichern sollten, hat gezeigt, dass seine Herrschaft auf eine heterogene und adressatenspezifische Art und Weise propagiert wurde. Zugleich wurden die Schwierigkeiten verdeutlicht, die dabei zu überwinden waren: Allein der letzte Wille Theoderichs vermochte schlüssig zu begründen, weshalb Athalarich und kein anderer das Königtum „geerbt“ hatte. Das Vorrecht der Amaler war nicht unumstritten, vor allem aber fehlten anerkannte Regeln für die Sukzession innerhalb dieser Familie. Die Argumentation der königlichen Kanzlei war deswegen gleich doppelt anfechtbar. Wie aber stand es mit den Interessen und Handlungsoptionen derjenigen, um deren Zustimmung zur Herrschaft Athalarichs die königliche Kanzlei warb? Betrachten wir zunächst die Goten: Gegenüber ihnen betonte die königliche Kanzlei Athalarichs Zugehörigkeit zur Familie der Amaler weit stärker als gegenüber dem Senat und allen anderen Akzeptanzgruppen. Auch im Verhältnis zu den Goten aber kam dem Willen Theoderichs entscheidende Bedeutung zu. Denn die Abstammung alleine genügte nicht, wenn man begründen wollte, weshalb der minderjährige Athalarich zwei erwachsenen Amalern vorgezogen wurde: Theodahad und Amalarich.

Abbildung 4: Vereinfachte Stammtafel der Amaler, © Hans-Ulrich Wiemer. ­ oman to assume the ferocious manners which were insensibly relinquished by the rich and luxR urious Barbarian; but these mutual conversions were not encouraged by the policy of a monarch who perpetuated the separation of the Italians and the Goths; reserving the former for the arts of peace, and the latter for the service of war […] To acomplish this design, he studied to protect his industrious subjects, and to moderate the violence without enervating the valour of his soldiers, who were maintained for the public defence.“

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Theoderichs Neffe Theodahad besaß in der Toskana umfangreichen Grundbesitz und hatte dort eine Gefolgschaft aus Goten und Römern um sich gesammelt; er pflegte den Lebensstil eines römischen Senators und galt als hochgebildet.111 Zwei Gedichte, die zusammen mit den Elegien des Dichters Maximianus überliefert sind, rühmen ihn als weisen Bauherrn einer Felsenburg, die vielen Männern Schutz vor einem drohenden Krieg biete.112 Als Theoderich starb, stand Theodahad bereits in seinen Dreißigern und besaß nicht nur eine Tochter, sondern auch einen Sohn, bot also alle Voraussetzungen für dynastische Kontinuität. Er dürfte daher so manchem Senator als geeigneter Nachfolger Theoderichs erschienen sein;113 als er 534 tatsächlich König wurde, machte er Patricius, einen Freund des ­Boethius, zum quaestor114 und gab dem Anicier Maximus, dem Konsul des Jahres 523, eine Tochter aus der Familie der Amaler zur Frau.115 Aus gotischer Sicht ­besaß Theodahad jedoch ein entscheidendes Manko: Er war durch und durch unkriegerisch und machte aus seiner Geringschätzung des Kriegshandwerks auch gar keinen Hehl; ein Dichter, der ihm schmeicheln wollte, stellte kluge Vorsorge für den Frieden über die Tüchtigkeit im Krieg.116 Theoderich maßregelte seinen Neffen mehrfach und zog ihn niemals für die Nachfolge in Betracht. Theodahad wiederum hielt sich vom Hof in Ravenna offenbar fern. Darum ist es kein Wunder, dass er nicht zum Zuge kam, als sein Onkel plötzlich und unerwartet starb: 111  PLRE II Theodahadus. Grundlegend ist jetzt Vitiello: Theodahad (wie Anm. 106). Grund­ besitz in Etrurien: Procopius, Bella 5, 3, 2 f.; 5, 4, 1–3; Gregorius Turonensis, Historiae 3, 31; vgl. Cassiodorus, Variae 4, 39; 5, 12; 10, 4, 4. Theodahad hatte Freunde unter den römischen Senatoren: Appendix Maximiani 3 und 4. Er galt als hochgebildet: Procopius, Bella 5, 3, 1; 5, 6, 10; 5, 6, 16; Cassiodorus, Variae 10, 3, 4 f. Bei den Goten war er unbeliebt: Procopius, Bella 5, 4, 6 f. 112  Die Gedichte 3 und 4 der Appendix Maxiani werden in der Forschung in die Zeit datiert, als Theodahad König war; zuletzt von Paolo Mastandrea: Note biografiche e storico-testuali. In: Alessandro Franzoi (Hg.): Le Elegie di Massimiano. Testo, traduzione e commento. Amsterdam 2014, S. 5–28, bes. S. 8–11, und Vitiello: Theodahad (wie Anm. 106), S. 27–31, weil in Appendix Maximiani 4, 5 f. von ringsum drohenden Kriegen die Rede ist. Das konnte jedoch bereits während der Regentschaft Amalasvinthas gesagt werden. Dagegen passt der Lobpreis einer ­ ­Felsenburg am Meer schlecht in die Zeit, als Theodahad in Ravenna und Rom residierte. Die ­Gedichte dürften vor 534 entstanden sein, als Theodahad in Etrurien auf seine Chance wartete, selbst ­König zu werden. Die Identifikation des in Etrurien beheimateten Dichters Maximianus mit dem oströmischen Senator Maximinus, der 542 die italische Prätoriumspräfektur bekleidete (PLRE III Maximinus 2), ist nicht hinreichend begründet. 113  So Samuel J. B Barnish: Maximian, Cassiodorus, Boethius, Theodahad: Literature, Philosophy and Politics in Ostrogothic Italy. In: Nottingham Medieval Studies 34 (1990), S. 16–31, hier: S. 28–32. 114  PLRE II Patricius 12. Boethius widmete ihm seine Kommentare zu Ciceros „Topica“ und der Geometrie Euklids. Über Herkunft und Laufbahn des nur durch Cassiodorus, Variae 10, 30 bezeugten praefectus urbi Honorius (PLRE II Honorius 2) ist nichts Näheres bekannt. 115 PLRE II Maximus 20. Die Hochzeit mit einer Amalerin bezeugt Cassiodorus, Variae 10, 11, 3 f.; 10, 12, 3; dazu Vitiello: Theodahad (wie Anm. 106), S. 88–93. 116  Appendix Maximiani 3, 16–23: Quae tibi pro tali solvantur munere vota | Theodade potens, cuius sapientia mundo | prospiciens, castris ne quid minus esset in istis, | artem naturae permiscuit, utile pulchro? | magna quidem virtus bello prosternere gentes | sed melius nec bella pati, cum laude quietis. | et titulo pietatis erit tot credere demptos, | quot populos tua castra regunt, instante ruina.

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Nur wer persönlich anwesend war, hatte eine Chance, Einfluss auf die Thronfolge zu nehmen.117 Auch Amalarich, ein Sohn des westgotischen Königs Alarich von Theoderichs Tochter Thiudigotho, war bei Theoderichs Tod ohne Zweifel bereits mündig, denn sein Vater Alarich war 507 im Kampf gegen den fränkischen König Chlodwig gefallen;118 wenn der Name Amalarich ein Programm beinhaltet, muss ­Alarich, der selbst aus der Familie der Balthen stammte, gehofft haben, sein Sohn werde einmal Anführer von Amalern sein.119 Dennoch spielte Amalarich in den Planungen seines Großvaters keine Rolle. Theoderich hatte ihn der Obhut des Theudis unterstellt, der Hispanien für den König verwalten sollte. Amalarich war darum vom italischen Zentrum der Macht denkbar weit entfernt, als es zur Nachfolge kam. Umgekehrt aber waren die Goten in Hispanien nicht bereit, Athalarich als ihren König anzunehmen; sie entschieden sich für den Sohn Alarichs. Die Umstände und Gründe lassen sich nur erahnen: Vermutlich waren die Goten auf der iberischen Halbinsel es leid, Tribute an einen König zu leisten, der im fernen Italien residierte und daher für sie nur schwer erreichbar war; sie wollten einen König, der ihren Problemen und ihren Interessen Vorrang einräumte. Außer Frage steht jedenfalls, dass die Goten in Hispanien Amalarich zu ihrem König erhoben, nachdem sie die Nachricht vom Tode Theoderichs erhalten hatten. Das hispanisch-­ italische Gotenreich zerfiel daraufhin wieder in die zwei Teile, aus denen es zusammengesetzt war.120 Amalarich konnte wie Athalarich als Amaler gelten, insofern beide auf der Mutterseite von Theoderich abstammten. Daraus ist jedoch nicht zu folgern, dass 117 

Maßregelung durch Theoderich: Cassiodorus, Variae 3, 15; 4, 39; 5, 12. Nach der Überschrift von Cassiodorus, Variae 3, 15 hatte Theodahad zwischen 507 und 511 noch den Rang eines spectabilis. Vgl. dazu Vitiello: Theodahad (wie Anm. 106), S. 52–58. 118  PLRE II Alaricus 3; Wolfram: Die Goten (wie Anm. 30), S. 195–206. 119  PLRE II Amalaricus; Offergeld: Reges pueri (wie Anm. 22), S. 96–98. Nach Procopius, Bella 5, 12, 46 war Amalarich beim Tode seines Vaters ein „ziemlich kleines Kind“ (παιδός ἔτι ὄντος); vgl. Jordanes, Getica 298: in annis puerilibus utroque parente orbatum. Neben Prokopios bezeichnen auch hispanische Quellen Theoderich selbst als Vormund Amalarichs: Laterculus regum Visigothorum 18; Isidorus Hispalenis, Historica Gothorum 39. Ihr Zeugnis kommt jedoch gegen Jordanes, Getica 302, der Theudis als Vormund Amalarichs nennt, nicht auf. Die Akten des Konzils von Tarragona (516) sind auf das sechste Jahr des rex Theoderich datiert, diejenigen des Konzils von Gerona (517) auf das siebte: Gonzalo Martínez Diez/Félix Rodriguez (Hg.): La colección canónica hispana. Bd. 4: Concilios galos, concilios hispanos: primera parte. Madrid 1984, S. 271, S. 284. Zum Namen Amalarich siehe Nicoletta Francovich Onesti: I nomi degli Ostrogoti. Florenz 2007, S. 33, Nr. 29. 120  Nach Procopius, Bella 5, 13, 4–7 vereinbarte Amalarich mit Athalarich die Teilung Galliens entlang der Rhone, die Einstellung der Tributzahlungen nach Ravenna und die Rückgabe des westgotischen Königsschatzes. Ostgoten, die eine westgotische Frau geheiratet hatten, wurde es freigestellt, in Hispanien zu bleiben; das Gleiche galt entsprechend für die Westgoten in Italien. Da alle Quellen Amalarich, der 531 starb, nur fünf Regierungsjahre geben, kann die Angabe der Chronica Caesaraugustana sub anno 525, Amalarich sei bereits im Jahre 525 König geworden, nicht richtig sein. Sie widerspricht auch der einhellig überlieferten Angabe, Theoderich sei 15 Jahre lang König in Hispanien gewesen: Chronica Caesaraugustana sub anno 531; Isidorus Hispalensis, Historia Gothorum 39; Laterculus regum Visigothorum 17 f.

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das exklusive Herrschaftsrecht der Familie Theoderichs allgemein akzeptiert worden wäre. Vielmehr war das Prinzip der Erbfolge – trotz aller Bemühungen Theoderichs – nicht einmal unter den Goten in Italien und Dalmatien unumstritten. Davon zeugt ein Schreiben an den Goten Tuluin, der Theoderich viele Jahre lang am Hof und als Feldherr loyal gedient hatte, mit dem König aber nicht verwandt, sondern lediglich verschwägert war.121 Denn Tuluin wird darin Lob dafür gezollt, dass er es abgelehnt habe, selbst das Königtum zu übernehmen. Cassiodor vergleicht das Verhalten Tuluins mit dem eines gewissen Gensimund, über dessen Wirken wir sonst keinerlei Kunde besitzen.122 Wie einst besagter Gensimund so habe jetzt Tuluin einem minderjährigen Amaler den Thron gesichert:123 „Es gibt im gotischen Stamm (gens) ein Beispiel solcher Rechtschaffenheit (probitas): Jener Gensimund, der auf dem ganzen Erdkreis besungen wird, verband sich den Amalern, obwohl er nur durch Waffen zum Sohn gemacht worden war, mit so großer Ergebenheit (devotio), dass er seinen Erben einen sonderbaren Dienst hinterließ. Obwohl er selbst zur Herrschaft aufgefordert wurde, setzte er seine Verdienste für andere ein und, mäßiger als jeder andere, gewährte er kleinen Kindern (parvuli), was ihm selbst hätte übertragen werden können. Daher feiert ihn der Ruhm unserer Leute: Er lebt für immer in Erzählungen, weil er verachtete, was einmal sterben muss. Daher wird sein Lob durch das Zeugnis aller verbreitet, solange der Name der Goten existiert. Deshalb darf man von dir noch Besseres glauben, der du dich der Verwandtschaft (affinitas) mit unserem Geschlecht (genus) erfreust.“124 121 

PLRE II Tuluin. Nach Cassiodorus, Variae 8, 25 erhielt Tuluin von Athalarich eine domus im castrum Lucullanum, die Theoderich dem referendarius Johannes (PLRE II Ioannes 72) zugesagt hatte. 122 Jordanes, Getica 248 erwähnt einen Gesimund, Sohn des Hunimund, der auf Seiten des hunnischen Königs Balamber gegen den amalischen König Vinithar gekämpft habe. Der Name ist identisch, aber der Kontext spricht gegen eine Identifizierung mit dem Gensimund Cassiodors. Zudem kann Gesimund, der Sohn Hunimunds im Dienst des Hunnenkönigs Balamber, kaum ein älterer Zeitgenosse Valamirs gewesen sein, denn Hunimund soll ein Sohn des Königs Ermanarich gewesen sein, der um 375 ums Leben kam: Ammianus Marcellinus 31, 3, 1 f. 123  Der Thronverzicht Gensimunds ist seit Köpke: Königthum (wie Anm. 30), S. 141  f. und Dahn: Könige der Germanen (wie Anm. 30), S. 56 f., häufig mit dem Regierungsantritt Valamirs verbunden worden; so etwa von Ludwig Schmidt: Geschichte der deutschen Stämme bis zum Ausgang der Völkerwanderung. Die Ostgermanen. München 21941, S. 254 f., S. 268; Claude: Königserhebungen (wie Anm. 26), S. 152 f.; Offergeld: Reges pueri (wie Anm. 22), S. 74 f. und Wolfram: Die Goten (wie Anm. 30), S. 254 f. Für diese Verbindung fehlt jedoch jeder konkrete ­Anhaltspunkt, denn Jordanes, Getica 251 besagt keineswegs, dass Valamir König wurde, bevor er waffenfähig und damit mündig wurde: siehe dazu unten Anhang B. Cassiodors Behauptung, Gensimund habe „kleinen Kindern“ den Thron gesichert, ist zudem unvereinbar mit der Angabe des Jordanes, dass Valamir nach einer 40-jährigen Thronvakanz die Herrschaft erlangte. 124 Cassiodorus, Variae 8, 9, 8: Extat gentis Gothicae huius probitatis exemplum: Gensimundus ille toto orbe cantabilis, solum armis filius factus, tanta se Hamalis devotione coniunxit, ut heredibus eorum curiosum exhibuerit famulatum. quamvis ipse peteretur ad regnum, impendebat aliis meritum suum et moderatissimus omnium quod ipsi conferri poterat, ille parvulis exhibebat. atque ideo eum nostrorum fama concelebrat: vivit semper relationibus, qui quandoque moritura con­ tempsit. sic quamdiu nomen superest Gothorum, fertur eius cunctorum adtestatione praeconium. unde fas est de te meliora credere, quem nostri constat generis affinitate gaudere.

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Die Übertragung des Königtums auf Tuluin war offenkundig mehr als eine bloße Denkmöglichkeit, andernfalls wäre sein Verzicht nicht lobenswert gewesen. Man musste also nicht unbedingt von Amalern abstammen, um König zu werden. Tatsächlich wurde keine zehn Jahre später mit Vitigis ein Mann zum König er­ hoben, der in keiner Weise mit den Amalern verwandt war.125 Wir können nicht wissen, weshalb Tuluin sich beim Tode Theoderichs denjenigen anschloss, die für Athalarich eintraten. Auf der Hand liegt jedoch, dass er nicht völlig selbstlos handelte, denn er stieg zum obersten militärischen Befehlshaber im italischen Gotenreich auf. Als patricius praesentalis erlangte er eine Stellung, die bis zum Tode Theoderichs der König selbst innegehabt hatte. In einem wenig später verfassten Brief bezeichnet die königliche Kanzlei Tuluin als den Mann, „der das Geheimnis unserer Herrschaft verwaltet“ (qui nostri inperii tractat arcanum).126 Tuluin selbst teilte dem Senat mit, dass er nun im Range eines patricius in den Senat eintreten werde, und erinnerte die Senatoren bei dieser Gelegenheit daran, wie oft er sich bei Theoderich erfolgreich für sie eingesetzt habe: „Oftmals habe ich Konsuln, oftmals Patrizier, oftmals Präfekten durch meine Fürsprache (intercessio) befördert, im Bemühen, für euch das zu erlangen, was ich für mich kaum hätte wünschen können. Nun freut euch, senatorische Väter (patres conscripti), mit mir über meine Auspizien, der ich euren Ehren stets gewogen war. Wollt ihr wissen, wie sehr ich euch liebe? Dem Stamm des Königs (stirps regis) eingepflanzt, wollte ich mit euch den Namen teilen. Lebt sicher mit Gottes Segen und, was die angenehmste Art des Glückes ist, jubelt mit euren Kindern! Strebt wie stets danach, aufgrund römischer Sitten gerühmt zu werden, und sucht im tiefen Frieden den Ruhm guter Taten. Es ist die Aufgabe unseres Ruhms, diejenigen, deren Zahl wir vermehren, mit dem Segen der Gottheit zu schützen.“127 Der Thronverzicht Tuluins war sicher nur einer der Gründe, weshalb sich die in Ravenna versammelten Goten auf Athalarich als Nachfolger einigen konnten. Vielen mag diese Lösung gerade deswegen zugesagt haben, weil der Enkel Theoderichs vorläufig nicht selbst regieren konnte. Die Entscheidung war vertagt, man konnte hoffen, den jungen König formen, ihn für die eigenen Interessen und Posi125 

PLRE II Vitigis. Variae 8, 12, 8. Tuluin patricius praesentalis: Cassiodorus, Variae 8, 9, 3 (suggestu praesentalis patriciatus); 8, 10, 1; 8, 10, 11 (patriciatus praesentalis culmen); dazu Wilhelm Enßlin: Der Patricius Praesentalis im Ostgotenreich. In: Klio 29 (1936), S. 243–249. 533 wurde das Amt auf Liberius übertragen: Cassiodorus, Variae 11, 1, 16. 127 Cassiodorus, Variae 8, 11, 3  f.: saepe consules, saepe patricios, saepe praefectos habita interces­ sione promovi, vobis inpetrare contendens, quod mihi ardue potuissem optare. congaudete nunc, patres conscripti, meis auspiciis, qui vestris favi semper honoribus. Vultis scire, qua vos affectione complectar? insertus stirpe regia vocabulum vobiscum volui habere commune. vivite deo propitio securi et, quod est felicissimum suavitatis genus, exultate cum liberis vestris. studete, sicut semper, praedicari moribus Romanis et bonorum actuum famam sub alta quiete perquirite. interest nostrae gloriae, ut, quorum numerum auximus, eos propitia divinitate tueamur. Ich halte an der traditionellen Auffassung fest, dass der Brief nicht, wie die Adresse angibt, im Namen Athalarichs, sondern in dem Tuluins geschrieben wurde. Die Bedenken von Fabrizio Oppedisano in: Cassiodoro, Varie IV (wie Anm. 1), S. 202 f., schlagen meines Erachtens nicht durch. 126 Cassiodorus,

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tionen einnehmen zu können. Einige Jahre später kam es zum Streit zwischen der Regentin und gotischen Adligen über die Frage, wie der neue König erzogen werden sollte.128 Die gotischen Krieger, die über Italien und Dalmatien verstreut waren, haben die in Ravenna getroffene Entscheidung wohl deswegen akzeptiert, weil der letzte Wille Theoderichs, wie die königliche Zentrale ihn kommunizierte, unter ihnen viel galt und weil der neue König versprach, ihre privilegierte Stellung zu konservieren. Hinzu kam vermutlich das mündlich kommunizierte Versprechen, dass der militärische Oberbefehl, der vorher beim König selbst gelegen hatte, dem erfahrenen, von Theoderich hochgeschätzten Tuluin übertragen werden würde. Für Theodahad hielt die neue Regierung ein Trostpflaster bereit: Er erhielt einen Teil der Güter, die seine Mutter Amalafrida in Italien hinterlassen hatte.129 Der römische Senat konnte kaum riskieren, sich der in Ravenna getroffenen Nachfolgeregelung zu widersetzen. Das neue Regime machte es den Senatoren jedoch leicht, sich mit dem Fait accompli abzufinden, denn der neue Herrscher verpflichtete sich durch einen Eid, die im römischen Recht kodifizierten Privilegien ihres Standes zu respektieren.130 Für die Senatoren stellte das erbliche Königtum die Alternative zum ungeregelten, gewaltsam ausgetragenen Kampf um die Macht dar; die dynastische Thronfolge sollte Stabilität und Sekurität sichern. Die königliche Zentrale nahm diese Erwartungen auf, indem sie bekräftigte, dass Athalarich als civilitatis auctor Recht und Ordnung garantieren werde. Zudem deutete Cas­ siodor an, dass der junge König auf den Rat der Senatoren, der publici parentes, hören werde, forderte sie dazu auf, ihm Bittschriften zu unterbreiten, und stellte deren Gewährung in Aussicht.131 Nicht umsonst bemühte er das Vorbild Kaiser Trajans, der in der Spätantike als idealer Herrscher galt.132 An der Erhebung Athalarichs war freilich nur eine kleine Minderheit der Senatoren illustren Ranges unmittelbar beteiligt. Da die vornehmen Herren ihren Wohnsitz meist nur vorübergehend in Ravenna nahmen, waren sie mehrheitlich nicht zur Stelle, als das Problem der Nachfolge akut wurde. Immerhin erlauben uns die Varien, einen kleinen Kreis von Personen aus dem Senatorenstand zu identifizieren, die sich in der Übergangsphase für den neuen König einsetzten. Alles spricht dafür, dass diese Personen im Einvernehmen mit Amalasvintha ge128 Procopius,

Bella 5, 2, 4–17. Variae 8, 23. 130 Cassiodorus, Variae 8, 2, 10: si qua autem a nobis creditis postulanda, quae vestrae securitatis incrementa multiplicent, indubitanter petite commoniti, quos ad fundendas preces nos etiam videmur hortari. promissio enim est ista quam commonitio: nam qui reverendum senatum supplicare praecipit, quod impetrare possit nihilominus compromisit. nunc vestrum est tale aliquid sperare, quod communem rem publicam possit augere. 131 Cassiodorus, Variae 8, 2, 2: non enim potest cuilibet aetati deesse consilium, ubi tot parentes publicos constat inventos. Cassiodor spielt mit der Doppelbedeutung von consilium als Einsicht (des Königs) und Rat (der Senatoren). Petitionen: Cassiodorus, Variae 8, 2, 10. 132 Cassiodorus, Variae 8, 3, 5: ecce Traiani vestri clarum saeculis reparamus exemplum: vgl. Anonymus Valesianus 60: etiam Romanis Traianus vel Valentinianus quorum tempora sectatus est [sc. Theodericus], appellatur; Cassiodorus, Variae 8, 13, 4. 129 Cassiodorus,

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handelt haben, die durch die Thronfolge ihres Sohnes die Rolle einer Regentin erlangte. Ihr Einfluss dürfte beträchtlich gewesen sein, doch lässt sich ihre Rolle in den Ereignissen wegen des Fehlens geeigneter Quellen nicht näher bestimmen. Deutlich erkennbar ist dagegen, dass Cassiodor selbst, der seit 523 das Amt eines magister officiorum innehatte, zum Kreis derjenigen gehörte, die mit der Tochter Theoderichs im Bunde standen. Er selbst berichtet darüber in einem Schreiben, das er 533 im Namen Athalarichs an den Senat richtete, folgendermaßen: „Mit welchem Engagement hat er“ – gemeint ist Cassiodor – „sich unseren Anfängen gewidmet, als die Neuheit des Regiments (novitas regni) verlangte, dass vieles geordnet würde? Er allein genügte für alles: Ihn verlangte die Abfassung öffentlicher Verlautbarungen (dictatio publica), ihn verlangten unsere Ratschlüsse; durch seine Anstrengung wurde erreicht, dass meine Herrschaft (imperium) nicht in Bedrängnis geriet. Wir fanden ihn zwar als magister [officiorum] vor, aber er erfüllte für uns die Pflichten eines quaestor [palatii]. Indem er meine Belohnungen (mercedes) mit höchst gerechter Ergebenheit (devotio) verteilte, erwies er die Vorsicht und Sorgfalt, die er von meinem Urheber gelernt hatte, gerne dem Nutzen des Erben.“133 Seiner eigenen Darstellung zufolge verfasste Cassiodor in einer krisenhaften Übergangsphase die Schreiben im Namen des neuen Königs Athalarich, erteilte ihm Ratschläge und verteilte für ihn Belohnungen. Sein Engagement für das neue Regime habe sich darin jedoch nicht erschöpft; er habe die Anfänge Athalarichs nicht allein mit der Feder, sondern auch mit Waffen unterstützt: Als den König Sorgen um die Küsten geplagt hätten, habe er ein Kommando (ducatus) über gotische Soldaten übernommen, diese auf eigene Kosten ernährt und dadurch sowohl die Provinzialen als auch die Kasse des Königs geschont.134 Cassiodor nennt weder die Quelle der Bedrohung noch den Einsatzbereich der von ihm kommandierten Truppen, sagt aber ausdrücklich, dass der Feind ausblieb. Es spricht einiges dafür, dass er – wie einst sein gleichnamiger Großvater – die Aufgabe hatte, die Küsten Süditaliens (und Siziliens?) gegen Angriffe von vandalischer Seite zu schützen. Seine Familie war in Kalabrien ansässig; daher konnte sie in diesem Raum die für die Unterhaltung von Truppen notwendigen Ressourcen mobilisieren.135 Da Cassiodor bis zum Ende des Jahres 526/527 als magister officiorum in

133 Cassiodorus, Variae 9, 25, 7  f.: Nostris quoque principiis quanto se labore concessit, cum novitas regni multa posceret ordinari? erat solus ad universa sufficiens: ipsum dictatio publica, ipsum consilia nostra poscebant et labore huius actum est, ne laboraret inperium. Reperimus eum quidem magistrum, sed implevit nobis quaestoris officium et mercedes iustissima devotione persolvens cautelam, quam ab auctore nostro didicerat, libenter heredis utilitatibus ­exhibebat. 134 Cassiodorus, Variae 9, 25, 8  f.: verum his aliquid maius adiciens primordia regni nostri et armis iuvit et litteris. nam dum curae litorum regias cogitationes incesserent, subito a litterarum penetralibus eiectus par suis maioribus ducatum sumpsit intrepidus, cui quia defuit hostis, moribus triumphavit eximiis. Nam deputatos Gothos propriis pavit expensis, ut nec provinciales percelleret nec fiscum nostrum expensarum oneribus ingravaret. arma eius nulla possessorum damna senserunt. fuit nimirum provinciarum verissimus custos: nam ille defensor proprie dicendus est, qui tuetur innoxie. 135 Cassiodorus, Variae 1, 4, 14; vgl. 9, 25, 8: par suis maioribus.

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Ravenna gebunden war, fällt die Episode, die sonst nirgendwo Erwähnung findet, wohl in das Jahr darauf. Wir können noch einige weitere Senatoren beim Namen nennen, die sich in der Übergangsphase für den neuen König einsetzten: Zu ihnen gehörten mit Sicherheit der vir illustris Ambrosius, der die freudige Botschaft nach Rom brachte,136 und der aus senatorischer Familie stammende Opilio, der sie in Ligurien verbreitete.137 Ambrosius, ein Ligurer, war als Advokat tätig gewesen, bevor er von Theoderich das Amt eines comes rei privatae erhielt. Seine Bedeutung am Hof erhellt auch daraus, dass er kommissarisch das Amt des quaestor palatii übernahm, als der Amtsinhaber in Unehren entlassen wurde. Nach Theoderichs Tod wurde Ambrosius dann offiziell zum quaestor palatii für das Amtsjahr 526/527 befördert; ein noch höheres Amt stellte man ihm in Aussicht. Präfekt ist er dann freilich doch nicht geworden, aber immerhin Vizepräfekt, als Cassiodor 533 zum Prätoriumspräfekten Italiens ernannt wurde.138 Opilio, der ebenfalls als Advokat praktiziert hatte, bevor ihm sein Bruder Cyprianus Zugang zum Hof Theoderichs verschaffte, war einer der Ankläger des Boethius gewesen. Er erhielt das Amt ­eines comes largitionum für das Amtsjahr 527/528 und erlangte den Rang eines vir illustris.139 Cassiodor weist in einem Schreiben, das er anlässlich dieser Beförderung an den Senat richtete, ausdrücklich auf die Verdienste hin, die sich Opilio um die Sicherung der Regierung Athalarichs erworben habe.140 Man wird auch Opilios Bruder Cyprianus zu dieser Gruppe zählen dürfen, der unter Athalarich den Rang eines patricius erlangte und nach 527 das magisterium officiorum er136 Cassiodorus,

Variae 8, 14, 2: per eum [sc. Ambrosium] vobis et nostri auspicii et vestrae securitatis optata patuerunt. 137 Cassiodorus, Variae 8, 16, 5: auspicia nostra Liguribus felix portitor [sc. Opilio]. 138  Ambrosius (PLRE II Ambrosius 3) hatte in Mailand und Rom studiert und stand in engem Kontakt mit Ennodius, der ihm 507 eine Deklamation (Dictio 19) und 512 (zusammen mit ­Beatus) die Paraenesis didascalica (Opusculum 6) widmete. Tätigkeit als Advokat: Cassiodorus, Variae 11, 4, 1. Ernennung zum quaestor palatii: Cassiodorus, Variae 8, 13. Als Theoderich starb, war Ambrosius comes rei privatae: ebd., § 2. Stellvertreter eines entlassenen quaestor ­palatii: ebd., § 3. Stellvertreter Cassiodors während dessen Präfektur: Cassiodorus, Variae 11, 4–5; 12, 25. 139  PLRE II Opilio 4. Ernennung zum comes largitionum für 527/8: Cassiodorus, Variae 8, 16 und 8, 17. Ankläger des Boethius: Boethius, Consolatio philosophiae 1, 4, 17 f. Opilio hatte offenbar in die Familie des Deciers Flavius Caecina Decius Basilius eingeheiratet: Cassiodorus, Variae 8, 17, 5: Basilianae sociatus fertur esse familiae. Im Jahre 534 wird er zusammen mit anderen viri illustres et magnifici, darunter auch Cassiodor und Liberius, unter den Adressaten eines Lehrschreibens Papst Johannes’ II. genannt (JK 885 = HJ 1746). Im selben Jahr ging er zusammen mit Liberius als Gesandter Theodahads nach Konstantinopel, wo er den gotischen König verteidigte: Procopius, Bella 5, 4, 15; 5, 4, 20–24. 140 Cassiodorus, Variae 8, 16, 5: Meminimus etiam, qua nobis in primordiis regni nostri devotione servieris quando maxime necessarium fidelium habetur obsequium. nam cum post transitum divae memoriae domni avi nostri anxia populorum vota trepidarent et de tanti regni adhuc incerto herede subiectorum se corda perfunderent, auspicia nostra Liguribus felix portitor nuntiasti et sapientiae tuae allocutione firmati maerorem, quem de occasu conceperant, ortu nostri imperii in gaudia commutabant. innovatio regis sine aliqua confusione transivit et sollicitudo tua praestitit, quod nos nullus offendit.

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hielt.141 Eine wichtige Rolle im neuen Regime übernahm darüber hinaus der Ligurer Arator, der Tuluin als Berater mit dem Titel eines ex comite domesticorum zur Seite gestellt wurde.142 Arator, der wie Ambrosius und Opilio als Advokat tätig gewesen war, stieg dadurch ebenfalls in die Rangklasse der viri illustres auf; er übernahm zu einem nicht genau bestimmbaren Zeitpunkt das Amt eines comes largitionum.143 Diese Männer hatten einiges gemeinsam: die ligurische Herkunft, das Fehlen berühmter Ahnen, den Aufstieg im Dienst Theoderichs und die Bereitschaft, seinem Nachfolger zu dienen. Es wäre aber anachronistisch, sie des­ wegen als pro-gotische Partei einer pro-kaiserlichen oder „byzantinischen“ Partei gegenüberzustellen. Diese Alternative stellte sich im Jahre 526 noch nicht. Undurchsichtig bleibt im Übrigen die Rolle des amtierenden praefectus praetorio Italiae Abundantius, den Theoderich mit der Umsetzung seines Flottenprogramms beauftragt hatte. Er blieb über den Herrscherwechsel hinweg im Amt, verschwindet aber bald darauf aus unseren Quellen, ohne dass wir die Gründe erkennen könnten. Auch über seine Herkunft wissen wir nichts.144 Etwas klarer sehen wir im Falle des Stadtpräfekten Reparatus. Falls er die Stadtpräfektur Roms bereits am 1. September 526 und nicht erst ein Jahr später antrat, könnte er noch von Theoderich selbst nominiert worden sein. Das ist insofern nicht überraschend, als Reparatus’ Vater Johannes Theoderich über viele Jahre hinweg am Hof gedient hatte und dabei bis zur Prätoriumspräfektur Italiens aufgestiegen war. Reparatus dürfte ­daher als zuverlässige Stütze des gotischen Königtums gegolten haben.145 141  PLRE II

Cyprianus 2. Cyprianus war im Amtsjahr 524/525 comes largitionum: Cassiodorus, Variae 5, 40 und 41. Patriciatus: Cassiodorus, Variae 8, 21 und 22. Magister officiorum: Anonymus Valesianus 85. 142 Cassiodorus, Variae 8, 12, 8: Cognosce quid ex meritis tuis aestimavimus, quando te illius [sc. Tuluin] consilio vides esse sociatum, qui nostri inperii tractat arcanum. Hinc est quod te comitiva domesticorum illustratum isto honore decoramus, ut merito maiora de ­nostris debeas sperare ­iudiciis, qui in te adhuc meliora credimus inveniri. Zur Stelle vgl. den Kommentar von Giovanni Polara in: Cassiodoro, Varie IV (wie Anm. 1), S. 211 f. 143  Arator (PLRE II Arator; PCBE II Arator) studierte in Mailand und stand in engem Kontakt mit Ennodius; später siedelte er nach Ravenna über, wo er als advocatus praktizierte. Theoderich wurde er durch eine Rede bekannt, die er als Gesandter der Provinz Dalmatia hielt: Cassiodorus, Variae 8, 12, 3. Dass er das Amt eines comes largitionum bekleidete, belegt die relatio über Widmung und Vortrag seiner Historia apostolica. Arator trat wohl während des römisch-gotischen Krieges als subdiaconus in den römischen Klerus ein. 544 widmete er Papst Vigilius eine epische Bearbeitung der „Apostelgeschichte“, die er anschließend in der Kirche San Pietro in vincoli ­öffentlich vortrug: Claire Sotinel: Arator, un poète au service de la politique du pape Vigile? In: Mélanges de l’École Française de Rome. Antiquité 101 (1989), S. 805–820; Bruno Bureau, in: Arator. Histoire apostolique. Texte établi, traduit et commenté par Bruno Bureau et Paul-Augustin Deproost. Paris 2017, S. VII–XXII. 144  PLRE II Abundantius 3. Brief Athalarichs an Abundantius: Cassiodorus, Variae 9, 4. 145  PLRE II Reparatus 1. Im Ernennungsschreiben zum praefectus urbi ist die Indiktionszahl aus unbekanntem Grund getilgt: Cassiodorus, Variae 9, 7. Zur Laufbahn seines Vaters Johannes, der unter Theoderich Prätoriumspräfekt gewesen war, siehe PLRE II Ioannes 67. Reparatus war ein Bruder des späteren Papstes Vigilius (PCBE II Vigilius 6). Er trat 537 auf die kaiserliche Seite über, wurde zum praefectus praetorio Italiae bestellt und nach der Eroberung Mailands durch Goten und Burgunder (539) ermordet.

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Sobald wir den Blick über den Senatorenstand hinaus richten, versagt die prosopographische Methode. In diesem Bereich ist man auf Mutmaßungen über ­kollektive Interessen und Mentalitäten angewiesen. Die Römer in den Provinzen waren deswegen leicht zu gewinnen, weil der Machtkampf an der Spitze ihre Interessen kaum berührte. Ihr einziger regelmäßiger Kontakt mit dem Herrscher oder seinen Beauftragten bestand in der Leistung von Steuern und Abgaben. Auf d ­ iesem Gebiet folgte das neue Regime imperialer Tradition, indem es anlässlich des Regierungsantritts ganzen Provinzen Steuerschulden erließ und eine Überprüfung der aktuellen Ansätze anordnete.146 In einem Edikt, das vermutlich in allen Stadtgemeinden Italiens veröffentlicht wurde,147 umwarb die königliche Zen­trale die lokalen Eliten.148 Das Edikt beginnt mit einer programmatischen Erklärung des neuen Königs: Er sei von immerwährender Sorge um die Stadtgemeinden (civitates) erfüllt, denn die res publica gleiche einem Körper, der nur dann gesund sei, wenn es allen seinen Gliedern gut gehe. Die Bedrückung der Ratsherren (curiales) verdiene daher schärfsten Tadel (§ 1).149 Wer einem Ratsherrn einen Schaden zufüge oder ihm mehr abverlange, als von höherer Stelle befohlen wurde, solle daher eine Strafe von 10 Pfund Gold zahlen oder körperlich gezüchtigt werden (§ 2). Zum Schutz der Ratsherren mittleren Vermögens (mediocres) schärfte die königliche Zentrale das bestehende Verbot ein, Landgüter, die sich im Besitz eines Ratsherrn befanden (praedia curialium), käuflich zu erwerben. Sie sagte den Ratsherren zu, dass die Provinzgouverneure (iudices) ihnen Schutz gegen korrupte Amtsdiener (militantes) und Königsboten (saiones) gewähren würden. Falls die Provinzgouverneure (moderatores) ihr Amt missbrauchten, werde der König selbst eingreifen (§ 3). Das Edikt schließt mit einer langen Ermahnung zur Eintracht unter den Ratsherren selbst. Die Mächtigeren (potiores) sollten die Leute mittleren Vermögens (mediocres) nicht bedrücken (§ 4). Sie sollten sich an den Kranichen ein Beispiel nehmen und ihr Gemeinwesen gemeinschaftlich verwalten (§ 5). Sie besäßen die recht­ mäßige Gewalt (potestas) über ihre Mitbürger; das Altertum (antiquitas) habe sie nicht umsonst „kleiner Senat“ (minor senatus) und „Muskeln und Eingeweide der ­Städte“ (nervi ac viscera civitatum) genannt (§ 6).150 146 Cassiodorus,

Variae 9, 9 (Dalmatien); Cassiodorus, Variae 9, 10–12 (Sizilien). Nach Cassiodorus, Variae 9, 19, 3 und 9, 20, 2 wurden solche Edikte auf Versammlungen von Honoratioren verlesen. 148 Cassiodorus, Variae 9, 2; dazu Claude Lepelley: La survie de l’idée de cité républicaine en Italie au début du VIe siècle, dans un édit d’Athalaric rédigé par Cassiodore (Variae, IX, 2). In: ders. (Hg.): La fin de la cité antique et le début de la cité médiévale de la fin du IIIe siècle à l’avènement de Charlemagne. Bari 1996, S. 71–83. Das zweite Edikt Athalarichs (Cassiodorus, Variae 9, 18) stammt aus dem Jahre 533 oder 534 (11. oder 12. Indiktion); Stefan Krautschick: Cassiodor und die Politik seiner Zeit. Bonn 1983, S. 90 (nicht ganz schlüssig). 149 Cassiodorus, Variae 9, 2, 1: Qui rei publicae statum et generale cupit stare fastigium, ad universa debet esse sollicitus, quia non est salus in corpore, nisi quam et membra potuerint optinere. iniuria unius loci compago tota concutitur et tanta convenientiae vis est, ut unum vulnus ubique credas accipi, quando illa coeperit condolere. res publica siquidem non est unius civitatis cura, sed totius regni provisa custodia; dazu Suerbaum: Staatsbegriff (wie Anm. 75), S. 261 f. 150 Cassiodorus, Variae 9, 2, 6: Nam vos, qui recti vota recipitis, habetis per leges potestatem in civibus vestris. Non enim in cassum vobis curiam concessit antiquitas, non inaniter appellavit 147 

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Die Römer in der Provence hatten von 476 bis 507 der Herrschaft westgotischer Könige unterstanden. Unter die Herrschaft Theoderichs fielen sie erst nach dem Tode Alarichs auf dem Schlachtfeld von Vouillé. Seitdem lagen ostgotische Truppen im Land, während der Senator Liberius mit Amt und Titel eines Präfekten die zivile Verwaltung leitete. Die von Theoderich in der Provence stationierten Goten dürften einem Anschluss an die hispanischen Goten schon deswegen abgeneigt gewesen sein, weil sie in die Stellung eingetreten waren, die dort bis 507 die Goten Alarichs innegehabt hatten. Das Verhältnis zu den römischen Zivilisten war konfliktträchtig; darum forderte die königliche Zentrale Goten und Römer auf, sich durch Eid auf die Bewahrung der Eintracht (concordia) zu verpflichten und die gesetzliche Ordnung (legalis tranquillitas) zu respektieren.151 Neben dem gotischen Militär besaß auch der Präfekt Liberius in der Provence eine starke Stellung, was sich schon darin zeigt, dass er von etwa 510 bis 534 im Amt blieb. Die königliche Zentrale vertraute ihm die Aufgabe an, die wechselseitigen Eide von Goten und Römern zu organisieren. Dass er sie loyal ausgeführt hat, ist insofern nicht überraschend, als seine Familie in Italien verwurzelt war. Das italische Goten­ reich stand ihm ohne Zweifel näher als das hispanische. Zudem wird ­überliefert, dass er während seiner Amtszeit als Präfekt von Westgoten in einen Hinterhalt gelockt und schwer verwundet wurde. Er scheint auf dieser Seite also Feinde gehabt zu haben.152 Es ist kaum vorstellbar, dass die Goten in Hispanien vom Hof in Ravenna nicht über den Herrscherwechsel informiert wurden. Die Annahme liegt daher nahe, dass Cassiodor das an sie gerichtete Schreiben nicht in die Varien aufgenommen hat, weil er an diesen Misserfolg nicht erinnern wollte. Die Varien dokumentieren zwar die bis zuletzt anhaltenden Bemühungen Theoderichs, das Gotenreich in Hispanien von Ravenna aus zu regieren, aber nicht die Trennung der beiden unter seiner Herrschaft vereinten Reiche nach seinem Tode.153 Der katholische Episkopat Italiens schließlich war in die Vorgänge lediglich als Multiplikator des königlichen Willens einbezogen; er sollte um Theoderich trau­minorem senatum, nervos quoque vocitans ac viscera civitatum. Cassiodor zitiert an dieser Stelle eine Novelle Kaiser Majorians: Novella Maiorani 7, pr. (458): curiales nervos esse rei publica ac viscera civitatum nullus ignorat; quorum coetum recte appellavit antiquitas minorem senatum. Auf ­diesen Passus wird auch in Cassiodorus, Variae 2, 18, 6 f. und Cassiodorus, Variae 6, 3, 22 f. angespielt. 151 Cassiodorus, Variae 8, 7, 3: eat inter vos legalis missa tranquillitas: potior minori non sit infestus. habetote animum pacatum, qui bellum non habetis externum, quia primum inde nobis placere poteritis, si vobis hac ratione prospicitis. Spannungen zwischen gotischem Militär und römischen Zivilisten: Cassiodorus, Variae 3, 38, 2; Vita Caesarii 1, 48; Gregorius Turonensis, Liber in gloria martyrum 77. 152  Liberius wurde in Rimini bestattet (CIL XI 382 = ILCV 75) und stiftete ein Kloster in Kampanien (Gregorius Magnus, Dialogi 2, 35, 1). Westgotischer Hinterhalt: Vita Caesarii 2, 10. 153 Cassiodorus, Variae 5, 29; 5, 35 mit Alessandro Mancinelli: Sul centralismo amministrativo di Teodorico. Il governo della Spagna in età ostrogota. In: Giuliano Crifò/Stefano Giglio (Hg.): Atti dell’Accademia romanistica costantiniana. XII convegno internazionale in memoria di André Chastagnol. Neapel 2001, S. 217–263; Wiemer: Theoderich (wie Anm. 1), S. 391–397. Den Teilungsvertrag referiert Procopius, Bella 5, 13, 4–7 (siehe oben Anm. 120).

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ern und für Athalarich beten, vor allem aber die Provinzialen zur Eintracht untereinander und zur Treue gegenüber dem Herrscher anhalten. In der Tat konnte es den Bischöfen gleichgültig sein, welcher gotische König in Italien herrschte, vo­ rausgesetzt, dass er nicht versuchte, seinen eigenen Glauben aktiv zu verbreiten. Warum aber enthalten die Varien kein Schreiben, das speziell für den römischen Bischof bestimmt war? Für die Annahme, dass Cassiodor ein solches Schreiben unterdrückt hat, fehlt jeder Anhaltspunkt. Wahrscheinlicher ist darum, dass der Stellvertreter Petri dasselbe Schreiben erhielt wie seine Amtsbrüder. Ihn besonders zu umwerben bestand kein Anlass. Das römische Bistum war beim Tode Theoderichs kein Machtfaktor. Sein Inhaber Felix, der am 12. Juli die Nachfolge des verstorbenen Papstes Johannes angetreten hatte, war vom König gegen den Widerstand von Senatoren durchgesetzt worden, die eine andere Person favorisiert hatten. Cassiodor schrieb im Namen Athalarichs an den Senat, man möge sich mit der Entscheidung Theoderichs abfinden, der eine gute Wahl getroffen ­habe.154 Felix war folglich beim Tode Theoderichs noch vollauf damit beschäftigt, sich gegen seine Gegner in Rom durchzusetzen.

König und Kaiser An der Spitze des hier untersuchten Dossiers steht der Brief, den Cassiodor im Namen Athalarichs an Kaiser Justin schrieb (Nr. 1). Er beginnt mit der Bitte um Frieden (pax) und lässt deutlich erkennen, dass das Verhältnis zwischen Rom und Ravenna beim Tode Theoderichs gespannt war. Auf diese Spannungen verweist der Wunsch, „möge der Hass mit den Toten begraben werden, möge der Zorn mit den Dreisten zugrunde gehen können!“ 155 Das war eine unverkennbare Anspielung auf Theoderich, der gerade erst in seinem Mausoleum vor den Mauern Ravennas beigesetzt worden war. Es hatte in Konstantinopel Unmut erregt, dass der König den Papst Johannes gezwungen hatte, sich beim Kaiser für die „arianischen Ketzer“ einzusetzen, und auch die Hinrichtung der Senatoren Boethius und Symmachus, die im Ostreich einflussreiche Verwandte und Freunde hatten, wird dort für Verstimmung gesorgt haben.156

154 Cassiodorus,

Variae 8, 15; vgl. Liber pontificalis 56, 1: ordinatus est [sc. Felix] ex iusso Theo­ derici regis. 155 Cassiodorus, Variae 8, 1, 2: claudantur odia cum sepultis: ira perire noverit cum protervis. 156  Zu den Anicii im Ostreich siehe Christoph Begass: Die Senatsaristokratie des oströmischen Reiches, ca. 457–518. Prosopographische und sozialgeschichtliche Untersuchungen. München 2018, S. 351–383. Ein Beamter am Hof von Konstantinopel, der memorialis Flavius Theodorus (PLRE II Theodorus 63), schrieb im Jahre 527 einen Codex mit den logischen Schriften des ­Boethius; vgl. Henry Chadwick: Boethius. The Consolations of Music, Logic, Theology, and Philosophy. Oxford 1981, S. 256 f. Sein Lehrer, der in Konstantinopel lehrende grammaticus ­Priscianus (Robert A. Kaster: Guardians of Language. The Grammarian and Society in Late ­Antiquity. Berkeley 1988, S. 340–342, Nr. 126), widmete Symmachus drei kurze Abhandlungen: De figuris numerorum, De metris fabularum Terentii und Praexercitamenta.

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Der Absender tritt dem Kaiser mit diplomatischer Höflichkeit, aber als König aus königlicher Familie entgegen; er verweist auf seine königlichen „Vorfahren“ (auctores), auf die „purpurne Reihe seiner Ahnen“ und seinen „königlichen Thron“.157 Er bittet den Kaiser nicht um die Anerkennung als König, sondern um dessen Gunst (gratia) als Voraussetzung für Frieden. Um zu begründen, warum er diese vollauf verdient habe, erinnert er an die Auszeichnungen, die sein Großvater und sein Vater durch römische Kaiser erhalten hatten: Theoderich und Eutharich waren beide zu Konsuln erhoben worden, der eine 484 in Konstantinopel, der andere 519 in Italien. Damit nicht genug: Justin habe Eutharich, der ihm „fast gleichaltrig“ gewesen sei, „aus Sehnsucht nach Eintracht“ als Waffensohn adoptiert.158 Um wie viel mehr, argumentiert Cassiodor, schulde der Kaiser nun auch dessen jugendlichem Sohn Zuneigung. Der bejahrte Kaiser möge der jugendlichen Waise seinen Schutz nicht verwehren.159 Der Wunsch, der Kaiser möge auch Atha­larich adoptieren, wie er es zuvor mit dessen Vater getan hatte, wurde nicht ­direkt ausgesprochen und war doch unüberhörbar. Die Bitte um Frieden wird erst am Schluss konkretisiert: Der Gesandte Athalarichs sollte den Kaiser bitten, er möge Athalarich die Freundschaft (amicitia) „mit den Vereinbarungen und zu den Bedingungen“ gewähren, die seine Vorgänger mit Theoderich getroffen hatten.160 Die Einzelheiten sollten mündlich ausgehandelt werden. Auch wenn der Vertrag, auf den das Schreiben Athalarichs Bezug nimmt, nicht überliefert ist, lässt sich sein Inhalt noch im Umriss rekonstruieren. Die Stellung eines patricius praesentalis kann darin keine konstitutive Rolle gespielt haben, sonst hätte Athalarich sie nicht Tuluin übertragen können. Athalarichs Anrecht auf das Königtum wurde in den Augen seiner Untertanen durch diese Übertragung kaum beeinträchtigt, denn auch Theoderich hatte diesen Titel nicht mehr geführt, seit er Italien erobert hatte.161 Die seit Theodor Mommsen verbrei157 Cassiodorus,

Variae 8, 1, 1: non nos maiorum purpuratus tantum ordo clarificat, non sic regia sella sublimat quantum longe lateque patens gratia vestra nobilitat; vgl. § 4: regia hereditas; § 5: regnum nostrum. 158 Cassiodorus, Variae 8, 1, 3: vos avum nostrum [sc. Theodericum] in vestra civitate celsis curulibus extulistis, vos genitorem meum [sc. Eutharicum] in Italia palmatae claritate decorastis. desiderio quoque concordiae factus est per arma filius; zur adoptio per arma Hans-Ulrich Wiemer/ Guido Berndt: Instrumente der Gewalt: Bewaffnung und Kampfesweise gotischer Kriegergruppen. In: Millennium 15 (2016), S. 141–210, hier: S. 196–198. 159 Cassiodorus, Variae 8, 1, 4: primordia itaque nostra solacia mereantur principis. habere ­longaevi: pueritia tuitionem gratiae consequatur et non in totum a parentibus destituimur, qui tali protectione fulcimur. 160 Cassiodorus, Variae 8, 1, 5: amicitiam nobis illis pactis, illis condicionibus concedatis, quas cum divae memoriae domno avo nostro inclitos decessores vestros constat habuisse. 161  Zur Titulatur Theoderichs siehe Jan Prostko-Prostyński: Utraeque res publicae. The Emperor Anastasius I’s Gothic Policy. Posen 1994, S. 56–62; Andrew Gillett: Was Ethnicity Politicised in the Earliest Medieval Kingdoms? In: ders. (Hg.): On Barbarian Identity. Critical Approaches to Ethnicity in the Early Middle Ages. Turnhout 2002, S. 85–122, hier: S. 98–100. Der Titel scheint im Krieg gegen Odovakar noch eine Rolle gespielt zu haben; der Anonymus Valesianus nennt Theoderich bis zum Jahre 491 mehrfach patricius, danach aber nicht mehr: Anonymus Valesianus § 49; § 51; § 52; § 53; § 54.

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tete Annahme, die Bereitschaft, Theoderich als Herrscher im Westreich zu akzeptieren, habe vor allem darauf beruht, dass er das Amt eines obersten Heermeisters im Range eines patricius praesentalis innehatte, kann darum schwerlich richtig sein. Wenn nur dieser Titel Theoderich die in den Augen seiner Untertanen nötige Legitimität hätte verschaffen können, dann würde er seiner Titulatur nicht fehlen.162 Konkrete Aufschlüsse über die Stipulationen des Vertrags, den Theoderich mit Kaiser Anastasios geschlossen hatte, gewährt der Bericht des Prokopios über die Verhandlungen, die Theoderichs Neffe Theodahad 535 mit Kaiser Justinian führte. Theodahad bot nämlich den Verzicht auf Rechte an, die sein Onkel mit Bil­ ligung des Kaisers Anastasios ausgeübt hatte.163 Demnach legte dieser Vertrag Theoderich in der äußeren Politik keinerlei Beschränkungen auf, wenn man davon absieht, dass zwischen ihm und dem Kaiser Friede und Freundschaft bestehen sollten. Auch in der inneren Politik durfte der König mit wenigen Einschränkungen schalten und walten, wie es ihm richtig erschien. Er besaß das Recht, die höchsten Beamten und einen der beiden Konsuln zu ernennen, und verfügte über unbeschränkte Befugnisse als Richter. Allerdings verpflichtete sich Theoderich, einige Prärogativen des Kaisers zu respektieren. Er verzichtete darauf, normative Regelungen in die Form von Gesetzen (leges) zu kleiden, und begnügte sich mit dem Recht, Edikte zu erlassen. Gold- und Silbermünzen trugen nicht den Namen und das Bild Theoderichs, sondern den Namen und das Bild des Kaisers. Im Medium der Münzprägung blieb der Kaiser den Untertanen Theoderichs also stets präsent. Ein darüber hinausgehender Anspruch auf Beteiligung an der visuellen und performativen Inszenierung der Herrschaft Theoderichs wurde dem Kaiser jedoch nicht gewährt: Es war nicht erforderlich, dem Bild des Königs ein Bild des Kaisers zur Seite zu stellen. Man durfte ihm auch akklamieren, ohne den Kaiser zu erwähnen. Der Kaiser hatte im Zeremoniell des königlichen Hofs in Ravenna keinen Platz. Das Schreiben an den Kaiser Justin dokumentiert den Versuch, die Krise im Verhältnis zwischen Ravenna und Konstantinopel durch den Abschluss eines Freundschaftsvertrags zu überwinden: Der Kaiser sollte Athalarich als Nachfolger Theoderichs anerkennen, indem er jenem dieselben Rechte gewährte, die schon dieser ausgeübt hatte. Auch das neue Regime war also bereit, eine recht­ liche Bindung an den Kaiser unter der Voraussetzung anzuerkennen, dass dieser die Herrschaft im Westreich dem gotischen König überließ. Zu Lebzeiten Theoderichs war dieses Verhältnis im diplomatischen Verkehr zwischen Ravenna und 162  Theodor

Mommsen: Ostgothische Studien (1889/1890). In: ders. (Hg.): Gesammelte Schriften. Bd. 6: Historische Schriften. Berlin 1910, S. 362–484, bes. S. 444–449, S. 476–482; dagegen mit Recht bereits Arnold Hugh Martin Jones: The Constitutional Position of Odoacar and Theode­ ric. In: JRS 52 (1962), S. 126–130; auch in: ders.: The Roman Economy. Oxford 1974, S. 365–374. 163 Procopius, Bella 5, 6, 2–5 mit Evangelos Chrysos: Die Amaler-Herrschaft in Italien und das Imperium Romanum: Der Vertragsentwurf des Jahres 535. In: Byzantion 51 (1981), S. 430–474. Zum Vertrag zwischen Theoderich und Kaiser Anastasios vgl. Prostko-Prostyński: Utraeque res publicae (wie Anm. 161), S. 151–212.

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Konstantinopel auf die Formel gebracht worden, das Imperium Romanum bestehe aus zwei Gemeinwesen (utraeque res publicae), die im Prinzip gleichberechtigt seien, auch wenn das eine einen Ehrenvorrang vor dem anderen genieße.164 Im Schreiben an Kaiser Justin definiert Cassiodor das Verhältnis als wechselsei­ tige Verbundenheit zwischen zwei im Prinzip gleichberechtigten Herrschern: ­Athalarichs Königtum werde dem Kaiser durch „das Band der Gunst verbunden“ sein; Justin werde dort noch mehr herrschen, wo er „alles durch die Liebe“ befehle.165 Das neue Regime wollte den Konflikt mit dem Kaiser so schnell wie möglich beilegen, weil man mit erheblichem Widerstand in den eigenen Reihen rechnen musste. Es überrascht daher nicht, dass man bemüht war, Kaiser Justin zur Erneuerung des Freundschaftsvertrags zu bewegen, den fast dreißig Jahre zuvor Kaiser Anastasios mit Theoderich geschlossen hatte. Ob das gelang, ist schwer zu be­ urteilen, denn explizite Zeugnisse fehlen. Cassiodor behauptet indessen 533 in ­einem Schreiben, Amalasvintha habe „in ihren Anfängen“ die Donau gegen den Willen des „Fürsten des Orients“ (Orientis princeps) zu einem römischen Fluss gemacht, indem sie ungenannte „Angreifer“ (invasores) abwehrte. Anschließend jedoch habe der Kaiser Frieden (pax) gewährt und viele Gesandtschaften nach Ravenna geschickt.166 Diese Darstellung legt die Annahme nahe, dass das gewünschte Abkommen mit dem Kaiser nach einer gewissen Verzögerung tatsächlich zustande kam. Unter dieser Voraussetzung ist auch leichter zu verstehen, weshalb Amalasvintha 533 logistische Unterstützung für die römische Expedition gegen das Vandalenreich leistete. Dem Bericht Prokopios zufolge berief sich die Regentin später gegenüber Justinian auf ein Bündnis, das beide Seiten zu militärischer Unterstützung verpflichtete.167 Die Außenpolitik des neuen Regimes war ausge164 Cassiodorus,

Variae 1, 1; vgl. Cassiodorus, Variae 2, 1. Variae 8, 1, 5: Sit vobis regnum nostrum gratiae vinculis obligatum. plus in illa parte regnabitis, ubi omnia caritate iubetis. 166 Cassiodorus, Variae 11, 1, 10  f.: in ipsis quoque primordiis, quando semper novitas incerta temptatur, contra Orientis principis votum Romanum fecit esse Danuvium. Notum est quae pertulerint invasores: quae ideo praetermittenda diiudico, ne genius socialis principis verecundiam sustineat perditoris. quid enim de nostris partibus senserit, hinc datur intellegi, quando pacem contulit laesus, quam aliis concedere noluit exoratus. additur quod tantis nos legationibus tam raro requisitus ornavit et singularis illa potentia, ut Italicos dominos erigeret, reverentiam Eoi culminis inclinavit. Die Datierung dieser Ereignisse schwankt in der Forschung zwischen Ende 526 und 530; die Positionen verzeichnet Vitiello: Amalasuintha (wie Anm. 12), S. 244, Anm. 153. Der Text verweist jedoch eindeutig auf die Anfänge der Regentin; so mit Recht auch Alexander Sarantis: War and Diplomacy in Pannonia and the Northwest Balkans during the Reign of Justinian. The Gepid Threat and Imperial Responses. In: Dumbarton Oaks Papers (2009), S. 15–40, hier: S. 21 f. Die von Procopius, Bella 5, 3, 15 und 17 und 21 erwähnten Kämpfe gegen die Gepiden in Sirmium waren offenbar Teil dieser Operationen; vgl. auch Procopius, Bella 5, 11, 5; Cassiodorus, Oratio 2 zur Rolle des Vitigis. 167  Logistische Unterstützung: Procopius, Bella 3, 14, 4–6; 5, 3, 22–24. Militärbündnis: Procopius, Bella 5, 3, 23: καίτοι ξύμμαχος ἂν καὶ φίλος δικαίως καλο˜ιτο οὐχ ὅς ἂν τὴν ὁμαιχμίαν ἐς τοὺς πέλας προΐσχοιτο μόνον, ἀλλὰ καὶ ὅς ἄν τῳ ἐς πόλεμον ἕκαστον ὅτου ἂν δέοιτο ὑπουργω˜ν φαίνοιτο. 165 Cassiodorus,

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sprochen defensiv.168 Man akzeptierte nicht allein die Loslösung des hispanischen Gotenreichs einschließlich Septimaniens, sondern bewilligte auch die Rückgabe des westgotischen Königsschatzes. Auf die Ermordung von Theoderichs Schwester Amalafrida reagierte die königliche Kanzlei mit ohnmächtigem Protest.169 Dem burgundischen König Godomar trat man Gebiete ab, um ihn als Bundesgenossen zu gewinnen, stand ihm aber nicht bei, als er 532 vergeblich versuchte, sein Reich gegen die Merowinger zu verteidigen.170 Auch der Thüringer-König ­Herminafrid, der Ehemann von Theoderichs Nichte Amalaberga, erhielt keinen Beistand aus Ravenna, als der Merowinger Theuderich sein Reich angriff und ­eroberte.171

Resümee: Gotisches Königtum in Italien Der Tod eines Alleinherrschers ist stets ein krisenhafter Moment, vor allem dann, wenn es keine anerkannte Nachfolgeregelung gibt. Theoderich hatte versucht, Vorsorge für diesen Fall zu treffen, indem er Eutharich zu seinem Nachfolger aufbaute, aber der war vor ihm gestorben. Seitdem war die Frage, wie es nach dem Tode des Königs weitergehen sollte, wieder völlig offen. Wer sollte Theoderichs Nachfolger werden – diese Frage beschäftigte die Gemüter, und zwar im gotischen Adel ebenso wie unter römischen Senatoren. Für beide stand viel auf dem Spiel: Das Fehlen eines Thronerben weckte Befürchtungen bei denjenigen, die Theoderich viel zu verdanken hatten, und beflügelte die Phantasie derjenigen, die mit ihrer Stellung unzufrieden waren. Die Unsicherheit wurde dadurch verstärkt, dass die politische Grundlinie am Ende der langen Regierung Theoderichs nicht mehr unverrückbar feststand: Die Hinrichtung führender Senatoren und die Demütigung des Papstes hatten Zweifel geweckt, ob die Politik der Separation und Kooperation von gotischen Kriegern und römischen Zivilisten weiterhin fortgesetzt werden würde. Es liegt auf der Hand, dass der Erhebung des unmündigen Athalarich zum König ein Machtkampf in dessen Umgebung vorausging. Wir können auch einige Männer namhaft machen, die an dieser Entscheidung wahrscheinlich beteiligt ­waren. Das sind eben diejenigen, die an ihrer Umsetzung mitwirkten und von ihr persönlich profitierten. Freilich sollte man sich nicht einbilden, wir könnten lückenlos aufklären, was damals sorgfältig verheimlicht wurde: Besonders schmerz168 

Zur Außenpolitik Amalasvinthas ausführlich Ernest Stein: Histoire du Bas-Empire. Bd. 2: De la disparition de l’empire d’Occident à la mort de Justinien (476–565). Paris 1949, S. 262–264, S. 328–339; Vitiello: Amalasuintha (wie Anm. 12), S. 104–112. 169 Cassiodorus, Variae 9, 1 stellt die Rache für Amalafrida Gott anheim. Nach Malalas, Chro­ nica 18, 57 forderte Justinian den Hof in Ravenna auf, Gelimer nicht als König anzuerkennen. 170  Zum Abkommen mit Gundomar: Cassiodorus, Variae 11, 1, 13. Zum Burgunderkrieg ausführlich Favrod: Royaume burgonde (wie Anm. 5), S. 457–470. 171 Zum Thüringerkrieg vgl. Schmidt: Ostgermanen (wie Anm. 123), S. 328–334. Amalaberga kehrte nach Ravenna zurück: Procopius, Bella 5, 13, 2.

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lich ist, dass wir die Rolle, die Amalasvintha in den Ereignissen gespielt hat, in den Quellen nicht zu fassen bekommen. Diese Unsichtbarkeit ist freilich ein getreuer Spiegel ihrer problematischen Stellung als einer Frau, die als Mutter des unmündigen Königs regieren wollte. Man sollte sich also in Bescheidenheit üben, wenn es um die Rekonstruktion von Nachfolgekrisen geht, über deren faktischen Verlauf wir nur durch offizielle Rundschreiben und knappe historiographische Notizen informiert werden. Gleichwohl lohnt sich eine genaue Betrachtung der Art und Weise, wie Herrschaft von einer Person auf eine andere übertragen wird, auch dann, wenn sich der Vorgang nicht restlos aufklären lässt. Denn in personalen Monarchien wird die Macht neu verteilt, wenn der alte Herrscher stirbt. Wer eben noch größten Einfluss am Hof besaß, konnte plötzlich alles verlieren; wer bis dahin in Ungnade stand, konnte plötzlich zur rechten Hand des Herrschers aufsteigen. Der Übergang des Königtums von Theoderich auf Athalarich ist in besonderer Weise geeignet, Aufschlüsse über strukturelle Stärken und Schwächen des von Theoderich begründeten Reiches zu gewinnen. Die Art und Weise, wie die Ereignisse kommuniziert wurden, lässt keinen Zweifel, dass der Ausgang offen war: Dass die Goten Italiens das Königtum eines Kindes – noch dazu in Verbindung mit der Regentschaft einer Frau – akzeptieren würden, war keineswegs ausgemacht. Nur so erklärt sich der hohe Aufwand an Diskursen und Ritualen, der anlässlich der Erhebung Athalarichs zum Nachfolger Theoderichs betrieben wurde – insbesondere der wechselseitige Eid zwischen König und Untertanen. Aller dynastischen Propaganda zum Trotz musste der König der Goten auch nicht unbe­dingt ein Amaler sein. Theoderichs Gefolgsmann Tuluin war als Nachfolger Theoderichs vorstellbar, obwohl er nicht von Amalern abstammte. Auch reichte das hohe Ansehen, das Theoderich zu Lebzeiten unter den Goten genossen hatte, nicht aus, um seinem Nachfolger in Italien die Herrschaft auf der ibe­ rischen Halbinsel zu sichern; die hispanischen Goten gingen nach seinem Tod wieder ihre eigenen Wege, indem sie Amalarich zu ihrem König bestellten. Die römischen ­Senatoren unterstützten das Königtum Athalarichs, weil sie sich eine Rückkehr zu einer Politik erhofften, die ihre soziale Dominanz und kulturelle Hegemonie sicherte; für sie war dynastische Erbfolge ein potenzieller Stabilitätsfaktor. Ähnliches dürfte auch für die städtischen Honoratioren gelten. Der katholische Episkopat schließlich hatte keine starken Präferenzen, wenn es um das gotische Königtum ging, solange keine Benachteiligung oder gar Verfolgung zu befürchten war. Die maßgeblichen Kreise hatten also sehr unterschiedliche Gründe, Athalarich als König zu akzeptieren oder eben nicht zu akzeptieren. Diese Feststellung gilt im Grundsatz bereits für Theoderich selbst. Auch seine Herrschaft in Italien war nicht etwa deshalb so dauerhaft gewesen, weil er das Amt eines obersten Heermeisters im Rang eines patricius praesentalis innehatte, als er das Land eroberte, wie man bis zum heutigen Tag immer wieder lesen und hören kann, auch wenn ihm dieses Mandat im Verhältnis zum Senat sicher zustatten kam. Vielmehr musste Theoderich die Interessen und Erwartungen sehr unterschiedlicher Gruppen

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gegeneinander austarieren: Gotische Krieger, römische Senatoren und katholische Bischöfe waren nur die drei wichtigsten unter ihnen. In der Forschung hat man häufig versucht, die Stellung Theoderichs als eine Institution zu fassen, die sich in rechtlichen Begriffen beschreiben lässt.172 Herwig Wolfram hat das gotische Königtum als eine Institution der „spätrömischen Verfassung“ definiert, die „den höchsten Magistrat der spätantiken Heeresorganisa­ tion und die damit verbundene vizekaiserliche Position in sich aufgenommen“ habe; mit seiner Hilfe habe sich „die Institutionalisierung, wenn man so will, die Imperialisierung der Gens [vollzogen]“.173 Wenn Institutionen relativ auf Dauer gestellte, durch Internalisierung verfestigte Handlungsmuster und Sinngebilde sind,174 wird man dieser Analyse kaum folgen können. Die Nachfolgekrise beim Tode Theoderichs lehrt im Gegenteil, dass die Herrschaft gotischer Könige im Westreich eben nicht durch einen Konsens über ihre normativen Grundlagen abgesichert war. Nicht nur war die Integration der Reichsteile, die außerhalb Italiens lagen, insbesondere Hispaniens, nur unvollkommen gelungen. Vielmehr war die Stellung des Herrschers überall von der Zustimmung sehr unterschiedlicher Gruppen abhängig, deren Erwartungen und Ansprüche schwer zu vereinbaren waren. Theoderich hatte Italien mit gotischen Kriegern erobert, für welche die politischen Traditionen Roms kaum Verbindlichkeit besaßen. Sie betrachteten den Herrscher als ihren König, der ihren Vorstellungen von Tüchtigkeit zu entsprechen und sich durch Leistung zu bewähren hatte. Die Senatoren dagegen erwarteten, dass ihr Herrscher römische Traditionen fortsetzte, die in einer transpersonalen Staatsidee, der res publica, wurzelten. Dass ihre Standesprivilegien, ihr Reichtum und ihre soziale Macht in dieser Staatsidee eingeschlossen waren, stand für sie außer Frage. Die katholischen Bischöfe konnten sich mit der Herrschaft eines Ketzers abfinden, solange dieser sie nicht bedrängte. Dieser Zustand blieb für sie 172 

Die argumentativen Schwierigkeiten, in die man dabei gerät, werden bei Wolfram: Die Goten (wie Anm. 30), S. 284–290, bes. S. 286–288 („Versuch einer staatsrechtlichen Analyse“) und Dorothee Kohlhas-Müller: Untersuchungen zur Rechtsstellung Theoderichs des Großen. Frankfurt a. M. u. a. 1995, S. 11–59, bes. S. 32–38 sehr deutlich. Letztere fasst ihre Position mit folgenden Worten zusammen: „Die weströmische Kaiser-imitatio und das imperialisierte, souveräne gotischgermanische Königtum Theoderichs wurden also zum doppelten Machtfaktor [im Original unterstrichen, der Vf.] seiner Rechtsstellung.“ 173  Herwig Wolfram: Gotisches Königtum und römisches Kaisertum (1979). In: ders. (Hg.): Gotische Studien. Volk und Herrschaft im frühen Mittelalter. München 2005, S. 139–173, hier: S. 171: „Die Regna auf römischem Boden berufen sich zwar dem Namen nach auf die Tradition der externae gentes, sind aber lateinische, spätrömische Institutionen. Sie haben den höchsten Magistrat der spätantiken Heeresorganisation und die damit verbundene vizekaiserliche Position in sich aufgenommen, sind jedoch keine Ämter mit regionaler Zuständigkeit, sondern territoriale Herrschaften geworden, die für ihren Bereich das Imperium Romanum wie die res publica aufhoben. Analog dazu ist eine gotische Gens nicht bloß ein exercitus Gothorum, sondern zugleich auch eine römische Föderatenarmee, die in der Nachfolge der römischen Hofheere ein, obgleich abgewandeltes, Recht der Herrschaftsübertragung besitzt. Die Goten erheben keinen Kaiser, sondern einen kaisergleichen König.“ 174  Gerhard Göhler u. a.: Institution – Macht – Repräsentation. Wofür politische Institutionen stehen und wie sie wirken. Baden-Baden 1997.

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jedoch eine durch besondere Umstände erzwungene Ausnahme, die ihren Vorstellungen von den Aufgaben eines weltlichen Herrschers widersprach. Theoderich versuchte, die divergierenden Interessen auszugleichen, indem er sein Heer als ethnische Gruppe definierte, die gleichberechtigt neben die überwältigende Mehrheit der römischen und katholischen Zivilisten treten sollte. Dieses Konzept einer Doppelherrschaft über zwei Völker, über Goten und Römer, hatte jedoch zur Folge, dass seine Stellung nicht in eine einheitliche Form gebracht werden konnte. Das Königtum Theoderichs ließ sich deshalb nicht einfach übertragen. Wer seine Nachfolge als König der Goten und Herrscher der Römer antreten sollte, entschied sich in einem Machtkampf, dessen Verlauf ohne Vorbild war und keinen allgemein anerkannten Regeln folgte. In dieser Position zu halten vermochte sich nur, wer die aktive Unterstützung oder zumindest passive Duldung vieler gesellschaftlicher Gruppen zu gewinnen vermochte, deren Erwartungen sehr unterschiedlich waren. Das gotische Königtum in Italien musste daher immer wieder neu ausgehandelt werden.

Anhänge A) Wurde Kaiser Anastasios ein „allgemeiner Treueid“ geleistet? Stefan Esders schreibt, „der erste Herrscher, der sich von der Reichsbevölkerung einen allgemeinen Treueid schwören ließ und im Gegenzug selbst unter Eid gerecht und christlich zu regieren versprach, [sei] kein Germane, sondern der oströmische Kaiser Anastasius I.“ gewesen,175 räumt aber selbst ein, dass im Krönungsprotokoll des „Zeremonienbuchs“ des Kaisers Konstantinos Porphyrogennetos von einem Untertaneneid nicht die Rede ist. Als Beleg nennt er eine Stelle in der (unzuverlässigen) deutschen Übersetzung (Ahrens/Krüger) der syrischen Übersetzung der in griechischer Sprache verfassten „Kirchengeschichte“ des Zacharias Rhetor (7, 8).176 In der englischen Neuübersetzung von Phenix/Horn177 wird dieser Eid jedoch nicht von „den Römern“, sondern von den römischen Soldaten gefordert: „On the twenty-ninth the emperor assembled all of the commanders of the armed forces, all of the heads of the scholarii and the patricians and said to them: ‚As is customary for me, I intend to give a donative,‘ for he used to do so ever since he 175 

Esders: Treueid (wie Anm. 95), S. 431. Ahrens/Gustav Krüger (Hg.): Die sogenannte Kirchengeschichte des Zacharias Rhetor in deutscher Übersetzung. Leipzig 1899; siehe dazu die kritische Besprechung durch Marc-Antoi­ ne Kugener: La compilation historique de Pseudo-Zacharie le Rhéteur. In: Revue de l’Orient Chrétien 5 (1900), S. 201–214, S. 461–480. Den syrischen Text edierte später mit lateinischer Übersetzung E. W. Brooks (Hg.): Historia ecclesiastica Zachariae Rhetori vulgo adscripta. 4 Bde. Löwen 1919–1965. 177  Geoffrey Greatrex/Robert R. Phenix/Cornelia B. Horn: The Chronicle of Pseudo-Zachariah Rhetor: Church and War in Late Antiquity. Liverpool 2011. 176  Karl

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became emperor, giving it out once every five years, while requiring oaths from all who were Roman soldiers (Rhomaje) that they would not plot against the empire. This time he required them to swear in the following manner. With a copy of the gospel book in place, they entered and received five denarii each, swearing the following: ‚By this law of God and these words that were written in it we will fight with all of our might on behalf of the true faith and for the empire, and [we swear] that we will plot neither against the truth nor against the emperor.‘ He ­required them to swear in this manner because he had heard that Macedonius was attempting to raise a rebellion against him.“ (258) Diese Übersetzung wird durch den Kontext gefordert – es geht um die Vergabe eines Donatives an die Soldaten – und entspricht einem verbreiteten Gebrauch des Wortes Rhomaje.178 Damit entfällt der einzige Beleg für die Annahme, Kaiser Anastasios habe sich von der Reichsbevölkerung einen allgemeinen Treueid leisten lassen. B) habitus virilis bei Jordanes, Getica 251 In der deutschsprachigen Forschung gilt Jordanes, Getica 251 seit Köpke und Dahn179 als Beleg dafür, dass den Amalern schon mehrere Generationen vor Theoderich dem Großen ein exklusives Anrecht auf das Königtum eingeräumt worden sei. Man entnimmt der Jordanes-Stelle, dass die Ostgoten Theoderichs Onkel Valamir den Thron sozusagen freigehalten hätten, bis dieser waffenfähig und damit mündig geworden sei. Dieses Verhalten wird dann als Indiz für dynastische Loyalität gewertet. Tatsächlich liest man in Theodor Mommsens Ausgabe des Jordanes,180 die Ostgoten hätten so sehr um den toten König Thorismund ­getrauert, dass ihm vierzig Jahre lang kein anderer König nachgefolgt sei, bis die Zeit herangekommen war, quo Valamer habitum repararet virilem. Diesen Worten lässt sich jedoch keineswegs entnehmen, dass man abwartete, „bis Valamir das Mannesalter erreichte“ – „Valamir grew to man’s estate“ heißt es in der Über­ setzung von Charles Christopher Mierow.181 Gegen diese Interpretation der Stelle sprechen gewichtige Gründe sachlicher und sprachlicher Art: Zum einen bietet das Warten auf die Mündigkeit Valamirs gerade keine Erklärung für die 40-jährige Dauer der Thronvakanz. Man muss daher eine ungeschickte Verbindung zweier Aussagen durch Jordanes oder eine legendarische Erweiterung einer authentischen Tradition annehmen. Zum anderen kann die Junktur habitum virilem repa178  Vgl.

R. Payne Smith: A Compendious Syriac Dictionary founded upon the Thesaurus Syriacus. Oxford 1902, S. 531, s. v. rhomaja: a) a Roman, Latin, b) a citizen of the Eastern Roman Empire, c) a soldier. 179 Köpke: Königthum (wie Anm. 30), S. 141  f.; Dahn: Könige der Germanen (wie Anm. 30), S. 56 f. 180 Theodor Mommsen (Hg.): Iordanes. Romana et Getica (MGH AA 5, Pars Prior). Berlin 1882. 181 Charles Christopher Mierow: The Gothic History of Jordanes in English Version with an Introduction and a Commentary. Princeton, NJ 1915, S. 122.

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rare schwerlich im Sinne von „ein Mann werden“ gedeutet werden, da reparare „wiederherstellen“ und nicht etwa „anlegen“ oder „erreichen“ bedeutet, wie man annehmen muss, wenn man die Stelle auf das Erreichen des Mannesalters bezieht. Wie die Wörterbücher ausweisen,182 meint habitus die äußere Erscheinung, ins­ besondere die Kleidung, dann aber auch die innere Haltung, die sich darin ausdrückt, sowie schließlich ganz allgemein den Zustand einer Sache oder die Ge­ sinnung von Personen. Die Junktur habitus virilis begegnet darum nicht nur dort, wo davon die Rede ist, dass Frauen sich als Männer ausgeben, indem sie deren äußere Gestalt annehmen, wie bei Hyginus und Valerius Maximus.183 Quintilian verwendet den Ausdruck in übertragenem Sinn, wenn er davon spricht, dass die „männliche Haltung der Rede und ihre Gabe, knapp und kräftig zu sprechen“ zu seiner Zeit mit einer Art zarter Haut überzogen werde, weil man glaube, wenn es nur glatt und glänzend sei, komme es auf den Inhalt nicht an.184 In den militärischen Bereich führt eine Stelle bei Livius, wo es heißt, Scipio Africanus habe bei einer persönlichen Begegnung auf den numidischen König Masinissa großen Eindruck gemacht, weil er große Majestät ausgestrahlt und das Haupthaar lang getragen habe; vor allem aber sei „die Haltung seines Körpers nicht durch Putz verfeinert, sondern wahrhaft männlich und militärisch (virilis vere et militaris) gewesen.185 Jordanes wollte also sagen, dass Valamir die „männliche Haltung“ der Ost­goten wiederherstellte. Diese Interpretation beseitigt den Anstoß, der in der Verbindung einer 40-jährigen Vakanz mit der angeblichen Minderjährigkeit Valamirs liegt, und geht im Gegensatz zur traditionellen Auffassung durchweg von usuellen Wort­ bedeutungen aus. Die Stelle sollte daher aus der Diskussion über die Möglichkeit einer Vormundschaftsregierung bei den Ostgoten und das Prestige der Amaler ausscheiden. Es sei jedoch erwähnt, dass die Lesart habitum keineswegs einhellig überliefert ist; in einem Teil der Handschriften steht stattdessen die Lesart obitum. Francesco Giunta und Antonio Grillone schreiben daher in ihrer Ausgabe des Jordanes:186 quo Valamer obitum repararet virilem – „bis Valamir das männliche Hinscheiden wettmachte“. Obitum virilem stünde dann für obitum viri. Eine 182 P. G. W. Glare (Hg.): Oxford Latin Dictionary. Oxford 1982, s. v. habitus; ThLL, Vol. VI, Pars 3, Fasc. 13 (1936), Sp. 2482–2487, s. v. habitus. 183 Hyginus, Fabulae 274, 10: Agnodice quaedam puella uirgo concupiuit medicinam discere, quae cum concupisset, demptis capillis habitu uirili se Herophilo cuidam tradidit in disciplinam; Valerius Maximus, Facta et dicta memorabilia 4, 6, 2 ext.: Hypsicratea quoque regina Mitridatem coniugem suum effusis caritatis habenis amauit, propter quem praecipuum formae suae decorem in habitum uirilem conuertere uoluptatis loco habuit: tonsis enim capillis equo se et armis adsuefecit, quo facilius laboribus et periculis eius interesset. 184 Quintillianus, Institutio oratoria 5, 12, 18: ita nos habitum ipsum orationis virilem et illam vim stricte robusteque dicendi tenera quadam elocutionis cute operimus et, dum levia sunt et nitida, quantum valeant nihil interesse arbitramur. 185 Livius, Ab urbe condita 28, 35, 6: ceterum maior praesentis ueneratio cepit, et praeterquam quod suapte natura multa maiestas inerat, adornabat promissa caesaries habitusque corporis non cultus munditiis sed uirilis uere ac militaris; et aetas erat in medio uirium robore. 186  Francesco Giunta/Antonio Grillone (Hg.): Iordanis de origine actibus Getarum. In: Fonti per la storia d’Italia. Bd. 117. Rom 1991.

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­ oetische Junktur wie diese ist einem Autor, dessen literarisches Talent so begrenzt p ist,187 jedoch schwer zuzutrauen. Auch wenn die Lesart richtig wäre, besagte die Stelle nichts über das Prestige der Amaler bei den Ostgoten. C) Cassiodorus, Variae 8, 1–8 in deutscher Übersetzung Das achte Buch der Variae Cassiodors liegt bislang nicht in deutscher Übersetzung vor. Damit man sich den Gedankengang der für diese Untersuchung zentralen Stücke der Variae leichter vor Augen führen kann, lege ich sie hier in meiner Übersetzung vor. Die Übersetzung ins Italienische im vierten Band des von An­ drea Giardina, Giovanni Alberto Cecconi und Ignazio Tantillo herausgegebenen Gesamtkommentars zu den Variae habe ich mit Gewinn konsultiert.188 Zugrunde liegt der Text von Theodor Mommsens Ausgabe,189 von dem ich nur in einem wesentlichen Punkt abweiche (dazu unten Anhang D). Die Ausgabe von Åke J. Fridh190 sowie der Text des italienischen Kommentars wurden verglichen. Nr. 1: Athalarichs Brief an Kaiser Justin – Cassiodorus, Variae 8, 1 „König Athalarich an Kaiser (imperator) Justin. Ich könnte mit Recht getadelt werden, mildester aller Fürsten (principes), wenn ich euren Frieden (pax) lauwarm erbäte, den meine Vorfahren (parentes)191 bekanntlich recht heiss erstrebt haben. In welcher Hinsicht wäre ich ein würdiger Erbe, wenn man mich in so großem Ruhm meinen Vorfahren (auctores mei) 192 ungleich fände? Uns verherrlicht nicht so sehr die purpurne Reihe meiner Vorfahren (maiores) und erhöht nicht so sehr der königliche Thron (regia sella), wie uns eure weithin reichende Gunst (gratia) adelt. Denn wir glauben, dass in unserem Königreich (regnum) alles zum Besten steht, wenn wir fühlen, dass sie uns ganz und gar nicht fehlt. (2) Wie es nun aber eurem Pflichtbewusstsein (pietas) zum Ruhm gereicht, diejenigen zu lieben, deren Väter (patres) ihr geliebt habt – denn von niemandem glaubt man, dass er den Alten (veteres) unschuldige Reinheit 187 

Giovanbattista Galdi: Syntaktische Untersuchungen zu Jordanes: Beiträge zu den „Romana“. Hildesheim 2013. 188  Giardina/Cecconi/Tantillo (Hg.): Cassiodoro, Bd. 4 (wie Anm. 1). Eine englische Übersetzung von Cassiodorus, Variae 8, 1 findet sich bei Samuel J. B. Barnish: Selected Variae of Magnus Aurelius Cassiodorus Senator. Liverpool 1992, S. 101 f. 189  Theodor Mommsen (Hg.): Cassiodori Senatoris Variae (MGH AA 12). Berlin 1894. 190  Åke J. Fridh (Hg.): Magni Aurelii Cassiodori Variarum libri XII. De anima cura et studio James W. Halporn. In: CCL, Vol. 96. Turnhout 1973. 191  Parentes meint in den hier übersetzten Varien meist die Vorfahren des Königs (Ausnahme: 8, 8, 2), wird in anderen aber auch zur Bezeichnung der Goten als seiner Verwandten verwendet: Die Stellen verzeichnet Ludwig Traubes Index bei Mommsen (Hg.): Cassiodori Senatoris Variae (wie Anm. 189). 192  Auctores meint hier die Vorfahren Athalarichs als Urheber seines Geschlechts (auctor generis), wie bei Cassiodor üblich. An anderen Stellen wird Theoderich allein als auctor Athalarichs bezeichnet; dort schwingt mit, dass er zugleich auch Urheber seiner Herrschaft (auctor imperii) ist.

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e­ rwiesen habe, wenn er ihr Geschlecht (stirps) nicht nachweislich angenommen hat –, so möge der Hass mit den Toten begraben werden. Möge der Zorn mit den Dreisten zugrunde gehen können! Die Gunst (gratia) darf nicht mit den Geliebten ins Grab sinken. Vielmehr ist derjenige um so liebevoller zu behandeln, der in den Streitsachen des Königreichs (ad regni causas) für unschuldig befunden wird. (3) Bedenkt, was der Nachfolger guter Männer (successor bonorum) von euch verdient! Ihr habt unseren Großvater in eurer Stadt (vestra civitas) durch erhabene Amtssessel (curules) erhöht, ihr habt meinen Vater in Italien mit dem Glanz des mit Palmenornamenten verzierten Gewands eines Konsuls (palmata) geschmückt. Aus der Sehnsucht nach Eintracht (concordia) heraus ist derjenige durch Waffen zum Sohn gemacht worden, der euch an Jahren fast gleich erschien. Diesen Namen werdet ihr dem Jüngling (adulescens) passender geben, als ihr ihn unseren Älteren (seniores nostri) verliehen habt. Eure Zuneigung muss die Stelle der Verwandtschaft (parentela) einnehmen, denn einen, der aus eurem Sohn ge­ boren wurde, hält man nach den Gesetzen der Natur nicht für einen Fremden. (4) Und deswegen erbitte ich Frieden (pax) nicht als ein weit Entfernter, sondern als ein ganz Nahestehender, weil ihr mir damals die einem Enkel gebührende Gunst (gratia nepotis) gegeben habt, als ihr meinem Vater (parens meus) die Freude der Adoption erwiesen habt. Mögen wir auch Zugang zu eurem Herzen erhalten, die wir das königliche Erbe (regia hereditas) erlangt haben. Die Gunst eines so ­bedeutenden Lenkers (rector) zu besitzen, geht mir noch über die Herrschaft ­(dominatus). Mögen unsere Anfänge den Trost eines bejahrten Fürsten (princeps) verdienen! Die Jugend (pueritia) möge den Schutz der Gunst (tuitio gratiae) ­erlangen! Wir werden der Vorfahren (parentes) nicht völlig beraubt, wenn wir uns auf Schutz (protectio) dieser Art stützen. (5) Unsere Königsherrschaft (regnum nostrum) möge euch durch das Band der Gunst verbunden sein! Ihr werdet dort mehr herrschen (regnare), wo ihr alles durch die Liebe befehlt. Aus diesem Grund hielten wir dafür, N. N. als Gesandte zu eurer Hoheit (serenitas) zu schicken, damit ihr uns die Freundschaft (amicitia) mit den Vereinbarungen und zu den Bedingungen gewährt, die eure berühmten Vorgänger (decessores) bekanntlich mit meinem Großvater getroffen hatten. Vielleicht verdiene ich noch etwas mehr Aufrichtigkeit (sinceritas), dessen Alter offenkundig nicht verdächtig ist und dessen Geschlecht (generatio) nachweislich nicht von außen kommt. Einige Dinge indessen haben wir unseren oben genannten Gesandten anvertraut, die sie euren äußerst heiteren Sinnen mitteilen sollen: Sorgt dafür, dass sie, wie es die Art eurer Milde (clementia) ist, zur Ausführung gelangen!“ Nr. 2: Athalarichs Schreiben an den römischen Senat – Cassiodorus, Variae 8, 2 „König Athalarich an den Senat von Rom. Es ist bekanntlich die größte Freude, senatorische Väter (patres conscripti), vom Aufgang eines Herrschenden (dominans) zu erfahren, dergestalt, dass man hört, dass derjenige, von dem man glaubt, er könne alle beschützen, zum Gipfel der Königsherrschaft (regnum) gelangt ist. Das Maß der Freude kommt von der ­Größe der Botschaft: Die Erregtheit des Sinnes ist so groß, wie die Erwägung der

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S­ ache gewesen ist. (2) Denn wenn die Vorhersage von Vorteilen für die Genossen weise Männer ermutigt, wenn die Nachricht der Wohlbehaltenheit der Freunde [sie] erleichtert – mit welcher Begeisterung muss dann aufgenommen werden, dass ein Lenker (rector) der ganzen Welt hervorgetreten ist, den nicht ein entstandener Aufruhr hervorgebracht hat, [den] nicht tobende Kriege erzeugt haben, [den] nicht Schaden für das Gemeinwesen erlangt hat, sondern [der] im Frieden (per quietem) so bestellt wurde, wie zu kommen es sich für den Urheber von Ruhe und Ordnung (civilitatis auctor) geziemte. Es ist wahrlich eine große Art des Glücks, ohne Streit die Stellung eines Fürsten (principatus) zu erlangen und in dem Gemeinwesen (res publica) als Jüngling (adulescens) Herr (dominus) zu werden, wo bekanntlich so viele Männer mit reifem Charakter zu finden sind. Denn es kann keinem Alter an Einsicht (consilium) fehlen, wo man so viele öffentliche Verwandte (parentes publici)193 gefunden hat. (3) Die Hoffnung auf uns wurde demnach den Verdiensten aller [anderen] vorgezogen, und was man über uns glauben konnte, war sicherer als das, was bei anderen zu beweisen war. Und nicht mit Unrecht, da jedweder Glanz des Geschlechts (claritas generis) hinter den Amalern zurücktritt; wie derjenige, der aus euch geboren wird, senatorischer ­Ursprung (origo senatoria) genannt wird, so betrachtet man denjenigen, der aus ­dieser Familie (familia) hervorgeht, als in höchstem Maße würdig des Königtums (regnum). Das gegenwärtige Geschehen hat für das, was wir sagen, den Beweis erbracht. (4) Denn als die uns im Maße der Vielzahl seiner Wohltaten äußerst süße Erinnerung unseres Herrn Großvaters im Sterben lag, hat er die Größe seiner Herrschaft (dominatio sua) mit so großer Geschwindigkeit auf uns übertragen, dass man hätte glauben können, nicht so sehr die Königsherrschaft (regnum) als die Kleidung sei ausgetauscht worden. So viele Vornehme (proceres), berühmt durch Tatkraft (manus) und Rat (consilium), murrten nicht im Geringsten, wie es sonst geschieht. Vielmehr folgten sie dem Urteil ihres Fürsten (princeps) mit großer Freude in einer Weise, dass man hätte erkennen können, dort habe eher der gött­ liche Wille Ausdruck gefunden. Aus diesem Grund hielten wir es für nötig, euch mit Gottes Gnade über den Aufgang unserer Königsherrschaft (regnum) zu informieren, denn die Herrschaft (imperium) erscheint eher verlängert als ausgetauscht, wenn sie auf die Nachkommen (posteri) übergeht. Denn derjenige gilt als irgendwie selbst lebendig, dessen Geschlecht (progenies), wie ihr wisst, über euch regiert. (5) Dies war der Inhalt eurer Wünsche, dies war sein unbezweifelter Wille (sententia), dass er einen Erben seiner Vorzüge (heres bonorum suorum) hinterlasse, der seine Wohltaten bei euch vermehren kann. Bekanntlich hat die Liebe zu den Fürsten (principes) die Erfindung hervorgebracht, dass die Treue des Bildes durch 193 Mit

parentes publici sind hier wie in Cassiodorus, Variae 4, 4, 5; 10, 13, 4 die Senatoren gemeint; in Cassiodorus, Variae 6, 14, 3 heißen sie patres publici, weil sie in väterlicher Weise für das Gemeinwesen sorgen. Cassiodor deutet an, dass der jugendliche König den Rat (consilium) der Senatoren einholen wird.

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Abbilder aus Erz erhalten werde, damit das kommende Geschlecht den Urheber (auctor) sehe, der sich das Gemeinwesen (res publica) durch viele Wohltaten verpflichtete. Doch um wie viel echter ist derjenige, der in den Nachkommen (posteri) lebt, durch welche fast immer die Gestalt des Körpers nachgebildet und die Kraft des Geistes (vigor animi) fortgesetzt wird. (6) Und deswegen müsst ihr nun die Treue (fides) eures Adels (nobilitas) mit größerem Eifer zeigen, auf dass erkennbar werde, dass [euch] die früheren Wohltaten mit Recht erwiesen worden sind, und [auf dass] wir denjenigen ohne Zögern zukünftige [Wohltaten] erweisen, bei ­denen wir niemals den Eindruck hatten, sie behielten das Vergangene nicht in Erinnerung. (7) Ihr sollt auch wissen, dass durch göttliche Fürsorge (divina pro­ videntia) verfügt wurde, dass uns der allgemeine Konsens (generalis consensus) der Goten und Römer beitrat und [dass] sie ihren Willen, den sie mit reinem Herzen darbrachten, auch durch die Bindung eines Eidschwurs (iuris iurandi relligione) bekräftigten. (8) Wir haben nicht den geringsten Zweifel, dass ihr dem nachfolgen werdet in der Zeit, aber nicht in der Liebe, denn bei euch hätte das beginnen können, dem ihr, verhindert durch die weite Entfernung, nachfolgt. Denn bekanntlich können die über alle anderen hinausragenden Väter (patres) um so mehr lieben, als man gesehen hat, dass sie größere Ehren (honores) als die übrigen Stände (ordines) erhalten haben. (9) Damit ihr jedoch die Anfänge unseres Wohlwollens (benignitas) auch euch gegenüber erkennen könnt, haben wir, da es sich ziemt, eure Kurie mit Wohltaten zu betreten, den illustren Sigismer, unseren „Begleiter“ (comes noster), veranlasst, euch zusammen mit denen, die geschickt worden sind, einen Eid (sacramentum) zu leisten, da wir unverbrüchlich bewahren wollen, was wir mit öffentlicher Autorität versprechen. (10) Falls ihr aber glaubt, ihr hättet Dinge zu fordern, die den Zuwachs eurer Sicherheit (securitas) vervielfältigen können, dann bittet darum ohne Zögern und im Bewusstsein, dass ihr von uns offenkundig zum Vorbringen von Petitionen angetrieben werdet. Denn dies ist eher ein Versprechen als eine Aufforderung: Wer nämlich verfügt, dass der ehrenwerte Senat Eingaben machen solle, der verspricht auch, was man erlangen kann. Jetzt ist es an euch, etwas von der Art zu erhoffen, was den gemeinsamen Staat (communis res publica) zu mehren vermag.“ Nr. 3: Athalarichs Schreiben an das Volk der Stadt Rom – Cassiodorus, Variae 8, 3 „König Athalarich an das Volk von Rom. Wenn euch ein von außen kommender Erbe der Herrschaft (externus heres imperii) übernommen hätte, hättet ihr vielleicht befürchten können, dass diejenigen, welche der Frühere (prior) geliebt hatte, der Nachfolgende (subsequens) aus Neid nicht lieben würde, denn immer wenn ein Nachfolger (successor) danach strebt, mehr gelobt zu werden, wird der Ruhm des Vorgängers irgendwie vermindert. Jetzt hat für euch nur die Person, nicht aber die Gunst gewechselt, da wir richtig zu handeln glauben, wenn wir den ehrwürdigen Urteilen des Großvaters folgen. (2) Es liegt im Interesse unserer Meinung, dass auch wir diejenigen, die er mit größtem Wohlwollen geschützt hat, mit der festgesetzten Menge (statuta copia) und Fülle der Wohltaten nähren. Weniger Gedanken machen sich diejenigen, die

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ruhmlosen Fürsten (principes), die mittelmäßige Taten vollbrachten, nachfolgen: Unser Vorgänger war von solcher Art, dass wir seinen Fußstapfen mit erlesenen Tugenden folgen müssen. (3) Aus diesem Grund melden wir euch – mit Gottes’ Hilfe sei es gesagt! –, dass durch Anordnung (ordinatio) unseres ruhmreichen Herrn Großvaters verfügt worden ist, dass der höchst angenehme Konsens (consensus) der Goten und Römer unserer Königsherrschaft (regnum nostrum) beitrete. Und sie haben, damit im Unglück kein Verdacht bestehen könne, ihre Gelübde (vota) durch das Ablegen eines Eides (sacramentum) bekräftigt, dass sie sich unserer Herrschaft (dominatus noster) mit so großer Freude unterwürfen, als wenn ihnen unser Herr Großvater nicht durch das Todeslos entrissen worden wäre, um den Beweis zu erbringen, dass sie nicht bloß mit den Lippen, sondern auch im innersten Herzen ergeben (devoti) seien. (4) Wenn ihr dasselbe (similia), wie wir glauben, freudig getan habt, haben wir die Überbringer dieses Briefes angewiesen, euch unter Anrufung Gottes zu versprechen, dass wir Gerechtigkeit (iustitia) und angemessene Milde (aequabilis clementia), welche die Völker (populi) nährt, mit Hilfe des Herrn bewahren wollen und [dass] für Goten und Römer bei uns das gemeinsame Recht (ius commune) gelten und zwischen ihnen nichts getrennt sein soll, außer, dass jene sich zum gemeinsamen Nutzen (pro communi utilitate) den Mühen des Krieges unterziehen, euch aber ungestörtes Bewohnen der Stadt Rom (civitas Romana) vermehrt. (5) Sieh da! Indem wir uns zur äußerst milden Bedingung des Eides neigen, haben wir unsere fürstliche Stellung (noster principatus) erhöht, auf dass die Völker ­(populi), die unser glückseliger Urheber (auctor) genährt hat, nichts Zweifelhaftes, nichts Furchterregendes haben können. Sieh da! Wir erneuern das durch die Zeiten leuchtende Beispiel eures Trajans: Derjenige schwört euch einen Eid, bei dem ihr schwört, und keiner kann von demjenigen getäuscht werden, bei dessen Anrufung nicht straflos gelogen werden darf. Fasst nun Mut und wünscht mit Gottes Gnade immer Besseres, damit wir, wie wir den Anfang der königlichen Gewalt (regia potestas) mit der Liebe (caritas) gemacht haben, so auch die Gott gefällige Ruhe (tranquillitas) in der Folgezeit erlangen.“ Nr. 4: Athalarichs Schreiben an die in Italien und Dalmatien ansässigen Römer – Cassiodorus, Variae 8, 4 „König Athalarich an die in Italien und Dalmatien ansässigen Römer. Wir halten es für ehrenhaft anzuzeigen, was ihr gerüchteweise (fama … teste) ­erfahren konntet. Mit Recht wird derjenige glauben, er werde geschätzt, der die Anrede des Königs (regium alloquium) erlangt, weil die Würde des Untertanen (subiectus) darin besteht, die Anrede des Herrschenden (dominans) erlangt zu ­haben, zumal in gerade derjenigen Angelegenheit, in welcher die Herzen aller offenkundig so erregt sind, dass sie dann, wenn sie darin [für sie] nichts Günstiges erkennen, sie stets für etwas Widriges halten. Denn wer hört, die Herrschaft (imperium) habe gewechselt, der fürchtet sie auch. Und in der Tat glaubt man, dass derjenige etwas Finsteres im Schilde führe, der zögert, am Anfang Taten des Wohlwollens zu versprechen. (2) Aus diesem Grund nehmen wir finsteren Ge-

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danken den Raum, indem wir nicht zulassen, dass man über uns anders denkt, als man über unsere Vorfahren (nostri parentes) urteilen konnte. Und deswegen – es sei mit dem Wohlwollen der Gottheit gesagt! – haben wir auf glückliche Anordnung (ordinatio) unseres ruhmreichen Herrn Großvaters zum Schutz der er­ langten Königsherrschaft (pro munimine indepti regni)194 die Eide (sacramenta) der anwesenden Goten und Römer empfangen. Wir urteilen, dass auch ihr dies sehr gerne tun werdet, auf dass ihr, die ihr meinen Vorfahren (parentes nostri) treu ­(fideles) gewesen seid, auch uns mit gleicher Ergebenheit (devotio) gehorcht. (3) Denn auf angenehmere Weise liebt derjenige den Erben (heres), der sich an den Urheber (auctor) der Wohltaten erinnert. Damit euch jedoch unser ungeschmälertes Wohlwollen schon jetzt bekannt werde, haben wir veranlasst, dass euch durch die Verpflichtung eines Eides (iuris iurandi relligione) versprochen werde, was unseren Vorsatz verkünden kann und die Hoffnung aller befestigen soll.“ Nr. 5: Athalarichs Schreiben an die Goten Italiens – Cassiodorus, Variae 8, 5 „König Athalarich an die in Italien ansässigen Goten. Wir hätten euch lieber die Freude eines langen Lebens unseres Herrn Großvaters melden wollen. Da er jedoch den Liebenden durch ein hartes Los entrissen worden ist, hat er uns auf Befehl Gottes als Erben (heres) seines Königreichs (regnum suum) eingesetzt, um den Wohltaten, die er euch erwiesen hat, durch die Nachfolge seines Blutes (successio sanguinis sui) Dauer zu verleihen, da wir das zu mehren und bewahren begehren, von dem wir wissen, dass er es getan hat. Mit dieser Anordnung (ordinatio) haben sich, während er noch lebte, in der königlichen Stadt (regia civitas) die Wünsche aller durch Ablegung eines Eides (sacramentum) dergestalt verbunden, dass man glauben konnte, einer verspreche, was offenkundig die Allgemeinheit (generalitas) wünschte. (2) Diesem Beispiel folgend mögt ihr mit gleicher Ergebenheit (devotio) fortfahren, damit nicht der Anschein entsteht, ihr hättet weniger getan als die Anwesenden, die ihr doch, wie man glaubt, alles ebenso erfüllen könnt. Wir haben den comes N. N. veranlasst, euch unter Eid zu versprechen, dass ihr so, wie ihr euren Sinn uns mit größter Ergebenheit (devotissime) übergebt, auch über unsere Einstellung das Gewünschte hört. Nehmt daher den Namen, der euch immer Glück verhieß, entgegen, die königliche Sippe der Amaler (regalis prosapia), den purpurnen Spross (blatteum germen), die Kindheit im Purpur (infantia purpurata), [ihr,] durch die unsere Vorfahren (parentes) mit Gottes Hilfe auf anständige Weise emporgebracht worden sind und inmitten einer langen Reihe von Königen (ordo regum) stets Wachstum erlebt haben. (3) Denn wir glauben, dass die gnädige Gottheit, die unsere Vorfahren (maiores) gütig unterstützt hat, auch jetzt die Gunst ihrer Gnade erweist, sodass ihr auch uns als Herrschern die sehr süßen Früchte guter Dinge zutragt, die ihr unter unseren Vorfahren (nostri parentes) im reichen Lob der Tugenden geblüht habt.“

194 

Zur Interpunktion und Interpretation dieses Satzes siehe unten Anhang D.

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Nr. 6: Athalarichs Schreiben an Liberius, den Prätoriumspräfekten der gallischen Provinzen – Cassiodorus, Variae 8, 6 „König Athalarich an Liberius, den Prätoriumspräfekten der gallischen Provinzen. Wir wissen, dass euer Sinn wegen des Todes unseres Herrn Großvaters ruhmreichen Angedenkens mit scharfem Schmerz gequält wird, da alles, was gut ist, heftig beweint wird, wenn es verloren ist. Denn ein Herr, wie man ihn sich wünscht (dominus desiderabilis), wird um so mehr gesucht, wenn er abberufen wird. Es ist aber hilfreich, einen Geist, der durch den Eifer des Pflichtbewusstseins (pietas) niedergedrückt wird, durch ein ausgleichendes Heilmittel zu trösten, weil derjenige kaum als verloren empfunden wird, dem nicht einer von außerhalb nachfolgt. (2) So nämlich hat er für sich auf Befehl Gottes vorgesorgt, da er selbst nach dem Tod (post fata) noch vorausschauend war, dass er seinen Gebieten Frieden (pax) hinterlasse, damit nicht irgendeine Neuerung den geordneten Zustand (quieta) durcheinander bringe. Er hat uns als Herren (domini) auf den Stuhl seiner Königsherrschaft (regnum suum) gesetzt, damit die Zierde des Geschlechts (decus generis), das in ihm geblüht hat, auf seine Nachfolger (successores) beständig mit gleicher Helligkeit ausstrahle. Dieser Anordnung (ordinatio) traten die Wünsche der Goten und Römer bei, dergestalt, dass sie unter der Verpflichtung eines Eides (sub iuris iurandi religione) schworen, unserer Königsherrschaft (regnum nos­ trum) mit ergebenem Sinn (devoto animo) die Treue (fides) zu bewahren. (3) Wir glaubten, dies eurer illustren Größe zur Kenntnis bringen zu sollen, damit von denjenigen, die in den gallischen Provinzen (Galliae) der Königsherrschaft (regnum) unseres Pflichtbewusstseins (pietas) ergeben (devoti) sind, ein ähnliches Beispiel gegeben werde und [damit] sie so, wie sie wünschen, dass unser Eifer (animi) in Bezug auf sie nicht geringer werde, durch die gleiche Bedingung gebunden und verpflichtet sind.“ Nr. 7: Athalarichs Schreiben an die in den gallischen Provinzen ansässigen Provinzialen – Cassiodorus, Variae 8, 7 „König Athalarich an alle in den gallischen Provinzen ansässigen Provinzialen. Auch wenn euch der Tod unseres Herrn Großvaters glorreichen Angedenkens im Maße seiner herausragenden Verdienste bitter erscheint, hat er dennoch, da er nach menschlichem Los ins Grab gesunken ist, zur Fortsetzung der Regierung (ad continuandam gubernationem), die er in einzigartiger Weise geführt hatte, uns hinterlassen, damit ihr den Verlust eines guten Fürsten (bonus princeps) nicht spürt, dessen Nachkommenschaft (progenies), wie ihr wisst, Herrscher ist (noscitur regnare). Niemand nämlich büßt bei uns etwas ein, weil er ihm gehorcht hat. Vielmehr zahlen wir, mit doppelter Freigebigkeit (largitas) generös, nicht nur seine Schulden zurück, sondern gewähren auch [als Vorleistung] für zukünftigen Gehorsam mit eingeborenem Pflichtbewusstsein (pietas) Wohltaten (beneficia).195 195 

Åke J. Fridh: Contributions à la critique et à l’interprétation des Variae de Cassiodore. Göteborg 1968, S. 64 f. weist darauf hin, dass das Verb mutuari, das im klassischen Latein „(für sich)

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(2) Und deswegen ziemt es sich, dass ihr die alte Treue (fides) nun mit größerer Ergebenheit (devotio) zeigt, weil derjenige gut für die Zukunft vorsorgt, der den Anfängen der Herrschenden (regnantes) dient, da man glaubt, derjenige werde selbst auch fürderhin standhaft bleiben, bei dem man merkt, dass er schon die Anfänge unterstützt. Wir zeigen aber an, dass durch göttliches Wohlwollen (favore divino), als wir zum Gipfel der Königsherrschaft (regnum) gelangten, uns alles so glückhaft (felicia), so friedlich (tranquilla) vonstatten ging, dass man hätte glauben können, einer spreche aus, was die Allgemeinheit (generalitas) laut von sich gab, und man es nicht für Menschenwerk (humanum) hielt, dass so viele Wünsche gewaltiger Völker (populi) nichts Gegensätzliches zu enthalten befunden wurden. (3) Daher ziemt es sich, dass ihr Vorgenanntes nachahmt, sodass die Goten den Römern einen Eid (iusiurandum) leisten und die Römer den Goten durch einen Schwur (sacramentum) bestätigen, dass sie unserer Königsherrschaft einträchtig (unanimiter) ergeben (devoti) sein werden, damit auch uns eure Lauterkeit (sinceritas) auf löbliche Weise bekannt werde und die gegenseitig versprochene Eintracht (concordia) eurer Ruhe (quies vestra) zugute komme. Möge unter euch die gesandte gesetzliche Ruhe und Ordnung (legalis tranquillitas) bestehen: Der Mächtigere (potior) sei dem Schwächeren (minor) nicht feindlich. Habt einen befriedeten Sinn, die ihr keinen auswärtigen Krieg habt, weil ihr uns dann werdet gefallen können, wenn ihr auf diese Weise für euch vorsorgt.“ Nr. 8: Athalarichs Schreiben an den Bischof Victorinus – Cassiodorus, Variae 8, 8 „König Athalarich an den ehrwürdigen Mann (vir venerabilis) und Bischof Victorinus. An Treue und Beständigkeit (fides et constantia) muss man solche Personen erinnern, die aufgrund von menschlichem Begehren durch ein unstetes Los erschüttert werden. Euch aber, welche die Weisheit fest macht und ein religiöser Sinn stärkt, ermutigt man geziemenderweise eher zur Vereinigung (ad adunationes) der Provinzialen (provinciales), denn mit Recht wird derjenige zum Schuldner einer fremden Meinung, der von einer größeren Anzahl an Personen gehört zu werden verdient. Aus diesem Grund grüßen wir euch mit der gebührenden Verehrung (veneratio) und melden, was euch Trauer ansagen kann, mit größtem Schmerz das Hinscheiden unseres Herrn und Großvaters ruhmreichen Angedenkens. (2) Doch kann eure Traurigkeit dadurch gemäßigt werden, dass er uns mit Gottes Gnade auf den Sitz seiner Königsherrschaft (regnum suum) gesetzt hat, auf dass derjenige eurem Begehren nicht ganz und gar entrissen erscheine, der euch durch die Nachfolge (in successione) wiederhergestellt ersteht. Begünstigt nun willig durch heilige Gebete unsere Anfänge, damit der himmlische König uns die menschliche Königsherrschaft (humana regna) bestätige, die auswärtigen Völkerschaften (gentes externae) niederwerfe, die Sünden erlasse und höchst gnädig befestige und bewahborgen“ bedeutet, bei Cassiodor die Bedeutung „jemandem leihen“ oder „in Erwartung einer Gegenleistung geben“ hat.

Von Theoderich zu Athalarich: das gotische Königtum in Italien

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re, was er unseren glorreichen Verwandten/Vorfahren (parentes nostri) zu gewähren geruht hat. (3) Aus diesem Grund möge eure Heiligkeit alle Provinzialen ermahnen, dass sie untereinander Eintracht (concordia) bewahren und gegenüber unserer Königsherrschaft (regnum nostrum) in jeder Hinsicht völlig rechtschaffen sein müssen. Denn wir begehren, in den Untertanen (subiecti) Treue (fides) zu finden, die wir mit großzügigem Pflichtbewusstsein (pietas) belohnen können.“ D. Was bedeutet sacramenta suscepimus bei Cassiodorus, Variae 8, 4, 2? Theodor Mommsen, Åke Fridh und die Herausgeber des italienischen Kommentars interpungieren die Stelle folgendermaßen: (Es spricht Athalarich) glorioso domno avo nostro feliciter ordinante, tam Gothorum quam Romanorum praesentium pro munimine, indepti regni sacramenta suscepimus. Offenbar verstanden die Gelehrten den Passus so, als habe der König sich selbst eidlich verpflichtet, die anwesenden Goten und Römer zu schützen. Der Junktur suscipere sacramentum wird dabei – analog zu votum suscipere – die Bedeutung „einen Eid leisten“ zugeschrieben. Das kann aber aus folgenden Gründen nicht richtig sein: a) Die Parallelen zeigen, dass zuerst die anwesenden Goten und Römer dem König die Treue schworen: Cassiodorus, Variae 8, 2, 7; 8, 3, 3; 8, 5, 1 f.; 8, 6, 2 f.; 8, 7, 2 f. b) In Cassiodorus, Variae 8, 4, 2 fährt der König fort: quod vos quoque facturos esse libentissime iudicamus, ut, qui fideles parentibus nostris extitistis, nobis quoque simili devotione pareatis. Demnach sollten die Adressaten sich ebenso wie die in Ravenna anwesenden Goten und Römer zur Treue gegenüber Atha­ larich verpflichten. Der Eid des Königs wird erst in § 3 erwähnt: sed ut vobis benivolentiae nostrae iam nunc integritas innotescat, iuris iurandi vobis fecimus reli­gione promitti, quod et nostrum possit declarare propositum et spem debeat muni­re cunctorum. c) Was indepti regni sacramenta bedeuten soll, ist unerfindlich. Dagegen ist die Junktur pro munimine indepti regni ohne Weiteres verständlich. d) Suscipere ist bei Cassiodor gewöhnlich ein Synonym für accipere.196 Das Komma ist folglich zu streichen. Die Stelle ist dann so zu übersetzen: Und deswegen […] haben wir auf glückliche Anordnung unseres ruhmreichen Herrn Großvaters zum Schutz der erlangten Königsherrschaft die Eide der anwesenden Goten und Römer empfangen.

196  Vgl.

die Stellen in Ludwig Traubes Index bei Mommsen (Hg.): Cassiodori Senatoris Variae (wie Anm. 189).

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Abstract This chapter studies the succession from Theoderic to Athalaric as a test case for the nature of monarchic rule in Gothic Italy. Athalaric’s succession was problematic not only because the matter stood unsettled when the old King died. Theoderic had no son, but he had several male relatives who might have felt entitled to succeed to the throne. Most importantly, Athalaric was still a child when he became King and he thus remained unfit to rule himself for a long time to come. This history can be studied in unusual depth. Among the Variae of Cassiodorus, after all, no less than eight letters survive that were written and sent in the name of the new King in order to communicate his accession. These letters adressed people whose support was considered essential for the new regime: the emperor, the senate and the people of Rome, the Romans in Italy and Dalmatia, the Goths in Italy, the provincials of the Gallic prefecture and its prefect, and the bishops of Italy. A close reading of these texts reveals that the arguments used to win support for Athalaric were carefully chosen to cater to the expectations of their addressees. No single, uniform discourse of legitimacy prevailed. The chapter investigates, moreover, the power struggle that led to Athalaric’s appointment as King. I identify the people actively involved in the court negotiations, and examine the motives that different groups might have had to accept a decision made without their consultation. Finally, I argue that both the actual transfer of kingship from Theoderic to Athalaric, as well as the communication of this succession to the subject, suggest that the rule of Gothic kings in Italy never became fully institutionalized.

Timo Stickler Römische Identität(en) im gotischen Italien In diesen Band zu Theoderich dem Großen und dem gotischen Königreich hat der Herausgeber zwei Beiträge aufgenommen, die der römischen und der gotischen Identität im italischen Ostgotenreich gewidmet sein sollen – gegebenenfalls gar einer Mehrzahl von ihnen. Ihnen beiden kommt insofern Bedeutung zu, als sie einmal mehr an das zentrale Problem der Machtbildung Theoderichs rühren: Was war das Ostgotenreich eigentlich für ein Gebilde, was vermochte ihm Stabilität zu verleihen oder diese zu gefährden?1 Standen in ihm der gotische und der römische Teil „unvermischt, unverwandelt, ungeteilt, ungetrennt erkennbar“ nebeneinander, um – etwas provokant, zugegebenermaßen – eine Formulierung aus der zeitgenössischen Zweinaturenlehre zu bemühen?2 In der Theologie des 5. und 6. Jahrhunderts hatte dieser Ansatz, das Wesen Jesu zu begreifen, so prägnant er auch auf den ersten Blick erschien, in einem solch hohen Maße Unfrieden gestiftet, dass die Implementierung der Konzilsbeschlüsse von Chalcedon in weiten Teilen des Byzantinischen Reiches auf lange Sicht misslang. Sie scheiterte letztendlich an den tatsächlichen oder vermeintlichen inneren Widersprüchen, die die dyophysitische (ebenso wie die ihr entgegenstehende miaphysitische) Denktradition aufwies.3 Ein 1 

Aus diesem Grund ist das römisch-gotische Verhältnis im Theoderichreich immer wieder in den Mittelpunkt der Forschung gerückt; siehe exemplarisch und mit jeweils unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen Beat Meyer-Flügel: Das Bild der ostgotisch-römischen Gesellschaft bei Cassiodor. Leben und Ethik von Römern und Germanen in Italien nach dem Ende des Weströmischen Reiches. Bern u. a. 1992; Verena Epp: Goten und Römer unter Theoderich dem Großen. In: Mathias Beer u. a. (Hg.): Migration und Integration. Aufnahme und Eingliederung im historischen Wandel. Stuttgart 1997, S. 55–73; Christoph Schäfer: Probleme einer multikulturellen Gesellschaft. Zur Integrationspolitik im Ostgotenreich. In: Klio 83 (2001), S. 182–197; Samuel J. Barnish: Cuncta Italiae membra componere: Political Relations in Ostrogothic Italy. In: ders./Federico Marazzi (Hg.): The Ostrogoths from the Migration Period to the Sixth Century. An Ethnographic Perspective. Woodbridge 2007, S. 317–337 (mit anschließender Diskussion, S. 337–352). 2  ACO II 1, 2, S. 129  f. (ἀσυγχύτως ἀτρέπτως ἀδιαιρέτως ἀχωρίστως γνωριζόμενον). Die Übersetzung nach Alois Grillmeier: Jesus der Christus im Glauben der Kirche. Bd. 1: Von der Apostolischen Zeit bis zum Konzil von Chalcedon (451). Mit einem Nachtrag aktualisierte Sonderausgabe der 3. Auflage von 1990. Freiburg i. Br. u. a. 2004, S. 754 f. 3  Siehe hierzu ausführlich Alois Grillmeier: Jesus der Christus im Glauben der Kirche. Bd. 2/1: Das Konzil von Chalcedon (451) – Rezeption und Widerspruch (451–518). Mit einem Nachtrag aktualisierte Sonderausgabe der 2. Auflage von 1991. Freiburg i. Br. u. a. 2004, S. 107 ff.; Luce Pietri (Hg.): Die Geschichte des Christentums. Religion – Politik – Kultur. Altertum 3: Der lateinische Westen und der byzantinische Osten (431–642). Freiburg i. Br. u. a. 2005, S. 120 ff., S. 158 ff. https://doi.org/10.1515/9783110686692-011

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ähnliches Problem scheint mir bei der Verwendung der Begriffe „römische Identität“ und „gotische Identität“, ja „ethnische Identität“ überhaupt, im Hinblick auf die Herrschaft Theoderichs des Großen greifbar zu sein. Auf den ersten Blick stimmig und handhabbar, verunklaren sie doch tatsächlich das Bild, das sie erhellen sollen. Sie scheinen eine Realität zu beschreiben, die uns vertraut ist und die wir deshalb gern als Verständnisrahmen zu akzeptieren bereit sind; wendet man aber die Begriffe erst einmal an, zeigt sich, dass durch sie offenbar nicht das Entscheidende für ein Verständnis des Theoderichreiches gewonnen ist. Es bleibt immer das Empfinden des Ungenügens, des Widerständigen zurück.4 Versuche jedoch, die Kategorie des Ethnischen insofern zu bannen, als man in ihr lediglich eine Bezeichnung für bestimmte Funktionsträger im gotischen Italien sah, sind nicht unwidersprochen geblieben.5 Um dennoch etwas über römische Identität(en) im gotischen Italien aussagen zu können, ist es sinnvoll, eine Verengung in zweifacher Hinsicht vorzunehmen. Zum einen mache ich die Erfahrung des Endes zu meinem Ausgangspunkt, indem ich das Verhalten der Senatsaristokratie in Rom und Italien während der Gotenkriege zwischen 535 und 552 n. Chr. in den Fokus rücke. Ausschlaggebend dafür war die Vermutung, dass sich in Zeiten der militärischen Eskalation die Frage nach der Identität für die Senatoren neu und nachdrücklich gestellt haben mag. Zum anderen erfolgt eine Konzentration eben auf die spätrömische Senatsaristokratie, wobei der Fokus auf die vergleichsweise gutbezeugten senatorischen viri illustres gerichtet ist, die aufgrund ihres Reichtums, ihres Prestiges und der von ihnen ausgeübten Ämter den höchsten Rang im ordo senatorius zur Zeit der Gotenherrschaft innehatten.6 Dabei bin ich mir bewusst, dass die Eingrenzung auf 4  Als Beispiel für die begrifflichen Rochaden, zu denen sich die Forschung genötigt sieht, mag die Einordnung des Theoderichmausoleums durch Schäfer: Probleme (wie Anm. 1), S. 186, dienen: „[…] so wird man auch im Hinblick auf das Mausoleum des Theoderich nicht von einem unverbundenen Nebeneinander römischer und germanischer Elemente ausgehen können, vielmehr muss man auch hier das Verbindende und nicht das Trennende sehen“. Auch Jörg Spiel­ vogel, der sich der Problematik des Theoderichreiches über den Akkulturationsbegriff annähert, kommt an der Problematik der Ethnizität nicht vorbei; vgl. ders.: Die historischen Hintergründe der gescheiterten Akkulturation im italischen Ostgotenreich (493–553 n. Chr.). In: HZ 274 (2002), S. 1–24, hier zum Beispiel: S. 18, wo er von einem „biethnischen“ Gemeinwesen spricht, das Theoderich regiert habe. 5  In diesem Sinne Patrick Amory: People and Identity in Ostrogothic Italy, 489–554. Cambridge u. a. 2003, etwa S. 43; siehe dazu allerdings die kritische Rezension von Jörg Jarnut, in: HZ 270 (2000), S. 734 f. Ebenso problematisch ist im Übrigen das Vorgehen Jonathan J. Arnolds, der einen ethnischen Gegensatz zwischen Goten und Römern schlichtweg verneint; vgl. ders.: Theoderic and the Roman Imperial Restoration. New York 2014, S. 174: „Goths were Romans, and Theoderic and his family the most Roman of them all.“ Vgl. auch die programmatische Überschrift über dem dritten Teil des Buches, ebd., S. 117: „Italo-Romans and Roman Goths“. 6  Nur die viri illustres verfügten seit der Zeit Valentinians III. gemäß Digesten 1, 9, 12, 1 im Senat noch über das ius sententiam dicendi. Siehe hierzu Adolfo La Rocca/Fabrizio Oppedisano: Il senato romano nell’Italia ostrogota. Rom 2016, S. 19, S. 34 ff., die überhaupt die rechtlichen Bestimmungen, nach denen sich der spätrömische Senatorenstand zusammensetzte, differenziert beschreiben. Vgl. hierzu auch den Beitrag von Peter Eich in diesem Band. Zur Geschichte der

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diese kleine Gruppe der Vielfalt selbst des ordo senatorius in spätrömischer Zeit nicht gerecht wird. Doch nur bei den senatorischen viri illustres besteht aufgrund ihres Bildungsgrades und ihres in der Tradition verhafteten Selbstverständnisses überhaupt so etwas wie eine Möglichkeit, sie zu ihrer Identität respektive ihrer römischen Identität zu befragen und auf der Basis der vorhandenen Quellen darüber Auskunft zu geben.7 Ich werde dabei in drei Schritten vorgehen: Zunächst erfolgen einige Überlegungen zum (ethnischen) Identitätsbegriff in der jüngeren kulturwissenschaftlichen Forschung. Dabei stellt sich auch die Frage nach deren Anwendbarkeit auf die Verhältnisse im spätantiken Ostgotenreich. In einem zweiten Schritt wird die Rolle der spätrömischen Senatsaristokratie während der ­Gotenkriege untersucht. Dabei kann uns der leidlich gut bezeugte Lebensweg des princeps senatus Fl. Rufius Petronius Nicomachus Cethegus als instruktives Fallbeispiel dienen. Schließlich erfolgt die Verbindung der Ergebnisse in einem dritten, zusammenfassenden Schritt und ihre Auswertung hinsichtlich folgender Leitfragen: Was machte die Identität der spätrömischen Senatsaristokratie im gotischen Italien aus, und zwar vor, während und nach dem Krieg? Welche Gesichtspunkte ihrer Identität wurden im Zuge der Ereignisse ab etwa 535 n. Chr. aktiviert, welche büßten an Bedeutung ein?

römischen und italischen Senatsaristokratie speziell seit dem 5. Jahrhundert siehe unter anderen André Chastagnol: Le sénat romain sous le règne d’Odoacre. Recherches sur l’épigraphie du ­Colisée au Ve siècle. Bonn 1966 (dazu allerdings nun Silvia Orlandi: Epigrafia anfiteatrale dell’Occidente Romano VI. Roma. Anfiteatri e strutture annesse con una nuova edizione e commento delle iscrizioni del Colosseo. Rom 2004); Samuel J. Barnish: Transformation and Survival in the Western Senatorial Aristocracy, c. A.D. 400–700. In: Papers of the British School at Rome 56 (1988), S. 120–155; Giovanni Alberto Cecconi: Governo imperiale e élites dirigenti nell’Italia tardoantica. Problemi di storia politico-amministrativa (270–476 d.C.). Como 1994, S. 109 ff.; Beat Näf: Senatorisches Standesbewußtsein in spätrömischer Zeit. Freiburg i. Ü. 1995; Dirk Henning: Periclitans res publica. Kaisertum und Eliten in der Krise des Weströmischen Reiches 454/5–493 n. Chr. Stuttgart 1999, S. 271 ff.; Timo Stickler: Aëtius. Gestaltungsspielräume eines Heermeisters im ausgehenden Weströmischen Reich. München 2002, S. 273 ff.; André Chastagnol: Le sénat romain à l’époque impériale. Paris 22004, S. 345 ff.; Friedrich Anders: Flavius Ricimer. Macht und Ohnmacht des weströmischen Heermeisters in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts. Frankfurt a. M. u. a. 2010, 282 ff.; Alan Cameron: Anician Myths. In: JRS 102 (2012), S. 133–171; grundlegend immer noch Johannes Sundwall: Weströmische Studien. Berlin 1915, S. 150 ff.; ders.: Abhandlungen zur Geschichte des ausgehenden Römertums. Helsingfors 1919, S. 178 ff.; bereits mit Bezug auf die Goten Christoph Schäfer: Der weströmische Senat als Träger antiker Kontinuität unter den Ostgotenkönigen (490–540 n. Chr.). St. Katharinen 1991, bes. S. 141 ff.; Paul S. Barnwell: Emperor, Prefects & Kings. The Roman West, 395–565. London 1992, S. 155 ff.; Meyer-Flügel: Bild (wie Anm. 1), bes. S. 319 ff.; John Moorhead: Theoderic in Italy. Oxford u. a. 1992, bes. S. 144 ff. et passim; zusammenfassend Christine Radtki: The Senate at Rome in Ostrogothic Italy. In: Jonathan J. Arnold/M. Shane Bjornlie/Kristina Sessa (Hg.): A Companion to Ostrogothic Italy. Leiden/ Boston 2016, S. 121–146. 7  Diese Eingrenzung ist angesichts der personellen Ausweitung des ordo senatorius seit den Reformen zu Beginn des 4. Jahrhunderts n. Chr. notwendig und sinnvoll. Vgl. in diesem Sinne den aktuellen Überblick von Radtki: Senate (wie Anm. 6), S. 122. Bereits Schäfer, auf dessen Ergebnissen der Beitrag von Radtki in vielerlei Hinsicht ruht, legt diese Eingrenzung seinem Buch über den spätrömischen Senat zugrunde; vgl. ders.: Senat (wie Anm. 6), S. 1 ff.

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Überlegungen zum (ethnischen) Identitätsbegriff in der jüngeren ­historischen und kulturwissenschaftlichen Forschung Unsere Fragestellung stellt die „römische(n) Identität(en)“ implizit etwaigen „go­ ti­schen Identitäten“ im Theoderichreich gegenüber. Es geht also zunächst einmal um ethnische Identität als solche. Karl-Heinz Kohl hat in seinem instruktiven Aufsatz über „Ethnizität und Tradition aus ethnologischer Sicht“ das Ethnos folgendermaßen definiert: Es handele sich um „eine Menschengruppe mit gleicher Kultur, gleicher Sprache, Glauben an die gleiche Abstammung [= die sogenannte primordiale Bindung] und ausgeprägtem ‚Wir-Bewusstsein‘.“8 Im Einklang damit arbeitete dessen norwegischer Kollege Fredrik Barth in seinen einschlägigen Beiträgen zum Ethnos den Begriff der „ethnischen Grenze“ heraus.9 Die Selbstdefinition einer ethnischen Gruppe erfolge immer in Abgrenzung von anderen ethnischen Gruppen. Die Herausprägung des ethnischen „Wir-Bewusstseins“ sei also abhängig von der Interaktion mit anderen ethnischen Gruppen, sei auf diese geradezu angewiesen. Deren Ausgestaltung wiederum hänge von spezifischen Interessen- und Konfliktlagen ab. Mit dem eingangs zitierten Kohl kann man das zugrundeliegende Wechselverhältnis folgendermaßen prägnant beschreiben: „Ethnische Grenzen konstituieren sich mithin in einem Prozess wechselseitiger Fremd- und Selbstzuschreibungen.“10 Aus all diesen Definitionsversuchen ergibt sich vor allem eines, das es festzuhalten gilt: der fließende, da relationale und situative Charakter der ethnischen Identität. Je nachdem kann sie deutlicher oder weniger deutlich artikuliert werden, kann sie eine politisch ausschlaggebende oder diesbezüglich ganz und gar nebensächliche Rolle spielen. Auf aktuelle Herausforderungen vermag sie durch die Revitalisierung alter oder die Neustiftung von nur vermeintlich alten Traditionen zu reagieren. Durch sie können neu hinzutretende Gruppen aktiv eingebunden oder aber ausgeschlossen werden. Gerade der zuletzt genannte Aspekt lässt erkennen, dass der „ethnische Appell“11 dazu in der Lage ist, eine beachtliche historische Wirksamkeit zu entfalten, gerade weil er emotional an vermeintliche primordiale Bindungen und angestammte Loyalitäten appelliert. Die Frage ist nun, in welcher Beziehung die ethnische Identität einer Gruppe und die ethnische Identität der Individuen einer solchen Gruppe stehen. Was bedeutet die Zugehörigkeit zu einem Ethnos für das Individuum? Kohl hatte von Gemeinsamkeiten der Kultur, der Sprache, der Abstammung gesprochen und die Existenz eines starken „Wir-Bewusstseins“ vorausgesetzt. Doch wie kommen diese  8 

Karl-Heinz Kohl: Ethnizität und Tradition aus ethnologischer Sicht. In: Aleida Assmann/Heidrun Friese (Hg.): Identitäten. Erinnerung, Geschichte, Identität 3. Frankfurt a. M. 21999, S. 269– 287, hier: S. 270.  9  Siehe Fredrik Barth: Introduction. In: ders. (Hg.): Ethnic Groups and Boundaries. The Social Organization of Culture Difference. Bergen/Oslo 31994, S. 9–38, hier: S. 15 f. („ethnic boundary“). 10  Kohl: Ethnizität (wie Anm. 8), S. 272. 11  Ebd., S. 286.

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Gemeinsamkeiten zustande, und wie und wann werden sie gleichsam aktualisiert und somit (historisch) wirkungsmächtig? Die Heranziehung des Kulturbegriffs von Klaus P. Hansen eröffnet eine Möglichkeit, eine Antwort auf diese Frage zu geben, die uns, auch im Hinblick auf die römische Senatsaristokratie im Theoderichreich, weiterführt.12 Hansen definiert „Kultur“ wie folgt: „Unter Kultur verstehen wir Standardisierungen, die in einem Kollektiv gelten.“13 Nun ist die ethnische Identität nur eine mögliche Form einer solchen Kollektivbildung; man kann in diesem Zusammenhang folgerichtig von einem „ethnischen Kollektiv“ sprechen, dem das Individuum angehört. Wie alle Kollektive, so stärken auch die ethnischen Kollektive den ­Zusammenhalt ihrer Angehörigen. Diese Funktion kann aber auch von anderen Kollektiven erfüllt werden. Hansen weist mit Recht darauf hin, dass Individuen nie nur Mitglieder eines einzigen Kollektivs sind; vielmehr gehören sie unterschiedlichen an. Sie weisen additive, oft zueinander komplementäre Zugehörigkeiten auf. Entsprechend kann Hansen die Multikollektivität von Individuen postulieren. Er spricht in diesem Zusammenhang auch von Multirationalität, insofern nämlich, als sich die verschiedenen Kollektive, denen Individuen angehören, durch den Kontakt mit unterschiedlichen Bezugsgruppen erst ausprägen. Ebenso wie der Begriff „Ethnos“ weist somit auch der Begriff „Multikollektivität“ einen fließenden, relationalen, situativen Charakter auf. Wenden wir nun unsere Erkenntnisse zur ethnischen Identität im Allgemeinen und zur Multikollektivität von Individuen auf unseren konkreten Fall an, so könnte das folgendermaßen geschehen: Die Angehörigen der Senatsaristokratie im gotischen Italien lassen sich sehr wohl unter einem ethnischen Kollektiv mit der Bezeichnung „Römer“ subsumieren. Zugleich vermochten sie jedoch auch zahlreichen anderen Kollektiven anzugehören, so etwa dem Kollektiv „Italiker“, „Stadtrömer“, „römische Bürger“, „Katholiken“, „Senatoren“, „Lateinischsprachige“, „(potenzielle) Amtsträger bei Hofe“, „homines novi“ etc. Angesichts des relationalen Charakters sowohl des Begriffes „ethnische Identität“ als auch des Begriffes „Multikollektivität“ ist von vornherein zu erwarten, dass die Frage, welche seiner Kollektivitätszugehörigkeiten von einem spätrömischen Senator in den Vordergrund gerückt wurde, je nach Situation unterschiedlich beantwortet werden konnte, mithin, dass die ethnische Zugehörigkeit nur eine denkbare und nicht einmal notwendig die wichtigste Rolle für die (Selbst-)Beschreibung seiner Iden­ tität spielen musste. Wir werden im Folgenden sehen, dass diese Erwartung der Konfrontation mit den Quellen standhalten wird. Das Theoderichreich in Italien war ein historischer Raum, in dem alle genannten Elemente senatorischer Identität ihren Platz hatten und je nach Situation artikuliert werden konnten. Im Einzelnen waren sogar Überschneidungen mit der Identität von Angehörigen der gotischen Führungsschicht möglich, etwa hinsichtlich der Zugehörigkeit zu Kollektiven wie „Italiker“, „Lateinischsprachige“, „rö12  13 

Siehe im Folgenden Klaus P. Hansen: Kultur, Kollektiv, Nation. Passau 2009, S. 20 ff. Ebd., S. 7.

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mische Bürger“, „Amtsträger bei Hofe“, „Senatoren“ und „viri illustres“.14 Auch im Falle der „gotischen Identität“ müssen wir, nebenbei bemerkt, davon ausgehen, dass die Zugehörigkeit zum ethnischen Kollektiv „(Ost-)Goten“ nur eine neben anderen, situativ abrufbaren Zugehörigkeiten darstellte. Diesen Aspekt weiterzuverfolgen ist hier freilich nicht der Platz.

Die Rolle der römischen Senatsaristokratie während der Gotenkriege Wenn die „ethnische Identität“ nur eine von verschiedenen möglichen Kollek­ tiven darstellt, denen ein spätrömischer Senator angehören konnte, und wenn der ganze Komplex, der mit Begriffen wie „Identität“, „Multikollektivität“ und dergleichen zusammenhängt, sich vor allem dadurch auszeichnet, dass er situationsbezogen, in eine Vielzahl von Relationen eingebettet und folglich per se von Fluktuation geprägt ist, dann muss das gerade in einem Krieg, wie er ab 535 n. Chr. Italien heimsuchte, spürbare Auswirkungen gehabt haben. Blicken wir also auf das Verhalten der spätrömischen Senatorenschicht in der Zeit der Gotenkriege nach dem Tode Theoderichs des Großen. Welchen Kollektiven anzugehören wurde in diesen Jahren betont, und können wir beobachten, dass die Zugehörigkeit zum ethnischen Kollektiv „Römer“ damals in besonderer Weise aktualisiert wurde? Nach der Ermordung der Amalasvintha am 30. April 535 durch ihren Co-Regenten Theodahad mündeten die Spannungen zwischen dem Ostgotenreich und Kaiser Justinian im Sommer des Jahres in einen offenen Krieg.15 In kurzer Zeit gelang es dem byzantinischen Feldherrn Belisar, von Nordafrika aus nach Sizilien überzusetzen und die Insel zu erobern; am letzten Tag des Jahres 535 zog er siegreich in Palermo ein.16 Im folgenden Jahr 536 setzte sich das Kriegsglück der ­Byzantiner zunächst fort. Der reibungslose Übergang nach Unteritalien und das rasche Vorrücken nach Norden ließen einen kurzen Feldzug wie zuvor im Falle 14  Beispiele für gotische Senatoren und viri illustres bei Meyer-Flügel: Bild (wie Anm. 1), S. 143  f. Einzigartig ist der Fall des Tuluin, der Cassiodorus, Variae 8, 10 f. zufolge von König Athalarich mit dem Titel patricius praesentalis ausgezeichnet und in den Senat aufgenommen worden ist; er vereinigte seither als Gote beide Würden, die eines vir illustris und die eines Mitglieds des römischen Senats, in seiner Person. Zu Tuluin siehe auch PLRE II Tuluin; Amory: People (wie Anm. 5), S. 425 f. 15  Zum ereignisgeschichtlichen Verlauf der Gotenkriege, insbesondere in ihrer ersten Phase, siehe Sundwall: Abhandlungen (wie Anm. 6), S. 282 ff.; Ernest Stein: Histoire du Bas-Empire. Bd. 2: De la disparition de l’empire d’occident à la mort de Justinien (476–565). Hg. v. Jean-Remy Palanque. Paris u. a. 1949, S. 339 ff., S. 564 ff.; Herwig Wolfram: Die Goten. Von den Anfängen bis zur Mitte des sechsten Jahrhunderts. Entwurf einer historischen Ethnographie. München 31990, S. 338 ff.; Hartmut Leppin: Justinian. Das christliche Experiment. Stuttgart 2011, S. 161 ff., S. 215 ff.; Giorgio Ravegnani: I Bizantini in Italia. Bologna 2004, S. 11 ff.; Hans-Ulrich Wiemer: Die Goten in Italien. Wandlungen und Zerfall einer Gewaltgemeinschaft. In: HZ 296 (2013), S. 593–628, hier: S. 616 ff. 16 Procopius, Bella 5, 6, 17–19.

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des Vandalenreiches erwarten. Die gotische Seite schien wie gelähmt: Bereits unmittelbar nach der Landung nahe Reggio Calabria stellte sich der Schwiegersohn Theodohads, Ebrimud, samt seinem Gefolge Belisar zur Verfügung.17 Im Herbst des Jahres fiel, nun erstmals nach schweren Kämpfen, Neapel, Anfang Dezember bereits Rom. In dieser Situation wurde der glücklose Gotenkönig Theodahad von seinen eigenen Gefolgsleuten abgesetzt und getötet.18 Damit war die amalische Dynastie entmachtet;19 der erfahrene Offizier Vitigis bestieg den Thron und verschaffte sich durch die Heirat mit Theoderichs Enkelin Mathesuentha eine notdürftige Legitimität.20 Um die Jahreswende 536/537 war die Lage der Goten in jeglicher Hinsicht prekär. Umso überraschender ist es, dass es Vitigis in den folgenden Monaten gelang, einen völligen Zusammenbruch des Theoderichreiches zu verhindern, ja, das Heft des Handelns sogar zeitweise wieder an sich zu reißen. Im Februar 537 begann der berühmte „Kampf um Rom“, und auch wenn dieser nach gut einem Jahr mit einem Misserfolg des Vitigis endete, so bewirkte er doch, dass sich alle Hoffnungen auf ein rasches Kriegsende als voreilig erwiesen. Der Gotenkrieg war kein militärischer Spaziergang wie der Krieg gegen die Vandalen wenige Jahre zuvor. Schon während der Belagerung Roms zeigte sich, dass die gesellschaftliche und ökonomische Struktur ganz Italiens durch ihn in Mitleidenschaft gezogen zu werden drohte und dass es sich hierbei um Kollateralschäden handelte, die nicht ohne Weiteres wieder zu beheben waren. Auch als im März 538 der Krieg wieder in Bewegung geriet, dauerte es noch über zwei Jahre, bis Vitigis in Ravenna kapitulierte. Inzwischen waren unter anderem weite Teile der Poebene von gotischen, fränkischen und byzantinischen Truppen verheert, Mailand belagert, erobert und zerstört worden. Das vorläufige Kriegsende im Mai 540 ließ alle Kriegsparteien erschöpft zurück. Nur die fränkischen „Leichenfledderer“, die sich sowohl Goten wie Byzantinern als Bundesgenossen angeboten hatten, konnten noch ein Interesse am Fortgang der Feindseligkeiten haben. Blickt man auf das Verhalten der römischen Senatsaristokratie im gotischen Italien während der ersten Phase des Gotenkrieges, so ist auffallend, dass eine signifikante Zahl ihrer Angehörigen schon sehr bald gemeinsame Sache mit Belisar ­gemacht hatte.21 Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang, dass Vitigis nach dem Rückzug aus Rom Ende 536 zahlreiche Senatoren als Geiseln mit sich genommen hat; nach dem Abfall der Ewigen Stadt ließ er sie aus Rache tatsächlich hinrichten.22 Allerdings sind nicht alle Angehörigen der Senatorenschicht zu den Byzan17 Procopius,

Bella 5, 8, 3; Marcellinus Comes, Chronicon s. a. 536; Jordanes, Getica 308 f. Bella 5, 11, 1–9. 19  Auch Theodahads Gemahlin Gudeliva fiel dem Umsturz zum Opfer. Vom weiteren Schicksal seines Sohnes Theodegisclus nach der Gefangennahme durch Vitigis (Procopius, Bella 5, 11, 10) erfahren wir nichts. Hierzu Massimiliano Vitiello: Theodahad. A Platonic King at the Collapse of Ostrogothic Italy. Toronto/Buffalo/London 2014, S. 156 ff.; vgl. auch ebd., S. 135. 20 Procopius, Bella 5, 12, 2. 21  So das Ergebnis von Schäfer: Senat (wie Anm. 6), S. 263  ff. 22 Procopius, Bella 5, 12, 26 und 5, 26, 1  f. Dazu Schäfer: Senat (wie Anm. 6), S. 283. 18 Procopius,

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tinern übergelaufen. Beispiele hierfür sind der praefectus praetorio per Italiam Cassiodor und sein enger Mitarbeiter Ambrosius, die auch unter Vitigis noch in gotischen Diensten verblieben.23 Christoph Schäfer hat in seiner Studie zum weströmischen Senat in der Gotenzeit überzeugende Argumente dafür zusammengetragen, dass wir mit regionalen Unterschieden im Verhalten der Senatsaristokratie rechnen müssen. Während die stadtrömischen und in der Nähe der Ewigen Stadt begüterten Senatoren oft verhältnismäßig rasch Anschluss an die byzantinische Seite suchten, blieben senatorische Familien in Oberitalien lange Zeit loyal gegenüber dem gotischen Königshof.24 Dass dieser Zusammenhang zwischen dem Vorrücken der Front und dem Grad der Treue zur gotischen Sache tatsächlich gegeben ist, zeigt sich an den Ereignissen rund um die Belagerung Mailands 538/539. Mit dem Vordringen der Byzantiner in die Provinz Liguria et Aemilia stoßen wir auch hier auf senatorische Kollaborateure Belisars, von denen einer, Fidelis, sogleich mit der italischen Prätorianerpräfektur betraut wurde.25 Offensichtlich war es in dieser Phase des Krieges der byzantinischen Regierung ein Anliegen, die Senatorengeschlechter auch Oberitaliens an die Sache des Kaisers zu binden, indem man sie vom Fortschritt der Kriegsoperationen profitieren ließ. Unsere Beispiele zeigen, dass Mitglieder des römischen Senatorenstandes während der ersten Phase des Gotenkrieges von 535 bis 540 noch durchaus unterschiedliche Handlungsoptionen hatten, die sowohl in einer Unterstützung der byzantinischen Invasoren als auch in treuer Pflichterfüllung gegenüber der gotischen Seite resultieren konnten. Je länger der Krieg dauerte, desto mehr verringerten sich diese Handlungsoptionen und mit ihnen die Fähigkeit, überhaupt das ­Geschehen in irgendeiner Weise mitbestimmen zu können. Mit dem Wiederaufflammen des Gotenkrieges 541/542 verschärfte sich dieser Prozess signifikant.26 Ende 541 riss Totila die Herrschaft über die Goten an sich; schon im Verlauf des folgenden Jahres ermöglichten ihm die Siege bei Faenza und Mugello den Durchbruch nach Mittel- und Süditalien. Die rasche Ausdehnung des Kriegsgeschehens auf ganz Italien und die zweimalige Eroberung Roms durch den gotischen König Totila (546 und 550) gefährdeten die ökonomische Grundlage des senatorischen Lebensstils mehr und mehr, je länger der Krieg dauerte; abermals fanden sich 23 

Dazu Schäfer: Senat (wie Anm. 6), S. 270 f.; Meyer-Flügel: Bild (wie Anm. 1), S. 39 ff. diesem Sinne Schäfer: Senat (wie Anm. 6), S. 273 ff.; vgl. auch aus jüngster Zeit M. Shane Bjornlie: Politics and Tradition between Rome, Ravenna and Constantinople. A Study of Cassiodorus and the Variae, 527–554. Cambridge 2013, S. 16 ff. Die Gegensätze innerhalb der Senats­ aristokratie bereits vor den Gotenkriegen betont schon John Moorhead: Boethius and Romans in Ostrogothic Service. In: Historia 27 (1978), S. 604–612. Dennoch streicht er, aufs Ganze gesehen, die probyzantinische Gesinnung Italiens und seiner Eliten während des Gotenkrieges heraus; vgl. ders.: Italian Loyalties during Justinian’s Gothic War. In: Byzantion 53 (1983), S. 575–596, hier: S. 592 ff. 25 Procopius, Bella 5, 20, 20; dazu Schäfer: Senat (wie Anm. 6), S. 271  f. 26  Zur zweiten Phase des Gotenkrieges siehe Stein: Bas-Empire (wie Anm. 15), S. 564  ff.; Wolfram: Goten (wie Anm. 15), S. 352 ff.; Schäfer: Senat (wie Anm. 6), S. 276 ff.; Leppin: Justinian (wie Anm. 15), S. 264 ff.; Ravegnani: Bizantini (wie Anm. 15), S. 24 ff.; Wiemer: Goten (wie Anm. 15), S. 620 ff. 24  In

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zahlreiche Senatoren und ihre Familien als Geiseln der Goten wieder.27 In dieser Situation ist es bezeichnend, dass ab den 540er-Jahren weder bei den Goten noch bei den Byzantinern Mitglieder des ordo senatorius in der ersten Reihe der Akteure vorzufinden sind. Cassiodor (und vermutlich viele andere „Loyalisten“) waren spätestens mit der Kapitulation des Vitigis und der Auflösung des Ravennater Hofes aus ihren Funktionen geschieden.28 Auf byzantinischer Seite erfahren wir die Namen prominenter Senatoren, die sich in diesen Jahren offen auf die Seite des Kaisers Justinian stellten (zum Beispiel Fl. Rufius Petronius Nicomachus Cethegus, Fl. Anicius Faustus Albinus Basilius, Fl. Maximus).29 Aber ihre Stellung war nicht gesichert, und immer öfter mussten sie sich als reine Bittsteller an die byzantinischen Verantwortlichen wenden;30 eine Reihe von ihnen hat das Kriegsende denn auch in Konstantinopel erlebt. Bezeichnenderweise ist nach dem Tode des Prätorianerpräfekten Reparatus bei der Eroberung Mailands im März 539 kein italischer Senator mehr in dieses Amt eingesetzt worden, sondern mit Athanasius erstmals ein byzantinischer Funktionär.31 Wir wissen nicht genug über die aktuellen Hintergründe dieser Personalentscheidung, aber es bleibt das Faktum, dass auch nach dem Ausscheiden des Athanasius 542 weiterhin Byzantiner die italische Prätorianerpräfektur bekleideten. Justinian hielt also an dem einmal eingeschlagenen Kurs fest. Der Kaiser war offenbar ab etwa 540 von Jahr zu Jahr weniger auf die Mitarbeit der in Rom und Italien beheimateten Senatsaristokratie angewiesen.32 Die zweite Phase des Gotenkrieges von 541 bis 552 hat das spätantike Italien nachhaltig zugrunde gerichtet.33 Es existieren mehr und mehr archäologische Befunde, die das Bild, das Prokop von den Ereignissen zeichnet, bestäti27 Procopius,

Bella 7, 22, 19 und 8, 34, 1–8. Dazu Schäfer: Senat (wie Anm. 6), S. 277 f. Das genaue Datum des Ausscheidens Cassiodors aus dem königlichen Dienst ist nicht überliefert. PCBE II (Italie) Cassiodorus 2 tritt für September 537 ein, aber auch ein späterer Zeitpunkt bis hin zur Kapitulation Ravennas im Mai 540 ist möglich; dazu Schäfer: Senat (wie Anm. 6), S. 48, S. 270 f.; Christina Kakridi: Cassiodors Variae. Literatur und Politik im ostgotischen Italien. München u. a. 2005, S. 199; Bjornlie: Politics (wie Anm. 24), S. 11 ff. 29  Es handelt sich nur um eine Auswahl. Zu Cethegus exemplarisch Procopius, Bella 7, 35, 10; weitere Quellen in PLRE II Cethegus und PCBE II (Italie) Cethegus 1. Zu Basilius Procopius, Bella 7, 20, 18 und Marcellinus Comes, Chronicon addit. ad. a. 547, 5; bereits im Jahr 541 war ihm von Kaiser Justinian das Konsulat verliehen worden (die Quellen hierfür bei Roger S. Bagnall u. a.: Consuls of the Later Roman Empire. Atlanta 1987, S. 542 f.). Zu Maximus Procopius, Bella 7, 20, 19 und 8, 34, 6; er fiel bei der Eroberung Roms im Jahr 546 Totila in die Hände und befand sich seither in Geiselhaft. 30  Besonders deutlich ist das erkennbar in Liber pontificalis 61, 7: Tunc quidam de senatoribus fugientes, Citheus, Albinus et Basilius, patricii et consules, ingressi sunt Constantinopolim et praesentati ante imperatorem adflicti et desolati. Tunc consolatus est eos imperator et ditavit eos, sicut digni erant consules Romani. Zu dieser Stelle siehe auch unten, Anm. 66. 31 Procopius, Bella 6, 22, 24; dazu PLRE III Athanasius 1. 32  In diesem Sinne auch Schäfer: Senat (wie Anm. 6), S. 284. 33  Darstellung der Ereignisgeschichte bei Sundwall: Abhandlungen (wie Anm. 6), S. 302  ff.; Wolfram: Goten (wie Anm. 15), S. 353 ff.; Schäfer: Senat (wie Anm. 6), S. 276 ff. Vgl. auch die prägnante Zusammenfassung der justinianischen Eroberungskriege im Westen bei Peter Eich: Gregor der Große. Bischof von Rom zwischen Antike und Mittelalter. Paderborn 2016, S. 45 ff. 28 

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gen.34 Das entschlossene und dynamische Vorgehen Totilas ab 541 bewirkte, dass große Teile Italiens unter die Botmäßigkeit der Goten zurückkehrten, eine gänzliche Vertreibung der Byzantiner gelang ihm jedoch nicht. Ravenna blieb im Besitz des Kaisers; Rom fiel zwar an Totila zurück, war aber angesichts der Zerstörungen um 550 nur noch ein Schatten seiner selbst.35 In dem Moment, in dem Justinian die Hände durch einen Frieden mit den Persern wieder freibekam, musste mit einer Inten­sivierung der Kriegsführung in Italien gerechnet werden. So ist es denn auch g­ ekommen; die Niederlage Totilas bei Gualdo Tadino im Sommer 552 und die Zerschlagung des Ostgotenreiches in den darauffolgenden Monaten stellte für diejenigen, die die militärischen Kräfte der Kriegsteilnehmer einzuschätzen wussten, keine Überraschung dar.36 Für die römische Senatsaristokratie jedoch kam der Sieg Justinians zu spät. Ihre Häuser und Ländereien waren in den Jahren des Krieges zerstört, ihre ländlichen Gefolgschaften zerstreut worden.37 Viele senatorische Familien waren noch kurz vor Kriegsende gotischen Racheakten zum Opfer gefallen.38 Nach dem offiziellen Ende der Gotenkriege hat Kaiser Justinian am 13. August 554 eine pragmatica sanctio erlassen, die die Verhältnisse des nun byzantinischen Italien neu ordnete.39 34 Vgl.

in unserem Zusammenhang den Beitrag von Neil Christie in diesem Band. In diesem Sinne bereits ders.: From Constantine to Charlemagne. An Archaeology of Italy AD 300–800. Aldershot u. a. 2006, S. 458 ff. Zur Problematik der archäologischen Befunde siehe auch Maria Kouroumali: The Justinianic Reconquest of Italy: Imperial Campaigns and Local Responses. In: Alexander Sarantis/Neil Christie (Hg.): War and Warfare in Late Antiquity. Current Perspectives. Leiden/Boston 2013, S. 969–999, hier: S. 974 ff. 35  Siehe die Beschreibung der Zustände in Rom bei der Eroberung durch Totila 546 n. Chr. bei Procopius, Bella 7, 20, 14–31; vgl. auch ebd., 7, 22, 19, wo es von Totila heißt: ἐν Ῥώμῃ ἄνθρωπον οὐδένα ἐάσας, ἀλλ᾽ ἔρημον αὐτὴν τὸ παράπαν ἀπολιπών. Zur Transformation der städtischen Struktur Roms im Verlaufe des 5./6. Jahrhunderts siehe Federico Marazzi: The Last Rome: From the End of the Fifth to the End of the Sixth Century. In: Barnish/Marazzi (Hg.): Ostrogoths (wie Anm. 1), S. 279–302 (mit anschließender Diskussion, S. 303–316). 36 Siehe Wolfram: Goten (wie Anm. 15), S. 357  ff. Vgl. auch Leppin: Justinian (wie Anm. 15), S. 271, anlässlich der Kriegsrüstungen um 550: „Endlich war der Gotenkrieg militärisch und psychologisch so wohl vorbereitet, dass er einfach gelingen musste.“ 37  Bezeichnend sind die Ereignisse, von denen Procopius im Zusammenhang mit dem Aufstand des Grundbesitzers Tullianus in Unteritalien berichtet; siehe Procopius, Bella 7, 22, 1–5 und 20 f. Sozialrevolutionäre Bestrebungen Totilas müssen in diesem Zusammenhang nicht bemüht werden; so richtig John Moorhead: Totila the Revolutionary. In: Historia 49 (2000), S. 382–386, hier: bes. S. 384; Oliver Schipp: Der weströmische Kolonat von Konstantin bis zu den Karolingern (332 bis 861). Hamburg 2009, S. 386 mit Anm. 564, gegen die ältere Ansicht von Stein: Bas-Empire (wie Anm. 15), S. 569 ff. 38 Procopius, Bella 8, 34, 5–8. 39  Iustiniani imp. pragmatica sanctio (MGH LL 5, S. 171–175). Zu dieser speziellen Form von Gesetzgebung siehe Denis Feissel: Un rescrit de Justinien découvert à Didymes (1er avril 533). In: Chiron 34 (2004), S. 307 ff. Zur byzantinischen Verwaltung Italiens nach dem Ende des Gotenkrieges siehe immer noch Ludo Moritz Hartmann: Untersuchungen zur Geschichte der byzantinischen Verwaltung in Italien (540–750). Leipzig 1889; Stein: Bas-Empire (wie Anm. 15), S. 612 ff.; vor allem aber Truesdell S. Brown: Gentlemen and Officers. Imperial Administration and Aristocratic Power in Byzantine Italy A.D. 554–800. London 1984; zusammenfassend Leppin: Justinian (wie Anm. 15), S. 323 f.; Eich: Gregor der Große (wie Anm. 33), S. 48 ff.

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In dieses Gesetz sind Bestimmungen aufgenommen worden, die zeigen, dass ihm an einer zumindest teilweisen Wiederherstellung der Existenzgrundlage der Senats­ aristokratie gelegen war; so wird beispielsweise die Restituierung der Verfügungsgewalt ländlicher Patrone über ihre Kolonen und Sklaven verfügt.40 Insgesamt scheinen derartige Maßnahmen aber nicht gefruchtet zu haben, zumal ihnen andere Bestimmungen gegenüberstanden, die den einstigen Spielraum der Senatoren, in traditioneller Weise Reichtum und Prestige zu akkumulieren, wiederum einschränkte, etwa die Stärkung von Papsttum und Kirche in Italien41 und die dauerhafte Abwicklung des Hofes von Ravenna.42 Insofern verwundert es nicht, dass die römische Senatsaristokratie in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts, nicht zuletzt unter dem Eindruck neuerlicher Kriege, dieses Mal gegen die Langobarden, stetig an Bedeutung verlor. Aus den Jahren um 600 stammen die letzten Quellen, die die Existenz des ordo senatorius in Rom und Italien bezeugen.43

Mögliche Aussagen im Hinblick auf die Identität(en) der römischen Senatsaristokratie während der Gotenkriege Es stellt sich nun die Frage, ob und wie wir die Informationen aus den Quellen zur Geschichte der römischen Senatsaristokratie während der Gotenkriege mit dem eingangs erstellten theoretischen Rahmen in Beziehung setzen können. Fra40 

Iustiniani imp. pragmatica sanctio, c. 16 (MGH LL 5, S. 173). Die Stärkung von Papsttum und Kirche geht bereits aus Einzelbestimmungen in der Pragmatica sanctio, etwa c. 12 und c. 19 (MGH LL 5, S. 172 f., S. 174), hervor; dazu Pietri (Hg.): Geschichte des Christentums (wie Anm. 3), S. 778 f.; Gianluca Pilara: Aspetti di politica legislativa giustinianea in Italia: proposta di riesame della Pragmatica Sanctio pro petitione Vigilii. In: Romanobarbarica 19 (2006/2009), S. 137–156, hier: S. 143 ff. Den Bedeutungsgewinn der Kirche in Italien nach den Gotenkriegen betont auch Brown: Gentlemen (wie Anm. 39), S. 34 ff.; vgl. ebd., S. 35: „The Church emerged as one of the new social forces which took over the wealth and to some extent the political role of the senatorial nobility.“ 42  Bis auf die italische Prätorianerpräfektur wurden die alten Hofämter in Ravenna nach den Gotenkriegen nicht mehr wiederbesetzt; dazu Brown: Gentlemen (wie Anm. 39), S. 8 ff. sowie Henning Börm: Das weströmische Kaisertum nach 476. In: ders. u. a. (Hg.): Monumentum et instrumentum inscriptum. Beschriftete Objekte aus Kaiserzeit und Spätantike als historische Zeugnisse. Festschrift für Peter Weiß zum 65. Geburtstag. Stuttgart 2008, S. 47–69, hier: S. 60; dezidiert ders.: Westrom. Von Honorius bis Justinian. Stuttgart 2013, S. 137 f. In Rom gab es weiterhin die Stadtpräfektur. Zu deren Bedeutung nach den Gotenkriegen siehe Brown: Gentlemen (wie Anm. 39), S. 11 f.; Eich: Gregor der Große (wie Anm. 33), S. 48, S. 61 f. 43  Zum Ende des Senats in Rom und Italien siehe Ernest Stein: La disparition du Sénat de Rome à la fin du VIe siècle. In: ders.: Opera minora selecta. Hg. v. Jean-Remy Palanque. Amsterdam 1968, S. 368–400; Brown: Gentlemen (wie Anm. 39), S. 21 ff. Vgl. auch Stein: Bas-Empire (wie Anm. 15), S. 617 ff.; André Chastagnol: La fin du sénat de Rome. In: Claude Lepelley (Hg.): La fin de la cité antique et le début de la cité médiévale. De la fin du IIIe siècle à l’avènement de Charlemagne. Bari 1996, S. 345–354; Näf: Standesbewußtsein (wie Anm. 6), S. 232 ff.; Chastagnol: Sénat (wie Anm. 6), S. 372 ff. Das letzte antike Zeugnis für die Existenz des spätrömischen Senates ist Gregorius I. Magnus, Epistulae 13, 1 (MGH Epp. 2, S. 365) und bezieht sich auf den feierlichen Empfang eines Bildes von Kaiser Phokas und Kaiserin Leontia in Rom ab omni clero vel senatu am 25. April 603 n. Chr. 41 

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gen wir zunächst nach der möglichen Zugehörigkeit spätrömischer Senatoren zu einem ethnischen Kollektiv, das dann unter der Bezeichnung „Römer“ oder auch „Italiker“ zu subsumieren wäre. Zu erwarten wäre in diesem Fall gemäß dem Konzept der „ethnischen Grenze“ Barths eine Abgrenzung von anderen Ethnien. Tatsächlich finden wir in unseren Quellen derartige Konstellationen, allerdings immer negativ besetzt und in einem polemischen Kontext. Die ethnische Abgrenzung erfolgt auch überraschenderweise nicht gegenüber den Goten, sondern ­gegenüber den Byzantinern, die als „Γραικοί“ diskreditiert werden. Dies hängt damit zusammen, dass es gotische Sprecher sind, die die ethnische Abgrenzung vornehmen. So fällt die Bezeichnung „Γραικοί“ in einer Spottrede des gotischen Kriegers Wakis auf die Byzantiner während der Belagerung Roms 537.44 Desgleichen verwendet sie König Vitigis in einer Ansprache an seine Soldaten im gleichen Kontext.45 Im Jahr 544 versucht Totila die Senatoren in einem Brief zum Seitenwechsel zu bewegen; nicht die Goten, sondern die „Γραικοί“ seien ihre ­eigentlichen Gegner, da sie die seit Langem bewährte Lebensgemeinschaft von Römern und Goten in Italien mutwillig von außen angegriffen hätten.46 Derselben Argumentation folgen die Ansprachen des Königs nach der geglückten Eroberung Roms im Jahr 546, nun aber mit Erbitterung über die Treulosigkeit der Senatoren.47 Ein letztes Mal fällt die Bezeichnung „Γραικοί“ in den Ansprachen der gotischen Befehlshaber vor der Seeschlacht bei Senigallia 551, auch hier wieder in einem hochemotionalen Kontext, geht es doch darum, die Soldaten angesichts eines, wie sich dann zeigen sollte, vorentscheidenden Gefechts ausschlaggebend zu motivieren.48 Alle genannten Stellen sind dem Geschichtswerk Prokops von Kaisareia entnommen; sie finden sich in den dem Gotenkrieg gewidmeten Büchern. Dass es sich nicht um authentische, sondern vom Autor gestaltete Reden handelt, tut in unserem Zusammenhang nichts zur Sache; sie repräsentieren dennoch die Art und Weise, wie in der betreffenden Zeit ethnische Abgrenzungen thematisiert werden konnten. Im Übrigen ist es bezeichnend, dass Prokop auch außerhalb des italischen Kontextes das Wort „Γραικοί“ benutzen konnte, um die Bewohner des einstigen Weströmischen Reiches und die Byzantiner voneinander abzugrenzen und gegeneinander in Stellung zu bringen. Im Kontext des Vandalenkrieges lässt er nämlich den ephemeren vandalischen Usurpator Gontharis sämtliche „Γραικοί“ töten, derer er habhaft werden kann.49 Es handelte sich offenbar um ein gängiges Muster der Distanzierung. Schon in der Vita Epiphanii episcopi ­Ticinensis des Ennodius von Pavia fällt anlässlich der Spannungen zwischen dem einstigen weströmischen Kaiser Anthemius und seinem patricius Rikimer das Wort Graeculus.50 44 Procopius,

Bella 5, 18, 40. Bella 5, 29, 11. 46 Procopius, Bella 7, 9, 12. 47 Procopius, Bella 7, 21, 4 und 12. 48 Procopius, Bella 8, 23, 25. 49 Procopius, Bella 4, 27, 38. 50 Ennodius, Vita Epiphanii 54 (MGH AA 7, S. 91). 45 Procopius,

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Anthemius hatte seine ganze Karriere im Osten des römischen Reiches absolviert, bevor er durch Kaiser Leo I. 467 als Thronprätendent in den Westen geschickt wurde. Das Vertrauen der westlichen Eliten hat er, wenn er es überhaupt je besessen hat, durch allerlei Misserfolge rasch verspielt; schließlich wurde er in einem Bürgerkrieg 472 gestürzt und getötet. Auch wenn Ennodius seine Vita Epiphanii lange nach diesen Ereignissen um das Jahr 500 verfasst hat, so griff er doch offenbar Vorbehalte auf, die um 470 in Italien tatsächlich gängig gewesen sein müssen, denn auch der unmittelbare Zeitgenosse Sidonius Apollinaris bezeugt in einem seiner Briefe die Diskreditierung des Anthemius als Graecus imperator.51 Die Zuordnung der Senatoren in ein ethnisches Kollektiv „(West-)Römer“ oder „Italiker“ lässt sich also durch unsere Quellen verifizieren, aber sie erfolgt nur in bestimmten, polemischen Kontexten, und auch das eher selten. Die Sprecher wollen durch den Verweis auf die „Γραικοί“ emotional aufrütteln und zu unmittelbarem Handeln ermutigen. Wenn es hingegen darum ging, nachhaltiger die römischen Senatoren in ihrem Denken und Handeln zu beeinflussen, trat ein ganz anderes Argument in den Vordergrund. Gut beobachten lässt sich das in der Rede, die Totila Prokop zufolge nach der Eroberung Roms 546 an die Senatoren richtete. Er ließ den gotischen König hier ausführlich von den „Wohltaten“ (ἀγαθά) sprechen, die Theoderich der Große und seine Nachfolger in Gestalt von Ämtervergaben den Mitgliedern des ordo senatorius hätten zuteil werden lassen.52 Schon in seinem Brief zwei Jahre zuvor hatte Totila sich – wiederum nach Prokop – so ­geäußert, damals allerdings von „Wohltaten“ (hier verwendete er das Synonym εὐεργεσίαι) und „Gunsterweisen“ (χάριτες) gesprochen.53 Die Bekleidung von Ämtern und die Pflege angestammten Reichtums und Prestiges waren offensichtlich besonders zugkräftige „Argumente“, um die Loyalität der römischen Senats­ aristokratie zu erwerben und zu verstetigen. Auch unabhängig davon, ob Totila in seinem Brief und seinen Reden tatsächlich diesen Aspekt besonders betont hat, bestätigt doch der Verlauf der Ereignisgeschichte, wie wir ihn oben nachgezeichnet haben, seine Relevanz. Er erklärt sowohl den Seitenwechsel vieler stadtrömischer Senatoren bereits zu einem recht frühen Zeitpunkt Ende 536 als auch die verhältnismäßig langanhaltende Treue ihrer oberitalischen Standesgenossen zur gotischen Sache zum selben Zeitpunkt. Auch die administrativen Maßnahmen Kaiser Justinians und Belisars in der ersten Kriegsphase fügen sich in dieses Bild 51 

Sidonius Apollinaris, Epistulae 1, 7, 5; die Äußerung tätigt der praefectus praetorio Galliarum, Arvandus, der im Jahr 468 abgesetzt und unter anderem wegen konspirativer Beziehungen zu den Westgoten in Rom angeklagt und verurteilt wurde. Den schwierigen Stand des gebürtigen Oströmers Anthemius im Westen illustriert John M. O’Flynn: A Greek on the Roman Throne: the Fate of Anthemius. In: Historia 40 (1991), S. 122–128, bes. S. 126 f.; zurückhaltender in der Einschätzung hingegen Dirk Henning: Der erste „griechische Kaiser“. Überlegungen zum Scheitern des Procopius Anthemius im Weströmischen Reich. In: Hans-Ulrich Wiemer (Hg.): Staatlichkeit und politisches Handeln in der römischen Kaiserzeit. Berlin/New York 2006, S. 175–186; Anders: Flavius Ricimer (wie Anm. 6), S. 227 ff. 52 Procopius, Bella 7, 21, 12. 53 Procopius, Bella 7, 9, 10  f.

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bestens ein. Die Verleihung der italischen Prätorianerpräfektur an die weströmischen Senatoren Fidelis und Reparatus Ende der 530er-Jahre war ebenso ein ­Appell, für die Sache Konstantinopels einzutreten, wie die Bekleidung des allerletzten ordentlichen Konsulats (und überdies sine collega) durch Fl. Anicius Faustus Albinus Basilius, einen herausragenden Vertreter seines Standes, im Jahr 541.54 Justinian demonstrierte durch diese Entscheidungen exemplarisch, dass er grundsätzlich gewillt war, in die Tradition des weströmischen Kaiser- und des ostgotischen Königshofs einzutreten und den Senatoren in Rom und Italien die Fürsorge zuteil werden zu lassen, die ihnen seit jeher gebührte.55 Der Kaiser konnte zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen, dass das Wieder­ aufflammen des Gotenkrieges ab 541/542 die anvisierte Grundlage seines Verhältnisses zur römischen Senatsaristokratie schwer erschüttern sollte. Die immer schlimmere Entartung des Krieges in den 540er-Jahren und die nachhaltige Schädigung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Struktur Italiens bewirkten, dass das Gefälle zwischen dem Kaiser und dem ordo senatorius in Italien immer sichtbarer zutage trat. Die Flucht namhafter Senatoren nach Konstantinopel, besonders 546 nach der Eroberung Roms, zeigt, dass sie sich eine Vertretung ihrer politischen und materiellen Interessen, ja umfassender, eine Restauration ihrer Lebensweise samt den ihnen zugrundeliegenden Prinzipien nur noch dadurch vorstellen konnten, dass sie bei Hofe antichambrierten und auf diese Weise direkten Einfluss auf Kaiser Justinian gewannen. Die pragmatica sanctio des Jahres 554 bezeugt jedoch, dass sie damit keinen durchschlagenden Erfolg hatten. Halten wir an dieser Stelle einen Augenblick inne und wenden abermals die Ergebnisse unserer eingangs erarbeiteten theoretischen Grundlagen auf das in den letzten Abschnitten Dargelegte an. Zunächst lässt sich feststellen, dass die Senatoren während des Gotenkrieges nicht als ethnisches Kollektiv bedroht waren. Eine Infragestellung ihrer ethnischen Identität als „Römer“ durch die Goten erfolgte in den Jahren ab 535 – wie auch in den Jahrzehnten zuvor – augenscheinlich nicht. Durch die gemeinsame Heimat Italien verband sie mit diesen in gewisser Weise sogar mehr als mit den byzantinischen Invasoren, die deshalb sogar in polemischer Weise als „Γραικοί“ diskreditiert werden konnten. Zugleich ist aber inzwischen deutlich geworden, dass die Frage einer Zugehörigkeit zum ethnischen Kollektiv „Römer“ für die Senatoren gar nicht im Zen­trum ihrer Bemühungen und Befürchtungen stand. Die Zugehörigkeit zum Kollektiv „(potenzielle) Amtsträger“ war für sie viel wichtiger, wobei es von nachrangiger Bedeutung war, ob man nun als Amtsträger im Dienste des Ostgotenkönigs oder aber des byzantinischen Kaisers fungierte. Voraussetzung hierfür waren adeliger 54 Zu

diesem letzten ordentlichen Konsulat in der Geschichte des römischen Reiches und der Einordnung dieses Ereignisses siehe Alan Cameron/Diane Schauer: The Last Consul. Basilius and his Diptych. In: JRS 72 (1982), S. 126–145; Mischa Meier: Das Ende des Konsulats im Jahr 541/42 und seine Gründe. Kritische Anmerkungen zur Vorstellung eines ‚Zeitalters Justinians‘. In: ZPE 138 (2002), S. 277–299. 55  In diesem Sinne auch Stefan Krautschick: Cassiodor und die Politik seiner Zeit. Bonn 1983, S. 178.

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Reichtum und – damit einhergehend – adeliges Prestige, und deshalb sehen wir mit zunehmender Kriegsdauer die Senatoren zusehends besorgt um ihre materielle Existenzgrundlage. Sie zu bewahren oder nach etwaigem Verlust wiederherzustellen, nahm bald alle ihre Kräfte in Anspruch. Es war die unabdingbare Voraussetzung, ihre Zugehörigkeit zum Kollektiv „(potenzielle) Amtsträger“ aufrechterhalten zu können. Der Niedergang des Senatorenstandes in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts ist der Beleg dafür, dass diese Sorgen berechtigt waren.

Der beispielhafte Werdegang des Senators Fl. Rufius Petronius ­Nicomachus Cethegus Am Werdegang des Senators Fl. Rufius Petronius Nicomachus Cethegus sollen die bisher getroffenen Aussagen nochmals an einem konkreten Lebenslauf überprüft werden. Über Cethegus sind wir vergleichsweise gut informiert; viele und sehr unterschiedliche Quellen unterrichten über seinen Lebenslauf.56 Er gehörte einem alten und traditionsreichen stadtrömischen Senatorengeschlecht an, das sich einigermaßen sicher bis ins 4. Jahrhundert, vielleicht sogar noch weiter bis in die Hohe Kaiserzeit zurückführen lässt.57 Der oberitalische Aristokrat und Bischof Ennodius rühmt die Bildung schon des jugendlichen Cethegus und belegt dadurch gleichsam nebenbei dessen Vernetzung in den adeligen Kreisen Italiens über Rom hinaus.58 Bereits in jungen Jahren bekleidete Cethegus das Konsulat sine collega;59 spätestens seit dieser außergewöhnlichen Ehrung im Jahr 504 dürfte er zu den wichtigsten Repräsentanten des ordo senatorius in Rom und Italien gehört haben. Das Konsulat hat Cethegus Theoderich dem Großen zu verdanken gehabt. Auch sonst ist eine enge Bindung des Senators an den gotischen Königshof in diesen und den Folgejahren vorauszusetzen. Zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt muss Cethegus als magister officiorum fungiert haben; im Frühjahr 512 ist er als patricius bezeugt.60 Auch wenn wir für die folgenden Jahrzehnte keine weiteren Nachrichten über sein Leben und seine Karriere haben, so ist es doch sicher, dass Cethegus auch in dieser Zeit zur Spitzengruppe der Senatoren gehörte. Um die Jahreswende 545/546 ist er bei Prokop als princeps senatus bezeugt.61 Als solcher 56 

Sie sind versammelt in PLRE II Cethegus und PCBE II (Italie) Cethegus 1. Siehe hierzu die Stammbäume 3a und b bei Michael T. W. Arnheim: The Senatorial Aristocracy in the Later Roman Empire. Oxford 1972, S. 254 f.; dazu ebd., S. 89 f., S. 127 ff.; siehe auch Stemma 21 in PLRE II, S. 1321. Die weitergehenden Annahmen von Christian Settipani: Continuité gentilice et continuité familiale dans les familles sénatoriales romaines à l’époque impériale. Mythe et réalité. Oxford 2000, S. 131, sind zu spekulativ. 58  Ennodius CDLII (opusculum 6), 20 (MGH AA 7, S. 314): est patricius Cethegus, eius filius, vir consularis, qui canam prudentiam minor transgrediens sine aetatis praeiudicio habet et provectorum saporem et mella pueritiae. 59  Die Quellen für Cethegus’ Konsulat bei Bagnall u. a.: Consuls (wie Anm. 29), S. 542  f. 60 Cassiodorus, Anecdoton Holderi 4 (MGH AA 12, S. V): quem scripsit ad Rufium Petronium Nicomachum ex consule ordinario patricium et magistrum officiorum. 61 Procopius, Bella 7, 13, 12: πατρίκιος ἀνὴρ καὶ πρω ˜ τος τη˜ς ῾Ρωμαίων βουλη˜ς. 57 

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hat er das Kriegsende in Konstantinopel miterlebt, kehrte dann in den Westen zurück und ist nach 559 gestorben. Cethegus hat in seinem Leben also genau den Weg vollzogen, den wir für den Senat als Ganzes postuliert haben. Er hat in jungen Jahren vom althergebrachten Prestige seiner Familie profitiert und sich folglich für das Regime Theoderichs des Großen, das ihm die Fortdauer und stete Erneuerung dieses Prestiges garantierte, engagiert.62 Die ethnische Identität des Cethegus spielte in diesem Zusammenhang überhaupt keine Rolle, allenfalls insofern, als sie ihn auf einen bestimmten cursus honorum und damit die Ausübung bestimmter (Zivil-)Ämter verwies. Dies jedoch dürfte seiner Erwartungshaltung entsprochen haben.63 Problematisch wurde es, als diese Erwartungshaltung nicht mehr befriedigt werden konnte, und das war im Gefolge des Gotenkrieges der Fall, vor allem seit 541/542. Ganz folgerichtig finden wir Cethegus nunmehr an der Seite desjenigen, der allein möglicherweise noch dazu imstande war, die Bedingungen für eine Fortdauer des senatorischen Lebensstils zu erhalten respektive sie wiederherzustellen. Einfach war dieser Seitenwechsel nicht; es herrschte Misstrauen auf byzantinischer Seite. Während der Belagerung Roms durch Totila im Winter 545/546 wurde Cethegus von den byzantinischen Verantwortlichen aus der Stadt entfernt, weil man befürchtete, er könne mit den Goten gemeinsame Sache machen.64 Für Cethegus entpuppte sich dieser gefährliche Rückschlag als Glücksfall, denn als bald danach Rom an die Goten fiel, befand er sich außerhalb der Stadt in Sicherheit. Wir begegnen ihm wieder in Konstantinopel, wo er mit anderen senatorischen Standesgenossen bei Kaiser Justinian vorsprach, um eine Intensivierung der Kriegsführung in Italien zu bewirken.65 Interessant ist die Reaktion Justinians auf das Vorsprechen der weströmischen Würdenträger: ditavit eos, sicut digni erant consules Romani.66 Justinian entschädigte also die Senatoren für ihre im Krieg er62  Die

Einschätzung des Cethegus als, „at least politically, a nonentity until his arrival in Constantinople“ durch Bjornlie: Politics (wie Anm. 24), S. 160, ist schon vor dem Hintergrund der referierten Zeugnisse unzutreffend. Im Übrigen bemaß sich der Einfluss eines Senators nicht nur nach der Zahl der übernommenen Ämter. Er war Resultat eines komplizierten Zusammenspiels unterschiedlicher Faktoren, die Christian Nitschke unter dem Begriff des Netzwerkmanagements zusammengefasst und – methodisch im Detail nicht unanfechtbar – insbesondere auf den gutbezeugten Boëthius angewandt hat; vgl. ders.: Netzwerkmanagement im Ostgotenreich. Die Verweigerung des konfessionellen Konflikts durch Theoderich den Großen. In: Daniel Bauerfeld/ Lukas Clemens (Hg.): Gesellschaftliche Umbrüche und religiöse Netzwerke. Analysen von der Antike bis zur Gegenwart. Bielefeld 2014, S. 87–117. 63  In diesem Sinne ordnet auch Schäfer: Probleme (wie Anm. 1), S. 188  f., die grundsätzliche Trennung von römischer Zivilverwaltung und gotischer Militärorganisation unter Theoderich dem Großen ein. Ausnahmen von der Regel bei Meyer-Flügel: Bild (wie Anm. 1), S. 142 ff. 64 Procopius, Bella 7, 13, 12. Cethegus zog sich aufgrund dessen aus dem belagerten Rom in das an der Küste gelegene Civitavecchia zurück. 65 Procopius, Bella 7, 35, 9  f. 66  Liber pontificalis 61, 7 (Duchesne). Die Identität der beiden neben Citheus/Cethegus im Liber pontificalis genannten Senatoren ist umstritten; siehe hierzu Sundwall: Abhandlungen (wie Anm. 6), S. 100; John Moorhead: The Last Years of Theoderic. In: Historia 32 (1983), S. 106–120, hier: S. 109; Krautschick: Cassiodor (wie Anm. 55), S. 178; Bjornlie: Politics (wie Anm. 24), S. 145 f.

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littenen materiellen Verluste entsprechend ihrer konsularischen Würde. Der Sieg über die Goten mochte noch auf sich warten lassen, aber durch seine Reaktion zeigte der Kaiser, dass er das Anliegen des Cethegus und seiner Gefährten verstanden hatte. Cethegus hat sich bis nach dem Ende des Gotenkrieges in Konstantinopel aufgehalten. Wir erfahren durch die Akten des fünften ökumenischen Konzils, dass er zwischen 550 und 553 mehrfach damit befasst war, Kaiser Justinian bei der Durchsetzung seiner theologischen Positionen im sogenannten Dreikapitelstreit zu unterstützen.67 Aufgrund seiner weströmischen Herkunft mag er als idealer Mittelsmann in den zähen Verhandlungen mit dem ebenfalls in Konstantinopel befindlichen Papst Vigilius erschienen sein; zudem war auch dieser von senatorischem Rang.68 Die Episode, die auf den ersten Blick so gar nichts mit unserer Fragestellung zu tun zu haben scheint, ist aufschlussreich in mehrerlei Hinsicht: Cethegus war laut den Konzilsakten neben dem Neffen des Vigilius, Rusticus, der einzige Weströmer, der am 1. Mai 553 den Papst aufsuchte, um ihn zum Nachgeben zu bewegen. An seiner Seite befanden sich ausnahmslos höchste byzantinische zivile und militärische Würdenträger, unter anderem der magister militum Belisarius, der magister officiorum Petrus Patricius und der quaestor sacri palatii Constantinus.69 Es muss für Cethegus eine außergewöhnliche Ehrung dargestellt haben, sich zu diesem erlauchten Kreis besonderer Vertrauensmänner des Kaisers zählen zu dürfen. Zugleich war er allerdings dadurch auch in besonderer Weise in die Pflicht genommen, dem Willen des Kaisers bei seinem senatorischen Standeskollegen Vigilius Gehör zu verschaffen. War das die Gegenleistung dafür, dass sich der Kaiser für das Kriegsende in Italien eingesetzt hatte und eine renovatio des Senatorenstandes in Rom und Italien ermöglichte? Wir wissen das nicht, aber durch sein Engagement in der Angelegenheit des Dreikapitelstreits hatte Cethegus etwas erreicht, was der weströmischen Senatsaristokratie seit etwa 540 nicht mehr gelungen war: Er hatte im Verhältnis zum Hof – zumindest rudimentär und prinzipiell – einen Zustand wechselseitigen Gebens und Nehmens wiederhergestellt, auf diese Weise das eklatante Gefälle zwischen Kaiser und Senat ein wenig verringert und dem ordo senatorius überhaupt wieder so etwas wie eine Handlungsoption eröffnet. Irgendwann nach Kriegsende muss Cethegus in den Westen zurückgekehrt sein. Die letzte Quelle, die ihn nennt – ein Brief von Papst Pelagius I. –, bezeugt seine Anwesenheit um die Jahreswende 558/559 auf Sizilien, wo er offenbar in die 67 

Siehe im einzelnen ACO IV 1, S. 27, S. 185 f., S. 193, S. 198 f.; dazu PCBE II (Italie) Cethegus 2. den Hintergründen des sogenannten Dreikapitelstreits siehe den Überblick in Pietri (Hg.): Geschichte des Christentums (wie Anm. 3), bes. S. 462 ff.; Leppin: Justinian (wie Anm. 15), S. 293 ff.; Beiträge aus jüngerer Zeit in Celia Chazelle/Catherine Cubitt (Hg.): The Crisis of the Oikoumene. The Three Chapters and the Failed Quest for Unity in the Sixth-Century Mediterranean. Turnhout 2007. Zur Rolle von Papst Vigilius im speziellen Claire Sotinel: Pontificial Authority and Imperial Power in the Reign of Justinian: Pope Vigilius. In: dies. (Hg.): Church and Society in Late Antique Italy and Beyond. Farnham u. a. 2010, S. 1–25, hier: S. 17 ff. 69  Relatio iudicum et episcoporum de Vigilii responsis 8 (= ACO IV 1, S. 27). 68  Zu

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Besetzung der Bischofsstühle von Catania und Syrakus involviert war.70 Etwa vierzig Jahre später ist ein anderer Cethegus – vielleicht ein Nachkomme unseres princeps senatus – wiederum durch einen Papstbrief bezeugt; erneut geht es um Angelegenheiten auf Sizilien.71 Das bedeutet nicht notwendig, dass die Cethegi nach dem Ende der Gotenkriege nicht mehr nach Rom zurückgekehrt sind, weil in der ruinierten Ewigen Stadt ein senatorisches Leben nach alter Art nicht mehr möglich war. Die Beziehung nach Rom dauerte, wie die Briefwechsel mit den Päpsten beweisen, in jedem Falle fort; der jüngere Cethegus scheint auch in Rom oder seiner Umgebung residiert zu haben.72 Allerdings ist der zweimalige Bezug auf sizilische Angelegenheiten doch auffallend. Im Rahmen der Zusammenfassung wird auf diesen Punkt noch einmal zurückzukommen sein.

Zusammenfassung: Die Zerstörung der senatorischen Identität durch die Gotenkriege Am Anfang dieses Beitrages hat die Frage nach der „römischen Identität“ im go­ tischen Italien gestanden. Ich habe dabei zunächst, durch die Natur unserer Quellengrundlage veranlasst, eine Einschränkung vorgenommen und mich darauf beschränkt, Aussagen über die Identität der römischen Senatsaristokratie, insbesondere der gut greifbaren viri illustres, zusammenzutragen. Hinsichtlich der Identität als solcher ist herausgearbeitet worden, dass Identität etwas Fluktuierendes, sich situativ Konstituierendes ist: Es gibt nicht die eine, unverbrüchliche, immer gleich sich aktualisierende Identität. Dass dem so ist, liegt an den unterschiedlichen Kollektiven, denen Menschen zugleich angehören. Je nachdem, welche Zugehörigkeit zu einem Kollektiv betont wird, ändert sich auch die Akzentuierung der Identität. Die Betonung der Zugehörigkeit zu einem ethnischen Kollektiv ist dabei nur eine von verschiedenen Akzentuierungsmöglichkeiten, die im Hinblick auf die Beschreibung von Identitäten möglich sind. All das hat Folgen für die Bewertung der Identität der römischen Senatsaristokratie während der Gotenkriege. Der Begriff des ethnischen Kollektivs lässt sich sehr wohl auf sie anwenden, aber dies geschieht bezeichnenderweise im polemischen Kontext, weil der Aspekt der Abgrenzung hier besonders signifikant, unmittelbar einsichtig und emotional verwertbar ist. Aufs Ganze gesehen, war für die Angehörigen der römischen Senatsaristokratie der Ausdruck ihres sozialen Status, manifestiert durch Reichtum und die Bekleidung prestigeträchtiger Ämter, viel wichtiger.73 Diese wurde durch die Zugehörigkeit zu den Kollektiven „Reiche“ und „(potenzielle) Amtsträger“ ermöglicht. Sie zu erlangen, erforderte kein ethni70 

Pelagius I. Papa, Epistulae 33, 1 (Gassò/Batlle, S. 89). Magnus, Epistulae 9, 72 (MGH Epp. 2, S. 91). Der Brief ist im November/Dezember 598 verfasst worden. Dazu PCBE II (Italie) Cethegus 2. 72  So zutreffend PLRE III Cethegus: „He and his wife were evidently not in Sicily at the time and presumably were in Rome.“ 73  So im Grundsatz zutreffend bereits Spielvogel: Hintergründe (wie Anm. 4), S. 15  f. 71  Gregorius

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sches Bekenntnis und setzte keine ethnische Solidarität voraus. Sie konnte sowohl durch den gotischen König als auch durch den byzantinischen Kaiser gewährleistet werden. Aus dieser Konstellation können wir nun die Loyalität oder die Aufgabe derselben durch die römischen Senatoren gegenüber der gotischen oder der byzantinischen Seite ableiten. Sie erklärt das Verhalten eines Cassiodor ebenso wie dasjenige des Cethegus. Durch die Gotenkriege ist die materielle Grundlage, auf der die besondere Stellung der römischen Senatsaristokratie im spätantiken Italien beruhte, zerstört worden; nach 552 war ihre Restauration nicht mehr möglich. Das Beispiel des Cethegus und seines mutmaßlichen gleichnamigen Nachfahren in den Jahren um 600 kann diesen Sachverhalt nochmals illustrieren. Es ist auffallend, dass beide Cethegi in sizilische Angelegenheiten involviert waren; die Städte Catania und Syrakus werden namentlich genannt. Wenn wir eine Verwandtschaft zwischen dem älteren und dem jüngeren Cethegus postulieren, würde das bedeuten, dass sich das Interesse der Familie an den sizilischen Verhältnissen über mehrere Jahrzehnte erhalten hat. Nun war Sizilien schon seit Jahrhunderten ein Rückzugsort für zahlreiche Senatoren, die hier Grundbesitz unterhielten und prächtige Villen bewohnten.74 Ausgerechnet für Catania und andere Städte auf der Insel mehren sich die archäologischen Befunde, die darauf hindeuten, dass hier bis weit ins 6. oder sogar 7. Jahrhundert Wohlstand und ein vitales städtisches Leben herrschten.75 Für ambitionierte und vor Ort begüterte Senatoren mochte sich hieraus die Möglichkeit ergeben, eine lokal oder gar überregional bedeutende Rolle zu spielen. Auf dem Festland war das in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts immer weniger möglich. Der weströmische Kaiserhof in Ravenna samt seiner Hofämter (außer der italischen Prätorianerpräfektur, die aber immer mit Byzantinern besetzt wurde) war aufgelöst worden; in Rom nahm die Bedeutung des Papstes immer mehr zu. Bei der Besetzung des Bischofssitzes von Catania und anderen Städten mitzumischen, stellte gegenüber den Perspektiven, die sich früher Senatoren wie Cethegus geboten hatten, einen milden Abglanz dar, mehr aber auch nicht. Tatsächlich hatten sich die Gotenkriege für die römische Senatsaristokratie als verhängnisvolle Auseinandersetzung erwiesen. Durch die Ruinierung Italiens und Roms sahen sie ihre Zugehörigkeit zum Kollektiv „Reiche“ und damit in letzter Konsequenz zum Kollektiv „(potenzielle) Amtsträger“ akut bedroht. An dieser Stelle sollte sich ihr Schicksal auch erfüllen. Die Gegenüberstellung von „gotischer Identität“ und „römischer Identität“ als Folge der Zugehörigkeit zu ethnischen Kollektiven sollte sich hingegen nicht als entscheidender Gegensatz entpuppen. 74  Als

Beispiel sei nur die aus senatorischem Geschlecht stammende heilige Melania die Jüngere genannt, die sich gemäß Gerontius, Vita Melaniae 18 f. (Gorce) nach ihrer conversio und ihrem Rückzug aus Rom und Italien unter anderem auf Sizilien aufhielt; hierzu Ewald Kislinger: Sizilien zwischen Vandalen und Römischem Reich im 5. Jahrhundert: Eine Insel in zentraler Randlage. In: Millennium 11 (2014), S. 237–260, hier: S. 239; Claude Lepelley: Mélanie la Jeune, entre Rome, la Sicile et l’Afrique: les effets socialement pernicieux d’une forme extrême de l’ascétisme. In: Kokalos 43/44 (1997/1998), S. 15–32, hier: S. 18 ff. 75  Siehe hierzu den Beitrag von Emanuele Vaccaro in diesem Band (bes. mit Blick auf Catania).

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Die ethnische Identität war im spätantiken Italien schon vor den Gotenkriegen sekundär, nach ihnen war sie obsolet. Die Senatoren hatten an anderer Stelle entscheidende Elemente ihrer Identität eingebüßt.

Abstract Identities emerge in distinction from others. In Italy between 489/493 and 535/552, several Roman identities developed according to their degree of difference from the Goths. The differences were variously expressed, accentuated, and ignored, both by the Gothic rulers themselves and by the Gothic and Roman elite that they controlled. In the Gothic War starting in 535 AD, at least parts of the senatorial and ecclesiastical elite in Italy changed allegiances. They now supported Belisarius and the Eastern Roman Empire in the battles, partly in an active role. This participation raises several questions: Did a bare manifestation of Roman identity emerge as a direct consequence of the events in the war? Does the war enable the revival of an older Roman identity? Significantly, the war ended catastrophically for both conflict parties. Although the Roman senatorial rank formally survived the end of the Gothic War in 552 AD – unlike the Ostrogothic kingdom – it could not renew its traditional political and social role in Byzantine Italy. Together with the court of the Ostrogothic King in Ravenna, the senatorial rank lost an essential factor for the creation and maintenance of its identity, one that had enabled both community and distiction.

Walter Pohl Gotische Identitäten1 Die „Völkerwanderungszeit“ war in den letzten 20 Jahren Gegenstand heftiger De­ batten, und die Ostgoten (und ihr Historiker, Jordanes) waren dabei besonders umstritten.2 Haben Barbaren das Römische Reich zerstört, oder lag der „Fall Roms“ vorwiegend an inneren Gründen? Bedeutete das Ende des weströmischen Kaisertums überhaupt den „Fall Roms“, sollten wir eher von einer allmählichen Transformation sprechen, oder gar von einer Kontinuität römischer Lebensfor­ men? Spielten „barbarische“ Wanderungen tatsächlich eine wesentliche Rolle? Hier ist nicht der Ort, diese Debatten wieder aufzugreifen. Insgesamt waren sie letztlich wenig produktiv. Ihre Dynamik neigte dazu, komplexe Prozesse auf simple Model­ le zu reduzieren und jede Kritik daran polemisch einem ebenso simplen Gegenmo­ dell zuzuordnen. So wurden überholte Meistererzählungen perpetuiert, auch dort, wo im Einzelnen durchaus differenzierte Argumente entwickelt wurden. Das trifft besonders auf das Thema dieses Beitrags zu, nämlich auf die Ausei­ nandersetzung mit gotischer Identität und ihrer ethnischen Bedeutung. Lange wur­ de im Rahmen der „Germanischen Altertumskunde“ eine durchgängig völkische Erzählung von der Ablösung römischer durch „germanische“ Herrschaft gepflegt. Demnach war gotisches Wesen von der nordischen Abkunft so stark geprägt, dass trotz langer Wanderungen weder gotische Zugehörigkeit noch der wesentlich ger­ manische Charakter gotischer Staatsbildungen oder kultureller Leistungen je in­ frage standen. Rückblickend ist es erstaunlich, wie höchst kenntnisreiche Gelehrte (etwa Ludwig Schmidt oder Otto Höfler) noch in der Mitte des 20. Jahrhunderts 1 

Diese Forschungen wurden vom Fonds zur wissenschaftlichen Forschung in Österreich (FWF) im Rahmen des SFB F 42 „VISCOM“ gefördert. 2  Herwig Wolfram: Geschichte der Goten. Entwurf einer historischen Ethnographie. München 1979; aktuelle Auflage: Die Goten. Von den Anfängen bis zur Mitte des sechsten Jahrhunderts. Versuch einer historischen Ethnographie. München 52009; Peter Heather: The Goths. Oxford 1996; Andrew Gillett (Hg.): On Barbarian Identity. Critical Approaches to Ethnicity in the Early Middle Ages. Turnhout 2002; Walter Goffart: Barbarian Tides. The Migration Age and the Later Roman Empire. Philadelphia 2006; Guy Halsall: Barbarian Migrations and the Roman West, 376– 568. Cambridge 2007; Michael Kulikowski: Rome’s Gothic Wars. From the Third Century to Alaric. Cambridge 2007; Peter Heather: Merely an Ideology? Gothic Identity in Ostrogothic Italy. In: Samuel J. Barnish/Federico Marazzi (Hg.): The Ostrogoths from the Migration Period to the Sixth Century. An Ethnographic Perspective. Woodbridge 2007, S. 31–60; Brian Swain: Goths and Gothic Identity in the Ostrogothic Kingdom. In: Jonathan J. Arnold/M. Shane Bjornlie/Kristina Sessa (Hg.): A Companion to Ostrogothic Italy. Leiden/Boston 2016, S. 203–233. https://doi.org/10.1515/9783110686692-012

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ihre Quellenlektüre diesem wenig quellengerechten Modell anpassen konnten.3 Dementsprechend dauerte es nach 1945 längere Zeit, bis die Last der national ori­ entierten Germanenforschung überwunden werden konnte.

Debatten um gotische Identität Es ist festzuhalten, dass die Überwindung des deutschen Germanen-Paradigmas in der Völkerwanderungszeitforschung nicht so sehr durch Kritik von außen, son­ dern vorwiegend durch die deutschsprachige Germanenforschung selbst geleistet wurde. Das lässt sich gut an der Neuauflage des „Reallexikons der Germanischen Altertumskunde“ verfolgen, dessen 35 Bände von 1973 bis 2008 erschienen.4 Zu Beginn waren Lemmata wie „Abstammungstraditionen“ noch sehr herkömmlich geprägt.5 Zunehmend wurden jedoch Germanenbegriff und Germanenforschung selbst kritisch behandelt.6 Das entsprach der kritischen Haltung gegenüber dem Germanen-Paradigma und seinem deutschnationalen Kontext, die sich sowohl in der Altertumsforschung als auch in der Germanistik durchgesetzt hatte.7 Grundlegend war das Werk von Reinhard Wenskus. In „Stammesbildung und Verfassung“ wies er in einer systematischen und quellengesättigten Kritik der „Aspekte des Stammesbegriffs“ (den belasteten Volksbegriff vermied er) jede ob­ jektive Definition von Stämmen zurück (und damit, auf einen erst etwas später gebrauchten Begriff gebracht, von „ethnischen Identitäten“).8 Er betonte dagegen den subjektiven und prozesshaften Charakter der „Stammesbildung“. Das war in den Sozialwissenschaften nicht neu; ähnlich hatte das nicht nur Max Weber gese­ hen, sondern auch der NS-affine Völkerkundler Wilhelm Mühlmann, den Wens­ kus zitiert.9 Doch vor dem Hintergrund der „Germanischen Altertumskunde“ 3  Ludwig Schmidt: Die Ostgermanen. München 1941; Otto Höfler: Das germanische Kontinui­ tätsproblem. In: HZ 157 (1938), S. 1–26; ders.: Germanisches Sakralkönigtum. Bd. 1: Der Runen­ stein von Rök und die germanische Individualweihe. Tübingen 1952. 4  Siehe auch die ergänzte Online-Version: http://www.degruyter.com/databasecontent?dbid=gao &dbsource=%2Fdb%2Fgao (letzter Zugriff am 5. 7. 2019). 5  Otto Höfler: Abstammungstraditionen. In: RGA, Bd. 1 (21973), S. 18–29. 6  Heinrich Beck (Hg.): Germanenprobleme in heutiger Sicht. Berlin/New York 1986; Heinrich Beck u. a.: Germanen, Germania, Germanische Altertumskunde. In: RGA, Bd. 11 (21998), S. 181– 483 (auch als Einzelpublikation erschienen); Heinrich Beck u. a. (Hg.): Altertumskunde – Alter­ tumswissenschaft – Kulturwissenschaft. Berlin/New York 2012. 7  Siehe zum Beispiel Klaus von See: Deutsche Germanenideologie vom Humanismus bis zur Ge­ genwart. Frankfurt a. M. 1970; Herbert Jankuhn/Dieter Timpe (Hg.): Beiträge zum Verständnis der Germania des Tacitus. Teil 1: Bericht über die Kolloquien der Kommission für die Altertums­ kunde Nord- und Mitteleuropas im Jahr 1986. Göttingen 1989. 8 Reinhard Wenskus: Stammesbildung und Verfassung. Das Werden der frühmittelalterlichen gentes. Köln/Graz 1961, S. 14–87. Dazu und zum Folgenden ausführlicher Walter Pohl: Von der Ethnogenese zur Identitätsforschung. In: Walter Pohl u. a. (Hg.): Neue Wege der Frühmittelalter­ forschung. Bilanz und Perspektiven. Wien 2018, S. 9–34. 9  Wilhelm Mühlmann: Assimilation, Umvolkung, Volkwerdung. Ein globaler Überblick und ein Programm. Stuttgart 1944. Wenskus zitierte allerdings nur Mühlmanns bereits 1938 erschienene „Methodik der Völkerkunde“.

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bedeutete das einen Durchbruch. Der Zusammenhalt von Stämmen (oder Völ­ kern) beruhte demnach nicht auf tatsächlicher gemeinsamer Herkunft, sondern auf der Vorstellung davon. Dieses Zugehörigkeitsbewusstsein war bei Wenskus vermittelt durch Traditionen, die vor allem den Volksnamen, Herkunftsmythen und Normen umfassten. Diese Traditionen wurden gepflegt und vermittelt von „Traditionskernen“, kleinen politischen oder geistigen Führungsgruppen, denen sich andere anschlossen. Freilich blieb „Stammesbildung und Verfassung“ in vie­ lem den Ansätzen der älteren Germanenforschung verhaftet, nicht zuletzt in der Annahme der Authentizität von Traditionen und der Geschlossenheit von „Tradi­ tionskernen“, in der sich eine genuin germanische Ideenwelt des „Gentilismus“ ausdrückte.10 Wenskus hat allerdings selbst die Kritik des Germanenparadigmas in späteren Arbeiten weiterentwickelt.11 Das 1979 erschienene Gotenbuch von Herwig Wolfram griff viele Anregungen von „Stammesbildung und Verfassung“ auf, überwand aber dessen rein germani­ sche Perspektive.12 Wolfram ging vom römischen Blickwinkel der lateinischen und griechischen Historiographie aus und versuchte daraus retrospektiv eine Ge­ schichte der Goten zu rekonstruieren. Zentrales Narrativ war daher nicht mehr die Bewahrung gotischer Identität, sondern die fortschreitende Integration der Goten in die spätrömische Welt. Die bei Jordanes ausführlich geschilderte „Ori­ go“ der Goten trennte er quellenkritisch in ethnographische Elemente aus literari­ schen Quellen (die skythisch-getisch-dakische Geschichte) und in nicht aus der klassischen Ethnographie belegbare Traditionen, die er gotischer Überlieferung zuschrieb. Es war dieser Ansatz, der später besonders heftig kritisiert wurde. Wolfram hat ihn fortlaufend differenziert, indem er statt von einer „Origo Gothi­ ca“, einer konsistenten gotischen Tradition im Sinn von Wenskus, nur mehr von „vor-ethnographischen Daten“ sprach.13 Den Prozess, in dem durch Abspaltun­ gen, Zuzug und Vereinigungen unterschiedlicher Gruppen neue Völker entstan­ den, nannte Wolfram mit einem Begriff aus der Ethnologie „Ethnogenese“.14 Die Kritik an den Ansätzen von Wenskus und Wolfram kam spät (erst fünfzehn Jahre nach Erscheinen des Gotenbuches), aber umso heftiger. Sie begann 1994 mit 10  Dazu,

in polemischer Zuspitzung, Alexander Callander Murray: Wenskus on ‚Ethnogenesis‘. In: Gillett (Hg.): Barbarian Identity (wie Anm. 2), S. 39–68. Kritik an den rückwärtsgewandten Aspekten im Ansatz von Wenskus hatte ich schon 1994 geäußert: Walter Pohl: Tradition, Ethno­ genese und literarische Gestaltung: eine Zwischenbilanz. In: Karl Brunner/Brigitte Merta (Hg.): Ethnogenese und Überlieferung. Angewandte Methoden der Frühmittelalterforschung. Wien 1994, S. 9–26. Siehe auch ders.: Gentilismus. In: RGA, Bd. 11 (21998), S. 91–101. 11  Reinhard Wenskus: Über die Möglichkeit eines allgemeinen interdisziplinären Germanenbe­ griffs. In: Heinrich Beck (Hg.): Germanenprobleme in heutiger Sicht. Berlin/New York 1986, S. 1–21. 12  Wolfram: Goten (wie Anm. 2); ders.: Gotische Studien. Volk und Herrschaft im frühen Mittel­ alter. München 2005. 13  Herwig Wolfram: Origo gentis. Herkunftsgeschichte als Identitätsstiftung und Legitimation. In: ders.: Gotische Studien (wie Anm. 12), S. 207–224. 14 Siehe dazu den reflektierenden Rückblick bei Herwig Wolfram: Das Römerreich und seine Germanen. Eine Erzählung von Herkunft und Ankunft. Wien/Köln/Weimar 2018, S. 31–35.

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einem Aufsatz von Walter Goffart.15 Der Kern der Polemik war der Vorwurf, dass „Ethnogenesis Theory“ (wie Goffart sie nannte) nicht einen Bruch mit der Tradition der „Germanischen Altertumskunde“ darstelle, sondern im Gegenteil ihre Tendenz fortsetze.16 Der Vorwurf war, dass die Kontinuität von den alten Germanen zu den heutigen Deutschen statt rassisch nun durch eine unwandelbare Tradition begründet werde, um die deutschnationale Fiktion von einer edlen ­germanischen Vergangenheit zu bewahren. Dabei wurden neuere Positionen und Publikationen unweigerlich auf ein statisch aufgefasstes Wenskus-Modell redu­ ziert. Mein Germanenbuch charakterisierte Walter Goffart dementsprechend so: „It shows extreme reluctance to sever ties with older scholarship. Pohl is, of course, committed to the existence of his subject, a coherent ‚Germanic‘ people foreshadowing the ‚Deutsche‘ of today.“17 Diese Kritik ist nicht nachvollziehbar; schon der erste Satz des so kritisierten Buches lautete: „Ein Volk, das sich Germa­ nen nannte, hat es vielleicht nie gegeben.“18 Es folgte der in der deutschen Althis­ torie verbreiteten Position, Caesar habe die Germanen als ethnographischen Sam­ melnamen erfunden oder zumindest umgedeutet.19 Wie an diesem einen von vielen Beispielen sichtbar wird, zwang der erhobene Vorwurf die Kritiker der „Ethnogenesis Theory“ zu einem ständigen Entlarvungs­ gestus, um auch Texte mit ganz andersartigen Argumenten als bruchlose Fortset­ zung der überholten „Germanischen Altertumskunde“ brandmarken zu können.20 Das führte zu groben Verzerrungen in der Darstellung der Wiener Positionen und machte die Debatte wenig ergiebig. Hartnäckig wurden Positionen der 1960erund 1970er-Jahre ins Zentrum der Debatten gestellt, auch wenn Wolfram seine Auffassung inzwischen weiterentwickelt hatte.21 Das bedeutet nicht, dass aus der Reihe der Kritiker nicht einige bedenkenswerte Argumente gekommen wären. Zum Beispiel ist es richtig, dass der ethnische Königstitel sich erst langsam in den Regna durchgesetzt hat.22 Wenn Theoderich, wie Jordanes schreibt, das regnum 15 Walter Goffart: Two Notes on Germanic Antiquity Today. In: Traditio 50 (1995), S. 9–30. Überblick über die Debatte: Pohl: Ethnogenese (wie Anm. 8). 16  Gillett (Hg.): Barbarian Identity (wie Anm. 2); Goffart: Barbarian Tides (wie Anm. 2). 17  Goffart: Barbarian Tides (wie Anm. 2), S. 274. 18  Walter Pohl: Die Germanen. München 2000, S. 1. 19  Rolf Hachmann: Der Begriff des Germanischen. In: Jahrbuch für internationale Germanistik 7 (1975), S. 113–144; Allan A. Lund: Die ersten Germanen. Ethnizität und Ethnogenese. Heidel­ berg 1998; Pohl: Germanen (wie Anm. 18), S. 51–59. 20  Ausführlicher in Pohl: Ethnogenese (wie Anm. 8). 21  Siehe dazu zuletzt die ausführliche Zusammenfassung in Wolfram: Römerreich (wie Anm. 14), S. 15–59. 22 Andrew Gillett: Was Ethnicity Politicized in the Earliest Medieval Kingdoms? In: Gillett (Hg.): Barbarian Identity (wie Anm. 2), S. 85–121. Die Schlussfolgerung, dass Ethnizität insge­ samt in den Regna kaum politisiert wurde, ist allerdings unzutreffend, doch lässt sich deutlich eine Entwicklung feststellen, in der die ethnische Bezeichnung der Regna schrittweise selbstver­ ständlich wurde. Sie ergab sich daher nicht bruchlos aus vorrömischen Traditionen, sondern war eine Neubildung unter römischem und christlichem Einfluss: Wolfram: Gotische Studien (wie Anm. 12), S. 139–155; Walter Pohl: Regnum und gens. In: Walter Pohl/Veronika Wieser (Hg.): Der frühmittelalterliche Staat – Europäische Perspektiven. Wien 2009, S. 435–450.

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gentis suae et Romani populi principatum23 innehatte, wäre es wohl als Einschrän­ kung empfunden worden, wenn sein Titel bloß rex Gothorum gelautet hätte.24 Der ethnische Königstitel stand zwar schon im 5. Jahrhundert zur Verfügung, wie ein Siegelring Alarichs II. oder der mehrfach genannte Titel rex Vandalorum et Alanorum Hunerichs zeigen. Doch er setzte sich erst allmählich durch, im Fran­ kenreich etwa erst gegen Ende des 6. Jahrhunderts.25 Für die Frage nach ethnischen Identitäten boten die Kritiker keine Alternative zur „Ethnogenesis Theory“ an. „Ethnizität“ wurde einfach als Chiffre von „Ger­ manentum“ gedeutet und daher als Kategorie abgelehnt, die Rolle der Barbaren und ihrer Wanderungen bei den Umwälzungen des 5./6. Jahrhunderts insgesamt als wenig relevant aufgefasst.26 Das allerdings entsprach recht gut dem akademi­ schen Zeitgeist, der Ethnizität und Identität bestenfalls als weltfremde ideologi­ sche Konstruktionen ernst nehmen mochte. Ein brillanter und einflussreicher Ausdruck dieser Tendenz war Patrick Amory’s Buch über „People and Identity in Ostrogothic Italy, 489–554“.27 Es repräsentierte den ehrgeizigen Versuch, die Du­ alität Goten – Römer zu überwinden, indem die Kategorie „Ethnizität“ insgesamt infrage gestellt wurde. Tatsächlich ergaben Amorys prosopographische Studien Menschen mit gotischen Namen, die an katholische Kirchen stifteten oder auf La­ tein kommunizierten, und solche, die sowohl gotische als auch lateinische Namen trugen. Mögliche Kriterien gotischer Zugehörigkeit – Namen, Sprache, ariani­ sches Bekenntnis – stimmen also nicht immer miteinander überein. Gotische Zu­ gehörigkeit wird in der Regel nicht betont, etwa auf (Grab-)Inschriften. Amory schließt aus seinem Befund, dass die Verwendung der Namen „Goten“ und „Rö­ mer“ keineswegs auf abgrenzbare Gemeinschaften oder auf tatsächliche Identitä­ ten deutet, sondern dass sie nur der von Theoderich und Cassiodor propagierten „ethnographic ideology“ entspricht. Diese aber „did not create community, it cre­ ated political opportunity“.28 Goten war die Bezeichnung der Soldaten, Römer die der Zivilisten.29 Von ethnischer Identität könne man schon deshalb nicht spre­ chen, da „no-one in Ostrogothic Italy attaches a belief in common descent to the 23 Jordanes, Romana 349; Patrick Amory: People and Identity in Ostrogothic Italy, 489–544. Cambridge 1997, S. 45, kritisiert Herwig Wolfram: History of the Goths. Berkeley 1988, S. 290, für den Gebrauch dieser Formel, die „two elements of Cassiodorus’s rhetoric that occur in differ­ ent contexts and at different periods in Theoderic’s reign“ kombiniert. Die hier zitierte Quellen­ stelle hatte Amory offenbar übersehen. 24 Siehe bereits Herwig Wolfram: Intitulatio I. Lateinische Königs- und Fürstentitel bis zum Ende des 8. Jahrhunderts. Wien 1967, S. 76–89, S. 108–115. 25  Ebd., S. 76–86; Gillett: Ethnicity (wie Anm. 22). 26  Goffart: Barbarian Tides (wie Anm. 2), S. 1; Andrew Gillett: Ethnogenesis. A Contested Model of Early Medieval Europe. In: History Compass 4 (2006), S. 241–260, hier: S. 242, S. 251. 27 Amory: People (wie Anm. 23). Leider hat der Autor kurz nach Erscheinen des Buches die akademische Welt verlassen, was die Diskussion seiner Thesen erschwert hat. Zur Kritik Heather: Ideology (wie Anm. 2). 28  Amory: People (wie Anm. 23), S. 43–45. 29  Ebd., S. 43. Tatsächlich war das soziale Privileg der Mitgliedschaft im exercitus Gothorum eng mit gotischer Identität verknüpft. Die rein militärische Definition lässt aber unter anderem Frauen oder arianische Priester außer Acht.

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words Goths and Romans“.30 Er rät daher, den ideologisch belasteten Gotenna­ men gar nicht zu verwenden, sondern eher von „the settlers“ oder „the followers of Theoderic“ zu sprechen.31 Hier wie anderswo wird das Hauptargument für Amory’s These, „absence of evidence“ für gotisches Selbstbekenntnis, recht apodiktisch verkehrt in „evidence of absence“. Die Abwesenheit von expliziter Selbstzuordnung in der schriftlichen Überlieferung ist gerade bei ethnischer Identität in vielen Fällen kein Beweis, dass sie keine Rolle spielte; sie konnte ja auch als selbstverständlich vorausgesetzt wer­ den. Es gibt zum Beispiel seit dem 3. Jahrhundert kaum mehr Fälle, in denen je­ mand in lateinischen Grabinschriften als cives Romanus bezeichnet wird.32 Seit der Constitutio Antoniniana war die römische Bürgerschaft kein individuelles ­Privileg mehr, und Gruppenzugehörigkeit an sich wird (auch heute) kaum je in Grabinschriften hervorgehoben. Personennamen erlauben in der Regel eine Zu­ ordnung: nicht unbedingt nach der Herkunft, aber nach der angestrebten ethni­ schen und sozialen Zugehörigkeit einer Familie. Dass der Volksname „Goten“ konsistent in den Quellen aus dem Ostgotenreich und noch danach vorkommt, kann auch kaum mit seinem ideologischen Charakter abgetan werden. Ein Problem steckt schon in Amorys Ideologiebegriff, den er nie reflektiert. Er ist gespeist aus der aufklärerischen und marxistischen Überzeugung, dass Ideolo­ gie immer auf etwas anderes zielt, als sie propagiert, in der Regel auf Machtge­ winnung und Machterhalt. Am Ende des 20. Jahrhunderts, nach Totalitarismus und Kaltem Krieg, war „Ideologie“ nur mehr eine Chiffre für realitätsferne Pro­ paganda, die Regimes zur Aufrechterhaltung ihrer Herrschaft zynisch entwarfen, obwohl sie selbst nicht daran glaubten. Ideologie schuf in Amorys Verständnis bloß einen rechtfertigenden Rahmen, in dem sich „Goten“ bereichern und politi­ sche „opportunities“ ergreifen konnten. Das mag gegenüber der römischen Elite sinnvoll gewesen sein, um Theoderichs Regime zu legitimieren. Aber selbst das setzte voraus, dass sich die Goten mit dieser „Ideologie“ identifizieren konnten. Nach der gängigen sozialwissenschaftlichen Auffassung schließt der Begriff „Ideologie“ seine Wirksamkeit und weitreichende Akzeptanz mit ein.33 Das aber betrifft genau den Bereich handlungsleitender Identitäten. Dann unterscheidet sich „ethnographische Ideologie“ nur mehr wenig von „ethnischer Identitätsstif­ tung“. Der Unterschied ist höchstens, dass die Verfasser der Texte selbst nicht an die propagierte gotische Identität glaubten, was Amory ja impliziert. Das ist bei Cassiodor möglich, bei Jordanes aber schwer vorstellbar, auch wenn man über 30 

Ebd., S. 317. Doch war das Gotenheer ja erst 489 in Italien eingezogen, und die Erinnerung an die gemeinsame Herkunft (wie weit sie auch immer in die Vergangenheit zurückreichen mochte) wird sich schwerlich so schnell verloren haben. 31  Ebd. Allerdings gab es ja auch rugische „settlers“ oder römische „followers of Theoderic“. 32  Ralph W. Mathisen: ‚Roman‘ Identity in Late Antiquity, with Special Attention to Gaul. In: Walter Pohl u. a. (Hg.): Transformations of Romanness in the Early Middle Ages. Regions and Identities. Berlin/New York 2018, S. 255–274. 33  Willard A. Mullins: On the Concept of Ideology in Political Science. In: The American Politi­ cal Science Review 66 (1972), S. 498–510; David Hawkes: Ideology. London/New York ²2003.

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dessen politische Intentionen und ihre mögliche Wirkung verschiedener Mei­ nung sein kann. Insgesamt halte ich, mit Michel Foucault, den Ideologie-Begriff mit seinen Obertönen der bewussten Manipulation (die Goten-Ideologie als Opium für das römische Volk?) und Totalitarismus-Kritik in diesem Fall für wenig geeignet und würde lieber von „Diskursen“ sprechen.34 Eine prinzipielle Unterscheidung zwi­ schen „ethnischen“ und „ethnographischen“ Diskursen ist wiederum deswegen unzweckmäßig, weil sie zwischen „wirklicher“ und „ideologischer/fiktiver“ Ethni­ zität trennen müsste – was aber wäre dann „wirkliche“ Ethnizität? Überlassen wir es den Genetikern, darüber zu urteilen? Eine Skala von graduellen Unterschieden im weiten Bereich zwischen hochmotivierenden und tief geglaubten ethnischen Identitäten auf der einen Seite und reiner ethnographischer Spekulation auf der anderen ist sicherlich heuristisch zweckmäßiger. Die Vorannahme der älteren Forschung, dass es selbstverständlich Goten gab und wir unterschiedliche Quellenbelege einfach diesen Goten zuordnen können, ist unhaltbar, darin stimme ich mit Amory überein. Amory schlägt demgegenüber vor, den „ideologisch belasteten“ Gotennamen tunlichst nicht zu verwenden, um den „Zirkelschluss“ zu vermeiden, dass diejenigen, die in unseren Quellen Goten genannt werden, auch Goten waren.35 Letztlich ist das aber eine ebenso pauschale Vorannahme. Sie führt zu einem der älteren Forschung entgegengesetzten Ergeb­ nis: Waren früher Individuen mit gotischen Namen, die Armee, nichtrömische Ämter und Institutionen, der skandinavisch-pontische Herkunftsbericht und die Amalergenealogie bei Jordanes, die arianische Kirche, Gräber mit Grabbeigaben und manches andere unzweifelhaft gotisch, kann gemäß Amory nun nichts mehr davon gotisch sein. Beide Positionen, vor allem aber die Diskussion zwischen ih­ nen, sind gleichermaßen unproduktiv. Dazu kommt noch ein Punkt: Nicht nur Amory, sondern auch andere haben in letzter Zeit die Flexibilität und rasche Wandelbarkeit ethnischer Zuordnungen be­ tont; sie seien bloß weitgehend beliebige kulturelle oder ideologische Konstrukte ohne große Bedeutung. Beispiele für solche Flexibilität gibt es in den Quellen, aber ihre Verallgemeinerung zur Beliebigkeit ethnischer Zuordnungen wirft Pro­ bleme auf. Schon Fredrik Barth hatte in den 1960er-Jahren bei seinen Untersu­ chungen paschtunischer Gruppen in gemischten Siedlungsgebieten festgestellt, dass die Durchlässigkeit von ethnischen Grenzen keineswegs mit ihrer Beliebig­ keit verwechselt werden sollte.36 Eher werden sie durch jede Überschreitung er­ 34  Michel Foucault: Die Ordnung des Diskurses. Frankfurt a. M. 1991. Siehe Walter Pohl: Intro­ duction. Strategies of Identification. A Methodological Profile. In: Walter Pohl/Gerda Hey­ demann (Hg.): Strategies of Identification. Ethnicity and Religion in Early Medieval Europe. Turnhout 2013, S. 1–64, hier: S. 27–32. 35  Amory: People (wie Anm. 23), S. XV. Wieso es ein Zirkelschluss sein soll, zunächst davon aus­ zugehen, dass ein in den Quellen verwendeter Name die betreffende Person oder Gruppe be­ zeichnete, ist nicht einsichtig. Das schließt ja nicht aus, im Einzelfall kritisch abzuwägen, ob diese Benennung zutreffen konnte. 36  Fredrik Barth: Pathan Identity and Its Maintenance. In: ders. (Hg.): Ethnic Groups and Bound­ aries. The Social Organization of Culture Difference. Boston 1969, S. 117–134.

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neut bestätigt. Das Paradox der Ethnizität ist ja, dass die angenommene gemeinsa­ me Herkunft in der Praxis nicht herstellbar und überprüfbar ist: Ethnische Identi­ tät essenzialisiert eine Zugehörigkeit, die in der Praxis veränderbar ist. Dieser Widerspruch war schon einigen zeitgenössischen Beobachtern bewusst, wie sich etwa an Isidors zweigliedriger Definition der gens zeigen lässt: Gens est multitudo ab uno principio orta, sive ab alia natione secundum propriam collectionem distincta („Die gens ist eine Menge, die aus einem Ursprung hervorgegangen ist oder sich von einem anderen Herkunftsverband gemäß der jeweiligen Zusammensetzung unterscheidet.“).37 Wenn wir also die reale Durchlässigkeit ethnischer Grenzen in unseren Quellen nachweisen können, so bedeutet das nicht, dass ethnische Bin­ dungen irrelevant waren: Im Gegenteil, die Beobachtung trifft einen Kern der Ethnizität. Das stellt eine Herausforderung für die Forschung dar, aber keinen Grund, den ganzen Zusammenhang aus unserer Arbeit auszublenden oder mit Pauschalformulierungen („flexibel“, „nur kulturell konstruiert“) stillzulegen.

Methodische Zugänge zur Frage nach ethnischer Identität Im Folgenden soll daher die Ebene der binären Debatten – gotisch/nicht gotisch, ethnisch/nicht ethnisch – verlassen werden. Die Frage lautet eher, was wann und für wen in welchem Ausmaß nachweisbar oder vermutlich gotisch war, und wie weit das unserem Verständnis von Ethnizität entspricht. Antworten darauf kann ich hier höchstens skizzieren. Auch für Definitionen und methodische Vorüberle­ gungen muss ich hier auf Publikationen verweisen, in denen ich mich ausführli­ cher dazu geäußert habe.38 Hier nur kurz einige wesentliche Punkte: 1. Als „ethnisch“ betrachte ich Gruppen, deren Identität letztlich nicht von einem äußeren Merkmal her definiert wird (zum Beispiel: Vaterland, Stadt, politische Institution, sozialer Status, Religion), sondern in der Gruppe und ihren Mit­ gliedern selbst gesehen wird, also als begründet in gemeinsamem Blut oder Wesen, in Herkunft oder Verwandtschaft, bis zu einem gewissen Grad auch in Personennamen und Muttersprache. 2. „Ethnizität“ ist eine Form der kognitiven und relationalen Gliederung der sozi­ alen Welt nach Völkern beziehungsweise ethnischen Gruppen, die Kommunika­ tion über Zugehörigkeiten und Orientierung über kollektives Handeln erlaubt. 3. Wo das in den Quellen nicht anders begründet wird (wie zum Beispiel beim populus Romanus),39 erlaubt der regelmäßige Gebrauch von Völkernamen in unseren Quellen die Annahme einer „ethnischen“ Dimension der Gruppe, be­ 37 Isidorus,

Etymologiae 9, 2, 1. Pohl: Introduction (wie Anm. 34); ders.: Ethnogenese (wie Anm. 8); ders.: Historiography and Identity: Methodological Perspectives. In: ders./Veronika Wieser (Hg.): Historiography and Identity I: Ancient and Early Christian Narratives of Community. Turnhout 2019, S. 7–50. 39  Wobei „Romanus“ als besonders komplexe Identität gerade in der Spätantike ethnische Kon­ notationen annehmen kann: Walter Pohl: Romanness – a Multiple Identity and Its Changes. In: EME 22 (2014), S. 406–418. 38 

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sonders wenn (wie im Lateinischen) die Terminologie (gens, genus, natio) die Vorstellung von biologischer Gemeinsamkeit nahelegt. Von diesem übergreifenden System der Ethnizität als kollektiver Unterschei­ dung und Zuordnung würde ich die Frage nach den ethnischen Identitäten, also der gelebten und motivierenden Bindung an eine ethnische Gruppe, me­ thodisch abheben. Sie ist aus unseren Quellen meist schwieriger zu belegen. Als entscheidendes Kriterium für ethnische Identität sind, wie Wenskus gezeigt hat, objektive Kriterien nicht ausschlaggebend, sondern die subjektive Identifika­ tion.40 Freilich steckt darin ein methodisches Problem: Für die Spätantike fehlen dafür die Quellen. Wir haben kaum barbarische Selbstaussagen, sei es mit oder ohne ethnische Zuordnung. In der Praxis hatten sich Wenskus und Wolfram ohnehin am politischen Erfolg und der historischen Wirksamkeit von Gruppen orientiert, die unter einem bestimmten Namen operierten beziehungsweise wahrgenommen wurden. Konsistentes gemeinsames Handeln ist ein wesentlich belastbareres Kriterium für das Bestehen einer Gemeinschaft. Im durch den Diskurs der Ethnizität vorgegebenen Rahmen werden ethnische Identitäten in einem Kreislauf serieller Kommunikation und Interaktion sozial konstruiert: Individuen und Kleingruppen identifizieren sich mit einer ethni­ schen Gruppe; die Gruppe identifiziert sich durch Sprecher/Repräsentanten, in kollektiven Ritualen oder in gemeinsamem Handeln als Volk; und sie wird von außen als solches wahrgenommen. In dieser Kommunikation und Inter­ aktion nehmen Identitäten Gestalt an; ihre Vielgestaltigkeit führt aber zwangs­ läufig zu Unschärfen in der Abgrenzung. Die Außenwahrnehmung einer ethnischen Gruppe beruht daher auf Verhand­ lungen, Übersetzungsleistungen, vorgeprägten Wahrnehmungsmustern und politischen Interessen; sie ist Teil einer ständigen Kommunikation über soziale Gruppen und Zugehörigkeiten, nicht bloß beliebige Außensicht. Sie kann frei­ lich auch zu Irrtümern, Mystifikationen und ideologischen Konstrukten füh­ ren, bis hin zu Vorstellungen von fantastischen Völkern von Plinius bis Man­ deville. Dort, wo r­ egelmäßige Kommunikation nachweisbar ist (wie zwischen Römern und Goten seit dem 4. Jahrhundert) und unsere Quellen aus verschie­ denen Perspektiven berichten, ist eine völlige Fehlwahrnehmung (zum Bei­ spiel: Goten gab es gar nicht, gotische Identität war bedeutungslos) aber nicht die naheliegendste Deutung. Die Beweislast liegt daher bei denjenigen, die das behaupten wollen. Das gilt vor allem dort, wo die Außenwahrnehmung eines Volkes mit dessen politisch erfolgreichem Handeln verbunden ist. Selten ist eine Gruppe rein ethnisch bestimmt; an ethnische Identitäten knüp­ fen sich meist auch territoriale, politische, soziale, kulturelle und/oder religiöse Identifikationsformen, oft auch in stabiler Konjunktion; umgekehrt können territoriale, religiöse, militärische Identitäten ethnisiert werden. Die Frage, ob eine Gruppe ethnisch ist oder nicht, ist daher meist wenig produktiv; eher geht es darum, festzustellen, welche Rolle ethnische Identifikation jeweils für wen

Wenskus: Stammesbildung (wie Anm. 8).

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spielte, und ob sie für komplexere Identitäten eine Leitfunktion annehmen konnte. 8. Dabei müssen Belege für verschiedene Formen der Zugehörigkeit sorgfältig auseinandergehalten werden. Die in Quellen als gotische bezeichneten Ver­ bände; Träger gotischer Personennamen; Mitglieder des exercitus Gothorum; diejenigen, die in den Genuss der libertas Gothorum kamen; Sprecher des Go­ tischen; Träger gotischer Schriftlichkeit; arianische Kleriker und ihr Kirchen­ volk; das Recht des Edictum Theoderici Bekennende;41 Angehörige bestimmter genetischer Cluster;42 und mit „barbarischen“ Grabbeigaben Bestattete waren jeweils Gruppen von unterschiedlichem Umfang, auch wenn sie in vielen Fällen wohl weitgehend überlappten. Nicht alle „Arianer“ oder mit Beigaben Bestat­ teten waren Goten, nicht alle „Goten“ sprachen gotisch. Historische, archäo­ logische, linguistische oder genetische Belege können daher im Einzelfall nicht von vornherein als Nachweis gotischer Identität betrachtet werden, es kann nicht von einer dieser Zuordnungen auf eine andere geschlossen werden. Die unterschiedliche Reichweite all dieser Formen der Zuordnung ist jedoch kein Argument gegen ihre kollektive Identitätswirksamkeit. Gerade die Vielfalt der unterschiedlichen Ausdrucksformen gotischer Eigenart im Reich Theoderichs belegt die Bedeutung gotischer Identifikationen. Insgesamt konstituieren sie ein historisch wirksames Profil gotischer Identität.

Goten als kollektive Handlungsträger Grundlegend ist zunächst die Beobachtung, dass seit dem 3. Jahrhundert Goten verbreitet in der Historiographie und anderen Textgattungen vorkommen. Die Römer teilten ihre „barbarischen“ Feinde jenseits der Grenzen nach Völkernamen 41  Ingemar

König (Hg.): Edictum Theoderici regis. Darmstadt 2018; Sean D. W. Lafferty: Law and Society in the Age of Theoderic the Great. A Study of the Edictum Theoderici. Cambridge 2013. 42  Die Suche nach genetischen Spuren gotischer Migration in alter DNA hat bereits begonnen: Ireneusz Stolarek u. a.: Goth Migration Induced Changes in the Matrilineal Genetic Structure of the Central-East European Population. In: Scientific Reports 9 (2019), N. 6737. Aus den Ergeb­ nissen der Untersuchung der mitochondrialen DNA von 27 Individuen wird bereits eine Bestäti­ gung der skandinavischen Herkunft der Goten herausgelesen, auch wenn hier vor allem mit mtDNA und Haplotypen gearbeitet wird, eine ältere Methode der Populationsgenetik. Eine ethni­ sche Identifikation genetischer Cluster ist jedoch äußerst problematisch; siehe Patrick Geary/ Krishna Veeramah: Mapping European Population Movement through Genomic Research. In: Medieval Worlds 4 (2016), S. 65–78 (Thematic Issue: The Genetic Challenge to Medieval History and Archaeology). Allerdings zeigen vergleichende genetische Studien zweier den Langobarden zugeschriebener Gräberfelder in Pannonien und Norditalien, dass dort Waffen- und Grabbeiga­ ben recht gut mit einem wohl Zuwanderern zuzuschreibenden genetischen Cluster korrelieren; Carlos Amorim u. a.: Understanding 6th-Century Barbarian Social Organization and Migration through Paleogenomics. In: Nature Communications 9 (2018), N. 3547. Künftige Untersuchun­ gen werden zeigen, ob die auf ehemals römischem Boden mit Beigaben Bestatteten tatsächlich wie hier in hohem Maß „barbarischer“ Herkunft waren.

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ein, und das war im Wesentlichen wohl adäquat, denn prinzipielle Fehleinschät­ zungen über die Struktur der Nachbarn und Feinde kann sich kein Imperium leis­ ten. In der römischen Historiographie wie auch in der des Frühmittelalters wurde kollektives Handeln verbreitet mit Völkernamen ausgedrückt. Bei Ammianus drin­ gen Goten mehrfach in Thrakien ein, unterstützen den Usurpator Procopius, flie­ hen vor den Hunnen über die Donau und vernichten das Heer des Valens.43 Sie machen unter anderem Geschäfte mit Maximinus in der Historia Augusta,44 erhe­ ben laut Orosius Könige,45 oder halten – so Hydatius – eine Versammlung (concilium) ab.46 All das bloß als Ausdruck imperialer Barbaren-Ideologie abzutun, greift zu kurz; Geschichte war nicht erzählbar, wenn nicht Völker als Handelnde dargestellt werden konnten. So sprechen auch Jordanes, der Apologet der Goten, und Prokop, ihr Kriegsgegner, von konsistentem Handeln der Goten. Die Goten „wohnten in Thrakien“, „belagerten“ italische Städte, „schlossen eine Überein­ kunft mit Odoaker“, und „verteilten unter sich die Anteile am Landbesitz, die Odoaker seinen Anhängern gegeben hatte“ – das alles wird innerhalb eines Un­ terkapitels von Prokops „Gotenkrieg“ berichtet.47 In Italien wird ihnen vor allem politisches Handeln zugeschrieben, zum Beispiel Unzufriedenheit mit Entschei­ dungen Amalasuinthas, das Bestehen auf der „Sitte der Barbaren“ und Komplotte gegen die Herrscherin.48 Dieses kollektive Handeln der Goten im Lauf ihrer Ge­ schichte ist nicht Ausdruck einer territorialen Identität, der politische Rahmen ist höchst veränderlich, Religion oder Kultur spielen dabei kaum eine Rolle. Zwar haben die meisten Unternehmungen, die berichtet werden, militärischen Charak­ ter, aber es ist wenig vom exercitus Gothorum oder vom Heer Theoderichs die Rede, sondern von Gothi. Zudem reicht der Horizont ihres Handelns über den militärischen Bereich hinaus. Der gemeinsame Nenner gotischen Handlungsver­ mögens (auf Englisch würde man von agency sprechen) ist die Vorstellung von den Goten als gens, und das lässt sich in unserer Wissenschaftssprache kaum an­ ders als ethnisch verstehen (der von Wenskus gebrauchte Begriff „gentil“ bietet eine Alternative, lässt sich aber nur missverständlich ins Englische und in die ro­ manischen Sprachen übersetzen, abgesehen von seiner problematischen germani­ schen Prägung bei Wenskus). Allerdings sollte die ethnischen Gruppen zugeschriebene agency nicht zu einer Rückkehr zur älteren Vorstellung eines mit sich selbst über die Jahrhunderte iden­ 43 Siehe den Index bei John C. Rolfe (Hg./Übers.): Ammianus Marcellinus. History. 3 Bde. Cambridge, MA 1986, hier: Bd. 3, S. 582 f. 44  Historia Augusta, Gallieni duo 6, 2; Maximini Duo, 4, 4. Siehe auch den Index bei André Chas­ tagnol (Hg./Übers.): Histoire Auguste. Les empereurs romains des IIe et IIIe siècle. Paris 1994, S. 1215. 45 Orosius, Historia 7, 43, 9–10. Siehe auch Index bei Adolf Lippold (Hg./Übers.): Le storie con­ tro i pagani. 2 Bde. Mailand 1976, hier: Bd. 2, S. 515. 46 Hydatius Lemicus, Continuatio chronicorum Hieronymianorum 243. Siehe auch den Index bei Amédée-Ildefonse Trannoy (Hg.): Hydace, Chronique. 2 Bde. Paris 1974/1975, hier: Bd. 2, S. 165. 47 Procopius, Bella 5, 1, 9; 5, 1, 15; 5, 1, 24; 5, 1, 28. 48 Procopius, Bella 5, 2, 5–17.

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tischen Gotenvolkes verleiten. Umfang und jeweiliger Bedeutungsinhalt des Go­ tennamens schwankten, vor allem in der Langzeitperspektive. Aus der frühen Kai­ serzeit sind Gutones und ähnliche Namen belegt; wie Christensen gezeigt hat, beruht dieser Name in den Editionen freilich teils auf Konjekturen der Editoren.49 Seit dem 3. Jahrhundert, als Goten nördlich der unteren Donau und des Schwar­ zen Meeres aktiv wurden, verwendeten die Römer verbreitet die ethnographi­ schen Äquivalente Geten und Skythen, wobei die Goten „die“ Skythen (wie bei Jordanes), Teil der Skythen, oder die Skythen Teil der Goten50 sein konnten. Noch Isidor von Sevilla, Untertan gotischer Könige, begründete die Identifika­ tion der Goten mit Geten und Skythen, ja sogar Dakern, die Jordanes zur Grund­ lage der Getica gemacht hatte, etymologisch kühn mit der Ähnlichkeit der Na­ men.51 Er greift auch die gängige christliche Verknüpfung mit dem apokalypti­ schen Volk Gog auf, die auf der Bibel beruht. Das ist ein markantes Beispiel für die kulturellen Übersetzungen, die im Rahmen des mental mapping der Ethnizität häufig vorkommen. Sie beruhen auf der Elastizität des ethnischen Diskurses, be­ weisen aber nicht seine Beliebigkeit. Die Hellenen werden seit zwei Jahrtausenden im Westen Griechen genannt, was aber nicht belegt, dass hellenische (oder in By­ zanz, rhomäische) Identität bedeutungslos war oder ist. Schon im 3. Jahrhundert operierten, wie sich nun auf Grund der neu entdeckten Dexippos-Fragmente nachweisen lässt, mehrere gotische Gruppen unter eigenen Anführern (Dexippos nennt Cniva und Ostrogotha) zugleich in den Balkanpro­ vinzen.52 Dazu kamen diejenigen Goten, die von nördlich des Schwarzen Meers gemeinsam mit Erulern Seezüge bis in die Ägäis unternahmen. Im 4. Jahrhundert wurden die Sondernamen Terwingen und (etwas später belegt) Greutungen ge­ braucht, oder weitgehend äquivalent, wenn auch nicht immer konsequent ver­ wendet, Vesi (die Guten) und Ostrogothae (die östlichen oder die im Sonnenauf­ gang glänzenden Goten).53 Erst bei Jordanes wurden den Ostrogothae analog die Visigothae gegenübergestellt, was ab nun im Sinn von Ost- und Westgoten ver­ standen werden konnte.54 Ferner gab es eine Reihe gotischer Untergruppen, Krim­ 49  Beispielsweise

bei Strabo and Plinius: Arne Søby Christensen: Cassiodorus, Jordanes and the History of the Goths. Studies in a Migration Myth. Kopenhagen 2002. Überblick über die Na­ men der Goten: Wolfram: Goten (wie Anm. 2), S. 30–41. 50  Scythae autem, hoc est pars Gothorum: Historia Augusta, Gallieni duo 6, 2. 51  Isidorus Hispalensis, Historia Gothorum 2; 66. 52  Jana Grusková/Gunther Martin: Ein neues Textstück aus den „Scythica Vindobonensia“ zu den Ereignissen nach der Eroberung von Philippopolis. In: Tyche 29 (2014), S. 29–43; Herwig Wolfram: Ostrogotha – ein mythischer Amaler erhält zumindest einen historischen Namensvet­ ter. In: Jörg Drauschke u. a. (Hg.): Lebenswelten zwischen Archäologie und Geschichte. Fest­ schrift für Falko Daim zu seinem 65. Geburtstag. Bd. 1. Mainz 2018, S. 447–458. 53  Zur Etymologie: Norbert Wagner: Getica. Untersuchungen zum Leben des Jordanes und zur frühen Geschichte der Goten. Berlin 1967, bes. S. 67, S. 211. Zum Gebrauch: Christensen: Cassio­ dorus (wie Anm. 49), S. 203–227. 54 Jordanes, Getica 82. Er lässt offen, ob bei der Trennung der Ostrogothae und der Vesegothae erstere nach ihrem Anführer Ostrogotha benannt wurden oder a loco, id est orientales; bei den Ve­ segothae nimmt er die Benennung a parte occidua als gegeben an. Siehe auch Jordanes, Getica 98.

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goten, Tetraxiten, Gothi minores, und weitere romanisierte Goten auf Reichs­ boden, eine Gliederung, die auch die kulturelle Vielfalt und die unterschiedlichen Formen von Mobilität der Goten abbildete. Auf der Krim sind Goten noch das ganze Mittelalter hindurch bezeugt. Schließlich konnte besonders im 6. Jahrhun­ dert der Gotenname als Überbegriff für die „gotischen Völker“ verstanden wer­ den und neben Goten und Gepiden auch Vandalen und Alanen umfassen.55 Die Vielfalt von Bedeutungen zeigt die Dynamik des Gotennamens, der sehr un­ terschiedliche Gruppen umfassen oder voneinander unterscheiden konnte. Die moderne wissenschaftliche Nomenklatur, die sich vor allem auf die zeitgenössisch recht wenig gebrauchte Unterscheidung zwischen Ost- und Westgoten stützt, ver­ deckt die komplizierte Namensentwicklung.56 Die ethnographische Überformung und Einordnung der Goten in den südosteuropäischen Bereich der Skythen, Ge­ ten und Daker lässt sich leicht nachvollziehen. Cassiodor, Jordanes und Isidor ha­ ben gerade aus dieser umfassenden Völkergenealogie barbarischer Feinde der Rö­ mer die historische Leistung der Integration dieser Barbaren par excellence in die spätantike christliche Gesellschaft abgeleitet.57 Die Entwicklung der gotischen Sondernamen hingegen ist kaum der klassischen Ethnographie und ihren Fremd­ wahrnehmungen zuzuschreiben. Gerade die Gotennamen sind ein Beispiel für die Spannung zwischen ethnographischer Einordnung (als Geten/Skythen) und fort­ laufenden Bedeutungsverschiebungen, die keine Fixierung des Diskurses in ethno­ graphischen Stereotypen zuließen. Es ist naheliegend, dass sich darin auch ethnische Prozesse und Verschiebungen ausdrücken, die man mit Wolfram als „Ethnogenesen“ bezeichnen könnte. In der Zeit der hunnischen Angriffe um 375 zerfielen das Reich Ermanarichs am Schwar­ zen Meer und das Gotenland nördlich der unteren Donau; die Namen der Greu­ tungen und Terwingen verschwanden aus dem aktuellen Gebrauch; und zwei neue gotische Gruppen unter römischer beziehungsweise hunnischer Herrschaft nah­ men Gestalt an. Letztere bildete sich nach dem Fall des Attila-Reiches nochmals um, als zahlreiche gotische Verbände in die Balkanprovinzen abzogen, während die stärkste Gruppe unter Führung Valamirs und seiner Brüder zunächst in Pan­ nonien blieb. Bei ihrem Abzug teilte sie sich; der Hauptteil unter Theoderich drang ins Ostreich vor. Dort schloss sich ihm nach dessen Tod das Heer Theode­

Bella 3, 2, 2: Γοτθικὰ ἔθνη πολλὰ μὲν καὶ ἄλλα πρότερόν τε ἦν καὶ τανυ˜ν ἔστιν, τὰ δὲ δὴ πάντων μέγιστά τε καὶ ἀξιολογώτατα Γότθοι τέ εἰσι καὶ Βανδίλοι καὶ Οὐισίγοτθοι καὶ Γήπαιδες. 56  Vgl. Swain: Goths (wie Anm. 2), S. 207  f.; Hans-Ulrich Wiemer: Theoderich der Große. König der Goten, Herrscher der Römer. München 2018, S. 72. 57  Über diese Intention besteht im Wesentlichen Konsens: Wolfram: Goten (wie Anm. 2), bes. S. 15, S. 28; Walter Goffart: The Narrators of Barbarian History (A.D. 550–800). Jordanes, Greg­ ory of Tours, Bede, and Paul the Deacon. Princeton 1988, S. 20–111; Andrew Gillet: The Mirror of Jordanes. Concepts of the Barbarian, Then and Now. In: Philip Rousseau (Hg.): A Companion to Late Antiquity. Malden, MA 2009, S. 392–408; Robert Kasperski: Jordanes versus Procopius of Caesarea: Considerations Concerning a Certain Historiographic Debate on How to Solve „the Problem of the Goths“. In: Viator 48 (2019), S. 1–24.

55 Procopius,

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rich Strabos an. Jordanes, der mit den Verhältnissen in den Balkanprovinzen ver­ traut war, gibt recht präzise Informationen über diese Teilungen und Neuzusam­ mensetzungen der Goten.58 Weniger deutlich ist, bis zu welchem Grad sich Nicht-Goten dem Heer Theo­ derichs nicht nur anschlossen (was belegt ist), sondern längerfristig auch zu Goten wurden, wie es dem Modell der Ethnogenese entsprechen würde. Nicht immer führte der Anschluss einer Gruppe an ein anderes Volk zu einem ethnogeneti­ schen Prozess.59 Die Rugier im Ostgotenreich, die unter gotischer Herrschaft En­ dogamie und Identität bewahrten, sind ein Beispiel dafür.60 Im Gotenkrieg, ein halbes Jahrhundert nach ihrer Vereinigung mit dem Heer Theoderichs, waren sie noch stark genug, um nach der ersten byzantinischen Eroberung 540 einen der Ihren zum König, allerdings der Goten, zu erheben. Freilich macht Prokops Be­ richt deutlich, dass er den mangelnden Integrationswillen der Rugier als Sonder­ fall betrachtete, der eigens erklärt werden musste. Ein Beispiel für gotische Integration von Barbaren anderer Herkunft, in diesem Fall Alanen, ist vermutlich Jordanes selbst, wenn auch nicht in Italien, sondern in den Balkanprovinzen: Sein Vater hieß Alanoviamuthis, sein Großvater, der dem Alanen Candac als Notar gedient hatte, Peria. Die aus Skiren, Sadagaren und Ala­ nen zusammengesetzte Candac-Gruppe war nach dem Zerfall des Hunnenreiches im Grenzgebiet von Moesien und Scythia minor angesiedelt worden.61 Jordanes selbst war Notar des Heermeisters Gunthigis Baza gewesen. Dieser war der Sohn von Candacs Schwester aus ihrer Ehe mit dem Amaler Andages, Sohn des Andela, der ebenfalls 454 an der unteren Donau angesiedelt worden war.62 Dennoch be­ schreibt Jordanes sich selbst als quasi ex ipsa trahenti orginem, nämlich aus der gens Getarum, als er am Schluss der Getica den Vorwurf der Voreingenommen­ heit zurückweist: Nicht so sehr zum Lob der Goten habe er seine Geschichte ge­ schrieben, sondern vielmehr zum Lob dessen, der sie besiegt habe (nämlich Justinian).63 Eine der wenigen Selbstidentifikationen mit den Goten, die uns er­ halten sind, ist also recht komplex. Sie betrifft ja einen, der „eigentlich“ Alane und seit Generationen Untertan des Imperiums war. Man kann die Identität des Jorda­ nes also sowohl als Beleg für Flexibilität als auch für Resilienz ethnischer Identifi­ kationen deuten – am besten beides. 58 Jordanes,

Getica 254–267; Wolfram: Goten (wie Anm. 2), S. 259–262. Gillett: Ethnogenesis (wie Anm. 26), S. 248. 60 Procopius, Bella 7, 2, 1–3; Peter J. Heather: Disappearing and Reappearing Tribes. In: Walter Pohl/Helmut Reimitz (Hg.): Strategies of Distinction. The Construction of Ethnic Communities, 300–800. Leiden u. a. 1998, S. 95–111. 61 Jordanes, Getica 266. 62  Wolfram: Goten (wie Anm. 2), S. 43. Dieser Andages soll bei der Schlacht auf den Katalauni­ schen Feldern den Westgotenkönig Theoderid getöten haben: Jordanes, Getica 209. 63 Jordanes, Getica 316. Der Einwand Goffarts: „His [= Jordanes’s] assertion of Gothic descent gives an appearance of sincerity to his work and masks its destructiveness; it is therefore suspect“ (Goffart: Barbarian Tides [wie Anm. 2], S. 70) folgt auch an dieser Stelle dem Argumentations­ muster: Wenn wir uns bei einer Quellenstelle ein Motiv zu lügen vorstellen können, dann muss es wohl eine Lüge sein. 59 

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Was in der Vorgeschichte sowohl der westgotischen als auch der ostgotischen Reichsbildung auffällt, ist der längerfristige Zusammenhalt der jeweiligen Gruppen trotz aller Veränderungen in ihrer Zusammensetzung.64 Die Armeen der großen römischen Warlords wie Bonifatius oder Aetius oder diejenigen gescheiterter Prä­ tendenten auf den Kaiserthron zerfielen nach ihrem Tod. Die Westgoten überstan­ den die schwierige Situation nach dem Tod Alarichs I., der Ermordung Athaulfs und seines kurzlebigen Nachfolgers und erhoben immer wieder einen neuen Kö­ nig. Auch Theoderichs Heer blieb auf dem langen Weg von Pannonien nach Italien im Wesentlichen beisammen, während das des schon länger in römischem Dienst gestandenen Theoderich Strabo sich nach dessen Tod dem Rivalen Theoderich an­ schloss. Das für andere Zusammenhänge durchaus erklärungsmächtige WarlordModell findet hier seine Grenze.65 In anderem Kontext hebt Prokop die Kohärenz gotischer Heere zum Unterschied von den aus vielen Völkern zusammengewürfel­ ten römischen Armeen hervor, nämlich in der Rede des Totila vor der Schlacht an den Busta Gallorum.66 Es sei die pistis, die Treue, die Goten in der Schlacht auch in schwierigen Situationen motivieren könne, während die aus vielen Völkern zusam­ mengewürfelten römischen Truppen nicht denselben Einsatz zeigen würden. Den­ noch unterliegt Totila; aber die Kritik Prokops am mangelnden Zusammenhalt rö­ mischer Heere im Gotenkrieg kam wohl aus Erfahrung. Rein empirisch lässt sich feststellen, dass sich letztlich nur solche Warlords auf weströmischem Boden durchsetzten, die ethnische Loyalitäten mobilisieren konnten. Diese Beobachtungen sind auch relevant für die vieldiskutierte Frage, ob die Goten auf dem Weg durch die Balkanprovinzen nach Italien ein Volk oder ein Heer waren.67 Selten wird dabei das Fragment 20 des Malchos berücksichtigt, in dem der Zug Theoderichs nach Epidamnus 479 geschildert wird. Das Heer wurde begleitet von einem Tross von angeblich 2 000 Wagen mit 5 000 Menschen und dem Gepäck unter der Führung von Theoderichs Mutter und Bruder, die weit hinter der gotischen Armee zogen und einige logistische Probleme machten.68 Es han­ 64 

Dazu und zum Folgenden Walter Pohl: ‚Pistis‘ e potere. Coesione etnica negli eserciti barbari­ ci nel periodo delle migrazioni. In: Carlo Ebanista/Marcello Rotili (Hg.): Archeologia e storia delle migrazioni. Europa, Italia, Mediterraneo fra tarda età romana e alto medioevo. Cimitile 2011, S. 55–64. 65  Dabei würde ich andere Akzente setzen als Hans-Ulrich Wiemer: Die Goten in Italien. Wand­ lungen und Zerfall einer Gewaltgemeinschaft. In: HZ 296 (2013), S. 593–628, und Guido Berndt: Raids, Invasions and Migrations. Some Considerations about Gothic Warlords and their Warrior Groups. In: Le Migrazioni nell’Alto Medioevo. 66a Settimana di Studio del Centro Italiano di Studi sull’Altomedioevo. Bd. 1. Spoleto 2019, S. 237–265. 66 Procopius, Bella 8, 30, 17–18. Pohl: ‚Pistis‘ (wie Anm. 64). 67 J. H. Wolfgang G. Liebeschuetz: Alaric’s Goths: Nation or Army? In: John F. Drinkwater/ Hugh Elton (Hg.): Fifth-Century Gaul. A Crisis of Identity? Cambridge 1992, S. 75–83; Michael Kulikowski: Nation versus Army. A Necessary Contrast? In: Gillett (Hg.): Barbarian Identity (wie Anm. 2), S. 69–84; Swain: Goths (wie Anm. 2), S. 215–218. 68 Malchus, Fragmenta 20 bei: Roger C. Blockley (Hg.): The Fragmentary Classicizing Histori­ ans of the Later Roman Empire. Eunapius, Olympiodorus, Priscus and Malchus. 2 Bde. Cam­ bridge 1983, hier: Bd. 2, S. 401–455, bes. S. 434–451, insbes. S. 449: die gotische Nachhut wird von den Römern gefangengenommen. Zum Kontext siehe Wolfram: Goten (wie Anm. 2), S. 274–277;

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delte sich wohl vor allem um die Familien und den Anhang der gotischen Solda­ ten. Wenig deutet darauf hin, dass es auf dem Zug nach Italien anders war; Prokop erwähnt explizit, dass die gotischen Frauen, Kinder und der Hausrat auf Wagen mitzogen.69 Der Wagenzug mit den Familien erklärt wohl auch, dass das Heer Theoderichs im Spätsommer 488 von Novae aufbrach und erst ein Jahr später an der Grenze Italiens erschien, wo es am 28. August 489 zur Schlacht kam.70 Die Alternative „nation or army“ ist ohnehin wenig aussagekräftig.71 Wir kön­ nen die großen Barbarengruppen, die im zerfallenden Weströmischen Reich ihre Herrschaften aufbauten, eher als Konglomerate von Identifikationsformen mit je unterschiedlichen Akzenten verstehen. Militärische Solidarität und Loyalität mit dem königlichen oder nichtköniglichen Anführer spielten sicherlich eine Rolle, mit allen Elementen, die erfolgreiche „Gewaltgemeinschaften“ unter Führung ­eines Warlords ausmachen.72 Im italischen Ostgotenreich waren die Gothi per Italiam constituti, wie sie Cassiodor wiederholt in seinen Briefen anspricht, funktio­ nell als gotisches Heer mit allen Privilegien eingestuft: „Goths and Romans played complementary social roles.“73 Das heißt aber nicht, dass es nicht auch gotische Frauen, Kleriker, Unfreie und zivile Grundbesitzer gab. Volk und Armee waren nicht deckungsgleich, ihre enge Verknüpfung konnte aber die soziale Kohäsion fördern. Die relative Resilienz des ethnischen Zusammenhalts wird auch beim Zerfall des Ostgotenreiches wieder spürbar.74 Wenn, wie Amory meint, die „ethnogra­ phic ideology […] did not create community, it created political opportunity“,75 dann ist schwer verständlich, wieso die Goten so erbitterten Widerstand leisteten, als die politischen Chancen, die eine ethnographische Ideologie noch bringen konnte, dahinschwanden. Es ging für die Gotenkrieger nach 535 ja nicht unbe­ dingt ums Überleben oder die Bewahrung ihres Standes. Regelmäßig boten die Byzantiner geschlagenen Goten an, epi tē isē kai homoia in die römische Armee übernommen zu werden, also zu gleichen Bedingungen wie die römischen Solda­

Peter Heather: Goths and Romans. 332–489. Oxford 1991, S. 290–293; Wiemer: Theoderich (wie Anm. 56), S. 139. 69 Procopius, Bella 5, 1, 11. Siehe auch Ennodius, Panegyricus 26. Zur Rolle der Frauen ausführ­ lich Hans-Ulrich Wiemer: Keine Amazonen. Frauen in ostgotischen Kriegergruppen. In: AKG 99 (2017), S. 265–298; knapper ders.: Theoderich (wie Anm. 56), S. 181, S. 219–223. 70  Wolfram: Goten (wie Anm. 2), S. 280  f. 71  Siehe auch Guy Halsall: The Ostrogothic Military. In: Arnold/Bjornlie/Sessa (Hg.): Companion (wie Anm. 2), S. 173–199, bes. S. 174 f. 72  Wiemer: Goten (wie Anm. 65). 73  Gerda Heydemann: The Ostrogothic Kingdom. Ideologies and Transitions. In: Arnold/Bjorn­ lie/Sessa (Hg.): Companion (wie Anm. 2), S. 17–46, hier: S. 27; Cassiodorus, Variae 8, 5; siehe auch die zweisprachige kommentierte Edition: Andrea Giardina/Giovanni Cecconi/Ignazio Tan­ tillo (Hg.): Flavio Magno Aurelio Cassiodoro Senatore, Varie. (Bislang) 4 Bde. Rom 2015–2018. Zu den Variae allgemein: M. Shane Bjornlie: Politics and Tradition between Rome, Ravenna and Constantinople. A Study of Cassiodorus and the Variae, 527–554. Cambridge 2013. 74  Siehe auch Heather: Ideology (wie Anm. 2), S. 53. 75  Amory: People (wie Anm. 23), S. 43–45.

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ten.76 Sicherlich hat Amory recht, dass Goten nach ihrer Niederlage relativ rasch aus den (allerdings sehr lückenhaften) Quellen in Italien verschwinden. In einem Brief Papst Gregors I. von 594 sind die tempora Gothorum, als die Kirche von S. Agatha in der Subura eine spelunca pravitatis haereticae war, vorbei.77 Das lag aber nicht zuletzt an ihrem lange ungebrochenen Widerstand. Diejenigen, die sich der römischen Armee anschlossen, wurden sicherlich anderswo stationiert. Gegen Ende des Gotenkrieges wurden besiegte Goten, wie Agathias bezeugt, aus Italien deportiert.78

Spuren gotischer Identitäten Der Zusammenhang des „Arianismus“ mit barbarischen Identitäten ist in den letzten Jahren nicht zu Unrecht stark relativiert worden.79 Dennoch ist nicht zu leugnen, dass gotische Sprache, arianisches Bekenntnis und der Staat Theoderichs eng verknüpft waren.80 Ein hartnäckiges Festhalten an gotischer Sprache und kirchlicher Tradition findet sich im ravennatischen Papyrus 34 aus dem Jahr 551, der den Verkauf arianischen Kirchengutes der Kirche S. Anastasia in Ravenna do­ kumentiert.81 Ein Jahrzehnt nach der Besetzung Ravennas durch die Byzantiner und mitten im Krieg konnten clerici legis Gothorum also noch ihren Geschäften nachgehen.82 Erst in den 560er-Jahren wurde dann der homöische Kirchenbesitz, substantiae Gothorum, beschlagnahmt und der katholischen Kirche übertragen.83 551 unterschrieben vier der Kleriker von S. Anastasia noch unbeeindruckt vom politischen und religiösen Wandel eigenhändig auf Gotisch, darunter der im Text Optarit presbyter genannte Priester als Ufitahari papa. Politische Opportunität 76  Walter

Pohl: Carrières barbares pendant et après la guerre gothique. In: Françoise Vallet/Mi­ chel Kazanski (Hg.): La noblesse romaine et les chefs barbares du IIIe au VIe siècle. Rouen 1995, S. 57–62. 77  Gregorius Magnus, Regula 4, 19, 7. 78  Siehe zum Beispiel Agathias, Historiae 2, 14, 6–7. 79  Robin Whelan: Being Christian in Vandal Africa. The Politics of Orthodoxy in the Post-Impe­ rial West. Berkeley 2018; für die Diskussion, siehe auch Guido M. Berndt/Roland Steinacher (Hg.): Arianism. Roman Heresy and Barbarian Creed. Farnham 2014. 80  Eine abgewogene Übersicht bei Thomas S. Brown: The Role of Arianism in Ostrogothic Italy: the Evidence from Ravenna. In: Barnish/Marazzi (Hg.): Ostrogoths (wie Anm. 2), S. 417–427. 81  P. Ital. II., Papyrus 34, S. 95. Siehe dazu Walter Pohl: Social Cohesion, Breaks and Transforma­ tions in Italy, 535–600. In: Ross Balzaretti u. a. (Hg.): Italy and Medieval Europe. Papers for Chris Wickham. Oxford 2018, S. 19–38. Amory: People (wie Anm. 23), S. 251–257, benutzt die Stelle hauptsächlich um zu argumentieren, dass die gotischen Unterschriften wegen ihres formelhaften Charakters anzeigen, dass Gotisch damals schon eine tote Sprache war. Wenn das stimmen sollte, würde das den demonstrativen Charakter der Unterschriften noch unterstreichen. 82  P. Ital. II., Papyrus 33, S. 79–90: clericus legis Gothorum. 83 Agnellus, Liber pontificalis 85: Temporibus istius [i. e. Erzbischof Agnellus, 557–570] Iustinianus […] omnes Gothorum substantias huic ecclesiae et beato Agnello episcopo habere concessit, non solum in urbibus, sed in suburbanis villis et viculis etiam, et templa et aras, servos et ancillas, quicquid ad eorum ius vel ritum paganorum pertinere potuit.

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war mit diesem demonstrativen Gebrauch des Gotischen in einem staatlichen Do­ kument in Kriegszeiten nicht mehr verbunden, im Gegenteil. Eher macht es den Eindruck, als würden hier hartnäckig konfessionelle wie ethnische und sprachliche Identität betont. Identitäten sind nicht immer flexibel, beliebig und situationell. Auch andere frühmittelalterliche Beispiele zeigen, dass Menschen auch und gerade unter schwierigen Bedingungen ihre Zugehörigkeiten zu bewahren suchen.84 Das umstrittenste Element gotischer Identität ist die Bedeutung der Herkunfts­ sage und ihre Ableitung von gotischer Tradition. Sie kann hier nur kurz skizziert werden.85 In der älteren „Germanischen Altertumswissenschaft“ galt die skandi­ navische Herkunft der Goten, von der Jordanes berichtet, als selbstverständlicher Ausdruck nordisch-germanischer Zugehörigkeit der Goten. Durch die starke Prä­ senz des Gotennamens in Schweden (Götaland, Gotland, Gaut/Geat86 etc.) er­ schien sie zudem als sehr plausibel. Kritik an der Historizität der skandinavischen Herkunft setzte allerdings schon in den 1960er-Jahren ein und hat sich seither weitgehend durchgesetzt.87 Das Modell von Wenskus erlaubte, statt einer Wande­ rung „der“ Goten aus Skandinavien auch die Migration einer kleinen Gruppe, ­eines „Traditionskerns“, oder alternativ die Übertragung von Traditionen anzu­ nehmen. Dasselbe galt für die Verbindungen zwischen weiteren Gebieten, in de­ nen Goten in der römischen Kaiserzeit genannt werden. Nicht mehr „die“ Goten mussten wandern, sondern gotische Tradition genügte, um eine Namensübertra­ gung zu erklären. Heute wird kaum noch angenommen, dass der Text des Jordanes tatsächlich auf Mythen der frühen Kaiserzeit zurückgeht. Auch die Kontinuität gotischer Tradi­ tion über Jahrhunderte wird mehr oder weniger skeptisch gesehen. Viel spricht dafür, dass der Besuch des Königs der skandinavischen Ranier, Rodulf, bei Theo­ 84  Zum

Beispiel „Römer“ im nordalpinen Bereich: Walter Pohl: Walchen, Römer und ‚Roma­ nen‘: Einleitung. In: Walter Pohl u. a. (Hg.): Walchen, Romani und Latini. Variationen einer nachrömischen Gruppenbezeichnung zwischen Britannien und dem Balkan. Wien 2017, S. 9–26. 85  Siehe u. a. Wolfram: Gotische Studien (wie Anm. 12); Goffart: Narrators (wie Anm. 57); Chris­ tensen: Cassiodorus (wie Anm. 49); Alheydis Plassmann: Origo gentis: Identitäts- und Legitimi­ tätsstiftung in früh- und hochmittelalterlichen Herkunftserzählungen. Berlin 2006; dies.: Mittel­ alterliche Origines gentium. Paulus Diaconus als Beispiel. In: Quellen und Forschungen aus italie­ nischen Archiven und Bibliotheken 87 (2007), S. 1–35; Magali Coumert: Origines des peuples: Les récits du Haut Moyen Âge occidental (550–850). Turnhout 2007; J. H. Wolfgang G. Liebeschuetz: Making a Gothic History. Does the Getica of Jordanes Preserve Genuinely Gothic Traditions? In: JLA 4 (2011), S. 185–216; Shami Ghosh: Writing the Barbarian Past: Studies in Early Medieval Historical Narrative. Leiden 2015; Walter Pohl: Narratives of Origin and Migration in Early ­Medieval Europe: Problems of Interpretation. In: Medieval History Journal 21 (2018) 2 (Narratives of Ethnic and Tribal Origins. Eurasian Perspectives, Special issue), S. 192–221. Überblick über die Diskussion: Walter Pohl: Debating Ethnicity in Post-Roman Historiography. In: Gerda Heyde­ mann/Helmut Reimitz (Hg.): Historiography and Identity II. Post-Roman Multiplicity and New Political Identities. Turnhout (im Druck). 86  Zum Namen Gapt/Gaut in der Amaler-Genealogie und den damit verknüpften philologischen Problemen Dennis H. Green: Linguistic and Literary Traces of the Ostrogoths. In: Barnish/ Marazzi (Hg.): Ostrogoths (wie Anm. 2), S. 387–404. 87  Rolf Hachmann: Die Goten und Skandinavien. Berlin 1970, S. 145–220.

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derich das Interesse an skandinavischen Ursprüngen in Ravenna geweckt haben könnte.88 Offen bleibt freilich, wie die Namensgleichheit der kontinentalen und der skandinavischen Goten zu erklären ist, wenn es keinen direkten Zusammen­ hang gibt.89 Eine radikale Absage an die Bedeutung gotischer Tradition propagierte seit den späten 1980er-Jahren Walter Goffart.90 Er verwarf Herwig Wolframs Rekonstruk­ tion einer „Origo Gothica“ aus der Getica ebenso wie ihre Verknüpfung mit der verlorenen Gotengeschichte Cassiodors. Er untersuchte die Getica konsequent als literarisches Konstrukt der 550er-Jahre und bestritt jede Rolle mündlicher Über­ lieferung darin. Zugleich wies er jede Identitätswirksamkeit dieser historischen Erzählungen und damit auch die Bedeutung gotischer Identität zurück. Seine Ar­ gumentation entwickelte er zwar unabhängig vom literary turn der 1980er- und 1990er-Jahre, doch ihre Rezeption wurde durch diesen Kontext sicherlich geför­ dert. Charakteristisch für die daraus entstandene Position ist die Formulierung Patrick Amorys: „It should be absolutely clear that in Ostrogothic Italy, ethno­ graphy had the same obscure relation to real communities as historical writing and panegyric had to real events.“91 Ist die Feststellung, es sei „absolut klar“, dass alles obskur ist, wirklich das Ein­ zige, was wir über „wirkliche Gemeinschaften“ und „wirkliche Ereignisse“ sagen können? Müssen wir uns auf eine literarische Analyse der „fiction of fact“92 ­beschränken, weil wir ihren historischen Gehalt nicht mehr erfassen können? ­Jedenfalls lässt sich in der Rückschau feststellen, dass die literarhistorische Argu­ mentation bald in methodische Schwierigkeiten geriet, gerade wo sie sich aus der Obskurität der Beziehung zu realen Gemeinschaften und Ereignissen befreien wollte. Als Beispiel kann ein jüngst erschienener Aufsatz von Robert Kasperski dienen.93 Der Autor argumentiert darin, Jordanes habe die gesamte gotische Migra­ tionsgeschichte als Antwort auf Prokops Darstellung der Vandalen erfunden. Kas­ perski zufolge verfocht Prokop die Meinung, die Vandalen könnten und sollten in ihre alte Heimat zurückkehren, da sie auf römischem Boden nicht integrierbar seien. Jordanes hingegen wollte erreichen, dass Justinian die besiegten Goten in Italien leben ließ, und konstruierte daher die Getica in jedem Abschnitt im Ge­ gensatz zu Prokops Darstellung von den Vandalen. Die These ist interessant, aber 88 Jordanes, Getica 24. Alvar Ellegård: Who were the Heruli? In: Scandia 53 (1987), S. 5–34; Wolfram: Goten (wie Anm. 2), S. 317. 89  Eine Möglichkeit wäre die Herleitung des Gotennamens von „Männer“ entsprechend dem alt­ isländischen gotnar: Ferdinand Holthausen: Gotisches etymologisches Wörterbuch. Heidelberg 1934, S. 40, die eine unabhängige Entstehung dieser Namen plausibel machen würde; Christen­ sen: Cassiodorus (wie Anm. 49), S. 288. 90  Goffart: Narrators (wie Anm. 57). Walter Goffart: Does the Distant Past Impinge on the Inva­ sion Age Germans? In: Gillett (Hg.): Barbarian Identity (wie Anm. 2), S. 21–37; Goffart: Barbarian Tides (wie Anm. 2). 91  Amory: People (wie Anm. 23), S. 317. 92  Hayden White: The Content of the Form. Narrative Discourse and Historical Representation. Baltimore 1987. 93  Kasperski: Jordanes (wie Anm. 57). 

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darum geht es hier nicht, sondern um den methodischen Ansatz. Kasperski geht völlig selbstverständlich davon aus, dass die begründbare Vermutung einer politi­ schen Intention oder einer literarischen Strategie in einem spätantiken Geschichts­ werk genügt, um zu belegen, dass es sich um eine reine Erfindung handle: „Jorda­ nes created the story of the Gothic migration.“94 Damit ist für Kasperski die These einer gotischen mündlichen Überlieferung erledigt; aus der Vermutung eines Tat­ motivs (die Intention des Jordanes) glaubt er die Tat (seine Kreation ex nihilo der gotischen Migrationsgeschichte) hinreichend bewiesen zu haben. Insgesamt halte ich die These, die Goten hätten sich ebenso wie alle anderen Barbaren ohne historische Erinnerung und kulturelles Gedächtnis auf römischem Boden niedergelassen, für wenig plausibel. Wenn Jordanes insgesamt dreimal auf carmina prisca verweist, dann sollte man diese Hinweise nicht einfach wegwi­ schen.95 Das Bild, das dabei entsteht, ist zu romanozentrisch. Der Trend zu einer rein römischen Interpretation der post-römischen Regna ist insofern paradox, als gerade zur Zeit die chinesische Forschung zu den Beziehungen zwischen China und den Steppenvölkern dabei ist, sich vom Sinozentrismus zu befreien, der da­ von ausging, alle wesentlichen kulturellen Grundlagen der Steppenreiche und umso mehr der aus den Steppen stammenden Dynastien in China seien chinesisch gewesen.96 Jüngere Forschungen in diesem Feld konzentrieren sich auf Interak­ tion, Austausch und gemeinsame kulturelle Grundlagen.97 Michael Kulikowski hat jüngst die Bedeutung eines solchen interaktionistischen Ansatzes auch für die Erforschung der westlichen Völkerwanderungszeit betont.98 Der methodische Ansatz zur Arbeit mit den Geschichtswerken der poströmi­ schen Regna und ihrer Bedeutung für Identitätsbildung, den ich hier verfolgt habe, ließe sich etwa so zusammenfassen:99 1. Historische Quellenkritik, ergänzt durch philologische und literaturgeschicht­ liche Methoden, bleibt die selbstverständliche Grundlage jeder Argumenta­ tion. Der literary turn und die Dekonstruktion vertrauter Deutungsmuster haben dabei teils wesentliche Fortschritte gebracht. Die mit dem dekonstruk­ tiven Impetus verknüpften großen Gesten und pauschalen Urteile sind heute aber kaum mehr produktiv.100  94 

Ebd., S. 22. Getica 28; 43 (cantus maiorum); 72 (suis cantionibus reminiscent). Siehe Pohl: De­ bating Ethnicity (wie Anm. 85).  96  Luo Xin: Chinese and Inner Asian Perspectives on the History of the Northern Dynasties (386–589) in Chinese Historiography. In: Nicola Di Cosmo/Michael Maas (Hg.): Empires and Exchanges in Eurasian Late Antiquity. Rome, China, Iran, and the Steppe, ca. 250–750. Cam­ bridge 2018, S. 166–175, hier: bes. 170 f.  97  Siehe zum Beispiel Nicola Di Cosmo: Ancient China and Its Enemies. The Rise of Nomadic Power in East Asia. Cambridge 2004; Jonathan Skaff: Sui-Tang China and Its Turko-Mongol Neighbors. Culture, Power and Connections, 580–800. Oxford 2012.  98  Michael Kulikowski: Northern Invaders. Migration and Conquest as Scholarly Topoi in Eur­ asian History. In: Di Cosmo/Maas (Hg.): Empires and Exchanges (wie Anm. 96), S. 151–165, bes. S. 165.  99  Ausführlicher dazu: Pohl: Historiography (wie Anm. 38). 100  Pohl: Debating Ethnicity (wie Anm. 85).  95 Jordanes,

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2. Die Kritik an deutschnationalen Germanen-Ideologien und die Privilegierung literarischer Zugänge hat in der Erforschung der „Völkerwanderungszeit“ zu einer (vor allem in der englischsprachigen Forschung) verbreiteten Abwertung jeder Art von mündlicher Überlieferung, native knowledge oder nicht-klassi­ scher Tradition geführt. Tatsächlich müssen wir uns eingestehen, dass wir viel weniger über die „barbarische“ Vergangenheit und die darauf beruhenden Vor­ stellungen der neuen Herren des Westens wissen (können) als frühere Forscher­ generationen glaubten. Dennoch kann es produktiv sein, wenn jemand derarti­ ge Spuren verfolgt, und diese Versuche sollten nicht unter den Generalverdacht einer Rückkehr zur „Germanischen Altertumskunde“ gestellt werden.101 3. Die Konstruktion von Identitäten in historiographischen Texten der Epoche verläuft meist nicht so eindimensional wie vielfach angenommen.102 Dass Jor­ danes gotische Identität konstruiert, ist nicht falsch, sagt aber wenig aus. Wie die meisten Geschichten der Regna ist auch sein Text vielstimmig, voller inne­ rer Spannungen und Widersprüche und entwirft durchaus subtil mehrere Identifika­tionsmuster auf verschiedenen Ebenen.103 Wie genau in historiogra­ phischen Texten der Spät­antike und des Mittelalters Identitäten konstruiert wurden, ist noch vertieft zu diskutieren. Die im Entstehen begriffene sechsbän­ dige Reihe „Historiography and Identity“ wird dazu einen Beitrag leisten.104 4. Die Geschichtswerke des Jordanes und ebenso Isidors, Gregors von Tours, Fredegars oder des Paulus Diaconus sind Ergebnisse intensiver Kommunika­ tion zwischen der lateinischen Tradition und der hybriden Vorstellungswelt der neuen militärischen Eliten. Man könnte diese Autoren mit Helmut Reimitz als „cultural broker“ bezeichnen.105 Sie ordneten die neuen Völker nicht nur hori­ zontal in eine Welt von Völkern ein, sondern auch vertikal in übergreifende römisch-imperiale und/oder christliche Zusammenhänge. 101  Shami

Ghosh hat zum Beispiel durchaus weiterführend lateinische Geschichtswerke (u. a. die Getica des Jordanes) und frühe vernakulare Epen (Waldere/Waltharius und Beowulf) verglichen. Man hat allerdings den Eindruck, dass er dabei ständig Kritik daran antizipiert und daher allzu vorsichtig argumentiert. Eine Identitätswirksamkeit der behandelten Texte schließt er zum Beispiel praktisch aus: Ghosh: Past (wie Anm. 85), S. 260. Eine abgewogene Wertung der Rolle der mündli­ chen Überlieferung bei den Ostgoten findet sich bei Wiemer: Theoderich (wie Anm. 56), S. 82 f. 102  Pohl: Historiography (wie Anm. 38). Grundlegend: Helmut Reimitz: History, Frankish Iden­ tity and the Framing of Western Ethnicity. Cambridge 2015. 103  Diese Beobachtung entspricht in keiner Weise der älteren Auffassung, dass frühmittelalterli­ che „Nationalgeschichten“ bloß unverarbeitet und daher unverfälscht alte Traditionen wiederge­ ben, wie Walter Goffart: The Narrators of Barbarian History (A.D. 550–800). Jordanes, Gregory of Tours, Bede, and Paul the Deacon. New edition, Notre Dame 2005, S. XXXI (für die Erstauf­ lage siehe Anm. 57), mir vorwirft. Sie geht davon aus, dass die beeindruckende Konstruktion des Jordanes (und schon Cassiodors) keine lineare, eindimensionale Geschichte erzählt, sondern wi­ dersprüchliche Zugänge zur gotischen Vergangenheit zu integrieren versucht. 104  Walter Pohl/Veronika Wieser (Hg.): Historiography and Identity I: Ancient and Early Chris­ tian Narratives of Community. Turnhout 2019; Gerda Heydemann/Helmut Reimitz (Hg.): His­ toriography and Identity II: Post-Roman Multiplicity and New Political Identities. Turnhout (im Druck). 105  Reimitz: History (wie Anm. 102).

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5. Wie schon Magali Coumert gezeigt hat, dienten die „origines gentium“ als Herkunftssagen europäischer Völker nicht nur der Identitätsbildung der je­ weils eigenen Gruppe, sondern auch der Verortung unter den Völkern und der Kommunikation untereinander.106 Sie hatten nicht zuletzt eine Funktion in der mental map der Ethnizität, in der die Vielfalt der (zunehmend christlichen) Völker geordnet wurde. Ebenso wie bei den Goten erzählte man von den meisten europäischen Völkern, dass sie von den Rändern Europas kämen: aus Skandinavien oder Skythien wie die Goten, aus Troja wie Römer und Franken oder aus den Heeren Alexanders des Großen wie die Sachsen.107 6. Belege für die emphatische Selbstzuordnung zu einem Volk, und darüber hi­ naus für eine identitätsstiftende Wirkung der Texte über die Vergangenheit, sind in Spätantike und Frühmittelalter rar (obwohl es sie gibt). Die Wirkung des Jordanes auf die in Italien und in Byzanz verbliebenen Goten, deren Spu­ ren sich bald verlieren, ist besonders schwer einzuschätzen. Eine relativ breite Überlieferung der Getica lässt sich erst in der Karolingerzeit feststellen, und von da an hat sie sicherlich zum langen Nachruhm der Goten beigetragen.108 Dass im nachrömischen Europa aber recht verbreitet Geschichten der Gentes und Regna geschrieben wurden (und Texte über ihre Ursprünge teils hohe Ver­ breitung erreichten, wie die fränkische Trojasage), deutet darauf hin, dass diese Erzählungen in vielen Zusammenhängen bedeutsam erschienen. Dass Identitä­ ten narrativ konstruiert werden, ist ja nicht eine obskure These der älteren deut­ schen Germanenforschung, sondern kulturwissenschaftlicher Main­stream.109 Dass es bei den Goten nicht so war, müsste im spezifischen Fall plausibel ge­ macht werden. Gerade die intentionale Formung der erhaltenen Geschichts­ werke, mit der die Kritiker gegen die Plausibilität ihrer Inhalte argumentieren, deutet darauf hin, dass die Autoren mit ihrer Wirkung rechnen konnten.

Schlussfolgerungen Zusammenfassend kann gesagt werden: Die historische Wirksamkeit der rechtlich und sozial als Gothi definierten Gruppe in Italien (die neben Nachkommen goti­ scher Gruppen vor dem Italienzug Barbaren anderer Herkunft und wohl auch Soldaten römischen Ursprungs umfasste) wird in den Quellen deutlich, nicht zu­ 106 

Coumert: Origines (wie Anm. 85). Pohl: Narratives of Origin (wie Anm. 85). 108  Goffart: Barbarian Tides (wie Anm. 2), S. 71, schließt seine Behandlung der Getica mit dem deutlichen Mission statement ab: „The task of identifying and neutralizing its [i. e., the Getica] malign effect on modern accounts of the Migration Age leaves us much to do.“ Vielleicht nicht „a most dangerous book“ (Christopher B. Krebs: Ein gefährliches Buch. Die „Germania“ des Taci­ tus und die Erfindung der Deutschen. München 2012), aber immerhin „malign“. Dabei verquickt Goffart aber einen rezeptionsgeschichtlichen Zugang mit aktuellen Debatten, was beiden nicht wirklich gerecht wird und ihn zur verfehlten Einpassung neuer Positionen in alte Rezeptionsmus­ ter bringt. 109  Siehe auch Heather: Ideology (wie Anm. 2), S. 53. 107 

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letzt an ihrem erfolgreichen gemeinsamen Handeln. Im Sinn der oben vorgeschla­ genen Definition von „Ethnizität“ als kognitive und pragmatische Differenzie­ rung zwischen Völkern kann die Unterscheidung zwischen Goten und Römern (oder Italikern, wie sie Prokop nennt) als ethnisch verstanden werden. Auch die Romani galten zunehmend als ein Volk unter anderen, wobei der Gebrauch schwankt: Der Begriff konnte auf die Rhomäer des Imperiums beschränkt werden – wie es auch Isidor tat, für den die romanischen Spanier (Hi)spani waren; oder diese wurden als Graeci von der lateinischen (oder stadtrömischen) Romanitas ab­ gehoben.110 Gothi und Romani konnten nun zunehmend sowohl als gens als auch als populus verstanden werden.111 Sinn und praktischer Gebrauch der Identifika­ tion von Goten im Ostgotenreich geht aus unseren Quellen deutlich hervor. Das ist nicht zuletzt in den Variae der Fall, die ja gerade Kommunikationsszenarien dokumentieren, die dem oben skizzierten Identitätsbegriff entsprechen. Über subjektive ethnische Identitäten von Goten können weniger sichere Aus­ sagen gemacht werden. Besonders gilt das für mit Grabbeigaben, zum Beispiel mit bestimmten Fibeltypen Bestattete.112 Gruppen von „Barbaren“ im Reich Theode­ richs könnten sich auch als Rugier, Alanen, Sueben etc. verstanden haben. Solche Unterscheidungen können durchaus situativ (wenn auch keineswegs beliebig) ge­ handhabt worden sein. Wie wichtig es den als Goten Bezeichneten war, Goten zu sein, ist eine oft gestellte Frage, die aber die vormodernen Quellen meist überfor­ dert: Über gelegentliche Selbstzuordnung von Autoren und führenden Repräsen­ tanten einer Gens kommen wir dabei selten hinaus. Das bedeutet aber nicht, dass wir über gotische Identitäten im italischen Ostgotenreich keine Aussagen machen können. Was wir haben, sind Spuren vielgestaltiger Identifikationen, die alle mit einem ethnischen Element verknüpft sind oder sein können: die lingua Gothica, der exercitus Gothorum, die clerici und ecclesiae legis Gothicae des arianischen Be­ kenntnisses, die origo vel gesta Gothorum/Getarum als gemeinsame Geschichte und schließlich das Regnum, das in nicht-offiziösen Quellen durchaus auf die Go­ ten bezogen wird. Insgesamt bilden alle diese (wenn auch teils vereinzelt) in den 110  Walter Pohl u. a. (Hg.): Transformations of Romanness in the Early Middle Ages. Regions and Identities. Berlin/New York 2018; Walter Pohl/Philipp Dörler: Isidore and the gens Gotho­ rum. In: AntTard 23 (Isidore de Séville et son temps) (2015), S. 133–142. 111  Jordanes gebraucht populus siebenmal für die Goten und viermal für die Römer und gens/ gentes 42-mal für Goten und gotische Völker und fünfmal für die Römer (sowie auch im Titel). Maria Nezbeda: The Use of gens, populus and natio in the Getica of Jordanes. In: Walter Pohl/ Cinzia Grifoni/Sophie Gruber (Hg.): Ethnic Terminologies in the Early Middle Ages. Leiden (im Druck). 112 Für archäologisch nachvollziehbare gotische Identität: Volker Bierbrauer: Archäologie und Geschichte der Goten vom 1.–7. Jahrhundert. Versuch einer Bilanz. In: Frühmittelalterliche Stu­ dien 28 (1994), S. 51–171; ders.: Ethnos und Mobilität im 5. Jahrhundert aus archäologischer Sicht. Vom Kaukasus bis Niederösterreich. München 2008; dagegen Sebastian Brather: Ethnische Inter­ pretationen in der frühgeschichtlichen Archäologie. Geschichte, Grundlagen und Alternativen. Berlin/New York 2004; Philipp von Rummel: Habitus barbarus. Kleidung und Repräsentation spätantiker Eliten im 4. und 5. Jahrhundert. Berlin/New York 2007; siehe auch Walter Pohl/ Mathias Mehofer (Hg.): Archaeology of Identity – Archäologie der Identität. Wien 2010.

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Quellen belegten Ausdrucksformen ein Netz von unterschiedlichen Identifika­ tionen, sprachlich, militärisch, sozial, religiös und politisch. Ihr gemeinsamer Nenner kann kaum anders als mit einem Ethnonym bezeichnet werden: mit gens Gothorum. Dem Erfolg gotischer Reiche und Gruppen im 6. Jahrhundert liegt also ein gan­ zes Bündel von Identifikationsangeboten zugrunde. Nur eines davon war die im engeren Sinn ethnische Vorstellung von gemeinsamer Abstammung und mythi­ scher Wanderung der Goten. Dazu gehörten auch Ideen von der besonderen ­Tapferkeit und Nobilität der Goten; Erinnerungen an frühere Erfolge und die ge­ meinsame Überwindung von Krisen; das Bekenntnis zu Theoderichs Gesetz oder traditionellen gotischen Rechtsgewohnheiten; die gotische Sprache und ihre litur­ gische Überhöhung, wie sie die gotische Bibel bezeugt; Loyalität (pistis, fidelitas) zu einem nichtrömischen König oder Anführer; positiv gewendete Barbarenste­ reotypen und Ideale von kriegerischer Männlichkeit. Dazu konnte das Motiv ­einer besonderen Beziehung zu Rom oder einer Übernahme römischer Civilitas kommen. Im Streit um die Erziehung Athalarichs wird deutlich, dass kein Kon­ sens darüber bestand, was kata ton barbaron nomon, gemäß der barbarischen Norm sei.113 Auch wenn diese nichtrömischen Elemente in der sozialen Land­ schaft des Gotenreiches sicherlich eine unterschiedliche Reichweite besaßen und ihre Bedeutung jeweils unterschiedlich sein konnte: Die politische Identifikation mit dem Regnum, die sprachliche mit dem Gotischen, die militärische mit dem exercitus Gothorum, die religiöse der arianischen lex Gothorum, das soziale Privi­ leg der libertas Gothorum waren unschwer miteinander und mit der ethnischen Vorstellung gemeinsamer Herkunft und Zugehörigkeit in Einklang zu bringen. Der Selbstverortung gotischer Gruppen im 5. und 6. Jahrhundert in einer immer noch hegemonialen spätrömischen Lebenswelt speiste sich sicherlich aus diesem relativ festen, ausdifferenzierten Repertoire an Identifikationsformen, die sowohl Distanzbewusstsein als auch Integrationsbereitschaft stützen konnten. Doch zu­ gleich waren viele dieser Elemente in sich problematisch oder widersprüchlich. In ihrem Regnum waren die Goten eine kleine Minderheit traditionell verachteter Barbaren, die sich römischer Administration bedienen mussten. Status und Ver­ sorgung der gotischen Kriegerschicht hing vom Funktionieren der römischen Ge­ sellschaft und Infrastruktur ab. Es blieb dem hochgebildeten römischen Senator Cassiodor überlassen, eine positive Umdeutung barbarischer Herkunftsgeschichte und Genealogie zu propagieren. Die gotische Schriftsprache blieb auf kirchlichliturgische Bereiche beschränkt und konnte in anderer Hinsicht nicht mit der hochdifferenzierten lateinischen Weltsprache konkurrieren. Der „Arianismus“ blieb ein Bekenntnis für Außenseiter, deren Ablehnung durch die Mehrheitskir­ che nur durch behutsame politische Rückendeckung abgefedert werden konnte. Der gotische Charakter all dieser Äußerungen ist meist eher selten bezeugt. Der Befund erlaubt es also nicht, die aufgezählten Identifikationselemente als selbstverständliche Ausdrucksformen einer gotischen Identität vorauszusetzen – 113 Procopius,

Bella 5, 2, 5–17.

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diese Einheit blieb prekär. Manchmal konnten die Zuwanderer auch einfach als barbari (wie im Edictum Theoderici) oder milites (wie in der Pragmatica Sanctio) den Römern gegenübergestellt werden. Zugleich erodierten allerdings der soziale Zusammenhalt der italischen Gesellschaft und ihre selbstbewusste Romanitas.114 Insgesamt ist es wenig sinnvoll, pauschal die gotischen Bezüge von Regnum, Gens, Religion und Sprache zu leugnen, um damit auch die Rolle der gotischen Gens insgesamt verwerfen zu können. Sie ergab sich gerade aus diesem relativ ­stabilen Konglomerat von Identifikationsformen unterschiedlicher Reichweite. Es war stark genug, in einem zwanzigjährigen Gotenkrieg den sozialen Zusammen­ halt weitgehend bewahren zu können. Gotische Gemeinsamkeit konnte in Italien aber nicht lange aufrechterhalten werden, als Königreich und institutioneller ­Zusammenhang der Goten verlorengingen – zu erfolgreich hatte das amalische Regime das Königtum als Bezugspunkt gotischer Identität etabliert. Wie bei vielen Gentes der Völkerwanderungszeit besaß gotische Identität aber hohe Attraktivität für die Nachwelt, sodass im Lauf der Zeiten in vielerlei Formen versucht wurde, daran Anschluss zu gewinnen. Gotische Identitäten sollten von Spanien und Süd­ frankreich bis Skandinavien und Kroatien immer wieder eine politische Rolle spielen. Das Reich Theoderichs hatte dazu wesentlich beigetragen.

Abstract Who were the Goths, and to whom did it matter to be a Goth at all? This chapter resumes an old debate about Gothic “ethnogenesis”, and rejects both extreme ­positions: both the old view of an almost immutable Gothic people defined by common origin and tradition, and more recent opinions of Gothic identity’s fab­ rication as an “ethnographic ideology” that created opportunity, not community. We should neither take Gothic identity for granted, nor dismiss its significance completely. Our written sources consistently ascribe collective agency to “Goths”, not only constructing “fictions of fact”, but contributing to a process of social communication that shapes social realities. Tracing this process requires a delicate methodological balance. Gothic language (lingua Gothica) and naming practice, the Gothic army (exercitus Gothorum), the Gothic Church (clerici and ecclesiae legis Gothicae), a shared history (origo vel gesta Gothorum/Getarum), and the kingdom itself do not comprise natural forms of expression for an unproblematic Gothic identity. Their definitions as “Gothic” in the texts appear inconsistantly, and the groups they circumscribe overlap only partially. In sum, however, they formed a relatively stable identity in the Ostrogothic kingdom that could be aligned with the ethnic distinction, and used to support Gothic rule. These multiple options for identification may explain some of the surprising resilience of the Goths in the long war against Byzantium, even though they faded relatively soon after the fall of the kingdom. 114 

Pohl: Social Cohesion (wie Anm. 81).

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Massimiliano Vitiello “Anthologizing their successes”: Visions of the Past in Gothic Italy* As King of Italy, Theoderic encouraged the celebration of the Gothic past. At some point during his reign, he commissioned Cassiodorus Senator to write a History of the Goths.1 Cassiodorus, one of the most influential politicians and bureaucrats of the century, held at the king’s court the position of Quaestor, in 507/511, and later that of Master of the Offices, in 523/527.2 The precise moment during his long reign when the king requested Cassiodorus to write a history of the Gothic people is unknown. But we do know that Cassiodorus became the historian of the Goths and of the Amal family, and that his work was completed by 533 and published in twelve books.3 We also know that the same author was commissioned by Eutharic, Theoderic’s son-in-law and designated heir, to write a Chronicle. Cassiodorus promptly chronicled the Roman history from the foundation of the city to 519, the year of the Consulship of Eutharic, to whom the work was dedicated.4 The Chronicle included important events involving Goths and *  I wish to thank Dariusz Brodka, Michel Festy, and Ulrich Wiemer for reading this manuscript and for their valuable advice. 1  Anecdoton Holderi ll. 20–21 (quoted from A. Galonnier: Anecdoton Holderi ou Ordo generis Cassiodororum. Introduction, édition, traduction et commentaire. In: AntTard 4 [1996], p. 299– 312 [p. 306]): scripsit praecipiente Theodorico rege historiam Gothicam, originem eorum et loca mores XII libris annuntians. 2  Within the extended bibliography on Cassiodorus, I limit the references to the contributions that are included in this work: Arnaldo Momigliano: Gli Anicii e la storiografia latina del VI secolo d.C. In: RAL 8 (1956), pp. 279–297 (= Arnaldo Momigliano: Secondo contributo alla storia degli studi classici. Rome 1960, pp. 231–253); James J. O’Donnell: Cassiodorus. Berkeley 1979; PRLE II, pp. 265–269; Stefan Krautschick: Cassiodor und die Politik seiner Zeit. Bonn 1983; Samuel J. B. Barnish: Selected Variae of Magnus Aurelius Cassiodorus Senator. Liverpool 1992; Arne Søby Christensen: Cassiodorus, Jordanes and the History of the Goths. Studies in a Migration Myth. Copenhagen 2002; Herwig Wolfram: Gotische Studien. Volk und Herrschaft im frühen Mittelalter. Munich 2006, pp. 207–240. 3 This division is announced by Cassiodorus in Cassiodorus, Variae praef. 11 (duodecim libris Gothorum historiam […] condidisti), but missing in Cassiodorus, Variae 9, 25, 4–5. This discrepancy leads Samuel J. B. Barnish: The Genesis and Completion of Cassiodorus’ Gothic History. In: Latomus 43 (1984), pp. 336–361, here: p. 341, to hypothesize that the work in 533 may have been still unfinished. Scholars have made various speculations about the date of publication of this work. 4 See Chronica praef., ibid. 1371. On this work, see Michael Klaassen: Cassiodorus’ Chronica: Text, Chronography and Sources. Philadelphia 2010. https://doi.org/10.1515/9783110686692-013

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Romans, culminating in Theoderic’s felix imperium.5 The History of the Goths explored the origins, the places, and the customs of the Goths, beginning with their mythical past. The two works were meant for the audiences of both the court of Ravenna and the Roman Senate. The History of the Goths was the result of meticulous research on Greek and Latin material, and incorporated some Gothic oral traditions that Cassiodorus must have learned at the court.6 As a work of dynastic propaganda, it eulogized the Amals and their deeds through the generations. In late 533, when he was appointed Praetorian Prefect, Cassiodorus, writing in the name of King Athalaric, presented himself as the one who “restored the Amals, along with the honour of their family, clearly proving me [i. e. Athalaric] to be of royal stock to the seventeenth generation.”7 Theoderic was the sixteenth ruler in the Amal line. This number was probably a deliberate parallel to the sixteen generations of kings that separated Aeneas from Romulus in Cassiodorus’s Chronicle, which was published under Theoderic (as a consequence, Athalaric was the seventeenth king).8 On the same occasion, Cassiodorus emphasized to the senatorial audience the importance of his historical work for celebrating the Amal name: “From Gothic origins he made a Roman history… Think how much he loved you in praising me, when he showed the nation of your prince to be a wonder from ancient days. In consequence, as you have ever been thought noble because of your ancestors, so you shall be ruled by an ancient line of kings. I can say no more, fathers of the Senate; and, should I persevere in recounting his benefits, those collected here would be surpassed.”9 And he wrote of himself: “His unaided arguments delighted all men; and, by investing purple praises with his hearer, he made you welcome my [i.e. Athalaric’s] rule. He who softens and appeases the heights of royal power by his orations commends his race, for another of your number will be supposed a man of similar character, from whom like services may be requested.”10 In a letter-panegyric addressed to the Senate, he also acknowledged in Amalasuintha the virtues of her ancestors, virtues which in the Gothic History he must have attributed to each of the Amal kings.11  5 

Chronica sub anno 500, also the years from 489 to 519. Variae 9, 25, 4–5; Jordanes, Getica 25, 28, 38, 43, 72, 79; see J. H. Wolfgang G. Liebeschuetz: Making a Gothic History: Does the Getica of Jordanes Preserve Genuinely Gothic Traditions? In: JLA 4 (2011), pp. 185–216.   7  In Cassiodorus, Variae 9, 25, 4, trans. Barnish: Variae (see note 2). For the text, see below.   8 Cassiodorus, Chronica ll. 44–76. See Massimiliano Vitiello: Il principe, il filosofo, il guerriero. Lineamenti di pensiero politico nell’Italia ostrogota. Stuttgart 2006, p. 80.   9 Cassiodorus, Variae 9, 25, 5–6, trans. Barnish: Variae (see note 2); quoted from Theodor Mommsen: Cassiodoris Senatoris Variae (= MGH AA 12). Berlin 1894: Originem Gothicam historiam fecit esse Romanam. […] Perpendite, quantum vos in nostra laude dilexerit, qui vestri principis nationem docuit ab antiquitate mirabilem, ut, sicut fuistis a maioribus vestris semper nobiles aesti­ mati, ita vobis antiqua regum progenies inperaret. 10 Cassiodorus, Variae 9, 25, 2, trans. Barnish: Variae (see note 2): Allegavit solus quod omnes iuvaret et dum purpuratas auditori suo fenerat laudes, gratiosum vobis nostrum fecit inperium. Commendat enim suam gentem, qui oratione placabili permulcet regiam summitatem, quando ex vobis et alter talis creditur, a quo similia postulentur. 11 Cassiodorus, Variae 11, 1, 19, on which see below.   6 Cassiodorus,

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Cassiodorus’s History legitimized the Amals’ ambition to hold uncontested rule over the Ostrogothic kingdom, and it presented to the senatorial audience the ­origins and the glorious deeds of the Goths. As king of the most important part of the former Western Empire, Theoderic was represented as the worthy successor of the emperors. In the propaganda of the kingdom, which partially survives in the Variae, the Goths were considered as complementary to the Romans. They were not called barbarians. Their military activities intended to protect the ­Romans, who continued their traditional roles in administrative offices. On this harmony was based the civilitas in the kingdom.12 While the Chronicle survives, the History of the Goths disappeared with the end of the Ostrogothic kingdom. This loss would be total had not Jordanes, a mid-sixth-century author of uncertain origin,13 abridged Cassiodorus’s history in his own work, the Getica. We know that Jordanes consulted Cassiodorus’s Histo­ ry, but we cannot know the extent to which he depended upon it for his narrative. The book of the Getica, however, preserves elements that show the working method of Cassiodorus and the main lines of his original propaganda of the kingdom, which will be explored here.

The Status Quaestionis The question of Jordanes’s dependence on Cassiodorus’s lost Gothic History in his Getica has been explored for almost two hundred years. In the nineteenth century, two German scholars, von Sybel in 1838 and Schirren in 1858, examined the sources of the Getica to determine how much of it was derived from Cassiodorus’s work.14 A few decades later, in 1893, Cipolla analysed the vocabulary and style of the Getica in an effort to determine how much Jordanes relied on the lost History of Cassiodorus. At that time, the debate on Jordanes’s sources involved also the illustrious Mommsen, who himself had discussed the sources of the Getica in his 1882 edition for the series “Monumenta Germaniae Historica”.15

12  For

a list of sources, see Vitiello: Il principe (see note 8), pp. 82–90; see also Anonymus Vale­ sianus 60 and 65–73, on which Massimiliano Vitiello: “Cassiodoriana”. Gli Excerpta Valesiana, l’aduentus e le laudes del principe Teoderico. In: Chiron 86 (2006), pp. 113–134. 13  Jordanes’s Gothic origins, his later conversio, and his activity perhaps as bishop of Crotone are still the objects of discussion. This discussion includes also his relationships with frater Castalius, for whom he wrote the Getica, and with frater Vigilius, who is probably to be identified with the Pope, and who commissioned from him the Romana. 14 Heinrich von Sybel: De fontibus libri Jordanis de origine actuque Getarum. Berlin 1838; Carl Schirren: De ratione quae inter Jordanem et Cassiodorum intercedat commentatio. Dorpat 1858. 15  Carlo Cipolla: Considerazione sulle Getica di Jordanes et sulle loro relazioni colla Historia Getarum di Cassiodoro Senatore. In: Memorie della Reale Accadamia di Torino. Serie 2, 43 (1893), pp. 99–134; Theodor Mommsen: Jordanis Romana et Getica (= MGH AA 5,1). Berlin 1882, pp. XXX–XLIV, particularly pp. XL–XLIV.

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Massimiliano Vitiello

During the last sixty years, the ongoing debate around Jordanes’s reliance upon Cassiodorus has focused on several significant questions.16 How extensively, first, did the book of the Getica depend on the History of the Goths? Jordanes states in the preface of the Getica that he had access to Cassiodorus’s work only for three days, and that therefore he remembered not the exact words but only the general sense of the work and the major events to which it refers; his claim libros ipsos antehac relegi, however, seems to indicate that he knew the work before he borrowed a copy to abridge it.17 Jordanes also claims the use of supplementary Latin and Greek sources. But which authors did Cassiodorus use originally, and which 16 

See Momigliano: Gli Anicii (see note 2); Oronzo Giordano: Jordanes e la storiografia nel VI secolo. Bari 1973, particularly pp. 41–46; Làszló Várady: Jordanes-Studien. Jordanes und das “Chronicon” des Marcellinus Comes – Die Selbständigkeit des Jordanes. In: Chiron 6 (1976), pp. 441–487 (passim); O’Donnell: Cassiodorus (see note 2), pp. 43–54; id.: The Aims of Jordanes. In: Historia 31 (1982), pp. 223–240; Bruno Luiselli: Cassiodoro e la Storia dei Goti. In: Passaggio dal mondo antico al medio evo. Da Teodosio a S. Gregorio Magno. Rome 1980, pp. 225–253; Krautschick: Cassiodor (see note 2), pp. 21–40; Barnish: Genesis (see note 3); Brian Croke: Cassiodorus and the Getica of Jordanes. In: CP 82 (1987), pp. 117–134; id.: Latin Historiography and the Barbarian Kingdoms. In: Gabriele Marasco (ed.): Greek and Roman Historiography in Late Antiquity. Fourth to Sixth Century A.D. Leiden/Boston 2003, pp. 349–389, esp. pp. 362–375; Walter Goffart: The Narrators of Barbarian History (A.D. 550–800). Jordanes, Gregory of Tours, Bede, and Paul the Deacon. Princeton 1988, pp. 23–62, and id.: Jordanes’s Getica and the Disputed ­Authenticity of Gothic Origins from Scandinavia. In: Speculum 80 (2005), pp. 379–398; Bernhard Tönnies: Die Amalertradition in den Quellen zur Geschichte der Ostgoten. Untersuchungen zu Cassiodor, Jordanes, Ennodius und den Excerpta Valesiana. Hildesheim 1989; Peter Heather: Cassiodorus and the Rise of the Amals: Genealogy and the Goths under Hun Domination. In: JRS 79 (1989), pp. 103–128; id.: The Historical Culture of Ostrogothic Italy. In: Teoderico il Grande e i Goti d’Italia. Atti del XIII Congresso internazionale di studi sull’Alto Medioevo. Milano 2–6 novembre 1992. Spoleto 1993, pp. 317–353 (passim); Ralf Scharf: Bemerkungen zur Amalergenealogie des Cassiodor. In: Klio 73 (1991), pp. 612–632; Denis R. Bradley: “In Altum Laxare Vela Compulsus”: The ‘Getica’ of Jordanes. In: Hermes 121 (1993), pp. 211–236; Guiseppe Zecchini: Ricerche di storiografia latina tardoantica. Rome 1993, pp. 193–209; Johannes Weißensteiner: Cassiodor/Jordanes als Geschichtsschreiber. In: Anton Scharrer/Georg Scheibelreiter (eds.): Historiographie im frühen Mittelalter. Vienna/Munich 1994, pp. 308–325; Søby Christensen: Cassiodorus (see note 2), pp. 67–82; Angela Amici: Jordanes e la storia gotica. Spoleto 2002, pp. 1–48; Christina Kakridi: Cassiodors Variae. Literatur und Politik im ostgotischen Italien. Munich/Leipzig 2005, pp. 293– 313; Andrew Gillett: The Goths and the Bees in Jordanes: A Narrative of No Return. In: John Burke et al. (eds.): Byzantine Narrative: Papers in Honor of Roger Scott. Melbourne 2006, pp. 149–163; Andreas Goltz: Barbar – König – Tyrann. Das Bild Theoderichs des Großen in der Überlieferung des 5. bis 9. Jahrhunderts. Berlin/New York 2008, pp. 267–276; Patrick Gautiere Dalché: Cassiodore, Jordanès et les Getica. In: Revue d’histoire de textes n. s. 4 (2009), pp. 277– 287; Liebeschuetz: Making a Gothic History (see note 6); id.: Why did Jordanes Write the Getica? In: AntTard 19 (2012), pp. 295–302; Vitiello: Il principe (see note 8), pp. 79–110; id.: “Cassiodo­ riana” (see note 12); id.: Theoderic and the Italic Kingdom in Cassiodorus’s “Gothic History”. A Hypothesis of Reconstruction. In: Klio 96 (2014), pp. 645–663; Lieve Van Hoof/Peter Van Nuf­ felen: The Historiography of Crisis: Jordanes, Cassiodorus and Justinian in Mid-Sixth-Century Constantinople. In: JRS 107 (2017), pp. 275–300; I am not convinced by the theory by these two scholars to consider Cassiodorus’s Historia Tripartita and Chronicle as Jordanes’s direct sources. 17 Jordanes, Getica 2 (quotations from the edition of Mommsen: Jordanis [see note 15]): Nec illud aspicis, quod tenuis mihi est spiritus ad inplendam eius tam magnificam dicendi tubam: super omne autem pondus, quod nec facultas eorundem librorum nobis datur, quatenus eius sensui inserviamus,

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did Jordanes consult independently?18 This question involves also the quality of Jordanes’s Latin, which has divided philologists from Mommsen to the more purist Giunta and Grillone.19 Jordanes announces that he epitomized into a parvus libellus Cassiodorus’s work, which was published in twelve books.20 But was the History of the Goths a voluminous work or a comparatively short one, like the Breviarium of Eutropius? Or perhaps this work was about the same length as Orosius’s History, which is also one of Cassiodorus’s sources?21 Where did Jordanes write the Getica – in Constantinople or Vivarium? Did Cassiodorus rework his History in Constantinople in a second edition (Momigliano’s thesis), or was it Jordanes who largely altered the Cassiodoran propaganda to celebrate Justinian’s victories (mainly Goffart’s thesis)? How can the original image of Theoderic in Cassiodorus’s History of the Goths be reconstructed on the basis of what is preserved in the Getica? Certainly, like all the imperial historians, Cassiodorus celebrated his ruler in a panegyric that was probably contained in the final part of his work – perhaps similar to the eulogy of Theodosius by the anonymous author of the Epitome de Caesaribus. The answers to these questions are further obscured by the fact that Cassiodorus in his collection of letters rarely discusses his historical work. He references it in the preface of the Variae;22 he mentions it again in his promotion letter to Praetorian Prefect, quoted in part above;23 and he refers to it once more in a letter discussing Alaric’s sack of Rome.24 This last event, together with other historical events and figures found in the Getica, the Variae, and the Chronicle, certainly comprised part of the Gothic History. Despite Cassiodorus’s general silence on his historical work, events reported in both the Getica and the Chronicle, and also alluded to in the Variae, were most likely included in the Gothic History. Cassiodorus references the help offered to the Romans by the Visigoths against sed, ut non mentiar, ad triduanam lectionem dispensatoris eius beneficio libros ipsos antehac relegi. Quorum quamvis verba non recolo, sensus tamen et res actas credo me integre retinere. 18 Jordanes, Getica 3: Ad quos et ex nonnullis historiis Grecis ac Latinis addedi convenientia, ini­ tium finemque et plura in medio mea dictione permiscens. 19 See Francesco Giunta/Antonino Grillone (eds.): Iordanis: De origine actibusque Getarum. Rome 1991. The recent study by Giovanbattista Galdi: Syntaktische Untersuchungen zu Jordanes: Beiträge zu den Romana. Hildesheim 2013, of the language of the Romana seems to restore credibility to Mommsen’s view. 20 Jordanes, Getica 1: ut nostris verbis duodecem Senatoris volumina de origine actusque Geta­ rum ab olim et usque nunc per generationes regesque descendentem in uno et hoc parvo libello choartem; other indications that the work was in twelve books are in Cassiodorus, Variae praef. 11, and Anecdoton Holderi ll. 20–21 (quoted at note 1). 21  This connection is proven by Cassiodorus, Variae 12, 20, 4, which is based on Orosius, Adver­ sus Paganos 7, 39, 3–10. Jordanes (from Cassiodorus?) also refers to Orosius in Getica 4; 44; 58; 121. 22 Cassiodorus, Variae praef. 11, on which see the discussion below. 23 Cassiodorus, Variae 9, 25, 4–5; for the text, see also below. 24 Cassiodorus, Variae 12, 20, 4, on the clemency of Alaric and his Goths in Rome there is an allusion in the Chronicle sub anno 410 (which expands Prosper, Chronica 1240), while Jordanes, Getica 156 is more vague.

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Attila in Variae 3, 1, 1 and also in his Chronicle sub anno 451; Jordanes mentions it in the Getica 210.25 Cassiodorus refers in his Variae to King Euric (Variae 3, 3, 3; 5, 39, 13) and to Pannonia as a former Gothic territory (Variae 3, 23, 2; 3, 24, 4), and both topics are included in Jordanes’ Getica. Galla Placidia, as regent of the Western Empire for Valentinian III, is registered in Cassiodorus Chronicle sub anno 423–424 and compared to Amalasuintha as regent for Athalaric in Variae 11, 1, 9–10. 26 Finally, from the Anecdoton Holderi (or Ordo generis Cassiodoro­ rum), we know that Cassiodorus’s History dealt with origo, loca, and mores of the Goths.27 The structure of the book of the Getica seems to match this division: the geographical introduction on the origins of the Goths (§ 4–24), is followed by the description of their migration from the island of Scandza to various places, ­including the Roman Empire, which took place during the centuries (§ 25–130). After the encounter with the Huns, the Goths split into two tribes, the Visigoths (ruled by the Balths) and the Ostrogoths (ruled by the Amals): they are the subjects of, respectively, Getica 131–245 and 246–314.28 Without a skilled philological investigation that systematically compares Jordanes’s lexicon in the Getica with the Cassiodoran material, especially the Variae, it is impossible to identify conclusively every link between the two authors. The identification of echoes of the Cassiodoran vocabulary and style in the Getica, however, will help us in our examination, which concerns more specific points. First, to consider how Cassiodorus built a history of Theoderic’s family inside his Gothic History, I will focus on two figures of the Amal genealogy: Ostrogotha, a mid-third-century leader, and Ermanaric, a king from the period closest to the Hun domination. Second, I will discuss some elements of Cassiodoran propaganda, which represented the Goths as the worthy successors of the Romans in the government of Italy. This analysis will shed more light on Jordanes’s reliance upon the Gothic History and on Cassiodorus’s construction of the Gothic past in compliance with Theoderic’s request.

Third-Century Past: New Evidence on Ostrogotha Technology has recently made possible the deciphering of parts of a palimpsest from an eleventh-century manuscript preserved in the Österreichische Nationalbibliothek (Codex Hist. gr. 73). The four folia of this palimpsest, published by Grusková and Martin, reveal pieces of a third-century work in Greek concerning the Scythians’ invasion of Thrace and their wars against the Romans during the empire of Decius, as well as the Heruli’s invasion in the years of Gallienus. With good reasons, the two editors identify the folia as part of the mostly lost Scythika 25 

See also Jordanes, Getica 187, and below, at notes 108 and 109. See Vitiello: Theoderic and the Italic Kingdom (see note 16), pp. 648 f. 27  Anecdoton Holderi ll. 20–21, quoted above, at note 1. 28  For an overview, see Croke: Latin Historiography (see note 16), p. 366. 26 

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by P. Herennius Dexippus of Athens.29 This discovery is especially valuable because of the almost total loss of substantial works that chronicled this period. Even the Historia Augusta bears a gap from the life of Philip up to the first part of the life of Valerianus. This silence limits our understanding of the events of the years 244–267 AD. The sparse evidence for Scythian/Gothic history in the third century is almost entirely limited to the Getica, a few fragments of Dexippus, some references in the Historia Augusta, and some passages of Zosimus’s work.30 The lines discovered in the palimpsest open gates that were locked; they confirm that Dexippus referred to the Scythians as the people that Cassiodorus/Jordanes would later call the Goths.31 The new fragments also testify to the existence of a Scythian leader named Οστrογουθθος (Ostrogouthos). This name resembles that of the third-century Gothic king Ostrogotha, mentioned in the Getica and in a Cassiodoran letter; the name is Latinized with the archaic masculine ending in -a.32 In 29  See

Jana Grusková: Untersuchungen zu den griechischen Palimpsesten der Österreichischen Nationalbibliothek. Vienna 2010; Jana Grusková/Gunther Martin: Ein neues Textstück aus den “Scythica Vindobonensia” zu den Ereignissen nach der Eroberung von Philippopolis. In: Tyche 29 (2014), pp. 29–43; Jana Grusková/Gunther Martin: Zum Angriff der Goten unter Kniva auf eine thrakische Stadt (Scythica Vindobonensia, f. 195v) (Tafeln 9–11). In: Tyche 30 (2015), pp. 35– 55; Gunther Martin/Jana Grusková: “Dexippus Vindobonensis”? Ein neues Handschriften­ fragment zum sog. Herulereinfall der Jahre 267/8. In: Wiener Studien 127 (2014), pp. 101–120; ­Gunther Martin/Jana Grusková: “Scythica Vindobonensia” by Dexippus (?). New Fragments on Decius’s Gothic Wars. In: Greek, Roman and Byzantine Studies 54 (2014), pp. 728–754. See in addition Christopher Mallan/Caillan Davenport: Dexippus and the Gothic Invasions: Interpreting the New Vienna Fragment (Codex Vindobonensis Hist. gr. 73, ff. 192v–193r). In: JRS 105 (2015), pp. 203–226; Christopher P. Jones: Further Fragments of Dexippus, available online: ­https://www.academia.edu/11913736/ Further_Dexippus (last accessed 7. 5. 2019). On Dexippus, see, for example, Fergus Millar: P. Herennius Dexippus: The Greek World and the Third-Century Invasions. In: JRS 59 (1969), pp. 12–29; Hans-Ulrich Wiemer: Von der Bürgerschule zum aristokratischen Klub? Die athenische Ephebie in der römischen Kaiserzeit. In: Chiron 41 (2011), pp. 521–523. See in particular the recent editions of Gunther Martin: Dexipp von Athen. Edition, Übersetzung und begleitende Studien. Tübingen 2006; Laura Mecella: Dexippo di Atene. Testimonianze e frammenti. Tivoli 2013. 30 Jordanes, Getica 89–90; 98–106; Scriptores historiae Augustae, Vita Gallieni, Vita Claudii, Vita Aureliani; Zosimus, Historia Nova 1, 23–43; Georgius Syncellus, Chronographica 459, 466–467; Zonaras, Epitome Historiarum 136. On the historiography of this invasion, see Bruno Bleckmann: Die Reichskrise des III. Jahrhunderts in der spätantiken und byzantinischen Geschichtsschreibung. Untersuchungen zu den nachdionischen Quellen der Chronik des Johannes Zonaras. Munich 1992, pp. 156–191. 31  The expression Σκύθαι… οἱ λεγόμενοι Γότθοι at the beginning of Dexippus’s fragment preserved by Georgius Syncellus, Chronographica 459, 5–16, may be a clarification added by Syncellus rather than original to Dexippus. See the edition of Martin: Dexipp (see note 29), fragm. 17, pp. 104–107; for a more recent edition, see Mecella: Dexippo (see note 29), fragm. 23, pp. 287–294. See Liebeschuetz: Making a Gothic History (see note 6), p. 200. On the Scythian origins of the Goths, see also Isidorus Hispalensis, Historia Gothorum 66: nam iidem Gothi Scythica probantur origine sati. Unde nec longe a vocabulo discrepant: demutata enim ac dectracta littera Getae quasi Scythae sunt nuncupati. 32 Jordanes, Getica 79, 82, 90, 98–100; Cassiodorus, Variae 11, 1, 19. On the name, see Moritz Schönfeld: Wörterbuch der altgermanischen Personen-und Völkernamen. Nach der Überlieferung des klassischen Altertums. Heidelberg 1911, p. 178; Norbert Wagner: Getica. Untersuchungen zum Leben des Jordanes und zur frühen Geschichte der Goten. Berlin 1967, pp. 161–163;

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the recovered text Οστrογουθθος appears in two of the fragments, and once he is even identified as ἄrχων, ruler. Because of the similarity of his name with that of the “Ostrogothic” tribe, and also because Jordanes – referring to Ablabius as his source – speculates that the Ostrogothic people may have taken their name from this king, many scholars have assumed that Ostrogotha was a legendary rather than a historical figure: a later fabrication.33 This assumption seemed to find support in the fact that the Ostrogothic tribe remains unmentioned in sources before the late fourth and the early fifth centuries,34 though the name Γούθθα is confirmed both as a personal and as an ethnic name by two third-century inscriptions.35 The new discovery challenges the traditional assumption on the authenticity of Ostrogotha, with implications for the question of Jordanes’s reliance on Cassiodorus’s lost History, and for understanding Jordanes’s other sources. Nicoletta Francovich Onesti: I nomi degli Ostrogoti. Firenze 2007, p. 74; Søby Christensen: Cassiodorus (see note 2), pp. 201–229, in particular: pp. 216–218; Thomas Gerhardt/Udo Hartmann: Fasti. In: Klaus-Peter Johne (ed.): Die Zeit der Soldatenkaiser. Krise und Transformation des Römischen Reiches im 3. Jahrhundert n. Chr. (235–284). Unter Mitwirkung von Udo Hartmann und Thomas Gerhardt. Vol. 1. Berlin 2008, pp. 1055–1198, esp. pp. 1194 f. On Ostrogotha see now Herwig Wolfram: Ostrogotha – ein mythischer Amaler erhält einen historischen Namensvetter. In: Jörg Drauschke et al. (eds.): Lebenswelten zwischen Archäologie und Geschichte. Festschrift für Falko Daim zu seinem 65. Geburtstag. Teil 1. Mainz 2018, pp. 447–457. Unfortunately, I could not consider here this significant article, in which the “Altmeister” comes to very different conclusions, because it came out long after the final version of this essay was submitted. 33 Jordanes, Getica 82: Ablabius enim storicus refert, quia ibi super limbum Ponti, ubi eos dixi­ mus in Scythia commanere, ibi pars eorum, qui orientali plaga tenebat, eisque praeerat Ostrogotha, utrum ab ipsius nomine, an a loco, id est orientales, dicti sunt Ostrogothae, residui vero Vesegothae, id est a parte occidua. Cf. the reference by Widukind of Corvey to Jordanes (ut Ior­ danis narrat) in the tenth-century Res gestae Saxonum 1, 18: a proprio autem duce nomine Gotha Gothi appellati sunt. See Søby Christensen: Cassiodorus (see note 2), p. 199. Ablabius historicus may not be the author of this etymology. Skeptical is Heather: Rise of the Amals (see note 16), pp. 106–110; id.: Goths and Romans 332–489. Oxford 1991, pp. 22 f., pp. 36–38; Ulrich Huttner (Ulrich Huttner et al.: Die Ereignisse der Reichsgeschichte. In: Johne (ed.): Zeit der Soldatenkaiser [see note 32], pp. 159–424, here: p. 200) considers him a “verzerrende Projektion mythisierender Historiographie”; see also Liebeschuetz: Making a Gothic History (see note 6), p. 196, p. 202: “Cassiodorus did not consider his Scytho-Gothic extension of Gothic history historical […] his Amal pedigree does not extend that far back into history.” 34  Scriptores historiae Augustae Vita Claudii 6, 2: Denique Scytharum diversi populi, Peuci, Grutun­ gi Austrogoti, Tervingi, Visi, Gipedes, Celtae etiam et Eruli; Claudianus, In Eutropium 2, ll. 153– 154: Ostrogothis colitur mixtisque Gruthungis Phryx ager. See the references to Gothi by Aurelius Victor, Caesares 29, 2; 33, 3; 34, 4; 41, 13. 35  See AE 1911, no. 244, from Motha in Arabia; this is a dedication to a certain Gutha the son of Herminarius, or Hermanaric: μνημε˜ιον Γούθθα υἱου ˜ Ἐρμιναρίου. Also the Res Gestae Divi Sapo­ ris (ed. André Maricq: Res Gestae Divi Saporis. In: Syria 35 (1958), pp. 295–360), with reference to the victory against Gordianus col. III, ll. 6–7: Γορδιανὸς Κα˜ισαρ ἀπὸ πάσης τη˜ς Ῥωμαίων ἀρχη˜ς Γούθθων τε καί Γερμανω ˜ ν ἐθνω˜ν [δύναμιν συνελέξ]εν. This evidence also confirms the variation of spelling with respect to Γου ˜ ται, which was used by Ptolemaeus, Geographia 2, 11, 35, a century before to indicate one of the peoples living on the island of Scandia, the place to which also Cassiodorus/Jordanes traces the origins of the Goths: see Jordanes, Getica 19, 23, 25, 94, 121; references to Ptolemy are in Jordanes, Getica 16 and 19.

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The most revealing fragment for this analysis appears at fol. 194r, ll. 17–28: But when Ostrogouthos, the leader of the Scythians, heard that Philippo­ polis had been taken, and that the Scythians were holding Cniva in the highest regard, and were celebrating him in song, as is their ancestral custom when they have especially good fortune and success in war, whereas they were holding himself in less esteem, accusing him of cowardice and failure in his tactics, he thought it unbearable not to make amends to the Scythian cause by some notable achievement; setting out, he marched quickly with an army of some fifty thousand.36 The new evidence ties Ostrogotha to the middle of the third century rather than to the end. This dating clarifies some confusion in the chronology created by ­Jordanes’s account, which reports that an invasion of the Gepids occurred during Ostrogotha’s reign. Some scholars have placed Ostrogotha at the end of the third century, because they tentatively dated the Gepid invasion referenced by Jordanes to the year 290.37 Cassiodorus/Jordanes’s source on the war between Goths and Gepids is lost, or perhaps this event – like other mid-third-century conflicts between barbarian peoples – derived from a Gothic source.38 A nearly three-hundred-year old oral tradition, however, could hardly be useful as a historical source. And Cassiodorus, as the restorer of the Amal history, claimed to have learned from readings “what the hoary recollections of our elders scarcely preserved” (lectione discens quod vix maiorum notitia cana retinebat).39 This evidence demonstrates for certain that Ostrogotha existed as a historical person, and that he was a leader active in the age between the Emperors Philip and Decius.40 By the sixth century, the royal Amal family claimed him as an ancestor, and probably this claim was older than Cassiodorus’s History. One of Theoderic’s daughters, born in Moesia years before the king’s entrance into Italy, was named Ostrogotho,41 perhaps suggesting an ancestral connection between the ruling Amals and the third-century leader, who was probably the first to invade 36  Grusková/Martin: Ein neues Textstück (see note 29), pp. 33  f.; trans. Jones: Further Fragments (see note 29), p. 7. The text is in poor condition, and we wait for the complete edition of the fragments. 37  This chronology is based on a reference in the panegyric for the Emperor Maximianus: Pane­ gyrici Latini 11 (3) 17, 1: Fuerit in viscera sua gens effrena Maurorum, Gothi Burgundos penitus excidunt, rursumque pro victis armantur Alamanni itemque Tervingi; pars alia Gothorum adiunc­ ta manu Taifalorum adversum Vandalos Gipedesque concurrunt. See Herwig Wolfram: Die Goten. Von den Anfängen bis zur Mitte des sechsten Jahrhunderts. Entwurf einer historischen Ethnographie. München 31990, p. 392, also pp. 67 f.; Andreas Goltz et al.: Völker und Staaten an den Grenzen der Römischen Welt. In: Johne (ed.): Zeit der Soldatenkaiser (see note 32), pp. 425– 580, here: p. 462 with note 79. 38  For this hypothesis, see Liebeschuetz: Making a Gothic History (see note 6), p. 193. 39 Cassiodorus, Variae 9, 25, 4, trans. Barnish: Variae (see note 2). See also below. 40  See Martin/Grusková: “Scythica Vindobonensia” (see note 29), p. 741, who, however, do not dismiss the possibility that “the conflicting evidence on the dates of Ostrogotha’s life could be explained if the name was frequent among the Gothic élite”. 41 Jordanes, Getica 297; Anonymus Valesianus 63 (Ostrogotho Areagni). On her name, see Schönfeld: Wörterbuch (see note 32), p. 178; Francovich Onesti: I nomi degli Ostrogoti (see note 32), p. 75.

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Moesia. Jordanes attributes to him the title of rex (Jordanes, Getica 90), and claims that the Goths were at that time foederati of the Empire.42 The chronology contained in Dexippus’s fragments is supported by the references to Cniva, a more famous king whose historicity has never been questioned.43 Cniva led the Scythians in a successful expedition in the Danubian provinces in 250/251, when he conquered Philippopolis and eventually defeated Decius in the famous battle of Abrittus, where the emperor and his son were killed.44 The new fragments suggest that Ostrogotha and Cniva invaded the Empire at about the same time as the leaders of two separate branches of the Scythian army.45 The editors of the palimpsest have highlighted a verbal parallel that seems to confirm that Jordanes depends in part on Dexippus for the account of the events of these years: in one of the fragments we read that Decius had gathered a large army and decided to fight again, fol. 194v, lines 2–4: εʼπεὶ τὸ στrατιωτικὸν ἠθrοίσθη […] γνώμης ἦν αʼναμάχεσθαι (“when the army was collected […] his intention was to renew the war”); the similar expression collectoque… exercitu, futuri belli se parat in acie (“collecting an army… he prepared for the conflict of the coming war”) used in Jordanes, Getica 102 to refer to Cniva’s war against Decius, strongly suggests a connection between the Getica and Dexippus for this information.46 The entire section Jordanes, Getica 101–103 (c. 20 lines of Mommsen’s edition) is based on strategies and military tactics, according to Dexippus’s typical style; this style can be detected in the fragments of his work preserved in George Syncellus’s Ecloga Chronographica, and also in the recently discovered fol. 195v. Not coincidentally, Dexippus’s work was largely used by Constantine Porphyrogenitus in his encyclopaedia, in the section on stratagems. Before the discovery of the palimpsest, the most significant match between ­Jordanes and Dexippus was the Greek word helê (ἕλη) in Jordanes Getica 117 to 42 Jordanes,

Getica 89–90: Nam quamvis remoti sub regibus viverent suis, rei publicae tamen Ro­ manae foederati erant et annua munera percipiebant. Quid multa? Transiens tunc Ostrogotha cum suis Danubio Moesiam Thraciasque vastavit. 43 Cniva ruled in the second half of the century, and died around 271, during the campaign against Aurelian; see Herwig Wolfram: Kniva. In: RGA, Bd. 17 (22001), pp. 34–37; Gerhardt/ Hartmann: Fasti (see note 32), p. 1196. 44 Jordanes, Getica 101–103. However, Cassiodorus mistakenly places Abrittus in Thrace rather than in Moesia, Chronica sub anno 252: Decius cum filio suo in Abritto Thraciae loco a Gothis occiditur. See also Aurelius Victor, Caesares 29, 2–5. For a list of the sources, see Mecella: Dexippo (see note 29), pp. 331–355, comment to fragm. 29. On the chronology of the Gothic invasions under Philip and Decius, see Dilyana Boteva: On the Chronology of the Gothic Invasions under Philippus and Decius (AD 248–251). In: Archaeologia Bulgarica 5 (2001), pp. 37–44; Ulrich Huttner et al.: Die Ereignisse der Reichsgeschichte (see note 33), pp. 208–211; Goltz et al.: Völker und Staaten (see note 37), p. 457. The fragment fol. 195v, published by Grusková/Martin: Zum Angriff der Goten (see note 29), pp. 38 f., adds new details to Cniva’s siege of a Thracian town, perhaps Philippopolis (see ibid., pp. 48–51). 45  See Jones: Further Fragments (see note 29), p. 2. 46  See Martin/Grusková: “Scythica Vindobonensia” (see note 29), p. 740, and particularly p. 746; Jones: Further Fragments (see note 29), p. 7 (for the translation); Jordanes, Getica 102, trans. Charles Christopher Mierow: The Gothic History of Jordanes. Princeton 1915.

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explain the Heruli’s origins in marshlands. Jordanes attributed this explanation to the historian Ablabius,47 but in fact it is found in a fragment of Dexippus’s Chron­ icle,48 and we have reason to suspect that the same information was also contained in the Scythika. All this new evidence lends additional support to Mommsen’s hypothesis, that Jordanes used Dexippus, despite the fact that his name is mentioned only once in the Getica.49 But did Jordanes directly paraphrase Dexippus, or did he access his work through an intermediary source?50 As a main source for the third-century Scythian history, Dexippus was certainly used by many authors, including the elusive Ablabius.51 The account of Jordanes mildly conflicts with that of Dexippus’s new fragments on two points, namely, the ruling position of Ostrogotha and the chronology of his death: 1) The new Dexippus refers to Οστrογουθθος as ἄrχων of the Scythians, and to Cniva as βασιλέυς.52 Dexippus seems to distinguish the ranks of Cniva and Ostrogotha by using different words; the same distinction, however, does not appear in Jordanes. We should not dismiss the possibility that Cniva was originally an ἄrχων like Ostrogotha, and that he earned the royal title after one of his victories, even if this change does not find confirmation in Jordanes.53 Following a sugges47 Jordanes,

Getica 117: Sed cum tantorum servitio clarus haberetur, non passus est nisi et gentem Herulorum, quibus praeerat Halaricus, magna ex parte trucidatam reliquam suae subegeret dicio­ ni. Nam praedicta gens, Ablavio istorico referente, iuxta Meotida palude inhabitans in locis stagnantibus, quas Greci ele vocant, Eluri nominati sunt, gens quantum velox, eo amplius superbissima. 48  Martin: Dexipp (see note 29), fragm. 18 a-b (= Mecella: Dexippo [see note 29], pp. 295–298, fragm. 24 a-b), on which see Zecchini: Ricerche (see note 16), pp. 201 f.; Amici: Jordanes (see note 16), pp. 33 f. 49  Mommsen: Jordanis (see note 15), p. XXXIII, with reference to Jordanes, Getica 113 and 117; see ibid., pp. XXXVII–XXXIX on Ablabius. Jordanes, Getica 113: Primitias regni sui mox in Vandalica gente extendere cupiens contra Visimar eorum rege qui Asdingorum stirpe, quod inter eos eminet genusque indicat bellicosissimum, Dexippo storico referente, qui eos ab Oceano ad nostrum limitem vix in anni spatio pervenisse testatur prae nimia terrarum inmensitate. See also Schirren: De ratione (see note 14), p. 43, about the relationship between Dexippus and the information reported by Jordanes under the name Ablabius. 50 According to Antonio Baldini: Storie perdute (III secolo d.C.). Bologna 2000, p. 215 with note 42, Jordanes, Getica 101–103, may derive from the lost Annales by Nicomachus Flavianus and from Symmachus’s lost Roman History, which is Jordanes’s source for Jordanes, Getica 83– 88. Michel Festy: Autour de l’Historia Romana de Symmaque le Jeune. In: Cécile Bertrand-Dagenbach/François Chausson (eds.): Historiae Augustae Colloquium Nanceiense. Atti dei Convegni sulla Historia Augusta. Vol. XII. Bari 2014, pp. 228–230, rightly points out that Symmachus’s historical work must have been banned after his execution. We can speculate that, unlike Jordanes (Jordanes, Getica 83–88), Cassiodorus could not acknowledge Symmachus’s work as one of his sources in the History of the Goths. This ban may have not prevented him from consulting the work, which he certainly knew, as the Cassiodoran Anecdoton Holderi (ll. 7–8) testifies. 51  See below, in note 71. 52  See Grusková/Martin: Ein neues Textstück (see note 29), p. 32, fol. 494r, l. 17: ὁ τω ˜ ν σκυθω ˜ν ἄρχων. The only reference to Cniva as βασιλεύς is on fol. 195r, l. 29; see Martin/Grusková: “Scythica Vindobonensia” (see note 29), p. 736, p. 743, and Martin/Grusková: Zum Angriff der Goten (see note 29), p. 45. 53  This is possible only if fol. 195r, l. 29, refers to a later event than fol. 194r, ll. 19–22, quoted below in text.

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tion by Wolfram, the editors of the Dexippus fragments believe that this distinction does not imply subordination. Ostrogotha as leader was searching for legitimation through success in a large military operation (ἔrγον μέγα). Alternatively, assuming that he was subordinate to Cniva, he was trying to assert himself against the established king (βασιλέυς).54 After all, in Scythian/Gothic leadership, ἄrχων and βασιλεύς may well have been different positions in Dexippus’s lexicon. In another fragment of Dexippus, the expression οἱ τω˜ν βαrβάrων βασιλε˜ις καὶ ἄrχοντες probably indicates the Vandal kings and the military leaders at the time of Emperor Aurelian’s campaign (year 271).55 Admittedly, it is dangerous to speculate too much on this point. Dexippus likely knew little about the difference between reiks and kindins, distinctions used by the Goths themselves to describe different types of men ruling others. Jordanes referred to Argaith, a military leader very close to Ostrogotha, as the nobilissimus doctor (sic) suae gentis (a phrase expressing in Latin the Greek ἄrχων), while the Historia Augusta referred to the same Argaith as Argunt Scytharum rex.56 In addition, if Heather is right in his hypothesis that dynastic Amal rule did not begin before the Hunnic invasion,57 then Dexippus’s reference to Ostrogotha as ἄrχων may not be sufficient evidence that the Amal kingship began in the third century. 2) In the new Dexippus fragments, we read that Ostrogotha was still leading the army at the time of Emperor Decius. He had been unsuccessful against the imperial army, and therefore he wanted to regain his prestige through a victory in a larger expedition.58 This detail suggests that Ostrogotha was alive after the capture of Philippopolis, when Decius, no longer a senator operating for Philip, had become emperor. This information directly contradicts Jordanes, who reports Cniva’s victory in Philippopolis as following Ostrogotha’s kingdom, and who explains also that the division of the Scythian army in two parts was made by Cniva after the death of Ostrogotha: one part was sent to Moesia, the other one was 54 

Grusková/Martin: Ein neues Textstück (see note 29), p. 41. Dexipp (see note 29), fragm. 30, 2; Mecella: Dexippo (see note 29), fragm. 36, 2 (see p. 429–445, for the historical context). At that time, the Vandals had two kings, and this expression seems to indicate that kings and leaders cooperated in military matters. Martin: Dexipp (see note 29), p. 137, translates with “die Barbarenkönige und -führer”; Mecella: Dexippo (see note 29), p. 428 with “i re e i capi barbari”; Jeremy McInerney: Dexippos (100). Brill’s New Jacoby. Editor in Chief: Ian Worthington (University of Missouri). Brill Online 2016, fragm. 7 (FGrH) with “the barbarian kings and their officers”; see also Goltz et al.: Völker und Staaten (see note 37), p. 452. It is possible that this expression indicates the kings as military leaders; however, the expression a few lines below in the same passage οἵ βασιλε˜ις […] καὶ ἕτεροι goes against this hypothesis. It is worth noticing that in the fifth century, Walamer, Theudimer, and Widimer ruled over the Goths at the same time, although the first of them was preeminent. 56 Jordanes, Getica 91, and Scriptores historiae Augustae, Vita Gordiani 31, 1; see Michael Kulikowski: Rome’s Gothic Wars: From the Third Century to Alaric. Cambridge 2007, p. 18, p. 55. 57  Heather: Goths and Romans (see note 33). 58  Grusková/Martin: Ein neues Textstück (see note 29), pp. 32  f. (fol. 194r). In one of the fragments, Decius encourages his soldiers after discovering that Ostrogotha was advancing against him following Cniva’s capture of Philippopolis. This time, both names lack a title: fol. 194r and 195r. 55  Martin:

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­ nder Cniva’s command and moved against Novae.59 I will return to these points u below. The editors of the fragments remain cautious about the final identification of the leader Ostrogouthos in the new Dexippus with the king of the same name in Jordanes.60 I find it difficult to believe, however, that two different figures with the name Ostrogotha existed at about the same time, both leaders of the Scythians, and both significant enough to be recorded – particularly considering that third-century sources on the Scythians that were both historical and detailed would have been limited. Ostrogotha and Cniva were possibly leaders in different capacities, or of different groups among the Scythians. The new Dexippus’s fragment, quoted above, reports that as soon as he found out that Cniva had taken Philippopolis, Ostrogotha feared that he would be ­accused of weakness, cowardice, and failure as a military leader.61 Because of his better luck and his success in war, Cniva was sung as a hero.62 Ostrogotha could not bear this praise, and he reorganized his army to move against Decius and rescue his reputation in front of the Scythians. The fragment suggests that Ostrogotha felt in rivalry with the more successful Cniva. Cassiodorus/Jordanes is ­deliberately vague on this point, and Dexippus’s story remains obviously absent from the Getica, in which the Amal ancestor is praised for having crossed the Danube and plundered Moesia and Thrace under Emperor Philip, for having ­defeated Decius, and for having admitted into his army some of the soldiers who had been released from the Roman troupes, and who had asked him for protection.63 We also read that his Goths were successful in Marcianople (249 AD). Jordanes reports, however, that Ostrogotha entrusted the siege operations of this city to two leaders (ductores), Argaith and Guntheric, and also that the victory was achieved as a compromise through the payment of money.64 Cassiodorus/Jordanes may have considered the events of Marcianople as a victory for Ostrogotha; but had this leader really been successful in the eyes of the Scythians?65 After all, the conquest of Philippopolis followed shortly, in which 59 Jordanes, Getica 101–103. A few other differences between Jordanes and the new Dexippus, which do not directly pertain to Ostrogotha, are discussed by Jones: Further Fragments (see note 29), p. 3. 60  Grusková/Martin: Ein neues Textstück (see note 29), p. 40: “Inwiefern er mit dem Ostrogotha von Jordanes gleichzusetzen ist, bleibt zu untersuchen.” 61 Grusková/Martin: Ein neues Textstück (see note 29), pp. 33  f., fol. 194r, ll. 23–24: μαλακίαν προφέροντες καὶ δυστυχιαν εν στρατηγήσεσιν. 62  Grusková/Martin: Ein neues Textstück (see note 29), pp. 33  f., fol. 194r, ll. 19–22: κνίβαν μὲν εν λόγω τω αρίστω ἐποιου ˜ ντο καὶ ἐν ὠδα˜ις ἄδοιεν… ἐπὶ τύχαις τα˜ις αμείνοσιν (καὶ) πολέμου κατορθώσει. 63 Jordanes, Getica 90–91. 64 Jordanes, Getica 91–92. 65  Jordanes’s account of the siege of Marcianople, which is reported in Jordanes, Getica 91–93 (c. 25 lines of Mommsen’s edition) is confusing. It is embedded between two digressions: 1) a short one, concerning a later victory of Emperor Maximianus against the tribes (Jordanes, Getica 91), which has generated confusion amongst historians in the reconstruction of the chronology of events. The soldiers of the Roman army who had been dismissed by Decius were accepted by

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Cniva distinguished himself as a hero. Was this contrast between Ostrogotha’s compromise and Cniva’s martial victory a point of frustration? We read in the new Dexippus that Cniva had achieved his victory over a Thracian town (perhaps Philippopolis) with only five hundred selected warriors (see fol. 195v, lines 17– 21). This number stands in sharp contrast with Ostrogotha’s host: according to the same author, this leader wanted to rescue his reputation with an army a hundred times larger (fifty thousand soldiers) in his ambitious as much as desperate attempt to oppose Decius’s eighty-thousand-unit army. Perhaps for all these reasons, Jordanes minimized the events of Philippopolis by reporting that the town was taken through treachery and after a long siege,66 in clear contrast with the new Dexippus (admitting that fol. 195v refers to the capture of Philippopolis) and also with Ammianus Marcellinus, who claimed that the Annales told of a massacre that followed the capture of the city.67 Our suspicion is that Cassiodorus gave a tepid treatment to Cniva’s victory in order to dull the contrast between his deeds and those of Ostrogotha. Did Ostrogotha have a chance to redeem his misfortune? Did he fulfil his desire for making a “notable achievement” against the Romans? I suspect not, and even if (as we all hope) more lines of the palimpsest can be restored, it is not likely that Ostrogotha; the king, together with the allied tribes, wanted to fight the Romans; 2) a longer one on the name and the foundation of Marcianople, Jordanes, Getica 93: Et quia Marcianopolim nominavimus, libet aliqua de eius situ breviter intimare (the digression that follows is 7 lines in Mommsen’s edition). This digression may have originally derived from Dexippus; we read in one of his fragments introducing the Scythian siege: Μαρκιανούπολιν – τὸ δε ὄνομα Τραιανου ˜ του˜ βασιλέως τὴν ἀδελφὴν ἐνδεδωκέναι τῃ˜ πόλει λέγουσιν οἱ ἐγχώριοι (Martin: Dexipp [see note 29], fragm. 22, pp. 108 f.; Mecella: Dexippo [see note 29], fragm. 28, pp. 310–323, according to whom the siege of Marcianople here described is different from that narrated by Jordanes); see also Ammianus Marcellinus, Res gestae 27, 4, 12. Following this digression, Jordanes returns to his account in an unorthodox way, turning to the Gepids, Jordanes, Getica 94: Abhinc ergo, ut diceba­ mus, post longam obsidionem accepto praemio ditatus Geta recessit ad propria. Quem cernens Gepidarum natio subito ubique vincentem praedisque ditatum, invidia ductus arma in parentibus movit. Does the author simply refer here to the Gothic people or also to Ostrogotha? 66 Jordanes, Getica 103: Cniva vero diu obsessam invadit Philippopolim praedaque potitus Prisco duce qui inerat sibi foederavit quasi cum Decio pugnaturum. See Martin/Grusková: “Scythica Vindobonensia” (see note 29), pp. 747 f., with reference to fol. 195r. The siege and conquest of Philippopolis by the Scythians was an important event, about which we find also evidence in one of Dexippus’s fragments preserved in the Excerpta de stratagematibus by Constantine Porphyrogenitus: Martin: Dexipp (see note 29), fragm. 24; Mecella: Dexippo (see note 29), fragm. 30 and pp. 360–371. Because the fragment ends with the retreat of the Scythians, some scholars hypothesize that Dexippus was recounting here a different siege (see Mecella: Dexippo [see note 29], p. 360). But this argument is not conclusive, considering that Constantine Porphyrogenitus was interested exclusively in tactics, while Cniva’s siege of Philippopolis, as Jordanes also states, was a long one, and successful conquest of the city may have taken a few attempts. See also in Jordanes, Getica 92 and 94 the references to the previous siege of Marcianople: diuque obsessam, and post longam obsidionem. 67  Ammianus Marcellinus, Res gestae 31, 5, 17: post clades acceptas inlatasque multas et saevas excisa est Philippopolis, centum hominum milibus, nisi fingunt annales, intra moenia iugulatis. Grusková/Martin: Zum Angriff der Goten (see note 29), pp. 50 f., rightly point to a possible “Verzerrung der Darstellung” by Jordanes.

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they will provide us with a definitive answer. If he had been successful against Emperor Decius’s army, the victory certainly would be included in the Getica, and the account of this “Amal” would not have been so abruptly interrupted. But no imperial sources include any evidence that he was victorious.

Ostrogotha in the History of the Goths The evidence discussed above strongly suggests that Dexippus’s portrayal of Ost­ rogotha was modified in later works, and that this modification was made by Cassiodorus himself.68 Jordanes must have drawn his information about this king, as well as about the historical events of the province of lower Moesia (e. g. Jordanes, Getica 62, 92, 267), from the History of the Goths: “the career of one of the best of the early Gothic kings, Ostrogotha (Jordanes, Getica 90–100), is situated in this area”, remarks O’Donnell, according to whom, “Theoderic would undoubtedly have been glad to be reminded by his pedantic Roman historian, Cassiodorus, that his own early career had been played out on turf already hal­lowed in Gothic history.”69 Cassiodorus may have found information on Ostrogotha in Dexippus (perhaps through Ablabius). But the new fragments do not support the good ­reputation of this ruler, which Cassiodorus as historian of the Amals aimed to ­restore. The representation of Ostrogotha in the Getica shows occasionally an apologetic tone that contrasts with the few remaining lines of the new Dexippus: when narrating the war against the Gepids, Jordanes describes ­Ostrogotha as a man of “firm mind” (solidi animi), willing to prevent the horrible and unnecessary war with their kin (bellum se quidem talem horrere durumque fore et omnino scelestum armis confligere cum propinquis), but ready to fight in order “not to seem a coward” (nec minus iudicaretur). After he defeated the G ­ epids, the Gothic people lived in peace for the rest of his rule.70 Unfortunately, these events are not mentioned in other sources for the mid-third century, which makes the exact dating of Ostrogotha’s rule uncertain. Cassiodorus rather than Jordanes had good reasons to dull the distinction in rank between Cniva the king and Ostrogotha the leader. Jordanes’s account, resting on Cassiodorus’s work, presents Ostrogotha as a successful king. One of Cassiodorus’s main purposes was to glorify the Amal dynasty and, credibly, he may 68  This

hypothesis may be reinforced by some philological elements; in Jordanes, Getica 98 the expression silvarum asperitate, which occurs only once in Jordanes, finds parallels in Cassiodorus, Variae 2, 39, 10; 3, 52, 8; 12, 18, 2. 69  O’Donnell: Aims (see note 16), p. 229. 70 Jordanes, Getica 98–100: Is ergo missis legatis ad Ostrogotham, cuius adhuc imperio tam Ostro­ gothae quam Vesegothae, id est utrique eiusdem gentes populi, subiacebant […] Tunc Ostrogotha rex Gothorum ut erat solidi animi, respondit legatis bellum se quidem talem horrere durumque fore et omnino scelestum armis confligere cum propinquis, loca vero non cedere. Quid multa? Gepidas in bella inruunt, contra quos, ne minor iudicaretur, movit et Ostrogotha procinctum […] Redeunt victores Gothi Gepidarum discessione contenti, suaque in patria feliciter in pace versantur, usque dum eorum praevius existeret Ostrogotha.

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have presented Ostrogotha’s position in the best light possible. Even if we assume that Cassiodorus had used Ablabius as his source, the fact remains that Ablabius was a historian of the Goths and not of the Amals.71 Neither he nor Jordanes would have had reason to redeem Ostrogotha with respect to Cniva. Therefore, any modification of Ostrogotha’s deeds was most likely done by Cassiodorus, the architect of the Amal history. The only mention of Ostrogotha in Cassiodorus’s surviving work is in a letter-panegyric for Amalasuintha dating to late 533: Hanc si parentum cohors illa regalis aspiceret, tamquam in speculum puris­ simum sua praeconia mox videret. Enituit enim Hamalus felicitate, Ostro­ gotha patientia, Athala mansuetudine, VVinitarius aequitate, Unimundus forma, Thorismuth castitate, VValamer fide, Theudimer pietate, sapientia, ut iam vidistis, inclitus pater. Cognoscerent hic profecto universi singillatim propria, sed feliciter faterentur esse superata, quando unius praeconium cum turba se iure non potest aequare virtutum. If the royal band of her ancestors were to look on this woman, they would soon see their glory reflected, as in a clear mirror. For Amalus was distinguished for his good fortune, Ostrogotha for his patience, Athala for mercy, Winitarius for justice, Hunimund for beauty, Thorismuth for chastity, Walamer for good faith, Theudimer for his sense of duty, her glorious father, as you have seen, for his wisdom. Assuredly, all these would here individually recognise their own qualities; but they would happily admit that these were surpassed, since one man’s glory cannot rightly equate itself with a throng of virtues.72 71 

The identity of Ablabius is problematic. This name frequently occurs in the East: see PLRE I, pp. 2–4; PLRE II, pp. 1 f.; PLRE III, pp. 2 f.; see also Wagner: Getica (see note 32), pp. 62–68; Barry Baldwin: Sources for the Getica of Jordanes. In: Revue Belge de Philologie et d’Histoire 59 (1981), pp. 143–145; Andrew Gillett: Jordanes and Ablabius. In: Carl Deroux (ed.): Studies in Latin Literature and Roman History X. Brussels 2000, pp. 479–500; Søby Christensen: Cassiodorus (see note 2), pp. 18 f., pp. 305–311, p. 340; Liebeschuetz: Making a Gothic History (see note 6), pp. 189–195. His historical work, however, is not testified outside of the Getica. The only other recurrence of this name, which is in Cassiodorus, Variae 10, 22, 2, is an unnecessary emendation by Mommsen of the word “abavus”, which refers to Emperor Zeno: see Zecchini: Ricerche (see note 16), p. 201; Goffart: Narrators (see note 16), p. 62 with note 208; Jan Prostko-Prostyński: Die angebliche Erwähnung von Ablabius in Cassiodorus Variae X, 22, 2. In: Latomus 52 (1994), pp. 404–409; Amici: Jordanes (see note 16), pp. 32 f.; see in Cassiodorus, Variae 11, 39, 5 the expression ab avis atavisque. Piergiuseppe Scardigli: Die Goten. Sprache und Kultur. Munich 1964, pp. 197–199, p. 283, went much further by claiming that the name “ist eine Fälschung, die man vom moralischen Standpunkt aus ablehnen muß” and thinking instead that Ablabius’s name could paraphrase the vox populi, “Volkssage,” according to the meaning of the Greek word ἀβλαβής as “der Unschuldige”. See also Schirren: De ratione (see note 14), pp. 37–44. 72 Cassiodorus, Variae 11, 1, 19, trans. Barnish: Variae (see note 2). See Schirren: De ratione (see note 14), pp. 59–61; and more recently Goffart: Narrators (see note 16), p. 34 with note 64, pp. 39 f.; Heather: Rise of the Amals (see note 16), pp. 110 f.; Valérie Fauvinet-Ranson: Portrait d’une régente: Un panégyrique d’Amalasonthe (Cassiodorus, Variae, 11,1). In: Cassiodorus 4 (1998), pp. 302–304; Kakridi: Variae (see note 16), pp. 295 f.; Vitiello: Il principe (see note 8), pp. 34 f.; Andrea Giardina/Giovanni Cecconi/Ignazio Tantillo (eds.): Flavio Magno Aurelio Cas-

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At the time Cassiodorus wrote this piece, he had completed his Gothic History, and therefore he had already established the Amal family tree in a direct line in seventeen generations, from Gaut to Athalaric.73 But here in the panegyric, he reduced the list of Amals to nine. And while all nine of these names are confirmed by Jordanes, curiously not all of them match with the chronological Amal genealogy in the Getica.74 Two of the kings in the Cassiodoran list, Hunimund and Thorismuth, were not even direct ancestors of the sixth-century Amals of Italy, belonging instead to a different branch of the family. The first of them, according to Jordanes, was the son of Ermanaric, a key figure in the Getica, but whose name does not appear in the Cassiodoran list.75 In attributing to Amalasuintha the virtues of her male ancestors, Cassiodorus wanted to represent the queen as possessing the best qualities of a ruler. He may have drawn the virtues of the Amal kings from the royal representations in his History. The pairing of names and virtues in the letter-panegyric offers some ­support for this hypothesis. The first part of the Amal genealogy in the letter is corroborated only by the list of names in Jordanes, Getica 79. Some of the listed virtues, however, can be connected to the deeds of the Amals as individuals (in Cassiodorus’s words, universi singillatim propria), as found in Jordanes’s account. The connection is especially pronounced for the later historical figures, whose deeds are described in the Getica. By contrast, for the earliest Amal ancestors, Cassiodorus may have known their names, though some scholars believe he made them up. The most obvious case of a coincidence of virtues between the letter-panegyric and the Getica is Hunimund: Cassiodorus’s letter describes him as excellent in forma, while the Getica represents him as toto corpore pulchritudine pollens.76 Amalus’s felicitas can be easily clarified by the fact that he was the eponym of the dynasty, as the Getica also confirms.77 And, of course, Theoderic’s political wisdom and his interest in culture easily explain the attribution of sapientia.78 Unfortunately, Jordanes’s abridgment does not explain the mansuetudo of Athala, a figure barely mentioned in the Getica, even though he postdates Ostrogotha.79 Nor does it offer a clear foundation to explain the castitas of Thorismuth,80 the siodoro Senatore, Varie. Vol. V: Libri XI–XII. Direzione di Andrea Giardina. A cura di Andrea Giardina, Giovanni Cecconi e Ignazio Tantillo. Rome 2015, pp. 150 f. For the Amal genealogy in Cassiodorus, see also Heather: Rise of the Amals (see note 16); Søby Christensen: Cassiodorus (see note 2), pp. 74–76, pp. 124–133. 73  See Cassiodorus, Variae 11, 1, 19, and 9, 25, 4–5, both documents written for the promotion of Cassiodorus to Praetorian Prefect. 74 Jordanes, Getica 79. 75  For possible explanations, see Heather: Rise of the Amals (see note 16), p. 110; see also Wolfram: Goten (see note 37), pp. 252 f. 76 Jordanes, Getica 250; see also the virtues attributed to Eutharic in Jordanes, Getica 298. 77 Jordanes, Getica 79: Amal, a quo et origo Amalorum decurrit. 78  Anonymus Valesianus 61, and Cassiodorus, Variae 9, 24, 8, on which see Vitiello: Il principe (see note 8), pp. 22–35. 79 Jordanes, Getica 79: Athal genuit Achiulf et Oduulf. 80  For his pietas see Jordanes, Getica 215: fortissimusque Thorismud bene gloriosos manes carissi­ mi patris, ut decebat filium, patris exequias prosecutus […].

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fides of Walamer,81 the aequitas of Winitarius,82 and the pietas of Theudimer, Theoderic’s father.83 Another virtue missing from Jordanes’s account is the patientia of Ostrogotha, which in the Cassiodoran letter contrasts with Amalus’s felicitas. In fact, the word patientia does not appear in the Getica, though ancient authors generally used it, together with tolerantia, to mean temperance, resistance, and capacity to handle misfortunes.84 Cassiodorus makes regular use of this word, and only a year later he eulogizes King Theodahad as patiens in adversis, moderatus in prosperis.85 The attribution of this virtue, however, can now be explained through the new fragments of Dexippus, from which we learn of the difficulties that Ostrogotha experienced as military leader, the misfortune (δυστυχία) that generated an unbearable loss of esteem (as in the new Dexippus, fol. 194r, lines 23–24). Cassiodorus may have attributed this virtue to Ostrogotha after reading about his troubled military campaigns, and he brought this view of his character to his own account. This characterization is also perceptible in the lines quoted above, on Ostrogotha’s attitude in the war against the Gepids (Jordanes, Getica 98–100). Historical events, such as the siege of Marcianople, Decius’s defeat in Beroea,86 Cniva’s conquest of Philippopolis, and his victory in Abrittus, were fundamental for a text intending to reconstruct the mid-third-century Gothic history. But ­Cniva, one of the heroes of the Scythian past, did not belong to the Amal dynasty that Cassiodorus aimed to celebrate. Dexippus seems to have represented Ostrogotha in a competition against Cniva in search for glory. Some adjustments were needed to redeem Ostrogotha as an Amal ancestor: to avoid an unflattering comparison, it was better to recount Ostrogotha’s deeds separately from those of Cniva, which could not be minimized. Significantly, Jordanes does not consider Cniva as a hero who was celebrated with songs – a perception that in some way contrasts with the new Dexippus.87 He does, however, list Ostrogotha as one of the heroes of the Amal oral tradition.88 Finally, while Jordanes references both Ostrogotha and Cniva as reges, in his account, Ostrogotha’s death shortly preceded Cniva’s achievements in Moesia. The implication is that Ostrogotha was 81 Jordanes,

Getica 268: […] Ostrogotharum, qui in Pannonia sub rege Valamir eiusque germani Thiudimer et Videmir morabantur, quamvis divisa loca, consilia tamen unita. Fides and wisdom are attributed to Ardaric in Jordanes, Getica 200, quoted below, at note 100. 82 Jordanes, Getica 246–248. 83 Jordanes, Getica 253: Eratque tunc in tribus his germanis contemplatio grata, quando mirabilis Thiudimer pro fratris Valamir militabat imperio, Valamir vero pro altero iubebat ornando, Vidi­ mer servire fratribus aestimabat. Sic eis mutua affectione se tuentibus nulli paenitus deerat re­ gnum, quod utrique in sua pace tenebant. 84  See ThLL, X 1,1, col. 707–716, particularly col. 709–711. 85 Cassiodorus, Variae 10, 3, 3; a similar expression is used for King David In Psalm. 12, 1. 86  See Jordanes, Getica 102, and Georgius Syncellus, Chronographica 459, 8–9. 87 Jordanes, Getica 43, which, however, refers to an earlier period: Ante quos etiam cantu maio­ rum facta modulationibus citharisque canebant, Eterpamara, Hanale, Fridigerni, Vidigoiae et aliorum, quorum in hac gente magna opinio est, quales vix heroas fuisse miranda iactat antiquitas. See the general reference to Cniva by the new Dexippus above, at note 61. 88 Jordanes, Getica 79: Horum ergo heroum, ut ipsi suis in fabulis referunt.

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Cniva’s predecessor, though that precedence is never specified explicitly: Post cuius decessum Cniva, exercitum dividens in duas partes […].89 In light of the new Dexippus fragments, from which we infer that the two leaders crossed the Danube with separate armies, Jordanes’s statement appears inaccurate. Was the inaccuracy also meant to minimize as much as possible the comparison between the two leaders? In celebrating the Goths, Cassiodorus readjusted the events of the Amal history, making Ostrogotha not the antagonist of Cniva, but rather the king who “­patiently” opened the door for Cniva’s final victory against the Romans. The conflict between the two leaders that we perceive in the new Dexippus is greatly softened in Jordanes’s account. Cassiodorus’s slightly altered chronology spared Ostrogotha the humiliation of witnessing Cniva’s victory.

A More Recent Past, Ermanaric Cassiodorus’s intention to embellish the deeds of the Amals and to enhance their image can be demonstrated through an analysis of Jordanes’s descriptions of later kings like Ermanaric, who ruled during the dark period of the Hun domination. Peter Heather has clearly shown that Cassiodorus reworked the history of the Amals in this period with a propagandistic intent.90 According to Ammianus Marcellinus, Ermanaric (d. 375), the Amal king of the Greutungi, committed suicide after being wounded, because he was scared of the Huns.91 But Jordanes claims instead that Ermanaric tam vulneris dolore quam Hunnorum incursionibus non ferens, and that he lived on until he was a hundred and ten years old!92 The difference between the two accounts is considerable. Cassiodorus may have drawn his information from a lost source (Ablabius?) or, as Mommsen recog89 Jordanes,

Getica 101: Post cuius [i. e. Ostrogothae] decessum Cniva, exercitum dividens in duas partes, nonnullos ad vastandum Moesiam dirigit, sciens eam neglegentibus principibus defensori­ bus destitutam. 90  Heather: Rise of the Amals (see note 16). 91  Ammianus Marcellinus, Res gestae 31, 3, 1–2: Igitur Huni pervasis Halanorum regionibus, quos Greuthungis confines Tanaitas consuetudo nominavit, interfectisque multis et spoliatis reliquos sibi concordandi fide pacta iunxerunt, eisque adhibiti confidentius Ermenrichi late patentes et uberes pagos repentino impetu perruperunt, bellicosissimi regis et per multa variaque fortiter facta vicinis nationibus formidati. Qui vi subitae procellae perculsus, quamvis manere fundatus et stabilis diu conatus est, impendentium tament diritatem augente vulgatius magnorum discriminum voluntaria morte sedavit. On this king and his deeds, see Wolfram: Goten (see note 37), pp. 95–98. 92 Jordanes, Getica 130: Quam adversam eius valitudinem captans Balamber rex Hunnorum in Ostrogotharum parte movit procinctum, a quorum societate iam Vesegothae quadam inter se in­ tentione seiuncti habebantur. Inter haec Hermanaricus tam vulneris dolore quam etiam Hunno­ rum incursionibus non ferens grandevus et plenus dierum centesimo decimo anno vitae suae de­ functus est. Cuius mortis occasio dedit Hunnis praevalere in Gothis illis, quos dixeramus orientali plaga sedere et Ostrogothas nuncupari. On his death, see Heather: Rise of the Amals (see note 16), p. 103 et passim; id.: Goths and Romans (see note 33), pp. 23–28; Søby Christensen: Cassiodorus (see note 2), pp. 143–145.

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nized, if he used Ammianus’s work, he deliberately distorted the information for propagandistic purposes.93 Heather believes that Ammianus was one of the sources of the Getica for the account of Ermanaric and his immediate successors.94 “Ermenaric had been fraudulently added to the Amal line from Ammianus”, he writes, considering this king as part of the “Pro-Amal and Pro-Gothic distortion in the Getica”.95 No matter what the truth is, it seems clear that Cassiodorus readjusted the information to celebrate Ermanaric and, as in his depiction of Ostrogotha, his representation of this king has an apologetic tone. Mommsen suspected that one of Cassiodorus’s sources for the early events in the life of King Ermanaric was Ablabius96 – a hypothesis generally dismissed in recent scholarship.97 It seems likely, however, that Jordanes copied much information directly from Cassiodorus, who had reworked his sources (Ablabius?) in his own style. The language of the Variae supports that hypothesis. Much information in the Getica on King Ermanaric does not appear in Ammianus. This king is represented as: nobilissimus Amalorum […] qui multas et bellicosissimas arctoi gentes perdomuit suisque parere legibus fecit. Quem merito nonnulli Alexandro Magno conparavere maiores (“noblest of the Amals […] He subdued many warlike peoples of the north and made them obey his laws, and some of our ancestors have justly compared him to Alexander the Great”).98 The comparison with Alexander the Great recurs in ancient and late antique literature, used also by Ennodius with Theoderic, and so does not necessarily indicate Cassiodorus’s authorship. The specific wording and style do, however, reveal Jordanes’s source.99 The word merito together with the similar non inmerito as a double negation, is extremely rare in Jordanes: it does not appear in the Romana, while in the Getica it appears twice, and in both cases in places that probably derive from the History of the Goths.100 In contrast, Cassiodorus used these terms often in his letters, especially   93  Mommsen: Jordanis (see note 15), pp. XXXIII  f., in which also: “Ceterum quae ex Ammiano quatenus superest exscripta apud Iordanem leguntur, omnium optime ostendunt non solum quanta levitate Cassiodorius rem perfecerit (cuius culpae tamen partem in Iordanes transferre licebit), sed etiam quam mala fide studio Gothorum suorum tradita perverterit: quod insigni exemplo mon­ strat narratio de evasione Fritigerni c. 26, 136.”   94  Heather: Rise of the Amals (see note 16), pp. 110–118: “The Getica’s account of Ermenaric is based upon Ammianus and takes all its reliable information from there” (quotation: p. 107). See Ammianus Marcellinus, Res gestae 31, 3, 1–2; 3; 8.   95  Heather: Rise of the Amals (see note 16), pp. 110–116, the section “Ermenaric and the Getica’s use of Ammianus”; id.: Goths and Romans (see note 33), p. 24, pp. 52–61.   96  Mommsen: Jordanis (see note 15), pp. XXVII–XXXIX, including the reference to Jordanes, Getica 116.   97  See Baldwin: Sources (see note 71), p. 142; Gillett: Jordanes and Ablabius (see note 71), p. 487. There is a general skepticism towards Mommsen’s attribution to Cassiodorus of the reference by Jordanes, Getica 28 to Ablabius descriptor Gothorum gentis egregius.   98 Jordanes, Getica 116, trans. Mierow: Gothic History (see note 46).  99 Ennodius, Panegyricus 78–80. For parere legibus, see Cassiodorus, Variae 11, 3, 2. 100  See also Jordanes, Getica 200, likely derived from Cassiodorus’s work: Erat namque Valamir secreti tenax, blandus alloquio, dolis gnarus; Ardaricus fide et consilio, ut diximus, clarus. Quibus non inmerito contra parentes Vesegothas debuit credere pugnaturis.

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as intensifiers to introduce historical examples101 (note in Cassiodorus, Variae 1, 17, 2, Hanc merito expeditionem nominavere maiores, the combination merito, maiores, and the perfect in –ere, which is also in the passage of the Getica). In the description of Ermanaric’s rule over both the Scythians and the Germanic tribes we read: Aestorum quoque similiter nationem, qui longissimam ripam Oceani Germanici insident, idem ipse prudentia et virtute subegit omnibusque Scythiae et Germaniae nationibus ac si propriis lavoribus imperavit (“This ruler also subdued by his wisdom and might the race of the Aesti, who dwell on the farthest shore of the German Ocean, and ruled all the nations of Scythia and Germany by his own prowess alone”).102 Here we have comparisons on different ­levels, including the geographical and ethnographical ones. We cannot determine whether the distinction between Scythians and Germani was in Cassiodorus’s History, although we strongly suspect it.103 But the reference to the Aesti as the Germanic tribe that lives on the Baltic Sea has a clear connection to Cassiodorus, who uses similar wording in his only letter addressed to this people in King Theoderic’s name, where he also appeals to the authority of Cornelius Tacitus.104 More striking in the passage quoted above are the qualities of prudentia et virtus combined in the figure of King Ermanaric. The collocation is a real Cassiodoran fingerprint, used in the Variae to represent and to eulogize both the Amal kings and the Goths, and to distinguish them from the other gentes: qui sic semper fue­ runt in laudum medio constituti, ut et Romanorum prudentiam caperent et virtutem gentium possiderent (“They have always maintained a praiseworthy mean, since they have acquired the wisdom of the Romans, and have inherited the uprightness of the tribes”).105 101 Cassiodorus,

Variae 4, 51, 12: Unde non inmerito creditur Pompeius hinc potius Magnus fuisse vocitatus; similarly ibid. 6, 18, 3: Non immerito Pompeius fertur copiae quantitate provisa usque ad rerum pervenisse fastigia […] qui ne aliquando inhonore diceretur, cum nominis taxatione vo­ cabatur et Magnus; see also Cassiodorus, Variae 1, 10, 4: Senarium vero, quem non inmerito per­ fectum antiquitas docta definit; ibid., 2, 11, 1; 2, 34, 1; 2, 39, 6; 4, 3, 2; 6, 3, 6; 6, 15, 3; 8, 20, 3. See the explanation of the title of Variae in Cassiodorus, Variae praef. 17: ut merito variarum dicatur, quod tanta diversitate conficitur […]. Such a use of merito is far too extended in the Variae to be listed here. The occurrence of the term maiores, which is very rare in the Romana but more frequent in the Getica, is also frequent in the Variae. 102 Jordanes, Getica 120, trans. Mierow: Gothic History (see note 46). 103  This association of Scythian and Germanic tribes is also found in the above-referenced Res Gestae Divi Saporis (see note 35); however, there are no parallels in the Variae. 104 Cassiodorus, Variae 5, 2, 2–3: Haec quodam Cornelio describente legitur in interioribus insulis Oceani ex arboris suco defluens, unde et sucinum dicitur, paulatim solis ardore coalescere. Fit enim sudatile metallum, teneritudo perspicua, modo croceo colore rubens, modo flammea claritate pinguescens, ut, cum in maris fuerit delapsa confinio, aestu alternante purata vestris litoribus tradatur exposita. Cornelius Tacitus is referenced also in Jordanes, Getica 13: in extrema eius parte minimamque Cornelius etiam annalium scriptor enarrat, metallis plurimis cupiosam […]. In Jordanes, Getica 7 we read three-time of the insulae on the Oceanus. See Tacitus, Germania 45, 4. See Andrea Giardina/Giovanni Cecconi/Ignazio Tantillo (eds.): Flavio Magno Aurelio Cassiodoro Senatore, Varie. Vol. II: Libri III–V. Direzione di Andrea Giardina. A cura di Andrea Giardina, Giovanni Cecconi e Ignazio Tantillo. Rome 2014, pp. 405 f. 105 Cassiodorus, Variae 3, 23, 3, trans. Barnish: Variae (see note 2). For a complete list of examples, see Vitiello: Il principe (see note 8), p. 71, pp. 82–90.

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In a letter of mid-535 Cassiodorus represents King Theodahad in a similar way, using the personification of Rome as his mouthpiece: habui prudentes viros, sed nullum sic doctrina et pietate pollentem. Diligo Hamalum meis uberibus enutritum, virum fortem mea conversatione compositum, Romanis prudentia carum, gentibus virtute reverendum (“I have had many wise men, but none of such might in learning and piety. I love the Amal who has sucked at my breasts, the brave man formed by my society, dear to the Romans for his wisdom, revered for his courage by the tribes”).106 A similar eulogy is found in the Getica referring to Eutharic, the last of the descendants of Ermanaric: Amalorum de stirpe descendentem […] prudentia et virtute corporisque integritate pollentem (“Eutharic […] and a descendant of the race of the Amals […] a young man strong in wisdom and valor and health of body”).107 This passage clearly derives from Cassiodorus. The same combination of virtues is found in the Getica, which records an instance when Valentinian III sent a legacy to the Visigoths, seeking help against the Huns; and the Visigoths were obliging.108 Here, as Cassiodorus’s Variae would indicate, Jordanes was most likely drawing from the lost Gothic History.109 Jordanes’s wording and style strongly suggest that Cassiodorus (just as with Ostrogotha) rewrote the history of Ermanaric – transforming him into a hero, by adjusting the story found in the sources.

Cultured Warriors: Cassiodoran Propaganda behind the Getica The previous sections considered the representations of two of the claimed Amal ancestors. Cassiodorus’s intervention can also be detected through the analysis of the language of the Getica. A few more examples will highlight the original representation of the Goths in the lost Cassiodoran History, which lies behind Jordanes’s account. A well-known case is the story of Dicineus and his work acculturating the Gothic people in the first century B.C., as we find in the long account of Jordanes, Getica 67–72. Like the cases discussed in the previous section, here the Goths are represented as both prudentiores et fortissimi viri; we read also about their interests in culture and in natural phenomena, which they pursued during their leisure time: Qualis erat, rogo, voluptas, ut viri fortissimi, quando ab armis quantolumcumque vacassent, doctrinis philosophicis inbuebantur? (“Think, I pray you, what pleasure it was for these brave men, when for a little space they 106 Cassiodorus,

Variae 11, 13, 4, trans. Barnish: Variae (see note 2). Getica 298, trans. Mierow: Gothic History (see note 46). 108 Jordanes, Getica 187: Prudentiae vestrae est, fortissimi gentium, adversus orbis conspirare tyrannum, qui optat mundi generale habere servitium, qui causas proelii non requirit, sed, quid­ quid commiserit, hoc putat esse legitimum, ambitum suum brachio metitur, superbiam licentia sa­ tiat […] Auxiliamini etiam rei publicae, cuius membrum tenetis […]. The terminology of the membra of the res publica is also to be found in Cassiodorus, including Cassiodorus, Variae 1, 1, 3. Cassiodorus’s use in the Variae of the term brachium with a similar meaning is also frequent. 109 Jordanes, Getica 210; Cassiodorus, Variae 3, 3, 1: Quamvis fortitudini vestrae confidentiam tribuat parentum vestrorum innumerabilis multitudo, quamvis Attilam potentem reminiscamini VVisigotharum viribus inclinatum […]. 107 Jordanes,

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had leisure from warfare, to be instructed in the teachings of philosophy!”).110 This account derives from Cassiodorus’s Gothic History. It presents strong similarities in both wording and content with a letter from the Variae in which Cassiodorus remembers the dialogues between him and Theoderic and the king’s interest in the natural world.111 Cassiodorus boasted a role in the education of the king, just as Dicineus had done with the Goths.112 (Notably, Dicineus is referred to as consiliarius, a term Cassiodorus attributed to himself in the Anecdoton Holderi.)113 The boast comprises part of the larger propaganda of glorifying the Goths over other tribes and the Gothic kingdom over others, as announced in the first letter of the Variae, addressed in Theoderic’s name to Emperor Anastasios.114 In this way, Cassiodorus could present to his Senatorial audience an image of the Goths and Theoderic as civilized and somewhat educated. The Goths of the time of Dicineus are represented as courageous warriors with interests in philosophy. Here the distinction between leisure and the exercise of virtues is relevant. In the Getica we read of two kings, heroes who compelled their people to abandon otium and embrace military value; more significantly, both cases refer to the intention of the king to invade Italy – the use of similar wording and syntax strongly reinforces this comparison. The first case is Alaric, who convinced his Goths to move and “to seek a kingdom by their own exertions rather than serve others in idleness”: suo labore quaerere regna quam alienis per otium subiacere.115 The second is Theoderic, when he made the decision to remove Odoacer from Italy, “he chose rather to seek a living by his own exertions, after the manner customary to his race, rather than to enjoy the advantages of the Roman Empire in luxurious ease while his tribe lived in want”: elegit potius solito more gentis suae labore querere victum quam ipse otiose frui regni Romani bona et gentem suam mediocriter victitare.116 Both passages certainly derived from the 110 Jordanes,

Getica 70, trans. Mierow: Gothic History (see note 46); ibid., 71: Elegit namque ex eis tunc nobilissimos prudentioresque viros, quos theologiam instruens […] For the early Goths as prudentiores, see also Jordanes, Getica 42. 111 Jordanes, Getica 69–72, and Cassiodorus, Variae 9, 24, 8: Egisti rerum domino iudicem fami­ liarem et internum procerem. Nam cum esset publica cura vacuatus, sententias prudentium a tuis fabulis exigebat, ut factis propriis se aequaret antiquis. Stellarum cursus, maris sinus, fontium mi­ racula rimator acutissimus inquirebat, ut rerum naturis diligentius perscrutatis quidam purpuratus videretur esse philosophus. See Bruno Luiselli: I dialoghi scientifici fra Cassiodoro e Teoderico. In: Saggi di storia del pensiero sceintifico dedicati a Valerio Tonini. Rome 1983. 112  See Luiselli: I dialoghi (see note 111); id.: Storia culturale dei rapporti tra mondo romano e mondo germanico. Rome 1992, pp. 677–685; Søby Christensen: Cassiodorus (see note 2), pp. 243– 247; Vitiello: Il principe (see note 8), pp. 90–105. 113  See respectively Jordanes, Getica 69, which contains the only use of this term by Jordanes; and Anecdoton Holderi ll. 18–19, on Cassiodorus as consiliarius of his father. 114 Cassiodorus, Variae 1, 1, 3: Regnum nostrum imitatio vestra est, forma boni propositi, unici exemplar imperii: qui quantum vos sequimur, tantum gentes alias anteimus. See also Cassiodorus, Variae 1, 45, 12. For more sources, see Vitiello: Il principe (see note 8), pp. 85–89. 115 Jordanes, Getica 147, trans. Mierow: Gothic History (see note 46); see ibid. 206 and 225, with reference to Attila. 116 Jordanes, Getica 290, trans. Mierow: Gothic History (see note 46).

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Gothic History. We know that the story of Alaric, his invasion of Italy, and the sack of Rome were discussed in Cassiodorus’s History. They are mentioned in the Chronicle, and in one of the Variae, King Theodahad is compared to Alaric with a reference to the sack of Rome as originally narrated in the Gothic History.117 The news of Theoderic’s invasion of Italy also derives from Cassiodorus: for, unlike in the Romana and the other sources, according to the version of the Getica, it was the Gothic king who convinced the Emperor Zeno to send him to conquer Italy.118 More striking is the propaganda of the Gothic military virtues that shun inactivity; it finds strong corroboration in the Variae, especially in letters in Theode­ ric’s name, for example: Cassiodorus, Variae 1, 40: discat miles in otio, quod perficere possit in bello; Cassiodorus, Variae 3, 3, 1: populorum ferocium corda longa pace mollescunt; Cassiodorus, Variae 5, 23 pugnaturus ludo, qui se exercere con­ suevit in otio.119 In addition, when in late 533 Cassiodorus eulogized Amalasuintha as superior to Galla Placidia, he also celebrated the Gothic army as superior to the fifth-century imperial one using this same motif: Militem quoque nimia quiete dissolvit […] Sub hac autem domina [i. e. Amalasuintha], quae tot reges habuit quot parentes, iuvante deo, noster exercitus terret externos: qui provida dispositione libratus nec assiduis bellis adteritur nec iterum longa pace mollitur (“Moreover, she weakened the soldiery by too much peace […]. But under this queen, all whose kindred is royal, with God’s help our army will terrify foreign powers. By prudent and nicely calculated policy, it is neither worn down by continual fighting, nor, again, is it enervated by prolonged peace”).120 Just two years later, in the letter announcing to the Goths the election of Vitigies to King, Cassiodorus would bring up this point as a fundamental component of the Gothic character.121 Jordanes’s use of Cassiodoran wording and content also appears in other significant parallels in the Variae, including common expressions such as mos gentis in Jordanes, Getica 290 (quoted above).122 The connection is even more pronounced 117 Cassiodorus,

Variae 12, 20, 4: superatum est exemplum quod in historia nostra magna intenti­ one retulimus; see above, notes 21 and 24. With regard to Alaric note also in Jordanes, Getica 146 the (Cassiodoran) reference to the nobility of the Ostrogothic Amals as more illustrious than that of the Visigothic Balths: rege Halarico, cui erat post Amalos secunda nobilitas Balthorumque ex genere origo mirifica. 118 See Jordanes, Getica 290 versus Romana 348, Anonymus Valesianus 49, Procopius, Bella 5, 1, 9–11 and 6, 6, 15. See Goltz: Barbar (see note 16), pp. 267–299. 119  See in addition Cassiodorus, Variae 1, 24; 1, 38; 4, 48, 4; also Ennodius’s panegyric to Theo­ deric, §§ 83–84: Getici instrumenta roboris, dum provides ne interpellentur otia nostra; ibid. §§ 8 and 59. See Vitiello: Il principe (see note 8), pp. 41–43. 120 Cassiodorus, Variae 11, 1, 9–10, trans. Barnish: Variae (see note 2). See Fauvinet-Ranson: Portrait (see note 72), pp. 297–303; Consolino. In: Giardina/Cecconi/Tantillo (eds.): Cassiodoro, Vol. V (see note 72), pp. 141 f. 121 Cassiodorus, Variae 10, 31, 1–2: […] parentes nostros Gothos inter procinctuales gladios more maiorum scuto subposito regalem nobis contulisse […] dignitatem, ut honorem arma darent, cuius opinionem bella pepererant […] tubis concrepantibus sum quaesitus, ut tali fremitu concitatus desiderio virtutis ingenitae regem sibi Martium Geticus populus inveniret. Quamdiu enim fortes viri inter bella ferventia nutriti principem ferre poterant non probatum, ut de eius fama laboraret, quamvis de propria virtute praesumeret? Cf. Vitiello: Il principe (see note 8), pp. 228–234. 122  See Cassiodorus, Variae 4, 1, 3; 4, 2, 2; 10, 29, 4, in parallel to Jordanes, Getica 69; 156; 255.

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in peculiar expressions, such as the intriguing vivere beluina saevitia,123 and the much debated term capillati.124 All these examples clearly deny Jordanes’s statement in his introduction to the Getica that he did not remember the exact words of Cassiodorus but only their meaning.125 These parallels would rather suggest that Jordanes indeed took notes from Cassiodorus’s work.126 The glorious deeds of the Amal rulers, the celebration of Gothic military achievements, the representation of the Goths as cultured warriors, are primary motifs of the lost Gothic History’s original propaganda, which Cassiodorus developed to please the expectations of King Theoderic. Traces of sophisticated Cassiodoran prose still can be detected behind Jordanes’s simple language. Nevertheless, the question of Jordanes’s reliance on the History of the Goths is still very much open.

Cassiodorus as Historian of the Goths and the Amal Family The evidence discussed above aids our understanding of Cassiodorus’s autobiographical statement about his work as a historian in his promotion letter to Praetorian Prefect of late 533, written in the voice of King Athalaric: Tetendit se etiam in antiquam prosapiem nostram, lectione discens quod vix maiorum notitia cana retinebat. Iste reges Gothorum longa oblivione celatos latibulo vetustatis eduxit. Iste Hamalos cum generis sui claritate restituit, evidenter ostendens in septimam decimam progeniem stirpem nos habere regalem. Originem Gothicam historiam fecit esse Romanam, colligens quasi in unam coronam germen floridum quod per librorum campos passim fuerat ante dispersum. He extended his labours even to the ancient cradle of our house, learning from his reading what the hoary recollections of our elders scarcely preserved. From the lurking place of antiquity he led out the kings of the Goths, long hidden in oblivion. He restored the Amals, along with the 123 Jordanes,

Getica 128: Hi vero sub hominum figura vivunt beluina saevitia; and Jordanes, Geti­ ca 24 (in which there is a reference to the Heruli’s king Rodulf; see PLRE III, p. 946; Cassiodorus, Variae 4, 2): Hae itaque gentes, Germanis corpore et animo grandiores, pugnabant beluina saevitia, in parallel to Cassiodorus, Variae 11, 18, 1: quosdam civilitate despecta affectare vivere beluina saevitia, dum regressi ad agreste principium ius humanum sibi aestimant feraliter odiosum; Cassiodorus, Variae 5, 39, 1: nam beluarum ritus est sub casu vivere. Cassiodorus, Variae 3, 17, 1: exuite barbariem, abicite mentium crudelitatem, quia sub aequitate nostri temporis non vos decet vivere moribus alienis. 124  See Jordanes, Getica 72, with reference to Dicineus – as we have anticipated, this account derives from Cassiodorus’s work: reliquam vero gentem capillatos dicere iussit, quod nomen Gothi pro magno suscipientes adhuc odie suis cantionibus reminiscent. See Cassiodorus, Variae 4, 49; this term is also in the Edictum Theoderici 145. See Giardina/Cecconi/Tantillo (eds.): Cassiodoro, Vol. II (see note 104), p. 390. 125 Jordanes, Getica 2. 126  Liebeschuetz: Making a Gothic History (see note 6), pp. 204  f., reaches the same conclusion but through different arguments.

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honour of their family, clearly proving me to be of royal stock to the seventeenth generation. From Gothic origins he made a Roman history, gathering, as it were, into one garland, flower-buds that had previously been scattered throughout the fields of literature.127 Interestingly, Jordanes concludes his Getica with a sentence that uses a similar metaphor and wording: Haec qui legis, scito me maiorum secutum scriptis ex eorum latissima prata paucos flores legisse, unde inquirenti pro captu ingenii mei coronam contexam (“Thou who readest this, know that I have followed the writings of my ancestors, and have culled a few flowers from their broad meadows to weave a chaplet for him who cares to know these things”).128 Once again, behind Jordanes’s words, the Cassiodoran style can be detected clearly, revealing another instance of his dependence on Cassiodorus. The above passage, in which Cassiodorus grafted the Gothic past onto Roman history, has generated much interest.129 The reading of it, informed by our understanding of the propagandistic intent behind the History of the Goths, allows us to reconsider Cassiodorus’s use of his own sources. Cassiodorus restored the Gothic kings from oblivion, and imbued the Amal legacy with a new lustre, as he gathered together all that “had been lost in the wide fields of literature”. But in his e­ fforts to elevate the family’s name, it seems likely that he manipulated his sources to glorify the Amals, as we saw in the cases of Ostrogotha and Ermanaric. We are now in a position to understand Cassiodorus’s statement about his own historical work in the preface of the Variae: duodecim libris Gothorum his­ toriam defloratis prosperitatibus condidisti (“you have composed the history of the Goths in twelve books, anthologising their successes”).130 The cryptic expression defloratis prosperitatis (in which, astonishingly, we find once again the flower metaphor!) has been translated by Barnish as “anthologizing their successes”,131 but scholars were and remain sceptical about its real meaning. Schirren was perplexed by this sentence, as was Hodgkin, who wondered why Cassiodorus should by these words “so naively confess the one-side character of his history”.132 Other scholars have also expressed their doubts about the proper interpretation of this expression, which some hypothesized to be a corrupted form of plu­ ribus auctoritatibus or something similar.133 127 Cassiodorus,

Variae 9, 25, 4–5, trans. Barnish: Variae (see note 2). Getica 316, trans. Mierow: Gothic History (see note 46). See O’Donnell: Cassiodorus (see note 2), pp. 52 f.; Heather: Rise of the Amals (see note 16), p. 127. 129  See the literature above, note 16. 130 Cassiodorus, Variae praef. 11, trans. Barnish: Variae (see note 2). 131 Barnish: Variae (see note 2), p. 3. See also W. Bessel: Ueber ‘defloratis prosperitatibus’ beim Cassiodor. In: Forschungen zur Deutschen Geschichte 1 (1862), pp. 639–643; O’Donnell: Cassiodorus (see note 2), p. 49, n. 20. 132  Schirren: De ratione (see note 14), p. 72; Thomas Hodgkin: The Letters of Cassiodorus: Being a Condensed Translation of the Variae Epistolae of Magnus Aurelius Cassiodorus Senator. London 1886, p. 137 with note 2, including the use by Cassiodorus of the verb deflorare, on which see ThLL 5, 1, col. 361. 133  For the question, see Søby Christensen: Cassiodorus (see note 2), pp. 77–79. 128 Jordanes,

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I would attempt here a different explanation. By the time that he wrote the introduction to the Variae (between 538 and 540), Cassiodorus had made his final decision to abandon the political life at the Gothic court to embrace the spiritual one. Now, freed from political pressures, he was able to hint at the method by which he had compiled his Gothic History from many written sources and also from oral traditions. This would have been a difficult admission to make in his earlier years. When he served as the court historian, Cassiodorus could not always specify his sources, because they would undermine the reliability of his account and because they might not always support his praises of the royal family. The vicissitudes of Ostrogotha, like those of Ermanaric and other Gothic rulers, could be “anthologized” only if readjusted. In this way they became segments of the Amal past that Cassiodorus aimed to highlight inside of the history of the “successes” of the Goths. We occasionally perceive this readjustment in Jordanes’s abridgment, in which the anthologized events sometimes conceal a less illustrious past.

Zusammenfassung Im Auftrag Theoderichs verfasste Cassiodor eine „Geschichte der Goten“, in der er die Vergangenheit der Goten rekonstruierte und die Taten des Geschlechts der Amaler feierte. Teilweise erhalten ist dieses verlorene Werk in Jordanes’ Getica. Jüngst entdeckte Fragmente des Dexippos erhellen einige Ereignisse der skythischgotischen Geschichte aus der Mitte des 3. Jahrhunderts und bestätigen die Historizität Ostrogothas, eines Skythenführers, der mit dem gleichnamigen „Amalerkönig“, dessen Taten in der Getica erwähnt werden, identisch sein dürfte. Dieser neue Beleg ermöglicht ein besseres Verständnis der Art und Weise, wie Cassiodor die Taten der Amaler rekonstruierte. Er hat zwar im Allgemeinen keine Informationen erfunden, aber seine Quellen so zusammengestellt, dass die gotische Geschichte glorifiziert wurde und Theoderichs Vorfahren im besten Licht erschienen – ein Verfahren, das auch in seiner Darstellung von König Ermanarich aus der Zeit der Vorherrschaft der Hunnen zu erkennen ist. In dieser Analyse werden, mit besonderem Blick auf die Darstellung der Goten in der Getica und den Variae, neue Überlegungen zur Quellenforschung und zu Cassiodors Absichten als Historiker der Goten vorgestellt.

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Florian Kragl (K)Ein Gote? Theoderich und die Heldensage der ­Germanen Das ethnische Dilemma Wer sich als grundständiger Altgermanist die neuere geschichtswissenschaftliche Literatur zur Völkerwanderungszeit im Allgemeinen und zu den Goten beziehungsweise Theoderich dem Großen im Besonderen zu Gemüte führt, darf sich schon etwas wundern. Denn schnell wird sich der Eindruck einstellen, dass sich auf diesem Forschungsfeld im Verlauf der letzten Jahre und Jahrzehnte eine erhebliche Ungleichzeitigkeit ergeben hat. Während nämlich die Altgermanistik, soweit sie sich überhaupt noch für spätantike und völkerwanderungszeitliche Belange begeistern kann, nach wie vor an traditionellen Vorstellungen festhält, deren Wurzeln im Grunde in der altertumskundlichen Tradition des „langen“ 19. Jahrhunderts zu suchen sind, hat die (deutschsprachige1) Geschichtswissenschaft einen veritablen Modernisierungs- – oder besser – Postmodernisierungsschub erfahren, der so ziemlich alles über den Haufen werfen wollte, was man früher geglaubt hat und was die altgermanistische Literaturwissenschaft bis heute noch überwiegend glauben mag. Die Rede ist von der basalen Frage, was man sich unter Germanen oder Goten überhaupt vorzustellen hat, anders gesagt: was sich hinter dem Label verbirgt, das die spätantiken Chronisten und ihre Nachfolger verwenden, um politische Verhältnisse, militärische Konflikte und ihre Agenten – die beteiligten Gruppen und ihre Potentaten, samt ihrem Herkommen und ihrer Geschichte – zu beschreiben. Soweit ich es sehe, hält in diesem Punkt die Altgermanistik ganz am traditionellen Bild fest,2 das unverkennbar mit nationalphilologischen Strichen gemalt ist: Da gibt es – auch wenn man es heute oft anders nennen mag – so etwas wie „Völker“ 1  Anders

liegen die Verhältnisse im englischsprachigen Raum; siehe Michael Kulikowski: Barbarische Identität. Aktuelle Forschungen und neue Interpretationsansätze. In: Michaela Konrad/ Christian Witschel (Hg.): Römische Legionslager in den Rhein- und Donauprovinzen – Nuclei spätantik-frümittelalterlichen Lebens? München 2012, S. 103–111. Wichtig für die angloamerikanische Kritik an der Wiener Schule ist der Band von Andrew Gillett (Hg.): On Barbarian Identity. Critical Approaches to Ethnicity in the Early Middle Ages. Turnhout 2002. Darin auch eine Replik von Walter Pohl: Ethnicity, Theory, and Tradition: A Response. In: ebd., S. 221–240. 2  Ein beliebig aus dem Regal gegriffenes Beispiel wäre Joachim Heinzle: Einführung in die mittelhochdeutsche Dietrichepik. Berlin/New York 1999, S. 2–4. https://doi.org/10.1515/9783110686692-014

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oder (horribile dictu) „Stämme“, die primär durch ethnische Zusammengehörigkeit – sekundär durch gemeinsame Sprache, gemeinsame Kultur, gemeinsame ­politische Strukturen – definiert sind und die, streng hierarchisch organisiert, im 4. bis 7. Jahrhundert durch Europa ziehen, mit anderen Stammesvölkern sich verbündend oder streitend, mit dem bedeutenden Nebeneffekt, dass das westliche Rom seinen Niedergang erlebt. Wer Gote ist, ist es deshalb, weil er aus einer gotischen Familie stammt – weil in seinen Adern, man verzeihe mir die Polemik, gotisches Blut fließt. Von dieser romantisierenden ethnogenetischen Idee, deren fatale Auswüchse in und nach der Moderne bestens bekannt sind, hat sich die kontemporäre Geschichtsforschung deutlich distanziert.3 Seit der Arbeit von Reinhard Wenskus über „Stammesbildung und Verfassung“ (1961) ist das Vertrauen in die Existenz ethnisch sauber zu trennender Gruppen, die sich auch noch durch Gemeinsamkeit von Sprache, Kultur und politischer Organisation ausgezeichnet hätten, gründlich erschüttert.4 Seine Kritik am nationalistischen, monokausalen Stammesdenken der Geschichtsforschung des „langen“ 19. Jahrhunderts5 mündet in die Vorstellung von primär „verfassungsbedingten“ Stammesbildungen – in heutiger Terminologie müsste man wohl von institutionellen Prozessen sprechen6 –, deren ethnogenetische, sprachliche und kulturelle Komponenten wesentlich kontingent sind.7 Ein gutes halbes Jahrhundert nach Wenskus scheint der Relativismus weit um sich zu greifen.8 Von einem „völkischen“ Wesen, das über Jahrhunderte, wenn nicht gar Jahrtausende unveränderlich sei, will niemand mehr ausgehen, genauso 3 Und dies gilt selbst für die schmalsten Einführungen. Klaus Rosen: Die Völkerwanderung. München 22003, S. 26 f.; Hubert Fehr/Philipp von Rummel: Die Völkerwanderung. Stuttgart 2011, S. 10 f. Einen kompakten (nicht zuletzt auch fachhistorischen) Überblick bietet Hans-Ulrich Wiemer: Die Goten in Italien. Wandlungen und Zerfall einer Gewaltgemeinschaft. In: HZ 296 (2013), S. 593–628, hier: S. 593–597. 4  Zusammenschauend Walter Pohl: Die Völkerwanderung. Eroberung und Integration. Stuttgart u. a. 22005, S. 13–23. 5  Pointiert Reinhard Wenskus: Stammesbildung und Verfassung. Das Werden der frühmittelalterlichen gentes. Köln/Graz 1961, S. 107–112. 6  Ebd., S. 299: „Es sind wesentlich politische Ereignisse und Unternehmen, die in der Mehrzahl der Fälle die Voraussetzungen bei Stammesneubildungen schaffen.“ 7 Ebd., S. 573: „Wir haben das Werden und Vergehen ethnischer Verbände auf mitteleuropäischem Boden verfolgt. Angefangen von den aus den wenige Köpfe starken Horden und Banden der Urzeit entstandenen Primärstämmen über die archaischen Formen der Neustammbildung hinweg […] bis zu den Vorgängen hin, als deren bedeutsamstes Kennzeichen wir die gefolgschaftsähnlichen Verbände erkannt haben, die ihrerseits nun den Rahmen der neu entstehenden gentes bis ins frühe Mittelalter hinein abgeben.“ Dass die Ausführungen von Wenskus zu einzelnen germanischen Stämmen – etwa zu den Goten (ebd., S. 462–485) – doch recht deutlich hinter seinen methodischen Maximen zurückbleiben und weitgehend in konventionellen Bahnen verlaufen, sei hier wenigstens angemerkt. Das ändert aber nichts daran, dass die nachfolgenden Historikergenerationen mit genau diesen Maximen gleichsam ernst gemacht und damit die alte Vorstellung von der Völkerwanderung der Germanen auf den Kopf gestellt haben. 8  Symptomatisch Matthias Springer: Völkerwanderung. In: RGA, Bd. 32 (22006), Sp. 509–517, wo kaum eine Behauptung steht, die nicht sofort wieder angezweifelt würde.

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wenig von einer kompakten „völkischen“ Einheit aus Genetik, Sprache, Kultur und Organisationsform,9 zum Teil noch nicht einmal von einer gewissen Kontinui­ tät germanischer Adelsfamilien, die als Traditionskerne gewirkt hätten;10 und dies nicht nur aufgrund der politischen Verwerfungen des vergangenen Jahrhunderts, sondern auch, weil sich für solche kompakten Völker in den Quellen keine Belege finden: Zwar suggerieren einzelne Zeugnisse – in ihrem Denken offenbar ähnlichen Schemata verpflichtet wie die ältere Geschichtsforschung – genau diese primordialen Stammeseinheiten, doch in deren Zusammenschau und in der Konfrontation vor allem mit archäologischen Befunden verlieren sich die homogenen Völker in ethnischer Diversität und Variabilität.11 Die oft schwierige Deutung der Quellen kommt noch dazu.12 Konsequenz dieser epistemologischen Krise der Geschichtsforschung ist, dass man heute, wenn ich es recht überblicke, davon ausgeht, dass zur Zeit der – wie man dann sagen müsste – sogenannten Völkerwanderung nicht unbedingt germanische Völker oder Stämme, die Männer mit Kind und Kegel, gleichsam im Familienverbund, sich vom Norden aus über Europa verbreitet hätten, allenthalben Krieg stiftend und Regime stürzend; vielmehr nimmt man an, dass es sich da­ neben auch um „Interessensgemeinschaften“13 oder „Gewaltgemeinschaften“14 überwiegend junger Männer gehandelt habe, die sich unter der Führung von warlords zusammengeschlossen und geholt haben, was zu holen war.15 Es stellt sich –  9 

Zu beidem Springer: Völkerwanderung (wie Anm. 8), Sp. 511–514. So noch die Annahme von Wenskus: Stammesbildung (wie Anm. 5) und Herwig Wolfram: Geschichte der Goten. Von den Anfängen bis zur Mitte des sechsten Jahrhunderts. Entwurf einer historischen Ethnographie. München 21980; kritisch zu den Amalern zum Beispiel Peter Heather: Cassiodorus and the Rise of the Amals: Genealogy and the Goths under Hun Domination. In: JRS 79 (1989), S. 103–128; ders.: Disappearing and Reappearing Tribes. In: Walter Pohl/Helmut Reimitz (Hg.): Strategies of Distinction. The Construction of Ethnic Communities, 300–800. Leiden u. a. 1998, S. 95–111; ders.: Gens and regnum among the Ostrogoths. In: Hans-Werner Goetz u. a. (Hg.): Regna and gentes. The Relationship between Late Antique and Early Medieval Peoples and Kingdoms in the Transformation of the Roman World. Leiden/Boston 2003, S. 85–133. Vgl. Wiemer: Goten (wie Anm. 3), S. 596–598. Walter Pohl begreift ethnische Identität als varia­ bles und multifaktorielles Phänomen, bedingt unter anderem von den Faktoren Sprache, Waffen und Kampfführung, Kleidung oder Körperschmuck; Walter Pohl: Telling the Difference: Signs of Ethnic Identity. In: ders./Reimitz (Hg.): Strategies of Distinction (diese Anm.), S. 17–69. 11  Dies ist die Hauptthese von Walter Pohl: Ethnizität des Frühmittelalters als interdisziplinäres Problem. In: Das Mittelalter 4 (1999), S. 69–75, bes. S. 71 f. 12  Ebd., S. 63–65. 13  So in der an ein breiteres Publikum gerichteten Einführung Fehr/von Rummel: Völkerwanderung (wie Anm. 3), S. 11. 14  Wiemer: Goten (wie Anm. 3). 15  Zum Beispiel Guy Halsall: Barbarian Migrations and the Roman West, 376–568. Cambridge 2007, etwas vorsichtiger Pohl: Völkerwanderung (wie Anm. 4), S. 27–30. Zu den amalischen Goten Guido M. Berndt: Beute, Schutzgeld und Subsidien. Formen der Aneignung materieller Güter in gotischen Kriegergruppen. In: Horst Carl/Hans-Jürgen Bömelburg (Hg.): Lohn der Gewalt. Beutepraktiken von der Antike bis zur Neuzeit. Paderborn u. a. 2011, S. 121–147. Dass und inwieweit Gewaltausübung gleichsam stammesbegründend sein kann, ist bei Wiemer: Goten (wie Anm. 3) diskutiert („für die ökonomische Subsistenz und soziale Integration“, S. 598). 10 

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ich überspitze bewusst – bei der Lektüre der neueren geschichtswissenschaftlichen Literatur der Eindruck ein, als hätte es – dem Selbstverständnis der so Bezeichneten nach – „Germanen“ gar nicht gegeben.16 Nun ist diese beschriebene Differenz, wenn sie denn richtig beschrieben sei, für sich genommen nicht sonderlich auffällig. Die Völkerwanderungszeit wäre nicht die einzige Epoche, für die seit der Studentenrevolte der späten 1960er- und 1970er-Jahre eine radikale Abkehr stattgefunden hätte von den bürgerlich-nationalen Phantasien der Gründungsväter unserer Fächer, und gewiss ist es alles andere als Aufsehen erregend, dass jene Disziplin, die sich intensiv mit der Frage aus­ einandersetzt, ihren tangentialen Schwesterfächern ein paar Jahrzehnte voraus ist. Denn im Grunde beschäftigen sich doch die Vertreter der Altgermanistik heute – von ganz wenigen Kollegen ausgenommen – mit dieser Frage ohnehin nicht mehr, und dass dann weiter angeführt und zitiert wird, was immer schon in Einführungen und Überblickswerken zu lesen war, ist nun einmal so. Interdisziplinarität ist eben doch oft nur eine Chimäre. Wissenschafts- und fachgeschichtlich ist dieser Befund kaum der Rede wert. Eine Irritation aber bleibt: Wenn es so wäre, dass wir es bei den Germanen der Völkerwanderungszeit mit erst nachträglich zusammengesehenen Gruppen zu tun hätten, die in sich oder miteinander nur schwach verbunden waren, jedenfalls ohne sich als Teile einer übergeordneten Einheit zu verstehen, wie könnte es dann sein, dass sich im Verlauf der folgenden Jahrhunderte just um einen dieser „Germanen“, nämlich um den Goten Theoderich, bei so gut wie allen anderen „germanischen“ Gruppen (in allen greifbaren germanischen Sprachen) eine Sagenwelt rankt, die hinsichtlich ihrer Dissemination und Persistenz im ganzen nachantiken europäischen Bereich – neben dem Kelten Arthur/Artus – singulär ist? Nicht nur darf und sollte man sich fragen, wer – abseits der lateinischen Chronistik – Theoderich so lange im Gedenken bewahrt hat, bis aus ihm nach zahllosen Umgestaltungen und Variationen Dietriche und Thidreks wurden, die mit ihrer historischen Vorlage kaum noch etwas gemein haben. Auch und selbst wenn man diese Trägerschicht kennte, wäre nicht recht zu verstehen, was sie zu dieser Konservierung und zu diesem Weitererzählen angetrieben hätte. In diesem Punkt wird nun die oben skizzierte Differenz kritisch: Die konven­ tionelle Antwort der Altgermanistik auf die zuletzt aufgeworfenen Fragen war und ist, dass Sage – Heldensage zumal – Erinnerung an eine als gemeinsam betrachtete Vorzeit sei. „Vorzeitkunde“ nannten das die Altvorderen, manches Mal sogar – noch rekonstruktionsoptimistischer, was die konkreten sozialen und kulturellen Zusammenhänge angeht – „Hausüberlieferung“. Heute spricht man, auch um alle 16  Pointiert

zum Germanenbegriff Reinhard Wenskus: Über die Möglichkeit eines allgemeinen interdisziplinären Germanenbegriffs. In: Heinrich Beck (Hg.): Germanenprobleme in heutiger Sicht. Berlin/New York 1986, S. 1–21; vgl. zusammenfassend auch Springer: Völkerwanderung (wie Anm. 8), Sp. 512: „Nur wußten weder diejenigen Menschen des 4.–6. Jh.s, die nach unserer Einteilung Germ[anen] sind, etwas davon, daß sie Germ[anen] waren, noch wurden die betreffenden Leute in ihrer Gesamtheit von den Römern als Germani […] bezeichnet.“

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ahnenerbenden Abwege der geistesgeschichtlichen Forschung energisch von sich zu weisen, von „kulturellem Gedächtnis“, meint aber doch Ähnliches, wenn nicht dasselbe: Eine sich als zusammengehörig begreifende Gruppe, ein Stamm, ein Volk, eine Ethnie, vergewissert sich in mündlichen Erzählungen ihrer eigenen Vor- und Gründungszeit, die in einem nicht näher bestimmten Davor – dem heroic age – verortet ist. Wenn es nun aber zur Zeit Theoderichs und danach solche Stämme, Völker und Ethnien gar nicht gegeben hat oder sie zumindest nicht in der Weise prominent ins politische Geschehen eingegriffen haben, wie man dies früher meinte, wird die ganze These, die sich nun bald 200 Jahre zäh hält, hinfällig. Der veränderte Blick auf die sogenannte Völkerwanderungszeit durch die Geschichtsforschung entzieht den Erklärungsmodellen der Literaturwissenschaft zur Entstehung von Heldensage den Boden. Denn wenn die Heldensage nicht von „echten Germanen“ getragen wird, kann sie nicht Vorzeitkunde und kulturelles Gedächtnis sein.17 Was aber ist sie, und was motiviert sie dann? Ich will die Kluft, die sich an diesem Punkt zwischen Geschichtsforschung und Altgermanistik auftut, mit einem Doppelschritt vermessen. Zuerst widme ich mich frühen Zeugnissen der Sage, nicht um abschätzen zu können, welchen evolutionären Weg diese ging, sondern immer mit Blick darauf, ob diese Sage, nach allem, was man heute noch über sie wissen kann, Erinnerung an eine als fundierend erlebte ethnische Situation gewesen sein könnte. Einfacher gesagt: Es sei geprüft, ob, wenn außerhalb der Chronistik von Theoderich erzählt wird, von ihm als Goten oder Germanen erzählt wird oder nicht, ob also an dieser Sagengestalt überhaupt jenes Identifikationspotenzial haftet, das die Altgermanistik ihr attestiert. Im zweiten Schritt geht es – exemplarisch – um die Verbreitung und Ausdifferenzierung der Sage selbst, bis hin zu ihren spätesten Repräsentanten in der Frühen Neuzeit. Dann interessiert nicht länger, was es ist, das die polymorphe Sage von Theoderich zu berichten weiß, sondern bis wohin sie es zeitlich und regional geschafft hat und inwieweit sich über ihre Verbreitung und Variation Erzählgemeinschaften gebildet haben. Der erste Schritt führt auf die immer nur hypothetisch zu umkreisenden Entstehungsumstände der Sage hin, der zweite zielt auf die tatsächlich erhaltene Heldendichtung und Heldenepik.

„Vorzeitkunde“: (k)ein Gote Wenn im Folgenden von „Sage“ die Rede ist, meine ich damit nicht das pathosgeladene Konstrukt des 19. Jahrhunderts, hinter dem sich ein Phantasma von Reinheit, Ursprünglichkeit und Authentizität verbirgt: „Sage“ ist „echt“, „alt“ und 17 

Insofern ist es kurios, dass just Walter Pohl in seinem Völkerwanderungszeit-Buch die germanistische These von der „stilisierte[n] Erinnerung an ein ‚heroisches Zeitalter‘“, das „viele Jahrhunderte lang identitätsstiftend für das abendländische Mittelalter [blieb]“ (Pohl: Völkerwanderung [wie Anm. 4], S. 221), referiert, wo er doch mit seinem Blick auf das 4.–6. Jahrhundert genau diese Aussage unmöglich macht (vgl. etwa ebd., S. 157 f. zur Nibelungensage).

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„ehr­würdig“. „Sage“ sei verstanden schlicht als das Sagen, das Erzählen von inhaltlich-thematisch verwandten Geschichten; man könnte genauso gut von „Gerede“ sprechen. Denn zwar wissen wir für lange Jahrhunderte nicht, welche Form dieses Sagengerede im Falle von Theoderich hatte, zumal es schriftlich erst viel später fassbar wird. Dass es aber von Anfang an ein heterogenes gewesen sein muss, zeigen die frühen Spuren, die auf dieses Sagengerede hinführen, überdeutlich. Diese Spuren sind keine Sage im eigentlichen Sinne, sondern Reflexe auf diese Sage in etablierten Textsorten, in der Regel in der lateinischen Historiographie der Spätantike und des Frühmittelalters sowie in den frühsten erhaltenen Heldendichtungen selbst. Die Zeugnisse sind gut bekannt; die wichtigsten seien hervorgehoben: Spärlich sind die Funde außerhalb der Heldendichtung beziehungsweise -epik. Die überwiegend lateinische, seltener griechische Überlieferung zu Theoderich ist früh und in zumindest für einen Literaturwissenschaftler erstaunlicher Breite präsent.18 Es fehlt ab dem 6. Jahrhundert nicht an chronikalischen Berichten zum Ostgotenkönig. Es sind dies die Primärquellen der modernen Geschichtsforschung, und was dort zu Theoderich steht, ist, aus einer gewissen Distanz besehen, im Grunde stets dasselbe: seine Erziehung bei Zeno, sein Zug gegen Italien, der Sieg über Odoaker und dessen Ermordung, eine mehrere Jahrzehnte (die Jahreszahlen sind nicht ganz konsistent) andauernde, florierende Herrschaft, die sich unter ­anderem durch eine reiche Bautätigkeit auszeichnet, schließlich Konflikte im und mit dem römischen Establishment (Boethius, Symmachus, Papst Johannes), dann ein plötzlicher Tod.19 Das Muster wird mal breiter, mal schmaler ausgearbeitet, im Grunde ist es aber in allen historiographischen Berichten über Theoderich und seine Goten präsent und wird so bis in die hoch- und spätmittelalterliche Chronistik weitergetragen. Von Sage ist darin kaum die Rede, und wo doch, handelt es sich jeweils um besondere, gleichsam individuelle Funde, die kaum über den einzelnen Text hinausgreifen.20 Gelegentlich finden sich Anekdoten,21 die Theoderich beispielsweise als einen Herrscher von gleichsam salomonischem Rechtsverstand zeigen. Fredegar entwirft in seiner Universalchronik bekanntlich so etwas wie eine kleine Theoderich-Vita, die sich durch einige Absonderlichkeiten (die traditionelle Geschichts-

18 

Andreas Goltz: Barbar – König – Tyrann. Das Bild Theoderichs des Großen in der Überlieferung des 5. bis 9. Jahrhunderts. Berlin u. a. 2008. 19  Elisabeth Lienert (Hg.): Dietrich-Testimonien des 6. bis 16. Jahrhunderts. Tübingen 2008, bes. die ersten Einträge des Bandes mit und ab Nr. 1. 20  Vgl. zum Folgenden Lienert (Hg.): Dietrich-Testimonien (wie Anm. 19), und Heinrich Joachim Zimmermann: Theoderich der Große – Dietrich von Bern. Die geschichtlichen und sagenhaften Quellen des Mittelalters. Diss. Bonn 1972, die ich nach den genannten Kriterien ausgewertet habe, sowie die Übersicht bei Florian Kragl: Die Geschichtlichkeit der Heldendichtung. Wien 2010, S. 48 f. 21 Siehe Lienert (Hg.): Dietrich-Testimonien (wie Anm. 19), Nr. 14 (Excerpta Valesiana, auch ­Anonymus Valesianus), Nr. 25 (Johannes Malalas, Chronographía), Nr. 36 (Chronicon Paschale), Nr. 39 (Johannes von Nikiu, Weltchronik), Nr. 46 (Theophanes Homologetes, Chronographia).

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forschung müsste sagen: Unwahrheiten) auszeichnet, und immer wieder wird Theoderichs Tod als göttliche Strafe für seine Vergehen gegen Boethius, Symmachus und Papst Johannes ausgelegt22 – drastisch übersteigert im Motiv des Vulkansturzes, der sich, wohl ausgehend von den Dialogi Gregors des Großen, wie ein Lauffeuer in der Theoderichüberlieferung verbreitet;23 Bindeglied ist vielleicht der Liber in gloria martyrum des Gregor von Tours (um 600), nach dem Theoderich zur Strafe für seine Opposition gegen die Kirche suscepit […] perpetuum ­gehennae flammantis incendium.24 Alleine, diese Auffälligkeiten im Kontext der chronikalischen Überlieferung implizieren nicht automatisch, dass hier para„litterarisches“ Sagengerede Eingang in die frühmittelalterliche Historiographie gefunden hätte. Die Anekdoten haben ganz offenbar den Sinn, eine historische Figur in ein bestimmtes Licht zu rücken, nicht anders die Berichte über Theo­ derichs jähes Lebensende und den Vulkansturz.25 Lediglich bei Fredegars Theoderich-Vita ist es nicht selbstevident, welchem Zweck sie dient, und sie ist ausführlich genug, um den Verdacht auf eine heute nicht mehr greifbare Quelle zu nähren. In der späteren Theoderichsage, wie sie über das vernakuläre Erzählen greifbar ist, spielen die von Fredegar angeführten Einzelheiten aber keinerlei ­Rolle. Dieses Auseinanderdriften von Sage und chronikalischer Überlieferung bestätigt sich, wenn man von den viel später aufgezeichneten Heldenepen des Hochund Spätmittelalters um Theoderich – der dann freilich je nach Volkssprache anders heißt – zurückblickt auf diese Einsprengsel in die frühmittelalterliche Chronistik. Sowohl im deutschen als auch im skandinavischen Sprachraum – sie stellen die Hauptmasse des Erhaltenen – dominieren im volkssprachlichen Erzählen um Theoderich-Dietrich-Thidrek drei Bereiche:26 Erstens der Konflikt Dietrichs mit seinem Onkel Ermanarich-Ermrich-Örmunrek, der zur Vertreibung Dietrichs aus seinem Erbreich Oberitalien an den Hof Etzels und einer Reihe von siegreichen, aber doch in aller Regel erfolglosen 22 Siehe Lienert (Hg.): Dietrich-Testimonien (wie Anm. 19), Nr. 13 (Boethius, De consolatione Philosophiae), Nr. 16 (Liber pontificalis), Nr. 20 (Fasti Vindobonenses priores et posteriores), Nr. 23 (Procopius, Historiae). 23  Siehe Lienert (Hg.): Dietrich-Testimonien (wie Anm. 19), Nr. 32 (Gregor der Große, Dialogi), Nr. 37 (Fredegar-Chronik), Nr. 42 (Paulus Diaconus, Historia Romana), Nr. 44 (Vita Willibaldi), Nr. 48 (Walahfrid Strabo, De imagine Tetrici), Nr. 49 (Frechulf von Lisieux, Chronicon), Nr. 53 (Sedulius Scottus, Liber de rectoribus Christianis). 24  Gregorius Turonensis, Liber in gloria martyrum, 39. 25  Im Wunschdenken der älteren Forschung sollte dieser auf einen vorgängigen Theoderich-Mythos hindeuten, der im Sinne einer „Arbeit am Mythos“ in sein christologisches Negativ verkehrt worden wäre. Am extremsten hat diese These verfochten Otto Höfler: Germanisches Sakralkönigtum. Bd. 1: Der Runenstein von Rök und die germanische Individualweihe. Tübingen 1952. Die Beweislage ist freilich mehr als dünn, die Argumentation umso voraussetzungsreicher. Vgl. die Kritik bei Klaus von See: Kontinuitätstheorie und Sakraltheorie in der Germanenforschung. Antwort an Otto Höfler. Frankfurt a. M. 1972. 26  Vgl. Heinzle: Dietrichepik (wie Anm. 2); Elisabeth Lienert: Mittelhochdeutsche Heldenepik. Berlin 2015, S. 96 f.

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Rückkehrversuchen führt. Man spricht daher auch von Exil-Rückkehr-Fabel. Diese ist zugleich die Andockstelle für Dietrichs Kontakt mit der Nibelungensage (die ja ebenfalls den Hof Etzels unsanft streift); erzählt wird sie hauptsächlich in den deutschen Epen Dietrichs Flucht (auch, und sachlich richtiger, das Buch von Bern genannt) und Rabenschlacht sowie in der altnordischen Thidreks saga, die nibelungischen Kontakte werden im Nibelungenlied und in der Völsunga saga hergestellt. Nicht zu übersehen ist, dass hinter diesem Moment der Dietrichsage das Geschehen im Italien des späten 5. Jahrhunderts steckt – man nennt Dietrichs Flucht, Rabenschlacht und die begleitenden Sprossepen Alpharts Tod und Dietrich und Wenezlan daher auch „historische Dietrichepik“ –, das hier freilich verzerrt erscheint: Dietrich ist nicht, wie Theoderich, Usurpator, sondern rechtmäßiger Erbe, der ungerecht vertrieben wird; Dietrich findet nach seiner Vertreibung Aufnahme bei Etzel (wohingegen der historische Attila parallel zu Theoderichs ­Geburt gestorben ist); Ermrich ist Dietrichs böser Onkel, Ermanarich aber ein ­Gotenkönig des späteren vierten Jahrhunderts. In der lateinischen oder griechischen Überlieferung haben diese „sagenhaften“ Umformungen so gut wie keine Spuren hinterlassen. Zweitens, Dietrichs Abenteuer. Sie dominieren vor allem die spätmittelalterliche Überlieferung im deutschen Bereich; die Forschung fasst sie unter „aventiurehafte Dietrichepik“ zusammen. Es sind dies meist kürzere Texte, die von den Taten des Berner Dietrich im Tiroler Wald erzählen. Dietrich bekämpft dort Riesen und Zwerge, rettet Jungfrauen, erfährt also Aventiuren, die zumindest ihrer Staffage nach dem höfischen Roman ähneln. So in Goldemar (ein zwergischer Gegner), Eckenlied (Ecke als Superbia-Riese), Laurin (titelgebend ist ein zugleich höfischer und verschlagener Zwerg), Virginal (eine zu rettende Zwergenkönigin), Sigenot (ein Riese), Wunderer (detto). Die meisten dieser Texte dürften auch stoffgeschichtlich spät einzuordnen sein, denn von ihren Stoffen gibt es vor 1200 kaum eine Spur. Spätzeitlich ist aber auch das Erzählen, das sich als eine hybride Mixtur aus den volkssprachlich verfügbaren Genres präsentiert, bis hin zu geradezu postmodern anmutenden Entwürfen wie dem sogenannten Rosengarten, wo Dietrichs Berner Helden in Reihenkämpfen gegen die Wormser Nibelungen-Helden antreten, nur um zu sehen (Kriemhild ist daran besonders interessiert), welche Partei die stärkere ist. Dass davon in der frühmittelalterlichen Chronistik keine Rede ist, ja, gar keine Rede sein kann, versteht sich. Drittens, das Erzählen von Dietrichs Ende. Anders als die ersten beiden genannten Bereiche wird dieser dritte niemals textkonstitutiv: Es gibt keine Erzählung, kein Epos, keinen Roman nur über Dietrichs Ende. Aber als Motiv spielt Dietrichs Ende immer wieder in andere Dietrich-Erzählungen hinein. So in der Thidreks saga, in der Heldenbuchprosa – und damit in zwei Texten, die den Bogen über das ganze Leben Dietrichs beziehungsweise über das Heldenzeitalter überhaupt spannen, die also ein Ende so dringend brauchen wie einen Anfang –, aber auch im Wunderer, der dies nicht nötig hätte; dort handelt es sich um eine unscheinbare Prolepse mitten im Geschehen, die auf Dietrichs Ende vorausblickt. Dieses Ende wird dabei immer wieder anders gestaltet: Dietrich wird entrückt

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oder „entreitet“, auch dies auf verschiedene Weise. Theoderichs Vulkansturz der lateinischen Chronistik fehlt dem volkssprachlichen Erzählen von Dietrich. Dennoch ist es naheliegend, in diesen Motiven einen – wie auch immer gearteten – Reflex der volkssprachlichen Überlieferung auf die Verdammung Theoderichs ­ durch die Chronisten zu vermuten. Dass daneben auch literarische Muster eine Rolle spielen (der größte der Helden muss auch ein mythisches Ende finden), kommt dazu. Wieder aber gilt: Selbst wenn Dietrichs sagenhaftes Ende irgendwie in Theoderichs Vulkansturz angelegt sein mag, sind uns die Fäden, mit denen dieses Stückwerk zu einem Netz geflochten ist, verloren. Die frühmittelalterliche Chronistik kennt nur den Vulkansturz, und dafür braucht sie keine Sage; andere Theoderich-Enden aber sind ihr fremd.27 Dass der spätere Dietrich immer dann, wenn er zürnt, Feuer speit, mag, zusammen mit dem Vulkansturz, eine gewisse Affinität der Figur mit dem Feuer nahelegen.28 Es kann sich dabei aber auch schlicht um einen Zufall handeln. Bemerkenswert ist diese relativ strenge Abstinenz der frühen Historiographie von der Dietrichsage nicht zuletzt deshalb, weil jene durchaus nicht ganz ohne mündliche Sagenüberlieferung auszukommen scheint: In die Getica des Jordanes hat die Svanhildsage um Ermanarich Eingang gefunden,29 wie sie viel später in der altnordischen Überlieferung begegnet.30 Theoderich selbst aber, der Gote, tritt in den ersten Jahrhunderten seiner chronikalisch-gelehrten Überlieferung nicht sagenhaft in Erscheinung. Das heißt im Umkehrschluss: Der rex Gothorum und die Sage, ja, die Goten überhaupt und die Sage haben, zumindest nach Maßgabe des lateinischen und griechischen Bereichs, nichts miteinander zu tun. Das ändert sich auch im hohen Mittelalter nur geringfügig. Otto von Freising benennt in seiner Chronica sive historia de duabus civitatibus (Mitte des 12. Jahrhunderts) den Höllenritt des Theoderich als alternatives, „sagenhaftes“ Lebens­ ende;31 Theoderich von Bern (Theodericum Bernensem) als Wilden Jäger kennen die Chronica regia Coloniensis (um 1200);32 Diakon Giovanni aus Verona verzeichnet in seinen Historiae imperiales (um 1320) beides und ergänzt dieses noch um die Teufelsgeburt jenes Theoderich, quem Veronenses appellant Diatricum;33 dass Theoderich „von Bern“ sei, wissen außerdem Albert von Stade (Annales 27  Dass

Theoderichs Höllenritt auch von Walahfrid Strabos De imagine Tetrici widergespiegelt würde, dürfte wohl eine reine Wunschvorstellung Höflers gewesen sein. Otto Höfler: Der Rökstein und die Sage. In: Arkiv för nordisk filologi 78 (1963), S. 1–121, hier: S. 44 f. 28  Vgl. Florian Kragl: Mythisierung – Heroisierung – Literarisierung. Vier Kapitel zu Theoderich dem Großen und Dietrich von Bern. In: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 129 (2007), S. 66–102. 29  Siehe den Überblick bei Heinrich Beck: Ermanarich. § 2. Sagengeschichtliches, in: RGA, Bd. 7 (21989), S. 512–515. 30 Jordanes, Getica 129. 31  Otto von Freising nach Adolf Hofmeister (Hg.): Ottonis Episcopi Frisingensis Chronica sive Historia de duabus civitatibus (MGH SS rer. Germ. 45). Hannover/Leipzig 1912, S. 232 (V,3). 32 Georg Waitz (Hg.): Chronica regia Coloniensis (MGH SS rer. Germ. 18). Hannover 1880, S. 159. 33  Zit. bei Zimmermann: Theoderich (wie Anm. 20), S. 236.

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­Stadenses, Mitte des 13. Jahrhunderts) und Simon Kézai (Gesta Hungarorum, ca. 1285).34 Dietrich und Wideke als Kontrahenten – wie mehrfach in der „historischen“ Dietrichsage – bringt das Chronicon imperatorum et pontificum Bavaricum35 (Ende des 13. Jahrhunderts); die Zeitgenossenschaft von Ermanarich und Theoderich sowie Theoderichs Vertreibung zu Attila haben die Annales Quedlinburgenses36 (frühes 11. Jahrhundert), in denen dem Sagenheld – der hier eindeutig der Gote ist – die Rückeroberung gelingt; ebenso das Chronicon Wirciburgense37 (Mitte des 11. Jahrhunderts), das wohl aus den Annales geschöpft hat. Allerdings hat diese zuletzt genannte Vermengung von Chronik und Sage sofort Widerspruch hervorgerufen: Frutolf von Michelsberg diskutiert wenige Jahre oder Jahrzehnte nach den Annales im Chronicon universale (um 1100) den eklatanten Widerspruch zwischen Jordanes und der Sage; sein Bezugstext dürfte das Chronicon Wirciburgense gewesen sein, da er die Annales wohl nicht kannte. Frutolf stellt drei Optionen in den Raum – Jordanes hat recht, die Sagenvariante hat recht, oder es handelt sich um verschiedene Theoderiche, also um Homonymie –, einer klaren Wertung enthält er sich.38 Spätere Sagenkritik ist da wesentlich direkter: Otto von Freising (Chronica), Gottfried von Viterbo (Pantheon) und auch die Sächsische Weltchronik lehnen die „sagenhaften“ Zeitgenossenschaften ab.39 Für ein Kuriosum muss in diesem Zusammenhang die deutsche Kaiserchronik40 aus dem mittleren 12. Jahrhundert gelten, die sich in der Verdammung der Sage der lateinischen Chronistik anschließt, die dann aber durch die Aufsplittung der Dietrich-Geschichte auf drei Könige und durch die Übernahme einiger Erzählmuster und poetischer Prinzipien der Heldendichtung doch Chronistik und Sage auf sonst ungekannte Weise engführt.41 Es ist schwer zu sagen, wie die Stoffgeschichte hier im Einzelnen verlaufen ist. Nichts spricht aber dafür, dass die Chronistik in den Fällen, in denen ihr sporadisch „Sagenhaftes“ eingemischt ist, gleichsam altes Sagengut bewahrt hätte. Vielmehr wird man davon auszugehen haben, dass hier die Chronisten gerade des ­hohen und späteren Mittelalters auf das Sagengerede, von dem sie sich irgendwie tangiert fühlten, reagiert haben, und dass diese Reaktionen überwiegend ablehnende sind, überrascht ebenso wenig, wie dass just die „große“, weit verbreitete volkssprachliche Chronik des hohen Mittelalters, die Kaiserchronik, sich dann 34  Siehe

Lienert (Hg.): Dietrich-Testimonien (wie Anm. 19), Nr. 145 (Albert von Stade, Annales Stadenses), Nr. 165 (Simon von Kézai, Gesta Hungarorum). 35  Georg Waitz (Hg.): Chronicon imperatorum et pontificum Bavaricum (MGH SS 24). Hannover 1879, S. 220–227, hier: S. 222. 36 Martina Giese (Hg.): Die Annales Quedlinburgenses (MGH SS rer. Germ. 72). Hannover 2004, S. 410 f. 37  Georg Waitz (Hg.): Chronicon Wirziburgense. In: Chronica et annales aevi Salici (MGH SS 6). Hannover 1844, S. 17–32, hier: S. 23. 38  Ders. (Hg.): Ekkehardi Chronicon universale. In: ebd., S. 33–231, hier: S. 130. 39  Ausführlich Kragl: Geschichtlichkeit (wie Anm. 20), S. 49  f. mit Literatur. 40  Edward Schröder (Hg.): Die Kaiserchronik eines Regensburger Geistlichen (MGH Deutsche Chroniken 1,1). Hannover 1892, die Dietrich-Passagen V. 13825–14193. 41  Kragl: Geschichtlichkeit (wie Anm. 20), S. 51–76.

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doch einige Erzählmuster aus dem heldenepischen Bereich zu borgen scheint, um einen Kompromiss zwischen verbürgter Geschichtsüberlieferung und dem, was man sagt und sich erzählt, zu finden. Eine lateinische Chronik hätte das wohl kaum gewagt und, mit Blick auf ihre Rezeptionswirklichkeit, dessen sicherlich auch nicht bedurft. Ganz anders liegen die Dinge in der frühen volkssprachlichen Heldendichtung, soweit sie uns heute noch greifbar ist. Dort gehört die Sagenbildung um Theoderich zu den frühesten fassbaren Erzählstoffen im Bereich der germanischen Sprachen, auch wenn die frühesten Zeugnisse nicht primär Vertreter dieser Sage sind: Sie erzählen nicht von Theoderich, aber sie erwähnen ihn auf eine Weise, die deutlich macht, dass er kein nobody des volkssprachlichen Erzählens spätestens seit dem 7. Jahrhundert ist. Das erste Mal taucht er auf in einem Widsith genannten Heldenlied (vielleicht schon 7. Jahrhundert, erhalten im Exeter Book, um 1000), in dem der titelgebende Sänger in 143 alliterierenden Versen Völker und Könige aufzählt, bei denen er war. Deren historische Vorlagen gehören in die Zeit der Völkerwanderung, unter anderen genannt sind der Gotena cyning Eormanric (V. 8, 18, 88 f., 111), Wudga ond Hama (V. 130 – das sind wohl die späteren Witege und Heime der deutschen Dietrichepik), Sifeca (V. 116 – Ermrichs böser Ratgeber Sibeche?), Herelingas (V. 112 – die Harlungen) und Þeodric (V. 115), freilich ohne dass klar würde, ob damit der Goten- oder der Frankenkönig gemeint ist.42 Im Fragment des altenglischen Waldere (noch 8. Jahrhundert?; überliefert im 11. Jahrhundert) – eine Walther-Dichtung, stofflich verwandt dem lateinischen Waltharius – scheint (die Stelle ist nicht ganz durchsichtig) Gunther sein Schwert über jenes des Walther zu stellen, weil es jenes sei, das einst Đeodric dem Widia, Walands Sohn, zum Dank für die Rettung aus der Gefangenschaft bei Riesen vermacht habe (Frm. II, 4–10).43 Auf dem Runenstein von Rök, einem der wichtigsten frühen Zeugnisse für die germanische Heldensage im Norden (1. Hälfte 9. Jahrhundert, Ostergötland/Schweden), findet sich eine eddische Strophe, die þioðrikr ­einen „Fürst der (See)Krieger“ (?) und „Held der Maeringe“ nennt und ihn auf seinem Ross sitzen lässt, das aber immerhin ein „gotisches“ ist.44 In Deors Klage45 wiederum, einem kurzen, alliterierenden altenglischen Trostlied, entstanden vielleicht um 850 (erhalten im Exeter Book), tröstet sich der Scop Deor, von einem Kontrahenten verdrängt, mit der Aufzählung von Helden, die nach Unglück doch noch und wieder Glück gefunden haben. Darunter werden Weland, Þeodric, Eormanric (V. 1, 18, 21) genannt. Þeodric herrschte demnach 30 Winter (V. 18; 30 Jahre und Theoderich-Dietrich sind auch sonst ein festes Paar) über Mæringa burg (V. 19), unmittelbar danach kommt die Rede auf Eormanric, der über Gotena rices (V. 23) herrschte, und seine wylfenne geþot („wölfischen Gedanken“, V. 22). Die 42  Rolf

Kaiser (Hg.): Medieval English. An Old English and Middle English Anthology. Berlin S. 79–81. 43  Jonathan B. Himes (Hg.): The Old English Epic of Waldere. Newcastle upon Tyne 2009, S. 80  f. 44  Klaus Düwel: Runenkunde. Stuttgart/Weimar 32001, S. 114–118. 45  Kemp Malone (Hg.): Deor. Exeter 1977. 31958,

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erste Heldendichtung, die dann fest in den Dietrich-Kreis gehört, ist das deutsche Hildebrandslied (um 800?, Handschrift früheres 9. Jahrhundert), das nur fragmentarisch auf uns gekommen ist. Es ist wohl im Rückkehr-Part der Exilsage anzusiedeln, zeigt es doch Hildebrand als Gefolgsmann Dietrichs, der, zurück in Italien, zwischen den Fronten auf seinen Sohn Hadubrand – einen Vertreter der feindlichen Seite – trifft; nach kurzem Gespräch kommt es zum Kampf, weil Hadubrand den Vater nicht erkennen will, das Ende fehlt. Der Feind, vor dem Dietrich „flieht“, heißt hier noch nicht, wie in der späteren Dietrichepik, Ermrich (o. Ä.), sondern, gleichsam historisch korrekt, Otacher. Bemerkenswert an dieser Schnellsichtung der wichtigsten Belege scheint vor allem dieses: Trotz der, im Vergleich zu anderen historischen Figuren und zu anderen Sagenhelden, zahlreichen Testimonien zu Theoderich-Dietrich driften „Historia“ und „Sage“ rasch auseinander, und Folge davon ist, dass am Goten Theoderich, wie ihn die Chronistik kennt, kaum Reste oder Vorläufer der Sage kleben, dass aber umgekehrt der Sagenheld, wo er früh Erwähnung findet, so gut wie nie ein Gote ist!46 Dies ist umso bemerkenswerter, als Ermanarich sowohl als Sagenheld früh in der Chronistik vorkommt (Jordanes) und er außerdem als Sagenheld durchaus Gote bleibt (Widsith und Deors Klage). Es mag Zufall sein, und doch scheint es bezeichnend, dass bei Theoderich-Dietrich diese Überblendung ganz fehlt. Selbst die Märinge, als deren Herrscher der Sagenheld zweimal genannt wird, sind in ihrer Deutung nicht mit Sicherheit „wohl: ‚d[ie] berühmten Goten‘.“47 Diese Identifizierung stützt sich auf eine kurze Passage der Regensburger Glossen (12. Jahrhundert), wo Gothi mit Meranare und Amelunge mit baier gleichgesetzt werden48 – ein schmales und, angesichts der absurden Gleichsetzung von Amalern und Baiern, fragwürdiges Indiz, das sich vielleicht auch damit erklärte, dass just im 11./12. Jahrhundert langsam die Chronisten auf die Sage aufmerksam werden und dann eben an Lösungen arbeiten, das eine gegen das andere auszuspielen oder auch die beiden Sphären zu verbinden. Was Märinge tatsächlich sind oder waren – wir wissen es nicht. Für Theoderich-Dietrich gilt damit: Erhalten bleiben der Sage die Orte, und sie sind es vielleicht auch zuallererst, die der Sage ihren anhaltenden „historischen“ Gestus verleihen und ihr diesen bis weit in die Neuzeit hinein sichern: Ravenna, Verona, Rom, in anderen Fällen Worms, Xanthen, Wien etc. In allem Übrigen aber scheint Theoderich-Dietrich sehr früh aus seinem ursprünglichen historischen Kontext herausgelöst, und dies besonders, was seine gentile Herkunft betrifft. Orte bleiben, gentes vergehen. Dass sich mit Theoderich-Dietrich dann aber womöglich die Langobarden gleichsam ihren Haushelden schaffen wollten49 oder dass – vielleicht in der Folge davon – die Germanen einen der Ihren auf dem weströmischen Kaiserthron, und 46 

Vgl. auch Lienert (Hg.): Dietrich-Testimonien (wie Anm. 19), S. 17. Ebd., Nr. 47 (Runenstein von Rök), S. 51. 48 Wilhelm Grimm: Deutsche Heldensage. Gütersloh 31889 [ND Darmstadt 1957], S. 675; danach Lienert (Hg.): Dietrich-Testimonien (wie Anm. 19), Nr. N12. 49  Vgl. Heinzle: Dietrichepik (wie Anm. 2), S. 5. 47 

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sei es nur als dessen „Verwalter“, hätten sehen wollen, dass womöglich gar die Goten schon ihren Theoderich als „sagenhaften“ Sakralkönig gefeiert hätten,50 ist schlechterdings nicht zu beweisen. Natürlich schließt der Negativbefund der Zeugnisse nichts aus; es wäre immerhin denkbar, dass die hier interessierenden Fragen in den frühen Zeugnissen auch deshalb nicht zur Sprache kamen, weil sie, beim Blick von außen auf die Sage, nicht interessierten, vielleicht auch, weil das damals Offensichtliche nicht erwähnt zu werden brauchte. Es wäre dies nicht die einzige verloren gegangene Selbstverständlichkeit der Literaturgeschichte. Wer sich aber dieser Spekulation nicht hingeben mag, dem bleibt nur, hinter der evidenten und frühen Faszination für Theoderich abseits der gelehrten Überlieferung doch jene Mischung aus Exorbitanz51 der Geschichten und Kontingenz ihrer Verbreitung zu sehen, die dem Positivismus des 19. Jahrhunderts der schiere Graus war. Festhalten können wir: Einen klaren Beweis dafür, dass hier gotische oder germanische Geschichtserinnerung betrieben worden wäre, als „Vorzeitkunde“ oder „kulturelles Gedächtnis“ der Goten/Germanen an einen Goten/Germanen, gibt es nicht, ja, streng genommen fehlt, wenn man von allen systematischen ­Modellierungen absieht, dafür noch das kleinste Indiz.52

Theoderich und die Germania Die Theoderichsage hat sich erstaunlich weit verbreitet. Zeitlich erstreckt sie sich über das ganze Mittelalter und bis weit in die Frühe Neuzeit hinein, im Grunde bis zum Beginn ihrer wissenschaftlichen Erschließung im 18. Jahrhundert. Geographisch bilden ihr Kerngebiet der hochdeutsche und der gesamte altnordische Sprachraum, doch ist sie darüber hinaus für so gut wie jedes nach der Völkerwanderungszeit übrig gebliebene germanische Sprachgebiet bezeugt: das Altenglische (Waldere, Deors Klage), das Altsächsische (rätselhafte Spuren davon im Hildebrandslied) beziehungsweise Vorstufen des Niederdeutschen (das späte Lied von Ermenrikes Dot). Erstaunlicher noch aber, fehlt sie außerhalb des germanischen Sprachraums fast zur Gänze. Zwar gibt es vereinzelte Vertreter auch in benachbarten Sprachzonen, doch sind diese – wie der tschechische Laurin – historisch späte und unmittelbare Übersetzungen germanischer Vorlagen (in diesem Fall: ­einer hochdeutschen), und selbst dieser Dissemination sind, anders etwa als bei der französischen Artusepik, enge Grenzen gesetzt. Es hat den Anschein, als wäre der vielleicht prominenteste deutsche und nordische Erzählstoff außerhalb des germanischen Bereichs so gut wie unbekannt gewesen.

50 

Gipfel dieser Bemühungen der älteren Forschung ist Höfler: Sakralkönigtum (wie Anm. 25). von See: Was ist Heldendichtung? In: ders. (Hg.): Europäische Heldendichtung. Darmstadt 1978, S. 1–38. 52  Vgl. ähnlich Pohl: Völkerwanderung (wie Anm. 4), S. 157  f. zur Nibelungensage: „[…] es gibt trotz intensiver Nachforschungen keinen Hinweis darauf, daß der Kern des Nibelungenstoffes in der sozialen Erinnerung der frühmittelalterlichen Burgunder selbst eine Rolle gespielt hätte.“ 51  Klaus

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Dieser Befund verschärft sich, wenn man zu der Verbreitung der schriftlich erhaltenen Texte noch deren hypothetische mündliche Vorstufen mit ins Kalkül zieht. Niemand zweifelt daran – und man denke an die oben traktierten Beispiele –, dass sich (ungeformte) Heldensage und (poetisch geformte) Heldendichtung zuallererst und über Jahrhunderte hin im Bereich der Mündlichkeit abgespielt haben, bis sie langsam und zögerlich von der hoch- und spätmittelalterlichen Schriftlichkeit erfasst wurden, ohne dass deshalb der mündliche Tradierungsstrom versiegt wäre. Nicht nur gibt es eine Reihe von Indizien dafür, dass das volkssprachliche Erzählen von Theoderich im deutschen Süden und im isländischen, norwegischen und schwedischen Norden omnipräsent war; die Art, wie hier ein Erzählstoff weit verzweigt wird, ist auch selbst aufschlussreich für die dahinter steckenden Modalitäten der Verbreitung und Überlieferung. Dies soll, in der gebotenen Kürze, an einem besonders prägnanten Beispiel illustriert werden. Es betrifft das Erzählen von Theoderichs Ende. Die Chronistik wollte dieses, nach den Dialogi Gregors des Großen, überwiegend im strafenden Vulkansturz sehen, der gewiss die prominenteste Variante von Theoderichs Ableben darstellt. Damit ist sie allerdings weder nahe an dem, was man für historisches Faktum halten möchte, noch hat der Vulkansturz Eingang gefunden in die volkssprachliche Sagenüberlieferung. Interessanter, aus Perspektive der Sage, ist der Liber pontificalis ecclesiae Ravennatis des Agnellus von Ravenna (um 835/846), in dem von der Beisetzung Theoderichs in dem von ihm erbauten Mausoleum erzählt wird. Der Leichnam sei in einer urna […] ex lapide pirfiretico valde mirabilis bestattet, allerdings bald danach geraubt worden; die urna habe sich zu Zeiten des Agnellus bereits vor dem Eingang des Klosters S. Mariae befunden.53 Es ist nicht auszuschließen, dass sie mit jener Porphyrwanne identisch ist, die heute wieder in Theoderichs Mausoleum zu sehen ist. Das alleine begründet keine Sage, es ist historischer Bericht. Allerdings könnte sich just daraus – namentlich aus der Todesaffinität einer als Sarg gebrauchten Badewanne (?) – eine Sage entwickelt haben, nämlich jene von Theoderichs Höllenritt. Die entsprechenden Testimonien, einschließlich der zweifelhaften, sind bei Lienert gesammelt.54 Ich konzentriere mich auf die gesicherten Fälle: Diakon Giovanni aus Verona macht in seinen schon erwähnten Historiae imperiales (um 1320) Theoderich zu einem Teufelsspross; der Teufel ist es auch, der Theoderich (eventuell auf seine Bitte hin, denn es ist von einem Boten die Rede) ein Pferd und Hunde schickt. Theoderich aber verlässt, als die Geschenke ankommen, Hals über Kopf und nur mit einem Leintuch bekleidet das Bad, springt auf das Pferd und reitet für immer davon; noch heute aber agiere er als Wilder Jäger und mache des Nachts Jagd auf Nymphen. Diese prägnante Szene – vielleicht eine oberitalische Lokalsage – scheint sich im Gelehrtendiskurs festgesetzt zu haben. Sie erscheint 53 Agnellus,

Liber pontificalis 39. (Hg.): Dietrich-Testimonien (wie Anm. 19), im Register s. v. „Bad Dietrichs“ (S. 311). Ich übergehe jene Fälle, wo (1) nur von „Theoderichs Bad“ (als Ortsnamen) gehandelt wird oder wo (2) der Höllenritt auf andere Figuren übertragen ist.

54  Lienert

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außerdem im Libro de los exenplos por a. b. c. des Clemente Sánchez de Vercial (Anfang 15. Jahrhundert)55 und in Leos von Rožmital Reise, der lateinischen Übersetzung von 1577 eines nach 1467 geschriebenen, aber verlorenen tschechischen Reiseberichts, in dem die Szene als Bericht eines lokalen Gewährsmannes inszeniert ist, der den Teufelsritt dann aber auch gleich rationalisierend wegerklärt (tatsächlich, so sagt er, wäre Theoderich ermordet worden).56 Bild geworden ist der Teufelsritt des Theoderich in einem (zumindest unter Sagenforschern) berühmten Relief an San Zeno Maggiore in Verona, das auf das mittlere 12. Jahrhundert datiert wird.57 Es zeigt auf der einen Tafel einen Reiter, auf der anderen einen von Hunden verfolgten Hirsch, der auf eine Teufelsgestalt zuhält. Der Text im oberen Teil der ersten Platte ist unmissverständlich: O regem stultum! petit infernale tributum moxque paratur equus quem misit demon iniquus. exit aquam nudus, petit infera non rediturus.58 O törichter König! Er strebt nach höllischem Tribut. Und schon ist das Pferd bereit, das der böse Dämon geschickt hat. Er entsteigt nackt dem Wasser, strebt nach der Hölle ohne Wiederkehr. Im oberen Teil der zweiten Platte ist zu lesen: nisus equus cervus canis huic datur, hos dat avernus. Sperber, Pferd, Hirsch, Hund sind ihm gegeben, die Hölle gibt sie. Theoderich wird nicht genannt; dass er gemeint ist, ist, soweit ich sehe, bislang unbestritten. Was macht die volkssprachliche Heldendichtung? Sie erzählt – wie erwähnt – meistenteils keine ganzen Viten, sondern nur einzelne Episoden aus dem Leben Theoderichs-Dietrichs-Thidreks. Deshalb sind Berichte von seinem Ende in der Heldendichtung rar. Historisch an erster Stelle steht die altnordische Thidreks saga aus dem späteren 13. Jahrhundert, eine ausufernde Kompilation von Dietrich-Thidrek-Geschichten, in die auch die Nibelungen Eingang gefunden haben. Die Anordnung ist mehr oder weniger chronologisch, Thidreks Ende kommt, als kurzes eigenständiges Kapitel, ganz am Schluss:59 Als König Thidrek fast kraftlos vor Alter war, blieb er dennoch rüstig mit den Waffen. Einstmals nahm er ein Bad an der Stelle, die jetzt Thidreks Bad heißt. Da rief einer seiner Knappen: „Herr, hier läuft ein Hirsch. Noch nie sah ich ein so schönes und stattliches Tier.“ Sobald König Thidrek das hörte, 55 

Siehe ebd., Nr. 220. Siehe ebd., Nr. 252. 57  Siehe ebd., Nr. B3. 58  Zit. nach ebd. 59  Fine Erichsen (Übers.): Die Geschichte Thidreks von Bern. Neuausgabe mit einem Nachwort von Helmut Voigt. Düsseldorf/Köln 1967 (Thule 22), S. 459 f. Originaltext bei Henrik Bertelsen (Hg.): Þiðriks Saga af Bern. 2 Bde. Kopenhagen 1905–1911, hier: Bd. 2, Kopenhagen 1908/1911, S. 392–394. 56 

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sprang er auf, nahm seinen Bademantel, schlug ihn um sich und rief, da er das Tier sah: „Nehmt mein Roß und meine Hunde!“ Nun liefen die Knappen, so schnell sie konnten, und holten seinen Hengst. Dem König deuchte das Warten zu lange, da das Tier schnell lief, und er sah ein mächtig großes Roß gesattelt stehen, das rabenschwarz war. Er schwang sich auf den Rücken des Tieres. In diesem Augenblick ließen die Knappen die Hunde los. Die wollten aber diesem Roß nicht nachlaufen. Das Roß unter Thidrek lief nun schneller, als irgendein Vogel fliegt. Sein bester Knappe ritt ihm nach auf seinem vorzüglichen Roß Blanke. Dem folgten auch alle Hunde. König Thidrek aber merkte, daß dies kein Roß sein konnte, und wollte sich vom Rücken losreißen, konnte aber kein Bein von der Seite des Tieres heben, so fest saß er. Da rief der Knappe ihn und fragte: „Herr, wann wirst du wiederkommen? Warum reitest du so schnell?“ König Thidrek antwortete: „Ich reite ins Verderben. Dies muß ein Teufel sein, auf dem ich sitze. Wiederkommen werde ich, wenn Gott will und Sankta Maria.“ Da verschwand das Roß, so daß der Knappe König Thidrek nicht mehr sah, und niemals hat man seitdem etwas von ihm vernommen. Es kann kein Mensch sagen, was aus König Thidrek geworden ist. Deutsche Männer aber erzählen, in Träumen sei kundgetan, König Thi­ drek habe Gottes und Marias Beistand gehabt, weil er bei seinem Tode ihres Namens gedachte. Hier schließen wir die Erzählung dieser Geschichte. Das ist ganz offensichtlich nichts weniger als eine Version des Höllenritts, wie er auch in den oben besprochenen Quellen bezeugt ist. Neu ist, dass sich Thidrek am Ende doch noch, wenn auch eher floskelhaft, Gott und Maria zuwendet, wo­ raus der Text dann einiges Kapital schlägt: Die Hauptfigur einer ganzen Saga am Ende endgültig und ohne Hoffnung auf Erlösung oder Rückkehr in die Hölle zu schicken, war offenbar nicht opportun. Das zweite Zeugnis der Heldensage ist der Wunderer, der insofern eine Besonderheit darstellt, als er eben keine Dietrich-Vita bietet, sondern eine Episode aus Dietrichs Jugend erzählt. Er ist erhalten in mehreren, sehr unterschiedlichen Versionen um 1500; für den hiesigen Zusammenhang ist nur die strophische Version von Belang, die zuerst 1472 im Dresdener Heldenbuch des Kaspar von der Rhön (so heißt einer der beiden Schreiber; der andere bleibt anonym) und dann noch in einem Straßburger Druck von 1503 erhalten ist; der dritte Textzeuge dieser Version, der Erfurter Druck von 1518, ist Fragment und enthält die hier entscheidende Passage nicht. Die Handlung ist kurz diese: Der sehr junge Dietrich lebt an Etzels Hof – die Situation ist wohl von der Fluchtsage und Dietrichs Exil am Hunnenhof angeregt, im Einzelnen sind die Bezüge aber, gelinde gesagt, unscharf –, als eine verzweifelte Jungfrau dort ankommt und von ihrer Verfolgung durch einen riesenhaften Unhold, den titelgebenden Wunderer, berichtet. Etzel möge ihr helfen oder ihr immerhin einen Kämpfer zur Seite stellen. Die Jungfrau besitzt anderweltliche Fähigkeiten: Sie kann ins Herz eines jeden blicken, ihr Segen spendet Kampfesglück, außerdem kann sie sich, wie man heute sagen müsste, teleportieren, wohin sie möchte. Sie vor einer Verfolgung zu retten, ist also einigermaßen

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absurd. Dennoch scheint der König von der Idee, ihr beizuspringen, nicht begeistert, selbst erweist er sich als Feigling, auch seine Kämpfer genügen den Ansprüchen der Jungfrau – die ja alle durchschaut – nicht, alleine den Rüdiger will sie haben, der aber möchte sich, ein Gast des Hofes, nicht ungeziemend hervortun. Schließlich fällt ihre Wahl auf Dietrich, den Etzel – der die Aufsichtspflicht hat – nicht kämpfen lassen will und der auch seinem Mentor Hildebrand (der nicht anwesend ist) versprochen hat, in dieser zarten Jugend noch nicht zu den Waffen zu greifen. Als der Wunderer den Hof erreicht, geht dann jedoch alles einfach und schnell: Dietrich rettet die Jungfrau zuerst vor den Hunden des Wunderers, dann siegt der junge Held in langem Kampf und enthauptet den Unhold. Am Ende segnet die Jungfrau, die sich nun als Saelde – das personifizierte Glück: Fortuna – vorstellt, Dietrich, dann „teleportiert“ sie sich von dannen. Dietrichs Ende thematisiert dieser Text in einer kurzen, zwei Strophen langen Digression, die in die Rekrutierung Dietrichs durch die Jungfrau eingelassen ist. Sie spendet ihm ihren siegbringenden Segen, der ihm zeitlebens erhalten bleiben sollte. Dann heißt es in der Fassung des Dresdener Heldenbuchs:60 Vnd ist auch noch pey leben   herr Diterich von Pern. got thet im pus zu geben,   das mugt ir horn gern: eyns tags er sich veriache   zu Pern in der stat. von red das selb geschache:   das was des teuffels rot. Dor vmb ward er beruret   von eynem ros vnrein vnd wurd do hin gefuret –   das mocht der teuffel seyn. dor auf do must er reiden   in die wust Rumeney; mit wurmen mus er streiden,   pis vns der iungstag wont pey. (D 131 f.) Das krude Frühneuhochdeutsch lässt sich folgendermaßen paraphrasieren: Im Übrigen ist Herr Dietrich von Bern noch am Leben. Hört zu, Gott legte ihm eine Buße auf: Eines Tages zu Bern übersprach (?) er sich. Das geschah durch Rede; es war des Teufels Rat. // Daher wurde er von einem unreinen Ross – das war wohl der Teufel – berührt und entführt. Auf diesem Ross musste er in die Wüste/wüste Rumeney (im Straßburger Druck: Rumanyag) reiten; mit Schlangen muss er kämpfen, bis uns der Jüngste Tag gegenwärtig ist. Neu und, soweit ich sehe, einzigartig ist, dass Dietrichs Überleben hier explizit gemacht wird; er wird nicht nur entrückt, es wird auch erklärt, dass er nicht tot ist. Wofür Dietrich büßt (verjehen bezeichnet jede Art emphatischen Sprechens), wozu ihm der Teufel geraten hat, wo die Rumeney (Rumänien?) liegt – all dies bleibt dunkel. Einzig dass es insgesamt nicht allzu schlecht ausgehen wird, deutet sich in der Buße an; es wird in der folgenden Strophe nochmals bestärkt, wo der Erzähler zur Handlung zurückkehrt mit: 60 

Florian Kragl (Hg.): Der Wunderer. Berlin/Boston 2015.

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Do las wir hie nun seyne,   wo er nun komen sey. got hilft im noch aus peyne,   mit sterck wont er im pey. (D 133,1 f.) Am Ende der kurzen Textreihe steht die Heldenbuchprosa,61 ein kruder kurzer Text von nicht einmal einem Dutzend Seiten, der den (meist: gedruckten) Heldenbüchern der Frühen Neuzeit anhängt oder (mit Bindefehler) vorausgeht. Diese Heldenbücher sind Sammlungen von meist kürzeren Heldenepen, ihr zentraler Protagonist ist Dietrich von Bern. Die Heldenbuchprosa nun stellt den Versuch dar, die Heldengeschichten in eine chronometrische Linie zu zwängen, die Verwandtschaftsverhältnisse zu sortieren und dem Ganzen einen geschichtsphilosophischen Rahmen zu setzen; Ankerpunkt ist ihr Dietrich von Bern, auf den alles zentriert scheint.62 Den Anfang macht – nach kurzen Notizen zu einem ersten Helden Orendel (das ist die Legende vom Grauen Rock Christi) – eine kuriose Herogonie, die Geschichte von der Erschaffung der Zwerge, Riesen und Helden.63 Dann folgen – teils in Listen, teils in narrativen Partien – die „großen“ Gestalten der deutschen Heldenepik, die in den Heldenbüchern auch mit eigenen Texten vertreten sind: Ortnit und Wolfdietrich (als Vorläufer Dietrichs), Dietrichs Geburt und sein Konflikt mit Ermrich, am Ende eine Kürzestvariante der Nibelungengeschichte, deren Teil Dietrich ja ist. Die Schlacht, in die die Nibelungenpartie ausläuft, endet mit dem Tod aller Helden, sodass die Heldenbuchprosa also das gesamte Zeitalter der Helden – von deren Genese bis zu deren Untergang – umspannt. Nur zwei bleiben am Leben: Dietrich und der getreue Eckhart. Während Letzterer – angeblich (man meint ouch, Z. 574 f.) – noch bis an den Jüngsten Tag Wache vor frowe venuz berg (Z. 574) zu halten hat, heißt es zu Dietrich: do kam ein cleinz getwerch vnd gieng zuo dem berner vnd sprach zuo ym berner berner du soltt mit mir gon do sprach der berner wo sol ich hin do sprach aber daz twerch du soltt mit mir gon din rich ist nit me von diser weltt also ging er enweg vnd weis nieman wo er komen ist vnd eb er noch leb oder wo er vff ertrich hin komen sige (Z. 565–571). Dietrich wird von einem Zwerg entrückt; wie, wo und wozu, erfahren wir nicht: Die Entrückung ist eine mythische, und wird doch und paradoxerweise von einem (leicht variierten, nämlich in die dritte Person gesetzten) Christuswort aus dem Mund des Zwergs begleitet (Vulg, Io 18,36: regnum meum non est de mundo hoc), das strukturell den Bogen schließt zum „ersten Helden“ der Heldenbuchprosa, der ja eigentlich ein gleichsam apokrypher Heiliger ist. 61  Joachim Heinzle (Hg.): Heldenbuchprosa [in der Fassung des Heldenbuchs des Diebolt von Hanowe]. In: ders. (Hg.): Heldenbuch. Nach dem ältesten Druck in Abbildung. Bd. II: Kommentarband. Göppingen 1987, S. 225–242. 62  Ich ziehe für das Folgende die älteste Fassung aus dem (noch handschriftlichen) Heldenbuch des Diebolt von Hanowe (um 1480) heran. 63  Gott lässt die Zwerge werden, damit sie die öden Berge bestellen und ihre Ressourcen nutzen und nutzbar machen; die Riesen werden erschaffen, um die Zwerge vor wildem Getier zu schützen, doch werden die Wächter bald selbst zu den Aggressoren; die Helden treten auf den Plan, um die Zwerge vor den Riesen zu bewahren.

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Wenn man den Höllenritt als eine Abwandlung des Badewannenmotivs betrachten kann, lassen sich diese Zeugnisse der Heldendichtung fassen als weitere Varia­ tionen über dieses Thema. Die Thidreks saga bleibt vergleichsweise nahe am Höllenritt, wie ihn die gelehrte Tradition darstellt, und ergänzt diesen nur um einen positiven Ausblick. Wunderer und Heldenbuchprosa gehen andere, je eigene Wege. Der Wunderer lässt Dietrich auf einem (teuflischen? – der Text legt sich nicht fest) Pferd „entreiten“, doch erfahren wir nun, wohin der Weg führt (Rumeney), was Dietrich zu tun hat (Kämpfen als Bußübung) und bis wann (Jüngstes Gericht). In der Heldenbuchprosa wiederum ist von Pferd, Reiten oder Teufel (zumindest hier – bei Dietrichs Zeugung sehr wohl) keine Rede, dafür tritt ein Zwerg auf, der Dietrich irgendwohin mitnimmt. Es ist dies die offenste aller Varianten, weil weder die Funktion innerhalb des kurzen Textes klar ist, noch sich daraus eine neue Perspektive auf die Dietrich-Figur ableitet. Dass diese Entrückung mythisch und christlich zugleich ist, mag aber die Spreizung der anderen Varianten zwischen Teufel und Gott auffangen. In jedem Fall sichtbar wird ein eigentümlicher Diskurs über das Ableben oder Überleben des Theoderich-Dietrich-Thidrek. Er ist eigentümlich, weil sich seine genauen Konturen nicht mehr fassen lassen. Während die gelehrte, lateinische, überwiegend chronikalische Überlieferung auch dort fest ist, wo sie ins „Sagenhafte“ ausgreift, scheint im mündlichen, nur sporadisch und spät schriftlichen Erzählen von Dietrich, also in der volkssprachlichen Heldensage, über die Zeit und quer durch den Raum ein Gewimmel an Stimmen zu entstehen, das sich nicht mehr auf simple Einflussnahmen reduzieren lässt. Die Zeugnisse, so spärlich sie sind, verweisen als schriftgewordene Spitzen eines Tradierungseisberges auf die Omnipräsenz eines Themas, das über die Jahre und Jahrhunderte regelrecht zerredet wird. Das Erhaltene wirkt darum disparat, weil alles Verbindende gleichsam unter dem Wasserspiegel des heute noch Fassbaren verschwunden ist. Unbezweifelbar aber ist: Von Dietrich wird gewusst, geredet, erzählt, gesprochen, über ihn nachgedacht und gerätselt – er und seine Geschichten sind ubiquitär, allbekannt. Denn anders sind diese schwammigen intertextuellen Gebilde wie jenes zu Dietrichs beziehungsweise Thidreks Ende, die eben keine klaren Einflüsse erkennen lassen und eine Vielzahl an verlorenen, in der Regel mündlichen Zwischenstufen nötig machen, nicht zu erklären. Es wäre ein Leichtes, den Befund mit weiteren, auch breiter angelegten Beispielen zu stärken, die freilich den hiesigen Rahmen merklich überdehnten. Es lohnten etwa Blicke auf die verschiedenen Versionen der Fluchtsage oder auch auf jene der Nibelungen im deutschen und nordischen Bereich, genauso wie Miniaturen zu Einzelnem, etwa zum Tod von Kriemhilds beziehungsweise Gudruns und Etzels Sohn beziehungsweise Söhnen beim Nibelungenuntergang auf Etzelburg und zur narrativen Funktion dieser Tode für den Geschehenszusammenhang.64 Man würde daraus auch – dies nur nebenbei – ersehen können, dass sich Sage und Historia auch 64 

Die Literatur zu den beiden erstgenannten Themen ist Legion; zu Letzterem siehe zusammenfassend Lienert: Heldenepik (wie Anm. 26), S. 35 f.

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in ­ihrem Umgang mit vorhandenen Stoffen wesentlich unterscheiden. Die Sage inte­ressiert sich nicht für den „großen“ Zusammenhang, für weltpolitische Bedeutung, für chronometrische Positionierungen. Sie fokussiert das einzelne Individuum – den Helden – und verlegt die politischen Konflikte ins Private, und sie tendiert dazu, zeitlich Distantes zu einem kompakten Erzählgebilde zusammenzuziehen: Konfabulation65 und Synchronisierung66 sind dafür die maßgeblichen Prinzipien. Hier ist aber wesentlich, dass solche und ähnliche Fälle vorführen, wie dieser Modus der Überlieferung sich – auch wenn wir die Prozesse in Ermangelung von Zeugnissen nicht im Detail verfolgen können – gleichsam metastasierend über Bereiche von enormer geographischer und zeitlicher Ausdehnung erstreckt. Diese Erstreckung hat eben nicht, wie das 19. Jahrhundert dies gerne gesehen hätte, lineare Form. Was etwa die Thidreks saga und die Heldenbuchprosa über Theoderichs Ende oder über Kriemhilds und Etzels Sohn zu sagen haben, lässt aber wohl auf kommune Erzählmotive schließen, die diese „Fragmente“ in vielfacher Variation tragen; dass das eine vom anderen abgeleitet wäre, ist schlechterdings unmöglich. Fast alle „Widersprüche“ der Sage – die nur Scheinwidersprüche sind und tatsächlich nichts anderes als textuelle Varianten mündlichen Erzählens – rühren her von eben diesem Prinzip eines ständigen Um- und Weitererzählens, das anderen Regeln gehorcht als die hand- und später die druckschriftliche Überlieferung. Die Kombination von „unfassbarem“ Sagengerede und kaum besser fassbarer Heldendichtung zeitigt ein jahrhundertelanges Zerreden der Erzählstoffe, ohne welches sich der ­literarhistorische Befund der erhaltenen Zeugnisse nicht verstehen ließe. Das impliziert aber nichts weniger, als dass diese „sagenhaften“ Stoffe, in welcher Form immer, in verschiedensten poetischen und unpoetischen Gestalten, im gesamten germanischen Sprachraum, vielleicht schon ab dem 6., spätestens aber seit dem 7./8. Jahrhundert weit verbreitet sind. Nirgends sonst, auch in den angrenzenden Gebieten, noch nicht einmal dort, wo es besonders nahe läge – zum Beispiel in Italien –, gibt es deutliche Spuren davon: Selbst aus der ravennatischveronesischen (?) Lokalsage über den Teufelsritt, so es denn eine wäre, ist keine italische oder italienische Literaturtradition erwachsen. Denn so frei flottierend diese Sagenüberlieferung von allem Anfang an zu sein scheint und so sehr sich ihre stofflichen und poetischen Konturen im Mündlichen verlieren, so strikt scheint sie sprachlichen Grenzen zu gehorchen. Wer von Theoderich-DietrichThidrek erzählt, tut dies in einem germanischen Dialekt, später in einer germanischen Sprache; die umgebenden Romanen und Slawen nehmen vielleicht davon Notiz – das wissen wir für die Frühzeit nicht, für das spätere Mittelalter gibt es sporadische Zeugnisse –, aber sie partizipieren nicht an der lebendigen Tradition. 65 

Harald Haferland: „Poesie“ des Synchronismus. Historizität, Konfabulation und Mythisierung in der Heldendichtung. In: Johannes Keller/Florian Kragl (Hg.): Heldenzeiten – Heldenräume. Wann und wo spielen Heldendichtung und Heldensage? 9. Pöchlarner Heldenliedgespräch. Wien 2007, S. 9–25. 66  Heinzle: Dietrichepik (wie Anm. 2), S. 4–8; Lienert: Heldenepik (wie Anm. 26), S. 18  f.

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Sprachgemeinschaft Wir werden, wie erwähnt, nie wissen können, warum es gerade diese Figur des Goten Theoderich samt der ihm eigenen Geschichte ist, die eine enorme Verbreitung durch Raum und Zeit findet. Dieses Unwissen liegt daran, dass die Ursprünge dieser andauernden Überlieferungsexplosion im Dunkel der Mündlichkeit liegen. Nicht zu bestreiten ist aber, dass diese Stofflawine, wenn sie erst einmal in Gang gekommen, die gesamte germanische Sprachgemeinschaft – und, bis auf wenigste Ausnahmen, aber tatsächlich nur diese – umspannt. Man versteht dies vielleicht besser, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die germanischen Sprachen zu dieser frühen Zeit noch eine viel homogenere sprachliche Gruppe formierten als in der Zeit nach der Zweiten Lautverschiebung, die die hochdeutschen Dialekte aus dem Germanischen herausschneidet und von den nördlichen und nordwestlichen germanischen Idiomen separiert; die ostgermanischen Sprachen wie das Gotische hatten inzwischen ohnehin bereits ihr Ende gefunden. In der Zeit zwischen 500 und 700 n. Chr. aber mag es leicht gewesen sein, dass der Gote sich mit dem Baiern oder auch mit dem Friesen – ich meine stets die Sprecher einer Sprache oder eines Dialekts (die Grenzen sind fließend), nicht ­jedenfalls Stämme, Völker oder Ethnien – mit einigen Schwierigkeiten und good will vorausgesetzt doch halbwegs verständigen konnte,67 was im Übrigen auch die zeitgenössischen Quellen hin und wieder andeuten.68 So ähnlich können wir es heute bei Italienern, Franzosen und Spaniern oder bei Norddeutschen und Niederländern beobachten. Warum soll nicht dies die Voraussetzung dafür gewesen sein, dass die Theoderichsage in ihrer ganzen Vielgestaltigkeit (nicht anders als andere Erzählstoffe auch) sich so schnell in diesem Sprachraum verbreiten konnte? Wir haben gesehen, dass in der Sagengenese kaum eine Spur der gentes zu finden war. Die polymorphe, variable und langlebige Überlieferung der Sage aber wird geprägt und prägt wohl ihrerseits eine Sprach- und dann wohl auch Sprech67  Vgl.

Elmar Seebold: Die Konstituierung des Germanischen in sprachlicher Sicht. In: Heinrich Beck (Hg.): Germanenprobleme in heutiger Sicht. Berlin/New York 1986, S. 168–182, hier: bes. S. 181; außerdem Norbert Wagner: Der völkerwanderungszeitliche Germanenbegriff. In: ebd., S. 130–154, hier: S. 153. Die Verhältnisse der Völkerwanderungszeit deshalb mit der Distanz zwischen Gotisch und (modernem) Englisch zu vergleichen, wie Springer: Völkerwanderung (wie Anm. 8), S. 13, es unternimmt, ist darum grober Unfug. Er relativiert den Vergleich allerdings postwendend selbst, wenn er dann doch für die ersten nachchristlichen Jahrhunderte eine „ger­ m[anische] Spracheinheit als einen greifbaren und nicht nur als einen gedachten Zustand“ (ebd.) akzeptiert. 68 Procopius, Bella 5, 2, 2–5: über die verschiedenen „gotischen“ Stämme wie Ostgoten, Vandalen, Westgoten, Gepiden etc., die sich aber in Aussehen, Habitus, Gesetzgebung und Religion nicht unterscheiden und die alle dieselbe Sprache, nämlich das „Gotische“, sprechen, kurz, die ein einziges Volk bilden, das erst nachträglich nach einzelnen Kriegsabteilungen (Heerführern) aufgeteilt worden ist. Priscus Panita, Fragmentum 8, Z. 94 Carolla = Fragmentum 11, 2, Z. 407–415 Blockley: Erstaunen über einen Skythen, der der griechischen Sprache mächtig ist; Hunnisch und Gotisch als gängige (Fremd?)Sprachen der Skythen, wobei man das Hunnische und Gotische auch als eine dialektübergreifende Verkehrssprache begreifen könnte. Vgl. Wagner: Germanenbegriff (wie Anm. 67), S. 138 f. (Procopius) und S. 144 (Priscus). Für die Hinweise danke ich Hans-Ulrich Wiemer.

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und letztlich Erzähl- und Diskursgemeinschaft. Nicht nur ist das gegenseitige Verstehen Voraussetzung für die Verbreitung der Geschichten um den Sagenhelden Theoderich; der gemeinsame Bestand an Geschichten ist selbst wiederum konstitutiv für die jeweilige kulturelle Situation, sichert wiederum narrativ und diskursiv einen Zusammenhalt und ein Gefühl der Zugehörigkeit zu einer Gruppe,69 den und das es sonst nicht gäbe,70 und dies unbesehen der Frage, ob diese Geschichten eine primär fundierende Funktion haben – wie origo gentis-Erzählungen71 –, oder ob sie doch mehr noch jener Funktion unterstehen, mit der wir Literarhistoriker uns so schwer tun, wenn wir weit in die Geschichte zurückblicken, und die es doch wohl immer schon und immer schon zuerst gegeben hat: jene der Unterhaltung. Es möge der Hinweis genügen auf die kulturstabilisierende Funktion des Hollywood-Kinos in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts oder aber, ex negativo, auf die Verblüffung, die man empfindet, wenn man in eine fremde Kultur wechselt und beispielsweise feststellt, dass die Geschichten, die man dort den Kindern erzählt – von Grimms Märchen bis hin zu den drei Stanisläusen – nicht dieselben sind. Gewiss ist dies nicht mehr als ein Analogieschluss von späteren kulturhistorischen Zuständen aus, und als solcher kann er nicht mehr als suggestiv sein. Wie alle Vergleiche hat er auch seine Grenzen. So gibt es etwa keinerlei Indiz dafür, dass innerhalb der solchermaßen bestimmten Germanen irgendein Bewusstsein bestanden hätte für diese gleichsam nur aus der Vogelperspektive wahrnehmbare sprachlich-kulturelle Nähe. Gleichwohl möchte diese Analogie etwas Wesentliches treffen, bedenkt man, dass im Früh- und Hochmittelalter in allen schriftlich greifbaren germanischen Einzelsprachen – und nur in diesen – ein sehr ähnlicher, wo nicht sogar im Grunde derselbe heldenepische Erzählhabitus vorherrschte, der von Form und Stil bis hin zu typischen Figurenrollen und Verhaltensmustern reicht – also zu kulturhistorisch durchaus relevanten Kategorien, die aber keinen unmittelbaren institutionellen Niederschlag finden müssen.72 Sprache ist ein entscheidendes kulturstiftendes Moment, und ihr artifizieller Gebrauch – ich meide bewusst den Begriff „Literatur“, weil es der litterae dazu nicht notwendig bedarf – ist ihr das Nächstliegende. Sprache ist es nicht zuletzt auch, die, oberhalb von Familie und Siedlungsgemeinschaft, für jeden Einzelnen Identität stiftet.73 69  Vgl. Wagner: Germanenbegriff (wie Anm. 67), S. 153  f., der außerdem noch auf Ähnlichkeiten der Namensbildung (und gegenseitiges Verständnis der Namen) hinweist sowie auf die verbindende Runenschrift. 70 Vorsichtiger, aber in dieselbe Richtung weisend Springer: Völkerwanderung (wie Anm. 8), Sp. 513: „Die Herstellung einer Kultureinheit wird durch das Vorhandensein einer tatsächlichen Spracheinheit sehr erleichtert.“ 71  Alheydis Plassmann: Origo gentis. Identitäts- und Legitimitätsstiftung in früh- und hochmittelalterlichen Herkunftserzählungen. Berlin 2006; Magali Coumert: Origines des peuples. Les récits du haut Moyen Âge occidental (550–850). Paris 2007. 72 Besonders instruktiv ist der Überblick bei Victor Millet: Germanische Heldendichtung im Mittelalter. Eine Einführung. Berlin/New York 2008. 73  Ich nenne stellvertretend nur den für meinen Gegenstand relevanten Band: Walter Pohl (Hg.): Sprache und Identität im frühen Mittelalter. Wien 2012.

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Die Geschichtsforschung und auch die Literaturgeschichte haben die Rolle der Sprache (geschweige denn der Dichtung) nicht immer mit der nötigen Vehemenz herausgestrichen. Während man früher an ethnogenetische Zusammenhänge hat denken wollen, die völkerwanderungszeitliche Gruppenbildungen fundiert hätten – die Germanistik steht im Grunde heute noch auf diesem Standpunkt –, werden von der heutigen geschichtswissenschaftlichen Forschung inzwischen einzelne, in ihrer Zusammensetzung stark fluktuierende Gruppen, die nicht zuletzt auch ökonomisch-militärische Interessensgemeinschaften bilden, ausgemacht. In beiden Fällen bleibt mit der Sprache eines der wichtigsten identitätsstiftenden Momente außen vor, vielleicht auch deshalb, weil sie sich nicht in institutionellen Kategorien niederschlägt oder niederschlagen muss. Reinhard Wenskus, der hier stellvertretend für viele zitiert sei, macht aus seiner Skepsis gegenüber sprachlicher Identitätskonstruktion – die möglicherweise auch eine fachgeschichtliche Absetzbewegung von nationalen Sprachphantasien Jacob Grimms und seiner Nachfolger sein mag74 – keinen Hehl: „Selbst wenn es uns eines Tages möglich sein sollte, die sprachlichen und archäologischen Gruppen in ihren Beziehungen zueinander deutlicher zu erfassen, wäre damit das Problem der ethnischen Deutung noch lange nicht gelöst. Es müßte erst noch bewiesen werden, daß die betreffenden Gruppen ethnische Einheiten waren, d. h. ein Stammesbewußtsein hatten, das die Gesamtheit jeder Gruppe umfaßte. Wenn auch die Sprachwissenschaft dazu neigt, ihre Sprachgemeinschaften als ‚Völker‘ zu bezeichnen, so muß sich der Historiker stets bewußt bleiben, daß damit nicht Gemeinschaften bezeichnet sind, die er als Subjekte der Geschichte zu betrachten gewohnt ist.“75 Die Genese und Tradierung der Heldensage – soweit wir sie fassen können – scheinen freilich genau auf diese Primordialität sprachlicher und, in weiterer Folge, narrativer beziehungsweise diskursiver Identitätskonstruktionen hinzudeuten, die hier und auch andernorts76 von Wenskus nicht in Abrede gestellt, aber doch in Zweifel gezogen wird. Theoderich-Dietrich-Diderik-Thidrek ist damit noch lange kein Held der Germanen als Sippengemeinschaft, und nur weil sich die „Germanen“ einige Zeit lang gut miteinander verständigen konnten und sich (deshalb wohl) Theoderich-Geschichten erzählten, mussten sie sich nicht automatisch, im Sinne einer kollektiven Identität, auch als Germanen begreifen. Aber Theoderich ist, literar- und kulturhistorisch besehen, ein Held der Germanischsprachigen. Sie bilden – unbesehen 74 

Besonders deutlich in der späteren Arbeit Wenskus: Germanenbegriff (wie Anm. 16). Wenskus: Stammesbildung (wie Anm. 5), S. 133 f. 76 Z. B. ebd., S. 112: „Die Ergebnisse der Sprachwissenschaft und der Vorgeschichtsforschung können nicht unberücksichtigt bleiben, müssen aber anhand der soeben entwickelten Gesichtspunkte [gemeint ist die Kritik an der Geschichtsforschung des 19. Jahrhunderts] in ihrem Aussagewert erfaßt werden.“ Allerdings weist Wenskus der Ersten Lautverschiebung eine herausgehobene Bedeutung bei der Frühkonstitution der Germanen zu: „Durch die erste Lautverschiebung hob sich das jetzt urgermanisch sprechende Gebiet von den Nachbarlandschaften stärker ab als vorher. Damit war eine größere Wahrscheinlichkeit erreicht, daß sich eine ethnisch betonte Kulturgrenze als Vorstufe eines – durch ein umfassendes ethnisches Zusammengehörigkeitsgefühl verbundenen – Stammesgefüges herauszubilden vermochte.“; ebd., S. 209.

75 

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übrigens ihrer Zugehörigkeit zu militärischen oder politischen Strukturen, die ganz anderen Gesetzen gehorchen kann77 – die Trägerschicht der Theoderichsage, des Redens über und des Erzählens von Leben und Taten des Theoderich, und gegeben haben muss es diese Trägerschicht von Anfang an: seit dem frühen 6. Jahrhundert. Sie ist weder ein Stamm noch ein Volk oder eine klar abgegrenzte Ethnie. Dazugehört, wer die Sprache(n) beherrscht und sich ihrer bedient, unabhängig davon woher er kommt und wohin er geht, nicht anders, als das auch heute noch der Fall ist. Zugehörigkeit ist dann tatsächlich etwas Flüchtiges, sie kann von Generation zu Generation wechseln,78 und wie weit diese Zugehörigkeit reicht, wird der Einzelne kaum überblickt haben. So variabel aber die Sprachgruppe in ihrer stämmischen, völkischen, ethnischen Zusammensetzung sein mag, so stabil ist sie in kultureller Hinsicht – was nicht heißt, dass sie unbeweglich wäre. Dies aber ist eine Form der Stabilität, der longue durée, auch der kulturellen und artifiziellen Exzellenz, die brandschatzende Horden von jungen Männern wohl kaum je zu erreichen imstande wären.

Abstract The starting point of this chapter is the discrepancy between the approaches taken by scholars in German studies, on the one hand, and historians, on the other, ­regarding the Migration Period and the Germanic peoples in general. The latter now rarely think in terms of ethnic groups or tribes, emphasizing instead the role of politico-military institutions. The former still seem to cling to the old image of migrating “peoples”. This discrepancy gains added importance for the question of the genesis of the Germanic hero-saga, which German studies today sees predominantly in connection with Assmann’s idea of a “cultural memory” (earlier scholars spoke of “Vorzeitkunde” [prehistorical studies] and basically meant something ­similar). If the people of the Migration Period did not comprise “peoples” at all, however, the hero saga simply loses its agents. The chapter analyses this problem from the earliest identifiable testimonies of the Germanic hero-saga, which almost exclusively focus on Theoderic. I develop from my analysis several larger methodological questions: Can these scarce early testimonies and their transmission ­illuminate the above-mentioned discrepancy? How can the explanatory models that scholars in German studies use to make sense of the hero saga complement current historical scholarship on the history of the Migration Period?

77 

Vgl. Wagner: Germanenbegriff (wie Anm. 67), S. 154. ohne Grund endet Wolframs Geschichte der Goten dort, wo sie nicht länger als fremd, und das heißt: als Barbaren, und das heißt aber doch wiederum: als sprachlich definierte Gruppe, wahrgenommen worden sind; Wolfram: Geschichte (wie Anm. 10), S. 459. 78  Nicht

Hans-Ulrich Wiemer Statt eines Nachworts: Theoderich und die Goten in Italien, 1544–2018 Das gotische Königreich in Italien steht auf der Schwelle zwischen Altertum und Mittelalter. Einerseits setzte es die Traditionen römischer Staatlichkeit in höherem Maße fort als jedes andere Königreich, das von Anführern nicht-römischer Völkerschaften auf dem Gebiet des Imperium Romanum gegründet wurde. Der Wille des Königs wurde im Stil spätrömischer Kanzleien kommuniziert. Alle zivilen Ämter, die sich bis zum Ende des Kaisertums im Westen entwickelt hatten, bestanden fort. Römische Senatoren und katholische Bischöfe dienten Theoderich und seinen Nachfolgern. Andererseits aber beruhte das gotische Königtum in Italien auf einem fragilen Kompromiss zwischen den einheimischen Eliten, die sich als Römer verstanden, und einem Kriegerverband, der mit Theoderich nach Italien gekommen war und dort als militärische Funktionselite angesiedelt wurde. Dieser Kriegerverband aber wurde als ethnische Gruppe definiert und dadurch von den Römern unterschieden. Zwei Völker, Goten und Römer, so verkündete es die Kanzlei des Königs, sollten unter der Herrschaft eines gotischen Königs einträchtig, aber mit verschiedenen Aufgaben zusammenleben – Integration durch Separation. Dieser Kompromiss zerbrach erst im Verlauf des verheerenden Krieges, den Kaiser Justinian ab 535 zur Rückeroberung Italiens führte.1

Die Anfänge: Humanismus, Gotizismus, Gegenreformation Die Beschäftigung mit dieser eigentümlichen Herrschaftsbildung hat eine lange Tradition. Ihre wichtigsten Stationen sollen im Folgenden skizziert werden.2 Die erste Biographie Theoderichs, eine unkritische Kompilation der Quellen, erschien 1  Ich

verweise hier auf mein Buch: Theoderich der Große. König der Goten, Herrscher der Römer. München 2018. Die neueste Darstellung findet sich jetzt bei Mischa Meier: Geschichte der Völkerwanderung. Europa, Asien und Afrika vom 3. bis zum 8. Jahrhundert n. Chr. München 2019, S. 512–544. 2  Antonio Pizzi: Teoderico nella grande storiografia europea. In: Romanobarbarica 13 (1994/1995), S. 259–282, behandelt an ausgewählten Beispielen die Darstellung Theoderichs in der Historiographie. Die Studie von Hanno Helbling: Goten und Vandalen. Wandlung der historischen Realität. Zürich 1954, ist trotz ihrer Kürze breiter angelegt und sensibler für den intellektuellen Kontext. https://doi.org/10.1515/9783110686692-015

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1544 in Ingolstadt.3 Der Autor war Johannes Cochläus (1479–1552), ein Humanist und prominenter Gegner Martin Luthers, der sich seit Langem für Cassiodor interessierte. Sein Buch fand wenig Beachtung, bis die Goten im 17. Jahrhundert in Schweden zum Gegenstand gelehrter Forschung über die Ursprünge des eigenen Volkes wurden.4 Der „Altertumsforscher“ Johan Peringskiöld (1654–1720) brachte 1699 in Stockholm eine zweite Ausgabe dieser Vita Theoderici regis heraus, die durch Annotationen und Exkurse zur (vermeintlichen) Urgeschichte der Schweden auf das Dreifache ihres ursprünglichen Umfangs erweitert war.5 Der schwedische „Gotizismus“ wusste jedoch mit einem König, der im fernen Italien ein Königreich begründet hatte, nur wenig anzufangen. Die vielen Dissertationen über gotische Geschichte, die im 17. und 18. Jahrhundert an der Universität Uppsala eingereicht wurden, beschäftigten sich mit der Herkunft, den Wanderungen und den Sitten dieses Volkes;6 nur eine einzige hatte das ostgotische Reich in Italien zum Gegenstand.7 Immerhin kaufte der schwedische Reichskanzler Graf Magnus Gabriel de la Gardie bereits 1662 den Codex Argenteus für die Universität Uppsala an. Diese in Theoderichs Italien geschriebene Prunkhandschrift der gotischen Bibel war zwar von schwedischen Truppen 1648 in Prag erbeutet worden, aus dem Besitz der Königin Kristina aber an den Philologen Isaak Vossius und mit diesem nach Holland gelangt.8 Die erste Druckausgabe dieses für die Kenntnis der gotischen Sprache fundamentalen Zeugnisses erschien 1665.9 3 Johannes Cochlaeus: Vita Theoderici Regis Qvondam Ostrogothorum et Italiae. Ingolstadt 1544; vgl. dazu Martin Spahn: Johannes Cochläus. Ein Lebensbild aus der Zeit der Kirchenspaltung. Berlin 1898, S. 295 f. Cochläus hatte bereits 1529 in Leipzig unter dem Titel „Antiqua regum Italiae Gothicae rescripta“ eine Auswahl aus den Varien drucken lassen, die Heinrich IV. von England gewidmet war; vgl. zu dieser Ausgabe Harold Stone: The Polemics of Toleration. The Scholars and Publishers of Cassiodorus’ Variae, In: Journal of the History of Ideas 46 (1985), S. 147–166, hier: S. 154–156. 4  Zum schwedischen Gotizismus siehe jetzt vor allem Inken Schmidt-Voges: De antiqua claritate et clara antiquitate Gothorum. Gotizismus als Identitätsmodell im frühneuzeitlichen Schweden. Frankfurt a. M. u. a. 2004; vgl. auch die eher antiquarische Arbeit von Josef Svennung: Zur Geschichte des Gotizismus. Uppsala 1967. 5 Die zweite Auflage der Vita Theoderici des Johannes Cochläus erschien 1699 in Stockholm unter dem Titel „Vita Theodorici regis Ostrogothorum et Italiae Autore Joanne Cochlaeo Germano, cum Additamentis et annotationibus quae Sveo-Gothorum ex Scandia Expeditiones & commercia illustrant, opera Johannis Peringskiöld“. Beide Ausgaben werden von Bernhard Friedrich Hummel: Neue Bibliothek von seltenen und sehr seltenen Büchern und kleinen Schriften. Bd. 2. Nürnberg 1777, S. 428–454, ausführlich besprochen. 6  Eine Auflistung dieser Dissertationen findet man bei Eduard Maria Oettinger: Archives historiques contenant une classification chronologique de 17000 ouvrages pour servir à l’étude de tous les siècles et de toutes les nations. Karlsruhe/Paris 1841, S. 123 f. 7  Carl Gyllenborg: Dissertatio historico-politica de regno Ostrogothorum in Italia. Diss. Uppsala 1697. Der damals 18-jährige Verfasser Carl Gyllenborg (1679–1746) machte später Karriere als Diplomat und Staatsmann. 8  Tönnes Kleberg: Codex Argenteus. Die Silberbibel von Uppsala. Uppsala 41967. 9  Franciscus Junius/Thomas Marshall: Quatuor D.N. Iesu Christi Evangeliorum Versiones per­ antiquae duae, Gothica scil. et Anglo-Saxonica. Dordrecht 1665. Zu dieser Ausgabe knapp Sonia Brough: The Goths and the Concept of Gothic in Germany from 1500 to 1750. Frankfurt a. M.

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In Frankreich führte der Weg zu Theoderich über Cassiodor. 1579 gab der in Orléans lehrende Jurist Guillaume Fournier († 1588) in Paris eine Edition der Varien heraus, die neben anderen Werken Cassiodors auch die Getica des Jordanes, das Edikt Theoderichs und den Theoderich-Panegyricus des Ennodius enthielt.10 Diese innerhalb weniger Jahre mehrfach nachgedruckte Ausgabe machte alle Hauptquellen zur Geschichte des Gotenreiches in Italien in gedruckter Form zugänglich. Durch die Gegenreformation erhielt die kritische Beschäftigung mit christlichen Autoren der Spätantike großen Auftrieb. Es galt, das Echte vom Unterschobenen und das Gesicherte vom Unsicheren zu unterscheiden, wenn man die Autorität der kirchlichen Überlieferung überzeugend gegen die protestantische Kritik verteidigen wollte. Unter Ludwig XIV. wurden gelehrte Mönche aus der Kongregation des heiligen Maurus durch das Studium Cassiodors auf die Spur der gotischen Könige geführt, denen dieser in verschiedenen Ämtern gedient hatte. Der Mauriner Jean Garet (1627–1694) edierte 1679 alle damals bekannten Werke Cassiodors und stellte dieser Edition in Form von Prolegomena eine ausführliche Vita Cassiodori voran.11 Anderthalb Jahrzehnte später brachte der Mauriner Denis de Sainte Marthe eine umfangreiche Biographie Cassiodors in französischer Sprache heraus.12 Wie die Cassiodor-Ausgabe Garets war auch die Cassiodor-Biographie von Sainte Marthe einem Kanzler Ludwigs XIV. gewidmet. Das Werk führte trotz des Titels weit über die Person Cassiodors hinaus; im Grunde bot sie die erste zusammenhängende Darstellung des gotischen Königreiches in Italien. Sainte Marthe machte sich die Darstellung Theoderichs in Cassiodors Varien vollkommen zu eigen; sein Gesamturteil über den König bestand aus einer Paraphrase des Theoderich-Panegyricus des katholischen Klerikers Ennodius, ergänzt um die Lobeshymnen des oströmischen Historiographen Prokopios.13 u. a. 1985, S. 91 f. Eine zweite Auflage erschien in Amsterdam 1684. Die bis heute maßgebliche Ausgabe der gotischen Bibel wurde von dem Indogermanisten Wilhelm Streitberg (1864–1925) erarbeitet; sie erschien 1908 in erster Auflage und liegt seit 2000 in der siebten, von Piergiuseppe Scardigli bearbeiteten Auflage vor; Wilhelm Streitberg: Die Gotische Bibel. Bd. 1: Der gotische Text und seine griechische Vorlage. Mit Einleitung, Lesarten und Quellennachweisen. Heidelberg 72000. 10  Guilielmus Fornerius: Magni Aurelii Cassiodori Senatoris v.c. Variarum libri XII […] Iordani episcopi Ravenatis de origine actibusque Getarum liber I quo XII Cassiodori libros de eadem historia complexus est. Edictum Theoderici regis Italiae. Ennodii Ticinensis episcopi Panegyricus Theoderico dictus […] Ex quibus quadam nunc primum eduntur, caetera ad fidem veterum exemplarium diligenter emendata sunt. Paris 1579. Nachdrucke erschienen am selben Ort 1583, 1588 und 1600. Zum religionspolitischen Kontext der Cassiodor-Studien von Fournier, Garet und Sainte Marthe vgl. auch Stone: Polemics of Toleration (wie Anm. 3), S. 157–161. 11  Jean Garet: Cassiodorus. Opera omnia. 2 Bde. Rouen 1679. Garet widmete sein Buch Michel Le Tellier, der von 1677 bis 1685 Kanzler Ludwigs XIV. war. Die Ausgabe wurde in Bd. 69 und Bd. 70 der „Patrologia Latina“ (Paris 1865) unverändert nachgedruckt. Hinzu kamen Cassiodors Complexiones in Epistulas Apostolorum, die erst 1721 von Scipio Maffei entdeckt wurden. 12  Denis de Sainte Marthe: La vie de Cassiodore, chancelier et premier ministre de Theodoric le Grand & de plusieurs rois d’Italie. Paris 1694. Das in vier Teile gegliederte Buch ist Louis Boucherat gewidmet, der als Nachfolger Le Telliers von 1685 bis 1699 Kanzler Ludwigs XIV. war. 13  Sainte Marthe: La vie de Cassiodore (wie Anm. 12), S. 115–118.

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Theoderich im 18. Jahrhundert: Protonationalismus und Aufklärung Die Historiographen des 18. Jahrhunderts konnten auf Grundlagen aufbauen, die im 16. und 17. Jahrhundert gelegt worden waren. Der Leipziger Historiker und Reichsjurist Johann Jakob Mascov (1689–1761) rückte die Geschichte der alten Germanen in seiner „Geschichte der Teutschen“ in eine protonationalistische Per­ spektive; für ihn bestand zwischen den Germanen, wie Caesar und Tacitus sie beschrieben hatten, und dem Heiligen Römischen Reich deutscher Nation eine ungebrochene Kontinuität. Den „Völckern“ oder „Nationen“, die für ihn in ihrer Gesamtheit das „Teutsche Volck“ ausmachten, schrieb er „Gemüths-Eigenschaften“ zu, die einen germanisch-deutschen „National-Caracter“ definierten: die „Neigung zum Kriege“ oder Tapferkeit, die Treue und die Freiheitsliebe. Das charakteristische Merkmal der politischen Institutionen der alten Germanen habe in der Beteiligung des Volkes an der monarchischen Herrschaft bestanden14 – ein Gedanke, der durch Montesquieus Schrift über den „Geist der Gesetze“ (1748) Gemeingut der westeuropäischen Intellektuellen werden sollte.15 Theoderich war für Mascov ein vorbildlicher Herrscher, der über alle Eigenschaften verfügte, „die einen Fürsten groß, und seine Regierung angenehm machen können“.16 Italien sei unter dem langen Frieden seiner Herrschaft aufgeblüht.17 Der König habe das Kriegswesen bewusst für die Goten reserviert, die auch in Italien „ihre eigene Verfassung, ihre Sprache, ihr Gewehr, ihre alten Sitten und Trachten“ bewahrt hätten.18 In der mangelnden Verbindung der beiden Bevölkerungsteile sah Mascov eine Ursache für den Untergang des Gotenreiches in Italien.19 14  Charles

Secondat de Montesquieu: De l’Esprit des Loix, ou du rapport que les loix doivent avoir avec la constitution de chaque gouvernement, mœurs, climat, religion, commerce, etc.; à quoi l’auteur a ajouté des recherches sur les lois romaines touchant les successions, sur les lois françaises et sur les lois féodales. 2 Bde. Genf 1748. Einschlägig sind vor allem die Kapitel XI, 6 und XVII, 5. Zum Germanenbild Montesquieus vgl. Klaus von See: Vom ‚edlen Wilden‘ zum ‚Volk der Dichter und Denker‘. In: ders.: Barbar, Germane, Arier. Auf der Suche nach der Identität der Deutschen. Heidelberg 1994, S. 61–82, bes. S. 64–66. 15  Johann Jacob Mascov: Geschichte der Teutschen bis zu Abgang der Merovingischen Könige in sechs Büchern fortgesetzet. [Bd. 2]. Leipzig 1737, S. 4–68. Das Buch wurde ins Holländische, Französische, Italienische und Englische übersetzt, war also in weiten Teilen Europas zugänglich und verbreitet. Zu Mascov vgl. Richard Treitschke: Über Jakob Maskov und seine Zeit. In: Allgemeine Zeitschrift für Geschichte 8 (1847), S. 146–184. Zum intellektuellen Kontext siehe Horst Kirchner: Das germanische Altertum in der deutschen Geschichtsschreibung des achtzehnten Jahrhunderts. Berlin 1938; Ian Wood: The Modern Origins of the Middle Ages. Oxford 2013, S. 54–61. Brough: The Goths (wie Anm. 9) geht auf Mascov nur beiläufig (S. 154) ein. 16  Mascov: Geschichte der Teutschen (wie Anm. 15), S. 12. 17  Ebd., S. 61: „Italien selbst hatte sich bey dem langen Frieden, den es unter ihm genossen, trefflich erholet, und unter seiner Regierung ein Ansehen erworben, dergleichen es vorhin unter den Römischen schon lange nicht mehr gehabt.“ 18  Ebd., S. 65  f.: „Die Gothen behielten ihre eigene Verfassung, ihre Sprache, ihr Gewehr, ihre alten Sitten und Trachten. Ihr Hauptwerck war das Kriegeswesen. Der König hatte es mit guten Bedacht seiner Nation fürbehalten, weil allenfalls die Sicherheit seiner Regierung, und der Nachdruck seiner übrigen Anschläge darauf beruhete.“ 19  Ebd., S. 66: „Im übrigen so sorgfältig Theodericus gewesen, beyde Nationen zu vereinigen, so wird doch der Ausgang weisen, daß solches nicht gelingen wollen, und daß der heimliche Wie-

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Mascov folgte in seiner „Geschichte der Teutschen“ bei der Charakterisierung der handelnden Personen noch eng den antiken Autoren. Edward Gibbon (1737– 1794) gestaltete in seiner berühmten „History of the Decline and Fall of the Roman Empire“ ein halbes Jahrhundert später eine große Erzählung aus dem Geist der Aufklärung.20 Auch Gibbon ging davon aus, dass die Ursprünge der west­ europäischen Nationen bei den alten Germanen zu suchen seien.21 Im Gegensatz zu Mascov vertrat er jedoch die Auffassung, die alten Germanen hätten in einem primitiven Kulturzustand gelebt, der von den „zivilisierten Nationen“ seiner Gegenwart längst überwunden sei. Die Kehrseite der „germanischen Freiheit“ war für ihn ein Leben in Unwissenheit, Aberglauben, Gewalt und Armut.22 Das Theoderich-Bild Gibbons ist auf den Kontrast mit dem „Despoten“ Justinian hin angelegt: Obwohl ein ungebildeter Barbar, habe der gotische König als Herrscher Italiens „eine Statue unter den besten und tapfersten der alten Römer verdient gehabt“.23 Er habe Italien für drei Jahrzehnte den Frieden geschenkt. In religiösen Fragen habe er eine rühmliche Toleranz geübt, von der ihn nur der Fanatismus seiner Untertanen und Feinde habe abbringen können. Gibbon schränkte dieses hohe Lob allerdings insofern ein, als er feststellte, dass Theoderich kein Gesetzgeber oder Reformer gewesen sei; vielmehr habe der König das despotische Kaisertum der Spätantike imitiert. Nach Gibbon beruhte die Innenpolitik Theoderichs auf dem Prinzip der Separation: Der König habe Römern und Goten verschiedene Aufgaben zugewiesen; den einen die Künste des Friedens, den anderen die Künste

derwillen zwischen ihnen, nebst dem Unterscheid in der Religion und Sitten, den Untergang des Gothischen Reichs veranlasset. Es scheinet, daß weder die Römer noch die Gothen rechte Lust zu einer völligen Vereinigung gehabt. Jene konten ihre vormahlige Größe noch nicht vergessen, und diese wusten sich viel damit, daß sie selbige bey nahe zerstöret.“ 20  Edward Gibbon: The History of the Decline and the Fall of the Roman Empire. 6 Bde. London 1776–1788; eine Neuausgabe in drei Bänden erschien 1994 in London bei Penguin Books, nach der ich zitiere. Die Darstellung des ostgotischen Reiches steht in Chapter XXXIX. Die Literatur über Gibbon und sein Werk ist viel zu umfangreich, als dass sie hier zitiert werden könnte. Eine vorzügliche Orientierung vermittelt die „Introduction“ von David Womersley zur PenguinAusgabe: Bd. 1, S. XI–CXIII. Gibbons Darstellung Theoderichs analysiert Patricia B. Craddock: Edward Gibbon. Luminous Historian 1772–1794. Baltimore/London 1989, S. 184–191; vgl. auch Samuel Kliger: The Goths in England. A Study in Seventeenth and Eighteenth Century Thought. Cambridge, MA 1952, S. 84–106, bes. S. 95 f. 21  Gibbon: Decline and Fall (wie Anm. 20), Bd. 1, S. 230: „The most civilized nations of modern Europe issued from the woods of Germany, and in the rude institutions of those barbarians we may still distinguish the original principles of our present laws and manners.“ Gibbon spielt hier auf eine Formulierung in Montesquieus Analyse der englischen Verfassung an, der ihre Grundgedanken im „Geist der Gesetze“ (Kap. XI, 6) auf die alten Germanen zurückführt und hinzufügt: „Ce beau système a été trouvé dans les bois.“ 22  Gibbon: Decline and Fall (wie Anm. 20), Bd. 1, S. 239: „A warlike nation like the Germans, without either cities, letters, arts or money, found some compensation for this savage state in the enjoyment of liberty. Their poverty secured their freedom, since our desires and our possessions are the strongest fetters of despotism.“ 23  Ebd., Bd. 2, S. 525: „Italy revived and flourished under the government of a Gothic king, who might have deserved a statue among the best and bravest of the ancient Romans.“

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des Krieges.24 Gibbon hielt das Zusammenleben dieser beiden Völker für seiner Natur nach konfliktträchtig und meinte, Theoderich sei am Widerstand der römischen Mehrheit gescheitert, die sich mit der Herrschaft eines barbarischen und häretischen Königs nicht auf Dauer habe abfinden können.

Theoderich im Zeitalter Napoleons Im napoleonischen Zeitalter gewann die Herrschaft eines gotischen, landfremden Königs in I­ talien politische Aktualität.25 Auf eine Italienische Republik von ­Napoleons Gnaden folgte 1805 ein Königreich Italien, das Eugène Beauharnais als Vizekönig für seinen Stiefvater Napoleon regierte. 1808 lobte das Institut de France in Paris einen Preis für eine historische Untersuchung des gotischen Königreiches in Italien aus. Gefragt war nach dem Zustand der Völker Italiens unter gotischer Herrschaft, nach den Hauptgrundsätzen der Gesetzgebung Theoderichs und seiner Nachfolger und nach dem Unterschied, den diese Gesetzgebung zwischen Siegern und Besiegten festgesetzt habe. Es gingen nicht weniger als sechs Arbeiten zur Beantwortung der Preisfragen ein. Den ersten Preis erhielt die Abhandlung des Göttinger Geschichtsprofessors Georg Sartorius (1765–1828) „Versuch über die Regierung der Ostgothen während ihrer Herrschaft in Italien, und über die Verhältnisse der Sieger zu den Besiegten im Lande“ – so der Titel der deutschen Übersetzung, die ein Jahr nach dem französischen Original erschien.26 Der zweite Preis ging an Joseph Naudet (1786–1878), damals Lehrer am Lycée Napoléon in Paris, später Professor für lateinische Poesie am Collège de France. Auch Naudets Abhandlung wurde 1811 gedruckt.27 Die Urteile der beiden Preisträger über Theoderich und sein Reich gingen weit auseinander. Sartorius beurteilte die gotische Herrschaft in Italien sehr günstig, denn sie habe den öffentlichen und privatrechtlichen Zustand der beiden Völker nicht verändert. Der König habe nach außen den Frieden gesichert und nach innen Recht und Gerechtigkeit walten lassen. 24 

Ebd., Bd. 2, S. 535 f.: „Distress might sometimes provoke the indigent Roman to assume the ferocious manners which were insensibly relinquished by the rich and luxurious Barbarian; but these mutual conversions were not encouraged by the policy of a monarch who perpetuated the separation of the Italians and the Goths; reserving the former for the arts of peace, and the latter for the service of war […]. To accomplish this design, he studied to protect his industrious subjects, and to moderate the violence without enervating the valour of his soldiers, who were maintained for the public defence.“ 25  Auf diese Zusammenhänge hat bereits 1957 Arnaldo Momigliano in einer Rezension von Hanno Helbling: Goten und Vandalen. Wandlung der historischen Realität. Zürich 1954, hingewiesen: Rivista Storica Italiana 69 (1957), S. 140–142; auch in: ders.: Secondo Contributo alla Storia degli Studi Classici. Rom 1960, S. 416–418. 26  Georg Sartorius von Weitersheim: Versuch über die Regierung der Ostgothen während ihrer Herrschaft in Italien, und über die Verhältnisse der Sieger zu den Besiegten im Lande. Hamburg 1811. 27  Joseph Naudet: Histoire de l’établissement, des progrès et de la décadence de la monarchie des Goths en Italie. Paris 1811.

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Das Scheitern des gotischen Königreiches führte er auf den stolzen Eigensinn der Römer zurück, die sich einer Verschmelzung mit den Goten zu einem Volk widersetzt hätten. Naudet hingegen sah gerade darin ein Versagen Theoderichs. Der König habe es versäumt, seine Goten auf römische Schulen zu schicken, und die Römer kurzsichtig vom Militär ausgeschlossen. Sein größter Fehler sei gewesen, am „arianischen“ Bekenntnis festzuhalten, weil er sich dadurch der Möglichkeit beraubt habe, den religiösen Gegensatz zwischen Goten und Römern zu beseitigen.28 Auch die 1824 veröffentlichte „Geschichte des Ost-Gothischen Reiches in Italien“ des Breslauer Gymnasialrektors Johann Kaspar Friedrich Manso (1759– 1826) war noch durch die Anliegen der napoleonischen Zeit bestimmt. Mansos Werk zeichnet sich durch großen Sammelfleiß und sorgfältige Dokumentation der Quellen aus, lässt aber eine klare Konzeption vermissen. Das gotische Reich wurde seiner Ansicht nach durch eine bedeutende Persönlichkeit, durch Theoderich, zusammengehalten, und zerfiel darum nach dessen Tod. Manso trug keine Bedenken, die Goten als Deutsche anzusprechen, wie es in deutschen Landen seit dem Humanismus üblich war.29 Gleichwohl war seine Darstellung frei von nationaler Emphase; auch sein Ideal war die römisch-gotische Symbiose in Italien.30

Westeuropäische Perspektiven: Theoderich und die Einheit Italiens Im Laufe des 19. Jahrhunderts erlangten nationale Gesichtspunkte für die Betrachtung der Vergangenheit in ganz Europa immer größere Bedeutung.31 Das Streben 28 Unabhängig

von der europäischen Diskussion über die napoleonische Herrschaft in Italien entstand in Schaffhausen zur Schweizer Mediationszeit die zweibändige, unvollendete „Geschichte des ostgothischen Königs Theoderich und seiner Regierung“ (Schaffhausen 1807/1808) des reformierten Theologen Friedrich Hurter (1787–1865). Die Darstellung der inneren Regierung war für einen dritten Band vorgesehen, der niemals erschienen ist. Hurter zeichnete am Beispiel Theoderichs „ein Bild des Wechsels menschlicher Schiksale, auf daß auch noch die späte Nachwelt erkenne, daß nur bei Recht und Gerechtigkeit blühend die Reiche, fest die Thronen, glüklich und geliebt die Regenten seyen. Auf daß es klar in die Augen falle, wie eines einzigen Mannes umfassender, allbelebender Geist es seyn könne, die Völker zu vereinen, mächtige Staaten zu stiften und Thronen fest zu gründen, geschikt sey; und daß jedem es anschaulich werde, wie richtig geleiteter Kraft auf ein Ziel hin nichts vermöge zu widerstehen“ (Bd. 2, S. 182 f.). Theoderich war für Hurter ein „großer Mann“ in den „Zeiten der Völkerwanderung“, mit denen „die zweite grosse Weltperiode“ begann: Bd. 1, S. X–XVI. Zu Hurter, der viel später durch seinen 1844 vollzogenen Übertritt zur römischen-katholischen Kirche Bekanntheit erlangte, vgl. Peter Vogelsang: Weg nach Rom. Friedrich Hurters geistige Entwicklung im Rahmen der romantischen Konversionsbewegung. Zürich 1954. 29  Heinrich Beck/Dieter Geuenich/Heiko Steuer (Hg.): Zur Geschichte der Gleichung „germanisch-deutsch“. Sprache und Namen, Geschichte und Institutionen. Berlin 2004. 30  Johann Kaspar Friedrich Manso: Geschichte des Ost-Gothischen Reiches in Italien. Breslau 1824. Manso war 1793–1826 Rektor des protestantischen Maria-Magdalenen-Gymnasiums in Breslau. Seine Biographie schrieb Konrad Lux: Johann Kaspar Friedrich Manso. Der schlesische Schulmann, Dichter und Historiker. Leipzig 1908. 31  Zum Bild Theoderichs in der deutschsprachigen Geschichtsschreibung von Sartorius und Manso bis Dahn und Mommsen vgl. auch Maria Cesa: Il regno di Teodorico nella valutazione della

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des norditalischen Bürgertums nach Unabhängigkeit von Österreich, Auflösung des Kirchenstaats und staatlicher Einheit aller Italiener rückte das italische Reich Theoderichs in eine neue Perspektive: Während das „gotische Zeitalter“ in Italien bis dahin meist als finstere Fremdherrschaft gesehen worden war, wurde es nun als Vorläufer nationaler Einheit gedeutet. 1846 brachte Louis Marquis du Roure (1783–1858), damals Abgeordneter der französischen Nationalversammlung, eine zweibändige Geschichte Theoderichs heraus, um zu zeigen, dass der Untergang des gotischen Reiches in Italien keineswegs eine notwendige Folge der politischen Konzeption des Königs gewesen sei. Wenn Theoderich bei dem Versuch, aus Goten und Römern eine Nation zu bilden, gescheitert sei, so habe das am kurzsichtigen Egoismus der katholischen Bischöfe und eines Teils der Senatoren gelegen.32 Der Dichter und Schriftsteller Paul Deltuf (1825–1870) führte das Scheitern Theoderichs 1869 umgekehrt darauf zurück, dass der König versucht habe, das Impe­ rium Romanum wiederherzustellen, während die Völker nach nationaler Selbstbestimmung strebten. Weil er kein Kind Italiens gewesen sei, habe er keine stabile Monarchie verwirklichen können; seine Regierung sei eine Fortsetzung des Despotismus gewesen, der für den spätantiken Staat insgesamt charakteristisch sei.33 Beide Bücher waren schwungvoll geschrieben, vermochten aber die Ansprüche, die man damals an kritische Geschichtsforschung zu stellen begann, nicht zu befriedigen und gerieten schnell in Vergessenheit. Dasselbe Schicksal ereilte verdientermaßen auch die zweibändige „Storia del ­regno dei Goti in Italia“ aus dem Jahr 1846, mit welcher der ravennatische Bibliothekar und Lokalhistoriker Paolo Pavirani (1804–1855) gegen die in Italien seit der Renaissance weithin verbreitete Ansicht ankämpfte, die Goten hätten die antike Kultur zerstört.34 Nach Pavirani erlebte Italien unter gotischer Herrschaft geradezu eine ökonomische und kulturelle Wiedergeburt, während Theoderich die kriegslüsternen Potentaten Europas zum Frieden zwang.35 Mehr als drei Jahrzehnte später (1879), nach der Gründung des Königreiches Italien und dem Ende des Kirchenstaats, veröffentlichte der aus dem Trentino stammende, in Ravenna storiografia tedesca dell’ Ottocento. In: Edoardo D’Angelo (Hg.): Atti della Seconda Giornata Ennodiana (Napoli 8–9 ottobre 2001). Neapel 2003, S. 15–36. 32  Louis Marquis du Roure: Histoire de Théodoric-le-Grand, roi d’Italie, précédée d’une revue préliminaire de ses auteurs et conduite jusqu’à la fin de la monarchie Ostrogothique. 2 Bde. Paris 1846. Das Buch wurde durch den Diplomaten Émile de Langsdorff unter dem Titel „Théodoric et Boëce“, in: Revue des Deux Mondes 17 (1847), S. 827–860, ausführlich und zustimmend besprochen. 33  Paul Deltuf: Théodoric roi des Ostrogoths et d’Italie. Épisode de l’histoire du Bas-Empire. Paris 1869, S. 294 f., S. 357 f. 34  Hans Messmer: Hispania-Idee und Gotenmythos. Zu den Voraussetzungen des traditionellen vaterländischen Geschichtsbilds im spanischen Mittelalter. Zürich 1960, S. 43–47; Gustavo Costa: Le antichità germaniche nella cultura italiana da Machiavelli a Vico. Neapel 1977, bes. S. 125–231 („Goticismo ed antigoticismo nell’età barocca“). 35  Paolo Pavirani: Storia del regno dei Goti in Italia. 2 Bde. Faenza 1847, bes. Bd. 1, S. I–XIV. Zu Pavirani siehe Paola Novara: Le ricerche di Paolo Pavirani e Enrico Pazzi. I sarcofagi cristiani di Ravenna. In: Parola e Tempo 14 (2015/2016), S. 284–312, bes. S. 284 f.

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als Gymnasiallehrer für Geographie und Geschichte tätige Gottardo Garollo (1850–1917) eine Biographie Theoderichs, die sich durch große Sachlichkeit und Nüchternheit auszeichnete. Garollo verzichtete auf vordergründige Aktualisierungen und stellte die Regierung Theoderichs unter systematischen Gesichtspunkten dar. Er hielt sich eng an die Quellen und vermied es, ein Gesamturteil über den König zu fällen. Im Einzelnen freilich fand Garollo viel zu loben und hielt dem König zugute, dass er sich redlich bemüht habe, die Gesetzlosigkeit und Gewalttätigkeit seiner Goten im Zaum zu halten.36 Das Ideal nationaler Einheit bewegte auch den in Rom lebenden, liberalen Ostpreußen Ferdinand Gregorovius (1821–1891), der seine „Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter“ als Privatgelehrter zu schreiben begann, als die weltliche Macht des Papstes in Italien noch ungebrochen war; der erste Band erschien 1859 und wurde sogleich ins Italienische übersetzt.37 Das Buch erlebte zahlreiche Auflagen und wurde zu einem der am meisten gelesenen Geschichtsbücher des 19. Jahrhunderts; sein Verfasser wurde 1876 zum Ehrenbürger der Stadt Rom ernannt. Gregorovius rühmte Theoderich und seine Goten als „Beschützer der antiken Kultur Europas in den letzten Stunden der Römerwelt“. Gleichwohl hielt er den Untergang seines Reiches für unvermeidlich. Das „inselartige Leben eines germanischen Stammes mitten unter den Lateinern und den römischen Institutionen“ habe keinen Bestand haben können; die Konservierung überlebter politischer Formen habe die „bürgerliche Erneuerung Italiens“ unmöglich gemacht. Für Gregorovius war Theoderich ein Vorläufer Karls des Großen, denn er habe das Ziel verfolgt, „alle deutschen und lateinischen Völkerschaften wie ein Kaiser in einem zu vereinigen“.38 Dieser „kühne Plan“ sei an der geringen Zahl der Goten und ihrem Gegensatz zur „Nationalität und Religion der Lateiner“ gescheitert. Deshalb habe sich das „Abendland“ damals noch nicht von der „byzantinischen Reichsgewalt“ befreien können. Justinians Reconquista habe die „nationale Einheit“ Italiens zerstört.39 Auch der englische Bankier und Quäker Thomas Hodgkin (1831–1913) schöpfte die Inspiration zu seinem achtbändigen Werk „Italy and her Invaders“ aus dem Erlebnis des Kampfes um die Unabhängigkeit und Einigung Italiens.40 Hodgkin 36  Gottardo Garollo: Teoderico re dei Goti e degl’Italiani. Florenz 1879, bes. S. 197–203. Garollo hatte als 22-Jähriger bereits eine Monographie über „Gli Ostrogoti prima della loro venuta in Italia“ (Padua 1872) veröffentlicht. Zu Garollo siehe Guido Gregorio Fagioli Vercellone. In: Dizionario biografico degli Italiani, Bd. 52 (1999), S. 376 f. 37  Ferdinand Gregorovius: Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter. 8 Bde. Stuttgart 1859–1872 (4. Auflage Stuttgart 1886–1896). Ein um die Anmerkungen gekürzter Nachdruck des Gesamtwerks in vier Bänden erschien 1988 im Verlag C.H. Beck. Die klassische Biographie stammt von Johannes Hönig: Ferdinand Gregorovius. Stuttgart/Berlin 1921 (2. Auflage Stuttgart 1943). Zu seinem Verhältnis zu Italien vgl. Arnold Esch/Jens Petersen (Hg.): Ferdinand Gregorovius und Italien. Eine kritische Würdigung. Tübingen 1993. 38  Gregorovius: Rom im Mittelalter (wie Anm. 37), S. 277–327, hier: S. 279  f. 39  Ebd., S. 324  f. 40  Thomas Hodgkin: Theoderic the Goth. The Barbarian Champion of Civilisation. London 1891, S. VI f.

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behandelte die gotische Herrschaft in Italien unter dem Titel „The Ostrogothic Invasion“ im dritten Band seines Werks, der 1886 erschien.41 Im selben Jahr brachte er eine paraphrasierende Übersetzung der Varien Cassiodors heraus, die freilich viele Ungenauigkeiten und Fehler enthielt.42 Fünf Jahre später widmete er Theoderich eine separate Biographie mit dem programmatischen Untertitel „The Barbarian Champion of Civilisation“.43 Hodgkin bewunderte Theoderich, weil er sich vom „teutonischen Krieger“ zum Friedensfürsten gewandelt habe, und verglich ihn deswegen mit Augustus und Bismarck. Der König habe erkannt, was Italien und Europa damals mehr als alles andere nötig gehabt hätten: die Bewahrung einer auf Recht und Gesetz gegründeten Ordnung in einem Zeitalter sozialer Umwälzungen. Hodgkin projizierte auf Theoderich alle Tugenden, die ein Liberaler seiner Zeit von einem Monarchen erwartete: Friedensliebe, Gerechtigkeit, Fürsorge für die Wohlfahrt aller Klassen, für Ordnung, Gesittung und Bildung, aber auch für Handel, Industrie und Landwirtschaft.44 Dabei stellte Hodgkin keineswegs in Abrede, dass der König ebenso despotisch geherrscht habe wie die römischen Kaiser seiner Zeit. Theoderich habe die Beschränkungen, die Königen bei den frühen Germanen auferlegt gewesen seien, nicht mehr anerkannt. Diese Missachtung „germanischer Freiheit“ sei aber dadurch gerechtfertigt, dass der König versucht habe, Frieden und Eintracht zwischen zwei Völkern zu erhalten, die so unterschiedlich waren, dass er ihre Verschmelzung allenfalls in ferner Zukunft für möglich halten konnte.45 Hodgkin verwies auf das Beispiel britischer Herrschaft in Indien: Auch ein Statthalter von Indien könne nicht dieselben Gesetze für ­Europäer und Hindus erlassen.46 Das letztliche Scheitern der Politik Theoderichs 41  Ders.: Italy and her Invaders. 8 Bde. Oxford 1880–1899. Das Werk wurde von der Folio Society unter dem Titel „The Barbarian Invasions of the Roman Empire“ in acht Bänden nachgedruckt (London 2001). Die Geschichte der Ostgoten in den Jahren 476–533 füllt den dritten Band. Dem Nachdruck dieses Bands ist auf S. IX–XIV eine kurze „Introduction“ von Peter Heather vorangestellt. Zu Hodgkins Verhältnis zu Italien siehe Donald A. Bullough: Italy and her Invaders (Inaugural Lecture). Nottingham 1968. Eine pietätvolle Darstellung seines Lebens samt einer Auswahl von Briefen enthält das Buch von Louise Creighton: Life and Letters of Thomas Hodgkin. London 1917. 42  Thomas Hodgkin: The Letters of Cassiodorus. Being a Condensed Translation of the Variae Epistolae of Magnus Aurelius Cassiodorus Senator. London 1886. 43  Hodgkin: Theoderic (wie Anm. 40). 44  Ders.: Italy and her Invaders (wie Anm. 41), Bd. 3, S. 2 (= S. 1 des Nachdrucks); ders.: Theoderic (wie Anm. 40), S. 1–6, S. 126–147; der Vergleich mit Augustus und Bismarck steht auf S. 127; vgl. auch S. 369: „Only at length, towards the close of the nineteenth century, has Italy regained that priceless boon of national unity, which might have been hers before it was attained by any other country in Europe, if only the ambition of emperors and the false sentiment of ‚Roman‘ patriots would have spared the goodly tree which had been planted in Italian soil by Theoderic the Ostrogoth.“ 45 Hodgkin: Italy and her Invaders (wie Anm. 41), Bd. 3, S. 222–252 (= ND, S. 126–146), bes. S. 251 (= ND, S. 145): „German kingship as wielded by Theoderic had to be despotic. The crown of the arch must be made strong and heavy to repress the upward thrust of the two opposing nationalities.“ 46  Hodgkin: Italy and her Invaders (wie Anm. 41), Bd. 3, S. 250 (= ND, S. 145): „It is impossible to legislate for the European indigo-planter exactly as if he were a native Rajah, or for the head-

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führte Hodgkin auf den Ehrgeiz römischer Kaiser und den fehlgeleiteten Patriotismus einiger Senatoren zurück.

Felix Dahn und „Die Könige der Germanen“ In Deutschland fasste in den 1850er-Jahren der junge Jurist Felix Dahn (1834– 1912) den Entschluss, die Geschichte der germanischen Königreiche der Spät­ antike zu schreiben.47 Es nötigt bis heute Respekt ab, mit welcher Beharrlichkeit Dahn, der in Würzburg, Königsberg und Breslau als Jura-Professor lehrte und forschte, aber nebenbei eine Vielzahl von historischen Romanen verfasste, diesen Lebensplan ausgeführt hat. Der erste Band seines Werks „Die Könige der Germanen“ erschien im Jahre 1861, der elfte und letzte fünfzig Jahre später, im Jahre 1911. Der Titel könnte den Eindruck erwecken, Dahn sei vor allem an Personen, an „großen Männern“ interessiert gewesen, aber das trifft nicht zu: Im Kern handelt es sich um eine Analyse der politischen und juristischen Institutionen. Dahn behandelte die „äußere Geschichte der Ostgoten“ im zweiten Band, der 1861 in erster und 1911 in zweiter Auflage erschien.48 Darauf folgte im dritten Band, der 1866, also ebenfalls vor der Gründung des deutschen Kaiserreiches, erschien, eine systematische Darstellung der „Verfassung des ostgothischen Reiches in Italien“, der als Anhang ein ausführlicher Kommentar zum sogenannten Edikt Theoderichs beigefügt war. Für Dahn war das politische Lebenswerk Theoderichs ein „genialer idealistischer Irrtum“.49 Da der König die antike Bildung bewundert habe, habe er den „historischen Beruf“ der Germanen verkannt, die dazu bestimmt gewesen seien, die Dekadenz der antiken Welt zu überwinden. Sein Bemühen, die „Italiener“ durch ein musterhaftes Regiment für sich zu gewinnen, sei an der geringen Zahl seiner Goten und dem „nationalen Widerwillen“ der „Italiener“ gescheitert.50 man of a Hindu village as if he had the same ideas as a queen’s soldier from Devonshire. The best rulers keep the fusion of the two nations before them as an event possible in the far-distant future, and meanwhile strive so to govern that the thought of a common interest in the prosperity of the whole country, the true ideal of res publica, may take root in the mind of both races.“ 47  Zu Person und Werk vgl. Annemarie Hruschka/Heiko Uecker: Dahn, Felix. In: RGA, Bd. V (1984), Sp. 179–185. 48  Felix Dahn: Die Könige der Germanen. Das Wesen des ältesten Königtums der germanischen Stämme. 11 Bde. Würzburg 1861–1911; darin: 2. Abt.: Die kleineren gotischen Völker – Die äußere Geschichte der Ostgoten. Würzburg 1861 (2. Auflage Würzburg 1911); 3. Abt.: Verfassung des ostgotischen Reiches in Italien. Würzburg 1866; 4. Abt.: Anhänge zur dritten Abtheilung. Würzburg 1866. 49  Dahn skizzierte sein Theoderich-Bild bereits 1859 in einem populären Aufsatz mit dem Titel „Dietrich von Berne“, wieder abgedruckt in: Felix Dahn: Bausteine. Gesammelte kleine Schriften. Zweite Reihe. Berlin 1880, S. 249–271. Der Ausdruck „genialer idealistischer Irrtum“ steht auf S. 262. Auf S. 269 heißt es weiter, Theoderich habe am Ende seiner Tage einsehen müssen, „daß er das Werk seines Lebens auf den Wahn gebaut habe, er werde den nationalen Widerwillen der Italiener gegen germanische Herrschaft durch ein musterhaftes Regiment überwinden können“. 50  Dahn: Könige der Germanen (wie Anm. 48), 2. Abt., S. 144–149.

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Dahn vertrat die Auffassung, dass Theoderich sein Heer, das zum größten Teil aus Goten bestanden habe, zwar über ganz Italien verstreut, aber in geschlossenen Verwandtschaftsgruppen, nach Sippen, angesiedelt habe. Diese Sippen hätten ­zugleich die unterste Einheit der Heeresorganisation gebildet. Nach Dahn war das ostgotische Volk seit jeher in „Gemeinfreie“ und Adlige gegliedert. Im Reich Theoderichs sei jedoch neben diesen alten gotischen „Geburtsadel“ ein neuer „Dienstadel“ getreten, der seinerseits mit dem römischen Adel verschmolzen sei; so sei eine gotisch-römische Aristokratie entstanden. Gleichzeitig habe das Königtum die „gotische Volksfreiheit“ zurückgedrängt; als die Goten über weite Teile Italiens zerstreut wurden, sei die Volksversammlung als Organ der politischen Teilhabe verschwunden.51 Die Goten blieben für Dahn auch in Italien ein Volk, das uralte Sitten, Rechtsnormen und politische Institutionen bewahrte.52 Insbesondere hätten sie auch in Theoderichs Reich weiterhin nach ihrem althergebrachten Recht gelebt.53 Für die römische Bevölkerung sei dagegen so gut wie alles beim Alten geblieben. Das italische Reich Theoderichs zerfiel darum für Dahn in zwei Hälften, eine germanische und eine römische, die der König nur „mit großer Anstrengung in leidlicher Ordnung“ habe zusammenhalten können. Den Bemühungen Theoderichs, ein freundliches Verhältnis zwischen Goten und Romanen herzustellen und zu erhalten, sei nur geringer Erfolg beschieden gewesen, weil der Gegensatz zwischen den Völkern unüberbrückbar gewesen sei: „Die Italiener haßten, verachteten und fürchteten die ketzerischen Barbaren und die Gothen hätten die Romanen viel lieber als Besiegte denn als Schützlinge behandelt.“54 Es sei darum fortwährend und überall zu Reibungen und Gewalttaten gekommen. Ebenso zweigeteilt wie das Reich sei auch das Königtum Theoderichs gewesen: Seine Herrschaft über die Goten habe auf einem germanischen „Volkskönigtum“ beruht, über die Romanen hingegen habe er die Rechte eines Kaisers in Anspruch genommen. Im Laufe der Zeit sei es jedoch zu einer „fast vollständigen Umwandlung des gothischen Königthums nach dem Muster des römischen Imperiums“ gekommen.55 Theoderich 51 

Ebd., 2. Abt., S. 115–124; 3. Abt., S. 24–56, bes. S. 35, S. 49. In Anhang I zu Abt. 2 bietet Dahn auf S. 230–260 eine noch immer nützliche Übersicht über die soziale und ethnische Terminologie der Quellen. 52  Dahn: Könige der Germanen (wie Anm. 48), 2. Abt., S. 117: „Der große Unterschied der gotischen Kolonie von allen ähnlichen früheren Verhältnissen liegt eben darin, daß die Goten nicht nur ein Haufe von Soldknechten, daß sie ein Volk waren, das nicht nur Weib und Kind und Habe, das seine Sitte, sein Recht, seine Verfassung in Krieg und Frieden, das vor allem sein altes Königtum und damit das lebendige Symbol seiner Nationalität mit nach Italien gebracht hatte, jenes uralte germanische Königtum, welches, wie vielfach auch modifiziert durch den Wechsel von Zeit und Raum und Krieg und Wanderung und durch römische Einflüsse, in seiner Wurzel zurückreichte bis an die Küsten der Ostsee, bis auf die Tage des Tacitus, ja viel weiter hinauf.“ 53  Dahn: Könige der Germanen (wie Anm. 48), 4. Abt., Zweiter Anhang, S. 137–189: „Das gothische Recht im gothischen Reich“. 54  Ebd., 3. Abt., S. 18  f.; im Anhang zu diesem Band (4. Abt., S. 16) spricht Dahn von „den rohen, meisterlosen, raublustigen Gothen, welche das Recht des Siegers üben wollten“. 55  Ebd., 3. Abt., S. 22.

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und seine Nachfolger hätten keinerlei Beschränkungen ihrer Machtfülle mehr anerkannt. Das gotische Königtum in Italien habe dadurch einen „absolutistischen“ Charakter angenommen. Dahn prägte dafür die Formel „Romanisirung des Ger­ ma­ni­schen“.56

Editionsphilologie, Staatsrecht, Sozialgeschichte: Theodor Mommsen und Ludo Moritz Hartmann Die Professionalisierung und Institutionalisierung der Geschichtsforschung schritt im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts zügig voran; Geschichtsforschung und ­Geschichtsschreibung wurden immer mehr als ihrem Wesen nach verschiedene Tätigkeiten aufgefasst. Privatgelehrte, die über historische Themen publizierten, galten der akademischen Zunft nun als Dilettanten. Im neuen Kaiserreich wurde die Erschließung der Quellen durch kritische Editionen zum Programm historischer „Großforschung“ erhoben. Damals trat auch die Erforschung der Spätantike in eine neue Phase. Auch die Quellen für die „deutsche Vorgeschichte“ sollten nun in einer den Anforderungen der historisch-kritischen Methode genügenden Weise ediert werden. Die „Monumenta Germaniae Historica“ eröffneten dafür eine eigene Reihe, die „Auctores Antiquissimi“, deren erster Band 1877 erschien. Dabei wirkte der schon zu Lebzeiten berühmte Althistoriker und Jurist Theodor Mommsen (1817–1903) als treibende Kraft.57 Mommsen selbst veröffentlichte 1882 die Romana und die Getica des Jordanes.58 1886 legte der junge klassische Philologe Friedrich Vogel (1856–1945) eine kritische Ausgabe der Werke des Ennodius vor, eine kolossale Leistung, die bis heute als Ganzes nicht überholt ist.59 1894 brachte Mommsen eine in jeder Hinsicht vorbildliche Ausgabe der 56 

Ebd., 3. Abt., S. 1–23, S. 254–319. Scharfe Kritik an Dahns Deutung des gotischen Königtums übte Heinrich von Sybel: Entstehung des deutschen Königthums. Frankfurt a. M. 21882, S. 241– 246, S. 276–295. 57  Brian Croke: Theodor Mommsen and the Later Roman Empire. In: Chiron 20 (1990), S. 159– 189; Stefan Rebenich: Mommsen, Harnack, and the Prosopography of Late Antiquity. In: Medieval Prosopography 17 (1996) 1, S. 149–167; ders.: Theodor Mommsen. Eine Biographie. München 2002, S. 121–127. 58  Theodor Mommsen (Hg.): Iordanes. Romana et Getica (MGH AA 5, Pars Prior). Berlin 1882. Mommsen ging von der Annahme aus, dass bei Jordanes im Sinne der spätantiken Schulgrammatik falsche Lesarten gegenüber richtigen den Vorzug verdienen. Francesco Giunta und Antonio Grillone verfuhren in ihrer Ausgabe der Getica umgekehrt und bieten daher einen leichter les­ baren Text: Iordanis de origine actibusque Getarum. In: Fonti per la storia d’Italia. Bd. 117. Rom 1991; vgl. dazu die Rezension von Walter Goffart, in: Gnomon 67 (1995), S. 227–229. Eine neue Untersuchung der Syntax in den Romana bestätigt jedoch die editorische Grundentscheidung Mommsens; vgl. Giovanbattista Galdi: Syntaktische Untersuchungen zu Jordanes. Beiträge zu den „Romana“. Hildesheim 2013. 59  Friedrich Vogel (Hg.): Magni Felicis Ennodi Opera (MGH AA 7). Berlin 1886. Vogel erkannte als erster, dass die ältesten Handschriften die Werke des Ennodius in chronologischer Folge enthalten. Der Wiener Philologe und Politiker Wilhelm Hartel (1839–1907) hatte die Werke des Ennodius kurz zuvor noch in der Reihenfolge ediert, die der gelehrte Jesuit Jacques Sirmond

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­ arien Cassiodors heraus, die er unter tatkräftiger Mithilfe des Latinisten Ludwig V Traube (1861–1907) erarbeitet hatte.60 Auf der Basis dieser Editionen analysierte Mommsen in einer Abhandlung mit dem schlichten Titel „Ostgothische Studien“ in konziser Form die institutionellen Strukturen des Gotenreiches in Italien. Diese Abhandlung hat die Forschung in Zustimmung und Ablehnung für ein ganzes Jahrhundert maßgeblich bestimmt.61 Mommsen deutete Theoderichs Herrschaft als bruchlose Fortsetzung der Stellung, die vor ihm bereits Odovakar innegehabt hatte: Beide seien „einerseits römische Beamte, andererseits Stammesfürsten der im römischen Reich angesiedelten, aber des römischen Bürgerrechts entbehrenden Barbaren gewesen“.62 Die daraus resultierende Doppelstellung Theoderichs entsprach nach Mommsen derjenigen arabischer Stammesfürsten, die vom Kaiser mit einem zeitlich unbefristeten militärischen Kommando ausgestattet worden waren.63 Die Goten, deren König Theoderich in Italien war, bildeten für Mommsen keine ethnische, sondern eine politische Einheit, eine „Conföderation“ verschiedener germanischer „Stämme“.64 Das italische Reich Theoderichs war für Mommsen ein Doppelstaat, der auf strikter Arbeitsteilung und rechtlicher Trennung zwischen Goten und Römern beruht habe: Nur Goten seien berechtigt ge(1559–1651) in seiner Ausgabe hergestellt hatte, die bis dahin als maßgeblich galt: Magni Felicis Ennodii episcopi Ticinenis opera. Jac. Sirmondus Soc. Iesu presb., in ordinem digesta, multisque locis aucta emendavit, ac Notis illustravit. Paris 1661; Wilhelm Hartel (Hg.): Magni Felicis Ennodii opera omnia. In: Corpus scriptorum ecclesiasticorum latinorum. Bd. VI. Wien 1882. 60  Theodor Mommsen (Hg.): Cassiodori Senatoris Variae (MGH AA 12). Berlin 1894. Die Ausgabe enthält ausführliche Indizes, die den Inhalt der Texte und den Sprachgebrauch des Autors mustergültig erschließen. Die neuere Ausgabe von Åke J. Fridh (Hg.): Magni Aurelii Cassiodori Variarum libri XII. De anima cura et studio James W. Halporn (CCL, Bd. 96). Turnhout 1973, bringt einige Verbesserungen zum Text, doch sind die Indizes ungenügend. 61  Theodor Mommsen: Ostgothische Studien. In: Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde 14 (1889), S. 225–249, S. 453–544, mit Nachtrag in: Band 15 (1890), S. 181– 186; auch abgedruckt in: ders.: Gesammelte Schriften. Bd. 6: Historische Schriften. Bd. 3. Berlin 1910, S. 362–484. 62  Mommsen: Ostgothische Studien (wie Anm. 61), S. 537 (= Gesammelte Schriften, S. 477); vgl. ebd., S. 245 (= Gesammelte Schriften, S. 383). 63  Ebd., S. 541  f. (= Gesammelte Schriften, S. 481 f.): „In der That unterscheiden sich die Gothen Theoderichs und Athalarichs von den ungefähr gleichzeitigen Saracenen Alhirats und Almundhirs nur durch die grösseren Verhältnisse.“ Mommsen spendet ebd., S. 542 (= Gesammelte Schriften, S. 482) der „vortrefflichen Erörterung“ Heinrich von Sybels (die oben in Anm. 56 zitiert wird) über „die aus dem römischen Föderatenwesen hervorgegangenen Kleinstaaten“ hohes Lob. 64  Ebd., S. 539 (= Gesammelte Schriften, S. 479): „Die ‚Gothen‘, als deren Fürst er seines römischen Amtes waltet, sind in der That eine durch Sammteid unter sich geeinigte und an ihn geknüpfte Conföderation germanischer selbst königloser Gaue. Insofern wird man ihn allerdings als Volksfürsten auffassen müssen, nur dass seine Gothen mit dem ethnologisch also bezeichneten Kreis sich keineswegs decken.“ Ähnlich formulierte auch Sybel: Entstehung (wie Anm. 56), S. 294: „Von der moralischen Kraft volksthümlicher Zusammengehörigkeit ist bei Theoderich’s Schaaren noch weniger als bei Odoachar’s Truppen zu spüren; weder der Eine noch der Andere vermag ein innerlich gesundes und dauerndes Staatswesen zu gründen. Die Ostgothen sind ebenso wie ihre Vorgänger ein aus mannichfaltigen Völkertrümmern militärisch zusammengesetztes Conglomerat; so wenig wie jene kennen sie das Bewußtsein, die Fortsetzer eines altnationalen Staates zu sein.“

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wesen, für den König Waffen zu führen.65 Römer hätten nach römischem, Goten nach gotischem Personalrecht gelebt, und da Goten vom römischen Standpunkt aus Ausländer geblieben seien, habe das Verbot gemischter Ehen zwischen Römern und Barbaren auch für sie gegolten.66 Mommsens Schüler Ludo Moritz Hartmann (1865–1924) füllte diese Konturen in einer großen Darstellung der Geschichte Italiens mit sozialgeschichtlichem Inhalt. Hartmann wurde 1887 in Berlin promoviert und habilitierte sich bald darauf in Wien für Alte und Mittelalterliche Geschichte. Hartmann war konfessionslos, jüdischer Herkunft und obendrein auch noch Anhänger der Sozialdemokratie; er beteiligte sich aktiv am Aufbau der Wiener Volkshochschulen („Volksheime“).67 Eine Berufung zum Universitätsprofessor kam daher unter der Habsburgermonarchie nicht infrage; Hartmann kam bis 1920 nicht über die Stellung eines Privat­ dozenten hinaus. In diesen Jahrzehnten schrieb er seine „Geschichte Italiens im Mittelalter“, die unvollendet blieb; der vierte Band, der 1915 erschien, führt bis zur Kaiserkrönung des deutschen Königs Heinrich II. im Jahre 1004.68 Der erste Band von 1897 hatte „Das italienische Königreich“ zum Gegenstand; er kam 1923, kurz vor Hartmanns Tod, in einer zweiten Auflage heraus. Für Hartmann waren Theoderich und seine Goten Barbaren und blieben es auch nach der Ansiedlung in Italien. Der Historiker rechnete es dem König jedoch als Verdienst an, dass er Italien eine dreißigjährige Friedensperiode verschafft habe: „Die Bevölkerung dankte ihm grösseren Schutz, als sie seit langem genossen, Rechtssicherheit und eine Administration, die in Folge der straffen Ueberwachung sicherlich besser gewesen ist, als in früheren Zeiten.“69 Nach Hartmann war Theoderichs Politik jedoch kurzsichtig und daher auf Dauer zum Scheitern verurteilt: Der König habe verkannt, dass „das künstlichste System einer äusseren Politik die Stärke des eigenen Staates nicht ersetzen kann“.70 Es habe außerhalb des Gesichtskreises des Königs gelegen, „die verschiedenen Stände oder Gothen und Römer zu verschmelzen oder vollends einen neuen Staat auf neuer Grundlage schaffen zu wollen“.71 Der König habe nicht mehr bezweckt, als sein Reich nach außen abzusichern und im Innern den sozialen Status quo zu konservieren: „Theoderich war 65  Mommsen: Ostgothische Studien (wie Anm. 61), S. 497 (= Gesammelte Schriften, S. 436): „Wie in dem Staate Theoderichs nur der Gothe Soldat sein kann, kann auch er allein Offizier sein. Dem Ausschluss der Gothen von den zivilen Magistraturen steht der Ausschluss der Römer von den Militärbeamten gegenüber.“ 66  Ebd., S. 534  f. (= Gesammelte Schriften, S. 475). Eheverbot: Codex Theodosianus III, 14, 1. 67 Günter Fellner: Ludo Moritz Hartmann und die österreichische Geschichtswissenschaft. Grundzüge eines paradigmatischen Konfliktes. Wien u. a. 1985; Wilhelm Filla/Michaela Jud/Ursula Knittler-Lux (Hg.): Aufklärer und Organisator. Der Wissenschaftler, Volksbildner und Politiker Ludo Moritz Hartmann. Wien 1992. 68  Ludo Moritz Hartmann: Geschichte Italiens im Mittelalter. Bd. 1: Das italienische Königreich. Leipzig 1897. Hartmann konnte diesen Band kurz vor seinem Tod (1923) in einer überarbeiteten Auflage herausbringen. 69  Hartmann: Geschichte Italiens (wie Anm. 68), Bd. 1, S. 227. 70  Ebd., S. 228. 71  Ebd., S. 125.

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nicht einer von denen, welche den Wagen der Geschichte zu lenken scheinen. Er war nicht der Bahnbrecher der Zukunft, sondern nur der vollendetste Ausdruck der Gegenwart.“72 Darum habe es ihm an aktiver Unterstützung durch die römische Bevölkerung seines Reiches gefehlt. Die Senatoren hätten in latenter Opposition gegen die eingewanderten Goten verharrt, weil sie ihre ökonomische und vor allem politische Alleinherrschaft eingebüßt hatten; die breiten Massen der Landbevölkerung hätten in Abhängigkeit von den Großgrundbesitzern gestanden und daher keine Möglichkeit zu politischer Aktivität gehabt. Theoderich selbst habe das geahnt und darum am Ende seines Lebens zu Gewalt und Rechtsbruch seine Zuflucht genommen. Der Untergang des gotischen Reiches war für Hartmann eine notwendige Folge seiner inneren Schwäche; als das gotische Heer Italien vor äußeren Feinden nicht mehr schützen konnte, musste es in sich zusammenbrechen.

Theoderich im Deutschen Kaiserreich: Positivismus und ­Nationalismus Die historische Bedeutung Theoderichs stand im Deutschen Kaiserreich außer Frage; anders als in Italien, Frankreich oder England wurde ihm hier seit der Mitte des 19. Jahrhunderts fast durchweg der Ehrentitel „der Große“ beigelegt.73 In der „Walhalla“ bei Regensburg, die 1842 als „Ehrentempel des Vaterlandes für die rühmlich ausgezeichneten Deutschen“ eingeweiht wurde, erscheint der König unter der Bezeichnung „Theoderich der Große, König der Ostgothen“ unmittelbar nach „Chlodwig, König der Franken“.74 Auch für den preußischen Historiker Otto Hintze (1860–1940), der 1901 eine vertrauliche Denkschrift zur geplanten, aber dann nicht vollzogenen Verleihung des Beinamens „der Große“ an den deutschen Kaiser Wilhelm I. verfasste, stand die historische Größe Theoderichs außer Frage; seiner Ansicht nach trug er diesen Beinamen als „Haupt der Germanenstämme neben dem römischen Kaiser“. 75 Enorme Breitenwirkung erzielte Felix 72 

Ebd., S. 227. Ausnahme bildet Leopold von Ranke: Weltgeschichte. 4. Theil: Das Kaiserthum in Kon­ stantinopel und der Ursprung romanisch-germanischer Königreiche. Berlin 1883, S. 370–445, der Theoderich zwar „Größe“ zubilligte (S. 409), ihn aber nicht als „den Großen“ bezeichnete. Ranke fasst seine Deutung in dem Satz zusammen (S. 445): „Theoderich repräsentirte die Doppelgestalt eines römischen Imperators im Occident und eines Oberhauptes der germanischen Nationen, gesetzliche Ordnung und factische Unabhängigkeit.“ 74  Zur „Walhalla“, deren Bau bereits 1827 begonnen hatte, vgl. das von ihrem königlichen Stifter höchstpersönlich verfasste Begleitbuch „Walhalla’s Genossen geschildert durch König Ludwig den Ersten von Bayern den Gründer Walhalla’s“ (München 1842) sowie Thomas Nipperdey: Nationalidee und Nationaldenkmal in Deutschland im 19. Jahrhundert. In: HZ 206 (1968), S. 529– 585; auch abgedruckt in: ders.: Gesellschaft, Kultur, Theorie. Gesammelte Aufsätze zur neueren Geschichte. Göttingen 1976, S. 133–173. 75  Bernhard vom Brocke: Über den Beinamen „der Große“ von Alexander dem Großen bis zu Kaiser Wilhelm „dem Großen“. Annotationen zu Otto Hintzes Denkschrift „Die Bezeichnung ‚Kaiser Wilhelm der Große‘“für Friedrich Althoff (1901). In: Wolfgang Neugebauer (Hg.): Das 73  Eine

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Dahns Roman „Ein Kampf um Rom“, der 1876, wenige Jahre nach der Reichsgründung, erschien und bis 1914 nicht weniger als 126 Auflagen erlebte.76 Im ­Roman befällt den sterbenden Theoderich Schwermut, weil er um seines Reiches Schwäche weiß und sich eingestehen muss, dass er durch seine Großmut gegenüber den Römern selbst dazu beigetragen hat. Vor allem aber quält ihn der Gedanke, dass er durch den Mord an Odovakar eine Schuld auf sich geladen habe, von der ihn kein Gott erlösen könne. Die Vorstellung, der Untergang des gotischen Reiches in Italien sei „der letzte Akt einer großartigen Tragödie der Geschichte“ gewesen,77 drang durch Dahns Roman in breite Kreise und hielt sich bis nach 1945. Trotz seiner Popularität reizte Theoderich im Kaiserreich weder Althistoriker noch Mediävisten zu einer biographischen Darstellung. Der Leipziger Historiker und Bibliothekar Ludwig Schmidt (1862–1944) behandelte 1905 in seiner „Geschichte der deutschen Stämme“ die Geschichte der Ostgoten nur „bis zur Gründung des italienischen Reiches“.78 Erst die zweite, völlig neubearbeitete Auflage dieses Werks, die mehr als drei Jahrzehnte später (1941) im „Dritten Reich“ erschien, enthält eine ausführliche Darstellung des Gotenreiches in Italien, die nach Außen- und Innenpolitik gegliedert ist.79 Schmidt verstand die Geschichte der Ostgoten als Odyssee eines germanischen Stammes, den es von Skandinavien ans Schwarze Meer und von dort über den Balkan bis nach Italien verschlug. Dem italischen Reich Theoderichs mangelte es seiner Ansicht nach aufgrund „nationaThema „Preußen“ in Wissenschaft und Wissenschaftspolitik des 19. und 20. Jahrhunderts. Berlin 2006, S. 231–267 (mit dem Text der Denkschrift). 76  Felix Dahn: Ein Kampf um Rom. Leipzig 1876. Das Buch erschien bereits zwei Jahre später unter dem Titel „A Struggle for Rome – The Ostrogoths and Belisarius“ (London 1878) in englischer Übersetzung. Man liest Dahns Roman heute am besten in der DTV-Ausgabe (München 2003), zu der Hans-Rüdiger Schwab auf S. 1065–1129 unter dem Titel „Helden, hoffnungslos. Felix Dahns ‚Ein Kampf um Rom‘ als gründerzeitliche Schicksalstragödie“ ein vorzügliches Nachwort beigesteuert hat. Vgl. weiterhin Rainer Kipper: Der Germanenmythos im deutschen Kaiserreich. Formen und Funktionen historischer Selbstthematisierung. Göttingen 2002, S. 118– 150; Stefan Neuhaus: Literatur und nationale Einheit in Deutschland. Tübingen 2002, S. 230–243; Hans-Rudolf Wahl: Die Religion des deutschen Nationalismus. Eine mentalitätsgeschichtliche Studie zur Literatur des Kaiserreichs: Felix Dahn, Ernst von Wildenbruch, Walter Flex. Heidelberg 2002, S. 31–148; Wood: Origins (wie Anm. 15), S. 191–198. Die Ehrenrettung bei Jan Philipp Reemtsma: Untergang. Eine Fußnote zu Felix Dahns Kampf um Rom. In: Rechtsgeschichte 5 (2004), S. 76–106, ist verfehlt. 77  Theoderich auf dem Totenbett: Dahn: Kampf um Rom (wie Anm. 76), Kap. I, 6. Tragischer Untergang: ebd., Kap. VII, 5. 78  Ludwig Schmidt: Die Geschichte der deutschen Stämme bis zum Ausgang der Völkerwanderung. Berlin 1904–1918, hier: Heft 10. Berlin 1905, S. 103–163: „Die Ostgoten vom Einbruch der Hunnen bis zur Begründung des italienischen Reiches“. Eine kurze Skizze der Herrschaft Theoderichs (einschließlich der italischen Phase) gab Schmidt im „Handbuch der mittelalterlichen und neueren Geschichte“: Allgemeine Geschichte der germanischen Völker bis zur Mitte des sechsten Jahrhunderts. München u. a. 1909, S. 88–99. 79 Ludwig Schmidt: Das Reich Theoderichs des Großen. In: ders.: Geschichte der deutschen Stämme bis zum Ausgang der Völkerwanderung. Bd. 2: Die Ostgermanen. München 1941, S. 337– 397.

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ler Gegensätze“ an innerer Kraft und Festigkeit, um sich auf Dauer gegen „Byzanz“ behaupten zu können. Mit solchen Deutungen bewegte er sich im Rahmen von Vorstellungen, die im Kaiserreich verbreitet waren und kaum jemals hinterfragt wurden – von den „nationalen Gegensätzen“ zwischen Goten und Römern bis hin zur „Treulosigkeit der byzantinischen Politik“. Dabei verfuhr Schmidt streng positivistisch, indem er sich mit expliziten Wertungen zurückhielt und seine Interpretationen als evidente Folgerungen aus glaubwürdig bezeugten Tatsachen ausgab, die durch methodische Quellenkritik zu ermitteln waren. Schmidt hielt damit Distanz zu den Rassenlehren der Nationalsozialisten, deren Anwendung auf Theoderich er 1939 in einem mutigen Aufsatz sogar ausdrücklich als unwissenschaftlich zurückwies.80 Wegen der sorgfältigen Verarbeitung der schriftlichen Quellen wurde sein Werk 1969 nachgedruckt und ist bis heute als Arbeitsinstrument im Gebrauch, wenngleich es nur noch selten zitiert wird. Die erste Theoderich-Biographie in deutscher Sprache erschien wenige Jahre vor dem Ersten Weltkrieg in einer Reihe mit dem Titel „Weltgeschichte in Karakterbildern“.81 Ihr Verfasser war Georg Pfeilschifter (1870–1936), ein katholischer Kirchenhistoriker nationalliberaler Gesinnung, der als Theologe außerhalb der historischen Zunft stand. Pfeilschifter hatte sich 1896 in Münster mit einer Arbeit über die Kirchenpolitik Theoderichs habilitiert;82 das offizielle Ende des „Kulturkampfes“ zwischen preußischem Staat und katholischer Kirche lag damals erst neun Jahre zurück. Pfeilschifter sah das „Hauptverdienst Theoderichs um die katholische Kirche“ darin, dass er ihre innere Freiheit nicht angetastet und sie „gegen das weitere Umsichgreifen des kaiserlicherseits begünstigten Monophysitismus und damit auch gegen alle Übergriffe byzantinischer Kaisertyrannei“ geschützt habe.83 In der Judenpolitik sah er eine „geduldige und duldsame Ertragung der Irrenden“ und hielt fest, dass der König „an der Lage der Juden, so wie er sie vorgefunden, wesentliches nicht geändert“ habe.84 Pfeilschifter stand ganz im Bann nationalistischer Ideen. Seiner Auffassung nach isolierte der König die Goten von den Römern, weil eine Vermischung zum Untergang der Goten als 80  Ludwig

Schmidt: Theoderich der Große, römischer Patricius und König der Goten. In: Zeitschrift für schweizerische Geschichte 19 (1939), S. 404–414; vgl. auch ders.: Das germanische Volkstum in den Reichen der Völkerwanderung. In: Historische Vierteljahresschrift 29 (1934), S. 417–440. 81  Georg Pfeilschifter: Theoderich der Große. Mainz 1910. 82  Georg Pfeilschifter: Theoderich der Große und die katholische Kirche. Münster i. W. 1896. Nach Pfeilschifter wurde das Thema erst von Erich Caspar im Rahmen seiner monumentalen Geschichte des Papsttums wieder umfassend behandelt; Erich Caspar: Das Papsttum unter Theoderich d. Gr. (489–526) und die Beendigung des Schisma: ‚Papa a nemine iudicatur‘. In: ders.: Geschichte des Papsttums. Bd. 2: Das Papsttum unter byzantinischer Herrschaft. Tübingen 1933, S. 82–192. Eckhard Wirbelauer: Zwei Päpste in Rom. Der Konflikt zwischen Laurentius und Symmachus. Studien und Texte. München 1993, hat eine neue Anordnung der Dokumente zum „Laurentianischen Schisma“ vorgeschlagen, diese aber nur thesenhaft begründet. Die angekündigte Edition mit Kommentar ist bis heute nicht erschienen. 83  Pfeilschifter: Theoderich der Große und die katholische Kirche (wie Anm. 82), S. 215  f. 84  Ebd., S. 220, S. 222.

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Volk geführt hätte. Das aber habe er nicht wollen können, „weil er ein starkes gotisches Selbstgefühl hatte und national gotisch dachte“.85 Der König sei durchaus kein Romantiker, kein Illusionär gewesen, wie Dahn meinte. Vielmehr habe er aus Einsicht in die Beschränktheit seiner Machtmittel versucht, „die germanischen Bruderstämme in ein mächtiges Allianzsystem zusammenzufassen“, um dem übermächtigen Kaisertum auf diese Weise Paroli bieten zu können.86 Den Beinamen der Große habe Theoderich vollauf verdient, weil er allein unter den germanischen Herrschern seiner Zeit „durch seine zielbewußte und konsequente innere Politik größere und dauernde kulturelle Werte zu schaffen verstanden“ habe.87 Die Zwischenkriegszeit war durch eine sich rasch verzweigende Spezialforschung geprägt, wenn man von Lexikonartikeln über Theoderich absieht.88 Zwei Monographien, die für lange Zeit grundlegend waren, verdienen eine Hervorhebung: zum einen die während des Ersten Weltkriegs verfasste Monographie des finnischen Althistorikers Johannes Sundwall (1877–1966) über die weströmischen Senatoren in den Reichen Odovakars und Theoderichs.89 Sundwall erfasste diesen Personenkreis in einer für die damalige Zeit erstaunlich vollständigen Weise und stellte der Forschung damit ein Arbeitsinstrument zur Verfügung, das erst durch das Erscheinen des zweiten Bandes der „Prosopography of the Later Roman Empire“ im Jahre 1980 ersetzt wurde.90 Als wirkmächtig erwies sich aber auch Sundwalls Interpretation der inneren Konfliktlinien im Gotenreich. Auf Sundwall geht das Modell zurück, dass eine „national-römische Partei“ sich in stetem Kampf mit einer probyzantinischen „Reichspartei“ unter den Senatoren befunden habe und dieser schließlich unterlegen sei. Zum anderen ist die 1928 veröffentlichte, systematische Bearbeitung der im italischen Gotenreich geprägten Münzen durch den Numismatiker Franz Ferdinand Kraus zu nennen.91 Diese Arbeit stellte die Forschung zur Münzprägung und Geldgeschichte auf eine neue Grundlage; bis dahin war man für dieses Thema auf eine Abhandlung von Julius Friedländer aus dem 85 

Zum Nationalgefühl Theoderichs Pfeilschifter: Theoderich der Große (wie Anm. 81), S. 37. S. 97: „Was ihm vorschwebte, war eine Art Pangermanismus, mit welchem er der Allmacht des durch Byzanz verkörperten römischen Reichsgedankens das Gleichgewicht halten wollte.“ 87  Ebd., S. 98. 88  Assunta Nagl: Theoderich der Große. In: RE, Bd. V A, 2 (1934), Sp. 1745–1771. 89  Johannes Sundwall: Abhandlungen zur Geschichte des ausgehenden Römertums. Helsingfors 1919. 90  Erst Christoph Schäfer: Der weströmische Senat als Träger antiker Kontinuität unter den Ostgotenkönigen (490–540 n. Chr.). St. Katharinen 1991, ersetzte das Deutungsmodell Sundwalls durch ein neues: Demzufolge bestand unter den Senatoren eine Rivalität zwischen Aufsteigern, die in Oberitalien verwurzelt gewesen seien und im Dienst des Königs illustren Rang erworben hätten, auf der einen Seite und „Aristokraten“, Angehörigen alter Adelsfamilien, die in Rom ansässig und in Mittelitalien begütert gewesen seien, auf der anderen. Vgl. dagegen den Beitrag von Peter Eich in diesem Band. 91 Franz Ferdinand Kraus: Die Münzen Odovakars und des Ostgotenreiches in Italien. Halle a. d. S. 1928. Das Buch wurde 1967 in Bologna nachgedruckt. Kraus konnte aber bereits auf den Katalog der ostgotischen Münzen im British Museum zurückgreifen: Warwick Wroth: Catalogue of the Coins of the Vandals, Ostrogoths and Lombards in the British Museum. London 1911. 86  Ebd.,

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Jahr 1844 angewiesen gewesen.92 Die Monographie von Kraus, der sich von dem Althistoriker Ernst Stein beraten ließ, ist wegen der eingehenden Kommentierung bis heute wertvoll geblieben, wenngleich die Münzen inzwischen durch Michael Metlich neu bearbeitet worden sind.93

Theoderich im „Dritten Reich“: Völkisches Denken, Germanenkult und Rassismus Im faschistischen Italien hielt sich das Interesse für Theoderich und seine Goten in engen, akademischen Grenzen. Das erklärte Vorbild Mussolinis war das Imperium Romanum zur Zeit des Augustus.94 In Deutschland wurde Theoderich nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg zunehmend für völkische Ideen in Anspruch genommen. Der Publizist Willy Pastor (1867–1933) porträtierte Theoderich 1920 für ein breites Publikum als großen Deutschen, der wie Friedrich der Große und Bismarck „Geschichte gemacht“ habe und einer „deutschen Wiedergeburt“ als Vorbild dienen könne.95 In Broschüren und Traktaten wurde nach 1933 das Bild eines germanischen Volkskönigs verbreitet, der unter der Sonne Italiens ein weises Regiment geführt habe.96 Aber der gotische König ließ sich nur schwer für antisemitische Lehren beanspruchen, da er die Juden gegen gewaltsame Ausschreitungen geschützt hatte. Zudem war das Konzept einer Herrschaft über zwei gleichberechtigte Völker nicht mit nationalistischem und erst recht nicht mit rassischem Denken zu vereinbaren. Erschwerend kam hinzu, dass Theoderich mit Odovakar einen König heimtückisch getötet hatte, der ebenfalls als Germane galt. Der ­NSDAP-Funktionär Alexander Freiherr von Wangenheim (1872–1959) machte darum 1925 mit Bedacht nicht Theoderich, sondern Odovakar zum Helden eines „kulturgeschichtlichen Romans“ über „Das Ende West-Roms“.97 Wilhelm Schäfer 92 

Julius Friedländer: Die Münzen der Ostgothen. Berlin 1844. A. Metlich: The Ostrogothic Coinage in Italy from A. D. 476. With a Die Study of Theodahadus’ Folles by E. A. Arslan. London 2003; vgl. dazu die kritischen Rezensionen von Alan M. Stahl, in: Journal of Roman Archaeology 18 (2005), S. 753–755 und Cécile Morrison, in: Revue Numismatique6 162 (2006), S. 475–478. 94  Andrea Giardina/André Vauchez: Il mito di Roma. Da Carlo Magno a Mussolini. Rom 2000, S. 212–296. 95  Willy Pastor: Theoderich, im Leben, in der Kunst, im Ruhm. Berlin 1920. Zum Verfasser siehe Ingo Wiwjorra: Willy Pastor (1867–1933). Ein völkischer Vorgeschichtspublizist. In: Michael Meyer (Hg.): „… trans Albim fluvium“. Forschungen zur vorrömischen, kaiserzeitlichen und mittelalterlichen Archäologie. Festschrift für Achim Leube zum 65. Geburtstag. Berlin 2001, S. 11–24. 96 Herbert Reier: Theoderich der Große. Heldische Geisteshaltung im Spiegel römischer Geschichtsschreibung (Reden und Aufsätze zum nordischen Gedanken, Heft 9). Leipzig 1934; Josef Prestel: König Theoderich. Berlin/Leipzig 1935; Hermann Eicke: Theoderich. König, Ketzer und Held (Die Welt der Germanen, Heft 12). Leipzig 1938; Hermann Neumann: Theoderich der Große. Der Herr Italiens (Germanische Führergestalten, Heft 5). Langensalza/Berlin/Leipzig 1937 (2. Auflage 1939). 97  Alexander Freiherr von Wangenheim: Das Ende West-Roms. Odoakar, ein Germanenschicksal. Köslin 1925. Der Untertitel „Kulturgeschichtlicher Roman“ begegnet seit der 2. und 3. Auflage, Leipzig 1928. 93  Michael

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(1868–1952), ein Lieblingsautor Adolf Hitlers, löste das Dilemma in seinem 1939 veröffentlichten Roman „Theoderich. König des Abendlands“, indem er Theoderich wahrheitswidrig als „rassebewußten“ Christen und Feind der Juden darstellte. Den Makel des Eidbruchs und Mordes beseitigte Schäfer, indem er Theoderich in einem ritterlichen Zweikampf über Odovakar siegen ließ.98 Die akademische Wissenschaft sperrte sich mehrheitlich gegen eine so plumpe Geschichtsklitterung. Aber es gab doch vereinzelte Versuche, „Rassenlehren“ in die Geschichtsbetrachtung einzuführen. Der Prähistoriker Hans Reinerth (1900– 1990) gab 1940 im Auftrag des „Reichsamts für Vorgeschichte der NSDAP“ eine dreibändige, reich bebilderte „Vorgeschichte der deutschen Stämme“ heraus; die Darstellung der Goten übernahm Georg („Gogo“) Müller-Kuales (1905–1945), der damals Assistent und später Dozent am 1934 gegründeten „Institut für Vorgeschichte und germanische Frühgeschichte“ der Universität Hamburg war.99 Das NSDAP-Mitglied Müller-Kuales lokalisierte die „zweite Heimat“ der Goten in Südrussland und auf der Krim und lieferte dadurch der geplanten „Rückeroberung“ von „Lebensraum“ im Osten eine pseudo-historische Legitimation;100 er lobte Theoderich als sozialen Reformer, der zugunsten der „produktiven Bevölkerungsschichten“ aufgetreten sei, und rühmte die kulturelle Leistung seiner Goten.101 Zu der Frage, weshalb das Gotenreich in Italien Theoderich nicht lange überdauerte, äußerte er sich nicht; den Untergang des Gotenreiches in Hispanien jedoch führte er ausdrücklich auf eine durch „Blutmischung“ verursachte „innere Verwelschung“ zurück.102 In der Germanistik propagierte der parteilose, katholische Antisemit Otto Höfler (1901–1987) ein Germanenbild, das dem Auftreten und Selbstverständnis der SS zum Verwechseln ähnlich war. Er entdeckte die „politische Gestaltungskraft“ der Germanen in Männerbünden, deren jugendliche  98 

Wilhelm Schäfer: Theoderich. König des Abendlands. München 1939 (2. Auflage 1942). Zweikampf: S. 108–110. Antisemitisches Christentum: S. 162 f.; vgl. S. 165–167.  99  Gogo Müller-Kuales: Die Goten. In: Hans Reinerth (Hg.): Vorgeschichte der deutschen Stämme. Germanische Tat und Kultur auf deutschem Boden. 3 Bde. Leipzig/Berlin 1940, hier: Bd. 3: Ostgermanen und Nordgermanen, S. 1149–1247. Dem ersten Band ist ein unpaginiertes Geleitwort des „Reichsleiters“ Alfred Rosenberg vorangestellt. Über Müller-Kuales, der 1939 zum Wehrdienst eingezogen wurde und kurz vor Kriegsende fiel, Arne Homann: „1934 errichtet gegen Wegfall des Ord. Lehrstuhls für Romanische Sprachen und Kulturen“. Zu den Anfängen des Faches Vor- und Frühgeschichte an der Hamburger Universität. In: Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte 94 (2008), S. 89–116, hier: S. 109–116. 100  Müller-Kuales: Die Goten (wie Anm. 99), S. 1166–1197. Der Prähistoriker Herbert Jankuhn (1905–1990) raubte 1941–1943 im Auftrag des SS-„Ahnenerbes“ aus sowjetischen Bibliotheken und Museen Objekte, die als Belege für eine „germanische Kolonisation des Südostraums“ galten; vgl. dazu Christian Hufen: Gotenforschung und Denkmalpflege. Herbert Jankuhn und die Kommandounternehmen des ‚Ahnenerbes‘ der SS. In: Wolfgang Eichwede/Ulrike Hartung (Hg.): „Betr.: Sicherstellung“. NS-Kunstraub in der Sowjetunion. Bremen 1998, S. 75–95. 101  Müller-Kuales: Die Goten (wie Anm. 99), S. 1227–1239. Müller-Kuales, der dem „Amt Rosenberg“ unterstand, erwähnte weder Höfler noch Giesecke oder Vetter. 102  Müller-Kuales: Die Goten (wie Anm. 99), S. 1246. Müller-Kuales vertrat zudem die Auffassung, die Kroaten seien gotischer Abstammung, wie die Ustascha-Ideologen behaupteten: ebd., S. 1221–1224.

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Mitglieder in kultischer Ekstase erlebt hätten, wie ihre Ahnen in der eigenen Brust wieder lebendig wurden, und in einem sakralen Königtum, in welchem der König mit dem Gott Wodan eins geworden sei. Der Runenstein von Rök galt Höfler als Beweis, dass der Glaube an Theoderich als „Führer des Totenheers“ noch im Schweden des 9. Jahrhunderts lebendig gewesen sei.103 Höfler machte im „Dritten Reich“ eine steile Karriere, die ihn 1938 auf einen Lehrstuhl für Germanistik, deutsche Volkskunde und Nordistik nach München führte.104 In Berlin wurde 1939 der SS-Mann Heinz-Eberhard Giesecke (1913–1991) mit einer Dissertation über das Thema „Die Ostgermanen und der Arianismus“ promoviert; als Betreuer fungierte der damals einflussreiche Althistoriker Wilhelm Weber (1882–1948).105 Giesecke wollte für die Ostgermanen ein „artgemäßes“ Christentum nachweisen, das in Christus nicht den Erlöser, sondern den Lehrer gesehen, die Schicksalsgebundenheit menschlichen Daseins und die unfassbare Hoheit Gottes betont habe. Theoderich sei es gelungen, die Mitte zwischen Goten und Römern zu wahren, ohne die Eigenart seines Volkes preiszugeben, während seine Nachfolger als „Führer ihres Volkes“ versagt hätten.106 Diese Interpretation fand bei Theologen, die sich als „Deutsche Christen“ verstanden, durchaus Anklang, wurde von Kirchen- und Religionshistorikern jedoch zurückgewiesen.107 Die Dissertation über „Die Ostgoten und Theoderich“, mit der ein Jahr früher Gerhard Vetter ebenfalls in Berlin promoviert worden war, basierte auf den Rasselehren des NS-Ideologen Hans F. K. Günther (1891–1965). Die Arbeit erschien in der angesehenen Reihe „Forschungen zur Kirchen- und Geistesgeschichte“, die von Weber mit herausge103 

Otto Höfler: Kultische Geheimbünde der Germanen. Frankfurt a. M. 1934; ders.: Das germanische Kontinuitätsproblem. In: HZ (1938), S. 1–26; ders.: Die politische Leistung der Völkerwanderungszeit. Neumünster 1939; ders.: Gab es ein Einheitsbewußtsein der Germanen? In: Deutsche Kultur im Leben der Völker. Mitteilungen der Akademie zur wissenschaftlichen Erforschung und zur Pflege des Deutschtums 15 (1940), S. 177–189, bes. S. 181–183 (zum Runenstein von Rök). Höfler hat diese Gedanken auch nach dem Ende des „Dritten Reiches“ weiter vertreten: Germanisches Sakralkönigtum. Bd. 1: Der Runenstein von Rök und die germanische Individualweihe. Tübingen 1952. 104  Heinrich Beck: Otto Höfler. In: RGA, Bd. 15 (2000), Sp. 30–34; Esther Gajek: Germanenkunde und Nationalsozialismus. Zur Verflechtung von Wissenschaft und Politik am Beispiel Otto Höflers. In: Walter Schmitz/Clemens Vollnhals (Hg.): Völkische Bewegung – konservative Revolution – Nationalsozialismus. Aspekte einer politisierten Kultur. Dresden 2005, S. 325–355. 105  Heinz-Eberhard Giesecke: Die Ostgermanen und der Arianismus. Leipzig/Berlin 1939. Giesecke war im Zweiten Weltkrieg als Dozent auf der NS-„Ordensburg“ Sonthofen tätig. 106  Ebd., S. 57–61 („Die Weltanschauung des germanischen Arianismus“), S. 116–139 („Der Arianismus im Ostgotenreich“). Auf Theoderichs Duldsamkeit gegenüber den Juden ging Giesecke nur in einer Fußnote ein (S. 125, Anm. 33) und erklärte sie als Anlehnung an die kaiserliche Politik. 107  Zum Arianismus als „arteigenes Christentum“ vgl. Hanns Christof Brennecke: Der sog. germanische Arianismus als arteigenes Christentum. Die völkische Deutung der Christianisierung der Germanen im Nationalsozialismus. In: Thomas Kaufmann/Harry Oelke (Hg.): Evangelische Kirchenhistoriker im Dritten Reich. Gütersloh 2002, S. 310–329. Zur fachwissenschaftlichen Rezep­ tion siehe die Rezension des evangelischen Kirchenhistorikers Kurt Dietrich Schmidt (1896–1964), der seinen Lehrstuhl in Göttingen 1935 wegen seines Widerstands gegen den „Reichsbischof“ Ludwig Müller verloren hatte, in: DLZ 61 (1940), Sp. 773–776 und die Rezension des Religionswissenschaftlers Walter Baetke (1884–1978), in: Theologisches Literaturblatt 61 (1941), S. 113–115.

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geben wurde.108 Vetter gab sich reichlich Mühe, bei Theoderich ein „gesundes Rasseempfinden“ nachzuweisen, musste aber eingestehen, dass der König sich von den „Kraftquellen nordischen Menschentums“ zu weit entfernt habe, als er in Italien ein gotisches Königtum gründete.109 Dieser „Versuch einer rassenkundlichen Geschichtsbetrachtung“, wie es im Untertitel der Fakultätsfassung heißt, stieß jedoch fast durchgängig auf Ablehnung. Der Althistoriker Wilhelm Enßlin (1885–1965) unterzog Vetters Buch einer vernichtenden Kritik; der Prähistoriker Hans Zeiss (1865–1944), der selbst NSDAP-Mitglied war, äußerte sich scharf ablehnend.110 Ludwig Schmidt, der Nestor der deutschen Germanenforschung, sprach unerschrocken von einer „Tendenzschrift“. Der Althistoriker Alexander Graf Schenk von Stauffenberg (1905–1964), auch er ein Schüler Wilhelm Webers, rühmte Theoderich 1937 auf dem 19. Historikertag in Erfurt als „den letzten römischen Herrscher, den ersten und einzigen Germanen als Gebieter des römischen Abendlands“ und erregte damit den Unwillen Walter Franks, des Leiters des 1935 gegründeten „Reichsinstituts für Geschichte des neuen Deutschlands“.111

Theoderich als Wegbereiter des Abendlands: Wilhelm Enßlin Wie Stauffenberg betonte auch Wilhelm Enßlin im „Dritten Reich“ die „römische Sendung“ Theoderichs.112 Enßlin arbeitete seit den 1930er-Jahren an einer breit 108  Gerhard

Vetter: Die Ostgoten und Theoderich. Stuttgart 1938. Als Berichterstatter wird neben Weber und Günter auch der Mediävist Albert Brackmann genannt (1871–1952), der ebenfalls eng mit dem NS-Regime verbunden war. 109  Ebd., S. 63: „Zuzugeben ist, daß ihn das Schicksal auf einen verlorenen Posten gestellt hat, wenn die Erhaltung der Rasse auf ihrem Boden das Wesentliche ist. Aber bis zuletzt hat er diesen Posten gehalten durch Glück, durch überlegenes Können. Sein Volk mußte untergehen, denn es hatte Grenzen überschritten, die offenbar keiner überschreiten darf, ohne seinen Eigenwert zu verlieren.“ 110  Vgl. die Rezension von Wilhelm Enßlin, in: Byzantinische Zeitschrift 40 (1940), S. 168–175; die Rezension von Hans Zeiss, in: HZ 162 (1940), S. 368 f. In einem Literaturbericht über „Die Zeit der Völkerwanderung“ bezweifelte Zeiss sogar, „ob die Themenwahl überhaupt glücklich war“: Jahresberichte für Deutsche Geschichte 14 (1938), S. 238–240, hier: S. 239. 111  Zum Historikertag in Erfurt vgl. Volker Losemann: Nationalsozialismus und Antike. Studien zur Entwicklung des Fachs Alte Geschichte 1933–1945. Hamburg 1977, S. 88. Stauffenbergs Vortrag wurde gedruckt; Alexander Graf Schenk von Stauffenberg: Theoderich der Große und seine römische Sendung. In: Würzburger Studien zur Altertumswissenschaft 13 (1938), S. 115–129; auch abgedruckt in: ders.: Das Imperium und die Völkerwanderung. München 1948, S. 128–142 (Zitat: S. 142); vgl. auch ders.: Theoderich und Chlodwig. In: Peter Richard Rohden (Hg.): Gestalter deutscher Vergangenheit. Potsdam 1937, S. 39–53; auch abgedruckt in: ders.: Das Imperium und die Völkerwanderung. München 1948, S. 143–156. Zu Person und Oeuvre Stauffenbergs siehe Karl Christ: Der andere Stauffenberg. Der Historiker und Dichter Alexander von Stauffenberg. München 2008. Der Althistoriker war ein Bruder des Hitler-Attentäters. 112 Wilhelm Enßlin: Germanen in römischen Diensten. In: Gymnasium 52 (1941), S. 5–25; ders.: Das Römerreich unter germanischer Waltung, von Stilicho bis Theoderich. In: Helmut Berve (Hg.): Das neue Bild der Antike. Bd. 2: Rom. Leipzig 1942, S. 412–432. Enßlin schließt den an zweiter Stelle zitierten Aufsatz mit der im Erscheinungsjahr 1942 provozierenden Erklärung, er

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angelegten Biographie Theoderichs des Großen, die freilich erst 1947, nach dem Ende des Unrechtsregimes, erscheinen konnte.113 Der Althistoriker hatte sich auf diese Aufgabe gründlich vorbereitet. In vielen Studien, die zumeist in der „Realenzyklopädie des classischen Altertums“ erschienen, hatte er sich als Spezialist für die Personenkunde und Verwaltungsgeschichte des spätrömischen Reiches einen Namen gemacht. Einige dieser Studien – so etwa diejenige über das Heermeisteramt oder über den praefectus praetorio – entsprechen nach Gehalt und Umfang Monographien.114 Auch wenn Enßlin auf die Umstände, unter denen seine Biographie Theoderichs entstand, an keiner Stelle eingeht, kann und sollte man sein Buch als Absage eines konservativen Historikers an den Germanen-Kult der NS-Zeit lesen. Enßlin stellte das „germanische Wesen“ Theoderichs keineswegs infrage. Aber dieses „germanische Wesen“ blieb in seiner Darstellung ebenso ­unbestimmt wie die „germanische Volkskraft“. Für Enßlin gehörte Theoderich in eine Reihe mit Germanen wie Stilicho und Rikimer, die sich in den Dienst Roms gestellt hätten, weil sie die Überlegenheit der antiken Kultur erkannt hätten. Entscheidend war für Enßlin darum nicht das „germanische Wesen“, sondern die „Romverbundenheit“ Theoderichs: Der König war für ihn „der letzte der Germanen, der, vom Geiste Roms berührt, germanische Volkskraft und sich selbst für die alte Römerwelt eingesetzt hat“. Theoderich habe seinem Zeitalter geradezu den eigenen Stempel aufgedrückt: „Dank seiner überragenden Eigenschaften verstand er es lange Zeit, die Schwierigkeiten, die in seinem Planen des Nebeneinanders und Füreinanders von Goten und Römern lagen, zu meistern.“115 Enßlin war der Auffassung, dass die staatliche Verwaltung im gotischen Italien, die er sehr detailliert beschrieb, die Anweisungen der königlichen Zentrale sehr effizient umsetzte. Seiner Ansicht nach war der König mit großem Erfolg bemüht, Römer und Goten auf die Wahrung der Rechtsordnung zu verpflichten. Civilitas blieb im Reich Theoderichs seiner Ansicht nach nicht nur Programm und war schon gar keine leere Propaganda, sondern gelebte Realität. Nach Enßlin bestand der „Plan habe mit seinen Ausführungen „ganz bescheiden zeigen wollen, daß, wer Spätantike sagt, unter anderem auch Germanentum sagen muß“ (S. 432). Vgl. zu Person und Werk Karl Christ: Römische Geschichte und deutsche Geschichtswissenschaft. München 1982, S. 148–150; Beat Näf: Wilhelm Enßlin und die Spätantike. In: Volker Losemann/Kai Ruffing (Hg.): In solo barbarico … Das Seminar für Alte Geschichte der Philipps-Universität Marburg von den Anfängen bis in die 1960er Jahre. Münster/New York 2017, S. 187–212. 113  Wilhelm Enßlin: Theoderich der Große. München 1947. Eine zweite, im Text unveränderte Auflage mit anderer Seitenzählung erschien 1959 noch zu Lebzeiten des Verfassers am selben Ort. 114  Wilhelm Enßlin: Zum Heermeisteramt des spätrömischen Reiches. Teil I: Die Titulatur der magistri militum bis auf Theodosius I. In: Klio 23 (1930), S. 306–325; Teil II: Die magistri militum des 4. Jahrhunderts. In: Klio 24 (1931), S. 102–147; Teil III: Der magister utriusque militiae et patricius des 5. Jahrhunderts. In: Klio 24 (1931), S. 467–502; ders.: Praefectus praetorio. In: RE, Bd. XX, 2 (1954), Sp. 2391–2502. Andere wichtige Artikel sind zitiert bei Christ: Römische Geschichte (wie Anm. 112), S. 188, Anm. 149. 115  Enßlin: Theoderich der Große (wie Anm. 113), S. 353 (= 2. Auflage, S. 344). Zwei Sätze später heißt es auf derselben Seite: „Nicht vergessen blieb aber, daß dieser Herrscher Germane gewesen und trotz allem in seinem innersten Wesen geblieben war.“

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Theoderichs“ darin, dass die Goten sich den Römern zwar angleichen, aber nicht mit ihnen vermischen sollten: „sein Heervolk sollte sich wohl der höheren Zivi­ lisation anbequemen und einfügen, aber seine Volkskraft rein erhalten.“116 Die Regierung Theoderichs bescherte Italien Enßlin zufolge geradezu ein „Goldenes Zeitalter“. Wirtschaft, Wissenschaft und Bildung seien aufgeblüht, weil sie vom König gegen äußere Bedrohungen geschützt und in ihrer Entwicklung gefördert wurden. Die Voraussetzung sei gewesen, dass der König in der Außenpolitik stets kluge Selbstbeschränkung geübt habe; keineswegs habe er „vom abendländischen Reich geträumt oder die Vision eines römisch-germanischen abendländischen Reiches beschworen“, wie so viele Historiker vor ihm gemeint hatten.117 Theoderichs außenpolitisches Ziel sei vielmehr ein „Gleichgewichtssystem mit dem Ziel der allgemeinen Befriedung“ gewesen. Als Hauptschuldigen für das Scheitern dieser Politik machte Enßlin den Franken Chlodwig aus, der, „unbeschwert von der Romtradition, obwohl er Katholik geworden war, die Ausweitung seiner Macht“ betrieben habe.118 Enßlins Biographie Theoderichs wurde bei ihrem Erscheinen im In- und Ausland sogleich als Standardwerk begrüßt und 1959 unverändert nachgedruckt.119 Für den Erfolg beim breiten Publikum waren neben den handwerklichen Vorzügen der detailgenauen Darstellung ohne Zweifel auch außerwissenschaftliche Faktoren verantwortlich. Eine Generation, die den Zweiten Weltkrieg überlebt hatte, fand in diesem Buch eine Gestalt, die einerseits vertraut wirkte und andererseits vieles von dem verkörperte, was nach der politischen und moralischen Katastrophe ersehnt wurde: einen germanischen Helden, der die antike Kultur bewahren wollte, der als König Italiens seinem Volk verbunden blieb, aber die Rechte aller Untertanen schützte und ihren Wohlstand förderte, der vor allem nach außen für Frieden und Verständigung unter den Herrschern des westlichen Europas eintrat. Der Theoderich Enßlins ließ sich unter die Wegbereiter des Abendlandes einreihen.

Theoderich nach 1945: Rückgriff auf die wissenschaftliche Tradition Während Enßlin als deutscher Lehrstuhlinhaber an seiner Biographie Theoderichs arbeitete, beschäftigte sich auch der Byzantinist Ernst Stein (1891–1945), ein Schüler von Ludo Moritz Hartmann, intensiv mit dem Gotenreich in Italien. Im Gegensatz zu Enßlin war Stein allerdings ein erklärter Gegner des NS-Regimes. Er war 116 

Ebd., S. 193 (= 2. Auflage, S. 188). S. 352 (= 2. Auflage, S. 343). Enßlin wendet sich an dieser Stelle gegen Alexander von Stauffenberg. 118  Ebd., S. 353  f. (= 2. Auflage, S. 343 f.). 119  Die Rezensionen waren durchweg positiv, ja teilweise enthusiastisch; siehe zum Beispiel Gastone M. Bersanetti, in: Rivista storica italiana 61 (1949), S. 286–289; Arthur E. R. Boak, in: Speculum 24 (1949), S. 269 f.; Heinz Löwe, in: HZ 170 (1950), S. 566–574 und Siegfried Jan de Laet, in: Latomus 10 (1951), S. 429. 117  Ebd.,

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seit 1937 Professor in Löwen und musste daher 1940 vor den Nazis aus Belgien nach Vichy-Frankreich fliehen; von dort emigrierte er 1942 in die Schweiz, wo er 1945 starb. Der zweite Band seiner breit angelegten, auf intensiven Quellenstudien beruhenden „Geschichte des spätrömischen Reiches“, die bis zur Regierung des Kaisers Herakleios hätte führen sollen, aber bei der Regierung Justinians unvollendet abbricht, wurde 1949 aus dem Nachlass veröffentlicht. Dieser Band trägt den Titel „Histoire du Bas-Empire“, weil Stein nach 1933 nicht mehr in deutscher Sprache publizieren wollte.120 Stein behandelte die Regierung Theoderichs in diesem Werk sehr ausführlich und fällte ein geradezu enthusiastisches Urteil über den König. Seiner Ansicht nach hatte dieser durch eine kraftvolle Außenpolitik Italien drei Jahrzehnte Frieden gebracht und den sozial Schwachen wirksamen Schutz gegen die Reichen und Mächtigen gewährt. In Folge dieser Politik habe das Land einen wirtschaftlichen Aufschwung erlebt. Theoderich habe zudem sparsam gewirtschaftet und die Steuerlast verringert; dadurch habe er den allgemeinen Wohlstand gefördert.121 Im Übrigen verteidigte Stein Mommsens Interpretation der Rechtsstellung Theoderichs gegen die Kritik Enßlins; Theoderich sei trotz seiner königlichen Würde Amtsträger des Kaisers und magister militum geblieben.122 Enßlins Biographie wurde in Deutschland und Italien als der krönende Abschluss einer Forschungstradition empfunden, die durch Mommsen begründet worden war. Die knappe Theoderich-Biographie, die 1951 der junge Mediävist Paolo Lamma (1915–1961) in italienischer Sprache veröffentlichte, vermochte nicht aus diesem Schatten zu treten.123 In den 1950er-Jahren wurde das Abendland zur Leitidee westeuropäischen Geschichtsdenkens. In Abgrenzung gegen den kommunistischen Ostblock betonte man die Gemeinsamkeiten der europäischen Nationen. Die Historiker deutscher Sprache, die lange vom selbstgenügsamen Bewusstsein eigener Überlegenheit durchdrungen gewesen waren, suchten nun den Austausch mit den Kollegen in westlichen Nachbarländern. Auch die Goten-Forschung hörte auf, eine Domäne deutschsprachiger und italienischer Forscher zu sein. Zehn Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs veranstaltete das „Centro Italiano di Studi sull’Alto Medievo“ in Spoleto die Tagung „I Goti in Occidente“. Es war die erste Tagung zu diesem Thema, bei der sich Gelehrte (allesamt Männer) aus mehreren Ländern trafen. Neben Althistorikern und Mediävisten aus dem Gastland Italien waren auch Historiker aus Deutschland, Spanien 120  Ernest

Stein: Histoire du Bas-Empire. Bd. 2: De la disparition de l’Empire d’Occident à la mort de Justinien (476–565). Paris/Brüssel/Amsterdam 1949. Das Werk wurde nach dem Tod des Verfassers von Jean-Remy Palanque herausgegeben. Der erste Band war in deutscher Sprache erschienen: Geschichte des spätrömischen Reiches. Bd. 1: Vom römischen zum byzantinischen Staate (284–476 n. Chr.). Wien 1928. Zu Leben und Werk Ernst Steins siehe Jean-Rémy Palanque: La vie et l’oeuvre d’Ernest Stein. In: ebd., S. VII–XXII; Christ: Römische Geschichte (wie Anm. 112), S. 186–191. 121  Stein: Histoire du Bas-Empire (wie Anm. 120), S. 132  f. 122  Ebd., S. 117  f. mit Anm. 2. 123  Paolo Lamma: Teoderico. Brescia 1951.

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und Frankreich eingeladen.124 Das Programm lässt deutlich erkennen, welche Themen damals als relevant angesehen wurden. Es gab folgende Sektionen: Archäologie und Kunst, das „religiöse Problem“, Bildung („cultura“) unter gotischer Herrschaft, rechtliche Beziehungen zwischen Römern und Goten, „Die Goten und das Reich“. Die Eröffnungsrede hielt der Mediävist Ottorino Bertolini (1892– 1977), der die Entwicklung des Reiches der Westgoten in Gallien und Hispanien mit dem der Ostgoten in Italien verglich.125 Der französische Latinist André Loyen (1901–1974) behandelte die „letzte Blüte“ der klassischen Bildung im westgotischen Gallien.126 Der französische Althistoriker Christian Courtois (1912–1956), der im Jahr zuvor sein epochales Buch über die Vandalen in Nordafrika veröffentlicht hatte und wenige Monate später ums Leben kam,127 referierte über die Beziehungen zwischen Westgoten und Vandalen. Aus Deutschland kamen der Prähistoriker Joachim Werner (1909–1994), der über die archäologischen Zeugnisse der Goten sprach, seinen Beitrag in den Akten der Tagung aber nicht veröffentlichte, und Enßlin, der seine Deutung der rechtlichen Stellung und politischen Ziele Theoderichs unter dem Stichwort „Romverbundenheit“ präsentierte und damit auf allgemeine Zustimmung stieß.128 Die Goten-Tagung von 1955 vermittelte der Forschung kaum neue Impulse und wollte das auch gar nicht. Man war bestrebt, die im Weltkrieg zerrissenen Fäden zu den anderen westeuropäischen Nationen wieder zu verknüpfen, und ­zelebrierte eine Ökumene der Ordinarien. Die Historiker und Archäologen aus Italien und Deutschland bemühten sich, die trotz Faschismus und Nationalsozialismus ungebrochene Kontinuität seriöser historischer Forschung zu demonstrieren; die aus dem frankistischen Spanien angereisten Gelehrten wollten dabei gerne sekundieren. Man bedeckte die „rassischen“ Interpretationen der gotischen Geschichte mit Schweigen, sah aber keinen Anlass, die im 19. Jahrhundert verwurzelten Grundannahmen der Germanenforschung infrage zu stellen. Dieselbe Haltung nahm nach dem Zweiten Weltkrieg auch die Germanistik ein: Die 1938 von dem Tübinger Germanisten Hermann Schneider (1886–1961) herausgegebene „Germanische Altertumskunde“ wurde 1951 im renommierten Verlag C.H. Beck unverändert nachgedruckt.129 Die prähistorische Archäologie hatte in der NS-Zeit eine starke Förderung erhalten und war besonders tief in die verbrecherische Poli-

124  I Goti in Occidente. Problemi 29 marzo – 5 aprile 1955. Spoleto 1956. Der Tagungsband erschien als Bd. 3 der damals jungen Reihe „Settimane di Studio del Centro Italiano di Studi sull’Alto medievo“. 125  Ottorino Bertolini: „Gothia“ e „Romania“. In: I Goti in Ocidente (wie Anm. 124), S. 13–33. 126  André Loyen: Sidoine Apollinaire et les derniers éclats de la culture classique dans la Gaule occupée par les Goths. In: ebd., S. 265–284. 127  Christian Courtois: Les Vandales et l’Afrique. Paris 1955. 128  Wilhelm Enßlin: Beweise der Romverbundenheit in Theoderichs des Grossen Aussen- und Innenpolitik. In: I Goti in Occidente (wie Anm. 124), S. 509–535. 129  Hermann Schneider (Hg.): Germanische Altertumskunde. München 1938, 21951. Vgl. dazu Klaus von See/Julia Zernack: Germanistik und Politik in der Zeit des Nationalsozialismus. Zwei Fallstudien: Hermann Schneider und Gustav Neckel. Heidelberg 2004.

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tik des Naziregimes verstrickt. Nach 1945 wollte man davon nichts mehr wissen, hielt aber unbeirrt an der Vorstellung fest, dass ethnische Gruppen der Völkerwanderungszeit sich durch eine homogene und distinktive materielle Kultur auszeichneten. Verworfen wurde jedoch die Vorstellung einer Einwanderung der ­Goten aus Skandinavien. 1970 wies der Prähistoriker Rolf Hachmann (1917–2014) nach, dass es im Bereich der sogenannten Wielbark-Kultur in Pommern keine archäologischen Indizien für eine signifikante Immigration aus Skandinavien gibt.130 Der Prähistoriker Volker Bierbrauer (* 1940) legte 1975 eine umfassende Bestandsaufnahme der gotischen Grab- und Schatzfunde aus Italien vor. Bierbrauer betrachtete Theoderichs Goten als ein Volk, das sich durch eigentümliche Bestattungsbräuche und durch eine charakteristische Frauentracht auszeichnete, sich in Italien jedoch allmählich an seine Umgebung anpasste.131 Seine Arbeit ist bis heute ein Standardwerk geblieben, obwohl die methodischen Prämissen mittlerweile auch in der Ur- und Frühgeschichte selbst nicht mehr unumstritten sind.132

Gotische Ethnogenesen: Herwig Wolfram Die historische Germanenforschung geriet in Bewegung, als 1961 der Mediävist Reinhard Wenskus (1916–2002) sein epochemachendes Buch „Stammesbildung und Verfassung“ veröffentlichte.133 Wenskus legte dar, dass die „Stämme“ der Völkerwanderungszeit heterogene und instabile, häufig ephemere Gebilde waren, die durch den Zusammenschluss verschiedener Gruppen unter gemeinsamen Anführern entstanden; sie wuchsen, wenn diese erfolgreich waren, schrumpften oder zerfielen, wenn der Erfolg ausblieb. Die Vorstellung, man habe gemeinsame Vorfahren, wurde nach Wenskus von Adelsfamilien propagiert, die er als „Traditionskerne“ ansprach; wenn es diesen Adelsfamilien gelang, ihre Herrschaft zu stabilisieren, setzte sich diese Vorstellung auch innerhalb der Gruppe durch. Wenskus war in der Tradition germanischer Altertumskunde verwurzelt und benutzte deren 130 Rolf

Hachmann: Die Goten und Skandinavien. Berlin (West) 1970. Das Buch enthält auf S. 145–220 einen ausführlichen Bericht über die Forschungsgeschichte. 131 Volker Bierbrauer: Die ostgotischen Grab- und Schatzfunde aus Italien. Spoleto 1975; vgl. auch ders.: Archäologie und Geschichte der Goten vom 1.–7. Jahrhundert. In: Frühmittelalterliche Studien 28 (1994), S. 51–171, bes. S. 140–152. Ergänzungen dazu in: ders.: Neue ostgermanische Grabfunde des 5. und 6. Jahrhunderts in Italien. In: Acta Praehistorica et Archaeologica 39 (2007), S. 93–124. 132  Philipp von Rummel: Habitus barbarus. Kleidung und Repräsentation spätantiker Eliten im 4. und 5. Jahrhundert. Berlin 2007; ders.: Gotisch, barbarisch oder römisch? Methodologische Überlegungen zur ethnischen Interpretation von Kleidung. In: Walter Pohl (Hg.): Archaeology of Identity – Archäologie der Identität. Wien 2010, S. 51–78. Zur Methodendiskussion in der Urund Frühgeschichte vgl. Sebastian Brather (Hg.): Ethnische Interpretationen in der frühgeschichtlichen Archäologie. Geschichte, Grundlagen und Alternativen. Berlin/New York 2004. 133  Reinhard Wenskus: Stammesbildung und Verfassung. Das Werden der frühmittelalterlichen gentes. Köln/Graz 1961. Die Besprechung dieses Buchs durch František Graus, in: Historica 7 (1963), S. 185–191, ist noch immer lesenswert.

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Terminologie. Gleichwohl markiert sein Buch den Bruch mit den Grundannahmen der Germanenforschung alten Stils. Wenskus verhalf der Einsicht zum Durchbruch, dass ethnische Identität kein biologisches Faktum, sondern ein soziales Kon­strukt ist.134 Der Wiener Mediävist Herwig Wolfram (* 1934) legte 1979 eine „Geschichte der Goten“ vor, der ein außergewöhnlicher Erfolg beschieden war. Das Buch, dessen Titel seit der dritten, neu bearbeiteten Auflage nicht mehr „Geschichte der Goten“, sondern „Die Goten“ lautet, ging 2009 in die fünfte Auflage.135 Es wurde 1985 ins Italienische, 1988 ins Englische, 1990 ins Französische, 2003 ins Russische und ins Polnische übersetzt.136 Wolfram schrieb die Geschichte der Goten als eine Folge von Ethnogenesen, die erst mit dem Untergang des ostgotischen Königreiches in Italien und der Territorialisierung des westgotischen Königreiches in Hispanien an ihr Ende gelangte. Dabei stimmte er in den Grundanschauungen durchaus mit Wenskus überein, wenngleich er sich im Laufe der Zeit immer stärker von dessen Terminologie distanzierte. Auch bei Wolfram sind Adelsfamilien die Träger der „Stammesüberlieferung“ und zugleich die treibenden Kräfte der Herrschaftsbildung. Die Geschichte der Ostgoten beginnt bei Wolfram erst 451 und dauert bis 552. Ihre Ethnogenese war seiner Auffassung nach das Werk einer charismatischen Adelsfamilie, der Amaler; sie habe sich erst in der Generation vollzogen, der auch Theoderichs Vater angehörte. Nach dem Zerfall des Hunnenreiches sei es einem Zweig der Amaler gelungen, die Herrschaft über die nichtrömischen Goten wiederzuerlangen, die sie bereits innegehabt habe, bevor sie sich den Hunnen habe unterwerfen müssen. Denn die Amaler waren für Wolfram eine greutungisch-ostrogotische Königssippe, die nach Attilas Tod ihre alte Anhängerschaft wieder mobilisieren konnte, weil ihr Ansehen trotz eines vierzigjährigen Interregnums unvermindert gewesen sei.137 Dieser Sippe gehörten nach Wolfram jedoch weit mehr Personen an, als die Überlieferung noch erkennen lässt, weil Theoderich, der sich am Ende gegen alle Konkurrenten aus der eigenen „Sippe“ durchsetzen konnte, auch konkurrierende Versionen der „Stammesüberlieferung“ habe verdrängen können. Auf diese Weise sei die von Theoderich geführte Gruppe 134 

In der Sache trafen sich Wenskus’ Überlegungen in vielen Punkten mit den Forschungen über Ethnizität, die völlig unabhängig davon in den USA und anderswo von Soziologen und Ethnologen betrieben wurden. Hier sei nur der einflussreiche norwegische Sozialanthropologe Fredrik Barth (1928–2016) erwähnt: Fredrik Barth (Hg.): Ethnic Groups and Boundaries. Oslo/Boston 1969. 135 Herwig Wolfram: Geschichte der Goten. Von den Anfängen bis zur Mitte des 6. Jahrhunderts. Entwurf einer historischen Ethnographie. München 1979 (2. Auflage 1980); ders.: Die Goten. Von den Anfängen bis zur Mitte des 6. Jahrhunderts. Entwurf einer historischen Ethnographie. 3., neubearbeitete Auflage München 1990 (4. Auflage 2001; 5. Auflage 2009). Wolfram hat in einem Band der Reihe „Beck-Wissen“ eine Kurzfassung der großen Monographie publiziert: Die Goten und ihre Geschichte. München 2001 (3. Auflage 2010). 136  Eine bis 2008 reichende Bibliographie der Veröffentlichungen Wolframs findet man bei Herwig Wolfram: Origo. Ricercha dell’origine e dell’indentità nell’Alto Medievo. Con introduzione, traduzione e intervista all’autore a cura di Giuseppe Albertoni. Trient 2008, S. 79–109. 137  Wolfram: Die Goten (wie Anm. 135), hier: 3. Auflage, S. 250.

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in der bei Jordanes noch fassbaren Origo Gothica zu den Goten schlechthin ­geworden. Das Heer Theoderichs war nach Wolfram aus vielen Völkerschaften zusammengesetzt, also „polyethnisch“: „In seinem Heer marschierten Rugier, Vandalen, Alanen, Eruler, Skiren, Turkilingen, Sueven, Sarmaten und Taifalen, Gepiden und Alamannen.“138 Es habe sich um ein Heer von Föderaten gehandelt, das vom Kaiser legitimiert gewesen sei. Personales, nicht-römisches Recht sei daher für diese Föderaten bedeutungslos gewesen. Gleichwohl habe dieses Heer als exercitus Gothorum eine ethnische Identität besessen, die vor allem in der gotischen Sprache und im „arianischen“ Bekenntnis ihren Ausdruck gefunden habe. Im Reich Theoderichs habe sich eine „neue Ethnogenese“ vollzogen.139 Die Herrschaft Theoderichs in Italien definierte Wolfram als besondere, dem Kaisertum angeglichene Art des Königtums, als „Verbindung des Principatus ­populi Romani mit einem Regnum gentis“.140 Das Land, über das Theoderich herrschte, stand nicht im Fokus der von Wolfram gewählten, „ethnographischen“ Perspektive. Das Bild der Herrschaft Theoderichs blieb daher eher konventionell: Italien sei aufgebüht, weil der König den inneren Frieden gesichert, „vernünftige ökonomische Maßnahmen“ durchgeführt und sich um „die Wirtschaftspolitik“ gekümmert habe. Durch sein Edikt sei es ihm gelungen, „das römische Kaiserrecht zu modernisieren und den gegebenen Umständen anzupassen, ohne in das Vorrecht der kaiserlichen Gesetzgebung einzugreifen“.141 Solche Urteile werden jedoch nicht näher begründet. Die Darstellung der Innenpolitik verfährt über weite Strecken deskriptiv. Durch ihre rhetorische Brillanz entfaltet sie eine beträchtliche Suggestivkraft, zumal sie nicht als kohärente Argumentation gestaltet ist und auf die Erörterung von Alternativen verzichtet. Wenn etwa von einer „gentilen“ Politik zum Schutz Italiens oder von einer „römischen“ Politik der Duldung des katholischen Glaubens die Rede ist, bleibt offen, wie diese Konzepte zu verstehen sind. Das Buch fand zunächst ungeteilte Zustimmung und entfaltete eine internationale Wirkung, die kein anderes Buch zum Thema jemals zuvor gehabt hatte.142 In den 1990er-Jahren wurde es zur Zielscheibe scharfer Kritik, auf die später noch näher einzugehen ist. Wolfram selbst hat sich in den vier Jahrzehnten, die seit der ersten Auflage vergangen sind, von einigen Positionen mehr oder weniger deutlich distanziert. Er hat den Begriff „Traditionskern“ ganz aufgegeben und spricht 138 

Ebd., S. 20; vgl. auch ebd., S. 300 f. Belege für die zitierte Aufzählung von Völkernamen sucht man freilich bei Wolfram vergeblich. 139  Ebd., S. 300: „Es ist keine Neuheit, daß Theoderich nicht das Volk der Ostgoten, sondern ein Föderatenheer nach Italien führte, das mehrheitlich aus Ostgoten bestand. Als römischer Obermagistrat und König dieser Goten besaß Theoderich zwar alle Voraussetzungen, aus seinem Heer ein neues gotisches Volk zu machen. Die neue Ethnogenese vollzog sich aber unter Beteiligung von nicht-gotischen Elementen.“ 140  Ebd., S. 289. 141  Ebd., S. 288. 142  Die Darstellung von Wolfgang Giese: Die Goten. Stuttgart 2004, folgt, wie der Autor freimütig bekennt (S. 9, vgl. S. 184 mit Anm. 1), in allem Wesentlichen der „Gotengeschichte“ Wolframs.

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nur noch mit Vorbehalt von „Ethnogenese“.143 Der charismatische Charakter des amalischen Königtums trat in den Hintergrund. Zudem verlagerte sich der Akzent von den germanischen Ursprüngen zunehmend auf die römische Prägung der gotischen Herrschaftsbildungen. Diese Lernbereitschaft und Wandlungsfähigkeit verdient Respekt, erschwert aber eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Werk.144 Ein Grund, weshalb die etwa gleichzeitig mit Wolframs Gotenbuch entstandenen Monographien des US-amerikanischen Historikers Thomas Burns (* 1945) über die Ostgoten wenig Beachtung fanden, liegt darin, dass er von den Debatten über Ethnizität und Identität kaum Notiz nahm.145 Burns benutzte die traditionelle Erzählung von einem gotischen Volk, das aus dem unteren Donauraum auf vielen Umwegen bis nach Italien wanderte, als Rahmen für die Interpretation archäologischer Befunde, die er den Goten zuwies. Dabei ging er von einer kontinuierlichen Entwicklung sozialer Strukturen vom 3. bis ins 6. Jahrhundert aus; die Goten waren und blieben eine „tribale“ Gesellschaft von Ackerbauern, die durch externe Stimuli immer wieder zur Migration gezwungen wurden, aber in Italien wieder zu ihrer alten, bäuerlichen Lebensweise zurückkehrten.146 Die Leitidee der Darstellung war ein sozialer Antagonismus zwischen Volk und Adel; Letzterer habe sich rasch an die römischen Eliten angepasst, die gemeinen Goten unterdrückt und das Königtum geschwächt.147 Burns betonte die „Romanisierung“ der Goten; Theoderichs Politik einer Separation der beiden Völker sei darum vergeblich gewesen. Zugleich hob Burns hervor, dass Theoderich den spätrömischen Staatsapparat durch „gotische Innovationen“ umgebildet und dadurch effizienter gemacht habe.148 Seine Ausführungen waren im Detail nicht frei von Fehlern und fügten sich nicht zu einem kohärenten Modell der Entwicklung sozialer Hierarchien und politischer Herrschaft. In der weiteren Diskussion, die durch die Auseinandersetzung mit Wolframs Thesen bestimmt war, wurden sie daher kaum berücksichtigt. 143  Wolfram: Auf der Suche nach den Ursprüngen. In: ders.: Gotische Studien. Volk und Herrschaft im frühen Mittelalter. München 2005, S. 225–240, hier: 231 f. Das neueste Buch Wolframs besteht im Kern aus einem Text, der 1990 in der Deutschen Geschichte des Siedler Verlags veröffentlicht wurde, erweitert um später entstandene Gelegenheitsschriften: Herwig Wolfram: Das Reich und die Germanen. Zwischen Antike und Mittelalter. Berlin 1990; ders.: Das Römerreich und seine Germanen. Eine Erzählung von Herkunft und Ankunft. Wien u. a. 2018. 144  Aufschlussreich für die intellektuelle Biographie Wolframs ist das Interview mit Giuseppe Albertoni, in: Wolfram: Origo (wie Anm. 136), S. 47–78. Vgl. auch die autobiographischen Äußerungen, in: ders.: Das Römerreich und seine Germanen (wie Anm. 143), S. 31–35. 145  Thomas S. Burns: A History of the Ostrogoths. Bloomington 1984. Dieses Buch ist die erweiterte Fassung einer Monographie, die vier Jahre früher erschienen war: The Ostrogoths: Kingship and Society (Historia, Einzelschriften, Bd. 36). Wiesbaden 1980; vgl. dazu die kritischen Rezensionen von Walter Pohl, in: MIÖG 89 (1981), S. 340 f. und Dietrich Claude, in: HZ 234 (1982), S. 158 f. 146  Burns: Kingship and Society (wie Anm. 145), S. 70: „Obviously they did not seek domination as overlords, but rather land, food, and security.“ 147  Ebd., S. 99–126; ders.: History (wie Anm. 145), S. 163–183. 148  Burns: History (wie Anm. 145), S. 218  f.

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Integration der Barbaren und Transformation der römischen Welt Weitaus stärker war der Impuls, der zu dieser Zeit von den Forschungen des kanadischen Mediävisten Walter Goffart (* 1934) ausging. Goffart bestritt die bis dahin allgemein akzeptierte These, dass sich die Ansiedlung germanischer Völkerschaften in den Westprovinzen des römischen Reiches nach einem einheitlichen, im römischen Recht vorgeprägten Muster vollzogen habe. Diesem Modell zufolge, das 1844 von dem Breslauer Rechtsprofessor Ernst Theodor Gaupp (1796–1859) systematisch entwickelt worden war, diente dabei das römische Recht der Einquartierung durchziehender Truppen (hospitalitas) als Vorbild: Wie römische Truppen von ihren „Gastgebern“ (hospites) ein Drittel von deren Haus und Hof verlangen durften, so hätten die germanischen Kriegergruppen in Gallien zunächst zwei Drittel (Westgoten und Burgunden), in Italien später nur noch ein Drittel des Landes erhalten (Ostgoten). Aus einem zunächst befristeten Nutzungsrecht habe sich dann mit der Zeit ein volles Eigentumsrecht entwickelt.149 Goffart stellte diesem Modell 1980 ein ganz anderes entgegen: Seiner Auffassung zufolge erhielten Westgoten, Burgunden und Ostgoten nicht Rechtstitel an Grundbesitz, sondern vielmehr Anspruch auf Beteiligung an den Grundsteuern, die auf Landgüter erhoben wurden. Einzelne Landgüter seien dabei einzelnen Kriegern zugewiesen worden, die den Anteil ihrer Erträge, der bis dahin an den römischen Staat gezahlt worden war, nun an ihren barbarischen „Gast“ (hospes) abgeführt hätten. Aus diesem Grund sei in den Quellen auch kaum von Widerstand oder Klagen die Rede. Erst im Laufe der Zeit hätten die durch Steueranteile versorgten Barbaren dann auch Grundeigentum erworben.150 Der französische Mediävist Jean Durliat (* 1943) präsentierte 1986 auf einem Kolloquium im Stift Zwettl ein drittes Modell: Während Goffart annahm, einzelne Landgüter hätten der Versorgung einzelner Krieger gedient, argumentierte Durliat, die Versorgung der Krieger sei Sache der städtischen Verwaltung gewesen, die ein Drittel der auf ihrem Territorium erhobenen Grundsteuer für diesen Zweck reserviert habe. Auch nach diesem Modell wurden nicht Rechtstitel an Grundbesitz, sondern Steueranteile verteilt; anders als bei Goffart haben die Krieger jedoch keinen unmittelbaren Zugriff auf das Land.151 149  Ernst

Theodor Gaupp: Die germanischen Ansiedlungen und Landtheilungen in den Provinzen des römischen Westreiches in ihrer völkerrechtlichen Eigenthümlichkeit und mit Rücksicht auf verwandte Erscheinungen der alten Welt und des späteren Mittelalters. Breslau 1844. 150  Walter Goffart: Barbarians and Romans: A.D. 418–584. The Techniques of Accommodation. Princeton, NJ 1980. Vgl. dazu Samuel J. B. Barnish: Taxation, Land and Barbarian Settlement in the Western Empire. In: Papers of the British School at Rome 54 (1986), S. 170–195; Maria Cesa: Hospitalitas o altre „techniques of accommodation“? A proposito di un libro recente. In: Archivio storico italiano 140 (1982), S. 539–552. 151  Jean Durliat: Le salaire de la paix sociale dans les royaumes barbares (Ve–VIe siècles). In: Herwig Wolfram/Andreas Schwarcz (Hg.): Anerkennung und Integration. Zu den wirtschaftlichen Grundlagen der Völkerwanderungszeit, 400–600. Wien 1988, S. 21–72.

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Die Thesen von Goffart und Durliat lösten eine kontroverse Diskussion aus. Bei den Althistorikern stießen beide auf einhellige Ablehnung, zumal Durliat bald gravierende Fehlinterpretationen des spätrömischen Steuersystems nachgewiesen wurden.152 Bei den Mediävisten war das Echo gespalten. Während in England die kritischen Stimmen überwogen,153 machten sich viele deutschsprachige Mediävisten die Auffassung zu eigen, dass es bei der Ansiedlung der Goten und Burgunder nicht zu Eingriffen in die privaten Eigentumsverhältnisse gekommen sei. Wolfram selbst, der Goffarts Thesen zunächst abgelehnt hatte, vollzog auf einer Tagung im Stift Zwettl den Übertritt zu dieser Position und übernahm sie in die dritte und alle folgenden Auflagen seines Gotenbuchs.154 Dabei verknüpft sich der Streit über die Art und Weise, wie barbarische Kriegergruppen die materiellen Ressourcen für eine dauerhafte Ansiedlung erlangten, mit der Debatte über Tempo und Charakter der Veränderungen, die dadurch in Staat, Gesellschaft und Wirtschaft ausgelöst wurden: Wer für das fiskalische Modell der Ansiedlung plädiert, optiert zugleich für langsamen und friedlichen Wandel staatlicher Strukturen. Dagegen akzentuiert das Modell der Übertragung von ­Besitztiteln durch offene oder angedrohte Gewalt erzwungene Eingriffe in die Besitzverhältnisse.

Das Theoderich-Jubiläum 1992 Im Jahr 1992 feierte man das anderthalbtausendjährige Jubiläum des Beginns der Alleinherrschaft Theoderichs in Italien. Aus diesem Anlass wurden gleich zwei internationale Tagungen veranstaltet, eine in Mailand und eine in Ravenna. Zwei Jahre später wurde in Mailand mit großem Erfolg eine Ausstellung mit dem Thema „I Goti“ gezeigt, zu der ein großzügig bebilderter Katalog mit Texten auf wissenschaftlichem Niveau erarbeitet wurde.155 In Ravenna und in Mailand ­kamen Forscher (und erstmals einige wenige Forscherinnen) aus ganz Europa zusammen, wenngleich die Mehrheit aus dem Gastland Italien stammte.156 Bei beiden Tagungen war zudem jeweils ein Forscher aus den Vereinigten Staaten 152 

J. H. Wolfgang G. Liebeschuetz: Cities, Taxes and the Accommodation of the Barbarians: the Theories of Durliat and Goffart. In: Walter Pohl (Hg.): Kingdoms of the Empire. The Integration of Barbarians in Late Antiquity. Leiden u. a. 1997, S. 135–151; auch abgedruckt in: J. H. Wolfgang G. Liebeschuetz: Decline and Change in Late Antiquity. Aldershot 206, Nr. XIII. Im Ergebnis ähnlich auch Rommel Krieger: Untersuchungen und Hypothesen zur Ansiedlung der Westgoten, Burgunder und Ostgoten. Bern u. a. 1992. 153  Chris Wickham: La chûte de Rome n’aura pas lieu. In: Le Moyen Age 99 (1993), S. 107–123. 154  Herwig Wolfram: Zur Ansiedlung reichsangehöriger Föderaten. In: MIÖG 91 (1983), S. 5–35; vgl. dagegen ders.: Die dauerhafte Ansiedlung der Goten auf römischem Boden. Eine endlose Geschichte. In: MIÖG (2004), S. 11–35; auch abgedruckt in: ders.: Gotische Studien (wie Anm. 143), S. 174–206. Wolfram spricht simplifizierend von der Goffart-Durliat-These. 155  I Goti. Milano, Palazzo Reale, 28 gennaio – 8 maggio 1994. Mailand 1994. 156  Antonio Carile (Hg.): Teoderico e i Goti tra Oriente e Occidente. Congresso Internazionale. Ravenna, 28 settembre – 2 ottobre 1992. Ravenna 1995.

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vertreten, in Ravenna der Byzantinist Walter Emil Kaegi jr. (* 1934), in Mailand der Mediävist Thomas F. X. Noble (* 1947). Die Theoderich-Tagung in Ravenna war ein öffentliches Ereignis, ließ jedoch ein klares Konzept vermissen; die Auswahl der Themen wirkt willkürlich. Der Tagungsband wurde außerhalb Italiens kaum beachtet. In der akademischen Welt fand die Mailänder Tagung über „Teoderico il Grande e i Goti d’Italia“ wesentlich stärkere Resonanz; die Beiträge wurden 1993 im Auftrag des „Centro Italiano di Studi sull’Alto Medievo“ in zwei stattlichen Bänden veröffentlicht.157 Es gab zwei Eröffnungsreden, beide in deutscher Sprache: eine von Wolfram und eine von dem deutschen Mediävisten Dietrich Claude (1933–1999). Wolfram sprach über „Das Reich Theoderichs in Italien und seinen Nebenländern“, Claude über „Theoderich d. Gr. und die europäischen Mächte“. Das Programm war in Haupt- und Nebenreferate gegliedert. Für die Hauptreferate (relazioni) hatte man mehrere Redner aus Österreich und England eingeladen. Kontroverse Themen wie die Ethnogenese der Goten oder die Modalitäten ihrer Ansiedlung in Italien blieben ausgespart. Eine weitere Tagung über Theoderich und seine Goten fand im Jahre 2000 in San Marino statt. Während die beiden Jubiläumstagungen in Ravenna und Mailand in großem Rahmen angelegt waren und nach öffentlicher Wirkung strebten, trug die Tagung in San Marino den Charakter eines Workshops. Der Teilnehmerkreis war viel kleiner, umfasste aber viele Disziplinen und viele Nationen. Im Tagungsband, der mit großer Verspätung erschien (2007), wurden auch die teilweise sehr kontroversen Diskussionen dokumentiert, die im Anschluss an die Referate geführt wurden. Thematisch konzentrierte man sich auf Aspekte, die auf den großen Tagungen nur am Rande vorgekommen waren, und versuchte, einen Dialog über die Grenzen von Sprachwissenschaft, Archäologie und Historie hi­naus zu führen. Man diskutierte sprachliche Überreste wie gotische Namen und Termini für Verwandtschaftsverhältnisse und materielle Überreste wie Gräber und Siedlungen.158 Im Jubiläumsjahr 1992 erschien auch zum ersten Mal seit mehr als 100 Jahren wieder eine Monographie über Theoderich in englischer Sprache.159 Der australische Mediävist John Moorhead hatte sich seit den späten 1970er-Jahren mit Theoderich und dem gotischen Reich in Italien beschäftigt und seitdem eine Reihe von Studien zu Spezialproblemen veröffentlicht. Sein Buch „Theoderic in Italy“ war die Frucht einer weit zurückreichenden Beschäftigung mit dem Gegenstand und beruhte auf intensiven Quellenstudien. Moorhead ging nur sehr knapp auf die Vorgeschichte des Gotenreiches in Italien ein. Er verzichtete darauf, seine Analysekategorien zu explizieren, vermied eine Auseinandersetzung mit dem Modell der Ethnogenese und setzte nur in Detailfragen eigene Akzente. Er akzeptierte 157 

Teoderico il Grande e i Goti d’Italia. Atti del XIII Congresso internazionale di studi sull’Alto Medievo. Milano 2–6 novembre 1992. 2 Bde. Spoleto 1993. 158  Samuel J. Barnish/Federico Marazzi (Hg.): The Ostrogoths from the Migration Period to the Sixth Century. An Ethnographic Perspective. Woodbridge 2007. Vgl. dazu meine Rezension, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 5, online zugänglich unter: www.sehepunkte.de/2009/05/15086.html (letzter Zugriff am 27. 3. 2020). 159  John Moorhead: Theoderic in Italy. Oxford 1992.

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Goffarts Modell der Ansiedlung,160 bestritt die Auffassung, dass es eine strikte Arbeitsteilung zwischen gotischem Heer und römischen Zivilisten gegeben habe,161 und betonte den römischen Charakter der Regierung Theoderichs, die mehr rückwärts in die Antike als vorwärts ins Mittelalter weise.162 In einer kurzen „Conclusion“ urteilte er, Theoderichs Leistung als Herrscher sei immens gewesen. Seit der Eroberung Italiens habe der König seinen Einflussbereich nach außen beständig vergrößert und im Innern für Frieden zwischen Goten und Römern gesorgt. Dies sei deswegen möglich gewesen, weil er bei beiden „Völkern“ hohes Ansehen genossen habe. Seine Regierung habe „tragisch“ geendet; weder die Hinrichtung von Boethius und Symmachus noch die Demütigung von Papst Johannes sei von ihm verschuldet. Auch für den raschen Untergang seines Reiches könne man ihn nicht verantwortlich machen, wenngleich seine auf Separation gerichtete Politik auf Dauer schwer durchzuhalten gewesen wäre. Nicht strukturelle Schwächen in Theoderichs Regierungssystem oder persönliche Fehler, sondern das Fehlen eines Sohns und die Invasion Justinians hätten sein Reich zu Fall gebracht.163

Gotische Könige und Krieger: Peter Heather Seit den Arbeiten von Goffart, Burns und Moorhead war nicht mehr zu übersehen, dass die Forschung über Theoderich und seine Goten längst nicht mehr auf Europa beschränkt war. Die Beschäftigung mit der Spätantike nahm im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts einen großen Aufschwung und etablierte sich auch in der angloamerikanischen Welt.164 Die „European Science Foundation“ finanzierte 1993–1997 unter dem Titel „Transformation of the Roman World“ ein wissenschaftliches Programm zur Erforschung des Wandels Europas im Übergang von der Spätantike zum Frühmittelalter, an dem sich über 100 Wissenschaftler (und einige wenige Wissenschaftlerinnen) aus 20 Ländern beteiligten. Die Ergebnisse der Tagungen wurden in nicht weniger als 14 Bänden veröffentlicht.165 Die Goten-Forschung ist seitdem ein internationales Unternehmen, an dem Forscher und Forscherinnen aus Europa, Nordamerika und Australien beteiligt sind. In diesem Gespräch werden nun auch zunehmend Stimmen aus Osteuropa hörbar. Die Germanenforschung der DDR hatte aus politischen Gründen einen weiten Bogen um 160 

Ebd., S. 33–35, S. 66–71. Ebd., S. 71–74. 162  Ebd., S. 254: „there can be no doubt that the reign of Theoderic looks backwards into antiquity rather than forwards into the Middle Ages“. 163 Ebd., S. 258: „But the collapse of the Ostrogothic state can more simply be accounted for with reference to Theoderic’s failure to provide himself with an adult male heir and Justinian’s launching an invasion of Italy after his amazingly rapid defeat of the Vandals.“ 164 Hans-Ulrich Wiemer: Late Antiquity 1971–2011. Positionen der angloamerikanischen Forschung. In: HZ 296 (2013), S. 114–130. 165  Ian N. Wood: The European Science Foundation’s Programme on the Transformation of the Roman World and the Emergence of Early Medieval Europe. In: EME 6 (1997), S. 219–227; ders.: Transformation of the Roman World. In: RGA, Bd. 31 (2006), S. 132–134. 161 

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das Thema gemacht; das maßgebliche Handbuch schwieg die Goten tot.166 Dieses Tabu wurde mit dem Ende der kommunistischen Herrschaft aufgehoben. Auch in Polen sind die Goten seitdem wieder ein Thema historischer Forschung. Der in Poznań tätige Historiker Jan Prostko-Prostyński (* 1958) veröffentlichte 1994 eine monographische Studie über die Gotenpolitik des Kaisers Anastasios.167 Ein Jahr später veranstaltete der Landkreis Holzminden gemeinsam mit der Universität Lublin und dem Landesmuseum Zamość die Ausstellung „Schätze der Ostgoten“ mit Exponaten aus polnischen und russischen Museen.168 In jüngster Zeit hat sich der Mediävist Robert Kasperski (* 1981) Theoderich und dem Gotenreich in Italien zugewandt.169 Einen Gegenentwurf zur Gotengeschichte Wolframs entwickelte in den 1990er-Jahren der britische Historiker Peter Heather (* 1960) in zwei Monographien und mehreren Aufsätzen. Heather wandte sich gegen die Vorstellung, dass das Prestige der Amaler die entscheidende Kraft bei der Entstehung der Ostgoten gewesen sei.170 Der bei Jordanes überlieferte Stammbaum der Amaler sei als Zeugnis für die königliche Stellung der Amaler vor dem Zerfall des Hunnenreiches unbrauchbar, denn er sei im Reich Theoderichs eben zu dem Zweck kon­ struiert worden, das exklusive Anrecht der Amaler auf das Königtum pseudohistorisch zu begründen.171 Es fehle jeder Beweis, dass es schon vor der Väterge166 

Die Germanen. Geschichte und Kultur der germanischen Stämme in Mitteleuropa. Ein Handbuch in zwei Bänden. Ausgearbeitet von einem Autorenkollektiv unter Leitung von Bruno Krüger. Berlin (Ost) 1983. Allerdings brachte die Akademie der Wissenschaften der DDR 1986 eine von dem Leipziger Althistoriker Rigobert Günther (1928–2000) gemeinsam mit dem Moskauer Historiker Aleksandr R. Korsunskij (1914–1980) verfasste, marxistisch-leninistische Darstellung der Entstehung „barbarischer“ Königreiche mit „feudaler Gesellschaftsordnung“ in Westeuropa heraus, die ein Kapitel über das Gotenreich in Italien enthält: Germanen erobern Rom. Der Untergang des Weströmischen Reiches und die Entstehung germanischer Königreiche bis zur Mitte des 6. Jahrhunderts. Berlin (Ost) 1986, 21988, S. 181–206. Die russische Fassung war schon 1984, vier Jahre nach dem Tod Korsunskijs, in Moskau erschienen. Korsunskij verfasste seit den 1950erJahren zahlreiche Arbeiten zur Übergangszeit zwischen Altertum und Mittelalter, darunter auch eine Geschichte des westgotischen Spaniens; vgl. zu seinem Oeuvre Heinz Heinen: Das Ende der Alten Welt im Rahmen der Gesamtentwicklung der sowjetischen Althistorie. In: ders. (Hg.): Die Geschichte des Altertums im Spiegel der sowjetischen Forschung. Darmstadt 1979, S. 256–340, hier: S. 313–317. 167 Jan Prostko-Prostyński: Utraeque res publicae. The Emperor Anastasius I’s Gothic Policy (491–518). Poznań 1994. 168  Christian Leiber (Hg.): Schätze der Ostgoten. Eine Ausstellung der Maria-Curie-SkłodowskaUniversität Lublin und des Landesmuseums Zamość. Stuttgart 1995. 169  Kasperski hat neben einer Monographie über die Amalertradition bei Cassiodor in polnischer Sprache (Teodoryk Wielki i Kasjodor. Studia nad tworzeniem „tradycji dynastycznej Amalów“. Kraków 2013) auch zahlreiche Aufsätze aus diesem Themenbereich veröffentlicht; in deutscher Sprache liegt vor: ders.: Propaganda im Dienste Theoderichs des Grossen. Die dynastische Tra­ dition der Amaler in der ‚Historia Gothorum‘ Cassiodors. In: Frühmittelalterliche Studien 52 (2018), S. 13–42. 170  Peter J. Heather: Goths and Romans 332–489. Oxford 1991, S. 227–330; Peter J. Heather: The Goths. Oxford 1996, S. 95–178. 171  Peter J. Heather: Cassiodorus and the Rise of the Amals: Genealogy and the Goths under Hun Domination. In: JRS 79 (1989), S. 103–128; ders.: Goths and Romans (wie Anm. 170), S. 34–67.

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neration Theoderichs Könige aus der Familie der Amaler gegeben habe, die alle Goten auf dem Balkan unter ihrer Herrschaft vereinigen konnten. Vielmehr ­hätten noch bis in die 470er-Jahre hinein mehrere gotische Anführer auf dem Balkan miteinander konkurriert, deren Erfolgsaussichten keineswegs davon ­abhängig gewesen seien, ob sie Amaler waren oder nicht.172 Der Aufstieg der Amaler vollzog sich nach Heather im Rahmen eines mit militärischen und di­ plomatischen Mitteln ausgetragenen Kampfes zwischen Anführern großer Gefolgschaften, die im Kern aus gotischen Kriegern bestanden. Die gotische Identität sei nicht primär von Adelsfamilien getragen und verbreitet worden, sondern in einer breiten Schicht von Kriegern verankert gewesen. Diese Krieger waren seiner Auffassung nach untereinander durch Merkmale verbunden, die im Alltag wahrnehmbar und nicht beliebig zu verändern waren, unter anderem durch die gotische Sprache, unrömische Formen der Konfliktregelung und die Zugehörigkeit zu einer Kirche mit gotischem Klerus und gotischer Liturgie. Heather negierte also keineswegs die Bedeutung ethnischer Identität für den Zusammenhalt gotischer Gruppen, schrieb dieser aber einen höheren Grad von Autonomie gegenüber politischen Faktoren zu. Im Gegensatz zu Wolfram hob seine Ana­ lyse nicht auf ethnische, sondern auf soziale Kategorien ab. Heather stellte dem herrschenden Modell einer von aristokratischen Eliten dominierten Gesellschaft ein Modell entgegen, in welchem zwischen voll- und minderberechtigten Kriegern unterschieden wird. Diesem Modell zufolge machten die vollberechtigten Krieger nur einen Teil von Theoderichs Heer aus, wenngleich diese Gruppe zeitweise vielleicht bis zur Hälfte der Bevölkerung umfasst haben könnte. Aus dieser breiten Schicht hätten einzelne als eine Art Adel herausgeragt. Die Mehrheit der Goten Theoderichs bestand nach Heather aus wehrfähigen Männern, die gegenüber den freien Kriegern minderberechtigt waren.173 Nicht so sehr diese Minderfreien als vielmehr die vollberechtigten Krieger hätten sich als Goten definiert und diese Identität auch nach der Ansiedlung in Italien bewahren können, weil sie mit ihren Familien in Clustern angesiedelt worden seien und als Soldaten in engem Kontakt mit der königlichen Zentrale und untereinander gestanden hätten. Der starke und lange anhaltende Widerstand, den diese Gruppe gegen die Truppen Justinians geleistet habe, beweise, dass die Assimilation an die römische Umwelt in dieser Gruppe noch nicht sehr weit fortgeschritten gewesen sein könne.174

172  Peter

J. Heather: ‚Gens‘ and ‚Regnum‘ among the Ostrogoths. In: Hans-Werner Goetz/Jörg Jarnut/Walter Pohl (Hg.): Regna and gentes. The Relationship between Late Antique and Early Medieval Peoples and Kingdoms in the Transformation of the Roman World. Leiden u. a. 2003, S. 85–133, hier: S. 95: „A tradition of obedience to one royal, Amal dynasty was not a major explanatory force in shaping the course of Ostrogothic history.“ 173  Heather: The Goths (wie Anm. 170), S. 322–326; ders.: ‚Gens‘ and ‚Regnum‘ (wie Anm. 172), S. 114–128. 174  Heather: The Goths (wie Anm. 170), S. 216–258; ders.: ‚Gens‘ and ‚Regnum‘ (wie Anm. 172), S. 114–132; ders.: Theoderic, King of the Goths. In: EME 4 (1995), S. 145–173.

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Ethnographie als Ideologie: Patrick Amory Der kanadische Historiker Patrick Amory (* 1965) wiederum stellte 1997 die Brauchbarkeit ethnischer Kategorien für die Analyse des gotischen Königreiches in Italien grundsätzlich infrage.175 Nach Amory spiegeln unsere Quellen eine „ethnographische Ideologie“, die von der königlichen Zentrale propagiert wurde. Diese „ethnographische Ideologie“ habe nicht Gemeinschaft gestiftet, sondern sei den Individuen aufgedrängt worden und lasse daher keine Rückschlüsse auf deren Selbstverständnis zu.176 Sich als Gote zu bezeichnen sei keine Frage der Identität, sondern eine der Opportunität gewesen, da die Zugehörigkeit zu dieser Gruppe materielle Vorteile eingebracht habe.177 Das von Cassiodor als exercitus Gothorum bezeichnete Heer habe in Wahrheit aus einem bunten Gemisch von Menschen verschiedenster Herkunft bestanden, zumal Theoderich bereitwillig alteingesessene Bewohner seines italischen Reiches rekrutiert habe.178 Amory begnügte sich aber keineswegs damit, die Brauchbarkeit ethnischer Kategorien prinzipiell zu bezweifeln. Vielmehr versuchte er den empirischen Beweis anzutreten, dass die bis dahin ohne jede Diskussion akzeptierten Merkmale ethnischer Identität im gotischen Italien gar nicht als solche wirksam gewesen seien. Amory führte zahlreiche Zeugnisse für die Kenntnis und Verwendung des Lateinischen durch Menschen an, die in den Quellen als Goten bezeichnet werden, und bezweifelte, dass die Krieger Theoderichs überhaupt gotisch sprachen; sie hätten sich vielmehr in einem militärischen Soziolekt verständigt, der sich auf dem Balkan aus dem Lateinischen entwickelt habe („Balkan military dialect“).179 Auch das „arianische“ Bekenntnis war seiner Ansicht nach kein Merkmal, an dem man Goten von Römern unterscheiden konnte, da es auch gotische Katholiken und römische „Arianer“ gegeben habe.180 Die Goten Theoderichs seien ein Produkt der auf dem Balkan herrschenden militärischen Kultur („Balkan military culture“) des 5. Jahrhunderts gewesen und hätten sich als solche in nichts von den Soldaten des Kaisers unterschieden.181 Diese Thesen haben einer Überprüfung in zentralen Punkten nicht standgehalten.182 Dennoch hat Amorys scharfsinniges Buch außerordentlich anregend ­gewirkt. Sein bleibendes Verdienst besteht darin, die politische Funktion und ­Instrumentalisierbarkeit ethnischer Diskurse nachdrücklich ins Bewusstsein gehoben zu haben. 175 

Patrick Amory: People and Identity in Ostrogothic Italy, 489–554. Cambridge 1997. Ebd., S. 43–85. 177  Ebd., S. 149–194. 178  Ebd., S. 93–95. 179  Ebd., S. 102–108, vgl. auch S. 247–256. 180  Ebd., S. 236–276. Vgl. dazu die kritische Rezension von Robert A. Markus, in: Journal of Theological Studies n. s. 49 (1998), S. 414–417. 181  Amory: People and Identity (wie Anm. 175), S. 277–313. 182  Siehe die Kritik bei Peter J. Heather: Merely an Ideology? Gothic Identity in Ostrogothic Italy. In: Barnish/Marazzi (Hg.): The Ostrogoths (wie Anm. 158), S. 31–59 sowie den Beitrag von Walter Pohl in diesem Band. 176 

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Theoderich im 21. Jahrhundert Auch im 21. Jahrhundert ist die Forschung von einem Konsens über das italische Reich Theoderichs weit entfernt. Die Zahl der Publikationen hat noch einmal deutlich zugenommen und ist für Einzelne kaum noch zu überschauen.183 Der Bericht muss darum notwendig selektiv ausfallen. In Deutschland veröffentlichte 2003 der Althistoriker Frank Ausbüttel eine knappe Biographie Theoderichs von einführendem Charakter, die von der internationalen Forschung kaum Notiz nahm und ihrerseits wenig beachtet wurde.184 Als Forschungsbeitrag weithin anerkannt wurde dagegen ein quellenkundliches Kompendium zur Geschichte Theoderichs aus dem Jahr 2008, in welchem Andreas Goltz die Texte, in denen mehr oder weniger zeitgenössische Autoren sich über den König äußern, aus dem jeweiligen Entstehungszusammenhang heraus deutete, um daraus Kriterien für die Beurteilung ihrer Glaubwürdigkeit zu gewinnen.185 Zugleich benutzte Goltz das traditionelle, von Enßlin gezeichnete Bild Theoderichs als zusätzlichen Maßstab für die Ermittlung sachlicher Wahrscheinlichkeit. Sein Buch hat ins Bewusstsein gehoben, wie sehr die historiographischen Quellen der methodischen Kritik bedürfen; es enthält reiches Material für ihre Kontextualisierung und gibt vielfältige Anregungen für ihre reflektierte Benutzung als Quellen. Die für die Analyse der Regierung Theoderichs entscheidenden Zeugnisse in den Varien Cassiodors und in den Akten der römischen Synoden bleiben bei Goltz jedoch ausgeklammert. Die Frage, wie sich der König seinen Untertanen in der schriftlichen Kommunikation präsentierte, überschreitet die Grenzen seiner Untersuchung. Der Herausgeber des vorliegenden Bandes hat Theoderichs Goten in einer Reihe von Studien als Anführer einer mobilen Gewaltgemeinschaft gedeutet, die wesentlich durch die Fähigkeit zur Gewaltausübung konstituiert und strukturiert wurde. Dabei wird keineswegs in Abrede gestellt, dass die Krieger, die Theoderich folgten, sich in ihrer großen Mehrheit als Goten verstanden. Ebensowenig wird die Auffassung vertreten, dass „Gote“ lediglich ein Prestigename für tüchtige Krieger gewesen sei. Gotische Sprache und homöisches Bekenntnis waren ohne Zweifel Merkmale, welche die Goten Theoderichs von ihrer Umwelt unterschie183  Siehe

dazu auch Marios Costambeys: The Legacy of Theoderic. In: JRS 106 (2016), S. 249– 263, der nicht weniger als sieben monographische Neuerscheinungen aus den Jahren 2012 bis 2014 bespricht. Christine Delaplace: Une décennie de recherches historiques sur l’Italie ostrogothique. In: AntTard 12 (2004), S. 393–404, verzeichnet in Form einer bibliographie raisonnée mehr als 80 Titel aus den Jahren 1993 bis 2003, die das Thema direkt oder indirekt betreffen. 184  Frank M. Ausbüttel: Theoderich der Große. Darmstadt 2003. Vgl. dazu die kritischen Rezensionen von Johannes Fried, in: Süddeutsche Zeitung vom 23. 1. 2004, S. 14 und Andreas Goltz, in: H-Soz-Kult, 16. 8. 2004, online zugänglich unter: www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-4626 (letzter Zugriff am 27. 3. 2020). Der Verlag hat dem Buch den Untertitel „Der Germane auf dem Kaiserthron“ gegeben. Es erschien 2012 in zweiter, unveränderter Auflage. 185  Andreas Goltz: Barbar – König – Tyrann. Das Bild Theoderichs des Großen in der Überlieferung des 5. bis 9. Jahrhunderts. Berlin/New York 2008. Vgl. dazu meine Rezension, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 9, online zugänglich unter: www.sehepunkte.de/2009/09/11799.html (letzter Zugriff am 27. 3. 2020).

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den und daher gotische Identität markieren konnten. Die Goten, mit denen Theoderich Italien eroberte, waren jedoch zunächst und vor allem ein hochmobiler Kriegerverband. Darin lag die Besonderheit ihrer Lebensform und das strukturierende Prinzip ihrer Gruppe. Ihren Kern bildeten immer kampffähige Männer, auch wenn Frauen, Kinder, Kranke und Alte ihr ebenfalls angehörten. Im italischen Gotenreich wurde die Kampffähigkeit dann ganz offiziell zum Wesensmerkmal der Goten erklärt, welches sie grundsätzlich von ihrer römischen Umwelt unterscheiden sollte.186 Jenseits des Atlantiks gelangten zwei Historiker gleichzeitig zu extremen und diametral entgegengesetzten Bewertungen der Herrschaft Theoderichs. Der kanadische Mediävist Sean Lafferty (* 1978) zog 2013 aus einer Untersuchung des Edikts Theoderichs den Schluss, dass die römische Staatlichkeit sich im gotischen Italien in voller Auflösung befunden habe. Gewalt und Selbsthilfe seien an der Tagesordnung gewesen.187 Die königliche Zentrale habe sich vergeblich bemüht, die Einhaltung von Rechtsnormen zu erzwingen. In der Wirtschaft habe Regression geherrscht. An die Stelle des Geldverkehrs sei der Tausch von Gütern getreten. Das Leben habe sich aus den Städten auf das Land verlagert. Die Varien Cassiodors müssen vor diesem Hintergrund nicht nur als Propaganda, sondern geradezu als bewusstes Täuschungsmanöver erscheinen. Diese Deutung der Rechtsquellen beruht auf der fragwürdigen Voraussetzung, dass das Edikt Theoderichs ein getreuer Spiegel der sozialen und ökonomischen Verhältnisse im gotischen Italien sei, und ist daher grundsätzlicher Kritik ausgesetzt.188 Der Amerikaner Jonathan J. Arnold (* 1980) nahm 2014 umgekehrt die Varien Cassiodors für bare Münze und gelangte auf diese Weise zu einer extrem positiven Beurteilung der Regierung Theoderichs.189 Im Grunde reproduzierte er den Diskurs der königlichen Zentrale und deren zeitgenössische Rezeption bei loyalen Untertanen wie Ennodius. Bei Arnold feierte das „Goldene Zeitalter“ Theoderichs fröhliche Urständ: Es herrscht Frieden, die Wirtschaft boomt, die Städte prosperieren. Ethnische Konflikte gibt es in diesem Reich nicht, denn die Goten sind längst Römer geworden, und Theoderich herrscht in Italien nicht etwa als 186 Hans-Ulrich

Wiemer: Die Goten in Italien. Wandlungen und Zerfall einer Gewaltgemeinschaft. In: HZ 296 (2013), S. 593–628; ders.: Keine Amazonen. Frauen in ostgotischen Kriegergruppen. In: AKG 99 (2017), S. 265–298; ders.: Theoderich der Große (wie Anm. 1); dazu Herwig Wolfram, in: sehepunkte 18 (2018), Nr.  7/8, online zugänglich unter: www.sehepunkte. de/2018/07/31726.html (letzter Zugriff am 27. 3. 2020). Siehe auch Hans-Ulrich Wiemer/Guido M. Berndt: Instrumente der Gewalt. Bewaffnung und Kampfesweise gotischer Kriegergruppen. In: Millennium-Jahrbuch 15 (2016), S. 141–210. 187  Sean D. W. Lafferty: Law and Society in the Age of Theodoric the Great. A Study of the Edictum Theoderici. Cambridge/New York 2013; ders.: Law and Society in Ostrogothic Italy. Evidence from the Edictum Theoderici. In: JLA 3 (2010), S. 337–364; ders.: Law and Order in the Age of Theoderic the Great (c. 493–526). In: EME 20 (2012), S. 260–290. Zur Monographie Laffertys vgl. die kritische Rezension von Detlef Liebs, in: ZRG, RA 132 (2015), S. 560–570. 188  Vgl. dazu den Beitrag von Karl Ubl in diesem Band. 189  Jonathan J. Arnold: Theoderic and the Roman Imperial Restoration. Cambridge 2014. Vgl. dazu meine Kritik, in: sehepunkte 15 (2015), Nr. 10, online zugänglich unter: www.sehepunkte. de/2015/10/25443.html (letzter Zugriff am 27. 3. 2020).

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König eines Volkes von bewaffneten Einwanderern oder als Stellvertreter des römischen Kaisers, sondern als römischer Kaiser, wenngleich mit dem Titel princeps. Eine Auseinandersetzung mit der Frage, weshalb das Gotenreich nach nur zwei Generationen unterging, hat sich der Verfasser durch die Entscheidung erspart, seine Darstellung nach der Eroberung der Provence unvermittelt abzubrechen. Arnold hat 2016 zusammen mit Shane Bjornlie und Kristina Sessa auch einen „Companion to Ostrogothic Italy“ herausgegeben. Der Band, der 19 Beiträge unter den Stichworten „Staat“, „Kultur und Gesellschaft“ sowie „Religion“ versammelt, will einen umfassenden und systematischen Überblick über das Thema geben, freilich unter Ausschluss der Person und Familie Theoderichs sowie von Außenpolitik und Kriegführung. Die Beiträge sind nach Konzeption, Originalität und Qualität recht unterschiedlich; neben handbuchartigen Artikeln stehen Spezialstudien und programmatische Thesen. Besondere Hervorhebung verdienen die Beiträge von Federico Marazzi über die Städte und Rita Lizzi Testa über die kirchlichen Institutionen.190 Die italienische Forschung über Staat, Gesellschaft und Literatur im Königreich Theoderichs ist in den letzten Jahrzehnten besonders ertragreich gewesen. Domenico Vera hat seit den 1980er-Jahren in einer Vielzahl von Aufsätzen grundlegende Beiträge zur Agrargeschichte des spätantiken Italiens geleistet, die auch für die Zeit gotischer Herrschaft einschlägig sind.191 Vera hat herausgearbeitet, dass die landwirtschaftliche Produktion auf der bäuerlichen Familienwirtschaft beruhte; sie war dezentralisiert und marktorientiert. Obwohl der Bauernhof die Grundeinheit der Produktion bildete, schritt die Konzentration des Grundeigentums in den Händen der Oberschichten weiter voran. Die Produzenten konnten freie Pächter oder unfreie Arbeiter sein; die Sklaverei behielt auch in der Landwirtschaft große Bedeutung. Im Jahr 2012 legte Pierfrancesco Porena eine umfangreiche Monographie zur Ansiedlung der Goten in Italien vor.192 Porena hat die Quellen im Licht der seit Goffart geführten Diskussion noch einmal überprüft. Das Fazit seiner sorgfälti190 

Jonathan Arnold/M. Shane Bjornlie/Kristina Sessa (Hg.): A Companion to Ostrogothic Italy. Leiden/Boston 2016. Darin besonders: Cam Grey: Landowning and Labour in the Rural Economy, S. 263–295; Federico Marazzi: Ostrogothic Cities, S. 98–120; Rita Lizzi Testa: Bishops, Ecclesiastical Institutions and the Ostrogothic Regime, S. 451–479; dies.: Mapping the Church and Ascetiscism in Ostrogothic Italy, S. 480–502; Samuel Cohen: Religious Diversity, S. 503–532. 191  Domenico Vera: Proprietà terriera e società rurale nell’Italia gotica. In: Teoderico il Grande e i Goti d’Italia (wie Anm. 157), S. 133–166; ders.: Dalla liturgia al contratto: Cassiodoro, Variae X,28 e il tramonto della città curiale. In: Pablo C. Díaz/Iñaki Martín Viso (Hg.): Between Taxation and Rent. Fiscal Problems from Late Antiquity to Early Middle Ages. Bari 2011, S. 51–70; ders.: Stato, fisco e mercato nell’Italia gotica secondo le Variae di Cassiodoro: fra ideologia politica e realtà. In: Claire Hasenohr/Laurent Capdetrey (Hg.): Agoranomes et édiles. Institutions des marchés antiques. Bordeaux/Paris 2012, S. 245–258; ders.: Questioni di storia agraria tardoromana: schiavi, coloni, villae. In: AntTard 20 (2012), S. 115–122. 192 Pierfrancesco Porena: L’insediamento degli Ostrogoti in Italia. Rom 2012. Vgl. auch ders.: Voci e silenzi sull’insediamento degli Ostrogoti in Italia. In: Pierfranceso Porena/Yann Rivière (Hg.): Expropriations et confiscations dans les royaumes barbares. Une approche régionale. Rom 2012, S. 227–278.

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gen Untersuchung lautet, dass die Krieger Theoderichs seit 493 tatsächlich in Nord- und Mittelitalien Landgüter erhielten, die sich zuvor im Besitz der Gefolgsleute Odovakars befunden hatten oder das Eigentum von Römern gewesen waren. Es fanden also durchaus Enteignungen statt, doch erstreckten sich diese weder auf alle Teile Italiens, noch trafen sie alle sozialen Schichten gleichermaßen. Die Kirche war grundsätzlich ausgenommen; der Grundbesitz der Senatoren lag zum großen Teil südlich des gotischen Siedlungsgebietes. Nach Porena waren ­daher von den Enteignungen vor allem Grundbesitzer aus dem Kurialenstand ­betroffen. Porenas Argumentation beruht auf einer schlüssigen Interpretation der wenigen Zeugnisse und ist in sich kohärent. Eine Rückkehr zum Modell Goffarts scheint ausgeschlossen, solange keine neuen Argumente oder Quellen präsentiert werden.193 Es bleibt jedoch auch bei Porena im Einzelnen vieles unsicher. Vor ­allem ist der Vorgang der Verteilung für uns allenfalls im Umriss zu erschließen, da sich keine Zeugnisse erhalten haben, die in unmittelbarem Zusammenhang mit ihm entstanden sind. Darum wissen wir nicht, wie gleichmäßig oder ungleichmäßig die Anteile waren, die Theoderichs Gefolgsleute erhielten. Es ist zudem davon auszugehen, dass es eine Übergangsphase gab, in der Theoderichs Heer aus Steuermitteln versorgt werden musste. Die erste systematische Untersuchung der Rekrutierung und Funktionsweise des Senats unter gotischer Herrschaft wird Adolfo La Rocca und Fabrizio Oppedisano verdankt.194 Die beiden Autoren weisen die fast allgemein akzeptierte Auffassung, nur viri illustres wären zur Teilnahme an Senatssitzungen berechtigt gewesen, mit guten Argumenten zurück und machen deutlich, dass die Rangklasse der illustres nicht bloß einen verhältnismäßig kleinen Teil des senatorischen Milieus ausmachte, sondern auch weniger scharf von den beiden niedrigeren Rangklassen getrennt war, als bisher meist angenommen wurde. In diese Tradition gehören schließlich auch die Arbeiten von Massimiliano Vitiello, obwohl er seit Langem außerhalb Italiens lehrt. Vitiello hat sich in mehreren Monographien und zahlreichen Aufsätzen mit verschiedenen Aspekten des Gotenreiches auseinandergesetzt. Dem politischen Denken und Zeremoniell hat er zwei Monographien in italienischer Sprache gewidmet.195 In neuerer Zeit hat er Biographien Theodahads196 und der Amalasvintha197 in englischer Sprache hinzugefügt. 193  Walter

Goffart: Barbarian Tides. The Migration Age and the Later Roman Empire. Philadelphia, PA 2006, S. 119–186 mit Appendix 3 auf S. 257–262, bringt keine neuen Argumente, die einer Überprüfung standhalten. 194  Adolfo La Rocca/Fabrizio Oppedisano: Il Senato romano nell’Italia ostrogota. Rom 2016. 195  Massimiliano Vitiello: Momenti di Roma ostrogota. Aduentus, feste, politica. Stuttgart 2005; ders.: Il principe, il filosofo, il guerriero. Lineamenti di pensiero politico nell’Italia ostrogota. Stuttgart 2006. 196  Massimiliano Vitiello: Theodahad. A Platonic King at the Collapse of Ostrogothic Italy. Toronto/Buffalo/London 2014; vgl. dazu meine Rezension, in: HZ 305 (2017), S. 515  f. 197  Massimiliano Vitiello: Amalasuintha. The Transformation of Queenship in the Post-Roman World. Philadelphia, PA 2017. Die These, Theoderich habe Amalasvintha bereits vor seinem Tod als regina zur Nachfolgerin bestimmt, lässt sich jedoch nicht halten; vgl. dazu meinen Beitrag über das gotische Königtum in diesem Band.

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Neben der Analyse ökonomischer Strukturen und staatlicher Institutionen bildet die Erschließung der Quellen einen weiteren Schwerpunkt der italienischen Forschung. An erster Stelle muss der historische Kommentar zu den Varien Cassiodors genannt werden, der von einem Team italienischer Forscher und Forscherinnen unter der Leitung von Andrea Giardina, Giovanni Albert Cecconi und ­Ignazio Tantillo erarbeitet wird.198 Bislang liegen vier Bände vor, die den Kommentar zu den Büchern 3–12 enthalten.199 Der erste Band, der die Einleitung und den Kommentar zu den Büchern 1 und 2 enthalten wird, steht noch aus. Dennoch kann schon jetzt festgehalten werden, dass es sich um einen Meilenstein der Forschung über Cassiodor und das Gotenreich in Italien handelt. Der Kommentar orientiert knapp und zuverlässig über die historischen Probleme, die der Text aufwirft, bezieht auch in strittigen Fragen Stellung und verarbeitet dabei eine gewaltige Menge an weit verstreuter Literatur.200 Zudem bieten die Bände eine zuverlässige Übersetzung ins Italienische. Als sechster Band ist ein Index angekündigt, der einen raschen Zugriff auf das im Kommentar enthaltene Material ermöglichen soll. Man wartet mit Ungeduld auf den Abschluss dieses großartigen Unternehmens. Der italienischen Ausgabe tritt nun eine vollständige Übersetzung der Variae ins Englische zur Seite, die Shane Bjornlie verdankt wird. Seiner Übersetzung ist jedoch kein Kommentar beigegeben.201 Weniger gut steht es um den sogenannten Anonymus Valesianus, die einzige zusammenhängende Darstellung der Regierung Theoderichs, die bald nach dessen Tod in Oberitalien, vielleicht in Ravenna, verfasst wurde. Zwar steht seit 1997 eine kommentierte Ausgabe dieses Textes mit deutscher Übersetzung zur Verfügung, die der Althistoriker Ingemar König (* 1938) besorgt hat. Der Zugang zu dieser wichtigen Quelle, deren biographisches Narrativ die moderne Forschung nachhaltig beeinflusst hat, wird dadurch ohne Zweifel erleichtert. Der Kommentar trägt reiches Material zur Sacherklärung zusammen, lässt jedoch die nötige Kritik vermissen.202 Bei angemessener Berücksichtigung von Kontext, Tendenz und Form sind hier ohne Zweifel noch erhebliche Fortschritte möglich.203 198 

Der Althistoriker Andrea Giardina (* 1949) hat seit den 1980er-Jahren eine Reihe von Studien über Cassiodor vorgelegt, die auch gesammelt vorliegen: Andrea Giardina: Cassiodoro politico. Rom 2006. 199  Flavio Magno Aurelio Cassiodoro Senatore, Varie. Direzione di Andrea Giardina. A cura di Andrea Giardina, Giovanni Alberto Cecconi, Ignazio Tantillo con la collaborazione di Fabrizio Oppedisano. Vol. II: Libri III–V. Rom 2014; Vol. III: Libri VI–VII. Rom 2015; Vol. IV: Libri VIII–X. Rom 2016; Vol. V: Libri XI–XII. Rom 2015. 200  Es bleibt freilich weiterhin Raum für genaue Analysen von Sprache und Stil; diese Lücke füllt jetzt für das 6. Buch: Friederike Gatzka: Cassiodor, „Variae“ 6. Einführung, Übersetzung und Kommentar. Berlin 2019. 201  M. Shane Bjornlie: Cassiodorus. The Variae: The Complete Translation. Oakland 2019. 202  Ingemar König: Aus der Zeit Theoderichs des Großen. Einleitung, Text, Übersetzung und Kommentar einer anonymen Quelle. Darmstadt 1997. 203  Die zweisprachige Ausgabe von Michel Festy/Massimiliano Vitiello: Anonyme de Valois II. L’Italie sous Odoacre et Théodoric. Texte établi et traduit par Michel Festy. Introduction et Commentaire. Paris 2020, erschien nach Abschluss des Manuskripts. Vgl. dazu meine Rezension, in: Klio 102 (2020).

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Dem Edikt Theoderichs wurden in den letzten Jahren gleich mehrere Studien gewidmet. Der italienische Rechtshistoriker Orazio Licandro versuchte 2013 in einer Monographie den Nachweis zu erbringen, dass das sogenannte Edikt Theoderichs in Wahrheit eine private, für den Gebrauch in Prozessen zwischen Goten und Römern bestimmte Kompilation von Rechtssätzen darstelle, die von ihrem ersten Herausgeber Pierre Pithou (1539–1596) irrtümlich dem König Theoderich zugeschrieben worden sei. Auch wenn diese These sich schwerlich durchsetzen wird, lohnt sich die Beschäftigung mit dem Buch schon wegen der ausführlichen Darstellung der Editions- und Forschungsgeschichte; zudem enthält es neben dem lateinischen Text eine italienische Übersetzung sowie ein Faksimile der editio princeps, von der alle späteren Ausgaben abhängen.204 Auf die im selben Jahr erschienene Monographie von Lafferty wurde oben bereits eingegangen; ihr ist eine englische Übersetzung beigegeben. 2018 veröffentlichte dann Ingemar König die erste Übersetzung ins Deutsche, die jedoch unzuverlässig ist.205 König, der die Rechtssammlung wie Lafferty dem ostgotischen König zuschreibt, hat seiner Übersetzung zwar Rechtstexte zur Seite gestellt, die den Kompilatoren als Quelle gedient haben könnten, aber darauf verzichtet, das Edikt als Rechtstext zu erläutern und als historische Quelle auszuwerten. Die schwierige, aber lohnende Aufgabe, diese wichtige Quelle unter juristischen und historischen Aspekten angemessen zu kommentieren, bleibt noch zu lösen. Für das Werk des Ennodius ist in den vergangenen Jahrzehnten in Italien und anderswo viel geleistet worden. Nachdem Maria Cesa der Vita des Bischofs Epiphanius von Pavia bereits 1988 einen historischen Kommentar gewidmet hatte,206 folgte 2002 Simona Rota mit einem historischen Kommentar zum TheoderichPanegyricus.207 Beide Autorinnen bieten neben dem lateinischen Text auch eine italienische Übersetzung.208 2005 brachte Daniele di Rienzo einen knappen philologischen Kommentar zu den Epigrammen heraus.209 Eine vollständige Überset204 

Orazio Licandro: Edictum Theoderici. Un misterioso caso librario del Cinquecento. Rom 2013. Licandro hatte seine These zuvor bereits in einer zweisprachigen Ausgabe vorgetragen: ders.: Edic­ tum Theoderici. Traduzione con testo a fronte. Turin 2008. Vgl. zu dieser Ausgabe den Rezen­ sionsartikel von Marcella Raiola: La ‚questione teodericiana‘: un’ipotesi ricostruttivo-costitutiva dell ‚Edictum‘. In: Rivista di Diritto Romano 11 (2011), online zugänglich unter: www.ledonline.it/ rivistadirittoromano (letzter Zugriff am 27. 3. 2020). 205  Ingemar König: Edictum Theodorici regis. Das „Gesetzbuch“ des Ostgotenkönigs Theoderich des Großen. Zweisprachige Gesamtausgabe mit Einleitung und Kommentar. Darmstadt 2018. Vgl. dazu meine Rezension, in: Klio 102 (2020). 206  Ennodio: Vita del beatissimo Epifanio vescovo della Chiesa pavese. A cura di Maria Cesa. Como 1988. 207  Magno Felice Ennodio: Panegirico del clementissimo re Teoderico (opusc. 1). A cura di Simona Rota. Rom 2002. Christian Rohr: Der Theoderich-Panegyricus des Ennodius. Hannover 1995, enthält eine deutsche Übersetzung und berichtet ausführlich über die handschriftliche Überlieferung, trägt aber zur Interpretation des Texts wenig bei. 208  Ennodius: Heiligenviten. Epiphanius von Pavia/Antonius von Lérins. Eingeleitet, übersetzt und kommentiert von Frank M. Ausbüttel. Darmstadt 2016, ist mit Vorsicht zu benutzen; die Übersetzung enthält viele Fehler. 209  Daniele di Rienzo: Gli epigrammi di Magno Felice Rienzo. Neapel 2005.

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zung der Briefe fehlt hingegen noch immer, doch hat Stéphane Gioanni mit der lateinisch-französischen Ausgabe der ersten vier der insgesamt neun Bücher immerhin einen vielversprechenden Anfang gemacht.210 Zudem hat die deutsche ­Latinistin Bianca-Jeanette Schröder das Verständnis der Ennodius-Briefe als Medium sozialer Kommunikation durch eine Monographie wesentlich gefördert.211 Die französische Latinistin Céline Urlacher-Becht untersuchte 2014 anhand der religiösen Epigramme und Hymnen das Wirken des Ennodius als Kleriker der Mailänder Kirche.212 Gleichwohl ist das Werk des Ennodius für die historische Forschung noch lange nicht hinreichend erschlossen. Die als Werkinterpretation angelegte Gesamtdarstellung der Kanadierin Stephanie Kennell aus dem Jahr 2000 lässt eine klare Linie vermissen.213 Die 2013 erschienene Monographie von Giulia Marconi über die kirchliche Laufbahn und das soziale Netzwerk des Autors fällt hinter den Forschungsstand zurück.214 Die dem Gotenkrieg Justinians gewidmeten Bücher im Geschichtswerk des Prokopios von Kaisareia stehen an Bedeutung als Quelle für das Gotenreich in Italien nur hinter Cassiodor und Jordanes zurück. Der Verfasser beschrieb den gotischen Krieg Kaiser Justinians ausführlich und in geringem Abstand zu den Ereignissen als gut informierter Zeitgenosse, ja bis 540 sogar als teilnehmender Beobachter. Es existieren Studien zu einzelnen Sachproblemen. Die historiographische Methode des Autors ist für diese Bücher jedoch noch nicht systematisch untersucht worden, wenn man von einem Kapitel in der grundlegenden Prokopios-Monographie der Byzantinistin Averil Cameron (* 1940) aus dem Jahre 1985 absieht.215 Für die Sacherklärung ist man immer noch auf den stichwortartigen Kommentar in Berthold Rubins RE-Artikel aus dem Jahr 1954 angewiesen, der viel zu knapp und zudem in vielerlei Hinsicht überholt ist.216 Ein historischer Kommentar zu dieser Quelle ist daher ein dringendes Desiderat der Forschung. 210  Ennode

de Pavie: Lettres. Vol. I: Livres I et II. Vol. II: Livres III et IV. Texte établi, traduit et commenté par Stéphane Gioanni. Paris 2006/2010. 211  Bianca-Jeanette Schröder: Bildung und Briefe im 6. Jahrhundert. Studien zum Mailänder Diakon Magnus Felix Ennodius. Berlin 2007. 212  Céline Urlacher-Becht: Ennode de Pavie, chantre officiel de l’Église de Milan. Paris 2014. 213  Stephanie A. H. Kennell: Magnus Felix Ennodius. A Gentleman in Letters. Ann Arbor, MI 2000. 214  Giulia Marconi: Ennodio e la nobilità gallo-romana nell’Italia ostrogota. Spoleto 2013. Vgl. dazu die kritische Rezension von Bianca-Jeanette Schröder, in: Zeitschrift für antikes Christentum 18 (2014), S. 544–547. 215  Averil Cameron: Procopius and the Sixth Century. London 1985. Über die seitdem erschienene Literatur informiert ausgezeichnet Geoffrey B. Greatrex: Recent work on Procopius and the composition of Wars VIII. In: Byzantine and Modern Greek Studies 27 (2003), S. 45–67; ders.: Perceptions of Procopius in Recent Scholarship. In: Histos 8 (2014), S. 76–121 + 121a–e (addenda). 216  Berthold Rubin: Prokopios von Kaisareia. Stuttgart 1954, Sp. 154–252. Die von Anthony Kaldellis revidierte Fassung der Loeb-Übersetzung der „Kriegsgeschichte“ ist ein nützliches Arbeitsinstrument: Prokopios: The Wars of Justinian. Translated by H. B. Dewing. Revised and Modernized, with an Introduction and Notes. Indianapolis, IN 2014. Die im deutschsprachigen Bereich verbreitete Übersetzung von Otto Veh: Prokop. Gotenkriege. Griechisch-Deutsch. München 1966, entfernt sich dagegen oft recht weit vom Original und trifft nicht immer den gemeinten Sinn.

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Auch die „Gotengeschichte“ des Jordanes ist bis heute nicht durch einen historischen Kommentar erschlossen. Angesichts der zentralen Rolle, die dieses Werk seit den Anfängen der modernen Beschäftigung mit den Goten gespielt hat, ist diese Lücke besonders schmerzlich. Der Germanist Norbert Wagner (* 1929) hatte noch 1967 versucht, Siedlungsorte und Wanderbewegungen gotischer Gruppen in vorgeschichtlicher Zeit anhand von Völkernamen zu rekonstruieren, die Jordanes überliefert.217 Seit einigen Jahrzehnten herrscht die Ansicht vor, dass die Amaler-Genealogie eine fiktive Konstruktion und die Erzählung von einer gotischen Wanderung aus Skandinavien ans Schwarze Meer nicht mehr als ein Mythos sei; der dänische Historiker Arne Søby Christensen, der die Quellen des Jordanes 2002 eingehend untersucht hat, spricht von einem „migration myth“.218 In jüngster Zeit ist durch die Entzifferung eines Palimpsestes in der Österreichischen Nationalbibliothek jedoch wieder Bewegung in die Diskussion über das Verhältnis des Jordanes zu seinen Quellen, insbesondere zur verlorenen „Gotengeschichte“ des Jordanes gekommen, da an der Historizität eines gotischen Königs namens Ostrogotha nun nicht länger gezweifelt werden kann.219 Freilich stellt die Kommentierung der „Gotengeschichte“ des Jordanes besonders hohe Anforderungen, da der Text vielfältige sachliche, überlieferungsgeschichtliche und sprachliche Probleme aufwirft, deren Lösung nicht nur historische, sondern auch literatur- und sprachwissenschaftliche Kompetenz sowohl auf latinistischem als auch auf germanistischem Gebiet verlangt. Die mit einer ausführlichen Einleitung und knappen Anmerkungen versehene Übersetzung von Charles Christopher Mierow stammt aus dem Jahr 1915 und ist daher in weiten Teilen veraltet.220 Der Latinist Anto­ nino Grillone hat seiner 2017 veröffentlichten kritischen Ausgabe des lateinischen 217 

Norbert Wagner: Getica. Untersuchungen zum Leben des Jordanes und zur frühen Geschichte der Goten. Berlin 1967. Methodisch ganz ähnlich verfuhr zur selben Zeit der Latinist Josef Svennung: Jordanes und Scandia. Kritisch-exegetische Studien. Stockholm 1967. Vgl. zu beiden Büchern die kritische Rezension von Hans Kuhn, in: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 97 (1969), S. 150–158. 218 Arne Søby Christensen: Cassiodorus, Jordanes and the History of the Goths. Studies in a Migration Myth. Kopenhagen 2002. Vgl. dazu die ausführliche Besprechung von Ian Wood, in: Historisk Tijdskrift 103 (2013), S. 465–484. Zur Amaler-Genealogie vgl. oben die Ausführungen über Peter Heather. Zur Darstellung des 5. Jahrhunderts bei Jordanes vgl. die Studie von Angela Amici: Iordanes e la storia gotica. Spoleto 2002. 219  Eine vorläufige Edition bieten Jana Grusková/Gunter Martin: ‚Scythica Vindobonensia‘ by Dexippus (?): New Fragments on Decius’ Gothic Wars. In: Greek, Roman and Byzantine Studies 54 (2014), S. 728–754; dies.: Ein neues Textstück aus den ‚Scythica Vindobonensia‘ zu den Ereignissen nach der Eroberung von Philippopolis. In: Tyche 29 (2014), S. 29–43; dies.: Zum Angriff der Goten unter Kniva auf eine thrakische Stadt (Scythica Vindobonensia, f. 195v). In: Tyche 30 (2015), S. 35–53. Die seitdem erschienene, sehr umfangreiche Literatur ist auf der Homepage des FWF-Projekts „Scythica Vindobonensia“ bei der Österreichischen Akademie der Wissenschaften aufgelistet. In Wien fand dazu vom 3.–6. Mai 2017 unter dem Titel „Empire in crisis: Gothic invasions and Roman historiography“ eine Tagung statt, deren Beiträge als Supplementband der Zeitschrift „Tyche“ veröffentlicht werden sollen. Vgl. auch den Beitrag von Massimiliano Vitiello in diesem Band. 220 Charles Christopher Mierow: The Gothic History of Jordanes in English Version with an Introduction and a Commentary. Princeton, NJ 1915.

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Textes neben einer italienischen Übersetzung auch erklärende Anmerkungen beigegeben. Diese Anmerkungen dienen jedoch überwiegend der sprachlichen Erklärung des Textes und entsprechen häufig nicht dem Stand der historischen Forschung.221 Allerdings verspricht eine kommentierte Übersetzung ins Englische von Lieve Van Hoof und Peter Van Nuffelen, deren Erscheinen für 2020 angekündigt ist, einen wesentlichen Fortschritt für das Verständnis des Autors als Historiograph zu erbringen.222

Rückblick und Ausblick Blickt man auf den Gang der modernen Gotenforschung zurück, stellt man fest, dass nicht wenige Themen, die heute als zentral gelten, schon seit mindestens 200 Jahren diskutiert werden. Diese Beobachtung kann vor der Illusion schützen, das jeweils letzte Buch zum Thema eröffne ganz neue Perspektiven auf einen Gegenstand, der seit der Aufklärung kontinuierlich und intensiv diskutiert wird. Zugleich wird aber auch deutlich, dass die Perspektiven sich in diesem langen Zeitraum immer wieder verschoben haben; die Erkenntnisinteressen wechselten, ebenso die theoretischen Modelle und die historiographischen Konzepte. Gewiss, die Frage, weshalb das Gotenreich in Italien nur wenige Jahrzehnte nach Theoderichs Tod unterging, hat bereits die antiken Autoren beschäftigt. Sie ist mit der Bewertung Theoderichs untrennbar verbunden, denn jeder Gründer eines Reiches wird daran gemessen, wie lange seine Gründung Bestand hat. War der Untergang die Folge eines vermeidbaren Konstruktionsfehlers, resultierte er aus inneren ­Gegensätzen, oder war er die Folge von äußeren Entwicklungen, die der König nicht kontrollieren konnte? Theoderich von jeder Verantwortung für den raschen Zusammenbruch seines Reiches zu entlasten ist nur möglich, wenn man die Ur­ sachen in der persönlichen Schwäche seiner Nachfolger und der strukturellen Übermacht Ostroms sucht und findet. Solche Erklärungen wurden und werden vorgetragen, bleiben jedoch unbefriedigend, weil dem König dadurch jede Handlungsmacht abgesprochen wird. Wer den König gerecht beurteilen will, wird fragen, welche Ziele er verfolgte, wer ihn unterstützte und wer ihm entgegenwirkte. Zugespitzt formuliert: Scheiterte Theoderich an Widerständen im Inneren, oder durchkreuzten äußere Feinde seine Pläne? Die Antwort auf diese Fragen hängt wesentlich davon ab, welche Pläne man dem König zuschreibt. Dass Theoderich sein Reich auch nach der Eroberung Italiens noch erheblich vergrößern und Italien 221 Antonino

Grillone: Iordanes. Getica. Edizione, traduzione e commento. Paris 2017. Zur Konstitution des Textes vgl. die kritische Rezension von Lieve Van Hoff/Peter Van Nuffelen, in: Gymnasium 125 (2018), S. 591–593. 222  Der Band wird voraussichtlich 2020 in der Reihe „Translated Texts for Historians“ erscheinen. Ich danke Lieve Van Hoof und Peter Van Nuffelen für die Möglichkeit, das Manuskript schon vor der Drucklegung einzusehen. Vgl. auch ihre vorbereitende Studie: The Historiography of Crisis: Jordanes, Cassiodorus and Justinian in Mid Sixth-Century Constantinople. In: JRS 107 (2017), S. 275–300.

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selbst für mehr als drei Jahrzehnte vor feindlichen Angriffen weitgehend schützen konnte, steht außer Frage. In diesem Sinn kann man von einer Friedensherrschaft Theoderichs sprechen. Im Gegensatz zu den römischen Kaisern hat der König auch niemals universale Herrschaftsansprüche erhoben; Theoderichs Kanzlei definierte das Reich des Königs als eine der beiden res publicae, als Fortsetzung des Weströmischen Reiches. Das unterscheidet seine außenpolitische Konzeption fundamental von derjenigen des Kaisers Justinian. Umstritten ist dagegen, welche außenpolitischen Ziele der König gegenüber seinen westlichen Nachbarn verfolgte. Die Vorstellung, Theoderich habe danach gestrebt, alle romanischen und germanischen Völker in einem Reich zu vereinigen, blieb im 19. und 20. Jahrhundert vereinzelt. Nach 1945 setzte sich die Auffassung fast allgemein durch, dass Theoderich sein Reich durch Allianzen mit den germanischen Königen des Westens habe sichern wollen, dabei aber am Expansionsdrang seines Schwagers Chlodwig gescheitert sei. Enßlin sah darin ein „Gleichgewichtssystem mit dem Ziel der ­allgemeinen Befriedung“. Dieser Deutung zufolge erlangte Theoderich die Herrschaft über die Provence und Hispanien wider Willen. Dem ist entgegenzuhalten, dass dieses Bündnissystem durchaus hegemonial angelegt war und bereits bei seiner ersten Belastungsprobe zerbrach. Theoderich hat den Krieg gegen Chlodwig nicht herbeigeführt, aber entschlossen zugegriffen, nachdem er ausgebrochen war. Hispanien fiel ihm nicht kampflos in den Schoß, sondern wurde gegen erheblichen Widerstand von westgotischer Seite erobert. Welche Politik aber verfolgte Theoderich im Inneren seines Reiches? Für die moderne Forschung war diese Frage für lange Zeit gleichbedeutend mit der nach der Rolle, die er Goten und Römern in seinem Reich zugedacht hatte. Im 18. Jahrhundert schien die Antwort klar und eindeutig: Theoderich verfolgte eine Politik der funktionalen Komplementarität und Separation zwischen Goten und Römern. Gibbon sah das große Verdienst Theoderichs darin, dass er seine Goten zähmte, ohne sie zu entwaffnen. In napoleonischer Zeit diskutierte man in Westeuropa darüber, weshalb die an sich wünschenswerte Vermischung zwischen Goten und Römern im Reich Theoderichs nicht zustande kam. Im viktorianischen England vertrat Hodgkin die Auffassung, Theoderich habe erkannt, dass seine Goten dafür noch nicht reif waren. Problematisch und politisch brisant wurde die Frage nach Trennung oder Vermischung, als die Geschichtsbetrachtung zunehmend in den Dienst nationalistischer Gedanken und Bestrebungen trat. Nun schieden sich die Geister an der Frage, ob die Vermischung zwischen Goten und Römern überhaupt erstrebenswert war, wenn sie darauf hinauslief, dass die germanische Minderheit in der römischen Mehrheit aufging und dadurch ihre Eigenart einbüßte. Wer deutschnational, völkisch oder gar rassisch dachte, konnte eine Verschmelzung dieser Art nicht wünschen. Theoderich wurde darum im deutschsprachigen Bereich seit dem 19. Jahrhundert daran gemessen, ob er genug getan habe, sein Volk vor dem Aufgehen in einer fremden Umwelt zu bewahren. Das änderte sich erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Sorge um die Bewahrung nationaler oder völkischer Eigenart konnte nun kein Anliegen deutschsprachiger Geschichtsforschung mehr sein. Aber das Problem, ob eine Politik der ethnischen

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Separation auf Dauer durchzuhalten gewesen wäre, wenn das Gotenreich länger bestanden hätte, war dadurch nicht erledigt. Die Goten Theoderichs machten nur einen Bruchteil der Bevölkerung Italiens aus und waren zudem im Lande weithin verstreut. Eine sprachliche und kulturelle Abkapselung ist unter diesen Bedingungen schwer aufrechtzuerhalten. Militärische und zivile Eliten tendieren auf lange Sicht stets dazu, ihr Kapital an Ansehen, Macht und Reichtum durch Heiraten zu fusionieren; genau dies geschah im Laufe des 6. Jahrhunderts im hispanischen Gotenreich. Insofern bleiben die Fragen aktuell, die sich schon Gibbon gestellt hat. Die Forschung der letzten 40 Jahre geht dieses Problem jedoch von anderen Vo­ raussetzungen her an. Für sie sind Goten und Römer keine festen Größen mehr, die über Jahrhunderte hinweg stabile und kohärente Wesensmerkmale aufwiesen. Goten und Römer sind für sie zunächst einmal diskursive Konstrukte, die es auf ihre praktische Funktion in der Kommunikation und Interaktion zwischen Gruppen und Individuen hin zu analysieren gilt. Wer die Leute waren, die im Reich Theoderichs als Goten bezeichnet wurden, woher sie stammten, was sie untereinander verband und wie sie sich selbst verstanden – diese Fragen werden heute sehr unterschiedlich beantwortet und verlangen daher eine differenzierte Erörterung. Dasselbe gilt im Übrigen auch für die Menschen, die von Theoderichs Kanzlei als Römer klassifiziert wurden. Die moderne Forschung hat die ökonomischen und sozialen Zustände im Reich Theoderichs bis ins 20. Jahrhundert hinein oftmals in rosigen Farben gezeichnet. Die biologische Metapher der Blüte ist fast allgegenwärtig, und auch die mythischpropagandistische Formel vom „Goldenen Zeitalter“ Theoderichs begegnet bis heute in Büchern mit wissenschaftlichem Anspruch. Solche Deutungen beziehen ihre scheinbare Plausibilität aus der Nähe zu den antiken Zeugnissen, die sie unkritisch reproduzieren. Tatsächlich zollen ja Zeitgenossen wie Cassiodor, Enno­ dius, Prokopios und der Anonymus Valesianus der Regierung des Königs hohes Lob. Kritische Interpretationen dieser Quellen begegnen erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Dahn las das Edikt Theoderichs sozusagen gegen den Strich. Mommsen und Hartmann wussten zwischen Norm und Praxis, aber auch zwischen Rhetorik und Realität genau zu unterscheiden. Ein realistischer Blick auf die Gesellschaft, die Theoderich zu konservieren trachtete, ist auch heute angebracht und kann vor postmoderner Verklärung der Vergangenheit schützen. Das spätantike Italien war durch ein hohes Maß an Ungleichheit der Lebenschancen, durch Sklaverei und andere Formen rechtlicher Unfreiheit, durch Armut und Not für breite Schichten geprägt. Im 20. Jahrhundert schenkte man den literarischen Formen und propagandistischen Intentionen der Schriftquellen erhöhte Aufmerksamkeit. Man wurde misstrauischer gegenüber Texten, die gar nicht verhehlen, dass sie zum Ruhm des Königs beitragen wollen, und für diesen Zweck raffinierte Techniken der stofflichen Selektion, argumentativen Präsentation und sprachlichen Stilisierung anwenden. Die Aussagekraft der literarisch geformten Schriftquellen wurde so zum Gegenstand heftiger Kontroversen, die bis heute andauern. Dabei stehen die Varien Cassiodors noch immer im Mittelpunkt: Ihre Deutung steht mit der Beurteilung der Regierung Theoderichs in einem engen

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und untrennbaren Zusammenhang. Aber auch die alte Frage nach den Quellen des Jordanes, ihrem Verhältnis zur „Gotengeschichte“ Cassiodors und dem Geschichtsbewusstsein der Goten ist unverändert aktuell. Neue Daten über Siedlungsformen, Stadtbilder und Warenaustausch liefert seit wenigen Jahrzehnten die Archäologie. Dadurch werden der Forschung über das gotische Italien Materialien erschlossen, die älteren Generationen nicht zur Verfügung standen. Annette Haug hat 2003 den Stand der urbanistischen Forschung für Norditalien in der Spätantike in einer großen Monographie zusammengefasst.223 Neil Christie legte drei Jahre später eine Geschichte Italiens von Constantin dem Großen bis zu Karl dem Großen vor, die von der materiellen Überlieferung ausgeht.224 Der zeitliche Fokus dieser beiden Synthesen reicht freilich weit über das Gotenreich hinaus. Der große Maßstab macht langfristige Entwicklungen sichtbar, hängt aber auch damit zusammen, dass die archäologischen Befunde nur sehr selten mit einer Genauigkeit datiert werden können, die es erlaubt, sie ohne Zweifel mit der gotischen Herrschaft in Italien zu verbinden. Zudem sind die Befunde über ländliche Siedlungen und Stadtbilder noch immer fragmentarisch und punktuell. Es ist aber zu erwarten, dass sie sich in den nächsten Jahrzehnten weiter verdichten werden. Auch die Hoffnung auf genauere Datierungen ist nicht unbegründet. Die Erforschung vormoderner Klima- und Umweltbedingungen mittels sogenannter Proxydaten, die auf naturwissenschaftlichem Weg gewonnen werden – etwa aus Pollen oder Mooren –, hat gerade erst begonnen. Es zeichnet sich aber bereits ab, dass auf diesem Wege Aufschlüsse über Ökosysteme des 1. Jahrtausends gewonnen werden können, die auch für die Geschichte des gotischen Italien relevant sind.225 Den Geschichtswissenschaften wächst damit von mehreren Seiten neues Material zu, das, wenn es sachgemäß interpretiert wird, die Überprüfung tradierter Annahmen und die Formulierung neuer Hypothesen ermöglichen wird. Das gotische Reich in Italien wird uns auch in Zukunft reichlich Stoff zum Nachdenken bieten.

Abstract Modern research on Theoderic and his Goths began almost 500 years ago, when in 1544 Johannes Cochlaeus published the first biography of the King. Since then, 223 Annette

Haug: Die Stadt als Lebensraum. Eine kulturhistorische Analyse zum spätantiken Stadtleben in Norditalien. Rahden 2003. Die klassische, vor allem auf Schriftquellen beruhende Studie zu den Städten Nord- und Mittelitaliens in der Spätantike ist Bryan Ward-Perkins: From Classical Antiquity to the Middle Ages. Urban Building in Northern and Central Italy AD 300– 800. Oxford 1984. 224  Neil Christie: From Constantine to Charlemagne. An Archaeology of Italy AD 300–800. Aldershot 2006. 225  Als ein erster Versuch in dieser Richtung verdient Paolo Squatriti: Barbarizing the Bel Paese: Environmental History in Ostrogothic Italy. In: Arnold/Bjornlie/Sessa (Hg.): Companion (wie Anm. 190), S. 390–421, Erwähnung.

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interests and perspectives, theoretical models and historiographical concepts, have changed constantly, even while the body of textual evidence available has not increased significantly. During the Napoleonic domination in Europe, Gothic rule on the Italian peninsula became a kind of test case for the peaceful coexistence of a conquering ruler and a conquered people. When national unity and autonomy in the nineteenth century became a dominant concern, Theoderic’s Italian Empire was seen as a first, if unsuccessful, realisation of this ideal. In later nineteenth ­century Germany, the policy of fusion between Goths and Romans, with which Theoderic was often credited, was widely felt to have exposed his people to the danger of extinction. Historians, including Mommsen and Hartmann, who kept free from these nationalistic ideas, were isolated among their academic peers, even if the value of their scholarly achievements could not be denied. In the Third Reich Theoderic was claimed for openly racist and antisemitic ideas of Germanic greatness, but such ideas never won widespread acceptance among the academic establishment. Wilhelm Enßlin’s biography of Theoderic should be read as a conservative historian’s reaction to the National socialist glorification of the Germanic past. Since World War II research on the Goths has exceeded the bounds of Europe and become an international endeavour by scholars, male and female, from all over the Western world. Herwig Wolfram’s “History of the Goths”, published in 1979, broke away from established patterns of thought and has put the social construction of ethnicity firmly on the historiographical agenda. His model of ethnogenesis, however, has come under fierce criticism. Whereas Wolfram treated the Amals as the driving force behind Ostrogothic ethnogenesis, Peter Heather argued that Gothic identity remained largely independent of Amal domination. (In his view that domination only began after the end of the Hunnic Empire.) The spectrum of interpretations offered at present seems wider than ever: from the deconstructivist contention that Gothic identity was only an ideological construct to the sociological approach to Gothic communities of violence. Although the last decades have produced a more adequate understanding of the literary sources, much remains to be done to make these texts more accessible. The constant progress of archaeological research in Italy promises to provide more data on settlement patterns, material culture, and social stratification in Theoderic’s realm.

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Kurzbiographien der Autoren Prof. Dr. Ralf Behrwald lehrt als Professor an der Universität Bayreuth. Nach Arbeiten vor allem zum hellenistischen und kaiserzeitlichen Kleinasien publizierte er Forschungen zur Stadt Rom, besonders in der Spätantike, und zur historischen Erinnerung im städtischen Raum. E-Mail: [email protected] Prof. em. Dr. Hanns Christof Brennecke ist Professor emeritus für ältere Kirchengeschichte am Fachbereich Theologie der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen. Seine Forschungen umfassen die Christentumsgeschichte der Antike, des byzantinischen Reiches und des Frühmittelalters, wobei die Geschichte des sogenannten Arianischen Streites von seinen Anfängen bis in die Geschichte der germanischen Königreiche auf dem Boden des Imperium Romanum (4.–7. Jh.) ­einen Schwerpunkt bildet. In besonderer Weise hat er sich auf die Erforschung (und kritische Edition) von Quellen zu diesem Bereich spezialisiert. E-Mail: [email protected]  Prof. Dr. Neil Christie arbeitet als Professor für (Medieval) Archaeology an der University of Leicester (UK). Sein Forschungsschwerpunkt lag zunächst auf spätrömischen und frühmittelalterlichen Fragestellungen, insbesondere hinsichtlich der Archäologie von Stadtentwicklung, von Landschaften und Verteidigungsanlagen mit einem geographischen Schwerpunkt auf Italien und dem westlichen Mittelmeerraum. Seine archäologischen Arbeiten hat er zuletzt auf spät angelsächsische und mittelalterliche Städte in England erweitert. E-Mail: [email protected] Prof. Dr. Peter Eich ist Professor für Römische Geschichte und Historische Anthropologie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Er arbeitet in einer Langzeitperspektive, von der frühen Kaiserzeit bis in die Spätantike, zu Fragen der römischen Verwaltung. Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf der römischen Sozialgeschichte. E-Mail: [email protected]. Dr. Jan-Markus Kötter studierte Geschichte und Evangelische Theologie in Bielefeld, Uppsala und Bonn. 2011 promovierte er in Frankfurt a. M. mit einer Arbeit zum Akakianischen Schisma. Von 2012 bis 2017 arbeitete er im Düsseldorfer Akademie-Projekt „Kleine und fragmentarische Historiker der Spätantike“, seit 2018 forscht er im Rahmen eines DFG-Projekts über Scipio Aemilianus. Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf der spätantiken Kirchengeschichte, der lateinischen Chronistik des fünften Jahrhunderts und der mittleren römischen Republik. E-Mail: [email protected] https://doi.org/10.1515/9783110686692-016

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Prof. Dr. Florian Kragl unterrichtet Germanistische Mediävistik an der FAU Erlangen-Nürnberg. Zu seinen Schwerpunkten zählen Editionsphilologie, Poetik und Ästhetik sowie Erzähltheorie, seine Gegenstände sind u. a. Artusroman und höfischer Roman, Heldendichtung und Mittelalterliche Lyrik. E-Mail: [email protected] Prof. Dr. Walter Pohl lehrt Geschichte des Mittelalters an der Universität Wien und ist als Direktor des Instituts für Mittelalterforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften tätig. Sein Forschungsgebiet ist die Geschichte der Spätantike und des Frühmittelalters, die Bildung von Identitäten und Gemeinschaften, die Umwandlung der Römischen Welt, Historiographie, die Geschichte Italiens sowie der Steppenvölker und die Entwicklung Europas in eurasischer Perspektive. E-Mail: [email protected] Prof. Dr. Timo Stickler ist seit 2011 Inhaber des Lehrstuhls für Alte Geschichte an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Seine Forschungsschwerpunkte liegen unter anderem im Bereich der Spätantike, insbesondere des Weströmischen Reiches und der Völkerwanderungszeit. E-Mail: [email protected] Prof. Dr. Karl Ubl lehrt Geschichte des frühen und hohen Mittelalters an der Universität zu Köln. Seine Forschungen befassen sich insbesondere mit der Geschichte des Rechts im frühen Mittelalter und mit der Geschichte des karolingischen Frankenreichs. E-Mail: [email protected] Prof. Dr. Emanuele Vaccaro lehrt und forscht als Archäologe am Department of ­Humanities der Universität Trient. Seine Forschungsinteressen umfassen einen zeitlich breitgespannten Rahmen von der frühen Römerzeit bis zum frühen Mittelalter. Dabei konzentriert er sich insbesondere auf Italien beziehungsweise den westlichen Mittelmeerraum. Zur Zeit leitet er drei Forschungs- und Grabungsprojekte, und zwar in Alto Garda (Norditalien), in der südlichen Toskana und im Landesinneren von Sizilien. Ziel der Feldstudien ist es, die Veränderungen in der Besiedlung, der Ökonomie und der materiellen Kultur in der longue durée vom 2. Jahrhundert v. Chr. bis zum 8. Jahrhundert n. Chr. zu rekonstruieren. Seine Untersuchungen umfassen zudem die Analyse der Architektur und der Mosaikherstellung im römischen Italien. E-Mail: [email protected] Prof. Dr. Massimiliano Vitiello ist Professor an der University of Missouri-Kansas City. Er ist spezialisiert auf römische Geschichte und die Spätantike, mit einem Schwerpunkt auf den römisch-germanischen Königreichen, dem byzantinischen Reich und dem frühen Mittelalter. Seine Forschungsinteressen umfassen die Geschichtsschreibung, Quellenforschung sowie Sozial-, Wirtschafts- und Kulturgeschichte. E-Mail: [email protected] Prof. Dr. Hans-Ulrich Wiemer ist seit 2010 Inhaber des Lehrstuhls für Alte Geschichte an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Sein For-

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schungsinteresse gilt der Spätantike und der Völkerwanderung (insbesondere den Goten), Alexander dem Großen, den hellenistischen Stadtstaaten und König­ reichen, der griechischen Epigraphik sowie der antiken und modernen Historiographie. Er war im Kollegjahr 2015/2016 Senior Fellow am Historischen Kolleg. E-Mail: [email protected] Prof. Dr. Christian Witschel lehrt seit 2005 als Professor für Alte Geschichte an der Universität Heidelberg, seit 2013 ist er als Geschäftsführender Direktor des Heidelberg Center for Cultural Heritage tätig. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen: das Imperium Romanum im 3. Jahrhundert n. Chr.; die Entwicklung der lateinischen Epigraphik in der Spätantike sowie die Stadt in der Spätantike. E-Mail: [email protected]

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Personenregister erstellt von Sabina Walter und Hans-Ulrich Wiemer Ablabius, lat. Historiograph, 5. Jh.  348, 351, 355 f., 359 f. Abundantius, PPO Italiae 526–527  211, 272 Adila, vir spectabilis et comes 507/511  185 Aetius (Flavius Aetius), weström. Heermeister, † 454  329 Agathias, griech. Historiograph, † um 582  150, 331 Agnellus, Bf. von Ravenna, lat. Historiograph, † nach 846  39, 48, 52 (Anm. 82), 54 f., 165 (Anm. 56), 331 (Anm. 83), 382 Aimone, Marco, ital. Archäologe  138 Alarich I. (Alaric), westgot. Kg., † 410  64, 70, 329 Alarich II., westgot. Kg. 484–507  18, 223, 227 f., 239, 266, 274, 319 Albert von Stade, Abt, lat. Historiograph, † 1264  377 f. Albilas, ostgot. Anführer 538  150 Albinus iunior (?Faustus Albinus iunior), cos. 493, PPO Italiae ?500–503  208 (Anm. 58), 210 Alexander der Große/the Great, † 323 v. Chr.  336, 360 Alföldy, Géza, ungar.-dt. Althistoriker (1935– 2011) 73 Amalaberga, Nichte Theoderichs, Ehefrau Herminafrids 279 Amalafrida, Schwester Theoderichs, Ehefrau Thrasamunds  240, 269, 279 Amalarich, Enkel Theoderichs, westgot. Kg. 526–531  252 (Anm. 53), 263 f., 266, 280 Amalasvintha/Amalasuintha, Tochter Theoderichs, Ehefrau Eutharichs, Kgn. 534–535  31, 34, 178 (Anm. 13), 240 (Anm. 7), 241–252, 255, 263 (Anm. 106), 265 (Anm. 112), 269, 278–280, 300, 325, 342, 346, 356 f., 364, 434 Ambrosius, quaestor 526–527  249, 271 f., 302 Ammianus Marcellinus, lat. Historiograph, † um 395  33, 243 (Anm. 22), 267 (Anm. 122), 325, 354, 359 f. Amory, Patrick, kanad. Historiker, *1965  15, 26, 167, 224, 319–321, 330–333, 430

Anastasios, röm. Kaiser 491–518  31, 182, 258, 261 f., 277 f., 282 f., 363, 428 Andages, Vater des Gunthigis, 5. Jh.  328 Andela, Vater des Andages, 5. Jh.  328 Anonymus Valesianus, lat. Historiograph, Mitte 6. Jh.  16, 38 f., 75, 155 (Anm. 1), 166 (Anm. 65), 172 (Anm. 98), 177 (Anm. 11), 187 (Anm. 47), 190 (Anm. 51), 212, 246, 247 (Anm. 34), 276 (Anm. 161), 435, 441 Anthemius (Procopius Anthemius), weström. Kaiser 467–472  181, 306 f. Apronianus, comes rei privatae 507/511  216 f. Obinius Apronianus, weström. Senator  216 Arator, comes rei privatae 526, Subdiakon und Poet  200 (Anm. 24), 272 Argaith, got. Anführer, Mitte 3. Jh.  352 f. Arius (Areios), Presbyter in Alexandreia, griech. Theologe, † nach 335  15, 156–160, 170 Arnold, Jonathan J., amerik. Historiker, *1980  296 (Anm. 5), 432 f. Asbadus, Gepide 552  53 Asterius (Flavius Turcius Rufius Apronianus Asterius), cos. 494  216 Athalarich, Enkel Theoderichs, ostgot. Kg. 526–534  39, 80, 82, 84, 179, 184, 190 (Anm. 52), 239–294, 300 (Anm. 14), 338, 342, 346, 357, 365 Athanasius, Bf. von Alexandreia, griech. Theologe, † 373  156, 159, 170 (Anm. 87) Athanasius, PPO Italiae 539–542 303 Athaulf, westgot. Kg. 410–415 329 Attila, hunn. Kg. 434–453  34, 57, 135, 181, 182 (Anm. 28), 327, 346, 362 (Anm. 109), 363 (Anm. 115), 375 f., 378, 384–388, 421 Augustinus (Aurelius Augustinus), Bf. von Hip­po Regius, lat. Theologe (354–431)  162 (Anm. 40), 167 (Anm. 71) Aurelian, röm. Kaiser 270–275 83 f., 350 (Anm. 43), 352 Aurelius Gloriosus, curator und magistratus in Tarquinia, 6. Jh.  45 Ausbüttel, Frank, dt. Historiker, *1955  431

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Personenregister

Avienus (Rufius Magnus Faustus Avienus ­iunior), PPO Italiae 527–528 211 Avitus (Alcimus Ecdicius Avitus), Bf. von Vienne, lat. Theologe, † 518  167 (Anm. 67), 182 Barth, Fredrik, norweg. Ethnologe (1928–2016)  298, 306, 321, 421 (Anm. 134) Basiliscus, oström. Kaiser 476–477  177  (Anm. 8) Basilius (Decius Marius Venantius Basilius), cos. 484  74, 79 Basilius (Flavius Anicius Faustus Albinus Basilius), cos. 541  303, 308 Beauharnais, Eugène de, Vizekönig von Italien 1805–1814 398 Belisar/Belisarius, oström. Heermeister, cos. 535  6, 83, 87 (Anm. 151), 170, 300–302, 307, 311, 314 Bertolini, Ottorino, ital. Mediävist (1892–1977)  419 Bierbrauer, Volker, dt. Prähistoriker, *1945  4, 125, 420 von Bismarck, Otto, dt. Reichskanzler, 1871– 1890  402, 412 Bjornlie, M. Shane, amerik. Historiker, *1969  198, 205, 219 f., 310 (Anm. 62), 433, 435 Boethius (Anicius Manlius Severinus Boethius iunior), Philosoph, cos. 510  20, 135, 196, 203–205, 220, 240 (Anm. 10), 247, 265, 271, 275, 310 (Anm. 62), 374 f., 427 Bonaparte, Napoleon (1769–1821) 398–440, 442 Bonifatius, weström. Heermeister, † 432  329 Brogiolo, Gian Pietro, ital. Archäologe, *1946  135 Burns, Thomas, US-amerik. Historiker, *1945  423, 427 Caesar (C. Iulius Caesar), † 44 v. Chr.  168, 318, 396 Cameron, Alan, brit. Philologe und Althisto­ riker (1938–2017)  208 (Anm. 58), 211, 220 Cameron, Averil, brit. Byzantinistin, *1940  437 Carinus, röm. Kaiser 283–285 71 Cassiodor/Cassiodorus (Flavius Magnus Aurelius Cassiodorus Senator), cos. 514, PPO Italiae 533–537 1–3, 6, 12, 21, 24, 30, 32 f., 37–43, 45 f., 49, 57, 63 f., 72, 76–79, 87 f., 106, 130, 132–135, 138 f., 141, 145 f., 167, 171 f., 176, 196–199, 202 f., 205, 209–215, 217, 219 f., 224–228, 233, 242, 247 f., 250–252, 255 f., 259, 262, 267, 269–271, 274–276, 278, 285–294,

302 f., 313, 319 f., 327, 330, 333, 338, 341–349, 353–368, 394 f., 402, 406, 430–433, 435, 437, 441 f. Cecconi, Giovanni Alberto, ital. Althistoriker, *1960  285, 435 Cesa, Maria, ital. Althistorikerin  436 Cethegus (Flavius Rufius Petronius Nicomachus Cethegus), cos. 504  23 f., 297, 303, 309–313 Charibert, Enkel Chlodwigs, fränk. Kg. 561– 567 263 Chlodomer, Sohn Chlodwigs, fränk. Kg. 511– 524 240 Chlodwig, fränk. Kg. 482–511 239, 241 (Anm. 12), 263, 266, 408, 417, 440 Christensen, Arne Søby, dän. Historiker, *1945  326, 438 Claude, Dietrich, dt. Mediävist (1933–1992)  259 (Anm. 85), 261 (Anm. 95), 263 (Anm. 108), 426 Claudian (Claudius Claudianus), lat. Dichter, † nach 404  75 Cniva, got. Kg., Mitte 3. Jh.  33, 326, 349–356, 358 f. Cochläus, Johannes, dt. Humanist und kathol. Theologe (1479–1552)  394, 442 Constantinus, quaestor 548/549–562 311 Constantius, ital. Bf. 507/511  185 Constantius II., röm. Kaiser 337–361 156, 158 (Anm. 19), 159 f., 164, 168, 173, 178 (Anm. 14), 261 Coumert, Magali, franz. Mediävistin, *1946  336 Courtois, Christian, franz. Althistoriker (1912– 1956) 419 Crostarosa, Pietro, ital. Archäologe  85 Cyprianus, magister officiorum nach 527  216 (Anm. 91), 219 (Anm. 101), 220, 271 f. D’Ors, Alvaro, span. Rechtshistoriker (1915– 2004)  228 (Anm. 24), 235 Dahn, Felix, dt. Jurist, Historiker und Schriftsteller (1834–1912)  17, 224 f., 229, 233, 283, 399 (Anm. 31), 403–405, 409, 411, 441 Decius, röm. Kaiser 249–251  346, 349 f., 352– 355, 358 Decius (Caecina Mavortius Basilius Decius), cos. 486  38 Deltuf, Paul, franz. Dichter und Schriftsteller (1825–1870) 400 Dexippos/Dexippus (Publius Herennius ­Dexippus), griech. Historiograph aus Athen, † um 275  32 f., 326, 347, 350–355, 358 f., 367

Personenregister Dicineus, got. Kulturheros  362 f., 365  (Anm. 124) Dietrich von Bern  Theoderich Durliat, Jean, franz. Byzantinist, *1943  424 f. Ebrimud, Schwiegersohn Theodahads  301 Ennodius (Magnus Felix Ennodius), lat. Schriftsteller, Diakon in Mailand, Bf. von Pavia 513–521  19, 38, 47 f., 142, 166 (Anm. 65), 176 (Anm. 4 u. Anm. 7), 182, 186, 196, 200, 210 (Anm. 69), 211 f., 218, 221 (Anm. 109), 271 (Anm. 138), 272 (Anm. 143), 306 f., 309, 360, 395, 405, 432, 436 f., 441 Enßlin, Wilhelm, dt. Althistoriker (1885–1965)  29, 64 (Anm. 6), 415–419, 431, 440, 443 Eormanric  Ermanarich Epiphanius, Bf. von Pavia, † 496  47 f., 181 f., 184, 436 Ermanarich/Ermanaric, got. Kg., † 376  33, 267 (Anm. 122), 327, 346, 357, 359–362, 366 f., 375–381, 386 Ermenrik/Ermrich  Ermanarich Esders, Stefan, dt. Mediävist, *1963  239 (Anm. 1), 261 (Anm. 95), 262 (Anm. 99), 282 Etzel  Attila Eufrasius, Bf. von Poreč/Parenzo, Mitte 6. Jh.  54 Eurich/Euric, westgot. Kg. 466–484  13, 18, 175 (Anm. 1), 223, 227–229, 233 (Anm. 46), 235 f., 250 (Anm. 46), 346 Eutharich/Eutharic (Flavius Eutharicus Cilliga), Schwiegersohn Theoderichs, cos. 519  11, 187 (Anm. 45), 205, 241, 245 (Anm. 29), 253, 255, 276, 279, 341, 357 (Anm. 76), 362 Faustus (Flavius Faustus), PPO Italiae im frühen 6. Jh.  212 Faustus Niger (Flavius Anicius Probus Faustus iunior Niger), cos. 490, PPO Italiae 509–512  200 (Anm. 24), 211–213, 214 (Anm. 83), 218, 220 Felix, Papst 526–530  86, 247, 251 (Anm. 51), 275 Fidelis, PPO Italiae 537–538  302, 308 Foucault, Michel, frz. Philosoph (1926–1984)  321 Fournier, Guillaume, franz. Jurist und Philologe, † 1588  395 Frank, Walter, dt. Historiker und NS-Politiker (1905–1945) 415 Fredegar, fränk. Historiograph, 2. Hälfte 7. Jh.  335, 374 f.

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Fridh, Åke J., schwed. Latinist (1918–1997)  285, 293 Friedländer, Julius, dt. Numismatiker (1813– 1884) 411 Friedrich der Große, preuß. Kg. 1740–1786  412 Frutolf von Michelsberg, Mönch, lat. Historio­ graph, † 1103  378 Galla Placidia (Aelia Galla Placidia), Augusta, Mutter Valentinians III., † 450  242, 243 (Anm. 23), 346, 364 Gallienus, röm. Kaiser 253–268  134, 346 de la Gardie, Magnus Gabriel, schwed. Reichskanzler (1622–1686) 394 Garet, Jean, Mauriner, franz. Philologe und His­toriker (1627–1694) 395 Garollo, Gottardo, ital. Geograph und Historiker (1850–1917) 401 Gaupp, Ernst Theodor, preuß.-dt. Jurist und Historiker (1796–1859) 424 Geiserich, vandal. Kg. 428–477 181, 182  (Anm. 28) Gelasius I., Papst 492–496  166  (Anm. 65), 168, 184, 186 Gennadius Avienus, cos. 450  211 Gensimund, adoptierter Amaler  267 George Syncellus (Georgios Synkellos), Mönch, griech. Historiograph, † nach 820  350 Ghosh, Shami, Mediävist  335 (Anm. 101) Giardina, Andrea, ital. Althistoriker, *1948  205, 285, 435 Gibbon, Edward, engl. Historiker (1737–1794)  263, 397 f., 440 f. Gibimer, ostgot. Anführer 538  150 Giesecke, Heinz-Eberhard, dt. Historiker und SS-Mann (1913–?1991)  413  (Anm. 101), 414 Gioanni, Stéphane, franz. Latinist, *1971  437 Giovanni (Mansionario), Diakon in Verona, lat. Historiograph, † um 1337  377, 382 Giunta, Francesco, ital. Mediävist (1924–1994)  284, 345, 405 (Anm. 58) Godomar, Sohn Gundobads, burg. Kg. 524– 534 279 Goffart, Walter, kanad. Historiker, *1934  28, 318, 328 (Anm. 63), 333, 335 (Anm. 103), 336 (Anm. 108), 345, 424 f., 427, 433 f. Goltz, Andreas, dt. Althistoriker, *1967  177 (Anm. 11), 258 (Anm. 82), 431 Gontharis (Guntharis), Rebell in Nordafrika 546 306

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Personenregister

Gottfried von Viterbo, lat. Historiograph und Poet, † 1192/1200  378 Gregor I. (der Große)/Gregory the Great, Papst 590–604  6, 105, 201, 331, 375, 382 Gregor, Bf. von Tours, lat. Historiograph (538–594)  104, 240 (Anm. 5), 335, 375 Gregorius, vir sublimis in Vicenza  54 Gregorovius, Ferdinand, dt. Historiker (1821– 1891) 401 Grillone, Antonino, ital. Latinist, *1944  284, 345, 405 (Anm. 58), 438 Grimm, Jacob, dt. Sprach- und Kulturwissenschaftler (1785–1863) 390 f. Gudila, ital. Bf. 507/511  165 (Anm. 58), 176 (Anm. 5), 185 (Anm. 40) Günther, Hans F. K., dt. Rassetheoretiker (1861–1965) 414 Günther, Rigobert, dt. Althistoriker (1928– 2000)  428  (Anm. 166) Gundobad, burg. Kg., † 516  228, 230, 232 Guntheric/Guntherich, got. Anführer, 3. Jh.  353 Gunthigis qui et Baza, oström. Heermeister, frühes 6. Jh.  328 Hachmann, Rolf, dt. Prähistoriker (1917–2014)  420 Hansen, Klaus P., dt. Amerikanist, *1942  299 Hartmann, Ludo Moritz, öster. Historiker (1865–1924) 405–408, 417, 441, 443 Heather, Peter, brit. Historiker, *1960  245, 247 (Anm. 36), 352, 359 f., 402 (Anm. 41), 427–429, 438 (Anm. 218), 443 Helpidius, Diakon und Leibarzt Theoderichs, 1. Drittel 6. Jh.  40, 184  (Anm. 34) Herminafrid, thüring. Kg., † vor 534  279 Hildebrand, Gefolgsmann des Dietrich von Bern  34, 36, 380 f., 385 Hilderich, vandal. Kg. 523–530  178  (Anm. 13), 240, 260 (Anm. 93), 263 (Anm. 106) Hintze, Otto, preuß.-dt. Historiker (1861–1940)  408 Hodgkin, Thomas, engl. Bankier und Historiker (1831–1913)  366, 401–403, 440 Höfler, Otto, öster. Germanist (1901–1987)  258 (Anm. 82), 315, 375 (Anm. 25), 413 f. Honoratus, Bf. von Novara um 500  142 Honorius, weström. Kaiser 395–423  50, 69 (Anm. 33), 70, 73, 77 (Anm. 82), 84, 169, 172 Hormisdas, Papst 514–523  86, 168 Hunimund, Vater des Gesimund  267 (Anm. 122), 356 f.

Isidor, Bf. von Sevilla, lat. Schriftsteller, † 636  28, 63, 83, 259 (Anm. 85), 322, 326 f., 335, 337 Iulianus (argentarius), Bankier in Ravenna, Mitte 6. Jh.  54 Johannes, PPO Italiae vor 527  211, 214 (Anm. 83), 272 Johannes I., Papst 523–526  14, 87 (Anm. 150), 187 (Anm. 46), 189 f., 241, 247, 271 (Anm. 139), 275, 374 f., 427 Johannes Lydus, oström. Beamter, griech. Schriftsteller, † nach 557  220 Johannes, Bf. von Ravenna, † 494  181 Jordanes, lat. Historiograph, Mitte 6. Jh.  25, 28, 31–33 , 64 (Anm. 5), 158, 166 (Anm. 65), 239 (Anm. 1), 243 (Anm. 22), 246 f., 266 (Anm. 119), 267 (Anm. 122 u. Anm. 123), 283 f., 315, 317 f., 320 f., 325–328, 332–337, 343–363, 365–367, 377 f., 380, 395, 405, 422, 428, 437 f., 442 Julian „der Abtrünnige“, röm. Kaiser 361–363  261 Justin I., röm. Kaiser 518–527  11, 167, 187 (Anm. 45), 189, 241, 248, 252, 258, 275– 278, 285 Justinian, Neffe Justins, röm. Kaiser 527– 565  2, 11, 14, 16, 23 f., 32, 76 (Anm. 72), 80 (Anm. 104), 88, 150, 163, 165 (Anm. 56), 167, 169, 171, 178 (Anm. 13), 198 (Anm. 17), 205, 219, 248 (Anm. 38), 252, 277 f., 279 (Anm. 169), 300, 303 f., 307 f., 310 f., 328, 333, 345, 393, 397, 401, 418, 427, 429, 437, 440 Kaegi, Walter Emil jr., amerik. Byzantinist, *1934 426 Kakridi, Christina, dt. Althistorikerin  2 (Anm. 4), 205, 219 Karl der Große, fränk. Kg. 768–814  401, 442 Kaspar von der Rhön, Sammler von Heldendichtungen, Ende 15. Jh.  384 Kasperski, Robert, poln. Historiker, *1981  333 f., 428 Kézai, Simon, ungar. Historiograph, 13. Jh.  378 Kniva  Cniva König, Ingemar, dt. Althistoriker, *1938  16 (Anm. 30), 167 (Anm. 67), 187 (Anm. 47), 435 f. Köpke, Rudolf, dt. Historiker (1813–1870)  283 Kohl, Karl-Heinz, dt. Ethnologe, *1948  298

Personenregister Konstantinos VII. Porphyrogennetos, byzant. Kaiser 913–959 282 Korsunskij, Aleksandr R., russ. Historiker (1914–1980)  428  (Anm. 166) Kraus, Franz Ferdinand, dt. Numismatiker  411 f. Krautheimer, Richard, dt.-amerik. Kunsthistoriker (1897–1994)  11, 64 Kristina von Schweden, schwed. Kgn. 1632– 1654 394 Kulikowski, Michael, amerik. Althistoriker, *1970 334 La Rocca, Adolfo, ital. Althistoriker  20, 194– 196, 221, 434 Lafferty, Sean, kanad. Historiker, *1978  17, 224 f., 226 (Anm. 12), 229, 231, 233, 235, 432, 436 Lamma, Paolo, ital. Historiker (1915–1961)  418 Laurentius, Bf. von Mailand, † 503/506  48, 86, 181 Leo I. (der Große), Papst 440–461  168 (Anm. 72), 181, 182 (Anm. 28) Leo I., oström. Kaiser 457–474 307 Leodefrid, saio 507/511  144 Liberius (Petrus Marcellinus Liberius Felix), PPO Galliarum ca. 510–534  179  (Anm. 16), 201 (Anm. 27), 208 (Anm. 58), 209 f., 213, 219 f., 248–250, 255 f., 268 (Anm. 126), 271 (Anm. 139), 274, 291 Licandro, Orazio, ital. Rechtshistoriker, *1962  436 Licinia Eudoxia, Augusta, Ehefrau Valenti­ nians III.  242 Liebs, Detlef, dt. Rechtshistoriker, *1936  229–231, 234 Lipps, Johannes, dt. Archäologe, *1980  70 f. Liverani, Paolo, ital. Archäologe, *1959  86 Livius (Titus Livius), lat. Historiograph, † um 17 n. Chr.  284 Loyen, André, franz. Latinist (1901–1974)  419 Luhmann, Niklas, dt. Soziologe (1927–1998)  18, 226, 227 (Anm. 17) Luther, Martin, dt. Theologe (1483–1546) 394 Malchos von Philadelpheia, griech. Historiograph, † nach 491  329 Mann, Michael, brit.-amerikan. Soziologe, *1942 207 f., 217, 220 f. Manso, Johann Kaspar Friedrich, preuß. Schuldirektor und Historiker (1759–1826) 399

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Marano, Yuri A., ital. Archäologe, *1974  131 Mascov, Johann Jakob, kursächs. Jurist und Historiker (1689–1761) 396 f. Mathesuentha, Enkelin Theoderichs, Ehefrau des Witigis  241, 301 Matthews, John F., brit. Historiker, *1940  205, 223 Maximianus, lat. Poet, Mitte 6. Jh.  265 Maximinus, homöischer Bf. in Nordafrika 427/428  162 (Anm. 40), 163 Maximinus, PPO Italiae 542  265 (Anm. 112) Maximus (Flavius Maximus), cos. 523  265, 303 Messala (Rufius Valerius Messala), Stadtpräfekt Roms vor 483  67 Metlich, Michael Andreas, öster. Numismatiker 412 Mierow, Charles Christopher, amerik. Classicist (1883–1961)  32 (Anm. 58), 283, 438 Mommsen, Theodor, dt. Jurist und Althistoriker (1817–1903) 28 f., 33, 196 (Anm. 13), 276, 283, 285, 293, 343, 345, 351, 356 (Anm. 71), 359 f., 399 (Anm. 31), 405– 407, 418, 441, 443 Montesquieu, Charles-Louis de Secondat, Baron de, franz. Philosoph (1689–1755) 396, 397  (Anm. 21) Moorhead, John, austral. Mediävist, *1948  20, 157, 182 (Anm. 30), 194 (Anm. 3), 204 f., 212, 221, 302 (Anm. 24), 426 f. Moras, ostgot. Anführer 538  151 Mühlmann, Wilhelm Emil, dt. Ethnologe (1904–1988) 316 Müller-Kuales, Georg („Gogo“), dt. Prähistoriker (1905–1945) 413 Mussolini, Benito (1883–1945) 412 Naudet, Joseph, frz. Philologe und Historiker (1786–1878) 398 f. Noble, Thomas F. X., amerik. Mediävist, *1947  426 O’Donnell, James J., amerik. Mediävist, *1950  209, 355 Odo(v)akar/Odoacer, Kg. in Italien 476–493  39, 52, 74, 125, 129, 144, 148, 157 f., 179, 181–184, 187, 195, 206, 209, 213, 216 f., 239, 242 (Anm. 18), 249, 276 (Anm. 161), 325, 363, 374, 406, 411–413, 434 Örmunrek  Ermanarich Olybrius, ?Prätoriumspräfekt Italiens, frühes 6. Jh.  170, 200 (Anm. 24), 210 (Anm. 69)

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Personenregister

Opilio (?Rufius Venantius Opilio), Prätoriums­ präfekt vor 524, cos. 524  54, 134, 212 Opilio, Bruder des Cyprianus, comes largitionum 527–528  212 (Anm. 77), 220, 271 f. Oppedisano, Fabrizio, ital. Althistoriker  20, 194 f., 218 (Anm. 96), 221, 434 Optarit  Ufitahari Orestes (Rufius Gennadius Probus Orestes), cos. 530  244 Orestes, weström. Heermeister, Vater des Romulus, † 476  242 (Anm. 18) Orosius (Paulus Orosius), Presbyter, lat. Historiograph, † um 418  325, 345 Ortolani, Giorgio, ital. Archäologe  84 Ostrogotha/Ostroguthos, got. Kg., Mitte 3. Jh.  33, 326, 346–362, 366 f., 438 Otacher  Odovaker Otto, Bf. von Freising, lat. Historiograph, † 1158  377 f. Parenti, Roberto, ital. Archäologe  80 Pastor, Willy, dt. Schriftsteller (1867–1933) 412 Patricius, quaestor palatii 534–536 265 Paulus Diaconus, langob. Mönch, lat. Historio­ graph, † um 799  335, 375 (Anm. 23) Pavirani, Paolo, ital. Archivar und Historiker (1804–1855) 400 Pelagius I., Papst 556–561 311 Peringskiöld, Johan, schwed. Altertumsforscher (1654–1720) 394 Petrus Patricius, magister officiorum 539–565, griech. Historiograph  311 Pfeilschifter, Georg, dt. kathol. Kirchenhistoriker (1870–1936) 410 Philip (M. Iulius Philippus Arabs), röm. Kaiser 244–249  347, 349 f., 352 f. Pierius, comes domesticorum, † 490  53 Pithou, Pierre, frz. Jurist und Philologe (1539– 1596)  16, 436 Pompeius (Cn. Pompeius Magnus), † 48 v. Chr.  76, 79, 361 (Anm. 101) Prokop(ios)/Procopius, vir illustris, griech. Historiograph, Mitte 6. Jh.  2, 6, 43, 66, 87, 107, 130, 132, 146, 150, 168, 170, 178 (Anm. 13), 252, 266 (Anm. 119), 277 f., 303, 304 (Anm. 37), 306 f., 309, 325, 328–330, 333, 337, 395, 437, 441 Prostko-Prostyński, Jan, poln. Historiker, *1958  428 Quadratianus (Petronius Perpenna Magnus Quadratianus), Stadtpräfekt Roms im 5. Jh.  74

Reimitz, Helmut, öster. Mediävist, *1965  335 Reinerth, Hans, dt. Prähistoriker (1900–1990)  413 Rekkared, westgot. Kg. 586–601 259 Reparatus, PPO Italiae 538–539  76, 201 (Anm. 27), 272, 303, 308 di Rienzo, Daniele, ital. Latinist  436 Rikimer (Flavius Ricimer), weström. Heermeister, † 472  181, 306, 416 Rodulf, Kg. der Ranier  332 Romulus (Augustulus), weström. Kaiser 475– 476  79, 242 (Anm. 18) Rota, Simona, ital. Latinistin  436 Roure, Louis Marquis du, franz. Schriftsteller und Politiker (1783–1858) 400 Rubin, Berthold, dt. Byzantinist (1911–1990)  437 Rusticus, Bf. von Lyon, † 501  182 Rusticus, Diakon in Rom, Neffe des Vigilius  311 Sabinianus, vir spectabilis 507/511  79 f. Sabinus, Bf. von Canosa, Mitte 6. Jh.  151 Sainte Marthe, Denis de, Mauriner, franz. Philologe und Historiker (1650–1725) 395 Salvianus, Presbyter in Marseille, lat. Schriftsteller, † um 475  177 (Anm. 12) Sánchez de Vercíal, Clemente, span. Kleriker und Schriftsteller, † 1426  383 Sartorius, Georg Friedrich, dt. Historiker (1765–1828) 398 Schäfer, Christoph, dt. Althistoriker, *1961  19 f., 204, 211 f., 221, 296 (Anm. 4), 297 (Anm. 7), 302, 310 (Anm. 63), 411  (Anm. 90) Schäfer, Wilhelm, dt. Schriftsteller (1868–1952)  412 f. Schmidt, Ludwig, dt. Archivar und Historiker (1862–1944)  267 (Anm. 123), 315, 409 f., 415 Schneider, Hermann, dt. Germanist (1886–1961)  419 Schoolman, Edward McCormick, Mediävist, *1980 202 Schröder, Bianca-Jeanette, dt. Latinistin  437 Servius, Vergil-Kommentator um 400  75 Severus, ital. Bf. 507/511  179, 184 Sidonius Apollinaris (Gaius Sollius Modestus Sidonius Apollinaris), lat. Schriftsteller, Stadtpräfekt Roms 468  67 (Anm. 21), 75, 236, 307 Sigerich, Enkel Theoderichs, Sohn Gundobads, † 522  240

Personenregister Sigismer, vir illustris et comes 526  249, 260 (Anm. 90), 288 Sigismund, Sohn Gundobads, burg. Kg. 516– 523 240 Silverius, Papst 536–537 263 Stauffenberg, Alexander Schenk Graf von, dt. Alt­historiker (1905–1964) 415, 417  (Anm. 117) Stein, Ernst, öster. Althistoriker und Byzantinist (1891–1945)  412, 417 f. Stephanus, vir spectabilis, comes primi ordinis 507/511  200, 212 (Anm. 78) Stilicho, Flavius, weström. Heermeister, † 408  416 Sundwall, Johannes, finn. Althistoriker (1877– 1966)  19, 204, 411 Svanhild, Tochter Sigurds  377 Symmachus, jüd. Scholasticus 526  170, 172 Symmachus (Quintus Aurelius Memmius Symmachus), cos. 485  37  (Anm. 3), 201 (Anm. 27), 204, 247, 275, 351 (Anm. 50), 374 f., 427 Symmachus, Papst 498–514 85 f., 168 Tacitus (Cornelius Tacitus), lat. Historiograph, cos. 98  361, 396 Tantillo, Ignazio, ital. Althistoriker, *1966  1 (Anm. 1), 285, 435 Teja, ostgot. Kg. 552  34 Theodahad, Neffe Theoderichs, ostgot. Kg. 535–536 11 f., 34, 77, 202, 240 (Anm. 7), 248 (Anm. 38), 251 (Anm. 52), 262–265, 269, 271 (Anm. 139), 277, 300 f., 358, 362, 364, 434 Theodegisclus (Theudegisel), Sohn Theodahads  301  (Anm. 19) Theoderich/Theoderic, ostgot. Kg., † 30. August 526  34–36 (Dietrich), 37–42, 47 f., 52 f., 58, 61, 63 f., 68 f., 72, 74 f., 78–88, 106 f., 127, 129 f., 132–134, 136, 140, 142, 144 f., 147 f., 152, 155 (Anm. 1), 157, 166–168, 170–173, 175–191, 193–195, 197 f., 201, 203, 205 f., 208– 215, 217–219, 221, 223–238, 239–249, 251– 259, 264–272, 274–283, 294, 295 f., 298–301, 307, 309–311, 318–320, 324 f., 327–331, 337– 339, 341–343, 345 f., 349, 355, 357 f., 361, 363– 365, 367, 369, 372–384 (Thidrek/Dietrich), 387–392 (Thidrek/Dietrich) Theoderich Strabo, ostgot. Kg., † 481  243 (Anm. 22), 328 f. Theodor, Bf. von Herakleia, griech. Theologe, Mitte 4. Jh.  164 Theodorus (Flavius Theodorus), PPO Italiae 500  208 (Anm. 58), 210, 275 (Anm. 156)

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Theodosius I., röm. Kaiser 379–395  15, 156, 161, 169, 173, 345 Theodosius II., oström. Kaiser 408–450  84 (Anm. 133), 169, 172 f., 242 (Anm. 19) Theuderich (Theoderich), Sohn Chlodwigs, fränk. Kg. 511–533  169, 172 f., 240 (Anm. 5), 242 (Anm. 19) Theudimer (Thiudimir), Vater Theoderichs, ostgot. Kg., † 474  352 (Anm. 55), 356, 358 Theudis, westgot. Kg. 531–548 240, 252 (Anm. 53), 266 Thidrek  Theoderich Thiudigotho, Tochter Theoderichs, Ehefrau Ala­ richs II.  240, 266 Thrasamund, vandal. Kg. 496–523 240 Totila, ostgot. Kg. 541–552  23, 87 (Anm. 153), 148, 302–304, 306 f., 310, 329 Trajan, röm. Kaiser 98–117  12, 67–69, 72, 261 (Anm. 96), 269, 289 Traube, Ludwig, dt. Latinist (1861–1907) 406 Triw(il)a, praepositus cubiculi ca. 520–523  155 (Anm. 1), 170 Tuluin, patricius praesentalis 526  31, 267–269, 272, 276, 280, 300 (Anm. 14) Ufitahari qui et Optarit, Presbyter in Ravenna 551 331 Uligisalus, ostgot. Anführer 537–538 150 Ulpian (Domitius Ulpianus), röm. Jurist, † 223  195, 229 Urlacher-Becht, Céline, franz. Latinistin, *1980  437 Valamir/Walamer, Onkel Theoderichs, ostgot. Kg., † ca. 465  245, 267 (Anm. 122 u. Anm. 123), 283 f., 327, 352 (Anm. 55), 356, 358 Valens, oström. Kaiser 364–378  156, 158–160, 168, 173, 325 Valentinian III., weström. Kaiser 423–455  51, 70 (Anm. 36), 74, 77, 84 (Anm. 133), 88, 242, 296 (Anm. 6), 346, 362 Valerius Florianus, Stadtpräfekt Roms 491/518  71, 78, 216 (Anm. 91) Valle, Giuseppina della, ital. Archäologin  64 Valois, Henri, frz. Philologe und Historiker (1603–1676) 157 Vera, Domenico, ital. Althistoriker  433 Vetter, Gerhard, dt. Althistoriker (1907–?) 414 f. Victor, Bf. von Turin 494  181 f. Victorinus, ital. Bf. 526  179 (Anm. 16), 248, 250, 255, 257, 260, 292 Vigilius, Papst 537–555  272 (Anm. 143 u. Anm. 145), 311, 343 (Anm. 13)

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Personenregister

Vingo, Paolo de, ital. Archäologe  137 Vitiello, Massimiliano, ital.-amerik. Althistoriker 32 f., 76 (Anm. 72), 245, 251 (Anm. 52), 265 (Anm. 111), 434 Vitigis, ostgot. Kg. 535–540  150, 165, 250, 262, 268, 301–303, 306, 364 Vogel, Friedrich, dt. klass. Philologe und Gym­ nasialdirektor (1856–1945) 405 Vossius, Isaak, nl. klass. Philologe (1618–1689)  394 Wagner, Norbert, dt. Germanist, *1929  438 Waitz, Georg, dt. Jurist und Mediävist (1813– 1886) 162 Wakis, ostgot. Krieger 537  306 von Wangenheim, Alexander, NS-Politiker (1872–1959) 412 Weber, Max, dt. Soziologe (1864–1920) 316 Weber, Wilhelm, dt. Althistoriker (1882–1948)  414 f. Wenskus, Reinhard, dt. Mediävist (1916–2002)  25, 316–318, 323, 325, 332, 370, 391, 420 f. Werner, Joachim, dt. Prähistoriker (1909–1994)  419

Westall, Richard, amerik. Althistoriker  81 (Anm. 107), 84 f. Wiemer, Hans-Ulrich, *1961  190 (Anm. 51), 206 Wolfdietrich, Sohn Hugdietrichs  386 Wolfram, Herwig, öster. Mediävist, *1934  25, 27, 29 f., 281, 317 f., 323, 327, 333, 352, 392 (Anm. 78), 420–426, 428 f., 443 Wormald, Patrick, brit. Mediävist (1947–2004)  223, 226 Wulf-Rheidt, Ulrike, dt. Bauforscherin (1963– 2018) 82 Wulfila, homöischer Bf., † 383  158, 160–164, 173 Zacharias Rhetor, Bf. von Mytilene, griech. Historiograph, † nach 536  87, 167 (Anm. 65), 282 Zeiss, Hans, dt. Prähistoriker (1895–1944) 415 Zeno, oström. Kaiser 474–491  52  (Anm. 82), 158, 177 (Anm. 8), 178 (Anm. 14), 356 (Anm. 71), 364, 374 Zosimus, griech. Historiograph, um 500  261 (Anm. 95), 347

Ortsregister erstellt von Sabina Walter und Hans-Ulrich Wiemer Abrittus, Schlacht bei  350, 358 Adria (civitas Adriana) (Provinz Rovigo)  43 Agrigento (Agrigentum)  90, 96 f., 100, 102– 104, 114 Cignana  90, 97, 114 f., 118 (Anm. 67 u. Anm. 69) Contrada Butermini: Masseria Genuardi  96 Contrada Carabollace  7, 90, 96 f., 118 (Anm. 69) Poggio San Nicola  101 Alba (Alba Pompeia) (Provinz Cuneo)  63 (Anm. 1), 129 San Lorenzo  68, 86, 129 Alpen/Alps, Befestigungsanlagen  125–128, 143–147 Aquileia  57, 58 (Anm. 101), 131, 135, 156, 162  (Anm. 40) Monastero 131 Santo Stefano  131 Ariminum (Rimini)  59, 60 (Anm. 108), 155 (Anm. 3), 156 (Anm. 5), 159 f., 173, 274  (Anm. 152) Artegna (Friaul), Festung  147 Asti (Hasta) 138 Ateste (Este)  43 Attimis San Giorgio in Attimis, Festung  147 Beroea (Thrakien), Schlacht bei  358 Brescia  Brixia Brindisi (Brundisium) 150 Brixia (Brescia)  59, 128 (Anm. 10 u. Anm. 11), 148, 151 Bruttium  41, 49, 80 (Anm. 106), 135, 138, 199 (Anm. 22), 210 (Anm. 71) Busta Gallorum, Schlacht bei  329 Calatino, Region auf Sizilien  91 f. Canosa (Canusium) 151 Carabollace, Fluss  96 Castelseprio (Provinz Varese), Festung  145 Castelvecchio di Peveragno (Provinz Cluneo), Festung  6, 146

Catania (Catina) 7 f., 40, 90–93, 100, 105–109, 122 f., 136, 312 f. Contrada Franchetto (Castel di Iudica)  92 Contrada Grammena (Valcorrente)  92 f. Rotonda 107 f. Sant’ Agata in Carcere  107 Sant’ Agata la Vetere  107 Cesena (Caesena), Festung  151 Chalcedon, Konzil von  177, 295 Chiusa di Pesio (Provinz Cuneo)  146 Chiusa di San Michele  146 Chiusi (Clusium)  5, 132, 150 Cividale  Forum Iulii Collegno (Piemont), Gräberfeld  5, 140 f., 151 Como (Comum)  5, 132–134, 138 f., 141, 145 Concordia  57 Crotone (Croton)  343  (Anm. 13) Cumae  150 Dalmatien/Dalmatia  31, 125, 145 f., 179 (Anm. 16), 241 (Anm. 16), 243, 248–251, 255, 259, 261 (Anm. 95), 262, 267, 269, 272 (Anm. 143), 273 (Anm. 146), 289, 294 Decemnovium, Straßenabschnitt bei Terracina  38, 137 (Anm. 47) Desana (Provinz Vercelli), Villa und Schatz  5, 136 (Anm. 46), 138 Desenzano del Garda (Provinz Brescia), Villa  139 Donau/Danube (Danubius), Fluss  24, 163 (Anm. 48), 239, 244 (Anm. 26), 278, 325–328, 350, 353, 359 Doss Trento  Verruca Durance (Druentia), Fluss  239 Este  Ateste Faenza (Faventia)  45, 60, 302 Forum Iulii (Cividale)  43, 134, 147 Frascaro (Provinz Alessandria), Siedlung  5, 140 Friuli (Friaul), Region  143, 147

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Ortsregister

Galatese (Provinz Catania), Siedlung  95 Gallien (Gallia)  6, 10, 49, 157 (Anm. 11), 158 (Anm. 19), 178 (Anm. 13), 183 f., 186, 188, 209, 239, 243, 248–250, 260 (Anm. 93), 263, 266 (Anm. 120) Gardasee/Lake Garda  5 f., 139, 147 f. Gemona del Friuli (Klemaun), Festung  147 Grado  55, 135 Sant’ Eufemia  55 (Anm. 92), 135 Gualdo Tadino (Tadinum), Schlacht bei  304 Hispanien/Iberische Halbinsel  6, 31, 239 f., 266, 274, 281, 413, 419, 421, 440 Invillino/Ibligo (Friaul), Festung  147, 150 Isère (Isara), Fluss  239 Istrien (Histria)/Istria  10, 42 f., 47 (Anm. 54), 50, 52 (Anm. 80), 53 (Anm. 83), 55–57, 146 Konstantinopel/Constantinople  15, 24, 28, 84, 89, 123, 155–160, 163 (Anm. 45), 164, 167, 170 (Anm. 87), 172 f., 176 f., 183 (Anm. 32), 189, 195, 211, 241, 242 (Anm. 18), 248 (Anm. 36), 258, 271 (Anm. 139), 275–278, 303, 308, 310 f., 345 porta Aurea  84 Krim/Crimea 326 f., 413 Liguria  48, 146, 182, 184, 199 (Anm. 22), 209, 211, 218, 271 f., 302 Lilybaeum (Marsala)  8, 90, 97, 100, 104 f., 123 Capo Boeo  104 Loppio (Provinz Trient)  147, 150 f. San’Andrea di Loppio  6, 147 Lucania  52 (Anm. 77), 135, 138, 199 (Anm. 22), 210 (Anm. 71) Lundo/Lomaso (Provinz Trentino), Festung  6, 148 f. Luni (Luna)  44, 151 Mailand/Milan (Mediolanum)  39 (Anm. 13), 48, 80, 181 f., 185, 271 (Anm. 138), 272 (Anm. 143 u. Anm. 145), 301–303, 425 f. Malta  7, 94 Marcianople (Marcianopolis), Belagerung von  353, 354 (Anm. 65 u. Anm. 66), 358 Maremma, Region, Versumpfung  44 Marsala  Lilybaeum Mediolanum  Mailand/Milan Megara Hyblaea  7, 90, 94 f., 120, 122 Contrada Pianicella  93 f. Costa Saracena  95

Moesien/Moesia 158, 160, 328, 349 f., 352–355, 358 f. Mombello Monferrato (Provinz Alessandria)  5, 138 Monte Barro (Provinz Como), Festung  5, 141–143, 150 f. Monte San Martino ai Campi (Provinz Trient), Siedlung  6, 148 f. Montefeltro (Mons feretrius), Festung  151 Morgantina  7, 90, 96 Mugello (Mucellium), Schlacht bei  302 Neapel/Naples (Neapolis)  51 (Anm. 76), 118, 135, 150, 170, 242 (Anm. 18), 301 Nizäa (Iznik), Konzil von  15, 156, 158–161, 166 (Anm. 63), 169 (Anm. 79) Novae (Svištov)  330, 353 Orvieto (Urbs vetus) 150 Osimo (Auximum) 151 Osoppo (Friaul)  147 Ostia  58 Otranto (Hydruntum) 150 Padua (Patavium)  54, 134, 212 (Anm. 77) Santa Giustina  134 Palermo (Panormus)  90, 300 Parentium (Parenzo/Poreč) 54 Patti Marina (Messina), Villa  90, 99 Pavia  Ticinum Petra Pertusa (Gola del Furlo), Festung  150 Peveragno, Castelvecchio di (Provinz Cuneo), Festung  6, 146 Philippopolis (Plovdiv), Schlacht bei  349 f., 352–354, 358 Philosophiana, Ackerstadt  8, 90, 100, 108– 124 Piazza Armerina (Provinz Enna), Villa  7, 90, 99, 108 Platani, Flusstal  96 Pombia (Provinz Novara), Festung  142 Poreč  Parentium Priolo Gargallo (Provinz Siracusa), Siedlung  95 Provence  145, 199 (Anm. 21), 239 f., 249 f., 260, 274, 433, 440 Punta Secca (Provinz Ragusa), emporion  7, 90, 94 Ravenna 8–11, 23, 31, 34, 38–40, 45, 48, 52 (Anm. 82), 55, 59, 60 (Anm. 108), 64, 78 (Anm. 87), 80, 120, 127, 128 (Anm. 9 u. Anm. 11), 130 f., 133–136, 144, 150,

Ortsregister 155 (Anm. 1), 163–165, 167, 170 (Anm. 86), 172, 173 (Anm. 101), 181, 184, 188, 190 (Anm. 51), 197, 202 f., 207, 210, 213, 218 f., 221, 239 f., 241 f., 245, 247, 252, 254, 260, 263, 265, 266 (Anm. 120), 268–272, 274 f., 277–280, 293, 301, 303–305, 313 f., 331, 333, 342, 380, 382, 388, 400, 425 f., 435 Classe  127, 128 (Anm. 9 u. Anm. 11), 130 f., 202 Hof  23, 31, 172, 173 (Anm. 101), 240, 245– 247, 249, 259, 265, 267, 271 f., 274, 277, 279, 293, 302 f., 305, 308 f., 311, 342 Homöische Gemeinde  164–167, 173 (Anm. 101), 188, 231 Mausoleum Theoderichs  275, 296 (Anm. 4), 382 Monasterium S. Mariae  382 Sant’ Anastasia  331 Urbs regia  11, 64 Reggio di Calabria (Rhegium) 301 Rhone (Rhodanus), Flussgrenze  266  (Anm. 120) Rimini  Ariminum Rök, Runenstein von  36, 379, 380 (Anm. 47), 414 Rom/Rome  3, 6, 8–12, 15, 19–23, 37, 39–42, 44, 50–52, 63–88, 89, 114, 120 f., 123, 133, 155 (Anm. 1), 164, 168, 170 (Anm. 86), 179 (Anm. 16), 193–199, 201, 204, 207–211, 213, 215, 217–221, 241 f., 247–252, 262 f., 265, 271 f., 275, 281, 286, 288 f., 294, 296, 301–314, 315, 338, 345, 362, 364, 380, 401, 411 (Anm. 90), 416 f., 419 Athenaeum  Forum Traiani atrium libertatis  Curia Aventin 66 Basilica Aemilia  70, 81 Basilica Hilariana  66 Basilica Maxentii (Maxentiusbasilika)  71 Caelius 65 f. Castra Praetoria (Prätorianerlager)  83 f. Colosseum (Amphitheatrum Flavium) 20, 51 (Anm. 72), 69 (Anm. 28), 74, 79, 81 Crypta Balbi  11, 65–68, 79, 114 Curia  71, 76, 78, 79 (Anm. 93), 81 Domus Tiberiana  70 Forum Augusti (Augustusforum)  72, 81 Forum Boarium  11, 65 Forum Caesaris (Caesarforum)  71 Forum Nervae (Nervaforum)  72 Forum Pacis  71, 86 Forum Romanum  12, 64, 66, 70 f., 73, 77 Forum Traiani (Trajansforum)  12, 67, 72

459

Forum Transitorium  12, 72 f. Hippodrom im Kaiserpalast von Rom  70 horrea piperataria  71 Kapitol  75, 81 Lungotevere Testaccio, Hafen  82 Marcellustheater 79 Marsfeld  11, 65, 67, 68 (Anm. 24), 82 Mausoleum des Honorius  73 Palatin  67 (Anm. 18), 68–70, 78 (Anm. 87), 82, 84, 88 Peterskirche 85 f. Pincio (Palast)  70, 78 (Anm. 87) Pompeiustheater (Theatrum Pompei)  76, 79 porta Appia  84 porta Asinaria  83 porta Flaminia  83 porta S. Petri  86 portus Licini  76, 79 f. Prima Porta (Villa der Livia)  80 (Anm. 101), 82, 84 Santi Cosma e Damiano  85 f., 145 (Anm. 71) Santa Croce in Gerusalemme  85, 242 (Anm. 19) San Giorgio in Velabro  85 San Giovanni a Porta Latina  85 Santi Giovanni e Paolo  85 San Gregorio  85 San Lorenzo in Lucina  68 Santa Maria Maggiore  85 Santi Luca e Martina  85 San Martino ai Monti  85 San Paolo fuori le Mura  85 f. Santa Prisca  66, 85 San Salvatore  85 San Stefano degli Unghari  85 Tempel der Matidia  68 Tempel des Veiovis  81, 84 Theatrum Pompei  76, 79 Thermen des Agrippa  67 Caracallathermen 81 f. Konstantinsthermen  74, 82 Nerothermen 75 Trajansthermen 68 f. Vatikan 86 Scandza, Insel  346 Scythia minor, Provinz  328, 348 (Anm. 33), 361 Segesta  7, 90, 98, 114 Contrada Rosignolo  98 Ponte dei Bagni/Aquae Segestanae  98 Senigallia (Sena Gallica) (Provinz Ancona)  306 Simeto, Flusstal  95

460

Ortsregister

Sirmione (Provinz Brescia), Villa  139 Sizilien (Sicilia)/Sicily 6–9, 80 (Anm. 106), 89– 124, 135, 185, 201 (Anm. 28), 210 (Anm. 71), 270, 273 (Anm. 146), 300, 311–313 Spanien/Spain  130, 263, 339, 418 f., 428  (Anm. 166) Spoleto (Spoletium)  40, 47 (Anm. 54), 53 (Anm. 83), 54 (Anm. 88), 133, 184, 418 Susa (Segusio)  134, 141, 146 Syrakus (Syracusae)/Syracuse  6, 90, 94, 97, 135, 312 f. Tarquinia (Provinz Viterbo)  45 Tarracina (Terracina) (Provinz Latina)  38 Tergeste (Triest)  55 Thrakien/Thrace  325, 346, 350 (Anm. 44), 353 f. Ticino, Fluss  142 Ticinum (Pavia)  39, 47 f., 53 (Anm. 84), 132– 134, 139, 147 Todi (Tuder)  80, 150 Tortona (Dertona)  134, 145 Toscolano Maderno (Provinz Brescia)  139 Trento/Trient (Tridentum) 5 f., 45 (Anm. 42), 58, 131 f., 134, 144, 147 San Vigilio  58, 131 f. Treviso (Tarvisium) 134 Tridentum  Trento

Triest  Tergeste Tuscia et Umbria, Provinz  10, 42 f., 47 (Anm. 54), 50, 53 (Anm. 83), 132 Urbino (Urbinum Mataurense) 151 Venetia et Histria, Provinz  10, 42 f., 47 (Anm. 54), 50, 52 (Anm. 80), 53 (Anm. 83), 55 Venetien (Veneto)  56–58 Vercelli (Vercellae)  5, 47, 86 (Anm. 147), 136 (Anm. 46), 138 Verona (Bern)  5, 34, 39, 58, 128 (Anm. 10), 133 f., 139, 144, 187 (Anm. 47), 377, 380, 382 f. San Zeno Maggiore  383 Verruca (Doss Trento), castrum  6, 58, 144, 145  (Anm. 71) Vicenza (Vicetia) 54 Villa (Romana) del Casale (Provinz Enna)  90, 99 Villaro al Ticineto (Provinz Alessandria), Villa  5, 137 f. Vivarium, Kloster  345 Vouillé (campus Vogladensis), Schlacht bei  274 Zuglio (Iulium Carnicum) San Pietro di Zuglio  147