Theater und Öffentlichkeit im Vormärz: Berlin, München und Wien als Schauplätze bürgerlicher Medienpraxis 9783050064338, 9783050059617

Der vorliegende Band befasst sich mit dem Verhältnis von Theater und Öffentlichkeit in der absolutistischen und vormärzl

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Theater und Öffentlichkeit im Vormärz: Berlin, München und Wien als Schauplätze bürgerlicher Medienpraxis
 9783050064338, 9783050059617

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Theater und Öffentlichkeit im Vormärz

Deutsche Literatur. Studien und Quellen Band 11 Herausgegeben von Beate Kellner und Claudia Stockinger

Meike Wagner

Theater und Öffentlichkeit im Vormärz Berlin, München und Wien als Schauplätze bürgerlicher Medienpraxis

Akademie Verlag

Habilitationsschrift im Fach Theaterwissenschaft, von der Fakultät für Geschichts- und Kunstwissenschaften der Ludwig-Maximilians-Universität im November 2011 als schriftliche Habilitationsleistung angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© Akademie Verlag GmbH, Berlin 2013 Ein Wissenschaftsverlag der Oldenbourg Gruppe www.akademie-verlag.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Einbandgestaltung: hauser lacour unter Verwendung eines Fotos: Johann Wolfgang Goethe an Johann Gottfried Herder, wahrscheinlich zwischen Mitte Januar und Mitte Februar 1786 Druck & Bindung: Beltz Bad Langensalza GmbH, Bad Langensalza Dieses Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706. ISBN eISBN

978-3-05-005961-7 978-3-05-006433-8

Inhalt

Vorwort ...................................................................................................................

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1 Theater – Medien – Politik ...........................................................................

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2 Gesellschaft und Öffentlichkeit ...................................................................

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2.1 Öffentlichkeit als methodische Größe ...................................................................

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2.2 Die Regulierung von Öffentlichkeit ......................................................................

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2.3 Öffentlichkeit im literarisch-philosophischen Diskurs ...........................................

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3 Theater und Öffentlichkeit ............................................................................

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3.1 Urbane Kultur und Repräsentationskritik .............................................................. 106 3.2 Journalistische Öffentlichkeit und Theater ............................................................ 111 3.3 Öffentliche Kunst und ästhetische Erlösung .......................................................... 117 3.4 Theater als öffentliche Institution .......................................................................... 126

4 Die Arena der Öffentlichkeit – Berlin 1820–1850 .................................. 139 4.1 Der Zeitungskrieg ................................................................................................. 140 4.2 Der Fall Maltitz – Die Grenzen öffentlichen Handelns .......................................... 168 4.3 Prutz und die hohe Kunst der Öffentlichkeit .......................................................... 197

5 Die Ordnung der Öffentlichkeit – München 1810–1850 ....................... 223 5.1 Theater-Öffentlichkeit und Gesellschaftsordnung .................................................... 228 5.2 Die Institutionalisierung des Isarthor-Theaters ...................................................... 251 5.3 Disziplin und Öffentlichkeit – Das Hof- und Nationaltheater ................................. 281

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Inhalt

6 Die Gegenwart der Öffentlichkeit – Wien 1848 ...................................... 305 6.1 Zeitung und Versammlungsöffentlichkeit ............................................................. 318 6.2 Studententheater ................................................................................................... 340 6.3 Lortzings Gegenwartstheater ................................................................................ 366

7 Grenzen der politischen Demonstration .................................................... 393 8 Anhang .............................................................................................................. 399 8.1 Historische Quellentexte ....................................................................................... 399 8.2 Forschungsliteratur ............................................................................................... 403 8.3 Lexika, Handbücher, Gesetzessammlungen .......................................................... 412 8.4 Periodika .............................................................................................................. 412 8.5 Archivdokumente ................................................................................................. 412 8.6 Abbildungsnachweise ........................................................................................... 414

Vorwort

Es gibt eine Reihe von Menschen, die für den Entstehungsprozess meines Projekts wichtig waren und denen ich an dieser Stelle gerne danken möchte. Hier sei an erster Stelle Prof. Dr. Christopher Balme genannt, der mein Projekt über viele Jahre kritisch und fördernd begleitete. Großer Dank gilt auch den Kollegen, mit denen ich kritische und inspirierende Diskussionen führen konnte: Prof. Dr. Wolfram Siemann, Prof. Dr. Michael Gissenwehrer, Prof. Dr. Stefan Hulfeld, Prof. Dr. Freddie Rokem, Prof. Dr. Hans-Peter Bayerdörfer, Prof. Dr. Jürgen Schläder und PD Dr. Hannelore Putz. Hierzu gehören auch auf besondere Weise die Wissenschaftlerinnen der Mentoring-Gruppe des FB 09 (Kunstwissenschaften und Geschichtswissenschaften) der LMU München unter der engagierten Leitung von Prof. Dr. Marie-Janine Calic. Den Mitarbeitern der Theatersammlung des Stadtmuseum Berlin, der Theatersammlung Wien, des Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, des Landesarchiv Berlin, des Bayerischen Hauptstaatsarchiv, des Staatsarchiv München, des Österreichischen Staatsarchiv, der Wienbibliothek, der Wiener Stadt- und Landesbibliothek und der Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg bin ich zum Dank verpflichtet. Sehr hilfreich für die Fertigstellung des Buchprojekts war ein Stipendium der Bayerischen Gleichstellungsförderung und mein Aufenthalt als Researcher in Residence am Center for Advanced Studies, dafür sei den Institutionen und ihren Mitarbeitern gedankt. Prof. Dr. Beate Kellner und Prof. Dr. Claudia Stockinger danke ich für die Aufnahme des Bandes in die Reihe „Deutsche Literatur – Studien und Quellen“. Dr. Katja Leuchtenberger vom Akademie-Verlag war so freundlich, das Entstehen des Buches mit Rat und Tat zu begleiten. Dr. Berenika Szymanski-Düll und Simon Gröger möchte ich für kritische Anregungen und die sorgsame Durchsicht des Manuskripts herzlich danken. Ein großes Dankeschön auch an die Freunde, die in vielfacher Weise meine Arbeit förderten und begleiteten: Prof. Dr. Susanne Foellmer und Max Stelzl, Dr. Inga Jürgensen, Erni und Roman Gaugusch, Christina und Martin Lux sowie Anja Friede. Meinen Eltern Helgard und Günter Wagner danke ich für ihre uneingeschränkte und liebevolle Unterstützung. Ohne die Geduld und Zuneigung meiner Familie hätte ich dieses Buchprojekt nicht mit Leben füllen können: Wolf danke ich für seine kluge und anspornende Kritik als

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Kollege, sein uneingeschränktes Engagement für unsere ‚duale Karriere‘ und seinen liebevollen Rückhalt. Muriel und Clara danke ich für ihre Liebe und ihre Lebendigkeit. Es gelingt ihnen immer, Anflüge wissenschaftlicher ‚Verbohrtheit‘ in kreatives Chaos umschlagen zu lassen. München, im Oktober 2012 Meike Wagner

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Theater – Medien – Politik

Am 20. Dezember 1808 brannte das Covent Garden Theatre Royal in London bis zu den Grundmauern nieder. Mithilfe zahlreicher Sponsoren und einer öffentlichen Ausschreibung erreichte der ‚actor-manager‘ John Philip Kemble einen schnellen Wiederaufbau und konnte bereits am 18. September 1809 das Theater wieder eröffnen. Während der Eröffnungsvorstellung von Macbeth begannen allerdings Tumulte, die von da an zwei Monate lang allabendlich das Covent Garden heimsuchten. Diese Proteste gingen als ‚Old Price Riots‘ in die Theatergeschichte ein. Das Publikum protestierte gegen die Preiserhöhungen und gegen wesentliche Umbauten, die abgetrennte privilegierte Logen (private boxes) und eingeschränkte Sichtverhältnisse auf den billigen Plätzen (pigeon holes) umfassten.1 Kemble schaltete die Polizei ein und versuchte, mit angeheuerten Saalordnern Herr der Lage zu werden, was jedoch die Auseinandersetzungen nur noch verschlimmerte. Am 14. Dezember 1809 gab Kemble den Forderungen des Publikums nach und erreichte durch Konzessionen und eine öffentliche Entschuldigung ein Ende der ‚Riots‘. Die Theatertumulte am Covent Garden erreichten eine immense Aufmerksamkeit in der Londoner Öffentlichkeit. Dabei artikulierte sich in den Protesten die niedere Gesellschaftsschicht, der Theatermob, im Modus des Melodramas.2 Es gab höchst spektakuläre Protestaktionen mit Verkleidungen, Gesängen, lautstarken Rufchören etc. Es wurden sogar spezifische OP-Tänze erfunden und regelmäßig aufgeführt. 3 Die OP Riots waren 1 2

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Für eine umfassende soziologische Untersuchung der Unruhen am Covent Garden Theatre Royal vgl. Marc Baer, Theatre and Disorder in Late Georgian London, Oxford 1992. Elizabeth Hadley sieht in den OP Riots einen gesellschaftskritischen Protest. Die Performances der Rioters äußerten sich lautstark im Modus des Melodramas als Protest gegen die Unterdrückung des Sprechens in den nicht für Sprechtheater privilegierten minor theatres, vgl. Elaine Hadley, „The Old Price Wars. Melodramatizing the Public Sphere in Early-Nineteenth-Century England“, in Publications of the Modern Language Association, Vol. 107, No. 3, 1992, 524–537. Einen Eindruck der turbulenten Performances im ‚pit‘ gibt Thomas Hobbs, A short sketch (taken within these few nights) of the ‚row‘ at the Theatre-Royal, Covent-Garden; wherein is given an exact representation of the O.P. dance, and other manoeuvres, as practised by the opponents of this theatre, Bath, printed for T. Hobbs, by M. Gye, Market-Place, Nov. 24, 1809, 11p., 4f: „This [OP Dance] is much admired, and receives its merited applause by Hundreds of Persons in the Pit, most of whom join in the Dance. The word then is given, ‚Down O.P.’s,‘ which is done with as much

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Theater – Medien – Politik

ein theatrales Ereignis, das sich stark mit anderen Medien vernetzte und in medienhistorischer Hinsicht als Knotenpunkt einer gesellschaftlichen Öffentlichkeit angesehen werden kann. Abend für Abend strömten ansonsten theaterferne Gruppen hinzu, um das OP-Spektakel zu sehen und auch Teil der Performances zu werden. Fünf große Tageszeitungen beteiligten sich am Kampf auf verschiedenen Seiten.4 Eine Fülle von satirischen Flugblättern und Karikaturen der OP Riots, in denen vor allen Dingen die Opposition von ‚John Bull‘ als Vertreter des Volkes gegen ‚King John‘ Kemble als Vertreter des kapitalistischen und monopolistischen Theatersystems in allen Facetten durchgespielt wurde. Im schnellen Wechsel reagierten diese Veröffentlichungen direkt aufeinander und trugen den Aufruhr vom Theater in die Druckmedien. Auch der Flugblattschreiber ‚Attalus‘ mischte sich in diesen politischen Diskurs der OP Riots ein und benannte die beteiligten Schichten und deren – seiner Meinung nach – zweifelhafte Motive für den öffentlichen Aufruhr. An seiner Schrift kann man das Potential des Theaters als Forum für die öffentliche Stimme des Volkes ablesen, gleichzeitig macht sich hier der politische Gebrauch des Mediums ‚Flugblatt‘ kenntlich. Attalus referierte auf das Theaterereignis, um seine kritische Haltung gegenüber einer Öffentlichkeit der niederen Gesellschaftsschichten, des in den Gallerien versammelten „mob“, zu äußern. What have they [the galleries] to gain or lose in the present contest? Nothing. Why are they so active? Methinks I hear some smirking, unfledged witling, just escaped from the desk as the clock strikes four, tell me with infinite gravity, ‚they are so active, from a noble spirit of liberty: an English audience (mob) is but one when it unites to resist oppression and monopoly. This, Sir, is the reason (and I am surprised you could not find it out) why the galleries have become our glorious coadjutors. Hem!‘ --- and away he runs to pay his four shillings, (dinnerless of course) to meet his glorious compeers! He provides himself with a rattle or a dustman’s bell, appropriate emblems of his function, to make that noise to which his unformed, baby voice is inadequate: and then, he too is one of the PUBLIC! Suppose I listen to this explanation with all possible deference; yet I am not convinced, and if my pert logician had not fled so quickly I should probably have replied,--- ‚The galleries

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quickness and order as possible, every one sitting with his back to the Stage; in that position they sing God save the King, Rule Britannia &c. This being finished, three hearty cheers follow, joined by the Gallery and other parts of the House. An opening is then made in the centre, and (astonishing to relate!) the Audience run over the Benches, from the Orchestra to the Boxes, and return with the greatest velocity! It frequently happens, during this confusion and noise, that many fall over each other. Like brethren, embarked in one common cause, they help and assist, with the greatest good-nature, their Fellow-Adventurer.“ Morning Post und British Press standen auf der Seite Kembles, The Statesman, Morning Chronicle und The Times engagierten sich für die Protestierenden. Für eine satirische Darstellung der PresseSituation vgl. The rebellion; or, all in the wrong. A serio-comic hurly-burly, in scenes, as it was performed for two month at the New Theatre Royal, Covent-Garden, by his Majesty’s servants, the players, and his liege subjects, the public. To which is added, a poetical divertissement, concluding with a panoramic view of the new theatre, in prose, London, printed for Vernor, Hood, and Sharpe, Poultry, Taylor and Hessey, Fleet-street, Sharpe and Hailes, Piccadilly, and J. Booker, Bond-Street, 1809. 128p., V.

Theater – Medien – Politik

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join the pit and boxes from sympathy of feeling. They all love a riot, and they all concur to produce it.‘5

Attalus ironisierte hier die Verbrüderung von mittlerer Bürgerschicht und Pöbel. Bürgerlich stilisiert als „noble spirit of liberty“ seien die Riots nichts anderes als eine sinnliche Radauveranstaltung, die um der Performance selbst veranstaltet würde: „They all love a riot.“ Der beflissene bürgerliche Bankangestellte wurde darunter einbegriffen. Ob man nun seine kritische Haltung übernehmen möchte oder nicht, so ist eines doch signifikant: Attalus musste anerkennen, dass erst die Mischung aus bürgerlicher Diskursivierung als „noble spirit of liberty against oppression and monopoly6“ und der pöbelhaften Lust am Aufruhr den Theaterskandal zum öffentlichen und politisch wirksamen Ereignis machte. Die „baby voice“ des Bürgers war nicht imstande, sich ‚zivilisiert‘ zu äußern. Sie brauchte lärmende Instrumente und lautstarke Verbündete, um die öffentliche Sphäre zu betreteten: „and then, he too is one of the PUBLIC!“ Dies lässt sich als wesentliche Grundlage einer Ausweitung der medialen Zonen politischer Öffentlichkeit im 19. Jahrhundert formulieren: Theater bot ein performatives Potential, das in der Überschreitung von Standes- und Schichtengrenzen und in der Verbindung mit anderen Medienformen – insbesondere Druckmedien – eine Wirksamkeit hinsichtlich politischer Öffentlichkeit entfalten konnte. Es war darüber hinaus einer der wenigen Orte, an dem sich Menschen regelmäßig in großer Zahl ohne Einschreitung der Obrigkeiten öffentlich versammeln durften. Was 1809 in London geschah, steht exemplarisch für die spannenden Wechselbeziehungen von Öffentlichkeit, Politik und Theater. England und insbesondere London war dem kontinentalen Europa in der Zeitungsentwicklung weit voraus.7 Bereits seit 1695 bestand eine allgemeine Pressefreiheit (allerdings durch Stempel- und Steuerpolitik eingeschränkt).8 Die politische Situation und eine der Presse förderliche Öffentlich5

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Justice and Generosity against Malice, Ignorance, and Poverty: or, an attempt to shew the equity of the new prices at the Theatre Royal, Covent Garden, by Attalus, London, Oct. 2, 1809, printed for Sherwood, Neely, and Jones, 20, Paternoster-Row. Oct. 2, 1809. Price One Shiling, 6f. Zur Zeit der Old Price Riots war das Covent Garden Theatre Royal das einzige Theater (patent theatre) in London, wo klassisches Sprechdrama (legitimate drama) aufgeführt werden durfte. Der Konkurrenzbetrieb Drury Lane Theatre Royal war seit dem Brand am 24. Februar 1809 geschlossen und eröffnete erst wieder 1812. Für eine Zeitungsgeschichte von England und insbesondere London vgl. Hannah Barker, Newspaper, Politics, and Public Opinion in Late Eighteenth-Century England, Oxford 1998. 1662 wurde der Printing Act erlassen, welcher nur den ‚master printers‘ der Stationers Company (Drucker-Gilde) und der beiden Universitäten Cambridge und Oxford das Abdrucken von Dokumenten erlaubte. Flankierend dazu wurde 1663 die Position eines Pressekontrolleurs geschaffen, der quasi uneingeschränkte Regulierungsvollmachten und Eingriffsmöglichkeiten hatte. 1695 konnte die Erneuerung des Printing Act wegen praktischer Fragen im Parlament keine Mehrheit finden, so dass ab dann Zeitungen ohne jegliche Lizenz gedruckt und publiziert werden konnten. Dies führte zu einer schnellen Zunahme an Publikationen. Vgl. Geoffrey Alan Cranfield, The Press and Society. From Caxton to Northcliffe, London u. New York 1978, insbes. 19–57; vgl. auch Frederick Seaton Siebert, Freedom of the Press in England 1476–1776, Urbana 1965, insbes. 237–263.

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Theater – Medien – Politik

keitspolitik waren die Voraussetzungen für eine erweiterte Sphäre des Öffentlichen,9 welche die OP Riots und deren massive mediale Diskursivierung ermöglichten. Obgleich sich die gesellschaftlichen und politischen Strukturen in England deutlich von den kontinentaleuropäischen und auch den deutschen Ländern unterschieden, so geben die OP Riots doch interessante Aspekte des Verhältnisses von Theater zur politischen und medialen Öffentlichkeit zu denken, die sich in folgenden Fragen ausdrücken: Welche politische Reichweite konnte Theater als Ort des öffentlichen Protests erreichen? Die Proteste mussten nicht innerhalb der Grenzen des Theaters bleiben. Zum einen überragte das Theater durch seine Präsenzsituation alle anderen Medien an direkter Einflussnahme auf ein Publikum, zum anderen stand das Theater in enger Beziehung zu den publizistischen Medien. Was im Theater geschah, wurde im 19. Jahrhundert zur Zeitungssache: Wenn sich die Aktion von der Bühne auf den Zuschauerraum verlagerte, so war dies auch für das Lesepublikum von Interesse und konnte von da aus weitere öffentliche Kreise ziehen. Welche Akteure konnten sich in einer solchen theatralen Öffentlichkeit engagieren? Theaterkünstler, Dramatiker und das Publikum verstanden sich als Teil der theatralen Öffentlichkeit und nahmen teils eruptiv, teils graduell anwachsend ein Recht auf unbegrenzte öffentliche Äußerung in Anspruch. Thematisiert wurde in diesem Zusammenhang immer wieder die Frage nach der Schichtenzugehörigkeit öffentlicher Akteure. Bildungsbürgerliche Gesellschaftsgruppen sahen sich zunehmend als ‚natürliche‘ Akteure der Öffentlichkeit, während es den unterprivilegierten Kleinbürgern selten zugestanden wurde, sich frei zu artikulieren. Die Frage nach den Akteuren der Öffentlichkeit zielte daher auch auf das hierarchische Selbstverständnis einer Gesellschaft und ihren geregelten Zugängen zu Medien. Wie gingen staatliche Autoritäten mit den öffentlichen Theaterprotesten um, und was sagt das aus über damalige Konzeptionen von Öffentlichkeit, Theater und Medienpraxis? Dies schließt an die hierarchische Regulierung des Öffentlichkeitszugangs an. Der staatliche Regulierungsbedarf maß sich letztlich an der Frage, ob ein Volk für mündig gehalten wurde, einen politischen Diskurs konstruktiv führen zu können und die öffentliche Sphäre dem Selbstregulativ der Medienpraxis überlassen blieb, oder ob das Volk der vom Staat gestalteten und kontrollierten medialen Erziehung und Aufklärung bedurfte, bevor es überhaupt den Bildungsgrad einer staatskonformen Medienkompetenz erreichen konnte. Die Auseinandersetzungen in Covent Garden lesen sich in diesem Zusammenhang wie ein Testlauf des allgemeinen öffentlichen Meinungsrechtes. Der Anstiftung zur öffentlichen Unruhe angeklagt traten die OP-Akteure selbstbewusst vor Gericht auf und beriefen sich auf die von Lord Mansfield 177510 verkündete freie Meinungsäußerung im Theater: 9 10

Vgl. hierzu auch Arthur Aspinall, Politics and the Press, London 1947. 11. Mai 1775, „The King against Leigh and others“.

Theater – Medien – Politik

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His Lordship said, Every man that is at the Play-house, had a right to express his approbation or disapprobation instantaneously, according as he liked either the acting or the piece – that is a right due to the Theatre – an unalterable right – they must have that.11

Das Gericht entschied zugunsten der OP Rioters und gab der Position einer unbeschränkten öffentlichen Meinungsäußerung auch bürgerlicher und kleinbürgerlicher Gesellschaftsgruppen einen berechtigten Spielraum im Theater. Das britische Volk hatte in den Augen der Gerichte offensichtlich bereits einen ausreichenden Reifegrad für die Medienkompentenz des Theaters erreicht. Der mediale und theatrale Aufruhr um die Preiserhöhungen am Covent Garden Theatre Royal machte auch auf dem europäischen Kontinent die Runde. Die deutschen Zeitgenossen der englischen OPs nahmen ebenfalls wahr, dass es sich hier um ein außerordentliches Ereignis theatraler Öffentlichkeit handelte. So widmete 1828 der Publizist Moritz Gottlieb Saphir – einer der zentralen öffentlichen Akteure meiner Studie – in seinem Entwurf für ein Theater-Wörterbuch einen der wenigen nicht-biographischen Einträge den Old Price Riots am Covent Garden Theatre Royal. 12 T h e a t e r g e s c h i c h t e . Das Theater des frühen 19. Jahrhunderts, welches hier im Zentrum der Untersuchung stehen soll, war ein Theater in der gesellschaftlichen Krise. Nach der französischen Revolution und den radikalen Umgestaltungen der europäischen Landkarte durch die napoleonischen Kriege war diese Epoche gekennzeichnet durch massive soziographische und politische Veränderungen auf dem europäischen Kontinent. Die Spannungen zwischen Restauration und politischem Reformwillen entluden sich immer wieder in revolutionären Erhebungen und kulminierten schließlich in Frankreich, Deutschland und anderen europäischen Ländern in der Revolution von 1848.13 Von einer literatur- und dramenhistorischen Perspektive aus erscheint diese Zeit (1800–1850) als schwache Phase, da die dramatischen Erfolgsformate – Rührstück und Melodrama – keine literarisch hochwertigen Produkte hervorbrachten und auch die zeitgenössischen politisch-historischen Trauerspiele heute weitgehend vergessen sind. So beschreibt etwa Erika Fischer-Lichte ein Ungleichgewicht zwischen einem intensiven theater- und auch dramentheoretischen Diskurs und der unbefriedigenden Stückeproduktion: Die reiche theoretische Auseinandersetzung mit dem Drama, die zur Entstehung eines politischen Dramas und zur Erneuerung des Theaters führen sollte, hat in der Dramenproduktion der Zeit keinen adäquaten Niederschlag gefunden. Es fehlten die dramatischen Begabungen, die in 11

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Remarks on the cause of the dispute between the public and Managers of the Theatre Royal, Covent Garden, with a circumstantial account of the week’s performances, and the uproar, by John Bull, illustrated with a large caricature frontispiece of ‚The house that Jack built‘, published by John Fairburn, 146, Minories, 1809, price nine-pence. 45p., 27. Vgl. Moritz Gottlieb Saphir (Hg.), Berliner Theater-Almanach auf das Jahr 1828, ein NeujahrsGeschenk für Damen, Berlin 1827, 67f. Zu Geschichte der europäischen Revolutionen vgl. Dieter Dowe, Heinz-Gerhard Haupt u. Dieter Langewiesche (Hg.), Europa 1848. Revolution und Reform, Bonn 1998.

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Theater – Medien – Politik der Lage gewesen wären, die gestellten Forderungen aufzunehmen und in konkrete Werke umzusetzen.14

Nun kann ‚Begabung‘ kaum als wissenschaftliche Kategorie gelten und die hier konstatierte Divergenz basiert auf falschen Annahmen. Denn man muss festhalten, dass die historisch-politischen Trauerspiele etwa eines Karl Gutzkow, Heinrich Laube und Robert E. Prutz durchaus als dramatische Reformansätze wahrgenommen wurden und dort, wo sie denn erlaubt waren, auch zu erfolgreichen Repertoirestücken wurden.15 In Vergessenheit sind diese Stücke geraten, weil sie gerade punktgenau auf die Phase des öffentlichkeitspolitischen Übergangs passten und ihre politischen Tendenzen schnell überholt waren: es waren Zeitstücke. Fischer-Lichte lässt sich bei ihrer Aussage vom kritischen Tenor der Theater-Reformschriften einnehmen, die ganz in der Tradition der Modernisierer negativ über den Ist-Zustand urteilten. Meine Studie befasst sich gerade grundlegend mit diesem Problem, indem hier ein anderer methodischer Schlüssel angeboten wird, um die von Fischer-Lichte für den theaterhistoriographischen Diskurs um das Theater des Vormärz beispielhaft vorgenommene Einschätzung (innovativer Theoriediskurs vs. blasse Dramatik) zurechtzurücken und eine andere Lesart dieser Epoche zu ermöglichen. Es geht nämlich darum, eine erweiterte Perspektive anzusetzen, welche Theater des Vormärz als mediales Ereignis und Forum fassen kann. Dadurch lassen sich Theater und theatrale/performative Formen in der gesellschaftlichen und politischen Umbruchsituation als Teil von konkurrierenden Öffentlichkeiten verorten. Damit kann man den historischen Theaterdiskurs an den ‚Zeitgeist‘ des Vormärz und an das Theater als öffentliche Medien-Praxis anschließen und die „reiche theoretische Auseinandersetzung“ um die Erneuerung des Theaters erscheint so nicht etwa als einer schwachen Dramatik unangemessen, sondern gerade als adäquater theoretischer Diskurs zu dem, was in öffentlichkeitspolitischer Hinsicht auf der Theaterbühne des Vormärz versucht wurde: die Ausdehnung des politischen und öffentlichen Spielraumes. Dafür setzten sich Dramatiker, Theaterkünstler und Publizisten ein, aber durchaus auch die staatliche Seite im Hinblick auf eine Kulturpolitik, die Theater zunehmend als öffentliche Institution wahrnahm, wie es etwa das Beispiel München zeigt. 14

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Erika Fischer-Lichte, „Das deutsche Drama und Theater“, in Neues Handbuch der Literaturwissenschaft, Bd. 16: Europäische Romantik III, Restauration und Revolution, hg. von Norbert Altenhofer u.a., Wiesbaden 1985, 153–192, 187. Die Behauptung Fischer-Lichtes, das politische Drama habe eine geringe Publizität aufgewiesen und stünde in keinem Verhältnis zu dem von den Junghegelianern zugesprochenen Stellenwert, vgl. Erika Fischer-Lichte, „Das deutsche Drama und Theater“, 186, ist nicht haltbar. Die Zeitungen der Zeit sprechen von einer großen Wertschätzung und einigem Publikumserfolg der Stücke etwa von Gutzkow, Laube und Prutz. Trotz der immer phasenweise flächendeckend ausgesprochenen staatlichen Verbote waren die Stücke populär genug, um sich immer wieder auf den Spielplänen der größeren Theater zu behaupten. Dramatisch für ihre Autoren wirkten sich etwa die Verbote von Gutzkows Zopf und Schwert und Prutz’ Moritz von Sachsen, beide 1844, für ganz Preußen aus, vgl. Kap. 4.3., 205.

Theater – Medien – Politik

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Diese historiographische Ausrichtung erfordert nicht nur eine Kritik von werk- und aufführungsfokussierter Theaterhistoriographie, sondern auch eine explizit interdisziplinäre Herangehensweise. In der Verknüpfung von politischer Theorie, PerformanceTheorie und Medientheorie wird eine hierfür notwendige kulturwissenschaftliche Erweiterung der Perspektive erreicht, mit der es möglich ist, Theater und Theaterdiskurs in ihrem Wechselverhältnis zu medialen Entwicklungen der Zeit zu diskutieren. Daher gilt es nun, einige Bemerkungen zu theaterhistorischen Perspektiven zu machen, bevor ich die Konzeption einer Medienhistoriographie erläutere, welche meine Vorgehensweise bei den historischen Analysen grundlegend prägt. Hilfreich für eine Theatergeschichte des Vormärz ist der Bezug auf die kulturwissenschaftliche Perspektive, die Rudolf Münz seit Ende der 1960er Jahren verfolgte und zu einer Konzeption von ‚Theatralität‘ entwickelt hat, welche heute noch für theaterhistoriographische Forschung maßgeblich ist. Münz formuliert eine Typologisierung, welche aus vier Erscheinungen von Theater besteht. Es handelt sich um: 1. NichtTheater (Theater-Feindlichkeit, Zensur, Repression), 2. Kunst-Theater („Das Theater des Herrn Diderot“), 3. Alltags- oder Straßentheater und 4. ‚anderes Theater‘ (nicht dem repräsentativen Rahmen der bürgerlichen Literatur angehörige Theaterformen).16 Alle vier Ausprägungen von ‚Theater‘ bilden ein Verhältnis zueinander, das Münz unter dem Begriff ‚Theatralitätsgefüge‘ fasst und damit eine diskursanalytische und kulturwissenschaftliche Vorgehensweise vorgibt. Rudolf Münz und die ihm nachfolgende theaterhistoriographische Forschung nutzt diesen Ansatz in erster Linie, um die vom Kunst-Theater, d.h. vom bürgerlichen Literaturtheater wie es seit Ende des 18. Jahrhunderts ausgeprägt ist, dominierte Theatergeschichtsschreibung auf Phänomene ‚anderen Theaters‘ zu lenken und somit einen jeweils spezifischen Theaterbegriff an die Analyse älterer Theaterformen anzulegen. Dies hat eine quasi kopernikanische Wende in der Theaterhistoriographie eingeleitet, die wichtige Revisionen bewirkte.17 Die Abarbeitung am bürgerlichen Theaterbegriff hat aber dazu geführt, dass das von Rudolf Münz propagierte ‚Theatralitätsgefüge‘ fasst ausschließlich im Verhältnis von Kunst-Theater und ‚anderem Theater‘ gesucht wird und die beiden anderen Punkte – Nicht-Theater und Alltags-Theater – in den Einzelstudien deutlich zurück treten. Die Ausrichtung meiner Studie nun erfordert jedoch, gerade diese theatralen Aspekte zentral zu setzen, um das Verhältnis von Theater – durchaus verstanden als bürgerliches Literatur-Theater – zu politischer, gesellschaftlicher und medialer Öffentlichkeit darzustellen. Damit wird das ‚Kunst-Theater‘ in eine allgemeine Geschichtsschreibung eingereiht, ohne jedoch dessen Spezifizität zu nivellieren. 16

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Rudolf Münz, „Ein Kadaver, den es noch zu töten gilt. Das Leipziger Theatralitätskonzept als methodisches Prinzip der Historiographie älteren Theaters“, in ders., Theatralität und Theater. Zur Historiographie von Theatralitätsgefüge. Berlin 1998, 82–103, 99. Vgl. hierzu etwa Stefan Hulfeld, Zähmung der Masken, Wahrung der Gesichter. Theater und Theatralität in Solothurn. 1700–1798, Zürich 2000; Gerda Baumbach, Seiltänzer und Betrüger? Parodie und kein Ende, Tübingen 1995.

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Theater – Medien – Politik

Diese Vorgehensweise folgt durchaus den methodischen Vorgaben von Rudolf Münz, wenn er in seinem programmatischen Aufsatz „Zwischen ‚Theaterkrieg‘ und Nationaltheateridee“ (1969)18 sich gleich zu Beginn auf Robert E. Prutz bezieht, der 1847 formulierte, daß „bei der durchgängigen Übereinstimmung zwischen den Entwicklungen unsers Theaters und unsers öffentlichen Lebens überhaupt, […] es einer eigenen Eintheilung für die Geschichte des Theaters überall nicht bedarf.“19 Während Rudolf Münz nun diese historiographische Erweiterung nutzt, um im Weiteren eine kapitalismuskritische und ökonomische Analyse des Theaterkriegs im 17. Jahrhundert vorzunehmen,20 so werde ich in meiner Studie eine medienhistoriographische Perspektive auf Theater im Vormärz fruchtbar machen. M e d i e n h i s t o r i o g r a p h i e. Mit den medientheoretischen Forschungen im Umfeld der Universitäten Weimar21 und Konstanz22 begann um die Jahrtausendwende eine intensive theoretische Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Geschichte und Medien – sowohl auf der Ebene der Disziplinen als auch der Untersuchungsgegenstände – und den methodischen Konzeptionen einer Mediengeschichte – sowohl als historische Perspektive auf Medien als auch als mediale Perspektive auf Geschichte. Dieser jüngeren Tendenz der Medienhistoriographie ist eine Kritik an der ‚Geschichte der Einzelmedien‘ gemeinsam, welche auf kulturwissenschaftlichen Theorien aufbauend gegen die solchermaßen historische Substantialisierung von Medien ein Konzept von Medien als soziale Praxis entgegensetzt. Besonders nachdrücklich hat die von Régis Debray23 geprägte französische Mediologie eine Problematisierung des allein auf technischen Formaten basierenden Medienbegriffs formuliert und einen methodischen Weg vorgezeichnet, um das Symbolische, die symbolische Praxis, mit dem Technischen zu verbinden. So formuliert Daniel Bourgnoux: Der Begriff Medium bezeichnet ursprünglich ‚was sich dazwischen (auf)hält‘ und was uns verbindet und organisiert; was es überhaupt ermöglicht, dauerhaft von uns zu sprechen. Me18

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Rudolf Münz, „Zwischen ‚Theaterkrieg‘ und Nationaltheateridee. Zu den Anfängen der bürgerlichen deutschen Theaterhistoriographie“, in Wissenschaftliche Zeitschrift der Humboldt-Universität zu Berlin, Gesellschafts- und sprachwissenschaftliche Reihe, Jg. XVIII, Heft 1, 1969, 15–36. Robert E. Prutz, Vorlesungen über die Geschichte des deutschen Theaters, Berlin 1847, 12; zitiert nach Rudolf Münz, „Zwischen ‚Theaterkrieg‘ und Nationaltheateridee“, 15. Vgl. Rudolf Münz, „Zwischen ‚Theaterkrieg‘ und Nationaltheateridee“, 18–33. Vgl. einschlägig hierzu den von Lorenz Engell und Joseph Vogl herausgegebenen Band Mediale Historiographien (= Archiv für Mediengeschichte, Bd.1), Weimar 2001. Vgl. den von Fabio Crivellari, Kay Kirchmann, Marcus Sand und Rudolf Schlögl herausgegebene Sammelband Die Medien der Geschichte. Historizität und Medialität in interdisziplinärer Perspektive, Konstanz 2004. Geprägt hat Régis Debray den Begriff der Mediologie bereits 1979 in Le Pouvoir intellectuel en France. Umfassende methodische Grundlagen lieferte er 20 Jahre später mit Introduction à la médiologie, Paris 1999 (Deutschen Ausgabe: Einführung in die Mediologie, Bern u. a. 2003).

Theater – Medien – Politik

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diologie verbindet sich also mit einer Ökologie: Sie studiert die zugleich technischen und sozialen Milieus, die unsere symbolischen Repräsentationen formen und recyclen und uns damit ermöglichen zusammenzuleben.24

In historischer Hinsicht geht es darum, das Medium je spezifisch aus seinen technischen Gegebenheiten und der sozialen Praxis heraus zu bestimmen.25 Medialisierung sei, so Debray, an zwei Bedingungen geknüpft – eine Organisationsstruktur und eine Materialität –, die jeweils näher bestimmt werden könnten. Es handele sich zum einen um das Medium in einem apparativen-technischen Sinne: die organisierte Materialität. Zum anderen gehe es um die persönliche oder kollektive Geste: die materialisierte Organisation, wie sie etwa konstituierende Körperschaften, Kirchen, und eben auch Theater als Institution ausbilden.26 Eine vergleichbare Konzeption vertritt William Uricchio, wenn er für eine historische Medienanalyse einen Begriff von Medien als soziale Praxis ansetzt, der „die Entwicklung technologischer Infrastrukturen und Repräsentationskapazitäten (und natürlich erst recht ihren Einsatz) so sehr wie den ‚User‘“27 umfassen kann. Theater kann in dieser Perspektive gleichzeitig als technisches Milieu – seine Apparaturen, Konventionen und Regularien – und als soziales Milieu – Aushandlung sozialer Stellung, öffentliches gesellschaftliches Forum – betrachtet werden. Es erweist sich somit als zentraler Ort symbolischer Repräsentationen, welche eine Gesellschaft formen – im Sinne einer Normierung – und recyclen – im Sinne eines bestätigenden und verschiebenden Traditionszusammenhangs. Es leuchtet daher ein, dass die Bestimmung des Mediums als soziale Praxis zwischen Medienakteuren und den medialen Objekten (den Techniken), zwischen materieller Organisation und organisierter Materie, eine produktive historische Perspektive auf Theater und Öffentlichkeit bereithalten kann, um spezifische kommunikative und symbolische Funktionen in der Phase des medialen Umbruchs zu bestimmen.28 Uricchio bezieht sich auf mediale Umbrüche des 20. Jahrhunderts, die er gekennzeichnet sieht durch den systematischen Einsatz des technologisch Möglichen als neue mediale Praxis, durch prägnante Neubestimmungen bestimmter Mediensysteme und die intermediale Neudefinition von Medien. Ich gehe nun von der Annahme aus, dass auch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, dessen medientechnologische Neuerungen uns nicht ganz so geläufig sind wie etwa die ‚Geburt‘ des Films, die Einführung des Fernse24 25 26 27 28

Daniel Bougnoux, „Warum Mediologen…“, in Lorenz Engell u. Joseph Vogl, Mediale Historiographien, 23–31, 25. Vgl. Régis Debray, Einführung in die Mediologie, 149. Vgl. Régis Debray, Einführung in die Mediologie, 150. William Uricchio, „Medien des Übergangs und ihre Historisierung“, in Lorenz Engell u. Joseph Vogl, Mediale Historiographie, 57–71, 71. Für eine Diskussion der mediologischen Perspektive als methodische Konzeption für eine mediale Theaterhistoriographie vgl. Meike Wagner, „Transmissionen. Vorüberlegungen für eine Mediengeschichte des Theaters“, in Schoensmaker, Henri u.a. (Hg.), Theater und Medien. Grundlagen – Analysen – Perspektiven. Eine Bestandsaufnahme, Bielefeld 2008, 57–65.

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hens oder der Siegeszug des Internet, massive mediale Umbrüche durch eben genau solche mediale Erscheinungen geprägt sind. In meiner Studie wird daher das Theater grundsätzlich in diesem Sinne als ein Medium sozialer Praxis verstanden, welches in den medialen Umbrüchen des beginnenden 19. Jahrhunderts eine prägnante Neubestimmung erfährt und in der Interaktion mit dem ‚neuen Medium Zeitung‘ eine intermediale Prägung erhält, die sein Verhältnis zur politischen Öffentlichkeit und Gesellschaft neu bestimmt. P o l i t i s c h e s T h e a t e r. Zu Beginn meines Projekts stand der Versuch, Theater in der Revolutionszeit von 1848/1849 als politisches Medium zu beschreiben. Einzelne Berichte über ein Theater, in dem die revolutionäre Energie lautstark Ausdruck fand und die Vermutung, dass sich sofort das Repertoire zugunsten eines dezidiert politischen Dramas umgestaltet hätte, erweckten mein Interesse an einer frühen Politisierung von Theater – lange vor den theatralen Aktivitäten einer politischen Avantgarde nach 1900. Doch eine genauere Untersuchung der Dinge zeigte, dass Theater in dieser Zeit weniger in unserem modernen Sinn politisch als Agitationsinstrument oder Tribunal fungierte, sondern wesentlich mehr zum Ort einer kollektiven Symbolisierung des revolutionären Geschehens umgeformt wurde. Theater wurde hier nur zum Teil zu einem Medium der Vermittlung politischer Inhalte. Besonders auffallend ist dagegen während der Wiener Revolution die Umgestaltung von Theater zu einem öffentlichen Treffpunkt, an dem sich die revolutionären Akteure ihres eigenen Handelns und Denkens öffentlich vergewissern konnten. Bezeichnend hierfür sind etwa kollektive patriotische Gesänge, die das eigentliche Theaterstück rahmten, oder auch spontane Zwischenrufe, welche die Theateraufführung mit dem politischen Geschehen auf der Straße in Zusammenhang brachten sowie freiheitliche Vor- oder Zwischenreden von Schauspielern, die lautstarken Jubel ernteten. Bei der weiteren Suche nach einem modernen politischen Wirkungsanspruch des Theaters stieß ich auf eine aktive theatrale und publizistische Auseinandersetzung um die Teilhabe an politischer Öffentlichkeit noch vor 1848. Mit dieser Grundkonstellation im Kopf ließ sich das Projekt nicht mehr mit einem Fokus auf die Ereignisse der 1848er Revolution denken, sondern erfuhr seine konsequente Ausweitung auf einen Untersuchungsbereich zwischen 1800 und 1850, in dem sich strukturelle Umbrüche in der Öffentlichkeit anhand von performativen Konflikt-Ereignissen darstellen lassen. Im Folgenden werde ich nun einige Aspekte dieser strukturellen Entwicklung herausarbeiten, welche als Nährboden einer modernen medialen und politischen Öffentlichkeitsentwicklung fungierten und auch für die Theaterentwicklung relevant waren. M o d e r n e u n d R e v o l u t i o n . Ursächlich für eine Neukonzeption von Theater war nicht die politische Revolution von 1848, sondern es waren die vielen kleinteiligen ‚medialen Revolutionen‘ zwischen 1800 und 1850, die – so meine These – das Theater als modernes politisches Medium präfigurierten. Daher ist es sinnvoll, Theater in eine

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mediale Moderne eingebettet zu betrachten und die theatralen und medialen Erscheinungen von 1848 als eruptiv aufscheinende Sonderformen darin zu verorten. Das Theater der Zeit lässt sich nicht denken ohne Berücksichtigung der Entwicklung einer modernen Medienlandschaft, die weitgehend von den journalistischen Prinzipien der Presse geprägt war. Obgleich diese Entwicklungen schon früher einsetzten, so fungierte die Revolution von 1848 doch als Katalysator – oder auch als ‚Beschleuniger‘ – für die politische Moderne und auch für die Prägung des modernen Theaters. Man kann mit Rüdiger Hachtmann die Revolution als „Epochenschwelle zur Moderne“ verstehen, nämlich als den Übergang zur entwickelten Bürger- und Zivilgesellschaft.29 Trotz der mit Polizei und obrigkeitlicher Willkür agierenden Reaktion habe sich der „gesellschaftliche Erfahrungsschatz“ parlamentarischer und verfassungsrechtlicher Politikinstitutionen nicht mehr auslöschen lassen.30 Und auch Wolfram Siemann sieht unterschwellig weiter wirkende Modernisierungsprozesse in den post-revolutionären Gesellschaften, welche nur im differenzierten Blick sichtbar werden: Es bedarf vieler Perspektiven, um dem gerecht zu werden, was sich 1848 tat. Der Blick muß sich richten auf die widersprüchlichen Formen kollektiven Protests, auf die Spannungen in der Sozial-, der Agrar- und Gewerbeverfassung, auf den Charakter der vormärzlichen Krisenzyklen, auf das Entwicklungsgefälle zwischen einzelnen deutschen Territorien, auf regionale Schwerpunkte der Industrialisierung und Politisierung. Vor diesem Hintergrund relativiert sich zweifelsohne das ‚Scheitern‘ der Revolution: Sie wird als Teil eines nicht umkehrbaren Modernisierungsprozesses verständlich, der bis in die heutige Gegenwart reicht.31

Eine dieser spezifischen Perspektiven ist die auf den Modernisierungsprozess des Theaters, welches trotz der Wiedereinführung von verschärfter Theaterzensur über die Revolution hinausweisend die Form eines modernen öffentlichen Mediums ausbildete. Das vordergründige Scheitern der politischen Revolution konnte trotz einer nach 1851 einsetzenden reaktionären Zensurpolitik die mediale Moderne nicht verhindern und somit auch die weiter fortschreitende Modellierung von Theater als modernes öffentliches Medium letztlich nicht unterbinden. M e d i a l e Z i r k u l a t i o n. Im Zusammenhang mit der 1848er Revolution ist gelegentlich mit spöttischem Unterton vom Dichterparlament als Symbol einer praxisfernen Literatenutopie die Rede. Karl Griewank etwa spricht von Dichtern und Literaten als negative 29 30

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Rüdiger Hachtmann, Epochenschwelle zur Moderne. Einführung in die Revolution von 1848/49, Tübingen 2002, 16. Ebd. Ähnlich äußert sich Dieter Langewiesche in seinem Aufsatz „Wirkungen des ‚Scheiterns‘. Überlegungen zu einer Wirkungsgeschichte der europäischen Revolutionen von 1848“, in ders. (Hg.), Die Revolutionen von 1848 in der europäischen Geschichte, München 2000, 5–21, 9: „Die Erwartungen, die von der Revolution geweckt oder in der Gesellschaft verbreitet worden waren, konnten aus dem kollektiven Gedächtnis der Zeitgenossen und ihrer Nachfahren nicht mehr gelöscht werden.“ Wolfram Siemann, Die deutsche Revolution von 1848/49, Frankfurt a. M. 1985, 16.

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„Schrittmacher“ der Revolution im Sinne einer ‚Romantisierung der Barrikaden‘.32 Im Sinne der oben angesprochenen erfolgreichen Medienmoderne gegenüber dem Scheitern der politischen Revolution kann man den Dichtern und Literaten allerdings auch eine andere Rolle zuweisen. Griewank geht von einem wesentlich überkommenen Modell der Dichter und Literaten als ‚weltfremde‘ Gelehrte aus, die von der dem politischen Leben entfremdeten Kanzel herab predigten und zwingend notwendig scheitern mussten, sobald sie sich in die Realität des politischen Handlungsfeldes begaben. Demgegenüber geht es an dieser Stelle darum, die Dichter, Literaten und Publizisten als Akteure einer Medienöffentlichkeit zu konfigurieren, welche an die politische Gegenwart durchaus anschlossen. Daher kann man mit Jürgen Fohrmann die Transformation dieses ‚Gelehrten‘-Modells in die Figur des publizistischen Intellektuellen feststellen. Die ‚Lebensferne der Studierstube‘ des Gelehrten stehe konträr zum in der Öffentlichkeit stehenden intellektuellen Leben, so Fohrmann: Die Selbstgenügsamkeit der Studierstube bleibt allemal dem pulsierenden Zeitgeschehen fern. Was aber ist ‚Leben‘, was ist denn ‚Zeitgeschehen‘? Antwort: ‚Leben‘ ist nun Öffentlichkeit; Öffentlichkeit wiederum ist Zirkulation. Zirkulation wird durch schnelle Medien hergestellt.33

Das Zeitgeschehen werde nun – Fohrmann beschreibt hier eine nach 1800 einsetzende Entwicklung – in der Öffentlichkeit zirkulär von verschiedenen zwar spezialisiert aber nicht notwendig gelehrten Stimmen diskutiert. Die Form des Diskurses sei flächig und mehrdimensional, keineswegs eine lineare Belehrung und Aufklärung über wahre Sachverhalte – vom oberen Ende der Hierarchie zu deren unteren Schichten. Fohrmann macht die ‚mediale Zirkulation‘ zum zentralen Begriff einer Kommunikationsform, die ein demokratisches Verständnis von Verständigung und kommunikativem Austausch mit sich bringe. Öffentlichkeit stelle sich her durch den Kreislauf der Informationen und Meinungen, wie es 1844 in den Grenzboten zu lesen war: „Die Wanderung der Nachrichten und Raisonnements aus dem öffentlichen Volksleben in die Presse und von da wieder ins Volksleben zurück, bildet bei uns die Pulsader der politischen Journalistik.“34 In diesem Austausch lasse sich eine politische Meinung herauskristallisieren, die politische Veränderung bewirken soll und kann. Doch das Funktionieren dieser medialen Zirkulation benötige einen „professionellen Agenten für ihre Operationen,“35 den Intellektuellen als Experten für Öffentlichkeit und deren Funk-

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33 34 35

Vgl. Karl Griewank, „Ursachen und Folgen des Scheiterns der deutschen Revolution von 1848 (1950)“, in Ernst-Wolfgang Böckenförde (Hg.), Moderne deutsche Verfassungsgeschichte (1815– 1918), Köln 1972, 40–62, 49f. Jürgen Fohrmann, „Die Erfindung des Intellektuellen“, in ders. u. Helmut J. Schneider (Hg.), 1848 und das Versprechen der Moderne, Würzburg 2003, 113–127, 115. Anonymus, „Magyarische Journalistik“, in Grenzboten, 1844, 265, zitiert nach Jürgen Fohrmann. „Die Erfindung des Intellektuellen“, 120. Jürgen Fohrmann, „Die Erfindung des Intellektuellen“, 116.

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tionsweisen an sich. Gekennzeichnet sei diese Expertise durch mediale Kompetenz, Öffentlichkeitsanspruch und Geschwindigkeit.36 Damit werden die Effekte der medialen Zirkulation zu den Geburtshelfern eines modernen Journalismus und einer politischen Meinungspresse. Fohrmann verweist auf die Relevanz dieser Grundkonstellation für die Entwicklung spezifischer publizistischer Formate: ‚Zirkulation‘ erscheint jetzt nicht mehr als Nebeneffekt oder gar als Schrecken, sondern als die Bedingung der Möglichkeit von Tätigkeit, von Schreiben: Zirkulation ist das Transitorische, ist der Augenblick des Lebens der formrelevant wird. Die ‚junge Bewegung‘ setzt damit nicht einfach die überkommenen Schreibweisen fort, sondern versucht sich programmatisch auf Verfahren und Genres kurzer Dauer einzustellen. Auf diese Weise wird der moderne Journalismus geboren mit seinen ‚kleinen Formen‘ (Zeitbild, Essay, Porträt, ‚Silhouette‘, Kritik, Korrespondenzbericht, Reiseimpressionen u. ä.). Bei diesen Textsorten geht es um eine Mischung aus wissenschaftlicher Lizenz und schneller Operation, die gern das Argument personal markiert, um in der Wucht persönlicher Polemik auch die Geltung der Behauptung durchzusetzen. Dem dient insbesondere der ‚Witz‘, jenes Genre, zu dem das eingeschränkte Gelehrtendasein in keiner Weise fähig zu sein scheint.37

In diesem Sinne lässt sich etwa auch die Transformation der Kunst- und Theaterkritik vom ausführlich räsonierenden Essay zur kurzen Textform einer aktuellen pointiert artikulierten Meinung über Stück und Aufführung in die Logik der Zirkulation einfügen. Das mediale Prinzip der Zirkulation, die Polemik und auch die Versatilität der Publizisten waren einem konservativen Medienverständnis grundsätzlich suspekt. Dort ging es um die Verankerung einer Sache oder einer Person im festen Grund einer Werteordnung, es ging um „Charakter“ und „Haltung“.38 Diese Begriffe wurden zur Kampfparole gegen die journalistische Publizistik – ‚Gesinnungslosigkeit‘ hieß das vernichtende Urteil über den nach allen Seiten hin kritischen Intellektuellen. Darüber hinaus war die mediale Zirkulation neuen Rezipientenschichten zugänglich und unterlief damit das hierarchische Aufklärungsprinzip, das eine Bildung und Orientierung von oben, von den Gelehrten, hinunter zu den bildungsferneren Schichten vorsah. Dass es daher aus konservativer Sicht notwendig erschien, ‚Intellektualität‘ und somit auch die Merkmale einer zirkulären Medienstruktur zurückzudrängen, ist offensichtlich. Als Gegenmodell zu dieser ‚Verflachung‘ der publizistischen Öffentlichkeit wurde eine „ächte Publizität“39 im Sinne einer Gelehrtenöffentlichkeit und einer eingegrenzten Publikumssphäre beschworen. 36 37 38 39

Vgl. Jürgen Fohrmann, „Die Erfindung des Intellektuellen“, 119. Jürgen Fohrmann, „Die Erfindung des Intellektuellen“, 117f. Vgl. Jürgen Fohrmann, „Die Erfindung des Intellektuellen“, 123. Vgl. Fürst zu Wittgensteins Ausführungen zur Pressefreiheit, OESTA, Allgemeines Verwaltungsarchiv, Polizeihofstelle, 5010/1819, o. Bl., Brandakten, Ansichten des Fürst von Wittgenstein zu Zensur und Preßfreiheit, 29.5.1819, Kopie. Eine ausführliche Diskussion dieser ‚Ansichten‘ vgl. Kap. 2.2, 60–67.

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Gleichzeitig konstatiert Fohrmann die Stilisierung von Kunst zu einem der Zirkulation entzogenen Reich des Schönen: Das ‚verbleibende Privateigentum‘ ist die Kunst, die als der Platz der Nicht-Zirkulation betrachtet und damit zum Ort der Persönlichkeit werden kann. Intellektualität und Kunst sind auf diese Weise unterschieden, ja zum Gegensätzlichen stilisiert, und Personalität entsteht nur dort, wo die Gesetze der Zirkulation keinen Zugriff haben.40

Es lässt sich vermuten, dass das Theater genau in der Zwischenposition von wahrer und unwandelbar schöner Kunst und einer intellektuellen und politischen Zirkulation operierte. Es erprobte die neuen Möglichkeiten einer journalistischen Öffentlichkeit durchaus – immer mit dem Rückzugsgebiet des unanfechtbaren Kunststatus auf der ‚Habenseite‘. Damit wurde es zur idealen Plattform, um eine spezifisch performative Vermittlung beider Positionen als eigene mediale Qualität auszustellen. Theater war per se nicht einem der beiden Lager zuzurechnen – weder der Presse, welche leicht in den Ruch liberalistischer Tendenz geriet, noch der Kunst. Theater war daher von liberalen Kräften als ideales Medium der publizistischen Verwirklichung geschätzt, andererseits aber fest im konservativen Kunstkanon verankert. Das Theater wurde so zu einem Ort der Vermittlung aber auch der Aushandlung konträrer Medien-, Öffentlichkeits- und der damit verknüpften Kunstkonzeptionen. T h e a t e r a l s ö f f e n t l i c h e s M e d i u m . Wenn man Theater solchermaßen als Akteur und Forum einer medialen Öffentlichkeit verstehen will, so muss sich die medienhistoriographische Perspektive auf das Theater im frühen 19. Jahrhundert als produktiv erweisen. Es geht hier jedoch weniger um die Frage, ob Theater als historisches Medium zu betrachten sei, das im Sinne einer ‚Medienspezifik‘ gegen andere technische Medien wie etwa Zeitung abgegrenzt werden muss, sondern vielmehr soll eine Sphäre von historischer Öffentlichkeit bestimmt werden, in der das Theater im Verbund mit anderen Medien ein Feld eröffnete, in dem sich bürgerliche Akteure im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts als ‚öffentliche Stimmen‘ positionierten. Die solchermaßen betriebene Forcierung der öffentlichen Funktion von Theater und Medien ließ, so meine These, die Formate und Praxen eben dieser nicht unberührt. So möchte ich weiter argumentieren, dass die näher zu bestimmende Experimentalphase des Öffentlichen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Aspekte modernen politischen Theaters hervorbrachte, die weniger auf der literarischen Textebene als in der konkreten Theaterpraxis zu beobachten sind. Das, was auf Theater bezogen als ästhetische Krise und Stagnation in der Dramenproduktion im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts bekannt ist, lässt sich in einer erweiterten Perspektive, welche über Dramenanalyse und Repertoirekunde kulturwissenschaftlich hinausgeht, als produktive Krise einer medialen Öffentlichkeit erkennen, welche die gesellschaftliche Funktion und Relevanz von öffentlicher Rede neu bestimmt. Erst auf der Basis eines neuen medialen Dispositivs war ein neues Drama denkbar. Auch das 40

Jürgen Fohrmann, „Die Erfindung des Intellektuellen“, 125.

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Theater als Ereignis und Medium der Öffentlichkeit erfuhr durch diese Krise eine Neubestimmung. Wenn man hier eine ‚medienhistoriographische‘ Perspektive ansetzt, so kommen in der genaueren Betrachtung von Konflikten zwischen Theater, Zeitungsmedien und zensierenden Staatsautoritäten die Auswirkungen dieser Krise der medialen Öffentlichkeit zu Tage, welche den gravierenden gesellschaftlichen und politischen Umbrüchen in der Zeit geschuldet waren und somit fast symptomatisch zu nennen sind. Die Krise der medialen Öffentlichkeit zu Beginn des 19. Jahrhunderts lässt sich grundsätzlich von zwei Zugängen aus beschreiben. Zum einen handelte es sich um eine gesellschaftliche Krise, die durch die Implementierung neuer Medien ausgelöst wurde, zum anderen um die tief greifende soziopolitische Neubestimmung des Verhältnisses der Menschen zu Staat und Gesellschaft: die Abstraktion des Menschen von seinen traditionellen Bindungen und die Behauptung einer universalen Gültigkeit der Menschenrechte. Beide Zugänge sind ineinander verwoben: Neue Medien kamen erst zur Geltung als die Abstraktion des Menschen herkömmliche Wertesysteme aufhob und ein Desiderat an Orientierung auslöste. Die Idee der Abstraktion des Menschen wurde diskursiv durch mediale Verbreitung befeuert und somit dadurch zuallererst durchgesetzt. Damit lässt sich diese chiasmatisch verbundene Doppel-Krise auch unter dem Rubrum eines Moderne-Diskurses bestimmen. D i e K r i s e d e r n e u e n M e d i e n . Dirk Baecker charakterisiert aus soziologischer Sicht die gesellschaftliche Krise als paradoxes Zusammenspiel des Zusammenbruchs bestimmter gesellschaftlicher Erscheinungen („breakdown“) vor dem Hintergrund stabiler gesellschaftlicher Strukturen und der (Neu-)Formierung von Gesellschaft („design“) als Antwort auf diesen: [A] crisis is bound to happen in a society that in all other respects works fine. If not, society would be destroyed. This paradox translates into a coding of events of crisis, which distinguishes the positive side of breakdown from the negative side of design. ‚Positive‘ means here that there are some events of crisis positively indicated, ‚negative‘ that there is reflection about these events, which puts them into a broader picture of the structure and culture of society designed to reproduce itself.41

In diesem Sinne verbindet Baecker die Implementierungsphasen von neuen Medien, die Einführung und Durchsetzung von neuen Kommunikationsformen mit einer gesellschaftlichen Krise: „[A] distributive medium of communication is not just making it easier to communicate but also producing the problem of how to structurally and semantically handle new ways of communication.“ 42 Der Umgang mit dem neuen Medium/den neuen Medien wird als Kontrollverlust erlebt, die neuen Medienpraxen als ‚Sa41

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Dirk Baecker, „The Culture Form of Crisis“. Vortrag bei „After the Catastrophe? International Conference on Economy, Law and Politics in Times of Crisis“, Johann Wolfgang von GoetheUniversität, Frankfurt a. M., 25.–28. März 2010, 1. Veröffentlicht auf der Homepage von Dirk Baecker: www.dirkbaecker.com, letzter Zugang 21. September 2012. Dirk Baecker, „The Culture Form of Crisis“, 4.

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che der Jugend‘ verstanden und somit mit deutlichen Vorbehalten belegt. Was wir heute in der Diskussion um das Internet und Web 2.0 erleben, lässt sich so einordnen als gesellschaftliche Krisenerfahrung im Angesicht der medialen Implementierungs- und Durchsetzungsphase. Diese Krise der Implementierung neuer Medien lässt sich auch historisch zurückbeziehen auf die Umbruchphase um 1800; hier ist es die massive Entwicklung des Journalismus und der Presse, welche besorgniserregende Formate ‚neuer Medien‘ hervorbringt. Reinhart Koselleck gebraucht den Krisen-Begriff in seiner viel beachteten Studie Kritik und Krise (1959)43 für eine Perspektive auf die Entstehung der aufklärerischen Kritik im 18. Jahrhundert, um die Ursachen der politischen Krise der Moderne zu erhellen. Er legt dar, wie im 18. Jahrhundert der Absolutismus durch moralische Freisetzung der bürgerlichen Individuen die Kritik der Aufklärung hervorgebracht hatte. Ungeachtet des wachsenden kritischen Bewusstseins verweigerte der Absolutismus, so Koselleck, den Bürgern jedoch die politische Teilhabe. Während sich nun zum einen die Stagnation des Absolutismus zur politischen Krise der Französischen Revolution auswuchs, so tendierte zum anderen die bürgerliche Kritik zu einer Negation politischer Faktizität und wandte sich zu utopischen Gesellschaftsentwürfen. Koselleck konstatiert hier den Beginn einer grundsätzlichen Krise des Politischen, die auch die Gegenwart noch beträfe: Im Kreuzfeuer der Kritik wurde nicht nur die damals aktuelle Politik zermürbt, sondern im gleichen Prozeß löste sich auch die Politik selbst als ständige Aufgabe des menschlichen Daseins in utopische Zukunftskonstruktionen auf. Die politische Struktur des absolutistischen Staates und die Entfaltung des Utopismus sind ein komplexer Vorgang, mit dem die politische Krise der Gegenwart anhebt.44

Die Medienentwicklung nach der Jahrhundertwende lässt jedoch meiner Meinung nach demgegenüber einen nach-aufklärerischen Versuch einer Rückgewinnung politischer Faktizität erkennen: Die bürgerlichen Kräfte strebten nach öffentlicher Teilhabe als politischer Gestaltungsmöglichkeit. Die Zeit nach der französischen Revolution hielt hier eine spezifische mediale Initiationsphase bereit – wie sie von Baecker als Krise und Potential eines gesellschaftlichen Re-Designs beschrieben wird –, nämlich die Einführung und Akzentuierung des modernen Journalismus und den Beginn einer modernen politischen Presse im kontinentalen Europa. Der Diskurs der Zeit liefert ein großes Spektrum an kritischen und auch warnenden Stimmen zu dieser als neuartig empfundenen Publikationspraxis, die sich deutlich von einer literarischen Pressekultur in dem Sinne absetzte, dass die polarisierende und orientierende Meinung der Berichterstattung beihaftete. Die massenhafte Verbreitung und Wirkung der Presse – der unkontrollierte Zugang zu Tagesaktualität und die selbst bestimmte Medienpraxis – wurde als Bedrohung für die gesellschaftliche Stabilität be43 44

Reinhart Koselleck, Kritik und Krise. Eine Studie zur Pathogenese der bürgerlichen Welt, Frankfurt a. M. 21976 (1959). Reinhart Koselleck, Kritik und Krise, 9.

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trachtet und deren Eindämmung als vorrangiges Ziel für den Erhalt von Ruhe und Ordnung gesehen. Da mag es nicht verwundern, dass uns aus heutiger Sicht etwa die Äußerungen von Joseph Görres aus dem Jahr 1814 gerechtfertigt erscheinen, während den zeitgenössischen Autoritäten sein Anspruch auf öffentliches Wirken suspekt war45: Wenn ein Volk theil nimmt am gemeinen Wohle; wenn es sich darüber zu verständigen sucht, was sich begiebt; wenn es durch Thaten und Aufopferungen sich werth gemacht, in den öffentlichen Angelegenheiten Stimme und Einfluß zu gewinnen; dann verlangt es nach solchen Blättern, die was in allen Gemüthern treibt und drängt zur öffentlichen Erörterung bringen […] Dahin ist es mit den Teutschen jetzt gekommen, das sollen die Zeitungen verstehen, sie sollen sich würdig machen, daß das Volk als seine Stimmführer sie achte und erkenne, und sie werden ein ehrenvoll und gesegnet Amt verwalten. Auch die Regierungen sollen das erkennen, keine falsche Angst soll sie antreiben, daß sie in diese heilsame Geistesbewegung im Innern ihrer Völker störend eingreifen; keine ängstliche furchtsame Censur soll den allgemeinen Umlauf der Ideen hindern.46

Diese Vorstellung einer modernen politischen Presse und ihrer freien Entfaltungsmöglichkeit ist mit der Erfahrung einer staatlichen Förderung und Lenkung der Meinungspresse während der kurzen Phase der Befreiungskriege (1813–1815) verbunden. In dieser Zeit hatte Preußen erstmals die Zeitungen und Zeitschriften ausdrücklich zur moralischen Hebung des Volkes genutzt und die Verbreitung von antinapoleonischen und nationalistischen Presseerzeugnissen durch Zensurlockerungen gefördert.47 45 46

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Schon zwei Jahre nach diesen Äußerungen wurde seine Zeitung, der Rheinische Merkur von Preußen verboten. Joseph Görres, „Die teutschen Zeitungen“, in Rheinischer Merkur, 1. Juli 1814; zitiert nach Kurt Koszyk, Deutsche Presse im 19. Jahrhundert, Teil II, Berlin 1966, 22. Obgleich auf Veranlassung der preußischen Behörden gegründet, war der Rheinische Merkur kein offiziöses Blatt. Durch Görres’ sorgfältige Redaktionstätigkeit entwickelte sich die Zeitung zu einem der wichtigsten Nachrichten- und Meinungsorgane der Zeit. Streitbar für die nationale Einheit Deutschlands konnte Görres eine damals relative hohe Auflage von 3.000 Exemplaren erreichen. Vgl. Kurt Koszyk, Deutsche Presse im 19. Jahrhundert, 22–34. Vgl. hierzu Edda Ziegler, Literarische Zensur in Deutschland 1819–1848, München u. Wien 1983, 108. Ziegler sieht hier das Vorgehen der preußischen Behörden im Zusammenhang mit der von Napoleon ausgeübten Praxis einer aktiven lenkenden Pressepolitik mit dem Ziel der Zentralisierung und Monopolisierung in Umgehung von prohibitiven Maßnahmen, die schon 1789 in Frankreich aufgehoben worden waren. Vgl. Edda Ziegler, Literarische Zensur in Deutschland, 107: „Dieses Vorgehen [Napoleons] machte auch den deutschen Territorialmächten die Bedeutung der Presse als politisches Machtinstrument endgültig bewußt und lehrte sie, öffentliche Meinung als ‚Faktor politischer Strategie‘ zu gebrauchen.“ Vgl. hierzu auch detailliert Karen Hagemann, „Federkriege. Patriotisch-nationale Meinungsmobilisierung in Preußen in der Zeit der Antinapoleonischen Kriege, 1806–1815“, in Bernd Sösemann (Hg.), Kommunikation und Medien in Preußen vom 16. bis zum 19. Jahrhundert, Stuttgart 2002, 281–302, 301: „Im Rückblick auf die deutsche Mediengeschichte der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erscheint die Zeit der Freiheitskriege als eine Ausnahmezeit, die den Zeitgenossen anschaulich die Macht einer Medienöffentlichkeit vor Augen führte und sie erstmals selbst erfahren ließ, was Pressefreiheit bedeuten konnte.“ Zur bayerischen Pressepolitik der Zeit vgl. Wolfgang Piereth, Bayerns Pressepolitik und die Neuordnung Deutschlands nach den Befreiungskriegen, München 1999.

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Die politische Krise, von Koselleck mit der Aufklärung in Verbindung gebracht, zeigt sich hier als mediale Krise. Das Streben nach politischer Teilhabe war eng verknüpft mit der Partizipation an einer Öffentlichkeit in der Form neuer Medien. Damit wurde die Frage nach der Pressefreiheit zu einer Kernfrage des Politischen, während gleichzeitig die Nutzung dieser ‚neuen Medien‘, deren Implementierung als krisenhaft empfunden wurde, von den konservativen Kräften unter politischen und gesellschaftlichen Generalverdacht geriet. Parallel dazu kam mit der französischen Revolution ein Menschen- und Gesellschaftsbild zur Geltung, welches gesellschaftliche Stellung und politisches Handeln völlig neu aufeinander bezog. D i e A b s t r a k t i o n d e s M e n s c h e n . Das seit dem 18. Jahrhundert in Europa verbreitete Denken der Aufklärung basierte auf der Idee einer Herauslösung des Menschen aus seiner „selbstverschuldeten Unmündigkeit,“48 einer Emanzipation also von hierarchisch und religiös wirksam eingeengten Denkstrukturen. Politische Faktizität erhielt diese Emanzipation durch die Erklärung der Menschenrechte am 26. August 1789, die zu den weltgeschichtlich weitreichendsten Errungenschaften der französischen Revolution gehört. Die Idee, dass das Recht auf Freiheit für alle Menschen gleich sei und somit eine universale Geltung habe, unabhängig von den geschichtlichen Voraussetzungen der Herkunft, setzt die emanzipatorische Herauslösung der Menschen aus ihren kulturellen, geistigen und religiösen Zusammenhängen voraus. Das gefährliche Umschlagen dieser Herauslösung in eine absolut bindungslose Rationalität – was ja in der Französischen Revolution zur ‚Terrorherrschaft der Vernunft‘ geführt hatte –, war ein zentrales Problem der Philosophie der Zeit und beschäftigt uns als politisches und gesellschaftliches Problem bis auf den heutigen Tag. Georg Wilhelm Hegel hat dies in seiner dialektischen Konzeption der „Entzweiung des Menschen“ aufgenommen und formuliert. Die Begründung der subjektiven Freiheit durch die Universalität der Menschenrechte berge, so Hegel, das Moment der Entzweiung in sich – nämlich den Widerspruch von geschichtsloser Abstraktion (Universalität der Menschenrechte) und geschichtlicher Substanz (Bindung an Herkunft und Sitte). Die Gesellschaft müsse notwendig geschichtslos abstrakt sein, um dem Recht Gültigkeit zu verschaffen. Der subjektive Mensch müsse hier als ‚allgemeine Person‘ betrachtet werden: Es gehört der Bildung, dem Denken als Bewußtsein des Einzelnen in Form der Allgemeinheit, daß Ich als allgemeine Person aufgefaßt werde, worin Alle identisch sind. Der Mensch gilt so, weil er Mensch ist, nicht weil er Jude, Katholik, Protestant, Deutscher, Italiener u.s.f. ist. 49

Die geschichtliche Herkunft des Menschen sei für die Bedürfnisstruktur der bürgerlichen Gesellschaft bedeutungslos, darauf beruhe die Abstraktheit und Geschichtslosig48 49

Vgl. Immanuel Kant, „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?“, in Berlinische Monatsschrift, Dezember-Heft 1784, 481–494. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, Hamburg 1995, §209, 180.

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keit des in ihr liegenden menschlichen Seins. Die Privatinteressen der bürgerlichen Gesellschaft gewönnen damit an Geltung und unterhöhlten die gesellschaftliche Sittlichkeit. Gleichzeitig suche der Mensch jedoch das ‚Schöne,‘ ‚Wahre‘ und ‚Heilige‘ gegen den aufgeklärten Verstand zu retten.50 Dies führe unweigerlich zu einem modernen existenziellen Zustand der Entzweiung51 in der bürgerlichen Gesellschaft, zu einer ‚negativen Freiheit,‘ die Hegel dann positiv als Form einer Dialektik der Geschichte umwandte.52 Diese wesentliche Entzweiung der negativen Freiheit der Revolution bleibt in Hegels Konzeption als solche wirksam und ist zugleich positiv der Grund dafür, daß die für die Gesellschaft selber notwendig konstitutive geschichtslose Abstraktheit nicht zum Austrag ihres Widerspruchs gegen die Geschichte und so nicht zur Vernichtung der Freiheit des Selbstseins und der für sie wesentlichen geschichtlichen Substanzen führen muß.53

Die Entzweiung bleibt hier in der bürgerlichen Gesellschaft als Spannungsverhältnis bestehen und führt nicht gewaltsam zur Überführung des einen Zustandes in den anderen. Hegel reflektierte im Zusammenhang mit der Abstraktion gesellschaftlicher Bindungen die Folgen einer verstärkten Kapitalisierung und mahnte vor dem Risiko einer Entwicklung zu einer Gesellschaft als „Kampfplatz des individuellen Privatinteresses aller gegen alle.“54 Hegels Lösungsversuch dieses Dilemmas der gesellschaftlichen Entzweiung lag im Entwurf eines ständestaatlichen Gesellschaftsmodells, das zwischen individueller Abstraktion und staatlicher Sittlichkeit vermitteln sollte.55 D i e E x p e r i m e n t a l p h a s e d e s Ö f f e n t l i c h e n . Beide Zugänge zur Krise der medialen Öffentlichkeit sind in Jürgen Habermas‘ wirkmächtiger Schrift Strukturwandel der Öffentlichkeit (1962) eingegangen. Anders jedoch als Habermas, der dies als Emanzi50

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Vgl. zu dieser dialektischen Einheit von Subjektivität und Objektivität auch Joachim Ritter, Hegel und die französische Revolution, Köln u. Opladen 1957, 39f; vgl. auch zur Dialektik Hegels HegelLexikon, hg. von Paul Cobben, Paul Cruysberghs, Peter Jonkers und Lu de Voss, Darmstadt 2006, Eintrag „Dialektik“, 181–184. In seiner Differenzschrift entwickelte Hegel den Begriff der Entzweiung im Zusammenhang mit dem „Bedürfnis der Philosophie“, also der notwendigen Funktion der Philosophie, die Entzweiung als dialektisches Verhältnis aus ihrer Fixierung auf das entgegen Gesetzte zu lösen und funktional umzudeuten. Vgl. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Differenz des Fichteschen und des Schellingschen Systems der Philosophie (1801) (=Werke, Bd. 2), hg. von Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel. Frankfurt a. M. 1979, insbes. 20–25 („Bedürfnis der Philosophie“). Vgl. Joachim Ritter, Hegel und die französische Revolution, 33: „Es gibt keine Möglichkeit, dadurch aus der Entzweiung herauszukommen, daß man sich entweder auf die eine oder die andere Seite schlägt, um das ihr jeweils Entgegengesetzte als Nichtseiendes zum Verschwinden zu bringen. Subjektivität und Objektivität sind vielmehr geschichtlich aufeinander verwiesen; sie sind zusammen das substanziell ganze geschichtliche Dasein.“ Hervorhebung im Original. Joachim Ritter, Hegel und die französische Revolution, 44. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, 253. Siehe ausführlich hierzu Kap. 2.3, 87–90 dieser Studie.

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pationsbestrebungen einer bürgerlichen Öffentlichkeit beschreibt und eine politische bürgerliche Öffentlichkeit als Ziel dieses krisenhaften Strukturwandels versteht, geht es hier nicht darum, auf diese Weise ein ‚Modell‘ von Öffentlichkeit zu gewinnen, das zum Abgleich an der weiteren Medien- und Demokratieentwicklung dienen muss. Vielmehr zielt meine Studie darauf ab, die Krise als permanentes und performatives Differenzierungsgeschehen zu beschreiben. Medienentwicklung und Abstrahierung des Menschen spielten ineinander und hielten das krisenhafte Geschehen im Bereich der Öffentlichkeit offen. Daher der Begriff der ‚Experimentalphase des Öffentlichen‘: zur Diskussion steht hier eine sich fortschreibende Auseinandersetzung um das, was öffentlich sein und wer es zu welchem Zweck äußern durfte in Adressierung welchen Publikums. Literaten, Publizisten, Philosophen und auf der Gegenseite Regierungsmitglieder und Staatsbeamte beschäftigten sich mit der Frage, wie kann ich zu einem öffentlichen Akteur werden, wo liegt die Grenze meiner Handlungs- und Einflussmöglichkeiten in der Öffentlichkeit, wer darf als Publikum an der Sphäre des Öffentlichen teilhaben und welche Wirkungen sollen und dürfen meine öffentlichen Äußerungen haben? Die Aushandlungen dieser Fragestellungen führten zu beständig konkurrierendem Medienverhalten, das in einer ausführlichen Analyse von medialen Konfliktzonen sichtbar wird. Vor dem Hintergrund der scharfen Zensurkontrollen der Epoche sind diese ‚medialen Konfliktzonen‘ mit spezifischen Kennzeichen versehen. So war die publizistische und literarische Auseinandersetzung deutlich polemisch56. Wertende, zuspitzende Schriften wurden mit ebensolchem Hang zur Überzeichnung öffentlich beantwortet. Ein scharfer, polarisierender Tonfall löste den reflektierenden Gestus des Literatur-Aufsatzes ab, eine Politisierung der Publizistik schlug sich Bahn.57 Dabei kam es in der öffentlichen Auseinandersetzung zur medialen Ausweitung: Das Gefecht wurde medienübergreifend in Flugschriften, Broschüren, Büchern, Theateraufführungen und in der öffentlichen Rede im Rahmen der Kaffeehaus-Kultur geführt. Man kann hier von einem dezidiert intermedialen Zugang auf die Öffentlichkeit sprechen, der durch die Nutzung verschiedener Medienformate den zensurierenden Eingriff deutlich erschwerte.58 Das Theater hatte dabei durch seinen Gemeinschaftscharak56

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Zur Polemik der literarischen Auseinandersetzung vgl. Ingrid Oesterle u. Günter Oesterle, „Der literarische Bürgerkrieg. Gutzkow, Heine, Börne wider Menzel. Polemik nach der Kunstperiode und in der Restaurationszeit“, in Mattenklott, Gert u. Klaus R. Scherpe (Hg.), Demokratischrevolutionäre Literatur in Deutschland: Vormärz, Kronberg 1975, 151–186. Vgl. hierzu Edda Ziegler, Literarische Zensur in Deutschland, 157: „Mit der Polemik tritt – so Heine – die ‚Revolution in die Literatur‘. Bei den Jungdeutschen, den eifrigsten Verfechtern des Heineschen Kunstprinzips, erlebt das neue Verfahren dann die ‚Hochkonjunktur‘, die schon Börne hatte herbeiführen wollen.“ Edda Ziegler verweist hier auf Heinrich Heines Publikationspraxis, das Hauptwerk getrennt von einem deutlich politischeren Vorwort erscheinen zu lassen oder durch einen Zeitungsartikel nachträglich zu kommentieren und die eigentliche politische Dimension sichtbar zu machen. Vgl. Edda Ziegler, Literarische Zensur in Deutschland, 154f: „Die Vorreden sind das Forum, auf dem Heine die Auseinandersetzung um seine ‚Schriftstellernöte‘ zu führen beabsichtigt. Als flankierende

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ter und das Potential der spontanen Einflussnahme auf größere Menschenmengen sowie die Möglichkeit der Vermittlung an nicht literarisierte Bevölkerungsschichten großes Gewicht. Das wichtigste Medium der Zeit war sicher die Presse, doch fehlte ihr eben dieser direkte Zugriff auf das Publikum. Eine intermediale Praxis versuchte daher, diese theatralen Qualitäten für die Publizistik zu gewinnen. Kennzeichnend hierfür ist etwa die Verbindung von Zeitungslektüre und Kaffeehaus-Gespräch, oder auch die Verbreitung von dramatisierten Flugschriften insbesondere während der Revolutionsphase von 1848/49.59 Umgekehrt nutzte das Theater die publizistischen Potentiale von Zeitungen und Zeitschriften, um die eigenen Zugänge zur Öffentlichkeit zu optimieren. Eine wichtige Rolle spielte hier die Theaterkritik seit den 1820er Jahren, aber es lässt sich auch eine regelrecht ‚moderne‘ Öffentlichkeitspolitik der Theater qua gezielter Zeitungsinformation in den 1840ern erkennen. Und nicht zuletzt waren die wichtigsten Literaten des Vormärz in ihrer konkreten Tätigkeit ‚intermediale Akteure‘. In dieser Hinsicht sind für die Theaterwissenschaft am wesentlichsten die Biographien von Heinrich Laube, Karl Gutzkow – beide von 1835 bis 1841 vom Publikationsverbot der so genannten „Jungdeutschen“ betroffen – und Robert Prutz. Laube und Gutzkow waren beide zunächst als Publizisten und Romanautoren tätig, um sich dann als Dramatiker dem Theater zuzuwenden und schließlich auch die praktische Theaterarbeit zu suchen – Gutzkow als Dramaturg am Dresdener Hoftheater (1846 bis 1849) und Laube als Intendant des Burgtheaters in Wien (1849 bis 1867). Prutz war neben seinen wissenschaftlichen Studien zur Literatur- und Theatergeschichte immer schon publizistisch tätig und suchte, nachdem ihm die akademische Laufbahn durch die preußischen Obrigkeiten verstellt worden war, im Theater als Dramatiker ein neues öffentliches Betätigungsfeld. Im April 1847 berief man ihn als Dramaturg an das Hamburger Stadttheater, eine Stellung, die er jedoch, zahlreichen Strukturzwängen ausgesetzt, nach sechs Wochen bereits aufgab. K o n f l i k t p h a s e n . Für eine historische Medienanalyse im Zeitraum zwischen 1800 und 1850 erscheint es sinnvoll, drei spezifische Zeiträume der Medienpraxis zu fokussieren. Nach den staatlichen Regulierungsversuchen Ende der 1810er Jahre sind es insbesondere die 1820er, die als Phase der Aushandlung von Positionen in der öffentlichen Sphäre gelten können. In dieser Zeit waren die ersten Erfahrungen mit einer politischen Meinungspresse noch wirksam, wie sie während der Befreiungskriege von den deutschen Verbündeten zur Stärkung des Nationalgefühls und der Kampfesmoral gegen Napoleon gefördert wurde. Dadurch entstand ein Bewusstsein für die Möglichkeiten einer gezielten Öffentlichkeitspolitik. Obgleich bereits nach dem Wiener Kongress der

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Maßnahmen treten offene Briefe und öffentliche Erklärungen hinzu, die für die großen deutschen Blätter, vor allem Cottas ‚Allgemeine Zeitung‘ bestimmt sind. Mit Hilfe dieser Zusatztexte unterstützt, pointiert und verschärft Heine die angesprochenen Konflikte, indem er die Absichten, die er mit den Vorreden verfolgt und ihre Zensurschicksale anspricht.“ Vgl. hierzu etwa die dramatisierte politische Flugschrift zum Ablösungsgesetz Gespräch unter Landleuten, Augsburg 1848, auf welche ich im Kap. 5.1, 238f., genauer eingehe.

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Versuch unternommen wurde, gerade diese Form von Presse wieder stark einzugrenzen, ließen sich die Medien nicht einfach auf den vorherigen Status quo zurückstellen. Man kann diese erste mediale Experimentalphase der 1820er Jahre im Zeichen der Implementierung der journalistischen Presse als Leitmedium mit den Fragen charakterisieren: Wer hat berechtigten Anteil an der Gestaltung von Öffentlichkeit? Welche Rolle kann das Theater in der Öffentlichkeit spielen? Für das Theater bedeutete diese Phase, dass es zum einen eine verstärkte Entwicklung bürgerlicher Theaterstrukturen jenseits der höfischen Theater zu beobachten gibt, zum anderen stellte sich ein intensives Austauschverhältnis zwischen Theater und Zeitungsöffentlichkeit her. Theaterkritik bekam eine neue Funktion als direkt auf die Aufführung bezogenes mediales Format, indem sie neuartige Aktualität erhielt und dadurch als Meinungsmacher zum Erfolgsfaktor für die Theaterunternehmung wurde. Dies war insbesondere für private bürgerliche Theaterunternehmungen (wie etwa das Königstädtische Theater, Berlin, in der Gesellschaftsform der bürgerlichen Aktiengesellschaft von 1824–1829) von großer Bedeutung. Die Analyse der Auseinandersetzung zwischen dem Journalisten Moritz G. Saphir und dem Königstädtischen Theater sowie dem Königlichen Theater in Berlin (1826–1829) wird zeigen, dass es hier tatsächlich um ein Konkurrenzverhältnis der Zeitungen und der Theater in der öffentlichen Sphäre ging. Und auch die Aufarbeitung des Zensurfalles um Gotthilf August von Maltitz und die Aufführung seines Stückes Der alte Student am Königstädtischen Theater (1828) zeigt eine Konkurrenz um die Position als öffentlicher Akteur, in diesem Falle zwischen einem Publizisten und Dramatiker und dem preußischen Staat, der seine Arkantradition zu verteidigen hatte und jeglichen publizistischen Anspruch des Autors einschränken musste. In die gleiche oben bestimmte mediale Phase fällt die spezifische Öffentlichkeits-Situation in der bayerischen Residenz der 1810er und 1820er Jahre. Es lässt hier eine staatliche Kulturpolitik nachverfolgen, die sich explizit mit der Rolle des Theaters in Bezug auf Öffentlichkeit befasste und produktive Ansätze für eine Etablierung bürgerlichen Theaters als öffentliche Kulturinstitution entwickelte. Man kann dies sowohl am 13jährigen Experiment mit dem Isarthor-Theater als auch an der zunehmenden Verbürgerlichung des Münchner Hoftheaters nachvollziehen. Einen zweiten Schwerpunkt möchte ich auf die 1840er Jahren legen, die durch eine Phase der deutlichen Politisierung von Öffentlichkeit bestimmt ist. Nach der französischen Julirevolution von 1830 kam es auf dem ganzen europäischen Kontinent zu mehr oder minder revolutionären Nachwehen 60 – die sich absolutistisch gerierenden Staatsautoritäten gerieten unter Druck. Die studentische Burschenschaftsbewegung machten sich immer stärker öffentlich bemerkbar, nicht zuletzt mit der Abhaltung des 60

So kommt es in direkter Folge der Julirevolution auch in folgenden Mitgliedsstaaten des deutschen Bundes zu Aufständen: Braunschweig, Hessen, Sachsen und Hannover. Vgl. „Bericht über revolutionäre Umtriebe“ (2. April 1836), Bundes-Central-Untersuchungs-Commission. Das vollständige Digitalisat des Berichts ist einsehbar unter www.digam.net (Digitales Archiv Marburg), letzter Zugang 21. September 2012.

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Hambacher Festes (27.– 30.5.1832). Eine verschärfte Kontrolle von studentischen Aktivitäten und publizistischer Öffentlichkeit war die Folge.61 Das Verbot der Jungdeutschen (1835)62 und der Bericht über revolutionäre Umtriebe (1836)63 der Frankfurter Bundes-Central-Untersuchungs-Commission64 mit weiteren Vorschlägen zu umfassenden Kontrollmaßnahmen geben einen Einblick in die repressive Politik der Bundesstaaten. Erst in den 1840er Jahren lässt sich eine Lockerung der Kontrollmaßnahmen ausmachen.65 In Preußen war 1843 die Einführung einer unabhängigen juristischen Instanz – das Oberzensurgericht – ein wichtiger Schritt zur Transparenz der Zensurpraxis und ermöglichte eine gerichtlich einklagbare Revision von Zensurentscheidungen, die tatsächlich in Einzelfällen erfolgreich eingefordert wurde. Diese politischen Signale verstärkten insbesondere im letzten Jahrfünft vor der Revolution von 1848 das Streben nach politischer Positionierung und auch nach Wirkung in der Öffentlichkeit und stärkten die medialen Akteure. Diese Phase lässt sich daher mit den Fragen bestimmen: Was kann ein öffentlicher und politischer Akteur bewirken? Welche spezifischen Mittel kann das Theater als öffentliches Medium bereitstellen? In dieser Phase gab es eine deutliche Professionalisierung in der publizistischen Tätigkeit von Theater und Zeitungsmedien. So kann man etwa am Beispiel der Intendanz Karl Theodor Küstners am Königlichen Theater in Berlin eine wohldosiert betriebene Öffentlichkeitspolitik beobachten, die mit Zeitungsöffentlichkeit und Publikumsöffentlichkeit arbeitete, um sich gegenüber der eigenen Kontrollbehörde zu behaupten. Auch Robert Prutz erwies sich 1844 im Umgang mit dem Aufführungsverbot von Moritz von Sachsen als Medienprofi. In der Diskussion um Theaterkritiken ging es nun nicht mehr um die grundsätzliche Frage, wer, in welcher Form über Theater berichten dürfe, sondern es hatte sich die allgemeine Meinung durchgesetzt, dass die Theaterkritik ein For61

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Edda Ziegler weist darauf hin, dass sowohl in direkter Folge der Julirevolution am 21. Oktober 1830 als „Maßregel zur Herstellung und Erhaltung der Ruhe in Deutschland“ die Zensoren zu besonderer Vorsicht bei der Zulassung von Nachrichten über revolutionäre Umtriebe angehalten wurden, und direkt nach dem Hambacher Fest im Juni und Juli 1832 weitere repressive Verordnungen erlassen wurden, wie etwa das totale Verbot der Einfuhr von ausländischen Schriften von weniger als 20 Bogen. Vgl. Edda Ziegler, Literarische Zensur in Deutschland, 121f. Obgleich das Verbot vom 10. Dezember 1835 faktisch kaum angewendet und 1842 offiziell wieder aufgehoben wurde, hatte es eine abschreckende und demoralisierende Wirkung auf die Autoren der Zeit. Vgl. Edda Ziegler, Literarische Zensur in Deutschland, 123. „Bericht über revolutionäre Umtriebe“ (2. April 1836), vgl. oben, Anm. 60. Direkt nach dem Frankfurter Wachensturm (3. April 1833) war ein hoher Bundesbeschluss erfolgt zur Abfertigung eines Generalberichtes über revolutionäre Umtriebe. Zu diesem Zweck wurde am 30. März 1833 in der Nachfolge der Mainzer Behörde zur ‚Demagogenverfolgung‘ (gegr. 1819) die Frankfurter Bundes-Central-Untersuchungs-Commission gegründet. Edda Ziegler konstatiert, dass ab 1844 auch aufgrund der aktiven Versuche der sächsischen Regierung, die ein ökonomisches Interesse an der Förderung ihres starken Buchmarktes hatte, eine Liberalisierung des Pressegesetzes beim Bund zu erreichen, spürbar Entschärfung eintrat. Vgl. Edda Ziegler, Literarische Zensur in Deutschland, 127.

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mat der professionellen Meinungspresse darstellt. Nun ging es um die konkreten Inhalte, die dort vermittelt wurden und deren politisches Potential. Gleichzeitig sehen wir die Blüte einer neuartigen Dramengattung: das historische Tendenzstück. Als Vorboten einer Wiederbelebung der Tragödie beschworen, hatten die Stücke eines Gutzkow, Laube, Mosen und Prutz Hochkonjunktur und wurden ob ihrer nationalen Anspielungen und heroischen Figuren des Freiheitskampfes als Zukunftsvisionen eines freien und geeinten Deutschlands gefeiert. Von ihren Intendanten weitgehend unterstützt, gelang es diesen politisch-literarischen Autoren, trotz ihres nicht unumstrittenen Rufes,66 sich als erfolgreiche Dramenautoren und ‚Erneuerer‘ des Theaters zu positionieren. Man erwartete von dieser Seite eine Belebung des Theaterlebens und die lang erwartete Realisierung einer gesellschaftlich und politisch relevanten Funktion des Theaters. Typisch für diese Phase ist die Flut von theoretischen Schriften zum Theater, die den Bedarf an einer dezidierten Positionierung des Theaters in der als politisierte Umbruchphase empfundenen Zeit erkennen lässt. Die dritte mediale Konfliktphase bezieht sich auf die Revolutionszeit 1848/1849 und kann als Phase medialer Politik in der revolutionären Bewegung benannt werden. In der Revolution etablierte sich eine Dominanz des politischen Modus der Straßen- und Versammlungsöffentlichkeit, der sich auch auf die Medien Zeitung und Theater auswirkt. Zeitungen wurden umgestaltet in Foren des diskursiven politischen Austauschs und im Theater kam es zu gemeinschaftlichen politischen Feiern, bei denen durch gemeinsame Gesänge und die direkte Verständigung zwischen Schauspielern und Zuschauern die Bühnenrampe aufgehoben schien. Es galt nun zu erproben, ob es dem ‚alten Medium‘ Theater gelingen würde, durch konsequenten Bezug auf die politische Gegenwart und die Herstellung einer gegenwärtigen politischen Gemeinschaft ein wirksames Medium der neuen revolutionären Mediensituation zu werden. Diese mediale Konfliktphase soll daher mit den Fragen verbunden werden: Welche politische Bedeutung hat die Öffentlichkeit der Versammlung und der Straße in der revolutionären Mediensituation? Inwiefern erweist sich das Theater als angemessenes Medium im politischen Modus der Straßen- und Versammlungsöffentlichkeit? In diesem Zusammenhang gilt es darzulegen, wie die Vorstadttheater in Wien – das Theater an der Wien und das Carl-Theater in der Leopoldstadt – sich diesen Herausforderungen durch die politische Revolution stellten und auf die veränderte Medienöffentlichkeit je spezifisch reagierten. So erscheint auch das Bemühen Albert Lortzings als Theaterkünstler und Komponist, ein der politischen und medialen Revolutionsphase angemessenes Bühnenwerk zu erschaffen, als paradigmatische Reaktion auf die Theateröffentlichkeit der Zeit. Die Fokussierung auf die drei erläuterten medialen Konfliktphasen – so das Ziel dieser Studie – sollen ermöglichen, Theater als öffentlichen und auch politischen Akteur in einer grundsätzlich intermedial verbundenen Öffentlichkeit in der ersten Hälfte des 66

So waren Laube, Gutzkow und Prutz mehrfach in Gesetzeskonflikte geraten. Ausweisungen und Gefängnisstrafen waren die Resultate.

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19. Jahrhunderts darzustellen. Es geht somit um nichts weniger als um eine Modifizierung der historiographischen Perspektive auf Theater in Biedermeier und Vormärz und seine Verortung in der medialen und gesellschaftlichen Moderne. Und diese Vorgehensweise lässt sich spezifizieren als mediale Theaterhistoriographie. A b l a u f u n d R e i c h w e i t e. Im Fokus der Studie stehen theatrale und mediale Öffentlichkeiten in den Residenz- und Universitätsstädten Berlin, München und Wien. Dabei geht es jedoch nicht um die Konstruktion einer geschlossenen historischen Erzählung des Theaters im Vormärz, vielmehr verläuft die Argumentation an vertieften Untersuchungen von bruchhaft erscheinenden Einzelereignissen und Knotenpunkten des medialen Konflikts entlang. Hier gilt es, zwischen der Perspektive einer Struktur- und Ereignis-Analyse zu vermitteln. Dies kann mit einem performativen Konzept des medialen Konfliktereignisses (Theaterskandal, Zeitungskrieg, Regulierungspolitik) gelingen, welches die Performanz67 der Struktur im Ereignis materialisiert sieht. Mit Reinhart Koselleck ließe sich so sagen, dass das hier im Fokus stehende Ereignis „mehr und zugleich weniger zeitigt, als in seinen strukturellen Vorgegebenheiten enthalten ist.“68 Für die historischen Analysen der Öffentlichkeiten im Berlin, München und Wien des Vormärz wird in Kap. 2. zunächst eine methodische Diskussion des ÖffentlichkeitsBegriffs (Habermas, Fraser, Negt/Kluge, Luhmann) vorangestellt, gefolgt von einer Erläuterung exemplarischer historischer Diskurse (Wieland, Hegel, Schiller), welche in der Zeit ästhetisch und politisch wirksam sind. In Kap. 3 erörtere ich theatertheoretische Schriften der 1840er Jahre, die sich explizit mit einer Neubestimmung von Theater als öffentliches Medium der Gegenwart auseinandersetzen (Rötscher, Laube, Prutz, Wagner, Gutzkow, Devrient). Die Kap. 4–6 stellen den Kern der historischen TheaterAnalyse dar und beziehen sich auf einen jeweils konkreten urbanen Raum mit einer je spezifischen thematischen Ausrichtung. In Kap. 4 „Arena der Öffentlichkeit“ wende ich mich konkurrierenden Öffentlichkeiten in Berlin zwischen Theater und Zeitungsmedien zu. Diese historischen Analysen basieren weitgehend auf unveröffentlichten Akten aus dem Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, dem Landesarchiv Berlin und dem Stadtmuseum Berlin. Kap. 5 „Institution der Öffentlichkeit“ stellt die bayerische Theaterkulturpolitik der 1810er bis 1840er Jahre vor, die vor allen Dingen in München auf das wachsende bürgerliche Bedürfnis nach angemessener Teilhabe an medialer und theatraler Öffentlichkeit reagierte. Für die historische Analyse standen unveröffentlichte 67

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In diesem Sinne basiert die ‚Performanz‘ auf einem Konzept von Performativität, das die strukturellen Implikationen von Handeln als wirksame Realität zur Erscheinung bringt, wie es etwa Judith Butler in ihrer Performativitätstheorie in Bezug auf Gender und Sex als diskursive Einschreibungen einschlägig vertritt; vgl. Judith Butler, Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt a. M. 1991 und Körper von Gewicht. Die diskursiven Grenzen des Geschlechts, Berlin 1995. Reinhart Koselleck, „Ereignis und Struktur“, in ders. und Wolf-Dieter Stempel (Hg.), Geschichte – Ereignis und Erzählung, München 1973, 560–571, 566. Für eine Überschau der methodischen Implikationen einer auf dem Verhältnis von Ereignis und Struktur fußenden Sozialgeschichte vgl. Andreas Suter und Manfred Hettling (Hg.), Struktur und Ereignis, Göttingen 2001.

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Theater – Medien – Politik

Archivdokumente des Bayerischen Hauptstaatsarchivs, des Staatsarchivs München und der Bayerischen Staatsbibliothek zur Verfügung. In Kap. 6 „Gegenwart der Öffentlichkeit“ fokussiere ich die mediale und theatrale Öffentlichkeit im revolutionären Wien des Jahres 1848. Insbesondere die Theater in den Vorstädten reagierten sofort auf die neue politische Situation und passten sich dem revolutionären Modus der Straßen- und Versammlungsöffentlichkeit an. Durch den Brand des Justizpalastes in Wien im Jahre 1927 wurden große Teile der österreichischen Zensur- und Polizeiakten des Vormärz vernichtet, so dass hier zu den gesichteten Brandakten des Österreichischen Staatsarchiv, Allgemeines Verwaltungsarchiv, der Wienbibliothek und den Dokumenten aus dem Nachlass Franz Pokornys im Theatermuseum Wien eine umfangreiche Zeitungsund Literaturrecherche den Rahmen der Analyse abstecken half.

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Gesellschaft und Öffentlichkeit

Der Vormärz brachte ein Konzept von Theater als politisches Medium hervor, das in engem Zusammenhang mit einer modernen Idee von Öffentlichkeit steht. Modern war diese Idee insofern, als sie auf einer gesellschaftlichen und medialen Entwicklung basierte, die nach 1800 ältere Konzeptionen von Öffentlichkeit und Politik zunehmend kritisch hinterfragte. Modern meint hier auch, dass von einer neuen politischen und Gesellschaft prägenden Qualität von Theater die Rede war, welche unser heutiges Verständnis von Theater nachhaltig geprägt hat. Unbestritten ist die Annahme, dass das Theatermodell, das sich im Verlaufe des 19. Jahrhunderts institutionell, ästhetisch und in seiner gesellschaftlichen Reichweite herausbildete, einen Normbegriff von Theater entwickelt hat, der immer noch mit dem landläufigen Verständnis von Theater als bürgerlicher Kulturinstitution korreliert. Eine auf literarische Texte und deren Aufführungen fokussierte Theatergeschichtsschreibung verengt hier allerdings den Blick auf die ästhetischen Reformen des späten 19. Jahrhundert, meine intermediale und auf die öffentliche Theaterpraxis bezogene Vorgehensweise hingegen eröffnet Einsichten in die medienhistorischen Gemengelage der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Ausgangspunkt politischer Aspekte bürgerlichen Theaters. Am Beginn einer solchen Analyse von Theater als öffentliches Medium muss die kritische Auseinandersetzung mit dem Begriff der Öffentlichkeit stehen. Es wird angenommen, dass wir es in der Zeit zwischen 1800 und 1850 mit einer Experimentalphase des Öffentlichen zu tun haben. Mit dem Aufkommen der Massenpresse und der Durchsetzung eines institutionellen Theatermodells etablierten sich neue mediale Konfigurationen, die jedoch noch keineswegs verfestigt waren. Entsprechend war der Diskurs zur Öffentlichkeit vielschichtig und nicht ausgereift zur hegemonialen Durchsetzung einer Praxis des Öffentlichen als Leitmodell. Ausgehend von konkreten Fallbeispielen medialer Knotenpunkte zwischen Theater, Presse und Staatsmacht möchte ich Krisen von Öffentlichkeit bestimmen, die Anzeichen der andauernden Verhandlungen und Aushandlungen um das waren, was öffentlich sein durfte und was öffentlich wirksam sein konnte. Es geht hier also nicht darum, ein Öffentlichkeitsmodell von Theater in einer bestimmten Zeit zu definieren, sondern eine Analyse von Einzelfällen vorzunehmen, die Situationen und Funktionen von Öffentlichkeit je spezifisch zu Tage bringt.

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Gesellschaft und Öffentlichkeit

Die Untersuchung von Theater und Öffentlichkeit im Vormärz hat sowohl den theoretischen Diskurs als auch die konkrete Praxis von Öffentlichkeit zum Gegenstand. Während die theoretischen Schriften ein Ideal öffentlicher Partizipation an gesellschaftlichen Debatten und deren Auswirkungen auf das politische Handeln des Staates vorzeichneten, kam die spezifische Zeitungs- und Theaterpraxis dieser Konzeption nur in Ausnahmefällen nahe, obgleich sich dennoch ein verstärktes Streben um öffentliche Sichtbarkeit und Einflussnahme in der modernen Gesellschaft entwickelte und eine Spannung erzeugte, die sich anhand von öffentlichen Skandalen und Regulierungseingriffen darstellen lässt. Auf Theater bezogen erschien etwa seit 1830 bis Ende der 1840er Jahre eine Fülle von theoretischen Schriften, die eine neue politische Rolle der Bühnen forderten und ein gesellschaftsrelevantes Theater konzipierten. Für die Theaterpraxis kann man tendenziell zwei zeitliche Felder unterscheiden. Zum einen handelt es sich um die seit den 1820er Jahren permanent aktive Auseinandersetzung von einigen Theaterdichtern und Theatermachern mit den Akteuren der Öffentlichkeit – nämlich Presse und Staatsmacht, die sich anhand von Zensurfällen und polizeilich verfolgten Theaterskandalen nachzeichnen lassen. Gleichzeitig bildete sich eine Form von Theater als bürgerliche Institution heraus, welche in Größe, Prächtigkeit der Bauten1 und dem ästhetischen Anspruch der Aufführungen mit den höfischen Theatern konkurrierte. Die Bürger identifizierten sich mit solchen Theater-Institutionen, obgleich sie oftmals durch verdeckte oder auch offene Subventionen immer noch mehr oder minder an den Hof gebunden waren. Die Strukturen von bürgerlichen Theatern und Hoftheatern waren nicht immer streng voneinander abgegrenzt. Letztlich kann man eine allgemeine Tendenz zur ‚Verbürgerlichung‘ und zur ‚Veröffentlichung‘ bei beiden Theatertypen ausmachen. Zum anderen geht es um den spontanen Kurzschluss von revolutionärer Aktion und Theaterpraxis während der Erhebungen von 1848/1849. Dies zeigt sich etwa an einem Repertoire von politisierten Stücken und an der revolutionären Aneignung der Aufführungen als politische Feier. Spontane Revolutionsgesänge begleiteten die Theatervorstellungen und die journalistischen Beobachter der revolutionären Geschehnisse drangen auf eine aktive Rolle der Theater im politischen Geschehen. Öffentlichkeit ist der Schlüsselbegriff, mit dem eine methodische Perspektive auf das Theater des Vormärz eröffnet wird, die sowohl den theoretischen Theaterdiskurs als auch die Theaterpraxis der Zeit spezifisch fassen kann. Die Theaterhistoriographie hat bisher nur wenige Versuche unternommen das Theater des 19. Jahrhunderts damit in Zusammenhang zu bringen. Dieter Borchmeyer und Patrick Primavesi befassen sich mit einem ästhetischen und philosophischen Diskurs um 1800, der sich in erster Linie mit Theaterkonzeptionen und nicht mit konkreter Theaterpraxis auseinandersetzt. 2 Während 1 2

Zum öffentlichen Theaterbau des Vormärz vgl. Isabel Matthes, ‚Der allgemeinen Vereinigung gewidmet.‘ Öffentlicher Theaterbau in Deutschland zwischen Aufklärung und Vormärz, Tübingen 1995. Vgl. Dieter Borchmeyer, Tragödie und Öffentlichkeit. Schillers Dramaturgie, München 1973; Patrick Primavesi, Das andere Fest. Theater und Öffentlichkeit um 1800, Frankfurt a. M. u. New

Gesellschaft und Öffentlichkeit

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Borchmeyer auf Schillers und Hegels ästhetische Philosophien fokussiert, geht Primavesi von Jürgen Habermas’ Unterscheidung von repräsentativer und kritischer Öffentlichkeit aus, um das Fest als repräsentationskritische Theaterform darzustellen. In methodischer Hinsicht erhellender ist Helmar Schramms Versuch einer Bestimmung des Theaterbegriffs von der Konzeption der Öffentlichkeit aus. Schramm veröffentlichte 1990 mit dem Aufsatz „Theater und Öffentlichkeit“ eine Begriffsgeschichte von ‚Theater‘ mit einer diskursgeschichtlichen Akzentuierung durch die „ausdrückliche übergreifende Thematisierung des Zusammenhangs von Theatralität und Öffentlichkeit.“3 Im nächsten Satz wird jedoch klar, dass auch Schramm nicht bei einer medialen Konzeption von Öffentlichkeit ansetzt, sondern die Öffentlichkeit des Theaters lediglich durch den Zugang von Zuschauern definiert: „[Ohne] Bezug auf einen denkbaren Zuschauer, ein Publikum, eine Spur von Öffentlichkeit kann man sich von Theater keinen relevanten Begriff machen.“4 So gelingt Schramm zwar eine differenzierte Diskussion des Theaterbegriffs „im Wechselspiel mit dem kulturgeschichtlichen Wandel von Öffentlichkeitsbildern“, die ihn zu gesellschaftspolitischen Zusammenhängen der Herausbildung von Theaterkonzeptionen bringt, eine methodische greifbare Perspektive auf Öffentlichkeit kann jedoch durch die Einschränkung dieses Begriffs auf die Anwesenheit des Publikums daraus nicht erwachsen. Dass dadurch Öffentlichkeit als Konzept vernachlässigbar erscheint, wird dadurch ersichtlich, dass er bei der Revision seines Aufsatzes den Bezug auf Öffentlichkeit ganz gestrichen hat, der Titel des Textes heißt nun in der Fassung von 2005 schlicht „Theatralität“5. Einen gangbaren Weg einer historischen Analyse von Theaterpraxis im Umfeld einer politischen und gesellschaftlichen Öffentlichkeit zeigt Susan Maslan anhand ihrer Forschung zum Theater der Französischen Revolution.6 Susan Maslan vertritt in ihrem Aufsatz „Theatre and Democracy in Revolutionary France“ (1995) die These, dass die zahlreichen vehement ausgetragenen Theaterrevolten um Aufführungsverbote und Aufführungsgebote in Paris zwischen 1789 und 1794 Ausdruck eines Kampfes zwischen den Delegierten der Nationalversammlung und dem einfachen Volk um politische Repräsentation und also um Teilhabe an politischer Handlung waren. Maslan setzt der verordneten Stille der Zuschauer auf den Galerien der Nationalversammlung das unge-

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York 2008. Sowohl Borchmeyer als auch Primavesi analysieren ausschließlich den literarischen Diskurs. Eine flankierende Analyse der Theaterpraxis anhand von Quellen bleibt ein Desiderat. Helmar Schramm, „Theatralität und Öffentlichkeit. Vorstudien zur Begriffsgeschichte von ‚Theater‘“, in Karlheinz Barck u.a. (Hg.), Ästhetische Grundbegriffe. Studien zu einem historischen Wörterbuch, Berlin 1990, 202–242, 205. Ebd. Helmar Schramm, „Theatralität“, in Karlheinz Barck u.a. (Hg.), Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden, Bd. 7, Stuttgart u. Weimar 2005, 48–73. Der Artikel weist wesentliche Übereinstimmungen mit dem Aufsatz von 1990 auf, Schramm erweitert jedoch die Diskursgeschichte auf die Zeit nach 1800 und streicht jeden Hinweis auf den Zusammenhang von Theater und Öffentlichkeit. Vgl. Susan Maslan, Revolutionary Acts. Theatre, Democracy and the French Revolution, Baltimore 2005.

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Gesellschaft und Öffentlichkeit

bremste Ausagieren von Zuspruch und Unmut im Theater als revolutionäre Tradition gegenüber und folgert daraus den Anspruch des Publikums auf politisches Handeln: First, because theatrical representation, unlike political representation, was thoroughly subject to direct popular control, the theater constituted, and was widely perceived as, an embodiment of direct democracy and, hence, as an alternative to, and potential rival of, representative political institutions. Second, the people’s central role in the theater, I will argue, was reflected in and, indeed, helped to shape a distinct genre of revolutionary drama: the drama of popular judgment.7

Maslan sieht das Theater als ein radikales performatives Potential8, das sich der Schriftkultur durch ‚Aktion‘ und direkte Kommunikation entgegenstellt. In diesem Sinne sieht sie hier auch ein Gegenmodell zu Habermas realisiert, der sich auf die literarische Praxis der kritischen bürgerlichen Öffentlichkeit bezieht. Eine umfassende medienhistorische Perspektive könnte diesen Gegensatz hinter sich lassen und eine produktive Zusammenschau konkurrierender Öffentlichkeiten ermöglichen. Nichtsdestotrotz führt ihre Zusammenführung der theatralen und der politischen Repräsentation zu einer Fokussierung auf das Entstehen einer spezifischen historischen Öffentlichkeit und ist daher auch für eine Untersuchung des Zusammenhangs von Theater und Öffentlichkeit im Vormärz methodisch interessant. Meines Erachtens ist es nötig, das Theater noch weit stärker in den Zusammenhang historischer Konzeptionen von Öffentlichkeit zu stellen als es bisher von theaterwissenschaftlicher Seite getan wurde. Es muss daher nun darum gehen, die methodischen und historischen Rahmensetzungen von Öffentlichkeit als Grundbedingungen für medienhistorische Studien krisenhafter Umbrüche der Theateröffentlichkeit darzulegen. Im Folgenden werde ich daher aus der Kritik an dem Öffentlichkeits-Konzept von Jürgen Habermas methodische Konsequenzen für die historischen Analysen des Zusammenwirkens von theatraler und medialer Öffentlichkeit im Zeitraum von 1800 bis 1850 herausarbeiten (Kap. 2.1). In einem zweiten Schritt werde ich die vormärzliche Öffentlichkeitspolitik als Regulierungsgeschichte darstellen und die historischen politischen Diskurse zur Frage der Pressefreiheit und Medienkonzeption diskutieren (Kap. 2.2). Flankierend zu diesem politischen Horizont der Öffentlichkeit werde ich den literarischhistorischen Diskurs exemplarisch an Christoph Martin Wieland aufzeigen und mit den philosophischen und ästhetischen Theorien von Georg Wilhelm Friedrich Hegel und Friedrich von Schiller zwei wichtige Bezugsgrößen der literarischen Öffentlichkeit der Zeit präsentieren (Kap. 2.3). Die Diskussion der Theaterreform-Diskurse der 1840er Jahre (Kap. 3) kann darauf aufbauen und zeigen, inwiefern die beteiligten Autoren (H. Theodor Rötscher, Heinrich Laube, Robert E. Prutz, Richard Wagner, Eduard Devrient, Karl Gutzkow) in die Öffentlichkeits-Diskurse eingebunden waren; ihre 7 8

Susan Maslan, „Resisting Representation. Theater and Democracy in Revolutionary France“, in Representations 52, 1995, 27–51, 30. Maslan steht hier ganz in der Tradition der US-amerikanischen Performance Studies. Vgl. etwa Peggy Phelan, Unmarked. The Politics of Performance, London u.a. 1993.

Öffentlichkeit als methodische Größe

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Schriften spiegeln spezifisch überformt das historische Spektrum an ÖffentlichkeitsTopoi wider.

2.1

Öffentlichkeit als methodische Größe

Die Studie Strukturwandel der Öffentlichkeit (1962) von Jürgen Habermas ist in methodischer Hinsicht beispielhaft und theoretischer Ausgangspunkt vieler auch historischer Analysen in diesem Forschungsfeld. Es ist Habermas’ Verdienst, dem Thema „Öffentlichkeit“ eine analytisch-konzeptionelle Perspektive im Bezug auf Gesellschaftspolitik verliehen zu haben. Im Verlaufe der deutschen und amerikanischen Rezeptionsgeschichte von Strukturwandel haben sich einige kritische Fragen aufgetan, die eine nötige Korrektur dieses methodischen Ansatzes von Öffentlichkeits-Forschung bewirkt haben. Ö f f e n t l i c h k e i t a l s n o r m a t i v e K a t e g o r i e . Jürgen Habermas wurde vorgeworfen, er vermische in seiner berühmten Schrift unzulässig einen normativen mit einem historischen Begriff von Öffentlichkeit. In der Tat definiert er bereits in der Einleitung Öffentlichkeit als historisch gültige und sich verändernde Sphäre und gleichzeitig als zentrale normative Kategorie der Gesellschaftskritik: Gleichwohl [trotz der Tendenz des Zerfalls] ist Öffentlichkeit nach wie vor ein Organisationsprinzip unserer politischen Ordnung. Sie ist offenbar mehr und anderes als ein Fetzen liberaler Ideologie, den die soziale Demokratie unbeschadet abstreifen könnte. Wenn es gelingt, den Komplex, den wir heute, konfus genug, unter dem Titel ‚Öffentlichkeit‘ subsumieren, in seinen Strukturen historisch zu verstehen, dürfen wir deshalb hoffen, über eine soziologische Klärung des Begriffs hinaus, unsere eigene Gesellschaft von einer ihrer zentralen Kategorien her systematisch in den Griff zu bekommen.9

Es geht ihm also darum, einen historischen Begriff von Öffentlichkeit zu gewinnen, der in demokratietheoretischer Hinsicht über die Gesellschaft des späten 20. Jahrhunderts Aufschluss geben kann. Habermas verfasste seine Studie mit dem Ziel, sich einem angenommenen Zerfallsprozess der bürgerlichen kritischen Öffentlichkeit zum Ausgang des 19. Jahrhunderts analytisch zu nähern und daraus Erkenntnisse für die Sicherung der Demokratie in spätkapitalistischen Gesellschaften zu gewinnen. Für den Zusammenhang meiner Studie ist naturgemäß der erste historische Teil von Strukturwandel der Öffentlichkeit wesentlich relevanter, daher beziehen sich die folgenden Ausführungen weitgehend hierauf und weniger auf den zweiten, demokratiekritischen Teil des Buches. 9

Jürgen Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1990 [Unveränderter Nachdruck der Erst-Ausgabe, Neuwied 1962], 57f.

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Habermas arbeitet im ersten Teil seiner Studie einen normativen Idealtyp von bürgerlicher Öffentlichkeit als kritische politische Instanz heraus, die sich auf die Kantische Formel von dem „öffentlichen Gebrauch der Vernunft“10 bezieht. K a n t s ö f f e n t l i c h e A u f k l ä r u n g . Immanuel Kants Philosophie basierte auf der radikalen Ablehnung der Determinationslehre. Dem gegenüber versuchte er, das bürgerliche Individuum in einem Freiheitsraum von Handlungen zu positionieren. Sein berühmter Aufsatz zur „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?“ (1784) beschreibt die Aufgabe der Aufklärung des Individuums als schwieriges Unterfangen für den Einzelnen, wohingegen die Aufklärung für ein Publikum eine beinahe natürliche Sache sei: Daß aber ein Publikum sich selbst aufkläre, ist eher möglich; ja es ist, wenn man ihm nur Freiheit läßt, beinahe unausbleiblich. Denn da werden sich immer einige Selbstdenkende, sogar unter den eingesetzten Vormündern des großen Haufens finden, welche, nachdem sie das Joch der Unmündigkeit selbst abgeworfen haben, den Geist einer vernünftigen Schätzung des eigenen Werts und des Berufs jedes Menschen, selbst zu denken, um sich verbreiten werden.11

Kant beschreibt hier eine diskursiv entstehende Vernünftigkeit, welche aus der freien Meinungs-Zirkulation entsteht. Im Gegensatz zu Jean-Jacques Rousseau bewertete Kant den öffentlichen Diskurs als Medium der Aufklärung grundsätzlich positiv12. Dennoch bestand bei ihm ein Restverdacht der Manipulationsmöglichkeit des Publikums durch öffentliche Meinungsmache. Es gäbe die Gefahr, dass einige „Vormünder, die selbst aller Aufklärung unfähig sind,“ das Publikum mit neuen Vorurteilen lenkten und die noch ‚unreifen‘ Bürger zum Umsturz verleiteten. Das Publikum müsse langsam und im Schritte der mentalen Entwicklung zur Aufklärung geführt werden. Denn „wahre Reform der Denkungsart“ könne nie durch Revolution erreicht werden, welche doch immer nur neue Vorurteile hervorbringe.13 Was meint Kant nun mit ‚Publikum‘ und öffentlich? Er differenziert zwischen beiden Begriffen. Das Publikum sei eine fest umrissene Gruppe von Individuen, kein abstraktes ‚Öffentliches‘, sondern ein Adressat und gleichzeitig Agent des öffentlichen Diskurses. Kant definierte dies folgendermaßen: Ich verstehe aber unter dem öffentlichen Gebrauche seiner eigenen Vernunft denjenigen, den jemand als Gelehrter von ihr vor dem ganzen Publikum der Leserwelt macht. Den Privatge-

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Vgl. Immanuel Kant, „Was ist Aufklärung?“, 484: „Zu dieser Aufklärung aber wird nichts erfordert als die Freiheit; und zwar die unschädlichste unter allem, was nur Freiheit heißen mag, nämlich die: von seiner Vernunft in allen Stücken öffentlichen Gebrauch zu machen.“ Immanuel Kant, „Was ist Aufklärung?“, 483. Jean-Jacques Rousseau ist grundsätzlich von der Korrumpierbarkeit der Öffentlichkeit überzeugt und unterwirft sie der strengen Kontrolle. Vgl. Jean-Jacques Rousseau, „Du contrat social“, in Ders., Œuvres complètes, Bd. 3, hg. von Bernard Gagnebin und Marcel Raymond, Paris 1964, 281– 470, 458; vgl. auch Peter Uwe Hohendahl (Hg.), Öffentlichkeit. Geschichte eines kritischen Begriffs, Stuttgart u. Weimar 2000, 21f. Immanuel Kant, „Was ist Aufklärung?“, 484.

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brauch nenne ich denjenigen, den er in einem gewissen ihm anvertrauten bürgerlichen Posten oder Amte von seiner Vernunft machen darf.14

Für uns ist die Koppelung des „Privatgebrauchs“ an das Amt und den bürgerlichen Posten schwer nachzuvollziehen, da der Beruf heute eher dem öffentlichen Bereich und der Privatbereich auf die familiäre Intimsphäre verschoben worden ist. Kant hingegen machte deutlich, dass der Geistliche, der vor seiner Gemeinde von der Kanzel predige, einen Privatgebrauch seiner Gedanken praktiziere, deren Beschränkung und Regulierung durch seine Institution und die Struktur, in die er eingebunden sei, völlig gerechtfertig wäre. Öffentlichen Gebrauch seiner Gedanken mache der Geistliche allerdings, wenn er als Gelehrter Schriften veröffentliche. Darin, so Kant, dürfe er im Sinne der Aufklärung nicht eingegrenzt werden. Letztlich vertrat Kant ein Konzept von Öffentlichkeit, das an die Idee einer medialen Vermittlung gebunden ist. Der Gelehrte spreche „durch seine Schriften zum eigentlichen Publikum, nämlich der Welt“15 und nur in diesem öffentlichen Gebrauch seiner Vernunft müsse er absolut frei sein. Im Zeitalter der medialen Globalisierung erscheint es uns allerdings als völlig normal, auch die Kanzelpredigt als potentiell medialisierte Form von Öffentlichkeit zu betrachten – so ist doch deren Umsetzung in ein Bild- oder Hörmedium nur eine Frage des Zugriffs. Und, Kants Öffentlichkeit war an die Figur des ‚Gelehrten‘ gebunden, das öffentliche Agieren erhielt hier seine Freiheit durch die Einbindung in den Rahmen der Wissenschaft. Die öffentliche Stimme wird im Medium der wissenschaftlichen Rede und Schrift kanalisiert. Damit erweist sich Kants Öffentlichkeit als geradezu idealtypisches Konzept der Aufklärung. Diesem Konzept wohnt durchaus eine politische Kritik inne. Der von Kant postulierte öffentliche Diskurs durch gelehrte Schriften ist ein Instrument des politischen Handelns. Durch die Rezeption der vom Geist der Aufklärung geleiteten Veröffentlichungen könne eine vernünftige allgemeine Meinung über staatliche Sachen entstehen, die dann der Staatgewalt vorgetragen werden könnten, um eine Verbesserung zu erreichen. Die Gesetze müssten sich am öffentlichen Diskurs messen lassen als „Probierstein“ ihrer Rechtmäßigkeit.16 Kant erläuterte dies zunächst eingegrenzt auf das Beispiel der Religion und ihrer Institutionen, doch ging er am Schluss seiner Schrift soweit, ein universales Ideal des aufgeklärten Staatsoberhauptes zu projizieren, das eine freie Denkungsart vertrete und einsehen müsse, dass man seinen Untertanen gefahrlos erlauben könne, „von ihrer eigenen Vernunft öffentlichen Gebrauch zu machen und ihre Gedanken über eine bessere Abfassung derselben, sogar mit einer freimütigen Kritik der schon gegebenen, der Welt öffentlich vorzulegen.“17 Hier genau bestimmte Kant das Ideal, 14 15 16

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Immanuel Kant, „Was ist Aufklärung?“,, 485. Hervorhebung im Original. Immanuel Kant, „Was ist Aufklärung?“, 487. Vgl. Immanuel Kant, „Was ist Aufklärung?“, 488f: „Der Probierstein alles dessen, was über ein Volk als Gesetz beschlossen werden kann, liegt in der Frage: ob ein Volk sich selbst wohl ein solches Gesetz auferlegen könnte?“ Immanuel Kant, „Was ist Aufklärung?“, 492f.

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welches dem Konzept der bürgerlichen Öffentlichkeit von Habermas als Basis dient. Andreas Gestrich vermerkt dazu kritisch,18 Habermas nehme in Anlehnung an dieses Konzept der Aufklärung an, dass „Vernunft, Moral und Politik im ‚herrschaftsfreien Diskurs‘ freier Bürger zusammengeführt werden können“ 19 und verweist auf die fiktionale Dimension dieser Annahme. Das Projekt der Aufklärung – die allmähliche Bildung und Perfektionierung des sittlichen Menschen im Zusammenhang mit der vernünftigen Ausübung eines öffentlichen Diskurses – sei nämlich letztlich der Gradmesser, an dem auch Habermas den Erfolg oder den Niedergang von demokratischen Gesellschaftsordnungen messe.20 D i e E n t s t e h u n g d e r ö f f e n t l i c h e n S p h ä r e . Der „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ betrifft, so Habermas, den Umschlag von einer feudalen repräsentativen Öffentlichkeit in eine bürgerliche, d.h. kritische Öffentlichkeit. Die repräsentative Öffentlichkeit lasse sich zunächst als fürstliches Statusmerkmal21 und nicht als soziale Sphäre eines öffentlichen Räsonnements beschreiben: Solange der Fürst und seine Landstände das Land ‚sind‘, statt es bloß zu vertreten, können sie in einem spezifischen Sinne repräsentieren; sie repräsentieren ihre Herrschaft statt für das Volk, ‚vor‘ dem Volk.22

Diese repräsentative Öffentlichkeit werde in dem Maße ausgehöhlt, in dem die Repräsentation selbst an eine Differenzfunktion von Fürst und Volk gekoppelt ist. Das Volk trete in einem Entwicklungsprozeß bis zum Ende des 18. Jahrhunderts als Gesellschaft dem Fürsten als Staatsmacht gegenüber, und die Repräsentationsfunktion des Fürsten liege nun in der stellvertretenden Ausübung der Staatsmacht „für das Volk“.23 Eine bürgerliche Öffentlichkeit könne sich also in dem Moment bilden, in dem Staat und Gesellschaft auseinander träten. Das entstehende Bürgertum habe gegenüber dem Staat einen privaten Besitz, der immer mehr vom Hausbesitz zu einem Gegenstand öffentlichen Interesses werde. Seit dem späten 18. Jahrhundert beginne ein Anspruch auf einen räsonnierenden Austausch über politische Maßnahmen, die den privaten Besitz betreffen, welcher zunehmend das öffentliche Wohl bestimme. Die Ernährungslage des Staates, der industrielle Fortschritt liege in der Hand der Privatleute, hänge jedoch 18

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22 23

Vgl. Andreas Gestrich, „Jürgen Habermas’ Konzept der bürgerlichen Öffentlichkeit“, in Claus Zimmermann (Hg.), Politischer Journalismus, Öffentlichkeiten und Medien im 19. und 20. Jahrhundert, Ostfildern 2006, 25–39. Andreas Gestrich, „Jürgen Habermas’ Konzept der bürgerlichen Öffentlichkeit“, 26. Ebd. Vgl. Jürgen Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, 60: „Diese repräsentative Öffentlichkeit konstituiert sich nicht als ein sozialer Bereich, als eine Sphäre der Öffentlichkeit, vielmehr ist sie, wenn sich der Terminus darauf übertragen ließe, so etwas wie ein Statusmerkmal.“ Jürgen Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, 61. Vgl. hierzu auch die Ausführungen zu den politischen Implikation der Trennung von Staat und Souverän in Kap. 5, 223f.

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von den staatlichen Rahmensetzungen ab. Es bilde sich so ein Publikum heraus, das sich als Gegenfigur zur öffentlichen Gewalt des Staates modelliert: Die Obrigkeit löst in dieser, von der merkantilistischen Politik in erster Linie betroffenen und beanspruchten Schicht eine Resonanz aus, die das publicum, das abstrakte Gegenüber der öffentlichen Gewalt, sich als eines Gegenspielers, als des Publikums24 der nun entstehenden bürgerlichen Öffentlichkeit bewußt werden läßt. Eine solche entwickelt sich nämlich in dem Maße, in dem das öffentliche Interesse an der privaten Sphäre der bürgerlichen Gesellschaft nicht mehr nur von der Obrigkeit wahrgenommen, sondern von den Untertanen als ihre eigene in Betracht gezogen wird.25

Bürgerliche Öffentlichkeit lasse sich so als „Sphäre der zum Publikum versammelten Privatleute“ verstehen, welche „die obrigkeitliche reglementierte Öffentlichkeit alsbald gegen die öffentliche selbst [beanspruchen], um sich mit dieser über die allgemeinen Regeln des Verkehrs in der grundsätzlich privatisierten, aber öffentlich relevanten Sphäre des Warenverkehrs und der gesellschaftlichen Arbeit auseinanderzusetzen.“26 Das Räsonnement als öffentliche Konkurrenz der privaten Argumente werde in dieser öffentlichen Sphäre in „einen Konsens über das im allgemeinen Interesse praktisch Notwendige“27 überführt – der öffentliche Disput führe im Idealfall zu einem vernünftigen politischen Gemeinwillen. Grundlage für die Herausbildung einer bürgerlichen Öffentlichkeit sei also die historische Herausbildung einer Gesellschaftsstruktur, die sich dem Staat als Handlungs- und Meinungssphäre gegenüberstellt. Nancy Fraser, Vertreterin einer amerikanischen kritischen Rezeption28 von Habermas, welche seit der Übersetzung seiner Schrift Strukturwandel der Öffentlichkeit ins Englische im Jahr 1989 neue Akzente in der Forschung zur ‚public sphere‘ setzte, wendet sich in ihrer Kritik der bürgerlichen Öffentlichkeit vehement gegen das von Habermas vertretene Konzept einer unbedingten Trennung zwischen Staat und Gesellschaft zur Herausbildung und Stabilisierung einer kritischen Öffentlichkeit. Zum einen möchte sie den ‚Strukturwandel‘ von einer repräsentativen zu einer kritischen Öffentlichkeit nicht nachvollziehen, da sie davon ausgeht, dass die Entstehung der bürgerlichen Öffentlichkeit mit einer gewaltvollen Zurückdrängung differenter Öffentlichkeiten einhergeht. Der zu konstatierende historische Wandel liege vielmehr in einer graduellen Ent24 25 26 27 28

Peter Uwe Hohendahl fasst die Entstehung und Geschichte des Publikums im 18. Jahrhundert kurz und prägnant zusammen; vgl. Peter Uwe Hohendahl, Öffentlichkeit, 12–17. Jürgen Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, 82. Hervorhebung im Original. Jürgen Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, 86. Jürgen Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, 153. Vgl. hierzu einschlägig Craig Calhoun (Hg.), Habermas and the Public Sphere, Cambridge 1992. Craig Calhoun versammelte in seinem Aufsatzband Beiträge, die auf einer Konferenz 1989 anlässlich der Herausgabe der englischen Übersetzung von Strukturwandel der Öffentlichkeit bei Teilnahme von Jürgen Habermas selbst präsentiert wurden. Dieser Band stellt immer noch die wesentliche Überschau zur amerikanischen Rezeption von Habermas dar. In der deutschen Neuauflage von Strukturwandel der Öffentlichkeit nimmt Habermas 1990 in seinem neuen Vorwort Stellung zu den wesentlichen dort erhobenen Kritikpunkten.

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wicklung von einem absolutistisch repressiven zu einem diskursiv hegemonialen System, „from rule based primarily on acquiescence to superior force to rule based primarily on consent supplemented with some measure of repression.“29 Diesen repressiven Mechanismen der bürgerlichen Öffentlichkeit könne man nur durch eine differente Durchlässigkeit von Öffentlichkeitssphären begegnen, die gerade die von Habermas geforderte strikte Abtrennung von der staatlichen Machtausübung jedoch verhindere. Infolgedessen entstünde nur die Möglichkeit des abstrakten „opinion making“, das jedoch eine Teilhabe an den Prozessen der Entscheidungsfindung ermögliche. Deshalb resultierten aus dem bürgerlichen Konzept ‚schwache‘ Öffentlichkeiten: Indeed, in the bourgeois conception, it is precisely this extragovernmental character of the public sphere that confers an aura of independence, autonomy, and legitimacy on the ‚public opinion‘ generated in it. Thus the bourgeois conception of the public sphere supposes the desirability of a sharp separation of (associational) civil society and the state. As a result, it promotes what I shall call weak publics, publics whose deliberative practice consist exclusively in opinion formation and does not also encompass decision making. Moreover, the bourgeois conception seems to imply that an expansion of such publics’ discursive authority to encompass decision making as well as opinion making would threaten the autonomy of pulic opinion, for then the public would effectively become the state, and the possibility of a critical discursive check on the state would be lost.30

Demgegenüber stellt Fraser das Konzept der „starken Öffentlichkeiten“ („strong publics“), wie es sich zum Beispiel in souveränen Parlamenten materialisiere. Die Stärke demokratischer Verfasstheit liege gerade in der Verwischung der scharfgezogen Grenze zwischen Staat und Gesellschaft, denn „the force of public opinion is strengthened when a body representing it is empowered to translate such ‚opinion‘ into authoritative decisions.“31 Es sei die Kraft der „discoursive contestation“, welche über die Grenzen dessen immer neu entscheide, was von öffentlichem Interesse sei, und was eine Privatangelegenheit darstelle.32 Fraser macht dies deutlich anhand der Frage der Misshandlung von Frauen durch ihre Ehemänner. Lange Jahre wurden solche Gewalttaten als eine familieninterne Privatsache betrachtet, bis es einer Minderheitengruppe von Frauenrechtlern gelang, dies als Gegenstand von öffentlichem Interesse und als Straftat zu etablieren. Politisch umgesetzt wurde dieser Wandel von einer privaten Angelegenheit zu einer öffentlich relevan29

30 31 32

Nancy Fraser, „Rethinking the Public Sphere. A Contribution to the Critique of Actually Existing Democracy“, in Craig Calhoun, Habermas and the Public Sphere, 109–142, 117. Fraser bezieht sich auf den Hegemonie-Begriff von Raymond Williams, vgl. Raymond Williams, Marxism and Literature, Oxford 1977, 109f.: „Hegemony is […] not only the articulate upper level of ‚ideology,‘ nor are its forms of control only those ordinarily seen as ‚manipulation‘ or ‚indoctrination.‘ It is the whole body of practices and expectactions, over the whole of living: our senses and assignments of energy, or shaping percpetions of ourselves and our world.“ Nancy Fraser, „Rethinking the Public Sphere“, 134. Ebd. Nancy Fraser, „Rethinking the Public Sphere“, 129.

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ten Straftat durch die entsprechende Anpassung der Rechtspraxis. Daher, so Fraser, müsse der Bereich des Öffentlichen, der „public sphere“, durchlässig sein für „private concerns“, um Minderheiten eine Teilhabe an politischem Handeln zu ermöglichen. Die öffentliche Agenda müsse für verschiedene gesellschaftliche Gruppen gestaltbar sein.33 ‚ S c h e i n ö f f e n t l i c h k e i t‘ v s . ‚ G e b r a u c h s w e r t e i g e n s c h a f t ‘. In der Kritik von Habermas’ Festhalten an der Norm der bürgerlichen Öffentlichkeit als Modell einer kritischen Öffentlichkeit treffen sich Oskar Negt und Alexander Kluge mit Nancy Fraser. Während Habermas das Problem in der Degeneration und also in der Abweichung von der Norm der bürgerlichen Öffentlichkeiten sieht, stellen Fraser (aus der Perspektive einer feministischen und multipel fragmentierten Öffentlichkeit) und Negt/Kluge (aus der Perspektive einer proletarischen Öffentlichkeit) dieses Konzept als Norm grundsätzlich in Frage. Oskar Negt und Alexander Kluge wenden sich schon weit früher als die amerikanische kritische Rezeption von Habermas in ihrer 1972 erschienenen Schrift Öffentlichkeit und Erfahrung. Zur Organisationsanalyse von bürgerlicher und proletarischer Öffentlichkeit konsequent kritisch gegen die Kantische Basisversion der bürgerlichen Öffentlichkeit. Kant schließe wesentliche Bereiche der gesellschaftlichen Wirklichkeit aus und schneide partikulare Interessen ab, die Teil der empirischen Erfahrung darstellen. Letztlich bleibe Kants Konzeption der Vision einer ‚Gelehrtenrepublik‘ verhaftet: „Es gibt keine empirische Erfahrung, die diesen Begriff der Öffentlichkeit ausfüllt, es sei denn der Verkehr der Wahrheitsliebhaber untereinander.“34 Die bürgerliche Öffentlichkeit grenze substantielle Lebensinteressen aus und beanspruche dennoch gleichzeitig, das Ganze zu repräsentieren.35 Dem Ausgrenzungsmechanismus der bürgerlichen Öffentlichkeit müsse notwendig ein integratives Modell von Öffentlichkeit entgegengesetzt werden, welches „gerade den Konflikt und die Organisierung der von ihm ausgehenden Erfahrung als Integrationsmechanismus einer alle Gesellschaftsglieder umfassenden, aufhebenden und niemals ausgrenzenden Öffentlichkeit“36 denken könne. Gerade der von Habermas formulierte Anspruch eines „Konsens über das im allgemeinen Interesse praktisch Notwendige“ 37 müsse Differenzen wegwischen und unterdrücken.38 Die so bestimmte bürgerliche Gesellschaft, die sich wesentlich über den 33

34 35 36 37 38

Nancy Fraser, „Rethinking the Public Sphere“, 129. Unverkennbar ist hier die Differenz in der Demokratieerfahrung von Fraser und Habermas. Während bei Habermas die nationalsozialistische Diktatur als totalisierter Erfahrungshorizont die Forderung nach einer starken Trennung von Staat und Gesellschaft befördert, spricht aus dem Konzept Frasers’ das Vertrauen in den Staat als Entscheidungsträger, der empfänglich und durchlässig bleibt für den demokratischen Diskurs. Oskar Negt u. Alexander Kluge, Öffentlichkeit und Erfahrung. Zur Organisationsanalyse von bürgerlicher und proletarischer Öffentlichkeit, Frankfurt a. M. 1972, 32, Anm. 19. Vgl. Oskar Negt u. Alexander Kluge, Öffentlichkeit und Erfahrung, 11. Oskar Negt u. Alexander Kluge, Öffentlichkeit und Erfahrung, 32, Anm. 19. Jürgen Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, 153. Nancy Fraser weist hier auf die Ironie hin, die diesem Paradox unterliegt, Nancy Fraser, „Rethinking the Public Sphere“, 115: „There is a remarkable irony here, one that Habermas’s account of the

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besitzenden Stand definiere, schließe gleichzeitig Frauen, Kinder, Nicht-Gebildete und Nicht-Besitzende von der Diskursmacht über den „Konsens“ aus. So führe dieser scheinbar demokratische Vorgang einer Konsens-Bildung zu einer hegemonialen Machtposition. Laut Negt/Kluge ist die Idee eines gesamtgesellschaftlichen Konsens’ grundsätzlich unvereinbar mit der Realität der Klassengesellschaft, die Beschwörung einer solchen „gesamtgesellschaftlichen Synthese“ bedürfe einer massiven Ausblendung der Wahrnehmung und führe zur „Scheinöffentlichkeit“: Dem mangelnden bürgerlichen Interesse an substantieller lebendiger Öffentlichkeit entspricht ein erhebliches Bedürfnis nach einer Öffentlichkeit, die eine gesamtgesellschaftliche Synthese darstellen soll. Es ist das Bedürfnis nach Identität, nach Darstellung der Gesellschaft als Ganzer, als ‚Gemeinschaft‘. Eine solche Synthese kann es jedoch in einer Klassengesellschaft nicht geben, und sie hat auch innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft bisher nicht existiert. Deshalb kann man in diesem Zusammenhang nur von Scheinöffentlichkeit sprechen.39

Der Gegenbegriff zur „Scheinöffentlichkeit“ sei die „Gebrauchswerteigenschaft,“40 welche vom jeweiligen Klasseninteresse, vom je spezifischen Verhältnis zwischen einem besonderen Interesse und dem Ganzen der Gesellschaft abhänge.41 Um zu einem erfahrbaren Begriff von Öffentlichkeit zu gelangen, müssten daher die Mechanismen von jeweils spezifischer Öffentlichkeit zentral gesetzt werden, um den konkreten „Gebrauch von Öffentlichkeit“42 zu bestimmen. Es könne nicht darum gehen, ein Ideal und dessen Degeneration von Öffentlichkeit zu bestimmen, sondern vielmehr darum, „die Idealgeschichte und die Zerfallsgeschichte der Öffentlichkeit auf ihre identischen Mechanismen hin zu untersuchen.“43 Die Diskurskritik der Öffentlichkeit werde so zur Basis einer erfahrungsrelevanten Analyse. Die Konsequenz einer solchen erfahrungsgeleiteten Öffentlichkeits-Untersuchung muss der Wechsel auf die Mikroperspektive konkurrierender Öffentlichkeiten sein. Die jüngere Geschichtsschreibung über die Zeitperiode, in der sich die bürgerliche Öffentlichkeit nach Habermas herausgebildet hat, und die politische Theorie kommen daher zu einem differenzierteren Bild.44 Immer schon habe es eine Pluralität von konkurrierenden Öffentlichkeiten gegeben, deren Beziehungen untereinander von Konflikten geprägt war. Man darf diese konkurrierenden Öffentlichkeiten nicht nur als Derivate der bürgerlichen Öffentlichkeit betrachten, sondern muss sie in ihren spezifischen Öffent-

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rise of the public sphere fails fully to appreciate. A discourse of publicity touting accessibility, rationality, and the suspension of status hierarchies is itself deployed as a strategy of distinction.“ Oskar Negt u. Alexander Kluge, Öffentlichkeit und Erfahrung, 134f. Vgl. Oskar Negt u. Alexander Kluge, Öffentlichkeit und Erfahrung, 20: „Die Öffentlichkeit besitzt dann Gebrauchswerteigenschaft, wenn sich in ihr die gesellschaftliche Erfahrung organisiert.“ Vgl. Oskar Negt u. Alexander Kluge, Öffentlichkeit und Erfahrung, 20, Anm. 5. Vgl. Oskar Negt u. Alexander Kluge, Öffentlichkeit und Erfahrung, 18. Oskar Negt u. Alexander Kluge, Öffentlichkeit und Erfahrung, 19f. Vgl. auch Nancy Fraser, „Rethinking the Public Sphere“, 116: „Virtually from the beginning, counterpublics contested the exclusionary norms of the bourgeois public, elaborating alternative styles of political behaviour and alternative norms of public speech.“

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lichkeitspraxen bestimmen. So genügt es weder auf der normativen noch auf der historischen Ebene von einer bürgerlichen Öffentlichkeit als dem Staat entgegensetztes kritisches Diskursfeld auszugehen. Nur eine differenzierte Perspektive auf die Ausgrenzungsmechanismen der angenommenen Norm sowie auf die historisch konkurrierenden Öffentlichkeiten mit ihren jeweils spezifischen Akteuren führt zu produktiven Analyseergebnissen. Ö f f e n t l i c h k e i t i m S y s t e m . Auch Niklas Luhman sieht den Habermas’schen normativen Zugriff auf Öffentlichkeit problematisch. Allerdings ist von ihm kein politischer oder diskursiv postmoderner Ansatz zu erwarten. Als Gegenentwurf vertritt Niklas Luhmann einen systemtheoretischen Ansatz, der sich im Wesentlichen auf die Funktion öffentlicher Kommunikation als Reduzierung von Komplexität im politischen System beruft. In historischer Hinsicht benennt Luhmann zunächst die „Neutralisierung von Rollenanforderungen,“46 welche der Diskurs im öffentlichen Raum verspricht. So lasse sich der öffentliche Diskurs auf der antiken Agora als ein Disput unter Gleichen ohne Ansehen der Herkunft und des sozialen Status idealisieren. Genau diese Idee stehe hinter dem Öffentlichkeitskonzept des Liberalismus, das nach Luhmann für das Verstehen des politischen Systems zu kurz greife: Öffentliche Meinung kann dann allenfalls die Funktion haben, die ihr der Liberalismus zuschreibt, nämlich Kritik und Kontrolle von Herrschaft; und sie bleibt, so verstanden, als eine nicht auf Rollen zu bringende Gegenmacht von vornherein unterlegen. Selektion erscheint in dieser Blickrichtung dann ohne Rücksicht darauf, daß sie sowieso erfolgen muß, als Repression.47

So denkt auch Luhmann, dass die strikte Trennung des Gesellschaftsbereiches von der politischen Staatsmacht die kritische Funktion von Öffentlichkeit aushebelt und unwirksam werden lässt. Er lenkt jedoch den Blick vom Problem der Herrschaftsausübung weg und hin auf das Verhältnis von Struktur und Prozess: Öffentliche Meinung kann den Herrscher nicht beherrschen und auch nicht ersetzen. Sie kann ihm vorschreiben, wie er herrschen solle. Ihr Verhältnis zur Herrschaftsausübung ist kein Ver45

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Als wegweisend gilt hier Günther Lottes Analyse des Londoner Jakobinismus am Ende des 18. Jahrhunderts, vgl. Günter Lotte, Politische Aufklärung und plebejisches Publikum, München 1979, 110: „Die Entstehung der plebejischen Öffentlichkeit bezeichnet mithin eine spezifische Phase in der historischen Entwicklung des Lebenszusammenhangs der klein- und unterbürgerlichen Schichten. Sie ist einerseits eine Variante der bürgerlichen Öffentlichkeit, weil sie sich an ihrem Vorbild orientiert. Anderseits ist sie mehr als das, weil sie das emanzipatorische Potential der bürgerlichen Öffentlichkeit in einem neuen sozialen Kontext zur Entfaltung bringt. Die plebejische Öffentlichkeit ist gewissermaßen eine bürgerliche Öffentlichkeit, deren soziale Voraussetzungen aufgehoben sind.“ Vgl. Niklas Luhmann, „Öffentliche Meinung“, in Politische Vierteljahresschrift, 11. Jg., Heft 1, März 1970, 2–28, 17: „Ins Soziologische übersetzt besagt Öffentlichkeit soviel wie Neutralisierung von Rollenanforderungen, die aus engeren Teilsystemen der Gesellschaft stammen, damit auch eine Lockerung, wenn nicht Aufhebung der Selbstbindungen, die der einzelne durch Verhalten in engeren Systemen eingegangen ist.“ Niklas Luhmann, „Öffentliche Meinung“, 27.

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Gesellschaft und Öffentlichkeit hältnis von Ursache und Wirkung, sondern ein Verhältnis von Struktur und Prozeß. Ihre Funktion liegt nicht in der Durchsetzung des Willens – des Volkswillens, jener Fiktion des schlichten Kausaldenkens –, sondern in der Ordnung von Selektionsleistungen.48

Für Luhmann hat die öffentliche Meinung die Funktion einer flexiblen (in seinen Worten: „labileren“) Führungsgröße zur Grenzsetzung von Politik. Da Politik wesenhaft kontingent sei, so führe die öffentliche Meinung als „vorübergehend verfestigte Ansicht des Richtigen“49 zu einer Reduktion des politisch Möglichen. In diesem Sinne ‚profanisiere‘ sich die Funktion der öffentlichen Meinung, sie sei nurmehr „gleichsam substantivierte politische Kontingenz – ein Substantiv, dem man die Lösung des Problems der Reduktion der Beliebigkeit des rechtlich und politisch Möglichen anvertraut.“50 Die Konsequenz dieses systemtheoretischen Ansatzes ist, nicht die inhaltliche Norm in der Analyse kritisch zu beobachten, sondern das Zusammenspiel von Prozessen der Themensetzung und dem Entscheidungsbedarf der Gesellschaft: Nicht an der Form der Meinungen – ihrer Allgemeinheit und kritischen Diskutierbarkeit, ihrer Vernünftigkeit, Konsensfähigkeit, öffentlichen Vertretbarkeit – ist die Funktion der öffentlichen Meinung abzulesen, sondern an der Form der Themen politischer Kommunikationen, an ihrer Eignung als Struktur des Kommunikationsprozesses. Und diese Funktion besteht nicht in der Richtigkeit der Meinungen, sondern in der Unsicherheit absorbierenden, Struktur gebenden Leistung von Themen. Daher ist auch nicht die inhaltliche Generalisierung der individuellen Meinung auf allgemeine, für alle Vernünftigen akzeptierbare Formeln das Problem, sondern die Anpassung der Themenstruktur des politischen Kommunikationsprozesses an den jeweiligen Entscheidungsbedarf der Gesellschaft und ihres politischen Systems.51

Hier könnte man wiederum anknüpfen an das von Fraser beschriebene ‚agenda setting‘ über die Durchdringung von ‚private matters‘ und ‚public concerns‘. Eine Systemanalyse könnte hier darüber Aufschluss geben, wie ein Thema zur öffentlichen Meinung und somit in einen politisch relevanten Topos transformiert wird. Letztlich ließe sich auch Negt/Kluges Forderung nach „Gebrauchswerteigenschaft“ von Öffentlichkeit an die Luhmannsche „Anpassung der Themenstruktur […] an den jeweiligen Entscheidungsbedarf einer Gesellschaft“52 ankoppeln. So gesehen verliert Luhmanns systemtheoretischer Entwurf viel von der ihm grundsätzlich unterstellten „gewissen zynischen Distanz, die sich auf die Beschreibung qualitativ nicht gefüllter Systemoperationen zurückzieht,“53 wie Andreas Gestrich es formuliert. Während Gestrich jedoch den Zusammenschluss von Luhmann mit Habermas und dessen Verteidigung einer „vernunftbasierte[n] kommunikative[n] Vergesellschaftung“54 für wichtig erachtet, erscheint es für den Zusammenhang meiner Studie zentral, die Verkoppelung von Systemtheorie 48 49 50 51 52 53 54

Niklas Luhmann, „Öffentliche Meinung“, 27. Niklas Luhmann, „Öffentliche Meinung“, 4. Ebd. Niklas Luhmann, „Öffentliche Meinung“, 9f. Niklas Luhmann, „Öffentliche Meinung“, 11. Andreas Gestricht, „Jürgen Habermas’ Konzept der bürgerlichen Öffentlichkeit“, 39. Andreas Gestricht, „Jürgen Habermas’ Konzept der bürgerlichen Öffentlichkeit“, 39.

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(Luhmann) und normativer Öffentlichkeitskonzeption (Habermas) unbedingt in den Zusammenhang mit der Kritik von Fraser und Negt/Kluge zu setzen, um die Funktionsweisen, Ausgrenzungsmechanismen und die spezifischen Akteure von Öffentlichkeit differenziert in den Blick zu bekommen. D i e h i s t o r i s c h e Ö f f e n t l i c h k e i t s s i t u a t i o n v o n T h e a t e r . Das historische Konzept der bürgerlichen Öffentlichkeit, wie es Jürgen Habermas entwickelte, ist eine wichtige Bezugsgröße auch in der detaillierten Analyse von Theateröffentlichkeit in der Zeit zwischen 1800 und 1850.55 Welche Rolle spielten das Theater und theatrale Formen in der Emanzipationsbewegung des Bürgertums? Die zeitgenössischen Publikationen zu Dramen- und Theatertheorie zeugen von einer engen Verbindung der literarischen bürgerlichen Öffentlichkeit zum Theater. Darüber hinaus gab es eine Verbindung der Entwicklung von privater Eignerschaft großer städtischer Bühnen und dem erstarkten Kapitalinteresse des Bürgertums, das ja nach Habermas die Basis für eine bürgerliche Öffentlichkeit bildet. Die relative neue Betriebsform ‚Privatbühne‘ als stehende und große Institution einer städtischen Kultur stellte die lokalen und staatlichen Autoritäten vor das Problem, dass hier eine öffentlich agierende Struktur in privatem Besitz stand und somit die Zugriffsmöglichkeiten auf Diskurskontrolle und Öffentlichkeitslenkung völlig neu bestimmt werden mussten. Darüber hinaus waren diese neuen Bühnen abgekoppelt vom repräsentativen Bedürfnis des Hofes. Sie standen für die symbolische Prachtentfaltung der politischen Macht des Hofes nur noch mittelbar zur Verfügung. Hinzu kam in dieser Zeit eine Neukonzeption des Staatsverständnisses, wie es sich etwa in Bayern durch die Formung eines Flächenstaates und mit der Trennung von Dynastie und Staat anschaulich herausbildet.56 Durch ihre wechselhafte Finanzierungs- und Verwaltungsgeschichte kann man das Isarthor-Theater in München sowie das Königstädtische Theater in Berlin als typisch für diese Entwicklung betrachten. Das staatliche und königliche Handeln stand bei beiden Theaterinstitutionen unter dem Zeichen einer Balance zwischen Förderung bürgerlicher Emanzipationstendenzen und dem Anspruch auf Öffentlichkeitskontrolle. Die kritische Rezeption der ‚bürgerlichen Öffentlichkeit‘ nach Habermas hat jedoch gezeigt, dass es für eine aufschlussreiche Analyse konkreter historischer Situationen von Öffentlichkeit wichtig ist, die konkurrierenden Öffentlichkeiten des betreffenden Zeitgeschehens darzustellen und die Ausschlussmechanismen der aufklärerischen Norm 55

56

Vgl. hierzu den Vorschlag Geoff Eleys, das Modell der Aufklärung als Bezugspunkt zu nehmen und dennoch darüber hinaus zu einer differenzierten Analyse von verschiedenen Öffentlichkeitspraxen und -formen zu gelangen; Geoff Eley, „Nations, Publics, and Political Cultures. Placing Habermas in the Nineteenth Century“, in Craig Calhoun, Habermas and the Public Sphere, 289– 339, 304f: „But we can see such a movement as in one sense ‚a child of the eighteenth century‘, and therefore bound by dominant model and at the same time acknowledge its historical specificity and autonomous forms of expression.“ Vgl. Kap. 5, 223f.

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von bürgerlicher Öffentlichkeit offen zu legen. Die Konsequenz wäre dann, die öffentliche Sphäre eher als einen Raum zu begreifen, in dem eine kulturelle und ideologische Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Öffentlichkeiten stattfinden kann, denn als ein allein von der bürgerlichen Gesellschaft besetztes Aktionsfeld.57 Das Bestreben, Formen und Praxen von Öffentlichkeit herauszuarbeiten und dabei die empirische Wirklichkeit der Beteiligten als ‚Erfahrungsdimension‘ gelten zu lassen, erscheint im Prinzip als illusorisches Unterfangen bei einer historischen Analyse. Die Konsequenz dieser Erkenntnis kann jedoch nicht sein, es bei einer reinen Rechts- und Politikgeschichte zu belassen und nur die Zensurerlasse, Pressegesetze und Institutionsstruktur zu referieren. Trotz der Abkehr vom Bemühen um eine exakte Rekonstruktion der historischen Wirklichkeit, bleibt dennoch der Versuch, in meiner Studie, eine politische und gesellschaftliche Struktur ‚in Aktion‘ zu zeigen und an den ausgesuchten Fällen Spuren einer Performanz von Öffentlichkeit darzustellen. D i e K r i s e a l s A u s g a n g s p u n k t . Negt/Kluge stellen die Herausbildung einer proletarischen Öffentlichkeit in den Zusammenhang mit der politischen Krise: Geschichtliche Bruchstellen – Krisen, Krieg, Kapitulation, Revolution, Konterrevolution – bezeichnen konkrete Konstellationen gesellschaftlicher Kräfte, in denen sich proletarische Öffentlichkeit ausbildet, da sie als herrschende Öffentlichkeit nicht existiert, muß man sie aus diesen Brüchen, Grenzfällen, punktuellen Ansätzen rekonstruieren.58

Ich möchte hier im Rückgriff auf das pluralistische Öffentlichkeitsmodell von Fraser und anderen soweit gehen, zu behaupten, dass die Bedingungen von Öffentlichkeit überhaupt anhand von gesellschaftlichen Umbruchsituationen, von politischen und gesellschaftlichen Krisen sichtbar und erfahrbar werden. Das gilt auch für die bürgerliche Öffentlichkeit, die erst mit den Krisen der französischen Revolution und der Napoleonischen Kriege sowie deren Einfluss auf die sozio-politische Umgestaltung Europas überhaupt den Status eines zu reflektierenden Topos und eines politischen Ziels erlangt. In der gesellschaftlichen und politischen Krise scheint sich ein Operationsfeld für alternative Öffentlichkeiten zu öffnen, wie etwa die Straßenöffentlichkeit in Revolutionszeiten. Wenn man nun in der Hinsicht auf die Ereignis-Situation eine gewisse Verwandtschaft von Straßenöffentlichkeit und Theater sieht, dann ist diese Annahme auch für Theater in der Revolution relevant. In der Folge kann es in diesem ‚Operati57

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Vgl. Geoff Eley, „Nations, Publics, and Political Cultures“, 306; und auch Tobias Liesegang, Öffentlichkeit und öffentliche Meinung. Theorien von Kant bis Marx (1780–1850), Würzburg 2004, 51f.: „Mit der Pluralisierung historischer Öffentlichkeitsformen, die im Kräftefeld verschiedener gesellschaftlicher Gruppen und dem Staat agieren, einer sich früh ausdifferenzierenden literarischen Öffentlichkeit, den antagonistischen Kräften der bürgerlich-kapitalistischen Entwicklung in Deutschland, der Strukturlogik und dem damit zusammenhängenden konstitutiven Ausschluss von Personengruppen sind die Faktoren benannt, welche die historische Konkretion von Öffentlichkeit dominieren.“ Oskar Negt u. Alexander Kluge, Öffentlichkeit und Erfahrung, 7.

Die Regulierung von Öffentlichkeit

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onsfeld‘ zu einer Umverteilung der Teilhabe und einer Neubestimmung der Bedingung von Öffentlichkeit kommen. Wenn man nun die Einführung von neuen Medien ebenso als gesellschaftliche Krise betrachtet, so ist die Phase deren Implementierung ebenso offen für derartige Transformationen. In meinen historischen Analysen möchte ich den Topos der Krise als Ausgangspunkt nehmen. Es genügt allerdings nicht, sich auf der zeithistorischen Folie des allgemeinen Krisenpotentials (politische Krisenphase, mediale Umschwünge) zu bewegen, vielmehr möchte ich in meinen Einzelanalysen konkrete Krisenmomente des Theaters oder auch im Zusammenhang mit Theater herausarbeiten, und deren situierte Konfiguration von Öffentlichkeit näher bestimmen. Dass es notwendig ist, eine Strukturanalyse von Öffentlichkeit mit dem Blick auf systemische Zusammenhänge zu verbinden, wird deutlich, wenn man sich die Rolle der deutschen Zensurpolitik in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vor Augen hält. Habermas überblendet die Zensurpolitik mit Repressionsmaßnahmen von Seiten der Staatsgewalt und stellt seine Norm der „bürgerlichen Öffentlichkeit“ dazu in Opposition. Zensur ist dann Verhinderung von kritischer Öffentlichkeit und kann als eigenes Teilsystem der öffentlichen Kommunikation nicht in den Blick kommen. Um so wichtiger erscheint es daher, auch Luhmanns Ansatz zu reflektieren und somit die Möglichkeit zu eröffnen, die Funktion der Zensur in einen systemischen Zusammenhang mit öffentlicher Kommunikation zu stellen. Die Konsequenz daraus ist, dass man Zensur nicht nur als Verhinderung von Öffentlichkeit verstehen, sondern Zensurpolitik auch zugleich als den Versuch einer Staatsgewalt begreifen kann, öffentliche Meinung im politischen System zu verankern und anzuleiten.59 In diesem Sinne wird im Folgenden die Regulierungsgeschichte von Öffentlichkeit in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts diskurskritisch dargelegt.

2.2

Die Regulierung von Öffentlichkeit

Der politische Journalismus erhielt in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts einen deutlichen Entwicklungsschub. Nach 1770 maßen auch die aufblühenden literarischen Zeitschriften der politischen Berichterstattung eine neue Bedeutung bei. Christoph Martin Wieland etwa, der sich durch seine schriftstellerische Tätigkeit in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts einen ausgezeichneten Ruf erarbeitet hatte, gründete 1773 seine

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Maria Sommer etwa erläutert das Interesse der Berliner Theaterleute an einer Wiedereinführung der Theaterzensur nach 1848, um der Polizeiwillkür zu begegnen. Diese Situation der ‚Rechtsunsicherheit‘ beendete der Polizeipräsident Hinkeldey mit seiner berühmt-berüchtigte Polizeiverordnung vom 10. Juli 1851, die bis 1919 als Grundlage der Theaterzensur in Preußen und Deutschland gelten sollte. Vgl. Maria Sommer, „Die Einführung der Theaterzensur in Berlin“, in Kleine Schriften der Gesellschaft für Theaterwissenschaft, Heft 14, Berlin 1956, 32–42.

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populäre Zeitschrift Der Teutsche Merkur (1773–1789) und kündigte im Vorwort des ersten Heftes an, es werde „von den Politischen Begebenheiten in Europa […] das Neueste und Wichtigste in einer zusammenhängenden Erzählung jederzeit einen besonderen Artikel des letzten Stücks eines jeden Bandes einnehmen.“61 Wieland selbst setzte sich auch in längeren Beiträgen im Nachfolge-Organ Der Neue Teutsche Merkur (1790– 1810) immer wieder aktuell mit der Französischen Revolution und deren politischen Konsequenzen auseinander.62 Im Nachgang der Französischen Revolution wurde der Zusammenhang von expansiver Presseentwicklung63, öffentlicher Meinungsäußerung und Volksbewegung von den europäischen Mächten misstrauisch beobachtet. Zwischen 1815 und 1820 wurden die entscheidenden politischen Weichen für eine Regulierung64 der Öffentlichkeit gestellt, welche bis 1848 die Medien Presse und Theater in eine grundsätzlich prekäre, der Strafverfolgung permanent ausgesetzte Lage brachten. Es kann an dieser Stelle nicht um eine ausführliche Darlegung der politischen Lage gehen, welche zum konkreten Ergebnis der Karlsbader Beschlüsse 1819 führte. 65 Hier sollen exemplarisch einige wesentliche Schriftstücke dieser Phase diskutiert werden, welche den historischen Horizont der Öffentlichkeitspolitik umreißen. Der Diskurs der Zeit bezüglich der Pressefrage war charakterisiert von dem Versuch einer Funktionsbestimmung von Medien in der Gesellschaft und der Reflexion über eine mögliche Einflussnahme auf deren Verbreitung – also über eine Regulierung der Öffentlichkeit in einem umfassenden Sinne. Die großen Themen waren hier: die Bildungsfunktion von Presse und Theater, die Professionalisierung der Journalisten und Öffentlichkeits-Akteure, die potentielle Bedrohung durch mediale politische Agitation, die Ausbreitung der medialen Kommunikation in mittleren und unteren Bevölkerungs-

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Bd. 1, 1773, figurierte unter dem Titel Der Deutsche Merkur, ab Bd. 2 wechselte Wieland die Schreibweise in Der Teutsche Merkur. Christoph Martin Wieland, „Vorrede des Autors“, in Der Deutsche Merkur, Bd.1, 1773, III–XIII, VIII. Zu Christoph Martin Wielands dort formulierten Konzeption von Öffentlichkeit siehe ausführlich Kap. 2.3, 79–86. Zur Entwicklung der politischen Zeitungen und Zeitschriften siehe einschlägig Hans Erich Bödeker, „Journals and Public Opinion. The Politicization of the German Enlightenment in the Second Half of the Eighteenth Century“, in Eckhart Hellmuth (Hg.), The Transformation of Political Culture. England and Germany in the Late Eighteenth Century, Oxford 1990, 423–445. „Regulierung“ meint hier den Versuch der umfassenden Einflussnahme auf die Aktivitäten in der öffentlichen Sphäre. Dieser Begriff ermöglicht es, eine polarisierende Darstellung von Pressepolitik zu vermeiden. Seit etwa Mitte der 1990er Jahre gibt es Bemühungen um eine differenzierte Darstellung von Regulativen; vgl. hier etwa Richard Kohnen, Pressepolitik des Deutschen Bundes. Methoden staatlicher Pressepolitik nach der Revolution von 1848, Tübingen 1995, insbes. 175–181. Für eine detaillierte Darstellung der politischen Vorgeschichte und Konsequenzen der Karlsbader Beschlüsse ist etwa einschlägig Franz Schneider, Pressefreiheit und politische Öffentlichkeit. Studien zur politischen Geschichte Deutschlands bis 1848, Neuwied a. Rh. u. Berlin 1966, insbes. 243–274.

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schichten. Die staatlichen Obrigkeiten forderten von ihren ‚Medienexperten‘ Argumente für ihre politischen Interessen im Feld der genannten Themenbereiche. M e d i e n e x p e r t e n . Josef von Sonnenfels, der große Verwaltungs- und Politikwissenschaftler, Zensurpolitiker, Theaterreformer und Wiener Aufklärer, beschrieb in seiner 1817 posthum erschienenen Schrift „Ueber öffentliche Sicherheit oder von der Sorgfalt, die Privatkräfte gegen die Kraft des Staates in einem untergeordneten Verhältnisse zu erhalten“ öffentliche Äußerungen als Symptome der Volksstimmung, die von der Staatsmacht genauestens registriert und analysiert werden sollten: Die Unordnungen und Krankheiten der politischen Körper haben sowohl als die physischen ihre Zeichenlehre: und es ist nicht wohl möglich, daß grössere Volksbewegungen plötzlich ausbrechen sollten, ohne daß Zeichen voraus gegangen wären, die entweder schon eine Art von Vorbereitung sind, oder wenigstens gleich dem Rauche zunächst die Brunst ankündigen. Solche Zeichen sind: Pasquille gegen den Regenten, gegen das Ministerium; öffentlicher Tadel der Regierung und ihrer Vorkehrungen; die Unruhestifter bearbeiten das Volk, um das revolutionäre Kunstwort zu gebrauchen, durch gemiethete Volkssprecher, oder von dem Predigtstuhle, von der Schaubühne, in Flugblättern und Klebschriften.66

Sonnenfels verstand öffentliche Meinungsäußerungen und politisierende Verbreitungsmedien quasi als ‚Ausschlag am Volkskörper‘, der erst einmal der Beobachtung aber weniger des ‚ärztlichen Eingriffs‘ bedurfte. Das Theater wurde dabei selbstverständlich gleich geordnet mit der politischen Rede, der Predigt, Flugblättern und öffentlichen Anschlägen. Im Fokus stand dabei das Pasquill – die Schmähschrift –, das von Sonnenfels als die politisch einschlägigste Medienform betrachtet wurde. Er sah jedoch keinen direkten, die Öffentlichkeit regulierenden Handlungsbedarf, sondern konstatierte einen Nutzen des Pasquills: In seiner schonungslosen Kritik enthalte es sich jeder „Schmeicheley“ und könne so den Regenten über Mißstände aufklären.67 Erst „wenn die Lage der Umstände“ es erfordere, solle der Verfasser ermittelt und „nach den Gesetzen“ zur Strafe gezogen werden.68 Sonnenfels’ Beurteilung der ‚Medienszene‘ erscheint hier wie eine anachronistische Meldung aus einer vergangenen Welt. Das Pasquill war auch zur Zeit des Erscheinens seiner Schrift im Vergleich zur politischen Tagespresse eine eher konventionelle Medienform. Es spielte zwar als illegale Alternative zur Presse insbesondere in den Hochzeiten der Zensurrepression immer noch eine gewisse Rolle, konnte aber in Reichweite und politischer Bildungsmacht der Tagespresse nicht das Wasser reichen.69 Sonnenfels 66 67 68 69

Joseph von Sonnenfels, Ueber öffentliche Sicherheit, oder von der Sorgfalt, die Privatkräfte gegen die Kraft des Staats in einem untergeordneten Verhältnisse zu erhalten. Ein Nachlaß, Wien 1817, 46. Vgl. Joseph von Sonnenfels, Ueber öffentliche Sicherheit, 48. Vgl. Joseph von Sonnenfels, Ueber öffentliche Sicherheit, 50. Vgl. zur Entwicklung der politischen Presse zu Beginn des 19. Jahrhunderts etwa Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 1, München 31995, 306f; Heinz-Dietrich Fischer, Handbuch der politischen Presse in Deutschland 1480–1980, Düsseldorf 1980. Siehe auch meine kurze Zusammenfassung in Kap. 4.1, 140f.

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hatte hier offensichtlich eine Medienentwicklung verpasst, die dagegen von den ‚Medienexperten‘ des Deutschen Bundestages sehr genau verfolgt wurde. Dennoch zitierte einer davon, der Herzoglich Holstein-Oldenburgische und Fürstlich Schwarzburgische Gesandte Günther Heinrich von Berg70, der zur Vorbereitung von bundesdeutschen Pressegesetzen ein Überblicksreferat zu den bisherigen Regelungen in den verschiedenen Ländern des Deutschen Bundes erstellte, Sonnenfels ausführlich als Gewährsmann71. Man kann davon ausgehen, das Berg sich zum einen aus taktischen Gründen gegenüber der österreichischen Staatsmacht auf diesen wichtigen Aufklärer und Verwaltungspolitiker des österreichischen Kaiserreiches bezog, zum anderen scheint es, dass für Berg die gemäßigt konservative Haltung Sonnenfels’ bei der Frage der Kontrolle und Repression von Öffentlichkeit als mittlerer Weg für den Bund vertretbar war. Dies könnte so aussehen: Grundsätzlich wird eine positive Entwicklung von Presse und Öffentlichkeit zugelassen, aber in Zeiten der politischen Unruhe sollen repressive Maßnahmen greifen. Im Folgenden möchte ich einige Schlaglichter auf die Entwicklung der Konzeption von Öffentlichkeitsregulierung des Deutschen Bundes zwischen 1815 und den 1840er Jahren72 werfen, die direkte Auswirkungen auch auf die Öffentlichkeit von Theater hatte. Nach einer offenen Phase der durchaus positiven Konzeptionierung von ‚PreßFreiheit‘ als Grundprinzip mit mehr oder minder starken Einschränkungen, kam nach dem Aachener Kongress Ende 1818 eine konservative Wende, nach welcher der politische Mord an August von Kotzebue am 23. März 1819 für die restaurativen Kräfte nunmehr günstige Voraussetzungen schuf, um ,staatstreichartig‘ repressive Maßnahmen politisch durchzusetzen: die Karlsbader Beschlüsse wurden nach ihrer eiligen Ratifizierung durch den Bundestag am 20. September 1819 für die nächsten 20 Jahre zur restriktiven Maßgabe der bundesdeutschen Öffentlichkeitspolitik. Erst in den 1840er Jahren zeichnete sich eine leichte Entspannung in der Kontrolle von Öffentlichkeit ab und nach der Märzrevolution wurden die Karlsbader Beschlüsse am 2. April 1848 aufgehoben. 70

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Günther Heinrich von Berg war Gesandter von Holstein-Oldenburg (wo er seit 1815 Präsident des Oberappellationsgerichts war) und auch von Schwarzburg-Sondershausen, das er nicht aus eigenem Nationalinteresse, sondern in Form eines politischen Mandats vertrat. So hatte er noch während des Wiener Kongresses das Fürstentum Schaumburg-Lippe als Regierungs-Präsident und zusätzlich das Fürstentum Waldeck vertreten. Diese Vertretungspolitik war für kleinere Staaten auch beim Regensburger Reichstag üblich gewesen. Zur Biographie von Günther Heinrich von Berg vgl. Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 2, Leipzig 1875, 363–364. „Vortrag des Herzoglich-Holstein-Oldenburgischen, Anhalt- und Fürstlich-Schwarzburgischen Gesandten, Herrn von Berg. Uebersicht der verschiedenen Gesetzgebungen über Preßfreiheit, besondern in Deutschland“, in Protokolle der deutschen Bundes-Versammlung, Einundfünfzigste Sitzung, 12. Oktober 1818, 601–645, 612f. Vgl. hierzu ausführlich Franz Schneider, Pressefreiheit und politische Öffentlichkeit; vgl. Ulrike Giese, „Studie zur Geschichte der Pressegesetzgebung, der Zensur und des Zeitungswesens im frühen Vormärz“, in Archiv für Geschichte des Buchwesens, hg. von der Historischen Kommission des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels e.V., Bd. 6, 1966, Sp. 341–546.

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Die massive staatliche Regulierung von Öffentlichkeit bestimmte das Bild der Restaurationszeit. Durch den Artikel 18 der Deutschen Bundesakte bestand seit 1815 die Handlungsaufforderung an den Frankfurter Bundestag, „gleichförmige Verfügungen über die Preß-Freiheit“73 zu beschließen. Während die beiden Großmächte Preußen und Österreich als Antipoden und als Kooperationspartner die gesamte politische Richtung der deutschen Bundesstaaten und auch deren Öffentlichkeitspolitik beeinflussten, sehen wir bei Bayern das Streben, sich als dritte Macht hervorzutun, um ein Gegengewicht zu etablieren. Bayern versuchte, sich in der frühen Phase des deutschen Bundes als Sprecher des so genannten ‚dritten Deutschland‘ zu profilieren. Es ging darum, eine Allianz der mittleren und kleineren Staaten zu schmieden, um gegenüber Österreich und Preußen insbesondere in der Verfassungsfrage74 Stärke zu gewinnen. J u s t i z - S y s t e m v s . P o l i z e i- S y s t e m . Berg begann sein Referat, das am 12. Oktober 1818 im Deutschen Bundestag gehalten wurde, mit der grundsätzlichen Feststellung eines unveräußerlichen Rechts des Menschen auf öffentliche Äußerungen: In dem Vermögen, zu denken und die Gedanken durch Worte auszudrücken, liegt das angeborne unveräusserliche Recht des Menschen, Andern seine Gedanken mitzutheilen, durch Austausch derselben sich aufzuklären, Lehre zu geben und Lehre zu empfangen; es liegt in diesem erhabenene Vorzug vor allen andern Geschöpfen die Pflicht, durch gegenseitige Mittheilung erlangter Einsichten und Kenntnisse das Band der menschlichen Gesellschaft zu befestigen und sie selbst immer mehr zu veredeln. Diese Pflicht schon fordert Oeffentlichkeit; und eben sie ist es, welche den Gebrauch jenes großen und heilsamen Rechts auf einen so bedeutenden und eigenthümlichen Standpunct erhebt, um so mehr erhebt, als eine Erfindung, welcher unter den wohlthätigsten die erste Stelle gebührt, das einfachste, leichteste und bequemste Beförderungsmittel eines allgemeinen Gedankenverkehrs darbietet. Hieraus geht nun die Preßfreiheit von selbst hervor: der Zweck aber, dem die Presse dienen soll, verbietet Zügellosigkeit und Frechheit.75

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Gesetz-Sammlung für die Königlich-Preußischen Staaten, 1818, Anhang, Nr. 23, 143–155, 153f: „Achtzehnter Artikel. […] 4° Die Bundes-Versammlung wird sich bei ihrer ersten Zusammenkunft mit Abfassung gleichförmiger Verfügungen über die Preß-Freiheit und die Sicherstellung der Rechte der Schriftsteller und Verleger gegen den Nachdruck beschäftigen.“ Die Deutsche Bundesakte hatte im Artikel 13 festgelegt: „In allen Bundesstaaten wird eine landständische Verfassung Statt finden“ (Gesetz-Sammlung, 1818, 150). Daraus folgte eine Auseinandersetzung über die Frage, ob dies im Sinne einer ‚altständischen‘ Politik, also der temporären Einberufung der Landstände durch den Regenten, etwa bei der Frage der Staatsverschuldung, oder im Sinne einer repräsentativen landständischen Verfassung, wie sie etwa Bayerns Verfassung vorsah, als institutionalisiertes repräsentatives Organ in Form eines ständigen Landtags auszulegen sei. Insbesondere in Preußen entzündete sich immer wieder der politische Protest an der ‚Nichteinlösung des Verfassungsversprechens.‘ Daher kam es nach Einberufung des allgemeinen Landtags 1847 zur innenpolitischen Krise, als der preußische Monarch sich weigerte, den Landtag in ein institutionalisiertes Organ zu überführen und die Landtagsabgeordneten im Gegenzug der neuen Staatsverschuldung für den Eisenbahnbau ihre Zustimmung verweigerten. „Vortrag des Herrn von Berg“, 603.

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Damit formulierte er einige wesentliche Grundprinzipien einer restaurativen Öffentlichkeits-Konzeption: 1) Öffentlichkeit, und damit auch Pressefreiheit sind nützlich für die allgemeine Aufklärung und Bildung, 2) die Presse muss diesem Zweck dienen und darf sich dabei keine ‚Frechheiten‘, keinen Exzess erlauben. Während Punkt 1 eine Vorlage bot, öffentliche Äußerungen in zu fördernde nützliche und zu unterdrückende unnütze zu unterteilen, so öffnete Punkt 2 das Tor für die flexibel zu handhabende Grenzbestimmung zwischen noch akzeptabler ‚Bescheidenheit‘ und nicht mehr zu tolerierender ‚Frechheit‘. Die Entscheidung über beide Felder der öffentlichen Äußerung musste allein in der Hand der staatlichen Autoritäten liegen. Während Ludwig Wieland, der Sohn des Literaten und Publizisten Christoph Martin Wieland,76 kritisch zu Berg eine radikal liberale Position zur Öffentlichkeit formulierte, publizierte der Metternich-Vertraute Friedrich von Gentz in dem regierungstreuen Forum der Wiener Jahrbücher der Literatur77 zur gleichen Zeit seine konservativen Ansichten zur Pressefrage. Wieland hatte im Januar 1819, nur drei Monate nach dem Referat Bergs im Bundestag, einen umfassenden Bericht und Kommentar zu Berg veröffentlicht.78 Bezeichnenderweise konnte er dies in Weimar drucken lassen, das noch von der Sächsisch-Weimarischen Pressefreiheit79 profitierte. Ludwig Wieland widersprach Berg entschieden und wollte Pressefreiheit explizit nicht durch den Bildungs- und Aufklärungsnutzen legitimiert wissen, sondern beharrte darauf, Pressefreiheit gehöre „zu dem angestammten Rechte jedes menschlichen Wesens, seine Gedanken zu äußern, und nach Möglichkeit zu verbreiten, insofern die Rechte Anderer nicht dadurch verletzt werden.“80 Pressefreiheit sei in diesem Sinne ein natürliches Recht 76

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Hier steht Wielands Sohn auch in Opposition zu seinem Vater, der zwar die öffentliche Meinung als wichtiges Element der politischen Kultur betrachtete, aber den jakobinischen Terror im Hinterkopf, die Verhinderung politischen Aufruhrs als Priorität setzte. Vgl. hierzu Kap. 2.3, 79–86. Friedrich von Gentz, „Preßfreiheit in England“, in Wiener Jahrbücher der Literatur, Bd. 1, Wien 1818, 210–255. In Auszügen abgedruckt in Giese (1966), Sp. 350–354. Vgl. Ludwig Wieland, „Bemerkungen über die vom Bundestagsabgeordneten Herrn von Berg vorgetragenen Uebersicht der verschiedenen Gesetzgebungen über Preßfreiheit besonders in Teutschland“, in Vorwärts! Flugschriften politischen und wissenschaftlichen Inhalts, Heft 1, Januar 1819, 3–66. Der Großherzog von Sachsen-Weimar versuchte dem Bund gegenüber seinen, einigen anderen Bundesstaaten verdächtigen, Grundsatz der Pressefreiheit zu behaupten, indem er parallel zu den Planungen zur Vereinheitlichung der Presseregulierungen, seine Position einer Zensurfreiheit bei konsequenter Strafverfolgung zu rechtfertigen suchte. Vgl. Protokolle der deutschen BundesVersammlung, 1818, Neunzehnte Sitzung, 20. April 1818, 205: „So einleuchtend dieß [öffentlicher Meinungsstreit als Folge von Zensurfreiheit] ist, so haben Wir doch häufig und mit Schmerz erfahren müssen, daß man die Consequenz Unserer Behörden in Aufrechthaltung des Grundsatzes der freyen Presse, als Bestandtheils der garantirten Verfassung des Landes, auf welche sie vereidet sind, mit Unwillen betrachtet, deren Motive verkannt und, ungeachtet des Bestrebens derselben, die Preßfrevel zu strafen, dennoch einen Mangel an Bereitwilligkeit, dem Unfug der Presse zu steuern, in den Vorschriften derselben hat zu finden geglaubt.“ Ludwig Wieland, „Bemerkungen“, 4.

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ungeachtet jeder funktionellen Ausdeutung und somit unveräußerbar. In dieser absoluten Sichtweise bleibe dem Staat keinerlei Definitionsmacht mehr über schlechte oder gute, nützliche oder schädliche Presse. So lehnte Wieland konsequenterweise auch die gerne gebrauchten Schlagworte „Zügellosigkeit“ und „Frechheit“ als unbrauchbare Bestimmungen von Presseexzessen ab.81 Gentz hingegen wandte sich gegen eine solche Bestimmung der Pressefreiheit als Naturrecht und setzt dem die Konzeption des Gesellschaftsvertrages entgegen. Sobald die gesellschaftliche Ordnung etabliert sei, könne von natürlichen Rechten nicht mehr die Rede sein: Ein gesellschaftliches Recht aber ist ohne Schranken so wenig denkbar, daß sogar der reine Begriff desselben von wechselseitiger Beschränkung der Freyheit abgeleitet werden muß. Das Recht, seine Gedanken durch Schrift und Druck zu verbreiten, hat demnach, wie jedes andere, seine Schranken. Im gesellschaftlichen, daß heißt, im einzig zuläßigen Sinne des Wortes, ist unbeschränkte Preßfreiheit ein Unding.82

Auch Wieland hätte sicher diesen Satz unterschrieben, da es ihm gar nicht darum ging, den einmal festgestellten ‚Naturzustand‘ der Pressefreiheit zu belassen, die einschränkende Regulierung als Vergesellschaftung dieses Rechtes stand außer Zweifel. Die Frage war allerdings, ob hierbei ein Polizei-System mit präventiven Restriktionen oder ein Justiz-System mit nachholender Strafverfolgung greifen sollte. Berg gab in seinem Referat eine genaue Definition beider Systeme. Das JustizSystem83 wurde folgendermaßen bestimmt: Jeder kann ungehindert drucken lassen, was er sich vor Gericht zu verantworten getraut, und wenn er wilkührliche Rechtsverletzungen durch Mißbrauch der Presse sich erlaubt; so muß er die Folgen sich gefallen lassen, welche die im Allgemeinen auf Vergehen oder Verbrechen, die durch Schriften verübt werden können, anwendbaren Gesetze bestimmt haben: er muß der gerichtlichen Untersuchung und der Beurtheilung zur gesetzlichen Strafe, zur Genugthuung und Sicherstellung für die Zukunft sich unterwerfen.84

Im Justiz-System gebe es keine Zensur oder andere spezifische Presse-Regulierungen und Kontrollen außerhalb der gesetzlichen Bestimmungen; die Akteure der Öffentlichkeit müssten sich vor keiner anderen Instanz als den Gesetzen und Gerichten verantworten. Das Polizei-System basiere hingegen auf dem Grundsatz, „daß es besser sey, Verbrechen und Vergehungen zu verhüten, als sie ungehindert entstehen lassen, und dann bestrafen.“85 Und diese Verhütung per Vorzensur werde von der Polizeibehörde besorgt, bevor es überhaupt zu einem Gesetzesverstoß der Presse kommen könnte. In der

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Ludwig Wieland, „Bemerkungen“, 4f. Friedrich von Gentz, „Pressefreiheit in England“, 211f. Hervorhebung im Original. Berg gab in seinem Referat an, dass etwa 1/3 der deutschen Bundesstaaten das Justiz-System etabliert hätten, vgl. „Vortrag des Herrn von Berg“, 628. „Vortrag des Herrn von Berg“, 605. „Vortrag des Herrn von Berg“, 628.

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Praxis könne hier nicht nur die Prävention, sondern auch die Sanktion von der Polizei vollzogen werden, wie es etwa in Preußen nach 1819 realisiert wurde.86 In beiden Systemen sollte es eine konsekutive Verantwortlichkeit von Autor, Verleger/Redakteur und Drucker geben, auch die Zensoren und Übersetzer seien für die Inhalte, die sie zulassen bzw. bearbeiten, zur Rechenschaft zu ziehen. Konsequenterweise steht auch der Schauspieler als mediale Vermittlungsinstanz in der Verantwortung, so Berg: Auch Schauspieler machen sich der Injurien mitschuldig, wenn sie Stücke aufs Theater bringen, welche dergleichen erweislich und unverkennbar gegen gewisse Personen enthalten.87

Die Frage der Verantwortlichkeit von Schauspielern war für die Staatsautoritäten nicht einfach zu beantworten, und auch eine Strafverfolgung bei der schauspielerischen Darstellung politisch oder sittlich anstößiger Stücke faktisch nicht durchführbar. So zeigte etwa die preußische Kontrollpraxis in den 1820er Jahren einen eher laxen Umgang mit Schauspielern bei Extemporier-Exzessen im Vergleich zur strengen Verfolgung von Dramenautoren bei textlichen Verstößen.88 Bei einem weiteren wichtigen Thema nahm Ludwig Wieland, der das Polizei-System strikt ablehnte, ebenfalls einen dezidiert oppositionellen Standpunk zu Berg ein: die Frage der ‚Reife‘ eines Volkes zur Preß-Freheit‘. Berg ging ganz in aufklärerischer Tradition von einer künftigen sittlichen Vervollkommnung des Menschen aus und stellte eine vollständige Pressefreiheit bei ihrem Eintreten in Aussicht: Wenn übrigens die Bildung eines Volkes so weit vorgerückt ist, daß auf der einen Seite wahre Preß-Mißbräuche so leicht nicht zu besorgen, und die Eindrücke, welche verwerfliche Schriften machen könnten, nicht zu fürchten sind; auf der andern Seite aber der freieste Geistesverkehr im wissenschaftlichen und im bürgerlichen Leben immer weitere Fortschritte hoffen läßt; so ist die Befreiung der Presse und des Buchhandels allerdings Pflicht.89

Die Ankoppelung der Pressefreiheit an eine zu erreichende ‚Bildungs-Reife‘ des Volkes erlaubte es natürlich, die Einschränkungen der Presse mit der Feststellung einer ‚Unreife‘ zu rechtfertigen. Da Ludwig Wieland die Presse-Freiheit als Naturrecht vollkommen von der Bildungsidee abkoppelte, unterlief er diesen Legitimationszusammenhang. ‚Reife‘ und ‚Entwicklung‘ machte er hingegen an der politischen Verfassung des Staates fest. Eine absolutistische Staatsmacht könne es sich, so Wieland, erlauben, die Öffentlichkeit zu fesseln. Eine repräsentative Staatsverfassung als ‚ausgereifte‘ Staatsform sei für ihn dagegen nicht mit der Unterdrückung der Presse vereinbar: Wo ein Recht noch nicht gefühlt oder erkannt wird, da ist dessen Nichtanerkennung von Seiten des Staates wenigstens verzeihlich. Wo dagegen der Begriff einer Volksvertretung gesetzlich festgestellt ist, und der Wunsch nach Rechtsbegründung die Unterrichteten vereinigt, da ste86 87 88 89

Vgl. auch die detaillierte Beschreibung der Polizei-Praxis im Zensur-Fall Maltitz, Kap. 4.2, 168–183. „Vortrag des Herrn von Berg“, 609. Vgl. Kap. 4.2, 185f., die Rolle der Schauspieler im Zensur-Fall Maltitz. „Vortrag des Herrn von Berg“, 631.

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hen, censurirte Zeitungen mit öffentlichen Landständen in geradem Widerspruch, und der Missgriff wird noch ärger, wenn man diesen Zustand der Bedrängniß und Heimlichkeit mit dem schönen Namen der Preßfreiheit überstreicht.90

Damit band Wieland die Frage der Kontrolle von Öffentlichkeit an die Verfassungsfrage – nämlich, ob der Art. 13 der Deutschen Bundes-Akte („In allen Bundesländern wird eine landständische Verfassung Statt finden“) im Sinne eines altständischen und temporären Landtags oder eines repräsentativen und ständigen Landtages auszulegen sei. Da er die Pressefreiheit im Justiz-System in Deutschland für unumgänglich hielt, stellte er implizit die Einführung repräsentativer Volksvertretungen außer Frage. In der solchermaßen entworfenen repräsentativen politischen Ordnung gäbe das freie Spiel der politischen Meinungen eine Gewähr für den friedlichen Ausgleich und der ‚kluge‘ staatliche Eingriff läge dann nur noch in der publizistischen Leitung, nicht in der vergeblichen Unterdrückung: Was die politischen Bewegungen betrifft, so ist Jeder, der Nachrichten oder Räsonnements scheuet, schon übel daran; sie unterdrücken wollen, ist vergeblich und verräth Schwäche oder Schuld; sie gehen lassen, vermindert durch den Mangel an Widerstand die Reibung; sie beobachten, und mit Hülfe der Publizität leiten, ist die Ansicht des Klugen und Einsichtsvollen.91

Wer einen richtigen Begriff von den Vorteilen der Publizität habe, würde „gerade von ihr die Beruhigung etwaiger Reibungen der Interessen, die häufiger unter den Dynastien, als unter den Völkern Statt finden, durch die Allseitigkeit der Erörterung erwarten.“92 Damit entwarf Wieland den politischen Idealfall einer sich selbst regulierenden medialen Meinungszirkulation, die jedoch vollkommen in Opposition zum Medienkonzept der restaurativen Staatsmächten stand. Berg schloss sein Referat mit einem Gesetzesvorschlag, der deutliche Züge des Justiz-Systems trug, eine präventive Zensur war grundsätzlich nicht vorgesehen, der Polizei wurde hier zunächst kein Spielraum eingeräumt. Der Bundestag formte nach dem Referat eine Kommission, welche konkrete Verordnungen auf Basis der Bergschen Informationen und Vorgaben erarbeiten sollte. Zu diesem Zeitpunkt stand die politische Ausrichtung dieser Verordnungen noch nicht fest, die Kommission wurde relativ ausgeglichen mit Gesandten von Staaten besetzt, welche ein Justiz- oder Polizei-System vertraten.93 Gleichzeitig formierten sich jedoch schon die restaurativ monarchischen Kräfte beim zwei Wochen zuvor eröffneten Aachener Kongress (29. September bis 21. November

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Ludwig Wieland, „Bemerkungen“, 18. Ludwig Wieland, „Bemerkungen“, 55. Ludwig Wieland, „Bemerkungen“, 57. Folgende Abgeordnete wurden ernannt: Graf von Buol-Schauenstein (Österreich, Polizei-System), Herr von Martens (Hannover, Polizei-System), Freiherr von Wangenheim (Württemberg, PolizeiSystem), ein Anhänger der Idee des ‚Dritten Deutschland‘, Freiherr von Berckheim (Baden, JustizSystem), Herr von Berg (Holstein-Oldenburg, dänische Krone, Justiz-System).

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1818) , um Maßnahmen gegen die revolutionär-demokratischen Bewegungen in Europa voranzutreiben. Während sich in Jena bei der Feier zum Jahrestag der Wartburgfeier und der Völkerschlacht die Allgemeine Deutsche Burschenschaft gründete und somit der politischen Bewegung der Studenten ein Sammlungsforum eröffnet wurde, kursierte auf dem Aachener Kongress das „Mémoire sur l’état actuel de l’Allemagne“95 von Alexandre de Stourdza, welches Deutschland als politischen Krisenherd identifizierte und drastische Gegenmaßnahmen zu potentiellen Unruhen empfahl. Eine Schlüsselstellung wurde hier den Zeitungen zugedacht, welche das Potential zu einer Erosion der politischen Ordnung bereithalten würden. [M]ercenaire par leur nature, arrogantes et hâtives, elles occasionnent peu de frais de talent à ceux qui les rédigent, peu de frais pécuniaires au lecteur; elles circulent avec une régularité si constante et si rapide, qu’on peut, à juste titre, les considérer comme des gouttes d’eau qui, se succédant sans relâche, finissent par creuser la pierre angulaire de l’édifice social.96

Der Einfluss der Denkschrift auf das politische Handeln der Großmächte im deutschen Bund ist nicht ganz geklärt, aber ihre Inhalte lesen sich noch vor der Zuspitzung der politischen Lage durch das Kotzebue-Attentat wie ein direkt umzusetzendes ‚Kochrezept‘ für die Karlsbader Beschlüsse: Stärkung der förderalen Macht im Sinne der restaurativen Kräfte (später: Exekutionsordnung), höchste Kontrolle der Universitäten (später: Universitätsgesetz, Untersuchungsgesetz) und der Presse (später: Preßgesetz). Die Ermordung August von Kotzebues wenige Monate später wirkte wie eine Bestätigung aller Umsturz- und Terrorängste der Bundesmächte. Die Pressefreiheit und die Unabhängigkeit der Universitäten standen sofort zur Debatte. In dieser Phase – zwischen dem Attentat im März 1819 und der Ratifizierung der Karlsbader Beschlüsse durch den Bundestag im September 1819 – formulierte Wilhelm Ludwig Georg Fürst zu Sayn-Wittgenstein, seit 1814 Staats- und Polizeiminister und ab Oktober 1819 Hausminister und engster Berater Friedrich Wilhelm III., seine Ansichten zur Pressefreiheit, die fest in der Konzeption des Polizei-Systems verankert waren. Dieses Dokument, das er am 25. Mai 1819 zur weiteren Verständigung an den Fürst von Metternich übersandte, ist vor allen Dingen wegen der dort nachdrücklich ausformulierten Medienkonzeption aufschlussreich für die Untersuchung von Theater und Öffentlichkeit. Wittgenstein machte hier klar, dass die freie Meinungszirkulation ‚neuer 94 95

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Teilnehmer an diesem ‚Monarchen‘-Kongress waren die Siegermächte der Befreiungskriege Österreich, Preußen, Russland, Großbritannien sowie das monarchische Frankreich. Mémoire sur l’état actuel de l’Allemagne. Par M. de S…, Conseiller d’Etat de S.M.I. de toutes les Russes, Paris 1818. Es handelt sich hier um einen Nachdruck. Zunächst kursierte in Aachen eine handschriftliche Version, die auf Veranlassung des russischen Ministeriums in 50 Exemplaren gedruckt und den Kongress-Gesandten ausgehändigt worden war. Die Schrift fand nach dem Kongress eine weitere Verbreitung und veranlasste einige Gegenschriften, die insbesondere die vernichtende Beschreibung der deutschen Universitäten zu korrigieren suchten. Zur Rezeptionsgeschichte vgl. Allgemeine deutsche Real-Encykopädie für die gebildeten Stände (Conversations-Lexikon), Leipzig 1830, Bd. 10, 739f. Mémoire sur l’état actuel, 55f.

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Medien‘ grundsätzlich suspekt wäre und der Staat sich selbst und seine Bürger restriktiv davor schützen müsste. Aber genau diese Ansicht wurde von den Medienakteuren in Zeitungsredaktionen und Theatern zunehmend in Frage gestellt. W i t t g e n s t e i n s P o l i z e i . Anfang 1819 setzte das preußische Staats- und Polizeiministerium auf Veranlassung Wittgensteins eine Staatskommission ein, die über die Zensur- und Pressefreiheit beraten und dem Ministerium einen Vorschlag zu einem Pressegesetz unterbreiten sollte.97 Wittgenstein konnte aus politischen Gründen nicht der von ihm selbst eingesetzten Kommission angehören und musste auf anderem Wege dort seinen Einfluss gegenüber dem liberaleren Staatskanzler von Hardenberg98 sichern. Er entwarf eine schriftliche Eingabe, die er mit der Anweisung der Berücksichtigung der Kommission übergab.99 In der Frage der Öffentlichkeitspolitik unterhielt Wittgenstein eine enge Verbindung mit Metternich, und so beauftragte er den österreichischen Gesandten in Berlin, Graf von Zichy, diesem seine „Ansichten zu Zensur und Pressefreiheit (29. Mai 1819)“100 zu übergeben. Zichy benannte Wittgensteins Wunsch einer Übereinstimmung mit der österreichischen Linie Metternichs in Bezug auf die preußische Pressegesetzgebung und kommentierte die zu erwartenden kritischen Reaktionen in Berlin: Es ist allerdings herauszusehen, daß in Berlin eine große Anzahl von sogenannten Liberalen diese Ansichten, falls sie in die Wirklichkeit treten, viel zu beschränkend u ihren Spielraum beengend finden werden; alle diejenigen aber die es mit dem König u. Staat redlich meinen, u die Tendenz der meisten jezigen Schriftsteller kennen, müssen dahin stimmen, daß die Rgg über den Gebrauch der Presse die gehörige Macht in Händen behalte, um Missbräuche nicht

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OESTA, Allgemeines Verwaltungsarchiv, Polizeihofstelle, 5010/1819, o. Bl., Brandakten, Bericht des k.k. österreichischen Gesandten von Zichy in Berlin an den Minister der auswärtigen Angelegenheiten H.F. von Metternich, 8. Juni 1819, Kopie. Dieses Dokument ist publiziert bei Ulrike Giese, „Studie zur Geschichte der Pressegesetzgebung“, Sp. 354–355. 98 Von Hardenberg hatte sich für einen liberalen Verfassungsstaat in Preußen eingesetzt und rang dem König 1815 das Verfassungsversprechen ab. Nach den Karlsbader Beschlüssen schwand sein Einfluss auf den König zunehmend, zu seinen Lebzeiten, er starb 1822, wurde dies nicht mehr umgesetzt. Erst 1848 erfolgte in Preußen der Verfassungs-Oktroi. 99 Vgl. OESTA, Allgemeines Verwaltungsarchiv, Polizeihofstelle, 5010/1819, o. Bl., Brandakten, Bericht des k.k. österreichischen Gesandten von Zichy in Berlin an den Minister der auswärtigen Angelegenheiten H.F. von Metternich, 8. Juni 1819, Kopie: „Da der H. Fürst v. Wittgenstein als Staats Minister und noch einstweiliger Chef der Polizey an den Arbeiten der Coon nicht unmittelbar Antheil nehmen konnte, und auch aus seinem Department niemand zu derselben berufen war, so hat er seine Ansicht über diesen höchst wichtigen Gegenstand schriftlich aufgesezt, u der Coon übergeben, damit sie auf dieselbe bey ihrer Arbeit mit Bedacht nehmen, und sie gemeinschaftlich mit dem Resultate ihrer Berathungen dem Staats Ministerium vorlegen könne.“ 100 OESTA, Allgemeines Verwaltungsarchiv, Polizeihofstelle, 5010/1819, o. Bl., Brandakten, Ansichten des Fürst von Wittgenstein zu Zensur und Preßfreiheit, 29. Mai 1819, Kopie. Dieses Dokument ist publiziert bei Ulrike Giese, „Studie zur Geschichte der Pressegesetzgebung“, Sp. 355–365.

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Gesellschaft und Öffentlichkeit blos wenn sie geschehen sind zu bestrafen, sondern um selben, ehe sie geschehen können, vorzubeugen.101

Damit wies von Zichy auf die Wichtigkeit des Textes hin, der als Grundlage zu einem preußischen Pressegesetz dienen könnte, das wiederum eine Signalwirkung für den Deutschen Bund haben würde. Und er formulierte den zentralen Grundsatz Wittgensteins, der eine präventive Unterdrückung (Polizei-System) in Bezug auf ‚Presse- und Zensurverbrechen‘ als Grundlage seiner Öffentlichkeitspolitik betrachtete. Auf diesen Grundlagentext Wittgensteins zur Medien- und Öffentlichkeits-Politik als preußischen Beitrag zur Medienfrage im Vorfeld der Karlsbader Beschlüsse soll hier detailliert eingegangen werden, da meines Erachtens die einschlägige Literatur102 sehr stark auf die Rolle Metternichs fokussiert. Metternich selbst hat sich als zentrale Figur in der Formung und Durchsetzung der Karlsbader Beschlüsse gesehen. 103 Notwendig erscheint mir an dieser Stelle allerdings doch, anhand des Wittgenstein-Textes darzulegen, wie die Motive dazu mit dem generellen medienpolitischen Denken der restaurativen Staatsmächte zusammenhingen. Die Basis der preußischen Medienpolitik war grundlegend übereinstimmend mit der österreichischen Linie. Wittgenstein argumentierte vehement gegen den Anspruch, die ‚modernen Zeiten‘ würden eine Aufhebung der Zensur verlangen, da dieses repressive Mittel einer absolutistischen Machtausübung einer anderen Zeit entstamme und souveräne Machthaber vielerorts (etwa in Sachsen-Weimar oder in den ehemaligen Rheinbund-Staaten) zumindest eine Lockerung der Zensur als Teil einer zeitgemäßen Öffentlichkeits- und Medienpolitik betrachteten. Für ihn bestand, im Gegenteil, in den gegenwärtigen Zeiten eine große Umsturzgefahr, die unmittelbar mit den politischen medialen Potentialen zusammenhing. Er konstatierte: Die Presse hat in Deutschland vielleicht nie so viele Vergehen begangen, als in den lezten Jahren; die Anzahl derjenigen, welche die Gränzen der Preßfreyheit überschreiten u zu überschreiten sich bestreben, hat eben so stark zugenommen, als die Gelegenheit, Schriften der Art zu Tage zu fördern; die schriftstellerische u schreibseligeThätigkeit hat nicht bloß eine seltene Höhe, sondern auch eine für den inneren Frieden sehr nachtheilige u bedenkl. Tendenz erhalten, u Grundsätze u Zwecke zum Zielpunkt genommen, welche mit der Verfassung Deutschlands u der einzelnen Staaten unvereinbarlich sind; Haß u Tadel der Regierungen u ihrer Handlungen ist das Gepräge der meisten Pamphlets u sehr vieler Zeitschriften. Diese Zeiten, welche die Reclamatoren der unbedingten Preßfreyheit selbst ‚die bewegten‘ nennen, sind daher wahrlich sehr wenig geeignet, um die Mittel, Preßfreyheit zu verhindern, aufzuheben und den Leidenschaften vollen Zügel zu lassen. Wenn die Regierungen gerade in 101

Vgl. OESTA, Allgemeines Verwaltungsarchiv, Polizeihofstelle, 5010/1819, o. Bl., Brandakten, Bericht des k.k. österreichischen Gesandten von Zichy in Berlin an den Minister der auswärtigen Angelegenheiten H.F. von Metternich, 8. Juni 1819, Kopie. 102 Vgl. etwa Franz Schneider, Pressefreiheit und politische Öffentlichkeit, 243: „Die Karlsbader Beschlüsse sind das Werk des österreichischen Hofes.“ 103 Metternich bezeichnete die Karlsbader Beschlüsse etwa als „sein Kind“, mit dem er neun Monate schwanger gegangen sei. Vgl. Aus Metternich’s nachgelassenen Papieren, Bd. 3, hg. Richard Metternich-Winneburg u. Alfons von Klinkowström, Wien 1881, 294.

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dem Augenblick, in welchem sie die selbst bey der Zensur entstandenen Missbräuche der Presse mehr wie jemals kennen gelernt haben u über deren Höhe einverstanden sind, das einzige Mittel, ihnen vorzubeugen aufgeben könnten: so würden sie dadurch erklären, daß der Preßunfug eine vorbeugende Fürsorge nicht verdiene, daß sie ihn vielmehr jedem überlassen u sich nur dessen Bestrafung vorbehalten wollten.104

Ganz deutlich zeichnete Wittgenstein hier das Bild einer überbordenden Medienentwicklung, deren sich ungebremst entfaltenden Öffentlichkeiten er als gesellschaftliches Krisenszenario wahrnahm. Grundsätzlich bestand bei Wittgenstein ein Generalverdacht gegenüber der öffentlichen Stimme. So setzte er die Veröffentlichung einer Schrift mit dem Bestreben gleich, „Beleidigungen der öffentlichen Ordnung und der Individuen öffentlich [zu] verbreiten.“105 Der Staat habe die Pflicht, der pressebezogenen Straftat konsequent vorzubeugen. Denn erstlich benuzt ein solcher Verfasser zur Verbreitung u Begehung einer unerlaubten Handlung die vom Staate concessionierte Presse, und zweytens beginnt ein solcher Verfasser schon durch die Übergabe seines Manuscripts zur Presse das Verbrechen, was er durch die Bekanntmachung der Schrift vollendet, es liegt mithin bereits ein Attentat eines Verbrechens vor, welchem der Staat nicht ruhig bis zur Vollendung zusehen, sondern, wie allen übrigen in der Vollführung begriffenen Verbrechen vorbeugen muß.106

Der Staat habe durch die Konzessionierung der Presse eine besondere Verantwortung107 für dieses von ihm grundsätzlich gestattete öffentliche Medium und müsse im Sinne der präventiven Strafverhinderung (Polizei-System) handeln. Wittgenstein argumentierte hier, der Bürger habe ein Schutzbedürfnis gegenüber der missbräuchlichen Öffentlichkeit und somit sei es die Pflicht des Staates, hier vorsorglich einzugreifen. Im Gegensatz zum liberalen Grundsatz, der besagte, der Bürger müsse durch die Möglichkeit eines Strafverfahrens im Vergehensfall, also im bereits passierten Missbrauchsfall, geschützt werden, und somit die betreffenden Strafgesetze durch die Strafandrohung eine präventive Wirkung entfalten, ging es hier um eine vorausgesetzte Missbrauchs-Intention, die durch repressive Präventivmaßnahmen eingedämmt werden musste. Wittgenstein konnte der frei entfalteten Öffentlichkeit keine positive Wirkung zugestehen, selbst wohlmeinende Reformabsichten lehnte er ab. Nur in der direkten Kom104

OESTA, Allgemeines Verwaltungsarchiv, Polizeihofstelle, 5010/1819, o. Bl., Brandakten, Ansichten, 29. Mai 1819. Hervorhebung im Original. 105 Ebd. 106 Ebd. Hervorhebung im Original. 107 Vgl. auch ebd.: „Auch der Staat ist aus dieser Concession noch besonders verpflichtet, dahin zu sehen, daß die von ihm genehmigte Anstalt innerhalb der Gränzen des Zweckes der Concession sich verhalten, und nicht in eine ihm und seinen Bürgern gefährlich Anstalt ausarte. Der Staat ist daher berechtigt, ja selbst schuldig, zu verhindern, daß aus dieser, von ihm genehmigten GewerbsAnstalt gemeinschädliche und moralisch-giftige Waaren ins Publikum gefördert werde, so wie er dem unbeschränkten Debit des physischen Gifts und aller der Gesundheit schädlichen Waaren vorbeugt.“ Hervorhebung im Original.

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munikation mit dem Staatsoberhaupt sollten berechtigte politische und soziale Ansprüche geltend gemacht werden dürfen. Das Bedürfnis die Ansichten u Wünsche des Volkes/Einzelnen im Volke zur Kenntniß der Regierung zu bringen, ist ein für die Aufhebung der Zensur sehr mißbräuchlich angeführter Grund. Wenn Zeitschriften auch wirklich die ächten u zuverlässigen Organe der öffentlichen Stimme seyn könnten, so bedarf es doch derselben zu jenem Zwecke überall nicht, weil die öffentl. Behörde, ja das a. h. Staatsoberhaupt selbst, alle dahin gerichtete Bemerkungen u Vorträge dankbar u gern annehmen u soviel als möglich berücksichtigen.108

Tatsächlich sah das Allgemeine Preußische Landrecht in Teil II, Tit. 20, § 156 ausdrücklich die Möglichkeit der direkten Kommunikation mit dem Souverän vor.109 In der Praxis war es jedoch so, dass es nur den mit der preußischen Bürokratie und den Hofgepflogenheiten vertrauten höheren Schichten der Gesellschaft gelang, ihre Anliegen wirklich vor den Königsthron zu bringen. Die Klassenfrage ist in der Analyse der Öffentlichkeits-Konzepte des preußischen Staates im frühen 19. Jahrhundert in der Tat ein wichtiger Faktor.110 Das patriarchale Hierarchiensystem sah vor, dass man sich dem ‚väterlichen‘ Monarchen mit seinen Anliegen als braver Untertan scheu zu nähern hatte. Das Oberhaupt hörte und sorgte sich, aber es durfte keine andere außerhalb dieser patriarchalen Struktur agierende Instanz involviert werden. Dies war die Voraussetzung für das Funktionieren der ‚väterlichen Fürsorge‘. Die neuen Medien standen nun quer zu dieser linearen Kommunikationsstruktur. Ihre Meinungsbildung funktionierte flächig und erfasste Schichten, die in der patriarchalen Hierarchie ganz unten stehen sollten. So stellte der Anspruch auf einen offenen Meinungsaustausch im Zeichen der medialen Zirkulation eine grundlegende 108

OESTA, Allgemeines Verwaltungsarchiv, Polizeihofstelle, 5010/1819, o. Bl., Brandakten, Ansichten, 29. Mai 1819. 109 Vgl. Preußisches Allgemeines Landrecht, Teil II, Tit. 20, § 156: „Es stehe einem Jeden frey, seine Zweifel, Einwendungen u Bedenklichkeiten gegen Gesetze u andere Anordnungen im Staate, so wie überhaupt seine Bemerkungen u Vorschläge über Mängel u Verbesserungen sowohl dem Oberhaupte des Staates, als den Vorgesezten der Departments anzuzeigen, u leztere sind dergleichen Anzeigen mit erforderl. Aufmerksamkeit zu prüfen verpflichtet.“ Zitiert nach OESTA, Allgemeines Verwaltungsarchiv, Polizeihofstelle, 5010/1819, o. Bl., Brandakten, Ansichten, 29. Mai 1819. 110 Die Frage, inwiefern ein Medium untere Gesellschaftsschichten erreicht, hatte großen Einfluss auf die Zensurpraxis des 19. Jahrhunderts. Vgl. hierzu Robert Justin Goldstein, „Political Theater Censorship in Nineteenth-Century France in Comparative European Perspective“, in European History Quarterly 40, 2010, 240–265, insbes. 245f. Goldstein hat im Zusammenhang mit der Theaterzensur darauf hingewiesen, dass das Theater als besonders gefährliches und der Zensur besonders streng zu unterwerfendes Medium betrachtet wurde, da es in der Lage war, im Gegensatz zu den frühen Zeitungen und Zeitschriften, ungebildete und des Lesens unkundige Bürger zu erreichen und zu mobilisieren. Goldstein beachtet allerdings in seiner komparatistischen Untersuchung der Theaterzensur die neueren Medienentwicklungen im Pressebereich nach 1800 nicht ausreichend, die gerade ein neues, massentaugliches Format von Zeitung/Zeitschrift begünstigten. Dies ist meines Erachtens die zentrale Frage in den Auseinandersetzungen um mögliche und nötige Formen von Öffentlichkeit in dieser Zeit und leitet meine Studie.

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Provokation für das absolutistisch-monarchische Kommunikationssystem dar. Daher auch das unbedingte Festhalten an einer aufklärerischen Gelehrtenöffentlichkeit, die mit der patriarchalen Hierarchie nicht so stark konfligierte, konnte man ihre ‚Wissenschaftlichkeit‘ doch in einer wenig wirksamen ‚Parallelwelt‘ bestehen lassen. Ä c h t e P u b l i c i t ä t v s . p l e b e j i s c h e Ö f f e n t l i c h k e i t . Wittgenstein legte in seinen „Ansichten“ ganz offen, dass er eine „ächte Publicität“ als Kommunikationsform der gelehrten Schichten einer alle Klassen umfassenden „Öffentlichkeit“ scharf entgegen setzte. Hieran lässt sich die ganze Problematik der Auseinandersetzung des preußischen Staates, aber auch der anderen spätabsolutistischen Mächte, mit den modern umgestalteten Medien Zeitung und Theater festmachen. Wittgenstein registrierte den Umschwung, die neuen medialen Potentiale, und konnte doch nur reflexartig das eingeschränkt öffentliche Konzept einer vormals gültigen „ächten Publicität“ beschwören. Die Licenz der Presse ist auch durch ihre Wirkungen auf die Staatsdiener für den Staat nachtheilig. Wir haben noch in der Zeit gelebt, in welcher ein öffentlich ausgesprochener Tadel seine Handlungen u Grundsätze von jedem öffentlichen Beamten gefürchtet ward, weil die öffentl. Stimme damals einen größeren Werth hatte, indem derzeit eine ächte Publicität herrschte, sie nur in Männern von anerkannter Qualification einige wenige Organe hatte, u der Staat selbst strenge auf jeden Missbrauch der Presse wachte. Diese Achtung u Rücksicht für das öffentl. Urtheil hat unter den Staatsdienern abnehmen müssen u abgenommen, seitdem die Mehrzahl der öffentl. Blätter nur Kampfplatz u Organ der Leidenschaften geworden u die sogenannte öffentl. Stimme in unzählbaren Produkten der Presse gegen wenige Groschen an Insertions Gebühren, ja auch wohl umsonst und selbst gegen Honorar von einem Jeden ausgesprochen werden kann: Lob u Tadel haben jetzt ihren Werth u ihren Stachel verloren.111

Deutlich wird hier, dass Wittgenstein die Frontlinie zwischen einer elitären Gelehrtenund Spezialistenöffentlichkeit und einer ‚billigen‘ Groschenöffentlichkeit festsetzte, die für jedermann zugänglich und von jedem instrumentalisiert werden könne. 112 Das öffentliche Urteil sei zur Massenware verkommen, deren Wirkung vernachlässigbar sei. Warum dann eine strenge Verfolgung der Veröffentlichung dieser Massenware solche Priorität genießen sollte, kann Wittgenstein allerdings nicht vermitteln. Dass die Zeitungsöffentlichkeit in ihren Urteilen durchaus ins Mark traf und gefürchtet war, werde ich anhand der Auseinandersetzung zwischen den Berliner Zeitungen und den Theatern weiter unten erläutern.113 In der Folge deklinierte Wittgenstein anhand der Unterscheidung zwischen wissenschaftlichen Publikationen und Zeitungen, Zeitschriften und Pamphleten seine Abwer111

OESTA, Allgemeines Verwaltungsarchiv, Polizeihofstelle, 5010/1819, o. Bl., Brandakten, Ansichten, 29. Mai 1819. 112 Dieser einschlägige Konflikttopos rekurriert in der Mediengeschichte bei jeder medialen Neuentwicklung bis hin zur Auseinandersetzung um das Bildungsmonopol des Buches gegenüber den Wikis des Web 2.0. 113 Vgl. Kap. 4.1, 140–168.

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tung der Zeitungsöffentlichkeit ausführlich durch. Während auf der Seite der wissenschaftlichen Veröffentlichungen „Grundsätze der Wissenschaft“ regierten und aus der „Arbeit eines Mannes“ ein Werk entstünde, welches das „vielfach getheilte u geprüfte Resultat des ruhigen, weisen, oft Jahre anhaltenden Nachdenkens“ darstelle und „ein kleineres, ein gebildetes, ein überlegendes Publikum“ fände, so verbreiteten die Zeitungen, Zeitschriften und Pamphlete „öffentliche und Privat-Handlungen, Kritiken derselben Nachrichten, Urtheile und Vorschläge“ aus materiellem „Eigennutz“ und nur zur „Unterhaltung des Publikums“. Der offensichtliche Zeitdruck unter dem die Blätter stünden, führe zu vorschnellen Urteilen, die der Arbeit „eines Jeden gegen geringe Insertions-Gebühren, oft gegen Honorar“ entspringe und ein Publikum fände, dass durch die Neugier beherrscht sei. Die polemische Abwertung des professionellen Journalisten, also des im Brotberuf Schreibenden, war ein geläufiger Topos, der eine starke Abwehrreaktion auf die strukturellen Wandlungen vom Literatentum als ‚Nebenberuf in den Mußestunden‘ zum ‚kommerziellen Schreibgewerbe‘ darstellt.114 Darüber hinaus sei dieses Publikum „nicht auf Männer eines Faches beschränkt, sondern erstreckt sich auf alle Stände und Fächer.“ Es sei „leichtgläubig, oft leichtsinnig und selten fähig, die Unrichtigkeit der mitgetheilten Facta und Urtheile zu finden und zu berichtigen.“ Es sei diese Wirkung der publizistischen Schriften in einem ‚Massenpublikum‘, die „dem Staate und seinen Bürgern ganz unmittelbar nachtheilig, oft gefährlich werden“115 könnte. Dass wissenschaftliche Fachbücher in der Regel nur in der ‚scientific community‘ für Aufruhr sorgen, ist nicht erst seit Wittgenstein eine den Staat in Sicherheit wiegende Tatsache. Die tief verwurzelte Überzeugung von Wittgenstein, dass die Öffentlichkeit nur als elitäre „ächte Publicität“ eine der Monarchie angemessene gesellschaftliche Kommunikationsform darstelle, war die Grundannahme seiner „Ansichten.“ Das besondere Problem bestand nun für Wittgenstein darin, dass sich eine junge Generation von Gelehrten, Akademikern und Literaten mit der neuen massentauglichen Presseöffentlichkeit verbündete und somit die scharfe Trennung, die in seinem Horizont wertbildend war, aufhob. Publizisten und intellektuelle Journalisten nahmen hier eine prekäre und von Wittgenstein nicht akzeptable Position zwischen ‚ächter Publicität‘ und ‚plebejischer Öffentlichkeit‘ ein. 114

Auch in Bergs Referat findet sich dieser abwertende Gestus, wenn er den Presseexzess mit dem Charakter des journalistischen Brotberufs in Verbindung bringt, vgl. „Vortrag des Herrn von Berg“, 631f.: „Dieß [Zensurpflichtigkeit] findet insonderheit auf Zeitungsschreiber seine Anwendung, welche allerdings die Zügel der Censur verdienen, wenn sie die Wichtigkeit und Würde ihres Berufes so sehr verkennen, daß sie, bloß als nahrhaftes Gewerbe ihn treibend, stets nach dem haschen, was die Menge an sich zieht, und, der Leitung der Volksstimme sich rühmend, einer Verleitung sich schuldig machen könnten, wenn in unserm Vaterlande von einseitigen und gewagten Behauptungen, und von der Sucht, die englischen Oppositionsblätter nachzuahmen, im Ernste einige Gefahr zu besorgen wäre.“ 115 Alle Zitate aus OESTA, Allgemeines Verwaltungsarchiv, Polizeihofstelle, 5010/1819, o. Bl., Brandakten, Ansichten, 29. Mai 1819.

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E r z i e h e r i s c h e M e d i e n . Grundlegend für Wittgensteins Argumentation war die Idee einer Bildungsfunktion von öffentlichen Medien. Die Vorstellung einer Erziehung durch Theater und Presse hing mit der allgemeinen Schulentwicklung der Zeit zusammen. Das Theater wurde traditionell als Ort verstanden, an dem die mündliche Vermittlung auch ohne Lese- und Schreibkenntnisse funktionierte. Es war also in der Lage, allen Schichten ohne Rücksicht auf den Bildungsstand etwas zu sagen und auch erzieherisch auf sie einzuwirken.116 Wie oben dargestellt, galt auch die neue Form der massenwirksamen Presse als Medium aller Schichten. Auch ohne Lesekompetenz konnte man durch die Praxis des Vorlesens (etwa in öffentlichen Kaffee- oder Gasthäusern) am Zeitungsdiskurs teilhaben. Diese beiden Medien wurden nun als wichtige Einflussmittel auf die Bildung mittlerer und unterer Schichten betrachtet, in einer Zeit, in der zwar die allgemeine Schulpflicht in Preußen bereits ausgesprochen (Preußisches General-LandSchul-Reglement von 1763), der Schulbesuch jedoch durch rein praktische Hindernisse (zu wenige Schulen, Kinderarbeit auf dem Land etc.) noch nicht allgemein durchgesetzt war.117 Daher war die Kontrolle beider Medien – Theater und Zeitung – für die absolutistischen Herrscher um so wichtiger. Wittgenstein beschloss seine „Ansichten“ mit einer detaillierten Auflistung der Grundsätze einer „polizeylichen Zensur“, die den Abdruck jeglicher Artikel verbieten müsse, welche die Religion, die Sitten und Moral, die eigene Regierung und auch auswärtige Regierungen, die Behörden und Beamten, politische Handlungen der eigenen oder fremder Regierungen verächtlich machten, welche Unzufriedenheit und Misstrauen gegenüber Regierungen schürten oder Privat-Personen beleidigten.118 Deutlich ist hier die von den Karlsbader Beschlüssen angenommene Formel des ‚religiösen, sittlichen oder politischen Verstoßes‘ präfiguriert, und der Einfluss auf die spätere Zensurpraxis in Bezug auf Kritik an Behörden und Beamte, auch im Zusammenhang mit dem Hoftheater, lässt sich bereits herauslesen. Das Attentat des Studenten Karl Ludwig Sand auf den russischen Generalkonsul und Dramatiker August von Kotzebue am 23. März und der Anschlag auf den nassauischen Minister von Ibell am 1. Juli 1819 waren zwar der äußere Anlass für die restaurative ‚Notmaßnahme‘ der Karlsbader Beschlüsse und deren umgehende Ratifizierung durch den Bundestag am 20. September 1819 – Anlass und Folge erinnern an jedwede ‚Notstandsgesetzgebung‘ späterer Zeiten –, es waren aber vor allen Dingen die anschwellende Masse an Presseprodukten und die wachsende Professionalität journalistischer Kritik 116

Zu einer Ausarbeitung dieses Aspektes im Europäischen Theater des frühen 19. Jahrhunderts vgl. Robert Justin Goldstein, „Political Theater Censorship “, 240–265, insbes. den Abschnitt „Fear of Theater“, 242–248. 117 Dies wird erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Fall sein. Vgl. zu „Schule als Institution in der Gesellschaft“ das Handbuch pädagogischer Grundbegriffe, Bd. II, hg. von Josef Speck und Gerhard Wehle, München 1970, 391–422, zur Schulpflicht insbes. 404–410. 118 OESTA, Allgemeines Verwaltungsarchiv, Polizeihofstelle, 5010/1819, o. Bl., Brandakten, Ansichten, 29. Mai 1819.

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sowie das sich allmählich gegen hierarchisch geordnete Kommunikationsstrukturen durchsetzende Konzept einer medialen Zirkulation, welche das dort ausgearbeitete „Bundes-Preßgesetz“119 für die restaurativen Kräfte im deutschen Bund dringlich machten. Die zentralen Punkte dieses Pressegesetzes waren: Einführung der Vorzensur für Schriften mit weniger als 20 Bogen Umfang, Verantwortlichkeit der Länder gegenüber dem Bund in Bezug auf den ‚Missbrauch der Presse‘ und die Einsetzung einer Bundeskommission für länderübergreifende Pressevergehen und Beschwerden.120 Die Gesetze auf Grundlage der Karlsbader Beschlüsse sollten als ‚Notmaßnahmen‘ zunächst auf fünf Jahre befristet werden, allerdings wurden sie 1824 von den Bundesländern auf unbestimmte Zeit verlängert. Während die Bundesversammlung unter Einfluss von Österreich und Preußen die grundsätzliche Regulierung der Zeitungs- und Leseöffentlichkeit durchsetzte und mit der Bundesexekutive auch in die Länder hineinregierte, blieb die Kontrolle der Theateröffentlichkeit prinzipiell Ländersache. T h e a t e r z e n s u r i n P r e u ß e n . Einen Monat nach dem Beschluss des Bundestags erließ die preußische Regierung am 18. Oktober 1819 die „Verordnung wie die Zensur der Druckschriften nach dem Beschluss des deutschen Bundes vom 20sten September d. 1. auf fünf Jahre einzurichten ist.“ Hier heißt es: Alle in Unserem Lande herauszugebenden Bücher und Schriften, sollen der in den nachstehenden Artikeln verordneten Zensur zur Genehmigung vorgelegt, und ohne deren schriftliche Erlaubniß weder gedruckt noch verkauft werden. 121

Von diesem Zensurgesetz war fortan auch der Druck von Theaterstücken betroffen. Preußen verschärfte noch die Karlsbader Version, indem es alle Druckwerke ohne Ausnahme der Zensur unterwarf, während das Bundes-Preßgesetz Schriften über 20 Bogen – also Bücher im Standardformat wissenschaftlicher Studien – davon verschonte. Das Theater stellte die Länder des deutschen Bundes nun vor das Problem, dass nicht alle Theaterstücke vor der Aufführung gedruckt wurden. Aus den Preußischen Rheinprovinzen kam daher bald die Anfrage an die Regierung in Berlin, wie in solchen Fällen zu verfahren sei. Es stellte sich für Preußen ein erneuter Regelungsbedarf. Daher erließ der Innenminister von Schuckmann am 16. März 1820, nur fünf Monate nach der Zensur-Verordnung, eine Zirkularverfügung, die besagte, die Regierungspräsidenten der Preußischen Provinzen müssten dafür Sorge tragen, daß

119

„Entwurf des Preßgesetzei“, in Protokolle der deutschen Bundes-Versammlung, Fünfunddreißigste Sitzung, 20. September 1819, §220, 667–669. 120 Ebd. 121 GStA, I. HA, Rep. 77, Tit. II, spez., Nr. 16, Bl. 24–27, Preußisches Zensur-Edikt, 18. Oktober 1819. Das Pressegesetz sollte zunächst als provisorische Sofortmaßnahme des Bundes nur fünf Jahre Gültigkeit haben, 1824 jedoch erließ Friedrich Wilhelm III. eine Kabinettsorder zur unbestimmten Fortdauer des Zensur-Edikts; ebd., Bl. 30–31.

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künftig auf keinem öffentlichen Theater (die für Königl. Rechnung administrirten ausgenommen) irgend ein gedrucktes oder ungedrucktes Trauer-, Schau-, Lust- oder Singspiel ohne vorläufige Erlaubnis des Regierungs-Präsidiums oder der Personen, welche dasselbe mit diesem Geschäft beauftragen wird, aufgeführt werden.122

Die Zirkularverfügung war für die Länder des deutschen Bundes mit Ausnahme Österreichs insofern wichtig, da Preußen angesichts seiner starken politischen Stellung im Bund Vorbild-Rolle für die Gesetze und Staatsverwaltung der kleineren Staaten hatte. Die der Zirkularverfügung vorausgegangene Anweisung des preußischen Staatskanzlers von Hardenberg an den Innenminister macht deutlich, dass die Befugnisse der Theaterzensur unabhängig bleiben sollten von der Druckerlaubnis durch die Staatszensur: Diese Aufsicht steht jedoch mit der durch das Gesetz vom 18. October v. J. errichteten Censur für Druckschriften in gar keiner Verbindung, es lassen sich sogar Fälle denken, wo ungeachtet der durch die Censur-Behörde ertheilten Erlaubnis zum Druck eines Theaterstückes die hohe Landes-Polizey sich bewogen finden kann, die Aufführung desselben zu untersagen oder zu suspendiren.123

Die schwammige Formulierung dieser Zirkularverfügung sowie die ungeklärten Zuständigkeiten führten immer wieder zu Unstimmigkeiten der Provinzen mit den preußischen Zentralbehörden in Berlin. Die Theaterzensur lag letztlich im Ermessen des regionalen Zensors, doch musste sich dieser bei einem etwaigen Theaterskandal mitverantworten. Dies führte je nach Persönlichkeit des Zensors zu einer sehr strengen Zensur oder eben zu Schlupflöchern und Spielräumen politischer Tendenzen. Mit dieser Zirkularverfügung vom 16. März 1820 besaß Preußen nun erstmals eine strukturell und einheitlich geregelte Theaterzensur, wie es sie vorher nur in Frankreich und Österreich gegeben hatte. Obgleich die gedruckten Theaterstücke wie alle anderen Schriften schon ab 1788124 einer Zensur unterworfen worden waren – sie wurden von den Universitäten oder, falls es am Ort keine gab, den Landes-Justiz-Kollegien der Provinz zensuriert125 –, mussten die Theateraufführungen selbst zwar von den Obrigkeiten genehmigt werden, eine juristisch geregelte Kontrolle lag jedoch in dieser Form nicht 122

GStA, I. HA Rep. 77, tit. 1000, Nr. 4, Acta gen. betr. die polizeiliche Prüfung der auszuführenden Theaterstücke, Bl. 5, Zirkularverfügung des Innenministeriums, 18. März 1820. 123 GStA, I. HA Rep. 77 tit. 1000, Nr. 4, Acta gen. betr. die polizeiliche Prüfung der auszuführenden Theaterstücke, Bl. 3, Schreiben des Staatskanzlers von Hardenberg an Innenminister von Schuckmann, 11. März 1820. 124 Zum „Erneuerten Censur-Edikt für die Preußischen Staaten exclusive Schlesien“ des preußischen Justizministers Johann Christoph von Wöllner vom 19. Dezember 1788 vgl. etwa Uta Wiggermann, Wöllner und das Religionsedikt, Tübingen 2010, insbes. 414–473. Das Zensuredikt ist im Quellenanhang dort vollständig abgedruckt, 599–605. 125 Vgl. Uta Wiggermann, Wöllner und das Zensuredikt, 600: „Wochen- und Monatsschriften vermischten Innhalts, gelehrte Zeitungen, oeconomische Aufsätz, Romane, Schauspiele und andere kleine Schriften, insofern solche nach ihrem Hauptinhalt zu einer der vorstehenden Classen nicht gehören, sollen an Orten, wo Universitäten sind, von diesen, sonst aber bey dem Landes-JustizCollegio der Provinz censurirt werden.“

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vor. Vor 1820 mussten alle Theater und wandernden Truppen – mit Ausnahme des Hoftheaters, welches eine hauseigene Zensur ausübte – um Aufführungserlaubnis bei Polizei und städtischen Magistraten ansuchen. Durch die besonders bei den Wandertruppen verbreitete Praxis, ohne verschriftlichte Theatertexte zu arbeiten, war jedoch eine genaue Kontrolle der aufzuführenden Stücke schwierig. Oftmals erfolgte eine Aufführungsgenehmigung durch Vorlage von Referenzen und Zeugnissen. Für die Bühnen galt nun, dass aufzuführende Stücke in Schriftform vorab dem Zensor bei der Polizeibehörde zur Lektüre vorgelegt werden müssen. Dieser erteilte unabhängig von einer Druckgenehmigung – dem Imprimatur – nach erfolgten Strichen und Änderungen die Genehmigung zur Aufführung – das Admittitur. Erst danach wurden die Rollen nach dem Zensurexemplar ausnotiert, bei etwaigen Änderungen, die sich im Probenverlauf ergaben, musste wiederum um Erlaubnis nachgesucht werden. Man muss sich vor Augen halten, dass diese Vorzensur die eigentliche Kontrolle der Theateraufführung war. Bei einer Leseprobe und maximal drei Theaterproben, erfolgte die öffentliche Theateraufführung so schnell, dass die Dynamik, die in den Proben entstand, kaum nachvollziehbar und kontrollierbar war. Sobald die Aufführungsgenehmigung erteilt worden war, stand also das Stück innerhalb von wenigen Wochen vor einem Publikum. Die Proben hatten in etwa den Charakter von Stellproben und waren keinesfalls identisch mit der Aufführung, ganz im Gegenteil zur heutigen Praxis, da etwa am Stand der Endproben das Endprodukt ablesbar ist. Es war also kaum möglich, anhand von Probenbesuchen, die wirkliche politische Reichweite des Stückes abzusehen und zu kontrollieren. In jeder Vorstellung war ein Polizeikommissar anwesend, der allabendlich einen Bericht verfasste. Diese Berichte machen deutlich, dass es bei der preußischen Theaterpolizei um die Überwachung der ‚öffentlichen Ordnung‘ ging und nicht um die strikte Kontrolle der Theatertexte. Die Rede ist hier etwa vom geregelten und sicheren Zugang für das Publikum zum Theater, oder auch von Ruhestörern, die von der Polizei ermahnt oder gar aus dem Theater entfernt wurden etc.126 Mit der Zirkularverfügung zur Theaterzensur hatte Preußen das Theater in den Zusammenhang des medialen Regulierungsbedarfs gestellt. Es musste ebenso wie die Druckmedien einer strengen Kontrolle unterstellt werden; die Darstellung der Stücke in der öffentlichen Theateraufführung wurde quasi parallel gesetzt zu journalistischen Publikationen als gefährliche Aktanten einer zirkulären Medienkultur. Darüber hinaus 126

Exemplarisch für solche ‚alltägliche‘ Polizeiberichte möchte ich Folgendes zitieren, Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 30-5, Nr. Th. 350, Bl. 40, Theater-Rapport, 9. Januar 1843: „Das Haus war sehr gut besucht, und die An- und Abfahrt sehr bedeutend. Etwas Bemerkenswertes ereignete sich nicht; jedoch glaube ich nicht unerwähnt lassen zu dürfen, daß Seitens der Direktion des Theaters noch nicht ein Laquai bestimmt ist, welcher die ankommenden und abfahrenden Wagen öffnet, wodurch die An- und Abfahrt, weil ich die zum Aufwerfen der Kutschen herbeigekommenen Gassenjungen verjagte, nicht wenig verzögert, und diese Unbequemlichkeit vom Publikum bemerkt wurde.“

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gab es immer wieder Kabinettsorder und einschränkende Einzel-Verordnungen zu Einzelfällen und Details von Aufführungen.127 Weit nach der März-Revolution, erst am 25. September 1848, also mit einiger Verspätung im Vergleich zur Presse-Freiheit, teilte der Innenminister Franz August von Eichmann dem Polizeipräsidium die Aufhebung der Theaterzensur mit. Er stellte fest, dass die Zirkularverfügung von 1820 betreffs der Theaterzensur jeder gesetzlichen Basis entbehrte, sie sei überdies unvereinbar mit dem jetzt angenommenen Grundsatze der öffentlichen Redefreiheit und mit dem Wegfall allgemeiner präventiver Polizei-Einrichtungen gegen den Missbrauch öffentlicher Rede und Schrift. Die durch jene Anordnung eingeführte sogenannte Theatercensur ist daher überall, wo sie noch stattfinden sollte, abzuschaffen, und die polizeiliche Überwachung öffentlicher dramatischer und deklamatorischer Vorstellungen nur darauf zu beschränken, daß gegen etwaige Übetretungen der Strafgesetze durch oder bei dergleichen Vorstellungen im gesetzlichen Wege eingeschritten wird.128

Diese ‚Theaterfreiheit‘ war jedoch nicht von langer Dauer. Am 10. Juli 1851 führte der Polizeipräsident Carl Ludwig von Hinckeldey mit seiner berühmt-berüchtigten „Polizeiverordnung über öffentliche Theater- und ähnliche Vorstellungen in Berlin“129 eine verschärfte Zensur und Kontrolle der Theater ein, welche bis 1918 für ganz Preußen maßgeblich war. T h e a t e r z e n s u r i n B a y e r n . Die bayerische Theaterzensur war verhältnismäßig liberal. Das Münchener Hoftheater war bis zur Aufklärung das einzige stehende Theater in Bayern. Durch diese eher schwach ausgeprägte Theaterlandschaft bestand zunächst kein dringender Bedarf, eine zentralisierte Zensur und Kontrolle der Theater umfassend zu regeln. Örtliche Magistrate und Polizeistellen waren für die Erlaubnis von Aufführungen von wandernden Truppen zuständig und urteilten mehr oder minder nach Gutdünken über Aufführungen und Theatergruppen. Erst 1782 führte der Kurfürst Karl Theodor die Zensur für den Druck von Theaterstücken beim bayerischen Zensurkollegium130 ein. Damit begann die staatliche geregelte Theaterzensur. Alarmiert durch den Erfolg von nationalbayerischen Patriotendramen, wie etwa Otto von Wittelsbach und Hainz von Stain (beide 1781), erließ der Kürfürst am 23.1.1782 die Anordnung, dass 127

Beispielsweise das 1844 eingeführte Darstellungsverbot von verstorbenen Mitgliedern des preußischen Königshauses. Vgl. hierzu Kap. 4.3, 205. 128 Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 030, Nr. 20295, Bl. 89, Schreiben des Innenministeriums an das Polizeipräsidium, 25. September 1848. 129 Abgedruckt in Kurt Kleefeld, Die Theaterzensur in Preußen, Berlin 1905, 69–72. 130 Zur Zusammensetzung des Zensurkollegiums, das in dieser Phase wesentlich von aufklärerischen Prinzipien geleitet war, vgl. Hermann Friess, Theaterzensur, Theaterpolizei und Kampf um das Volksspiel in Bayern zur Zeit der Aufklärung, Univ.-Diss. München 1934, 169–172. Obgleich in der Zeit des Nationalsozialismus entstanden, handelt es sich hier um eine von der Naziterminologie nicht infizierte Studie, deren Reichhaltigkeit der Quellenanalyse in diesem Themenfeld bisher unerreicht ist.

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Gesellschaft und Öffentlichkeit künftighin kein teatralstück ohne vorläufige Censur und ertheilte imprimatur mehr gedruckt werde. Man soll auch jene Stücke, welche in die Geschichte des durchlauchtigsten Kurhauses Pfalz Baiern, oder der Pfalz=baierischen Nation einschlagen, alle mal noch vor dem Druck mit der Censur nach Hof einschicken, und die Approbation von dort einholen.131

Deutlich wird hier der Anspruch des Kurfürsten auf letztinstanzliches Urteil, es war jedoch damit noch keine Maßnahme zur Kontrolle der Aufführung ungedruckter Theaterstücke erfolgt. Das Hoftheater blieb bis 1791 quasi unbehelligt von äußerer Kontrolle. Der Intendant Graf Seeau übte wohl auf eigene Verantwortung die Zensur seiner aufzuführenden Stücke aus. Durch die Illuminatenverfolgung (1784–1785), die auch einige Mitglieder des Zensurkollegiums betraf, und die zunehmend restriktive Kulturpolitik Karl Theodors war die Arbeit des Zensurkollegiums fast zum erlahmen gekommen. Katharina Meinel spricht von einer Zeit des Wildwuchses in den Zensureingriffen: Kurfürst, kurfürstliche Beamte, Landesregierung, Hofoberrichteramt und Münchner Magistrat, alle bemühen sich, mithilfe polizeilicher Maßnahmen Staatsschutz zu betreiben. Das Zensurkollegium steht dabei mehr im Zentrum der Kritik, als dass es selbst zensierend tätig wird.132

Im März 1791 erfolgte vor dem Hintergrund der französischen Revolution eine vollständige Neuorganisation des Zensurkollegiums. Der Kurfürst erneuerte in der Folge in einer Weisung an Graf Seeau vom 6. Juni 1791 die Bestimmungen des Erlasses vom 23. Januar 1782 und spezifizierte die Theaterzensur des Hoftheaters dahingehend, dass nun auch die Theaterstücke, welche nicht zum Druck vorgesehen waren, vor der Aufführung vom Zensurkollegium geprüft werden sollten.133 Diese Regelung blieb bis zur Auflösung des Zensurkollegiums bei Regierungsantritt des Kurfürsten Max Joseph IV. im Jahr 1799 in Kraft. Danach gelangte die Zensur privater Berufstheater praktisch wieder in den Zuständigkeitsbereich der Polizei, obgleich es hierzu keinerlei formale Regelung gab. Da sich seit den 1810er Jahren verstärkt Liebhaber- und Privattheater in München zu etablieren suchten, sah sich das Innenministerium nun zum Handeln veranlasst und erließ am 5. September 1815 an das General-Kommissariat des Isar-Kreises, welches für München zuständig war, eine Ministerial-Entschließung betreffs der Liebhaber- und Privattheater. Damit wurde die Theaterzensur für öffentliche Privattheater formal für ganz München geltend eingeführt: Es mussten alle Theaterstücke vor der Aufführung

131

Kurfürstlicher Erlaß vom 23. Januar 1782, vollständig abgedruckt bei Karl Theodor Heigel, „Die Theaterzensur unter Kurfürst Karl Theodor“, in Forschungen zur Kultur- und Litteratur-Geschichte Bayerns, 3. Bd., hg. von Karl von Reinhardstöttner. Ansbach u. Leipzig 1895, 172–185, 177. 132 Katharina Meinel, Für Fürst und Vaterland. Begriff und Geschichte des Münchner Nationaltheaters im späten 18. Jahrhundert, München 2003, 303. 133 Vgl. Hermann Friess, Theaterzensur, 200. Karl Theodor Heigel gibt hierfür das Datum 26. Juni 1791 an, vgl. Karl Theodor Heigel „Die Theaterzensur“, 12. Hier handelt es sich um einen Irrtum, ich folge der Angabe von Hermann Friess.

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der polizeilichen Zensur unterworfen werden, darüber hinaus stand der Polizei freier Theater-Eintritt zu, um die Aufsicht führen zu können.134 Ende der 1830 Jahre brachte eine Inspektion der Regierung Oberbayerns 135 das ‚Überhandnehmen‘ der Liebhaber- und Privattheater auch außerhalb Münchens zutage, so dass der Geltungsbereich der Ministerial-Entschließung von 1815 in einer Verordnung des Innenministeriums vom 19. Dezember 1841136 auf den gesamten Regierungsbezirk Oberbayern ausgedehnt wurde. An die übrigen bayerischen Regierungsbezirke ging eine Kopie des Schreibens mit dem Hinweis, dass es ihnen frei gestellt sei, diese Direktiven nach Bedarf auch in ihren Regionen anzuwenden. Damit bestand nun die Möglichkeit, die Theaterzensur auch in ganz Bayern formal einzuführen, die Umsetzung hing jedoch weiterhin stark von den örtlichen Behörden ab. Nach der März-Revolution wurde unter Maximilian II. das „Edikt über die Freiheit der Presse und des Buchhandels“ (4. Juni 1848) erlassen, das jegliche Veröffentlichung lediglich durch die Strafgesetze beschränkte. Im §9 dieses Edikts wurde die Pressefreiheit ausdrücklich auf jede Art öffentlicher Äußerung ausgedehnt: Was von Erzeugnissen der Presse verordnet ist, gilt auch von Gemälden, Bildern, Zeichnungen, Kupferstichen, Erzeugnissen der Lithographie, Holzschnitten und überhaupt von jeder Art und Form sinnlicher Darstellungen und Mittheilungen an das Publikum.137

Das Theater lässt sich hier unter die öffentliche „Form sinnlicher Darstellungen“ ohne weiteres einordnen. Faktisch wurde jedoch die Theaterzensur durch die Polizei weiterhin durchgeführt.138 T h e a t e r z e n s u r i n Ö s t e r r e i c h . In Österreich erfolgte etwa auch um 1800 der politische Umschwung der Zensur von der Idee einer aufklärerischen ‚Hebung‘ des Theaters durch staatliche Kontrolle zu einer Unterdrückung einer progressiven Konzeption von Theater als politischem Medium. Bereits 1795 hatte Kaiser Franz I. (II.) das ‚Extemporieren‘ als die bei Wandertruppen und im Volkstheater übliche Praxis des improvisierten Spiels und Wortes verboten,139 da er darin eine schlecht zu kontrollierende, unsittli134

BayHStA, MInn, Nr. 54129, Ministerial-Entschließung an das General Commissariat des IsarKreise, 5. September 1815. Zu den genaueren Umständen und Konsequenzen dieser MinisterialEntschließung vgl. Kap. 5.1, 231–240. 135 BayHStA, MInn, Nr. 54129, Bericht der Königlichen Regierung von Oberbayern, 11. Juni 1841. 136 BayHStA MInn, Nr. 54129, Verordnung vom 19. Dezember 1841. 137 „Edikt über die Freiheit der Presse und des Buchhandels vom 6. Juni 1848.“ In: Gesetzblatt für das Königreich Bayern, Nr. 12, 13. Juni 1848, Sp. 89–96, 93. 138 Dass dieser auch um 1900 immer noch praktizierten polizeilichen Theaterzensur damit schon 1848 die klare gesetzliche Grundlage entzogen war, stellte Robert Heindl 1907 fest. Vgl. Robert Heindl, Geschichte, Zweckmäßigkeit und rechtliche Grundlage der Theater-Zensur, München 1907, 49. 139 Handschreiben vom 5. Februar 1795, vgl. Karl Glossy, „Zur Geschichte der Wiener Theatercensur“, in Jahrbuch der Grillparzer-Gesellschaft, Bd. 7, 1897, 238–340, 294 und Nobert Bachleitner, „The Habsburg Monarchy“, in The Frightful Stage. Political Censorship of the Theater in Nineteenth-Century Europe, hg. von Robert Justin Goldstein, New York u. Oxford 2009, 228–264, 233.

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Gesellschaft und Öffentlichkeit

che, gegebenenfalls politisch riskante theatrale Praxis sah. Die Zensur der Vorstadtbühnen oblag zu diesem Zeitpunkt der Polizei, der alle Stücke zur Revision vorgelegt werden mussten. Auch die Theateraufsicht war der Polizei zugewiesen. Der Theaterhistoriker Carl Glossy spricht hier von der Zensur als regelrechtem „Polizirungsgeschäft“140. 1793 wurde die Polizeihofstelle als zentrale Zensurbehörde zunächst für Druckerzeugnisse gegründet, nur zwei Jahre später beauftragte diese den Wiener Theaterzensor der Hofbühne, Carl Hägelin, eine Denkschrift als Leitlinie für Theaterzensoren zu verfassen. Zwar war Hägelins Schrift für eine Vereinheitlichung der Zensurpraxis in Ungarn gedacht, aber sie gibt einen generellen Eindruck der von ihm und der Theaterpolizei befolgten Grundsätze in Zensursachen. Zum anderen beeinflusste diese Denkschrift die Politik der Theaterzensur bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts. Hägelin und alle späteren Theaterinstruktionen verfolgten eine Unterdrückung aller Angriffe auf die (katholische) Religion, Ausfälle gegen den Staat und das monarchische Prinzip und Verstöße gegen die Sittlichkeit. Darüber hinaus wurden alle satirisch-beleidigenden Andeutungen auf Personen (so genannte ‚Personalitäten‘ oder ‚Persönlichkeiten‘), Stände und Nationen streng geahndet. Ab 1803 übernahm die Polizeihofstelle auch die Oberaufsicht über die Theaterzensur. Die „Polizirung“ war somit vollständig erreicht, denn selbst die Zensur der Hoftheater, eigentlich in den Händen des Theaterzensors beim Oberstkämmeramt, erfolgte nun generell mit letzter Entscheidung der Polizei. Alle zur Aufführung vorgesehenen Theaterstücke mussten durch die Polizeihofstelle genehmigt werden, in politisch heiklen Fällen wurde Metternichs Staatskanzlei involviert. Spezielle Theaterkommissäre waren für die Proben- und Premierenaufsicht zuständig, kontrollierten die Einhaltung der Zensurvorschrift. Die „Instruktion für die Theaterkommissäre in den Vorstädten von Wien“ vom 5. Dezember 1803141 präzisierte deren Aufgaben dahin gehend: Sie seien verpflichtet, bei der Generalprobe und der Premiere anwesend zu sein, nicht nur bei neuen Stücken, sondern auch bei Neueinstudierungen alter Stücke; sie kontrollierten nicht nur die Übereinstimmung des Gesprochenen mit dem zensurierten Text, sondern überwachten auch die „Darstellung durch Aktion“, die Kostüme und Dekoration auf ihre Schicklichkeit; sie mussten ein besonderes Augenmerk auf das Extemporieren der Schauspieler haben. Die auch für die Theaterstücke wesentliche Druckzensur folgte ab 1810 der „Vorschrift für die Leitung des Censurwesens und für das Benehmen der Censoren, in Folge a.h. Entschließung vom 14. September 1810 erlaßen“142 , welche zur Folge hatte, dass 140

Karl Glossy, „Zur Geschichte der Wiener Theatercensur“, 295. Abgedruckt in Karl Glossy, „Zur Geschichte der Theater Wiens I. 1801–1820“, in Jahrbuch der Grillparzer-Gesellschaft, Bd. 25, 1915, 1–334, 59–64. Johann Hüttner verweist darauf, dass eine Fassung der Originalschrift im Niederösterreichischen Archiv, Wien, vorläge und geringe Abweichungen vom Glossy-Text aufweise, vgl. Johann Hüttner, „Theatre Censorship in Metternich’s Vienna“, in Theatre Quarterly, Vol. 37, 1990, 61–69, 69, Anm. 18. 142 Text abgedruckt in Julius Marx, Die österreichische Zensur im Vormärz, Wien 1959, 73–76. 141

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Österreich nunmehr die strengste Zensur des deutschen Bundes verfolgte. Letztlich immer noch von den Josephinischen Grundsätzen der Aufklärung geleitet, wurde die ‚Erziehung‘ des Menschen hier jedoch unterschwellig nach Klassenzugehörigkeit unterschieden,143 wovon die Kategorisierung der Zensururteile spricht. Von der unbeanstandeten Zulassung („admittitur“) bis zum völligen Verbot („damnatur“) rangierten die Kategorien über eine Verkaufserlaubnis ohne Werbung („transeat“) und dem eingeschränkten Bezug des Buches nur mit besonderem Erlaubnisschein („erga schedam“). Insbesondere die letzte Kategorie weist auf die Privilegierung des gebildeten Standes und eine unterschwellige Furcht vor einer bildungstechnischen ‚Entfesselung‘ der Unterschicht hin.144 Dieser Furcht entsprang auch die besondere Vorsicht im Umgang mit den Vorstadttheatern, dem Theater in der Leopoldstadt (gegr. 1781), dem Theater an der Wien (gegr. 1787) und dem Theater in der Josephstadt (gegr. 1788). Ein Dekret des Polizeipräsidenten von Sedlnitzky vom 26. August 1820 spricht von einer verschärften Kontrollsituation, aber gleichzeitig auch von der Schwierigkeit der Kontrolle: Bey Censurirung der Theaterstücke, besonders jener, welche in den Vorstadttheatern unter der Bezeichnung ‚Localpossen‘ aufgeführt werden sollen, kommt sehr viel darauf an, daß der Censor sowohl die spielenden Mitglieder als das zusehende Publikum des Theaters, wo solche Stücke gegeben werden, genau kenne, um Personalitäten, Zweydeutigkeiten oder bedenkliche Stellen […] anzuhalten. Durch die bisher aufgestellten Theater-Probe-Inspections-Commissaire, bey welchen die beste Local- und Personal-Kenntniß in obiger Beziehung vorauszusetzen ist, wurde der beabsichtigte Zweck alle, dem lesenden Censor entgangenen, bei der Aufführung selbst anstößigen Stellen, Darstellungen u. dg. vor der wirklichen Produkzion zu beseitigen, wahrscheinlich darum nicht allemal vollkommen erreicht, weil diese Probekomr. vor der Hauptprobe des aufzuführenden Theaterstückes nicht genug mit dem Inhalte desselben vertraut waren.145

Wegen dieses Problems sei es wiederholt dazu gekommen, dass anstößige Stellen zur Aufführung gelangt seien und erst nachträglich, unter Unmutsäußerungen des Publikums, gestoppt wurden.146 Im direkten zeitlichen Umfeld der Karlsbader Beschlüsse formulierte Sedlnitzky hier die Schwierigkeiten der umfassenden Kontrolle des öffentlichen Mediums, wenn gleichzeitig die Kontrollmechanismen diskret angesetzt werden sollten. Das Publikum sollte gar nicht erst die Gewalt des zensurierenden Eingriffs mitbekommen, daher musste gewährleistet werden, dass die Theaterzensoren im Vorfeld effektiv arbeiteten. Sedlnitzky wies daher die Theaterkommissäre an, künftig ein vor143

Vgl. hierzu etwa auch Norbert Bachleitner, „Wie begründet man ein Verbot? Österreichische Zensurprotokolle aus den Jahren 1810/11“, in Mitteilungen der Gesellschaft für Buchforschung in Österreich, 2001/02, 3–16, 3. 144 Johann Hüttner verweist hier auf die Parallele zwischen der hierarchischen Konzeption der SchulBildung und den Prinzipien der Zensur, vgl. Johann Hüttner, „Theatre Censorship“, 63. 145 Wiener Stadt- und Landesbibliothek, 3010, Nr. 6893/264, Dekret des Polizeipräsidenten, 26. August 1820. 146 Ebd.

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läufiges Zensurgutachten über die Stücktexte zu verfassen „mit Beachtung der Grundsätze ächter Religiosität u. Moral, mit genauer Berücksichtigung der Lokal- und Personal-Verhältnisse, und mit umsichtsvoller Beseitigung alles desjenigen, was an dem gutmüthigen Regionalcharakter unsers Volks nachtheilig werden, oder sein warmes Gefühl für Erfüllung seiner Pflichten gegen Fürst u. Vaterland schwächen könnte.“147 Dieses Zensurgutachten sollte den „lesenden Censoren“ bei der Polizeihofstelle gemeinsam mit den Theatermanuskripten zugestellt werden. Dort wurde dann das endgültige Zensururteil gefällt. So sollte gewährleistet werden, dass die Theaterkommissäre künftig besser mit den Stückinhalten vertraut wären und bei den Proben und Aufführungen eine genauere Kontrolle erreicht würde. Darüber hinaus wurden die Theaterkommissäre einem Vorstadttheater fest zugeteilt, zur besseren Kenntnis der dortigen Verhältnisse; vorher war alle sechs Monate gewechselt worden.148 Ganz deutlich wird hier, wie stark die Rolle der Theaterpolizei von der preußischen Praxis abwich und sie spätestens ab 1820 in die direkte politische Zensur einbezogen wurde. Trotz dieses ausgeklügelten Zensurnetzes stellten die Wiener Vorstadttheater immer noch ein Problem für die absolutistische Öffentlichkeitskontrolle dar. Entweder, weil die Zensoren doch ihr Geschäft nicht so diensteifrig ausübten, wie Sedlnitzky und Metternich es erwarteten,149 oder auch, weil die Theaterleute, die Autoren, Musiker und Darsteller, die Ahndung der Zensurvergehen in Kauf nahmen, wie etwa Johann Nestroy, der als Star des Leopoldstädter Theaters wegen verbotenen Extemporierens mehrfach Geld- und Gefängnisstrafen auf sich nahm.150 Seine Popularität als ‚Person der Öffentlichkeit‘ verlangte von ihm einerseits riskantes Agieren, andererseits schützte sie ihn auch vor schwerwiegenderer Strafverfolgung, etwa in Form von Ausweisung oder längeren Gefängnisaufenthalten. Die Theaterzensur wurde auch nach der Revolution von 1848 in Österreich nicht formal aufgehoben, faktisch konnte sie jedoch wegen der Auflösung der Zensurbehörden nicht durchgeführt werden.151 Erst am 25. November 1850152 wurde eine neue Theaterzensur-Verordnung erlassen. D i e r e g u l i e r t e Ö f f e n t l i c h k e i t . So zeigt sich, dass in den 1820er Jahren auch die Regulierung der Theateröffentlichkeit in Preußen, Österreich und Bayern weitgehend 147

Wiener Stadt- und Landesbibliothek, 3010, Nr. 6893/264, Dekret des Polizeipräsidenten, 26. August 1820. 148 Vgl. Karl Glossy, „Zur Geschichte der Wiener Theatercensur“, 59. 149 Ebd. 150 Zu Johann Nestroys Verhältnis zur Zensur vgl. Johann Hüttner, „Vor- und Selbstzensur bei Johann Nestroy“, in Maske und Kothurn, 26, 1980, 234–248; Helmut Herles, „Nestroy und die Zensur“, in Jürgen Hein (Hg.), Theater und Gesellschaft. Das Volksstück im 19. und 20. Jahrhundert, Düsseldorf 1973, 121–132. 151 Vgl. Franz Dirnberger, Burgtheater in Dokumenten, Ausstellungskatalog, Wien 1976, 58. Vgl. auch Johann Hüttner, „Zensur ist nicht gleich Zensur“, in Nestroyana, 3. Jg., 1981, 22–24. 152 Reichsgesetzblatt für das Kaiserthum Österreich, Nr. 454, 25. November 1850.

Die Regulierung von Öffentlichkeit

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abgeschlossen war und erst mit der Märzrevolution entscheidende Veränderungen erfuhr. Politische Ereignisse und wechselnde Personalien modifizierten die Zensur immer wieder, die Grundtendenz der umfassenden Öffentlichkeitseinschränkung erhielt erst in der gärenden prä-revolutionären Phase eine neue Richtung. Die besprochenen zeitgenössischen Denkschriften und Berichte sprechen von einem Regelungsbedarf für eine sich wesentlich umgestaltende Medienlandschaft und eine massiv nach vorne drängende Presseentwicklung, die eine für alle Schichten zugängliche Öffentlichkeit anstrebte. Man kann einige wichtige Themenfelder markieren, die im Diskurs um das Recht auf Öffentlichkeit und öffentliche Meinung immer wieder zu erkennen sind. So ging es zum einen immer wieder um die Frage der Bildungsaufgabe von Medien. Sowohl Presse als auch Theater waren gleichermaßen davon betroffen. Die Bildungs- und Aufklärungswirkung von Medien wurde einmal als nützliche Funktion, ein anderes Mal als gefährliches Potential gewertet, aber immer konnte die Unterscheidung in gute und schlechte Bildungswirkung gute Gründe bieten für eine Einschränkung und Regulierung von öffentlichen Medien. Ein weiteres großes Thema war die Professionalisierung der Presseakteure und der strukturelle Wandel vom gelehrten Teilzeitpublizisten zum voll erwerbsmäßig tätigen Journalisten. Die Einrückung von Zeitungen und Zeitschriften in gewerbliche und marktübliche Rahmungen und deren oft profitable Praxis wurde mit Befremden wahrgenommen. Der Versuch über Regulierungen und moralische Diskurse zu bestimmen, was dieser neue journalistische Berufstyp dürfen sollte und worauf er sich beschränken müsste, spricht von einer grundsätzlichen Verunsicherung über seine Tätigkeiten und Möglichkeiten. Im Zusammenhang mit dem Presse-Diskurs findet sich oft der Topos der Bedrohung. Der innere Frieden, das Seelenheil, die Zukunft und der Souverän waren wechselweise von der Presse bedroht. Die Thematisierung von studentischer Disziplinlosigkeit bis hin zu Gewaltszenarien an Universitäten machte den Akademiker zum potentiellen Revolutionär. Die Beschränkung der Presse als Gegenmittel zur Bedrohung gewann hier plausible Legitimation. Die Basis all dieser Themenfelder war der prinzipielle Antagonismus von hierarchisch strukturierter und zirkulär-medialer Kommunikation. Während das restaurative Lager das patriarchale System der von oben verordneten und kontrollierten Kommunikation in der Vertikalen als Garant für politische Stabilität vertrat, standen die progressiv liberalen Kräfte auf der Seite eines zirkulären und nichthierarchischen Medien-Dispositivs. Auf politischer Ebene gelang es den Großmächten des deutschen Bundes, die hierarchisch-absolutistische Kommunikations-Struktur als zu sicherndes Modell durchzusetzen. Mit den Karlsbader Beschlüssen wurden die Bundesstaaten auf eine restriktive Linie gebracht: Die Länderhoheit in der Presse- und Zensurfrage wurde im Prinzip aufgehoben – jedes Land konnte sich über Pressevergehen in anderen Ländern bei der Bundes-Zentrale in Frankfurt beschweren und somit in die interne Öffentlichkeitspolitik hineinregieren. Gleichzeitig aber ließ sich die gesellschaftlich-kulturelle Ent-

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Gesellschaft und Öffentlichkeit

wicklung zirkulärer Mediendispositive grundsätzlich nicht mehr aufhalten. Dadurch entstand eine krisenhafte Spannung zwischen Regulierungsabsichten und öffentlicher Medienpraxis, die sich in beständigen Auseinandersetzungen um die Funktionen, Rechte und Potentiale von Medien entlud. Diese medialen Auseinandersetzungen wurden sowohl zwischen Staatsautoritäten und den Leitmedien Presse und Theater als auch zwischen den verschiedenen Medieninstitutionen in der Zeit der Restauration bis zum Vormärz als Symptome einer medialen Krisensituation intensiv geführt. Das Theater als öffentliche Einrichtung und Forum des öffentlichen Sprechens blieb nicht unberührt von diesen medialen Entwicklungen und Diskursen. Es stand zunächst in einem konkurrierenden Verhältnis zu den Öffentlichkeitsbestrebungen der modernen Presse. Sowohl die deutschen Staatsbehörden als auch die Theater versuchten daher, ihren Platz in der Öffentlichkeit geltend zu machen und die Presse einzuschränken. Gleichzeitig profitierte das Theater jedoch von den modernen Medienentwicklungen. Sowohl die zuverlässige und aktuelle Berichterstattung über die Theater als auch der Übertrag von medialen Epistemen aus der Journaille leisteten spätestens ab 1830 einen Beitrag zu einem versuchten ‚Re-modelling‘ des Theaters zu einem modernen politisch engagierten Medium.

2.3

Öffentlichkeit im literarisch-philosophischen Diskurs

Genau wie die Medien-Topoi der Regulierungs-Geschichte war auch der literarischphilosophische Diskurs zur Öffentlichkeit von den Umbrüchen der Gesellschaft und der Medienentwicklung geprägt. Anhand von Christoph Martin Wielands Öffentlichkeitskonzeption, die er im Zwiegespräch seiner Protagonisten Sinibald und Egbert darlegt, wird das suchend Tastende des Öffentlichkeitsdiskurses der Zeit exemplarisch offen gelegt. Es zeigt sich, dass die Argumente für oder wider eine ‚öffentliche Meinung‘ längst nicht gefestigt waren, die eigene Praxis in der öffentlichen Sphäre mit Unsicherheiten und experimentellen Auswüchsen behaftet war. Die politischen und ästhetischen Theorien von Hegel und Schiller, die sich mit der zunehmenden Abstraktion des Individuums in der modernen Gesellschaft auseinander setzten, waren mit spezifischen Vorstellungen der Rolle der Kunst und der öffentlichen Sphäre in der Gesellschaft verbunden. Sowohl Hegel als auch Schiller wirkten immer wieder als zentrale Bezugspunkte des Nachdenkens über die politische Funktion der Kunst und des Theaters in der modernen Gesellschaft. Ihre Theorien stehen daher paradigmatisch für ein gewandeltes Bewußtsein politischer Öffentlichkeit und einer damit verbundenen Theaterpraxis, sowohl auf der ästhetischen als auch der soziokulturellen Diskurs-Ebene.

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Ö f f e n t l i c h e M e i n u n g u n d V o l k s s o u v e r ä n i t ä t . Christoph Martin Wieland (1733–1813) war einer der herausragenden deutschen Schriftsteller der Aufklärung. Seine frühen Shakespeare-Übersetzungen (Zürich 1762–1766, 8 Bde.) machten ihn für das Theater seiner Zeit bedeutend. Seine größte Wirkung entfaltete er in seiner Weimarer Zeit, wohin er 1772 als Fürstenerzieher hinberufen worden war. Er zählte mit Goethe, Schiller und Herder zu den Hauptvertretern der Weimarer Klassik. Seine journalistische Tätigkeit machte ihn als Literaturkritiker aber auch als politischen Beobachter und Kommentator bekannt. Von 1773–1789 gab er die literarische Vierteljahresschrift Der Teutsche Merkur heraus, wo er seine eigenen literarischen Werke, aber auch politische Essays und Berichte zur Zeitgeschichte publizierte.153 Diese Zeitschrift, angelehnt an den berühmten Mercure de France, gehörte seinerzeit zu den bedeutendsten literarischen Organen im deutschsprachigen Raum. Christoph Martin Wieland äußerte sich hier nach der Französischen Revolution zu vielen Aspekten der aktuellen politisch-gesellschaftlichen Entwicklung und diskutierte auch eine entstehende politische Öffentlichkeit. So endet das IX. Stück seiner Gespräche unter vier Augen mit dem Titel „Über öffentliche Meinung“154 mit folgenden bilanzierenden Sätzen seiner beiden Protagonisten Egbert und Sinibald: Egbert: Jeder Ausspruch der Vernunft hat die Kraft eines Gesetzes, und bedarf dazu nicht erst öffentliche Meinung zu werden. Sinibald: Sagen Sie lieber, sollte die Kraft eines Gesetzes haben, und wird sie auch sicher erhalten, sobald er sich als die Meinung der Majorität ankündigt. Egbert: Das wird sich im neunzehnten Jahrhundert ausweisen.155

Wieland prognostizierte hier dem 19. Jahrhundert, die Weichen für eine wirksame politische Öffentlichkeit156 zu stellen und benannte den machtvollen Umschlag vom „Ausspruch der Vernunft“ zur gesetzgebenden „Meinung der Majorität.“ Interessanterweise ließ er damit seinen Text zugunsten der Majorität enden. Nicht der vernünftige Ausspruch des Gelehrten sollte Gesetzeskraft erhalten, sondern die vielstimmige Majorität des Volkes, das auch die Nicht-Gebildeten und die Nicht-Besitzenden einschließen sollte.157 153

Vgl. Kap. 2.2, 51f. Ich zitiere im Folgenden aus der Werkausgabe von 1826: Christoph Martin Wieland, „Über öffentliche Meinung (1798/99)“, IX. Stück der „Gespräche unter vier Augen“, in Sämmtliche Werke, 42. Bd., „Politische Werke III“, hg. J. G. Gruber, Leipzig 1826, 253–289. 155 Christoph Martin Wieland, „Über öffentliche Meinung“, 289. 156 Für eine umfassende Diskussion von Christoph Martin Wielands Öffentlichkeits-Begriff vgl. Tobias Liesegang, Öffentlichkeit und öffentliche Meinung, insbes. Kap. 5 „Christoph Martin Wieland“, 87–108. 157 Es gilt hier, der Ansicht entgegen zu treten, Wieland gestehe nur den im Sinne der Aufklärung hoch entwickelten, d.h. dahingehend gebildeten Menschen, die Freiheit der Meinungsäußerung zu, wie sie etwa von Annelies Reichert und Bernd Weyergraf vertreten wird. Vgl. Annelies Reichert, Wielands Stellungnahme zur Frage der Pressefreiheit und ihre Auswirkung auf sein publizistisches Schaffen, Univ.-Diss. München 1949, 99; vgl. Bernd Weyergraf, Der skeptische Bürger. Wielands 154

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Mit seinem Anspruch an das 19. Jahrhundert, die Differenz zwischen Gelehrtenvernunft und Volksmajorität öffentlich geltend zu machen, formulierte er in prophetischer Weise einen Auftrag, den die nachfolgende Generation bereitwillig annehmen sollte. Insbesondere die erste Hälfte des 19. Jahrhundert stellte sich als diskursiv höchst aktive Periode der „öffentlichen Meinung“ heraus. Wieland ließ Egbert bekennen, „daß ich noch nie mit mir selbst habe überein kommen können, was ich bei dieser vieldeutigen Benennung, die man in unsern Tagen so oft zu hören bekommt, eigentliches und bestimmtes denken soll.“158 Der Begriff der „öffentlichen Meinung“ hatte demgemäß eine große Popularität, konnte jedoch bisher noch nicht eindeutig eingeordnet werden. Die politischen Ereignisse der Französischen Revolution forderten ein Nachdenken über die politische Kraft öffentlichen Handelns und Meinens ein, ohne dass dies in ein bestehendes Ordnungssystem hätte eingebettet werden können. Wir haben es hier mit einer politischen Übereilung zu tun, die das Vorstellbare übersteigt – es geht um eine regelrechte Revolution des Denkens.159 Demgegenüber bewegten sich die Philosophen, Staatsrechtler und Kunstkritiker der folgenden Generationen in einem diskursiv bereits abgesteckten Feld. Sie beeilten sich, einen dezidierten Beitrag zur Diskussion zu leisten und operierten schon mit gefestigten Argumenten. Der Befund der Übereilung bestätigt Geoff Eleys Feststellung, dass der globale liberale Diskurs, den die Französische Revolution artikulierte und mit großer Geschwindigkeit in ganz Europa verbreitete, das Streben nach einer emanzipatorischen öffentlichen Sprechmöglichkeit entzündete.160 Der politische Diskurs sei aufgenommen worden, ohne dass er mit einer Lebensrealität verknüpft werden könne. Genau dies habe eine Spannung zwischen einem vorausgeeilten Denken und der dadurch wahrgenommenen Rückständigkeit der Gesellschaftsverhältnisse erzeugt, welche letztlich zum dringenden Wunsch nach einer politischen Öffentlichkeit geführt habe.161 Ö f f e n t l i c h k e i t v s . I n t i m i t ä t . Wielands Gespräche unter vier Augen (1798/1799) sind eine Serie von Dialogen, die sich mit dem Verlauf, der politischen Neuordnung und den staatstheoretischen Konsequenzen der Französischen Revolution befassen. Verschiedene Gesprächspartner diskutieren etwa über „die Vorzüge der repräsentativen Schriften zur Französischen Revolution, Stuttgart 1972, 48–51. Allerdings weist Tobias Liesegang darauf hin, Wieland unterscheide gemäß der Aufklärungstradition zwischen einem normativen und einem empirischen Begriff des „Volkes“, wobei ersterer positiv als vernünftig bewertet, letzterer negativ als unbewusst und triebgesteuert abqualifiziert werde, vgl. Tobias Liesegang, Öffentlichkeit und öffentliche Meinung, 103. 158 Christoph Martin Wieland, „Über öffentliche Meinung“, 253. 159 Vgl. zu einer Überstürzung des politischen Diskurses gegenüber einer späteren gesellschaftlichen Transformation, Geoff Eley, „Nations, Publics, and Political Cultures“, 305f. 160 Geoff Eley, „Nations, Publics, and Political Cultures“, 289–339, 305f. 161 Ebd. Geoff Eley wendet sich hier gegen die von Habermas angenommene Logik, nach der erst soziale Strukturveränderungen den Diskurs der kritischen Öffentlichkeit überhaupt ermöglicht hätten; vgl. Jürgen Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, 82ff.

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Demokratie vor der monarchischen Regierungsform“ (V. Stück) und fragen sich: „Was wird aus dem allen werden?“ (VIII. Stück). Aus den politischen Reflexionen Wielands spricht hier eine Verehrung der freiheitlichen Errungenschaften der Französischen Revolution und gleichzeitig eine große Abscheu vor dem Terror-Regime der Jakobiner. Wieland unterschied zwischen den radikalen politischen Agitatoren und dem einfachen Volk, dessen Berechtigung zum öffentlichen Protest er mehrfach formulierte. Auch das Gespräch „Über öffentliche Meinung“ orientiert sich an dieser Grundhaltung. Wieland erzeugte mit der Publikation seines Textes eine paradoxe mediale Schichtung. Eingerückt in die Serie der Gespräche unter vier Augen stellt die „öffentliche Meinung“ gerade das Gegenteil dieser medialen Kommunikationsstruktur dar. Das ‚Gespräch unter vier Augen‘ ist eine intime Kommunikationssituation, die Ähnlichkeiten mit dem Gelehrtengespräch oder auch der familiären Situation aufweist. Die Medienstruktur der „öffentlichen Meinung“ scheint also nicht dem Erfahrungsbereich von Sinibald und Egbert anzugehören, deren Zwiegespräch allerdings eine für sie gewohnte Situation darstellte. So beginnt der Text unvermittelt so, als ob das Gespräch entweder schon vorher begonnen oder schon zu einer anderen Zeit geführt worden wäre, mit Egberts Satz: „Sie haben sich schon mehrmals auf die öffentliche Meinung berufen, Sinibald […]“162 Die Editionsgeschichte der Gespräche unter vier Augen wiederum machte das intime Gespräch zur öffentlichen Diskussion. Einige der zwölf Stücke163 dieser Gespräche erschienen 1798/99 nacheinander in der von Wieland herausgegebenen Literaturzeitschrift Der Neue Teutsche Merkur.164 Kurze Zeit später, 1799, veröffentlichte Wieland die gesamten 12 Stücke in dem Band Gespräche unter vier Augen in Leipzig.165 Bereits im Jahr 1800 erschien ein identischer nicht autorisierter Nachdruck der Gespräche unter vier Augen in der berüchtigten Sammlung der besten deutschen prosaischen Schriftsteller und Dichter von Christian Gottlieb Schmieder.166 Die Gespräche sind dann im Folgenden in der ab 1802 durch Göschen, Leipzig, besorgten Gesamtausgabe und in allen weiteren Auflagen dieser Sämmtlichen Werke enthalten. So wurden die 162

Christoph Martin Wieland, „Über öffentliche Meinung“, 253. So das I. („Was verlieren oder gewinnen wir dabei, wenn gewisse Vorurtheile unkräftig werden?“), II. („Ueber den Neufränkischen Staatseid: ‚Haß dem Königthum‘“), IV. („Was ist zu thun?“), V. („Entscheidung des Rechtshandels zwischen Demokratie und Monarchie“ und VIII. („Was wird aus dem allen werden?“) Stück des Sammelbandes von 1799. 164 Der Neue Teutsche Merkur, hg. von Christoph Martin Wieland, 1790–1810, Weimar. Nachfolger des Teutschen Merkur, hg. von Christoph Martin Wieland, 1773–1789, Weimar. 165 Christoph Martin Wieland, Gespräche unter vier Augen, Leipzig 1799. 166 Christoph Martin Wieland, Gespräche unter vier Augen (= Sammlung der besten deutschen prosaischen Schriftsteller und Dichter. Neun und fünfzigsten Theils, Siebenter Band), Karlsruhe 1800, hg. von Christian Gottlieb Schmieder. Der Verleger Schmieder galt als berüchtigter Nachdrucker, so daß sein Name zum zeitgenössischen Synonym für „nachdrucken“ (=„schmiedern“) wurde. Dabei bekümmerte er sich wenig um Autorenrechte und Verlagslizenzen. Schmieder druckte seit 1774 unter anderem auch Werke von Gellert, Klopstock und Kleist in dieser Reihe nach. 163

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Vier-Augen-Gespräche von Wieland innerhalb kürzester Zeit mehrfach in verschiedenen Zusammenhängen publiziert; man erahnt hier ein ansehnliches Lesepublikum. Insbesondere der kommerzielle Raub-Druck von Schmieder lässt darauf schließen, dass dieser Verleger mit einem großen Leserkreis rechnete. Vor diesem Hintergrund erscheint Wielands komplizierte Legitimierung des Widerspruchs von Publizität und intimem Zweiergespräch im „Vorbericht“ der Gespräche reichlich abgehoben. Wieland authentifizierte die redlichen und freimütigen Ideen der Dialogpartner durch die Sicherheit des Gesprächs unter vier Augen, das eben nicht dazu bestimmt wäre, an die Öffentlichkeit zu gelangen: Ein paar Freunde, die allein zu seyn glauben, besorgen weder mißverstanden noch unredlich gedeutet zu werden; jeder spricht wie er denkt, und ist versichert, daß sein Freund, wenn er auch nicht immer seiner Meinung ist, oder den Gegenstand, wovon die Rede ist, in einem andern Licht oder von einer andern Seite betrachtet, ihm wenigstens eben dieselbe Gedankenfreiheit zugesteht, wozu er sich selbst berechtigt hält.167

Dass diese „freimüthige[n] und unzurückhaltende[n]“168 Gespräche doch an das Publikum gelangten, verdanken wir einem heimlichen Lauscher an der Wand, „dem die Kunst geschwind zu schreiben oder ein ungewöhnliches Gedächtnis zu Dienste stand.“169 Der Lauscher fand insofern günstige Bedingungen, als alle diese Gespräche „unter einer dichten Sommerlaube gehalten wurden, welcher man sich aus dem benachbarten Gebüsche ohne bemerkt zu werden, nähern konnte.“170 Wieland skizzierte hier die klassische Situation einer dramatischen Intrige. Die Situation eines heimlich belauschten intimen Gesprächs in der Gartenlaube gehörte fast zum Standardrepertoire des bürgerlichen Lustspiels und führte dort in der Regel zum Umschlag der Handlung.171 Der Lauscher des Dramas hatte zumeist unlautere Absichten und schlug aus seinem gewonnenen Geheimwissen Kapital. Wieland bekannte sich dagegen als „Herausgeber allein für die öffentliche Bekanntmachung verantwortlich, und nimmt die Pflicht, seine anspruchslosen und nichts böses besorgenden noch bezweckenden Freunde im Nothfall zu vertreten.“172 Die Veröffentlichung der durch die intime Rahmensetzung authentifizierten Gespräche sei motiviert durch den vorausgesetzten Wunsch der Leser, Zugang zu diesen interessanten Diskussionen zu finden. Die komplizierte Überlagerung von Öffentlichkeit und intimem Geheimnis in Wielands Text zeugt von der Virulenz der Frage nach dem Status und der Funktion von Öffentlichkeit, die jedoch noch nicht schlüssig beantwortet werden konnte. Nicht nur, 167

Christoph Martin Wieland, „Über öffentliche Meinung“, 3. Christoph Martin Wieland, „Über öffentliche Meinung“, 4. 169 Ebd. 170 Christoph Martin Wieland, „Über öffentliche Meinung“, 5. 171 So belauscht etwa auch die junge Therese in Gotthilf August von Maltitz’ Der alte Student (1828) von ihrem Versteck im Gebüsch das Gespräch von Solky mit dem Intriganten Flachentropf und kann so später dessen Lügengeschichte entlarven. Zum Theaterskandal um die Aufführung von Der alte Student am Königstädtischen Theater siehe Kap. 4.2, 168–190. 172 Christoph Martin Wieland, „Über öffentliche Meinung“, 5. 168

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dass sich die beiden Gesprächspartner darüber klar werden müssen, was der Begriff der ‚Öffentlichkeit‘ und der ‚öffentlichen Meinung‘ überhaupt beinhalte, sondern auch die mediale Struktur des Textes verrät einen tastenden, experimentierenden Umgang mit der öffentlichen Sphäre. Die Diskussion um die öffentliche Meinung ist eingebettet in das intime Gespräch, das wiederum über den Umweg des heimlichen Lauschens und in Rücksicht auf die Leserschaft zu einer breit angelegten Publizität gelangt. Die durch das intime und daher rückhaltlos geführte Gespräch verbriefte Wahrhaftigkeit gelangt so auf kompliziertem Wege ans Licht und stellt sich einer weiteren Diskussion. D u m p f e s G e m u r m e l u n d J a k o b i n i s c h e A g i t a t i o n . Der Binnendiskurs des beschriebenen Gesprächs ist eng gekoppelt an die jüngsten politischen Ereignisse in Frankreich. Die beiden Protagonisten Wielands, Sinibald und Egbert, verbinden die öffentliche Meinung mit dem plebejischen Umsturz der Französischen Revolution. Während Sinibald jedoch die öffentliche Meinung als unterschwellig wirkende, sich durchaus berechtigt äußernde Stimmungslage des Volkes betrachtet, an der sich ein Aufstand entzünden kann, steht Egbert dem Volk wesentlich kritischer gegenüber und betrachtet öffentliche Meinung als agitatorisches Instrument von Demagogen. So beschreibt Sinibald diese als eine Meinung, die sich unvermerkt der meisten Köpfe bemächtigt hat, und auch in Fällen, wo sie noch nicht laut zu werden wagt, doch, gleich einem Bienenstock, der in kurzem schwärmen wird, sich durch ein dumpfes, immer stärker werdendes Gemurmel ankündigt; da sie dazu nur durch einen kleinen Zufall Luft bekommen darf, um mit Gewalt hervor zu brechen, in kurzer Zeit die größten Reiche umzukehren, und ganzen Welttheilen eine neue Gestalt zu geben.173

Und Egbert hält demokratiekritisch dagegen: Was man für die öffentliche Meinung ausgiebt, ist immer die Meinung und der Wunsch einer kleinen Anzahl von Köpfen, denen daran gelegen ist, das Volk zum Werkzeug ihrer Absichten zu machen, und die daher ihr möglichstes thun, das Feuer, das sie anblasen, allgemein zu machen.174

Sinibald jedoch beharrt darauf, dass auch die untersten Volksklassen, „diejenigen nämlich, die kein anderes Eigenthum haben als ein Paar nervige Arme und eiserne Fäuste“175, nicht nur willenlose Marionetten jakobinischer Agitation seien, sondern es in der Verantwortung des Staates liege, die Repressalien und das Elend der „Tagelöhner“ zu erleichtern und somit „das Uebel durch zweckmäßige Mittel zu verhüten.“176 Mit der Stimme von Sinibald befestigte Wieland seinen Glauben, dass die öffentliche Meinung an vernünftige, auf dem gesunden Menschenverstand basierende, Reflexion und Aufgeklärtheit gekoppelt sein müsse – und zwar unabhängig von der Klassenzuge173

Christoph Martin Wieland, „Über öffentliche Meinung“, 255. Christoph Martin Wieland, „Über öffentliche Meinung“, 256. 175 Christoph Martin Wieland, „Über öffentliche Meinung“, 260. 176 Christoph Martin Wieland, „Über öffentliche Meinung“, 261.

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hörigkeit. Es sei ebenso möglich, „daß sich in dieser [untersten Klasse] einige helle Köpfe über den engen und nebligen Dunstkreis ihres Standes erheben, als es gewiß ist, daß in den höchsten Klassen selbst nur wenige zu einer klaren und unbefangenen Absicht der menschlichen Dinge gelangen.“178 Gradmesser sei hier der Bildungsstand der Aufklärung. Wieland vertrat hier mit Sinibald die Ansicht, das freie Vortragen der öffentlichen Meinung sei wichtig zum Wohle des Staates, um sinnvolle und notwendige Reformen zu veranlassen. Zu oft verwechselten die staatlichen Autoritäten diese berechtigte Meinungsäußerung mit dem politischen Aufruhr und antworteten mit Repression und Kontrolle.179 Dagegen sei es aber die oberste Pflicht der Machthaber, die öffentliche Meinung als Abgleich des Ist-Zustandes einer Gesellschaft wahrzunehmen und entsprechend zu handeln, so Sinibald: Sollten nun in einem solchen Zeitpunkte, wo der Geist eines durch hierarchischen, aristokratischen und monarchischen Despotism lange niedergedrückten Volkes alle seine Ketten zu schütteln anfängt, und im Begriff ist, eine nach der andern zu zerreißen, nicht auch, natürlicher Weise, die öffentliche Meinung eine bestimmtere Gestalt gewinnen, und sich endlich so deutlich zu erkennen geben, daß nur eine beinahe unbegreifliche Verblendung die Machthaber verhindern könnte, zu sehen, daß es die höchste Zeit sey, andre Wege einzuschlagen, wenn sie der Katastrofe, die sie doch selbst befürchteten, zuvor kommen wollten.180

Das Medium der öffentlichen Meinung wird hier als ein Vermittlungsinstrument zwischen Staat und Gesellschaft betrachtet, das den Ausgleich zwischen der politischen Macht der Staatsautorität und dem anarchistischen Gewaltpotential des Volkes herstellen kann. Es liege im Interesse beider Instanzen, dass die politische und gesellschaftliche Ordnung erhalten bleibe, der revolutionäre Umsturz verhindert werde und kein repressiver Terror regiere, aber die Verhältnisse sich verbesserten. Mit dieser Argumentation überzeugt Sinibald letztlich auch Egbert, öffentliche Meinung nicht mehr im Kontext agitatorischen Radikalismus‘ zu sehen, sondern als Vermittlungsmedium einer „gegenwärtigen Stimmung“181 zu verstehen. Daher resümiert Egbert: Die Existenz und die Wichtigkeit dessen, was Sie öffentliche Meinung nennen, wäre also, für mich wenigstens, außer Zweifel gesetzt. Nur scheint es, unglücklicher Weise, nicht möglich zu 177

Vgl. hierzu auch John A. McCarthy, „Die gefesselte Muse. Wieland und die Pressefreiheit“, in Modern Language Notes, Vol 99, No. 3, German Issue „Christoph Martin Wieland“, 1733–1813 (Apr. 1984), 437–360, insbes. 443f. 178 Christoph Martin Wieland, „Über öffentliche Meinung“, 263. 179 Vgl. Christoph Martin Wieland, „Über öffentliche Meinung“, 262. 180 Christoph Martin Wieland, „Über öffentliche Meinung“, 280. 181 Vgl. auch Christoph Martin Wieland, „Über öffentliche Meinung“, 282: „Egbert: […] In der That kommt es hier nicht sowohl darauf an, wer eine Meinung zuerst aufgebracht, oder sie am besten zu behaupten weiß, als darauf, daß sie, um den Namen der öffentlichen zu verdienen, dem Geiste der gegenwärtigen Stimmung der Nazion so angemessen und überhaupt so beschaffen sey, daß sie, sobald sie sich laut vernehmen läßt, dem größten Theil derselben einleuchtet, und mit Beifall von ihm aufgenommen werde.“

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seyn, die Machthaber in einem noch bestehenden Staate, wie nahe dieser auch bereits seiner Auflösung seyn mag, von der Aufmerksamkeit und Achtung zu überzeugen, die man ihr – auch in Ermangelung edlerer Beweggründe, schon aus bloßer Klugheit und Rücksicht auf eigene Sicherheit und Selbsterhaltung – erzeigen sollte.182

Letztlich liege die „eigene Sicherheit und Selbsterhaltung“ im Interesse aller, und so fordert Sinibald eindringlich den Umschlag der willkürlichen Geheimpolitik in transparente Öffentlichkeit und wahre Vernunft: So lange die Moral eine ausschließliche Behörde der Priesterschaft, und die Politik das anmaßliche Geheimnis der Höfe und Kabinette ist, müssen sich diese und jene zu Werkzeugen der Täuschung und Unterdrückung missbrauchen lassen; das Volk wird das Opfer schändlicher Wortspiele, und die Gewalt erlaubt sich alles und darf sich alles ungestraft erlauben, da es von ihrer Willkühr abhängt, Unrecht zu Recht, Recht zu Unrecht zu stempeln, und das, wovor sie sich am meisten fürchtet, die Bekanntmachung der Wahrheit, zum Verbrechen zu machen, und als solches zu bestrafen. Nicht so, wenn die Vernunft sich ihrer ewigen unverjährbaren Rechte wieder bemächtigt hat, um alle Wahrheiten, an deren Erkenntnis Allen Alles gelegen ist, wieder ans Licht hervor zu ziehen, und ihnen mit Hülfe aller Musenkünste, unter allen nur ersinnlichen Gestalten und Einkleidungen, die möglichste Popularität zu verschaffen.183

Den Obrigkeiten wie auch dem Volk müsse gemeinschaftlich an der Erkenntnis der Wahrheit gelegen sein, da nur so dem Wohle des Staates gedient sei. Das aufklärerische Bildungsziel der Perfektionierung des Menschen als vernünftiges Wesen liegt im Kern von Wielands Konzeption des politischen Ausgleichs durch öffentliche Meinungsäußerung. Für unseren Zusammenhang interessant ist die von Wieland geforderte Indienstnahme der „Musenkünste“, um dem Projekt der Aufklärung „die möglichste Popularität zu verschaffen“. Es geht um die massenhafte Verbreitung, die eine maximale öffentliche Aufmerksamkeit für das ‚Licht der Vernunft‘ herstellen soll; das Theater gilt als ideale mediale Plattform, um alle nur ‚ersinnlichen‘ und auch ‚sinnlichen‘ Gestalten wirksam zu präsentieren. Jedoch scheint Wieland hier auch eine konkrete politische Aufgabe der Künste vor Augen gehabt zu haben, da hier von „Wahrheiten“ die Rede ist, die durch sie ans Licht gezogen und von ihnen verbreitet würden. Im Zusammenhang des vorher gesagten, da er in Gestalt von Sinibald in konkret politischen Begriffen von der absolutistischen Willkür und dem Obskurantismus der politischen Mächte als Zielscheiben einer „Bekanntmachung von Wahrheiten“ spricht, treten die „Musenkünste“ hier wesentlich aus der Aufgabe einer Vermittlung von Moral und Sittlichkeit hinaus, um sich praktisch in den Dienst einer politischen Aufklärung zu stellen. So könnte man behaupten, Wieland präfigurierte hier die Konzeption eines politischen Auftrages an die Künste und damit auch an das Theater als wirksames Element einer medialen Öffentlichkeit. Wenn man von da aus konsequent weiterdenkt, dann hieße das, Theater müsse sich rückhaltlos dem Gegenwartsbezug verschreiben. Es darf dann seinen politischen Vorteil, ein Medium 182 183

Christoph Martin Wieland, „Über öffentliche Meinung“, 284. Christoph Martin Wieland, „Über öffentliche Meinung“, 276f.

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des ‚hier‘ und ‚jetzt‘ zu sein, nicht verleugnen, sondern müsste ihn wirksam nutzen, um aktuelle Themen öffentlich auszustellen. Diese Konsequenz lässt sich bei Wieland jedoch nicht unmittelbar herauslesen, es blieb den nachfolgenden Generationen vorbehalten, diesen Schritt zu tun. Wieland entwickelte seinen Begriff von öffentlicher Meinung in direkter Auseinandersetzung mit dem politischen Gewaltpotential der Volksmassen, wie es die Ereignisse der Französischen Revolution eindrücklich vorgeführt hatten. Aufmerksam registrierte und diskutierte Wieland die gesellschaftlichen Transformationen seiner Zeit und erfasste „Öffentlichkeit“ als Schlüsselmoment der politischen Entwicklungen. Letztlich konnte Wieland aber nicht über den doch fragwürdig gewordenen Denkhorizont der Aufklärung hinaus.184 Er verblieb mit seinem Dialog im Prinzip dem Bildungsgedanken der Aufklärung verbunden. Die politischen Auswirkungen der französischen Revolution und die Abstraktion des Menschen aus dem alten gesellschaftlichen Gefüge müssen wir noch einmal genauer betrachten, um zu ergründen, inwiefern hier eine Grundlage gegeben war, um eine postaufklärerische Idee von Theater als politisch relevantem Medium der Öffentlichkeit zu generieren. Daher sollen die politische und ästhetische Theorie von Georg Willhelm Friedrich Hegel und Friedrich von Schiller – beide wichtige Bezugsgrößen der späteren Theatertheorie – im Folgenden diskutiert werden. Es geht zunächst um Hegels ambivalenten Begriff von Öffentlichkeit, der in das Konzept eines landesständisch verfassten Staates eingebunden ist – von den einen als fortschrittliche Konzeption der Notwendigkeit von öffentlicher Vermittlung des Staatshandelns gesehen, von den anderen als „eine wissenschaftlich formulierte Rechtfertigung des Karlsbader Polizeisystems und der Demagogenverfolgung“185 betrachtet. Im Theaterbereich waren es vor allen Dingen die linkshegelianischen Literaten, welche Hegels Gedankengut einbrachten. Sie legten den Schwerpunkt auf Hegels historisierende Perspektive in seiner ‚Philosophie des Zeitgeist‘ und kamen auf ihn gestützt zu dem Anspruch, Öffentlichkeit im Staat zu gestalten und sich durch den ‚Geist der Zeit‘ in ihrem politischen Handeln zu legitimieren. Schillers „Ästhetische Erziehung“ erhielt in der politisierten Phase des Vormärz eine deutlich politisch markierte Lesart. Auf den ersten Blick verblüffen mag, dass er immer wieder als Gewährsmann für eine gesellschaftliche Relevanz des Theaters gelten musste, während seine Idee des „Reich des Schönen“ die potenzielle Entrückung der Kunst von dem ‚niederen‘ Treiben der gesellschaftlichen Realität doch geradezu vorschreibt. Dieser Übertrag auf eine politische Geltung der Kunst funktionierte im Vormärz in der Zusammenstellung von Schillers ästhetischem Gesellschaftsideal mit der historisierenden Funktionsanalyse in der politischen Realität nach Hegel. 184 185

Vgl. auch Tobias Liesegang, Öffentlichkeit und öffentliche Meinung, 108. Rudolf Haym, Hegel und seine Zeit, Berlin 1857, 364. Hayms weit rezipierte Abrechnung mit Hegel hat zu einer wesentlichen Abwertung seiner Philosophie bis zum Ende des 19. Jahrhunderts geführt.

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D i a l e k t i k d e r Ö f f e n t l i c h k e i t . In Georg Wilhelm Hegels Konzeption von Öffentlichkeit186 ist eine Ambivalenz eingepflanzt, die es schwierig macht, eine eindeutige Zuordnung zu konservativen oder liberalen Ideen vorzunehmen. 187 Dies hängt mit seiner Analyse der Genese bürgerlicher Gesellschaft aus der Abstraktion und Entzweiung des Menschen zusammen.188 Hegel stellte hier einen immanenten Widerspruch zwischen der dynamischen Entwicklung einer abstrakten und partikularisierten Gesellschaftsstruktur, in der die ökonomischen und ideellen Einzelinteressen der Bürger zunehmend dominieren, und dem sittlichen Allgemeinwohl des Staates fest. Beides suchte er dialektisch aufzuheben in eine politische Struktur, die auf der ständestaatlichen Gesellschaftsordnung aufbaut. Ausgehend von der Erfahrung der Absolutsetzung des abstrakten Einzelinteresses in der französischen Terrorherrschaft – die Zerstörung jeglicher moralischer und sittlicher Bindung führte zur gewaltvollen Vergöttlichung der Vernunft – , verfolgte Hegel die Aufhebung des partikularisierten Individuums in der Sittlichkeit, um diese Gefahr für künftige Geschichtsverläufe zu bannen. Trotz der Erfahrung des Terrors und der Einsicht in die Unfähigkeit der Revolution zu politisch stabilen Strukturen zu kommen, hat Hegel die französische Revolution immer bejaht. Wie Joachim Ritter es formuliert, gehörte in Hegels Verhältnis zur Revolution der Enthusiasmus für das, was mit ihr in die Geschichte getreten ist, mit dem Wissen um die Ungelöstheit ihrer Probleme und um die Notwendigkeit ihres Zusammenbruchs als ‚Tyrannei‘ zusammen. Die Revolution hat das Problem gestellt, das die Epoche auszutragen hat. In seiner Ungelöstheit treibt es die Frage hervor, warum weder der Revolution selbst noch den revolutionären und restaurativen Versuchen der folgenden Jahrzehnte gelingen konnte, zur politischen Stabilität zu kommen.189

Grundsätzlich ging Hegel davon aus, dass eine künftige Rechts- und Staatsordnung von dem universalen Freiheitsprinzip der Revolution ausgehen musste und nicht mehr dahinter zurück konnte. In seiner Rechtsphilosophie versuchte er, die oben beschriebene Entzweiung der Gesellschaft in eine stabile politische Ordnung konzeptionell einzubetten. Hegel sah in der absoluten Abstraktheit der politischen Struktur der französischen Revolution (allgemeines Wahlrecht, demokratisches Parlament) die Wurzel des Terrors.190 So schrieb er in der Phänomenologie des Geistes:

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Vgl. hierzu ausführlich: Tobias Liesegang, Öffentlichkeit und öffentliche Meinung, insbes. Kap.8: „Georg Wilhelm Friedrich Hegel“, 156–189. 187 Vgl. hierzu auch Tobias Liesegang, Öffentlichkeit und öffentliche Meinung, 180. 188 Ich habe oben bereits dargestellt, inwiefern die Französische Revolution und die Erklärung der Menschenrechte das Modell eines aus jeglicher Tradition und Bindung gelösten, eben abstrakten, Individuums einführt, vgl. Kap. 1, 26f., dieser Studie. 189 Joachim Ritter, Hegel und die französische Revolution, 18f. 190 Vgl. hierzu Hegel-Lexikon, Eintrag „Revolution, Französische,“ 391: „Für Hegel ist der Terror, auf den die Französische Revolution hinausläuft, nicht zufällig. Wenn alle Bürger den Staat zum unmittelbaren Ausdruck ihrer subjektiven Freiheit machen wollen, d.h., wenn sie das allgemeine Gesetz unmittelbar als ihre subjektive Besonderheit erscheinen lassen wollen, kann das Resultat nur

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Gesellschaft und Öffentlichkeit Das einzige Werk und That der allgemeinen Freyheit ist daher der Tod, und zwar ein Tod, der keinen innern Umfang und Erfüllung hat, denn was negiert wird, ist der unerfüllte Punkt des absolutfreyen Selbst; er ist also der kälteste, platteste Tod, ohne mehr Bedeutung, als das Durchhauen eines Kohlhaupts oder ein Schluck Wasser.191

Um diese sinnlose Gewalt zu verhindern, verankerte er in seinem staatspolitischen Entwurf das ständische Element, das als Gegengewicht zur ‚tödlichen‘ Abstraktion die geschichtliche Substanz wirken lassen sollte. Er sah eine zweigeteilte ständische Vertretung vor, deren Vertreter einerseits durch Geburt und Besitzstand legitimiert sein sollten und andererseits von der „beweglichen Seite der bürgerlichen Gesellschaft“192 her abgeordnet würden durch „ihre ohnehin konstituierten Genossenschaften, Gemeinden und Korporationen.“193 Die subjektive Freiheit müsse in die gesetzgebende Gewalt eingehen, jedoch solle sie durch die ständischen Gliederungen der Gesellschaft gerahmt werden.194 Dabei bezog sich Hegel keineswegs auf die altständischen Privilegien, die qua Geburt unveräußerlich sind, sondern basiert seine moderne Ständegesellschaft auf dem Besitztum. Dadurch würde die ständische Hierarchie durchlässig, dynamisch und sollte sich auf Rechtssicherheit berufen dürfen. Damit setzte Hegel durchaus liberale Akzente in seiner durchweg monarchisch ausgerichteten Staatsidee. Hegel äußerte sich in seiner Philosophie des Rechts explizit zur Öffentlichkeit und öffentlichen Meinung. Die Öffentlichkeit von Ständeverhandlungen sah er als wichtiges politisches Moment, da sie dem Volk ein Verständnis von den Staatsgeschäften vermitteln und zur politischen Bildung beitragen würde. Das ständische Element habe „die Bestimmung, daß die allgemeine Angelegenheit nicht nur an sich, sondern auch für sich, d.i. daß das Moment der subjektiven formellen Freiheit, das öffentliche Bewußtsein als empirische Allgemeinheit der Ansichten und Gedanken der Vielen, darin zur Existenz komme.“ So blieb für Hegel die „öffentliche Meinung“ nicht ein „dumpfes, immer stärker werdendes Gemurmel“ (Wieland), das sich eruptiv in der Revolution entlud, sondern war für ihn Ausdruck einer subjektiven Freiheit, die in ein politisches System eingebunden werden musste. Grundsätzlich zweischneidig vereinigte sich in ihr das Vernünftige, allgemein Wahre und als sein Gegenteil das individuelle Meinen: Die formelle, subjektive Freiheit, daß die Einzelnen als solche ihr eigenes Urteilen, Meinen und Raten über die allgemeinen Angelegenheiten haben und äußern, hat in dem Zusammen, welches öffentliche Meinung heißt, ihre Erscheinung. Das an und für sich Allgemeine, das Substanzielle und Wahre, ist darin mit seinem Gegenteile, dem für sich Eigentümlichen und Besonderen des Meinens der Vielen verknüpft.195 ein Kampf aller gegen alle sein. Denn die Bürger können das Handeln der anderen nur als eine Einschränkung ihrer eigenen Freiheit erfahren.“ 191 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Gesammelte Werke, hg. von Wolfgang Bonsiepen und Friedrich Hogemann, Bd. 9 „Phänomenologie des Geistes“, Hamburg 1980, 320. 192 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, §308, 267. 193 Ebd. 194 Vgl. Hegel-Lexikon, 318. 195 Georg Friedrich Wilhelm Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, §316, 272f.

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Dieses Doppelgesicht der „öffentlichen Meinung“ hinderte Hegel jedoch nicht daran, sie im Prinzip als notwendigen Teil einer politischen Kultur zu formulieren. Die Erfahrung der preußischen Öffentlichkeitspolitik in den Befreiungskriegen (1813–1815) hatte gezeigt, dass Öffentlichkeit durchaus eine politische Legitimationsfunktion haben könnte und auch das Potential der Integration von Staat und Volk innehat. Hegel sah den Staat eindeutig in einer Lenkungsfunktion für die Öffentlichkeit, allerdings könne der Staat in Opposition zur öffentlichen Meinung auf Dauer nicht bestehen. Daher könne nur der ‚vernünftige‘ Staat, der den Geist der Zeit nicht negiere, die Öffentlichkeit ‚vernünftig‘ steuern. Die ihm zu Gebote stehenden Regulierungsmechanismen Vor-Zensur und polizeiliche Kontrolle wären dann legitime staatliche Lenkungsinstrumente. Die Freiheit der öffentlichen Mitteilung habe ihre Grenzen zum einen in den Strafgesetzen und polizeilichen Anordnungen, zum anderen erfahre sie eine indirekte Sicherung durch die Vernünftigkeit der Verfassung, die Festigung der Regierung und die Öffentlichkeit der Ständeversammlung. D.h. der vernünftige Staat und seine Institutionen hätten die öffentliche Meinung nicht zu fürchten, da sie Meinungsführer der politischen Kultur seien. Wenn sich die Vernünftigkeit in den Ständeversammlungen öffentlich ausspreche, dann bleibe den anderen Akteuren der Öffentlichkeit, vor allen Dingen sind hier die Journalisten angesprochen, wenig Wesentliches zu sagen übrig. Sie müssten daher selbst einsehen, dass ihr Diskurs im Vergleich dazu von geringerer Wichtigkeit sei.196 Die politische Kultur und somit der vernünftige Staat würden insgesamt von den Wirkmechanismen der öffentlichen Meinung profitieren: Der öffentliche Diskurs, verstanden als Vermittlung zwischen Staat und Gesellschaft, bilde das Volk und die politischen Träger, gleichzeitig reguliere sich die öffentliche Meinung in einem vernünftigen Staat hin zu einem maßvollen Diskurs.197 Hegel vertrat mit seiner Forderung nach Öffentlichkeit der Gerichte und der Ständeversammlungen (öffentliche Sitzung und Publikation der Verhandlungen) eine dezidiert liberale Sicht. In seiner Ständeschrift von 1817 formulierte er deutlich den Respekt vor den Württembergischen Bestrebungen, eine Staatsverfassung unter Einbezug einer politischen Öffentlichkeit zu begründen, und betonte hier den Erfolg versprechenden Zusammenhang von öffentlichem Diskurs und politischer Reform: Alsdann sehen wir diese Ideen über Staatsverfassung und insbesondere über die Aufnahme eines Anteils daran, wodurch dem Volke eine Einwirkung in dieselbe und ein öffentliches Leben eingeräumt wird, hier nicht als Gedanken eines Schriftstellers etwa mit den Gedanken eines anderen verglichen, sondern eine deutsche Regierung und ein deutsches Volk in der geistigen Arbeit um diese Gegenstände begriffen und die Gedanken in der Wiedergeburt einer Wirklichkeit beschäftigt.198

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Georg Friedrich Wilhelm Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, §319, 274f. So die aktuelle Lesart Hegels, vgl. auch Tobias Liesegang, Öffentlichkeit und öffentliche Meinung, 188. 198 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, „Beurteilung der Verhandlungen in der Versammlung der Landstände des Königreichs Württemberg im Jahr 1815 und 1816 (1817)“, in Ders., Werke, Bd. 4, hg. von Eva Moldenhauer, Frankfurt a. M. 1979, 462–597, 463f.

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Gesellschaft und Öffentlichkeit

Allerdings ist der Charakter dieser positiven Öffentlichkeit keinesfalls in Verbindung zu bringen mit der Konzeption einer freien Medienzirkulation, sondern hängt eng mit der Lenkungs- und Stabilisierungsfunktion des Staates zusammen. Öffentlichkeit war für Hegel in erster Linie ein Bildungsmittel für Staatinteressen, sollte die gesellschaftlichen Teile an den Staat binden, und den Staat an seine Bürger. Die Philosophie Georg Wilhelm Friedrich Hegels stand für die Geistesgeschichte der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zentral. Hegel traf den ‚Nerv der Zeit‘, wenn er das Freiheitsprinzip der Französischen Revolution als zentralen Ausgangspunkt seiner Rechtsphilosophie formulierte und dabei den Versuch unternahm, dies in eine stabile staatliche Struktur zu überführen. Insbesondere die Priorität der staatlichen Konsolidierung und die negative Wertung des Umsturzes als solchem in seiner politischen Philosophie, machten ihn der Unterstützung der preußischen Regierung gewiss. Hegel wurde 1817 an die Universität Berlin berufen und bis zum seinem Tode im Jahre 1831 las vor einer großen Anzahl von Studenten seine politische und ästhetische Philosophie. Nicht nur durch diese langen Jahre der Schulen-Bildung und das Editions-Engagement seiner Schüler, sondern auch die Berufungspolitik des preußischen Kultusministeriums, das nach Hegels Tod mehr als 30 ausgewiesene ‚Hegelianer‘ in Lehrämter brachte, trugen dazu bei, dass Hegels Philosophie bis in die 1840er Jahre hinein maßgeblich den politischen und ästhetischen Diskurs beeinflussten.199 H e g e l u n d S c h i l l e r . Dieter Borchmeyer bringt die Entwicklung des bürokratischabstrakten Staates seit Ende des 18. Jahrhunderts und definitiv nach der Revolution in Zusammenhang mit einer Ablösung der Ästhetik aus dem repräsentativen Dekorum der rhetorischen Tradition. Die Kunst könne sich nicht mehr einordnen in die traditionellen gesellschaftlichen Hierarchien und deren repräsentative Symbolsysteme, die postrevolutionäre Gesellschaftsordnung habe diese weitgehend aufgehoben: Die Lehre vom Dekorum und ihre Systematisierung in der Theorie der Stillagen sind mit der revolutionären Auflösung der alten Gesellschaft, deren Strukturen sie widergespiegelt, deren Kleid sie gewissermaßen geschaffen haben, zu einem bloßen Anachronismus geworden. – Die Bestimmungen der Rhetorik und alteuropäischen Poetik resultierten aus der Korrespondenz ihrer Strukturen mit denen der Gesellschaft. Der Strukturwandel der letzteren im 18. Jh. und seine Auswirkungen in der Revolution haben jene Kunsttheorien untergraben. Die neue gesellschaftliche Ordnung findet keine Äquivalente mehr in der ästhetischen Ordnung, verzichtet doch die bürgerliche ‚Ästhetik‘ […] ausdrücklich darauf, sich in der Weise an die Formation der Gesellschaft anzulehnen, wie es für das System der alten Rhetorik, Poetik, Architekturoder Musiktheorie etc. charakteristisch war.200

Das mit der Abstraktion des Menschen beschriebene Auseinanderfallen des allgemein Politischen (als Geschichtsloses) und der individuellen Lebenserfahrung (als Traditions199

Vgl. hierzu den Eintrag „Hegelianismus“ in Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 3, hg. von Joachim Ritter, Darmstadt 1974, 1026–1030. 200 Dieter Borchmeyer, Tragödie und Öffentlichkeit, 61.

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zusammenhang), also die Entfremdung zwischen Staat und Individuum, wurde sowohl von Hegel in seiner ‚Philosophie der Kunst‘ als auch von Schiller in seiner ‚ästhetischen Erziehung‘ in den Zusammenhang mit der gesellschaftlichen Funktion von Kunst gestellt. Hegel verband den noch nicht entfremdeten Gesellschaftszustand mit der griechischen Polis und sah in der griechischen antiken Kunst die einzige vollendete Realisierung einer Kunstform, welche den Einklang des Individuellen mit dem Allgemeinen, die Verbindung von Subjektivität und Sittlichkeit darstellen konnte. Borchmeyer fasst Hegels und Schillers ästhetische Konzeptionen als entgegengesetzte Konsequenzen der erfahrenen Abstraktion zusammen. So habe Hegel das „Ende der Kunst“ postuliert, die Weltstunde ihrer höchsten Erscheinungsform sei etwas Gewesenes, während Schiller die Abstraktion, die Entfremdung und Ökonomisierung des Menschen durch eine ästhetische Erziehung in der Zukunft zu überwinden suchte.201 Borchmeyer verkürzt mit dieser Gegenüberstellung vor allen Dingen Hegels ästhetische Philosophie, das vielbeschworene „Ende der Kunst“ lässt sich auch als „Ende dieser Kunstform“ und Beharrung auf eine je historische Funktion von Kunst lesen. Man kann mit einer solchen Lesart eher die Gemeinsamkeiten zwischen Schiller und Hegel herausarbeiten als Vordenker einer historisierenden und gesellschaftsbezogenen Perspektive auf Kunst. Schiller hatte einen nachweislichen Einfluss auf Hegels Philosophie. In seiner Einleitung der Aesthetischen Vorlesungen betonte Hegel Schillers wichtige Stellung in der zeitgenössischen Philosophie: Es muß Schillern das große Verdienst zugestanden werden, die Kantische Subjektivität und Abstraktion des Denkens durchbrochen und den Versuch gewagt zu haben, über sie hinaus die Einheit und Versöhnung denkend als das Wahre zu fassen und künstlerisch zu verwirklichen.202

Michael J. Böhler konstatiert in seinem Aufsatz zur Bedeutung Schillers für Hegels Ästhetik,203 dass Hegel trotz dieses prominenten Zitats in seinen Vorlesungen zur Ästhetik Schiller über eine allgemeine kurze Zusammenfassung der Briefe über die ästhetische Erziehung und Über Anmut und Würde in der historischen Überschau des Kunstbegriffes im Weiteren nur als Dramatiker spezifisch behandele. Dennoch, so Böhler, habe Hegel Schiller durchaus eine große Bedeutung beigemessen – nicht so sehr im Zusammenhang mit den ästhetischen Reflexionen, sondern insbesondere für die Grundlegung seines philosophischen Denkens,204 wie er es in der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften ausgedrückt hat. Schiller habe „an der Idee des Kunstschönen, 201

Dieter Borchmeyer, Tragödie und Öffentlichkeit, 15. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Werke, Bd. 13 „Vorlesungen zur Ästhetik“, hg. von Eva Moldenhauer, Frankfurt a. M., 1973, 89. 203 Michael J. Böhler, „Die Bedeutung Schillers für Hegels Ästhetik“, in Publications of the Modern Language Association, Vol. 87, No. 2, März 1972, 182–191. 204 Vgl. Michael J. Böhler, „Die Bedeutung Schillers“, 184f: „Die Ästhetik und Kunstphilosophie, wie sie Schiller entwickelte, ist also gleichsam das Vehikel, das Hegel den Weg erleichtert und abkürzt, während er zu Entwicklung seines eigenen Systems vorstößt.“ 202

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der konkreten Einheit des Gedankens und der sinnlichen Vorstellung, den Ausweg aus den Abstraktionen des trennenden Verstandes gefunden.“205 Schiller formulierte in seinen Briefen „Über die ästhetische Erziehung des Menschen“ (1795) die gegenwärtige Zerrissenheit des Menschen zwischen Vernunft und Natur, die als Grundlage einer wirklichen gesellschaftlichen Freiheit überwunden werden muss: Wenn also die Vernunft in die physische Gesellschaft ihre moralische Einheit bringt, so darf sie die Mannigfaltigkeit der Natur nicht verletzen. Wenn die Natur in dem moralischen Bau der Gesellschaft ihre Mannigfaltigkeit zu behaupten strebt, so darf der moralischen Einheit dadurch kein Abbruch geschehen; gleich weit von Einförmigkeit und Verwirrung ruht die siegende Form. Totalität des Charakters muß also bei dem Volke gefunden werden, welches fähig und würdig sein soll, den Staat der Not mit dem Staat der Freiheit zu vertauschen.206

Da im Menschen selbst der Widerspruch zwischen einem ‚Naturtrieb‘, dem sinnlichen Trieb, und einem ‚Vernunfttrieb‘, dem Formtrieb, angelegt ist, so müsse die Versöhnung dieser beiden antagonistischen Kräfte im ästhetischen Spieltrieb erfolgen. Im sinnlichen Trieb manifestiere sich das Leben, während sich im Formtrieb die Gestalt ausdrückt. Die Vereinigung beider im Spieltrieb als lebende Gestalt führe zur ästhetischen Schönheit.207 Schiller betonte im Weiteren die existenzielle Notwendigkeit des Spiels, das er aus einem allgemeinen abwertenden Sprachgebrauch herausheben wollte: „Aber was heißt denn ein bloßes Spiel, nachdem wir wissen, daß unter allen Zuständen des Menschen gerade das Spiel und nur das Spiel es ist, was ihn vollständig macht und seine doppelte Natur auf einmal entfaltet?“208 Vor diesem Hintergrund gewinnt auch das Konzept des ‚Scheins‘ eine neue Bedeutung, weg von einem Begriff mit einer zweifelhaften moralischen Konnotation („scheinhaft“, „täuschend“) und hin zu einem Schlüsselbegriff der ästhetischen Vollendung des vormals entzweiten Menschen, so Schiller: Nur soweit er aufrichtig ist (sich von allem Anspruch auf Realität ausdrücklich lossagt), und nur soweit er selbständig ist (allen Beistand der Realität entbehrt), ist der Schein ästhetisch. Sobald er falsch ist und Realität heuchelt, und sobald er unrein und der Realität zu seiner Wirkung bedürftig ist, ist er nichts als ein niedriges Werkzeug zu materiellen Zwecken und kann nichts für die Freiheit des Geistes beweisen. Übrigens ist es gar nicht nötig, daß der Gegenstand, an dem wir den schönen Schein finden, ohne Realität sei, wenn nur unser Urteil darüber auf diese Realität keine Rücksicht nimmt; denn soweit es diese Rücksicht nimmt, ist es kein ästhetisches.209 205

Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften, hg. von G. Lasson, Leipzig 1930, Bd. I, 82. 206 Friedrich von Schiller, „Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen (1795)“, in Ders., Sämtliche Werke, Bd. 5 „Erzählungen, Theoretische Schriften“, hg. von Peter-André Alt, Albert Meier und Wolfgang Riedel. München 2004, 570–669, 579. Hervorhebung im Original. 207 Friedrich von Schiller, „Über die ästhetische Erziehung“, 614. 208 Friedrich von Schiller, „Über die ästhetische Erziehung“, 616f. Hervorhebung im Original. 209 Friedrich von Schiller, „Über die ästhetische Erziehung“, 659. Hervorhebung im Original.

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Böhler setzt an diesem Punkt ein, wenn er herausarbeitet, dass Schiller hier eine wesentlich neue positive Begrifflichkeit des Scheins erarbeitet habe, die sich deutlich von früheren philosophischen Konzeptionen unterscheide. Schillers Formel der „Schönheit als Freiheit in der Erscheinung“210 künde von einer Autonomie gegenüber der empirischen Realität, die auch Hegel in seiner Definition des Schönen als „sinnliches Scheinen der Idee“ übernahm. Böhler legt dar, der Begriff des Scheins habe bei beiden eine transitorische Gestalt, da er in einem Spannungsverhältnis zwischen unmittelbarer Sinnlichkeit und ideellem Gedanken stehe. Er wird sich weder in dem einen, noch in dem anderen vollkommen erfüllen können, sondern bestimmt sich an der Erscheinung des Kunstwerkes immer neu. Daraus deduziere Hegel eine historische Bestimmung der Erscheinungen der Kunst, so Böhler: Was am Begriff des Scheins für Hegel so wertvoll ist, das ist seine ungemeine Lebendigkeit; er ist nicht starr fixiert und eindeutig festgelegt wie noch bei Kant, sondern bewegt sich in sich selbst in den verschiedensten Richtungen. Dem Schein verwandt ist der Begriff des Spiels als eines Schein-Handelns, und in beiden wiederum ist durch die ihnen innewohnende Identität der Differenz der Begriff der Versöhnung gegeben, ferner durch die ebenfalls im Begriff Schein angelegte Bestimmung des Noch-nicht und Nicht-mehr das Moment des Transitorischen, das die Kunst als historische Erscheinung konstituiert. 211

Die Versöhnung des Menschen in der Kunst des schönen Scheins liegt bei Schiller in einem zu erstrebenden „dritten[n], fröhliche[n] Reich des Spiels und des Scheins,“212 das in einer idealen oder auch utopischen Zukunft liegt. Die Problematik von Schillers Konzeption ist die hermetische Abgrenzung des ästhetischen ‚Reichs‘ von der politischen Realität einer Gesellschaft, die, wie Helmar Schramm kritisch bemerkt, als idealistische Kunstautonomie weit reichende Folgen für die Bestimmung von Kunst in der Gesellschaft haben wird. Denn das „Reich des Spiels und des Scheins“ wurde fortan „zum ästhetisch-philosophisch sanktionierten Bestimmungsort der Künste“213 – quasi zum freien, aber politisch bedeutungslosen Spielfeld. Schramm geht in seiner politischen Kritik noch einen Schritt weiter und begründet im Rückgang auf Schleiermachers Ideal einer ‚freien Geselligkeit‘, inwiefern diese ästhetische Abtrennung zu einer scheinhaften Konzeption von Demokratie führe, die auch heute noch unsere politische Realität beeinflusse.214 Die Frage nach der letztlich ‚entpo210

Vgl. Friedrich von Schiller, „Briefe an Gottfried Körner (Kallias oder über die Schönheit) (1793)“, in Friedrich von Schiller, Sämtliche Werke, 394–433, Brief vom 8. Februar 1793 „Schönheit ist also nichts anders als Freiheit in der Erscheinung.“ 211 Michael J. Böhler, „Die Bedeutung Schillers“, 189. Durch die historische Bestimmung des Scheins kann Hegel die Kategorisierung der Kunst in symbolische, klassische und romantische Periode einführen. 212 Friedrich von Schiller, „Über die ästhetische Erziehung“, 667. 213 Helmar Schramm, „Demokratie als kategorialer Schein. Zur dramaturgischen Modellierung geselligen Verhaltens“, in Bernhard Dotzler u. Helmar Schramm (Hg.), Cachaça. Fragemente zu einer Geschichte von Poesie und Imagination, Berlin 1996, 90–95, 92. 214 Vgl. Helmar Schramm, „Demokratie als kategorialer Schein“, 93: „Wenden wir uns nun zurück zu Schleiermachers Entwurf idealer Geselligkeit, dann lassen sich alle bisher akzentuierten Momente

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litisierenden‘ Hermetik idealistischer Ästhetik stellt sich auch im Hinblick auf die hegelsche Variante der idealistischen Kunstphilosophie, deren Rezeption in einem Spannungsfeld zwischen Klassizismus Kritik und Historisierungs-Diskurs steht. Hegels Rede vom Vergangen-Sein der höchsten Möglichkeit von Kunst (verkürzt auf die Formel vom ‚Ende der Kunst‘) lässt vermuten, seine Idealisierung der vollendeten Form klassischer Kunst würde den Aspekt eines formalen Kunsturteils beinhalten: Kunst hat sich geschichtlich erschöpft und die Betrachtung moderner Kunst kann so gegenüber diesem klassischen Ideal der antiken Kunst nur zu einem abwertenden Urteil führen. Genau dies greift der Diskurs des Klassizismus-Vorwurfs gegen Hegel auf und reduziert seine Rede vom ‚Ende der Kunst‘ auf ein formal urteilendes Diktum. So folgt auch Borchmeyer dieser Tendenz, wenn er Schiller und Hegel gegenüberstellt – den einen als zukunftsfrohen Bejaher einer gesellschaftlichen Relevanz von Kunst, den anderen als vergangenheitszugewandten Kunstskeptiker. Mit Annemarie Gethmann-Siefert möchte ich hingegen einer Lesart folgen, die jene Aussage Hegels als eine philosophisch-ästhetische Analyse der gesellschaftlichen Relevanz von Kunst ausdeutet. Gethmann-Siefert betont die historisierende Perspektive Hegels auf die Kunst und auch auf die klassische Kunst, die eine formale Übertragung des griechischen Ideals auf die Moderne verbiete. Und hier genau träfen sich Schiller215 und Hegel in ihrer Einschätzung der klassischen Antike: Die Übertragbarkeit der Regeln der schönen Kunst auf eine andere geschichtliche Situation wird aber bei Schiller und im Anschluß bei Hegel gerade zum experimentum crucis. Nur wenn sich die gleiche geschichtliche Funktion der Kunst im Zusammenhang einer Gemeinschaft unter geänderten Bedingungen feststellen läßt, hat es einen Sinn, das griechische Vorbild aufrechtzuerhalten, es zur ‚Zukunft‘ der Moderne zu erheben.216

So lässt sich also bei beiden ein ‚historisierender Klassizismus‘ feststellen: Die antike Kunst hat von ihrer Funktion in der Gesellschaft her Vorbildcharakter, darf aber nicht rein formal als unhistorisches Ideal gesehen werden. Im Weiteren beharrt Gethmann-Siefert auf die heute noch aktuelle Reflexion Hegels zur Relevanz und Funktion von Kunst in der Gesellschaft: Wichtig ist, daß Hegel mit der Frage nach der Relevanz der Kunst ‚für uns‘ (philosophisch formuliert mit der Frage nach der kulturellen Relevanz der Kunst) eine Grundlage philososeines Systems reformulieren als systematische Fortschreibung jenes theatralischen Prinzips der Repräsentation, das die Kulturgeschichte der europäischen Neuzeit von Beginn an wesentlich geprägt hat. Das Wort von der repräsentativen Demokratie gewinnt in diesem Kontext einen bemerkenswerten Doppelsinn und wir ahnen, daß darin die eigentliche Wurzel für ein Tendieren des Demokratiebegriffs zu kategorialem Schein liegen könnte.“ 215 Zu Friedrich von Schillers Antikenbild siehe etwa sein Gedicht „Die Götter Griechenlands“, in Der Teutsche Merkur, Bd.1, 1788, 250–260; und sein „Brief eines reisenden Dänen“, in Thalia, Bd.1, Heft 1, 1785, 176–184; vgl. hierzu Rüdiger Safranski, Friedrich Schiller oder Die Erfindung des deutschen Idealismus, Wien 2004, 285–288. 216 Annemarie Gethmann-Siefert, „Hegels These vom Ende der Kunst und der ‚Klassizismus‘ der Ästhetik“, in Hegel-Studien, 19, Bonn 1984, 205–258, 231.

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phischer Argumentation schafft, die bis heute aktuell geblieben ist. Hegel richtet die Ästhetik eindeutig an der Frage nach einer allgemeinen Relevanz der Kunst aus und löst sie dadurch von der Festlegung auf eine philosophische Thematisierung der Urteile und Vorurteile der Kenner.217

Während nun Schiller mit seinem Entwurf einer ästhetischen Erziehung des Menschen eine universelle Geltung der Kunst als Kultur stiftend postulierte, so blieb Hegel konsequent bei seiner historisierenden Perspektive. Die griechische Antike hat eine Kunstform hervorgebracht, die es in ihrem gesellschaftlich-historischen Rahmen zu einer idealen und universellen Geltung brachte. Diese Funktion lässt sich in der modernen Kunst nach Hegel zu seiner Zeit so nicht festmachen. Die Künstler, Kunsttheoretiker und Theatertheoretiker der Zeit nahmen sowohl Schillers Anspruch einer ästhetischen Erziehungsfunktion und einer Kultur stiftenden Rolle der Kunst als auch die historisierende Kritik Hegels auf. Beides erfuhr jedoch eine deutlich politische Ausdeutung bei den Vormärz-Autoren. Ihre Äußerungen zeugen vom Ringen um eine gesellschaftlich relevante Kunst, aber auch von der Reflexion ihrer politisch-gesellschaftlichen Gegenwart als historischer Horizont eines Kunstschaffens. Welche Kunstform ist zu welcher Zeit von Bedeutung? Welche Gesellschaft braucht eine angemessene Kunstform? Und – welche gesellschaftlich-politischen Voraussetzungen müssen erfüllt sein, um Kunst zur Blüte zu bringen? Dies waren Leitfragen eines kunst- und theatertheoretischen Diskurses, der sich als gegenwartsbezogen und aktuell verstand. So trat auch hier die Moderne in Form des Hegelschen Geistes der Zeit218 in die Literatur- und Kunstdebatten, und bot für Kunstschaffende und Kunstreflektierende Anreize für ein Streben nach einer Erneuerung der Kunst und des Theaters.

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Annemarie Gethmann-Siefert, Ist die Kunst tot und zu Ende? Überlegungen zu Hegels Ästhetik, Erlangen, Jena 1994, 39. 218 Vgl. hierzu Karl Löwith, Von Hegel zu Nietzsche. Der revolutionäre Bruch im Denken des neunzehnten Jahrhunderts, Hamburg 1995 (Erstausgabe: Zürich u.a. 1941), Kap. V. „Der Geist der Zeit und die Frage nach der Ewigkeit“ (220–232); und insbesondere 222: „Der Geist der Zeit, von dem die Jungdeutschen und Junghegelianer reden, hat nicht mehr den geistigen Umriß der Herderschen Humanität, sondern er ist – über allen bestimmten Inhalt hinaus – eine zeitliche Bewegung des Fortschritts schlechthin. Der Zeiten Geist verwandelt sich, unter dem Einfluß von Hegels Gleichsetzung der Philosophie mit dem Gedanken der Zeit, zum Zeitgeist im eigentlichen Sinn diese Wortes.“

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Einhergehend mit den politischen, gesellschaftlichen und medialen Transformationen veränderten sich auch die Strukturbedingungen von und die inhaltlichen Anforderungen an das Theater. Der literarische Diskurs nahm diese Veränderungen auf, die Rede war hier von ‚Verfall‘ und ‚Erneuerung‘ des Theaters1 in allen Sparten und Spielformen. In den 1840er Jahren verschob sich der Tenor der theoretischen Schriften von einer Klage über den rückständigen Zustand des Theaters hin zu konkreten Neu-Konzeptionierungen von Theater mit deutlich politischen Aspekten.2 Die Reflexion über eine Erneuerung der Kunst respektive der Theaterkunst als funktionelles Glied einer politisch-gesellschaftlichen Öffentlichkeit erhielt ab Mitte der 1840er Jahre in einer zunehmend politisierten und öffentlich agierenden Literaturszene einen vorläufigen Höhepunkt. Zahlreiche Journalisten und Theaterhistoriker setzten sich intensiv mit dem Entwurf eines „Neuen Nationaltheaters“ auseinander. Man muss davon ausgehen, dass die Teilhabe am Reform-Diskurs des Theaters für die Publizisten auch eine publikumswirksame Selbst-Empfehlung für einen Posten in einem zu realisierenden Theatermodell darstellte. Ganz unrealistisch erscheint diese Hoffnung nicht, lassen sich doch deutliche Reformbemühungen auch der Hoftheater in dieser Zeit ausmachen.3 Bezeichnend ist, dass die Idee einer zirkulierenden öffentlichen Diskussion auch im Hinblick auf Theater so weit entwickelt war, dass die Leipziger TheaterZeitung 1846 dazu aufrief, Leitartikel zu allen Fragen der Theaterreform einzusenden: Eine organische Reform des deutschen Theaters zu unterstützen, ist Zweck dieser Blätter. Diesen Zweck hoffen wir durch solche leitende Artikel zu fördern. 1

2

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So füllt das Stichwort „Verfall des Theaters“ in Philipp Düringers Theaterlexikon von 1841 ganze 12 Spalten, vgl. Theaterlexikon. Theoretisch-practisches Handbuch für Vorstände, Mitglieder und Freunde des deutschen Theates, hg. Ph. J. Düringer u. H. Barthels, Leipzig 1841; vgl. auch Susanne Ghirardini-Kurzweil, Theater in den politischen Strömungen der Revolution von 1848, Univ.Diss. München 1960, 6. Vgl. hierzu auch Wilhelm Klein, Der Preußische Staat und das Theater im Jahre 1848. Ein Beitrag zur Geschichte der Nationaltheateridee (= Schriften der Gesellschaft für Theatergeschichte, Bd. 33), Berlin 1924, 12. So gelingt es beispielsweise einigen Dramatikern und Theaterreformern, eine künstlerische Bühnenleitung zu etablieren, etwa Karl Gutzkow ab 1846 am Dresdener Hoftheater, nach der Revolution von 1848 Heinrich Laube am Burgtheater in Wien.

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Theater und Öffentlichkeit Was ist zu thun, um das deutsche Theater zu heben? Das ist eine so weite und so schwere Frage, daß die Beantwortung derselben hundert Antworten nöthig machen wird. Diesen Antworten wollen wir nachgehn in solchen Artikeln. Mögen uns alle Kundigen und Wohlwollenden dabei unterstützen, indem sie uns von ihrem Standpunkte aus Artikel entwerfen und zusenden, welche Grundsätze zur Sprache und zur Erscheinung bringen in kurzgedrängter Form. 4

Neben einer anzustrebenden Professionalisierung der Bühnen war es vor allen Dingen die Formulierung von Bildungs- und Öffentlichkeitsaufgaben, die hier das Theater als staatstragende Institution in der politischen Kultur verankert sehen wollte. Anhand von ausgewählten Autoren und Texten werden zentrale Positionen des Diskursfeldes „Theater und Öffentlichkeit“ dargestellt, die etwa ab Mitte der 1840er Jahre bis in die politische Phase der 1848er Revolution hinein formuliert wurden und von der Dringlichkeit der Frage nach einer Ausgestaltung der unbestrittenen gesellschaftlichen Relevanz von Theater zeugen. Wegweisend war Heinrich Theodor Rötschers Aufsatz zum Theater in seinem Verhältnis zum Staate, mit dem er 1843 durch die relativ frühe Veröffentlichung Maßstäbe für einen Reformdiskurs des Theaters setzte. Rötschers war zu seiner Zeit eine der anerkanntesten Stimmen in der Theatertheorie und Dramaturgie. Daher soll sein Text vorangestellt werden, um ein Diskursfeld für die historische Idee eines politischen, gesellschaftsrelevanten Theaters zu eröffnen. T h e a t e r u n d S t a a t . Heinrich Theodor Rötscher (1803–1871), Theatertheoretiker und Publizist, war zunächst Professor am Gymnasium und ab 1845 als Theaterrezensent der Spenerschen Zeitung in Berlin tätig. Er veröffentlichte Schriften zum Theater, die heute als die ersten theoretischen Grundlagen einer modernen Theaterwissenschaft gelten können. Rötscher strebte lange nach einer Stelle am Königlichen Theater in Berlin, sein Ruf als Theoretiker verhinderte jedoch eine Realisierung dieses Wunsches. Auch der Plan, ihn als Professor einer neu zu gründenden staatlichen Theaterschule einzustellen scheiterte. Der König verschob mit Hinweis auf die klamme Staatskasse die Realisierung der Institution auf unbestimmte Zeit und wandte sich explizit gegen die Personalie Rötscher, vermutlich auch aus politischen Gründen.5 Rötscher publizierte im Jahre 1843 seinen Aufsatz „Theater und dramatische Poesie in ihrem Verhältnisse zum Staate“, der in den 1840ern weit rezipiert wurde. Er ver4

5

„Was ist zu thun?“ In: Theater-Zeitung, Nr. 11, 17. Juni 1846. Außer einer Serie der Redaktion unter der Rubrik „Was ist zu thun?“ (I–VI), die in den Nr. 11, 12, 13, 18, 19 und 20 (17. Juni bis 19. August 1846) erschien, wurde jedoch nur ein weiterer eingesandter Artikel abgedruckt. Der Autor dieses Artikels lobte die Absicht „eine Art Sprechsaal“ zu eröffnen, blieb jedoch skeptisch, ob die Zeitung willens sei, auch „Gegenrede“ abzudrucken. Mit dem Abdruck seines Artikels zugunsten der Hoftheater demonstrierte die Theater-Zeitung jedoch gelassen ihre moderne, Gegenrede zulassende, Auffassung einer zirkulierenden Öffentlichkeit. Vgl. „Was ist zu thun?“, in TheaterZeitung, Nr. 15, 15. Juli 1846, Titelseite. Vgl. Kabinettsorder vom 4. Juli 1846, besprochen bei Wilhelm Klein, Der Preußische Staat und das Theater, 170.

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öffentlichte bewusst „an einem Orte, von wo aus [derselbe] einer weitern Verbreitung gewiß seyn durfte“6, nämlich im Staats-Lexikon von Carl von Rotteck und Carl Welcker, dem politischen Standardwerk des Liberalismus. Rötscher verband in seinem Text eine Legitimierung des literarischen Theaters mithilfe der Aristotelischen Poetik mit einer idealistischen Kunsttheorie Hegelscher Prägung und den zeitgenössischen Forderungen nach einer Erneuerung des Theaters im Sinne einer zeitgemäßen, gegenwartsorientierten Kunstform. Für eine breite Rezeption des Rötscher-Textes, der in Literaten- und Theaterkreisen quasi zu einer allgegenwärtigen Bezugsgröße wurde, spricht die Verflechtung des Textes mit anderen Publikationen. Im Revolutionsjahr 1848 nahm Robert Blum für seine populäre Variante des Staats-Lexikons, das Volksthümliche Handbuch der Staatswissenschaften und Politik7 unter dem Titel „Theater und dramatische Dichtkunst in ihrem Verhältniß zum Staate“8 zum Teil wörtliche Textauszüge von Rötscher auf. Ob Rötscher dies autorisiert hatte, ist nicht mehr zu ermitteln. Dass Rötscher bei aller Popularisierung durchaus empfindlich auf die referenzlose Aneignung seiner Grundideen reagierte, davon zeugt seine verheerende Kritik der Reformschrift Eduard Devrients. Er brandmarkte die Schrift als unstrukturiertes und verdeckt reaktionäres Machwerk9 und verwies darauf, dass der einzige durchgreifende Gedanke, nämlich die vom Hofe unabhängige Finanzierung von Theatern als Nationalinstitute, von ihm bereits in einer politisch prekäreren Situation visionär ausgesprochen worden sei, während Devrient diese Idee erst nach den politischen Umwälzungen vom März 1848 ausgeführt hätte: Wir dürfen uns, Herrn Devrient’s Schrift gegenüber, dreist auf unsere Arbeit berufen, welche derselbe zu ignoriren, gut befunden hat, da die einzige Wahrheit der Schrift Devrient’s von uns vor Jahren aus dem Prinzip der Sache selbst dargestellt worden ist […] Es ist keine Kunst, jetzt, nachdem die Wirklichkeit dem Gedanken so mächtig in die Hände gearbeitet hat, diese von uns zuerst durchgeführte Idee zu wiederholen, und sie zur Angel einer Reform zu machen.10

Bei der kritischen Härte, die Rötscher hier ansetzte, dürfen wir nicht aus den Augen verlieren, dass er in einem besonderen Konkurrenzverhältnis zu Eduard Devrient stand. Beide publizierten in geringem zeitlichem Abstand Theater-Reformschriften und Kon6

7 8 9

10

H. Theodor Rötscher, „Die Reform der Bühne mit specieller Beziehung auf die Reformschrift Eduard Devrients: Das Nationaltheater des neuen Deutschlands“, in Beilage zu den Berlinischen Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen, Nr. 34, 9. Februar 1849, n.p. Volksthümliches Handbuch der Staatswissenschaften und Politik, hg. von Robert Blum. Leipzig 1848. Ob es sich dabei um eine autorisierte Verwendung des Rötscher-Textes handelt, bleibt unklar, gezeichnet ist der Text mit „B.“, wahrscheinlich von Blum selbst bearbeitet. Vgl. H. Theodor Rötscher, „Die Reform der Bühne“, n.p.: „In der That ist es unserm Verf. mit dieser republikanischen Tugend und den republikanischen Institutionen auch gar nicht sehr Ernst. Sie sind der weite Mantel, in welchem er einherschreitet und unter welchem sich das Ordenskreuz des absoluten Herrschers im Bühnengebiete verbirgt.“ Ebd.

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zeptionen für eine Theaterschule, beide hatten enge Kontakte zu den Theatern und Behörden in Berlin und standen in einer Art ‚Wartehaltung‘ für einen wichtigen TheaterPosten in der preußischen Residenz.11 Dass sich weder für ihn noch für Devrient dieses Karriereziel je realisieren würde, konnte Rötscher zu diesem Zeitpunkt nicht wissen.12 Rötscher stilisierte seine Arbeit hier selbst als Referenztext für die politisch engagierten Theatertheoretiker der Zeit, und das nicht zu Unrecht: formulierte er doch einige Jahre vor der eigentlichen Welle von Reformschriften (ab etwa 1846) die wesentlichen Diskursfiguren, die dann auch von anderen je spezifisch herausgearbeitet wurden. D a s i d e a l e a t t i s c h e T h e a t e r . Im ersten Teil seines Aufsatzes stützte sich Rötscher auf die Schultern von Aristoteles, um mit dessen Poetik die sittliche Wertigkeit des Dramas und Theaters darzustellen. Ausgehend davon erläuterte er die poetische Wirkung des Dramas als Hegelsches Spannungsverhältnis zwischen den individuellen Handlungen der Personen und der allgemeinen Gültigkeit der sittlichen Idee. In einer Art dialektischen Dynamik führe das Drama die konfliktreich Handelnden zu einer allgemeineren Wahrheit, die als absolute Gegenwart des Geistes letztlich harmonisierend Gültigkeit erlange: Wovon und wohin befreit uns aber das ächte Drama? Es baut in uns die Wahrheit der sittlichen Idee auf, welche sich aus allen Conflicten und Einseitigkeiten als die unwiderstehliche Macht erhebt, durch ihre der Handlung und der Thätigkeit der Individuen immanente Kraft sich siegreich über alle erscheinenden Gegensätze schwingt, die sie auslöst, weil jeder derselben sich vermaß, die ganze Wahrheit zu sein.13

Hier folgte Rötscher der Hegelschen Dialektik und Konzeption von der Auflösung des Subjektiven in der Allgemeinheit der sittlichen Idee. Aufgabe des Theater sei es, diese „Wahrheit der sittlichen Idee“ als Erziehungsideal in die Köpfe der Masse, des Publikums einzupflanzen und so zu einer Erziehung zum freiheitlichen Staate hin zu gelangen. Durch seine konsequente historisierende Perspektive entging Rötscher dabei jedoch den Fallstricken der Konzeption einer idealistischen Kunstautonomie. Dies erlaubte ihm, Theater in seiner historischen Wirksamkeit zu betrachten, das heißt, historisch konkret und im gesellschaftlichen Leben eingebettet. Überall ist und wird die dramatische Poesie, weil sie, wie wir oben entwickelt, die Elemente aller geschichtlichen Bewegung in sich faßt, ein ideales Abbild der concreten Zustände, der 11 12

13

Vgl. zu H. Theodor Rötschers Konkurrenzverhältnis mit Eduard Devrient auch Wilhelm Klein, Der preußische Staat und das Theater, 115f. H. Theodor Rötscher, seit 1845 in Berlin als Kritiker der Haude- und Spenerschen Zeitung tätig, blieb weiterhin als Publizist und Theatertheoretiker tätig. Eduard Devrient war zunächst weiter Hofschauspieler in Dresden und wurde 1852 als künstlerischer Leiter an das Karlsruher Hoftheater gerufen. H. Theodor Rötscher, „Theater und dramatische Poesie in ihrem Verhältnisse zum Staate“, in Staats-Lexikon oder Enzyklopädie der Staatswissenschaften in Verbindung mit vielen der angesehensten Publicisten Deutschlands, Bd. 15, hg. Carl von Rotteck und Carl Welcker, Altona 1843, 388–408, 390.

Theater und Öffentlichkeit

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Geistesrichtungen der wirklichen Welt und des politischen Lebens geben. Keine Art der Poesie schwebt zwar in der Luft, sondern hängt, wenn auch mit sehr zarten Fäden, mit dem Geiste, der in der Wirklichkeit regiert, zusammen und will aus ihm erklärt sein; keine Gattung aber hat ihre Wurzeln so tief in die politischen und sittlichen Zustände der wirklichen Welt eingesenkt, als die dramatische Kunst.14

Ganz in der Tradition des Hegelschen Klassizismus postulierte Rötscher auch in der Theaterkunst das attische Ideal. In Athen habe sich der größtmögliche Einfluß von Drama und Theater („Darstellung“) auf das öffentliche Leben entwickelt und nur auf der demokratischen Basis der griechischen Antike habe es eine solche Hochentwicklung des Dramas und Theaters geben können. „Selbstgenügsamkeit des Einzelnen“ und „lebendigste Theilname am Gemeinwesen“ sind die Erfolgsfaktoren des griechischen Dramas.15 Das demokratische Athen, in welchem, so weit es der griechische Geist bringen konnte, sich die freieste Regsamkeit aller Kräfte entfaltete, feierte in seinem Drama, das aus dem Cultus des befreienden Dionysos hervorging, den gerade die unteren Classen, der unterthänige Stand, als ihren Befreier (Eleutherios und Lysios) und als Geber der Gleichheit priesen […], die höchsten Thaten seines dichterischen Geistes.16

Mit diesem idealen antiken Modell an der Hand konnte Rötscher zum einen die literarischen Entwicklungen des klassischen Spaniens und Frankreichs in ihrem sozio-politischen Kontext gleichermaßen als Reflex auf das monarchische und absolutistische Gesellschaftssystem historisieren.17 Zum anderen ermöglichte das antike Modell eine Bewertung der ‚unfreien‘ Gesellschaftssituation der eigenen Zeit als Bedingung für eine ‚unfreie‘ Theatersituation. Rötscher reflektierte die unangemessene formale Gleichsetzung der Antike mit gesellschaftlichen Entwicklungen seiner Zeit, und hielt am griechischen Theater als ein Ideal in seiner gesellschaftlichen Funktion fest. Unter Berücksichtigung der „Bedingungen des gereiften Geistes der Gegenwart“18 müsse es darum gehen, das Theater in den „modernen freien Staat“19 organisch einzugliedern, um es „zu einem großen Ferment des sittlichen Bewußtseins und des öffentlichen Lebens“20 zu erheben. Nur so könne das Theater die gesellschaftliche Relevanz, die es in der attischen Gesellschaft innehatte, funktional wieder gewinnen, ohne die zeitgenössische Dimension einer modernen politischen Kultur zugunsten idealistisch verklärenden ‚Griechentums‘ zu negieren.21

14 15 16 17 18 19 20 21

H. Theodor Rötscher, „Theater und dramatische Poesie“, 393. H. Theodor Rötscher, „Theater und dramatische Poesie“, 392. Ebd. Rötscher geht so weit, auch den Darstellungsstil zu historisieren, vgl. H. Theodor Rötscher, „Theater und dramatische Poesie“, 393. H. Theodor Rötscher, „Theater und dramatische Poesie“, 398. Ebd. Ebd. Vgl. ebd.

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H a r m o n i s i e r u n g v s . d i s k u r s i v e D i f f e r e n z . Der Begriff der Öffentlichkeit ist bei Rötscher, ganz typisch für das liberale Zeitalter, mit zwei polarisierenden Bedeutungsfeldern verknüpft. Auf der einen Seite wurde Öffentlichkeit als Idee der Meinungsfreiheit und als Verfahren der öffentlichen Diskussion betrachtet, auf der anderen Seite verkörperte sie die durch Mehrheit beherrschte öffentliche Meinung im Sinne einer gesellschaftlichen Macht. In Rötschers Text finden sich Hinweise auf beide Konzeptionen. So gibt es etwa Übereinstimmungen hinsichtlich der dialektischen Überwindung des Disputes in Rötschers Dramenkonzeption und in der Konzeption von Öffentlichkeit, die das Neue Rheinische Conversation-Lexicon 1830 vorstellte: Der öffentliche Disput gehe letztlich über in erhöhte harmonische Geisteshaltung, denn „die widerstreitenden Ideen setzen sich auf Dauer ins Gleichgewicht, sich gegenseitig austauschend, beschränkend, berichtigend, bis endlich das Wahre, Rechte und Vorteilhafte anerkannt […] wird.“22 Dennoch finden sich auch Elemente des öffentlichen Widerspruchs und Widerstreits in Rötschers Theater-Konzeption. Öffentlichkeit erscheint bei Rötscher auf mehreren Bedeutungs-Ebenen mit dem Theater verknüpft. Zum einen verstand Rötscher das ideale Theater als eine ‚öffentliche Institution‘, die dem Staat, und also im modernen Staate, der Allgemeinheit gehört. Damit stellte er es in einen Gegensatz zum fürstlichen Privattheater, dem Hoftheater. Hier stünden sich ‚private Unterhaltung‘ und ‚öffentliche Wirksamkeit im Bildungskanon‘ als Funktionen von Theater gegenüber: In seiner Totalität betrachtet, erscheint [das herkömmliche Theater] immer nur als ein zur Belustigung und Ergötzung vom Staate zugelassenes Institut und, wie die Hoftheater, zur Erheiterung eines mehr oder minder kunstsinnigen Fürsten, von demselben unterstützt. Aber diese Unterstützung ist nur ein Act der Gnade, welcher daher auch widerrufbar und zufällig ist, und die Art der Verwendung derselben hängt wieder von dem zufälligen Geschmacke des Fürsten und seiner Umgebung ab. Also auch nach dieser Seite hin ist das Theater vielmehr eine Privatbelustigung, als ein öffentliches von dem Staatsbewusstsein selbst als nothwendig und über das Belieben einer Persönlichkeit erhabenes Institut anerkannt.23

Das Theater müsse im modernen Staate aus dem Dienst des Fürsten entlassen und in den Dienst des nun freien und vernünftigen Organismus ‚Staat‘ übergehen.24 Rötscher überspitzte hier die Sachlage für sein politisches Argument, zumindest in Bayern sah die Theater-Realität schon anders aus. Obgleich Ludwig I. zu diesem Zeitpunkt starken 22 23 24

Neues Rheinisches Conversations-Lexicon, Bd. 8, Köln 1834, 1116. Zitiert nach Peter Uwe Hohendahl, Öffentlichkeit, 46. H. Theodor Rötscher, „Theater und dramatische Poesie“, 397. An dieser Stelle geht H. Theodor Rötscher über die Reformschrift Eduard Devrients hinaus, der das reformierte Hoftheater zwar künstlerisch unabhängig, aber unter dem Protektorat der Fürsten belassen möchte. Vgl. Eduard Devrient, Das Nationaltheater des neuen Deutschlands, Leipzig 1849, 25: „Allerdings wird es selbst politisch consequent sein, in dieser Zeit, welche die Fürsten von Verantwortung frei zu machen trachtet, den Höfen auch die für das Theater – dessen Oeffentlichkeit unablässige Angriffe jedes Einzelnen herausfordert – abzunehmen; aber damit darf doch, zum Vortheil der Kunst das Protectorat der Fürsten nicht aufgegeben werden.“

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Einfluss auf die Spielplan-Gestaltung auszuüben suchte, so war in finanzieller Hinsicht die Zivilliste, von der das Hoftheater finanziert wurde, von der Budgetierung der Kammern abhängig und keineswegs mehr der völligen Willkür des Königs ausgesetzt.25 Zum zweiten sei das Theater ein öffentliches Ereignis, das seine Wirkung auf die ‚Massen‘ entfalte. Die „Versinnlichung durch die Bühne“ sei es, die eine Durchdringung der Massen erreiche und sie zu einer geistigen Einheit aufhebe. „Durch die Bühnendarstellung schreitet die Poesie mit der Stärke eines unmittelbaren Erlebnisses ein und befreit doch zugleich von der Bedrängnis der unmittelbaren Wirklichkeit.“26 Während hier die Tradition der idealistisch-ästhetischen Erziehung (Schiller) durchfärbt, so lässt sich dennoch auch eine politisch-agitatorische Tendenz in der Feststellung der Massen-Wirkung ablesen, die über Schillers „Reich des Scheins“ hinausgeht. Rötscher konzedierte dem Theater das Potential, dem trägen Weltgeist die nötige Energie für die politische Befreiung einzuhauchen: So dringt das Theater durch seine versinnlichende Klarheit mit der Kraft der Realität auf die Massen ein und flößt ihnen unvermerkt einen Sinn für die aus den Gegensätzen sich erzeugende Freiheit der Idee, wie für die menschliche Energie und für das Recht der großen Leidenschaft ein, welche ihr Alles an den Besitz eines erhabenen Gutes setzt, es stählt in dem Vertrauen auf den Sieg der Idee, die der Mensch hier mit innerer Nothwendigkeit hervorbrechen sieht, während der Weltgeist in der Wirklichkeit oft gewaltig träge auftritt, ja bisweilen fast mit einer Art Behaglichkeit den Sieg der Freiheit zu vertagen scheint.27

Rötscher versprach sich weiter von dem erfolgreichen „Kampf in Deutschland für die höchsten Güter der Freiheit, für die Entfesselung unsres öffentlichen Lebens“28 neue Kraft für die dramatische Poesie. Auf einer dritten Bedeutungs-Ebene setzte Rötscher Theater als öffentliches Medium funktional mit der Presse gleich und verband die öffentliche Funktion des Theaters mit der Frage der Pressefreiheit. Das Theater habe die Möglichkeit, dem Volk einen Sinn für die Freiheit der Idee einzuflößen, [w]enn Regierungen daher das Gut der politischen Freiheit zu verkürzen und den Aufschwung des nationalen Lebens wirklich niederzuhalten gesonnen sind, so ist es auch nur eine Consequenz, wenn sie dasjenige Drama, aus dem die Kraft des historischen Geistes und der Sieg der Freiheit uns entgegenweht, von der Bühne fern halten, eine Consequenz, welche mit der Fesselung der Presse völlig gleicher Abstammung ist.29

Jörg Wiesel hat den idealistischen Bildungsanspruch, den Rötscher eben aus der Verkörperung der sittlichen Idee im Drama ableitet, als letztlich undemokratisches und monarchistisches Prinzip gelesen und verwirft seinen Text als rückwärtsgewandte 25 26 27 28 29

Vgl. zu den Tendenzen der Verbürgerlichung am Münchener Hoftheater und der Theaterpolitik des Vormärz Kap. 5, 223–303. H. Theodor Rötscher, „Theater und dramatische Poesie“, 395. Ebd. H. Theodor Rötscher, „Theater und dramatische Poesie“, 403. H. Theodor Rötscher „Theater und dramatische Poesie“, 395f.

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Theater und Öffentlichkeit

Kunst-Konzeption. Rötscher verwalte das bildungspolitische Programm der Goethezeit und löse mit der Bildung des Subjekts dessen Recht auf parlamentarische Vertretung auf.30 Wiesel legt damit den Finger auf ein grundsätzliches Problem in der Argumentation Rötschers, jedoch kann seine Kritik ihre Stärke nur durch Ausblendung der vormärzlichen Debatten um Repräsentation und Öffentlichkeit erreichen. Eine konsequent historisierende Perspektive darf jedoch nicht aus den Augen verlieren, dass Rötscher historisch in eine Situation eingebettet ist, in der gerade erste Ansätze zu einer zirkulierenden Öffentlichkeit gegen ein aufklärerisches Modell der hierarchischen Kommunikationsform in Anschlag gebracht und über Theater- und Zeitungsmedien hinweg in einer „Experimentalphase“ erprobt wurden. Innerhalb dieses Rahmens erscheint Rötschers ambivalente Haltung als typischer Ausweis dieser „experimentalen Öffentlichkeit“. Rötscher war so gesehen durchaus ein politisch engagierter Autor und wird auch als solcher von seinen Zeitgenossen wahrgenommen. Die Verhinderung seiner Anstellung an eine preußische Staatsbehörde, namentlich das Königliche Theater und die visionierte Theaterschule, durch den Monarchen ist signifikant.31 Rötschers konkrete politische Handlungsansprüche an das Theater dürfen an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben wie etwa die Aufforderung an die Komödie, die Missstände der Zeit darzustellen und so eine Kritik zu ermöglichen: Das Hauptthema unseres Lustspiels muß es sein, gleichsam im verjüngten Maßstabe die komischen Contraste der polizeilichen Gewalt mit dem versatilen, sich derselben entwindenden Geiste zur Anschauung zu bringen. Hier wäre eine reiche Fundgrube für den Witz, wie für den Humor von Situationen, durch welche das Verkehrte und Ungereimte vieler öffentlichen Zustände Preis gegeben würde, in welchen wir uns doch leider oft genug viel zu unbefangen und gedankenlos bewegen.32

Wenn man Rötschers Text von 1849, die Kritik an Devrients Reformschrift, zu einer Ausdeutung des früheren Textes von 1843 hinzunimmt, so wird die politische Position Rötschers klarer. Sich dem revolutionären Diskurs der Zeit angleichend, sprach Rötscher jetzt von „republikanischen Tugenden“ und forderte von Devrient ein deutliches politisches Bekenntnis ein. Eduard Devrients Schrift, von Wiesel als politisch mutiger und demokratischer bewertet,33 fand vor Rötschers Augen keine politische Gnade. Rötscher wandte gerade die von Wiesel auf ihn gerichtete Kritik der idealistischen ästheti30

31 32 33

Jörg Wiesel, „Zum Verhältnis von Theater und Staat im Vormärz. Heinrich Rötscher und der Chor“, in Maria Porrmann und Florin Vaßen (Hg.), Theaterverhältnisse im Vormärz (= Forum Vormärz Forschung Jahrbuch 2001), Bielefeld 2002, 25–41, 27. Vgl. Wilhelm Klein, Der preußische Staat und das Theater, 170. H. Theodor Rötscher, „Theater und dramatische Poesie“, 403. Hier scheint Rötscher fast von Maltitz’ Komödie Das Pasquill als Ideal vor Augen gehabt zu haben, vgl. hierzu Kap. 4.2, 190–197. Jörg Wiesel, „Zum Verhältnis von Theater und Staat“, 40: „Bei der rechtlichen Autonomie des Theaters geht Eduard Devrient viel weiter als Rötscher: Deutlich unterstreicht sein Text das Recht auf Selbstverwaltung der Bühne, durch freie Wahlen aller am Theater Beschäftigten. Das kann Devrient auch deswegen artikulieren, weil er – anders als Rötscher – den Mut aufbringt, im Theater einen Prozeß kollektiver republikanischer ‚Vergesellschaftung‘ zu sehen.“

Theater und Öffentlichkeit

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schen Erziehungskonzeption auf Devrient an und forderte eine politische Haltung gegenüber dieser „antiquirten“ Position. Devrient falle auf den Schillerschen Standpunkt der „Schaubühne als moralische Anstalt“ zurück, der zu dessen Lebzeiten volle Berechtigung gehabt hätte. Heute aber wisse man, dass Theater nur mittelbar erzieherisch wirken könne, „seinem Wesen nach aber den höchsten Zweck hat, dem Menschen die absolute Gegenwart des Geistes in Form einer künstlerisch, sich mit Nothwendigkeit anrundenden Handlung darzustellen.“34 Dezidiert stellte sich Rötscher in Opposition zu Devrients politischer Verpflichtung des Theaters auf Staatsmaximen und setzte so etwas wie ein durchaus diskursiv geprägtes Widerspruchspotential des Theaters dagegen. Devrient räume dem Staat ein, dafür zu sorgen, dass „die Schaubühne die Bahn seiner Grundsätze über Volkscultur einhielte“35, damit die Bühne nicht in Widerspruch mit den staatlichen Maximen gerate. Der Staat solle „die neuen socialen Theorien“ von der Bühne abhalten und auch für eine Achtung der Ehe, Familie und Einhaltung der gesellschaftlichen Ordnung sorgen.36 Rötscher witterte hier eine verdeckte Rückkehr zum Polizeistaat und forderte dagegen die Bühne geradezu heraus, in ästhetischer-politischer Differenz einen Gegenentwurf zu den „geltenden Mächten der Gegenwart“ zu liefern: Der Verf. [Devrient] verliert den einzig wahren Gesichtspunkt dabei ganz aus den Augen, daß nämlich das Theater sich immer nur auf eine, den Forderungen der Gesellschaft angemessene und entsprechende, Weise entwickelt und es allein darauf ankommt, die Hindernisse hinwegzuräumen, welche dieser als nothwendig erkannten Stellung noch widerstreben. Die Bühne aber kann, weil sie eben Selbstzweck ist, sehr wohl mit bestehenden Staatsmaximen in Widerspruch stehen. Die dramatische Poesie und die Bühne kann die großen Probleme der Gegenwart, die in der Wirklichkeit mit einander ringen, in weit vorgerückten Stadien darstellen, sie kann daher im idealen Gebiet die Zukunft anticipiren, sie kann tief wurzelnde Gebrechen der Gesellschaft bis zu ihrem letzten Grunde zurückführen und zu der Anschauung nöthigen, daß die letzte Quelle derselben in den Vorurtheilen der gegenwärtigen Generation liegt; sie kann daher mit den geltenden Maximen sehr wohl in Widerspruch treten und durch tragische, wie komische, Auflösungen die Zukunft vorbereiten, indem sie aber über die geltenden Mächte der Gegenwart hinausgreift.37

Die oben erläuterten Abschnitte machen deutlich, dass Rötscher sich durchaus auch mit einer radikaleren Fassung von Öffentlichkeit verbündete, wie sie etwa Carl Welcker im Staats-Lexikons, in dem ja auch Rötschers Text publiziert wurde, formuliert hat: „Das ganze poli-tische Leben freier Völker bewegt sich in der Oeffentlichkeit, wie man athmet in der Luft.“38 34 35 36 37 38

H. Theodor Rötscher, „Die Reform der Bühne“, n.p. Eduard Devrient, Das Nationaltheater, 11. Vgl. Eduard Devrient, Das Nationaltheater, 11, Anmerkung. H. Theodor Rötscher, „Die Reform der Bühne“, n.p. Carl Welcker, „Öffentlichkeit“, in Das Staats-Lexikon oder Enzyklopädie der Staatswissenschaften für alle Stände in Verbindung mit vielen der angesehensten Publicisten Deutschlands, Bd. 10, hg. von Carl von Rotteck und Carl Welcker, Altona 1848, 246–281, 247.

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Theater und Öffentlichkeit

D i s k u r s p o s i t i o n e n . Quer zu einer chronologischen oder politisch-ideologischen Ordnung habe ich im Folgenden Positionen des Theaterdiskurses im Hinblick auf ihre Idee einer spezifischen (politischen) Funktion von Theater im Verhältnis zum ‚öffentlichen Leben‘ – die von Rötscher formulierten Ideen variierend – angeordnet und gerahmt. Daher geht es zunächst um eine Vision von Theater als Teil einer urbanen Kultur in der modernen Gesellschaft („Urbane Kultur und Repräsentationskritik“, Kap. 3.1). In diesem Abschnitt wird die Idee eines medial vernetzten und Neuerungen gegenüber offenen Nationaltheaters erörtert, wie sie Heinrich Laube vorstellte. Daran anschließend werde ich Robert Prutz’ Konzeption von Theater als politisches Medium aus der Perspektive einer journalistischen Öffentlichkeit vorstellen („Journalistische Öffentlichkeit und Theater“, Kap. 3.2). In der Verknüpfung von intermedialer Praxis und Hegelschem Geschichtsbewusstsein ergibt sich hier eine Idee engagierten künstlerischen Wirkens wie es als typisch für linkhegelianische Literaten gelten kann. Als Gegenentwurf zu einer progressiven modernen Öffentlichkeits-Konzeption, wie sie die bisher vorgestellten Autoren vertreten, diskutiere ich Richard Wagners antimoderne Perspektive, die Öffentlichkeit im Sinne einer gemeinschaftlichen Präsenzerfahrung versteht („Öffentliche Kunst und ästhetische Erlösung“, Kap. 3.3). Abschließend werde ich den institutionellen Reform-Diskurs des Theaters erörtern („Theater als öffentliche Institution“, Kap. 3.4), der die innere Verfasstheit der Theater-Institution als Spiegel der äußeren politischen Verfasstheit des Staates postuliert, und dessen politische Brisanz im demokratischen Strukturentwurf der Theater-Institution liegt. In dieser Abteilung werden Reformtexte von Karl Gutzkow und Eduard Devrient diskutiert.

3.1

Urbane Kultur und Repräsentationskritik

Theater wurde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts mehr und mehr als Teil einer urbanen Kultur begriffen, die sich mit Konzepten einer diskursiven Öffentlichkeit als moderne Gesellschaftsgrundlage darstellen lässt. Heinrich Laube (1806–1884) gehörte zu den so genannten Jungdeutschen Literaten, die sich durch politisch engagierte Schriften auszeichneten und von den Staatsbehörden als opponierende Gruppierung betrachtet wurden – obgleich es keinen nachweisbaren Zusammenschluss der Autoren gab. Während der Aufsehen erregenden öffentlichen und strafrechtlichen Auseinandersetzung um Karl Gutzkows Roman „Wally, die Zweiflerin“39, die mit dem Verbot des Romans und der Verurteilung Gutzkows endete, wurde vom Bundestag am 10. Dezember 1835 ein Verbot der jungdeutschen Schriften ausgesprochen. Bis 1842 konnten Ludolf Wienbarg, Karl Gutzkow, Heinrich Laube, Theodor Mundt und Heinrich Heine in Deutschland neue Schriften nur unter verschärfter Kontrolle veröffentlichen. 39

Vgl. hierzu Erwin Wabnegger, Literaturskandal: Studien zur Reaktion des öffentlichen Systems auf Karl Gutzkows Roman ‚Wally, die Zweiflerin‘ (1835–1848), Würzburg 1987.

Urbane Kultur und Repräsentationskritik

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In den 1840er Jahren machte sich Heinrich Laube als Dramatiker einen Namen, sein erster großer Bühnenerfolg „Monaldeschi“ (1840) zog weite Kreise. Politisch weniger auffällig geworden, bemühte sich Laube seit 1846 um eine Leitungsposition am Wiener Burgtheater. Doch erst 1849 wurde er vorerst provisorisch auf fünf Jahre als künstlerischer Direktor der Burg angestellt. Durch seine überzeugende verwaltungstechnische und künstlerische Reformarbeit wurde dieser Vertrag jedoch bald verlängert. Laube blieb 18 Jahre lang Direktor des Wiener Burgtheaters. Bereits seit Anfang der 1830er Jahre war Heinrich Laube durch seine politische und literarische Publizistik den Polizeibehörden verdächtig geworden. Die Preußische Zensurbehörde hatte seine journalistische Tätigkeit für das Leipziger Tageblatt im Visier. Ungeachtet des drohenden Kontrollzugriffs beschrieb Laube in einem dort erscheinenden Artikel „Theaterzustand“ im September 1832 eine moderne Theatervision in medialen Begriffen von Öffentlichkeit und Zirkulation mit deutlich politischen Bezügen: Bei den Griechen war [die Bühne] ein Ausdruck der Öffentlichkeit der Nation, des Staats, denn die Götter selbst waren eine Staatsbehörde. Je mehr wir zu jener natürlicheren Staatsverfassung zurückkehren, desto mehr sollen wir auch unsere Bühne dahin bringen, und da sie bei uns noch meist der einzige Ort ist, wo ein öffentliches Verfahren zu finden ist, bestehe es auch nur im Abstimmen über Lob und Tadel, so sollen wir sie zum reinen, wahren, richtigen Ausdruck der Öffentlichkeit machen. Die Bühne sei der Telegraph unseres Volkslebens, sie eile der langsamen Fahrpost unserer bürgerlichen Freiwerdung voraus, sie begründe sich nationale Interessen und gestalte eine nationale Einheit, die außen fehlt.40

Auch Laube griff wiederum auf das bewährte Rezept des klassizistischen Ideals zurück, dann jedoch schwenkte er über zu einer modernen Vorstellung des theatralen Mediums: es soll ein „Telegraph unseres Volkslebens“ sein. Der Telegraph, unbestreitbar das herausragendste Symbol der Medienmoderne der Zeit, war gerade im Begriff den Kontinent informationstechnisch massiv zu schrumpfen. Er stand für massenhafte und direkte Verbreitung von Informationen, Beschleunigung der Übermittlungswege und deshalb für journalistische Aktualität und das Versprechen, eine ungestörte Verbindung zu den wichtigen politischen und gesellschaftlichen Ereignissen zu leisten. Trotz dieses Metapherngebrauchs aus dem Feld der Medien und des Journalismus stand Heinrich Laube speziell dem Theaterjournalismus äußerst kritisch gegenüber. Er verstand ihn als Ausweis einer ‚Ersatzöffentlichkeit‘.41 Und es ist nicht seine scheinbare 40

41

Heinrich Laube, „Theaterzustand (1832)“, in Ders., Schriften über Theater, hg. von Eva StahlWisten, Berlin 1959, 663–667, 664. Erstmals abgedruckt in Leipziger Tageblatt, Nr. 79 und 114, Beilage, 17. September und 22. Oktober 1832. Vgl. Heinrich Laube, „III. Brief über das deutsche Theater“, in Ders., Schriften über Theater, 46– 50, 49: „Man bilde sich doch nicht ein, die vielen Zeitungsartikel über Theater entstünden aus Interesse an diesem Kunstinstitut! Niemand denkt geringschätziger von demselben, als der moderne publizistische Schriftsteller, welcher ebenfalls darüber spricht. Die staatliche und nationale Bedeutung ist die Brücke, welche er sich geschickt dahin erbaut hat, und welche er schnell vergessen würde, öffnete sich ihm zu und in Staat und Nation unmittelbare Wirkung und Stellung.“ Erstmals abgedruckt in Allgemeine Zeitung, Nr. 129, Beilage, 9. Mai 1846.

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Theater und Öffentlichkeit

Nähe zum Theaterjournalismus, sondern seine grundsätzliche Vorstellung von Theater als wirksames Medium, die ihn zu dieser Wortwahl greifen ließ. Er betrachtete das Theater als ein effektives Medium, das der Zeitung vergleichbar eine ungeheure Breitenwirkung habe und im Gegenzug durchlässig sei für den Einfluss eines jungen modernen Publikums: Dies Blatt [das Leipziger Tageblatt] wird von der Bevölkerung einer ganzen Stadt gelesen, bei konsequenter Führung kann das Bild des Theaters in kurzer Zeit auf der Netzhaut einer ganzen Bevölkerung ein anderes geworden sein: so wird ein junges Publikum, und durch das Publikum wird die Bühne geformt, wie umgekehrt: so wird also ein junges Theater.42

Die Idee einer medialen Zirkulation stand hier Pate für Laubes ‚theatrale Austauschprozesse‘, die unter dem Stichwort des ‚Telegraphen‘ gefasst wurden. In seinen in der Allgemeinen Zeitung 1846 bis 1847 als Reihe publizierten „Briefen über das deutsche Theater“43 führte Laube den Gedanken einer modernen medial geprägten urbanen Theaterkultur weiter aus. Dort formulierte Laube die mentalen Wirkungen der modernen Reisebewegungen, hatte er doch selbst immer wieder die Kulturhauptstädte Europas besucht. Diese Mobilität beeinflusse seiner Meinung nach selbst in den mittleren Städten die Vorstellungen von dem, was Theater zu leisten im Stande sei: Das Reisen ist so erleichtert; in jeder Stadt von einiger Bedeutung hat der tonangebende Teil des Publikums die Theater der großen Hauptstädte gesehen und steigert demgemäß die Ansprüche an das Theater seiner Heimatstadt.44

Mediale Zirkulation – dank Telegraph – und Reiseerleichterungen – dank Eisenbahn – waren für Laube die Grundpfeiler einer modernen urbanen Kultur, die nur in den großen Städten eine volle Entfaltung fand. Und nur dort könne der Boden bereitet werden für ein lebendiges, modernes Nationaltheater, so schrieb er: Es können dies nur noch Städte, welche ein großes, innerlich bewegtes, oder welche doch ein mannigfaltiges Publikum haben. Und wie sich das Theater als Ausdruck des Nationalgeschmackes ausgebildet hat, dies liegt nicht bloß in politischen Gründen, sondern es liegt dies in den innerlichen Gesetzen des ausgebildeten Theaters selber. Die Schauspieler müssen in der Atmosphäre leben, welche durchdrungen ist von alledem, was in der Zeit wirklich lebendig ist, und das Publikum muß ein ebenso wirklich lebendiges sein.45

Die kleineren Residenzstädte erfuhren von Laube ein negatives Urteil wegen ihrer unzureichenden Kulturleistungen. Die moderne Kultur verlange ein urbanes Zentrum, nur hier könne das wahre, an den Geist der Zeit angeschlossene Nationaltheater zur Blüte gelangen. In dieser Logik erhielt das Weimar der klassischen Zeit eine verheerende Kritik: Laube sprach Goethe und Schiller jede weiterführende theaterpraktische Wirk42 43

44 45

Heinrich Laube, „Theaterzustand“, 665. Heinrich Laube, „I.–VI. Brief über das deutsche Theater“, in Ders., Schriften über Theater, 35–69. Erstmals abgedruckt in Allgemeine Zeitung, Nr. 120, 124, 129, 352, 1846 und Nr. 11, 34, 1847. Insbesondere im II. Brief wird dies deutlich. Heinrich Laube, „II. Brief“, in Ders., Schriften über Theater, 41–46, 43. Heinrich Laube, „I. Brief“, in Ders., Schriften über Theater, 37–40, 38.

Urbane Kultur und Repräsentationskritik

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kraft ab, habe es ihnen doch zu sehr an der Seherfahrung urban geprägter Theaterästhetik gefehlt. Weimar stünde letztlich für einen hermetisch abgeschlossenen ‚Provinzialismus‘, Goethes unkritische Schauspielereinschätzungen seien das Resultat ungeschulter Urteilskraft.46 Entsprechend fiel die Auswahl von Städten, „denen man hinreichendes Leben“47 zuschreiben durfte, nach Laube sehr gering aus. Im Süden ließ er nur Wien als urbanes Zentrum gelten, München sei „nicht bewegt genug“48. Dem widersprach allerdings die Augsburger Redaktion der Allgemeinen Zeitung in einer Anmerkung zum Artikel: „Uns scheint, im Sinne der Kunst wie des politischen Lebens herrsche in München doch Bewegung, um auch einer Theaterbewegung, welche isoliert eine widerliche Erscheinung ist – zum Träger zu dienen.“49 Neben der lebendigen urbanen Atmosphäre war eine weitere Voraussetzung für das Gedeihen eines modernen Nationaltheaters die politische Dimension. Nur das ungetrübte Nationalgefühl politischer Größe biete den richtigen Nährboden für eine Nationalkultur. Daher sei „das mögliche Nationaltheater nur da zu suchen, wo der historische Sieg, wo die unzweifelhaft größere politische Macht zu finden ist.“50 Konsequenterweise kämen nur die Hauptstädte Österreichs und Preußens in Frage: Wien und Berlin seien urbane Zentren mit nationalpolitischem Potential – ideale Orte für eine künftige deutsche Nationalbühne. Aus diesen Zeilen lässt sich geradezu eine Selbstbewerbung um die später tatsächlich erfolgte Beteiligung an einer Reform des Burgtheaters herauslesen: Laube als Mann der Stunde am Ort der Stunde. Doch Heinrich Laubes Reformgedanken hatten durchaus eine politische Brisanz, jenseits opportunistischen Karriere-Strebens. Mit seiner Ablehnung höfischer Theaterkultur verband er eine dezidierte Repräsentationskritik, denn das Hoftheater sei von dem „unkünstlerischen und unpolitischen Gedanken“ geleitet, „daß auch das Theater den Hof und die herrschende Politik repräsentieren soll, ein Gedanke, welcher dem Zwecke eines Nationaltheaters in vielen Punkten schnurstracks zuwiderläuft. “51 Das Theater durfte nach Laube nicht als repräsentatives Vehikel für die Demonstration der höfischen Machtfülle missbraucht werden. Ganz im Sinne der medialen Konzeption von Theater wies er diese absolutistische Erbschaft der Hoftheater als unkünstlerisch und unpolitisch von sich. Die diplomatischen Rücksichten, welche sich aus der höfischen Repräsentationslogik ergaben, würden insbesondere ein Theater hemmen, welches historische Stoffe in politisch und gesellschaftlich relevante Stücke umforme. Laube sprach hier von seinen eigenen Erfahrungen als Dramatiker historischer Stücke,

46 47 48 49 50 51

Vgl. Heinrich Laube, „IV. Brief“, in Ders., Schriften über Theater, 50–59, 52f. Heinrich Laube, „I. Brief“, 38. Ebd. Ebd., Anmerkung der Redaktion. Heinrich Laube, „I. Brief“, 40. Heinrich Laube, „II. Brief“, 44.

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Theater und Öffentlichkeit

wenn Aufführungen als Staatsangelegenheiten betrachtet und daher der strengsten Zensur unterworfen würden: Auf die dreißig Einzelstaaten des deutschen Vaterlandes wird dergestalt Rücksicht genommen, daß kein deutscher Gesandter irgendeine störende Empfindung im Theater haben dürfe. Dadurch wird ein Lebenselement des deutschen Theaters, die deutsche Geschichte, tief beeinträchtigt, und die natürlichsten Stoffe werden die schwierigsten. Dem jetzigen Drange nach Einheit zum Trotze werden die Helden der Nation nicht nur als Familienhelden verwandelt, sondern auch je nach diesen oder jenen empfindlichen Saiten, welche berührt werden, ausgeschlossen. Die Spaltung wird prinzipiell verewigt, und die Nation von ihrer Geschichte abgetrennt.52

Seine dramaturgische Technik, konkrete historische Gestalten in allgemein-politische Akteure zu transformieren, stieß sich an der fürstlichen Praxis, Geschichte als eigene Familiengeschichte zu betrachten. Daher appellierte Laube an die Fürsten, sie mögen die Geschichte freigeben an die Nation, und entsprechend natürlich an das Nationaltheater.53 Das Nationaltheater sollte auch in ästhetischer und formaler Hinsicht als ‚Musterbühne‘ wirken; es müsse sich der Innovation öffnen und die Freiheit des Experiments ausgestalten. Auch hier wirke die höfische Diplomatie hindernd, „Etikette“ stehe „Erfindung“ unversöhnlich gegenüber: Etikette schließt die Erfindung aus, und doch ist Erfindung das Herz für ein Nationaltheater, denn eine Nation, welche nicht weiterstrebt, ist im Verscheiden, und ein Theater, welches nur anerkannte Ideen und Formen bringen darf, ist nimmermehr ein Nationaltheater.54

Und das Neue stand nach Laube zweifelsfrei auf der Basis der modernen Urbanität und im Zeichen der medialen und gesellschaftlichen Zirkulation. Es galt nun, den Weizen vom Spreu zu trennen und das Theater an die lebendige Atmosphäre, den vibrierenden Zeitgeist der Kulturstadt, anzubinden, obgleich diese Aufgabe mit Schwierigkeiten verbunden sei: 52 53

54

Heinrich Laube, „II. Brief“, 45. Dass dies durchaus auch gegen Einsprüche fremder Souveräne politisch durchgesetzt wurde, zeigt das Beispiel der Aufführung von Michael Beers Struensee am Münchner Hoftheater am 27. März 1828. Aus dem Briefwechsel des Münchner Hofes mit seinem Gesandten am Frankfurter Bundestag geht hervor, dass der dänische Gesandte Einspruch gegen die Aufführung dieses Stückes, das die jüngste Geschichte des dänischen Hofes behandelte, erhoben hatte; vgl. BayHStA, MA, Nr. 1961. Preußen und weitere Bundesländer verboten daraufhin die Aufführung. Ludwig I. erlaubte die Aufführung mit dem Hinweis, die Probentätigkeit sei schon bekannt und man könne nicht ohne größeres Aufsehen zu erregen, ein Verbot aussprechen. Ludwig I. verursachte so innerhalb des deutschen Bundes durchaus eine politische Missstimmung. Davon zeugt das Schreiben zur Aufführungserlaubnis, welches den Rat des bayerischen Außenministerium an seinen Gesandten enthält, sich politisch klug zurückzuhalten, vgl. BayHStA, MA, Nr. 1961, Außenministerium an den bayerischen Gesandten in Frankfurt, 27. März 1828: „Ich muß zwar gestehen, daß wir eben nicht Ursache haben, Preussens erklärter Freund zu sein, allein die Klugheit scheint es bei den vorwaltenden Umständen demnach zu erfahren, jetzt bei eintretenden Veranlassungen [sich] mit der schonendsten Mässigung und mit kluger Umsicht zu äußern.“. Heinrich Laube, „II. Brief“, 42.

Journalistische Öffentlichkeit und Theater

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Es ist gar zu schwer, Schein vom Wesen zu unterscheiden bei einem Theater, welches so viele Jahrzehnte lang von einem Kapitalirrtum beherrscht worden ist, von dem Irrtum: die lebendigste Kunst des wiedergeborenen Lebens, die dramatische Kunst, sei abzuschließen von dem bewegenden Hauch des Zeitalters.55

Es ging im Gegenteil darum, das Theater zum „bewegenden Hauch des Zeitalters“, zur Moderne hin zu öffnen.

3.2

Journalistische Öffentlichkeit und Theater

Ein Aspekt dieser urbanen Modernität ist die zunehmende Durchlässigkeit zwischen den Medien Theater und Zeitung. Ich möchte an dieser Stelle soweit gehen, eine historische Situation von Medienverkreuzungen zu behaupten, der ich ohne weiteres den Charakter von ‚Intermedialität‘ avant la lettre zugestehen möchte. Diese Medienüberschreitungen fand auf personaler Ebene, d.h. der intellektuelle Medienexperte war in der Regel in mehreren Medienfeldern tätig, aber auch auf der Ebene der Medienkonventionen und Medienästhetiken statt, d.h. Theater und Zeitungen tauschten bestimmte Charakteristika in Bezug auf Distribution, Formate, Aktualität untereinander aus, z. B. dramatisierte gedruckte Flugblätter, oder auch tagesaktuelle satirische Theateraufführungen geben einen Eindruck dieser medialen Austauschprozesse. In der Verknüpfung von intermedialer Praxis mit einem von Hegel geprägten Geschichtsbewusstsein formte sich eine Konzeption von Theater als politischem Medium, die vor allen Dingen in den Kreisen der linkshegelianischen Literaten als Basis engagierten künstlerischen Wirkens galt. Am Beispiel des Dramatikers, Journalisten, Medien- und Literaturhistorikers Robert E. Prutz (1816–1872) möchte ich die Intermedialität als Merkmal der historischen Situation journalistischer und theatraler Öffentlichkeit herausarbeiten. Die berufliche Tätigkeit von Robert E. Prutz verkreuzte immer wieder die Arbeitsfelder ‚Wissenschaft‘, ‚Theater‘ und ‚Presse‘. Die Verbindung von journalistischer und literarischer Tätigkeit war nicht untypisch für die Zeit des Vormärz, Prutz’ Zeitgenossen Karl Gutzkow, Heinrich Laube und viele andere taten es ihm gleich. Robert E. Prutz war kontinuierlich als Journalist tätig und schrieb gleichermaßen wissenschaftliche Studien über Literatur, Theater und Journalismus. Er hielt öffentliche Vorlesungen und trat mit seinen Dramen als junge Hoffnung für ein neues deutsches Trauerspiel hervor. Sein Stück „Moritz von Sachsen“ (1844) verursachte bei der Uraufführung am Königlichen Theater in Berlin einen der weitreichendsten politischen Theaterskandale der 1840er Jahre. 1847 versuchte sich Prutz auch als Dramaturg am Hamburger Stadttheater. Nach einer Zeit von nur sechs Wochen beendete er jedoch das Arbeitsverhältnis, da er seine Vor55

Heinrich Laube, „II. Brief“, 42.

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Theater und Öffentlichkeit

stellungen einer umfassenden Dramaturgentätigkeiten in diesem eingeschränkten Rahmen nicht verwirklichen konnte. Der Dramaturgenberuf war gerade erst im Entstehen, eine „Erfindung des laufenden Jahrhunderts, wie der Schwefeläther, das Chloroform und die Schießbaumwolle“ und wurde generell als „das fünfte Rad am Thespisfuhrwerk“ betrachtet.56 Die dramaturgischen Vorkämpfer wie Karl Gutzkow, Julius Mosen und Robert E. Prutz hatten es schwer, die Notwendigkeit ihres Tuns am Theater und in der Öffentlichkeit durchzusetzen. Die Allgemeine Theaterzeitung bemerkte zum schnellen Rückzug von Prutz, er habe seinen dramaturgischen „Plundertitel“ beiseite geworfen als er gemerkt habe, er solle nur eine bezahlte Null sein.57 J u n g h e g e l i a n i s c h e P o l i t i k . Prutz gehörte zu den politischen Autoren des Vormärz, die maßgeblich von der Philosophie Hegels beeinflusst waren. Selbst hatte er Hegels Vorlesungen nicht mehr erlebt, aber das Denken Hegels wurde ihm von dem Linkshegelianer Arnold Ruge, Herausgeber der Hallischen Jahrbücher für deutsche Kunst und Wissenschaft vermittelt. Prutz war mit Ruge befreundet und arbeitete von 1839 bis 1841 in der Redaktion der Hallischen Jahrbücher mit.58 Die Einflussnahme Hegels war zu dieser Zeit auch über literarische Kreise hinaus stark verbreitet. Nicht nur, dass sich nach seinem Tod seine Schüler in eine konservative Fraktion (Rechtshegelianer od. Althegelianer) und eine liberale Fraktion (Linkshegelianer od. Junghegelianer) aufspaltete und eine rege Editionstätigkeit ausübten, nein, Hegels Ideen gingen im Vormärz auch in den allgemeinen bürgerlichen Sprachgebrauch ein und erfuhren dort eine große Verbreitung. Besonders einschlägig waren seine Rede vom „Geist der Zeit“59 und das Postulat vom „Ende der Kunst“60 sowie die Sentenz „Was vernünftig ist, das ist wirklich; und was wirklich ist, das ist vernünftig.“61 Horst Denkler erläutert, inwiefern vor allen Dingen letzteres den Theaterleuten und Literaten zu einem schlagenden Argument für ein politisches Theater und Tendenzdrama verhalf: 56 57 58

59

60 61

Alle Zitate aus einer Glosse in der Allgemeinen Theaterzeitung, 31. Januar 1848. Ebd. Prutz veröffentlichte in den Hallischen Jahrbüchern 35 Beiträge, vorwiegend Rezensionen und einige längere literarische Aufsätze. Vgl. hierzu Hartmut Kircher, „Robert Prutz. Eine biographische Skizze“, in Robert Prutz, Zwischen Vaterland und Freiheit, hg. von Hartmut Kircher. Köln 1975, 11–43, insbes. 16–18. Vgl. hierzu Hegels Einleitung in seiner Geschichte der Philosophie, wo er von Philosophie als Gedanke ihrer Zeit spricht, von einer geschichtlichen Dimension des Seins und Denkens; siehe seine Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, Bd.1, hg. von Karl Ludwig Michelet. Berlin 1833, 68ff. Karl Löwith verbindet die Rede vom Zeitgeist im modernen Sinne mit Hegels Philosophie, vgl. Karl Löwith, Von Hegel zu Nietzsche, 222. Für eine Diskussion der oft unpräzise ausgelegten Hegelschen Formel vom „Ende der Kunst“ siehe etwa Annemarie Gethmann-Siefert, Ist die Kunst tot und zu Ende?, vgl. Kap. 2.3, 95. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, 14.

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Damit wurde einerseits der stetige Zuwachs an Freiheit in der Geschichte als vernunftgesteuert und das historisch gewordene Wirkliche als vernunftgewollt ausgegeben. […] Andererseits erschien nun unzeitgemäß und geschichtsfeindlich verweigerte Freiheit als grobe Vernunftwidrigkeit, die überkommen werden mußte, weil das Vernünftige – nach den elementaren Gesetzen der Logik – Wirklichkeit zu gewinnen hatte. […] Mit dieser Argumentation gab Hegel seinen Schülern die durchschlagende Waffe für die Umwälzung der Realität an die Hand. 62

Denkler belegt weiter, wie zahlreiche Literaten und Hegel-Schüler, diese Idee variiert formulierten und als zentrales Moment ihres Schreibens bezeichneten, so auch Heinrich Heine, Robert Prutz, Julian Schmidt und Arnold Ruge. Für das Theater und Drama ließen sich daraus neue Impulse gewinnen, so Denkler: Denn wenn das Drama als Frucht und Zeugnis des historischen Prozesses das Vernünftige, Wirkliche mitteilen sollte, mußte einerseits das Wirkliche vernünftig werden und andererseits das Drama vernünftig genug sein, um das Wirkliche darstellen zu können: Evolution oder Revolution der realen Verhältnisse begannen sich mit der Evolution oder Revolution des Dramas zu überdecken.63

Das Werk des Linkshegelianers Robert Prutz lässt in seinen Vorlesungen zur Geschichte des deutschen Theaters (1847) auch eine konsequent methodische Anwendung des Hegelschen Geschichtsbewusstseins erkennen. Dort postulierte Prutz, wir seien alle Kinder unserer Zeit und könnten uns dem nicht entziehen. Wichtig sei es jedoch, sich dessen genau bewusst zu werden, sich mit der „Gesammtheit seiner Zeit, mit seinem Volke, seinem Vaterlande“64 zu verbinden. Man solle sich vom Zeitgeist „durchzittern lassen, den heiligen Pulsschlag, der vom mütterlichen Busen der Zeit her“ weht, willkommen heißen.65 Noch stärker sich dem Zeit der Geist verpflichtend, stellte er in seiner Geschichte des deutschen Journalismus (1845) fest, dass die Geschichte eines Volkes aus dem „Organismus des Geistes und seiner immanenten Nothwendigkeit“ hervorwachse und aus diesem Grunde jede Geschichte (also Geschichtsschreibung) als Geschichte des Geistes betrachtet werden müsse.66 Prutz formulierte hier im Prinzip den methodischen Ansatz einer Diskursanalyse avant la lettre. Diese Geschichte des Geistes komme nun, so Prutz, an einen Punkt, an dem der deutsche Geist aus seiner Jahrhunderte langen ‚Innerlichkeit‘ im Begriff sei, „sich erobernd zurückzuwenden in die Welt,“67 um sich an der Verwirklichung des freien Staates zu beteiligen.68 Die Forderung der Stunde hieß Politik: Dies also der Charakter, dies die große Aufgabe unsrer Zeit. Wir haben die Stadien historischer Entwicklung vollständig, mit deutscher Gründlichkeit, durchlaufen; wir sind ein theologi62 63 64 65 66 67 68

Horst Denkler, Restauration und Revolution. Politische Tendenzen im deutschen Drama zwischen Wiener Kongress und Märzrevolution, München 1973, 29. Horst Denkler, Restauration und Revolution, 30. Robert E. Prutz, Vorlesungen über die Geschichte des deutschen Theaters, 2 (erste Vorlesung). Ebd. Robert E. Prutz, Geschichte des deutschen Journalismus, Hannover 1845. Robert E. Prutz, Vorlesungen über die Geschichte des deutschen Theaters, 4 (erste Vorlesung). Ebd.

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Theater und Öffentlichkeit

sches, ein ästhetisches, ein philosophisches Volk gewesen: jetzt endlich, den Forderungen der Gegenwart, den Bedingungen unsrer eigenen Existenz Gehör gebend, rüsten wir uns, ein politisches, das heißt wahrhaft ein Volk zu werden.69

Aus dieser Perspektive musste der Ästhetizismus eines späten Goethe und auch der Romantiker als nicht mehr adäquat erscheinen. Es müsse jetzt vielmehr darum gehen, das Volk als Teil des literarischen Geschehens zu integrieren, als Partner im politischen Kampf um Freiheit anzuerkennen. Die Kunst sollte sich populär machen und nicht der Exklusivität der Romantiker frönen, daher wurde Friedrich von Schiller als Ideal des wirklich politischen Dichters postuliert: Ja wenn schon Goethe die Menge mehr als billig verachtete, wenn wir schon seine großartige, olympische Ruhe wohl ab und zu ein wenig gestört wünschen durch jene Hingabe an die Zeit und die Bedürfnisse der Gegenwart, welche Schillern so liebenswürdig, so hinreißend macht: so ist es bei den Romantikern geradezu Princip, die Menge, als etwas Gemeines, Unverständiges, Unwürdiges, ohne Weiteres zu verachten. Die Kunst, welche Schiller noch zur Lehrerin der Völker, zur Priesterin der Menschlichkeit erheben wollte, ist für die Romantiker etwas Exclusives, Apartes, von dem das dumme Volke, die blödsinnige Masse nichts versteht und auch niemals etwas lernen noch ahnen noch fühlen wird.70

Dem Geist der Zeit gehorchen und dessen politisches Wirken und Wollen auch der Entwicklung der Bühne angedeihen lassen,71 hieß daher für Prutz: „Mit Einem Worte: nur in dem Schiller’schen Drama lebt der Keim der Zukunft – weil in ihm allein der Gedanken der Freiheit lebt.“72 Mit dieser Berufung auf Schiller als idealer Vertreter eines politischen Dramas reihte sich Prutz ein in den Diskurs seiner zeitgenössischen Literaten- und Theaterkollegen. D i e j o u r n a l i s t i s c h e P e r s p e k t i v e . Wie schon oben erläutert personifizierte Robert Prutz in seiner beruflichen Tätigkeit eine intermediale Öffentlichkeits-Praxis par excellence. Ich möchte jedoch behaupten, dass Prutz sogar noch weiterging und eine quasi journalistische Perspektive einnahm, wenn es um die gesellschaftliche Funktionsbestimmung von Theater ging. Auffallend ist zumindest, dass er, indem er das Theater auf die Gegenwart verpflichtet, es dem Journalismus annähert. Das Theater sei 69 70 71

72

Robert E. Prutz, Vorlesungen über die Geschichte des deutschen Theaters, 5 (erste Vorlesung). Robert E. Prutz, Vorlesungen über die Geschichte des deutschen Theaters, 393 (neunte und letzte Vorlesung). Prutz leitete davon auch den seiner Meinung nach mediokren Erfolg der Intendanz Brühl ab, da dieser als Schüler Goethes einen nicht Zeit gemäßen Ästhetizismus vertreten hätte, der das Interesse des Publikums nicht finden konnte. Siehe Robert E. Prutz, Vorlesungen über die Geschichte des deutschen Theaters, 398 (neunte und letzte Vorlesung): „Wenn nichts destoweniger das Theater in dieser Epoche sich weniger im Einklang mit dem Publikum zu behaupten wusste, wie in der Brühl’schen Zeit, so lag dies hauptsächlich in dem veränderten Bewußtsein der Zeit überhaupt, und daß, bei dem allmäligen Aufdämmern bedeutender politischer Interessen, überhaupt keine so reine, ästhetische Befriedigung mehr möglich war wie ehemals.“ Robert E. Prutz, Vorlesungen über die Geschichte des deutschen Theaters, 392 (neunte und letzte Vorlesung).

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durch die Unmittelbarkeit und Öffentlichkeit der Aufführungen so gegenwärtig wie keine andere Kunst: Kein anderer Zweig weder der Literatur noch der Kunst tritt so unmittelbar in die Oeffentlichkeit des praktischen Lebens ein, kein anderer stellt sich dem Publikum so handgreiflich Aug’ in Auge, wie dies, durch Vermittlung des Theaters, mit der dramatischen Literatur der Fall ist.73

Und dadurch erhalte das Theater seine Berechtigung, nämlich durch sein unmittelbares Verhältnis zur Gegenwart. In einer Art seismographisch reagierenden Spiegelung stelle das Theater die Gegenwart ins Bild und sei somit eng in die gegenwärtige oder auch geschichtliche Öffentlichkeit eingebunden. Das Drama fungiere auf inhaltlicher Ebene als politisch-historischer Spiegel, aber erst die Aufführung des Theaters kann eine unmittelbare Öffentlichkeit herstellen: [Das Theater ist] das verwirklichte, lebendig gewordene Drama, der reinste und großartigste Spiegel des öffentlichen Lebens [...], den die Literatur überhaupt zu bieten vermag. Es ist gleichsam das empfindlichste Thermometer der nationalen Bildung, der genaueste und feinste Maßstab, der sich dem öffentlichen Leben von Seiten der Literatur anlegen läßt. Kein anderer Zweig derselben, wie wir so eben gesehen haben, ist so genau mit der Oeffentlichkeit verbunden, als das Theater; sogar es bildet selbst einen Theil dieser Oeffentlichkeit: ja es fehlt nicht viel, und es hat Zeiten und Völker gegeben, bei denen die Oeffentlichkeit des Theaters die einzige war, die überhaupt existirte – und auch sie war von Gensd’armen überwacht.74

Prutz charakterisierte hier das Theater ähnlich wie er die Funktion des Journalismus in seiner Geschichte des deutschen Journalismus beschrieb, wenn er die Presse als „öffentliches Tagebuch der laufenden Geschichte“ oder als „öffentliche Meinung vergangener Jahrhunderte“ bezeichnete: Der Journalismus überhaupt, in seinen vielfachen Verzweigungen und der ergänzenden Mannigfaltigkeit seiner Organe, stellt sich als das Selbstgespräch dar, welches die Zeit über sich selber führt. Er ist die tägliche Selbstkritik, welcher die Zeit ihren eigenen Inhalt unterwirft; das Tagebuch gleichsam, in welches sie ihre laufende Geschichte in unmittelbaren, augenblicklichen Notizen einträgt. Es versteht sich von selbst und bei den persönlichen Tagebüchern, welche wir etwa führen, geht es uns ja ebenso, daß die Stimmungen wechseln, daß Widersprüche sich häufen und Wahres und Falsches ineinanderläuft. Aber immerhin, das Wahre wie das Falsche, hat einmal seine, wenn auch nur theilweise, nur scheinbare Berechtigung gehabt; es ist immerhin ein Erlebtes und, in seiner Irrthümlichkeit selbst, ein Moment unsrer Bildung, mithin auch ein Moment unsrer Geschichte. Im Journalismus daher, trotz dieser, ja eben wegen dieser schwankenden, flüchtigen Natur, liegen die geheimsten Nerven, die verborgensten Adern unsrer Zeit sichtbar zu Tage.75

So wie das Theater „das empfindlichste Thermometer der nationalen Bildung“ sei und der „feinste Maßstab, der sich dem öffentlichen Leben […] anlegen läßt“, so träten in der Journalistik die „verborgensten Adern unsrer Zeit sichtbar zu Tage.“ Der Zusam73 74 75

Robert E. Prutz, Vorlesungen über die Geschichte des deutschen Theaters, 9f (erste Vorlesung). Robert E. Prutz, Vorlesungen über die Geschichte des deutschen Theaters, 10 (erste Vorlesung). Robert E. Prutz, Geschichte des deutschen Journalismus, 7.

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Theater und Öffentlichkeit

menhang bzw. die Parallelität von Theater und Journalismus in ihrem Verhältnis zu Gegenwart und öffentlichem Leben wird offensichtlich. Darüber hinaus stellte Prutz in seiner historischen Forschung das Studieren dieser ‚historischen Tagebücher‘ des Journalismus als ein theatrales Ereignis dar, die öffentliche Meinung entbirgt sich dort „dramatisch“ und „unmittelbar lebendig“: Längstvergangene Zustände, Ereignisse und Begebenheiten, deren Kenntniß uns bis dahin nur dogmatisch überliefert wurde, werden uns hier, in dramatischer Mannigfaltigkeit, noch einmal unmittelbar lebendig.76

Der Zusammenhang von Gesellschaft, Theater und Presse war für Prutz in historischer Hinsicht erhellend. Die Erforschung der Pressegeschichte gebe ein „Verständniß der früheren Zeit im Allgemeinen“77 und liefere somit auch wichtige Erkenntnisse „für die Geschichte unsrer literarischen Entwicklung.“78 Was Prutz hier für eine Art historische Diskursanalyse feststellte, muss man für seine historische Gegenwart weiter denken: Journalismus und Theater waren diskursiv miteinander verflochten, die Politik der Stunde, das gesellschaftliche Bewußtsein von Gegenwärtigkeit betraf beide und erzeugte in beiden Medien spezifische künstlerische und publizistische Ausdrucksweisen. Dieser Zusammenhang zwischen journalistischer Verzeichnung der Geschichte und gegenwärtiger Verlebendigung in der Darstellung machte das Theater zu einem politischen Medium der Öffentlichkeit. Prutz ließ seine Vorlesungen zur Geschichte des deutschen Theaters in einem politischen Aufruf gipfeln, der die Bühne zur ‚Vorkämpferin der Freiheit‘, zur ‚Feindin der Fürstenmacht‘ und als dem politischen Leben gleich geordnete Erscheinung idealisierte: Schon sehen Sie die leisen Anfänge erwachenden politischen Bewußtseins, die seit vier, fünf Jahren die Herzen unseres Volkes durchzittern, von den Anfängen einer neuen dramatischen Dichtung begleitet; das Volk, zurückkehrend zu sich selbst, fängt auch wieder an, Interesse zu finden an seinem Theater; die Bühne wird wieder eine Macht, sie wird ein Vorkämpfer der Freiheit und der nationalen Bewegung; es giebt schon wieder Stücke, welche die Nation mit Liebe empfängt und die die Fürsten verbieten. Derselbe Strom geistiger Bewegung, der die Erstarrung unseres öffentlichen Lebens zu lösen verspricht, berührt auch schon in munterm Wellenschlage die Welt des Theaters; auch hier sind wir schon wenigstens so weit wieder, daß wir das Rechte, das Nothwendige wissen und verlangen. – Beiden, Geschichte und Literatur, Bühne und Leben, ist Ein Ziel, Ein Weg gewiesen, beide haben eine Aufgabe zu lösen, einen Feind zu bekämpfen: Staat wie Theater, wenn sie jemals wirklich gedeihen sollen, haben sich zuerst und vor Allem von der Vormundschaft der Fürsten zu befreien.79

An dieser Stelle transformierte seine wissenschaftliche in eine politische Rede. So ist der letzte Satz seiner Vorlesungen eine Beschwörung der Freiheits-Apotheose: 76 77 78 79

Robert E. Prutz, Geschichte des deutschen Journalismus, 8. Ebd. Ebd. Robert E. Prutz, Vorlesungen über die Geschichte des deutschen Theaters, 399 (neunte und letzte Vorlesung).

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Möge sie denn bald aufgehen, die köstliche, die Sonne der Erfüllung, der Morgen unsrer Freiheit!80

Während nun Theodor Rötscher, Heinrich Laube und Robert Prutz den Kontext einer medialen und politischen Moderne begrüßten und als Basis für ihre Vision gesellschaftlich relevanten Theaters nutzten, erscheint Richard Wagners Öffentlichkeits-Konzeption als Gegenentwurf zum gesellschaftlichen und politischen Umbruch. Paradoxal wirkt dies insofern, als Wagner sich dabei aus der Perspektive der antimodernen Opposition gleichzeitig auf die moderne Gesellschaftsvision und ihre politischen Medienpotentiale berief.

3.3

Öffentliche Kunst und ästhetische Erlösung

Richard Wagner reihte sich ein in die generelle Debatte um eine ‚öffentliche Kunst‘, die von den repräsentativen und Unterhaltungs-Bedürfnissen des Hofes unabhängig zu gesellschaftlicher Relevanz kommen sollte. Was ihn jedoch vom allgemeinen Tenor seiner Zeitgenossen unterschied, war seine unbedingte Verkoppelung der Idee einer öffentlichen, gesellschaftlichen Theaterkunst mit einem präsentischen Gemeinschaftserlebnis, welches in eine Erlösung zum idealen ästhetischen Gesellschaftszustand mündet. Die ästhetischen und theoretischen Schriften von Richard Wagner (1813–1883) werden nicht selten seiner ausgesprochenen Originalität wegen als von gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen unberührte, quasi monolithische, Denkkonstrukte dargegestellt. Wagners Schriften lassen sich jedoch nicht aus dem Kontext seines theaterpraktischen und gesellschaftlichen Wirkens herauslösen. 1843–1849 war er am Dresdener Hoftheater als Kapellmeister tätig und in regem Kontakt mit dem Schauspieler, Theaterhistoriker und Theaterreformer Eduard Devrient, der dort vor der Verpflichtung Karl Gutzkows im Jahr 1847 kommissarisch als Oberspielleiter gewirkt hatte und dann als Hofschauspieler tätig war. Wagners Zeit in Dresden war geprägt von innertheatralen Auseinandersetzungen mit dem Hoftheater-Intendanten Wolf von Lüttichau (1785– 1863) und dem Dramaturgen Karl Gutzkow, der in Wagners Kompetenzbereich der Oper nicht selten hineinzuregieren trachtete. Wagners politischer Denkraum war geprägt durch das Wirken seines Kollegen und Freundes August Röckel, dem Herausgeber der radikal demokratischen Volksblätter. Und er pflegte auch Kontakt zu dem Anarchisten Michail Bakunin, mit dem er gemeinsam beim Mai-Aufstand 1849 in Dresden auf den Barrikaden stand. Nach dem Schei tern des Aufstandes floh Wagner in die Schweiz und verblieb im Exil bis zu seiner poli80

Robert E. Prutz, Vorlesungen über die Geschichte des deutschen Theaters, 400 (neunte und letzte Vorlesung).

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Theater und Öffentlichkeit

tischen Teil-Amnestie durch den sächsischen König im Jahre 1860, die ihm die Einreise nach Deutschland, aber nicht nach Sachsen gestattete. Vor dem Hintergrund einer gesellschaftlich-politischen Situation des Umbruchs lässt sich Wagners Denkhorizont als Ausdruck einer Revolte gegen beängstigend konkrete Modernisierungstendenzen lesen. Der eigentliche Protest Wagners, so Andrea Mork, „gilt der Rationalität, die in Gestalt von Wissenschaft, politischen Parteien, kapitalistischer Rechenhaftigkeit, Journalistik und Literatur eine einstmals natürliche und gute Ordnung auf den Kopf gestellt“81 habe. Die Kunst verbleibe ihm daher als einzige Instanz, welche sich dieser Entwicklung noch entgegenzustellen vermag. Sinnlichkeit, Gefühle und Einbildungskräfte könnten nur noch dort ihre Wirkung entfalten, daher sei Wagner bestrebt, „die Kunst zum Bezugssystem einer gesellschaftlichen Neuorientierung und -ordnung zu machen“.82 Die politisierte Atmosphäre der 1840er Jahre und später die politische Revolution verstand Wagner als Vehikel für diese gesellschaftliche Neuordnung im Zeichen der Kunst und handelte in diesem Sinne durchaus politisch modern. Ich werde in diesem Abschnitt zunächst die wesentlichen Elemente von Wagners ‚Kunstreligion‘ als Versuch, mit den unwägsamen Herausforderungen der Moderne umzugehen und der Kunst eine zentrale Rolle in der Genese von Gesellschaft und Kultur zuzuweisen, referieren. Mit dieser ‚Kunstreligion‘ als Basis lässt sich Wagner in die „Experimentalphase des Öffentlichen“ einordnen, da er zum einen die Mittel der medialen Moderne nutzte, um seine Idee zu verbreiten, zum anderen versuchte, eine eigene dezidiert antimoderne und ästhetisierende Position im Feld der Öffentlichkeit zu formulieren: die ‚freie Öffentlichkeit‘ als gemeinschaftlicher Raum eines ästhetischen Erlebnisses. Dieses Erlebnis erhält einen mythisch-kultischen Wert durch die absolute Beschränkung auf das präsentische Geschehen. Eine über das Ereignis hinaus wirkende diskursive Öffentlichkeit verdächtigte Wagner, nur dessen Kunstwert zu diskreditieren. P o l i t i k v s . K u n s t r e l i g i o n . Richard Wagner stand mit seiner utopischen Kunst- und Gesellschaftsvision den liberalen politischen Theaterentwürfen diametral entgegen. Während seine theaterreformerischen Schriften eng an das Denken von Eduard Devrient angelehnt waren83 – beide arbeiteten am Dresdener Hoftheater zusammen und hielten regen Austausch über eine mögliche ‚Erneuerung‘ des Theaters84 –, sprengten 81 82 83

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Andrea Mork, Richard Wagner als politischer Schriftsteller. Weltanschauung und Wirkungsgeschichte, Frankfurt a. M./New York 1990, 21f. Andrea Mork, Richard Wagner als politischer Schriftsteller, 22. Wagner hat Devrients-Texte mehrfach rezensiert. In seinen Schriften finden sich mit Devrient teilweise fast wortgleiche Formulierungen zu konkreten Reformideen. Vgl. Richard Wagner, „Über Eduard Devrient’s ‚Geschichte der deutschen Schauspielkunst‘ (1849)“, in Richard Wagner, Werke, Schriften und Briefe, hg. von Sven Friedrich (= Digitale Bibliothek, Bd. 107), Berlin 2004, 6426–6431; vgl. Richard Wagner, „Theater-Reform (1849)“, in Richard Wagner, Werke, 6432–6438. Devrient besprach seine Reformpläne mit Wagner, wie er in seinem Tagebuch vermerkte. Vgl. hierzu Wilhelm Klein, Der preußische Staat und das Theater, 98f.

Öffentliche Kunst und ästhetische Erlösung

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die revolutionären Texte Wagners den konkreten politischen Rahmen und verwiesen auf den verdunkelten Ursprung einer ästhetischen Gesellschaftsordnung, die es wieder zu gewinnen galt. Über Wagners revolutionären Aktionismus beim Dresdner Aufstand im Mai 1849 und auch in seinen Schriften und öffentlichen Bekenntnissen vor und nach 1848 herrschte lange in der Wagner-Rezeption ein gewisses Unbehagen.85 Erst seit den 1980er Jahren werden die Schriften dieser Phase und seine politische Utopie als Wesenskern seines theoretischen Werkes gelesen und mit den späteren Schriften verknüpft. So trennt etwa Rüdiger Krohn 1986 noch in seinem Artikel „Richard Wagner und die Revolution von 1848/49“86 Wagners künstlerische von seiner politischen Vision und unterstellt ihm Opportunismus: Wagner verspreche sich von der politischen Revolution bessere Arbeitsbedingungen, vor allen Dingen eine Wertschätzung seines genialischen künstlerischen Schaffens. Als Beweis hierfür gibt Krohn Wagners schnelle Distanzierung von der Revolution nach der Niederschlagung des Dresdner Aufstandes an. Dass sich sein ästhetisch-mythologisches Denken nicht an die politischen Ziele der 1848er Revolution anbinden ließ, musste Wagner selbst bald klar gewesen sein. Inwiefern die Relativierung der eigenen revolutionären Tätigkeit opportunistisch oder auch schlichtweg Überlebensstrategie in der reaktionären politischen Tendenz nach 1851 gewesen sein mag, bleibt Spekulation. Es soll an dieser Stelle auch keine Charaktereinschätzung Wagners getroffen werden, die nur den Zugang zu seinen theoretischen Schriften verstellen würde. Für eine Entschlüsselung von Wagners revolutionären Visionen in einem mythologisch-kunstreligiösen Denkhorizont ist die 1990 erschienene Studie von Andrea Mork Richard Wagner als politischer Schriftsteller wegweisend. Mork erarbeitet detailreich den Zusammenhang zwischen einer gesellschaftlichen Modernisierungsbewegung, die bei Wagner einen Abwehrmechanismus auslöst, und seiner Zuflucht zur Beschwörung esoterischer Kunsterlebnisse. Sie legt in ihrer Studie im Weiteren plausibel dar, wie dieses antimodernistische Denken Wagners im Bayreuther Kreis später konsequent zu einer Rassenmythologie entfaltet wurde, und auf welche Weise die Nationalsozialisten sich auf Wagners Mythos der Volksgemeinschaft und seine Ästhetisierung der Politik berufen konnten. Diese politischen Konsequenzen können im Rahmen meiner Studie nicht im Einzelnen berücksichtigt werden, sind jedoch wesentlich für eine kritische Einschätzung von Wagners Antimodernismus, der sich in den frühen politischen und ästhetischen Schriften zeigt. Wagner strebte eine ‚Rückkehr‘ zu einer ästhetischen Vormoderne an, die bei ihm eng an ein Heil bringendes Naturkonzept angekoppelt war. Wagner pflegte eine monarchistische Grundhaltung, die er mit radikal republikanischen Gedanken zusammenführte als eine Art Erlösung zur Republik und gleichbe85 86

Zur umfassenden Kritik der seine politische Radikalität ausgrenzenden Wagner-Rezeption in Deutschland vgl. Udo Bermbach, Wagner in Deutschland, Stuttgart 2011. Rüdiger Krohn, „Richard Wagner und die Revolution von 1848/49“, in Ulrich Müller und Peter Wapnewski (Hg.), Richard-Wagner-Handbuch, Stuttgart 1986, 86–100.

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Theater und Öffentlichkeit

rechtigter Volksgenossenschaft durch die väterliche Königs-Figur. So verband Wagner 1848 in seiner Rede „Wie verhalten sich republikanische Bestrebungen dem Königthume gegenüber?“ im Dresdener Vaterlandsverein die Forderungen nach Abschaffung der Adels-Privilegien, der Einführung des allgemeinen Wahlrechts und nach einem Volksparlament mit der provokanten These, der Fürst sei dazu berufen, der „wahrste, getreueste Republikaner“ zu sein. Der Fürst als ‚geläuterter‘ Monarch müsse absolutistischer Willkür und intriganten Hofchargen abschwören, um dem darbenden sächsischen Volk unverstellt als echter König87 und Erlöser gegenüberzutreten: Wir sind Republikaner, wir sind durch die Errungenschaften unserer Zeit dicht daran, die Republik zu haben: aber Täuschung und Ärgerniß aller Art heftet sich noch an diesen Namen, – sie seien gelöst mit einem Worte unseres Fürsten! Nicht wir wollen die Republik ausrufen, nein! Dieser Fürst, der edelste, der würdigeste König, er spreche es aus: Ich erkläre Sachsen zu einem Freistaat.88

Die Formel der „Erlösung durch den Einen“ zieht sich durch sein schriftstellerisches wie musikdramatisches Werk als Leitfaden einer Orientierung an patriarchalen Hierarchien.89 In diesem Sinne gewinnt Wagners politische Radikalität die Qualität einer antimodernistischen Mythologie: Die Forderung nach politischer Erneuerung ist gleichzeitig die Rückwendung zu einer im mythisch vergangenen Dunkel liegenden vermeintlichen Ganzheitlichkeit und Unversehrtheit des gesellschaftlichen Bandes zwischen Volk und „Königthum“. Zwei wesentliche Komponenten geben dieser mythischen Rückwärtswendung präfaschistoide Züge: die Idee einer Verschmelzung der Individuen zur Volksgemeinschaft als moralisch und politisch starkes Ideal und der als ‚Reinigung‘ beschworene Gewaltakt der Revolution. Nur in der innigen Vereinigung wachse der Mensch zu moralischer und physischer Stärke. Deutlich wird, dass es sich hier nicht nur um einen gesellschaftlichen Zusammenschluss handelt, sondern um eine ‚Schicksalsgemeinschaft‘ durchaus im völkischen Sinne: „Der einzelne Mensch ist nur ein Theil des Ganzen; vereinzelt für sich ist er Nichts, nur allein als Theil des Ganzen findet er seine Bestimmung, sein Recht, sein Glück.“90

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Richard Wagner setzte absolutistische Alleinherrschaft („Monarchie“) gegen eine ursprüngliche, dem Volk zugewandte Regentschaft („Königthum“), vgl. Richard Wagner, „Wie verhalten sich republikanische Bestrebungen dem Königthume gegenüber?“, in Richard Wagner, Werke, 6408– 6424, 6423: „[L]assen wir den Monarchismus ganz enden, da die Alleinherrschaft durch die Volksherrschaft (Demokratie) eben unmöglich gemacht ist, aber emanzipiren wir dagegen in seiner vollsten, eigentümlichen Bedeutung das Königthum!“ Richard Wagner, „Wie verhalten sich republikanische Bestrebungen“, 6421. Vgl. etwa die Figur des Parsifal, in der sich die antirationalistische Haltung Wagners (Erlösung durch den unwissenden „reinen Thor“) mit der Erscheinung des „wahren Königthums“ (Erlösung durch den künftigen, den moralisch starken und tatkräftigen König) verbindet. Richard Wagner, „Der Mensch und die bestehende Gesellschaft (1849)“, in Richard Wagner, Werke, 6445–6452, 6450.

Öffentliche Kunst und ästhetische Erlösung

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Vereinigt könnten die Menschen die befreiende Revolution in Gang setzen, um neue Menschen zu werden. Diese Idee der Befreiung war bei Wagner jedoch nicht an konkrete politische Ziele gekoppelt, sondern an eine abstrakt-mythische Konzeption einer neuen ästhetischen und freien Gesellschaft. Die Revolution sollte die unfreie Gesellschaftsordnung, die auf rein industrielle und kapitalistische Ziele ausgerichtet war, vernichten.91 Der Mensch erfülle nach Wagner den Zweck der geldwerten Arbeit und könne nur mit aller Radikalität durch den Gewaltakt der Revolution davon gereinigt und zu einer sittlichen und ästhetischen Gesellschaftsform geführt werden. Die Phantasie einer radikalen Zerstörungsgewalt mit faschistoiden Zügen zeigt sich an Wagners „Gruß der Revolution“ (1849): Alles, was besteht, muß untergehen, das ist das ewige Gesetz der Natur, das ist die Bedingung des Lebens, und ich, die ewig Zerstörende, vollführe das Gesetz und schaffe das ewig junge Leben. Ich will zerstören von Grund aus die Ordnung der Dinge, in der ihr lebt, denn sie ist entsprossen der Sünde, ihre Blühte ist das Elend und ihre Frucht das Verbrechen.92

Gewaltvolle Vernichtung und Heil bringende Erlösung sind hier die zwei untrennbar miteinander verbunden Wirkkräfte der Revolution. Im Sinne des zeitgenössischen Ringens um eine neue gesellschaftliche Bestimmung von Kunst93 verlieh Wagner ihr eine überhistorische und zentrale Rolle in seiner Idee einer ‚befreiten Gesellschaft‘, wie er es vor allen Dingen in seiner Schrift Die Kunst und die Revolution (1849) darlegte. Die Kunst sei das Medium der Befreiung und gleichzeitig die Maßgabe für eine freie und ästhetische Gesellschaft. Und dadurch konnte Wagner sie mit der politischen („sozialen“) Revolution überblenden: Gerade an der Kunst ist es nun aber, diesem sozialen Drange seine edelste Bedeutung erkennen zu lassen, seine wahre Richtung ihm zu zeigen. Aus ihrem Zustande zivilisierter Barbarei kann die wahre Kunst sich nur auf den Schultern unsrer großen sozialen Bewegung zu ihrer Würde erheben: sie hat mit ihr ein gemeinschaftliches Ziel, und beide können es nur erreichen, wenn sie es gemeinschaftlich erkennen. Dieses Ziel ist der starke und schöne Mensch: die Revolution gebe ihm die Stärke, die Kunst die Schönheit!94

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Typisch für Wagners mythisches Denken war allerdings, dass er keine politische KapitalismusKritik entwickelte, die wie etwa bei Karl Marx die kapitalistische Gesellschaft durch eine konkrete Analyse der Produktions- und Verwertungszusammenhänge kritisch erfassen konnte, sondern seine Ablehnung der industriellen Lebensform auf moralischen Parametern gründete: Nicht der Besitz von Gütern sei problematisch, sondern die unmoralische Habgier, das Unmaß des Besitzstrebens. Vgl. hierzu auch Andrea Mork, Richard Wagner, 97. Richard Wagner, „Die Revolution (1849)“, in Richard Wagner, Werke, 6453–6465, 6459. Wagner drückt dies unmissverständlich aus, siehe Richard Wagner, „Die Kunst und die Revolution (1849)“, in Richard Wagner, Die Kunst und die Revolution, hg. und komm. von Tibor Kneif, München 1975, 7–50, 10: „Die Frage gilt also der Kunst und ihrem Wesen selbst. Nicht eine abstrakte Definition derselben soll uns hier aber beschäftigen, denn es handelt sich natürlich nur darum, die Bedeutung der Kunst als Ergebnis des staatlichen Lebens zu ergründen, die Kunst als soziales Produkt zu erkennen.“ Richard Wagner, „Die Kunst und die Revolution“, 39. Hervorhebung im Original.

122

Theater und Öffentlichkeit

In seiner gesellschaftlichen Utopie waren Kunst und Revolution durch das gemeinsame Ziel des „im Einklang mit sich und der Natur sinnlich schön entwickelten Menschen“95 eng verwoben. Letztlich sollten die revolutionär befreiten und neu gebildeten Kunstinstitutionen den gesellschaftlichen Institutionen als Vorbild und Modell dienen, denn nur der künstlerische Mensch sei der freie Mensch in einer gerechten Gesellschaftsstruktur. Der totalisierende Anspruch dieses Modells zeigt sich daran, dass Wagner postulierte, „der Geist, der eine künstlerische Körperschaft zur Erreichung ihres wahren Zweckes verbindet, würde sich in jeder andern gesellschaftlichen Vereinigung wiedergewinnen lassen, die sich einem bestimmten menschenwürdigen Zweck stellt.“96 Wagner entwickelte mit seiner erlösungsorientierten Konzeption einer Verschmelzung von Kunst und Revolution eine regelrechte „Kunstreligion“, die politische Ideale in einen ästhetischen Gesellschaftsentwurf transzendierte. Im Prinzip radikalisierte er damit den Schillerschen Entwurf einer ‚ästhetischen Erziehung‘, deren ‚Reich der Schönheit‘ er als zentrales und ausschließliches Telos jeder politischen Gesellschaftsordnung voranstellt. Die ästhetische Erziehung sollte nicht den Ausgleich zwischen zweckmateriellem Bestreben und sinnlichem Bedürfnis schaffen, sondern als grundsätzliche und unumkehrbare Erlösungs-Konzeption den neuen, freien, ästhetischen Menschen erschaffen. Die moderne Gesellschaft, die sich in Begriffen von Öffentlichkeit und neuen politischen Konzeptionen wie ‚Demokratie‘ und ‚Republik‘ konturierte, wies Wagner hier radikal zurück. Dennoch blieb, wie zu zeigen sein wird, sein Gebrauch eines politisch besetzten Begriffs wie „Öffentlichkeit“ ambivalent und durchaus infiziert von modernistischem Gedankengut. Ö f f e n t l i c h k e i t u n d G e s e l l s c h a f t . Wagner verwandte den Begriff der Öffentlichkeit nicht eindeutig und belegte ihn je nach Kontext mit einem positiven oder negativen Wert. In seinem Essay „Die Kunst und die Revolution (1849)“ ist verschiedentlich von „Öffentlichkeit/öffentlich“ die Rede: Es geht um „öffentliches Leben“ im Sinne einer gesellschaftlichen vom Privaten getrennten Sphäre der Allgemeinheit97, um „öffentliches Bewußtsein“98 und „herrschenden Charakter der Öffentlichkeit“99 im Sinne einer öffentlichen Meinung. Ferner dürfe die „freie Öffentlichkeit als Richter“100 ihr Urteil über die Kunst fällen. Die gesellschaftlich wesentliche Kunst war bei Wagner die „öffentliche Kunst“101. In seinem Konzept wird dieser Begriff zum Pleonasmus, denn das Kunstwerk, so Wagner, werde doch überhaupt erst durch Öffentlichkeit zur Kunst: 95

Richard Wagner, „Die Kunst und die Revolution“, 18. Richard Wagner, „Die Kunst und die Revolution“, 49f. 97 Vgl. Richard Wagner, „Die Kunst und die Revolution“, 23, 25, 31. 98 Vgl. Richard Wagner, „Die Kunst und die Revolution“, 33. 99 Richard Wagner, „Die Kunst und die Revolution“, 46. 100 Richard Wagner, „Die Kunst und die Revolution“, 48. 101 Richard Wagner, „Die Kunst und die Revolution“, 23, 26, 28. 96

Öffentliche Kunst und ästhetische Erlösung

123

Was [der Künstler] schafft, wird zum Kunstwerke wirklich erst dadurch, daß es vor der Öffentlichkeit in das Leben tritt, und ein dramatisches Kunstwerk tritt nur durch das Theater in das Leben. Was sind aber heutzutage diese über die Hilfe aller Künste verfügenden Theaterinstitute? Industrielle Unternehmungen, und zwar selbst da, wo Staaten oder Fürsten sie besonders dotieren.102

So setzte Wagner direkt im Anschluss an die Formulierung einer essentiellen Notwendigkeit der ‚Öffentlichkeit‘ für die Kunst sofort wieder seine Kritik am industrialisierenden Charakter derselben fort, und forderte konsequenterweise die „Befreiung der öffentlichen Kunst“103. Das Wesen der Kunst in der modernen zivilisierten Welt sei die Industrie, ihr Zweck der Gelderwerb und das ästhetische Ziel allein die Unterhaltung der Gelangweilten.104 In diesem Zusammenhang schätzte Wagner die Position des Künstlers selbstkritisch zwischen Unabhängigkeit und Gunststreben ein. Das künstlerische Genie bedürfe trotz allen Beharrens auf der künstlerischen Autonomie zwingend der öffentlichen Anerkennung und passe sich daher den ‚Marktgegebenheiten‘ und den Publikumswünschen an.105 Dies geschehe nicht aus wirtschaftlichen Gründen, sondern aus einem inneren narzistischen Trieb heraus. Mit deutlichen Anklängen des Selbstekels belegte Wagner daher die vom Künstler distanzierte Öffentlichkeit – „du modernes Kunstpublikum, öffentliches Meinungsinstitut!“106 – mit negativen Eigenschaften. Wagner benannte deutlich die gesellschaftliche Wichtigkeit des Theaters als öffentliches Ereignis unter den Vorzeichen der Moderne und urbanen Medienkultur und konnte sich doch nicht mit dem kommerziellen „Inhalt“ dieser öffentlich wirksamen Kunst abfinden. Das Theater sei „Ausdruck des gültigen öffentlichen Lebens unsrer Gegenwart“107 , aber das, was tatsächlich im Theater geboten wird, sei nur das Abbild der kommerzialisierten Fäulnis der Moderne: Unsre moderne theatralische Kunst versinnlicht den herrschenden Geist unsers öffentlichen Lebens, sie drückt ihn in einer alltäglichen Verbreitung aus wie nie eine andre Kunst, denn sie bereitet ihre Feste Abend für Abend fast in jeder Stadt Europas. Somit bezeichnet sie, als ungemein verbreitete dramatische Kunst, wie die griechische Tragödie den Höhepunkt des griechischen Geistes bezeichnete: aber diese ist die Blüte der Fäulnis einer hohlen, seelenlosen, naturwidrigen Ordnung der menschlichen Dinge und Verhältnisse.108

Der moderne Theaterzustand galt ihm als öffentlich wahrnehmbarer Gradmesser für die rationalistisch und kapitalistisch verderbte Gesellschaft, im Theater könne man den 102

Richard Wagner, „Die Kunst und die Revolution“, 45. Richard Wagner, „Die Kunst und die Revolution“, 47. 104 Vgl. Richard Wagner, „Die Kunst und die Revolution“, 23. 105 Vgl. Richard Wagner, „Der Künstler und die Öffentlichkeit (1840/41)“, in Ders., Dichtungen und Schriften, hg. von Dieter Borchmeyer, Frankfurt a. M. 1983, 186–193, insbes. 188f. Dieser Text entstammt dem Erzählungs-Zyklus „Ein deutscher Musiker in Paris“, den Richard Wagner in äußerst prekären finanziellen Verhältnissen in Paris verfasste. 106 Richard Wagner, „Der Künstler und die Öffentlichkeit“, 189. 107 Richard Wagner, „Die Kunst und die Revolution“, 23. 108 Ebd. 103

Theater und Öffentlichkeit

124 109

„herrschenden Geist der Öffentlichkeit“ wie in einem Spiegel ablesen. Wagner kritisierte den ‚öffentlichen‘ Zustand des Theaters vehement, gleichzeitig war es gerade die öffentliche Wirksamkeit, welche das Theater für Wagner als effektives Instrument der Rückgewinnung einer vormodernen ästhetischen Lebenshaltung so wichtig machte. Wagner beharrte auf dem Theater als öffentliches Ereignis, er wollte es in ein ästhetisches Erziehungsmedium, in ein moralisches Bollwerk der Antimoderne, ein Erlösungsmedium des unfreien Menschen transformieren. Er machte sich Gedanken über die allgemeine Zugänglichkeit des Theatertempels (freier Eintritt für das Publikum110 ) und die Erzwingung einer gesteigerten Präsenz als unwiederholbares theatrales Ereignis mit dem Festivalkonzept.111 Seine positive Vorstellung von Öffentlichkeit entsprang dem Grundgedanken der Gemeinschaftlichkeit, des gesellschaftlichen Aufgehens im öffentlichen Kunstereignis, und war so deutlich unterschieden von der Idee einer diskursiven Öffentlichkeit. Daher ist es nicht verwunderlich, dass Wagner, abgesehen von persönlicher Kränkung durch einzelne Theaterkritiken, eine grundsätzliche Abneigung gegen jegliche journalistische Öffentlichkeit hegte. Die Abwertung des Journalisten-Berufs oder einzelner Journalisten zieht sich durch das schriftstellerische Werk Wagners. Dies erscheint paradox, ging der Künstler Wagner doch sehr effektiv mit der journalistischen Öffentlichkeit um und schrieb selbst zahlreiche Artikel für Zeitschriften und Zeitungen. In einem Brief an Theodor Winkler forderte er sogar explizit die Anerkennung seiner journalistischen Arbeit; er sagte, es sei doch angemessen, ihn „zumal wegen meiner zweiten Eigenschaft als Literat oder vielmehr Journalist etwas zu respectiren.“112 Dominant in den Schriften erscheint jedoch seine Verachtung der journalistischen Öffentlichkeit und der Journalisten-Moral. Nicht nur seine Auseinandersetzungen mit dem ‚Journalisten‘ Karl Gutzkow als künstlerischem Leiter des Dresdener Hoftheaters113 mit Entscheidungsbefugnis auch über die Oper, sondern auch seine Ablehnung 109

Richard Wagner, „Die Kunst und die Revolution“, 23. Richard Wagner, „Die Kunst und die Revolution“, 48. 111 Wagner radikalste „Ereignis“-Konzeption findet sich in einem Brief aus Zürich an Theodor Uhlig (Dresden) vom September 1850, vgl. Richard Wagner, Werke, 9503,: „Von Neujahr gingen die Ausschreibungen und Einladungen an alle freunde des musikalischen Drama’s durch alle Zeitungen Deutschland's mit der Aufforderung zum Besuche des beabsichtigten dramatischen Musikfestes: wer sich anmeldet und zu diesem Zwecke nach Zürich reist, bekömmt gesichertes entrée, – natürlich wie alles Entrée: gratis! Des weiteren lade ich die hiesige jugend, Universität, Gesangvereine u.s.w. zur Anhörung ein. Ist alles in gehöriger Ordnung, so lasse ich dann unter diesen umständen drei Aufführungen des Siegfried in einer woche stattfinden: nach der dritten wird das theater eingerissen und meine partitur verbrannt. Den leuten, denen die sache gefallen hat, sage ich dann: ‚nun macht's auch so!‘ Wollen sie auch von mir einmal wieder etwas Neues hören, so sage ich aber: ‚schießt ihr das Geld zusammen!‘“ Hervorhebung im Original. 112 Brief an Theodor Winkler, undatiert, Brief Nr. 158, in Richard Wagner, Werke, 7797–7798, 7797. 113 Vgl. Nachlass Gutzkow, Stadt- und Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg, Frankfurt/Main, 47/ca. 30, 2872–2873, o.D., ca. 30. Januar 1847, Typoskr. Abschrift. 110

Öffentliche Kunst und ästhetische Erlösung

125

einer dem Kunstwerk äußerlichen öffentlichen Kritik-Instanz, wie er sie in seinem Nationaltheater-Entwurf (1849) darlegte, sprechen davon: Die natürliche Aufgabe des Gesammtvereins [aller Bühnendichter und Komponisten des Vaterlands] ist, von seinem Standpunkte aus über die Erhaltung der ästhetischen, sittlichen und nationalen Reinheit des Nationaltheaters zu wachen; die Kritik also, welche bisher außerhalb des Instituts, ihm daher gegenübergestellt war, soll somit innerhalb und im mit betheiligten Interesse desselben ausgeübt werden. Die dem Publikum vorgeführten theatralischen Vorstellungen sollen durch die umfassendste Kritik der Intelligenz des Landes so weit von den Mängeln experimentaler Spekulation gereinigt sein, daß nach bestem Ermessen der vorhandenen Fähigkeit das vollendete Kunstwerk sogleich dem Genusse der Öffentlichkeit geboten wird, das Publikum somit von vornherein in seine rechte, unverkümmerte Stellung zu dem Kunstwerke tritt, seine Betheiligung also nach vollkommen freiem Ermessen aussprechen kann. (Das moralische Gewerbe der Theater-Rezensenten wird hierdurch aufgehoben werden.)114

Die Kritik wird hier also unter interner Beteiligung des „Gesammtvereins“ vom Produktionsprozess des Musiktheaters absorbiert. Wagners Logik ließ keine nachträgliche rationale Reflexion durch eine externe Kritik-Instanz zu, da doch das Wesentliche der Kunst im vollendeten ästhetisch-sinnlichen Erleben liege. Die Qualität sichernde Funktion der Kritik wurde vor die Aufführung verlegt, um ein hochwertiges ästhetisches Erlebnis zu garantieren. Die nachträgliche Überführung des Kunstwerkes in einen ästhetischen Diskurs – für die Idee einer modernen journalistischen Öffentlichkeit geradezu essentiell – sah die „freie öffentliche Kunst“ nicht vor. Wagners Kunstkonzeption ließ kein kritisches Außen zu, das sinnliche ästhetische Ereignis absorbierte alle beteiligten Instanzen. Die kritische Distanz einer vermittelten Reflexion durfte die ästhetische Transformation nicht stören, das Publikum musste im direkten durch keine mediale Instanz verstellten Kontakt mit dem Kunsterlebnis stehen. Sein Ideal eines öffentlichen Gesellschafts- und Kunst-Zustandes fand Wagner, wie so viele seiner Zeitgenossen, im Rekurs auf die antike Kunst, das antike Theater. Wagner idealisierte den griechischen Stadtstaat zu einer Gesellschaft von freien Patrioten, Staatsleuten und Künstlern, deren alltägliche Lebensbedürfnisse zugunsten des öffentlichen Lebens zurückgestellt gewesen seien. Öffentliches Leben sei hier gleichzusetzen mit einer politischen und künstlerischen Volksgemeinschaft, so Wagner: „[Des Griechen] Geist lebte nur in der Öffentlichkeit, in der Volksgenossenschaft: die Bedürfnisse dieser Öffentlichkeit machten seine Sorge aus; diese aber befriedigte der Patriot, der Staatsmann, der Künstler, nicht der Handwerker.“115 Um diese ‚freie und schöne Öffentlichkeit‘ als Volksgenossenschaft wieder herzustellen, brauche es eine Revolution. Nur die Zertrümmerung der modernen partikularen Kunst- und Gesellschaftsordnung könne zur Wiedergeburt dieses durch große Kunst erfüllten Lebens führen, 114

Richard Wagner, „Entwurf zur Organisation eines deutschen National-Theaters für das Königreich Sachsen (1849)“, in Richard Wagner, Werke, 937–1011, 946. 115 Richard Wagner, „Die Kunst und die Revolution“, 31.

Theater und Öffentlichkeit

126 116

denn das vollendete Kunstwerk , der große, einige Ausdruck einer freien schönen Öffentlichkeit, das Drama, die Tragödie, ist – so große Tragiker auch hie und da gedichtet haben – noch nicht wiedergeboren, eben weil es nicht wieder geboren, sondern von neuem geboren werden muß. Nur die große Menschheitsrevolution, deren Beginn die griechische Tragöde einst zertrümmerte, kann auch dieses Kunstwerk uns gewinnen; denn nur die Revolution kann aus ihrem tiefsten Grunde das von neuem, und schöner, edler, allgemeiner gebären, was sie dem konservativen Geiste einer früheren Periode schöner, aber beschränkter Bildung entriß und verschlang.117

Wagner bejahte als Kind seiner Zeit den politischen Aufbruch und ließ sich vom revolutionären Geist mitreißen. Was ihn jedoch deutlich vom politischen Horizont seiner liberalen Zeitgenossen unterschied, war seine Verknüpfung von radikal revolutionärem Gestus mit kunstreligiöser Heilslehre. Eine Öffentlichkeit basierend auf frei zirkulierendem Diskurs als Ausweis einer medialen und gesellschaftlichen Moderne stellte für Wagners ästhetisches Erlösungskonzept ein unkalkulierbares Risiko dar. Daher formulierte er eine andere Idee von Öffentlichkeit, die lediglich der Ermöglichungsgrund für ein frei zugängliches ästhetisches Erlebnis im Kontext der gesellschaftlichen Erlösung durch Kunst sein sollte. In diesem Sinne transformierte Wagner ein politisches Konzept von Öffentlichkeit in eine antipolitische118 Konzeption von antimoderner – d.h. antirationaler und antidiskursiver – Kunstreligion. Nach den Märzereignissen des Jahres 1848 setzte sich auch bei Richard Wagner angesichts der akuten Finanzkrise des Dresdener Hoftheaters kurzfristig eine pragmatische Linie durch, wenn er in seinem Entwurf zur Organisation eines deutschen NationalTheaters für das Königreich Sachsen (1849)119 einen detaillierten Plan zur institutionellen Reorganisation seiner Arbeitsstätte lieferte.

3.4

Theater als öffentliche Institution

Nach der ersten Etablierung der äußeren politischen Errungenschaften der Revolution von 1848 standen die Theaterreformer – exemplarisch werden hier Karl Gutzkow (1811–1878) und Eduard Devrient (1801–1877) vorgestellt – nun vor der Aufgabe, sich mit der inneren Reform des Theaters auf der politischen Agenda zu positio116

Dass Wagner dieses vollendete Kunstwerk bereits hier als Verschmelzung der Einzelkünste zum ‚Gesamtkunstwerk‘ konzipierte, macht folgende Stelle deutlich, Richard Wagner, „Die Kunst und die Revolution“, 24: „Und so erkennen wir denn in unsrer öffentlichen theatralischen Kunst keineswegs das wirkliche Drama, dieses eine, unteilbare, größte Kunstwerk des menschlichen Geistes: unser Theater bietet bloß den unbequemen Raum zur lockenden Schaustellung einzelner, kaum oberflächlich verbundener, künstlerischer, oder besser: kunstfertiger Leistungen.“ 117 Richard Wagner, „Die Kunst und die Revolution“, 35. 118 So die Kapitelüberschrift zur Analyse von Richard Wagners revolutionären Schriften bei Andrea Mork, Richard Wagner, 77: „Antipolitik“. 119 Richard Wagner, „Entwurf zur Organisation eines deutschen National-Theaters“.

Theater als öffentliche Institution

127

nieren. Eduard Devrient war zunächst als Hofschauspieler am Königlichen Theater in Berlin tätig, bevor er 1844 diese Stellung zugunsten einer künstlerisch leitenden Funktion am Dresdener Hoftheater kündigte. Nach einem Zerwürfnis mit seinem Bruder Emil Devrient, Star des Dresdener Schauspiel-Ensembles und gewichtige Stimme am Theater, gab er 1846 diese Position auf und war nunmehr als Hofschauspieler in Dresden tätig. Devrient hatte parallel zum Schauspielen immer wieder durch reformerische und historische Theaterschriften auf sich aufmerksam gemacht. Große Anerkennung erfuhr seine damals für den deutschsprachigen Raum einzigartig umfangreich und schlüssig strukturierte Geschichte der deutschen Schauspielkunst (5 Bde.,1848–1874), die vom Mittelalter bis in seine Zeit reicht. Insbesondere seine Schilderung des Schauspiels im 19. Jahrhundert ist heute noch eine zeitgenössische Quelle von großem historiographischem Interesse. Im Jahr 1848 trat Devrient als Theaterreformer im Umfeld des preußischen Kultusministeriums besonders hervor, wie ich weiter unten ausführen werde. 1852 wurde er als künstlerischer Leiter ans Karlsruher Hoftheater gerufen, wo er bis 1870 als Generaldirektor des Hoftheaters tätig war. Karl Gutzkow hatte sich mit Romanen in den 1830er Jahren einen Namen gemacht und war als Journalist tätig. Nach dem Wally-Skandal und dem Verbot der Jungdeutschen Schriften versuchte er sich als Dramatiker und galt neben Prutz und Laube als Vertreter eines historischen Trauerspiels, das in verschlüsselter historisierender Form neue politische Impulse setzte. Durch den Erfolg seiner Dramen wurde die Dresdener Intendanz auf ihn aufmerksam, und auf Fürsprache von Emil Devrient, einem engen Freund Gutzkows, wurde er Ende 1846 als Dramaturg mit künstlerischer Leitungsfunktion an das Hoftheater gerufen. Dort stand er in beständiger Konkurrenz mit Eduard Devrient und Richard Wagner um Leitungs- und Reformfragen des Theaters, wie zahlreiche briefliche Beschwerden von allen Seiten bei der Intendanz belegen. Im März 1848 nahm Gutzkow einen längeren Urlaub und reiste nach Berlin, da er im dortigen Theaterwesen Fuß fassen wollte. Während der gleichzeitig ausbrechenden Unruhen in Berlin mischte Gutzkow sich sofort in die politischen Geschehnisse ein und wurde mit seiner „Ansprache an die Berliner (1848)“120 bekannt. Durch den plötzlichen Tod seiner Frau im April 1848 und die dringende Frage der Versorgung seiner Kinder war Gutzkow jedoch zur Rückkehr in seine Dresdener Stellung gezwungen. Nach seinem exponierten Auftreten in Berlin suchte die Dresdener Intendanz indes, den politisch unliebsamen Dramaturgen loszuwerden und nutzte den Mai-Aufstand 1849 zur sofortigen Entlassung Gutzkows. T h e a t e r a l s m o d e r n e I n s t i t u t i o n . Parallel zu den politischen Bemühungen des Frankfurter Parlaments ging es ab 1848 auch darum, für das Theater angemessene 120

Publiziert als „Ansprache an die Berliner im März 1848“, in Karl Gutzkow, Vor- und NachMärzliches, Leipzig 1850, 105–119.

128

Theater und Öffentlichkeit

Organisations-, Verwaltungs- und Finanzierungsstrukturen zu etablieren. Schon 1846 formulierte Heinrich Laube das Desiderat personenunabhängiger Strukturen: Und worin besteht das Vorwärts unserer Tage? Im Ausbilden von Institutionen, welche uns leidlich sicherstellen vor dem Mangel an Persönlichkeiten. Dieses durchgehende Gesetz ist am Theater immer noch standhaft übersehen worden.121

Nach 1848 galt dieses Manko nicht mehr, nun war die Reform der Theater-Institution in aller Munde. Die Institution galt als politisches Gegenmittel zur absolutistischen Personalwillkür. Die Festlegung innerer stabiler demokratischer Strukturen und die Transparenz von Entscheidungs- und Verwaltungsvorgängen versprachen eine institutionelle Form, die vor Verkrustung, personenabhängigem Wohl und Wehe, und entsprechendem Motivationsmangel der gefügig gemachten Untergebenen schützen konnte. Das Theater sollte daher nach dem Ideal einer modernen repräsentativen Institution modelliert werden. In mehrfacher Hinsicht war die institutionelle Struktur für das Theater die Idealform der Moderne. Die Institution stand für politische Transparenz: Entscheidungswege und Finanzpolitik sollten der unabhängigen Kontrolle unterstehen, die Institution sollte der Öffentlichkeit verpflichtet sein. In einer Zeit der politischen Unwägsamkeit bürgte die Institution darüber hinaus für Stabilität. Die künstlerische Leistung sollte in der Institution prosperieren und kontinuierlich Werte schöpfen. Unabhängig von politischen Turbulenzen sollte der institutionelle Rahmen die künstlerische Arbeit schützen und pflegen. Und schließlich bot sich die transparente, stabile Institution als struktureller Ort der Kommunikation an. Ästhetische Innovation und Anschluss an das gesellschaftliche Leben entstünden durch und mit dem kommunikativen Austausch. Die Reform der Institution war daher die geeignete Antwort auf eine unübersichtlich gewordene Theatersituation, die der politischen und medialen Umbruchphase geschuldet war. Paradigmatisch für diese Umbruchphase standen etwa die Auswirkungen des Agentursystems, das in eine entropische PR-Maschinerie mündete. Eduard Devrient beschrieb in seiner Geschichte der deutschen Schauspielkunst (5 Bde., 1848– 1874) die Schauspieler als ‚Sklaven des Systems‘ in einer Spirale von Marketing und Agenturzwang. Die Agenturen veröffentlichten zu Reklame-Zwecken TheaterZeitungen, die zum öffentlichen ‚Schaufenster‘ ihrer Vertragskünstler dienten. Gleichzeitig finanzierten die Schauspieler diese Zeitungen durch ihr PflichtAbonnement: [J]ede Agentur hielt sich eine solche [Theater-Zeitung], sowohl zur Geschäftsverkündigung, als um eine öffentliche Stimme innerhalb der Theaterwelt zu haben. Daß über diesen Kreis hinaus diese Zeitungen wenig oder nichts wirkten, war gleichgiltig, denn ihre Kritiken hatten nur einen Geschäftszweck innerhalb der Theaterwelt. Zunächst lobten diese Blätter ihre Abonnenten, oder war das durchaus nicht möglich, so wurden sie doch geschont; nur Nicht121

Heinrich Laube, „IV. Brief“.

Theater als öffentliche Institution

129

abonnenten wurden getadelt; die Kunden aber der Agentur wurden weitaus gepriesen; der Menschenhandel übte seine Reclame.122

Doch die medienlogische Paradoxie wurde noch einem Schritt weitergeführt. Um die Redaktionskosten möglichst gering zu halten, wurden die Abonnenten dazu angeregt, ihre eigenen Kritiken zu verfassen und kostenlos zur Verfügung zu stellen. So wurden die Theater-Zeitungen zum kreisförmigen medialen Selbstläufer: „Ein Jeder wußte das und Jeder hoffte doch die Andern, vornehmlich die Bühnenvorstände, zu täuschen und sich Credit innerhalb des Bühnenkreises zu verschaffen.“123 Ein Marketing-Verfahren, das in unserer Zeit vom Prinzip her als gewöhnliches Mittel zum Erfolg betrachtet wird,124 erschien den damaligen Zeitgenossen als Auswuchs einer mediengeschuldeten Wertekrise. Das Reform-Ideal der modernen Institution kam hier dem Regelungsbedarf steuernd entgegen. Die Idee einer Theaterschule125 war die eine Seite dieser reformerischen Bestrebungen, die sowohl die Ausbildung stabilisieren und zu gleichmäßigeren Theatererfolgen führen sollte, als auch die Wege zum Theaterberuf und zum Bühnenerfolg stark selektiv, aber in der Entscheidung transparent, gestalten sollte. Die konkrete Planung zur verwaltungstechnischen Institutionalisierung eines Nationaltheaters stellte die andere Seite dieser politischen Reform dar. Die Frage der Institution brachte die Reformer als Theaterpraktiker wesentlich anders zum Zuge als in ihren politischen Visionen. Hier traf man sich auf gemeinsamem Grund, die unhaltbaren organisatorischen und institutionspolitischen Zustände an den Hof- und Stadttheatern sowie bei den Wandertruppen betrafen alle gleichermaßen und beflügelten die Reformgeister unabhängig von ihrer politischen Haltung. Selbst Richard Wagner reihte sich hier unauffällig in die liberale Stimmenvielfalt ein, wenn es um die konkrete Modernisierung der ‚Institution Theater‘ ging.126 Die so genannten März-Kultusminister verschiedener deutscher Länder befassten sich 1848 mit dieser Frage127 und reagierten somit auf den Kerngedanken der institu122

Eduard Devrient, Geschichte der Schauspielkunst, Bd. 5: „Das Virtuosenthum“, Leipzig 1874, 293. 123 Eduard Devrient, Geschichte der Schauspielkunst, 294. 124 Wobei auch wir nicht gegen entropische Auswüchse gefeit sind. So erlebt man etwa jedes Jahr wieder beim Festival in Avignon wie hunderte von Theatergruppen ihre Flyer über der Stadt auswerfen, ohne jedoch nennenswerte Aufmerksamkeitswerte zu erzielen. Hoch verschuldet durch die Kosten der PR-Kampagne werden viele Theatergruppen regelrecht zum Opfer der Festival-Maschine. 125 Es liegen etwa ausgearbeitete Konzepte für Theaterschulen von Moritz Gottlieb Saphir (1840), Eduard Devrient (1840), H. Theodor Rötscher (1845), Karl Gutzkow (1846) vor, auf die jedoch an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden kann. 126 Vgl. seinen „Entwurf zur Organisation eines deutschen National-Theaters für das Königreich Sachsen (1849)“. 127 Trotz einiger Versuche, die Theaterfrage auf die bundespolitische Agenda zu bringen, beschäftigte sich das Frankfurter Parlament nicht mit diesem Problem. Theaterreform blieb Ländersache. Vgl. hierzu Wilhelm Klein, Der preußische Staat und das Theater, 15–18. Klein weist nach, dass

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Theater und Öffentlichkeit

tionellen Reform, nämlich, die Staatsregierung selbst müsse „die Schaubühnen des ganzen Landes unter ihre Oberleitung nehmen.“128 Und zwar in der Instanz des Kultusministerium. Es gab das Bedürfnis nach einer zentralisierten Kulturpolitik. Die partikulare Fürstenhoheit über Finanzfragen des Theaters etwa wurde als unvereinbar mit dem Gedanken eines nationalen Theater betrachtet. Gleichzeitig löste sich so die ungute Anbindung des Theaters an die Polizeiangelegenheiten auf. Die Polizeikontrolle der Theater schien nicht mehr mit dem modernen politischen Staat vereinbar. Auf Landesebene gab es erhöhten theaterpolitischen Handlungsbedarf durch die konkrete Umgestaltung der politischen Verhältnisse. In Dresden etwa war das Hoftheater in eine prekäre Finanzlage geraten, nachdem der Landtag die Verfügungsmacht über die fürstliche Zivilliste, welche die Theaterfinanzierung beinhaltet, an sich genommen hatte und nun die völlige Streichung der Subventionen drohte. Karl Gutzkow und Richard Wagner versuchten, ihre Reorganisationspläne129 über den Staatsminister von der Pfordten auf die tagespolitische Agenda zu setzen. Die Krise des Theaters verstanden beide als Möglichkeit für eine umfassende Institutionen-Reform, andererseits stand natürlich für beide die eigene Existenz auf dem Spiel. So lesen sich diese sächsischen Reorganisations-Vorschläge als Reformdokumente und gleichzeitig als Versuch, die berufliche Existenz zu sichern und zu verbessern. Der größte landespolitische Reformimpuls ging vom preußischen Staat aus. Beeinflusst durch den Kunstprofessor Franz Kugler, der seit 1843 im preußischen Bildungsministerium beschäftigt war und eine Neuordnung der Kunstangelegenheiten für dringlich hielt, schrieb der sich nunmehr zuständig fühlende Minister für Geistliche, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten von Ladenberg am 14. Juli 1848 – noch vor der Aufhebung der preußischen Theaterzensur130 – eine „Bekanntmachung zur Förderung der neuen Organisation für die Verwaltung und den Betrieb der Kunstangelegenheiten“ öffentlich aus:

Max Martersteigs Behauptung, das Frankfurter Parlament habe sich mit der Theaterfrage befasst, keine Grundlage hat, vgl. Max Martersteig, Das deutsche Theater im 19. Jahrhundert. Leipzig 1904, 353. 128 Eduard Devrient, Das Nationaltheater, 23. 129 Vgl. Karl Gutzkow, „Sendschreiben an den Staatsminister von der Pfordten über eine Reorganisation des königl. sächsischen Hoftheaters und dessen Antwort“, in Ders., Vor- und Nachmärzliches, 169–189, Gutzkows Schreiben datiert vom 14. Januar 1849, das Antwortschreiben vom 25. Februar 1849; vgl. Richard Wagner, „Entwurf zur Organisation“, 937–1011. Durch die frühe Abberufung von der Pfordtens am 24. Februar 1849 wurden die Reform-Schriften Gutzkows und Wagners nie an den Landtag kommuniziert, obgleich der Staatsminister Gutzkow gegenüber seine Zustimmung signalisiert hatte, vgl. Karl Gutzkow, Vor- und Nachmärzliches, 189. Der MaiAufstand 1849 und seine Folgen zerschlugen endgültig beider Hoffnung auf ein kulturpolitisches Wirken in Dresden. 130 Die Theaterzensur wurde erst im September 1848 aufgehoben, vgl. Landesarchiv Berlin, Apr. Br. Rep. 030, Nr. 20295, Bl. 89, Brief des Innenministeriums an das Polizeipräsidium, 25. September 1848.

Theater als öffentliche Institution

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Es kann dem Ministerium überhaupt nur erwünscht sein, wenn diese Angelegenheiten zugleich möglichst vielseitig beleuchtet und demselben, sei es durch berufene Einzelne, sei es durch die Organe größerer, bereits bestehender oder zu diesem Zwecke baldigst zu bildender Vereine von Künstlern und Kunstfreunden, anderweitige Vorschläge über die zu gründende neue Organisation gemacht werden. Indem ich daher alle dabei Beteiligten hierdurch ersuche, in der angedeuteten Weise ihre Ansichten und Vorschläge mir zugehen zu lassen, bemerke ich ausdrücklich; daß es überall nicht auf die bildende Kunst allein, sondern ebenso auch auf Musik und Poesie in ihrer praktischen Betätigung ankommt.131

Es gingen zahlreiche Schriften und Reaktionen zur Theaterreform ein.132 Einige Autoren sandten ihre bereits veröffentlichten Entwürfe, andere erarbeiteten spezifische Schriften, wie H. Theodor Rötscher, Karl Gutzkow, der Sprech- und Gesangslehrer Angermann, Roderich Benedix, Julius Steiner, Julius Cornet und Karl Gaillard. Franz Kugler reiste noch im August 1848,133 während laufend neue Schriften eingingen, nach Dresden, um mit Karl Gutzkow und Eduard Devrient Kontakt aufzunehmen. Gutzkow hatte sich durch seine eingesandte Schrift als Reformer empfohlen, Devrient, populär als Schauspieler und Schriftsteller, hatte sich bereits vorher mit Beiträgen zur Theaterreform hervorgetan. Nach den Gesprächen veranlasste Kugler Devrient, eine ausführliche Reform-Schrift zu verfassen. Und dieser kam im Dezember 1848 mit seiner Schrift „Das Nationaltheater des Neuen Deutschlands“ dieser Aufforderung nach. Stolz vermerkte Devrient im Vorwort: „Das preußische Cultusministerium hat mich durch den Auftrag geehrt, ihm meine Ansichten mitzutheilen: welche Gestaltung dem Theater zu geben sei, um es, zu einem gedeihlichen Wirken, in Uebereinstimmung mit den übrigen Künsten zu setzen.“134 Man kann also davon ausgehen, dass für eine preußische Theater-Reform die Schriften von Gutzkow und Devrient hohe Priorität genossen. Obgleich Karl Gutzkow sich während der Berliner März-Revolution als radikal-demokratischer Redner hervorgetan hatte,135 blieb er in seinen theaterreformerischen Schriften eher politisch gemäßigt und vor allen Dingen pragmatisch. Gutzkow legitimierte seinen reformerischen Anspruch aus dem, „was die Erfahrung als Grundlage einer möglichen Selbsterhaltung der Bühne […] lehrte“136 , und lehnte eine rein politische „radicale Umgestaltung“ der Bühne ab: 131

Zitiert nach Wilhelm Klein, Der preußische Staat und das Theater, 53f. Zu den einzelnen eingegangenen Schriften siehe Wilhelm Klein, Der preußische Staat und das Theater, insbes. Kap. 2.1, 49–126. 133 Wilhelm Klein bezieht sich auf einen Bericht Franz Kuglers von dieser Reise „Reisebericht des Professors Kugler über das Konservatorium für Musik in Leipzig und über die Reform des Theaterwesens nach den Mitteilungen von Ed. Devrient und Gutzkow in Dresden“ vom 10. August 1848, der sich bei den Akten zur Theaterreform befindet; vgl. hierzu Wilhelm Klein, Der preußische Staat und das Theater, Abschnitt „Verhandlungen mit Ed. Devrient und Gutzkow“, 77–87. 134 Eduard Devrient, Das Nationaltheater, 5. 135 Vgl. Karl Gutzkow, „Ansprache an die Berliner“, 105–119. 136 Karl Gutzkow, „Zur Bühnenreform. Mit besonderer Rücksicht auf die königlichen Schauspiele in Berlin (1848)“, in Ders., Vor- und Nachmärzliches, 121–167, 165f. Karl Gutzkow hatte diese 132

132

Theater und Öffentlichkeit

Diejenigen Theoretiker, welche überall eine radicale Umgestaltung der Literatur und Kunst predigen, begehen eine sehr große Thorheit. Sie verwirren die Begriffe und schüchtern die Dichter und Künstler, die ohnehin unter dem Drucke der Verhältnisse leiden, noch bis zum Zweifel an der eigenen Kraft ein. Unter keiner Form des Staatslebens können sich die ewigen Gesetze der Wahrheit und Schönheit ändern. […] Eine künstlerisch schaffende Thätigkeit, die sich des größern Anklanges und des bessern Absatzes ihrer Productionen wegen an die jedesmalige unmittelbare Tageordnung anschlösse, wird nie aufhören, von der gewissenhaften Kritik nach Regeln beurtheilt zu werden, die schon damals galten als es z.B. noch keine Vorstellung vom Proletariat und vom Communismus gab. 137

Gutzkow distanzierte sich deutlich vom tagespolitischen Standpunkt und entrückte ästhetische Schönheit in den Bereich der „ewigen Gesetze“. Dennoch war sein Entwurf eines neuen Nationaltheaters, ebenso wie der des politisch weitaus konservativer agierenden Eduard Devrient, in eine neue politische Situation eingebettet, welche die Vorstellung von der öffentlichen Aufgabe des Theaters beeinflusste. Theater müsse Staatssache sein, der Staat solle das Theater ermöglichen und formen, gleichgestellt mit den ‚moralischen Ausbildungsstätten‘ Kirche und Schule, so Devrient.138 Staatliche Subvention müsse die Unabhängigkeit von den verderbenden Gesetzen des Marktes garantieren. Der Titel ‚Nationaltheater‘, der die öffentliche Institution schmücken solle, bringe den Anspruch einer öffentlichen Wirksamkeit, aber auch Kontrolle mit sich, so Gutzkow. Beim Nationaltheater gehe es einerseits darum, Kunst und Literatur zu fördern, also das Theater inhaltlich zu ‚heben‘, andererseits aber auch darum, „die Direction irgendwie der öffentlichen Meinung verantwortlich zu machen“.139 Die Ablösung von den Ansprüchen des Hofes und die Verantwortlichkeit einer transparent agierenden Direktion entsprechen dem Ideal des öffentlichen Instituts. Der „öffentlichen Meinung verantwortlich“ meint in diesem Falle jedoch nicht nur, dass einer Medienöffentlichkeit die Möglichkeit zur Kritik unbeschränkt offen stehen muss, sondern es ging Gutzkow auch um das Zugeständnis einer öffentlichen Kontrolle der Finanzverwaltung. Die neue politische Lage erfordere, dass auch die Hoftheater nicht mehr ohne jeglichen öffentlichen Einfluss schalten und walten dürften: Denn selbst wenn die Geldmittel wieder flüssiger werden, wenn der Staatskasse und den Civillisten die Noth des Augenblicks weniger Einschränkungen zumuthet, ist doch aller Grund vorhanden, anzunehmen, daß über die Verwaltung öffentlicher Mittel die Controle sich mehrt und dem emancipirten vierten Stand, den Arbeitern, gegenüber bei jeder öffentliSchrift zunächst 1848 als Broschüre bei Teubner in Leipzig drucken lassen, da er jedoch darin den Dresdener Hoftheaterintendanten indirekt angreift und er nach dem Tod seiner Frau wider Erwarten wieder nach Dresden in die alte Stellung zurückkehren musste, so zog er aus Angst vor einem Eklat mit von Lüttichau das gedruckte Manuskript wieder ein, wie er am 15. Oktober 1848 Levin Schücking in einem Brief erklärt. Vgl. Nachlass Gutzkow, Stadt- und Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg, 48/285, 3313. 137 Karl Gutzkow, „Zur Bühnenreform“, 125f. 138 Eduard Devrient, Das Nationaltheater, 21. 139 Karl Gutzkow, „Sendschreiben“, 177.

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chen Ausgabe die triftigste Darlegung ihres Grundes unumgänglich nothwendig werden muß. Bei einer solchen Einsicht in das innere Getriebe einer Theaterverwaltung kann aber die bisherige Methode derselben nicht bestehen.140

Letztlich hielt Gutzkow eine vollständige finanzielle Unabhängigkeit von den Zivillisten für notwendig, die Finanzierung müsse vollkommen zur Ländersache werden. Und das Theater solle mit voller Konsequenz unter die Kontrolle einer öffentlichen Behörde gestellt werden. Den Zusammenhang zwischen dem Theater als einer öffentlich kontrollierten Institution und dem Theater als Akteur und Gegenstand einer frei zirkulierenden Öffentlichkeit stellte Gutkow über die repräsentative politische Instanz der Ständekammer her: Es würde in den Ständekammern, wenn der Paragraph des Theaterzuschusses zur Sprache käme, an ebenso einseitigen, unkünstlerischen und wegwerfenden Urtheilen nicht fehlen, wie man sie in empfindlichen Zeitschriften oder aus dem Munde nüchterner Realisten täglich hört; allein auch die billige und besonnene Kritik würde sich dort Bahn brechen und der darstellende Künstler von dem lästigen Gefühl befreit werden, außerhalb der allgemeinen Ordnung der Dinge und gültigen, öffentlichen Meinung zu stehen. In einer Zeit, wo die Fürsten immer mehr auf den Punkt gedrängt werden, nur der Ausdruck einer staatsrechtlichen Nothwendigkeit zu sein, haben die Pflegebefohlenen der Civilliste, wie die letzten stürmischen Zeiten bewiesen, die unbehaglichste Stellung von der Welt.141

Die Ständekammer würde einen freien kritischen Diskurs über das Theater führen und es dadurch zum Gegenstand des politischen Interesses adeln. Das Theater würde in das demokratische Repräsentativsystem integriert und entkäme dem Ruch, ein ‚Pflegebefohlener‘ des Fürsten zu sein. Die Reorganisation als öffentliche Institution gäbe dem Theater also die Möglichkeit, sich unabhängig von den „stürmischen Zeiten“ als staatsrelevantes und ergo erhaltenswertes Medium zu etablieren. Die Theaterangehörigen könnten sich dann dem öffentlichen, gesellschaftlichen Leben mehr zugehörig fühlen, in der neuen politischen Situation führe die Zuordnung zum fürstlichen Wirkungskreis doch einigermaßen in die Isolation. In Bezug auf die konkrete Umsetzung der theatralen Organisation ging Gutzkow jedoch hinter die von ihm gezogene Ideallinie der konsequent öffentlichen Institution wieder zurück. Im „Sendschreiben an den Staatsminister von der Pfordten“, das sich auf die Situation des Dresdener Hoftheaters bezieht, schlug er eine Mischform aus „Hof- und Nationaltheater“ vor, um eine solide Finanzierung zwischen Land und Fürst zu erreichen.142 Diese Mischform propagierte auch Eduard Devrient, der zwar vom „Nationaltheater des Neuen Deutschland“ spricht, aber die Protektion durch den Fürsten nicht aufgeben mochte. Der Fürst solle die Verantwortung für das Theater aufgeben, ohne 140

Karl Gutzkow, „Zur Bühnenreform“, 128f. Karl Gutzkow, „Zur Bühnenreform“, 131. 142 Vgl. Karl Gutzkow, „Sendschreiben“, 181.

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allerdings die finanzielle Unterstützung einzustellen, die doch mit erheblichen Einflussmöglichkeiten einhergeht: In jedem wahrhaften Nationalinstitute muß der Erste der Nation, der Träger der Majestät des Volkes, ohne alle Bedingungen zu Haus sein, und sein Interesse an der Kunst zu nähren, muß ein Antrieb des Ehrgeizes bleiben. Allerdings wird es selbst politisch consequent sein, in dieser Zeit, welche die Fürsten von Verantwortung frei zu machen trachtet, den Höfen auch die für das Theater – dessen Öffentlichkeit unablässige Angriffe jedes Einzelnen herausfordert – abzunehmen; aber damit darf, doch zum Vortheil der Kunst, das Protectorat der Fürsten nicht aufgegeben werden.143

Wie oben schon erläutert hat H. Theodor Rötscher Devrient mit dieser Haltung Opportunismus gegenüber den neuen politischen Stimmen der Zeit vorgeworfen, bei gleichzeitiger Offenhaltung einer Hintertür zur erneuten Unterwerfung unter die absolutistischen Mächte.144 In der Tat blieb Devrient hier unentschieden, in seinen Augen ist dies wahrscheinlich die einzig pragmatisch mögliche Haltung in der unsicheren Zeit des politischen Umbruchs. Während nun bei beiden Reformern die ‚öffentliche‘ Finanzierung des Theaters die Mitwirkung des Fürsten nicht ausschloß und somit eine gefährliche Flanke offen ließ zur politischen Einflussnahme durch denselben, so waren sich beide darüber einig, dass die innere Verwaltung des Theaters ganz auf republikanischen und repräsentativen Strukturen aufbauen müsse. Eduard Devrient leitete kühn aus den „republikanischen Tugenden“ des Schauspielers, der sich dem Gesamtproduktionsprozess der Theateraufführung unterwerfe, und in seiner Arbeit mit äußerster „Selbstverläugnung“ die „vollkommene Vergesellschaftung Aller mit Erhaltung der Eigenheit des Einzelnen“145 betreibe, die Forderung nach einer republikanischen Verfassung des Theaters her: „[D]ie Schauspielkunst fordert also republikanischer Tugend in höchster Potenz. Um diese zu wecken und zu pflegen bedarf das Theater folgerichtig auch republikanischer Einrichtungen.“146 Auch Gutzkow wollte, die Theater der äußeren politischen Richtung anpassen, verfassungsmäßige Prinzipien von „constitutionelle[n] Monarchien oder Republiken“ für die Bühnen einführen und dem „absoluten Despotismus“147 der Hoftheaterverwaltung den Boden entziehen. Die neu organisierten Stadttheater dienten ihm hier als Vorbild für eine politisch reformierte Verwaltungsstruktur: Die Stadttheater, die den Grundsatz des absoluten Despotismus von den Hoftheatern borgten, haben sich plötzlich durch die Ungunst der Zeit nicht allein in constitutionelle Monarchien, sondern in communistische Gemeinwesen verwandelt. Sie wählen Ausschüsse, spielen auf Theilung und werden auf die frühere Form wol nur dann zurückkehren, wenn sich ein 143

Eduard Devrient, Das Nationaltheater, 25. Vgl. H. Theodor Rötscher, „Die Reform der Bühne“,, n.p.; vgl. oben, 99f. 145 Eduard Devrient, Das Nationaltheater, 34. 146 Ebd. 147 Karl Gutzkow, „Zur Bühnenreform“, 134f. 144

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Speculant, der hasadiren will, oder ein unglückliches Opfer der Directionswuth findet, das für die Ehre, eigenmächtige Befehle auszuschreiben, sein Vermögen opfert.148

Von der Einführung der repräsentativen Verfassung versprachen sich beide Autoren nicht nur einen Anschluss des Theaters an den politischen Zeitgeist, sondern ganz konkret eine bessere Identifikation der Theaterschaffenden mit ihrem Institut und somit schlicht eine höhere Arbeitsmoral. Devrient formulierte dies als Grundsatz einer Aufwertung der Theaterarbeit auf allen Ebenen: Denn es sind nicht blos mechanische Verrichtungen, welche von dem Personal – selbst dem untergeordneten – gefordert werden, der gute Wille, der lebendige Antheil an der gemeinsamen Sache, die eifrige Betheiligung müssen überall das Beste thun. Dies Alles aber ist nicht zu erlangen, wenn nicht jeder Einzelne fühlt, daß er wirklichen Theil hat an dem organischen Leben des Institutes, dem er angehört, wenn die Führer nicht Männer des allgemeinen Vertrauens sind. Darum muß die Gliederung der verschiedenen Körperschaften im Personale festgestellt und der Grundsatz der Wahl von Vertretern und Führern, von unten auf geltend gemacht werden; die Direction wird dadurch erleichtert und vereinfacht.149

In der Folge deklinierte Devrient en Detail die Prinzipien der repräsentativen Verfassung des Theaters durch und zählte sämtliche zu wählende Ausschüsse, Fachvertreter und Leitungsgremien-Mitglieder auf. Gutzkow stand hier keineswegs nach und lieferte ein fertiges demokratisches Verwaltungsmodell. In einem Punkt waren beide allerdings völlig entgegengesetzter Meinung: die berufliche Herkunft des künstlerischen Direktors. Während Devrient als hochdotierter Hofschauspieler ausschließlich einen darstellenden Künstler in der Leitungposition sah, modellierte Gutzkow natürlich seine eigene Stellung als leitender Dramaturg zum Ideal des Direktors. Dass es sich hier ganz augenscheinlich um den Ausdruck der direkten Konkurrenz zwischen Devrient und Gutzkow am Dresdener Hoftheater handelte – Devrient hatte als Oberspielleiter vor seinem Zerwürfnis mit seinem Bruder Emil genau Gutzkows Stellung innegehabt, während jener eben gerade auf Vermittlung von Emil Devrient als Dramaturg in leitender Position nach Dresden gerufen worden war – wird aus den Formulierungen ersichtlich. Devrient setzte unverfroren die Schauspielkunst an die Spitze der künstlerischen Hierarchie. Auf die Darstellung komme es am Ende an, wenn ein Dicht- oder Musikwerk von der Bühne herab wirken soll, daher sei die Direktion des Theaters „nur dann naturgemäß organisirt […], wenn ein darstellender Künstler an ihrer Spitze steht.“150 Und Gutzkow konterte, indem er Devrients Argument zu einer Beschwörung der dramaturgischen Schlüsselposition verkehrte: „Der Schauspieler ist in diesem Devrient’schen Theater Alles. Im Gegentheil aber war zu allen Zeiten das Theater nur 148

Karl Gutzkow, „Zur Bühnenreform“, 135. Eduard Devrient, Das Nationaltheater, 35; vgl. zu diesem Aspekt auch Karl Gutzkow, „Zur Bühnenreform“, 139. 150 Eduard Devrient, Das Nationaltheater, 30. 149

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der Durchgang und die Vermittlung dritter Interessen, der Interessen der Bildung, des Zeitgeistes, vor allen Dingen der Literatur […]“ 151 Aber er wird noch deutlicher: „Der Director darf am Theater, außer der eines Dramaturgen, keine sonstige Function ausüben. Er darf also weder ausübender Schauspieler, noch Sänger, noch Kapellmeister sein.“152 Und schließlich gipfelte Gutzkow in der Feststellung, ein Dramaturg, der nicht die Fähigkeit habe, Direktor zu sein, sei kein Dramaturg.153 So sehr uns heute diese strategischen Spielchen amüsieren, so ist doch mit diesen selbstbewussten Aussagen eines klar verbunden: die unbedingte Absage an die höfischen Kavaliersintendanzen – beide hatten mit von Lüttichaus Theaterleitung in Dresden schlechte Erfahrungen gemacht. Obgleich der Intendant von Lüttichau bei seiner Personalpolitik auffallend viele reformorientierte Kräfte berücksichtigte (etwa Eduard Devrient, Karl Gutzkow, Richard Wagner), litten die Theaterangehörigen doch immer wieder unter seinen intransparenten und vom Hof veranlassten Eingriffen in die Produktionsprozesse. Eine repräsentative Theaterverfassung durfte keinen Platz lassen für das WillkürRegime fachlich unbedarfter Hofschranzen. Insbesondere Gutzkow lag darüber hinaus die Neuerung der ästhetischen Dimension des Nationaltheaters am Herzen. Als Dramatiker galt er zu seiner Zeit als Talent und Neuerer einer ‚deutschen historischen Tragödie‘, die als dramatische Form der Gegenwart relevante Kulturimpulse verspricht. Die Idee eines Theaters als öffentliche Institution, als Nationaltheater, verband er daher mit der Idee einer zeitgemäßen Dramatik. Eine Nationalbühne solle nicht so sehr eine „Bewahrerin alter guter Stücke“154 sein, als vielmehr ein Theater, an dem man „den Drang des Wachsens, die Unruhe der Entfaltung, das Gähren und Werben nach Form und Gestaltung, die Immanenz der gleichzeitigen Bewegung des Volks, die Offenbarung der Zeit und ihres nach künstlerischer Bethätigung ringenden Bewußtseins“155 zu erkennen habe. Gutzkows Konzept eines „Comité der Dichter“ stellte einen originellen Aspekt der theatralen Institutionalisierung dar. Als Auftragsschreiber und im kritischen Verbund stehende Autorengruppe seien die Mitglieder dieser Gruppe geeignet, den Zeitgeist in angemessene ästhetische Form zu bringen: Ich erinnere nur daran, wie oft Schauspieler und Directoren Wünsche haben, die da lauten: ‚Wer mir nur Dies oder Jenes schriebe, diese oder jene Anekdote, die durch alle Zeitungen geht, rasch in ein Stück verwandelte!‘ Soll künftig sich das Theater durch seine eigene Kraft halten, die Bühne auf das Bühnenbedürfnis der Nation gebaut werden, so dürfen solche Einfälle nicht mehr in die Luft verfliegen. Sie müssen ausgeführt werden, sie müssen dazu dienen, das Theater zum Ausdruck vorhandener Thatsachen zu machen.156

151

Karl Gutzkow, „Sendschreiben“, 175. Karl Gutzkow, „Sendschreiben“, 184. 153 Karl Gutzkow, „Sendschreiben“, 186. 154 Karl Gutzkow, „Zur Bühnenreform“, 148. 155 Ebd. 156 Karl Gutzkow, „Zur Bühnenreform“, 161f. 152

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Dieser Zeitgeist solle sich auch in satirisch-politischen Revuen zeigen, die nach dem Vorbild des Pariser Karnevals vom „Comité der Dichter“ ins Werk gesetzt werden müssten: Unsere frei gewordenen, öffentlichen Verhältnisse werden uns erlauben, dies in Paris oft aristophanisch witzige Genre auch bei uns anzubauen. Dies wäre sogleich ein Feld für ein gemeinschaftliches Schaffen.157

Also auch hier sollte die repräsentative Gruppenformation als diskursives Modell bei der Produktion politischen Theaters in der öffentlichen Institution wirksam werden. Von der Vielfalt und Reichweite von Gutzkows und Devrients Vorschlägen hätte sich in den preußischen Reformplänen auch ohne die politische Wende von 1849 wahrscheinlich wenig niedergeschlagen. Franz Kugler resümierte verkürzend in seinem Reisebericht folgende „Hauptpunkte der Theaterreform“: 1. Sicherung und Hebung des Schauspielerstandes im allgemeinen. Ausgangspunkt: Errichtung einer Zentralpensionskasse. Nächste Folge: Revision der allgemeinen äußeren Einrichtungen der Theater und namentlich des Konzessionswesens. 2. Reform der Musterbühnen. Wiedereinführung einer künstlerischen Direktion. Frage, ob die Hoftheater in Nationaltheater umzuwandeln? 3. Gründung einer Theaterschule. Frage, ob diese in unmittelbarer Verbindung mit dem Konservatorium der Musik einzurichten? 158

Das Theater als moderne Institution fand sich hier nur in Ansätzen wieder; innere repräsentative Verfassung und öffentlichen Kontrolle blieben vollkommen unerwähnt. K r i s e n d e r Ö f f e n t l i c h k e i t . Quer durch die historischen Diskurse der Öffentlichkeit, sei es auf der Ebene der Regulierungsgeschichte, auf der Ebene des literarisch-philosophischen Diskurses oder auch auf der Ebene der TheaterreformSchriften, lassen sich drei große Konfliktfelder aufmachen. Zum ersten stand die grundsätzliche Frage nach einer Öffentlichkeitspolitik zwischen Zensurgesetzen und Pressefreiheit im Fokus. Hier standen die Kompetenzen von Öffentlichkeitskontrolle und Öffentlichkeitsausübung zur Debatte, die je anders und dadurch konfliktreich ausgestaltet wurden. Zum zweiten profilierten sich die gegensätzlichen Modelle einer aufklärerischen hierarchisch gegliederten ‚ächten Publicität‘ und einer breitwirksamen Öffentlichkeit, die alle Schichten horizontal erfassen sollte. Und zum dritten ging es um die mögliche Realisierung einer Öffentlichkeit als von Fürsten unabhängige Sphäre, in der Institutionen und Strukturen geschaffen werden könnten, welche eine neuartige Finanz-, Verwaltungs- und Kommunikationsstruktur beinhalten würden. Die in diesem Kapitel dargestellten Aspekte eines historischen Öffentlichkeitsdiskurses stellen die wesentlichen Momente der ‚medialen Experimentalphase‘ in Bezug auf Theater dar. Die erörterten Programmschriften sind der Ausweis einer teils 157 158

Karl Gutzkow, „Zur Bühnenreform“, 163. Zitiert nach Wilhelm Klein, Der preußische Staat und das Theater, 86.

138

Theater und Öffentlichkeit

als krisenhaft empfundenen Umbruchphase von Theater in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Was ich hier anhand von theatertheoretischen Schriften aufgezeigt habe, nämlich inwiefern durch konkrete Konzeptionen von Öffentlichkeit neue Impulse für ein Theatermodell als gesellschaftlich relevantes Medium gewonnen wurden, lässt sich auch vielfältig an der Theaterpraxis dieser Zeit ablesen. In den folgenden Kapiteln werde ich daher konkrete historische Situationen von Theateröffentlichkeit in der Konfliktform des Theater- oder auch Medienskandals anhand von historischen Quellen erarbeiten. Im Fokus stehen dabei Theater und Medien in Berlin, München und Wien als Schauplätze bürgerlicher Medienpraxis. S c h a u p l ä t z e b ü r g e r l i c h e r M e d i e n p r a x i s. Jeder der hier vorgestellten ‚Schauplätze‘ ist mit einem eigenen Themenfeld der Öffentlichkeit verknüpft, das den gesellschaftlichen und politischen Wandel in der medialen Experimentalphase je spezifisch spiegelt. Während es in Berlin anhand von einzelnen Zeitungs- und Theaterskandalen zwischen 1820 und 1844 um die Konkurrenz in der Arena der Öffentlichkeit (Kap. 4) mit dem Anspruch freier Medienzirkulation geht, lässt sich in München die kulturpolitische Entwicklung zwischen 1810 und 1850 anhand der Etablierung von Theater im Sinne einer Institution der Öffentlichkeit (Kap. 5) darstellen. In Wien wird der Fokus schließlich auf der politischen Revolution von 1848 und dem Einfluss des revolutionären Modus der Gegenwart der Öffentlichkeit (Kap. 6) im Sinne einer Straßen- und Versammlungspolitik auf die Theaterinstitutionen und Theaterkünstler liegen. Aus dieser Aufstellung ist ersichtlich, dass es nicht das Anliegen dieser Studie ist, eine Gesamtdarstellung der Theaterentwicklungen in Berlin, München und Wien im historischen Zeitraum zu liefern. Vielmehr sehe ich die Stärke meiner Perspektive in der fokussierten Mikroanalyse von Dynamiken und Mechanismen des Öffentlichen als je spezifische Untersuchung zu medienhistorischen Krisen-Phänomenen und Performanzen der medialen Experimentalphase des Vormärz.

4

Die Arena der Öffentlichkeit Berlin 1820–1850

Das folgende Kapitel stellt die preußische Öffentlichkeitspolitik im Zusammenhang mit den Medien Zeitung und Theater historisch scharf und versucht, die konkurrierenden Öffentlichkeiten näher zu bestimmen. Welche Funktion hatte das bestimmte Theaterkonzept, die relevante Theaterinstitution im öffentlichen Diskurs? Welche Öffentlichkeiten rekurrierten auf theatrale Formen? Wer nahm Teil am öffentlichen Ereignis Theater, welches Publikum stellte sich dar und her? Welche Akteure bestimmten den öffentlichen Diskurs über Theater und im Theater? Welche Querverbindungen gab es zu anderen Medien der Öffentlichkeit, inwieweit bedeuteten diese Verbindungen eine Erweiterung oder Einschränkung der öffentlichen Repräsentation des Theaters und theatraler Formen? Diese Fragen sollen den methodischen Zugriff für die folgende historische Analyse leiten und zwar spezifisch zugeschnitten auf die vorliegende konkrete Situation von Öffentlichkeit. Daher wird hier weniger die Bestimmung eines Diskurses zu Öffentlichkeit in einer umrissenen zeitlichen Dimension fokussiert, vielmehr sollen die ‚Performanz‘ der Öffentlichkeit, das konkrete Handeln in der Öffentlichkeit und dessen Auswirkungen auf das Theater und die mediale Praxis bestimmt werden. In Berlin lebten um 1800 über 170.000 Einwohner. Die Stadt stand dadurch mit ihrer Größe im europäischen Vergleich nach London, Paris, Wien, Amsterdam und Petersburg an sechster Stelle.1 Mit der Gründung der Universität 1810 bot sich in Berlin eine modern strukturierte akademische Lehranstalt, welche mit dem Ausbildungsziel der kritischen Auseinandersetzung den Studierenden ein neues Verständnis akademischer Lehre und Forschung vermittelte2 und dadurch auch prominente Lehrkräfte anzog. Der eigentliche Aufschwung der Universität begann jedoch erst nach den Befreiungskriegen, bereits zwei Jahrzehnte nach ihrer Gründung war die Berliner Friedrich-Wilhelms1

2

Vgl. Wolfgang Ribbe (Hg.), Geschichte Berlins, Bd. 1: „Von der Frühgeschichte bis zur Industrialisierung“, München 1987, 413. Zur Stadtgeschichte Berlins im 19. Jahrhundert vgl. Wolfgang Ribbe, u. Jürgen Schmädeke (Hg.), Berlin im Europa der Neuzeit, Berlin u. New York 1990; vgl. auch Ingrid Thienel, Städtewachstum im Industrialisierungsprozess des 19. Jahrhunderts, Berlin u. New York 1973. Zur Gründung der Universität und Wilhelm von Humboldts Konzeption der modernen Universität vgl. Wilhelm Weischedel (Hg.), Idee und Wirklichkeit einer Universität. Dokumente zur Geschichte der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, Berlin u. New York 1960.

Die Arena der Öffentlichkeit

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Universität mit 1732 Studenten (1832) die größte Hochschule Deutschlands. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts stieg die Einwohnerzahl um mehr als das Doppelte, es lebten nun in Berlin über 400.000 Menschen. Die Jahrzehnte des Friedens hatten nicht nur die Geburtenzahlen hochschnellen lassen, sondern Berlin auch als preußische Haupt- und Residenzstadt mit guten Arbeitsmöglichkeiten, einem reichen Unterhaltungs- und Kulturleben und einer herausragenden Universität höchst attraktiv gemacht für Zuwanderer.3 Die Theater- und Zeitungsöffentlichkeit erfuhr von 1800 bis 1850 eine immense Expansion. 1824 erhielt das Königliche Theater – mit Schauspielhaus und Opernbühne – Konkurrenz durch die Eröffnung des Königstädtischen Theaters. Von diesen großen Theatern war die Theateröffentlichkeit Berlins mehr als drei Jahrzehnte bestimmt. Nach der Aufhebung der Theaterzensur und der Freigabe von Theaterneugründungen kam es nach 1848 kurzfristig zu einem Theaterboom. In den Vorstädten schossen kleine Bühnen mit populären und politischen Programmen hervor, welche in der Regel allerdings nur kurzfristig bestehen konnten. Von diesen Theaterprojekten konnte sich nur das Friedrich-Wilhelmstädtische Theater4, eröffnet 1850, einen größeren Namen machen und überdauern. Die Entwicklung zur ‚Zeitungsstadt Berlin‘5, wie sich die preußische Hauptstadt an der Wende zum 20. Jahrhundert präsentierte, nahm ihren zunehmend dynamisch werdenden Anfang nach den Befreiungskriegen.

4.1

Der Zeitungskrieg

Um 1800 gab es in Deutschland schon eine Gesamtauflage an Zeitungen von etwa 300.000 Exemplaren täglich.6 In Berlin existierten zu diesem Zeitpunkt zwei große politische Tageszeitungen, die Vossische Zeitung und die Haude-Spenersche-Zeitung. Die Vossische Zeitung erreichte um 1800 ca. 7.000 Abonnenten, die Haude-Spenersche Zeitung 4.000.7 Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts konnten beide ihre Auflagenzahlen stark erhöhen, erstere erreichte nun ca. 24.000 Exemplare, letztere mit ca. 9.000 Abonenten8 mehr als das Doppelte. Im Jahre 1823 hatte Carl Spener als erster kontinentaleuropäischer Zeitungsverleger für den Druck seiner Haude-Spenerschen Zeitung die

3 4 5 6 7 8

Zur Bevölkerungsentwicklung in dieser Zeit vgl. Wolfgang Ribbe, Geschichte Berlins, 478–487. 1851 trat Albert Lortzing dort seine letzte Stellung als Kapellmeister an. Heute ist das FriedrichWilhelmstädtische Theater die Spielstätte des Deutschen Theaters. So der Titel von Peter de Mendelssohns einschlägiger Studie Zeitungsstadt Berlin. Menschen und Mächte in der Geschichte der deutschen Presse, Berlin 1959. Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd.1, 307. Ebd. Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 2, München 1987, 528f.

Der Zeitungskrieg

141 9

Schnellpresse verwendet, die gegenüber der üblichen Handpresse eine doppelte Menge an Abzügen in der Stunde bewerkstelligte und so die technische Voraussetzung bot für eine Zeitungsexpansion. Gleichzeitig blieb Deutschland aber hinter den Presseentwicklungen der anderen westeuropäischen Länder zurück, beispielsweise gegenüber England, wo die Schnellpresse bereits 1811 entwickelt worden war. Hans-Ulrich Wehler macht dies anhand der preußischen Zeitungsauflage deutlich: Der aufgrund der Zeitungssteuer ermittelte tägliche Mindestabsatz der preußischen Zeitungen lag 1823 bei 35.500, 1830 bei 41.050 und 1847 bei 76.420. Immerhin hatte er allein in den letzten fünf Jahren um 20.000 Exemplare, seit 1830 um 90% zugenommen, blieb aber absolut noch immer auffallend gering. In England existierten zu dieser Zeit bereits 373 politische Zeitungen – die schiere Anzahl, ihre vergleichsweise riesige Auflagenhöhe, erst recht der freie kritische Stil verweisen auf einen grundlegenden Unterschied in der Natur der veröffentlichten Meinung. In einer großen Hauptstadt wie Berlin erscheinen ganze drei politische Zeitungen: die ‚Vossische‘, die ‚Spenersche‘, die ‚Staatszeitung‘.10

Dennoch haben wir es hier auf Deutschland bezogen mit einer ungeheuren Dynamik in der Zeitungsentwicklung zu tun. Diese war an einen Punkt gekommen, an dem man das Medium der Zeitung weder in seiner Reichweite noch in seiner Wirkung unterschätzen durfte. Seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert gab es eine unbestreitbare Zunahme des ‚Räsonnements‘, die Diskussion und Kritik der gesellschaftlichen Zustände und der Regierungen in den Zeitungen und Zeitschriften.11 Aus bloßen Nachrichtenorganen wurden nun Diskursfaktoren der öffentlichen Meinung.12 Von Sachsen-Weimar ausgehend, das 1816 die Pressefreiheit erklärt hatte und nun mit einem einzigartigen Aufschwung der politischen Presse aufwarten konnte, verbreitete sich das Modell einer politischen Tageszeitung, die in dezidierten Leitartikeln politische Orientierung und Beiträge zur öffentlichen Meinungsbildung bot.13 In den meisten anderen Bundesstaaten behinderten jedoch umfassende Presse-Zensur und spezifische Einschränkungen für einzelne Organe die politische Berichterstattung massiv. So war es nicht verwunderlich, dass selbst die in die Zensurgeschäfte involvierten Staatsbeamten das verstärkte Interesse der Journalisten an den Theaterrezensionen damit in Zusammenhang brachten – bildeten die Theaterbesprechungen doch, insbesondere in Österreich, das einzige Format, in dem eine freiere öffentliche Diskussion noch

9 10 11 12 13

Rudolf Schmidt, Deutsche Buchhändler, deutsche Buchdrucker, Bd. 3, Berlin 1905, 393. Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd 2, 528. Vgl. hierzu etwa Jörg Requate, Journalismus als Beruf. Entstehung und Entwicklung des Journalistenberufs im 19. Jahrhundert. Deutschland im internationalen Vergleich, Göttingen 1995, 120f. Vgl. hierzu etwa Karl Bücher, „Die Anfänge des Zeitungswesens“, in Ders., Die Entstehung der Volkswirtschaft, Bd. 1, Tübingen 1920, 220–260, 257. Heinz-Dietrich Fischer bescheinigt in dieser Zeit (1817–1820) der Weimarischen Zeitung Vorbildcharakter für die Entwicklung der politischen Tageszeitungen, vgl. Heinz-Dietrich Fischer, Handbuch der politischen Presse in Deutschland 1480–1980, Düsseldorf 1981, 182.

Die Arena der Öffentlichkeit

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möglich schien. Einer schärfer hervortretenden „theatralischen Polemik“15 in den Zeitungen sah sich ab den 1820er Jahren auch das Königliche Theater in Berlin gegenüber. Aber das Theater blieb dabei nicht tatenlos, und auch andere involvierte Theaterund Medienakteure versuchten massiv ins Öffentlichkeits-Geschehen einzugreifen. So entstand eine Konkurrenzsituation um die Öffentlichkeit im theatralen Umfeld, die ich angesichts des scharfen Tons aller Seiten „Zeitungskrieg“ betitelt habe. Konkret handelte es sich um die Auseinandersetzungen zwischen Carl Friedrich Moritz Paul Graf von Brühl (1772–1837) – Intendant des Hoftheaters –, den politischen Tageszeitungen und literarischen Blättern, zwischen dem Journalisten Moritz Gottlieb Saphir und der Direktion des Königstädtischen Theaters, zwischen Saphir und anderen Berliner Dramatikern und Journalisten, und schließlich zwischen allen bereits Erwähnten und den preußischen Behörden. Die Rolle des ‚neuen‘ Theaterjournalismus stand zur Debatte. Die Lage war unübersichtlich. Alle schienen bestrebt, sich möglichst optimal in der potentiellen Sphäre der Öffentlichkeit einzurichten und ein Maximum an publizistischer Wirksamkeit zu erreichen. Letztlich jedoch ging es um die Transformation einer Medien- und Theaterlandschaft, die neue öffentliche Spielräume ermöglichte. Diese wurden nun tatkräftig ausprobiert – aneinander und gegeneinander. B r ü h l s c h e S c h a r m ü t z e l . Graf von Brühl, seit 1815 General-Intendant des Königlichen Theaters16, begann direkt nach dem Erlass der Karlsbader Beschlüsse in der preußischen Öffentlichkeitspolitik mitzumischen und versuchte, spezielle Einschränkungen für Theaterkritiken zu erreichen. Für den Fall einer uneingeschränkten Theaterkritik sagte von Brühl große Risiken für sein Theater voraus: finanzielle Einbußen, Rufschädigung und öffentliche Einmischung in die inneren Angelegenheiten und Amtsführung des königlichen Theaters, das als königliche Behörde genau dies nicht dulden durfte.17 Die Kritiken der Zeit schlugen einen scharfen Ton an gegenüber der Königlichen Bühne: Die schlechte Qualität der Stücke und Aufführungen wurde unbarmherzig verspottet, und man gewinnt den Eindruck, Brühl und sein Theater hätten gerade als königliche Einrichtung stellvertretend für den Hof unter Dauerbeschuss gestanden. Somit gewannen die Theaterkritiken durchaus auch politische Aspekte, wenn Brühl seinerseits die preußischen Obrigkeiten als Schutzmacht im Rücken wusste gegen die Zeitungen – jeder Angriff auf das Königliche Theater und auf Brühl war auch eine Attacke gegen das Ministerium des Königlichen Hauses und das Innenministerium. Fürst von Wittgen14

15 16 17

Vgl. hierzu die Äußerungen des Leiters des Wiener Bücher-Revisions-Amtes Hölzl in OESTA, Allgemeines Verwaltungsarchiv, Polizeihofstelle, 463/1848, Saphir, Pokorny – Humorist, Abschlussbericht zur Sache des k.k. Wiener Bücher-Revisions Amtes, Hr. Hölzl, 19. Januar 1848. Ebd. Zur Intendanz von Brühls vgl. Ruth Freydank, Theater in Berlin. Von den Anfängen bis 1945, Berlin 1988, 158–197. Vgl. etwa von Brühls Beschwerde gegenüber dem Innenministerium, GStA, I HA, Rep. 77, Tit. 1000, Nr. 1, Bl. 13–15, Graf von Brühl an den Innenminister, 3. November 1819.

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stein als Vorsteher des ersteren und Freiherr von Schuckmann als Chef des letzteren waren daher auch die Mitakteure in von Brühls permanenten Scharmützeln. Als zwei Höhepunkte dieser Auseinandersetzung zwischen den Berliner Theatern und der Presse können gelten: zum einen Brühls Zensurversuch zwischen 1819 und 1820, und zum zweiten die Auseinandersetzung des Königstädtischen Theaters und der Königlichen Bühnen mit dem Publizisten Moritz Saphir zwischen 1827 und 1828, die letztlich erst mit Saphirs Weggang aus Berlin 1829 endete. Bereits zwei Wochen vor der Veröffentlichung des Preußischen Zensur-Edikts, am 6. Oktober 1819, machte Graf von Brühl gegenüber dem Hausministerium die Wirksamkeit der Presserezensionen und die Notwendigkeit einer Beschränkung geltend. Es seien seine „gewiß sehr liberalen Ansichten über Freiheit im Theater und über Freiheit der Rezensionen hinlänglich bekannt“, dennoch müsse er auf eine Neuauflage des bereits von seinem Vorgänger August Wilhelm Iffland (Intendanz von 1796 bis 1814) bewirkten Premierenverbots dringen, um Schaden von seinem Theater abzuwenden.18 Dieses Ifflandsche Premierenverbot hatte besagt, dass die Berliner politischen Zeitungen – Vossische Zeitung und Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen (Haude-Spenersche Zeitung) –, welche Theaterkritiken druckten, erst nach der dritten Aufführung auf den Königlichen Bühnen über ein Stück öffentlich urteilen durften. Bei einem solchen zeitlichen Vorlauf sei die Gefahr gebannt, dass die Zeitungen das Publikum stark beeinflussten, bzw. gegebenenfalls vom Theaterbesuch abschreckten. Wenn das Stück beim Publikum gut ankäme, so könnte es sich nach der dritten Aufführung von alleine durchsetzen, wenn nicht, dann würde es sowieso vom Repertoire abgesetzt.19 Es sollte also verhindert werden, dass die Zeitungen zwischen das Theater und sein Publikum treten und eine eigene Meinung dagegenstellen, bzw. Einfluss nehmen könnten. Brühl hatte die Logik der vermittelnden Kommunikation des Zeitungsmediums und seine Potentiale deutlich erkannt und versuchte dagegen anzusteuern. Dass Brühls Ansichten über Freiheit der Rezensionen sicherlich wenig liberal waren, davon künden seine weiteren Bemühungen um Kontrolle der Presse. Er beharrte auf die Ifflandsche Presse-Regulierung, da die Theaterrezensionen immer stärker ins Bewusstsein der Berliner ‚Kulturbürger‘ rückten. Sie waren allgemeiner Bestandteil der politischen Zeitungen geworden, die tägliche Verfügbarkeit neuer Rezensionen war jetzt schon gängige Medienpraxis und machte das Theater entsprechend mehr und mehr davon abhängig. Wie durchlässig die Grenze von der Theaterrezension zum politischen Kommentar geworden war, und somit für bestimmte Leser- und Autorenkreise attraktiv, wird anhand einer Theaterkritik von Goethes Egmont im Königlichen Schauspielhaus20 deut18 19 20

GStA, I HA, Rep. 77, Tit. 1000, Nr.1, Bl. 1, Graf von Brühl an das Hausministerium, 6. Oktober 1819. Ebd. Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen, 23. Oktober 1819, ein Exemplar dieser Ausgabe befindet sich in den Akten des Hausministeriums zur Auseinandersetzung zwischen den königlichen Bühnen und den Zeitungen: GStA, I HA, Rep. 77, Tit. 1000, Nr. 1, Bl. 7–8.

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lich. Hier nutzte der Rezensent offensichtlich die literarische Vorlage als Kommentar zur „Denk- und Glaubensfreiheit“ des Volkes. Für Brühl war dies natürlich eine sehr gelegene Vorlage, um am Hofe Stimmung gegen die Presse zu machen. Er wollte den Innenminister wissen lassen, daß der König sehr ungehalten über die Art waren, mit welcher der Egmont in der heutigen Spenerschen Zeitung recensirt worden. Ich läugne nicht daß auch mir beym ersten Durchlesen die wunderbare Einleitung zu dieser Recension sehr auffiel. Sie war offenbar mehr politisch als artistisch und schien sich recht geflißentlich am längsten bey den Volksscenen aufzuhalten. 21

In der Tat stechen die vom König und von Brühl monierten Stellen ins Auge. Hier wurde deutlich eine Empathie mit den politischen Bedürfnissen des Volkes heraufbeschworen; der Text im literarischen Gewande lässt ohne Zweifel eine politische Lesart zu: Um nun wieder auf Egmont zu kommen, so müssen wir es uns schon gefallen lassen, daß die Plebejer hier ein Wort mitsprechen, denn es ist nun einmal von ihrer wichtigsten Angelegenheit die Rede, von der bürgerlichen Denk- und Glaubensfreiheit des Volks, und je verkehrter und täppischer es sich dabei benimmt, je mehr es die Ochsen hinter den Pflug spannt, destomehr geschieht und ist erreicht, was ja der uralte Kunstrichter will: daß wir nemlich mit dem armen Volk das allerinnigste Mitleid empfinden! […] Aber wenn wir der Sache recht tief auf den Grund gehen, so werden wir finden: daß wir über Kaisers Bart gestritten haben, und daß weder Goethe noch Egmont selbst eifersüchtig auf das tragische Heldenthum des Letztern sind, sondern daß dieser es willig theilt mit seinem Volke, und daß Bürgerglück und Denk- und Glaubensfreiheit von Millionen es recht eigentlich sind, die hier die Helden spielen, und die zu Grabe getragen werden. Glücklich das Volk, das so etwas nicht zu fürchten hat! – […].22

Brühl betrieb mit seiner Beschwerde über die Egmont-Kritik Geheimpolitik, da der König aus der Sache keine offizielle Beschwerde werden lassen wollte. Ob dies nun im Sinne des Königs war, oder ob Brühl die persönliche Meinung des Königs für seinen ‚Zeitungskrieg‘ instrumentalisierte, kann man nicht mehr sicher feststellen. Brühl setzte jedenfalls auf ‚Geheimstrategie‘, wenn er den Innenminister bat, „diese Notizen nicht als officiell anzusehen.“23 Die Andeutungen der königlichen Missfallens genügten, um den Innenminister zum Handeln zu veranlassen: Er erließ eine Verfügung, die das Verbot von Rezensionen vor der dritten Aufführung erneuerte und verlangte von der Zensurbehörde eine erhöhte Wachsamkeit gegenüber bitterer persönlicher Satire und dem Einschmuggeln von politischer Kritik in die Theaterrezensionen. Nur durch diese Einschränkungen wäre es vermeidlich, die Theaterkritiken ganz zu versagen. Der Innenminister von Schuckmann betonte ausdrücklich die Rechtmäßigkeit und Wichtigkeit der 21 22 23

GStA, I HA, Rep. 77, Tit. 1000, Nr. 1, Bl. 2, Graf von Brühl an den Innenminister, 24. Oktober 1819. Hervorhebung im Original. Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen, 23. Oktober 1819, in GStA, I HA, Rep. 77, Tit. 1000, Nr. 1, Bl. 7. Vgl. GStA, I HA, Rep. 77, Tit. 1000, Nr. 1, Bl. 2, Graf von Brühl an den Innenminister, 24. Oktober 1819.

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Presse, wog jedoch den Schaden für ein ebenso „nöthiges Institut für das Publikum“, nämlich das Theater, ab: Wenn gleich der Kritik über Werke der Wissenschaft und Kunst Freiheit gebührt; so sind doch diese Wünsche, auf die privilegirten politischen Zeitungen beschränkt, allerdings billig. Denn diese Blätter, welche vermöge ihrer Privilegii und Monopols vor dem großen Publikum ausschließlich gelesen werden, welches großentheils fremden Urtheilen glaubt, müßen billig ihr Vorrecht dazu nicht mißbrauchen, ein anderes nöthiges Institut für das Publikum, wie das Theater ist, zu untergraben, wie solches geschehen muß, wenn dergleichen einseitige Urtheile ein mit Kosten auf die Bühne gebrachtes Stücke fallen machen, ehe der größte Theil des Publici es gesehen hat […].24

Angesprochen wurde hier eine grundsätzliche Freiheit der Kunstkritik; die Gefahr ihrer Einflussnahme auf die öffentliche Meinung musste jedoch auf irgendeine Weise gebannt werden. Graf von Brühl, durch obige Verfügung bestärkt, versuchte, die Freiheit der Theaterkritiken noch weiter einzuschränken, indem er am 3. November 1819 forderte25, dass in den Theaterkritiken zu den Aufführungen des Königlichen Theaters künftig die Namen der Theaterkünstler nicht mehr erwähnt werden dürften. Es war zuvor in verschiedenen scharfen Kritiken zu Beleidigungen gekommen, so war etwa die Hofsängerin Madame Milder „mit dem großen Christoffel26 verglichen worden.“27 Brühl konnte die tadelnden Theaterkritiken als solche, die ja die Billigung des Innenministeriums genossen, nicht verbieten lassen, und so versuchte er, mit dem Namensverbot zumindest eine weitere Einschränkung zu erreichen. Brühl stieß beim Innenminister auf offene Ohren, doch das mit der Ausführung der Verfügung beauftragte Polizeipräsidium legte Einspruch dagegen ein. Der Polizeipräsident war sichtlich verstimmt über von Brühls ambitioniertes und eigenmächtiges Vorgehen und versuchte, dessen Motive gegenüber den politischen Folgen einer repressiven Maßnahme als weniger wichtig darzustellen: Vorerst scheint es mir außer Zweifel zu sein, daß die Ausführung der gedachten Bestimmung ein unangenehmes Aufsehen im Publikum, und vielfältige Klagen über vermehrten Zensurzwang erregen würden. Wenn nun schon dies keinen Grund abgeben könnte, von einer für ge24 25 26

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GStA, I HA, Rep. 77, Tit. 1000, Nr. 1, Bl. 11–12, Innenminister an den Polizeipräsidenten, 28. Oktober 1819. GStA, I HA, Rep. 77, Tit. 1000, Nr. 1, Bl. 13–15, Graf von Brühl an den Innenminister, 3.November 1819. „Großer Christoffel“ ist der volkstümliche Name für die 8,25m große Herkules-Statue aus Kupferblech, die von Landgraf Karl von Hessen-Kassel bei dem Goldschmied Johann Jakob Anthoni in Auftrag gegeben worden war und im Jahre 1717 auf dem Berg (535m) im Park Wilhelmshöhe, Kassel, aufgestellt worden ist. Diese Statue war im 18. und 19. Jahrhundert eine weit bekannte Attraktion für Besucher der Region. Man konnte damals ins Innere der Statue hochsteigen und durch die Augen hinaussehen. Der Name „großer Christoffel“ war in dieser Zeit sehr verbreitet, ist jedoch heute fast vergessen. Zur volkstümlichen Namensgebung siehe Joachim Schröder, „Wie der Herkules zum großen Christoph wurde. Ein Beitrag zur Rezeptionsgeschichte des Kasseler Herkules“, in Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte (ZHG) 113, 2008, 221–243. GStA, I. HA Rep. 101 D, Nr. 11, Bl. 4–7, Gutachten des Ober Censur Collegiums, 25. Februar 1820.

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meinnützlich und nothwendig anerkannten Maaßregel abzusehen, so dürften doch die dem Antrage des Herrn Grafen Brühl zu Grunde liegenden Motive in der That nicht wichtig genug seyn, um jene, doch immer wohl möglichst zu beachtenden und verhütenden, Folgen aufzuwiegen. Hiernächst aber bin ich überzeugt, daß die Maaßregel den beabsichtigten Zweck doch nicht erreichen würde, indem es sehr leicht ist, und ohne immer weiter ausgedehntes hartes Eingreifen gar nicht vermieden werden kann, daß die Zeitungs-Redaktionen oder die Autoren der Kritiken, jene Bestimmung umgehen, ja dies dürfte zuweilen in einer Art geschehen können, die den darstellenden Künstlern weit empfindlicher wäre, als die einfache Nennung ihres Namens.28

Es galt ein „unangenehmes Aufsehen im Publikum“ zu vermeiden; die Polizei sah sich mit der Kontrolle der Einhaltung des Namensverbots überfordert. Die Königlichen Schauspieler würden in der Gefahr stehen, Zielscheibe einer Verballhornung des Namensverbots zu werden, was „immer weiter ausgedehntes hartes Eingreifen“29 erfordern würde. Die deutliche Distanz zu Brühls Anliegen zeigt sich auch darin, dass der Polizeipräsident das Namensverbot ad absurdum führte, indem er allen anderen öffentlich auftreten Künstlern das gleiche Recht zugesprochen wissen wollte: Sodann würde es auch ganz inconsequent erscheinen, wenn, nach dem Antrage des Herrn Grafen von Brühl, nur die einheimischen Künstler in den Kritiken nicht genannt werden sollten, die auswärtigen, in Gastrollen hieselbst auftretenden aber namhaft gemacht werden dürften. Und endlich ist nicht abzusehen, warum nicht auch die Ballet-Tänzer, die Musiker, und andere öffentlich auftretenden Künstler, ja auch die dramatischen Autoren eben so gut wie die Schauspieler darauf Anspruch machen könnten, in tadelnden Kritiken in den hiesigen Zeitungen nicht genannt zu werden.30

Der Innenminister nahm in der Folge von dem Namensverbot Abstand und teilte dem König mit, dass er von der Durchsetzbarkeit des Verbots nicht überzeugt sei. Außerdem könnten die Schauspieler nicht als Hof-Beamte angesehen werden, sie müssten sich also eine öffentliche Kritik durchaus gefallen lassen.31 Darüber hinaus wäre es für die Zeitungen ein Leichtes, das Verbot zu umgehen, indem sie den betreffenden Theaterzettel im Zusammenhang mit der Theaterkritik nochmals abdruckten – ein Vorgehen, das unmöglich verboten werden könne.32 Es gelte, keinen Anlass zu Beschwerde und Aufruhr zu bieten, weil man „kleinliche Censur-Willkühr“33 walten lasse. Graf von Brühl konnte es dabei nicht belassen. Nachdem auch eine Intervention beim König34 wegen des Namensverbots nicht gefruchtet hatte, reichte er am 6. Februar 1820 28 29 30 31 32 33 34

GStA, I. HA Rep. 77, tit. 1000, Nr. 1, Bl. 22–23, Polizeipräsidium an den Innenminister von Schuckmann, 21. November 1819. Ebd. Ebd. Hervorhebung im Original. Vgl. GStA, I HA, Rep. 77, Tit. 1000, Nr 1, Innenminister an den Polizeipräsidenten, 26. November 1819. Ebd. Ebd. Das Innenministerium teilte dies dem Polizeipräsidenten auf die Frage nach dem weiteren Verfahren wegen des Namens-Verbots mit, vgl. I HA, Rep. 77, Tit. 1000, Nr. 1, Bl. 28, Schreiben des In-

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eine erneute Beschwerde gegen die öffentliche Praxis der Theaterkritiken ein und bezichtigte die Zensurbehörde des Versäumnisses ihres Kontrollauftrags in mehreren Fällen. Daraufhin forderte der Innenminister von Schuckmann das Gutachten des Oberzensur-Kollegiums an, der obersten Behörde für Zensur-Streitfälle. Diese Behörde betrachtete, ähnlich wie das Polizeipräsidium, Brühls Beschwerde augenscheinlich als latent durch gekränkte Eitelkeit motiviert und begegnete seiner vehementen Forderung nach Ahndung des öffentlichen Tadels in den Theaterkritiken mit dem trockenen Verweis auf die bestehenden Gesetze zur Freiheit des öffentlichen Kunsturteils (PrAL, Teil II, Tit.20. §562) und zum Tatbestand der Ehrenkränkung (PrAL, Teil II, Tit.20, §575), wie sie das Preußische Allgemeine Landrecht formuliere.35 Es sei Aufgabe der Gerichte, nicht des Zensors, hier zu urteilen. Gebraucht daher die tadelnde Kritik [bei ihrem Kunsturteil] die Waffe des Spottes, so ist es nicht die Sache des Zensors darüber zu urtheilen, ob damit wohl eine absichtliche Beleidigung und Ehrenkränkung verbunden sein könne. Nur das richterliche Ermessen wird darüber nach den jedesmaligen besonderen Umständen [PrAL, Teil II, Tit.20, §542] zu entscheiden vermögen und also auch die Klage über solche Kränkungen der Künstler-Ehre vor dieses Forum gehören.36

Der Standpunkt des Oberzensur-Kollegiums wich hier deutlich von der gängigen Zensurpraxis der Zeit ab. Die Zensoren achteten durchaus darauf, ob in Zeitungsartikeln beleidigende Angriffe auf einzelne Personen zu finden waren. Und Beschwerden der Getroffenen bei Behörden und beim König hatten durchaus Erfolg darin, dass in der Folge für die betreffenden Zeitungen und Redakteure immer wieder spezifische Verordnungen oder auch strenge Verweise und Strafandrohungen formuliert wurden.37 Der Gutachter des Oberzensur-Kollegium scheint auf die Seite des ‚Justiz-Systems‘ zu neigen, und hatte für Brühls präventive Kontrollversuche kein Verständnis. Im Weiteren fuhr er gegen Brühl einen regelrechten Frontalangriff auf und verteidigte die Theaterkritik als legitimes und wichtiges Medium des öffentlichen Urteils gegen die von Brühl und seinen Schauspielern unterstellte Eitelkeit. Das Gericht könnte ange-

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nenministers an den Polizeipräsidenten, 22. Dezember 1819: „Da aber unterdessen die GeneralIntendantur der Königl. Schauspiele und die Schauspieler mit einer Beschwerde über die TheaterKritiken an des Königs Majestät sich gewandt haben, so ist vor weiterem Beschlusse abzuwarten, ob Se. Majestät dieserhalb etwas zu befehlen geruhen werden.“ Über die weitere Entscheidung des Königs ist nichts vermerkt, da aber ein Namensverbot nie ergangen ist, so ist davon auszugehen, dass der König von Brühl nicht nachgegeben hat. GStA, I HA, Rep. 101 D, Nr. 11, Bl. 4–7, Gutachten des Ober Censur Collegiums, 25. Februar 1820. Zu den Gesetzesstellen vgl. Das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794 [=PrAL]. Hg. von Hans Hattenhauer. Neuwied u.a.: Luchterhand, 31996, Teil II, Tit. 20, §562 (695), §575 (696). GStA, I HA, Rep. 101 D, Nr. 11, Bl. 4–7, Gutachten des Ober Censur Collegiums, 25. Februar 1820. Zum §542 vgl. PrAL, 694. Dies lässt sich für Berlin, etwa im Zusammenhang mit Saphir (Kap. 4.1), für München, etwa bei der Auseinandersetzung des Hoftheaterintendanten Karl Theodor von Küstner mit der Presse (Kap. 5.3), und auch für Wien, wiederum Saphir (Kap. 6.1), nachweisen.

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rufen werden, „wenn es nicht vorzüglicher scheinen dürfte, den Ansprüchen der Kritik durch vervollkommnete Kunstleistungen gerecht zu werden.“ Und weiter: So wenig wir geneigt sind, den afterwitzigen und skurrilen Ton, in welchem mehrere dieser Rezensenten im Tadeln und Loben seit einiger Zeit sich besonders zu gefallen scheinen, und wovon die angeführten Beispiele Proben enthalten, in Schutz nehmen zu wollen, so können wir doch nach unserer Ueberzeugung die Zensur nicht als das richtige Mittel dagegen ansehen. Sie würde nur zur Mittelmäßigkeit führen, wenn sie alle Lauge, womit Flecken gewaschen werden, hinwegnehmen wollte. Wenn Lessings Dramaturgie als Beispiel einer rechtmäßigen Kritik angeführt wird, so darf nicht unerwähnt bleiben, daß auch ihn die beleidigte Eitelkeit und selbstgefällige Ungelehrigkeit der Schauspieler zum Schweigen brachte, und Deutschlands Bühnen dieses lange empfunden haben.38

Wenn Deutschlands Bühnen durch Lessings Schweigen negative Folgen zu tragen gehabt hätten, so können wir im Umkehrschluss nur folgern, dass das Oberzensur-Kollegium eine öffentlich geführte Kritik als Bereicherung der Berliner Theaterlandschaft betrachtete. Der Innenminister musste eine Entscheidung treffen. Er ging den Mittelweg, folgte dem Gutachten des Oberzensur-Kollegiums und mochte gleichzeitig vor Brühl die volle Wahrnehmung seiner Kontrollfunktion demonstrieren. Seine Verordnung vom 6. März 1820 formulierte daher einige Grundsätze, „wodurch ich die von Eurer Exzellenz [Graf von Brühl], in Ansehung der Theaterkritiken der hiesigen Zeitungen, mir vorgetragenen Wünsche zu Ihrer Zufriedenheit berücksichtigt zu haben glaube.“ 39 Zusammengefasst hört sich dies folgendermaßen an: Wenngleich bis auf weiteres einer freimüthigen und anständigen Kritik der Leistungen der hiesigen Königl. Theaters, die Aufnahme in die Berliner Zeitungen nicht zu versagen, so ist doch von Seiten der Censur darauf zu sehen, daß dieselbe nur auf die Kunst, als ihren Gegenstand, mithin nur auf Beurtheilung der gegebenen Stükke und ihrer Ausführung, so wie der Leitungen der einzelnen ausübenden Künstler sich beschränke, und diese Gränzen nicht überschreite.40

Es wird hier deutlich, dass es zwischen dem berechtigten Interesse einer Öffentlichkeit an Berichterstattung über das Theater, einer produktiven öffentlichen Kritikfunktion der Zeitungen und dem Status des Königlichen Theaters als vor einer öffentlichen Kritik zu schützende königliche Behörde abzuwägen galt. Wenn schon die Schauspieler nicht als Hof-Beamte anzusehen waren,41 so wurde doch die Leitung der Königlichen Bühnen als preußische Behörde betrachtet, die nicht zum Gegenstand öffentlicher Erörterungen werden durfte; daher wurde explizit der „Tadel der amtlichen Einrichtungen der Schauspieldirektion“42 von der Berichterstattung verbannt. 38 39 40 41 42

GStA, I HA, Rep. 101 D, Nr. 11, Bl. 4–7, Gutachten des Ober Censur Collegiums, 25. Februar 1820. GStA, I HA, Rep. 77, tit. 1000, Nr. 1, Bl. 37–38, Verfügung des Innenminister wg. Theaterkritiken, adressiert an den Oberpräsidenten von Brandenburg und an Graf von Brühl, 6. März 1820. Ebd. Hervorhebung im Original. Vgl. GStA, I HA, Rep. 77, Tit. 1000, Nr. 1, Innenminister an den Polizeipräsidenten, 26. November 1819. GStA, I HA, Rep. 77, Tit. 1000, Nr. 1, Bl. 37–38, Verfügung des Innenminister wg. Theaterkritiken, adressiert an den Oberpräsidenten von Brandenburg und an Graf von Brühl, 6. März 1820.

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Grundsätzlich leitend für das Agieren der preußischen Behörden war in dieser Phase das Bild einer aufklärerischen Theaterkritik, der es zugestanden werden sollte, berechtigten und erziehend wirkenden Tadel auszusprechen. Daher auch die unterschwellig befürwortende Haltung des Oberzensur-Kollegiums, das die Beschwerden des Grafen von Brühl fast ironisch abwertete. Doch vielleicht kann man hier konstatieren, dass Brühl schon sehr viel früher aufmerksam war gegenüber einer Presseentwicklung, die auch die Theaterkritik zu einem wesentlich anderen medialen Forum werden ließ. Ganz besonders augenfällig wird diese Umgestaltung der Theaterkritik einige Jahre später an der Publizistik des Journalisten Moritz Saphir. D i e ‚ T h e a t e r p o l e m i k ‘ u m S a p h i r . In der Figur des Journalisten und Satirikers Moritz Gottlieb Saphir (1795–1853) kristallisierte sich anschaulich die Auseinandersetzung zwischen einer literarischen Öffentlichkeit, den Theatern und einer massentauglichen Presse in den späten 1820er Jahren heraus. Insbesondere in den Jahren 1827 bis 1829, also die Zeit kurz vor Saphirs Weggang aus Berlin betreffend, stand dieser scharfsinnige Zeitpublizist in einem regelrechten Kreuzfeuer der Beschwerden von der Theaterdirektion des Königstädtischen Theaters, aber auch der Hofbühne, sowie von dramatischen Autoren. Gleichzeitig erlebte er einen ersten Höhepunkt seines publizistischen Erfolgs. Seine Zeitschriften Berliner Schnellpost (1826–1829)43 und Berliner Courier (1827–1830)44 druckten Rezensionen der Theaterstücke mit bisher ungeahnter Aktualität – bereits am Tag nach der Aufführung45 – und erhielten dadurch den Status der meistgelesenen Blätter der Stadt. Hier und auch außerhalb Berlins erfreute sich Saphir einer in tausenden gerechneten Abonnenten-Schar46. Die geringe moderne Rezeption der Person und des Werkes von Saphir ist bis heute weitgehend auf die persönliche Biographie des Journalisten ausgerichtet. Saphir war in zahlreiche Presse-Skandale verwickelt, sowohl in Berlin, als auch in München und 43

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Berliner Schnellpost für Literatur, Theater und Geselligkeit, 1826–1829. Das Blatt erschien 1826 und 1829 drei Mal und 1827 bis 1828 vier Mal pro Woche. Vgl. Ursula Koch, Der Teufel in Berlin. Von der Märzrevolution bis zu Bismarcks Entlassung. Illustriert politische Witzblätter einer Metropole 1848–1890, Köln 1991, 674, Anm. 24. Der Berliner Courier. Ein Morgenblatt für Theater, Mode, Eleganz, Stadtleben, u. Localität, 1827– 1830. Das Blatt erschien täglich außer sonntags. Vgl. Ursula Koch, Der Teufel in Berlin, 33. Saphir führte die so genannte Nachtkritik ein, d.h. bereits am nächsten Tag erschienen die Theaterkritiken der Aufführungen des Vorabends. Dies war ein organisatorisches Kunststück, wenn man bedenkt, dass alle Druckfahnen dem Zensor vorgelegt werden und anschließend die Änderungswünsche in die Druckvorlage eingearbeitet werden mussten. Vgl. hierzu Ursula Koch, Der Teufel in Berlin, 33; vgl auch Peter Sprengel, „Moritz Gottlieb Saphir in Berlin. Journalismus und Biedermeierkultur“, in Günter Blamberger, Manfred Engel u. Monika Ritzer (Hg.), Studien zur Literatur des Frührealismus, Frankfurt a. M. u.a. 1991, 243–275, 257. Ursula Koch gibt in ihrer einschlägigen Studie zu den Berliner Witzblättern an, die Berliner Schnellpost habe bereits im ersten Quartal ihres Erscheinens 1.500 Abonnenten gehabt. Für den Berliner Courier gibt sie an, er habe binnen weniger Monate eine Abonnentenzahl von 2.500 erreicht. Vgl. Ursula Koch, Der Teufel in Berlin, 33.

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später in Wien. Diese Skandale werden anekdotisch zitiert als Beweis für entweder seine umstrittene Persönlichkeit – dies wird insbesondere von einer tendenziell antisemitischen Rezeptionsrichtung instrumentalisiert – oder als Ausweis seiner genialen publizistischen Begabung in einem konservativen Umfeld. Dass Saphir von der Literaturgeschichte bisher nicht umfassend gewürdigt wurde, geht weitgehend auf eine antisemitische Rezeption zurück, die insbesondere während des Nationalsozialismus zu einer völligen Negierung der Leistungen Saphirs geführt hat.47 Peter Sprengel konstatiert hier statt einer Rezeptions- eine regelrechte Diffamierungsgeschichte Saphirs.48 Im Zusammenhang meiner Studie kann es jedoch weniger um eine Rehabilitierung der Person Saphir gehen, sondern vielmehr um die systemische Verflechtung des Journalisten Saphir in einer Phase der medialen Re-Strukturierung. Saphirs umstrittene und auch herausragende Stellung in der Berliner Öffentlichkeit der späten 1820er Jahre ist einer medialen Konstellation geschuldet, in der die Rolle des Journalisten und auch die Form und Rezeption der Journale neu ausgehandelt wurde. Einen Hinweis auf die systemischen Einflüsse auf die Figur Saphir, die ihn zu einem umstrittenen Publizisten werden ließ, gab bereits sein Zeitgenosse Wolfgang Menzel: Seine Phantasie ist sehr reich, seine gute Laune unerschöpflich. An Wortwitz hat ihn wohl Keiner übertroffen. Wenn er nur niemals Wien verlassen hätte, wenn er nur nicht in die Theaterpolemik von Berlin und München verwickelt worden wäre. Dieß hat ihn in Lagen gebracht, in denen er seine schwächere Seite bloßgeben und Inconsequenzen begehen mußte, die zum Hasse Derer, die sein Witz beleidigt hatte, noch eine Geringschätzung hinzufügte, die nicht immer unverdient war. Doch habe ich sein Benehmen immer durch seine Lage entschuldigt und thue es hier wieder.49

Kurz bevor Saphir nach Berlin kam, stellte sich dem Hoftheater mit der privaten Gründung des Königstädtischen Theaters 1824 ein konkurrierender Akteur gegenüber. Aus dieser Konkurrenzsituation ergab sich ein ganz genaues Taxieren des theatralen Kredits in der Öffentlichkeit. Saphirs journalistische Tätigkeit fiel hier auf ein fruchtbares Feld, er ließ die Theaterkritik in einem ganz neuen und wesentlichen Licht erscheinen. Die Theaterkritik war durch ihre neue Aktualität zunehmend ein Marktfaktor und der Journalist, dem es gelang, ein breites Publikum zu erreichen, konnte manipulativ einwirken. Im Weiteren soll es daher genau um die von Menzel erwähnte „Theaterpolemik“ in

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Zur literaturwissenschaftlichen Rezeption Saphirs vgl. Peter Sprengel, „Moritz Gottlieb Saphir in Berlin“, insbes. 244–246. Sprengel weist darauf hin, wie stark der Einfluss der antisemitischen Lesart auch noch auf die Saphir-Rezeption der Nachkriegszeit ist. Er führt etwa an, dass noch 1954 in Berlin eine explizit dahin wirkende Dissertation bei Hans Knudsen verfasst wurde. Es handelt sich um die Doktorarbeit von Annelore Lippe mit dem bezeichnenden Titel: Verfallserscheinungen der Theaterkritik. Dargestellt an Moritz Gottlieb Saphir. Peter Sprengel, „Moritz Gottlieb Saphir in Berlin“, 258. Vgl. hierzu etwa auch die stark antisemitische Studie von Irmgard Müller, Saphir in München. Eine Untersuchung über das Eindringen und den Einfluß jüdischer Journalisten in das Münchener Pressewesen 1825–1835, Düsseldorf 1940. Wolfgang Menzel, Die deutsche Literatur, Bd. 4, Stuttgart 1836, 73.

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Berlin gehen, deren Motive meines Erachtens in der oben dargestellten medialen Konfiguration liegen.

Abb. 1: Moritz Gottlieb Saphir (1795–1853)

Peter Sprengel, der eine umfassende Darstellung von Saphirs Tätigkeit und journalistischer Funktion in Berlin gibt, stellt ihn in den Zusammenhang einer kulturellen Konstellation, die nach 1830 dem Anspruch einer politischen Öffentlichkeit weichen muss. Daher sei es fraglich, inwiefern Saphir eine langfristige Wirkung in der Berliner Öffentlichkeit erreicht habe: Zur Skepsis in dieser Hinsicht könnte zunächst die Feststellung Anlaß geben, daß die kulturelle Konstellation, in die Saphirs Berliner Aufenthalt fiel und die durch ihn mitgeprägt wurde, schon wenige Jahre später führenden Vertretern der öffentlichen Meinung als hoffnungslos antiquiert und unwiederbringlich verloren galt. Aus der Sicht der Autoren des Jungen Deutschland hat die Julirevolution von 1830 schlagartig die innere Leere und Haltlosigkeit jener kunstbeflissenen Betriebsamkeit deutlich gemacht, für die zunächst und eigentlich der Epochenname ‚Biedermeier‘ geprägt wurde.50

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Peter Sprengel, „Moritz Gottlieb Saphir in Berlin“, 243.

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Nach der Julirevolution von 1830, so Sprengel weiter, sei die literarische Welt so weit politisiert, dass die Literaten „[i]n dieser neuen Welt, in der das Politische dominierte und Gesinnung gefordert wurde“51 mit der weitgehend indifferenten Schriftstellerei eines Saphir nichts anzufangen wüssten. Eine jüngere Generation von Journalisten habe Saphir nach der Politisierungstendenz ab 1830 vorgeworfen, zu wenig politisch publiziert zu haben. Er wäre zu sehr mit journalistischem ‚Schattenboxen‘ befasst gewesen, ohne politisch wirksam tätig geworden zu sein. Ich möchte hier feststellen, dass, obgleich Saphir keinem politischen Programm nachhing, er sich doch stark im Kampf um eine moderne politische Öffentlichkeit exponierte. Er gab dem Anspruch auf neue journalistische Praxen ein Gesicht und half, die Verfahren öffentlicher Kommunikation neu zu gestalten. Und dies ist tatsächlich eine politische Aufgabe, wenn man berücksichtigt, dass jeder Einsatz für die freie öffentliche Rede hohe Risiken barg: von Geldstrafen bis Arbeitsverbot, Arrest und Ausweisung – Saphir musste alle diese Sanktionen in verschiedenen Stadien seines Lebens erleiden. Saphirs Hinwendung zu einer breiteren Öffentlichkeitsschicht, die seiner Medienkonzeption entsprach, war ein Politikum, so wurde es von seinen Zeitgenossen gesehen. Auch von seinen Gegnern wurde sein ungekannter kommerzieller Erfolg im Zeitungswesen und auch die Popularität seiner in Buchform publizierten Aufsatzsammlungen, Aphorismen und satirischen Gedichte betont. Zeitgenössische Stimmen sahen diesen Erfolg als Streben eines skandal- und sensationswütigen Publikums und schlugen somit wiederum in die Kerbe einer auf Schichtenunterscheidung beruhenden Wertung. In einer 1828 im Berliner Conversationsblatt erschienenen Streitschrift von Berliner Dramatikern gegen Saphir52 wurde genau die Popularität seiner Publizistik aufs Korn genommen: Berlin ist groß und enthält eine große Anzahl Halbgebildete, viel Müßige, plötzlich wohlhabend Gewordene, die, ohne Beschäftigung nach einer Art geistigen Unterhaltung verlangen. Ihnen war eine solche Kühnheit des Ausdrucks in gedruckten Blättern eben so unerhört als unterhaltend. Sie fanden sich selbst in dem neuen Blatte wieder. ‚So etwas geradherauszusprechen, wie Saphir, hatte Niemand bis dahin den Muth gehabt. Und dazu war Alles so verständlich.‘ Der Autor hatte sein Publikum gewonnen.53

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Peter Sprengel, „Moritz Gottlieb Saphir in Berlin“, 244. Sprengel führt etwa als Belege Karl Gutzkow an, der 1831 feststellte: „Die Zeit ist vorüber da eine Sontag das Berliner Publikum total verrückt, auch Saphir ist dahin und die Schnellpost und Kühn, Häring, Rellstab, Curtius, alles vorüber.“ Karl Gutzkow, Forum der Journalliteratur, Heft 1, Bd.2, 1831, 18, zitiert nach Peter Sprengel, „Moritz Gottlieb Saphir in Berlin“, 243. Diese Streitschrift war Teil einer großen Auseinandersetzung zwischen Saphir und dem Königstädtischen Theater nahe stehenden Dramatikern, die bis über Berlin hinaus weite Kreise zog. Jefferson S. Chase zitiert einen Korrespondenten der Dresdener Abendzeitung, dass ganz Deutschland den Pamphlet-Krieg angespannt verfolgt habe. Vgl. Jefferson S. Chase, Inciting Laughter. The Development of ‚Jewish Humor‘ in 19th Century German Culture, Berlin, New York 2000, 38. Friedrich Baron de la Motte Fouqué, Friedrich Wilhelm Gubitz, W. Häring (W. Alexis), „M.G. Saphir in Berlin und der Journalismus“, in Berliner Conversations-Blatt für Poesie, Literatur und Kritik, Heft 78, 21. April 1828, 308–310, 309.

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Deutlich wurde hier eine Bedarfslage skizziert, der Saphir mit seiner spezifisch publizistischen Literatur erfolgreich begegnete. Er schrieb für ein breites Publikum, verständlich, aktuell und orientierend. Doch genau dies wurde ihm bitter vorgeworfen: Es ist eine neue Kunst erfunden, das Hohe herabzuziehen, das, was bisher nur für die Kenner da war, im schlimmsten Sinne des Wortes populär zu machen, und ohne etwas zu verstehen über Alles abzusprechen. Die Kunstkritik wird in die Bierkeller versetzt und die Obsthändlerinnen sind in den Stand gesetzt, darüber abzusprechen, worüber die Kenner sonst zweifelhaft blieben. Es ist ein ungeheurer Staub aufgewühlt, von dem nicht vorauszusehen, wann er sich wieder setzen wird, indem das eine Beispiel des glücklichen Erfolgs die Mittelmäßigkeit allerwärts zum Schreiben angefeuert hat.54

Nicht nur Saphirs Wirkung bei einem nicht-gebildeten Publikum als unredliche Abwertung der ‚Kunstkritik‘ wird angegriffen, sondern es wurden auch die Folgen seines publizistischen Vorbildes als ungeheure Provokation an die Berliner Bildungsschicht verdammt. Saphir brachte den literarischen Diskurs auf die Ebene des einfachen Volkes, er löste auch die Rolle des Journalisten als berufliches Format von der Gestalt des Gelehrten ab.55 Doch selbst ein unverhohlener Unterstützer der ‚Dramatiker gegen Saphir‘, der Musikwissenschaftler Adolf Bernhard Marx, musste in seinen Erinnerungen aus meinem Leben einräumen, dass auch Geistesgrößen Berlins Anhänger von Moritz Saphir waren: Ja, der damals in höchstem Ansehen stehende Philosoph Hegel war einer der eifrigsten Leser und Bewunderer M. G. Saphirs; er nannte ihn ‚ein Phänomen‘, – natürlich in solchen Augenblicken, wo er seiner ‚Phänomenologie des Geistes‘ weniger erinnerlich war.56

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Friedrich Baron de la Motte Fouqué, Friedrich Wilhelm Gubitz, W. Häring (W. Alexis), „M.G. Saphir in Berlin“, 310. Chase weist darauf hin, dass trotz aller bildungsbürgerlichen Angriffe die Gegner Saphirs seine eigensten Mittel als schlagkräftige Instrumente erkannten und ebenfalls versuchten, damit zu operieren. Vg. Jefferson S. Chase, Inciting Laughter, 39: „Just as obvious was the fact that, despite their professional contempt for Saphir’s metier, his adversaries were clearly adopting his means (personal attack) and his medium (the daily press) for their own ends. Although the initial antiSaphir polemics from Fouqué, Gubitz and Alexis [Künstlername Härings] maintained the pretence of sober, factual refutation, it wasn’t long before the attacks took on more imaginative forms – poems, plays and fictional parodies – some of the very satiric devices the humorist himself had pioneered.“ Adolf Berhard Marx, Erinnerungen aus meinem Leben, Bd. 2, Berlin 1865, 126. Moritz Saphir selbst verwies mehrfach auf seine freundschaftlichen Kontakte zu Hegel. So wehrte Saphir sich etwa gegen Angriffe von Gubitz mit der Bemerkung „nicht ein Einziger Literat von Ruf schreibt gegen mich“ und führte auch Georg Wilhelm Friedrich Hegel als Autorität gegen den doch wesentlich unbedeutenderen Louis Angely an, der sich im Lager der Saphir-Gegner äußerte. Vgl. Moritz Gottlieb Saphir, Kommt her! oder: Liebes Publikum, schau, trau, wem. Ein humoristischer Holzschnitt, mit Melodien versehen, Berlin 1828, 9. Karl von Holtei berichtet, dass Georg Wilhelm Friedrich Hegel, nachdem Moritz Saphir den Theaterdichter Karl Schall wegen öffentlicher Beleidigung zum Duell gefordert hatte, als Sekundant vermittelnd eingetreten war und den Streit schlichten konnte; vgl. Karl von Holtei, Vierzig Jahre Lorbeerkranz und Wanderstab, Bd. 3, Berlin 1844, 286–291.

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Die klassenübergreifende Zielrichtung der Publikationen war genau die Zumutung, die eine moderne Presse- und Öffentlichkeitsentwicklung für konservative Literaten parat hielt. Dass Saphir noch im gleichen Atemzug mit ‚Sansculottismus‘ und revolutionärem Umsturz in eins gesetzt wurde57, war nur die Überspitzung jener Polemik und traf sich im Kern genau mit den oben skizzierten „Ansichten“ des Fürsten von Wittgenstein. Doch Saphir wäre nicht der geistreiche Publizist und sich seiner Stellung als Journalist wohl bewusste Schriftsteller gewesen, wenn er nicht die passende Replik für die selbst ernannten Hüter des journalistischen Bildungsniveaus parat gehabt hätte: Wenn ich es dahin gebracht habe, daß die ‚Obsthändlerinnen in den Stand gesetzt sind, darüber abzusprechen, worüber sonst die Kenner zweifelhaft blieben‘, so hab’ ich, beim Himmel! in drei Jahren mehr für die intellektuelle Bildung Berlins gethan, als die vorhergegangenen Jahrhunderte! Gewiß ist es auch besser, wenn die Kritik in den Bierkeller versetzt wird, als wenn der Bierkeller in die Kritik versetzt wird.58

Ich betrachte Saphir als einen erfolgreichsten Aspiranten auf Teilhabe an einer literarischen und auch politischen Öffentlichkeit im Berlin der 1820er Jahre. Seine Zeitungen gehörten zu den am strengsten zensurierten59 der Stadt, und er scheute sich nicht vor Auseinandersetzungen mit den preußischen Behörden. Im Folgenden sollen in der Analyse zahlreicher unveröffentlichter Aktenstücke, die konkreten Frontlinien zwischen Saphir, den Zensurbehörden und den konkurrierenden Öffentlichkeitsakteuren, insbesondere den Theatern, dargestellt werden. Hier sollen die funktionellen Strukturen innerhalb des Feldes einer experimentellen Öffentlichkeit im Berlin der 1820er Jahre aufgezeigt werden. Moritz Saphir sah in der publizistischen Öffentlichkeit das einzig legitimierte Forum für eine Auseinandersetzung und forderte seine Gegner auf, diese ‚Waffe‘ zu benutzen: Wenn meine literarischen Gegner auf meine Brochüre etwas erwiedern wollen, so bitte ich sie, es wieder in einer Brochüre, oder in einem gelesenen Blatte zu thun. Die Antwort soll dann gewiß nicht ausbleiben.60

Seit Saphirs scharf kritischem Vorgehen gegen die ‚Sontag-Mania‘ in Berlin61 lief eine mehr oder minder heftig verlaufende Fehde zwischen dem Königstädtischen Theater 57

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Vgl. Friedrich Baron de la Motte Fouqué, Friedrich Wilhelm Gubitz, W. Häring (W. Alexis), „M.G. Saphir in Berlin“, 310, Anm. 2.: „Soweit ist es gediegen, daß man mit einiger Bangigkeit fragen muß, wohin noch dieser literarische Sansculottismus führen kann […]“ Moritz Gottlieb Saphir, Der getödtete und dennoch lebende M. G. Saphir, oder Dreizehn Bühnendichter und ein Taschenspieler gegen einen einzelnen Redakteur. Berlin 1828, 15f. Zu seinem persönlichen Zensor wurde Justizrat Johann Bogislaw Grano ernannt, der ab 1819 bei der Mainzer Zentralkommission im Sinne der Demagogenverfolgung tätig gewesen war und als äußerst strenger Kontrolleur galt. Zu einer kritischen zeitgenössischen Einschätzung Granos vgl. etwa Neuer Nekrolog der Deutschen. 1831, 9. Jg. Ilmenau: Voigt, 1833, 451f. Grano leitete Anfang 1828 auch die polizeilichen Ermittlungen gegen den Theaterdichter Gotthilf August von Maltitz, vgl. Kap. 4.2, insbes. 168–183. Moritz Gottlieb Saphir, „Erklärung“, in Berliner Courier, 2. Mai 1828, 1. Zu Henriette Sontag vs. Moritz Saphir vgl. mit polemischen Untertönen gegen Saphir Heinrich Stümcke, Henriette Sontag. Ein Lebens- und Zeitbild, Berlin 1913, 52–57.

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und den Saphirschen Blättern. Saphir hatte die beliebte Sängerin Henriette Sontag, das Zugpferd des Königstädtischen Theaters und gleichzeitig dessen größter und riskantester Kostenpunkt, bereits kurz nach seiner Ankunft 1825 in Berlin in einem Gedicht öffentlich verspottet. Die Sängerin wandte sich umgehend an den preußischen König und auch dies wurde weiter von Saphir in seinen Zeitschriften satirisch verfolgt. Bis Ende 1827 brachte das Königstädtische Theater im Gegenzug vier Stücke auf die Bühne,62 die jeweils Anspielungen oder direkte Karikaturen des Journalisten verkörperten. In seiner Auseinandersetzung mit den ‚Berliner Dramatikern‘ benannte Saphir deutlich die verletzende Instrumentalisierung der Bühnenöffentlichkeit gegen seine Person, die von diesen taktisch verschwiegen worden sei: Eben so hat man auch mein Benehmen gegen das Königstädter Theater mit den schwärzesten Farben geschildert, ohne dagegen davon Erwähnung zu thun, wie mich das Königstädter Theater unausgesetzt herausforderte, und meine Persönlichkeit auf die verletzendste Weise angriff. Allbekannt ist es wie das Königstädter Theater mich als Jocko darstellen ließ!63

Diese Darstellung war besonders schmählich und auch nachhaltig: Saphir wurde in dem Stück Jocko 1826 mit dem Hauptdarsteller, einem dressierten Menschenaffen, in Verbindung gebracht. Dieses Bild haftete Saphir noch lange an.64 Peter Sprengel65 und andere haben die massiv antisemitischen Einschläge dieser Inszenierungen und auch deren Wirkung auf die Prägung der antisemitischen Kampffigur des „jüdischen Journalisten“ als affenartigen ‚Untermenschen‘ herausgearbeitet. Saphir zog in der Zeitungsöffentlichkeit erfolgreich gegen solche Angriff zu Felde. Und weiter schilderte Saphir das Vorgehen des Theaters bei der ihn karikierenden Aufführung des Stückes Die Überbildeten (1827) von Ludwig Robert als regelrechte mediale Kampagne: Am darauf folgenden Tage wurde ich wieder in Roberts „Ueberbildeten“ auf eine schmutzige, aller persönlichen Sicherheit Hohn sprechende Weise auf die Königstädter Bühne gebracht! Schon am Abend vorher waren die Freibillette vertheilt, um die Person, die mich repräsentirte, und die ich aus schuldiger Achtung für das Publikum nicht nennen will, herausrufen zu lassen. In den Spenerschen und Vossischen Zeitungen erscholl das Lob dieser That!66

Mit der Aufführung eines Stückes wie etwa Zeitungstrompeten von Carl Lebrun, in dem der korrupte und eitle Journalist Dorn 1827 durch Kostüm und Maske mit Saphir identifiziert wurde, positionierte sich das Theater in der Diskussion über die Macht der Öffentlichkeit. Carl Lebrun überzeichnet in seinem Lustspiel die Begierde des reichen 62 63 64

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1826: Jocko und Die Überbildeten von Ludwig Robert; 1827: Lebende Wachsfiguren in Krähwinkel von Ludwig Robert und Die Zeitungstrompeten aus d. Franz. von Carl Lebrun. Moritz Gottlieb Saphir, Kommt her!, 14. Daher rührte auch die in Berlin verbreitete beleidigende Sentenz über Saphir und Henriette Sontag: „Der Affe hat den Engel geseh’n, nun kann man die ganze Geschichte versteh’n.“ Vgl. Heinrich Stümcke, Henriette Sontag, 55. Vgl. Peter Sprengel, „Moritz Gottlieb Saphir in Berlin“, 270f. Moritz Gottlieb Saphir, Kommt her!, 14f.

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aber kulturlos und provinziellen Bürgers Trommling nach öffentlicher Anerkennung und publizistischer Adelung. Trommling will seine Tochter nur mit einem Mann verheiraten, der sich in der Residenzstadt öffentlichen Ruhm und Ehre geschaffen hat, Geld spielt dagegen keine Rolle. Der bescheiden und authentisch auftretende Arzt Dr. Willing ist dieser Herausforderung nicht gewachsen und so übernehmen sein Freund, der Dramatiker Linden, und die einflussreiche Gönnerin Frau von Stern die Aufgabe, ihm ohne sein Wissen eine glänzende Reputation zu verschaffen. Mithilfe des selbst nach literarischem Ruhm eifernden Theaterkritikers und Journalisten Dorn, der sich immer wieder penetrant als „gute Haut“ bezeichnet, gelingt es spielend innerhalb eines Tages: Dr. Willing wird durch einen lancierten Zeitungsartikel ohne sein Wissen zum medizinischen Superstar der Residenz, erhält die Hand der Trommling-Tochter und kann sogar seine publizistische Unschuld bewahren. Willings komplette mediale Naivität wird vom Dramatiker ironisch kommentiert: Willing (stolz zu Linden und Dorn). Was sagte ich Ihnen heute Morgen? Mit Selbstgefühl wiederhole ich es; das wahre Verdienst wird doch endlich anerkannt. Linden (für sich). O ja! es hat mich Mühe genug gekostet.67

Die öffentliche Reputation einer Person, einer Institution wird hier als scheinhaft entlarvt und die publizistische Meinungsmache satirisch aufs Korn genommen. Der Theaterjournalist als personelle Verkörperung einer neuen Art von substanzloser öffentlicher Schaumschlägerei und von absoluter Dekadenz öffentlicher Kritik steht hier am Pranger und ist der Verlierer des Stückes: Dorn wird als Opportunist entlarvt und muss seine eigenen Hoffnungen auf die Braut – schließlich entspräche er eigentlich dem Idealtypus der vom Schwiegervater gewünschten ‚öffentlichen Person‘ – aufgeben. Sein Berufsstand und seine Person wurden aufs Äußerste herabgewürdigt, und mit ihm durch die kennzeichnende Kostümierung auch der Journalist Moritz Saphir. Das Königstädtische Theater kritisierte hier zwar den neuen Theaterjournalismus in der Figur des Dorn/Saphir, gleichzeitig bediente es sich aber auch seiner publizistischen Modi. Die karikierenden Aufführungen waren öffentliche Ausfälle in der publizistischen Schlacht gegen Saphir und ergänzten flankierend die Streitschriften der ‚13 Berliner Dramatiker‘ im Broschürenkrieg. Parallel zu diesen öffentlich wahrnehmbaren Scharmützeln versuchten alle beteiligten Parteien, beim König Unterstützung für ihre öffentliche Position zu finden. Saphir schrieb am 4. Juni 1827 an den Fürst von Wittgenstein, in der Hoffnung, dieser würde sein Schreiben an den König weiterreichen. Ihm sei zu Ohren gekommen, dass die Direktion des Königstädtischen Theaters sich beim König über ihn beschwert und – so seine Vermutung – eine stärkere Zensuraufsicht für ihn gefordert habe. Saphir versicherte sich der Unterstützung des Hoftheaters durch einen beigefügten Brief des Gene-

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Carl Lebrun, Zeitungstrompeten. Lustspiel in zwei Aufzügen. Nach dem Französischen, in Ders., Lustspiele und Erzählungen, Mainz 1827, 162f.

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ralmusikdirektors Gaspare Spontini , der sich in die Bresche warf, um mit Saphir auch für die Hofoper ein Stück Öffentlichkeit gegenüber dem Königstädtischen Theater zu sichern. Spontini drückte seine Verachtung des taktischen Vorgehens des Königstädtischen Theater deutlich aus, dessen wohl ‚privilegierte Herren‘ sich nicht scheuten, vor den König zu treten, nur, weil sie die kritisierenden Stichelein („quelques piqures“) angesichts ihres ‚Missmanagements‘ nicht ertragen könnten. Nach der harschen Kritik an den Königlichen Bühnen und auch an seiner eigenen Person müsse doch gleiches Recht für alle gelten, so Spontini: L’on peut donc impunément attaquer impitoyablement dans les gazettes et dans d’autres feuilles périodiques les artistes du théâtre Royal, l’administration, et moi surtout, comme a fait cents fois le susdit S. de Holtei, sans que aucune autorité n’ait voulu l’empêcher, mais il doit être prohibé, même avec punition par Sa Majesté, aux journalistes de parler la vérité sur le théâtre de la K.stedt?69

Spontini nahm direkt Stellung gegen das Königstädtische Theater und unterstützte Saphirs harte Kritik an der Geschäftsführung, und gleichzeitig die Forderung einer Gleichbehandlung aller öffentlichen Akteure in der Auseinandersetzung: Die öffentliche Sphäre sollte sich ohne Einmischung der preußischen Behörden selbst austarieren. Inwiefern nun Spontini tatsächlich einer liberalen Konzeption der Öffentlichkeit anhing, oder die Empörung über die versagte Unterstützung gegenüber öffentlicher Kritik an seiner eigenen Person die Motivation des Schreibens bildete, bleibt Spekulation. In seinem Bittgesuch gegenüber Fürst von Wittgenstein und ergo dem König ging Saphir sehr bewusst argumentativ mit den verschiedenen Schichten öffentlicher Kommunikation um. Er stellte zunächst die Gerechtigkeitsliebe des Monarchen und der preußischen Behörden, verkörpert in den gerechten Gesetzen des Staates, ins Rechte 68

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Der italienische Komponist und Dirigent Gaspare Spontini war von 1820 bis 1841 Generalmusikdirektor der Königlichen Oper in Berlin. 1832 wurde Spontini selbst in eine ‚Affäre der öffentlichen Kritik‘ verwickelt. Es kursierte damals in Berlin eine Broschüre Sendschreiben an *** über den dermaligen Zustand des Theaters in Berlin am Anfange des Jahres 1832 (aus dem französischen Manuscripte übersetzt. Paris u. Leipzig: Wolbrecht, 1832), die eine Generalabrechnung mit der administrativen Leitung der Hofbühnen unter Graf von Redern enthielt. Spontini geriet durch die im Manuskript demonstrierte detaillierte Kenntnis der Theateradministration und durch die Tatsache, dass der Text ursprünglich in Französisch verfasst worden war, also in der Sprache, der sich Spontini wegen seiner mangelhaften Deutsch-Kenntnisse in Berlin bediente, in den Verdacht, der Autor dieses anonymen Pamphlets zu sein. In einer langen Auseinandersetzung mit der Zensurbehörde versuchte Spontini, die Veröffentlichung eines Rechtfertigungstextes durchzusetzen, in dem er diesen Verdacht auszuräumen suchte. Dies wurde ihm verweigert. Der Verfasser des Sendschreibens ist nicht ermittelbar. Vgl. hierzu den Bericht des Zensors Grano, GStA, I HA, Rep 101 D, Nr. 11, Bl. 42–46; sowie das eventuell vom General-Intendanten von Redern selbst verfasste Gegenpamphlet Dank-Schreiben an den Herrn Verfasser des Sendschreibens an *** über den damaligen Zustand des Theaters in Berlin, im Anfang des Jahres 1832 von Giovanni Cipollini. Aus dem italienischen Manuscripte übersetzt von Adolf Schecke. Leipzig u. Baltimore. In der Zriebelschen Buchhandlung, Broschüre, GStA, I HA, Rep. 77 tit. 1000, Nr. 4, Bl. 48–66. GStA, I HA, Rep. 100, Nr. 1124/2, Bl. 10, Spontini an Wittgenstein, 6. Juni 1827.

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Licht, um den Theaterdirektor Kunowski und Konsorten als unrechtmäßige und geheime Manipulateure darzustellen, die den Streit mit Saphir nicht vor den Gerichten ausfechten wollten, sondern sich heimlich und heimtückisch an den König direkt wandten: Die Gesetze würden mich verdammen oder lossprechen, bei den Gesetzen kann ich mich vertheidigen, wie aber soll ich mich von einer Anklage rein sprechen, wenn sie geradezu an den Füßen des Thrones niedergelegt wird, wohin meine Rechtfertigung nicht dringt?70

Vor allen Dingen seine publizistische Rechtfertigung könne den König nicht mit der gleichen Wirkung erreichen. Und daher sah Saphir sich gezwungen, ebenfalls den inoffiziellen Weg zum König zu suchen. Obgleich er immer noch den Grundsatz pflegte, dass die Gerechtigkeit im Bereich des ‚Öffentlichen‘, ‚Sichtbaren‘ angesiedelt sei, während Heimtücke und Häme nicht offen ausgesprochen würden, sondern im Geheimen wirkten. Hier signalisierte Saphir unterschwellig, dass er als ‚Mann der Öffentlichkeit‘ das Recht auf seiner Seite habe: Ich habe nicht nur in meinen beiden Zeitschriften, sondern in vielen auswärtigen Blättern mein Bestreben zum Besten der Hofbühne, für ihre Würdigkeit und für die hohe Stufe, die sie in artistischer und moralisch-sittlicher Ausbildung einnimmt, kräftig und eindringend dargethan, aus keinem anderen Beweggrunde als weil die Wahrheit es erheischte, weil ich […] jedes edle Streben, jedes wahrhaft Tüchtige und Gute immer und wo ich es finde verehre und rührend anerkenne. Nichts desto minder traf es sich zuweilen, daß ich hie und da etwas zu bemerken glaubte, das nach meiner Ansicht anders sein konnte, und ich unterließ nicht mich in einer anständigen aber freimüthigen Rüge darüber auszusprechen, aber nie ist es einem Mitgliede der Königlichen Bühnen, vielweniger den verehrten Vorstehern derselben, auch nur im entferntesten in den Sinn gekommen, die Stimme der Kritik eindämmen zu wollen oder gegen den Kritiker selbst klagbar zu werden.71

Saphir argumentierte nun völlig konträr zu der ihm oben von seinen Gegnern bescheinigten populären Publizistik. Er vertrat das aufklärerische Bildungs- und Erziehungsziel der Literatur und präsentierte sein kritisches Wirken als „anständige aber freihmüthige Rüge“, welche die Aufgabe hätte, auf das Theater verbessernd zu wirken. Die Gerügten und Kritisierten müssten in dieser Struktur das objektivierte Gesagte als Erziehungsmittel dankbar annehmen, wie es nach Saphir die königlichen Bühnen ja auch täten. Gleichzeitig musste sich Saphir als ein Mann von Gesinnung darstellen, welcher der Wahrheit verpflichtet sei, denn es wäre von einem Kunstrichter unwürdig gehandelt, wenn er gegen seine eigene Meinung urtheilte, und ich halte es der Pflicht und der Ehre eines rechtschaffenen Mannes gemäß, wenn er in dem freien Gebiete der Kunstideen seine Ansicht so mittheilt, wie seine innnerste Ueberzeugung es gebietet. Diese Pflicht wird zum Gesetz für den Redacteur einer Zeitschrift, der schuldig ist, dem Publikum strenge Rechenschaft zu geben von den Ereignißen im Felde der Wissenschaften.72

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GStA, I HA, Rep. 100, Nr. 1124/2, Bl. 12–15, Saphir an Wittgenstein, 4. Juni 1827. Ebd. Ebd.

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Saphir ging so zurück in das Bild eines gelehrten Literaten, der das Publikum über literarische und künstlerische Gegenstände aufklärt und zu Verbesserung von Sitte und Moral anregt. Und damit integrierte er sich natürlich in die aus Sicht der Staatsbehörden sittlich angemessenen Felder der Öffentlichkeit – aufklärerische Kunstkritik und Wissenschaft. Aus heutiger Sicht betrachtet erscheint diese Selbststilisierung absurd, kann man doch konstatieren, dass ausgerechnet Saphir Vorreiter eines Meinungsjournalismus war, der genau jenes so überzeugend geschilderte Bild eines aufklärerischen Volkserziehers zugunsten einer modernen Konzeption von zirkulärer Medienkommunikation als Meinungsaustausch über gesellschaftliche Gegenstände und auch als Feld der politischen Auseinandersetzung mit Konsens-/Dissens-Findung, hinter sich ließ und vielmehr im Gewande des neuen Intellektuellen und post-aufklärerischen Journalisten stark polarisierend auftrat. In seiner weiteren Argumentation für die Richtigkeit und Gemäßheit seiner Theaterkritiken schloss Saphir sich wieder wesentlich näher an eine moderne Konzeption von Öffentlichkeit, indem er das Königstädter Theater auf seine Pflicht als öffentlicher Akteur verwies, auch öffentliche Kritik hinzunehmen: Das Königstädter Theater ist eine öffentliche Kunstanstalt, die der Publicität nicht minder anheim gegeben ist und der Kritik nicht weniger unterworfen ist, als die Hofbühnen Berlins, Wiens, Paris und Londons. Die Bretterwelt, die Verwaltung oder die Direction eines Theaters, die Beurtheilung sämmtlicher Leistungen, gehören vor das Forum der Kritik, die unter den Augen der Gesetze, unter der Aufsicht der Censur sich darüber auszusprechen ein Recht hat.73

Es ist bezeichnend, dass Saphir die öffentlichen Angriffe seitens etwa der „Dreizehn Dramatiker“ oder auch durch die karikierenden Aufführungen des Königstädtischen Theaters immer öffentlich konterte. Er trat dadurch immer als souveräner Akteur in der öffentlichen Arena auf; dort war der Kampfplatz, und hier sollte sich auch das Königstädtische Theater stellen. In dieser Arena war es gerechtfertigt, sich öffentliche Verbündete zu schaffen, und wenn es die öffentliche Stimme ganz Deutschlands sein musste. Das Königstädter Theater, das nach seinem Grundplan, nach der Idee in der es entstand, zu einer Zierde zu einem Hochgenuß der Residenz hätte werden können, hat sich seines Standpunktes überhoben, und findet bereits in der Rivalität mit den Königlichen Hofbühnen seinen allmähligen Verfall. Das ist es, was ich ausgesprochen habe, und das ist die Stimme Berlins, die Stimme Deutschlands. Die Direction schiebt sich irriger Weise unter, und noch irriger versucht sie, die Gesetze und die Liberalität, hinsichtlich literarischer Ideenfreiheit, mit Klagen zu überhäufen.74

In einem regelrechten Kunstgriff holte sich Saphir auch die Zensur auf seine Seite der öffentlichen Auseinandersetzung. Alles, was unter den Augen der Zensur geschehe, müsse rechtens sein, da doch durch deren Kontrollmechanismen alles Ungerechtfertigte aussortiert würde. Die publizierten Texte, die ja das Imprimatur trügen, seien legale und 73 74

GStA, I HA, Rep. 100, Nr. 1124/2, Bl. 12–15, Saphir an Wittgenstein, 4. Juni 1827. Ebd. Hervorhebung im Original.

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für gut befundene ‚Ware‘ – und dies umso mehr als Saphir ja der strengsten Kontrolle des Zensors Grano unterworfen sei: Alles das, was ich über das Königstädter Theater geschrieben habe, kann um so weniger auf irgend eine Art boshaft oder persönlich seyn, da wie es Eure Durchlaucht wohl wißen, ich eine so strenge Censur habe, daß ich mich genöthigt sah, um eine andere Censur zu bitten. Die Verweigerung dieser Bitte ist mir jetzt lieb geworden.75

Sollte allerdings diese „jetzt lieb gewordene“ strengste Zensur nochmals verschärft werden, so sah sich Saphir existentiell bedroht, da seine Tatkraft dadurch gelähmt würde und er an der weiteren Redaktion, an den Mitteln zu „meiner Existenz, die ich durch redliches fleißiges Bemühen friste, verzweifeln müßte.“76 Mit dieser Thematisierung seiner materiellen Existenz und seines Status’ als redlicher Geschäftsmann schloss Saphir seine Argumentation gegen das Königstädtische Theater ab, dem er Mißgunst als Motiv unterstellte. Er redigiere rastlos Tag und Nacht „zwei Zeitschriften, die sich durch ganz Deutschland einer beifälligen Aufnahme erfreuen,“ und der „günstige Erfolg meiner Unternehmungen“ habe ihm Neider und Gegner zugezogen – so auch die weniger erfolgreiche Theaterleitung in der Königstadt.77 Aus dem Gegensatz zwischen seinem eigenen wirtschaftlichen Erfolg als Zeitungsmacher und den finanziellen Problemen des Königstädtischen Theaters versuchte Saphir direkt in der Folge dieses Briefes an Wittgenstein eine satirische Pointe zu gewinnen. Im Zensur-Probeabdruck des Berliner Courier vom 5. Juni 1827, also einen Tag nach dem Briefdatum, benannte er zwar ohne Namen aber doch unverhüllt die Angelegenheit. Der Zensor Grano war geistesgegenwärtig genug, Saphir den Abdruck dieses Beitrages zu versagen: Ein Direktor, ein Compositeur, ein Schauspieler und ein Dichter vereinigten sich einmal gegen einen Redakteur, um ihn zu Grunde zu richten. Als der Redakteur das erfuhr, sagte er: ‚Ich will ihnen ein unfehlbares Mittel dazu anrahten. Der Direktor führe meine Geschäfte, der Compositeur setze meine Lieder in Musik, der Schauspieler spiele in meinen Stücken, und der Dichter werde Mitarbeiter meiner Zeitschrift, dann bin ich in vier Wochen ein zu Grunde gerichteter Mann.‘78

Aus dem Dargelegten wird ersichtlich, dass die Publizistik des Moritz Saphir für die preußischen Öffentlichkeits-Akteure durchaus eine Provokation darstellte. Sein praktizierter Anspruch auf ‚Meinungsmache,‘ seine Suche nach öffentlicher Auseinandersetzung standen konträr zu einer aufklärerischen Medienkonzeption. Insbesondere die herausragende Rolle der Aktualität, der Saphir durch die Einführung der ‚Schnell-‘ 75 76 77 78

GStA, I HA, Rep. 100, Nr. 1124/2, Bl. 12–15, Saphir an Wittgenstein, 4. Juni 1827. Ebd. Ebd. GStA, I HA, Rep. 100, Nr. 1124/2, Bl. 21, Zensurexemplar, Probedruck, Ausschnitt aus Berliner Courier, Handschriftlicher Vermerk des Zensors Grano: „Impr. mit Ausschluss des Gelöschten. Gr. 5/6 27“. Hinter dem „Direktor“ verbirgt sich Georg Karl Friedrich Kunowski, der „Compositeur“ ist Carl Blum, der „Schauspieler“ Louis Angely, der „Dichter“ Karl von Holtei.

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oder ‚Nacht-Kritik‘ zum Durchbruch in der Presse-Öffentlichkeit Berlins verhalf, gab der Journalistik einen neuen Stellenwert im ‚Tagesgespräch‘ und somit in der direkten Wirkungsmöglichkeit. Wie die preußischen Behörden diese Aktualität einzudämmen suchten, soll im nächsten Abschnitt erläutert werden. G e f ä h r l i c h e A k t u a l i t ä t . Am 4. Januar 1828 erließ der Innenminister eine Verschärfung der Zensurverordnung von 181979 bezüglich des Verbots einer Theaterrezension vor der dritten Aufführung eines Stückes auf den Königlichen Bühnen. Künftig durfte nicht nur von den politischen Tageszeitungen, sondern von allen in Berlin täglich erscheinenden Blättern – auch den literarischen – keine Kritik eines Stückes vor der dritten Aufführung erscheinen. Damit gab der Innenminister einer Forderung des Grafen von Brühl nach, der nach einer sehr spitzzüngigen Kritik von Saphir im Berliner Courier das Verbot der Premieren-Kritik auch auf dessen Blätter verhängt sehen wollte. Saphir hatte am 12. November 1827 über die Aufführung des Stückes Robinson Crusoe im Königlichen Opernhaus ein vernichtendes Urteil gefällt: Dies Stück reiht sich würdig an das ‚Ungethüm,‘ ‚Cartouche‘ und dergleichen Unsinn, nur mit dem Unterschiede, daß es wo möglich noch schlechter ist, denn es hat auch nicht einmal Unsinn zur Handlung. Es ist wahrhaft betrübend, Thaliens heiligen Tempel so entweiht zu sehen.80

Und zum Schluss des Textes konnte er sich den ironischen Seitenhieb auf das Geltungsbedürfnis des Schauspielers Hoguet nicht verkneifen: Die Gallerie rief die Herren Schneider und Mayer, das Parterre pochte gewaltig, indeß sie erschienen und mit letzterem Herr Hoguet; wir wissen nicht, was Herr Hoguet damit sagen möchte. –81

Brühl war empört über diesen Verriss, aber nicht nur das. Er erkannte auch, dass sich die Presselandschaft seit 1819 verändert hatte. Das damalige Verbot der PremierenKritik hatte sich auf die zwei großen Tageszeitungen Berlins (Vossische Zeitung und Haude-Spenersche Zeitung) erstreckt. Jetzt waren es jedoch Saphirs Blätter und andere nach ihm erfolgte Zeitungs-Gründungen, die den „nachtheiligen Einfluß“ auf die Einnahmen verursachten. In gelehrten Blättern, welche alle Woche nur ein oder zweimal erscheinen, hat eine, wenn auch zu scharfe und unbillige Kritik keinen so nachtheiligen Einfluß auf den Kassen Vortheil des Theaters, da sie nur selten oder nie in die Hände des großen Publicums kommen, als in den täglich erscheinenden und in die Hände aller Klassen des Publicums gelangenden Flugblätter.82

Der Innenminister unterstützte die Stoßrichtung und beauftragte am 15. November 1827 auf dem Wege der Verordnung das Polizeipräsidium, „die Saphirschen Flugschriften 79 80 81 82

Vgl. oben, 144f. Berliner Courier, 12. November 1827. Ebd. GStA, I HA, Rep. 77, Tit. 1000, Nr. 1, Bl. 58, Brühl an das Innenministerium, 14. November 1827.

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und andere Tagesblätter wegen der Kritik neuer Theater-Stücke ebenfalls derselben Einschränkung zu unterwerfen, der die Zeitungen unterliegen und die Verfasser so wie die Censoren danach anzuweisen.“83 Damit war jedoch noch nicht das letzte Wort gesprochen. Diese Verordnung zeitigte Reaktionen in verschiedener Hinsicht. Zum einen wollte das Königstädtische Theater auf den Zug aufspringen und das Verbot der Premieren-Kritik der Königlichen Bühnen auch auf die eigenen Stücke ausdehnen (15. Dezember 1827); zum anderen schaltete sich der König ein (12. Dezember 1827), besorgt um den Eindruck einer Ungleichbehandlung Saphirs gegenüber anderen Zeitungsunternehmen. Diese Sorge war nicht unberechtigt, ging es der Direktion des Königstädtischen Theater tatsächlich nur um die spezifische Einschränkung des Journalisten Saphir. Nach einer langen Auflistung einiger publizistischer Ausfälle des „ausländischen Scribenten“84 bat sie den Innenminister, die von dem p. Saphier redigirten Blätter „Courier“ und „Schnellpost“ in Beziehung auf die Kritiken der im Königstädtischen Theater neu dargestellten Stücke derselben Regel zu unterwerfen, welcher diese Blätter in Beziehung auf die Königlichen Bühnen unterworfen sind, mithin dem p. Saphir genauestens zu befehlen, sich jedes Urtheil über die neuen Darstellungen des Königstädtischen Theaters vor der dritten Vorstellung eines neuen Stückes zu enthalten.85

Genau dies wollte der König vermeiden, mochte sich aber in diese Angelegenheit des Innenministers nicht direkt einmischen. So verkündete er salomonisch, es sei dem Innenminister überlassen, ob er das auf Saphir gemünzte Verbot belassen oder abändern wolle, „jedenfalls darf auch hierin eine Zeitschrift vor der andern nichts voraushaben.“86 Friedrich Wilhelm III. reagierte damit auf eine protestierende Immediat-Eingabe von Saphir87, versuchte ihn vor einer persönlichen Verfolgung zu schützen, mochte sich aber mit seiner Unterstützung nicht über die einschränkenden Maßnahmen des Innenministers hinweg setzen. Es war allgemein bekannt, dass der König Saphirs Witz und Geistesschärfe schätzte: Er soll ein fleißiger Leser der Schnellpost und des Couriers gewesen sein und Saphir konnte sich bei kleineren Zensurstreitigkeiten gelegentlich seiner Hilfe versichern.88 Dennoch verpflichtete der König sich hier grundsätzlich der repressiven Medienpolitik seines beratenden Umfeldes.89 83 84 85 86 87 88

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GStA, I HA, Rep. 77, Tit. 1000, Nr. 1, Bl. 61, Innenministerium an das Polizeipräsidium, 15. November 1827. GStA, I HA, Rep. 77, Tit. 420, Nr. 7, Bd. 1, Theater-Direktion an den Innenminister, 15. Dezember 1827. Ebd. Hervorhebung im Original. GStA, I HA, Rep. 77, Tit. 1000, Nr. 1, Bl. 63, Kabinettsorder an das Innenministerium, 12. Dezember 1827. Diese Immediat-Eingabe konnte nicht ermittelt werden, ein Hinweis darauf findet sich in GStA, I HA, Rep. 77, Tit. 1000, Nr. 1, Bl. 63, Kabinettorder an das Innenministerium, 12. Dezember 1827. Heinrich Hubert Houben berichtet anekdotisch von der Vorliebe Friedrich Wilhelm III. für den Berliner Courier, vgl. Heinrich Hubert Houben, Der gefesselte Biedermeier. Literatur, Kultur, Zensur in der guten, alten Zeit, Leipzig 1924, 190f. Friedrich Wilhelm III. beauftragte etwa ein halbes Jahr nach diesen Diskussionen am 7. Mai 1828 den Geheimen Kabinettrat Albrecht, den Innenminister zum Handeln gegen den zunehmenden

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Der Innenminister beschied das Königstädtische Theater abschlägig, und beriet sich von der Kabinettsorder veranlasst mit Fürst von Wittgenstein90 über eine eventuelle völlige Aufhebung der am 15. November 1827 ergangenen Verordnung in Bezug auf das Königliche Theater. Dieser riet ihm, die Verordnung, da sie nun einmal ergangen wäre, beizubehalten, um nicht in den Ruch der Wankelmütigkeit zu geraten.91 Und so kündigte der Innenminister am 4. Januar 1828 der Zensurbehörde die Aufrechterhaltung des Verbots an: Alle Tageszeitungen – politische und belletristische –, die Theaterkritiken brachten, durften die neuen Stücke des Königlichen Theaters erst nach der dritten Aufführung rezensieren.92 Die Presse reagierte direkt sehr heftig auf die Ausweitung der ursprünglichen Verfügung zum Verbot der Premieren-Kritik. Für Saphir war das Verbot ein regelrechter Schlag ins Kontor, basierte doch ein großer Teil des Erfolgs seiner Blätter auf der höchsten Aktualität der Theaterkritiken.93 Das von ihm eingeführte System der Nachtkritik, schnell auch von anderen Zeitschriften kopiert, wurde so in Bezug auf die Königlichen Bühnen zur Makulatur. Die Zeitschriften hatten schnell den Marktwert der Aktualität entdeckt, und so war das literarische Pressewesen Berlins weitgehend von dieser De-Aktualisierung betroffen. Am 22. Januar 1828 musste Graf von Brühl, der ursprüngliche Veranlasser der verschärften Verordnung, feststellen, wieviel Staub er damit aufgewirbelt hatte. Das erweiterte Premierenverbot habe „in der Berliner literarischen Welt

90 91 92 93

„Unfug“ in den Theaterkritiken aufzufordern: „So offenbaren Unfug wie seither mit den TheaterRezensionen in den Berliner Tagesblättern getrieben wird, wollen Seine Majestät ferner nicht dulden und es soll deshalb Ew. Excellenz anheim gegeben werden, demselben durch geeignete Maßnahmen entgegen zu wirken.“ (GStA, I HA, Rep. 77, Tit. 1000, Nr. 1, Bl. 85, Schreiben des Geheimen Kabinettrats Albrecht im Auftrag des Königs an den Innenminister, 7. Mai 1828) Interessanterweise ist der Anlass der Königlichen Intervention ein offensichtlich falscher Bericht über die Maske einer Tänzerin in Saphirs schärfster Konkurrenzunternehmung, der Berliner Staffette. Der Rezensent hatte die Vorstellung offensichtlich gar nicht besucht gehabt. Es ging also um korrekte Berichterstattung und nicht um politische oder satirische Anstößigkeiten. Vgl. GStA, I HA, Rep. 77, Tit. 1000, Nr. 1, Bl. 64, Innenminister an den Hausminister, 27. Dezember 1827. Vgl. GStA, I HA, Rep. 77, Tit. 1000, Nr. 1, Bl. 65, Hausminister an den Innenminister, 28. Dezember 1827. Vgl. GStA, I HA, Rep. 77, Tit. 1000, Nr. 1, Bl. 66, Innenministerium an das Königliche OberCensur-Collegium, 4. Januar 1828. Saphir veröffentlichte am 25. Februar 1828 in der Berliner Schnellpost eine Ankündigung der neuen Verordnung mit satirischem Unterton: „Vermöge eines neuen Zensurgesetzes ist es allen Berliner Blättern untersagt, die neuen Stücke auf der königlichen Bühne vor der dritten Darstellung, oder vierzehn Tage nach der ersten Darstellung zu recensiren. Dieses Gesetz schließt aber lobende Recensionen nicht mit ein. Daher kommt es, daß manche Blätter blos um ein Stück sogleich zu besprechen, es lobend erwähnen. Ich erkläre aber hiermit, daß ich von einem solchen Privilegium laudandi keinen Gebrauch zu machen gesonnen bin, und daher die ersten Vorstellungen nur sehr selten werde besprechen können.“ Vgl. hierzu Heinrich Hubert Houben, Der gefesselte Biedermeier, 195f.

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sehr viel Aufsehen gemacht“ und „sogar öffentliche Bemerkungen herbeigeführt“, die Brühl natürlich sehr unpassend erschienen.94 In der Tat schrieb Der Freimüthige in einem Zensur-Probedruck vom 15. Januar 1828 eine regelrechte Kampfansage gegen das Berichtsverbot und die Brühl-Institution: Um dieser Maaßregel, die ohnehin einen lückenhaften Bericht nur gestattete, so weit in meinen Kräften steht, förderlich zu sein, erkläre ich hiermit: ‚daß ich nicht eher wieder über die Darstellungen der Königlichen Bühnen im Freimüthigen etwas mittheilen werde, als bis die Intendantur der Königlichen Schauspiele den Bewohnern dieser sinnigen Residenz durchweg Kunstleistungen zeigen wird, die Berlin würdig sind.‘95

Der gesamte Artikel des Freimüthigen wurde vom Zensor gestrichen, aber die Tatsache, dass dieser Druckbogen den Akten zum Schriftverkehr um das Verbot der PremierenKritik beigelegt ist, zeigt, dass seine ‚message‘ durchaus von den preußischen Behörden wahrgenommen wurde. Es handelte sich hier also um eine Art Zwischenstufe der öffentlichen Meinungsäußerung, da dem Autor von vorne herein klar sein musste, dass er seinen Artikel nicht drucken durfte, ihm aber gleichzeitig bewusst war, dass das Geschriebene die Behörden erreichen würde. Das Gleiche gilt für einen Artikel von Friedrich Wilhelm Gubitz aus dem ZensurProbedruck des Gesellschafters vom 12. Januar 1828, der ebenfalls gestrichen wurde. Obgleich Gubitz zunächst klarstellte, dass für ihn Theaterkritiken in seinem Blatt keine Priorität genießen würden, so fühlte er sich doch zu einem Kommentar berufen, da es ihm um das Recht der öffentlichen Meinung ging.96 Gubitz entkräftete von Brühls Meinung über die finanzielle nachteilige Wirkung von Theater-Verrissen, in dem er ihm das Beispiel des Königstädtischen Theaters gegenüber stellte. Dort hätten die heftigen Angriffe der Presse (hier sind sicher Moritz Saphirs Blätter gemeint), dem Theater eher genutzt als geschadet, da das Publikum sein Theater eher gegen die Presse in Schutz nehmen würde. Wenn die Königliche Bühne durch ein gewählteres und reicheres Repertoir, durch angestrengtere Benutzung ihrer besten Mitglieder, durch tüchtige Darstellungen und überall regen Eifer es gegen etwaige mißwollende Beurtheiler (von denen übrigens noch vor Kurzem sich nur machtlose Spuren zeigten) dahin gebracht hätte, daß dem Publikum eine Animosität klar wurde, so konnte sie gewiß auf eine lebhaftere Empfindung und Theilnahme gegen eine dann unrechtmäßige Opposition rechnen; während durch das Einschreiten einer solchen Verordnung – welche das öffentliche Urtheil in Zeitschriften und demnach, weil viele Theater-Besucher die Recension als ein ihnen gebührendes Nachspiel betrachten, auch im Allgemeinen beschränkt –

94 95 96

GStA, I HA, Rep. 77, Tit. 1000, Nr. 1, Bl. 80, Brühl an den Innenminister, 22. Januar 1828. GStA, I HA, Rep. 77, Tit. 1000, Nr. 1, Bl. 75, Zensur-Probedruck von Der Freimüthige, 15. Januar 1828, mit Strichen des Zensors Jacobi. Vgl. GStA, I HA, Rep. 77, Tit. 1000, Nr. 1, Bl. 72, Zensur-Probedruck von Der Gesellschafter, Nr. 9, 12. Januar 1828, mit Strichen des Zensors Jacobi: „Jene Theater-Verordnung stellt mich aber in jeder Beziehung anders und ich habe dabei nicht mit mir selbst zu thun, dennoch aber Alles mit dem Recht der öffentlichen Meinung; einzig und allein in diesem Betracht spreche ich hier davon.“

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theils Unwille, theils Gleichgültigkeit entsteht, die für Theater-Vorsteher und Theater-Kassen das Empfindlichste seyn wird.97

Ganz deutlich sprach sich Gubitz für das Recht auf ein „öffentliches Urtheil“ aus. Die Theaterkritiken waren schon Teil einer medialen Praxis geworden und deren Rezeption wurde von den Theaterbesuchern als ihr gutes Recht betrachtet. Die Einschränkung dieses öffentlichen Meinungsaustausches musste unweigerlich die gesamte kulturelle Praxis des Theaterbesuchs beeinträchtigen. Gubitz eröffnete in Richtung Brühl, jedes Theater hätte seinen untadeligen Ruf zu verlieren, wenn das öffentliche Urteil umgangen würde, und stellte unterschwellig das Königstädtische Theater, das sich angeblich der öffentlichen Kritik frank und frei stellen würde, als Ideal einer öffentlichen Anstalt dar. Obgleich er doch zu den engeren Vertrauten des Königstädtischen Theater gehörte, musste ihm wohl entgangen sein, dass die Königstädtische Theater-Direktion alles daran gesetzt hatte, die Verordnung auch auf das eigene Theater erstrecken zu lassen.98 Zum Ende seines Artikels machte Gubitz nochmals ganz deutlich, dass es sich bei dem Verbot der ‚Schnell-Kritik‘ um einen Gegenstand von allgemeinem Interesse handele, der den berechtigten Anspruch aller Berliner an öffentlichem Meinungsaustausch beträfe und adressierte unverhohlen an Brühl die Empfehlung der Zurücknahme des Verbots: Nach allem Gesagten habe nicht ich, als Herausgeber einer Zeitschrift, die Hinderung der besprochenen Maaßregel zu wünschen, ich glaube vielmehr, ein solcher Wunsch müsse denjenigen kommen, die anfangs ihr Heil in der an sich unbedeutenden Beschränkung zu finden hofften. Dies ist meine Ansicht, die ich zum Vortheil der Sache, nur deshalb hier entwickelt habe, weil der Gegenstand viele Berliner interessirt und interessiren muß als eine, wenn auch geringe Beeinträchtigung der Freiheit, die jedes Kunstwerk, für welches ein Preis bestimmt ist, den man zahlen muß, auch sogleich dem allgemeinen Urtheil unterwirft. Daß dies in ethischen Grenzen bleibt, ist das Geschäft der Censur, die der Mann von Ehre nicht sehr in Thätigkeit setzen wird, wenn die anständige Rüge gestattet ist; während ein Auflehnen gegen unnützen Zwang, in jeder Form, die dazu dient, ihm immer noch eine erlaubte That seyn darf.99

Obgleich nur wenige Spuren des Presseechos auf das Verbot der Premieren-Kritik tatsächlich gedruckt wurden –Brühl nahm lediglich auf einen Artikel in der Berliner Estafette und dem Conversationsblatt Bezug –, musste ihn der aufrührerische und auch drohende Diskurs des literarischen Berlins sehr wohl erreicht haben. In seinem Schreiben vom 22. Januar 1828 beharrte Brühl nochmals tapfer auf die seiner Meinung nach verheerende Wirkung der Theaterpublizistik auf die ungebildeten Schichten und „wie oft eine einzige erhobene Stimme zumal bei neu erscheinenden Werken, deren Verfasser sich noch keinen großen literarischen Namen gemacht, die Menge leitet, welche fast 97 98 99

GStA, I HA, Rep. 77, Tit. 1000, Nr. 1, Bl. 72, Zensur-Probedruck von Der Gesellschafter, Nr. 9, 12. Januar 1828, mit Strichen des Zensors Jacobi. Vgl. oben, 162f. GStA, I HA, Rep. 77, Tit. 1000, Nr. 1, Bl. 72, Zensur-Probedruck von Der Gesellschafter, Nr. 9, 12. Januar 1828, mit Strichen des Zensors Jacobi.

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nie nach eigener Ansicht urtheilt.“ Dies würde vor allen Dingen das Gros der literarisch eher unbeleckten, d.h. nicht selbständig urteilsfähigen, aber Geld bringenden Theaterbesucher betreffen.101 Doch Brühl musste einsehen, dass die öffentliche Meinung tatsächlich einen Stellenwert in der medialen Landschaft Berlins erreicht hatte, den er nicht übergehen konnte, und so ruderte er gegenüber dem Innenminister zurück: Da indeß gegenwärtig die Kritik überhaupt einen so beherrschenden Standpunkt in der politischen Welt angenommen, so bin ich weit entfernt allzuviele Vorrechte für das mir untergebene Kunst-Institut zu fordern. Aus diesem Grunde bitte ich Ew. Excellenz ganz gehorsamst, die ergangene Verfügung nur in so fern bestehen zu lassen, als sie die Zeitungen und die täglich erscheinenden Flugblätter, wie Courier und Estaffette, betrifft; bei allen übrigen hier erscheinenden Journalen aber, als: „Gesellschafter, Conversationsblatt“, u.s.w. welche ohnehin, so viel mir bekannt, nicht unbedingt alltäglich erscheinen, ersuche ich Ew. Excellenz ganz gehorsamst, das Verbot nicht eintreten zu lassen, oder, wenn dies bereits geschehen seyn sollte, hernach geneigtest abändern lassen zu wollen.102

Die Abwehrstrategie sollte sich auf Saphir und dessen Antipode Estafette beschränken. Brühl hatte realisiert, dass er die Zeitschriften an sich für sein Theater brauchte und nutzen musste. So scheint diese „gehorsamste Bitte“ der Rücknahme wie eine direkte Antwort auf die – obgleich zensierte und nicht veröffentlichte – Drohung von Kuhn im Freimüthigen, das Königliche Theater im publizistischen Niemandsland verdämmern zu lassen. Der Innenminister beließ es jedoch zunächst beim allgemeinen Verbot. Die Erkenntnis der notwendigen Vernetzung des Theaters mit den Medien hatte Brühls Nachfolger Graf von Redern103 schon bald nach Brühls Abgang (1828) noch einen Schritt weitergeführt. Er stellte am 3. August 1830 den Antrag104, die Verordnung bezüglich des Rezensionsverbotes vor der dritten Aufführung komplett aufzuheben. Am 24. August 1830 wurde dem vom Innenminister stattgegeben.105 Zu diesem Zeitpunkt war Moritz Saphir schon aus Berlin ausgewiesen worden106 und versuchte sein Glück im ‚liberalen‘ Bayern. Obgleich Die Berliner Schnellpost und Der 100

GStA, I HA, Rep. 77, Tit. 1000, Nr. 1, Bl. 80, Brühl an den Innenminister, 22. Januar 1828. Vgl. Brühl, ebd.: „Der geldbringende Theil des Publikums ist gewiß nicht der literarische und selbsturtheilende, sondern kömmt aus der Masse der wohlhabenden Kaufleute, Handwerker pp. welche sich mit Kunst wenig oder gar nicht abgeben.“ 102 Ebd. Hervorhebung im Original. 103 Friedrich Wilhelm von Redern war von 1828 bis 1842 Generalintendant der Königlichen Bühnen in Berlin. 104 GStA, I HA, Rep. 77, Tit. 1000, Nr. 1, Bl. 89, General-Intendant an den Innenminister, 3. August 1830. 105 GStA, I HA, Rep. 77, Tit. 1000, Nr. 1, Bl. 92, Innenminister an den Ober-Präsidenten von Basswitz und an den General-Intendanten von Redern, 24. August 1830. 106 Der Grund war folgende Veröffentlichung im Berliner Courier, Nr. 836, vom 14. November 1829: „Bekäme doch auch Preußen bald Preßfreiheit! Wir sind überzeugt, daß, wenn dieser Staat, der am wenigsten von dieser Freiheit zu befürchten hat, das Signal dazu gäbe, alle übrigen europäischen 101

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Berliner Courier seinen Weggang nur kurz überlebten, so hat Saphir doch eine wesentlich umgestaltete Medienlandschaft in Berlin hinterlassen. Jetzt war der Weg frei für eine umfassende und aktuelle Kritik aller Bühnen Berlins. D e r S t r e i t u m e i n S t ü c k Ö f f e n t l i c h k e i t . Die geschilderten Auseinandersetzungen im Umfeld der Berliner Theater und Zeitungen lassen sich auf drei wesentliche Grundkonflikte zurückführen. Zum einen ging es prinzipiell um die Frage der Pressefreiheit. Was durfte in den Zeitungen berichtet werden, was durfte überhaupt an die Öffentlichkeit gelangen? Und – welche Regeln sollten die Akteure der Öffentlichkeit einhalten, um der Medienpolitik Preußens nicht entgegen zu arbeiten? Graf von Brühl betrachtete jegliche persönliche öffentliche Kritik sofort als politischen Schlag gegen Staatsbeamte und somit auch gegen den Staat Preußen. Die Veröffentlichung innerer Angelegenheiten und Probleme des königlichen Theaters war in dieser Logik ein Angriff auf die Arkantradition des Absolutismus und musste verhindert bzw. geahndet werden. Zum zweiten ging es darum, welche Funktion öffentliche Kritik überhaupt haben durfte. In der aufklärerischen Tradition sollte die Theaterkritik zur Belehrung und Verbesserung der Theaterkunst dienen, die spitzzüngigen Meinungsäußerungen eines Saphir stellten die höchste Provokation für diese Konzeption von Theaterrezensionen dar. Hier standen sich unversöhnlich die Ideen einer Kritik im Sinne von sittlicher Erziehung und der Anspruch eines zirkulären Medienkonzepts auf orientierenden und polarisierenden Meinungsaustausch gegenüber. Eine dritte Konfliktlinie verlief quer zu den beiden anderen und betraf die Frage, wer denn nun am öffentlichen Diskurs teilnehmen durfte. Wer sollte sich äußern, wen sollten die Informationen und Meinungen erreichen dürfen? Wer durfte den Anspruch erheben, „die Stimme Berlins“, „die Stimme Deutschlands“ zu sein? Sollten es die gebildeten Kulturbürger Berlins, die Literaten und Gelehrten sein? Oder sollten es die Obsthändlerinnen sein, die von Saphir in den Zustand der ‚Urteilsfähigkeit‘ versetzt worden waren? Die Popularität und Reichweite der modern anmutenden Medienformen wie etwa Saphirs Schnellpost und Courier war vielen Zeitgenossen suspekt. Schnell assoziierte man diese Medienentwicklungen mit Bildern des Jakobiner-Terrors als politischen Exzess einer ungebremsten Bildungs- und Öffentlichkeitsrevolution der Volksmassen. Aus der Sicht der Staatsmacht lieferte dies eine Legitimation für eine präventive Zensurpraxis und die strenge Überwachung des öffentlichen Spielraumes. Welches Staaten dem schönen Beispiele folgen würden. Könnte Friedrich Wilhelm III. seinem treuen Volk einen größeren Beweis seines Vertrauens geben, als durch dieses nützliche Geschenk?!“ Obgleich Saphir hier seinen Schüler und Kollegen Eduard Maria Oettinger aus einem Vortrag, den er bei Saphirs Dekamations-Soirée im Königlichen Schauspielhaus gehalten hatte, lediglich zitierte, musste er die Verantwortung für das Geschriebene tragen. In einer Kabinettsorder vom 19. November 1829 entzog ihm der König endgültig die Unterstützung. Die Ausweisung aus Berlin folgte im Dezember des gleichen Jahres. Vgl. hierzu Heinrich Hubert Houben, Der gefesselte Biedermeier, 203f.

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Die Arena der Öffentlichkeit

Ausmaß dies in Bezug auf die konkrete Theaterpraxis hatte, wird im Folgenden anhand des Zensurfalles um das Stück Der alte Student (1828) von Gotthilf August von Maltitz erläutert werden.

4.2

Der Fall Maltitz – Die Grenzen öffentlichen Handelns

Am 4. Januar 1828 kam es in Anwesenheit des Königs107 zum größten Theaterskandal des Königstädtischen Theaters in Berlin.108 Dies war neben dem Königlichen Schauspielhaus die zweite große Theaterbühne des städtischen Kulturlebens. Mit annähernd 1600 Plätzen war das Königstädtische Theater ungefähr gleich groß wie das 1821 von Schinkel erbaute Schauspielhaus. 1824 von einem Theater-Aktien-Verein gegründet wurde dieses Theater in privater Teilhaberschaft verwaltet. Ein Zeichen des Medienumbruchs und einer daraus resultierenden Unsicherheit der preußischen Staatsgewalt mit ernannt wurde. Kunowski übte bis zum Bankrott des Theater-Aktien-Vereins im Jahre 1829 diese Funktion aus. Damit war die Königstädtische Bühne mit den Königlichen Bühnen zensurtechnisch auf eine Ebene gestellt.109 Beide Theater hatten einen eigenen Zensor und mussten nicht die Kontrolle des allgemein zuständigen Polizeizensors durchlaufen. Beim Theaterskandal um das Stück Der alte Student von Gotthilf August von Maltitz kam es für Kunowski zum ‚Inter-Rollen-Konflikt‘. Zum einen hatte er als Zensor offensichtlich dabei versagt, den Theaterskandal zu verhindern, und musste nun mit äußerster Strenge seinen Ruf als Zensor wieder herstellen; zum anderen war er als Teilhaber und Funktionär der Theaterverwaltung für die Vorgänge um die Aufführung mitverantwortlich und musste für die Existenzsicherung des Theaters kämpfen, den Schaden vom Theater als Institution abwenden. Letztlich gelang ihm das Unmögliche: Er stellte sich der folgenden Polizeiuntersuchung als erstes Instrument zur Verfügung und konnte so seine Integrität als Staatsbeamter und Zensor wieder erlangen, und – er erreichte durch 107

Vgl. Allgemeine deutsche Real-Encyklopädie für die gebildeten Stände. Conversations-Lexikon, Bd. 10, Leipzig, 101853, 139. Dort wird der Vorfall wie folgt geschildert: „In seinem [Maltitz] dramatischen Versuche ‚Der alte Student‘ sprach er seine Theilname für Polen deutlicher aus, als es die Censur zugestand. Als er dennoch die Schauspieler der königstädtischen Bühne überredete, die gestrichenen Stellen bei der ersten Darstellung, welcher der König selbst beiwohnte, mitzusprechen, mußte er auf Cabinetsbefehl Berlin sofort verlassen und begab sich nun 1828 nach Hamburg.“ 108 Zur Geschichte des Königstädtischen Theaters vgl. Ruth Freydank, Theater in Berlin, 222–235; vgl. auch Willi Eylitz, Das Königstädtische Theater in Berlin, Univ.-Diss. Rostock 1940, Typoskript, Theatersammlung, Stadtmuseum Berlin (vormals Märkisches Museum). 109 Friedrich Cerf versuchte nach 1829 selbst Zensor zu werden, dies wurde jedoch abgelehnt mit Hinweis auf seine mangelnde wissenschaftliche Bildung, vgl. GStA, I HA, Rep. 77, tit 420, Nr. 7, Bd.1, Bl. 260, Abschlägiger Bescheid des Innenministeriums an Cerf, 11. Oktober 1829: „Die Censur kann immer nur einem Mann übertragen werden, dessen Geschäfts-Erfahrung und wissenschaftliche Bildung ein solches Vertrauen genügend rechtfertigen.“

Der Fall Maltitz

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eine konsequente Abwälzung der Schuld auf den dramatischen Autor von Maltitz die Entlastung der Theaterakteure und der Theaterleitung. Er war jedoch nur noch für kurze Zeit als Theaterzensor tätig: Der Theater-Aktien-Verein ging im Jahre 1829 Bankrott, die Theaterleitung fiel dem Konzessionshalter Friedrich Cerf zu und die Theaterzensur ging zurück in die Zuständigkeit des Polizeipräsidiums von Berlin in der Person des Geheimen Hofrats Dr. Karl Ernst John. In der Folge kam es zu einer Verschärfung der Theaterzensur-Praxis. Man kann davon ausgehen, dass die Causa Maltitz ihren Teil zu dieser Entwicklung beigetragen hat, die Ereignisse und politischen Turbulenzen der Juli-Revolution von 1830 taten ihr übriges. Nach dem Bankrott setzte der König alles daran, das Königstädtische Theater unter seine Kontrolle zu bringen.110 Mithilfe des Konzessionsinhabers Friedrich Cerf als Strohmann, gelang es, das Theater 1829 in den Besitz der Krone zu übernehmen. Es erging allerdings der Befehl der strengsten Geheimhaltung über die neuen Besitzverhältnisse, das Königstädtische Theater galt weiterhin als Privattheater unter der Direktion und im Besitz von Friedrich Cerf.111 Diese verschleierte Finanzkonstruktion hatte ungeheure Kosten zur Folge, das Theater musste ständig weiter subventioniert werden und zog eine komplizierte doppelte – geheime und öffentliche – Haushaltsführung nach sich. Es kursierten immer wieder Gerüchte über das Verhältnis der Krone zum Königstädtischen Theater. So schrieb etwa die Hamburg Zeitung am 2. September 1834: [Es] geht aus allen Umständen und namentlich auch aus der Thatsache, daß die Schauspieler dieses sekundären Theaters auch Vorstellungen im Königl. Schauspielhause zu Potsdam geben, deutlich hervor, daß dieses Institut aufgehört hat, ein Privat-Unternehmen zu seyn, viel mehr in höhern Schutz genommen worden ist. 112

In den Unterlagen des Hausministeriums zum Kassenbericht des Königstädtischen Theaters befindet sich eine Abschrift dieses Zeitungsberichtes – das Königshaus verfolgte aufmerksam die öffentlichen Äußerungen zur Lage des Königstädtischen Theaters, die rasch zu einem Politikum werden konnten. Trotz dieser Mutmaßungen gelang es sehr lange, das königliche Geheimnis zu wahren; bis in die jüngere Zeit stellte die Theatergeschichte das Königstädtische Theater als reine Privatunternehmung dar. Erst die Studie von Willi Eylitz 1940 lieferte den Beweis für die finanzielle Abhängigkeit des Thea110

Bereits 1825 hatte es detaillierte Geheimpläne des Grafen von Brühl gegeben wegen einer Übernahme des Königstädtischen Theaters durch Aktienmehrheit. Vgl. GStA, I. HA, Rep. 100, Ministerium des Königlichen Hauses, Nr. 1124/2, Bl. 3–5, Graf von Brühl an Fürst zu Wittgenstein, o. d. 111 Auch Eduard Devrient geht in seiner Reformschrift von 1849 noch davon aus, dass sich das Königstädtische Theater im Privatbesitz befindet und drückt die Notwendigkeit aus, es in königlichen Besitz zu bringen. Vgl. Eduard Devrient, Das Nationaltheater, 65, Anmerkung: „Auf welche Weise das Königstädter Theater gänzlich in Besitz der Krone und so der Regierung zu bringen wäre, muß Gegenstand abgesonderter Erörterung bleiben.“ 112 Geheimes Preußisches Staatsarchiv, I. HA Rep. 100 Ministerium des Königlichen Hauses, Nr. 1124/4, Acten der vorm. Königstädter Theater Direction, conf. Acta. F. 36 S I. Auseinandersetzung mit der Familie Cerf, No. 2631, 1856, o. Bl., Zeitungsartikel aus der Hamburg Zeitung, Nr. 210, 2. September 1834.

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ters vom Krontresor. Das Manuskript wurde jedoch nicht veröffentlicht, so dass diese Forschung erst in den 1980er Jahren im Rahmen von Archivrecherchen wahrgenommen wurde.113

Abb. 2: Königstädtisches Theater, ca. 1830

Warum nun diese Geheimhaltung? Der König hatte zuallererst ein Interesse an der Erhaltung des Königstädtischen Theaters. Die seit 1816 virulent gewordenen kulturpolitischen Debatten über Sinn und Unsinn eines zweiten Theaters für Berlin waren bereits zum Stadtgespräch geworden.114 Mit der Konzessionserteilung hatte das Königshaus 1822 eine kulturpolitische Entscheidung getroffen; das Königstädtische Theater gehörte zur Kulturlandschaft Berlins und damit kam man dem großen Vorbild der während des Kongresses 1815 so glänzend erschienenen Residenzstadt Wien, die sich mit ihren Vor-

113

Ruth Freydank gibt an, Willi Eylitz habe seine Dissertation 1940 publiziert, (vgl. Ruth Freydank, Theater in Berlin, 223), jüngere Forschungen – nach der Wende 1990 konnten bisher verschlossene Akten konsultiert werden – haben jedoch ergeben, dass Willi Eylitz das Promotionsverfahren nicht mit der Veröffentlichung der Dissertation abgeschlossen hat. Das Typoskript der Dissertation ist seit den 1980er in der Theatersammlung des Stadtmuseum Berlin einsehbar. 114 Für einen Überblick über diese Debatte vgl. Willi Eylitz, Das Königstädtische Theater, 29–39.

Der Fall Maltitz

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stadt-Theatern die lebendigste Theaterlandschaft des deutschsprachigen Raumes geschaffen hatte, ein kleines Stückchen näher. Man kann weiter davon ausgehen, dass eine Veröffentlichung der Besitzverhältnisse auch zu Auseinandersetzungen mit dem königlichen Theaterintendant Graf von Brühl geführt hätte, der von Anfang an das Projekt eines zweiten Theaters für Berlin aus Angst vor einer verschärften Konkurrenzsituation vehement bekämpft hatte und in einem Gegenvorschlag eine zweite Sprechbühne unter dem Dach der Königlichen Schauspiele und somit in seinem Einflussbereich visioniert hatte. Stattdessen wurde ein bürgerliches Theater in der Vorstadt Königstadt konzessioniert, welches im Bewusstsein der Berliner als Gegenentwurf zu den königlichen Bühnen fungierte. Es schien, als gäbe es doch ein bürgerliches Stück ‚Theaterfreiheit‘ jenseits der königlichen Bühnen. Die Verbundenheit der Bürger mit ‚ihrem Theater‘ drückte Willibald Alexis in seinen Memoiren aus. Dort schrieb er rückblickend: Ein unsichtbares Band, ein stiller Bund war zwischen allen geschlungen, welche die Königstadt besuchten. Es waren nicht nur junge, es waren Männer in Jahren und Ehren darunter, es war unser Klub, unser Meeting, eine literarische Börse. Man war identifiziert mit der moralischen Person des Theaters. Man trauerte, wenn die Bänke leer waren, man blickte sich vergnügt an, man schüttelte sich die Hand, wenn das Haus voll war, wie zu einem Familienereigniß. 115

Das Königstädtische Theater wurde als bürgerliche Kulturinstitution begriffen und gepflegt. Was in Wien mit den Vorstadttheatern allgemeine Theaterrealität war, das blieb in Berlin nach 1829 jedoch Staffage. Nach dem Skandal um Den alten Studenten, setzte sich das Bestreben des Hofes durch, dieses Theater unter finanzielle und verwaltungstechnische Kontrolle zu halten. Eine weitere Begründung für die besondere Beziehung des Königshauses zur Königstädtischen Bühne liegt in der starken Protektion durch den einflussreichen Minister des königlichen Hauses, Fürst von Wittgenstein, der insbesondere in Opposition zu Graf von Brühl das Königstädtische Theater immer zu stützen suchte. Friedrich Cerf soll in den Befreiungskriegen unter Graf Wittgenstein, einem entfernten Verwandten des Fürsten von Wittgenstein, der russischen Armee als Spion gedient und daher die besondere Gewogenheit des preußischen Königs erworben haben.116 Das kulturpolitisch undurchsichtige Taktieren Friedrich Wilhelm III. befeuerte solche Gerüchte. Dies scheint aber weit her gegriffen, da sicher auch mit anderen Mitteln als einer umfassenden Theatersubvention eine Entlohnung der Dienste hätte erfolgen können, zumal Friedrich Cerf kein originäres Interesse am Theater hatte. Mit der Konzession für das Königstädtische Theater wurde er erstmals im Theaterbereich tätig. Die genauere Analyse der Verwaltungs- und Finanzgeschichte des Isarthor-Theaters (1812–1825) in München weist verblüffende Parallelen auf mit der unklaren Stellung 115

Willibald Alexis, Erinnerungen, hg. von Max Ewert, Berlin 1905, 374, zitiert nach Ruth Freydank, Theater in Berlin, 233. 116 Vgl. Willi Eylitz, Das Königstädtische Theater, 45.

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Die Arena der Öffentlichkeit

des Königstädtischen Theaters zwischen privater Unternehmung und staatlicher Förderung.117 Hier wie dort gelang es nicht, das Haus auf Aktien dauerhaft zu etablieren – die Staatskasse musste einspringen. So könnte man fast von einer typischen Geschichte des ‚mühsamen Pfades‘ zum Theater als öffentliche Institution und bürgerliche Alternative zum Hoftheater sprechen. In München sprach der Hoftheater-Intendanzrat Joseph Stich die schiere Unmöglichkeit einer staatlichen Subvention für Volkstheater mit den Worten aus: „Mir wenigstens ist kein Staat bekannt, wo die Volksbühnen zu den Bildungs-Anstalten gehören, oder als Hof- und National Institute verwaltet werden.“118 Kein anderer Staat als Bayern müsste Stich eigentlich sagen, denn zu diesem Zeitpunkt war das Isarthor-Theater genau das – ein Hoftheater. Stich bettete seinen Satz in eine elitäre und höchst absprechende Generalkritik an den Volksbühnen und meinte damit im Klartext, dass Bayerns Förderung des Isarthor-Theaters einen dramatischen kulturpolitischen Irrweg darstellte, vor allen Dingen, wenn man das Hof- und Nationaltheater im Sinne der aufklärerischen Tradition als alleinige Bildungsinstitution begreifen würde. Dies gibt einen wichtigen Hinweis auch auf die Geheimhaltung der königlichen Förderung des Königstädtischen Theaters in Berlin: Man kann vermuten, dass auch der preußische Staat der Diskussion um die kulturpolitische Legitimation des Volkstheaters vorbauen wollte. Im Sinne Stichs als Vertreter einer bildungsbürgerlichen Öffentlichkeit wäre es für den preußischen König schlichtweg peinlich gewesen, der Besitzer eines so niederen Theaterinstituts zu sein, das für den gemeinen Volksgeschmack gerade gut genug war. Die beharrliche, wenn auch geheime Förderung des Königstädtischen Theaters durch den Krontresor spricht allerdings von einem erweiterten Kulturbegriff des Königs, der eben auch Volkstheater und bürgerliches Theater einbegreifen konnte. Ein besonderes Interesse des Königshauses am Königstädtischen Theater bestand, daran gibt es keinen Zweifel. Und so war es auch nicht verwunderlich, dass der König sofort nach der skandalösen Aufführung am 4. Januar 1828 über die Vorgänge und den Stand der Ermittlungen informiert werden wollte. Bereits am 6. Januar erging ein Schreiben des Innenministers von Schuckmann an das Polizeipräsidium, indem der Vorfall zur ‚Chefsache‘ erklärt wurde: Der Justizrath Kunowski wird Erm. Hochwohlgeboren eine Anzeige über das Theaterstück des von Maltitz „Der alte Student“ mit dem Manuskripte deßelben vorlegen. Da dieses Stück die Aufmerksamkeit Sn. Majestät erregt hat, so veranlaße ich, Ihrem Hochwohlgeboren, nun diese Anzeige, sobald sie eingeht, vorzulegen und über das Weitere in der Sache mit mir Rücksprache zu nehmen.119

117

Zur Verwaltungs- und Finanzgeschichte des Isarthor-Theaters vgl. Kap. 5.2, 251–281. BayHStA München, MF 55860, Theater am Isarthore, 1818–1820, Votum des HoftheaterIntendanzrats Stich, 22. Juni 1820. 119 Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 30-5, Nr. Th 357, Bl. 1, Innenminister von Schuckmann an das Polizeipräsidium, 6. Januar 1828.

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Der Fall Maltitz

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Der König erkundigte sich wenig später beim Polizeipräsidenten Ludwig von Esebeck persönlich, worauf dieser den mit der Sache befassten Polizeideputierten, den Geheimen Regierungs-Rat Grano, schriftlich zur Eile antrieb.120 Ohne Veranlassung, denn Grano arbeitete effektiv und zügig, bereits am 12. Januar 1828 begannen die umfangreichen Vernehmungen. Alle beteiligten Akteure wurden vorgeladen, die mutmaßlichen Hauptschuldigen mehrfach und schließlich auch in einer intensiv geführten Gegenüberstellung vernommen. Schon am 2. Februar 1828 schloss der Polizeipräsident den Fall ab mit einem Abschlussbericht an das Innenministerium, in dem er eine Geldstrafe für den Autor Maltitz und die Ausweisung aus Preußen sowie einen strengen Verweis an den Schauspieler Ludwig Meyer forderte. In beiden Fällen folgte das Innenministerium dem Bericht. Wie genau kam es zu einer Skandalierung der Theateraufführung, des Stückes und seines Autoren? Der Vorfall ist als konkrete Praxis von Öffentlichkeitspolitik in der spezifischen historischen Situation zu betrachten. Es ging dort um den Schlagabtausch zwischen einem Öffentlichkeit suchenden Dramatiker und Publizisten, dem Theater als öffentlichem Medium mit dessen institutionellen Vertretern und einer preußischen Staatsmacht, die ihr Monopol auf Öffentlichkeit verteidigen musste und ihre Machtfülle darüber hinaus aus der Geheimhaltung ihres politischen Tuns gewann. Maltitz hatte das Stück zunächst dem Königlichen Schauspielhaus zur Aufführung angeboten und es war auf dessen vierteljährlicher Repertoire-Liste vom 1. September 1827 verzeichnet, was dem königlichen Theater das Aufführungsprivileg gegenüber dem Königstädtischen Theater sicherte. Gleichzeitig hatte er von der staatlichen Druckzensur das Imprimatur für sein Stück erreicht. Da das Stück nach Angabe des Grafen von Brühl „aus Mangel an Zeit“121 nicht aufgeführt werden konnte, versuchte sich Maltitz beim Königstädtischen Theater. Dort stand die Aufführung in Aussicht, wenn er trotz des Repertoire-Privilegs des Hoftheaters die ausnahmsweise Genehmigung der Hoftheater-Intendanz erlangen könne.122 Damit sah sich Kunowski bei der Einreichung des Stücks zur Zensurierung folgendem Sachverhalt gegenüber: a) das Stück war zur Aufführung bei der königlichen Bühne vorgesehen gewesen, wäre es zur Aufführung dort gekommen, so hätte dies für Preußen die weitere Zensurfreiheit des Stückes bedeutet, b) das Imprimatur war erteilt. Somit konnte er nur schließen, dass Der alte Student von mehreren staatlichen Behörden als ‚unverfänglich‘ eingestuft worden war. Dennoch veranlasste er einige Striche, hatte jedoch keine grundsätzlichen politischen Bedenken und erteilte das Admittitur. 120

Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 30-5, Nr. Th 357, Bl. 26, Polizeipräsident von Esebeck an Grano, 13. Januar 1828. Grano notierte sodann dienstbeflissen auf eben diesen Brief: „Sofort unter Beifügung der Anlagen beantwortet und damit ausgewiesen daß ich die Sache äußerst beschleunige […]“ 121 Vgl. Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 30-5, Nr. Th 357, Graf von Brühl btr. die Abtretung des Stückes an das Königstädtische Theater, 28. November 1827. 122 Dies erreichte von Maltitz mit dem erwähnten Brief des Grafen von Brühl vom 28. November 1827.

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Die Arena der Öffentlichkeit

Nach dem Skandal erörterte Kunowski diesen Sachverhalt sehr ausführlich und implizierte, Maltitz hätte ihn mit der Vorlage der staatlichen Druckgenehmigung (Imprimatur) beeinflussen wollen.123 Es wäre ihm nur darum gegangen, eine weniger strenge Einschätzung des Stückes zu erreichen, was ja auch genau bei ihm, Kunowski, Erfolg gehabt habe. Damit unterstellte er Maltitz einen böswilligen Plan und versuchte gleichzeitig seine eigene Fehleinschätzung des Stückes zu rechtfertigen. Nach dem erteilten Admittitur wurden die Rollen ausgeschrieben und die Leseprobe begann. Nun ergibt sich aus dem Bericht Kunowskis an das Polizeipräsidium124 und auch aus dem Abschlussbericht des Polizeideputierten125 nach den Vernehmungen, dass Maltitz schon während der Leseprobe versucht hatte, einige Streichungen Kunowskis wieder rückgängig zu machen und Hinzufügungen zu erreichen. Maltitz hatte hier, so der Bericht Kunowskis126, gegenüber den Schauspielern argumentiert, dass die jetzt gestrichenen Stellen von der staatlichen Druckzensur nicht beanstandet worden wären und letzteres Imprimatur höher zu bewerten wäre. Dies betraf insbesondere Stellen, welche die Verehrung für Napoleon ausdrückten und die faktische Zerschlagung Polens durch Russland und Preußen indirekt kritisierten oder zumindest bedauerten. So ließ Maltitz seine Hauptfigur, den polnischen Studenten Solzy, einen Monolog auf Polnisch beginnen, dann in die deutsche Sprache umschwenken mit dem Satz: „Es gibt für Dich kein Polen mehr, drum spreche deutsch.“127 Davon abgesehen, dass die gesamte Stelle von Kunowski gestrichen worden war, lässt sich dieser Satz noch biographisch auf die Hauptfigur beziehen. Die von Maltitz veranlasste Auslassung der Worte „für Dich“ führte dagegen zu einer deutlich allgemeineren und dadurch politischen Aussage: „Es gibt kein Polen mehr, drum spreche deutsch.“ Die politische und moralische Solidarität mit Polen als Nationalstaat, der zwischen den Großmächten Russland und Preußen auf dem Wiener Kongress 1815 aufgeteilt worden war, war eines der großen Themen des politisch-literarischen Vormärz. Schon drei Jahre zuvor hatte das Königstädtische Theater deshalb Probleme mit der Polizeibehörde bekommen, weil es Karl von Holteis Stück Der alte Feldherr (1825) aufgeführt hatte, das nicht nur den polnischen General Tadeusz Kosciuszko idealisierte, sondern auch Napoleon als neuen Feldherrn in Polen positiv ins Bild brachte. Heinrich Hubert 123

Vgl. Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 30-5, Nr. Th 357, Bl. 10, Species Facti, Bericht Kunowskis, o.D. (wahrscheinlich 9. Januar 1828, da ein beigeordneter Brief Kunowskis dieses Datum trägt). 124 Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 30-5, Nr. Th 357, Bl. 12, Species Facti, Bericht Kunowskis, o.D., ca. 9. Januar 1828. 125 Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 30-5, Nr. Th. 357, Bl. 79, Abschlussbericht des Polizeipräsidiums, 2. Februar 1828. 126 Vgl. Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 30-5, Nr. Th 357, Bl. 12, Species Facti, Bericht Kunowskis, o.D., ca. 9. Januar 1828. 127 Gotthilf August von Maltitz, Der alte Student. Eine dramatische Kleinigkeit in zwei Akten, Hamburg 1828, 57. Die Stelle lautet hier: „Wiellst Du wohll niecht polnisch sprechgen. Kannst Du Dir das niecht abgewöhnen. Es giebbt für Diech kein Pollen mehrr; druhm sprechge deutsch!“ Maltitz benutzte absichtlich falsche Orthographie, um einen polnischen Akzent zu imitieren.

Der Fall Maltitz

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Houben berichtet anekdotisch, aber doch seriös, von der Auseinandersetzung um das Holteische Stück.128 Er schreibt, Holtei hätte sich vom preußischen König direkt der Erlaubnis für ein „würdiges Auftreten“ Napoleons auf der Bühne versichert. Da der kurze Auftritt Napoleons am Schluss des Stückes starken Beifall hervorgerufen hatte, so war die Polizei mit einem Verbot weiterer Aufführungen eingeschritten. Da Holtei aber die königliche Erlaubnis vorweisen konnte, wurde das Stück wiederum aufgeführt. Bei der dritten Aufführung kam es jedoch zum Eklat: „Das Polizeiverbot war natürlich bekannt geworden, jetzt spitzte das Publikum scharf die Ohren und faßte nun erst in Gegenwart des Königs die politischen Anklänge des Liederspiels mit lautem Beifall auf.“129 Daraufhin folgte das endgültige Verbot. Houben vermerkt weiter, dass erstaunlicherweise die generell polenfreundliche Tendenz und Idealisierung des Polen-Generals an dieser Stelle nicht geahndet worden wäre, sondern ausschließlich die Wirkung der Napoleon-Figur.130 Im Maltitz-Fall hingegen wurde gerade die allgemeine Polen-Tendenz als politisch gefährlich eingestuft. D e r S k a n d a l d e s Ö f f e n t l i c h e n . Der eigentliche Theaterskandal um Maltitz wurde jedoch entlang des kritischen Verhältnisses des Preußischen Staates zur öffentlichen Meinungsbildung dekliniert. So ging es zum einen um die gefährliche Radikalität der öffentlichen Aufführungssituation Theater, die zu leicht einer Kontrolle entweichen könnte und daher deutlich eingehegt werden musste. Zum anderen ging es um die Person des Publizisten und Autors Maltitz, der sich mit seinem Hang zu öffentlichen Auftritten und Reden schon längst verdächtig gemacht hatte. Und zum dritten ging es um die Verbindung des Stückes zu einer Gruppe der bürgerlichen Gesellschaft, die massiv in die Öffentlichkeit strebte und ihre Freiheitsrechte einforderte: die Studenten. Das Theater als öffentliche Performance hat politisches Potential; das wurde dem Zensor Kunowski und den Polizeistellen schlagartig bewusst. Kunowski, der an diesem Abend erst zum Schluss der Aufführung ins Theater gekommen war, schilderte die skandalöse Schlussszene in seinem Bericht folgendermaßen: Im Corridor des Theaters begegneten mir einige Freunde, welche mir mitheilten, daß die Darstellung durch mehrere auf Russlands Vergangenheit und Schicksal sehr scharf hindeutende Stellen eine politische Tendenz ausspräche welche missfällig aufgenommen werden könne. Ich erwiderte darauf, daß ich mir das gar nicht erklären vermöge, da ich überzeugt sei, nichts wirklich Anstößiges stehen gelassen zu haben; ich könnte mir daher einen solchen Eindruck nur dadurch erklären, daß die auf die Jugendgeschichte des Solky Bezug habende Stellen beim Recitiren zu arg und zu absichtlich herausgehoben seien. Ich eilte indeß in meine Loge, um das Ende des Stücks anzuhören. Kaum hatte ich Platz genommen als mir schon eine Stelle auffiel, welche ich geändert zu haben, mich deutlich erinnerte. Solky sagte nemlich /:Akt 2, Scene 5:/ in Beziehung auf ein Kreuz der Ehrenlegion, „ja, ein großer Kaiser hing es mir einst selbst um“. Hierin indeß meiner Sache noch nicht ganz gewiß, überzeugte mich der Schluß des gan128

Vgl. Heinrich Hubert Houben, Der gefesselte Biedermeier, 257–259. Heinrich Hubert Houben, Der gefesselte Biedermeier, 259. 130 Ebd. 129

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Die Arena der Öffentlichkeit

zen Stückes, namentlich die Stelle: „Gut gesprochen, gut gesprochen, vivat Academia et Polonia“, aufs vollständigste darin, daß Unterschleife und Zusätze vorgefallen seien. Das Publikum hatte den Ausspruch des Biederstein, vivat Academia, [von der Zensur gestrichen worden] welchen Solky wiederholt, als Schluß des Stücks genommen und lebhaft applaudirt. Nach dieser Pause aber trat Solky feierlichst, die Hände wie zum Gebet erhoben, bis an die Lampen vor und rief mit höchstem Affekt; ‚et Polonia‘. Der ungünstige Eindruck dieser Stelle selbst auf das große Publikum war unverkennbar, der Eindruck aber, den sie auf mich machte, ist schwer zu beschreiben. ich begab mich sofort aufs Theater, sicherte das Soufflirbuch und constituirte den Regisseur und den Souffleur.131

Kunowski machte hier deutlich, dass es die Darstellung war, die zu dem Skandal geführt hatte und weniger die textlichen Zusätze. Vor allem die Reaktionen des Publikums waren das erste Signal für die Unerhörtheit des Stückes. Schon im Flur berieten aufgeregte Zuschauer über das Stück, Kunowski selbst sah die Wirkung der Schlussszene, den lebhaften Applaus und nahm den „ungünstigen Eindruck auf das große Publikum“ als Anlass, sofort zu handeln im Sinne der Kontrolle und Staatsmacht. Er resümierte am Ende seines Berichts, zum einen sein Versäumnis rechtfertigend, zum anderen das Potential des Theaters betonend: Allein jeder billige Beurtheiler wird einsehen, daß zwischen dem Eindruck eines unbefangenen Durchlesens und zwischen dem Anhören einer marquirten Darstellung ein großer Unterschied ist, und Vieles uns selbst bei der Darstellung nicht aufgefallen wäre, erst auffällig geworden ist, nachdem die geänderten Stellen mit dem höchsten denkbaren Ausdruck recitirt waren.132

Auch der Abschlussbericht des Polizeipräsidenten nahm diesen Gedanken auf, wenn er das Vergehen gegen die Druckzensur mit dem Verstoß gegen die Theaterzensur verglich. Das Theater müsse scharf kontrolliert werden „denn die Darstellung ergreift unfehlbar weit lebendiger als die bloße Lektüre, und ist also weit gefährlicher als die letzere […]“133 Genau hier lag auch der schwerste Vorwurf an Maltitz: die Politisierung der Darstellung. Er soll mit den Schauspielern einzeln ihre Rollen einstudiert haben und insbesondere den Schauspieler Ludwig Meyer, der die Hauptrolle des Solky spielte, veranlasst haben, besonders viel Ausdruck und Pathos in die umstrittenen Stellen des Stückes zu legen. Meyer wurde hier nur als willfähriges Medium betrachtet und kam mit einer strengen Abmahnung aus dem Verfahren heraus. Perfiderweise soll Maltitz auch mit den Schauspielern die Verabredung getroffen haben, die Textstellen in den Proben möglichst tonlos und unauffällig zu sprechen, damit die Regie keinen Anstoß daran erregen sollte. Meyer verteidigte sich in seiner Vernehmung gegen diesen Vorwurf, in dem er dies als gängige und nötige Schauspiel-Praxis bezeichnete: Bei den Proben zeigt sich kein ausgeführter Theil, man deutet mehrentheils nur an wie etwas gegeben werden soll, und spielt keineswegs mit dem Feuer was eine wirkliche Darstellung er131

Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 30-5, Nr. Th. 357, Bl. 14, Species Facti, Bericht Kunowskis, o. D., ca. 9. Januar 1828. Hervorhebung im Original. 132 Ebd. 133 Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 30-5, Nr. Th. 357, Bl. 79, Abschlussbericht, 2. Februar 1828.

Der Fall Maltitz

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fordert, ich würde sonst durch die Morgenprobe der Darstellung am Abend desselben Tages Eintrag thun.134

Meyer machte hier die Bruchstelle im Kontrollsystem deutlich: wer eine ansprechende Darstellung im Theater wünschte, lief Gefahr, die Kontrolle zu verlieren. Das Risiko, durch die theatrale Darstellung eine politische Agitation des Publikums zu erreichen, wurde umso höher eingeschätzt, je gegenwartsrelevanter die verhandelten Themen waren. Daher galt es, um jeden Preis, aktuelle gesellschaftliche und politische Fragen von der Bühne fernzuhalten. Maltitz wurde vorgeworfen, eigentlich politische Ideen mit einer seichten Liebesintrige verschleiert zu haben, [s]ey aber dem wie es wolle, so hat er in Aufstellung des Polen Solky überhaupt ein politisches Thema für die Bühne bearbeitet, was aus der Geschichte der letzten Vergangenheit entnommen, und deshalb durchaus zu einer dramatischen Darstellung ungeeignet ist. Die in Bezug stehende Geschichte Polens ist zu neu als daß es zuläßig geachtet werden könnte sie als ein diesem Lande widerfahrendes Unglück und als eine Ungerechtigkeit der Politik darzustellen. 135

Maltitz hätte seine Hauptfigur nicht als Polen erscheinen lassen sollen, um die „allgemein ungünstige Sensation“136 zu vermeiden, welche die Darstellung „geschichtlicher Wahrheiten aus neuester Periode“137 erzeugt habe. Es wurde ihm als Literat Verantwortungslosigkeit vorgeworfen, da jedem Dichter besonders aber demjenigen des Dramas, was er öffentlich vorzustellen beabsichtige, die Pflicht obliege in Anführung solcher Begebenheiten, welche aufregende Wirkung haben könnten mit größter Behutsamkeit zu verfahren.138

Maltitz hatte sich offensichtlich erlaubt, Fragen der Zeit in seinem Theaterstück zu verhandeln. Er versuchte, dem Stück eine Gegenwärtigkeit beizugeben, die auch augenscheinlich vom Publikum begrüßt wurde. Doch genau diese theatrale Verhandlung aktueller Geschichte musste von den Preußischen Behörden um jeden Preis verhindert werden, das Theater durfte nicht zum öffentlichen Tribunal werden, zur öffentlichen Debatte über politische Geschehnisse. D i e V e r h i n d e r u n g e i n e r ‚ ö f f e n t l i c h e n P e r s o n‘ . Die ganze Verteidigungsstrategie von Georg Carl Friedrich Kunowski sowie die von ihm übernommene Angriffsstrategie des Polizeipräsidiums beruhten darauf, Maltitz als Person unmöglich zu machen. Kunowski erläuterte, dass sowohl er als auch Graf von Brühl schon bei vorigen Aufführungen seiner Stücke Probleme mit ihm gehabt hätten wegen der Zensur und des Versuchs der Einflussnahme auf die Schauspieler. Maltitz wurde als unbequem, poli134

Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 30-5, Nr. Th. 357, Bl. 18, Vernehmung von Meyer, 12. Januar 1828. Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 30-5, Nr. Th. 357, Bl. 77, Abschlussbericht, 2. Februar 1828. 136 Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 30-5, Nr. Th. 357, Bl. 37–38, Fortgesetzte Vernehmung von Maltitz, 15. Januar 1828. 137 Ebd. 138 Ebd. 135

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Die Arena der Öffentlichkeit

tisch unzuverlässig und hintertrieben dargestellt. So notierte etwa der Polizeideputierte Grano einen Nachsatz zur Vernehmung, Maltitz habe beständig Änderungen des Protokolles verlangt, „so daß mit ihm gar nicht von der Stelle zu kommen war, weshalb auch bei jedem Punkte eingehalten, der Satz ihm vorgelesen und nicht eher fortgefahren worden ist, bis er entweder seine Genehmigung kund gab oder Änderung verlangte, welche sofort verzeichnet worden [sind].“139 Aber eine besonders augenfällige Argumentationslinie betraf das öffentliche Auftreten von Maltitz. An verschiedenen Stellen wurde darauf hingewiesen, dass er an öffentlichen Orten unangemessene Reden gehalten, dass er sozusagen agitiert habe.140 Das Direktoriumsmitglied von Mundt äußerte hierzu bei seiner Vernehmung, er wisse „aus eigener Erfahrung daß H. p. v. Maltitz von seinen Theaterstücken die interessantesten Stellen in Konditoreien vortrage, und schon in dieser Rücksicht habe die Zensur Anlass sehr vorsichtig zu seyn.“141 Die Konditorei als Ort des öffentlichen Vortrages scheint für uns kein Anlass zur Vorsicht. Doch gibt uns Friedrich Saß in seinem zeitgenössischen Bericht Berlin in seiner neuesten Zeit und Entwicklung von 1846 ein anschauliches Bild, indem er dieser ‚Institution von Öffentlichkeit‘ ein ganzes Kapitel widmete. Saß sah in den Konditoreien eine politische ‚Ersatzöffentlichkeit‘ realisiert, die er kritisch als erbärmliches Surrogat einer erwünschten, wirklich freien Öffentlichkeit verstand: Jedes Ereignis, sei es von lokaler oder allgemeiner Bedeutung, erschüttert den Resonanzboden der Berliner Konditoreien. Sie sind freilich nur ein trauriger Notbehelf für eine großartigere, tiefer ausgehende Öffentlichkeit, für die Befreiung von der bürokratischen Bevormundung und der egoistischen Absonderung des Klassenwesens; aber solange kein energischer, gewaltiger Umschwung unsere ganze Gesellschaft und namentlich das versauernde Berlinertum durchschüttelt, solange wird eben diese in dem ausgebildeten Systeme seiner Konditoreien seine volle Befriedigung finden und sich in ihnen auf der höchsten Höhe der Zeitbildung wähnen.142

In den Konditoreien wurde das literarische oder politische Gespräch mit der Zeitungslektüre verbunden, die politische Kultur hatte hier ihre öffentliche Seite. Maltitz bewegte sich offensichtlich in diesen Kreisen, was ihn in den Augen der Obrigkeit zum politischen Risiko machte. Während seiner Studienzeit hatte er regelmäßig dem Heineschen

139

Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 30-5, Nr. Th. 357, Bl. 39, Fortgesetzte Vernehmung von Maltitz, 15. Januar 1828. 140 Doch selbst hier säumte Kunowski nicht, seine politischen Absichten als Charakterschwäche zu denunzieren: „Übrigens bin ich der Meinung, daß allen Manövern des Herrn v. Maltitz keine politische Absicht, sondern nur das eitle Bestreben zum Ausdruck bringt, sich unter den hier bekannten Polen eine gute Anzahl Klatscher für sein Stück zu sichern.“ (Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 30-5, Nr. Th. 357, Bl. 13, Species Facti, Bericht Kunowski, ca. 9. Januar 1828) Ob er damit von Maltitz in politischer Hinsicht etwa entlasten wollte, bleibt unklar. 141 Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 30-5, Nr. Th. 357, Vernehmung von Mundt, Bl. 43, 21. Januar 1828. 142 Friedrich Saß, Berlin in seiner neuesten Zeit und Entwicklung (1846), neu hg. von Detlef Heitkamp. Berlin 1983, 58f.

Der Fall Maltitz

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Zirkel im unweit der Universität gelegenen Café Royal angehört. Erschwerend für die Affäre um Den alten Studenten war daher, dass Maltitz „wegen seiner unbehutsamen Reden bekannt ist und notorisch zur Unterhaltung in öffentlichen Häusern gesichtet wird.“144 Dies konnte nur Maltitz’ regelmäßigen Umgang mit der Konditorei-Kultur betreffen. Schon 1824 war ihm deswegen die Ausweisung angedroht worden, was auch der Abschlussbericht des Polizeipräsidenten vermerkte: Er ist derselbe der schon im Jahre 1824 wegen unbesonnener und höchst unziemlicher Reden und Äußerungen über politische Gegenstände und selbst über höchste Personen an öffentl. Orten, nach dem hohen Ressort vom 10ten Januar gedachten Jahres von hier entfernt werden sollte.145

Dieses Mal konnte er der Ausweisung nicht entgehen, der preußische Innenminister entledigte sich dieser öffentlichen Person. Preußen überwachte ab März 1828146 bis 1831 Maltitz und seine journalistische Tätigkeit in der neuen Heimat Hamburg argwöhnisch und mit zuckenden Machtreflexen.147 S t u d e n t e n u n d Ö f f e n t l i c h k e i t . Typisch für die Auseinandersetzungen um politische Öffentlichkeit und politische Kultur war das Thema der Studenten. Von der einen Seite als frei lebende Bürgerschicht verherrlicht, von der anderen Seite als revolutionäres Potential dämonisiert und gefürchtet. Maltitz setzte das Thema der Studenten bewusst ein, um sein Stück in den Zusammenhang von Freiheitsdiskurs und politischer Mitbestimmung zu setzen. Er machte gegenüber dem Regisseur Louis Angely deutlich, dass der Erfolg des Stückes von der Darstellung des Studenten Solky abhängen würde, und wollte unbedingt den Schauspieler Ludwig Meyer für diese Rolle gewinnen.148 Der Polizeipräsident argumentierte in seinem Abschlussbericht jedoch, dass das Thema ‚Studenten‘ der Fabel unnatürlich aufgesetzt sei, die Hauptfigur auch jeden anderen Beruf ausüben könnte, und Maltitz eben dadurch überführt sei, das Stück durch eine Studentenfigur politisieren zu wollen:

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Vgl. Adolf Strothmann, Heinrich Heine’s Leben und Werke, Bd. 2, Berlin 1869, 127. Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 30-5, Nr. Th 357, Bl. 81, Abschlussbericht, 2. Februar 1828. 145 Ebd. 146 Maltitz musste am 22. März 1828 seine Personenbeschreibung bei der Polizei abgeben, bevor die Ausweisung erfolgte, vgl. Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 030-05, Nr. 357, Bl. 87, Signalement, 22. März 1828. Er muss unmittelbar danach aus Berlin abgereist sein, denn der Polizeisenator erwähnte in einem Schreiben, Maltitz halte sich seit März 1828 in Hamburg auf, vgl. Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 030-05, Nr. 357, Bl. 104, Hamburger Polizeibehörde an das Polizeipräsidium Berlin, 12. November 1829. 147 Noch 1830 suchten die preußischen Behörden Mittel, sein in Hamburg erscheinendes Blatt Der Norddeutsche Courier auch mit diplomatischen Mitteln zu unterdrücken. Vgl. Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 30-5, Nr. Th 357, Bl. 111, Polizeipräsident an den Außenminister, 11. April 1830 und Bl. 112, Antwort des Außenministers, 12. April 1830. 148 Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 30-5, Nr. Th. 357, Bl. 23, Vernehmung von Angely, 12. Januar 1828. 144

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Die Arena der Öffentlichkeit

Der Gekulpat hat nämlich die Rollen des Flachentropf und des Solky zweien Studenten zugetheilt, wenigstens nennt er den letzteren noch so, und beide sind Exstudenten. Er hat dabei irgend eine Absicht gehabt, sonst würde dies als eine unerklärliche Bizarrerie erscheinen, da ihm jede andere Kategorie von Staatsbürgern zu seinem Gedicht eben so brauchbar für diese Rollen war als die eines akademischen Bürgers.149

Beide Aussagen sprechen für eine bewusste Inszenierung und Instrumentalisierung des Studenten als politische Dimension des Stückes. Maltitz stellte das Studentendasein als demokratisches Modell dar. So äußerte sich Biderstein, Solkys akademischer Schwiegervater in spe, dass beim Studium nicht die durch Geburt gegebenen Privilegien entscheiden würden, also nicht der Adel den Ton angeben würde, sondern sich hier der wahre Wert des Menschen zeigen müsse. Der Kernsatz dieser gleichen und freien Gesellschaftsvision war ein Ausspruch des Biderstein am Schluss des Stückes, der die Studenten zu Hoffnungsträgern eines freien Staates machte. Es hieß da: „Möge seine [des Studentenstandes] heilige Freiheit stets unangetastet bleiben, denn sie allein gibt uns Männer im Staate.“150 Mehrere vernommene Personen (Carl Blum, Louis Angely, Carl Seidel, Ludwig Meyer) bestätigten,151 Maltitz habe, bei der Auseinandersetzung um die Streichung dieser Stelle, auf ihre Beibehaltung bestanden, da doch der Studentenstand auch in der Realität immer noch seine Freiheiten hätte. In seinem Abschlussbericht empörte sich das Polizeipräsidium über die öffentliche Äußerung dieser Ansicht folgendermaßen: Unter 28ten v. M. über diese Stelle vernommen bestätigt v. Maltitz daß er es richtig so gemeint habe, die Freiheit /: nicht der Stand:/ des Studenten gebe allein Männer im Staate. Also Freiheit und Gleichheit, und dies auf einem Theater der Residenz welche eine Universität in ihren Mauern hat, deren Bürger wenn sie gleich den Ruf der vorzüglichsten Gesittetheit mit Recht für sich haben, dennoch in ihrem jugendlichen Alter nicht ohne Gefahr zu Aufrechthaltung ihrer Freyheit aufgeregt werden dürfen, und das mit lebendiger Stimme von der Bühne herab! 152

Die Gefährlichkeit der lebendigen Stimme, die öffentlich – von der Bühne herab – zu einer Aktivierung des immer schon verdächtigen Studentenstandes führen konnte, war letztlich ausschlaggebend für Maltitz’ Ausweisung, denn „[e]in solcher Schriftsteller scheint in einer Universitäts Stadt bei der nahen persönlichen Berührung mit akademischen Bürgern nicht anders als gefährlich zu seyn […]“153 Diese Einschätzung des revolutionären Potentials der Studentenschaft war hier nicht falsch. Erwiesen sich doch 20 Jahre später die studentischen Corps als aktivste Revolutionäre, vor allen Dingen in der Wiener Revolution von 1848. Und auch der Zusammenhang von Studentenschaft und theatraler Öffentlichkeit wurde dann zu einer effek149

Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 30-5, Nr. Th. 357, Bl. 80, Abschlussbericht, 2. Februar 1828. Gotthilf August von Maltitz, Der alte Student, 88. 151 Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 30-5, Nr. Th. 357, Bl. 67, Fortgesetzte Gegenüberstellung von Maltitz mit Blum, Angely, Meyer, Seidel, 29. Januar 1828. 152 Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 30-5, Nr. Th. 357, Bl. 81, Abschlussbericht, 2. Februar 1828. 153 Ebd. 150

Der Fall Maltitz

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tiven revolutionären Stimme: Das Theater an der Wien wurde in der Revolutionszeit von 1848 zum Treffpunkt und Aktionsraum der Wiener Studenten.154 D a s ö f f e n t l i c h e G e r i c h t . Wie groß der Abstand der preußischen Obrigkeiten von der ‚vernünftigen‘ Realität einer öffentlichen politischen Kultur entfernt war, und inwiefern dies genau die politischen Reibungspunkte lieferte, an denen sich später die Revolution entzündete, wird ersichtlich aus der Argumentationslinie des Polizeipräsidiums gegen ein richterliches Strafverfahren im Falle Maltitz. Grano und von Esebeck waren sich darin einig, dass ein gerichtliches Verfahren unbedingt vermieden werden sollte. So stellte der Abschlussbericht des Polizeipräsidiums zunächst fest, dass mit dem Stück „Missvergnügen und Unzufriedenheit der Bürger gegen die Regierung“ erregt werden sollte und damit eine Strafverfolgung gemäß des §151 des allgemeinen Landrechts155 (Hochverrat) gerechtfertigt wäre. Jedoch würde der Vorfall dann weitere Kreise in der Öffentlichkeit ziehen, was nicht im Interesse der preußischen Obrigkeit sein könnte: Es bedarf keiner Ausführungen daß das Theater Stück der alte Student hauptsächlich in den Änderungen und Zusätzen das Missvergnügen und Unzufriedenheit der Bürger gegen die Regirung veranlaßen kann, zumal bei einer lebendigen und ergreifenden Darstellung, und solchemnach würde sich der p. v. Maltitz nach § 151 Th. II, tit 20. des allgem. Landrechts zur Kriminal Untersuchung eignen, es scheint indeßen nicht angemeßen in diesem Wege der Sache in den Augen des Publikums ein größeres Gewicht zu geben […]156

Obgleich zu diesem Zeitpunkt in Preußen nur in den Rheinischen Provinzen ein öffentliches Strafverfahren gepflegt wurde157 und in Berlin sowohl richterliche Vernehmungen als auch Verhandlungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit vorgenommen wurden, so stand doch zu befürchten, dass die Aktivitäten in einem Strafprozess gegen Maltitz auf anderen Wegen ein Publikum erreichen würden. Wir müssen daher annehmen, dass sich die Bedenken des Polizeipräsidiums vor allen Dingen auf eine Zeitungsöffentlichkeit bezogenen, wenn er von den „Augen des Publikums“ sprach. 154

Vgl. hierzu ausführlich Kap. 6.2, 340–366. Zum Gesetzestext vgl. PrAL, Teil II, Tit. 20, 678: „§ 151. Wer durch frechen unehrerbietigen Tadel, oder Verspottung der Landesgesetze und Anordnungen im Staate, Missvergnügen und Unzufriedenheit der Bürger gegen die Regierung veranlaßt, der hat Gefängniß oder Festungsstrafe auf sechs Monathe bis zwey Jahre verwirkt.“ 156 Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 30-5, Nr. Th 357, Bl. 78–79, Abschlussbericht, 2. Februar 1828. 157 In Rheinpreußen wurde mit der Kabinettsorder vom 19. November 1818 der Fortbestand der auf französischem Recht beruhenden Öffentlichkeit des Rechtsgangs festgelegt. Bereits ab 1819 begann eine Serie von einschränkenden Verordnungen, die diesen Grundsatz jedoch nicht aufhoben. In Altpreußen wurde erst mit dem „Gesetz betreffend das Verfahren in den bei dem Kammergericht und dem Kriminalgericht zu Berlin zu führenden Untersuchungen“ vom 17. Juli 1846 die öffentliche Hauptverhandlung im Strafprozess eingeführt und mit der Verordnung vom 7. April 1847 auf ein größere Publikum ausgedehnt. Vgl. hierzu Peter-Paul Alber, Die Geschichte der Öffentlichkeit im deutschen Strafverfahren, Berlin 1974.

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Die Arena der Öffentlichkeit

Darüber hinaus befürchtete der Polizeipräsident, dass ein Gericht die erfolgten Vernehmungen der Schauspieler nicht anerkennen würde, und das Verfahren neu aufgerollt werden müsste. Die Verlässlichkeit der Schauspieler als Zeugen wäre dadurch noch weniger gegeben: [B]esonders scheint es Rücksicht zu verdienen, daß nach der Bemerkung des Deputirten seitens der Verhandlung v. 28ten v. M. beinahe sämtl. Schauspieler die hier als Zeugen aufgetreten sind die Absicht den p. v. Maltitz zu schonen unverkennbar zu Tage gelegt haben, woraus die Besorgniß entsteht, daß sie bei einer neuen gerichtlichen Vernehmung vielleicht in Folge fortgesetzter Captation des p. v. Maltitz noch weniger als jetzt mit ihren Erinnerungen des Herganges der Sache heraustreten, und damit das ganze Verfahren vereiteln möchten.158

So wurde hier sogar die Befürchtung ausgesprochen, in einem Gerichtsverfahren könnte Maltitz eventuell einer Bestrafung entgehen, wenn die Schauspieler ihre Aussagen aus Sympathie weiter entschärfen würden. Aus diesen Gründen wurde argumentiert, dass Maltitz nach dem Zensurgesetz verurteilt werden sollte, dessen Ausübung in der Macht der Polizei lag. Maltitz hatte in der Tat die von der staatlichen Zensurstelle genehmigte Textfassung unzulässig erweitert. Allerdings hatte er dies nicht für eine Druckfassung, sondern für eine Theateraufführung getan. Dies war für die Polizeibehörde jedoch kein Hindernis, die Zensurgesetzgebung Drucksachen betreffend anzuwenden, im Gegenteil. Die Hinzufügungen und Unterschleife seien bei einer Theateraufführung weit gefährlicher als der Zensurexzess des gedruckten Wortes, und daher sei „der Grund des Gesetzes also auf [die Darstellung] allerdings paßend, und mit dem fakto des v. Maltitz nur eine Schärfung der gesetzlichen Zensur Verletzungs Strafe vorerwirkt.“159 Maltitz habe demnach die höchste Strafe verdient, welche das Zensurgesetz vorsieht: 100 Taler Geldstrafe und die Konfiskation des Stückes. Hier wandte das Polizeipräsidium wiederum eine Finte an, um das öffentlichkeitswirksame Gerichtsverfahren zu unterbinden: Maltitz erhielt nur eine Strafe von 40 Talern, damit blieb man unter der Grenze des Strafmaßes nach dem laut Polizei-Reglement „die Provocation auf richterliches Gehör“160 begründet war. Für die Entfernung des Delinquenten aus dem öffentlichen Berliner Leben war auch auf andere Weise gesorgt. Da Maltitz mit seinem politisierten Theaterstück nach einer Abmahnung aus dem Jahre 1824 wegen politischer öffentlicher Reden wiederum gegen die öffentliche Ruhe verstoßen hatte, so war es ein Leichtes, 1828 die Ausweisung aus Preußen mittels Kabinettsorder zu erwirken. Der ‚Fall Maltitz‘ wurde nicht vor einem Gericht verhandelt und erhielt auch kein „größeres Gewicht vor den Augen des Publikums“. Es gelang den preußischen Obrigkeiten zunächst, Den alten Studenten nicht zur ‚öffentlichen Sache‘ werden zu lassen. Zusammenfassend möchte ich gerne nochmals an die anfangs gestellten Fragen anknüpfen, um die ‚Arena der Öffentlichkeit‘ in Berlin genauer zu bestimmen. Es ging 158

Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 30-5, Nr. Th 357, Bl. 79, Abschlussbericht, 2. Februar 1828. Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 30-5, Nr. Th 357, Bl. 79–80, Abschlussbericht, 2. Februar 1828. 160 Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 30-5, Nr. Th 357, Bl. 80, Abschlussbericht, 2. Februar 1828.

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Der Fall Maltitz

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darum, eine analytische Scharfstellung auf das jeweils anvisierte theatrale Medium in Bezug auf Öffentlichkeit zu erreichen. Ich stellte die Fragen: 1) welche Funktion das beschriebene Theaterkonzept oder die Theaterinstitution in Bezug auf Öffentlichkeit hatte; 2) welche Akteure den Diskurs im und über das Theater bestimmten; 3) welche Querverbindungen es zu anderen Medien der Öffentlichkeit gab. Die Causa Maltitz hat gezeigt, dass einer der kritischen Punkte in den Verhandlungen das Problem der Thematisierung von aktuellem politischem Geschehen auf der Bühne betraf. Allgemeiner Konsens war, dass das Theater eine hohe Wirksamkeit und ein politisches Aktionspotential besitzt. Für die preußischen Obrigkeiten galt es deswegen, höchste Wachsamkeit und Kontrolle zu üben, während Maltitz das Theater als effektivstes Instrument seiner politischen Agenda nutzen wollte. Dem Theater wurde zudem die Möglichkeit eines hohen medialen Verbreitungsgrades zugesprochen. Eine einzelne Person konnte von der Bühne herab zu hunderten von Menschen sprechen, die message kam an. Obgleich die Presse auch zu diesem Zeitpunkt, 1828, schon eine wesentlich größere mediale Reichweite erzielen konnte, wurde das Theater durch seine Präsenzsituation und „Lebendigkeit der Darstellung“ von den preußischen Obrigkeiten immer noch als die größere öffentliche Gefahr eingestuft. Wir erinnern uns: Der gedruckte „Zensurexzess“ wog nicht so schwer wie das performative Zensurvergehen. Ob dieser medialen Unterschätzung der Zeitungsöffentlichkeit würde Preußen bald eines besseren belehrt werden. Zum einen durch Gotthilf August von Maltitz selbst, dessen Verbannung aus Berlin ihn nicht an der publizistischen Grenzübertretung hinderte – dazu gleich mehr –, zum anderen durch das massive agitatorische Wirken der FlugblattJournaille in der Märzrevolution 1848. D i e m e d i a l e n A k t e u r e . Die Akteure in der Causa Maltitz lassen sich in drei Gruppen einteilen. Zum einen haben wir es mit dem dramatischen Dichter Maltitz und dessen Bezugsgruppe, den Dichtern und Literaten, zu tun. Gleichzeitig wurde Maltitz mit der im Stück und in den Verhandlungen mehrfach thematisierten Bevölkerungsgruppe der Studenten überblendet. Obgleich es konkret nur um Maltitz ging, so schwang doch der Generalverdacht der Polizei gegen die literarischen Publizisten und die mit ihnen verbundenen Akademiker mit und beeinflusste das Handeln der Obrigkeiten. Beiden, Literaten und Studenten, wurde ein großes Bestreben nach öffentlichem Sprechen und Handeln bescheinigt, ihre Gefährlichkeit läge im Potential, die alte Ordnung der Öffentlichkeit zu transformieren. Daher erging an den Dichter der Appell, mit diesem Potential verantwortlich umzugehen, bei der Absicht der Aufführung studentischer Themen „mit größter Behutsamkeit zu verfahren.“161 Zum zweiten ging es um die Theaterakteure. Ihre Aktivität in der Affäre wurde lange nicht als so brisant eingeschätzt, wie man vermuten möchte. Lediglich der Schauspieler Meyer erhielt einen strengen Verweis, aber letztlich nur, weil er Maltitz nicht wider161

Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 30-5, Bl. 37–38, Fortgesetzte Vernehmung von Maltitz, 15. Januar 1828.

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Die Arena der Öffentlichkeit

sprach, als dieser von ihm eine Politisierung der Rolle verlangt hatte. Hier war eine Grundannahme wirksam, dass die Verkörperung der Idee durch den Schauspieler eine eher legitimierte öffentliche Handlung sei, wohingegen die Ansprüche des Dramatikers und Publizisten auf öffentliches Handeln grundsätzlich suspekt erschienen. Vor allen Dingen die Rolle des Publizisten als ‚freier Spieler‘ ließ ihn gefährlich erscheinen. Das öffentliche Auftreten des Schauspielers blieb dagegen immer an den institutionellen Rahmen gebunden, daher genügte ein Verweis, ohne den Schauspieler vollends aus dem Verkehr zu ziehen.162 Georg Carl Friedrich Kunowski stand zwischen den Theaterakteuren und der preußischen Obrigkeit. Er vertrat durchaus den Öffentlichkeitsanspruch des Theaters. So zeugt sein Antrag auf Zensurerteilung vom 28. September 1823 von einer selbstbewussten Haltung gegenüber den involvierten Staatsstellen. Die Konzeption des Königstädtischen Theater als „secundaires Theater“ und „Volkstheater“ sei mit einem besonderen Grad von freier Äußerung verbunden: Wenn einer solchen Bühne ein frisches und reges Leben zu Theil werden soll, so kann unseres Erachtens das nur bei einem gewissen Grade von Freiheit gedeihen. […] Die Beispiele von Paris und Wien sprechen für die Richtigkeit dieser Ansicht und überall sind den VolksTheatern weitere Grenzen für Laune und Witz gesteckt, als den großen und namentlich den Hof-Bühnen. Hierzu kömmt daß Theater von der Klasse des Unsrigen nur in reger Abwechslung, oft in der Benutzung des Moments ihren Vortheil und Gedeihen finden können, daß nicht der beim Verkehr mit einer Censurbehörde oft mehrwöchige Zeitverlust häufig sehr nachtheilig werden muß.163

Gerade „Witz“, „Laune“ und die „Benutzung des Moments“ waren in den Augen der preußischen Behörden äußerst kritische Aspekte von Öffentlichkeit. Kunowki machte hier die spezifische Stellung des Königstädtischen Theaters im öffentlichen Leben auch gegenüber der Hofbühne deutlich. Wenn nun Kunowski nach anfänglichem Zögern des Innenministeriums164 dennoch die Zensur versuchsweise übertragen wurde, so wird 162

1829, also nur ein Jahr nach der Skandalaufführung von Der alte Student, äußerte sich Ludwig Meyer von der Bühne herab kritisch zu einer Gruppe von Offizieren, die mit Zwischenrufen die Vorstellung mehrfach gestört hatten. Auf Betreiben adeliger Kreise wurde Meyer wegen unzulässiger und freier Rede im Theater ein 14tägiger Arrest aufgebrummt. Am zweiten Tag in Haft erging jedoch die Kabinettsorder, der Schauspieler Meyer sei unverzüglich auf freien Fuß zu setzen, damit der König ihn am selben Abend wieder auf der Bühne sehen könne. Auch hier wurde also das exzessive öffentliche Agieren des Schauspielers nur symbolisch geahndet. Vgl. hierzu Willi Eylitz, Das Königstädtische Theater, 207f. 163 GStA, I. HA Rep. 77, tit. 420, Nr. 7, Bd.1, Bl. 110–116, Gesuch der Theaterdirektion um Censur durch Kunowski, 28. September 1923, Abschrift. 164 Polizeipräsident von Esebeck unterstützte Kunowskis Antrag vorbehaltlos (vgl. I. HA Rep. 77, Tit. 420, Nr. 7, Bd. 1, Bl. 108–109, Polizeipräsidium an das Innenministerium vom 8. Oktober 1823), während der Innenminister den Antrag zunächst ablehnte, da er kein Exempel für andere Theater statuieren wollte (vgl. ebd., Bl. 117, Innenministerium an das Polizeipräsidium, 8. November 1823), und den Geheimen Regierungs-Rat Grano als Zensor (vgl. ebd., Bl. 112, Innenministerium an das Polizeipräsidium, 10. Januar 1824) bestellte. Daraufhin reagierte Kunowski sofort mit

Der Fall Maltitz

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klar, in welcher Risiko-Position er sich während des Skandals um Der alte Student eigentlich befand. Der Balance-Akt für den Erhalt einer relativ freien Öffentlichkeit des Theaters gelang nur, indem er sich in der Situation dem preußischen Anspruch auf Kontrolle der Öffentlichkeit rückhaltlos unterwarf. Zum dritten ging es natürlich um die Gruppe der Personen, welche die preußische Obrigkeit vertraten. Wir haben es hier vor allen Dingen mit den Polizeivertretern und dem Königlichen Haus zu tun. Aus den Äußerungen und Handlungen dieser Akteure geht hervor, dass sie den Anspruch auf ein Öffentlichkeits-Monopol als ihr unveräußerliches Recht betrachteten. Die preußischen Obrigkeiten wollten bestimmen, was öffentlich und was geheim sein durfte, die Diskurskontrolle musste in der Hand des preußischen Königshauses und seiner Beamten bleiben. Aber genau das bestritt jemand wie Gotthilf August von Maltitz. Und es war unübersehbar, dass das preußische Öffentlichkeits-Monopol an allen Ecken und Enden bröckelte. Damit komme ich zum letzten Punkt. M e d i a l e Q u e r v e r b in d u n g e n . Nach seiner Ausweisung ging Maltitz im März 1828 nach Hamburg, wo eine liberalere Atmosphäre herrschte. Und er nutzte diesen Spielraum, um die Causa Maltitz und ihre Auseinandersetzung um das Recht auf öffentliche Meinungsäußerung umfassend publizistisch und literarisch auf verschiedenen Medienebenen öffentlich zu verarbeiten. Bis zu seinem frühen Tode 1837 war der Streit mit Preußen um das, was öffentlich sein darf und das, was geheim sein musste, das bestimmende Thema seines Werkes. In Hamburg war es sein erstes Anliegen, sein Stück zu veröffentlichen. Bereits im Juli 1828 erschien Der alte Student beim liberalen Verlagshaus Hoffmann und Campe. Maltitz nutzte auch hier wieder das öffentliche Forum, das sich ihm bot. Im Vorwort des Stückes benannte er deutlich den Skandal der polizeiinternen und politischen Strafverfolgung und bestand auf sein Recht auf gerichtliche Anhörung, indem er sein eigenes Gerichtsverfahren einberief – das der öffentlichen Meinung: Der Verfasser des nachstehenden, höchst unbedeutenden, dramatischen Product’s, welcher in Folge der Aufführung desselben auf der Königstädter Bühne zu Berlin, das traurige Schicksal hatte: durch eine Kabinetsordre des Königs von Preußen, auf ein vorher gegangenes polizeiliches (Anm.: Zur Berichtigung für diejenigen, welche fälschlich behaupten: die Verbannung des Verfassers sey in Folge eines richterlichen Erkenntnisses des Königl. Kammergerichts zu Berlin, erfolgt) Verfahren des Ministers v. Schuckmann in dieser Angelegenheit, aus Berlin, der Residenzstadt seines Vaterlandes – verbannt zu werden, übergiebt hier dem Publiko einen Wort für Wort treuen – Abdruck besagten Stücks. Möge es hieraus nun selbst die Verbrechen des Verfassers, so eine solche Strafe verdienten, ersehen und beurtheilen. – Die allgemeine einem zweiten noch deutlicheren Antrag (vgl. ebd., Bl. 124–128, wiederholter Antrag der Theaterdirektion vom 19. Februar 1824), der letztlich Erfolg hatte. Am 22. März 1824 erging die Verfügung der Zensurerteilung für Kunowski (vgl. ebd., Bl. 233, Ober-Präsidium der Provinz Brandenburg an das Innenministerium vom 27. Oktober 1826, Notiz des Innenministeriums vom 2. November 1826).

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Die Arena der Öffentlichkeit

Meinung sey der Richter seiner tief verletzten, bürgerlichen Ehre. Hamburg, im Juli des Jahres 1828.165

Maltitz nutzte in der Folge jede nur erdenklich Form von Öffentlichkeit, um sein Anliegen der Rechtsicherheit bei volkssouveräner Verfassung zu thematisieren. Er formulierte seine politischen Ansichten in ernsthaften und satirischen Gedichten in seinen Pfefferkörnern, die in einer Reihe zwischen 1831 und 1834 bei Hoffmann und Campe erschienen, er war aktives Mitglied des politisch-literarischen Zirkels um Heinrich Heine und August Lewald in Hamburg und er nutzte seine Stellung als Redakteur des Norddeutschen Couriers als publizistische Schaltstelle. In seinem Gedicht „Der Völker Verlangen“, abgedruckt im zweiten Heft der Pfefferkörner166 formulierte er sein politisches ‚Programm‘: Fünf starke Säulen giebt es, deutsche Brüder, Woran das Wohl der jetz’gen Zeit Die Ruhe rings durch Deutschlands Völkerglieder, Sich knüpft fest in Einigkeit.167

Diese fünf Säulen waren bei Maltitz: 1) Gleichheit rings vor dem Gesetz, 2) Volksvertretung durch des Volkes Mitte, 3) Fürstenliste, d.h. ein dem Fürsten zustehender beschränkter Haushalt (Zivilliste), der durch die Landstände genehmigt würde, 4) Rechenschaft der höchsten Staatsverwalter vor ihres Landes Tribunal, 5) Denk- und Pressfreiheit. Letztlich kann man das so zusammenfassen: von Maltitz ging es um eine konstitutionelle Monarchie bei öffentlicher Meinungsfreiheit. Gotthilf August von Maltitz münzte das ihm geschehene Unrecht in Berlin immer wieder um in publizistische Angriffe gegen Preußen. Er agitierte in den „Reden an mein Vaterland und meine Zeit“168, um den Adel, das Volk und auch die Dichter zur politischen Aktion zu bringen. Besonders das ‚Dichterwort‘ erschien ihm die geeignete Waffe, um öffentlich Stellung zu beziehen, um Aufmerksamkeit der Obrigkeiten und des Volkes für die Belange der Zeit zu erreichen. ‚Dichterworte‘ müssten zu Donnerhall werden, das Volk dürfe den mystifizierenden und weltabgewandten Fiktionen der Romantiker kein Gehör mehr leihen: O! könnte ich Kanonendonner sprechen! Posaunenstöße reden durch die Welt. Mit Worten jeden Wall der Knechtschaft brechen, Daß er zu Schutt in sich zusammenfällt. Könnt Sylben ich zu Brandraketen machen, Und jeden Vers zu einem Doppelschwert 165

Gotthilf August von Maltitz, „Vorwort“, in Der alte Student, n.p. Gotthilf August von Maltitz, „Der Völker Verlangen“, in Pfefferkörner, Heft 2, Hamburg 1832, 5–8. 167 Gotthilf August von Maltitz, „Der Völker Verlangen“, 5. 168 Vgl. Gotthilf August von Maltitz, „Reden an mein Vaterland und an meine Zeit“, in Pfefferkörner, Heft 2, Hamburg 1832, 20–77. Maltitz wendet sich hier mit einer Anzahl von Gedichten an unterschiedliche Gesellschaftsgruppen. 166

Der Fall Maltitz

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Ganz Deutschland sollte von dem Donner krachen Der Wahrheit, aus dem alten Schlaf erwachen Und fühlen lernen seinen hohen Werth.169

Es ging ihm nicht nur um die schriftliche Verfassung von Gegenwartsliteratur, die politische Inhalte aufzeigt, nein, es handelte sich um die öffentliche und lautstarke Performanz des Dichterwortes. Es müsse „ganz Deutschland von dem Donner krachen“, hier war keinesfalls die Rede von einer stillen Lektüre politischer Natur. Maltitz’ „Posaunenstöße“ bedurften einer Bühne, eines Podiums, damit das schlafende Deutschland endlich die Rufe hören und erwachen sollte. Seine persönliche Rechnung mit Preußen vermengte Maltitz mit seinem ‚politischen Programm‘. In seinem 1831 veröffentlichten Gedicht „Polonia“ schilderte er den Leidensweg der polnischen Nation zwischen Aufruhr und Niederschlagung und bezeugte offen seine Stellungnahme für die polnischen Nationalhelden. Er tat hier also etwas offen und direkt, was in dem Theaterstück Der alte Student, obgleich er es verschleiert hatte, ihn dennoch 1828 das Aufenthaltsrecht in Preußen gekostet hatte, und verknüpfte seine Polen-Eloge mit seinem eigenen Schicksal der Verbannung: Ach! schon einmal, ohne sein Verschulden, Mußt’ der Sänger harte Schmach erdulden, Weil dein Recht er, o Polonia, sang.170

In sieben vollen Strophen schilderte er die polizeilich willkürliche Abstrafung und forderte gegenüber „Borussia“ sein Recht auf ein Gerichtsverfahren ein: Darum sprich, Borussia! und gnüge Meiner Frage. Rede! ob ich lüge? Sag’ es frei Borussia und sprich! Antwort gib dem tief gekränkten Dichter! Wo, wo ist sein Urtheilsspruch, sein Richter? Hier vor ganz Europa frag’ ich dich!171

Maltitz ging hier soweit, „ganz Europa“ als öffentlichen Zeugen seines Unrechts anzurufen und Preußen damit publikumswirksam an den Pranger zu stellen. Ganz Mann der Öffentlichkeit, verarbeitete Maltitz immer wieder Preußens Versuche, die politischen Entscheidungen und Machtnetzwerke geheim zu halten, um eine starke Polarisierung herzustellen: hier der moderne Mann der Öffentlichkeit, dort die willkürliche und geheime Machtpolitik der Despoten. So benutzte er etwa das Bild der „Jesuiten-Politik“172 – die Jesuiten wurden im Vormärz immer wieder als Symbolfiguren verwendet für eine obskure, heimliche Machtpolitik und reaktionäre Repressionspraktiken –, um Preußens Ausweisungspolitik anzuprangern. In einer kurzen Anekdote 169

Gotthilf August von Maltitz, „Reden an mein Vaterland und an meine Zeit – E. Rede an die deutschen Dichter und Schriftsteller jetziger Zeit“, in Pfefferkörner, Heft 2, Hamburg 1832, 66–77, 76. 170 Gotthilf August von Maltitz, Polonia, Paris 1831, 7. 171 Gotthilf August von Maltitz, Polonia, 8. 172 Gotthilf August von Maltitz, „Jesuiten-Politik“, Pfefferkörner, Heft 3, Hamburg 1832, 88–89.

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Die Arena der Öffentlichkeit

der Pfefferkörner (Heft 3, 1832), eben betitelt „Jesuiten-Politik“, schilderte er den Fall eines Lehrers, der wegen „zu freie[r] Aeußerungen an öffentlichen Orten“ von den jesuitischen Machthabern der Stadt verwiesen wurde. Befragt nach dem Grund dieser so harten Strafe antwortet der jesuitische Obere, dass dessen Lehren und Person nur so für das ganze Land unschädlich gemacht werden könnten: Denn sehen Sie, meine Herren! Alles, was er irgend jetzt gegen unsere Regierung sprechen oder im Auslande drucken lassen sollte, und wäre es noch so wahr, verliert den Stempel der Glaubwürdigkeit, eben weil man vermuthet, daß es nur aus Rache gesprochen und geschrieben worden. – Dies allein zu erreichen, war meine Absicht; – denn das beste Mittel, um freidenkende Leute in der jetzigen Zeit unschädlich zu machen, ist: sie in der Glaubwürdigkeit ihres Worts herunter zu bringen und bei dem Volke zu verdächtigen. – Merken Sie sich dieses, meine Herren!‘–173

Maltitz legte hier nicht nur eine öffentlichkeitswirksame politische Strategie der Obrigkeiten offen, gleichzeitig versuchte er, sich von diesem Ruch der Unglaubwürdigkeit zu befreien, indem er die Strategie und Funktionsweise in der Öffentlichkeit benannte und so hoffen konnte, dass das Volk sich davon befreite, und eine öffentliche Meinung als gerechter Richter174 über ihn urteilen würde. Während nun Maltitz in seiner weiter gehenden Auseinandersetzung mit Preußen die Öffentlichkeit als Waffe und Podium verwandte, so ging sein politischer Gegner den entgegen gesetzten Weg. Die preußischen Obrigkeiten nutzten verdeckte Kanäle und Netzwerke, um Maltitz zu überwachen und versuchten, auf diplomatischen Geheimpfaden seine Tätigkeiten in Hamburg einzuschränken. So stand Maltitz bis ca. 1831 unter regelmäßiger Überwachung durch preußische Polizeispitzel, die seinen jeweiligen Aufenthaltsort sorgsam in den Akten vermerkten.175 Der Berliner Polizeipräsident von Esebeck korrespondierte mit dem Hamburger Senator des Inneren und der Polizei, um von diesem Informationen zum Lebenswandel und zu politischen Aktivitäten des Baron von Maltitz zu erlangen. Der Hamburger Senator ließ sich auf keine Komplizenschaft mit Preußen ein und bescheinigte am 12. November 1829 nur kühl: Uebrigens hat Maltitz hieselbst einen ordentlichen Lebenswandel geführt, wenigstens ist der Polizei nicht Nachtheiliges über ihn bekannt geworden. Er schreibt Theaterstücke, und giebt eine Wochenschrift ‚Der Norddeutsche Courrier‘ benannt heraus; auch soll er Aufsätze für sonstige Wochen- und Tages-Blätter liefern. – Bekannte von ihm schildern ihn als einen gutmüthigen und ordentlichen, aber etwas exzentrischen und extasirten Mann; – daß er letzeres sey, spricht sich auch, mehr oder minder, in seinen Schriften aus, worin er, zum Beispiel: Hamburg und die hiesigen Einrichtungen, auf eine wohl gut gemeinte – aber höchst übertriebene Weise lobt.176 173

Gotthilf August von Maltitz, „Jesuiten-Politik“, 89. Vgl. oben das Vorwort zu Gotthilf August von Maltitz, Der alte Student. 175 Der letzte Eintrag dieser etwa monatlichen Polizeinotizen datiert vom 25. Mai 1831. Vgl. Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 30-5, Nr. Th 357, Bl. 114. 176 Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 30-5, Nr. Th 357, Bl. 104, Hamburger Polizeibehörde an das Berliner Polizeipräsidium, 12. November 1829. 174

Der Fall Maltitz

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Der Senator verwies mit dem letzten Abschnitt wahrscheinlich auf das Vorwort des Theaterstückes Das Pasquill (1829), das von Maltitz in blumenreichen Worten „Hamburgs bidern Bewohnern“ widmete: Ich fand in Eurer Mitte was ich gehofft, gesucht: – Gerade bidere Menschen, freies Wort, und offenen Sinn. – Gastlich nahmt Ihr den verwais’ten Dichter unter Euch auf; strecktet ihm treuherzig die freie Bürgerhand entgegen, hattet Nachsicht mit seinen schwachen Kunstleistungen, – und bald vergaß er, was ihn früher bedrückt, was er verloren, und fühlte sich heimisch in Deinen hochedlen Mauern: Hamburgia! –177

Doch damit gab sich die preußische Polizeibehörde nicht zufrieden. Als Maltitz in dem von ihm redigierten Norddeutschen Courier sein Gedicht „Brandmal“178 abdruckte, das die menschenverachtenden Verhältnisse im portugiesischen Absolutismus unter Miguel I. als Völkermord anprangerte und die rechtliche Verfolgung des Monarchen forderte,179 sah sich die preußische Polizei zum Handeln veranlasst. Der Versuch, das Blatt auf polizeilichem Wege zu unterdrücken, misslang, und so wandte das Polizeipräsidium sich an den Außenminister von Bernstorff, um einen diplomatischen Versuch gegen Maltitz zu wagen: Dem Herrn von Maltitz, welcher wegen zügelloser und verwerflicher Schriftstellerei von Berlin verwiesen worden ist, und sich demnächst in Hamburg habilitirt hat, redigirt daselbst eine Flugschrift unter dem Titel: „Norddeutscher Courier“, deren 11tes Stück ein von dem p. v. Maltitz abgefaßtes Gedicht mit der Ueberschrift „Brandmal“ enthält, wegen dessen frechen Inhalts ich den Debit dieser Schrift für unzuläßig erachtete. Seine Exzellenz der Herr Geheime Staats Minister des Innern und der Polizey, Freyherr von Schuckmann haben jedoch in gedachter Hinsicht keine Veranlaßung gefunden, aus polizeylichen Gründen gegen den Debit des ge. Blattes einzuschreiten, und mir überlaßen, Eurer Exzellenz die Anlage mit dem gehorsamsten Anheimstellen zu überreichen, ob dieselben prüfen wollen, auf diplomatischem Wege die Unterdrückung des Norddeutschen Couriers zu veranlaßen.180

Doch auch von Bernstorff sah keine Möglichkeit, den Hamburger Magistrat zum Handeln gegen von Maltitz aufzufordern. Wiewohl er die „verwerfliche Tendenz der […] Flugschrift nicht verkenne“, könne er sich nicht veranlasst finden, „im diplomatischen Wege“ die Unterdrückung dieses Blattes zu verlangen.181 Die internationale Politik musste mit Feingefühl betrieben werden. Preußen durfte Hamburg wegen Maltitz nicht 177

Gotthilf August von Maltitz, Das Pasquill. Schauspiel in vier Akten. Für die Hamburger Bühne gedichtet, Hamburg 1829. 178 Das Gedicht wurde in den Pfefferkörnern wieder abgedruckt, vgl. Gotthilf August von Maltitz, „Das Brandmal“, in Pfefferkörner, Heft 1, 1931, 16–22. 179 Miguel I. hatte seine eigene Nichte Maria II., minderjährige Tochter des konstitutionell gesinnten Pedro IV., 1828 entthront, um in Portugal eine Rückkehr zum Absolutismus zu betreiben. Nach seiner Niederlage im so genannten Miguelistenkrieg musste Miguel I. 1834 zugunsten von Maria II. abdanken. Er war der letzte absolutistisch herrschende Monarch Portugals. 180 Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 30-5, Nr. Th 357, Bl. 112, Polizeipräsidium an den Innenminister von Bernstorff, 12. April 1830. 181 Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 30-5, Nr. Th 357, Bl. 113, Innenminister von Bernstorff an das Polizeipräsidium, 24. April 1830.

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Die Arena der Öffentlichkeit

einfach die Pistole auf die Brust setzen, zu viele diplomatische Sensibilitäten standen auf dem Spiel. Wenn man so möchte, standen sich hier grundsätzlich eine moderne politische Strategie, die neue publizistische Wege nutzt und die Öffentlichkeit auch als Schutz beanspruchte, und dort eine traditionelle Arkanpolitik der undurchsichtigen Machtbeziehungen und Geheimdiplomatie unversöhnlich gegenüber. In diesem Sinne handelte Preußen mit Hegel gesprochen entgegen dem neuen Geist der Zeit und somit unvernünftig; die Realität des politischen Volksanspruchs stand damit im Konflikt. Diese Spannung würde zunehmend stärker nach Entladung streben. Preußen konnte also in diesem Fall außerhalb seiner Landesgrenzen keine größeren Erfolge mit seiner politischen Strategie erreichen, wohingegen Maltitz mit seinen Schriften bis nach Preußen hinein öffentlich zu wirken vermochte. Schon 1829 wandte er sich wieder dem Theater zu, um es als öffentliches politisches Forum zu nutzen. Sein Stück Das Pasquill schilderte die utopische Situation einer konstitutionellen Monarchie, in der es einem redlichen Advokaten gelingt, Bürgerrechte gegen adelige Übergriffe zu schützen und dabei am Ende auch die Gunst des aufgeklärt-liberalen Fürsten zu erlangen. In diesem Stück zog Maltitz alle Register des Öffentlichkeits-Diskurses. Er entwarf eine Gesellschaftsvision, in der die geradlinigen und rechtschaffenen Menschen dem Bereich einer transparent fungierenden politischen Öffentlichkeit angehörten, während die machthungrigen Staatsbeamten sich in ihre – letztlich sie selbst – vernichtende Geheimpolitik verstrickten. Es ist nicht verwunderlich, dass die Thematik des Stückes Grund genug bot für die Ablehnung eines Gnadengesuches der Schwestern von Maltitz beim preußischen König.182 D a s P a s q u i l l ( 1 8 2 9 ). Gotthilf August von Maltitz veröffentlichte etwa ein Jahr nach seiner Verbannung aus Preußen und der Umsiedelung nach Hamburg dort sein nächstes Theaterstück Das Pasquill, das er für das Hamburger Stadttheater geschrieben hatte. 183 Das Stück spielt zur Zeit der französischen Revolution und handelt von dem Advokaten Hermann, der im Gegensatz zu seinen korrupten Kollegen, sein Mandat als Rechtsver182

Willi Eylitz bezieht sich auf die Kabinettsorder des Königs vom 17. Januar 1830 ohne Quellenangabe, vgl. Willi Eylitz, Das Königstädtische Theater, 167: „Eine Bitte der Schwestern des Dichters 1830 eine Rückkehr ihres Bruders zu gestatten, wurde vom König abschlägig beschieden, besonders unter Hinblick auf sein neuestes Stück ‚Das Pasquill‘, das ‚bei Erwähnung der Qualification zur Rückkehr nicht zu übersehen sein dürfte.‘“ Diese Kabinettsorder vom 17. Januar 1830 konnte von mir im Archiv im Original nicht ermittelt werden. Einen Hinweis darauf gibt allerdings ein Bericht des Innenministers an das Polizeipräsidium, vgl. Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 30-5, Nr. Th 357, Bl. 108, Innenminister von Schuckmann an das Polizeipräsidium, 21. Januar 1830. 183 Während der 1848er Revolution nahm das Carl-Theater in Wien das Stück in sein Repertoire auf. Das Pasquill galt 19 Jahre nach seinem Erscheinen immer noch als zeitgemäß politisches Stück. Vgl. die Rezension in Allgemeine Theaterzeitung, 27. April 1848: „Dieses Schauspiel ist in seinen Situationen ganz auf die jetzige Reform berechnet, daher die einzelnen Scenen in ihrem scharfen Gepräge allgemeine Beifallsacclamationen hervorriefen.“

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treter ernst nimmt und den Spielraum der neuen Verfassung des Staates, in dem er lebt, im Sinne der Gerechtigkeit ausgestaltet. Die Basis der Gesellschaftsvision, die von Maltitz uns hier vorführt, ist die Gleichheit aller vor dem Gesetz und im Leben. Volk, Bürger und Fürstenstand müssen sich gleichermaßen vor dem Gesetz verantworten; im Leben sollen Standesschranken keine Rolle mehr spielen: Nur der Mensch allein zählt. In der Person des Advokaten Hermann schuf sich Maltitz eine Idealfigur unter idealen Rechtsbedingungen, so ganz wie er sich 1828 seine eigene Rolle im Rechtskonflikt mit den preußischen Obrigkeiten erträumt hatte. Es ist nicht verwunderlich, dass die Beschreibung Hermanns, die er der Rollenfigur des von Hutten in den Mund legte, stark an die zeitgenössische biographische Notiz Ludwig von Alvensleben über Maltitz selbst erinnert. Im Stück heißt es über Hermann: Hutten: […] Recht redlicher, gescheuter Mann seyn, der Herr Advokat Hermann, heißt es. Aber ein Sonderling, hm! geht immer so seinen eigenen Weg – hm! Reicht oft wunderbare Vertheidigungen dem Allerhöchsten Gericht ein, nährt freigeistige Ideen, hm! – Besucht gar nicht die vornehmen Zirkel, spricht aber oft laut an öffentlichen Orten, hm! […] 184

1837 beschrieb Ludwig von Alvensleben den Dramatiker Maltitz im 2. Jahrgang seines Biographisches Taschenbuch deutscher Bühnen-Künstler und Künstlerinnen mit folgenden Worten: Obgleich ein Adeliger, schwingt er doch rastlos seine scharfe Klinge gegen die Anmaßungen der privilegirten Kasten. Er ist ein Ehrenmann, ein Menschenfreund im vollsten Sinne des Wortes. Er trägt sein hartes Schicksal als Mann und Philosoph, liebt sein Vaterland mit glühender Liebe, und glaubt, daß sich diese Liebe mit seinen Grundsätzen wohl vereinen könne. Sein Umgang ist geistreich und unterhaltend, doch spricht er etwas viel. Er liest gern seine Werke vor, vernichtet aber durch das gewaltige Pathos, mit welchem er liest, jeden Effekt.185

Maltitz erscheint hier, ebenso wie Hermann, als Freigeist und gegenüber der eigenen Kaste der Adeligen war er durchaus ein ‚Sonderling‘, der seinen eigenen Weg ging und die Privilegien des Adelsstands bekämpfte. Wie Hermann schwang er „rastlos seine scharfe Klinge“ für seine politischen Anliegen. Drei Rechtsstreite, die der Advokat Hermann im Stück nacheinander führt, bringen den Zuschauern in einer Steigerungsform den Konflikt zwischen absolutistischer, alter Polizei- und Politikwillkür und der neuen verfassten Rechtssicherheit und Rechtsgleichheit vor Augen. Zunächst vertritt Hermann die Landstände in einem Rechtsstreit gegenüber seinem adeligen Freund Baron von Hutten, in dem es um eine Landschenkung durch den Fürsten geht. Fürst Ludwig hat eine Schenkung seines Vorgängers wegen treuer Dienste der Familie von Hutten erneuert und somit gegen geltendes Recht Eigentum des Landes willkürlich weggegeben. Hermann gelingt es in Demonstration seines untadeligen Berufsethos’ sogar, seinen Freund von Hutten davon zu überzeugen, dass es 184

Gotthilf August von Maltitz, Das Pasquill, 19. Alle folgenden Zitate aus dem Stück folgen dieser Ausgabe. 185 Ludwig von Alvensleben, Biographisches Taschenbuch deutscher Bühnen-Künstler und Künstlerinnen, 2. Jahrgang, Leipzig 1837.

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seine, Hermanns, Pflicht sei, sich gegen ihn und das alte Prinzip der Fürstenwillkür zu stellen, ohne dass die Freundschaft darunter leiden dürfe. Im zweiten Fall verteidigt Hermann die Ehre des Kellners Jakob gegen den Sohn des Ministers von Flezenstein. Jakob hat auf die Begleichung der Kosten für ein zerschlagenes Glas bestanden und ist darauf vom Ministersohn geohrfeigt worden. Hermann, auf das Gleichheitsprinzip beharrend, setzt sich scharf mit dem Minister auseinander und kann sich letztlich nur durch Androhung der öffentlichen Entehrung des Ministers vor dem machtvollen Zugriff dieses im Geheimen polizeilich taktierenden Mannes und seiner Schergen retten. Dennoch bleibt er konsequent bei seinem juristischen Standpunkt und triumphiert so über das ‚alte Unrecht‘. Im dritten Fall geht es um Hermanns eigene Existenz. Der intrigante Minister hat ihn beim Fürsten als vermeintlichen Autor einer Schmähschrift gegen den Herrscher angeschwärzt. Hermann gelingt es, eine Unterredung mit dem Fürsten zu erreichen. Er rettet und rehabilitiert sich in diesem Gespräch, da der Fürst eine liberal-aufgeklärte Haltung hat und den juristischen Argumenten des jungen Advokaten Gehör schenkt. Hermann gelingt es, die Intrige aufzudecken und von Flezenstein zu entlarven. Letztlich belohnt der Fürst Hermanns konsequente Rechtstreue mit dem Titel eines Geheimen Rats und straft den Minister durch sofortige Entlassung. Als ‚Beigabe‘ zu seinem Erfolg erhält Hermann die Hand von Jakobs Tochter Maria und geht somit eine Standesschranken überwindende Verbindung ein. Hier erfüllt sich von Maltitz’ Vision einer endlichen Versöhnung zwischen Volk, Bürger und Fürst auf der Basis des Gleichheitsprinzips einer gerechten Verfassung, welche der intrigante und Privilegien erheischende Hofadel nicht mehr hintertreiben kann. Von Maltitz deklinierte in diesen drei Fällen das Thema der Polizeiwillkür, die auf Seiten der bisher privilegierten Stände stand, und der Rechtsgleichheit durch, die allen Ständen die gleichen Chancen auf Durchsetzung ihres Rechts garantiert. Was Hermann hier als Errungenschaft der modernen Zeit preist, nämlich, „daß ich auch mit dem Vornehmsten im Staate, doch ein allgemeines Recht theile: Freier Bürger zu seyn und daher Achtung fordern kann,“ (63f) tut Minister von Flezenstein als Trugbilder der „vom tollen Zeitenschwindel erfassten Neuerer“ (65) ab. Hermann setzt diesem eine entschieden moderne Haltung entgegen; er vertraut den Gesetzen vollkommen und will sich deren System voll und ganz überantworten: Hermann: Ich kenne als Advokat die Gesetze des Landes; nach welchen ich von der Polizei zwar arretirt, nicht aber inquirirt werden darf. Ich gehöre, mit der auf mich lastenden Beschuldigung, vor das allgemeine Landgericht, und nicht vor die Polizei; denn meine Sache ist criminell. (117)

Und er weiß seinen Fürsten hinter sich, der sich dazu bekennt: „Polizeiliches Verfahren liebe ich nicht. Ein braver Fürst muß sich nicht scheuen, selbst öffentlich mit seinem Volke vor die Schranken des Richters zu treten.“ Das Gesetz ist mit den Aufrechten, Braven – und mit den Modernen.

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Der herabgewürdigte „tolle Zeitenschwindel“ ist hier mehr als eine trügerische modische Wallung, er ist die Kraft, die es vermag, Freiheit, Gerechtigkeit und nationale Einheit durchzusetzen. Er wird auch den Minister von Flezenstein, Vertreter des absolutistischen Machtsystems hinwegfegen, der indes immer noch glaubt, die Zügel in der Hand zu halten: Flezenstein: […] Nun so wird man gut thun, sich auf meine Befehle zu präpariren; (spöttisch) Die doch vielleicht etwas stark dem jetzt so hochgepriesenen Geist der Zeit, Zügel anlegen könnten. – Hermann: Entschuldigen Ew. Exzellenz: Die Zeit möchte sich vielleicht zügeln lassen; doch den Geist der Zeit vermag kein Gott aufzuhalten, geschweige denn ein Minister. (66)

Der Minister beharrt dennoch weiter auf der Tradition; den Geist der Zeit zu leugnen, wird ihm letztlich zum Verhängnis, denn der Fürst – „angesteckt […] schon von dem liberalen Schwindel der Zeit“(84) – bejaht die Erneuerung und entlässt den Minister: Fürst: […] Dennoch will ich glauben, daß Sie es mit mir und meinem Lande gut meinen. Aber sie sind nicht mit der Zeit mitgegangen, und verderben durch falschen Amtseifer, wo Sie nützen sollen. (148)

Der Polizeispitzel Spürling ist ebenso ein Vertreter einer überholten Zeit und taugt nur noch zur Karikatur des Polizeistaates. Spürling ist altersschwach, er hört nicht mehr richtig und kann am gesellschaftlichen Diskurs der neuen Zeit nicht mehr vernünftig teilhaben. Seine Schwerhörigkeit bietet von Maltitz eine Vorlage für allerhand Wortspiele und Situationskomik. Darüber hinaus ist er abhängig vom System der Polizeispitzelei, was ihn zu einer wahrhaft traurig-komischen Figur macht. Spürling ist dem alten Machtapparat mit Haut und Haaren verhaftet, die Komik dieser Figur liegt in der Absolutheit ihrer Rückgewandtheit. Der Satiriker Maltitz rechnet hier deftig mit dem preußischen Polizeistaat ab. Der Polizeispion ist fast taub, dumm und selbstgerecht und sein Dienstherr, der Minister von Flezenstein, ist korrupt, intrigant und missbraucht seine Macht. Spürling ist nicht in der Lage, ‚den Geist der Zeit‘ auch nur zu begreifen, geschweige denn sich dazu zu verhalten. Der Polizeispion ist ein Auslaufmodell und muss das selbst realisieren: Spürling: […] Es ist doch ein verfluchtes Hundeleben! – Nichts giebts mehr zu horchen in den Kaffeehäusern; nicht anzugeben, und nichts zu verdienen. Ich glaub’ beim Teufel die Leute werden bald gar nicht mehr sprechen. – Wovon soll denn unsereins am Ende leben! (25)

Wie auch in Der alte Student zog Maltitz in diesem Stück wieder eine Verbindungslinie von liberalem Denken zur Universität. Hermann, der gerade, freisinnige Gerechtigkeitsfanatiker und -vertreter, ist ein Akademiker und auch der Fürst hat auf der Universität studiert. Von Flezenstein verflucht dieses „verdammt[e] ein[e] Jahr auf der Universität!“(149), das den Fürsten mit dem liberalen Geist der Zeit infiziert habe: Flezenstein: […] Das hat aber Alles ein Jahr bewirkt, so Er auf der Universität zubrachte. – Hab’ mich damals mit allen Vieren dagegen gestemmt, aber konnt’s nicht hintertreiben. Solches Professorengesindel, das so Alles frech von den Cathedern weg lehrt, sollte man in’s

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Halseisen stecken. – Wozu braucht überhaupt ein gut polizeilich eingerichteter Staat Gelehrte? – Um vielleicht zu wissen, wer so ein Cicero, Brutus, Cato, Socrates oder Gracchus gewesen. Rebellen waren sie insgesammt, und nur ärgerlich ist’s, daß sie alle so verdammt edel waren. – Man kann sie in der öffentlichen Meinung gar nicht herunter bringen. (84f.)

Unglücklicherweise kann sein Polizeisystem der Universität nichts anhaben, nicht einmal durch öffentliche Diffamierung, und ist somit eine uneinnehmbare Festung der Freiheit. Es scheint, dass der Fürst und Hermann in ihrem entscheidenden Dialog (4. Akt, 3. Szene) beide die akademische Tradition des freien Diskurses modellhaft praktizieren und somit auf ‚eine Gesprächsebene‘ gelangen können. Die gegenseitige Anerkennung der redlichen Absichten kann nur dadurch vermittelt werden und letztlich zur Auflösung der Intrige führen. Während in diesem Dialog nun die konkrete Anklage gegen Hermann, nämlich der Verfasser des Pasquills zu sein, verhandelt wird, so ist die ‚freie Rede‘ selbst beständiges Thema zwischen beiden: Hermann: […] Ach, wenn es mir vergönnt wäre, mich vor Ew. Durchlaucht ganz frei auszusprechen. Fürst: Ich habe Ihnen schon einmal gesagt, daß ich freie Rede liebe. – Sprechen Sie! (119)

Das freie Wort, der freie Meinungsaustausch wird von Hermann als wirksames politisches Instrument propagiert; die öffentliche Meinung kontrolliere und balanciere sich selbst aus: Hermann: Die sicherste Stütze eines jeden Throns ist die Freiheit des Wortes; und nur wo sich der Unterthan belauscht, seine Gesinnungen behorcht weiß, wird er misstrauisch, weil er sieht, daß man ihm nicht traut, wird verschlossen, und das ist gefährlich! (122)

Die Öffentlichkeit wird im repressiven System zur Waffe, in der freien und gerecht verfassten Gesellschaft ist sie das Bindemittel des nationalen Zusammenhalts und Garantin für die Harmonie im Staate. Maltitz demonstrierte dies in der Auflösung seiner Stückintrige. Das veröffentlichte Pasquill ist nur so lange eine Waffe als sein Autor geheim bleibt. In dem Moment, in dem der alte Invalide sich als Autor öffentlich bekennt, hat es keine vergiftende Wirkung mehr. Die Beweggründe des Alten, der sich als treuer Kriegsinvalide vom Staat und Fürst betrogen fühlt, werden geklärt, der Fürst kann Gnade walten lassen und Unrecht in Recht verwandeln. Das heimtückische Pasquill kann in einen heilsamen ‚öffentlichen‘ Diskurs überführt werden. Nur das Gespräch, die freie Rede, führt zur Harmonie im Staate. Die Zeugen dieses Diskurses erleben ein Paradebeispiel der Gnade des Fürsten und der Treue des bürgerlichen Untertanen. Der Fürst hat gut daran getan, souverän die Schmähungen des Pasquills abzuwenden, indem er Hermanns Rat folgte und sich als wirklich würdig zeigte: Fürst: Das erste Zeichen einer wahrhaft würdigen Regierung ist: daß sie mit dem Weisen auch den Narren, mit dem Redlichen auch den Schlechten über sich frei sprechen läßt wie’s ihm beliebt. Wer sich rein fühlt, fühlt sich auch über jede Schmähung erhaben, und die Wahrheit wirkt empfindlich nur auf Alles Kranke, den Gesunden schmerzt sie nicht. (121f.)

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Während nun also der öffentliche Diskurs im liberalen Geiste zur Harmonisierung der modernen Gesellschaft beiträgt, stellt die Öffentlichkeit dagegen im repressiven System als Zeugenschaft verstanden eine Waffe und ein Machtinstrument dar. Dies veranschaulichte Maltitz in der Auseinandersetzung zwischen von Flezenstein und Hermann. Nachdem Flezenstein durch die kluge und beharrliche Argumentation des Advokaten in die Enge getrieben wurde, droht er, Hermann von seiner Gefolgschaft in polizeiliches Gewahrsam nehmen zu lassen. Hermann gelingt es dies nur zu verhindern, indem er die Dienerschaft des Ministers als Zeugen vereinnahmt und Flezenstein mit öffentlicher Entehrung droht: Hermann: […] Bedenken Ew. Excellenz daß es in meiner Macht steht, Sie hier öffentlich, vor allen Ihren Dienern, thätlich zu beschimpfen, – und Ihre Ehre ist auf immer dahin! – (71)

Abb. 3: Spürling aus Das Pasquill, 1829

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Eine Steigerungsform dieser ‚Zeugen-Waffe‘ und zugleich ihre komische Wendung konstruierte Maltitz in der Auseinandersetzung zwischen dem Oberkellner Jakob und dem Polizeispitzel Spürling. Spürling möchte, dass Jakob für ihn die Kaffeehausgäste behorcht. Jakob lehnt dies entrüstet ab und droht, Spürling gegenüber Hermann zu entlarven. Doch dieser verhöhnt Jakob, da dessen Aussage ohne Zeugenbelege wertlos ist. Jakob dreht nun den Spieß um und gibt Spürling, ohne durch Zeugen belastet werden zu können, eine Ohrfeige. Jakob schlägt also Spürling mit seinen eigenen obskuren Methoden. Spürling in seiner Verzweiflung darüber, dass die alten Einschüchterungsmethoden nicht greifen, versucht, das Publikum als Öffentlichkeit und Zeugen zu bemühen: Spürling: Die hochfürstliche geheime Polizei, hat öffentlich eine Ohrfeige, – eine völlig konstituirte, regelrechte Ohrfeige – erhalten; ohne Zeugen erhalten! und kann, kann nichts beweisen! – Wie? nichts beweisen! – Ist denn kein Mensch – kein lebendiges Wesen, keine Maus da, die zeugen, zeugen, zeugen kann! (Starrt plötzlich wild ins Publikum und schreit) A ha! – Sie müssen zeugen, Sie alle müssen zeugen, daß ich eine Ohrfeige bekommen habe. – (40)

Das Theaterpublikum wurde hier von Maltitz in mehrfacher Weise mit dem Thema Öffentlichkeit in Verbindungen gebracht. Das ganze Stück war letztlich ein Projekt, dem Publikum ein funktionierendes Konzept von ‚liberaler Öffentlichkeit‘ vor Augen zu führen und den Menschen Mut zuzusprechen, für ihren eigenen Öffentlichkeits- und Redeanspruch im politischen System zu kämpfen. Die von Maltitz visionär modellierte Verfassungs- und Rechts-Sicherheit ist hierfür die Basis. Auf einer zweiten Ebene, der des Polizeispions Spürling, wird der Versuch unternommen, das Publikum in die alte Geheimpolitik hineinzuziehen und die Öffentlichkeit der Zeugenschaft als Waffe gegen missliebige Meinungen zu missbrauchen. Diese Indienstnahme des Publikums ist so absurd und lächerlich, dass sie bei der Aufführung einen großen Effekt erzielt haben muss. Zum einen ist sie mit der komischen Figur des Spürling und dessen wahnwitzig-groteskem Agieren verbunden, zum anderen ist alleine die Vorstellung, das Publikum könnte aus seiner Zuschauer-Rolle hinaustreten und für das Stückgeschehen zeugen, eine komische Vorstellung. Daher konnte das Publikum sich hier nur durch Lachen von Spürlings Ansinnen distanzieren. Letztlich entstand auch der Effekt, dass die Zuschauer von den angebotenen Modellen der Öffentlichkeit nur das erste Modell einer ‚liberalen, diskursiven Öffentlichkeit‘ als ernsthafte Kommunikations-Praxis in Betracht ziehen konnten. Somit kann man die Absurdität Spürlings auch als pädagogischen Kniff des Maltitz’schen öffentlichen ‚AufklärungsProjektes‘ betrachten. Obgleich Maltitz in der Auseinandersetzung mit Preußen als ‚öffentliche Person‘ zur Disposition stand, nutzte er die Theaterbühne nicht für den persönlichen öffentlichen Auftritt. Seine Stücke und seine Schauspieler sprechen für ihn. Genau dies tat Robert Prutz, der mit einer Ansprache an das Publikum während der Aufführung seines Stückes Moritz von Sachsen 1844 einen Theaterskandal erzeugte. Von dem Ende der 1820er bis zur Mitte der 1840er Jahre hatte nicht alleine durch die Juli-Revolution ein

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politisierender Schub eingesetzt, sondern auch das mediale Handeln der ÖffentlichkeitsAkteure – Journalisten, Theaterakteure, Literaten – hatte einen Grad zunehmender Professionalisierung erreicht. Robert Prutz gehörte zu einer jungen Generation von Publizisten und Literaten, welche sich ein gehöriges Maß an Medienkompetenz angeeignet hatten und ihren Anspruch auf Öffentlichkeit massiv einforderten.

4.3

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Als Robert Prutz sein Stück Moritz von Sachsen 1844 auf der Königlichen Bühne das erste Mal zur Darstellung brachte, tat er dies in einer gegenüber den 1820er Jahren veränderten Medien- und Öffentlichkeitssituation. Die Julirevolution in Frankreich hatte 1830 starke Auswirkungen auf die politische Stimmung in den deutschen Bundesstaaten. Vereinzelte Unruhen – in Sachsen, Hannover, Hessen-Kassel und Braunschweig186 – versetzten die deutschen Staaten in höchste Alarmbereitschaft. Dies äußerte sich in sofortigen politischen „Maßregeln zur Herstellung und Erhaltung der Ruhe in Deutschland“, die der Bundestag am 21. Oktober 1830 beschloss.187 Um die Informationsflut über die französischen Ereignisse einzudämmen, sollten die Zensoren künftig mit höchster Vorsicht über die Veröffentlichung diesbezüglicher Berichte wachen. Doch die Tendenz der Politisierung ließ sich nicht dauerhaft hemmen. Schon zwei Jahr später kam es zum Hambacher Fest (27.–30. Mai 1832)188 , das von der Pfalz aus hohe Wellen schlug. Der von Philipp Jakob Siebenpfeiffer und Georg August Wirth als Reaktion auf die Zensurverschärfungen gegründete Deutsche Preß- und Vaterlandsverein organisierte das Fest. Es sollte mit seinen Formen der öffentlichen politischen Rede „[a]n die Stelle der zertretenen Presse treten“189, so Siebenpfeiffer. Die staatlichen Autoritäten beantworteten diesen Versuch, auf anderen Wegen eine politische Öffentlichkeit herzustellen, mit dem Parteienverbot, dem Verbot der politischen Rede bei öffentlichen Veranstaltungen und dem Import-Verbot ausländischer Bücher.190 Der Höhepunkt dieser ‚öffentlichkeitspolitischen Eiszeit‘ wurde mit den Wiener Be186

In der Folge der Unruhen erhielten diese Länder alle bis 1833 landesständische Verfassungen, so dass nur noch Preußen und Österreich ohne geschriebene Verfassungen blieben. Vgl. hierzu Rudolf Vierhaus, „‚Vormärz‘ – Ökonomische und soziale Krisen, ideologische und politische Gegensätze“, in Francia, Bd. 13, 1985, 355–368, 357. 187 Vgl. Franz Schneider, Pressefreiheit und politische Öffentlichkeit, 261. 188 Zum Hambacher Fest vgl. Joachim Kermann, Gerhard Nestler, Dieter Schiffmann (Hg.), Freiheit, Einheit und Europa. Das Hambacher Fest von 1832 – Ursachen, Ziele und Wirkungen, Ludwigshafen 2006; vgl. Adam Sahrmann, Beiträge zur Geschichte des Hambacher Festes 1832, Landau 1930. 189 Adam Sahrmann, Beiträge zur Geschichte, 30. 190 Laut der „Sechs Artikel“ vom 28. Juni 1832 und der „Zehn Artikel“ vom 5. Juli 1832, vgl. hierzu Franz Schneider, Pressefreiheit und politische Öffentlichkeit, 263f.

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schlüssen (1834), welche die Zensurpraxis effizienter gestalten wollten, und dem Verbot des Jungen Deutschland (1835) erreicht, das bundesweit die Verbreitung der jungdeutschen Literatur (Theodor Mundt, Ludolf Wienbarg, Heinrich Heine, Heinrich Laube, Karl Gutzkow) zu verhindern suchte. In den folgenden Jahren wurde die Zensur mit der äußersten Härte praktiziert. Die 1840er Jahre sahen in Preußen mit dem Thronwechsel (1840) eine Tendenz zu Zensurlockerungen, während gleichzeitig eine zunehmende Professionalisierung bei den Akteuren der Öffentlichkeit zu beobachten war. Günstige Voraussetzungen also für einen dramatischen, literarischen und wissenschaftlichen Autor mit dem starken Willen zur Öffentlichkeit – günstige Voraussetzungen also für Robert Prutz. Friedrich Wilhelm IV. erließ am 24. Dezember 1841 eine neue Zensurinstruktion, die eine Zensurerleichterung darstellen sollte, aber von Karl Marx messerscharf analytisch als ‚Scheinliberalismus‘191 entlarvt wurde. Marx unterstellte der Zensurinstruktion, das ursprüngliche Edikt von 1819 zwar als Grundlage zu benennen, es im Prinzip aber durch den liberalen Anstrich rechtlich gesehen in die Grauzone zu ziehen. Eine ‚bescheidene Untersuchung der Wahrheit‘192 sei nun durchaus erlaubt, aber diese Bescheidenheit als Formkriterium zöge die Wahrheit in die vorsichtige Mittelmäßigkeit: „Grau in grau ist die einzige, die berechtigte Farbe der Freiheit.“193 Dem Zensor würde nun die machtvolle, aber auch schwierige Aufgabe zugeteilt, eine „wohlmeinende Tendenz“ von unzulässiger Frivolität zu unterscheiden. Einzelpersonen würden also eine Entscheidung über Recht oder Unrecht treffen auf der Basis von Gesinnungs-Einschätzungen. Die normative Kraft des Gesetzes würde damit vollständig ausgehebelt, und zwar mit verheerenden Folgen: Tendenzgesetze, Gesetze, die keine objektiven Normen geben, sind Gesetze des Terrorismus, wie sie die Not des Staats unter Robespierre und die Verdorbenheit des Staates unter den römischen Kaisern erfunden hat. Gesetze, die nicht die Handlung als solche, sondern die Gesinnung des Handelnden zu ihren Hauptkriterien machen, sind nichts als positive Sanktionen der Gesetzlosigkeit.194

Damit bescheinigte Marx dem neuen preußischen Monarchen eine Rückwärtsgewandtheit in der Öffentlichkeitspolitik, die wieder ganz dem Prinzip der ‚Pressefreiheit als Fürstengnade‘ verpflichtet sei. Doch das Bewusstsein für und der Wunsch nach einer rechtlich einklagbaren Grundlage von medialer Öffentlichkeit nahm ab Mitte der 1840er Jahre im bürgerlichen Diskurs mehr und mehr Raum ein. Auch in Preußen passte sich die Praxis der Zensuraus191

Karl Marx, „Bemerkungen über die neueste preußische Zensurinstruktion (1843)“, in Marx Engels Werke, Bd. 1, hg. vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Berlin 1976, 3–25, 4. Die „Bemerkungen“ sind erstmals 1843 anonym veröffentlicht worden in Anekdota zur neuesten Philosophie und Publicistik, Bd. 1, hg. von Arnold Ruge, Zürich u. Winterthur 1843, 56–88. 192 Karl Marx, „Bemerkungen“, 5. 193 Karl Marx, „Bemerkungen“, 6. 194 Karl Marx „Bemerkungen“, 14. Hervorhebung im Original.

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übung diesen Entwicklungen an. Am 23. Februar 1843 führte Preußen das Oberzensurgericht ein, welches nun als unabhängige juristische Appellationsinstanz wirkte. Mit acht Richtern besetzt, darunter auch je ein Mitglied der Berliner Akademie und der Berliner Universität, galt dieses Gericht als relativ liberal und entschied durchaus auch im Sinne von zensurierten Redakteuren und Autoren. Obgleich dem Minister der Justiz untergeordnet, behielt sich der Minister des Innern eine letzte Entscheidung vor und griff in politisch besonders heiklen Fällen regulierend ein.195 So blieb im Prinzip die Macht des ‚Polizei-Systems‘ ungebrochen, aber dennoch führte die Etablierung des juristischen Instanzenweges zu einem selbstbewussteren Auftreten der Literaten und Publizisten – sie hatten nun die Möglichkeit, eine transparente Darlegung der juristischen Begründung für ein Publikationsverbot einzufordern und im Zweifel Recht zu bekommen gegenüber dem willkürlichen Despotismus von lokalen Zensoren.196 Die zensurielle Eiszeit schien vorüber, der Zenit der vormärzlichen ÖffentlichkeitsKontrolle war überschritten. So konstatiert Edda Ziegler zu dieser Zeitphase um 1844: „Die Unterdrückungsaktionen lassen allmählich nach; es zeigen sich, ausgehend von einigen liberaleren Bundesstaaten, Ansätze zur Revision des Präventivsystems.“197 Die zunehmende öffentliche Einflussnahme der während der letzten Jahre gebildeten ständischen Landtage war an einen Punkt gelangt, an dem „die Stimme der öffentlichen Meinung als Faktor politischer Entscheidung über die offiziösen Gesinnungsdämme der Bundesversammlung [hinwegbrandet].“198 Dies hatte entscheidende Folgen für die Öffentlichkeitspolitik des Bundes. Auf Betreiben von Preußen und Sachsen hob ein Bundesbeschluss am 3. März 1848 die allgemeine Zensur auf mit der Formulierung: „Jedem deutschen Bundesstaate wird freigestellt, die Zensur aufzuheben und Preßfreiheit einzuführen.“199 In Folge der Märzrevolution wurde kurz danach im April 1848 auch die gesamte Ausnahmegesetzgebung der Karlsbader Beschlüsse widerrufen. Der Theaterskandal um Moritz von Sachsen (1844) und das anschließende öffentlichkeitspolitische Taktieren des Autors Prutz und der preußischen Behörden situierten sich in dieser Umbruchphase. Gesteigerte Politisierung ging hier einher mit einer gesteigerten Medienkompetenz in der theatralen und publizistischen Auseinandersetzung auf beiden Seiten. Der Theaterintendant des Königlichen Theaters, Karl Theodor von 195

Viel zitiertes Beispiel ist hier etwa die Berichterstattung über die Schlesischen Weberaufstände (1844) durch Wilhelm Wolf. Von dem lokalen Zensor zunächst verboten, genehmigte das Oberzensurgericht den Artikel, nur um durch das Innenministerium zurechtgewiesen zu werden, es verbot den Artikel endgültig; vgl. Reinhart Koselleck, Preußen zwischen Reform und Revolution. Allgemeines Landrecht, Verwaltung und soziale Bewegung von 1791 bis 1848, München 31989, 424f. 196 Zur Ambivalenz der preußischen Zensurpolitik im gesellschaftlichen Wandel des Vormärz vgl. Jörn Leonhard, „…der heilige Eifer des Bücherkastrierens‘? Wandel und Widerspruch politischer Zensur im deutschen Vormärz bis 1848“, in: Beate Müller (Hg.), Zensur im modernen deutschen Kulturraum, Tübingen 2003, 31–45. 197 Vgl. Edda Ziegler, Literarische Zensur, 102. 198 Franz Schneider, Pressefreiheit und politische Öffentlichkeit, 305. 199 Zitiert nach Franz Schneider, Pressefreiheit und politische Öffentlichkeit, 306.

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Küstner, war der Vertreter eines neuen Intendanten-Typus, der mit den Mitteln der Öffentlichkeit nach innen und nach außen seine Theaterbelange durchzusetzen wusste. Wo Graf von Brühl noch mit aktionistischen Briefwechseln, ganz in der Tradition der Arkanpraxis, im Geheimen die Fäden ziehen wollte, ließ Küstner die Medienöffentlichkeit für sich arbeiten. Es geht nun im Folgenden darum, aufzuzeigen, wie anlässlich des Theaterskandals um das Stück Moritz von Sachsen (1844) die beteiligten Akteure – der Autor, die Intendanz, die preußischen Staatsvertreter – ihre politische und Medienkompetenz ins Feld warfen, um in der Öffentlichkeit einen günstigen Ausgang ihrer Sache zu erreichen. M o r i t z v o n S a c h s e n . Am 19. August 1844 wurde das Stück Moritz von Sachsen von Robert Prutz am Königlichen Schauspielhaus aufgeführt. In Abwesenheit des GeneralIntendanten Karl Theodor von Küstner, der 1842 die Leitung der Hofbühnen übernommen hatte, ereignete sich ein politischer Theaterskandal. Das Stück, in dem es um Moritz von Sachsens (1521–1553) Kampf um Glaubensfreiheit im Zuge der Reformation geht, bringt deutlich politisch zündende Anspielungen auf das Recht des Volkes auf Geistesfreiheit und Widerstand gegen staatliche Willkürakte. So äußert etwa der Hofnarr von Karl V. die Vision einer bürgerlichen Revolution, die schon durch kleine Zugeständnisse im Zaum gehalten werden könne: Ha, Politik! – Sie ist nun ’mal die Lieblingskost der Welt Und auch der Narr will seinen Theil daran! Die Welt hat sich ein wenig übergessen Am Kinderbrei der Häuslichkeit; sie hungert Nach den Fleischtöpfen der Historie. […] Das Volk braucht Viel – gieb ihm ein Weniges, Vom Abhub Deines Mahles – gib sie ihm! Und satt und stumm, schweifwedelnd, kriecht der Hund In seine kalte Hütte und schläft ein.200

Deutlich drückt Prutzens Narr aus, welcher politische Wind weht und obgleich er hier dem Kaiser eine Abwehrstrategie gegen politischen Aufruhr vorschlägt, so lässt sich dies auch gleichzeitig als eine Warnung an das politisch bewusster werdende Volk deuten, sich eben nicht mit dem „Abhub des Mahles“ abspeisen zu lassen. Prutz lässt seinen Helden Moritz von Sachsen hier beispielhaft im Kampf um die Freiheit des Geistes vorangehen. Der dritte Akt des Stückes schließt mit Moritz’ kämpferischen Parolen, die prompt eine starke Reaktion im Publikum hervorrufen: Nun nimm mich hin, mein Vaterland! Schiffbrüchig, Verarmt an Liebe, meiner Ehre baar, Des besten Freundes durch mich selbst beraubt: 200

Robert E. Prutz, Moritz von Sachsen. Trauerspiel in fünf Akten, Zürich und Winterthur 1845, 94f.

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So nimm mich hin! Die alten Sterne sinken, Ein neuer steigt, ein flammender Komet, An meinem Himmel fürchterlich empor – Aus blut’ger Erde keimt die junge Saat: (Das Schwert ziehend) Sonne der Freiheit, leuchte meinen Pfad!201

Nach dem Abgang des Schauspielers jubelte das Publikum; lautstark wurde der Dichter hervorgerufen. Prutz erschien auf der Bühne und dankte dem Publikum. Dann jedoch überschritt er deutlich die Grenzen des sittlich und politisch Akzeptablen im Theater: Robert Prutz suchte die öffentliche politische Solidarisierung mit dem Publikum und drückte indirekt seinen Wunsch nach einer weiteren Zunahme der politischen Tendenzen aus. Prutz veröffentlichte 1845 den Wortlaut des Gesprochenen im Anhang des Stücktextes. Inhaltlich identisch mit den innerbehördlichen Berichten heißt es dort: Ich sagte: Wie ich sehr wohl fühle, daß ich die mir erwiesene Ehre nicht meinem Stücke selbst, sondern theils der Nachsicht des Publicums, theils dem künstlerischen Eifer der Darsteller zu danken habe. Vielleicht, fuhr ich fort, komme noch ein Drittes hinzu, vielleicht, daß die Gesinnung, welche sich in meinem Stücke auszusprechen suche, mit sympathetischem Klang die Herzen der Zuschauer berührt und sie nachsichtig gemacht habe gegen die Schwächen meines Kunstwerks. Ich glaube daher, setzte ich hinzu, meinen Dank nicht besser aussprechen zu können, als durch den Wunsch, daß diese Gesinnung immer allgemeiner, immer kräftiger sich entfalte und in fröhlichem Wachsthum hervorbringe, beides, Werke des Lebens, Werke der Kunst – und unter Anderem auch beßre Theaterstücke, als heut das meinige.202

Die Stimmung im Publikum war angeheizt, Prutz’ Rede wurde jubelnd aufgenommen. Das Stück wurde fortgesetzt und ging einem weiteren provokativen Höhepunkt entgegen: Im Finale dankt Kaiser Karl V. nach der militärischen Niederlage gegen Moritz von Sachsen zugunsten seines Bruders ab. In einer letzten Begegnung zwischen Moritz und Karl V. kann ersterer den Kaiser von der Richtigkeit seiner politischen Motive überzeugen. Karl V. tritt ab mit der Einsicht, dass es der Geist der Freiheit sei, dem er weichen müsse: Doch in der Qual der fürchterlichen Stunde, Da ich von Dir mich hintergangen sah, Da ging der Stern mir der Erkenntniß auf Und ich empfand es, daß die Krone nicht Und nicht die Macht, die goldne, sondern einzig Die Freiheit ist der wahre Herr der Welt! Ihr beug ich mich: mit meinem Blute zwar, Doch hast Du mich gelehrt und unterwiesen Und freudig steig’ ich ins lebend’ge Grab: Ich weiß ja doch, daß Einer bleiben wird, 201 202

Robert E. Prutz, Moritz von Sachsen, 91. „Immediatbeschwerde des Dr. ph. R. E. Prutz in Halle über das von einem Hohen Königl. Ministerium des Innern erlassene Verbot des Trauerspiels Moritz von Sachsen.“ Abgedruckt in Robert E. Prutz, Moritz von Sachsen, 154–160, 158.

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Die Arena der Öffentlichkeit

Unsterblich Einer, der die Welt regiert, Wenn Du und ich in Asche längst zerfielen: Es bleibt der Geist, der heute mich entthront! –203

Und dieser Geist ist natürlich der Geist der Freiheit, der sich nicht mehr aufhalten lässt und dem selbst der größte Kaiser seine Macht zu Füßen legen gezwungen ist. Damit hatte Robert Prutz im Gewande des historischen Stoffes allerhand Zündstoff für die Preußischen Obrigkeiten geliefert. Das Verbot der Aufführung erfolgte sofort, bereits die zweite Vorstellung am 22. August 1844 konnte nicht mehr stattfinden. Am 2. September 1844 erging ein Runderlass des Innenministers Adolf Heinrich von Arnim-Boitzenburg an alle Regierungspräsidenten mit dem Verbot des Stückes für ganz Preußen.204 Der Augenzeugen-Bericht des ehemaligen Justizministers Karl von Kamptz205 lässt keinen Zweifel an der politischen Brisanz des Dramas: Das Stück ist nicht allein eine ganz unhistorische, vom Zaun gebrochene Apotheose der modernen Freiheit, sondern auch eine eben so verschlagen bemäntelte, wie böswillig angelegte Invective gegen das monarchische Princip. Moritz von Sachsen kämpft und siegt darin als der Verfechter der Freiheit – nicht der religiösen oder der deutschen – gegenüber Karl V., dem Vertreter des monarchischen Principes, welcher endlich die politische Bühne mit der Erkenntnis verläßt, daß sein Streben das falsche gewesen und gegen die Bewegung der freien Geister nicht anzukämpfen sei.206

Der politische Ruf des Stückes sei ihm vorausgeeilt und das Publikum schon vor dem Stückbeginn agitiert worden: Die in der gegenwärtigen Jahreszeit nicht gewöhnliche Erscheinung, daß das Schauspielhaus bis auf den letzten Platz gefüllt war, sowie der Umstand, daß Sperrsitz und Parterre von auffallend vielen jüngeren Männern in Besitz genommen waren, ließen es erkennen, daß nicht allein das Kunstinteresse das Publicum angezogen hatte. So geschah es denn auch, daß ein Theil der Zuhörer während der ganzen Vorstellung sich in lebhafter Aufregung zeigte.207

Jede anstößige, d.h. politisch anspielende, Stelle des Stückes sei mit stürmischem Applaus aus dem Parterre und der Galerie aufgenommen worden.208 Das Heraustreten und die Ansprache des Dichters Prutz stellte für Kamptz den Höhepunkt der politischen 203

Robert E. Prutz, Moritz von Sachsen, 132. Vgl. GStA, I HA, Rep. 77, Tit. 1000, Nr. 5, Bd. 1, Bl. 49. 205 Vgl. GStA, I HA, Rep. 77, Tit. 1000, Nr. 5, Bd. 1, Bl. 40–43. Karl von Kamptz hat sich in den späten 1810er und frühen 20er Jahren als unbarmherziger Verfolger jeder liberalen Tendenz hervorgetan. Während seiner Tätigkeit als Direktor im preußischen Polizeiministerium und Mitglied der Untersuchungs-Kommission des deutschen Bundes hatte er sich in der Demagogenverfolgung einen höchst verhassten Namen gemacht. 1824 wechselte er ins Justizministerium, 1832 bis 1842 war er Staats- und Justizminister. Sein Bericht über den Theaterskandal und die Einmischung in den Fall Prutz sprechen von seiner ungebrochenen Kraft im Feldzug gegen den politischen Wandel. 206 Ebd. 207 Ebd. 208 Ebd. 204

Prutz und die hohe Kunst der Öffentlichkeit

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Provokation dar, „meines unvorgreiflichen Dafürhaltens hätte bei der bekannten Gesinnung dieses Mannes es demselben zur Pflicht gemacht werden müssen, in dem Falle des Hervorrufens nicht zu dem Publicum zu sprechen.“209 Die eigentliche Gefährlichkeit lag in der Situation der Aufführung und da insbesondere in der unangemessenen öffentlichen Kommunikation zwischen dem Publikum und dem Theaterdichter. Genau wie im Fall von Der alte Student hatte auch hier die Theaterzensur den Text passieren lassen. Küstner hatte das Admittitur erteilt, in den 1840er Jahren war es auch für die Königliche Bühne ohne größere Schwierigkeiten möglich, ein solches Stück zur Aufführung zu bringen. Auch wenn das Theaterstück der Anlass dieser Kommunikation war, so stellte doch die Aufführungssituation die eigentliche Provokation dar, wenn Parterre, Galerie und Dichter das vorgeschriebene Format sprengten und somit ein gefährliches politisches Potential freizusetzen drohten. Die Königlich privilegirte Berlinische Zeitung benannte sowohl die politische Idee des Stückes als auch die Wirkung der Dichterrede auf das Publikum bereits am zweiten Tag nach der Aufführung in einer Rezension 210 nochmals, damit hatte die Wirkung aus dem Theater weitere Kreise in der Öffentlichkeit gezogen. Prutz sei ganz politischer Dichter, der Gesinnung und dem Streben nach, und er „wählte offenbar den historischen Stoff, der seinem Trauerspiel zu Grunde liegt, deshalb, weil seine Aehnlichkeit mit Zuständen der Gegenwart in vieler Beziehung sich nicht verkennen läßt, weil er die Möglichkeit sah, den Inhalt seines eigenen Bewußtseins und des Bewußtseins seiner Zeit in diesen Stoff zu lenken.“211 Die Stärke des Trauerspiels liege in der „schwungreichen, kraftvollen, vom Athem der Freiheit durchwehten Diktion.“212 Darüber hinaus wurde die Episode der Dichter-Rede geschildert und das von Prutz Gesagte ausführlich zitiert. Diese zweite Ebene der öffentlichen Verbreitung schien für Kamptz der Anlass zu sein, für ein komplettes Aufführungsverbot zu plädieren, lag der Zeitungsartikel mit der „charakteristische[n] Beurtheilung des Stückes“, so Kamptz, doch seinem diesbezüglichen Schreiben an den Innenminister213 bei. Vor dem Hintergrund der vorgefallenen politischen Kommunikation im Königlichen Schauspielhaus wurde der Stücktext von der Theaterleitung nun rasch einer strengen Revision unterzogen, um eventuell die weitere – entschärfte – Aufführung doch noch zu ermöglichen. Doch Kamptz kam in seinem Brief an den Innenminister zu dem Ergebnis, „daß die ganze Tendenz des Stückes eine zu verwerfliche sei, und diese durch Streichung einzelner Stellen nicht beseitigt werden könne, ohnehin aber eine solche Ausmerzung einzelner Ungehörigkeiten nicht ohne Aufsehen zu bewerkstelligen sei.“214 Aufhorchen lässt der letzte Satz209

GStA, I HA, Rep. 77, Tit. 1000, Nr. 5, Bd. 1, Bl. 40–43. Beilage zur Königl. privilegirten Berlinischen Zeitung, Nr. 195, 21. August 1844. 211 Ebd. 212 Ebd. 213 GStA, I HA, Rep. 77, Tit. 1000, Nr. 5, Bd. 1, Bl. 44, Kamptz an den Innenminister, 21. August 1844. 214 Ebd. 210

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teil. In den 1840er Jahren hatte sich der politische Wind gegen die preußischen Obrigkeiten offensichtlich so weit verstärkt, dass ein Stückverbot und auch massive Eingriffe in Stücktexte einer guten Begründung bedurften und nicht einfach willkürlich vorgenommen werden konnten. Die Öffentlichkeit registrierte aufmerksam jeglichen willkürlichen Akt der Staatsmacht. D i e E r k l ä r u n g s n o t d e r A u t o r i t ä t e n . Das Bestreben der preußischen Behörden war es, ihre Kontroll- und Zensur-Maßnahmen weitgehend unauffällig wirken zu lassen, aus Furcht vor einer heftigen Reaktion seitens der (Theater-)Öffentlichkeit. Und so lag auch Kamptz’ Vorschlag für das weitere Vorgehen auf dieser Linie der ‚unauffälligen Kontrollübernahme‘, nämlich, „das Trauerspiel von Prutz morgen nicht zur Aufführung zuzulassen, vielmehr unter der Angabe, daß einer der Darsteller erkrankt wäre, eine andere Vorstellung statt finden zu lassen.“215 Schließlich wurde durch Erlass des Hausministeriums die weitere Aufführung des Stückes verboten. Nachdem Küstner bereits am 28. August 1844 beim Innenministerium gegen dieses Verbot mit Hinweisen auf unbeanstandete Aufführungen an den Hofbühnen von Stuttgart, München und Wien protestiert hatte, legte auch Robert Prutz am 30. August 1844 eine Immediatbeschwerde beim König ein. Prutz trat hier gegenüber dem König selbstbewusst auf und beschwerte sich darüber, dass die Gründe für das Verbot bisher nicht offen gelegt worden seien, und berief sich auf die Freiheit der Kunst: Diese Freiheit [innerhalb des Gesetzes sich selbständig zu entfalten], die schon nicht mehr eine Königliche Gnade, eine Vergünstigung der Königlichen Macht, nein! die ein Recht der Kunst ist, nehm’ auch ich, als ein Recht meines Kunstwerks, für dasselbe in Anspruch.216

Prutz ahnte, dass seine Rede an das Publikum der eigentliche Grund für das Aufführungsverbot sei, und benannte dies offen in seiner Beschwerde: Zwar frag’ ich mich auch hier vergebens, was dabei das Gesetzwidrige, das Strafbare gewesen. War es dies, daß ich überhaupt an dieser Stelle gesprochen? Aber ich habe Schauspieler, Sänger, Tänzer von dieser Stelle aus dem Publicum danken hören: ich konnte nicht argwöhnen, daß dem Dichter verboten ist, was Sängern und Tänzern verstattet wird.217

Zur Demonstration seiner Arglosigkeit zitierte er den Text seiner Rede und verglich seine ‚Gesinnung‘ mit den eigenen Worten Friedrich Wilhelms IV. anlässlich der Grundsteinlegung für den Kölner Dom, nämlich, er würde den Grundstein, „einer neuen freien Zeit“ legen.218 Rhetorisch geschickt argumentierte Prutz mit der Frage nach der Gesetzmäßigkeit seines Handelns und bat den König, das Innenministerium anzuweisen, die Gründe für das Aufführungsverbot zu nennen und ihn entweder bei einer nach215

GStA, I HA, Rep. 77, Tit. 1000, Nr. 5, Bd. 1, Bl. 44, Kamptz an den Innenminister, 21. August 1844. Robert E. Prutz, Moritz von Sachsen, 156f. Hervorhebung im Original. 217 Robert E. Prutz, Moritz von Sachsen, 157f. 218 Robert E. Prutz, Moritz von Sachsen, 159. 216

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gewiesenen Rechtsübertretung juristisch zur Verantwortung zu ziehen oder aber das Verbot aufzuheben.219 Der Innenminister musste einen guten Grund finden, die für gefährlich erachtete Aufführung des Stückes in ganz Preußen zu verbieten. Und das gelang ihm. Im Runderlass an alle preußischen Regierungspräsidenten vom 2. September 1844 bestimmte er ein allgemeines Aufführungsverbot, da ein Mitglied der königlichen Familie auf die Bühne gebracht werde: Obwohl in demselben [Moritz von Sachsen] Albrecht Alcibiades, einer der Ahnen unseres erlauchten Regenten Hauses, auftritt und also in Gemäßheit der in meinem Erlasse […] erwähnten Allerhöchsten Bestimmung die Erlaubnis Seiner Majestät des Königs zur Darstellung dieses Dramas hätte nachgesucht werden müssen, so ist dies dennoch nicht geschehen. Die Aufführung desselben auf der Königlichen Hofbühne ist daher vorschriftswidrig geschehen und es kann also daraus, daß dieselbe statt gefunden hat, kein Grund für die Zuläßigkeit der Darstellung auf anderen Bühnen in preußischen Städten entnommen werden, vielmehr ersuche ich Euer pp. ergebenst, gefälligst, ohne Aufsehen dadurch zu erregen, anzuordnen, daß die Polizeibehörden die Erlaubnis zur Aufführung des Tragischen Dramas versagen.220

Die Kabinettsorder, auf die sich der Runderlass bezog, war anlässlich des Lustspiels Zopf und Schwert von Karl Gutzkow am 20. April 1844221 ergangen. Gutzkow hatte Friedrich Wilhelm I. als Bühnenfigur präsentiert. Seither durfte in keinem Theaterstück ein lebender oder verstorbener Angehöriger des Königlichen Hauses mehr auf die Bühne gebracht werden ohne die ausdrückliche Erlaubnis des Monarchen. Diese Kabinettsorder mit seiner Stückaufführung missachtet zu haben, war auch die knappe Begründung, die Robert Prutz am 7. Oktober 1844 vom Hausministerium auf seine Frage nach den Gründen des Verbots erhielt.222 Doch Prutz ließ nicht locker, er schickte eine geänderte Fassung des Stückes zurück,223 in der er den Markgrafen Albrecht herausgestrichen hatte, mit der Bitte um nunmehrige Erlaubnis der Aufführung. Die folgende Antwort des Hausministeriums vom 6. November 1844 stellte eine Herausforderung für den jungen Dichter dar: trotz der Textänderungen habe sich der König 219

Robert E. Prutz, Moritz von Sachsen, 160. GStA, I HA, Rep. 77, Tit. 1000, Nr. 5, Bd. 1, Bl. 49, Runderlass des Innenministeriums, 2. September 1844. 221 Vgl. Heinrich Hubert Houben, Verbotene Literatur von der klassischen Zeit bis zur Gegenwart, Bd. 1, Reprogr. Nachdruck der Ausgabe Berlin 1924, Hildesheim 1965, 319. Dort führt Houben auch die ergänzende Kabinettsorder vom 13. Juli 1844 an, die besagte, dass vom Darstellungsverbot betroffene Stücke, sobald sie auf dem königlichen Theater in Berlin aufgeführt würden, für ganz Preußen erlaubt seien. Houben erläutert ausführlich die Aufführungs- und Zensurgeschichte von Gutzkows Zopf und Schwert, vgl. Heinrich Hubert Houben, Verbotene Literatur, 315–323. 222 „Antwortschreiben Eines Hohen Ministeriums des Königlichen Hauses an den Dr. ph. R. E. Prutz in Halle auf dessen Immediatbeschwerde vom 30. August 1844“, in Robert E. Prutz, Moritz von Sachsen, 161f. 223 „Eingabe des Dr. ph. R. E. Prutz zu Halle an Ein Hohes Ministerium des Königlichen Hauses, in Erwiederung des von gedachtem Hohen Ministerium ihm zugegangenen Schreibens vom 7. October 1844“, in Robert E. Prutz, Moritz von Sachsen, 163–164. 220

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nicht bewogen gefühlt, die Aufführung des Stückes nunmehr zu gestatten.224 Prutz erlaubte sich dem König gegenüber sehr deutliche Worte, in denen er sofort auf die Vermutung eines willkürlichen Machtaktes zu sprechen kam: Anzunehmen, daß das Verbot meines (veränderten) Stückes lediglich ein Act der Königlichen Souveränität sei, mit anderen Worten, daß Ew. Majestät Allerhöchste Entscheidung über mein Stück eines rechtlichen, mit den allgemeinen Gesetzen des Landes in Einklang stehenden Grundes ermangele: dies auch nur einen Augenblick anzunehmen, scheint mir gegen die Ehrfurcht zu streiten, welche ich der Majestät des Thrones schuldig bin.225

Unbeirrt nagelte er den Monarchen auf die Frage der Gesetzesmäßigkeit fest. Was sich Maltitz nur von Hamburg aus in gedecktem Tonfall erlaubt hatte, forderte Prutz in direkter Auseinandersetzung, nämlich die strikte Einhaltung der festgeschriebenen Gesetze. Er stellte am 18. November 1844 das Immediatgesuch, daß Ew. Königliche Majestät Allerhöchst geruhen wollen, mir die gesetzlichen Gründe mittheilen zu lassen, auf welchen das fortdauernde Verbot des (umgearbeiteten) Moritz von Sachsen beruht. [Da das Stück dem Darstellungsverbot entsprechend umgearbeitet wurde,] glaube ich daher, daß auch der freie gesetzmäßige Vertrieb dieses gesetzmäßigen Stückes und mithin auch die unbehinderte Aufführung desselben auf den preußischen Theatern mir in keiner Weise entzogen, beschränkt oder irgendwie verkümmert werden darf, es sei denn, daß man mir neue Gründe nachweise, welche das Verbot auch des geänderten Stücks gesetzlich rechtfertigen.226

In seinem einleitenden Kommentar zum Akten-Anhang des Stückes Moritz in Sachsen betonte Prutz nochmals, dass das Aufführungsverbot auf Grundlage einer willkürlichen Unterdrückungsmaßnahme passiert sei. Er machte darauf aufmerksam, dass die gesetzliche Wirksamkeit der „Bestimmung“ zum Darstellungsverbot von Angehörigen des Königlichen Hauses zweifelhaft sei, da sie nicht veröffentlicht worden war: Zuerst wünsche ich von Juristen belehrt zu sein, ob ‚Bestimmungen‘, die nicht in der Gesetzsammlung publicirt sind, nichts destoweniger allgemeine Giltigkeit und gesetzlich bindende Kraft haben. Vergl. das Schreiben Eines Hohen Königl. Ministeriums des Hauses, vom 6. Octbr. d. J., in welchem es sich auf eine ‚Bestimmung‘ beruft, die, so viel bekannt, nirgend in gesetzlicher Weise veröffentlicht worden ist.227

Prutz berief sich hier beharrlich auf transparente und verlässliche Verfahren des Rechtsstaates, die völlig konträr liefen zur Praxis der Machtausübung im Preußen seiner Zeit. 224

„Antwortschreiben Eines Hohen Ministerium des Königlichen Hauses an den Dr. ph. R. E. Prutz in Halle auf dessen Eingabe vom 12. October 1844“, in Robert E. Prutz, Moritz von Sachsen, 165. 225 „Immediateingabe des Dr. R. E. Prutz in Halle über das fortbestehende Verbot seines Trauerspiels Moritz von Sachsen“, in Robert E. Prutz, Moritz von Sachsen, 166–171, 168. 226 Robert E. Prutz, Moritz von Sachsen, 169. Hervorhebung im Original. 227 Robert E. Prutz, Moritz von Sachsen, 151. In der Anmerkung zu dieser Textstelle schreibt Prutz: „Leute, die mit den Verhältnissen des Berliner Theaters genauer bekannt sind, wollen uns versichern, daß mit dieser ‚Bestimmung‘ eine Allerhöchste Cabinetsordre bezeichnet wird, welche vor etwa zwei Jahren, bei Gelegenheit des Gutzkow’schen Zopf und Schwert, erlassen worden, deren Veröffentlichung aber auf dem gesetzmäßigen Wege bisher nicht erfolgt ist.“

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Deutlich wird, inwieweit der politische Diskurs von Literaten und politisch Denkenden der Zeit mit dem obrigkeitsstaatlichen Handeln der preußischen Monarchie auseinanderklaffte. Dass Prutz dies klar benennen konnte, war der politischen Gärung der prärevolutionären 1840er Jahren zu danken. Schließlich erlaubte sich Prutz sogar, deutlich satirisch zu werden, indem er fadenscheinig mutmaßte, sein Stück würde weiterhin verboten bleiben, weil auch die anderen fürstlichen Personen von dem Darstellungsverbot betroffen sein könnten, da bei der seit Jahrhunderten stattgefundenen allgemeinen Verschwägerung sämmtlicher christlicher Regentenhäuser ohne Zweifel auch diese Personen, in einem gewissen Sinne, Anverwandte des Königlichen Hauses genannt werden dürfen und mithin gleichfalls von den preußischen Bühnen rechtlich auszuschließen sind.228

Und er hielt diesen ironischen Tonfall bei, indem er sein Schreiben enden ließ: In diesem Falle würde es äußerst wünschenswerth sein und erlaube ich mir, in meinem eigenen, wie dem Interesse der gesammten vaterländischen Literatur, die weitere allerunterthänigste Bitte: daß es Ew. Königlichen Majestät, zur Vermeidung ähnlicher Collisionsfälle, Allerhöchst gefallen möge, eine authentische Interpretation der in Frage stehenden Bestimmung zu veranlassen und namentlich eine genaue Angabe, im wievielten Grade historische Personen Ew. Majestät Königlichem Hause verwandt sein dürfen, um auf den Bühnen Allerhöchst Dero Länder noch ohne Anstand zugelassen zu werden.229

Robert Prutz führte hier den Erklärungsnotstand der preußischen Behörden letztlich ad absurdum. Eine direkte Antwort auf diese Immediateingabe vom 18. November 1844 ist nicht überliefert. Ungefähr zur gleichen Zeit230 gab Prutz in Zürich seine aristophanische Komödie Die politische Wochenstube heraus. Hier erlaubte sich Prutz eine pointierte politische Satire, die auch vor aktuellen Bezügen nicht zurückschreckte. Insbesondere die Verhältnisse in Berlin und Preußen nahm Prutz satirisch aufs Korn. Die Tendenz dieses Werkes „sowohl die bestehende Verfassung und die öffentlichen Zustände Deutschlands, als auch insbesondere Preußens so darzustellen, daß dadurch Mißvergnügen und Unzufriedenheit der Bürger gegen die Regierung erregt werde“231 , brachte ihm sofort eine preußische Anklage wegen Majestätsbeleidigung ein. Am 16. Dezember 1844 erfolgte die Eröffnung des strafrechtlichen Verfahrens gegen Prutz. Inwiefern dies nun im Zusammenhang steht mit der Auseinandersetzung um das Trauerspiel Moritz von Sachsen bleibt offen. Deutlich ist allerdings, dass er damit den Ruf eines politisch gefährlichen Autors gegenüber Preußens Obrigkeiten solide befestigte. Obgleich es ihm gelang,

228

Robert E. Prutz, Moritz von Sachsen, 170. Ebd. 230 Prutz gibt im Vorwort seiner Vorlesungen über die deutsche Literatur der Gegenwart den Hinweis, er habe „gegen Ende vierundvierzig die ‚politische Wochenstube‘ drucken lassen“, in Robert E. Prutz, Vorlesungen über die deutsche Literatur der Gegenwart, Leipzig 1847, XXXI. 231 Robert E. Prutz, Vorlesungen über die deutsche Literatur, 1847, XXXII. 229

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durch ein Begnadigungsgesuch an den König (18. Oktober 1845)232 die Einstellung des Verfahrens (15. Januar 1846)233 zu erreichen, zählte Prutz fortan zu den politisch verdächtigen Literaten. Zu diesem Zeitpunkt lief bereits im Hintergrund eine Kontrollmaschine an, die versuchte, den politischen Anspruch der jungen Dramatiker überhaupt in den Griff zu kriegen. Dabei verwickelten sich die preußischen Behörden jedoch in Kompetenzstreitigkeiten, welche die Kontrollmöglichkeiten deutlich schwächten. K o n t r o l l e d e r T h e a t e r- ‚ P r o g o n e n ‘. Im Vorwort seines Trauerspiels Moritz von Sachsen gab Robert Prutz eine Art Vision eines zukünftigen Dramas. Er reihte sein Werk in jüngere Bemühungen ein, ein politisches und nationales Drama zu schaffen. Als Bundesgenossen für diesen Anspruch hatte er sicher die Stücke eines Karl Gutzkow, eines Heinrich Laube und anderer im Sinn. Prutz beschrieb eine allgemeine Literatur-Verdrossenheit, welche alleine praktisches politisches Handeln gelten lassen mochte. Diese Tendenz würde fordern: Hört auf zu dichten! Macht keine Verse mehr! Werdet praktisch, schreibt politische Brochüren, ja wenn Ihr das Versemachen durchaus nicht lassen könnt, so schreibt wenigstens Satiren und laßt die tragische Muse in Ruhe, die durch Eure Umarmungen doch niemals zu einer glücklichen Mutter werden wird!234

Abb. 4: Das Königliche Schauspielhaus am Gendarmenmarkt, um 1840

232

Vollständig abgedruckt in Robert E. Prutz, Vorlesungen über die deutsche Literatur, XLVI–LVII. Vollständig abgedruckt in Robert E. Prutz, Vorlesungen über die deutsche Literatur, LX–LXI. 234 Robert E. Prutz, Moritz von Sachsen, XXXIII. 233

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Doch Prutz wollte das nicht gelten lassen, er bezeichnete diese Forderungen als kindisch, als bornierte Verkennung der Geschichte235 . Dem gegenüber postulierte er eine dem Zeitgeist angemessene Literatur, welche ihrer Einbettung in die politische Gegenwart reflektierte. Prutz positionierte sich als ein Literat, der sich seiner historischen Zwänge wohl bewusst war und sein Schaffen dem ‚Geist der Zeit‘ gewidmet wissen wollte; und dieser Geist war ein politischer. Daher auch das Selbstbewusstsein von Robert Prutz als politischer Dichter, der als Kind seiner Zeit nicht anders kann, als politisch zu schreiben. Prutz wusste sich hier auf der Seite einer künftig zu gestaltenden Welt, seine preußischen Gegner konnte er daher als Vertreter eines überkommenen Systems und einer aristokratischen, nicht mehr angemessenen Denkweise darstellen. In der konsequenten Historisierung des Jetzt und der Geltendmachung des ‚Zeitgeist‘ sehen wir deutlich Spuren des Junghegelianismus, die auf das Prutzsche Selbstverständnis als Dichter gewirkt haben. Dem Epigonen-Vorwurf von Anhängern des klassischen Ideals wirft er den Begriff des ‚Progonen‘ entgegen: „vielmehr Progonen sind wir, Progonen einer künftigen reifen und freien Zeit, auf die wir das Auge sehnsüchtig gerichtet haben, ja deren erster herber Keim in eben diesen unvollkommenen Liedern knospet, die Eurem verwöhnten Munde so häßlich schmecken.“236 Das Drama sei in einer Experimentalphase, in der es gelte, alles gegen die Vereinnahmung des Theaters durch die Höfe in die Waagschale zu werfen. Und dies wird mit dem politischen Anspruch an das Theater als Medium einer freien nationalen Zukunft verknüpft: Dies nun ist auch die wahre Bedeutung der gegenwärtigen dramatischen Versuche. Sie sind an sich nichts: aber sie bereiten ein künftiges Drama vor, erstlich negativ, indem sie das bisherige erbärmliche Unwesen verdrängen helfen und das Feld aufräumen, auf dem eine spätere glücklichere Muse ihren Siegeseinzug halten wird. Und sodann positiv, indem sie erstlich einen gewissen Apparat praktischer Erfahrungen und Vortheile sammeln, der unsern künftigen Dramatikern trefflich zu Statten kommen und sie, auf unsere Kosten, vor unzähligen Irrthümern und Mißgriffen behüten wird: zweitens, indem sie das Publikum allmälig wieder an die Idee einer einheimischen dramatischen Literatur gewöhnen und das Theater, das so lange Zeit lediglich eine Veranstaltung des höfischen Luxus, ein Nothbehelf der fürstlichen Langeweile gewesen, allmälig wieder in den Kreis der nationalen Interessen hineinziehen.237

Was Prutz hier aussprach, war eine Tendenz, die sicher seinen zeitgenössischen Dramatiker-Kollegen ebenso zu unterstellen war. Und dessen waren sich die preußischen Autoritäten sehr wohl bewusst, allerspätestens nach der Skandal-Aufführung des Moritz von Sachsen. Von ihrer Seite galt es, dem entschieden entgegen zu treten. K o n t r o l l v e r s c h ä r f u n g e n v s . K o m p e t e n z s t r e i t i g k e i t e n . Bereits vier Wochen nach der Aufführung des Stückes war man sich in den preußischen Behörden einig, dass 235

Vgl. Robert E. Prutz, Moritz von Sachsen, XXXIV. Robert E. Prutz, Moritz von Sachsen, XXXV. 237 Robert E. Prutz, Moritz von Sachsen, XXXVf. 236

210

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man generelle Regelungen treffen musste, um eine solche politische Theaterwirkung zu unterbinden. Die Zielgruppe der Restriktionen war ausgemacht; es galt, die Stücke jüngerer Theaterdichter, insbesondere historische Dramen, einer strengen Kontrolle zu unterwerfen. Am 16. September 1844 schrieb Fürst zu Wittgenstein an den Innenminister, er habe veranlasst, den Herrn General-Intendant von Küstner auf die Nothwendigkeit aufmerksam zu machen, die besonders von jüngeren Schriftstellern eingesandten zumal historischen Stücke einer Beachtung zu unterwerfen, damit nicht Theater-Aufführungen zu politischen Demonstrationen gemißbraucht werden können, wie dies bei dem Schauspiel Moritz von Sachsen der Fall gewesen ist. Es ist dem gedachten Herrn General-Intendanten anempfohlen, wo bei einer in dieser Beziehung anzustellenden Prüfung sich irgend Bedenken herausstellen, darüber zu berichten, ehe ein solches Stück in Scene gesetzt wird und ich werde in solchem Falle den Bericht Er. Excellenz mitzutheilen nicht ermangeln, damit Sie über die Zuläßigkeit der Aufführung entscheiden und keine weiteren Verstöße in jener Beziehung mehr vorkommen können.238

Die dramatischen Produkte junger Autoren sollten also speziell kritisch geprüft werden und eine öffentliche Ansprache von der Bühne herab musste unbedingt verhindert werden. Daher sei auf allerhöchsten Befehl an Küstner die Anweisung ergangen, „daß dem Hervortreten solcher Personen, die nicht zu den ausübenden Künstlern gehören, ferner nicht statt gegeben werden solle, damit nicht Gelegenheit gegeben werde, solche ungeeignete Reden an das Publickum zu halten, wie dies Seitens des Dr. Prutz geschehen ist.“239 Fürst von Wittgenstein als oberster Herr über das Hoftheater hatte damit gegenüber dem Innenminister deutlich gemacht, dass er künftig mit äußerster Strenge gegen politische Tendenzen auf der Bühne angehen würde und somit die Lage am Königlichen Theater wieder unter Kontrolle sei. Dass dies nötig war, um nicht den Eindruck einer Lässigkeit und schleichenden Politisierung des Theaters zu erwecken wird deutlich, wenn man den nun folgenden unterschwelligen Machtkampf zwischen dem Polizeipräsidium und dem Hausministerium um die kontrollierenden Zugriffsmöglichkeiten auf das Theater weiter verfolgt. Drei Wochen später, am 9. Oktober 1844, machte der Innenminister Adolf Heinrich von Arnim-Boitzenburg dem Hausminister zu Wittgenstein den Vorschlag, dass der General-Intendant sich in strittigen Fällen direkt an den Polizeipräsidenten wenden sollte. Küstner sollte sich bei Stücken der vorbezeichneten Kathegorie [historische Dramen junger Autoren] in Betreff der Zulässigkeit ihrer Aufführung sich zunächst mit dem hiesigen Polizei-Präsidenten als der für die Ordnung bei den Vorführungen zunächst verantwortliche u competente Behörde in Communikation zu setzen, für den Fall aber, daß keine Vereinigung mit demselben statt finden, oder sonst ein Zweifel zu erledigen sein sollte, Hochdemselben [Fürst zu Wittgenstein]

238

GStA, I HA, Rep. 77, Tit. 1000, Nr. 5, Bd. 1, Bl. 68, Hausministerium an das Innenministerium, 16. September 1844. 239 Ebd.

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darüber Bericht zu erstatten, zunächst ich alsdann, wenn dies gewünscht werden sollte, sehr gern bereit sein werde, bei der Entscheidung über die Zulässigkeit mitzuwirken. 240

Damit wollte der Innenminister das Zensurprivileg der Hofbühnen faktisch aufheben. In der Übergehung des Hausministers hätte so das Polizeiministerium unter der Oberhoheit des Innenministeriums den ersten Kontrollzugriff auf die aufzuführenden Dramen gehabt. Und so wäre das Königliche Theater letztlich allen anderen Theatern241 gleichgeordnet worden, die den Zensurentscheidungen der Polizeibehörden unterworfen waren. Arnims Argument, die Polizeibehörde sei die „für die Ordnung bei den Vorführungen zunächst verantwortliche und competente Behörde“, traf bei Wittgenstein auf Widerstand. Das Hoftheater durfte in seinen Augen gerade nicht der allgemein zuständigen Behörde unterworfen sein, sondern musste auf seinen lange gehüteten Sonderstatus bestehen. Daher wies das Hausministerium den Vorschlag des Innenministers aufs Entschiedenste zurück. Am 14. Oktober 1844 schrieb Wittgenstein: Dem Polizei-Präsidium ist zwar die zur Aufrechthaltung der Ordnung im Theater competente Behörde, zu keiner Zeit aber ist demselben eine Einwirkung auf die Darstellung oder Nichtdarstellung der Theaterstücke eingeräumt gewesen und es dürfte einiges Aufsehen im Publikum erregen, wenn eine solche Maßregel, deren Bekanntwerdung kaum zu vermeiden sein würde, nunmehr getroffen würde.242

Der Hausminister scheint hier unterschwellig sogar damit zu drohen, die öffentliche Solidarität des Publikums zu suchen. Die Vermeidung der „Bekanntwerdung“ lag ja schließlich auch in seiner Hand, eine Indiskretion seinerseits hätte sicher ein dem Theater günstiges Aufsehen erregt. Hier wurden deutlich die Muskeln gespannt gegen die Zensur-Begehrlichkeiten des Innenministeriums. Der Innenminister antwortete prompt am 4. November 1844 und machte Zugeständnisse. Er „abstrahire sehr gern von dem in [seinem] ganz ergebensten Schreben vom 9ten v. M. gemachten diesfälligen Vorschlage“, würde sich jedoch vorbehalten, „in den geeigneten Fällen den hiesigen PolizeiPräsdenten mit seinem Gutachten zu hören.“243 Damit blieb der Polizei-Präsident im Spiel. In einem gleichzeitig verfassten Schreiben, forderte der Innneminister diesen indirekt auf, die Vorgänge auf der königlichen Bühne im Auge zu behalten und nötigenfalls hindernd einzugreifen, wenn ihm zur Kenntnis kommen sollte, „daß ungeeignete Stücke zur Aufführung bestimmt sind.“244 Arnim wies den Polizei-Präsidenten von Puttkammer letztlich indirekt an, über interne Kanäle Einblicke in die Probenarbeit des Hoftheaters zu erlangen, ohne offiziell eine 240

GStA, I HA, Rep. 77, Tit. 1000, Nr. 5, Bd. 1, Bl. 69, Innenminister an den Hausminister, 9. Oktober 1844. 241 1829 hatte auch das Königstädtische Theater seine Zensurautonomie verloren, vgl. Kap. 4.2, 169. 242 GStA, I HA, Rep. 77, Tit. 1000, Nr. 4, Bl. 24, Hausminister an den Innenminister, 14. Oktober 1844. 243 GStA, I HA, Rep. 77, Tit. 1000, Nr. 4, Bl. 25–26, Innenminister an den Hausminister und den Polizeipräsidenten, 4. November 1844. 244 Ebd.

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Die Arena der Öffentlichkeit

Kontrollfunktion auszuüben. Puttkammer versuchte diesem Auftrag gerecht zu werden, indem er von Küstner das Theaterrepertoire und auch die Manuskripte der zur Aufführung vorgesehenen Stücke zu erlangen suchte. Der General-Intendant lehnte indes jede Kooperation mit dem Polizei-Präsidenten kategorisch ab.245 Puttkammer konnte den Widerstand der Hofbühne nachvollziehen und erkannte das Zensurprivileg der Bühne an, sah sich jedoch dem Innenminister gegenüber in der Pflicht: [W]enngleich ich nicht verkannte, daß eine polizeiliche Ueberwachung der Censur eines Königlichen Hoftheaters den Ressortverhältnissen nicht entspricht, und leicht zur eigenen Ausübung der Theater-Censur führen kann, so glaubte ich doch auf andere Weise Ew. Excellenz Befehlen vom 14ten November v. J. nicht genügen zu können.246

Da nun das Hausministerium jedoch zugesagt hatte, im Zweifel über die Zulässigkeit eines Stückes den Innenminister direkt hinzuzuziehen, betrachtete Puttkammer sich aus dieser Pflicht entlassen.247 Damit hatten Wittgenstein, Stolberg-Wernigerode248 und Küstner im Prinzip den vorigen Status quo der Kontroll-Balance wieder erreicht, allerdings ließ sich der Innenminister die zusätzliche Kontrolle über die neuen Stücke nicht aus der Hand nehmen, er befand abschließend am 13. Juli 1845: [Es dürfte] im Interesse des Königlichen Polizei-Präsidiums sowie der Königlichen GeneralIntendantur liegen, wenn die letzere demselben von jedem neu auf die Bühne zu bringenden Stücke so zeitig überhaupt eine Nachricht gäbe, daß etwaige Bedenken erörtert werden können, ehe die Absicht solcher Aufführung bekannt wird.249

Damit blieb das Konkurrenzverhältnis um die Kontrolle der Königlichen Bühne weiter bestehen, dies konnte den mit der Hofbühne verbundenen Theaterautoren nicht verborgen bleiben. Auch dem Dramatiker Robert Prutz schien dies vollständig bekannt, wenn er am 3. August 1845 eine Eingabe an den Innenminister stellte, worin er um die Aufführungserlaubnis für sein neuen Stück Erich XIV. bat: Ein Hohes Königliches Minsterium des Inneren hat, wie mir eben durch die Generalintendantur der Kgl. Schauspiele angezeigt wird, die von derselben beabsichtigten Aufführung meines Stückes Erich XIV. nicht angemessen gefunden und die Zurückweisung desselben Seitens genannter Generalintendantur veranlaßt. Da durch diesen Beschluß meine literarischen sowohl wie pecuniären Interessen wesentlich beeinträchtigt werden, so erlaube ich mir an Ein Hohes Kgl. Ministerium das so ehrerbietige wie angelegentliche Gesuch, mich hochgeneigtest von den Gründen dieses Beschlusses in Kenntniß setzen zu wollen.

245

GStA, I HA, Rep. 77, Tit. 1000, Nr. 4, Bd. 1, Bl. 29–30, Polizei-Präsident an den Innenminister, 22. Februar 1845. 246 Ebd. 247 Ebd. 248 Seit 1842 war Wittgenstein der Graf zu Stolberg-Wernigerode als Minister des Königlichen Hauses zur Seite gestellte worden. 249 GStA, I HA, Rep. 77, Tit. 1000, Nr. 4, Bl. 33, Innenminister an den Hausminister, 13. Juli 1845. Hervorhebung im Original.

Prutz und die hohe Kunst der Öffentlichkeit

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Sowie ich auch ferner, zur Vermeidung jedes möglichen Zweifels, um eine authentische Erklärung bitte über den Umfang des in Rede stehenden Verbots, ob dasselbe nämlich bloß für die Berliner Hofbühne oder, als eine allgemeine Maßregel, für sämtliche Bühnen des Inlandes gelten soll.250

Der Innenminister antwortete einigermaßen konsterniert, ob dieser augenscheinlichen Indiskretion durch die General-Intendantur, dass er keineswegs zuständig sei für die Entscheidung über die Aufführung oder Nichtaufführung eines Stückes. Er wies Prutz an, sich an die General-Intendantur zu wenden, „von welcher, resp. von deren vorgesetzter Behörde, die Entscheidung über die Aufführung oder Nichtaufführung eines Dramas ausschließlich abhängt. Das Ministerium des Innern hat eine solche Entscheidung nicht zu treffen.“251 Diese offizielle Lesart widersprach vollkommen den eben geschilderten Bestimmungen zum Zensurversuch der Hofbühne durch Polizei-Präsidium und Innenministerium. Die Öffentlichkeit durfte aber von diesen innerbehördlichen Zugriffen nichts wissen und so erteilte von Arnim dem Fürsten von Wittgenstein und seinem Amtskollegen Graf zu Stolberg-Wernigerode einen Verweis: Eurer p. und Euer p. beehre ich mich in der Anlage Abschrift eines von dem Dr. Prutz rücksichtlich des Dramas Erich XIV. an das Ministerium des Innern unter dem 3ten d. M. gerichteten Gesuchs und des ihm darauf heute ertheilten Bescheids zur geneigten Kenntnisnahme ganz ergebenst zu übersenden. Hochdieselben werden es für die Folge gewiß zu verhindern wissen, daß in den den Autoren zu ertheilenden Bescheiden auf Ansichten oder Aeußerungen des Ministeriums des Innern Bezug genommen werde.252

Es bleibt zu vermuten, dass der General-Intendant von Küstner durchaus absichtlich mit einer Indiskretion an Prutz operiert hatte, um das Innenministerium in der Öffentlichkeit unter Druck zu setzen. Wie Wittgenstein bereits mit der zu aktivierenden Solidarität des Publikums gedroht hatte, so schien auch Küstner mit der Öffentlichkeit Politik zu treiben. Die folgenden Ausführungen machen deutlich, dass sowohl der General-Intendant als auch sein Autor Robert E. Prutz sehr bewusste Akteure einer politischen Öffentlichkeit waren. S t r a t e g e n d e r Ö f f e n t l i c h k e i t. Eduard Devrient stellte in seiner Geschichte der Deutschen Schauspielkunst den General-Intendanten von Küstner speziell in seiner Berliner Zeit als Adepten der Medienkultur dar. Als Zeitgenosse von Küstners stand Devrient den neuen Medienentwicklungen sehr kritisch gegenüber, um nicht zu sagen, er verfällt in den Stil einer zivilisationspessimistischen Litanei, wenn immer in seinen 250

GStA, I HA, Rep. 77, Tit. 1000, Nr. 5, Bd. 1, Bl. 134, Robert Prutz an das Innenministerium, 3. August 1845. 251 GStA, I HA, Rep. 77, Tit. 1000, Nr. 5, Bd. 1, Bl. 135, Innenminister an Robert Prutz, 12. August 1845. 252 Ebd. Der Innenminister notierte die obige Beschwerde auf den Entwurf des Antwortschreibens an Prutz. Eine Kopie der Eingabe von Prutz sowie diese Textnotiz gingen als Beschwerdeschreiben an das Hausministeriums.

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Die Arena der Öffentlichkeit

Bänden von Journalisten und Zeitungen die Rede ist. Daher ist folgendes Zitat zur Charakterisierung von Küstner als ‚Medienakteur‘ im Sinne Devrients als vernichtendes Urteil zu lesen: Der Journalistik und Claque huldigte er [Küstner] förmlich, seine ersten Besuche in Berlin galten den Kritikern; während der Theatervorstellungen saßen die Referenten der beiden gelesensten Zeitungen in seiner Loge, vor Aller Augen ihm zur Rechten und zur Linken, während sein allgemein gekannter Bedienter im Parterre die Claque leitete. Denn Herr von Küstner hielt mit dem Ausspruche nicht zurück, daß der ein schlechter Intendant sei, der nicht das Schicksal eines Stückes, wie eines Darstellers in der Hand habe. Er respectirte sogar an den Künstlern diese Verfälschung des öffentlichen Urtheils. Einen hohen Gehalt dem er einem Neuengagirten zugestand, rechtfertigte er mit der Aeußerung: er wisse sehr wohl, daß des Künstlers Ruf durch die Journale, zum Theil durch seine eigene Feder, gemacht sei, aber er habe diesen Ruf nun einmal, folglich müsse man ihn auch bezahlen.253

Aus heutiger Sicht kann man nicht anders, als dem General-Intendanten von Küstner ob seiner früh entwickelten Medienkompetenz Respekt zu zollen. Nicht nur, dass er augenscheinlich im Sinne einer modernen PR die Kontakte zu den Zeitungsorganen umfassend pflegte, nein, er war sich auch der Wirkung von Medien auf den Status seiner darstellenden Künstler bewusst und versuchte einen Umgang damit zu finden. Für den Zusammenhang mit der Causa Prutz ist insbesondere interessant, wie er durch gezielte Indiskretionen und lancierte Medieninhalte dem preußischen Kontrollbestreben entgegenzuarbeiten versuchte. Oben wurde bereits dargestellt, wie er im Falle der Aufführungserlaubnis des Stückes Erich XIV. Prutz über die Entscheidung des Innenministers informierte. Auch im Zusammenhang mit dem Skandal der Aufführung des Stückes Moritz von Sachsen flossen durch ihn Informationen an Prutz, welche diesen in seinem politischen Handeln indirekt unterstützten. Nach dem Aufführungs-Verbot war in der Leipziger Allgemeinen Deutschen Zeitung ein Artikel erschienen, der das Eingreifen des Innenministeriums gegen Prutz in einen Zusammenhang mit politisch motivierten Restriktionen stellte; dies zu einem Zeitpunkt, als die involvierten Behörden noch versuchten, mit einer unverfänglichen Begründung der Aussetzung der erneuten Aufführung – Erkrankung eines Schauspielers – öffentliches Aufsehen zu vermeiden. Das Innenministerium drängte nun auf Aufklärung dieser Indiskretion und verlangte vom General-Intendanten und vom Hausministerium eine Erklärung.254 Küstner verteidigte zunächst in seinem Antwortschreiben das Stück des Robert Prutz, das ohne die ungebührliche Rede des Dichters nach dem dritten Akt keinerlei politische

253 254

Eduard Devrient, Geschichte der Deutschen Schauspielkunst, Bd. 5, 220. Ein diesbezügliches Schreiben konnte in den Akten zum Vorfall um Moritz von Sachsen nicht ermittelt werden, aber das Antwortschreiben des Hausministeriums an das Innenministerium gibt den Hinweis darauf; vgl. GStA, I HA, Rep. 77, Tit. 1000, Nr. 5, Bd. 1, Bl. 68, Hausministerium an das Innenministerium, 16. September 1844: „Ew. Excellenz erwidere ich auf die geehrten Schreiben vom 8ten d. M. ganz ergebenst.“

Prutz und die hohe Kunst der Öffentlichkeit

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Anstößigkeiten enthalten habe. Als Autorität für die Gültigkeit dieses Urteils benannte Küstner keinen Geringeren als Alexander von Humboldt: Wie die Worte des Prutz und nicht eigentlich das Gedicht des Moritz von Sachsen als anstößig befunden, dafür darf ich neuerdings eine eben so unpartheyische als einsichtvolle Stimme anführen, die des Wirklichen Geheimen Raths Herrn von Humboldt, der Unserem Allergnädigsten Könige so nahe steht. Er hat sich nach Lesung des Stücks unumwunden dafür ausgesprochen, daß er theils in dem Stück nicht Anstößiges, theils dasselbe sehr vorzüglich findet.255

Nach dieser taktischen Abschwächung des politischen Stück-Potentials kam er auf den eigentlichen Vorfalls der Indiskretion zu sprechen: Was die Stelle der Leipziger Allgemeinen Zeitung betrifft, so glaube ich sie mir auf folgende Weise zu erklären. Als die weitere Aufführung des Stückes: Moritz von Sachsen vorläufig inhibirt war, kam der im nahen Halle befindliche Verfasser zu mir, da ich damals mich auf dem Lande bei Leipzig aufhielt, und begehrte von mir die Wiederholung, um so mehr, als den Dichtern gegenwärtig eine Tantieme von der Einnahme der Vorstellung eingeräumt ist. Ich mußte daher denselben von der vorläufigen Inhibirung des Stücks in Kenntnis setzen und ihm sagen, er möge erst die definitive Entscheidung abwarten, nachdem ich an Se. Majestät den König berichtet und an den zur Zeit abwesend gewesenen Herrn Staatsminister Grafen von Arnim deshalb geschrieben. Wenn ich dies geschäftsmäßig zu sagen nicht umhin konnte, so dürfte es wohl am erklärlichsten seyn, daß die erwähnte Bekanntmachung in der allgemeinen Zeitung von oder durch den Verfasser des Stücks ausgegangen sey. Uebrigens habe ich Se. Durchlaucht den Herrn Fürsten von Wittgenstein schon zu mehreren Malen darauf aufmerksam gemacht, wie selbst an mich noch nicht gelangte Entscheidungen zur Oeffentlichkeit gekommen sind, zu meinem Nachthteil und zu meiner Anfeindung. Eine neue Erinnerung an das amtlich zu beobachtende Geheimnis in allen Theaterangelegenheiten würde gewiß von Seiten Eines Hohen Ministerii des Königlichen Hauses, das dem Königl. Theater vorgesetzt ist, von großem Nutzen und von um so größerer Wirkung seyn.256

Küstner verharmloste seine Mitteilung an Prutz als gewöhnlichen Geschäftsgang, schob diesem dann die Autorschaft für den Leipziger Artikel zu und wies schließlich den Verdacht des Geheimnisverrats von sich, indem er auf eine unbedingte Geheimhaltung der internen Theaterangelegenheiten bestand und sich selbst als Opfer vergangener Indiskretionen bezeichnete. Auf diese Argumentation ging das Hausministerium nicht weiter ein, das dem Innenministerium am nächsten Tag letztlich wiederum auf Küstner deutend sachlich mitteilte: Es sei dem General-Intendanten ernstlich empfohlen, Sorge zu tragen, „daß das Aufsehen, welches solche unangenehmen Vorfälle erzeugen, nicht durch indiscrete Bezugnahme auf amtliche Verhandlungen vergrößert werden könne, dergleichen bei dem in Rede stehenden Artikel vorgekommen ist.“257 Einige Monate später versuchte Küstner wieder mit den Muskeln der Öffentlichkeit zu spielen. Anlässlich der Diskussion um das Verbot des Gutzkowschen Dramas Das 255

GStA, I HA, Rep. 77, Tit. 1000, Nr. 5, Bd. 1, Bl. 66, General-Intendant an das Hausministerium, 15. September 1844. 256 Ebd. 257 GStA, I HA, Rep. 77, Tit. 1000, Nr. 5, Bd. 1, Bl. 68, Hausministerium an das Innenministerium, 16. September 1844.

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Die Arena der Öffentlichkeit

Urbild des Tartüffe warf Küstner nicht nur die Wiener Aufführungen der in Berlin verbotenen Stücke in die Waagschale, sondern skizzierte die Gefahr der öffentlichen Unruhe durch die Publizistik und den Schaden für den öffentlichen Ruf der Königlichen Bühnen und Preußens bei einer Verhinderung der Aufführung. Er schrieb an den Innenminister: Nach vielfältigen mir zugekommenen Nachrichten und Mittheilungen ist man sehr gespannt darauf, ob das Stück verboten wird, und ich sehe voraus, wie dies, wenn es einträte, eine große Bewegung in der Literatur-Welt und der Journalistik hervorbringen würde, nachdem bereits „Moritz von Sachsen“, „Pugatscheff“ und „Struensee“ verboten sind. Ich wiederhole übrigens daß politische Bedenklichkeiten keineswegs existiren. In Wien geht man damit um, alle Stücke, die hier verboten werden, zur Aufführung zu befördern. „Moritz von Sachsen“ und „Struensee“ werden binnen Kurzem daselbst erscheinen und nach einer Nachricht aus glaubhafter Quelle ist auch bereits „Das Urbild des Tartüffe“ angenommen. Dies wird nun von der Journalistik ausgebeutet, um gegen die hiesige General-Intendantur und Preußen zu schreiben, was mich, der ich die Ehre habe, preußischer Diener zu sein, schmerzt! 258

Der General-Intendant konnte sich hier durchsetzen, die Aufführung des Stückes wurde für den 8. März 1845 genehmigt, wobei sich bei der ersten Aufführung jedoch der Schauspieler Hendrichs anstößige textliche Zusätze erlaubte. Küstner gelang es jedoch, durch eine Disziplinarstrafe an den Schauspieler, das Innenministerium von seiner Autorität zu überzeugen, so dass eine zweite Aufführung stattfinden konnte.259 Während also Küstner als Vorsteher einer preußischen Staats-Institution mit Indiskretionen in die Öffentlichkeit den preußischen Apparat hie und da zu seinen Gunsten manipulieren konnte, so ging Robert Prutz mit groß angelegten Öffentlichkeitskampagnen in die Vollen. D i e P o l i t i k d e r Ö f f e n t l i c h k e i t . Gegen die gezielte Instrumentalisierung der öffentlichen Medien von Robert Prutz sehen die Versuche des Gotthilf August von Maltitz, sich in der Öffentlichkeit Gehör zu verschaffen für seine durch die preußischen Autoritäten erlittene Schmach, sehr bescheiden aus. Maltitz operierte aus der sicheren Distanz, von Hamburg aus, und vermied die direkte Auseinandersetzung mit den preußischen Behörden. Er stand in einer literarischen Tradition, welche die öffentliche Aufmerksamkeit nur in wesentlich geringerem Maße für sich in Anspruch nehmen konnte. Prutz dagegen nutzte die Druckmöglichkeiten in der Schweiz, um sein Theaterstück Moritz von Sachsen 1845 mit einem umfassenden Aktenanhang zu veröffentlichen,260 der sein politisches Agieren gegenüber den preußischen Behörden offen legte. 258

GStA, I HA, Rep. 77, Tit. 1000, Nr. 5, Bd. 1, Bl. 127, General-Intendant an das Innenministerium, 27. Januar 1845. 259 Vgl. GStA, I HA, Rep. 77, Tit. 1000, Nr. 5, Bd. 1, Bl. 108, ca. 9. März 1845. 260 Als Vorbild für eine solche Öffentlichkeitsstrategie kann hier der Freund und Kollege Arnold Ruge gelten, der etwa in den von ihm 1843 herausgegebenen und in der Schweiz (ebenfalls im Verlag des Literarischen Comptoirs) verlegten Anekdota zur neuesten Philosophie und Publicistik eine „Aktenmäßige Darlegung der Censurverhältnisse der Hallischen und Deutschen Jahrbücher in den

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In dieser Zeitphase – Ende der 1830er bis Mitte der 1840er Jahre war die Schweiz ein wichtiger Druck- und Verlagsort für kritische Schriften.261 Zwei Jahre später, 1847, legte Prutz mit einer zweiten umfassenden Aktenveröffentlichung nach. Er publizierte in Leipzig 262 seine Vorlesungen über die deutsche Literatur der Gegenwart (1847). Im Vorwort dieses Buches übergab er die detaillierten Hintergründe und Akten des Verbots seiner Vorlesungen in Berlin (1847) der Leseöffentlichkeit. Zunächst bedankte er sich ironisch in beiden Veröffentlichungen für die ungeheure „Celebrität,“263 die sein Stück bzw. seine Person durch die preußischen Restriktionen nun genösse, dann aber reflektierte er sehr genau die Wirkung einer Veröffentlichung des Aktenverlaufs der Auseinandersetzungen. 1845 erläuterte Prutz in der Einleitung des Anhangs zur Edition von Moritz von Sachsen die Motivation für die Veröffentlichung der preußischen Aktenstücke: Nicht also […] aus irgend einem persönlichen Motive: meine Person ist bei der ganzen Angelegenheit schon mehr ins Spiel gezogen worden, als mir lieb war – auch nicht etwa um mich vor dem Publicum zu rechtfertigen: das Publicum selber hat mir diese Mühe, in einer mich beschämenden Weise, abgenommen – noch weniger, um die preußischen Behörden wegen der Unterdrückung meines Stückes, vor der öffentlichen Meinung anzuklagen: ich bin ihnen ja im Gegentheile Dank schuldig – sondern lediglich als einen Beitrag zur Kenntniß des gegenwärtigen Rechtszustandes der deutschen Bühne, als ein Problem, an welchem der Witz unsrer Rechtsgelehrten, der Scharfsinn unsrer Gesetzgeber sich üben möge, ja wenn es sein kann, als ein Samenkorn zu dem organischen Wachsthum einer künftigen, historisch gewordenen Bühnengesetzgebung, habe ich meinem Stücke diesen Anhang beigefügt, und theile ich namentlich im Nachfolgenden die hauptsächlichsten Actenstücke mit, welche in dieser Angelegenheit geJahren 1839, 1841 und 1842“, 3–55, veröffentlichte. Im zweiten Teil dieses Bandes sind die „Bemerkungen über die neueste preußische Censurinstruktion“ von Karl Marx (hier als Autor anonymisiert: „Von einem Rheinländer“) veröffentlicht worden; vgl. oben, 198. 261 Vgl. Edda Ziegler, Literarische Zensur, 123. Prutz veröffentlichte sein Stück Moritz von Sachsen im liberalen Verlag des Literarischen Comptoir. Zur Rolle der Schweizer Verlage für den deutschen Liberalismus vgl. Hans Gustav Keller, Die politischen Verlagsanstalten und Druckereien in der Schweiz 1840–1848. Ihre Bedeutung für die Vorgeschichte der Deutschen Revolution von 1848, Bern u.a. 1935, speziell zum Literarischen Comptoir siehe ebd., 46–68. Das Literarische Comptoir traf im März 1845 das Debitverbot, somit die Einfuhrmöglichkeit seiner Erzeugnisse in die Länder des Deutschen Bundes, vgl. Franz Schneider, Pressefreiheit und politische Öffentlichkeit, 268 und Anm. 103. 262 Zu Sachsens eigenen ökonomisch geleiteten Interessen an der Bildung einer kritischen öffentlichen Meinung vgl. Edda Ziegler, Literarische Zensur, 126f. Die sächsische Regierung habe schon früh Verhandlungen mit den Großmächten um eine bundesweite Lockerung der Zensur-Politik geführt, diese hätten jedoch erst nach 1844 mit dem wachsenden Druck durch Stände und öffentliche Meinung Früchte getragen. Sachsen und Preußen machten 1847 im deutschen Bund den Vorstoß zur Abschaffung des Zensurzwangs, der letztlich dazu führte, dass es mit dem Bundesbeschluss vom 3. März 1848 jedem Einzelstaat überlassen wurde, die Zensur aufzuheben. Vgl. hierzu auch Franz Schneider, Pressefreiheit und politische Öffentlichkeit, 302–306. 263 Vgl. Robert E. Prutz, Moritz von Sachsen, 143; vgl. Robert E. Prutz, Vorlesungen über die Geschichte der Literatur, III.

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wechselt worden sind. Ich enthalte mich dabei aller Zwischenreden und eigener Zusätze, um das freie Urtheil, das sich ein jeder aus Lesung dieser Actenstücke bilden wird, in nichts zu beschränken, noch auch die eigenthümliche Beweiskraft derselben zu schwächen.264

Prutz setzte also hier ein allgemeines Interesse an der historischen Entwicklung eines ‚Theatergesetzes‘, welches die aus den Aktenstücken sprechende willkürliche Handlungsmacht des preußischen Staates verhindern sollte. Letztlich unterstellte er hier, dass auch der preußische Staat an einer solch transparenten Regelung künftiger Konflikte im Bereich der Theaterpraxis interessiert sein müsse, und brachte so seine Veröffentlichung in den Zusammenhang mit legitimierten Reformversuchen. Auch der betont neutrale und unkommentierte Abdruck der Aktenstücke deutete in diese Richtung, Prutz mochte nicht in den Ruch der Meinungsmache kommen. Er wollte sein Anliegen und sein Vorgehen der Veröffentlichung als legitimes bürgerliches Recht darstellen. Aber er nahm die Öffentlichkeit in Anspruch, um solche offenen Fragen, wie die nach der Gesetzeskraft einer nicht im Amtsblatt veröffentlichten Bestimmung (Darstellungsverbot per Kabinettsorder) und die nach der finanziellen Haftung der beteiligten Instanzen bei einem nachträglichen Aufführungsverbot durch das Innenministerium, zu diskutieren. Wer müsse bei der Versagung weiterer Aufführungen und vereinbarter Tantiemen für den Verlust des Dichters aufkommen? Der Abdruck der preußischen Aktenstücke alleine stellte schon eine Provokation an den preußischen Staat und das königliche Haus dar. Prutz veröffentlichte seine wiederholten Eingaben wegen einer Aufhebung des Aufführungsverbotes und die jeweilig abschlägigen Bescheide des Haus- und Innenministeriums. Aus den Akten wird ersichtlich, dass Prutz die Argumentation für das Verbot aushebelte, so dass den preußischen Behörden nur der Willkürakt für die Beibehaltung des Verbots übrig blieb. Relativiert wurde dieser öffentliche Schachzug jedoch mit der sachlichen juristischen Begründung und dem Projekt eines ‚Bühnenrechts‘. Prutz gelang 1845 eine doppelte öffentlichkeitspolitische Strategie: einmal die persönliche Provokation und dann noch gleichzeitig die Rückführung des Angriffes auf die Frage eines gemeinsamen politischen Interesses. Anders verhält es sich bei der Edition der Vorlesungen über die Literatur der Gegenwart (1847). Hier wurde ihm die Veröffentlichung zur Waffe. Er sah sich durch das Verbot der Vorlesungen – Prutz war am 23. Februar 1847 nach der ersten Vorlesung, die ihm am 15. Januar 1847 vor 400 Zuhören rege Zustimmung verschafft hatte, die Fortsetzung der Vorlesungsreihe und jede weitere öffentliche Vorlesung generell mit allerhöchstem Befehl verboten worden – genötigt, die Vorlesungen in Buchform zu veröffentlichen, und berief wiederum die Öffentlichkeit als Richter. Allein so ist dieser ganze vorliegende Abdruck auch gar kein freiwilliger. Vielmehr ich fühle mich dazu genöthigt – genöthigt eben durch jenes Verbot der preußischen Regierung, das ich in keiner Weise als ein wahrhaft rechtliches und begründetes anzuerkennen vermag, vorausgesetzt, daß derartige Unterdrückungen und Verbote jemals zu Recht begründet sein könnten. […] Von dieser Willkür der Behörden appellire ich durch den vorliegenden Abdruck an 264

Robert E. Prutz, Moritz von Sachsen, 149f.

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den größten, den unbestechlichsten Gerichtshof der Welt: an das Urtheil des Publikums! Nicht als Schriftsteller trete ich hier auf, nur als Beklagter; es soll kein Buch sein, nur eine Vertheidigung.265

Sein Habilitationsgesuch in Halle war schon 1844 mit undurchsichtiger Begründung zurückgewiesen worden, seine Theaterstücke unterlagen einem Generalverdacht und er war jetzt auch nicht mehr in der Lage, öffentliche Vorlesungen, deren Eintrittsgelder ein gutes Einkommen versprochen hatten, abzuhalten. Diese Zuspitzung seiner Lage ließ ihm nur noch die gedruckte Veröffentlichung zur Wahl, und Prutz schöpfte für seine Anliegen die Möglichkeiten dieser Medienform voll aus. Hinzu kam, dass die am 11. April 1847 erfolgte Eröffnung des vereinten Landtags in Preußen266 einen politischen Einschnitt darstellte, der auch die politische Öffentlichkeit in ein neues Licht rückte. Prutz betonte, es hätten „die inzwischen eingetretenen Verhandlungen des vereinigten Landtags einen solchen unermesslichen Umschwung des öffentlichen Bewußtseins in Preußen hervorgebracht, unsere politische Bildung ist in wenigen Wochen so außerordentlich gewachsen, die Interessen der Nation sind so viel ernster, größer, wichtiger geworden […]“267 Prutz zog aus diesem Umschwung die Konsequenz, dass seine ‚private‘ Auseinandersetzung mit Preußen jetzt nur noch einen geringen Stellenwert gegenüber den großen politischen Entwicklungen haben könne, und entschloss sich daher, die Veröffentlichung der Aktenstücke im Fall des Vorlesungsverbots auf das Wesentliche zu reduzieren: Solche Enthüllungen waren recht gut für die Zeit, da wir noch keine wirkliche Oeffentlichkeit hatten; jetzt, wo der Staat auf dem besten Wege ist, wirklich Gemeingut seiner Bürger zu werden, können diese Privatverhältnisse immerhin in die Stille zurückkehren, die ihnen ursprünglich gebührt.268

Die Publikationsstrategie dieses Buches spricht jedoch eine andere Sprache. Hier verbargen sich der politische Kommentar und die Veröffentlichung der Willkürakte preu265

Robert E. Prutz, Vorlesungen über die deutsche Literatur, IXf. Der vereinigte Landtag wurde aufgrund des königlichen Patents vom 3. Februar 1847 einberufen, da ein erhöhter Finanzbedarf Preußens neue Staatsschulden verursachte. Diese durften laut Staatsschuldengesetz vom 17. Januar 1820 nur mit Garantie der ‚Reichstände‘ aufgenommen werden. Vgl. Wolfram Siemann, Die deutsche Revolution, 23. Die Verhandlungen des vereinigten Landtages waren von der Frage nach der Einlösung des Verfassungs-Versprechens von 1815 bestimmt und erzeugten eine große politische Debatte in der Öffentlichkeit. Nachdem der Landtag den Antrag für Anleihen des Ostbahn-Baus abgelehnt hatte und eine effektive Kontrolle der Finanzen durch regelmäßige Sitzungen des Landtages gefordert hatte, also eine satzungsmäßige Periodizität dieses politischen Gremiums und damit die regelrechte Institutionalisierung der Kammer, wurde der Landtag vom König im Juni 1847 ergebnislos aufgelöst. Damit geriet Preußen am Vorabend der 1848er Revolution in eine regelrechte Verfassungskrise, in welcher die Handlungsfähigkeit und Legitimität der Staatsregierung in Zweifel gezogen wurde. Vgl. zum Vereinigten Landtag von 1847 Johannes Gerhardt, Der Erste Vereinigte Landtag in Preußen von 1847. Untersuchungen zu einer ständischen Körperschaft im Vorfeld der Revolution von 1848/49, Berlin 2007. 267 Robert E. Prutz, Vorlesungen über die deutsche Literatur, XII. 268 Robert E. Prutz, Vorlesungen über die deutsche Literatur, XIII. 266

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ßischer Politik nicht mehr im Anhang, nein, Prutz stellte seinen öffentlichen Feldzug jetzt an den Anfang des Buches. Er schrieb nun in einem deutlich politisierten Stil, spricht von Kampf, Krieg gegen den preußischen Staat und verschleierte die Auseinandersetzung nicht mehr mit dem allgemeinen Interesse der Klärung von juristischen Fragen: Ihr könnt meine Vorlesungen verbieten, Ihr könnt meine Bücher confisciren, Ihr könnt meinen Wohlstand, meine Ruhe, mein häusliches und bürgerliches Dasein zerstören, Ihr könnt sogar meiner geistigen Entwicklung Fesseln anlegen und mir den Raum mißgönnen, dessen jedes Talent, groß oder klein, zu seiner Entwicklung bedarf – thut’s! Denn wie gesagt, Ihr habt die Macht dazu und im Kriege ist Alles erlaubt – aber Ihr solltet nicht mit unbegründeten Beschuldigungen der Ehre eines Mannes zu nahe treten, der, wenn er auch nichts Anderes hätte, als diese seine Ehre, doch eben dadurch Euch zum Wenigsten ebenbürtig ist!269

Der preußische Staat befand sich also im Krieg mit Robert Prutz, alle Mittel waren erlaubt. Das Gleiche galt auch umgekehrt – Prutz hielt sich nicht mehr zurück. Er kommentierte zuspitzend, politisch fokussiert und manchmal zynisch die aus den preußischen Aktenstücken herauslesbare Machtpolitik. Er nutzte den vollen Spielraum, den ihm das öffentliche Medium des Buches gab. Sich immer wieder auf sein Recht als Bürger berufend und politische Transparenz und Rechtssicherheit fordernd riss Prutz das Machtgefüge des preußischen Staates höchst provokativ in die Öffentlichkeit: Ich kann die Gewalt nicht hindern, gewaltthätig zu sein – das ist ihre Natur: aber ich kann ihr, mit dem Gesetz in der Hand, stückweis die Maske des Rechts, der Gesetzlichkeit, der Ordnung abreißen, welche sie vorzunehmen liebt; ich kann sie zwingen, sich, mit Entfernung alles schönen Scheines, zu bekennen als das, was sie eigentlich ist; ich kann sie nöthigen, sich auch so brutal zu zeigen, wie sie zu sein den Muth hat. 270

Hier sprach aus Robert Prutz die Courage des politischen Akteurs, der in der Atmosphäre der politischen Veränderung 1847 zu sich fand. In der kurzen Phase dieses Aufbruchs, der 1848 eine überschlagende Beschleunigung erleben würde, gelang es vielleicht, den bereits von Geoff Eley271 für das frühe 19. Jahrhundert konstatierten Graben zwischen politischem Bewußtsein und politischem Handeln zu überwinden, den auch Prutz 1845 noch beschrieben hatte: Wir wissen Alle, daß wir frei, einig, tapfer sein sollten – und sind es nicht; wir können Alle den Grundriß unsers künftigen Staatsgebäudes, wie es sein sollte, im Schlaf aufzeichnen – und rühren keinen Stein dazu; wir wissen Alle, wie ein vortreffliches Drama zu machen wäre – und kein Mensch macht es. Kurz zu sagen: wir sind Alle in der Theorie unendlich viel weiter, als wir mit der Praxis nachkommen können. Es ist ein Bruch zwischen den Forderungen unsers Bewußtseins und der Wirklichkeit unsrer Leistungen, und wir können die Brücke, welche diese Kluft ausfüllen wird, nicht finden.272

269

Robert E. Prutz, Vorlesungen über die deutsche Literatur, XIVf. Robert E. Prutz, Vorlesungen über die deutsche Literatur, XVIIIf. 271 Vgl. Geoff Eley, „Nations, Publics, and Political Cultures“, insbes. 305f. Vgl. Kap. 2.3, 80. 272 Robert E. Prutz, „Ueber das deutsche Theater“, in Ders., Moritz von Sachsen, IX–XXXVI, XXXIIf. 270

Prutz und die hohe Kunst der Öffentlichkeit

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Mit dem Vorwort der Vorlesungen über die deutsche Literatur der Gegenwart handelte Prutz öffentlich im Sinne seines politischen Bewusstseins und versuchte, Theorie und Praxis in Übereinstimmung zu bringen. Der Ort der damit einhergehenden Auseinandersetzungen war die ‚Arena der Öffentlichkeit‘. D i e A r e n a d e r Ö f f e n t l i c h k e i t. Die Auseinandersetzungen zwischen Zeitung, Theater und Staat spiegelten einen Konkurrenzkampf in der ‚Arena der Öffentlichkeit‘. Alle Akteure versuchten, neue Öffentlichkeiten und damit verbunden neue Medienpraxen zu etablieren. Es ging darum, wer bestimmen durfte, in welcher Form und mit welcher Reichweite etwas in der Öffentlichkeit geäußert werden durfte. Hier standen sowohl hierarchische Gesellschaftsstrukturen zur Disposition als auch spezifische Medienformen und die Grenzen ihres Spielraums. Wie durfte das Theater in der Öffentlichkeit auftreten? Welches Publikum durfte ein Zeitungsmedium ansprechen? Die medialen Diskurse der 1820er Jahre stellten hier eine Konfliktsituation dar, die für die oben aufgeworfenen Fragen keine eindeutigen Antworten parat hielt. Die Staatsautoritäten hatten beim Medien- und Öffentlichkeitsthema ihre Deutungshoheit verloren und neue Medienakteure hatten nicht die Macht, ihre Vorstellungen umfassend durchzusetzen. Der Theaterjournalismus profilierte sich hier an den Schnittstellen der politischen Medieninteressen und rückte das Theater in den Mittelpunkt der Öffentlichkeit. Der Fall Maltitz zeigte konkret den Verlauf der Frontlinien zwischen den Akteuren der Öffentlichkeit und der Staatsmacht, welche die politischen Konsequenzen freier Äußerungen auf der Bühne als Bedrohungsszenario verstand und reglementierend eingriff. Gotthilf August von Maltitz verstand sich als Person der Öffentlichkeit und suchte über verschiedene mediale und performative Kanäle, seinen politischen Anspruch durchzusetzen. Dabei erwiesen sich seine medialen Strategien als zukunftsweisend und schlecht kontrollierbar, obgleich der preußische Staat mit seiner Ausweisung zunächst die politische Handlungsmacht demonstrieren konnte. Auf Dauer ließ sich der medienübergreifende Aktionsraum der Öffentlichkeitsakteure nicht eindämmen. Die Stücke von Maltitz waren der deutliche Versuch, das Theater zu politisieren und ein freies Öffentlichkeitsmodell zu propagieren. Die Renaissance seiner Lustspiele während der 1848er Revolution – Aufführungen in Berlin273 und Wien274 sind aktenkundig – basierten auf diesem politischen Potential. 273

In Berlin führte das Königstädtische Theater am 2. und 4. September 1848, das Friedrich-Wilhelmstädtische Theater am 6. August 1848, das Concordia-Theater am 4. Dezember 1848 Das Pasquill von Maltitz auf. Alle Angaben aus Lothar Schirmer u. Paul S. Ulrich (Hg.), Das Jahr 1848. Kultur in Berlin im Spiegel der Vossischen Zeitung, Bd. 2 (=Schriften der Gesellschaft für Theaterwissenschaft, Bd. 78/2), Berlin 2008. Vgl. auch die ausführliche Rezension zur Aufführung im Königstädtischen Theater, welche die politische Tendenz des Stückes begrüßte, in Lothar Schirmer u. Paul S. Ulrich, Das Jahr 1848, 371f. 274 In Wien führte das Carl-Theater am 24. April 1848 Das Pasquill von Maltitz auf. Vgl. Allgemeine Theaterzeitung, 27. April 1848.

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Die Arena der Öffentlichkeit

Dies zeigte sich noch deutlicher an der Auseinandersetzung Preußens mit Robert Prutz, der sechzehn Jahre später auf ein ausgereiftes mediales Instrumentarium zurückgreifen konnte. Die durch die Zensurrechtslage dauernd prekär gehaltene Situation der Literaten und Journalisten hatte bei ihnen eine differenzierte Medienkompentenz hervorgebracht, welche sie für ihre Strategien zum Öffentlichkeits-Gewinn umfassend nutzten. Die starke Politisierung in den 1840er Jahren bei einer gleichzeitigen langsam zunehmenden Anerkennung der ‚neuen Medien‘ lässt eine Professionalisierung im ‚Öffentlichkeitshandeln‘ erkennen. Gezielte Indiskretionen, öffentliches Auftreten und die konsequente Veröffentlichung von arkanpolitischen Staatshandlungen waren die Elemente einer ausgefeilten Strategie der Öffentlichkeitspolitik. Das Theater stellte hier die Basis eines öffentlichen ‚Bildungsmittels‘ für politisches Bewusstsein dar, das ein ‚Theater-Progone‘ wie Robert Prutz für sich beanspruchte – als Vermittler seiner politischen Stücke und als Bühne für den politischen Auftritt.

5

Die Ordnung der Öffentlichkeit München 1810–1850

Die bayerische Kulturpolitik in der Regierungszeit von Max (IV.) I. Joseph (1799 bis 1825) bereitete in München den Weg für die Modellierung von Theater als öffentliche Institution. Diese Theaterentwicklung ist im Zusammenhang mit der Entwicklung des bayerischen Staatswesens zum modernen Staatsabsolutismus zu sehen. Bayern erlebte in dieser Zeit die Herausbildung eines einheitlichen Flächenstaates, der die Voraussetzung für die Konzeption eines souveränen Staates darstellte. Im Zentrum der umfassenden inneren Reform und Formierung Bayerns zum modernen Staat stand der Staatsminister1 Maximilian Graf Montgelas, der in seiner langen Amtszeit (1799–1817) die wesentlichen Reformkonzepte lieferte2, und dem es trotz Kriegswirren und vor dem Hintergrund einer instabilen politischen Großwetterlage in Europa gelang, diese im Wesentlichen umzusetzen.3 Montgelas wurde nachhaltig von den Umwälzungen der Französischen Revolution beeindruckt und stellte seine ‚Reformen von oben‘ in den Zusammenhang einer Verhinderung der ‚Revolution von unten‘.4 Wichtige Punkte des innenpolitischen Reformprogramms5 umfassten unter anderem eine Zentralisierung der Staatsverwaltung und eine Reform des Beamtenwesens sowie die Trennung von Staat und Dynastie. Mit der Ablösung aus dem absolutistischen Staatsdenken begann im späten 18. Jahrhundert eine monarchische Konzeption wirksam zu werden, welche die regierende Dynastie als unterschieden vom Staatswesen dachte. Es ging hier um die rechtli1 2

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4 5

Maximilian Graf Montgelas war von 1799–1817 Außenminister, 1806–1817 zusätzlich Innenminister und von 1803–1806 sowie von 1809–1817 auch Finanzminister. Ein grundlegendes Dokument war sein frühes Ansbacher Mémoire, das er für Herzog Max Joseph von Zweibrücken, den späteren bayerischen König, 1796 verfasste. Vgl. hierzu Eberhard Weis, „Montgelas’ innenpolitisches Reformprogramm. Das Ansbacher Mémoire für den Herzog vom 30.9.1796“, in Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte, Bd. 33, 1970, 219–256. Zur ‚Reformära Montgelas’ vgl. einschlägig Walter Demel, Der Bayerische Staatsabsolutismus 1806/1808–1817. Staats- und gesellschaftspolitische Motivationen und Hintergründe der Reformära in der ersten Phase des Königreichs Bayern, München 1983. Vgl. Walter Demel, Der Bayerische Staatsabsolutismus, 4f. Vgl. hierzu Eberhard Weis, „Die Begründung des modernen bayerischen Staates (1799–1825)“, in Handbuch der bayerischen Geschichte, Bd. 4, 1 („Staat und Politik“), neu hg. von Alois Schmid, München 2003, 4–126, insbes. 45–95.

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Die Ordnung der Öffentlichkeit

che Trennung zwischen Dynastie und Staat und den Bruch mit der Vorstellung des Staates als Eigentum oder Fideikomiss des Fürstenhauses.6 Erst damit wurden die Voraussetzungen geschaffen, eine staatliche Institution unabhängig von der Person des Königs zu sehen. In Bayern hatte Montgelas diesen Grundsatz der rechtlichen und finanziellen Teilung zwischen Staat und Dynastie vorangetrieben, Max I. Joseph wurde nun als Fürst zum ‚Organ des Staates‘. Dies beinhaltete für ihn große materielle Opfer an den Staat und auch eine Selbstbeschränkung der Macht: Alle Regierungsakte bedurften künftig der Gegenzeichnung durch den zuständigen Minister.7 Obgleich damit noch keine repräsentative Staatsform geschaffen war, hatte es doch Konsequenzen auf die Vorstellung von höfischen und staatlichen Einrichtungen, so auch auf das Hoftheater8 der Residenz. Die bayerische Regierung suchte mit ihrer Theaterpolitik der 1810er und 1820er Jahre einen Typus von kultureller Einrichtung zu schaffen, welcher die moderne öffentliche Institution präfigurierte. In dieser Zeit haben wir es in München mit der Phase einer hochaktiven Theater- und Kulturpolitik zu tun. Ab 1802 wurden die Pläne zu einem neuen Hoftheater verfolgt, die von Anfang an die städtische Bevölkerung als Zielpublikum vorrangig berücksichtigten. Fast gleichzeitig wurden die Bauprojekte zum neuen Hof- und Nationaltheater (ca. 2000 Plätze) und zum Isarthor-Theater (ca. 1200 Plätze) in Angriff genommen. Der Grundstein zu ersterem wurde am 26. Oktober 1811 gelegt – Finanzkrisen und bautechnische Schwierigkeiten verzögerten allerdings die Fertigstellung bis 18189. Ebenfalls 1811 wurde die Baugenehmigung für das Isarthor-Theater erteilt. Nach einem zügigen Bau-Abschluss folgte hier die Eröffnung bereits am 12. Oktober 1812.10 Damit setzte der König eine wesentliche Veränderung der städtischen Theaterkultur in München in Gang. Es gab nun, um 1820, in der Residenz-Stadt mit 60.000 Einwohnern11, zwei große repräsentative Theaterbauten, welche für sämtliche Bevölkerungsgruppen offen standen. Dass infolge der knappen Ressourcen für die Unterschichten der 6 7 8

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Vgl. Eberhard Weis, „Die Begründung“, 45. Vgl. Eberhard Weis, „Die Begründung“, 46. Zur Geschichte der Hoftheater von einer exklusiven Kunstform zur modernen Institution am Beispiel der Hoftheater in Karlsruhe und Mannheim vgl. Ute Daniel, Hoftheater. Zur Geschichte des Theaters und der Höfe im 18. und 19. Jahrhundert, Stuttgart 1995. Zur Baugeschichte siehe ausführlich Claudia Ulrich, Das königliche Hof- und Nationaltheater unter Max I. Joseph von Bayern. Vorgeschichte, Entwicklung und Wirkung eines öffentlichen Theaters, München 2000, insbes. 60–97; und Bernd-Peter Schaul, „Nationaltheater am Max-JosephPlatz“, in Klassizismus in Bayern, Schwaben und Franken. Architektur-Zeichnungen 1775–1825, hg. von Winfried Nerdinger, Ausstellungskatalog, Stadtmuseum München 1980, 252–278; vgl. auch Ludwig Malyoth, „Gründung und Aufbau des K. Hof- und Nationaltheater am Max JosephPlatz in München“, in Das Bayernland. Illustrierte Halbmonatsschrift für Bayerns Land und Volk, 30. Jg., 1918, 2. Oktoberheft, 33–42. Zum Baubeschluss und der Finanzierung des Isarthor-Theaters vgl. Kap. 5.2., 251–281. Vgl. Ralf Zerback, München und sein Stadtbürgertum. Eine Residenzstadt als Bürgergemeinde 1780–1870, München 1997, 35.

Die Ordnung der Öffentlichkeit

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Eintrittpreis für die beiden königlichen Theater in der Regel nicht erschwinglich war, stellte eine massive ökonomische Selektion dar. Dennoch war mit der offenen Zugänglichkeit der Münchner Theater ein wesentlicher Schritt getan zu einer Vorstellung von Theater als ‚öffentlicher Institution‘ und weg vom absolutistischen Repräsentationsprinzip der höfischen Kultur. Ich gehe im Weiteren davon aus, dass die noch in der Aufklärung stark prävalierende Idee einer Erziehungs- und Bildungsfunktion des Theaters nun zugunsten einer Vorstellung von Theater als zunehmend ‚verbürgerlichtem‘ Kunstmedium12 der Öffentlichkeit in den Hintergrund trat. Hier entstand mit der Transformation der höfischen Theaterstrukturen und der städtischen Theaterkultur in den Privatund Vereinstheatern eine öffentliche Sphäre bürgerlicher Kultur, die es zu gestalten galt. Es ist in diesem Zusammenhang sinnvoll, auf den Begriff der Bürgerkultur zurückzugreifen, der gleichermaßen Aspekte einer enger gefassten Vorstellung vom Bürger als ‚Stadtbürger‘, aber auch das politische Konzept von ‚Bürger‘ im Sinne ‚staatsbürgerlicher‘ oder ‚gesellschaftlicher‘ Gleichheit in sich aufnehmen kann.13 Unter Bürgerkultur verstehen Dieter Hein und Andreas Schulz „die Teilhabe der sozialen Formation Bürgertum an einem von ihr selbst geschaffenen und durch sie gestalteten Prozeß.“14 Dabei geht es um die Gemeinschaft stiftende Funktion kultureller Alltagspraxis von verschiedenen Teilgruppen des Bürgertums. Hier muss man jedoch davon absehen, dies mit der liberalen Vision einer offenen und demokratischen Kulturpraxis gleichzusetzen, vielmehr handelte es sich um kulturelle Praxen sowohl einer egalitären als auch einer elitären Bürgerkultur. Wenn man nun Theater als Teil dieser zweischneidigen bürgerlichen Kultur versteht, so geht es einerseits um die Öffnung des höfischen Theaters für verschiedene bürgerliche Teilgruppen – theoretisch konnten sogar die Unterschichten gegen Eintrittsgeld in die Aufführungen –, andererseits um konkrete disziplinierende Regulative, die dort angesetzt wurden, wo es gerade darum ging, bestimmte Schichten außen vor zu halten. In jeder Hinsicht aber kam es zu einer verstärkten Reflexion über Theater als ereignishafte Kulturpraxis und deren geregelte und ungeregelte Zugänge zur Öffentlichkeit. 12 13

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Zur ‚Verbürgerlichung der Kunst‘ vgl. Dieter Hein u. Andreas Schulz (Hg.), Bürgerkultur im 19. Jahrhundert. Bildung, Kunst und Lebenswelt, München 1996, insbes. 12f. Zum Bürgerbegriff vgl. Dieter Hein u. Andreas Schulz, Bürgerkultur, 11: „Ursprünglich seit der Antike den wirtschaftlich selbständigen und zur politischen Mitsprache berechtigten städtischen Gewerbetreibenden bezeichnend, ist das Wortverständnis von Bürger im ausgehenden 18. Jahrhundert in Bewegung geraten. Mit dem Wort ‚Bürger‘ wurden nun weniger neue gesellschaftliche Gruppen umschrieben als vielmehr politische und soziale Erwartungen und Ansprüche formuliert, wurden umfassende Zielprojektionen für die künftige gesellschaftliche Entwicklung von Staat und Gesellschaft entworfen – sei es im absolutistisch-bürokratischen Sinne als staatsbürgerliche Gleichheit aller Untertanen, sei es im liberalen Sinne als allmähliche Ausdehnung des Bürgerstatus auf die Gesamtgesellschaft, also mit dem Ziel einer ‚klassenlosen Bürgergesellschaft‘, sei es auch im radikaldemokratischen Sinne als Gleichheit aller Menschen, wie sie in den Deklarationen der Französischen Revolution gefordert wird und im ‚Weltbürger‘-Begriff anklingt.“ Dieter Hein u. Andreas Schulz, Bürgerkultur, 13.

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Die Ordnung der Öffentlichkeit

D i e s t ä d t i s c h e E x p a n s i o n . Die Stadt München erlebte von 1800 bis 1850 eine massive Umgestaltung ihrer räumlichen und gesellschaftlichen Struktur. Mit der Schleifung der Festungsmauern ab 1791 begann eine räumliche Ausdehnung, die der Stadt ein völlig neues Gesicht verlieh.15 Hatte um 1800 die Einwohnerzahl noch etwa 40.000 betragen, so wohnten um 1850 bereits etwa 100.000 Personen in der Stadt. Dennoch blieb die Zahl der eigentlichen Stadtbürger, also der mit dem städtischen Bürgerrecht versehenen Personen, gering. So waren etwa 1818 nur 2.585 der annähernd 60.000 Bewohner eigentliche Stadtbürger16, alle anderen Personen gehörten zur Gruppe der ‚Eximierten‘, d.h., sie gehörten eigenen Rechts- und Sozialsystemen an wie dem königlichen Hof, dem Militär, der Universität und waren formal nicht dem Stadtgericht unterworfen. Dies hatte ein eingeschränktes Aufenthaltsrecht und Beschränkungen in der Berufsausübung zur Folge. Als Residenzstadt war München geprägt durch den Antagonismus zwischen der städtischen und der staatlichen Struktur mit ihren jeweiligen Angehörigen, wie Zerback feststellt: Stark reduktionistisch gesprochen ist die Residenzstadt also stets durch zwei politische Kraftzentren gekennzeichnet: das städtische im engeren Sinn und das staatliche. Beide bilden, fast überflüssig zu sagen, ihr je eigenes gesellschaftliches Umfeld – die Residenzstadt ist eine Stadt der (mindestens) zwei Gesellschaften. Beide bilden partiell eigene Rechtssysteme aus, wenngleich das städtische seine Autonomie im letzten staatlicher Duldung verdankt. Die Ökonomie der Residenzstadt ist durch eine große Übereinstimmung der Rechtsgrenze mit der Grenze zwischen Produzenten und Konsumenten charakterisiert. Der Hof und die staatliche Verwaltung sind durch starken Konsumüberhang gekennzeichnet, die stadtbürgerliche Gemeinschaft durch Produktionsüberhang.17

1826 kam mit der Überführung der Universität von Landshut nach München18 eine weitere Personengruppe hinzu, die wesentliche Impulse für Politik und Öffentlichkeit setzte: die Professoren und Studenten, welche mit mehr als 1.000 Personen am theatralen Kulturleben teilnahmen und gleichzeitig für die Stadt und deren Vermieter und Wirte einen wichtigen Wirtschaftsfaktor darstellten. München, Berlin und Wien waren in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die einzigen drei Städte des Deutschen Bundes, welche gleichzeitig Residenz- und Universitätsstädte waren.19 Während der Revolution von 1848 spielte dies eine große Rolle, da die 15

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Dies begann 1791 mit der Niederlegung der westlichen Neuhauserbastion, die eine städtebauliche Ausgestaltung des Karlstorplatzes und seiner Umgebung zur Folge hatte. 1795 erfolgte die formelle Aufhebung des Festungsstatus’. Zur städtebaulichen Entwicklung dieser Zeit vgl. Hans Lehmbruch, „Aspekte der Stadtenwicklung Münchens 1775–1825“, in Klassizimus in Bayern, 29–36; Ders., Ein neues München, München 1987. Ralf Zerback, München, 82. Ralf Zerback, München, 18. Zur Geschichte der Ludwig-Maximilians-Universität München vgl. Ludwig-Maximilians-Universität München, Haar b. München 2001. Vgl. Ralf Zerback, München, 20.

Die Ordnung der Öffentlichkeit

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Studenten zu den aktivsten revolutionären Gruppen gehörten. Auch die Münchner Revolution mit dem Spezifikum der Auseinandersetzung um Lola Montez hatte in der Universität einen wesentlichen Spielraum. Ralf Zerback untersucht in seiner Studie zum Münchner Stadtbürgertum zwischen 1780 und 1870 die Transformation dieser antagonistischen Struktur hin zu einer modernen städtischen Bürgergesellschaft, welche durch eine Aufweichung der oben benannten Grenzbereiche gekennzeichnet war. Er bezieht sich dabei eingehend auf die Entwicklung des Vereinswesens und der privaten Gesellschaften als Foren der gesellschaftlichen Begegnung zwischen stadtbürgerlichen und staatlichen Gruppierungen. Zerback zeigt dabei die Möglichkeiten als auch die Grenzen einer solchen Schichtenverschiebung durch geselliges Verhalten. Erstaunlicherweise bleibt bei ihm die Münchner Presse- und Theaterkultur dabei gänzlich unerwähnt. Zerback bezieht sich nicht auf die sich in dieser Zeit stark entwickelnde Zeitungslandschaft Münchens; und sowohl das Privattheater, wie es in den Vereinen praktiziert wurde, als auch die großen Theater – Hoftheater und Isarthor-Theater – werden hier in keiner Weise berücksichtigt. Gerade hierum soll es allerdings im Folgendem gehen, nämlich um die Rolle des Theaters als ‚öffentliche Praxis‘ und ‚öffentliche Institution‘, welches auf die sozialen und politischen Transformationen reagierte und gleichzeitig die Verschiebungen der bürgerlichen Schichten fortschrieb. Der Begriff des ‚Bürgerlichen‘ soll dabei nicht nur auf die von Zerback umrissenen ‚Stadtbürger‘ (mit stadtbürgerlichen Rechten ausgewiesen) bezogen werden, sondern allgemein die Bildungs- und Wirtschaftsbürger umfassen, welche als ‚neue Publikums- und Akteursgruppen‘ mit dem ‚bürgerlichen Theater‘ eine neue Medienpraxis einübten und umsetzten. Im ersten Teil des Kapitels werde ich neue Formen von Theater als Problem der Gesellschafts- und Ständeordnung vorstellen. Das Liebhabertheater spiegelte in diesem Sinne die gesellschaftlichen Veränderungen und wurde daher von den Obrigkeiten als problematisches Potential für den Öffentlichkeitsanspruch bisher davon ausgeschlossener Stände betrachtet. Anhand der Regulierungsgeschichte (1811–1841) der so genannten Liebhaber- und Privattheater lässt sich dies darstellen und erläutern. Im zweiten Teil des Kapitels geht es um die Organisations- und Verwaltungsgeschichte des Isarthor-Theaters (1811–1825) als Modellierung eines Theaters im Sinne einer öffentlichen Institution. Dieses Theater entstand in einer gesellschaftspolitischen Umbruchphase, welche nicht zuletzt durch die politische Trennung von Dynastie und Staat Impulse setzte für neue Konzeptionen von staatlichen und auch kulturellen Einrichtungen. Im dritten Teil des Kapitels geht es um das Verhältnis des Hoftheaters unter dem Intendanten Karl Theodor von Küstner (1833–1842) zur medialen Öffentlichkeit und zur Publikumsöffentlichkeit. Anhand der Disziplinar-Satzungen und Verhaltensregulierungen für Theaterangehörige und Publikum wird dargelegt, wie diese Theater-Institution die Verhaltensweisen im Umgang mit dem neuen Medium ‚bürgerliches Theater‘ zu bestimmen und kontrollieren suchte. Das erweiterte Potential der Presseöffentlichkeit,

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Die Ordnung der Öffentlichkeit

aber auch die öffentliche Situation der Theateraufführung, welche breitere Publikumsschichten umfasste, stellten hier kritische Momente des Öffentlichen dar, die es zu gestalten galt.

5.1

Theater-Öffentlichkeit und Gesellschaftsordnung

In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts war die theatrale Öffentlichkeit in Bayern durch eine schichtenspezifische Vielfalt gekennzeichnet. Die Regulierungspolitik der kurpfälzisch-bayerischen Regierung basierte auf dem Modell einer Erziehungsfunktion von Theater und griff gerade dann korrigierend ein, wenn die sittliche und moralische Wirkung von Theateraufführungen nicht gewährleistet schien. Nach der Jahrhundertwende und bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts verschoben sich die gesellschaftlichen Formationen und mit ihnen die Theaterstrukturen. Gerade das öffentliche Liebhabertheater, als ‚neue‘ bürgerliche Theateraktivität, – so meine These – stand hier als umstrittenes Symptom für die Überschreitung von Klassen und Ständen sowie für die Verschiebung zwischen den privaten und öffentlichen Sphären bürgerlichen Lebens. Anhand der ab 1811 diskutierten und mit der Ministerial-Entschließung von 1815 etablierten staatlichen Regulierung von Liebhaber- und Privattheatern sollen diese ‚tektonischen Plattenverschiebungen‘ der theatralen Öffentlichkeit in München und Bayern dargestellt werden. V o m V o l k s t h e a t e r z u m L i e b h a b e r t h e a t e r. Die Münchener Theatersituation in der Zeit von 1800 bis 1850 war zum einen durch einen deutlichen Schnitt in der Regulierungspraxis beim Regierungswechsel 1799 geprägt – Max (IV.) I. Joseph hob als eine seiner ersten Amtshandlungen das Zensur-Kollegium auf, das seit 1791 sowohl für die Genehmigung des Drucks von Theaterstücken als auch der Theater-Aufführung zuständig war. Zum anderen war sie gekennzeichnet durch eine Entwicklung von einer gering ausgeprägten ständigen Hoftheater-Tradition, bei einer gleichzeitig stark ausgeprägten Wandertheater-Praxis und Laienspiel-Bewegung (geistliches Spiel, Schultheater), hin zu einer deutlichen Dominanz der Theater- und Kulturpolitik einer königlichen Hoftheater-Intendanz.20 In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts gab es in Bayern eine vielseitige Theaterkultur, die schichtenspezifische Theaterformen für die bayerische und Münchner Bevölkerung bereithielt. Während das Hoftheater in der Residenzstadt München für die 20

Zum bayerischen Theater und seiner Regulierung in dieser Zeit vgl. Hermann Friess, Theaterzensur; zum Münchner Volkstheater vgl. Herbert Fränzelin, Geschichte der Münchener VorstadtTheater zu Beginn des 19. Jahrhunderts und das königliche Theater am Isartor, Univ.-Diss. München 1922; Erni Maxstadt, Münchner Volkstheater im 19. Jahrhundert und ihre Direktoren. München 2002; zum Münchner Hof- und Nationaltheater vgl. Katharina Meinel, Für Fürst und Vaterland; Claudia Ulrich, Das Königliche Hof- und Nationaltheater.

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höheren gesellschaftlichen Kreise, vordringlich den Adel, inszeniert wurde, wandte sich ein bürgerliches Publikum den wandernden Schauspieltruppen zu – etwa im Münchner Faberbräu-Theater, und die einfachen Volksschichten dem so genannten Lipperltheater, dem während der Dult spielenden derb-komischen Volkstheater in den temporär errichteten Holztheatern vor den Toren der Stadt. Die Aufrechterhaltung dieser hierarchisch gestalteten Theaterlandschaft erforderte eine differenzierte und gleichmäßig offene Regulierungspraxis, die allen Theaterformen eine ‚Daseinsberechtigung‘ zusprach. Dies schien auch die Maxime der bayerischen Regierung gegenüber den Theatern gewesen zu sein, die nicht zurückhaltend war bei der Vergabe von Spielpatenten und Aufführungsgenehmigungen.21 Eine Einreichung der Stücktexte wurde nicht praktiziert, die Polizei war zuständig bei groben Verstößen gegen die öffentliche Ordnung. Im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts veränderte sich die Politik dem Theaterspiel gegenüber. Die aufklärerische Idealisierung von Theater als sittlichem Bildungs- und Erziehungsinstrument griff Raum und motivierte ein massives Zurückdrängen der volkstümlichen Theaterformen. So verordnete etwa das Generale vom 28. Juli 1772, die Dult-, Hütten- und Marionettentheater seien „für allzeit hindurch abgeschafft“22 – bereits nach 1774 ging man jedoch wieder zur alten Genehmigungspraxis über. Gleichzeitig begann eine höfische Förderung des deutschsprachigen Sprechtheaters23, der so genannten Nationalschaubühne als öffentlich zugängliche Veranstaltung.24 Der Schauspieler Johann Baptist Joachim Nießer eröffnete 1771 im Faberbräu die Deutsche Schaubühne und brachte unter anderem Lessing-Stücke zur Aufführung. Ein Jahr später übernahm der Hoftheaterintendant Graf von Seeau die Finanzierung der Schauspieler mit Nießer als künstlerischem Leiter. 1773 wurde die Theatertruppe eingeladen, regelmäßig einmal in der Woche öffentliche Aufführungen auf der Kurfürstlichen Oper am Salvatorplatz durchzuführen. Nach seinem Regierungsantritt verfügte Karl Theodor 1778 nun eine Fusion der Nationalschaubühne des Faberbräus und seiner aus Mannheim mitgebrachten Theatertruppe unter dem Namen Deutsche Nationalschaubühne. Unter höfischer Intendanz und mit kurfürstlicher Förderung bezog diese ihre neue Spielstätte in der alten Hofoper am Salvatorplatz. Ihre Aufführungen waren frei zugäng-

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Vgl. Hermann Friess, Theaterzensur, 108. Zitiert nach Hermann Friess, Theaterzensur, 119. Das Generale ist vollständig abgedruckt in Sammlung kurpfalz-bayerischer Landesverordnungen, IV. Band, 1788, Nr. LXX, 997. In dieser Zeit waren vor allen Dingen italienisch (Oper) und französisch (Drama) die dominanten Theatersprachen. Nun betrat das ‚Deutsche‘ die Bühne, „eine nicht hoffähig, gleichsam wilde Sprache, die sich jenseits aller Etikette und mit Ungestüm selbst Shakespeare aneignen konnte, auf keine etablierte nationale Theatertradition Rücksicht nehmen mußte,“ so Monika Steinhauser in ihrem Aufsatz „‚Sprechende Architektur.‘ Das französische und deutsche Theater als Institution und monument public (1760–1840)“, in Jürgen Kocka (Hg.), Bürgertum im 19. Jahrhundert. Deutschland im europäischen Vergleich, Bd. 3, München 1988, 287–333, 299f. Zu dieser ‚Vorgeschichte‘ des bayerischen Hof- und Nationaltheaters unter Mitwirkung der Faberbräu-Truppe vgl. Claudia Ulrich, Das Königliche Hof- und Nationaltheater, 15–22.

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lich für ein bürgerliches Publikum. Damit begann die theaterpolitische Orientierung des Hofes hin zu einem bürgerlichen Publikum, die Nationalschaubühne wurde „öffentliches Theater für jedermann.“26 Diese Theaterentwicklung stand in einem weiteren Kontext der Gestaltung öffentlicher Räume für die Bürger. In diesem Zusammenhang steht auch die Anlage des Englischen Gartens als ‚Bürgerpark‘.27 Während nun die königliche Regierung zum einen die bürgerliche ‚Erziehung‘ mittels der Nationalschaubühne zu fördern suchte, strebte sie auf der anderen Seite mit ihrem staatlichen Organ des Zensur-Kollegiums danach, die Theaterkulturlandschaft von eher den Mittel- und Unterschichten zugetanen Theaterformen zu ‚bereinigen‘ und nur noch einige überschaubare und gut kontrollierbare Theatergruppen zu belassen. Parallel zu dieser Entwicklung entstanden allerdings allerorten Liebhaber- oder auch Dilettantentheater, gegen deren unermüdliche Anträge auf Spielgenehmigung die Regulierungspraxis nicht immer konsequent durchgehalten wurde.28 Diese Form des Theaters orientierte sich am Berufsschauspiel und übernahm dessen Stücke-Repertoire.29 Dass diese Liebhabertheater zu Beginn des 19. Jahrhunderts durchaus mehr als ‚des Kleinstädters gesellschaftliche Betätigung‘30 bedeuteten, lässt sich am obrigkeitlichen Umgang mit ihnen in den 1810er Jahren ablesen. Auf München bezogen kann man hier eine Auseinandersetzung mit einer veränderten Öffentlichkeitspraxis und -situation erkennen, die in der bereits benannten Ministerial-Entschließung vom 5. September 1815 gipfelte. Diese Entschließung setzte definitiv die polizeiliche Vorzensur als Regelfall für die Privattheater fest und war daher im Prinzip eine Wiedereinführung der Theaterzensur – zunächst nur auf München beschränkt.31 Betrachtet man das Originaldokument der Entschließung en detail, so ist jedoch augenfällig, dass die Zensurregelung einen geringen Teil des textlichen Gesamtvolumens ausmacht – erst im letzten kurz gefassten Abschnitt geht es um die Kontrollbefugnis der Polizei gegenüber den „Privattheatern außerhalb geschlossener Gesellschaften“32. Die Konsequenzen dieser Kontrollbefugnis-Erteilung waren für die Theater natürlich einschneidend, aber es darf 25

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1795 öffnete Karl Theodor anlässlich seiner Hochzeit auch das Cuvilliés-Theater künftig dem zahlenden bürgerlichen Publikum, allerdings nur bei Aufführungen der Nationalschaubühne. Die Aufführungen der italienischen Oper blieben dem Adel und eingeladenen Gästen vorbehalten. Erst Max IV. Joseph führte 1799 den allgemeinen öffentlichen Eintritt für das Cuvilliés-Theater ein. Vgl. Claudia Ulrich, Das Königliche Hof- und Nationaltheater, 137. Monika Steinhauser, „‚Sprechende Architektur‘“, 287. Zum Englischen Garten vgl. etwa Theodor Dombart, Der Englische Garten zu München, München 1972. Vgl. Hermann Friess, Theaterzensur, 196. Vgl. Hermann Friess, Theaterzensur, 154. Vgl. Hermann Friess, Theaterzensur, der als Fazit dieser Tendenz zum Dilettantentheater schreibt: „Der Kleinstädter schuf sich gesellschaftliche Betätigung“ (154). Der Entwurf der Ministerial-Polizei-Sektion stellt ausdrücklich den Antrag: „von einer allgemeinen Verordnung hierüber noch zur Zeit um deswillen Umgang zu nehmen, weil […] das Bedürfniß einer solchen außerhalb Münchens, sich nirgends gezeigt hat […].“ BayHStA, MInn, Nr. 54129, Entwurf der Ministerial-Polizei-Sektion, 12 Juli 1815. BayHStA, MInn, Nr. 54129, Ministerial-Entschließung vom 5. September 1815.

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nicht übersehen werden, dass es in dem Dokument ausschweifend um die Diskussion der Frage ging, welchen Status die Liebhaber- und Privattheater in der Öffentlichkeit hätten, und welche Personen befugt seien, an einer solchermaßen theatralen Öffentlichkeit teilzunehmen. Daher soll es im Folgenden spezifisch um den kultur- und öffentlichkeitspolitischen Weg zur Ministerial-Entschließung von 1815 gehen. D i e Ö f f e n t l i c h k e i t d e r P r i v a t t h e a t e r. Graf von Montgelas stellte am 18. November 1811 fest, dass sich in München eine neuartige Form von Theater entwickelt habe, für die es anscheinend noch keine sichere behördlich relevante Kategorisierung gäbe. Es ging um die Liebhabertheater, die sowohl im Rahmen von gesellschaftlichen Vereinen als auch davon unabhängig einen großen Zulauf von Akteurs- und Zuschauerseite her erfuhren. Montgelas reagierte hier auf eine akute Entwicklung in der städtischen Kulturlandschaft und forderte die Ministerial-Polizei-Sektion auf, die grundsätzliche Frage nach dem Status dieser Theaterform und ihrer Beziehung zu den Kontrollorganen zu klären: Da die Anzeige geschehen, daß sich in der hiesigen Stadt mehrere Privat-, oder sogenannte Liebhaber-Theater unter Personen von verschiedenen Ständen und Klassen zu bilden anfangen, und sich dabei die Frage von selbst aufwirft: a) ob einem Privaten ein solches Theater in seinem Hause oder Wohnung zu errichten überhaupt, oder unter welchen Bedingungen gestattet werde und wer hieran Theil nehmen könne, dann b) in welchem Verhältnisse derlei Liebhaber-Theater zur Orts-Polizei, in Bezug auf die nothwendige Aufsicht auf dieselben stehen33

Liebhaber- oder Privattheater, also Theater auf Vereinsbasis, führten in der Zeit auch öffentliche Aufführung durch und konkurrierten teilweise direkt mit den Berufstheatern. Es galt hier, die ambivalente Bedeutung von ‚Privattheater‘ – zwischen nicht-öffentlicher Aufführung und privat-wirtschaftlichem Unternehmen – hinsichtlich einer Einordnung und Regulierung zu präzisieren. Die Theaterlust der Bürger strebte zunehmend in die Öffentlichkeit und Montgelas wollte mit seinem Auftrag hierin offensichtlich eine grundlegende Klärung erreichen. Im Jahr 1811 gab es in München schon seit knapp zehn Jahren zwei Privatgesellschaften.34 Die bereits 1802/1803 gegründeten elitären Vereine Museum und Harmonie, Treffpunkt des Adels und der gehobenen Bildungsbürger, waren Lesegesellschaften, die auch Bälle, Konzerte und Theaterveranstaltungen durchführten.35 In den 1810er Jahren 33 34 35

BayHStA, MInn, Nr. 54129, Innenministerium an die königliche Ministerial-Polizei-Sektion, 18. November 1811. Zu den Münchner Vereinen allgemein vgl. Ingo Tornow, Das Münchner Vereinswesen, München Univ.-Diss. 1976; zur kommunikativen Funktion der geselligen Vereine vgl. Ralf Zerback, München. Ab 1805 war Graf von Montgelas Präsident des Museums, das ab 1819 unter der Protektion des Königs stand. Vgl. zum Museum Uwe Puschner, „Die Gesellschaft ‚Museum‘ (1802–1847)“, in Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Nr. 38, Frankfurt a. M. 1982, B49–B56.

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gab es jedoch Bestrebungen, die Gründung weiterer Vereine voranzutreiben, die auch für mittlere Bürgerschichten und Gewerbetreibende offen stehen sollten.36 Inwiefern die von Montgelas erstrebte Kategorisierung der Theaterszene Münchens mit den im Frühling 1811 realisierten Plänen des Hoftheater-Intendanten Delamotte, ein Nebentheater als königliches Volkstheater zu etablieren, zusammenhing, bleibt unklar. Fest steht jedoch, dass Delamotte am 20. März 1811 beim Finanzministerium einen Vertrag mit dem Theaterunternehmer Johann Weinmüller durchsetzte, durch den dessen Theatertruppe37 künftig unter königlichem Schutz stand und bis zur Erbauung eines repräsentativen königlichen Volkstheaters im königlichen Theater im Herzoggarten spielen konnte.38 Damit war für die nächsten Jahrzehnte eine entscheidende Weichenstellung für die Theaterkulturpolitik in der Residenzstadt erfolgt. 1812 wurde das neu gebaute Isarthor-Theater als königliches Volkstheater eröffnet. In dieses Klima der theaterpolitischen Lenkung und Strukturierung der Münchener Theaterlandschaft lässt sich durchaus Montgelas’ Anweisung zur Klärung des Theaterbegriffs einordnen. Sein Auftrag blieb jedoch zunächst bis zum Dezember 1813 unbearbeitet liegen, dann wurde eine eigene Behandlung der Sache für unnötig erachtet, da sie in die „Revision des Polizey-Gesetzbuchs“ eingehen würde. Die aktuelle Theatersituation in München würde ebenfalls keine Bearbeitung erfordern, da ja „würklich zur Zeit kein Privattheater mehr in hiesiger Stadt zu existiren scheine.“ 39 Vielleicht hatte die Eröffnung des Isarthor-Theaters zunächst ein Bedürfnis gestillt, so dass andere Theaterunternehmungen – privater oder öffentlicher Natur – nicht zur Realisierung kamen. Darüber hinaus war die Kriegslage, Bayern war stark in die Befreiungskriege (1813–1815) involviert, sicher ein Grund für die Rückstellung administrati36

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Dazu zählten etwa Frohsinn (1815–1846) und Bürgerverein (gegr. 1819, nachgewiesen bis 1847), vgl. Ingo Tornow, Das Münchner Vereinswesen, 46–49; vgl. auch Claudia Ulrich, Das Königliche Hof- und Nationaltheater, 117. Johann Weinmüller spielte ab 1806 in der Dultzeit im Gasthaus „Zur weißen Lilie“ in der Vorstadt Au und ab 1810 in einem Holztheater vor dem Isartor. Vgl. Hermann Friess, Theaterzensur, 331f.; vgl. Erni Maxstadt, Münchner Volkstheater, 70. Johann Weinmüllers Unternehmung galt zu der Zeit als das profilierteste Schauspieltheater neben der königlichen Bühne. 1811 brannte sein hölzernes Theater vor dem Isartor vollständig ab. Damit wurde das Theaterunternehmen zur ‚Verfügungsmasse‘ von Delamottes theaterpolitischen Plänen. Weinmüllers Truppe zog 1812 in das neue Isarthor-Theater ein, er selbst wurde der Direktor des Theaters unter der Oberaufsicht des Hoftheater-Intendanten. Die für Weinmüller überaus günstigen Vertragsbedingungen – lebenslange Anstellung, Gehalt und Pensionsanspruch eines „Hoftheaterschauspielers“ sowie Ankauf seiner umfangreichen Theaterbibliothek durch die HoftheaterIntendanz unter anderem – sprechen von der Geschäftstüchtigkeit Johann Weinmüllers, aber auch von dem unbedingten Willen Delamottes, das Volkstheater unter königliche Kontrolle zu bringen. Die Vertragsbedingungen Weinmüllers gehen aus dem vom Finanzministerium genehmigten Entwurf hervor, vgl. BayHStA, MF, Nr. 55857, Finanzministerium an die Hoftheater-Intendanz, 20. März 1811. BayHStA, MInn, Nr. 54129, Innenministerium an die königliche Ministerial-Polizei-Sektion, 18. November 1811, Notiz der Polizei-Sektion vom 20. Dezember 1813.

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ver Aufgaben untergeordneter Wichtigkeit. Erst ein weiteres Jahr später, am 14. Dezember 1814, wurde der ursprüngliche Antrag wieder in Erinnerung gebracht, diesmal mit der dringenden Aufforderung zur schnellen Erledigung. 41 Warum nun diese Dringlichkeit, da der Auftrag schon mehr als drei Jahre unbearbeitet bei den Akten lag? Die „dringende Aufforderung“ stand im Zusammenhang mit einer Gesellschaft im Huber-Garten. Der Innenminister Montgelas hatte einen Hinweis erhalten, im Huber-Garten würden politische Symbolhandlungen stattfinden, und wies darauf am 23. November 1814 den General-Kommissar des Isarkreises, Freiherrn von Schleich an, eine polizeiliche Überprüfung vorzunehmen: Es kömmt vor, daß in dem sogenanten Huber-Garten vor dem Karlsthor eine Gesellschaft zusammenkömme, welche eine Constitution, sogar ein Sigel, eigene Päße, und eine Fahne mit dem Gesellschafts-Wappen führen soll. – Der General-Comissär wird auf diese Gesellschaft zu dem Ende aufmerksam gemacht, um nach Umständen die geeigneten polizeilichen Maasregeln treffen zu können.42

Schleich ordnete die polizeilich Überwachung und Untersuchung an, die jedoch zu keinem Ergebnis führte. Erst der Antrag dieser Huber-Garten-Gesellschaft, Theaterstücke aufzuführen, wie er vom Hoftheater-Intendanten Delamotte am 30. November 1814 an den König referiert wurde, brachte den Zusammenhang der angeblich politischsymbolischen Akte mit dem ursprünglichen Montgelas-Auftrag von 1811: Eine Gesellschaft von Königlichen Staatsbeamten bittet laut der Originalanlage vom 3ten Nov. 1814, um die Allergnädigste Erlaubniß, während dem Advent und der Fastenzeit in dem Hubergarten wöchentlich zweimal Komödie spielen zu dürfen, und Sie bezweifelt nicht, da bei dem Stubenvollbräu schon ein ähnliches Liebhabertheater bestehet, die gnädigste Willfahrung ihrer Bitte zur Ausbildung der Moralität und des Kunsttalents der Komödie spielenden Staatsdiener zu erhalten, deren moralische Bildung und begleitender Karakter als Staatsdiener im allgemeinen, wie insonderlich, spezial und individuell wieder die größte Solidität, wie bereits in der vorjährigen Fastenzeit der Fall gewesen, erwarten lasse; wo sie ferner durch Kostenfreie Geldeinnahme, wie solche dieses Jahr auch geschehen würde, 146fl. 40kr. zu frommen Zwecken errungen, und abzugeben hätten.43

Der Bericht des General-Kommisars des Isar-Kreises, von Schleich, der sich über das unprofessionelle Verhalten der Polizei bei der Überwachung des Huber-Gartens beschwerte, welches eine Klage der Huber-Garten-Gesellschaft auf Ehrenkränkung zur 40

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Bayern beteiligte sich zunächst an der Seite Napoleons, am 8. Oktober 1813 erfolgte dann der Wechsel zu den Alliierten gegen Napoleon. Napoleon I. dankte am 11. April 1814 endgültig ab. Es kam erst in den Schlachten von Ligny (16. Juni 1815) und Waterloo (18. Juni 1815) wieder zu Kriegshandlungen. BayHStA, MInn, Nr. 54129, Innenministerium an den General-Commissär der Wachtmeister, Freiherrn von Schleich vom 23. November 1814, lose beiliegender Notizzettel vom 14. Dezember 1814. BayHStA, MInn, Nr. 54129, Innenministerium an den General-Commissär der Wachmeister, Freiherrn von Schleich vom 23. November 1814. BayHStA, MInn, Nr. 54129, Schreiben des Hoftheater-Intendanten an den König, 30. November 1814. Hervorhebung im Original.

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Folge hatte, macht deutlich, dass es sich tatsächlich um die gleichen Akteure handelte. Schleich drang auf Genehmigung der Theatervorführungen, um die Peinlichkeit der unstatthaften politischen Verdächtigung zu entschärfen: Weil aber die bereits movirte Klage auf Satisfaction nun zur Erledigung kommen muß, so habe ich nicht säumen wollen diesen Fall gegenwärtig zur allerhöchsten Entschließung mit dem ganz unzielsetzlichsten Antrage vorzulegen, daß den Mitgliedern jener Gesellschaft gestattet werden wolle – unter Aufsicht des Königlichen General-Commissariats eine bestimte Anzahl Theater Stüke aufzuführen.44

Damit würde der Gesellschaft eine im Prinzip unverfängliche Bitte gewährt, und so würde „sich die verlangte Genugthuung von selbst ergeben.“45 Diesem Antrag wurde jedoch nicht statt gegeben. Das Anliegen der Theater-Gesellschaft wurde in der Schwebe gehalten.46 Aber direkt am nächsten Tag, am 14. Dezember 1814, kam die oben zitierte Weisung an die Ministerial-Polizei-Sektion, den Auftrag vom 18. November 1811 endlich und beschleunigt zu erledigen. So schien hier der Konnex von vermeintlicher politischer Symbolhandlung, Anspruch auf theatraler Darstellung und allgemeinem behördlichem Regulierungsbedarf, trotz der positiven Einschätzung des General-Kommissars, dringend genug, um den ruhenden Auftrag von 1811 erneut ins Spiel zu bringen. Am 12. Juli 1815 legte die Ministerial-Polizei-Sektion schließlich das Konzept zur Ministerial-Entschließung47 betreffs der Privattheater vor, am 5. September erfolgte ihre endgültige Formulierung48. Die kontextuelle kulturpolitische Situation mit dem erstarkenden Interesse der Bürger am Theaterspiel war der Grund für die erhöhte Wachsamkeit der staatlichen Behörden; aber der Antrag der theatralischen Gesellschaft im Huber-Garten wurde erst in dem Moment zum Auslöser für die kategorische Regulierung, als er auf eine konkrete politische Situation traf – wenn „Constitution“, „Päße“ und „Fahne“ politisch verdächtig erschienen. Im ersten Satz der schließlich am 5. September 1815 ergangenen Ministerial-Entschließung wurde nochmals direkt der Zusammenhang zur Gesellschaft im Huber-Garten hergestellt: „[Es] wird auf die verschiedenen, über die Gesellschaft im Hubergarten hieselbst erstatteten Bericht, in Ansehung der Privattheater folgende Vorschrift ertheilt.“49 44 45 46

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BayHStA, MInn, Nr. 54129, Bericht des General-Commissariats an den König, 13. Dezember 1814. Ebd. Im neuen Jahr erfolgte ein zweiter Antrag der Gesellschaft im Huber-Garten, in dem sie um beschleunigte Beantwortung bat, da der erste ins Auge gefasste Aufführungs-Zeitraum, die Adventszeit, bereits verstrichen war und es nun dringend um die Aufführungsgenehmigung für die Fastenzeit ging. Vgl. BayHStA, MInn, Nr. 54129, Antrag auf Genehmigung von theatralischen Vorstellungen im Huber-Garten, 26. Januar 1815. Vier Jahre später, 1819, erfolgt schließlich doch die offizielle Gründung der Huber-Garten-Gesellschaft, die sich neuen Spielregeln beugen muss. Vgl. BayHStA, MInn, Nr. 54129, Bericht der Ministerial-Polizei-Section, 12. Juli 1815. Vgl. BayHStA, MInn, Nr. 54129, Ministerial-Entschließung an das General-Commissariat des IsarKreises, 5. September 1815. Ebd.

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Dem Hoftheater-Intendanten Delamotte hingegen ging es in seinem Bericht vom 30. November 1814 zu dieser Gesellschaft um die Abwehr einer möglichen Theaterkonkurrenz – er verlangte die Abweisung des Antrags dieses ernstzunehmenden TheaterUnternehmens. Durch die Teilnahme von königlichen Staatsbeamten schien sich die Gesellschaft der größten Solidität zu erfreuen, und die referierten Einnahmen (146f 40kr) vom Vorjahr sprechen von einem großen Zulauf. Die Huber-Garten-Gesellschaft berief sich auf die ergangene Spielerlaubnis für eine Gesellschaft im Stubenvoll-Bräu und reklamierte für sich das gleiche Recht.50 Delamotte zeichnete in drastischen Farben die Folgen einer Spielgenehmigung für solche Unternehmen für den Staat. Der Beruf – noch prekärer bei Beamten: der öffentliche Dienst – würde vernachlässigt zugunsten des Theaterspiels und der Erfolg des Liebhabertheaters würde so große Einbußen für das königliche Hoftheater und das Isarthor-Theater bedeuten, dass letzteres geschlossen werden müsste: Wenn also der Staats-Beamte oder der wohlhabende Bürger seine Theater-Liebhaberei so weit treibt, daß jener sein Amts-Bureau und dieser seine Werkstätte und Gewölbe verläßt, um seine Kunst, gleich für Geld oder umsonst, auf denen Brettern zu zeichen, so sind die Folgen, die nothwendige Vernachlässigung der Berufs-Geschäfte nicht gerechnet, durch das nicht beobachtete Sprichwort Schuster bleibe bei deinen Leist, so groß, daß der Staat zur Erhaltung des Hoftheaters weit beträchtlichere Zuschüsse als bis daher wird machen, und die unterthänigst unterzeichnete Stelle die Auflösung des Theaters am Isarthor wird pflichtschuldigst antragen müssen, um bei denen verminderten Einnahmen, beim nicht zu vermeidenden Schulderlaß zu kontrahiren.51

Während nun der Entwurf der Ministerial-Polizei-Sektion (12. Juli 1815) das Konkurrenzproblem und die Berufsablenkung direkt aufnahm, fokussierte die endgültige Ministerial-Entschließung (5. September 1815) stärker auf die kategoriale Unterscheidung von „privat“ und „öffentlich“. Im Entwurf hieß es noch: Im Durchschnitt verdienen aber dergleichen Gesellschaften, da sie oft zu Unordnungen und Ausschreitungen mißbraucht werden, und insbesondere gern Veranlassung zu schädlichen Versäumnissen in den ordentlichen Berufsarbeiten geben, keine Begünstigung, am wenigsten da, wo bereits öffentliche Theater bestehen.52

Der Text der Ministerial-Entschließung verfügte dagegen ohne Bezug auf das Berufsleben, die Spielbewilligung für öffentliche Theateraufführung sollte nur im Ausnahmefall gegeben werden, „da schon zwey ordentliche Theater für hiesige Stadt bestehen, und jene Liebhaber Gesellschaften manigfaltigem Mißbrauch ausgesetzt sind […]“53 Diese anvisierte Eindämmung der Theatertätigkeit in München wurde jedoch nicht konsequent praktiziert. Zwei Jahre später, als mit dem Tode Lorenz Lorenzonis 1817 50 51 52 53

BayHStA, MInn, Nr. 54129, Bericht des Hoftheater-Intendanten an das Innenministerium, 30. November 1814. Ebd. Hervorhebung im Original. BayHStA, MInn, Nr. 54129, Entwurf der Ministerial-Polizei-Sektion, 12. Juli 1815. BayHStA, MInn, Nr. 54129, Ministerial-Entschließung, 5. September 1815.

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dessen lebenslange Spielbewilligung für ein Volkstheater vor dem Karlstor erloschen war und zur Disposition stand, kam es gerade nicht zu einer angeblich so willkommenen ‚Reduzierung‘ der Theaterlandschaft. Es erging am 11. Dezember 1817 der allerhöchste Erlass, die Sommertheater zu erhalten.54 Zur Weiterführung des Theaters vor dem Karlstor schrieb die Polizei die Direktorenstelle öffentlich aus – ein erstaunlicher Vorgang städtischer Theaterpolitik. Unter den sieben Bewerbern erhielt der Schauspieler und Theaterunternehmer Joseph Schweiger55 den Zuschlag, das Theater zu leiten. Das Problem der ‚Ablenkung‘ von der Berufstätigkeit musste in der Ministerial-Entschließung vom 5. September 1815 in den Hintergrund gesetzt werden, da sonst die positive Bestimmung einer geschützten ‚Privatsphäre‘ gegenüber einer unter strenge obrigkeitliche Kontrolle zu stellende Öffentlichkeit nicht hätte greifen können. So stellte die Ministerial-Entschließung zu allererst fest: Es ist Niemandem zu verwehren, in seinem eigenen Hause, oder in seiner Privatwohnung, mit seiner Familie, und mit anderen Familien oder Personen, auf eigene oder gemeinschaftliche Unkosten, in geschlossener Gesellschaft, von Zeit zu Zeit oder an bestimmten Tagen, theatralische Vorstellungen zu geben. Hierzu bedarf es einer polizeylichen Erlaubniß nicht, und die Polizey hat sich hierunter auf die allgemeine und gewöhnliche Aufsicht zu beschränken, welcher jede Familie und jede Gesellschaft unterliegt; sie hat nur bey wahrgenommenem Mißbrauch und bey entdekten Uebertretungen einzuschreiten.56

Die Polizei habe lediglich ihr Augenmerk darauf zu richten, dass diese Privatveranstaltungen nicht in öffentliche Gesellschaften ausarten würden „oder in Sammelplätze schlechter, verrufener, und verdächtiger Leute, oder in geheime Verbindungen mit geheimen Zwecken und Formen.“57 Was hier zunächst lediglich nach der Ermöglichung freier Privatentfaltung auf der Grundlage strafrechtlicher Ordnung aussieht, erfordert im zweiten Satz jedoch im Prinzip die Einschleusung des Polizei-Spitzels in die Privat-Gesellschaft. Wie sollte man sonst eine geschlossene Gesellschaft effektiv hinsichtlich ihrer potentiellen politischen Konspiration überwachen, wenn nicht mittels diskreter Spionagetätigkeit? In München spricht etwa die missglückte Überwachung des Huber-Gartens (s.o.) für einen eher unprofessionellen Einsatz und gegen eine gängige Überwachungs-Praxis in 54 55

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Vgl. hierzu und zur Berufung Joseph Schweigers als Direktor des Theaters vor dem Karlstor Herbert Fränzelin, Geschichte der Münchener Vorstadt-Theater, 21f. Joseph Schweiger (1770–1847) führte das Theater vor dem Karlstor bis 1823, danach spielte er mit seiner Truppe beim Wirt auf der Praterinsel. Nach der Schließung des Isarthor-Theaters 1825 spielte er zunächst wieder vor dem Karlstor, dann in der Au. 1845 wurde sein Gesuch, ein Theater in der Isarvorstadt, Müllerstraße, einzurichten, um für das Stadtpublikum besser erreichbar zu sein, bewilligt. Dieses Isarvorstadt-Theater prosperierte auch noch unter seinem Sohn Max Schweiger (1816– 1880) und entwickelte sich zum ‚zweiten Theater‘ der Stadt. Das Isarvorstadt-Theater musste 1865 wegen der Eröffnung des Gärtnerplatz-Theaters auf königlichen Befehl geschlossen werden. Zu Schweigers Biographie vgl. Erni Maxstadt, Münchner Volkstheater, 10–13. BayHStA, MInn, Nr. 54129, Ministerial-Entschließung, 5. September 1815. Ebd.

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den 1810er Jahren. Während also davon auszugehen ist, dass die Münchner in dieser Zeit keiner staatlich gelenkten Überwachungspraxis ausgesetzt waren, so wurde dennoch in der Ministerial-Entschließung die Möglichkeit umfassender Informationsflüsse aus der ‚Geschlossenheit‘ der Privaträume selbstverständlich angenommen. Die doch überschaubare Größe der bürgerlichen Gesellschaften und die zahlreichen Vernetzungen verschiedener Akteure erlaubten in München zu dieser Zeit eine ‚soziale Kontrolle‘ in Form von Gerüchten und Gesprächen. Der polizeiliche Eingriff trat bei den privaten Liebhabertheatern erst im Übertretungsfall ein, wohingegen die öffentlichen Liebhaberoder privatwirtschaftlichen Theater vollständig und präventiv der obrigkeitlichen Autorität unterstellt waren. Wie nun wurde die Unterscheidung zwischen privaten und öffentlichen Theaterunternehmungen getroffen? Die Ministerial-Entschließung fasste hier kurz und prägnant die ausführliche Diskussion des Entwurfs zusammen: Als nicht geschlossene, sondern öffentliche Theater Gesellschaften sollen betrachtet werden: a) diejenigen, welche zur Aufführung theatralischer Vorstellungen ein eigenes Local in einem dritten – wenn gleich Privathause – für den eigenen ausschließenden Gebrauch zu diesen Zwecken miethen; b) diejenigen, welche sich in einem öffentlichen Hause, z.B. in Gasthäusern, Schenken u. dgl. versammeln; und endlich c) diejenigen, welche, sie mögen sich versammeln wo sie wollen, zu ihren theatralischen Spielen dem Publicum, oder gewissen Ständen desselben, den Zutritt öffnen, durch eigene Ankündigungen dazu einladen, Billets und Einlaßkarten vertheilen, oder gar ein gewisses Eintrittsgeld erheben.59

Der öffentliche Raum – das Gasthaus, die Schenke – machte das Theater zu einer öffentlichen Veranstaltung, aber auch der spezifische Theaterraum, der nur zum Theaterspiel genutzte Raum („ein eigenes Local“) sprengte den Rahmen der durch die Familienhäuslichkeit definierten Privatsphäre. Die freie Zulassung von Publikum, aber auch die öffentliche Ankündigung und der kommerzielle Gewinn durch Eintrittsgeld bedurften der „obrigkeitlichen Bewilligung.“60 Ein spezifisches Problem stellte der öffentliche Auftritt der teilnehmenden Akteure dar. Studenten, Geistliche und Staatsdiener waren die aktivsten und daher auch besonders zu kontrollierenden Personengruppen, die nach theatralischer Betätigung strebten. Studierende mussten für den öffentlichen Auftritt die Erlaubnis der „Studienvorste-

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Auch noch im Januar 1848 zeugten die bürokratischen und finanzpolitischen Hürden bei der Anwerbung von Polizeispitzeln für die Ausspionierung von Kaffeehaus-Gesellschaften nicht von einer effizienten und durchorganisierten Spitzelpraxis der Münchner Polizei. Es ging in diesem Fall um die Eruierung der politischen Stimmungslage in Bezug auf die Gräfin Landsfeld (Lola Montez); vgl. hierzu BayHStA, MInn, Nr. 45783, Die öffentliche Stimmung in München, Geheim Ueberwachung, 1848. BayHStA, MInn, Nr. 54129, Ministerial-Entschließung, 5. September 1815. Ebd.

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her“ einholen. Bei den Staatsbeamten unterschied die Ministerial-Polizei-Sektion zwischen höheren und subalternen öffentlichen Bediensteten. Während es ersteren gar nicht gestattet sein sollte, Theater zu spielen, durften sich letztere nicht bei öffentlichen Vorstellungen beteiligen, wenn ein Eintrittsgeld verlangt wurde.62 Letztlich entschied sich der Innenminister für eine strengere Fassung: Studierende benötigten wie vorgesehen die Erlaubnis ihrer Lehrer; „geistlichen und im öffentlichen Dienst stehenden Personen“ wurde generell jegliche Beteiligung an öffentlichen Theatervorstellungen untersagt. Studierende, Geistliche und Staatsdiener gehörten zu den Personengruppen, welche einen besonderen Zugang zur Öffentlichkeit hatten. Geistliche standen zentral in der Öffentlichkeit ihrer Gemeinden und waren in der Lage von der Kanzel herab und in den Kommunikationszirkeln zwischen Kirchhof und Wirtshaus die Meinung ihrer Gemeindemitglieder maßgeblich zu beeinflussen. Insbesondere im ländlichen Raum hatte diese zentrale Kommunikationsrolle der Geistlichen lange noch Gültigkeit. Ein dramatisiertes Flugblatt von 1848 aus Augsburg, „Gespräch unter Landleuten“, das gegen das die Feudallasten aufhebende Ablösegesetz (sanktioniert am 4. Juni 1848) agitierte, spielte hier exemplarisch die Informationswege durch. Eine Gruppe von Bauern sitzt im Wirtshaus zusammen, um über das betreffende Gesetz zu diskutieren. Der Lehrer tritt hinzu mit der Zeitung unter dem Arm, bringt ihnen die vom Pfarrer diktierte ‚richtige‘ Meinung bei und sorgt für eine weitere Verbreitung dieser Ansicht: Wirth: – Nun kommt eben der Herr Lehrer mit seinem Gevattermann, dem Schmidt-Bastl, der wird uns schon mehr über das Ablösungsgesetz sagen können, der hat gewiß den Herrn Pfarrer schon darüber gefragt, und wie ich sehe, hat er auch die Zeitungen bei sich, den wollen wir fragen. – 61

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Da München erst ab 1826 eine Universität hatte, so ist davon auszugehen, dass hier die Schüler und Lehrer von Lyzeen und Gymnasien gemeint sind. Die allgemeine Formulierung ermöglicht später eine Ausdehnung auf die Studenten. In der Debatte um die Liebhaber-Theater von 1835/1836 ist auch von Studenten die Rede, welche in den Ferien in ihre Heimatorte zurückkehren und dort Theater spielen. Vgl. BayHStA, MInn, Nr. 54129, Bericht der Regierung des Isarkreises vom 24. März 1836. Dort wird vorgeschlagen, das Liebhabertheater gerade in den Ferienmonaten zuzulassen, um diesen Personen eine Teilnahme zu ermöglichen: „In denen zwey Monaten [September und Oktober] sind gewöhnlich auch die auf Universitäten, Lyceen und Gymnasien Studirenden bey ihren Aeltern und Verwandten zu Hause, und die Erfahrung hat es gelehrt, daß auch für diese Klaße ein Gesellschaftstheater eine sehr zweckmäßige Unterhaltung sey.“ Dies ist also eine zur MinisterialEntschließung genau in Opposition stehende Argumentation, die sich jedoch nicht durchsetzen konnte. Die deutlich liberalere Empfehlung der Departmental-Versammlung vom 5. August 1815, wollte die Verantwortung der Teilnahme an Theatervorstellungen den Einzelnen überlassen, vgl. BayHStA, MInn, Nr. 54129, Entwurf der Ministerial-Polizei-Sektion, 12. Juli 1815, Notiz der Departmental-Versammlung vom 5. August 1815: „Rücksichtlich der Personen welche auf solchen Liebhaber Theatern auftretten dürfen, scheine es am räthlichsten hierüber positive polizeyliche Bestimmungen nicht zu machen, sondern bey Studirenden dieses der Aufsicht der Eltern, Vormünder und Lehrer; bey Geistlichen und Staatsdienern hingegen ihren eigenen Gefühlen von Würde und Schicklichkeit, sowie die allgemeine Disciplinar Aufsicht ihren Vorgesetzten zu überlaßen, welche wenn Missbräuche entstehen sollten, von selbst das Geeignete zu verfügen wißen würden.“ Hervorhebung im Original.

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Lehrer: Guten Abend, liebe Leute! Heute bin ich ein Gesandter an euch, denn der Herr Pfarrer hat mir befohlen euch das Votum oder die Rede vorzulesen, die unser hochwürdigster Bischof in der Ständenversammlung über das Ablösungsgesetz gehalten hat, und euch, wenn ihr etwas davon nicht ganz versteht, die Sache, so gut ich kann, zu erklären, er hat mit mir das ganze durchgenommen, und mich auf alles aufmerksam gemacht. – Müller: Nun das ist recht, ich will’s dann bei meinen Mahlgästen auch wieder so machen, und der Wirth kann’s bei den Leuten am Sonntag auch verteutschen, damit wir doch wissen, wie wir daran sind mit den goldnen Bergen, die man dem Bauernvolke verspricht.63

Der Pfarrer fungiert hier als diskursives Zentrum, von dem die angemessene Deutung der Informationen ausgeht, und kann eine weitere kommunikative Strahlkraft in den verschiedenen Gesellschaftszirkeln entfalten. Dieser kontrollierend kommunikativen Rolle des Pfarrers entspricht auch die Beobachtung, dass die Theateraufführungen von Liebhaber-Gesellschaften insbesondere im ländlichen Raum eher bewilligt wurden, wenn der Ortsgeistliche als quasi Zensor involviert war.64 Denn damit schien die angemessene Einschränkung der theatralen Öffentlichkeit gewährleistet. Die Gruppe der Staatsdiener stellte hier nochmals einen Sonderfall dar. Sie wurden grundsätzlich zum Bereich der Staatsöffentlichkeit gerechnet, was auch die Bezeichnung ‚öffentlicher Dienst‘ signalisierte.65 Der Staat als Bereich der ‚öffentlichen Sphäre‘ geriet quasi in ein Konkurrenzverhältnis zu einer anderen Öffentlichkeit im Sinne der medialen und gesellschaftlichen Öffentlichkeit, wenn Staatsdiener auf öffentlichen Bühnen auftraten, die sich außerhalb des staatspolitisch markierten Raums befanden. Dazu gesellte sich der Vorbehalt der Unsittlichkeit, der dem Theater als Darstellungskunst immer noch unterschwellig anhaftete. Beide Aspekte führten dazu, dass ein Staat, der sich anschickte, die sich neu und quer zu traditionellen Gesellschaftsschichten formierenden Sphären des Öffentlichen regulierend zu gestalten, seine Beamte strikt aus dieser theatralen ‚Grauzone‘ des Öffentlichen heraushalten musste. War eine Theaterunternehmung durch die oben gegebenen Kriterien als ‚öffentlich‘ gekennzeichnet, dann war eine „polizeyliche Cognition und Concession“66 nicht zu umgehen: Der Polizeydirektion gebührt rücksichtlich der Privattheater außerhalb der geschlossenen Gesellschaften, eine unmittelbar einwürkende Aufsicht, in deren Folge sie befugt ist

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Gespräch unter Landleuten, Augsburg 1848, dramatisiertes Flugblatt. Der Druck muss unmittelbar nach der Sanktionierung des Ablösegesetzes am 4. Juni 1848 erfolgt sein, da es diese Sachlage bereits benennt und sich auf die gerade erst erfolgten Diskussionen in der Ständeversammlung direkt bezieht. Vgl. Hermannn Friess, Theaterzensur, 311 und 321. Peter Uwe Hohendahl hat darauf hingewiesen, dass im 17. Jahrhundert der Ausdruck ‚öffentlich‘ die Bedeutung ‚staatlich‘ ausbildete und erst im 18. Jahrhundert eine semantische Verschiebung hin zu ‚dem Publikum allgemein zugänglich‘, ‚nicht staatlicher Kontrolle unterworfen‘ stattfand. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts lassen sich die Debatten um den Öffentlichkeitsbegriff auch als Kontroverse um diese Bedeutungsverschiebung lesen. Vgl. Peter Uwe Hohendahl, Öffentlichkeit, 5f. BayHStA, MInn, Nr. 54129, Entwurf der Ministerial-Polizei-Sektion, 12. Juli 1815.

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a) Von dem Stande der Personen, aus denen eine solche nicht geschlossene Gesellschaft besteht, directe Notiz zu nehmen; b) die aufzuführenden Theaterstücke, mit Rücksicht auf das Edict über die Preßfreyheit, ihrer Censur zu unterwerfen; c) bey der Aufführung selbst für einen Abgeordneten zu jeder Zeit freyen Zutritt zu verlangen; auch; d) die Localitäten und Vorrichtungen, so oft sie es nöthig findet, um der Sicherheit willen, untersuchen zu lassen.67

Hier wurde eine umfassende polizeiliche Aufsicht festgestellt: Vorzensur für die Theaterstücke, Theaterpolizei bei den Aufführungen, feuer- und sicherheitspolizeiliche Kontrolle des Theaterraumes. Auffallend ist, dass die polizeiliche „Notiz“ der teilnehmenden Personen an erster Stelle erscheint. Zum einen hatte diese polizeiliche Befugnis direkt mit den oben erläuterten Bestimmungen zum Teilnahmeverbot und zur Teilnahmeeinschränkung von Geistlichen, Beamten und Studierenden zu tun, zum anderen war hier aber auch die grundsätzliche Annahme wirksam, dass der Staat die Befugnis haben musste, die öffentliche Sphäre nicht nur auf einer inhaltlichen Ebene (Zensur der Theaterstücke), sondern eben auch hinsichtlich ihrer möglichen Akteure zu regulieren. Nicht nur das, was dargestellt wird, hat eine öffentliche Wirkung, sondern auch der Darsteller als gesellschaftliche Person, wenn er auf der Bühne steht. Die Standeszugehörigkeit der Akteure von Liebhabertheatern rückte 1835 noch stärker in den Fokus, dieses Mal ganz dominiert von der Diskussion um die Konkurrenz der Theaterliebhaberei zur eigenen Berufstätigkeit. Im Kern dieser Debatte stand die Frage, welche privaten und öffentlichen Betätigungen den Gewerbetreibenden und Arbeitstätigen außerhalb der Arbeit zustehen sollten. Letztlich war diese Diskussion auch von der allmählichen Entwicklung einer zweigeteilten Alltagsstruktur zwischen ‚Arbeit‘ und ‚Freizeit‘ geprägt, die durch die zunehmende Industrialisierung modelliert wurde.68 T h e a t r a l e S t ö r u n g e n d e r G e s e l l s c h a f t s o r d n u n g . Am 24. Dezember 1835 erging ein königliches Reskript an alle Regierungsbezirke Bayerns „ungesäumt zu berichten“, welche Liebhabertheater in ihrem Regierungskreis bestünden. Sie sollten darlegen, welchen Einfluss diese auf die Sittlichkeit hätten und „auf den Wohlstand, namentlich der Gewerbe treibenden Klassen […], welche öffentliche Blätter durch diese Institute wegen des mit dem Einstudiren der Rollen u.s.w. verbundenen Zeitverlustes und des dabei erlöschenden Sinnes für häusliches Leben wesentlich gefährdet erachten.“69 Diese Anweisung zum Bericht wurde direkt veranlasst durch einen Zeitungsartikel im Augsburger Tagblatt (23. und 24. November 1835),70 der die Liebhaber-Theater als 67 68 69 70

BayHStA, MInn, Nr. 54129, Ministerial-Entschließung, 5 September 1815. Zur historischen Entwicklung der Freizeit vgl. etwa Gerhard Huck (Hg.), Sozialgeschichte der Freizeit. Untersuchungen zum Wandel der Alltagskultur in Deutschland, Wuppertal 1980. BayHStA, MInn, Nr. 54129, Kgl. Rescript an sämtliche Regierungen, 24. Dezember 1835. In den Akten findet sich eine Art ‚Presseschau‘, in dem dieser Artikel aufgeführt und detailliert beschrieben ist; vgl. BayHStA, MInn, Nr. 54129, Uebersicht bemerkenswerther Journal-Artikel im

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Quelle der Sittenverderbnis und vor allen Dingen des wirtschaftlichen Verfalls bezeichnete. Luxusstreben, ein übertriebener Hang zum Genuss und zum Nichtstun würde die mittleren und unteren Schichten direkt in die Armut führen: Eben so und noch weit verderblicher für Manche Familien sind Liebhaber-Theater. Der Arbeitsmann, die Hausfrau und deren Tochter und – Liebhaber-Theater! Was sind die Folgen hievon? Der Mann, statt seinen Kopf beim Gewerb zu haben, studirt die Rolle, welche er als Bretterheld übernommen hat. Es ist uns selbsten vorgekommen, einen Gewerbsmann in seinem Laden die Rolle studiren zu treffen, und aus glaubwürdigem Mund ist uns versichert worden, daß ein Diurnist71 in einer gewissen Kanzlei, statt seine Arbeit zu verrichten sich in der Mimmik für seine Rolle übte. Letztern Subjekten ist indessen von ihrer Behörde verboten worden, Mitglieder dramatischer Gesellschaften zu seyn. Was daraus erfolgt, wenn der Geist während der Arbeit mit dergleichen Dingen schwanger geht, braucht wohl keiner nähern Erklärung. Der nämliche Fall tritt auch bei der Hausfrau ein, welche außer dem Zeitverlust, zur Eitelkeit und zu Dingen, welche ganz leicht den Hausfrieden stören, verleitet wird. Die Bürgerstochter, welche zur Arbeit und zu einem stillen häuslichen Leben erzogen werden soll, wird zur Kokotte gemacht. Zu all diesem kommen noch die öftern Proben, bei welchen nicht nur die halbe Nacht, sondern auch die Lust zur Arbeit für den kommenden Tag verloren geht, und Ausgaben, welche dem Einkommen nicht angemessen sind, veranlaßt werden.72

Die Theateraktivitäten kosteten Geld, Zeit und füllten die Köpfe der ‚Gewerbetreibenden‘ mit unangemessenen Inhalten. Die Arbeit würde vernachlässigt, der öffentliche Auftritt auf den Brettern würde jegliches Streben bestimmen. Der „Diurnist“ würde die Probenarbeit ins Amt tragen, obgleich ihm doch als Beamter generell die Theaterpraxis verboten sei. Die hier angelegte kritische Unterscheidung zwischen privatem/ beruflichem Leben und dem öffentlichen Auftritt auf der Bühne wurde auch bei der Hausfrau streng angelegt. Das gute häusliche und somit abgeschlossen private Leben sei der angemessene Bereich der Bürgerfrau. Ihre Theaterlust und die damit verbundene öffentliche Darstellung wurden rigoros als „Eitelkeit“ und Koketterie verfemt. Nicht nur, dass hier die Frau in rigoroser Gender-Politik auf den inneren familiären Bereich verwiesen wurde,73 sondern auch der Mann der unteren oder mittleren Klassen durfte nur in beschränktem Maße – nämlich, wenn die Arbeitstätigkeit davon nicht beeinflusst war – öffentlich exponiert auf der Bühne auftreten.

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Bereich der inneren Politik Bayerns, 27. November 1835. In der Akte direkt darauf folgt das Kgl. Rescript vom 24. Dezember 1835. Ein Diurnist war ein unterer Verwaltungsbeamter, der als Amtsschreiber für Protokolle, Kopien von Schriftstücken und ausgehende Korrespondenzen zuständig war. „Noch einige Worte über den Verfall des Wohlstandes der Gewerbsleute und des Mittelstandes. (Schluß)“, in Augsburger Tagblatt, Nr. 323, 24. November 1835. Diese am Geschlecht orientierte Unterscheidung zwischen öffentlichem und privatem Leben beförderte auch nach 1900 noch den Diskurs um die ‚Frau als Schauspielerin‘ und erhielt durch psychosoziale Analysen eine pseudo-wissenschaftliche Begründung; vgl. etwa Heinrich Stümcke, Die Frau als Schauspielerin, Leipzig 1914; Bernhard A. Bauer, Komödiantin – Dirne? Der Künstlerin Leben und Lieben im Lichte der Wahrheit, Wien u. Leipzig 1927.

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Die Ordnung der Öffentlichkeit

Der Augsburger Zeitungsartikel ergänzte einen eine Woche zuvor im gleichen Blatt erschienenen Artikel74, der grundsätzlich den sittlichen und ökonomischen Verfall als Ausdruck eines fortschreitenden und unangemessenen Strebens nach der Umgestaltung der hergebrachten ständischen Ordnung postulierte. Während in der ‚alten Zeit‘ der Handwerksmeister – „religiös, sittlich, einfach in Kleidung“75 – genügsam gelebt und seine Kinder gut und häuslich erzogen hätte, würde die funktionierende Gesellschaftsstruktur nun durch unangemessenen Luxus und das Streben, „mehr seyn zu wollen und zu scheinen als man wirklich ist“76 korrumpiert. Die Unangemessenheit dieser Lebensführung würde dadurch entstehen, dass diese unteren Schichten jetzt einen Lebensstil verfolgten, der vormals unhinterfragt den oberen Schichten vorbehalten gewesen war. Die angemessene Eleganz der Oberschicht würde zum „übertriebenen Luxus“ der Unterschicht. Insbesondere die ungebührlich herausgeputzte Kleidung wurde kritisiert. In der Tat sehen wir durch den Einfluss der französischen Revolution das Aufbrechen der vormals gerade im ländlichen Raum streng gültigen Kleiderordnungen, die bis zum Ende des 18. Jahrhunderts jeglichen Schmuck und Zierart verboten. Spangen, Ketten und Broschen waren nun nicht mehr den höher gestellten Bürgern und dem Adel vorbehalten, so dass im frühen 19. Jahrhundert eine große Nachfrage nach und regelrechte Industrie für den „Schmuck am Gwand“77 entstand. Die geschmückte Kleidertracht wurde damit zum visuellen Symbol des Verstoßes gegen ursprünglich ständisch motivierte Normen. Zusätzlich zum Problem der Schichten-Verschiebungen war auch die Verwischung der Grenzen von „Land- und Stadtleben“ unter dem Stichwort der ‚Landflucht‘ verwerflich: Die weiblichen Dienstboten, welche der Feldarbeit entlaufen, und sich in die Städte flüchten, finden ihr gutes Unterkommen, weil die Bürgerstöchter zum dienen nicht, sondern zum Nichtsthun und Luxus erzogen, und meistens den Vergnügungen nachhängen – sie räumen gerne den Landdirnen den Platz, welche so dem Landbaue entzogen werden. Diese gefallen sich in der Stadt, und lernen das üppige Leben; ihre Dienste gefallen ihnen bald nicht mehr – sie wollen Frauen werden, und sich bedienen lassen; hängen dem übertriebensten Luxus nach und in ein paar Jahren kleiden sie sich statt in Barchent und Leinen in Seide und reiche Stoffe. Die Dienstherrschaften, oft selbst leichtsinnig genug, unterstützen diese Verschwendung, weil man von der Stattlichkeit ihrer Dienstboten auf ihr inneres Haushalten schließen soll, wo es oft so traurig aussieht.78

74 75 76 77

78

„Ueber den Verfall der Gewerbsleute etc.“, in Augsburger Tagblatt, Nr. 314, 15. November und Nr. 315, 16. November 1835. Ebd. „Noch einige Worte über den Verfall des Wohlstandes der Gewerbsleute und des Mittelstandes“, in Augsburger Tagblatt, Nr. 322, 23. November 1835. Schmuck am Gwand. Ländliche Bijouteriewaren aus dem 19. Jahrhundert, so der Titel einer Ausstellung im Bayerischen Nationalmuseum München (26. November 2010 bis 27. Februar 2011) zu diesem Wandel der ländlichen Kleiderordnung. „Ueber den Verfall der Gewerbsleute etc.“, in Augsburger Tagblatt, Nr. 314, 15. November und Nr. 314, 15. November 1835.

Theater-Öffentlichkeit und Gesellschaftsordnung

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Für den vehementen Kritiker der Liebhaber-Theater war genau dieses ‚Freizeit-Vergnügen‘ den einfachen Bürgern ganz unangemessen. Nicht nur das Theaterspiel, sondern auch der Theaterbesuch erschien unpassend. Das Bräuhaus dagegen stellte das adäquate Gegengewicht zum tätigen Leben der Bürger dar: Es ist keineswegs gemeint, daß dem Bürgersmann und seiner Familie kein Vergnügen gehöre. Gewiß nicht, im Gegentheil der Arbeiter soll sich so gut wie der Reiche nach vollbrachtem Tagwerk eine Erholung gönnen, aber auf einen seinem Stand und seinen Verhältnissen angemessene Weise. Er gehe zu einem Glas Bier und unterhalte sich mit seinen Mitbürgern. Lege sich aber auch zur rechten Zeit zur Ruhe, damit er für den andern Tag zur Arbeit gestärkt ist.79

Alle im Zusammenhang mit dem Liebhabertheater und dem „Verfall des Wohlstandes“ im Augsburger Tagblatt (15., 16., 22. und 23. November 1835) vorgebrachten Argumente zielten gegen die Faktoren gesellschaftlicher Veränderungen, bei denen das Liebhabertheater nach der Diagnose des Blattes eine zentrale Rolle einnahm. Es ging hier nicht mehr um ein theatrales Volksvergnügen, wie es etwa die Späße des ‚Lipperl‘Theater bot, sondern um den Versuch, einer bürgerlichen Annäherung an das Berufsschauspiel und dessen dramatischen Kanon. Daher war nicht mehr die ‚Sittengefährdung‘ das bestimmende Thema – wie noch in der bayerischen Hochaufklärung –, sondern vielmehr die als bedrohlich wahrgenommene Störung der gesellschaftlichen und ökonomischen Ordnung. Private und öffentliche Handlungsbereiche durften nicht vermischt werden, wie es doch im Umfeld der Theatertätigkeit passierte. ‚Scheinen‘ und ‚Sein‘ würden vom Theater unzulässig in eins gesetzt und verführten zu „übertriebenem Luxus“ und gesellschaftlichen ‚Aufstiegsphantasien‘. Schließlich boten neue Theaterformen unangemessene Freizeitvergnügungen an, die quer zu gewohnten Standesunterschieden neue Publika bildeten. Diese Kerngedanken der beiden Artikel im Augsburger Tagblatt waren es, welche der königlichen bayerischen Regierung einen Anlass zum Handeln gaben. Die Sorge um den Wohlstand des bayerischen Staates machte auch das Theater zur möglichen Gefahr. Dies musste umfassend erforscht werden. Das königliche Reskript vom 24. Dezember 1835 forderte umgehend die Berichterstattung der Bezirksregierungen und Magistrate ein. T h e a t r a l e B e s t a n d s a u f n a h m e . Als Antwort auf das Reskript gingen im Verlaufe des Frühjahrs 1836 pflichtgemäß die Berichte der bayerischen Bezirksregierungen ein.80 Einige stellten lediglich fest, dass es keine solchen Theater in ihrer Region gebe 81, andere sandten ausführliche Erörterungen zu den Vor- und Nachteilen der theatralen Nei-

79 80 81

„Noch einige Worte über den Verfall des Wohlstandes der Gewerbsleute und des Mittelstandes. (Schluß)“, in Augsburger Tagblatt, Nr. 323, 24. November 1835. Zwischen dem 7. Februar und dem 21. September 1836 gingen aus den Bezirksregierungen acht Berichte ein, vgl. BayHStA, MInn, Nr. 54129. So der Bericht der Regierung des Rheinkreises vom 5. März 1836, BayHStA, MInn, Nr. 54129.

Die Ordnung der Öffentlichkeit

244 82

gungen ihrer Landsleute ein . Der Augsburger Magistrat vertrat genau die gleiche Meinung wie auch das lokale Augsburger Tagblatt über das dortige Liebhabertheater und die ‚fatalen‘ Wirkungen des Theaterspiels auf die Gesellschaftsordnung. Er würde laut dem referierenden Bericht der Regierung des Oberdonaukreises vom 22. März 1836 so weit gehen, diesem Theater einen künftigen verderblichen Einfluss auf Wohlstand und Sittlichkeit vorauszusagen, obgleich der Verfasser zugeben musste, dass die teilnehmenden Akteure ganz unbescholtene Bürger seien: Obgleich die Gesellschaft, welche hier alle 14 Tage Vorstellungen in einem eigens gemietheten Lokale gebe, größtentheils aus verheiratheten und Gewerbe treibenden Bürgern von gutem Rufe bestehe, so werde die allgemeine Erfahrung, daß Liebhaber-Theater unter den niedern Ständen weder dem häuslichen Leben, noch dem bürgerlichen Gewerbe und den guten Sitten gedeihlich, wohl aber gefährdend seyen, auch bei dieser Gesellschaft keine Ausnahme dulden und die erwähnten Nachtheile früher oder später eintreten dürften.83

Die „allgemeine Erfahrung“ der verderbenden Wirkung schien direkt der lokal verfügbaren Zeitungslektüre zu entstammen, wenn der Autor des oben referierten Artikels nicht sogar in direktem Zusammenhang mit den städtischen Behörden in Augsburg stand. Doch der Magistrat machte die ständische Unangemessenheit von theatraler Betätigung und Rezeption noch deutlicher: Ein anderer Nachtheil entstehe, weil der gemeine Mann durch die theatralische Bildung nur zu leicht sich seinem Stande nicht anpassende Ansichten und Sitten aneigne, die mehr den höhern gebildeten Ständen angemessen, bei ihm nur zur Verkümmerung seines Standes und zur Unlust an der Arbeit führten.84

Die privaten Gesellschaften würden die „Liebhaberei für das Theater unter dem gemeinen Manne nur zu sehr“85 fördern und verbreiten. Implizit konstatierte hier der Augsburger Magistrat, dass nicht nur gegen die Theateraktivität, sondern auch gegen die Gesellschaften selbst notwendig eingeschritten werden müsste – zumindest bei einer Beteiligung der unteren Schichten. Maßgeblichen Einfluss auf die Zentralregierung hatte jedoch der Bericht der königlichen Regierung von Oberbayern vom 24. März 183686, da München als Haupt- und Residenzstadt mit seiner Theaterlandschaft Vorbildfunktion hatte. Zu dieser Zeit gab es in München neben den exklusiven Gesellschaften Museum (gegr. 1802)87 und Harmonie (gegr. 1803) für Adel und höhere Stände, sowie die Huber-GartenGesellschaft (gegr. 1819) für höhere Beamte, Offiziere und Gelehrte, drei weitere für 82 83 84 85 86 87

So der Bericht der Regierung des Untermainkreises vom 16. Februar 1836, BayHStA, MInn, Nr. 54129. BayHStA, MInn, Nr. 54129, Bericht der Regierung des Oberdonaukreises vom 22. März 1836. Ebd. Ebd. BayHStA, MInn, Nr. 54129, Bericht der Königlichen Regierung von Oberbayern, 24. März 1836. 1829 hat das Museum 509 Mitglieder, 1812 hat die Harmonie ca. 510 Mitglieder, 1822 hat die Huber-Garten-Gesellschaft 150 Mitglieder, 1831 hat der Frohsinn 600 Mitglieder; vgl. Ingo Tornow, Das Münchner Vereinswesen, 46 u. 49.

Theater-Öffentlichkeit und Gesellschaftsordnung

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die Mittelschichten und Gewerbetreibenden offen stehende Gesellschaften, welche Theateraufführungen veranstalten: Frohsinn (gegr. 1815), Bürgerverein (gegr. 1819) und Thalia88. Zu diesen drei Gesellschaften bemerkte der Bericht der Polizeidirektion München vom 16. Januar 1836 in Betreff der Liebhabertheater: „Die Mitglieder der ersteren Gesellschaft [Frohsinn] gehören fast allen Ständen an, die der übrigen [Bürgerverein, Thalia] größtentheils dem Bürgerstande.“89 Ein Reisebericht in der Zeitschrift Eos kommentierte die zentrale Rolle dieser Gesellschaften im Münchner Kulturleben: Im neuen Hoftheater herrscht reinste, höchste, veredelte Kunst und das immer höhere Streben danach, im Isartortheater ist eher ein Niedergang zu bemerken, viele Kasperliaden und Trivialitäten beherrschen das Programm. Die italienische Oper ist nicht mehr auf ihrem Höchststand, auch scheint das Publikum nur noch an Neuinszenierungen Gefallen zu finden, der Rest ist spärlich besucht und schlecht gespielt und gesungen. Die Privatgesellschaften spielen hier eine große Rolle.90

Wir können hier von einer veränderten Situation in der Stadt ausgehen. Die Gesellschaften hatten nun eine weitaus größere Reichweite in der städtischen Bürgerschaft als zu der Zeit als nur die exklusiven Vereine Museum und Harmonie bestanden. Ihre theatralen Aktivitäten gehörten zum ‚Vergnügungs‘-Repertoire der mittleren und gewerbetreibenden Schichten. Geschuldet wäre diese Entwicklung, so der Münchner Polizeidirektor, dem „leider allzuherrschenden Hang zu Vergnügungen u. Unterhaltungen jeglicher Art ausserhalb des häuslichen Kreises, welcher sich aller Stände bemächtiget hat […]; er ist aber ein Ergebniß des wandelbaren Zeitverlaufes u. der im allgemeinen veränderten Sitten […]“91 Das öffentliche Unterhaltungsangebot blühte dem Zeitgeist entsprechend auf, ungeachtet traditioneller Standesunterschiede. Man könnte vermuten, dass der Zuwachs des Interesses an Vereins- und Theateraktivitäten in direktem Zusammenhang mit dem politischen Zurückdrängen religiöser und traditioneller Volkskultur stehen. So waren etwa mit der Säkularisation der Klöster die kulturellen und bildungsrelevanten Zentren vor allen Dingen ländlicher Gegenden aufgelöst und ließen eine Bedarfslage bei der Bevölkerung zurück.92 Die Münchner Privat-Gesellschaften bekamen in diesem Zusammenhang von der Polizei eine positive Rolle zugeschrieben, sie würden die erfreuliche Aufgabe erfüllen, „in gesellschaftlichen Zusammenkünften den ästetischen Sinn der Mitglieder möglichst zu erheben, das Gemüth zu erfreuen und die Erholung von den Berufsarbeiten gewidmeten 88

89 90 91 92

Das genaue Gründungsdatum ist unklar. Zunächst unter dem Namen Privatgesellschaft am Neugarten, später Thalia, erscheint die Gesellschaft ab 1834 unter dem Namen Aurora. Von 1821 bis 1842 wurde monatlich ein- bis zweimal Theater gespielt unter Vorlage der Stücke und der mitspielenden Personen bei der Polizeidirektion; vgl. Hermann Friess, Theaterzensur, 321f. StA München, RA, Fasz. 2277, Nr. 40930, Bericht der Polizeidirektion München, 16. Januar 1836. Eos, Nr. 6, 10. Januar 1823. Zitiert nach Claudia Ulrich, Das Königliche Hof- und Nationaltheater, 117. StA München, RA, Fasz. 2277, Nr. 40930, Bericht der Polizeidirektion München, 16. Januar 1836. Zu den sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Auswirkung der Säkularisation vgl. Weis, „Die Begründung“, 46–53.

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Die Ordnung der Öffentlichkeit

Stunden des Abends mit entsprechenden Unterhaltungen auszufüllen“ und, es würde „allenthalben ein guter Geist, eine verfeinerte Gesittung und ein höchst anständiger Ton“93 herrschen. Die von den Gesellschaften zur Aufführungsgenehmigung angegebenen Stücke seien nie beanstandet worden. Sie würden dem Standard in den öffentlichen Theatern entsprechen: „Eine strenge Probe würden selbst viele in den öffentlichen Theatern aufgeführte Stücke nicht zu bestehen vermögen.“94 Dies spricht doch von einer eher laxen Polizeikontrolle und einer den Theatern und Privattheatern nichts Böses unterstellenden Grundhaltung. Tatsächlich formulierte die Polizeidirektion die positiven Bildungseffekte des Theaters: der Gewinn an Gesittung, Anstand, verbesserter Aussprache und Allgemeinbildung.95 Eine gefährliche Einflussnahme durch das Theater könnte nur bei der Jugend festgestellt werden, deren Eindämmung aber müsste den Eltern, Vormündern, Lehrern und Erziehern überlassen bleiben. Die Polizeikontrolle sollte innerhalb der gesetzten Grenzen bleiben, zugunsten der allgemeinen Volksstimmung: Man ist hier an der Grenzlinie weiterer polizeilicher Wirksamkeit angelangt; ein Schritt über diese Linie würde zu einer immerwährenden Bevormundung der Verwalteten führen, welche sich mit der dem inneren Familienleben und den wahrhaften Rechten der Familien-Oberhäupter gebührenden Achtung nicht vertragen dürfte.96

Man wollte nicht in Konflikt mit der väterlichen ‚Regierung‘ innerhalb der Familien geraten. Die Regierung Oberbayerns verfasste, wahrscheinlich grundsätzlich vom positiven Bericht der Münchner Polizeidirektion beeinflusst, auf die Anweisung des königlichen Reskripts eine ausführliche Argumentation zu den Liebhabertheatern, welche zunächst die üblichen Vorbehalte aufzählte – unangemessene Vermischung der Standesinteressen, verderbliche Einflüsse auf die Phantasie, Förderung „überspannter Ideen“ und Mangel an polizeilicher Aufsicht –, dann jedoch eine regelrechte Lanze brach für die Liebhabertheater und mit Stolz resümierte, es wäre „noch weiters zu bemerken, daß in dem Isarkreise viel Sinn für solche theatralische Darstellungen, und viel Freude an denselben herrsche – auch den Bewohnern desselben ein gewißes Geschick dafür nicht abgesprochen werden könne.“97 Den Landbewohnern könnte man die den Städtern zur Verfügung stehenden Vergnügungen „en miniature“ nicht verwehren und das Theater – dies als direkte Antwort auf den Augsburger Zeitungsartikel – müsste als bessere Unterhaltungsmöglichkeit für alle Schichten offen stehen: Warum sollte es dem Staatsbürger, und gehört er eben auch nicht der höheren Klasse an, verwehrt seyn, sein geselliges Vergnügen in einer Unterhaltung zu suchen, die jedenfalls den 93 94 95 96 97

StA München, RA, Fasz. 2277, Nr. 40930, Bericht der Polizeidirektion München, 16. Januar 1836. Ebd. Ebd. Ebd. BayHStA, MInn, Nr. 54129, Bericht der Königlichen Regierung von Oberbayern, 24. März 1836.

Theater-Öffentlichkeit und Gesellschaftsordnung

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geistigen Genüßen sich anreicht, und immer beßer ist als jene, die er an Bierbänken und Trinkgelagen, oder in Raisoniren über Staatseirichtungen und Verwaltungsangelegenheiten sucht. 98

Theaterspiel galt hier als Mittel zur Hebung des Geistes, im Gegenteil zum Bierkonsum, und als Ablenkung von politischen Reflexionen. Beides erschien der oberbayerischen Regierung für den Staat nützlich, das Problem der ‚bedrohlichen‘ Verschiebung der Gesellschaftsordnung war zweitrangig. Auch die als ökonomisch verderblich postulierte Entgrenzung der Sphären von häuslichem, beruflichem und öffentlichem Leben wurde in ein produktives Ausgleichs-Verhältnis verkehrt: „[S]elbst in gewerblicher Hinsicht lehrt die Erfahrung, daß solche [dem Theater gewidmeten] Concurrenztage dem Bürger und Handwerker sehr wohl zu statten kommen.“99 Unter der Voraussetzung einer umfassenden Regulierung und Kontrolle der Liebhaber- und Privattheater, die eine ausreichende moralische Festigkeit der Theaterakteure, eine angemessene Stückauswahl und umfassende polizeiliche Aufsicht sicherte – wie es ja die Ministerial-Entschließung vom 5. September 1815 garantierte – würde es keinen Grund geben, die Bedürfnisse des Volkes nach Theater zu unterdrücken: „Wo einmal Liebhabertheater bestehen, Volkswunsch, und möchte man sagen Bedürfniß sind, sollen sie bleiben, die Polizey soll sie in den Grenzen der Unschädlichkeit erhalten.“100 Der Bericht der Regierung Oberbayerns hatte die Gemüter beruhigt, darüber hinaus musste es wohl auch den obersten Behörden aufgefallen sein, dass ausgerechnet diejenigen Landkreise und Landgerichte besonders hart und abfällig über Liebhabertheater und die allgemeine öffentliche Wirkung von Theater geurteilt hatten, welche gleichzeitig angaben, in ihrem Bezirk gäbe es gar keine solche Theaterpraxis. D.h., ausgerechnet die erfahrungsfernen Beamten schienen besonders anfällig gegenüber der Argumentation des Augsburger Tageblatts und hatten wahrscheinlich die Berichtsaufforderung des Innenministeriums als Eindämmungsversuch gegenüber den Liebhaber-Theatern verstanden. Sehr typisch hierfür war der Bericht des Landgerichts Vilsbiburg vom 10. Januar 1836: „Auf nebenbezeichneten Befehl wird berichtet 1. daß im hiesigen Unterbezirk kein Privattheater sei, 2. daß man allerdings glaubt, daß solche Theater der Sittlichkeit und dem Betriebe der Berufs Pflichten nachtheilig seien.“101 Selbst der zeitgenössische Leser musste ihre Berichte und Argumentationen als dienstbeflissene und anbiedernde Behördenprosa erkennen können, die weit von der Theater- und Gesellschaftsrealität entfernt war. Zum anderen wird aus den Berichten ersichtlich, dass Liebhabertheater in der Regel von mittleren bürgerlichen und Handwerker-Schichten und weniger von der unteren arbeitenden Schicht betrieben wurde, so dass das Problem des ‚Dienstausfalls‘ als auch des ‚unmittelbaren verderblichen Einflusses‘ von Theater auf die ungebildeten Unter98

BayHStA, MInn, Nr. 54129, Bericht der Königlichen Regierung von Oberbayern, 24. März 1836. Ebd. 100 Ebd. 101 Vgl. etwa StA München, RA, Fasz. 2277, Nr. 40930, Bericht des Landgerichts Vilsbiburg vom 10. Januar 1836. 99

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Die Ordnung der Öffentlichkeit

schichten weniger dringlich schien. Berichte über Theaterspiele von Schiffern102 und Salinenarbeitern103 waren die Ausnahme, „die aktiven Theilnehmer an solchen Vergnügungen [gehören] gewöhnlich nicht dem niederen, auf den täglichen Lohnerwerb angewiesenen Gewerbsstande an, vielmehr bestehen dieselben aus Angehörigen des Kaufmannsstandes und des an Industrie umfangreicheren Gewerbsstandes […]“104 Es folgte keine weitere ministeriale Weisung und so blieb die Regulierungs-Praxis der Ministerial-Entschließung von 1815 erhalten und zunächst weiter auf München beschränkt. Die Zeitungsartikel im Augsburger Tagblatt hatten in der ‚königlichen Presseschau‘ ein solches Echo ausgelöst, dass sie eine landesweite Erhebung über die Liebhabertheater zur Folge hatten. Mit dem positiven Votum Oberbayerns über die Liebhabertheater war die Debatte zunächst entschärft, aufgehoben war die Diskussion aber nicht. Drei Jahre später war die Inspektion der oberbayerischen Landgerichte und Magistrate (1839/1840) ein Anlass, den Diskurs um die angemessene Scheidung der Stände und der Bereiche des öffentlichen und privaten Lebens anhand der Liebhabertheater wieder aufzunehmen; dieses Mal mit regulierenden Konsequenzen. T h e a t r a l e I d e n t i f i k a t i o n a l s S t ä n d e p r o b l e m . Im Bericht der königlichen Regierung von Oberbayern vom 11. Juni 1841105 über diese Inspektion in den Jahren 1839/40 wurde die Veränderung in den ländlichen Theateraktivitäten – vom Bauernspiel und Passionsspiel hin zur bürgerlichen Komödie und dem bürgerlichen Trauerspiel – festgestellt und hier ein neuer Aspekt der theatralen Störung der Gesellschaftsordnung in die Diskussion eingeführt. Unter dem „Einfluße der Begünstigung von Beamten, Magistrats-Gliedern und sogenannten Honoratioren“106 , die über eine triviale von dem verachteten Kotzebue107 und „gemeinster Tagesliteratur“108 geprägte Bildung verfügen würden, hätte sich die „Neigung der Gebirgsbewohner zu mimischen Darstellungen und 102

Vgl. BayHStA, MInn, 54129, Bericht der Regierung des Unterdonaukreises, 30. Januar 1836. Hier ist die Rede von Theateraufführungen der „Fischer Schopper“ und „Schiffknechte“ in der Wintersaison. „Schopper“ betrieben ein heute ausgestorbenes Handwerk, bei dem die Fugen von Schiffen abgedichtet wurden. Sie waren häufig nebenberuflich als Fischer beschäftigt. „Schiffsknechte“ waren Bootsleute, die auf den Schiffen niedere Arbeiten verrichteten. 103 Vgl. StA München, RA, Fasz. 2277, Nr. 40930, Bericht des Landgerichts Traunstein, 13. Januar 1836. 104 StA München, RA, Fasz. 2277, Nr. 40930, Bericht der Polizeidirektion München, 16. Januar 1836. 105 BayHStA, MInn, Nr. 54129, Bericht der Königlichen Regierung von Oberbayern, 11. Juni 1841. 106 Ebd. 107 In den bayerischen Behörden herrschte seit Karl Theodors persönlicher Abneigung gegen Stücke von August von Kotzebue, die er rigoros von der Hofbühne verbannte, trotz der großen Popularität beim Publikum ein starker Vorbehalt gegen diesen Dramatiker. Zum Verbot von Kotzebue-Stücken 1792 vgl. Friess (1934), 220–222. Noch 1842 befand eine Regierungs-Anweisung bezüglich der geeigneten Stücke für öffentliche Liebhaber-Aufführungen, zitiert nach Friess (1934), 319: „Die zu producierenden Vorstellungen müssen ganz dazu geeignet seyn […] Erbauung zu erwecken und der Roheit oder Unsittlichkeit entgegenzuwirken. Hierzu sind aber Schwänke, Schau- und Singspiele von Kotzebue und dgl. durchaus nicht geeignet.“ 108 BayHStA, MInn, Nr. 54129, Bericht der Königlichen Regierung von Oberbayern, 11. Juni 1841.

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109

deren Empfänglichkeit für dieselben“ auf einem bedrohlichen Niveau entwickelt. Die Gefahr würde insbesondere in der unzulässigen Identifizierungsmöglichkeit der Theaterakteure und Zuschauer mit den aus höheren, aber nicht aus unerreichbaren Ständen stammenden Bühnenfiguren liegen, da durch die Nachahmung der Manieren, Lächerlichkeiten und Fehler der höheren von ihnen jedoch durch keine unübersteigbare Kluft /:wie dies bey Fürsten-Personen des Trauerspiels, den Heiligen vergangener Jahrhunderte etc. der Fall ist:/ geschiedenen Stände, [die Theateraufführungen] wenn auch nicht geradezu sittenverderbend, doch aufregend und erschlaffend auf Darsteller und Zuschauer wirken.110

Es ging um die Nachahmung des eigentlich höheren Gesellschaftsschichten zugeschriebenen Verhaltens und um die gefährliche Identifikation, die nicht mehr durch eine „unübersteigbare Kluft“ zwischen den Gesellschaftsschichten verhindert würde. Dieses performative Potential des Theaters, eine Überschreitung der Klassenzugehörigkeit zu ermöglichen – als Spiel für den Akteur und als materialisierte Vision für den Zuschauer – würde in politischer Hinsicht „aufregend“ und auf den bürgerlichen Drang, zur bestehenden ökonomischen Ordnung redlich beizutragen, „erschlaffend“ wirken. Beides stellte eine Störung der bestehenden gesellschaftlichen und ökonomischen Ordnung dar – mit theatralen Mitteln. Auch hier wieder stand eine Beteiligung der Beamten an den Theateraktivitäten im Zentrum und diese galt es einzudämmen. Der §4 der Ministerial-Entschließung bot hierzu den rechten Hebel, da durch ihn „allen in öffentl. Diensten stehenden Personen die Theilnahme an solchen nicht geschlossenen Gesellschaften untersagt“111 war. Die Beamten und die „Honoratioren“ galten als ‚Begünstiger‘ der Liebhabertheater. Mit dem §4 konnte man „lähmend auf dieselben wirken“112 und das ganze derartige Theaterwesen in seine Schranken verweisen. Die Lösung für das ‚Problem‘ des verderblichen Einflusses von Theater auf die gesellschaftliche Ordnung würde laut diesem Bericht in der Ausdehnung der MinisterialEntschließung von 1815 auf ganz Oberbayern liegen. Diesem Antrag wurde mit Ministerial-Reskript vom 19. Dezember 1841 statt gegeben. Das Reskript ging in Kopie an alle bayerischen Regierungspräsidenten – mit Ausnahme des pfälzischen113 – mit dem Hinweis, „daß es lediglich [ihrem] Ermessen überlaßen bleibe, in wie fern die gemachten Erfahrungen einen ähnlichen Vollzug der Entschließung vom 5. Sept. 1815 für den anvertrauten Regierungsbezirk nothwendig erscheinen laße.“114 Damit war der Auswei109

BayHStA, MInn, Nr. 54129, Bericht der Königlichen Regierung von Oberbayern, 11. Juni 1841. Ebd. 111 Ebd. 112 Ebd. 113 An das pfälzische Regierungspräsidium erging eine Kopie nur zur Kenntnisnahme ohne den weiteren Hinweis mit der indirekten Handlungsaufforderung. 114 BayHStA, MInn, Nr. 54129, Innenministerium an das Präsidium der k. Regierung von Oberbayern, 19. Dezember 1841. 110

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Die Ordnung der Öffentlichkeit

tung der Theaterzensur auf ganz Bayern der Weg geebnet, gleichzeitig aber die Ausgestaltung der Zensurpraxis – mit Ausnahme Oberbayerns – den regionalen Behörden überlassen.115 D a s b ü r g e r l i c h e T h e a t e r f o r m a t . Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass mit dem Liebhabertheater, welches in das gesellige Vereinswesen eingebettet war, ein spezifisches bürgerliches Format von Theater entstand, das auch bei der Beteiligung von Adeligen und Hofangehörigen grundsätzlich eine bürgerliche Alternative zur höfischen Theaterkultur darstellte. Es wurde hier eine kulturelle Praxis gepflegt, welche verschiedenen Standes- und Schichtenangehörigen einen Zugang zur Öffentlichkeit bot – ermöglicht wurde ihnen das öffentliche Auftreten und auch die zuschauende Teilnahme am öffentlichen Ereignis. Von den staatlichen Obrigkeiten wurde dieses Phänomen in seiner Breitenwirkung als neu erkannt. Daher gab es das Bestreben der Behörden, diese neue Theaterpraxis genau zu bestimmen, ihre Folgen abzuschätzen und die weit reichende Strahlkraft des „Theatervergnügens“ in den Griff zu kriegen. So erfolgte zwischen 1811 und 1815 nach einer Phase der Unschlüssigkeit, was denn nun von diesem Theaterphänomen zu halten wäre, der konkrete Versuch, das Theaterformat „Privat- und Liebhabertheater“ als öffentliche Praxis des Münchner Stadtlebens zu kategorisieren und einen Regelkatalog dafür aufzustellen. Die Ministerial-Entschließung von 1815 legte genau fest, welche Kriterien zur Einstufung als ‚öffentliches Ereignis‘ führten und welche Personen auf welche Art und Weise daran teilnehmen durften. Grundlegend wurde hier die Zuständigkeit der Polizei als Zensur- und Kontrollbehörde für öffentliches Theater bestimmt. Die besonderen Einflüsse von öffentlichen Theateraufführungen auf die gesellschaftliche und wirtschaftliche Ordnung standen ab den 1830er Jahren verstärkt im Fokus der inneren Politik. Ausgelöst durch publizistische Impulse versuchte der bayerische König mit dem Reskript vom 24. Dezember 1835, eine gesamtstaatliche Übersicht über die Ausdehnung der Liebhabertheater-Praxis und ihre konkreten Folgen für die Ständeordnung und das Erwerbsleben zu erlangen. Durch die überwiegend positiven Berichte der Kreis- und Bezirksregierungen wurde der Regulierungsbedarf durch die Zentralbehörde vorerst aufgeschoben. Erst 1841 wurde das Ministerial-Reskript von 1815 nach einem alarmierenden Bericht der Regierung Oberbayerns über die gefährliche Identifikation der einfachen Bürger mit den im Theater dargestellten „Manieren, Lächerlichkeiten und Fehler[n]“116 der höheren Stände auf diesen ganzen Regierungsbezirk ausgedehnt – mit der Option einer Anwendung dieser Zensurordnung auch für die übrigen Regierungsbezirke. So stand auch hier das Problem der Verschiebung der Gesellschaftsordnung und der schichtenspezifischen Zugänge zu kulturellen öffentlichen Unterhaltungen zentral für die umfassende Ausdehnung der Theater-Regulierung. 115

Wie diese regionale Zensur- und Theaterbewilligungspraxis en detail aussah und wie nah sie den Vorgaben der Ministerial-Entschließung folgte, können nur vertiefte Einzelstudien erweisen. 116 BayHStA, MInn, Nr. 54129, Bericht der Königlichen Regierung von Oberbayern, 11. Juni 1841.

Die Institutionalisierung des Isarthor-Theaters

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Gleichzeitig zu diesen einhegenden Maßnahmen suchte jedoch die bayerische Regierung ihren Deutungs- und Handlungsanspruch hinsichtlich der gesellschaftlichen Umstrukturierung nach 1800 durch aktive Kultur- und Institutionenpolitik in der Residenzund Hauptstadt München zu befestigen. Im Folgenden geht es um die baulichen und öffentlichkeitspolitischen Großprojekte „Neues Hoftheater“ und „Isarthor-Theater“, welche dem gesellschaftlichen Kulturleben in München neue Medienpraktiken abverlangten. Anhand der strukturellen Umgestaltung des städtischen Theaterlebens kam es zur ‚Verbürgerlichung‘ des höfischen Theaters und einer Modellierung von Theater als ‚öffentliche Institution‘.

5.2

Die Institutionalisierung des Isarthor-Theaters

Karl Gutzkow und Eduard Devrient forderten 1848 in ihren jeweiligen Reformschriften eine Neuformierung der Hoftheater als öffentliche Institution117 : Die ‚Fürstenwillkür‘ müsse eingeschränkt, das Theater durch staatliche Subvention als ‚Nationalsache‘ gesichert werden. Diese Idee einer ‚Verstaatlichung‘ der Hoftheater in verwaltungs- und finanztechnischer Hinsicht war in Preußen als Konzeption 1848 schon weit gediehen, wurde jedoch wegen der politischen Wende ab Ende 1848 nicht mehr realisiert.118 Was im politischen Kontext der Revolution nach kulturpolitisch konsequenter Umsetzung strebte, muss jedoch mit wesentlich früher einsetzenden kulturellen und gesellschaftlichen Entwicklungen in Verbindung gebracht werden.119 Während die Theaterreformer von 1848 schon eine ‚moderne‘ Konzeption der öffentlichen Institution120 visionierten, eingebettet in ein politisches System der Repräsentativverfassung und damit auch einer Identifizierung des ‚Staates‘ mit seinen ‚Staatsbürgern‘, so muss man die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts diesbezüglich als eine ‚Übergangsphase‘ denken. Wer ist gemeint, wenn hier von ‚Staat‘, ‚staatlicher Einrichtung‘ oder auch ‚staatlicher Subvention‘ (Aerarial-Zuschüsse) die Rede ist? Entscheidend ist der Bezug auf eine Idee von Staat, die diesen von den Herrschaftsrechten der Dynastie getrennt betrachtet.

117

Vgl. Kap. 3.4., 127–138. Küstner bemerkt in seinen Memoiren dazu, Karl Theodor von Küstner, Vierunddreißig Jahre meiner Theaterleitung in Leipzig, Darmstadt, München und Berlin, Leipzig 1853, 198: „Eine andere Erscheinung in der angegebenen Zeit [1848] war die, daß eine neue Organisation des Theaters als Staatsanstalt projectirt wurde, welches Project jedoch nicht zu Stande kam.“ 119 Vgl. hierzu die Überblicks-Studie Bernd Wagner, Fürstenhof und Bürgergesellschaft. Zur Entstehung, Entwicklung und Legitimation von Kulturpolitik, Essen 2009. 120 Zum Begriff der ‚Institution‘ vgl. Helmut Dubiel, „Institution“, in Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 4, hg. von Joachim Ritter und Karlfried Gründer, Darmstadt 1976, Sp. 418–424; Wolfgang Lipp, „Institution“, in Grundbegriffe der Soziologie, hg. von Bernd Schäfers, Opladen 2001, 148–151. 118

252

Die Ordnung der Öffentlichkeit

Die bayerische Regierung hat dies in der Reformära des frühen 19. Jahrhunderts realisiert und somit Voraussetzungen für eine politische Umgestaltung geschaffen. Dass es in der Phase der Etablierung und rechtlichen Durchsetzung dieses Staatsverständnisses noch zu Unklarheiten und zu inkonsequenten Umsetzungen im königlichen und staatlichen Handeln kam, macht die Geschichte des Isarthor-Theaters als Hoftheater und öffentliche Institution bewusst. In der Philosophie und den Gesellschaftswissenschaften werden mit dem Begriff der Institution dauerhafte und überindividuelle Stabilität garantierende Strukturen bezeichnet, welche Elemente sozialer und politischer Ordnung darstellen.121 Das Theater hat eine solche ‚institutionelle Funktion‘ im kulturellen Bereich. Antje Gimmler stellt fest, dass nicht zuletzt durch das Spannungsverhältnis zwischen Institution und Individuum – zwischen institutioneller Ordnung und dem Anspruch auf individuelle Handlungsfreiheit – diese historischen Wandlungen unterworfen sei: „Politische Wandlungsprozesse und legitimatorische Defizite stellen dabei die klassische Institutionenstruktur in Frage.“122 Obgleich Gimmler das Individuum als modernen Typus des Subjekts versteht – Autonomie und Selbstverwirklichung anstrebend –, so scheint doch die grundsätzliche Feststellung des Zusammenhangs von Institutionstransformation mit politischen Wandlungsprozessen für die historische Situation gleichermaßen zutreffend. Die Umformung des Theaters als höfische Institution in eine bürgerliche und öffentliche Institution war eng mit der Umgestaltung des dynastischen Herrschaftsverständnisses in eine moderne Staatskonzeption verbunden. Es geht hier um den Übergang eines höfischen Theaters, dessen Grundlage im Repräsentations- und Unterhaltungsbedürfnis des Hofes lag und das dem bürgerlichen Publikum nur eingeschränkt zugänglich war, zu einem bürgerlichen Theater, welches den Charakter einer öffentlichen Institution erhielt123 und sich nicht in die zu dieser Zeit bestehenden kleinen undmittleren Privatunternehmungen – in München etwa das Isarvorstadt-Theater des Johann Weinmüller oder das Theater vor dem Karlstor des Lorenz Lorenzoni und später Johann Schweiger – einordnen ließ. Insbesondere an den wechselhaften Finanz- und Verwaltungsstrukturen in der kurzen Geschichte des Isarthor-Theaters (1812–1825) kann man die Transformationen des Verhältnisses von Hof, Bürgertum, Staat und Kultur darstellen. Zu Beginn des Projektes (1811/12) stand die Idee eines Volkstheaters als bürgerliche Anstalt, welche für alle Schichten zugänglich sein sollte – direkt auf die wesentliche Zunahme der Münchener Stadtbevölkerung reagierend. Angesichts der immens anwachsenden Einwohnerzahl stand ein zweites großes Theater zur Debatte. Konsequenterweise sollte dieses bürgerliche Theater auch privatwirtschaftlich finanziert sein, wobei jedoch der Hof als schüt121

Vgl. Antje Gimmler, Institution und Individuum, Frankfurt u. New York 1998, 11. Antje Gimmler, Institution und Individuum, 12. 123 Diese Entwicklung hängt mit einer neuen Förder- und Ordnungspolitik bezüglich Kunst und Kultur zusammen, welche den demokratischen Zugang aller zu Kunst und Kultur zentral setzte und die repräsentativen Funktionen für die höfische Gesellschaft in den Hintergrund treten ließ. Vgl. Bernd Wagner, Fürstenhof und Bürgergesellschaft, 346f.

122

Die Institutionalisierung des Isarthor-Theaters

253

zende Hand und organisierendes Zentrum fungierte. Durch Misswirtschaft und offensichtliche Missachtung des ursprünglichen Auftrages brachte der Hoftheater-Intendant Karl August Delamotte das Isarthor-Theater derart in finanzielle Schwierigkeiten, dass es 1817 zum Staats-Eigentum erklärt werden musste und bis 1822 den Rang eines zweiten Hoftheaters innehatte. Damit fügte es sich ein in die moderne Konzeption einer öffentlichen Institution, welche vom Staat für seine Staatsbürger finanziert wird. Für Theater war dieses Institutions-Modell in Deutschland jedoch noch eine verfrühte Konzeption, es gab keine Vorbilder jenseits der höfischen Theater, der Stadttheater als Pachtunternehmungen und der reinen Privatunternehmungen in kleinerem Maßstab. Für Volkstheater galt bisher das letztere Modell, daher war es auch nur konsequent, dass die Überführung des Isarthor-Theaters in eine Privatunternehmung das erste Ziel der involvierten bayerischen Behörden, insbesondere des Finanzministeriums, blieb angesichts einer dringenden Konsolidierung der Staatsfinanzen. 1822 gelang dies mit der Übertragung des Isarthor-Theaters an den Hofschauspieler und Theaterdirektor Carl Carl als private ‚Entreprise‘. Doch das Isarthor-Theater wurde nie vollständig abgetrennt von der staatlichen Subvention, sei es auf indirektem Wege durch Überlassung des Gebäudes und Inventars, sei es auf direktem Wege durch die erfolgreiche Finanzdiplomatie des Direktors Carl – von eindringlichen Geldbitten bis hin zu erpresserischer Androhung der sofortigen Theaterschließung. Daher möchte ich behaupten, dass sich mit dem Isarthor-Theater das Modell einer öffentlichen Theaterinstitution als Prototyp in in der Münchener Kulturpolitik beharrlich festsetzte. Das neue Hoftheater an der Residenz, als städtisch und staatlich finanzierte Anstalt, bildete ins besondere in seiner Finanzierungsform nach dem Brand von 1823 dieses präfigurierte Modell später vollständig aus. Ich gehe dahin zu fragen, ob nicht ohne die kurze, aber doch wirksame Periode des Isarthor-Theaters das neue Hoftheater an der Residenz in institutioneller Hinsicht vielleicht eine andere Gestalt erhalten hätte. D i e b ü r g e r l i c h e I n s t i t u t i o n d e r K u n s t 124 . Bereits ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts kam es zu einer Ablösung der Kunst aus der ständisch definierten Gattungshierarchie und von ihrer funktionalen Rolle im Rahmen höfischer und kirchlicher Repräsentation.125 Die ästhetische Theorie formulierte den neuen Autonomieanspruch der Kunst, verband sich mit einer Historisierung der Kunst und brachte die Konzeption von Kunst als ‚Institution‘ hervor.126 Monika Steinhauser hat den Zusammenhang dieser ‚Institutionalisierung‘ mit dem Theaterbau als öffentliche Architektur in der ersten Häl-

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Dieser Titel ist dem Buch Christa Bürgers entlehnt: Der Ursprung der bürgerlichen Institution der Kunst im höfischen Weimar, Frankfurt a. M. 1977. Bürger analysiert einschlägig die Abtrennungstendenzen der Kunst aus dem repräsentativen Rahmen von Hof und Kirche im Goetheschen Weimar. 125 Vgl. hierzu Monika Steinhauser, „‚Sprechende Architektur‘“, 291. 126 Vgl. zur Ablösung der Kunst aus dem standesgemäßen ‚Decorum‘ und der ästhetischen Autonomie nach Schiller und Hegel Kap. 2.3, 90–95.

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Die Ordnung der Öffentlichkeit

fte des 19. Jahrhunderts erläutert und in den historischen Kontext der restaurativen Modernisierung des Städtebaus gesetzt: Damals setzte im Rahmen der napoleonischen Flurbereinigung und im Zeichen der restaurativen Wende nach 1815 der klassische Um- und Ausbau der Residenzstädte ein, in dem Bildungsbauten wie Theater und Museen, Konzertsäle und Bibliotheken, Akademien und Universitäten eine prominente Rolle gespielt haben.127

In München lässt sich die Umgestaltung der Festung in eine moderne Residenz- und Kulturstadt anhand der zahlreichen Bauprojekte in der Regierungszeit von Max I. Joseph (1799–1825) und Ludwig I. (1825–1848) anschaulich nachvollziehen. Innerhalb kürzester Zeit entstanden zwei große Theaterbauten, das Isarthor-Theater (Bauzeit 1811–1812, 1.200 Zuschauer) und das neue Hoftheater (Bauzeit 1811–1818, ca. 2.400 Zuschauer) sowie der Wiederaufbau des letzteren nach dem verheerenden Brand (Bauzeit 1823–1825). Beide Theater sollten zunächst durch Aktien128 (Nutzungsrecht von Logen) finanziert werden, bei beiden scheiterte die private Finanzierung, so dass in den wirtschaftlichen Krisenjahren 1816 und 1817 der Staat das Eigentum an den beiden Bühnen129 erklären musste. Der bayerische Staat hatte in der Zeit zwischen 1790 und 1820 eine immense Schuldenexplosion erfahren.130 Durch Kriegskosten und Schuldenübernahmen in Verbindung mit Gebietsgewinnen erreichten die öffentlichen Schulden bis 1818 einen Stand von 105 Mio. fl. 1816/1817 brachen infolge von Missernten die Steuereinnahmen ein, gleichzeitig erwiesen sich aufgeblähte Militär- und Bürokratieapparate als immens kostenintensiv. Erst mit der Verfassung von 1818 kam die festgefahrene Finanzpolitik wieder in Gang, die Kammern garantierten für die Schulden, um weitgehende Maßnahmen

127

Monika Steinhauser, „,Sprechende Architektur‘“, 322. Steinhauser folgt Habermas zu unkritisch, doch gibt ihre architekturhistorische Perspektive auf Theaterbauten interessante Impulse. 128 Wobei hier darauf hingewiesen werden muss, dass es sich bei der Verwendung des Begriffs ‚Aktien‘ nur um den Erwerb des Nutzungsrechts von Logen handelte und nicht um den finanztechnischen Begriff ‚Aktie‘ als Anteilserwerb an der Gewinnausschüttung. Dies wird deutlich an der Beschwerde des Bankiers Wertheimer, der 1812 für 6.000 fl. das Nutzungsrecht einer Loge im Isarthor-Theater erworben hatte mit der Vertragszusage von vier Vorstellungen pro Woche. Nach der Re-Strukturierung des Isarthor-Theaters 1820 wurden nur noch drei Vorstellungen pro Woche festgelegt, worauf Wertheimer sein Vertragsrecht einforderte; vgl. BayHStA, MF, Nr. 55860, Theater am Isarthore, 1818–1820, Brief des Bankiers Wertheimer an den König, 22. Dezember 1820. 129 Man muss trotz des durchaus autokratischen königlichen Handelns in dieser Sache betonen, dass es hier um eine von traditionellem königlichem Mäzenat wesentlich unterschiedene Förderung ging, die nun einer öffentlichen Sache diente. Dies kann im Rahmen eines allgemeinen Funktionswandel des Mäzenats gesehen werden, wie ihn Christa Bürger schon früher beobachtet: Bereits ab Mitte des 18. Jahrhunderts, noch in der absolutistischen Staatsstruktur, orientiere sich das Mäzenat europäischer Fürstenhäuser von einem repräsentativen Eigeninteresse hin zu einem bürgerlichen Gemeinnutzen. Vgl. Christa Bürger, Der Ursprung, 12. 130 Vgl. hierzu Hans-Peter Ullmann, „Die öffentlichen Schulden in Bayern und Baden 1780–1820“, in Historische Zeitschrift, Bd. 242, H.1, München 1986, 31–67.

Die Institutionalisierung des Isarthor-Theaters

255 131

zur Finanzsanierung durchzusetzen und eine Konsolidierung zu erreichen. Die privatwirtschaftliche Aktienfinanzierung war in dieser Situation das notwendige Strukturmodell für staatlich geplante Bauaufgaben der Zeit, und so basierten zunächst auch die Planung für die Bauprojekte von Hoftheater und Isarthor-Theater darauf. Diese finanzielle Strukturplanung verband auf neue Weise die Vorstellung von Theater als Bürgerbesitz mit der Konzeption einer staatlichen Einrichtung – und bildete so das Grundmodell einer ‚bürgerlichen Institution‘. Beim Hoftheater kam es während der Finanzkrise – die Aktieneinnahmen konnten die Baukosten nicht annähernd decken – zu einem dreijährigen Baustopp,132 so dass Max I. Joseph 1816 gezwungen war, die Baukosten auf Staatskasse zu übernehmen,133 um das ganze Vorhaben nicht scheitern zu lassen. Dabei darf man nicht außer Acht lassen, dass zu dieser Zeit etwa 1.000 Arbeiter auf der Theater-Baustelle beschäftigt waren, so dass das Eingreifen der Krone und damit die Möglichkeit der Weiterbeschäftigung ein massives soziales Problem in der Stadt verhinderte – die staatliche Finanzierung des Theaterbaus fungierte also auch als ‚Konjunkturmaßnahme‘.134 Nach dem Brand des gerade einmal fünf Jahre bestehenden Hofheaters am 14. Januar 1823 übernahmen die Stadt München und ihre Bürger durch Gemeindezuschuss, zahlreiche private Spenden, eine erhöhte Steuerlast und eine Sondersteuer für Bier, den Bierpfennig, den Löwenanteil der Wiederaufbau-Kosten von 850.000 Gulden.135 Das neue Hoftheater war nun mit seiner Neueröffnung am 2. Januar 1825 ein ‚Staatstheater‘ und ein ‚Stadttheater‘ geworden. Dass dabei durchaus nicht alle Stadtbürger ungeteilte Befürworter des Theaters waren, setzt Monika Steinhauser in der Unterscheidung von „konservativen Stadtbürgern“ und „gebildeten Ständen“ voraus: War den zünftigen, eher konservativen Stadtbürgern Kunst nach wie vor luxusverdächtig, so setzten sich die ‚gebildeten Stände‘ desto mehr dafür ein, dabei sehr wohl die höfische von der bürgerlichen Kultur unterscheidend.136

Dennoch war das neue Hoftheater künftig als ein Stein gewordenes Verbindungsglied zwischen Hof und Stadt aus München nicht mehr wegzudenken. Dies war in der Anfangszeit nicht selbstverständlich, bedenkt man, dass noch im Januar 1817 der am Boden lagernde vorgefertigte Dachstuhl einem Brandanschlag zum Opfer fiel. Die darauf131

Vgl. Hans-Peter Ullmann, „Die öffentlichen Schulden“, 43f. Zur Baukrise des Hof- und Nationaltheaters vgl. Ludwig Malyoth, „Das Hoftheater-Bau-Problem. Zum 100-jährigen Jubiläum des Hauses am 12. Oktober. Archivalische Studie“, in Der Sammler. Unterhaltungs- und Literaturbeilage der München-Augsburger Abendzeitung, Nr. 119, 1–2 und Nr. 120, 2–3, 1918. 133 Max I. Joseph beschloss am 24. April 1816, die ausstehende Bausumme von 400.000 fl. aus Staatsmitteln zu bestreiten. Bis zum Abschluss des Baus 1818 wurden Gesamtmittel von 1.900.000 fl. aufgebracht. Vgl. Claudia Ulrich, Das Königliche Hof- und Nationaltheater, 73; zur umfassenden Baugeschichte des neuen Hoftheaters ebd., 60–81. 134 Vgl. Claudia Ulrich, Das Königliche Hof- und Nationaltheater, 74f. 135 Vgl. Claudia Ulrich, Das Königliche Hof- und Nationaltheater, 88. 136 Monika Steinhauser, „‚Sprechende Architektur‘“, 323. 132

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hin eingeführten Baustellenführungen, in den zeitgenössischen Zeitungen für Einheimische und Fremde als größte Attraktion Münchens gepriesen,137 erwiesen sich doch als erfolgreiche Öffentlichkeitsstrategie, um die Vorbehalte der Stadtbevölkerung gegen das Theater in Zustimmung zu verwandeln.138 Die Baugeschichte des neuen Hoftheaters ist umfassend dargestellt und dokumentiert.139 Dies gilt nicht für das Isarthor-Theater. Die Geschichte des Isarthor-Theaters, seine Bauphase, die Verwaltungsprobleme und institutionellen Transformationen bis zu seiner Schließung 1825 werden in der Theaterhistoriographie nur lücken- und fehlerhaft dargestellt. Eine detaillierte Darstellung findet sich lediglich bei Herbert Fränzelin140, der sich jedoch wesentlich auf Personen- und Repertoiregeschichte beschränkt. Dabei ist gerade dieses Theater in seiner ambivalenten Stellung zum Hof höchst interessant für den Zusammenhang der Frage nach der ‚öffentlichen Institution‘ oder der ‚Institution der Öffentlichkeit‘. In der Phase seines Bestehens – 1812 bis 1825 – stand das IsarthorTheater im Zentrum einer bürgerlichen Öffentlichkeitspraxis und gehörte in verwaltungstechnischer Hinsicht wohl zu den interessantesten Experimentalanordnungen einer sich konstituierenden Institution der ‚Bürgerkultur‘. Auch hier scheiterte der Versuch, das Theater auf Aktien zu erbauen. Dieses Scheitern war jedoch eng verknüpft mit der Person des Hoftheater-Intendanten Karl August Delamotte, der das ganze Vorhaben eines ‚Zweiten Theaters‘ für München überhaupt angestoßen hatte und verantwortlich für die Planung, den Bau und die spätere Verwaltung war. Delamotte scheiterte an der Aufgabenstellung einer privaten Finanzierung durch Aktien und ließ das Theater allein auf Schulden erbauen. Er erreichte mit einer drängenden ‚Salamitaktik‘ nach und nach immer wieder finanzielle Unterstützungen durch den König. 1815 war dann ein solcher Schuldenstand des Theaters erreicht, dass Delamotte den ‚Offenbarungseid‘ leisten musste und an das Finanzministerium und den König die existenzielle Frage richtete, wem denn nun das Eigentum des IsarthorTheaters überhaupt zustehe. Nach umfassenden Diskussionen innerhalb des Finanzministeriums und den Steuerbehörden erklärte der König das Isarthor-Theater 1817 schließlich förmlich als „Eigentum des Staates“ und verpflichtete damit die bayerische Regierung, die Bauschulden vollständig zu übernehmen. Dieser Übergang von Aktienfinanzierung zu höfischer Subvention und Staatsverantwortlichkeit gegenüber den Bauschulden erinnert an das ebenso zwischen Privatunternehmen, höfischem Projekt und Staatsinstitution schwebende Königstädtische Theater in Berlin. Betrachtet man diese ersten von Hof und Residenz separierten Theaterbauten in Deutschland aus der Perspek137

Vgl. hierzu Claudia Ulrich, Das Königliche Hof- und Nationaltheater, 77. Der Zulauf auf die Baustelle in den sechs Monaten der Öffnung war so enorm, dass strikte Zeiten festgelegt werden mussten, um die Besucherströme zu regulieren. Vgl. Claudia Ulrich, Das Königliche Hof- und Nationaltheater, 77f. Dies erinnert an die dreitägige öffentlichkeitswirksame Öffnung der Baustelle des Neuen Museums in Berlin im September 2007 mit ca. 20.000 Besuchern. 139 Vgl. oben, 224, Anm. 9. 140 Vgl. Herbert Fränzelin, Geschichte der Münchener Vorstadt-Theater, passim.

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tive der Experimentalphase des Öffentlichen, so erhellt sich auch die ungewöhnliche Geheimhaltungspolitik des preußischen Hofes, ohne dass man auf konspirative Theorien bezüglich einer speziellen Beziehung des Theaterdirektors Cerf zu Friedrich Wilhelm III. zurückgreifen müsste.141 Es bleibt unklar, ob Delamotte aus Unerfahrenheit oder Unverfrorenheit den Plan der Aktienaushebung überhaupt nie realisierte. War er sich nicht darüber im Klaren, dass es hier um eine neuartige, eben nicht-höfische Theater-Unternehmung, ging und die unabhängige Finanzierung eben Vorbedingung einer solchen ‚bürgerlichen‘ Institution sein musste, vertrat er gar eine moderne Vorstellung der öffentlichen Institution als Staatsgut der Staatsbürger, oder kalkulierte er einfach damit, dass das Theater, so es einmal erbaut wäre, vom König nicht fallen gelassen werden konnte? In diesem letzten Sinne konnte sich das Isarthor-Theater trotz topographischer Distanz nicht aus dem „Schatten der Residenz“142 lösen, der Hofbeamte Delamotte vertraute durchaus auf die gewohnten und von ihm sehr gut beherrschten Züge der höfischen Winkeldiplomatie, um sein Ziel des Theaterbaus zu erreichen. Aus den Akten lässt sich seine Position nicht eindeutig klären, die Diskussion um die Eigentumserklärung überschwemmte ihn mit Vorwürfen von ‚Unfähigkeit‘ bis ‚Betrugsvorsatz‘, seiner Stellung als Hoftheater-Intendant konnte dies bis 1820 jedoch nicht Schaden. Im Gegenteil, er wurde mit dem königlichen Reskript zur Eigentumserklärung am 21. Juni 1817143 in seinem Amt ausdrücklich gestärkt und in seinen Befugnissen bestätigt. Erst als sich herausstellte, dass auch bei staatlicher Übernahme der Bauschulden Delamotte keine ausgeglichene Bilanz für beide nunmehr im Rang eines Hoftheaters stehenden Bühnen herstellen konnte, wurde ihm 1820 der Ökonomierat Joseph Stich an die Seite gestellt144 und damit faktisch das Verwaltungsgeschäft der beiden Hoftheater entzogen.145 Delamotte wurde nach und nach aus der Intendanz verdrängt, Stichs zahlreiche Signaturen mit dem Zusatz „in Abwesenheit des Intendanten“146 sind bezeichnend. Nach seiner endgültigen Quieszierung – am 15. Januar 1821 übernahm Stich zunächst provisorisch die Intendanten-Stelle147 – führte er einen erbitterten Rechtsstreit 141

Vgl. etwa die Spekulationen von Willi Eylitz, siehe Kap. 4.2, 171. Vgl. Monika Steinhauser, „‚Sprechende Architektur‘“, 322: „Dabei blieb allein das Theater [gegenüber Museen, Bibliotheken, Universitäten] topographisch an die Residenzen gebunden, stand buchstäblich im Schatten der Obrigkeit, auch wo es architektonisch mit den Residenzen konkurrierte.“ 143 BayHStA, MF, Nr. 55859, Theater am Isarthore, Königliches Reskript, 21. Juni 1817. 144 Joseph Stich war ab 1. April 1820 Ökonomischer Intendanzrat. 145 Delamotte sagte selbst in Bezug auf das Isarthor-Theater, er habe diese Theater im Jahre 1820 verlassen. Vgl. BayHStA, MF, Nr. 55863, Theater am Isarthore, 1824–1860, Bericht Delamottes an das Finanzministerium, 24. April 1826. 146 Besonders relevant erscheint dies etwa bei den Verhandlungen des Theaterausschusses zur möglichen Auflösung des Isarthor-Theaters, vgl. BayHStA, MF, Nr. 55860 Theater am Isarthore, 1818– 1820, Hoftheater-Intendanz an das Finanzministerium, 19. Juli 1820: „Bei Verhinderung des k. Intendanten durch Krankheit. Stich. Intendanzrath.“ 147 Vgl. die Erwähnung der betreffenden Entschließung vom 15. Januar 1821 in den Erläuterungen des Finanzministerium zu Stichs Titelrecht bezüglich der Leitung des Hoftheaters und des Isarthor142

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gegen die bayerische Regierung um die Rückzahlung von privat erbrachten Regiekosten für das Isarthor-Theater148 . Delamotte schied letztendlich im Zwist über die Finanzierung des Isarthor-Theaters. Ich möchte die Aspekte der Institutionalisierung des Isarthor-Theaters im Folgenden näher erläutern und werde zunächst Delamottes kulturpolitische Strategie in der Planungsphase darstellen, um dann anhand der Eigentumsfrage die ambivalente Stellung des Theaters zwischen ‚Staatssache‘ und ‚Privatentreprise‘ zu verdeutlichen, die auch noch unter der Direktion Carls teilweise fortbestand. E i n ‚ k u l t u r p o l i t i s c h e s ‘ P r o j e k t . Der Hoftheater-Intendant Karl August Delamotte fasste 1811 nach dem Brand des Weinmüllerschen Theaters den Plan, mit dessen Truppe ein unter königlichem Schutz stehendes Nebentheater zu begründen, das den Charakter eines Volkstheaters haben sollte. Die Truppe sollte zunächst übergangsweise im kleinen höfischen Herzoggarten-Theater spielen bis eine passende Spielstätte errichtet werden könnte. Johann Weinmüller hatte schon 1809 den Plan eines Theaterbaus verfolgt und konnte Karl von Fischer für den Entwurf gewinnen. 149 Die Verhandlungen um die Baugenehmigung wurden jedoch durch den Brand durchkreuzt, Weinmüller war nicht mehr in der Lage, dieses Projekt alleine weiter zu verfolgen. Hier ergriff nun der Hoftheater-Intendant Delamotte die Initiative und propagierte den Plan eines Nebentheaters für München unter seiner Kontrolle. Die Hoftheater-Intendanz erkannte das gewachsene Interesse der Stadtbevölkerung am Theater an und versuchte, den eingeschränkten Wirkungskreis des Hoftheaters durch die Fusion mit dem Weinmüllerschen Theater dahingehend zu erweitern – den Bedürfnissen der Zeit antwortend, aber mit dem Versuch, die Kontrolle darüber zu behalten. In seinem Vorschlag zur „Vereinigung der beiden in München bestehenden Theater“150 an das Finanzministerium, unterschied Delamotte Theaterbelange in drei ‚Ansichten‘ – in artistischer, in ökonomischer, in polizeilicher. Beim Hoftheater wäre die ‚Artistik‘ das wichtigste, man müsste dabei immer das „Schöne, Hohe und Herrliche der Kunst“151 als zentrales Ziel vor Augen haben. Die ‚Ökonomie‘ wäre hier nachgeordnet und die ‚Polizei‘ gar nur in allgemeiner Beziehung zu beachten. Was meinte nun Delamotte genau mit „polizeilicher Ansicht“ oder auch „Polizei“? Theaters in BayHStA, MF, Nr. 55861, Theater am Isarthore, 1821–1822, Finanzministerium an die Hoftheater-Intendanz und an die Intendanz der italienischen Oper, 30. Mai 1821. 148 Im Juni 1821 erfolgte der Versuch einer gütlichen Einigung mit einem königlichen Reskript, das eine Rückzahlung des noch ausstehenden Betrags an Delamotte in Aussicht stellte bei Verzicht auf jegliche Darlehenszinsen. Vgl. BayHStA, MF, Nr. 55961, Theater am Isarthore, 1821–1822. Wie eine Aktennotiz auf eben diesem Dokument vermerkt, wies Delamotte dies von sich und beschritt den Rechtsweg. 149 Vgl. Hermann Reidel,: „Das ehemalige Isartortheater, Westenriederstraße 1“, in Klassizismus in Bayern, 122–126, 122. 150 BayHStA, MF, Nr. 55857, Hoftheater-Intendant Delamotte an das Finanzministerium, 13. März 1811. 151 Ebd.

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Es ging hier nicht um die polizeiliche Zensur und Kontrolle des Theaters mittels Wachen und Polizei-Gendarmen. Delamotte verwandte den Begriff vielmehr in einem älteren Sinne, der gleichzusetzen ist mit der ‚öffentlichen Ordnung eines Gemeinwesens‘ oder auch ‚Politik des öffentlichen Raums‘.152 In diesem Sinne bezeichnete Delamotte den Plan des Isarthor-Theaters als kulturpolitisches Projekt, wenn er sagte: Ist nun die Volksmaße der Hauptstadt schon so bedeutend wie hier, daß das Hoftheater keinen hinreichenden Raum darbiethet, oder daß man selbst von der Höhe herabstreichen und dem Volke empfänglichere Vorstellungen geben müßte, so tritt die polizeiliche Ansicht in ein helleres Licht und das Bestehen eines Nebentheaters wird wünschenswerther und sogar nothwendig.153

Die „polizeiliche Ansicht“, also die kulturpolitische Perspektive,154 wurde bei einer wachsenden Bevölkerung zunehmend wichtig, die Etablierung des Nebentheaters ein notwendiger politischer Eingriff in das städtische Kulturleben. Delamotte pries das Isarthor-Theater immer wieder als gemeinnützige Errungenschaft für die Stadt – bauliche Zierde und Wirtschaftsfaktor gleichermaßen, und auch der König sanktionierte diese Grundidee: Bei diesen Umständen glaubt die allerunterthänigst unterzeichnete Stelle einem Königlich geheimen Finanz-Ministerium ehrfurchtsvoll bemerken zu müssen, daß dieses Theater erst nach reifer Erwägung polizeilicher, und anderer Gründe die allerhöchste Sanction erhalten hat; daß dieses Theater bis daher weder der Staats- noch der Hoftheater-Cassa im mindesten zu Last gefallen ist, daß also der Staat eine bedeutenden Kunstanstalt erlangt, der Zweck ihrer Gründung erreicht, bei damit verbundener größerer Circulation des Geldes gewonnen, und der Hauptstadt eine Zierde geschenkt hat, ohne Beihilfe der Staatscassa, was wohl bei keinem Institut in ganz Europa niemals der Fall gewesen ist, und eben so wenig mehr seyn wird.155

Hier verklärte Delamotte hinsichtlich der ‚Staatslast‘ und auch der ‚Einzigartigkeit‘ innerhalb Europas deutlich die Fakten: Zu diesem Zeitpunkt hatte er schon durch Holzsubvention wesentliche Staatsmittel erhalten und allein der Blick nach Frankreich und Österreich machte eine blühende Privattheater-Landschaft sichtbar – am Pariser Boulevard du Temple und in den Wiener Vorstädten. Für Deutschlands Residenzen kam Delamottes Theaterprojekt allerdings früh – erst in den 1820er Jahren kam es zu einer Gründungswelle von Theatern auf der Basis von Aktienvereinen oder Aktiengesellschaften.156 Das vergleichbare Königstädter Theater in Berlin etwa, erfolgreich in Aktien-Teilhaberschaft erbaut, wurde erst 1824 eröffnet. 152

Vgl. hierzu Franz-Ludwig Knemeyer, „Polizei“, in Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd.4, Stuttgart 1978, 875–894. 153 BayHStA, MF, Nr. 55857, Hoftheater-Intendant Delamotte an das Finanzministerium, 13. März 1811. 154 Zur Begriffsgeschichte von „Culturpolizey“ und „Culturpolitik“ vgl. Bernd Wagner, Fürstenhof und Bürgergesellschaft, 337–339. 155 BayHStA, MF, Nr. 55858, Hoftheater-Intendant Delamotte an das Finanzministerium, 18. Dezember 1812. 156 Zu einem kurzen Überblick über privatwirtschaftliche Theater auf Aktienbasis im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts vgl. Bernd Wagner, Fürstenhof und Bürgergesellschaft, 412–426.

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An dieser Stelle möchte ich den kulturpolitisch visionären Zugriff Delamottes doch herausstreichen, zumal ihm von Zeitgenossen wie Historikern gleichermaßen immer unterstellt wurde, die erste Motivation für das Projekt des ‚königlichen Nebentheaters‘ wäre es gewesen, den unliebsamen Rivalen Johann Weinmüller unter die eigene Kontrolle zu stellen. Sicher war das Thema der Konkurrenz für Delamotte wichtig, so vertrat er doch die Meinung, „die Vereinigung der beiden Theater [sei] in artistischer, in ökonomischer und in polizeilicher Hinsicht das beste und das wünschenswertheste.“157 Denn so könnten die negativen Folgen der Konkurrenzsituation verhindert werden, welche er wie folgt beschrieb: Ewig werden aber zwischen diesen beiden Theatern ohne daß gerade das eine dem anderen übel wollte, Reibungen entstehen, die getrennten Ökonomien werden beide dazu zwingen, und die Folge davon wird sein, daß das Hoftheater von seiner Kunsthöhe herabstreichen gezwungen, und so wenig seinen hohen als das, mit noch mehreren ökonomischen Rücksichten kämpfende, Nebentheater seinen guten Zweck erreichen wird.158

Delamotte hielt trotz aller Schwierigkeiten bis 1820159 an der Vereinigung der Verwaltung beider Theater bei getrennten Etats fest, und das dann erfolgte Umschwenken auf die rigide Trennung der beiden Theater war eventuell dem Einfluss des ihm in diesem Jahr zugeordneten Intendanzrat Stich zuzurechnen. In der prekären Situation des Weinmüllerschen Etablissements – nach dem Brand des Theaters im Jahre 1811 und dem Total-Verlust von Garderobe, Dekorationen und vielen Manuskripten – wäre es für Delamotte sehr einfach gewesen, den Rivalen Weinmüller wenn nicht loszuwerden, so doch empfindlich zu schwächen. Er tat dies nicht, sondern integrierte ihn in sein kulturpolitisches Projekt des zweiten königlichen Theaters als Volkstheater. Im Gegensatz dazu wandte er sich vehement gegen die Konkurrenz der so genannten Sommertheater, wie etwa das des Lorenz Lorenzoni, das zur Dultzeit vor dem Karlstor spielte, und auch der Liebhabertheater. Delamotte verlangte hier ausdrücklich: „Außer dem Königlichen Hoftheater und diesem Nebentheater kann aber in der Folge weder in der Stadt noch in den Vorstädten von München kein Theater bestehen, und selbst jenes des Lorenzoni müßte nach dessen Tode eingehen.“160 Dies konnte Delamotte jedoch auch auf lange Sicht nicht durchsetzen, selbst nach Lorenzis Tode erlosch dessen Konzession nicht, sondern ging an seinen Nachfolger Johann Schweiger über.161 Diesem ausgrenzenden Verhalten Delamottes lag jedoch auch ein allgemeiner aufklärerischer 157

BayHStA, MF, Nr. 55857, Hoftheater-Intendant Delamotte an das Finanzministerium, 13. März 1811. Ebd. 159 Vgl. BayHStA, MF 55860, Theater am Isarthore, 1817–1820, Gutachten der Hoftheater-Intendanz vom 29. August 1820. Hier forderte die Hoftheater-Intendanz eine vollkommene Trennung der beiden Theater, unterzeichnet von Stich „in Abwesenheit des k. Intendanten.“ 160 BayHStA, MF, Nr. 55857, Schreiben des Hoftheater-Intendanten Delamotte an das Finanzministerium, 13. März 1811. 161 Vgl. oben, Kap. 5.1, 236. 158

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Vorbehalt gegen die ‚Lipperl‘-Theater zugrunde, den er Weinmüller gegenüber jedoch nicht an den Tag legte. Daher möchte ich hier behaupten, dass es die ‚polizeiliche Ansicht‘ der kulturellen Stadtentwicklung war, die ihn vorwiegend zum Bauprojekt des Isarthor-Theaters veranlasste. Dafür spricht auch sein engagiertes Verhalten während der kurzen fünfmonatigen Bauphase. Delamotte setzte sich vehement mit den Mitgliedern der königlichen Baukommission, vor allen Dingen mit Friedrich Ludwig von Sckell und Emanuel d’Herigoyen, auseinander, um dem Isarthor-Theater den rechten Platz in der Stadtarchitektur zu verleihen. Der König hatte für den Bau des Theaters den Ankauf von Zwingeranteilen rechts vom Isartor genehmigt. Das Grundstück grenzte unmittelbar an die Südseite des Isartors an und war schmal und lang gestreckt. Es war wesentlich größer als für den Bau benötigt, da von Sckell das Theater in eine großzügige Parkanlage einbetten wollte.162 Diese wurde allerdings aus finanziellen Gründen nicht realisiert.163 Im Juni 1812 kam es zum Streit mit der Baukommission und dem Architekten d’Herigoyen, da Delamotte eigenmächtig den Standort des Theaters auf dem Platz veränderte, wodurch die daneben geplanten Straßen an Breite einbüßten. Delamotte stellte lakonisch fest, dass der für ihn vorgesehene Baugrund nicht vordringlich dem Straßenausbau dienen könne: Der Hauptzweck bei dem Ankauf der beiden Zwinger-Antheile vom Isar-Thor rechts durch die Hoftheater-Intendanz als Direction des Königlichen Vorstadt-Theaters ist die Erbauung eines Theaters mit seinen nöthigen Umgebungen, wodurch diese ganze Gegend eine große Verschönerung empfängt; die Erweiterung der Straßen bleibt stets die Nebensache, sonst würde der Staat diesen Platz zur Anlegung von Straßen erkauft haben.164

Dennoch war der Bau des Isarthor-Theater im Zentrum der gesamten städtebaulichen Erschließung der außerhalb der alten Stadtbefestigung liegenden Isar-Vorstadt.165 Das baupolitische Konzept der ‚Verschönerung der Stadt‘ stand über dem Projekt des Isarthor-Theaters und diente auch Delamotte zum Argument für seine Eingriffe in die Bauplanung: Der gegenwärtig angenommene Stand des Theater gründet sich auf Nothwendigkeit, weil der im ersten Plan für Parterre, Loge und Nebengebäude bestimmte Platz zu klein berechnet gewe162

Vgl. hierzu Hans Lehmbruch, Ein neues München, 123f; Hermann Reidel, „Das ehemalige Isartortheater“, 122. 163 Bereits im März 1813 stellte Delamotte den Antrag, den Grundstücksanteil für die Gartenanlagen zur Bauschuldentilgung verkaufen zu dürfen. Ihm wurde der Verkauf genehmigt und auch das Geld zur Schuldentilgung überlassen. Vgl. hierzu den zusammenfassenden Bericht von Klemens Neumayr, BayHStA, MF 55859, Theater am Isarthore 1816–1817, Bericht der Ministerial-FinanzSektion, Vortrag des Direktors Klemens Neumayr vom 24. Mai 1816. Delamotte griff also auch hier aus wirtschaftlichen Gründen in die städtebauliche Planung ein. 164 BayHStA, MF 55857, München, Vorstadt-Theater in dem Herzoggarten, Die Vereinigung der beiden in München bestehenden Theater betr., 1811, Schreiben der Hoftheater-Intendanz an die Kgl. Bau-Kommission, 13. Juni 1812. 165 Vgl. Hans Lehmbruch, Ein neues München, 124.

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sen, und ganz und gar nicht den gehofften Erwartungen nahe zu kommen wäre; ferner entsprach der neu angenommene Standpunkt des Theaters mehr der so sehr gewünschten Verschönerung, indem das Gebäude nun erst die eigentliche Mitte des Platzes einnimmt, wo es nach allen Regeln der Kunst und des Geschmacks zu stehen hat.166

Auch die vom König angeordnete Beleuchtung der Hauptgänge und Stiegen der Residenz „und der Strassen, welche von dieser zu dem Theater am Isarthor führen“167 auf Kosten und Regie des Obersthofmeister-Stabes war eine städtebaupolitische Maßnahme, welche auf das Isarthor-Theater hinzielte und die Isarvorstadt in den abendlichen Stadtraum einzubeziehen half.

Abb. 5: Isarthor-Vorplatz mit Isarthor-Theater (links), um 1820

Wie Monika Steinhauser beschrieben hat, war die Theater-Architektur in dieser Zeit ein neuer Zweig. Es gab in Deutschland kaum Erfahrungen mit öffentlichen Theaterbauten, die unabhängig von den Residenzen ihre architektonische Wirkung entfalten konnten.168 Die Beharrung Delamottes auf eine zentrale Position am Platz entsprach so ganz einer sich neu 166

BayHStA, MF 55857, München, Vorstadt-Theater in dem Herzoggarten, Die Vereinigung der beiden in München bestehenden Theater betr., 1811, Schreiben der Hoftheater-Intendanz an die Kgl. Bau-Kommission, 13. Juni 1812. Hervorhebung im Original. 167 BayHStA, MF, Nr. 55858, Theater am Isarthore, 1811–1815, Schreiben des Finanzministeriums an den k. Obersthofmeister-Stab, 12. Februar 1813. 168 Vgl. Monika Steinhauser, „‚Sprechende Architektur‘“, 305–307.

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entwickelnden architektonischen Konzeption von Theater als städtischem Treffpunkt mit entsprechend offener Gestaltung von Plätzen und Grünanlagen.169 Das Publikum war eingeladen, das Theater als zentralen Anlaufpunkt und gleichzeitig schon von außen als schönen Ort für die Öffentlichkeit zu betrachten. Dass dies mit dem Isarthor-Theater gelang, und ihm dadurch ein hoher Rang unter den städtischen Festsälen zugesprochen wurde, davon spricht eine detaillierte Beschreibung der Festlichkeiten, die im Isarthor-Theater zu Ehren des russischen Zaren Alexander I. und seiner Frau am 28. Mai 1815 statt gefunden haben. Das Münchener Theater-Journal schloss seinen Bericht mit einer Lobpreisung des Theatergebäudes: Seit diesem Feste mag wohl das Gebäude des k. Isarthor-Theaters seinen entschiedenen Rang vor allen geräumigen Plätzen und Säulengängen gezeigt, und sich als die einzige große und reiche Anstalt dargethan haben. Ein Rang, den ihm außer dem sogenannten Redoutensaal, kein Saal streitig machen kann; und wie der Redoutensaal bey aller Zierde sich zeigt, hat mit Beschämung die vereitelte Mühe oft gestanden. Die Façade des Theaters und die breiten alten Thürme des nahen Isarthors waren von unzählbaren Lichtern beleuchtet. Unauslöschbar bleibt dieses Tages Fest im Andenken der Bewohner Münchens!170

Daran anschließend kann man feststellen, dass das Isarthor-Theater von 1812 bis 1818 als Gebäude und Funktionsraum im Zentrum des öffentlichen Interesses einer bürgerlichen und höfischen Stadtkultur stand. Mit der Eröffnung des neuen Hoftheaters kam es zu einer Dominatenverschiebung in kulturpolitischer Hinsicht. Der Abschluss des Hoftheaterbaus erschien durch die im April 1816 erfolgte staatliche Übernahme der Baukosten greifbar und das Isarthor-Theater geriet sofort als unliebsame Konkurrenz in die Diskussion. Bereits Ende Juni 1816 thematisierte Delamotte den Zusammenhang der Eröffnung des Hoftheaters mit einer Schließung des Isarthor-Theates.171 Auch Montgelas rechnete schon weit vor der Eröffnung des Hoftheaters, nämlich im Januar 1817, das Fortschreiten des Neubaus gegen ein notwendiges Abstoßen des Isarthor-Theaters auf.172 Am Beginn eines jeden neuen Etatjahres wurde dieses Thema wieder diskutiert. Allein Max I. Joseph verhinderte durch finanzielle Zuwendungen bis 1825 immer wieder das Ende des Isarthor-Theaters. W e m g e h ö r t d a s I s a r t h o r - T h e a t e r ? Diese Frage stellte erstmals das Finanzdepartment Ende des Jahres 1811173 nach einer umfangreichen finanziellen Unterstützung

169

Vgl. Monika Steinhauser, „‚Sprechende Architektur‘“, 305. Münchener Theater-Journal, 2. Jg., München 1815, 227. 171 Klemens Neumayr referierte Delamottes Vorschlag vom 29. Juni 1816 in BayHStA, MF, Nr. 55859, Vortrag von Klemens Neumayr, Ministerial-Finanz-Sektion, 2. Juni 1817. 172 Vgl. BayHStA, MF, Nr. 55859, Finanzminister Montgelas zum Sitzungsprotokoll des geheimen Finanzkomitees (31. Dezember 1816), 26. Januar 1817. 173 BayHStA, MF, Nr. 55858, Schreiben des Finanzdepartments an den Staatsminister Montgelas, 8. November 1811. 170

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des Baus durch den König. Max I. Joseph hatte in seinem Reskript vom 30. August 1811174 dem Hoftheater-Intendanten das ausdrückliche Mandat zum Theaterbau auf Aktien erteilt und gleichzeitig aus der Kabinettskasse 30.000 fl. dazu genehmigt, um sich die große Mittelloge und einige Nebenlogen des Theaters vorzubehalten. Wahrscheinlich sollte dieses königliche Vorbild weitere Aktionäre ermutigen.175 Allein dies gelang nicht, einzig der Münchener Bankier Wertheimer investierte 6.000 fl. für eine Loge, weitere Teilhaber konnten nicht gefunden werden. Warum nun stellte das Finanzdepartment die Frage nach dem Eigentum des Theaters? Man kann hier erkennen, dass die Verwaltungs- und Finanzierungsstruktur des Isarthor-Theaters eine neuartige Konzeption aufwies, die quer lief zu bekannten Kategorien der Theaterunternehmung. Das Theater wurde ausdrücklich unter königlichen Schutz gestellt, gleichzeitig wurde jedoch jeder finanziellen Forderung an den Aerar zunächst rigoros widersprochen. So weit folgte die Bewilligung des Isarthor-Theaters (20. März 1811) dem Modell der privaten Theaterunternehmung. Wenn man schon die Erteilung der Spielkonzession als ‚königliche Schutznahme‘ auslegt, so würden sowohl Johann Weinmüllers als auch Lorenz Lorenzonis und Johann Schweigers Theateretablissements in diese Kategorie fallen. Beim Isarthor-Theater kamen nun jedoch die Verbindungen zum Hoftheater ins Spiel. Das Theater sollte verwaltungstechnisch mit dem Hoftheater verbunden sein; allein durch die Person des Hoftheater-Intendanten als Direktor des neuen Nebentheaters und als Bauherr des Theatergebäudes stellte sich für das Isarthor-Theater eine enge Beziehung zum Hoftheater her. Wir haben es hier also mit der Mischform eines Hof- und Privattheaters zu tun, die für die Finanz- und Verwaltungsexperten der bayerischen Regierung ein Problem darstellte. Immer wieder stellten verschiedene behördliche Gremien der Finanzverwaltung die Frage nach dem Eigentum des Theaters,176 allerdings fand diese Angelegenheit erst mit der quasi ‚Bankrott‘-Erklärung Delamottes eine weit reichende Beachtung: Der Hoftheater-Intendant stellte am 6. März 1816 den dringenden Antrag an das Finanzministerium177 , die Eigentumssache zu klären, da er schon im Januar desselben Jahres fällig gewordene Schulden nicht bezahlen könnte und damit die Existenz des IsarthorTheaters überhaupt in Frage gestellt wäre. Jetzt begann eine intensive und umfassende Diskussion der Eigentumsfrage im Finanz-Department und der Ministerial-FinanzSektion. Inzwischen machte Delamotte weiter Druck, indem er zunächst vorschlug, das Hoftheater unter den bisherigen Zuschussbedingungen auf eigene Regie, d.h. auf eige174

BayHStA, MF, Nr. 55858, Königliches Reskript vom 30. August 1811. So mutmaßte der Direktor der Ministerial-Finanz-Sektion, Klemens Neumayr, in seinem Bericht vom 2. Juni 1817, vgl. BayHStA, MF, Nr. 55859, Bericht der Ministerial-Finanz-Sektion, 2. Juni 1817. 176 So etwa in einem Bericht des Finanz-Departments vom 7. Februar 1812 und der MinisterialFinanz-Sektion vom 26. Januar 1815; vgl. BayHStA, MF, Nr. 55859, Theater am Isarthore, 1816– 1817, Bericht der Ministerial-Finanz-Sektion, Vortrag des Direktors Klemens Neumayr vom 24. Mai 1816. 177 BayHStA, MF, Nr. 55859, Theater am Isarthore, 1816–1817, Antrag des Hoftheater-Intendanten vom 6. März 1816.

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nes finanzielles Risiko, zu übernehmen (11. April 1815) , und sich dann bereit erklärte (29. Juni 1816)179 , auch das Isarthor-Theater mit allen seinen Schulden – mit Ausnahme einer Staats-Schuld-Kapitalie von 20.000fl. – als Eigentümer zu übernehmen. Dieses sollte dann einem Pächter mit der Auflage überlassen werden, das Theater ein Jahr nach der abzusehenden Eröffnung des neuen Hoftheaters als Theater nicht mehr zu benutzen. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Delamotte durch seine undurchsichtige und maßlose Schuldenpolitik beim Isarthor-Theater, aber auch hinsichtlich des Hoftheaters bei den Finanz-Behörden schon einiges Vertrauen verspielt, seine Vorschläge wurden von den Expertengremien rundheraus abgelehnt. Dagegen wurden von der Ministerial-FinanzSektion, namentlich von ihrem Direktor Klemens Neumayr, zwei detaillreiche Vorträge verfasst, welche die grundsätzliche Struktur und den Status des Isarthor-Theaters zu klären suchten. Diese Vorträge vom 24. Mai 1816 und vom 2. Juni 1817 stellten die Grundlage für das königliche Reskript vom 21. Juni 1817 dar, welches endlich die formelle Eigentumserklärung Max I. Josephs vollzog. Worum ging es in diesen Vorträgen Neumayrs? Es ging um die Frage, wer die massiv aufgelaufenen Bauschulden bezahlen müsste – nämlich der Besitzer des Theaters. Neumayr war der Auffassung, der Staat könnte sich überhaupt nicht der Verpflichtung entziehen, das Eigentum an diesem Theater mit allen seinen Schulden zu erklären. Dafür gab er folgende Gründe: Der König habe mit dem Zugeständnis der 30.000 fl. aus seiner Kabinettskasse für den Bau schon als Privatmann einen Anteil am Theater erworben. Weitere Aktienerwerbungen – außer der des Bankiers Wertheimer – waren nicht nachweisbar, Delamotte hatte den weiteren Bau rein auf Schulden betrieben. Darüber hinaus waren ihm Zwingeranteile der Kommune zugesprochen worden. Zum Ausgleich dafür hatte die Gemeinde Staatsobligationen im Wert von 20.000 fl. aus dem Klöster- und Stiftsvermögen erhalten, die Delamotte in verzinslichen Raten abzahlen sollte. Da der Hoftheater-Intendant aber auch nach dem Weiterverkauf eines Grundstückanteils zu 20.025 fl. diese Schulden nie getilgt oder den Zins dafür bezahlt hatte, so sei der Staat immer noch im vollen Besitz des Grundstücks. Des Weiteren hatte Delamotte das komplette Bauholz (3096 Stämme) aus dem Staatswald unentgeltlich zur Verfügung gestellt bekommen, und auch erreicht, dass die Holzhauerlöhne (2206 fl. 10 kr.) aus der Staatskasse bezahlt wurden. Schließlich war die Staatskasse auch für die Möblierung der königlichen Logen, Salon und Zimmer mit 4.198 fl. 40 kr. aufgekommen. Erschwerend kam noch hinzu, dass der Hoftheater-Intendant in seinem vom König als genehmigt abgezeichneten Antrag auf Erstattung der Holzhauerlöhne am 8. Januar 1813 unwidersprochen behaupten hatte, „das Vorstadttheater-Gebäude sey kein PrivatGebäude, sondern das Eigenthum Se. k. Majestät etc. geworden und geblieben.“180 Da178

Vgl. BayHStA, MF, Nr. 55859, Theater am Isarthore, 1816–1817, Bericht der Ministerial-FinanzSektion, erneuter Vortrag des Direktors Klemens Neumayr vom 2. Juni 1817. 179 Vgl. ebd. 180 BayHStA, MF, Nr. 55859, Theater am Isarthore, 1816–1817, Bericht der Ministerial-FinanzSektion, Vortrag des Direktors Klemens Neumayr vom 24. Mai 1816.

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mit habe der König indirekt bereits das Eigentum am Isarthor-Theater erklärt. Aus diesen Gründen konnte Neumayr nur den Schluss ziehen, dass „das Eigenthum dieses Vorstadttheaters Se. Majestät dem Könige theils als Privatem, theils als Regenten angehöre.“181 Zu diesen unleugbaren Fakten würde es jedoch auch eine moralische Verpflichtung gegenüber der Öffentlichkeit geben und vor allen Dingen der bürgerlichen Öffentlichkeit. Das Isarthor-Theater als „königliches Theater“, von einem Hofbeamten verwaltet und betrieben, könne von den Bürgern und den Gläubigern des Theaters nicht als Privatunternehmung, die es ja faktisch auch nicht war, erkannt werden. Die Anstalt steht, aktenmäßig erklärt, unter königlichem Schutz, und ist ein Kind der höheren Protektion der Regierung. Der Intendant Delamotte erscheint in dieser Sache, nach der vorgelegten Aktenlage doch immer nur als Beamter der Regierung. Ganz vorzüglich mußte er als solcher dem Publikum, und allen Privat-Kreditoren erscheinen, welche – selbst auf den Anschlag-Zetteln – das Isarthortheater nur als ein königliches Theater kannten, und bey der sichtbaren Verbindung und Vermengung dieses Theaterbetriebes mit jenem des k. Hoftheaters gar nie auf den Gedanken fallen könnten, daß dieser Beamter der Entrepreneur selbst und ihr Schuldner seyn könnte.182

So würde der Staat also Einbußen im öffentlichen Kredit hinnehmen müssen, wenn er sich jetzt gegen die allgemeine Auffassung der Stadtbürger stellte. Der Staat durfte nicht die Meinung aufkommen lassen, er hätte sich an der ‚Vorspiegelung falscher Tatsachen‘ gegenüber den Kreditgebern beteiligt, sondern musste einlenken und das Theater zur Staatssache erklären. Trotz der Dringlichkeit wollte der König das Eigentum nicht erklären, so lange nicht ein Plan für das Weiterbestehen des Theater vorlag. So wurden verschiedene Varianten für eine Verpachtung, Weiterführung wie bisher in Eigenregie aber unter verstärkter Finanzkontrolle oder die komplette Stilllegung durchgespielt. Schließlich wurde auch der Intendant dazu befragt und lieferte am 15. Juni 1817 einen Bericht, worin er auf die Beibehaltung in königlicher Eigenregie bestand, da eine Verpachtung doch nur für ein Jahr bis zur Eröffnung des neuen Hoftheaters im Oktober 1818 und der daraus resultierenden Schließung des Isarthor-Theaters erfolgen könnte und daher nicht lohnend wäre. Bis dahin müsste die gemeinsame Verwaltung der beiden Theater bei engster Verflechtung des Personals und der Ausstattung betrieben werden, um dadurch dem Hoftheater massive Kosten zu ersparen. Der Schuldenstand des Isarthor-Theaters wurde hier also direkt mit der finanziellen Schieflage des Hoftheaters verknüpft und Delamotte versuchte, dem König Ersparnisse durch Theater-Fusion glaubhaft zu machen und somit das Problem auf die Bauschulden zu begrenzen.183 181

BayHStA, MF, Nr. 55859, Theater am Isarthore, 1816–1817, Bericht der Ministerial-FinanzSektion, Vortrag des Direktors Klemens Neumayr vom 24. Mai 1816. Der erhebliche Privatbesitz des Königs (30.000 fl.) am Isarthor-Theater wurde allerdings nie ausführlich zur Sprache gebracht, der König wurde lediglich als Nutznießer der königlichen Logen und Nebenräume behandelt. 182 Ebd. Hervorhebung im Original. 183 BayHStA, MF, Nr. 55859, Theater am Isarthore, 1816–1817, Bericht des Hoftheater-Intendanten, 15. Juni 1817: Delamotte sei überzeugt, „daß die Übernahme dieses Theaters am Isarthor auf kö-

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In seinem Reskript vom 21. Juni 1817 ging der König auf Delamottes Vorschläge ein und erklärte unmissverständlich das Isarthor-Theater zum staatlichen Eigentum: Da die schon bey der ersten Akquisition des abgebrannten Weinmüllerischen Vorstadt-Theaters, durch Unser allerhöchstes Rescript vom 20ten März 1811, dieses neue Theater am Isarthor, als ein Nebentheater Unsers Hoftheaters erklärt, und als solches der Direktion Unserer Hoftheater-Intendanz mit der Regie untergeben haben; so war, nach dieser Erklärung, und nach den bedeutenden Unterstützungen, welche Wir diesem neuen Theater angedeihen liessen, die von der Hoftheater-Intendanz ueber das Eigenthum dieses Theaters aufgeworfene Frage allerdings als überflüssig anzusehen, und Wir erklären hiermit wiederholt184 und ausdrücklich diese Nebentheater am Isarthor, mit allen seinen Attributen, als unser Staats-Eigenthum.185

Der König ging, ganz nach der Maßgabe Delamottes, so weit, das Isarthor-Theater zum regelrechten zweiten Hoftheater zu ernennen und bestimmte, „daß künftig beyde diese Theater auf gleiche Weise unserer eigenen Regie untergestellt sind, – daß das Personal beyder Theater sich wechselseitig unterstütze, wechselseitig gebraucht werden könne,“ um die bisher bestehende Rivalität der beiden Theater aufzuheben. Dennoch musste der Übelstand der chaotischen Verwaltung186 beider Theater beseitigt werden, eine strenge Kassentrennung wurde zur Pflicht gemacht. Zur umfassenden Finanz-Kontrolle gab der König dem Obersten Rechnungshof die Aufgabe, „über Verwaltung und Rechnungswesen dieses Theaters eine erschöpfende Instruktion zu entwerfen, und unserem FinanzMinisterium vorzulegen.“187 Darüber hinaus wurde Delamotte strengstens aufgefordert, seine Rechnungen beim Obersten Gerichtshof korrekt abzulegen und eine genaue Bestandsaufnahme des Theaterbesitzes zu erstellen.

nigliche Rechnung nur in der hier gehorsamst bemerkten Form zur Ehre und zum großen Vortheil des Hoftheaters geschehen kann, ohne dadurch der Staatskasse, Baulichkeiten und Gebäude-Lasten ausgenommen, nur im mindesten beschwerlich zu fallen.“ 184 Der König schloss sich hier der Auffassung von Neumayer an, dass er bereits am 8. Januar 1813 durch Abzeichnung des Antrags auf Übernahme des Holzhauerlohns von Delamotte, in dem der verfängliche Satz stand „Das Vorstadt-Gebäude ist kein Privat-Gebäude, sondern das Eigenthum Se. k. Majestät etc. geworden und geblieben“ indirekt das Eigentum erklärt hatte. Daher konnte der König hier nur ‚wiederholt‘ das Eigentum erklären. Vgl. Neumayers Stellungnahme oben, 265f. 185 BayHStA, MF, Nr. 55859, Theater am Isarthore, 1816–1817, Königliches Reskript vom 21. Juni 1817. 186 Delamotte hatte für das Isarthor-Theater keine ordentliche Rechnungslegung vollzogen, d.h. die genauen Belege für Ausgaben und Einnahmen konnten später vom nun zuständigen Obersten Rechnungshof nicht vollständig nachvollzogen werden. Dadurch verzögerte sich die Einsicht in den genauen Schuldenstand des Theaters von der Eigentumserklärung 1817 bis zum exakten Schuldenprotokoll, welches die eigens dafür eingerichtete Liquidations-Kommission im Dezember 1822 erstellte. Nach dem Bericht des Finanz-Ministeriums vom 20. Dezember 1822 ging daraus ein Gesamtschuldenstand von 204.270 fl. hervor, der sich aus den ursprünglichen Bauschulden von 1817 und bis 1820 weiter aufgelaufenen Regie-Kosten zusammensetzte. Nach Tilgung bestand noch eine Restschuld von 71.900 fl. Vgl. BayHStA, MF, Nr. 55862, Bericht des Finanzministerium vom 20. Dezember 1822. 187 BayHStA, MF, Nr. 55859, Theater am Isarthore, 1816–1817, Königliches Reskript vom 21. Juni 1817.

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Was hatte der Hoftheater-Intendant nun im Hinblick auf seine 1811 geäußerte kulturpolitische Vision188 für München als Stadt mit zwei großen Theatern bis zum Jahre 1817 erreicht? Ihm war es letztendlich gelungen, den Bau des Isarthor-Theater in den Rahmen der öffentlichen Bauaufgaben zur ‚Verschönerung‘ der Stadt seit 1800 einzurücken. Das ursprüngliche Konzept, das Isarthor-Theater durch Privatfinanzierung mit ‚Aktien‘ zu erbauen, entsprach auch dem seit 1801 Formen annehmenden Plan, ein neues Hoftheater nach dem obigen Finanzmodell zu errichten. Schon seit Ende des 18. Jahrhunderts hatte sich das alte Hoftheater dem bürgerlichen Publikum geöffnet, und so war es nur konsequent, das neue Hoftheater als öffentliches Theater mit Beteiligung einer finanziell gut stehenden Bürgerschicht zu erbauen. Der durch Kriegskosten und Schuldenübernahme aus Territorialerwerb erschöpfte Staatssäckel erlaubte eigentlich kein finanzielles Engagement, so erschien die privatwirtschaftliche Struktur als ideales Modell der inneren Staats- und Kulturentwicklung. Daher bestand bei beiden Theatern zunächst die Vorstellung, Theater müsste sich als eine bürgerliche Kunstanstalt zwischen höfischer Verwaltung und privatem Finanzmodell etablieren. Weitgehend unabhängig vom Hof und seinen finanziellen Regulierungsmöglichkeiten sollte das Theater doch nicht völlig dem privaten Marktinteresse überlassen werden. Dies wurde durch höfisch-staatliche Verwaltung und Führung gesichert. Trotz aller Schwierigkeiten gelang es Delamotte, gerade in den Krisenjahren 1816 und 1817 das Isarthor-Theater und das neue Hoftheater in die Reihe der notwendigen gesellschaftlichen Reformprojekte einzuordnen und die ‚Verstaatlichung‘ zu erreichen. Die vorher angestrebte Aktienfinanzierung wurde bei beiden Bauprojekten aufgehoben – beim Isarthortheater war die Aktienaushebung vernachlässigbar gering gewesen, beim Hoftheater kaufte der Staat die ausgegebenen Aktien zurück, da eine Änderung des Bauplanes erforderlich war, welcher eine den Aktien entsprechende Anzahl von Logen gar nicht mehr vorsah.189 Bei beiden Theatern übernahm der Staat auf Wunsch des Königs die finanzielle Verantwortung und konsolidierte die Strukturen dieser Kulturanstalten als ‚öffentliche Institution‘. C a r l s E n t r e p r i s e . Nach der Eröffnung des neuen Hoftheaters am 12. Oktober 1818 blieb die Frage nach der Existenzberechtigung des zweiten Hoftheaters weiter virulent. Immer wieder wurde eine Schließung des Isarthor-Theater erörtert, da das neue Hoftheater den Theaterbedarf der Stadt vollständig zu decken in der Lage wäre. Tatsächlich hatte das neue Hoftheater jedoch ‚Startschwierigkeiten‘, es konnte zunächst mit der opulenten Ausstattung und der Vielfalt des Spielplans am Isarthor-Theater nur schlecht konkurrieren. Delamotte favorisierte zunächst das Isarthor-Theater, mit der Intendanz Stich begann jedoch ab 1820 der Versuch, das Isarthor-Theater zugunsten des neuen Hoftheaters zurückzudrängen. 188 189

BayHStA, MF, Nr. 55857, Hoftheater-Intendant Delamotte an das Finanzministerium, 13. März 1811. Ludwig Malyoth berichtet, der König habe am 1. Dezember 1817 ein Angebot ausgesprochen, die Aktien mit Zinsen zurückzukaufen. Vgl. Ludwig Malyoth, „Das Hoftheater-Bau-Problem“, 40f.

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Jedes Jahr aufs Neue stand der nächste Etat und damit verknüpft das generelle Weiterbestehen des Isarthor-Theaters zur Debatte und wurde, da der Hoftheater-Intendant und der für Ökonomie und Regie im Isarthor-Theater zuständige Carl190 eine ausgeglichene Bilanz vorlegen konnte, bis 1820 immer wieder für eine Saison bewilligt. Am 6. Mai 1820 stellte Delamotte nun ein Defizit von knapp 6.000 fl. fest und schlug eine Auflösung des Theaters zum Oktober desselben Jahres vor: [Ferner] trägt auch für die Winter Monate die so lange anhaltende und von dem Besuch dieses entlegenen Theaters abschreckende ungeheure Kälte und die drey monatliche Abwesenheit des, besonders für dieses Theater durch die Lokal Possen berechneten Directors Carl große Schuld. Da indessen solche Zufälle, mehr oder weniger jedes Jahr eintreten und die durch die Eröffnung des neuen Hoftheaters und durch die Errichtung der italienischen Oper bestehenden Hindernisse nie mehr beseitigt werden, so bleibt der unterthänigst unterzeichnete Intendant seinen, in oben berührten Berichten gemachten Anträgen getreu und trägt, bei denen der Staats Kasse zu sehr zur Last fallenden großen Zuschüssen, dahin an, dieses Theater mit dem Monat Oktober eingehen zu lassen.191

Eine Woche zuvor, am 29. April 1820, hatte ein königliches Reskript die Einführung eines Theater-Ausschusses verordnet, um eine bessere Kontrolle über die Verwaltung 190

Carl Carl, eigentlich Karl Andreas von Bernbrunn (1787–1854) hatte bei Johann Weinmüller als Billeteur und Zettelträger angefangen. Sein Name taucht erstmals im Verzeichnis der Weinmüllerschen Truppe für die Übernahme als Nebentheater im Herzoggarten 1811 auf, vgl. BayHStA, MF, Nr. 55857, Vorstadttheater in dem Herzoggarten, 1811, Antrag von Johann Weinmüller, 12. März 1811. Carl erscheint am 3. März 1811 auf dem Theaterzettel erstmals als Schauspieler. Es wurde die Schlussszene der Braut von Messina von Schiller aufgeführt, in der Carl den Don Cäsar spielte, als zweiter Teil des Abends wurde das Lustspiel Die Pagenstreiche von Kotzebue gezeigt, bei dem Carl die Rolle des Infanterie-Lieutenant von Thal darstellte. Ab da spielte er in jeder neuen Schauspiel-Produktion des Theaters mit, am 13. Juni 1812 in der Titelrolle des Schauspiels Ludwig der Springer von Gustav Hagemann. Vgl. Theaterzettel des Kgl. Vorstadt-Theaters im Herzog-Garten, BSB, 2 Bavar. 827 a-1811/12. Auch bei der Eröffnungsvorstellung des Isarthor-Theaters Salomons Urtheil von Peter von Winter am 10. Oktober 1812 spielte Carl in Anwesenheit des Königs eine der Hauptrollen, vgl. den Theaterzettel der Eröffnung, BSB, 2 Bavar. 827 a-1811/12. Im von ihm herausgegebenen Münchner Theater-Journal wurde er 1814 als Regisseur des Isarthor-Theaters bezeichnet, später wurde er in den Akten auch ‚Direktor‘ (vgl. etwa BayHStA, MF, Nr. 55860, Theater am Isarthore, 1818–1820, Bericht der Kgl. Zentral-Hauptbuchhaltung, 25. Mai 1818) genannt, obgleich er erst ab 1822 mit der Privatisierung formal die vollständige und vom HoftheaterIntendanten unabhängige Leitung des Isarthor-Theaters erhielt. 1825 gab er das Isarthor-Theater auf und ging mit einem Großteil seines Ensembles nach Wien, wo er seine Theaterunternehmung im Theater an der Wien und im Leopoldstädter-Theater, später Carl-Theater, fortsetzte. Carl war der einzige private Theaterunternehmer der Zeit, der durch geschicktes Geschäftsgebaren großen Reichtum ansammelte. Er starb 1854 während einer Kur in Bad Ischl. Carl ging vor allen Dingen als Impressario und Theaterdirektor Nestroys in die Theatergeschichte ein. Zu Carls Wiener Theaterzeit vgl. Josef Kolarsky, Direktor Carl Carl. Ein Beitrag zur Theatergeschichte Wiens. Zusammengestellt aus den Akten der Wiener Archive, Univ.-Diss. Wien 1926; vgl. auch August Förster, „Bernbrunn, Carl“, in Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 2, Leipzig 1875, 410–411. 191 BayHStA, MF, Nr. 558560, Isarthor-Theater, 1818–1820, Bericht der Hoftheater-Intendanz, 6. Mai 1820.

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der beiden Hoftheater zu erreichen. Dieser Ausschuss, der die Intendanz in künstlerischen Dingen, aber auch bei Neuanschaffungen und Personalentscheidungen, beriet, hatte auch bei „bedeutenden Abänderungen in der bisherigen Verfassung des artistischen Betriebs“ ein Wörtchen mitzureden. So kam es, dass auch in der Sache der bevorstehenden Schließung des Isarthor-Theaters die Mitglieder des Ausschusses – die Hofschauspieler Vespermann, Carl und Reinhard, der Musikdirektor Fränzl, die Hoftheatersänger Tochtermann und Mittermayr – berieten und im Juni 1820 ihr Votum abgaben. Obgleich der Theaterausschuss nur beratende und nicht entscheidende Funktion hatte, so hatten die Stimmen der Mitglieder doch Gewicht. Vor allen Dingen der Hofschauspieler, Isarthor-Theater-Regisseur und Direktor Carl hatte diskursiven Einfluss. Er war einer der Schauspiel-Lieblinge des Publikums in seinen Liebhaber-Rollen am Hoftheater, und er hatte sich in seinen komischen Rollen auf der Bühne des Isarthor-Theaters einen unbestrittenen Star-Status erarbeitet – die Rolle des ‚Staberl‘ als lethargischer Tolpatsch war fast so etwas wie ein Markenzeichen des Schauspielers geworden und zugleich auch des Volkstheaters am Isarthor. Carl war am Isarthor-Theater darüber hinaus für die Regie des Schauspiels zuständig und übte gleichzeitig die Funktion eines verwaltenden Direktors aus, obgleich der Hoftheater-Intendant die offizielle Leitungsfunktion innehatte. Der Bericht des Theaterausschusses spiegelt deutlich eine zugespitzte Opposition zwischen dem Isarthor-Theater-Star Carl, der mit der Schließung dieses Theaters seinen wichtigsten Aktionsraum verliere würde, und dem ab April 1820 Delamotte als Kontrolleur an die Seite gestellten Intendanzrat Stich, der mit der Verfügungsmasse des Isarthor-Theaters den Finanzetat des Hoftheaters zu sanieren suchte. Stich agierte hier eher unglücklich, sein Verhältnis zum Hof gestaltete sich kompliziert. August Lewald charakterisierte Stich 1835 in seinem Panorama von München mit spitzer Feder: „Der wackere Herr Stich, ohne von, mit seinem gelben, finstern Gesichte, mit seinem kerzengeraden Rücken, der sich nur schwerfällig vorbeugte, und mit seiner Unkenntniß des Französischen, machte bei Hofe eine trübselige Figur.“192 August Lewald, dessen München-Panorama durchweg satirisch überspitzend mit der bayerischen Haupt- und Residenzstadt abrechnete, verzerrte karikierend das Bild des bürgerlichen Hoftheater-Intendanten, dennoch geht auch aus den Akten deutlich hervor, dass der Hofschauspieler und Theaterdirektor Carl wesentlich routinierter die hofdiplomatischen Register zog und sich in groben Zügen stets gegen Stich behaupten konnte. August Lewald überzeichnete Stich als Bürgerlichen ohne höhere Bildung und mit einer dem Idealtypus des eleganten Höflings völlig widersprechenden Körpergestalt. Hinsichtlich der höfischen und städtischen Kulturpolitik kam für Stich erschwerend hinzu, dass er nicht aus München stammte, sondern aus Landshut, wo er als Regierungsrat eine Liebhaberbühne geleitet hatte. Aufgrund dieser Qualifikation wurde er vom Fi192

August Lewald, Panorama von München, Bd. 1, Stuttgart 1835, 239.

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nanzminister von Lerchenfeld für den Posten des Intendanzrates empfohlen und musste gegenüber der höfischen Theatererfahrung Delamottes als literarischer Dramatiker, Erfinder von Bühnenmaschinen und Theaterleiter193 stark abfallen. Sein apodiktisches Urteil über das Isarthor-Theater mit der expliziten Schließungsempfehlung spricht von einem aufklärerischen Bildungsvorbehalt und dem unbedingten Willen, seine Aufgabe der Finanzreform gut zu machen: [Wenn] eine Bühne nicht die Kunst zu ihrem Hauptzweck machen und deswegen schon die Achtung der Gebildeten nie in Anspruch nehmen kann, so mag ihre Existenz, wenn sie nur in politischer und finanzieller Hinsicht wesentlichen Nutzen leistet, noch zu entschuldigen seyn. Was soll man aber von einer Anstalt sagen, die weder den guten Geschmack noch die Sittlichkeit befördert, und bey dem allen auch in ihren Finanzen im höchsten Grade zerrüttet ist? – Wo gar – auch gar kein Gewinn ist, da kann kein vernünftiger Zweck seyn, und das Ganze zeigt sich bloß als eine ohnmächtige Spielerey bey der man immer mehr verliert, als gewinnt, und man noch nicht aufgiebt, weil man noch nicht müde ist, Verlust zu erleiden.194

Aus eben diesen Gründen wäre es nur konsequent, das Isarthor-Theater nicht mehr fortbestehen zu lassen. Stich argumentierte hier genau entgegengesetzt zu Delamottes kulturpolitischer Legitimation des Theaters anfangs der 1810er Jahre, allerdings haben wir es nun mit einer neuen Situation zu tun. Das Isarthor-Theater lag dem Staate nun offensichtlich doch zur Last; seit dem Verfassungsoktroi von 1818 konnte der König jedoch nicht mehr willkürliche Zuschüsse aus der Staatskasse anordnen, sondern war an die sechsjährigen von den Kammern bewilligten Staatsbudgets gebunden. Darüber hinaus konnte das neue Hoftheater genau die von Delamotte angeführte Funktion der Belebung des sittlichen und ökonomischen Stadtlebens ausfüllen. So war es nicht verwunderlich, dass auch Delamotte nun dem Isarthor-Theater keine Zukunft mehr zusprechen wollte. 195 Es lag nun an dem Hofschauspieler und Regisseur Carl, das Ruder für das IsarthorTheater herumzureißen – er war es schließlich auch, der als Star seine wichtigste Plattform und als Direktor seine erste Wirkungsstätte zu verlieren hätte. Carl lieferte am 6. Juni 1820 mit seinem ausführlichen Votum als Mitglied des Theater-Ausschusses einen ersten umfassenden Geschäftsplan und das feste Glaubensbekenntnis zum Isarthor-Theater:

193

Zu Delamottes Qualitäten als Theaterleiter vgl. August Lewald, Panorama von München, 237: „Er [Delamotte] war ein practischer Mann, kannte das Theater aus dem Fundamente, wußte mit den Schauspielern umzugehen, war fast unabhängig, und vis-à-vis der beim Theater Angestellten mit einer Art von Allmacht bekleidet; er schrieb Stücke, erfand Maschinerien, und kam auf allerlei Gedanken, die er dann auch in Ausführung bringen ließ, und so manche zweckmäßige Einrichtung, die noch jetzt dem Münchener Theater zu Gute kommt, ließ er in’s Leben treten.“ 194 BayHStA, MF, Nr. 55860, Theater am Isarthore, 1818–1820, Ausschuss-Votum des Intendanzrat Stich, 22. Juni 1820. 195 Vgl. BayHStA, MF, Nr. 55860, Theater am Isarthore, 1818–1820, Bericht der Hoftheater-Intendanz, 6. Mai 1820.

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Ich glaube demnach, daß wenn das Isarthortheater bestehen kann, und zwar unter folgenden Hauptbedingungen bestehen kann, als: 1tens ohne eines größeren Zuschusses als des bereits bewilligten von 15.000 fl.196 2tens ohne daß dessen arthistischer Betrieb auf Sitte, Moral und Geschmack einwirke, und 3tens ohne, daß es dem ersten königl. Hoftheater in artistischer Hinsicht schade – es sich von selbst ausspricht, daß das königl. Hoftheater an dem Isarthor auch bestehen soll, um so mehr bestehen soll, als unser weises und gerechtes hohes Finanzministerium gewiß eine Anstalt nicht aufgehoben wird wissen wollen, die mit bedeutenden Staatskosten errichtet wurde, an welcher viele Familien durch eine Reihe von beynahe 10 Jahren ihren Nahrungszweig fanden und in der Folge noch finden werden – eine Anstalt, die noch überdieß, wenn sie auf jenen Standpunkt gebracht wird, welchen sie nach ihrer Natur einzunehmen hat, dem allerhöchsten Hofe und dem Publikum Vergnügen gewähren, und dem ersten Königlichen Hoftheater nicht nur keinen Schaden, sondern sogar Vortheile verschaffen kann und wird.197

Seine etwas tautologische Argumentation klärte er mit überzeugenden Gründen auf und rechnete etwa die immensen Einnahmen (68.000 fl. Aearial-Zuschuss, 65.000 fl. Logenund Tageseinnahmen) und geldwerten Vorteile (unentgeltlicher Dienst des Hof-Orchesters, Pensionsübernahme auf Staatskasse) des neuen Hoftheaters gegen den bescheidenen Etat (15.000 fl. Aerarial-Zuschuss) des Isarthor-Theater auf, um dann rhetorisch zu fragen, ob denn eine so wohl dotierte Anstalt durch ein so gering bezuschusstes Institut wie das Isarthor-Theater gefährdet sein könnte. Er gab sich selbst die Antwort: „Ich halte es bey einer guten Verwaltung für ganz unmöglich.“198 Damit lag Carl auf einer Linie mit der Einschätzung des Finanzministeriums, welches in der Krise von 1816/17 befunden hatte, dass das finanzielle Scheitern des Isarthor-Theaters in der „subjektiven Ausführung“ der Theaterverwaltung199 – also in der Verantwortung des Hoftheater-Intendanten Delamotte – gelegen habe. Carl empfahl sich gleich selbst als personelle Alternative: Sollte das Finanzministerium seine Ansichten zum Fortbestehen des Isarthor-Theaters näher würdigen wollen, so werde ich die Ehre haben, einem hohen königl. Finanzministerium ungesäumt das specielle Program einer Organisation für das königl. Isarthortheater allerunterthänigst zu unterlegen, bey welcher meiner oben ausgesprochenen Behauptung /:das Isarthortheater könne mit 15.000 fl. bestehen und sich erhalten:/ sich als positives Resultat ergeben soll.200

Carls Initiative zeigte Wirkung, nach neuerlichem Gutachten durch die Hoftheater-Intendanz erließ der König am 29. September 1820 ein Reskript,201 in dem er das Isarthor-

196

9.000 fl. waren jährlich zum Etat aus Staatsmitteln zugeschossen worden, 6.000 fl. aus der Kabinettskasse des Königs. 197 BayHStA, MF, Nr. 55860, Theater am Isarthore, 1818–1820, Ausschuss-Votum des Hofschauspielers Carl, 9. Juni 1820. Hervorhebung im Original. 198 Ebd. 199 Vgl. BayHStA, MF, Nr. 55859, Theater am Isarthore, 1816–1817, Vortrag des Direktors der Ministerial-Finanz-Sektion, Klemens Neumayr, vom 2. Juni 1817. 200 BayHStA, MF, Nr. 55860, Theater am Isarthore, 1818–1820, Ausschuss-Votum des Hofschauspielers Carl, 9. Juni 1820. Hervorhebung im Original. 201 BayHStA, MF, Nr. 55860, Theater am Isarthore, 1818–1820, Königliches Reskript, 29. September 1820.

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Theater „als Versuch, einstweilen auf ein Jahr“ weiter bestehen ließ und einen GesamtEtat von 38.836 fl. 30 kr. inklusive eines auf 16.000 fl. erhöhten Zuschusses genehmigte. Als Grundbedingung für diesen „Versuch“ stellte der König die vollkommene etatmäßige Trennung zwischen Hoftheater und Isarthor-Theater fest, allerdings sollte das künstlerische Personal der Nebenbühne gegebenenfalls auf der Hauptbühne gegen Bezahlung einer Tagesgage auftreten dürfen. Dem Intendanzrat Stich wurde die Pflicht auferlegt, allvierteljährlich einen Rechnungsbericht abzulegen, und da es zunächst gelang, einen ausgeglichenen Haushalt vorzuweisen, so wurden die jährlichen Etats bis 1822 genehmigt. Dies war insofern erstaunlich, weil mit der Eröffnung des neuen Hoftheaters immer wieder die Schließung des Isarthor-Theaters thematisiert worden war. Erst vier Jahre nach der Eröffnung des neuen Hoftheaters, 1822, stand dies wieder ernsthaft zur Debatte. Ausgelöst wurde die neue ‚Existenzkrise‘ mit dem Antrag Carls, den jährlichen Zuschuss um 4.000 fl. zu erhöhen; für den 1821 zum Hoftheater-Intendanten ernannten Stich203 ein erneuerter Ausweis der Misswirtschaft und der negativen Konkurrenzwirkung zwischen den beiden Hoftheatern. Das Finanzministerium stellte daher auf Betreiben Stichs am 28. Juni 1822204 den Antrag, die Personalverträge zu kündigen, um bis zum Jahresende die halbjährliche Kündigungsfrist einzuhalten. Max I. Joseph genehmigte den Antrag zunächst und löste damit bei den Theaterangehörigen eine politische ‚Kampfphase‘ aus. Carl entwarf am 20. Juli 1822 ohne Rücksprache mit Stich einen Finanzplan für das Isarthor-Theater, mit dem es „ohne Vermehrung seines Zuschußes auch fernerhin, so wie bisher schuldenfrei erhalten werden kann.“205 Die Basis dieses Plans bildete die Unterteilung der Arbeitsverträge in zwei „Classen“, die ihm ermöglichen würden, den größten Teil des Personals während der ertragsarmen Sommermonate einzusparen.206 Stich hielt den dringenden Antrag Carls fast vier Wochen zurück207, bevor er ihn mit einem empörten Begleitbrief an das Finanzministerium weiterleitete. Stich forderte wiederum die Auflösung des Isarthor-Theater, aus humanitären Gründen erst zum Ende des Jahres, und verlangte für den Regisseur Carl einen Verweis wegen seines unangemessenen Vorpreschens: 202

BayHStA, MF, Nr. 55860, Theater am Isarthore, 1818–1820, Königliches Reskript, 29. September 1820. Königliche Entschließung vom 15. Januar 1821, erwähnt in BayHStA, MF, Nr. 55861, Theater am Isarthore, 1821–1822, Brief des Finanzministeriums an den Hoftheater-Intendanten Stich und den Intendanten der italienischen Oper Freiherr von Priuli, 30. Mai 1821. Der Brief klärte in Beantwortung einer Beschwerde Priulis gegen Stich (vgl. BayHStA, MF, Nr. 55853) die formale Titelverwendung. Dies ist wiederum ein Hinweis auf die tendenziell negative Haltung der altgedienten Hofchargen gegen den bürgerlichen ‚Quereinsteiger‘ Stich. 204 BayHStA, MF, Nr. 55861, Theater am Isarthore, 1821–1822, Bericht des Hoftheater-Intendanten, 16. August 1822. 205 BayHStA, MF, Nr. 55861, Theater am Isarthore, 1821–1822, Antrag des Regisseurs Carl, 20. Juli 1822. 206 Ebd. 207 Der Hoftheater-Intendant Stich entschuldigte dies damit, dass der entsprechende Etat nicht früher vorgelegen habe. Vgl. BayHStA, MF, Nr. 55861, Theater am Isarthore, 1821–1822, Bericht des Hoftheater-Intendanten, 16. August 1822. 203

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Abb. 6: Carl Carl in der Rolle des Räubers Abällino am Isarthor-Theater, 1814

Schlüßlich glaubt die treugehorsamst unterfertigte Intendanz auch auf eine Zurechtweisung des Regisseurs Carl – der durch sein, in dem gegenwärtigen Falle an den Tag gelegtes übereiltes Benehmen, eine ganz unnöthige Alarmirung veranlasst hat, aller unterthänigst antragen zu dürfen.208

Doch Carls „Alarmirung“ war ganz und gar nicht „unnöthig“ – im Zusammenspiel mit der Petition einer Abordnung des Theaterpersonals, die am 27. August 1822 den König und die Königin aufsuchte, konnte er eine günstigere Stimmung für das Isarthor-Theater erreichen. Der König ließ nach dem Besuch der Theaterangehörigen dem Finanzministerium seine grundsätzliche Bereitschaft zum Erhalt des Isarthor-Theaters mitteilen: 208

BayHStA, MF, Nr. 55861, Theater am Isarthore, 1821–1822, Bericht des Hoftheater-Intendanten, 16. August 1822.

Die Institutionalisierung des Isarthor-Theaters

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Se. Majestät der König haben mir hierauf befohlen, diese Abgeordneten an Eure Excellenz zu weisen, Hochderselben aber zugleich zu bemerken, wie allerhöchstwelchem die Lage der armen Menschen, wenn Sie mit ihren Familien brotlos werden sollen, um so näher geht – als Sie an den Übertreibungen der Ausgaben bey dem neuen Hoftheater ganz schuldlos sind – weswegen auch Se. Majestät der König über den Fortbestand dieser Anstalt in irgend einer Art mit einem geänderten Zuschuß aus der Staats Casse – oder ohne denselben, einen Vorschlag erwarten.209

Beide Vorstöße der Isarthor-Theater-Angehörigen fügten sich hier passgenau zusammen.210 Der König kritisierte die übertriebenen Ausgaben des neuen Hoftheaters, stellte sich auf die Seite des Isarthor-Theaters und erwartete einen Aktionsplan – und genau diesen hielt Carl schon bereit. Er ging am 31. August 1822 noch einen Schritt weiter und schlug vor, das Isarthor-Theater auf eigene Rechnung zu übernehmen. Allerdings stellte er umfassende Forderungen, welche der ‚Privatunternehmung‘ weiterhin substantielle staatliche Unterstützung garantierten. Am 26. September 1822 wurde mit der Vertrags-Urkunde211 der Schritt vollzogen – das Isarthor-Theater wurde in eine private Entreprise überführt. Carl erhielt bei einseitigem Kündigungsrecht die Pachtgarantie bis zum 1. Oktober 1825. Er war weiterhin als Hofschauspieler tätig212 und behielt sein gut dotiertes Gehalt von 2.300 fl. aus der Hoftheater-Kasse. Er erhielt zudem das Theatergebäude unentgeltlich und alles darin befindliche Inventar, einschließlich Garderobe, Dekorationen, Bibliothek, Requisiten, Möbel und Apparate mit der Verpflichtung, bei Ablauf der Entreprise alles in gutem Zustand zurückzugeben. Mittwoch und Sonntag waren nun die ausschließlich für das Isarthor-Theater reservierten Spieltage, Dienstag und Donnerstag spielte das Hoftheater, 209

BayHStA, MF, Nr. 55861, Schreiben an das Finanzministerium, 27. August 1822. August Lewald ging in seinem Bericht so weit, eine Inszenierung der Bittstellung zu behaupten, vgl. August Lewald, Panorama von München, 244: „Eine Deputation von Familienvätern, denen das Isarthor-Theater das kümmerliche Brod bis jetzt gegeben, machte ihre Aufwartung; ein alter Comödiant sprach rührende Worte, ein alter Musikant weinte dazu, und ein alter betrunkener Zimmermann that einen Kniefall; das Ganze war förmlich probirt und wirksam in Scene gesetzt worden.“ 211 BayHStA, MF, Nr. 55862, Theater am Isarthore, Oktober 1822–Janur 1824, Vertrags-Urkunde, 26. September 1822. 212 Carl wurde in einem früheren königlichen Reskript verpflichtet, dreißig Rollen jährlich auf dem Hoftheater zu spielen, es ist davon auszugehen, dass diese Verpflichtung pro forma weiter bestand; vgl. BayHStA, MF, Nr. 55860, Königliches Reskript, 29. September 1820. Allerdings scheint es, dass Carl schon seit der Übernahme der Regie-Funktion am Isarthor-Theater, ca. 1816, diese Verpflichtung nicht mehr voll erfüllt hatte, so beschwerte sich Stich darüber, dass die Hoftheater-Kasse Carls Gehalt auch nach der ‚Privatisierung‘ des Isarthor-Theaters übernehmen musste, ohne dass dafür Dienste geleistet würden, vgl. BayHStA, MF, Nr. 55862, Bericht der Hoftheater-Intendanz, 3. September 1822: Stich habe bereits 1821 den Antrag gestellt, dieses Gehalt nicht mehr zahlen zu müssen, denn „[jeder] Schauspieler hat für seinen Gehalt Dienste zu leisten. Der Director Carl gesteht aber selbst, daß er wegen der Leitung des Isarthortheaters, und des von ihm bekleideten Rollenfaches /:gemeine, und niedrige komische Karaktere:/ bei dem großen koeniglichen Hoftheater nicht verwendet werden kann, es wäre daher die größte Unbilligkeit, dasselbe mit der bedeutenden Last zu beschweren, aus seinen Mitteln den Privat Unternehmer des zweiten Theaters zu belohnen.“ 210

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am Freitag die italienische Oper. Als Privattheater wurde das Isarthor-Theater nun der polizeilichen Aufsicht unterworfen, d.h., es musste seine Stücke zur Zensur vorlegen. Stich wollte den Spielplan des Isarthor-Theaters eng einschränken und unter seine eigene Kontrolle stellen. Außer bei Lokalpossen, Spektakelstücken, Volkmärchen und Volksopern sollte Carl nach Stichs Vorstellungen grundsätzlich „bey der Auswahl neuer Lust-, Schau- und Trauerspiele jedes Mal die Zustimmung der Koenigl. Hoftheaterintendanz“213 einholen müssen. Carl konnte demgegenüber die volle Repertoire-Freiheit für das Isarthor-Theater durchsetzen. Er erhielt jedoch die Ermahnung, „die Bestimmung dieses Theaters als Volkstheater hiebey nicht aus den Augen zu lassen.“214 Das Isarthor-Theater wurde auf seinen ursprünglichen Titel als „Königliches Theater“ zurückverwiesen, als „Hoftheater“ sollte nur noch das Hoftheater an der Residenz bezeichnet werden. Der staatliche Zuschuss wurde künftig nicht mehr gewährt, stattdessen erhielt Carl eine einmalige Unterstützung von 7.000 fl. zur Eröffnung seiner Entreprise. Damit wurde der Versuch unternommen, das Isarthor-Theater weitgehend von öffentlicher Subvention abzutrennen, indirekte Unterstützungen wie Mietfreiheit, Gebäude- und Inventar-Überlassung und das Gehalt Carls aus der Hoftheater-Kasse unterliefen jedoch diesen Vorsatz. Auch in der dreijährigen Direktion Carls (1822–1825) unterschied sich das Isarthor-Theater von anderen Privatunternehmen und behielt Aspekte einer ‚öffentlichen Institution‘ bei. Carl gelang es im Verlaufe dieser Zeit immer wieder, vom König außerordentliche staatliche Unterstützung zu erlangen. Bereits am 15. Juni 1823 erging der erste dahingehende Antrag an das Finanzministerium. Carl argumentierte damit, dass er dem Staat erhebliche Entschädigungszahlungen durch Übernahme des Theaterpersonals erspart hätte und forderte die dagegen als bescheiden dastehende monatliche Unterstützung von 416 fl. (insgesamt 5.000fl./a). Im gleichen Atemzug bot er sich als Musteranstalt und Prüfstein für die finanzielle Verwaltung des Hoftheaters an: Das mit seinen beschränkten Fonds und bei bedeutenden Leistungen anständig und nun mehr schuldenfrei bestehende Isarthor-Theater ist ganz geeignet die oeconomischen Verwaltungszweige des königl. Hoftheaters zu controlliren, indem dies Gelegenheit zu nützlicher Vergleichungen und Aufschlüssen gegen dürfte, da der treugehorsamst Unterzeichnete bereit ist jederzeit seine Rechnungen der Allerhöchsten Stelle zur Einsicht vorzulegen.215

Dies war als direkter Angriff auf den bereits ‚angezählten‘ Intendanten Stich zu werten. Carl hatte in dieser Phase gute Karten. Nach dem Brand des neuen Hoftheaters in der Nacht des 14. Januars 1823 konkurrierte das Isarthor-Theater nur noch mit dem alten Cuvilliès-Theater, gegenüber dessen räumlicher Beengung ersteres auch beim aller 213

BayHStA, MF, Nr. 55862, Theater am Isarthore, Oktober 1822–Januar 1824, Bericht der Hoftheater-Intendanz, 3. September 1822. 214 BayHStA, MF, Nr. 55862, Theater am Isarthore, Oktober 1822–Januar 1824, Vertrags-Urkunde, 26. September 1822. 215 BayHStA, MF, Nr. 55862, Theater am Isarthore, Oktober 1822–Januar 1824, Antrag des Direktors Carl an das Finanzministerium, 15. Juni 1823.

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höchsten Hof den Vorzug erhielt. Darüber hinaus wurde Stich zum Teil für den Totalverlust des Theaters verantwortlich gemacht, da offensichtliche Versäumnisse bei der Instandhaltung und Inbetriebnahme der Feuerlöschanlage eine Mitschuld am Ausmaß der Brandkatastrophe hatten.216 Stich konnte sich nur noch bis Ende September 1823 halten, dann wurde er von Baron von Weichs abgelöst.

Abb. 7: Brandruine des Hof- und Nationaltheater München, 1823

Auf Carls Antrag vom 15. Juni 1823 schlug der Finanzminister sichtlich verärgert vor, Carl einen geringen Zuschuss zu genehmigen mit der Verpflichtung, das Isarthor-Theater bei Wiedereröffnung des neuen Hoftheaters zu schließen. Hier zeigte sich erneut der Wille von Max I. Joseph, das Volkstheater als zweites Theater der Stadt zu erhalten: Er lehnte den Vorschlag des Finanzministers mit folgender Bemerkung ab: „Ich verbinde mich nicht gern ein ganzes Jahr voraus, um so mehr da ich erst vor einem Jahr ausdrücklich befohlen habe das Theater am Isarthor soll beybehalten werden. Kann es der Carl nicht mehr betreiben, so würde sich leicht ein anderer finden.“217

216 217

Vgl. den Bericht zur Brandnacht bei Claudia Ulrich, Das Königliche Hof- und Nationaltheater, 81f. BayHStA, MF, 55862, Theater am Isarthore, Oktober 1822–Januar 1824, Antrag des Finanzministeriums, 20. August 1823, Notiz des Königs.

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Wiederum konnte sich Carl mit seiner Forderung durchsetzen. Er erhielt zwar nicht den vollen Betrag seiner Forderung von 5.000 fl., aber immerhin eine Unterstützung von 3.000 fl.218 Wie sehr sich diese halbstaatliche Institutions-Form des Isarthor-Theaters von anderen privaten Theaterunternehmungen unterschied, machte der Finanzminister in einem Vergleich mit dem Nürnberger Stadttheater deutlich: Wenn der Unternehmer dieses [Nürnberger Theaters] im Stande ist, dasselbe zu erhalten, obgleich kein Hof ihn großmüthig unterstützt, obgleich kein zahlreiches und schaulustiges Publicum, wie jenes der Hauptstadt, sich in sein Haus drängt, obgleich er die Garderobe, Dekorazionen und Requisiten aus eigenen Mitteln erst beischaffen, für das Haus einen Miethzins entrichten, vielleicht noch Actien zurückzahlen, und von dem Unternehmer selbst mit den Seinigen leben muß, so ist dies offenbar ein Beweis, daß das Theater ein wirkliches Bedürfnis für das Publicum ist.219

Trotz all der Subventionen und königlichen Unterstützungen würde es Carl dagegen nicht gelingen, ein prosperierendes Unternehmen zu erreichen. Daher, so folgerte der Finanzminister, sei das Isarthor-Theater gerade bei der bevorstehenden Wiedereröffnung des neuen Hoftheaters „kein wahres Bedürfniß für ihr [der Hauptstadt] Publikum“220 . Diese Linie des Finanzministeriums setzte sich mit Bedacht auf die Ständeversammlung, welche das Staatsbudget kontrollierte, auf lange Sicht durch. Auf ein erneutes Gesuch um staatliche Förderung setzte der Finanzminister zu einer ausführlichen Argumentation gegen ein zweites Theater in München an. Andere an Einwohnern etwa gleich großer Städte wie Dresden, Frankfurt, Prag und Hamburg besäßen nur ein Theater, weil damit das Kulturbedürfnis der Stadtbewohner gedeckt wäre: Es ist also sehr begreiflich, daß in München, neben dem neuerbauten Hoftheater mit seinem grossen vortrefflich eingerichteten Hause, neben der so sehr beliebten italienischen Oper, neben den Liebhaber-Theatern in Privatgesellschaften und bei einem /:für die unterste Volksklas-

218

BayHStA, MF, 55862, Theater am Isarthore, Oktober 1822–Januar 1824, Königliches Reskript, 22. August 1823. 219 BayHStA, MF, Nr. 55862, Theater am Isarthore, Oktober 1822–Januar 1824, Bericht des Finanzministers an den König, 15. August 1823. Man darf bei dieser Aussage des Finanzministers nicht außer Acht lassen, dass das Nürnberger Stadttheater kurz zuvor durch seine herausragende Inszenierung und Aufführung des Freischütz von Carl Maria von Weber Aufsehen erregt hatte. Am 5. Juni 1823 besuchte Max I. Joseph das Theater in Nürnberg und war sehr angetan von der gelungenen Aufführung, die mit sehr wenig finanziellem Aufwand von dem Direktor Georg Braun bewerkstelligt worden war. Der König zog den direkten Vergleich mit seinem Münchner Hoftheater – zugunsten Nürnbergs – und berief Braun daraufhin als ‚Ökonomie-Inspector‘ an sein Theater. Das Nürnberger Stadttheater wurde zum Ausgleich für den Verlust seines Direktors von 1823–1825 mit einer jährlichen Subvention von 500 fl. bedacht. Zur Darstellung dieser Umstände in der Geschichte des Nürnberger Stadttheaters vgl. Schultheiß, Gisela und Ernst-Friedrich Schultheiß, Vom Stadttheater zum Opernhaus. 500 Jahre Musiktheater in Nürnberg, Nürnberg 1990, 68. 220 BayHStA, MF, Nr. 55862, Theater am Isarthore, Oktober 1822–Januar 1824, Bericht des Finanzministers an den König, 15. August 1823.

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se:/ noch besonders bestehenden Sommertheater, ein zweites Hoftheater nicht ohne Nachtheil des Haupttheaters und selbst dann nicht ohne Unterstützung der Regierung bestehen kann.221

Damit verkehrte sich das ursprünglich von Delamotte genutzte Argument der Theaterentwicklung ‚in polizeilicher Ansicht‘ ins Gegenteil: Die öffentliche Ordnung der Stadt braucht das Isarthor-Theater nicht mehr, so die Meinung des Finanzministeriums. Obgleich Carl noch am 26. Juni 1824 eine Pachtverlängerung bis 1827 durchsetzte, so musste ihm jedoch klar sein, dass die Ära von Max I. Joseph sich dem Ende zuneigte. Er setzte daher zeitgleich durch, dass seine Frau Margarete Carl und er, beide Hofschauspieler mit Pensionsrecht, ihre lebenslange Pension auch im Ausland in Anspruch nehmen dürften – fast schien er hier schon seine Wiener Lebensphase vorzubereiten. Darüber hinaus zeichnete sich die Wiedereröffnung des neuen Hoftheaters zum Oktober 1825 bereits ab. Folgerichtig stellte er daher am 7. August 1825 den Antrag, für die baldige Theaterauflösung die Schauspieler-Verträge kündigen zu dürfen, welche eine sechsmonatige Kündigungsfrist hatten, so dass er im Frühjahr das Theater schließen könnte. Zwei Tage später begab sich Carl mit seiner Truppe auf eine Gastspielreise nach Wien. Dort feierte er Erfolge im Theater an der Wien und übernahm schließlich 1827 dessen Pacht. Am 13. Oktober 1825 starb Max I. Joseph, sein Sohn Ludwig I. trat seine Nachfolge an. Jetzt wurde deutlich, dass Carls theaterunternehmerisches Agieren in München eng an die Person Max I. Josephs angebunden war. Ludwig I. löste die für Carl günstigen Entschädigungsregelungen, die sein Vater genehmigt hatte. Carl behielt seine Hoftheater-Pension, musste sich jedoch mit einer Aversalabfindung von 12.000 fl. als Ablöse für Dekorationen und Theaterfundus zufrieden geben. 222 Damit endete Münchens erste öffentliche Theaterinstitution – das Isarthor-Theater ist nie wieder als Theaterstätte genutzt worden.223 D i e ‚ I n s t i t u t i o n d e s T h e a t e r s‘ . Es wurde oben dargelegt, dass es im ersten Plan des Intendanten Delamotte lag, mit dem Volkstheater am Isarthor eine öffentliche Institution zu schaffen. Delamotte formulierte ein Bedürfnis „in polizeilicher Ansicht“ nach diesem Theater, das also in kulturpolitischer Hinsicht dem gewachsenen Kulturbedarf der Stadtbevölkerung Rechnung tragen sollte. Dafür musste ein neuartiges Theater ge221

BayHStA, MF, Nr. 55863, Theater am Isarthore, 1824–1860, Bericht des Finanzministers an den König, 18. Juni 1824. 222 Vgl. BayHStA, MF, Nr. 55863, Theater am Isarthore, 1824–1860, Königliches Reskript vom 8. November 1825. Diese Maßnahme gehört zu einer weit reichenden Umgestaltung der Theaterkultur in München, die Ludwig I. bei seinem Amtsantritt vornahm. So löste er auch die italienische Oper auf und gab 1826 an Leo von Klenze den Auftrag zum Bau des bürgerlichen Konzert- und Ballsaals Odeon. 223 Das Isarthor-Theater wurde zunächst der polytechnischen Zentralschule überlassen und später als Anstalt für körperliche behinderte Kinder (1834–1841) und als Leihhaus (1844–1931) genutzt. 1931 wurde es zum Kino umgebaut, das im zweiten Weltkrieg zerstört wurde. 1953 erfolgte der Abbruch der Gebäudereste. Vgl. Hermann Reidel, „Das ehemalige Isartortheater“, 124.

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schaffen werden, da das alte Hoftheater zu klein war und es gleichzeitig die typischen Merkmale des hierarchisch strukturierten Repräsentationsraums innerhalb der Residenz nicht abstreifen konnte. Anders das neu erbaute Isarthor-Theater, dem Delamotte die Lage und Gestalt eines bürgerlichen und städtischen Theaterforums verlieh, und das für die ‚Verschönerung‘ der Stadt und eine Quartierentwicklung der Isarvorstadt stand. Obgleich dieses Theater zunächst als privatwirtschaftliche Unternehmung geplant und genehmigt war, gelang es Delamotte – durch wirtschaftliches Ungeschick oder vorausschauende Strategie? – faktisch die voll ausgebildete Struktur der öffentlichen Institution mit der Eigentumserklärung von 1817 zu erreichen. Das Isarthor-Theater war nun Hoftheater mit Namen und Staatstheater in der bürgerlichen Form. Durch finanzielle Schwierigkeiten konnte das Isarthor-Theater jedoch gegenüber dem neuen Hoftheater nie endgültig seine prekäre Existenz sichern, die Konzeption einer Verpachtung sollte es schließlich 1822 in die Form des Privatunternehmens überführen. Wie gezeigt wurde, handelte es sich bei Carl Carls Entreprise jedoch nicht um eine konsequente Privatisierung des Isarthor-Theaters. Vielfältig mit dem Hoftheater verflochten konnte Carl immer auf direkte und indirekte staatliche Subventionen zurückgreifen. Daher möchte ich an dieser Stelle so weit gehen, das Isarthor-Theater in der Direktion Carls als variierte Form einer öffentlichen Institution zu bezeichnen. Letztlich unterschied es sich nun von seiner vorigen Existenz als Hoftheater nur durch eine Art von Umsatz-Risiko des Unternehmers Carl. Doch auch dieses wirtschaftliche Risiko wurde auf vielfache Weise abgefedert, durch Carls Bezüge aus der Hoftheater-Kasse, durch seine garantierten ausschließenden Spieltage und auch durch die immer wieder bei Bedarf gewährten staatlichen Zuschüsse. Dass ein ehemaliger Beamter auch nach seiner Dienstzeit weiterhin im Genuss seiner Bezüge blieb, war in der Epoche nicht unüblich. Unter seinen Theaterunternehmer-Kollegen blieb allerdings das Beispiel Carls die Ausnahme. Dies war insbesondere augenfällig, da er auch in seiner Wiener Zeit weiter von seiner Pension profitieren konnte und gegenüber seinen Theaterunternehmer-Kollegen dort einen finanziellen Vorteil hatte. Die Volten in der Organisations- und Verwaltungsform des Isarthor-Theaters waren der Ausweis einer Transformationsphase von Theater. Diese Frühform von Theater als öffentliche Institution machte das Isarthor-Theater zu einem außergewöhnlichen Modell. Wir haben es hier mit einer theaterhistorischen Phase zu tun, in der das Theater noch nicht lange die ‚Adelung‘ als Bildungsinstitut erfahren hatte. Dies war die aufklärerische Voraussetzung, um dann in einem zweiten Schritt Theater zu einer ‚Staatsaufgabe‘ und zu einer öffentlichen Institution überhaupt modellieren zu können. Das Isarthor-Theater erhielt hier seinen Platz in einer kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Umbruchzeit, welche für die Weiterentwicklung von Theater als bürgerliche Institution entscheidend war. Das neue Hoftheater an der Residenz bildete ab 1825 die wesentlichen Merkmale einer ‚öffentlichen bürgerlichen Institution‘ aus: öffentliche Finanzierung (die Baukosten betreffend, der Betrieb wird ab 1834 auf Zivilliste finanziert), allgemeiner Zugang,

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Gemeinnützigkeit und Vernetzung mit der städtischen Bürgerkultur. Im Folgenden soll es nun nach der Diskussion von Theater als ‚öffentliche Institution‘ um die ‚institutionelle Öffentlichkeit‘ von Theater gehen. Das Verhältnis des Hoftheaters zur Öffentlichkeit und das öffentliche Verhalten der in die Theatersituation involvierten Personen sollen im Fokus der weiteren Analyse stehen. Dies führt uns zu einem handlungstheoretischen Begriff von ‚Institution‘, der spezifische Handlungsprinzipien und Verhaltensmuster zentral setzt. Die ‚Institution‘ legt hier die Handlungsregeln fest und verhandelt deren Wandel. Douglass North prägte maßgeblich diese Konzept von Institution: „Institutionen sind die Spielregeln einer Gesellschaft oder, förmlicher ausgedrückt, die von Menschen erdachten Beschränkungen menschlicher Interaktion. […] Institutioneller Wandel bestimmt die Art und Weise der Entwicklung von Gesellschaften über die Zeit und ist somit der Schlüssel zum Verständnis historischen Wandels.“224 In diesem Sinne geht es um die ‚Disziplin‘ einer sich formierenden Medienpraxis in der Institution eines ‚verbürgerlichten‘ Hoftheater unter dem Intendanten Karl Theodor von Küstner (1833–1842), dessen Verhaltenskodex und Erwartungshorizont im Zeichen einer Transformation des Öffentlichen neu abgesteckt werden musste.

5.3

Disziplin225 und Öffentlichkeit – Das Hof- und Nationaltheater

Die ‚Verbürgerlichung‘ des Münchner Hoftheaters erforderte eine Neubestimmung dieser Institution zur Öffentlichkeit in der Stadt. Neue bürgerliche und studentische Publikumsschichten strömten in die Aufführungen und trugen zu einer Transformation der medialen Praxis bei. Die Konventionen der höfischen Theaterkultur waren für die beteiligten Akteure – Zuschauer und Schauspieler gleichermaßen – nicht mehr passend. Die Politik des Hofes und der Hoftheater-Intendanz zielte nun keineswegs auf eine Rückgewinnung der höfischen Repräsentationstradition, sondern versuchte, angemessene Regeln für eine öffentliche Theaterpraxis zu finden. Man kann diese Disziplinierung im Sinne von repressiven Maßnahmen lesen, damit würde man allerdings den Aspekt der versuchten ‚Ermöglichung‘ einer Neuorientierung des Theaters auf die gesellschaftliche Öffentlichkeit hin durch Regulierung außer Acht lassen. Meines Erachtens ist es wichtig, beide Aspekte in die Analyse der historischen Situation zu integrieren. 224

Vgl. Douglass C. North, Institutionen, institutioneller Wandel und Wirtschaftsleistung, übers. von Monika Streissler, Tübingen 1992, 3. 225 Bei der Begriffsverwendung von „Disziplin“ und „Disziplinierung“ ist der Anklang an Foucaults Konzept eines normierenden Machtdispositiv, das mit räumlicher Strukturierung und Rangzuweisung arbeitet, durchaus gewollt, geht es doch bei der Öffnung und ‚Verbürgerlichung‘ des Theaterraums um die angemessene Einschreibung neuer Publikumsschichten in eine hierarchische Ordnung – Parterre, Galerie, Logen. Vgl. Michel Foucault, Surveiller et punir, Paris 1975, insbes. 156–227.

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Anhand der Disziplinar-Satzungen, Hausordnungen und Zirkular-Verordnungen der Hoftheater-Intendanz kann man den Regelungsbedarf der theatralen Institution für ihr Verhältnis zur gesellschaftlichen Öffentlichkeit ablesen. Die Theateraufführung ist die Schnittstelle zwischen innen und außen und wird so zum kritischen Moment des Öffentlichen. Die Disziplinierungspraxis des Hoftheaters stellte den Versuch dar, diesen Moment zu sichern und in geregelte Bahnen zu lenken. Dabei musste die Intendanz mit veränderten Öffentlichkeitsansprüchen von Seiten des Publikums, der Presse und auch der eigenen Akteure umgehen. Ab Ende der 1820er Jahre waren diese Ansprüche virulent und erzeugten Handlungsbedarf.226 Im Zusammenhang mit dem Wandel der medialen Öffentlichkeit stellt die Zeit zwischen 1833 und 1848 eine besondere Phase der ‚Modernisierung‘ am Münchener Hof- und Nationaltheater dar. Insbesondere der Hoftheater-Intendant Karl Theodor von Küstner (1. Februar 1833 bis 31. Januar 1842) war hier sehr wichtig. Nach ihm waren in dieser Zeit folgende Intendanten am Hoftheater tätig: Eduard Graf von Yrsch (1. Februar 1842 bis 31. Januar 1842), August von Frays (1. Februar 1842 bis 31. Dezember 1847), Johann Nepomuk von Poißl (1. Januar 1848 bis 3. Juli 1848). In Bezug auf das Hoftheater bedurften drei spezifische theatrale Zugänge zur Öffentlichkeit der besonderen Regulierung. Zum einen musste die Beziehung des Theaters und seiner Akteure zur Zeitungsöffentlichkeit abgesteckt und kontrolliert werden. Die häufigen Begegnungen zwischen Theaterschauspielern und Literaten brauchten Regeln. Auch für die öffentlichen Ansprüche der Presse auf eine kritische Haltung zu den Theatern mussten Grenzen gesetzt und Räume eröffnet werden. Zum zweiten handelte es sich um die Beziehung des Theaters zur politischen Öffentlichkeit. Dabei galt es vor allen Dingen, das Extemporieren der Theaterakteure unter Kontrolle zu halten. Zum dritten ging es um die Beziehung der Theaterakteure zum Publikum, für die Regeln gefunden werden mussten. Welchen Einfluss hatte der Schauspieler als ‚öffentliche Person‘ auf die gesellschaftliche Öffentlichkeit in Person des Zuschauers? Und wie konnte man diesen angenommenen Einfluss dämmen und regulieren? Auf der anderen Seite ging es um angemessene Regeln für das Verhalten der Zuschauer während der Vorstellung. W e g e z u r Ö f f e n t l i c h k e i t . Das Hoftheater in seiner abgeschlossenen Form höfischer Unterhaltung benötigte keine Regelsätze für eine Bestimmung der Wege zur Öffentlichkeit. Es genügte, mit einer Hausordnung die Sicherheits- und Strukturbestimmungen für den ungestörten Ablauf der Theatervorstellung festzulegen, wie wir es etwa mit der „Ordnung auf dem Theater“ von 1814227 noch vorliegen haben. Dort wurde verfügt, dass sich keine Unbefugten auf der Bühne und in den Garderoben aufhalten durften und die Akteure die Bühne in den Zwischen-Akten verlassen mussten, um den schnellen Umbau zu ermöglichen. Diese Theaterregeln wurden innerhalb der nächsten Jahre mehrfach 226 227

Vgl. hierzu auch Kap. 4.1., 140–168. Intendanz Hofmusik, Nr. 172, Theaterordnung vom 23. Oktober 1814.

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revidiert und erneut in Umlauf gebraucht, aber erst am 4. Januar 1829 traten DisziplinarSatzungen in Kraft, welche obige Theater-Ordnung mit einer regelrechten internen Theater-Gesetzgebung ergänzten. Es wurde das Verhalten der Schauspieler gegenüber der Theaterleitung, die Pflichten und Rechte der Theaterangehörigen und der Strafenkatalog bei Zuwiderhandlung aufgeführt.

Abb. 8: Hof- und Nationaltheater München, um 1840

Dort wurden auch die Beziehungen zur gesellschaftlichen und politischen Öffentlichkeit bestimmt. Besonders einschlägig ist hier der §4, welcher jedes Mitglied der Bühne verpflichtete, „den Nutzen der Anstalt nach seinen Kräften zu fördern, und allen Nachtheil von derselben abzuwenden.“228 Im Einzelnen bestimmte dieser Paragraph, die Theaterakteure dürften in den Vorstellungen nicht „im Zeichen des Tadels laut werden“229. Außerdem war es ihnen verboten, Rezensionen aufgeführter oder noch auszuführender Stücke „ins Publikum“ zu bringen und Kritik an den Theaterkollegen zu veröffentlichen. Sie durften darüber hinaus das Publikum nicht zu „Beyfalls-Bezeugungen“ oder „Erregung von Mißfallen“230 agitieren – Claque und Theatertumult sollten vermieden werden. Endlich 228

BayHStA, Intendanz Hoftheater, Nr. 1032, Disciplinarsatzungen, Disziplinar-Satzungen vom 30. Dezember 1828, in Kraft getreten am 4. Januar 1829. 229 Ebd. 230 Ebd.

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sollte auch die eigene Theaterinstitution nicht durch öffentliche Kommentare herabgewürdigt werden.231 Ein Verstoß gegen den §4 wurde mit einer Geldstrafe in Höhe eines Drittels der Monatsgage geahndet. Dieser §4 bezog damit zu zwei der oben genannten wesentlichen Zugänge zur Öffentlichkeit Stellung: Die Beziehungen zur medialen Öffentlichkeit und zum Publikum wurden disziplinierend eingeschränkt. Karl Theodor von Küstner hatte nach der Phase der kritischen Bau- und Finanzsituation des Hof- und Nationaltheaters in struktureller und ästhetischer Hinsicht eine Konsolidierung dieser öffentlichen Institution erreicht. In seinen Memoiren erwähnte Küstner, dass Freiherr von Schenk, der seine Anstellung veranlasst hatte, ihn bei Stellenantritt darauf hinwies, die Münchner Theater-Gesetze seien mangelhaft und unvollständig und daher sei die „Indisciplin“ an der Tagesordnung.232 Küstner nahm sich diesen Hinweis zu Herzen: Aus seiner Intendanz stammen zahlreiche ErgänzungsRegeln233 zu den Disziplinar-Satzungen von 1829 und schließlich gab er 1842 die vollständig neue Fassung der Theater-Gesetze heraus. Anlässlich eines Disziplinarvorfalles nahm Küstner 1838 die Revision der ‚Öffentlichkeits-Regeln‘ des §4 vor: Der Schauspieler und Sänger Lenz hatte in der Zeitschrift Bazar eine Rezension der Opern-Aufführung Jakob und seine Söhne an der Hofoper publiziert und musste nun ein Drittel seiner Monatsgage Strafe zahlen.234 Um diese Vorfälle nicht einreißen zu lassen legte der neue Text des §4 nun präziser fest, 1) daß alle Zeichen des Beyfalles oder Mißfallens den Mitgliedern und ihren Angehörigen in den Theaterlogen sowohl als im gesammten Schauplatze untersagt sind, sowie von selbst zu erwarten steht, daß daselbst die größte Ruhe beobachtet werde. 2) daß kein Mitglied des Hoftheaters über dasselbe und dessen Leistungen in öffentlichen Blättern schreiben, oder dergleichen Aufsätze in dieselben einsende oder befördere; – 3) noch über ein Stück, welches bereits gegeben ist, oder erst gegeben werden soll, über dessen Werth, Besetzung oder Darstellung nachtheilige Gerüchte mündlich oder schriftlich verbreite; 4) noch irgend eine Faktion im Publikum errege, oder daran Theil nehme; 5) noch endlich die Anstalt und ihre Behörde auf was immer für eine Weise, z.B. durch spottende Bemerkungen auf Circularen, u.s.w. herabwürdige.235

Küstner verschärfte die Disziplinierung des Umgangs mit der Presseöffentlichkeit und akzentuierte die Abschnitte 2 und 3. Jetzt ging es um die rigorose Regulierung des Verhältnisses zur Presse. Es durften weder Rezensionen geschrieben, noch befördert, noch irgendwelche gerüchteweisen Informationen an die Journalisten weitergegeben werden.

231

BayHStA, Intendanz Hoftheater, Nr. 1032, Disciplinarsatzungen, Disziplinar-Satzungen vom 30. Dezember 1828, in Kraft getreten am 4. Januar 1829. 232 Karl Theodor von Küstner, Vierunddreißig Jahre, 92. 233 Vgl. Küstners Zusammenstellung der Verordnungen in BayHStA, Intendanz Hoftheater, Nr. 1032, Disciplinarsatzungen. 234 Vgl. BayHStA München, Intendanz Hoftheater, Nr. 1032, Disciplinarsatzungen, Bericht der Hoftheater-Intendanz an den König, 1. Februar 1838. 235 Ebd.

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Der Weg zur Presseöffentlichkeit war damit noch stärker verstellt, der Kontakt zu den Journalisten wurde prekär.236 Küstner versuchte nun in seiner ‚Presse-Politik‘, auch den Journalisten die ‚Abstandwahrung‘ zu vermitteln und sandte am 27. Februar 1838 ein Rundschreiben an die Redaktionen der theaterrelevanten Münchner Zeitungen – der Bayerischen Nationalzeitung, des Landboten, der Landbötin, des Tagsblatts und des Museums –, welchem er den präzisierten §4 der Disziplinar-Satzungen beilegte. Er setzte die Redakteure in Kenntnisse, daß vermöge [der Abschnitte] 2 u. 3 der Beilage […] die Intdz, diese daher von Ihnen bekannte Rechtlichkeit erwarte, daß Sie zu Abwdg. aller Nachtheile für die Theateranstalt und deren Vorstand, welche zu diesem Zwecke Ihnen einen Freyplatz zu ertheilen sich bewogen gefunden hat, zur Aufrechterhaltung der oben angespr. All. Befehle möglichst beytragen werden.237

Der „Freyplatz“ für die jeweilige Redaktion spricht von einer strategischen Beziehung zu den Presseorganen. Küstner wusste, dass er die Journalisten für eine Darstellung seines Theaters in der Öffentlichkeit brauchte, gleichzeitig musste jedoch die zu enge Beziehung zu den Theaterakteuren unterbunden werden. Der Schauspieler war immer noch Teil der höfischen Repräsentations-Struktur und durfte nicht unkontrolliert öffentlich und über seine theatrale Darstellung hinaus wirken, obgleich von Seiten der gesellschaftlichen Öffentlichkeit genau dies immer mehr eingefordert wurde. Die heute gängige Praxis des Schauspieler- und Regisseur-Interviews, das zu einer umfassenden Theaterberichterstattung gehört, war für Küstner und seine Zeitgenossen undenkbar. Gleichzeitig veranlasste Küstner auch einen Anschlag in allen Theaterlogen, der die Schauspieler zur Zurückhaltung bei kritischen Äußerungen anwies: „Auf allerhöchsten Befehl sind den Mitgliedern und ihren Angehörigen alle Zeichen des Beyfalles oder Mißfallens in der Theaterloge sowohl als im gesammten Schauplatze untersagt, so wie von selbst zu erwarten steht, daß die größte Ruhe beobachtet werde.“238 Drei Jahre später legte Küstner seine Neufassung der gesamten Disziplinar-Satzungen vor, die jedoch erst nach seinem Weggang aus München Anfang Februar 1842 in

236

Es erscheint hier ungewöhnlich, dass der Hofschauspieler Carl Carl noch von 1814 bis 1816 das in der Stadt viel gelesene Münchener Theater-Journal mit „hoher Erlaubniß“ herausgibt. Daß dies nicht unumstritten war, erfuhr Carl durch Angriffe des Gesellschafts-Blattes; vgl. etwa Münchener Theater-Journal, 2. Jg., München 1815, 35f. Max Leythäuser äußerte sich abfällig über die Verbindung von Carls journalistischer Tätigkeit mit seiner Verpflichtung als Hofschauspieler; vgl. Max Leythäuser, Die Scheinwelt und ihre Schicksale, Würzburg 19162, 96: „Ferner gestattete Herr von Lamotte [Delamotte] dem Direktor Carl, neben seiner Eigenschaft als Bühnenleiter auch ein ‚Münchener Theaterjournal‘ herausgeben zu dürfen. Was diese Ungehörigkeit aber im Theaterleben bedeutet, bedarf keiner weiteren Auseinandersetzung.“ 237 BayHStA, Intendanz Hoftheatern, Nr. 1032, Rundschreiben an die Zeitungsredaktionen, 27. Februar 1838. 238 BayHStA, Intendanz Hoftheatern, Nr. 1032, Rundschreiben an die Zeitungsredaktionen, 27. Februar 1838, Notiz für den Theatersekretär.

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286 239

Kraft traten. Hier korrigierte Küstner nochmals den §4, dieses Mal musste er den gewandelten Verhältnissen stärker Rechnung tragen und die rigorose Abgrenzung gegen die Presse-Öffentlichkeit etwas lockern. In der nunmehr als §18 bezeichneten Regel wurde der Kontakt zur Presse, die öffentliche Äußerung grundsätzlich ermöglicht, allerdings nur unter Kontrolle der Hoftheaterintendanz. Es wurde dort bestimmt, daß ohne vorerst nachgesuchte und dafür erhaltene Erlaubniß kein Mitglied des Hoftheaters über dasselbe und dessen Leistungen in öffentlichen Blättern schreiben, oder dergleichen Aufsätze in dieselben einsenden, oder befördern [darf].240

Die Hoftheaterintendanz behielt sich hier die oberste Aufsicht über den Weg zur PresseÖffentlichkeit vor, entscheidend war jedoch, dass er nun überhaupt als Möglichkeit betrachtet wurde. Doch nach wie vor blieb der zu enge Kontakt der Theaterangehörigen zur Presseöffentlichkeit suspekt und es kam immer wieder zu ermahnenden Rundschreiben der Intendanz an die Künstler. D a s k ü n s t l e r i s c h e S t r e b e n n a c h Ö f f e n t l i c h k e i t . 1844 übernahm Freiherr von Frays die Hoftheater-Intendanz. Auch er sah sich bereits im ersten Monat seiner Tätigkeit veranlasst, Verstöße gegen den §18 zu ahnden und forderte die Schauspieler auf, „von solch unwürdigem und unedlem, mit wahrer Kunst gänzlich unvereinbaren Treiben“241 Abstand zu nehmen. Zwei Jahre später war Frays wiederum mit Zeitungsartikeln konfrontiert, die seiner Meinung nach zu hart urteilten und „weniger darauf hinzielen, die verschiedenen Leistungen des diesseitigen Personals mit Anstand und der Wahrheit getreu zu beurtheilen, als vielmehr giftige Pfeile gegen einzelne Mitglieder zu verschleudern.“ 242 Er unterstellte den Theaterangehörigen, mit den Zeitungsjournalisten unter einer Decke zu stecken, um die eigene Eitelkeit zu befriedigen und „öffentlichen Gebrauch“243 ihrer hinterhältigen Kollegenschelte zu machen: Solche gehäßige, unwürdige Artikel können nur aus engeren Verbindungen der Mitglieder mit den verschiedenen sogenannten Literaten hervorgehen, was sich bereits zur Gewissheit darstellt und die Veranlaßung zu den böswilligsten Reaktionen bildet.244

Frays brachte nachdrücklich die §§30 (Strafenkatalog), 16 (Achtung des Hofes und der Theaterangehörigen) und 18 (Beziehungen zur Öffentlichkeit) in Erinnerung, die er sich gezwungen sah anzuwenden, sofern „diese auf den Dienst nachtheilig einwirkenden 239

BayHStA, Intendanz Hoftheater, Nr. 1032, gedruckte Fassung der Disciplinar-Satzungen für das Kgl. Hof- und National-Theater zu München, gültig ab 1. Februar 1842. 240 Ebd. 241 BayHStA, Intendanz Hoftheater, Nr. 1032, Disciplinar-Satzungen, Zirkular der Hoftheater-Intendanz, 26. Februar 1844. 242 BayHStA, Intendanz Hoftheater, Nr. 1032, Disciplinar-Satzungen, Zirkular der Hoftheater-Intendanz, 16. September 1846. 243 Ebd. 244 Ebd.

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Verbindungen mit solchen Individuen“ – den Journalisten – nicht nachließen. Paradoxerweise endete er sein drohendes Rundschreiben zu den Vergehen bezüglich der Presse-Öffentlichkeit mit einer Vertrauenserklärung an die Theaterakteure und verlangte von ihnen, das eben Gesagte diskret zu behandeln: Schließlich wird noch ganz besonders darauf aufmerksam gemacht, wie der Unterzeichnete der Ehre eines jeden Kunstmitgliedes vertraut, daß das Gegenwärtige nicht als ein Akt für die Öffentlichkeit sondern als ein Akt des jetzt noch bestehenden Vertrauens angesehen und behandelt werde. –245

Im Zusammenhang mit dem gesamten Rundschreiben liest sich der Schlussappell fast wie ein Test für die Öffentlichkeits- oder auch Geheimnis-Tauglichkeit der Theaterakteure. Es ist nicht weiter überliefert, ob Frays damit die Kontrolle über die Öffentlichkeits-Wege zurückgewinnen konnte, aber erst im Zusammenhang mit der MärzRevolution 1848 wurde die Beziehung zur Presse-Öffentlichkeit als Disziplinar-Sache wieder Thema. Von Januar bis Juli 1848 war Freiherr von Poißl zum zweiten Mal HoftheaterIntendant in München.246 Mit den März-Ereignissen geriet das Theater in eine schwierige Lage. Das Münchner Hoftheater war nicht direkt in revolutionäre und politische Ereignisse involviert wie etwa die Theater in Wien – hier insbesondere die Vorstadttheater, die revolutionäre Gruppen durch eine radikale Umstellung des Repertoires versammelten – und Berlin – wo zum Beispiel das Königstädtische Theater in die Barrikaden-Kämpfe verwickelt war247 und die Nationalversammlung zur preußischen Verfassung von September bis November 1848 im königlichen Schauspielhaus am Gendarmenmarkt tagte.248 Dies lag vielleicht auch daran, dass die revolutionären Kämpfe in 245

BayHStA, Intendanz Hoftheater, Nr. 1032, Disciplinar-Satzungen, Zirkular der Hoftheater-Intendanz, 16. September 1846. 246 Johann Nepomuk von Poißl war zwischen 1823 und 1848 in wechselnden Stellungen am Hoftheater und der Hofmusik tätig. Er war seit 1. Oktober 1823 Hofmusik-Intendant und vom 1. Mai 1824 bis 31. Januar 1833 zusätzlich Hoftheater-Intendant. Während der Intendanz Karl Theodor von Küstners (1. Februar 1833 bis 31. Januar 1842) war Poißl wieder ausschließlich HofmusikIntendant bis zum 1. März 1847, als Graf Pocci diese Stellung übernahm. Vom 1. Januar bis zum 3. Juli 1848 übernahm Poißl zum letzten Mal wieder die Hoftheater-Intendanz. 247 So wurden Bauteile und Möbel aus dem Königstädtischen Theater zum Barrikadenbau verwendet und später fielen Schüsse aus dem Theatergebäude. Zu diesem Vorfall entwickelte sich eine wochenlange Zeitungskontroverse darüber, ob es Schüsse von königlichen Soldaten oder Barrikadenkämpfern waren, also, auf welcher Seite das Theater stand. Vgl. hierzu Lothar Schirmer u. Paul Ulrich, Das Jahr 1848, 176: „Am Abend des 18. d. M. ist allerdings aus dem Königstädtischen Theater auf die Bürger, und zwar mit Erfolg geschossen worden. Diejenigen, welche von dorther Feuer gaben, standen in guter Deckung hinter der Hauptthür des Theaters, und trugen MilitairHelme.“ Wieder-Abdruck eines Berichts aus der Vossischen Zeitung vom 28. März 1848. 248 Am 9. November erfolgte die Ausweisung der im Schauspielhaus tagenden Nationalversammlung aus Berlin nach Brandenburg an der Havel und schließlich am 5. Dezember 1848 die Auflösung der Nationalversammlung und die Oktroyierung der Preußischen Verfassung durch den König. Vgl. hierzu Rüdiger Hachtmann, Berlin 1848. Eine Politik- und Gesellschaftsgeschichte der Revolution,

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München, obgleich sie den Startpunkt der revolutionären Bewegungen in Deutschland bildeten, wesentlich weniger radikal ausfielen als in Berlin und Wien. Für das Münchner Hoftheater brachten die politischen Verhältnisse in erster Linie ein finanzielles Problem. Poißl benannte dies am 31. Mai 1848 in einer Grundsatzrede an das Theaterpersonal: Die gegenwärtigen Zeitverhältnisse, die bekanntlich lähmend auf alle Geschäfte einwirken, und eine Einschränkung in den Ausgaben nicht nur bei Privaten, sondern auch an den Höfen und bei ganzen Staaten nöthig machen, berühren auch die Verhältnisse der Theater auf eine höchst empfindliche Weise. – Das Interesse an politischen Weltzuständen absorbirt die frühere Theilnahme, die sonst den Künsten namentlich dem Theater, zugewendet war, und mehrere große Bühnen Deutschlands, darunter sogar manche Hofbühnen, sind bereits davon auf eine so niederbeugende Weise berührt, daß entweder ein gänzlicher Schluß derselben erfolgen mußte, oder die Fortdauer ihrer Wirksamkeit nur durch Opfer von Seite des bei denselben angestellten Personals bewirkt werden konnte, welches an mehreren Bühnen in bedeutende Verminderungen der Gagen zu willigen sich genöthigt sah.249

Obgleich König Maximilian II. nach seinem Regierungsantritt dem Theater den üblichen Zuschuss aus der Zivilliste weiter garantierte, musste Poißl mit großen Einbußen bei den Zuschauer-Einnahmen rechnen. Daher appellierte er an die Arbeitsmoral und das Eigeninteresse der Theaterkünstler am Erhalt ihrer Arbeitsstätte: Jeder lethargische Zustand muß sich in einen rüstigen, lebendigen verwandeln, alle individuellen Rücksichten müssen dem Gedeihen des Ganzen weichen und nicht nur die gesetzlich vorgeschriebenen Verpflichtungen müssen erfüllt werden, sondern das Publikum muß auch durch den aus den Leistungen hervorleuchtenden Eifer zur Anerkennung des trefflichen Mittels gezwungen werden, der jeden Einzelnen zur Förderung des Heils der Anstalt belebt.250

Voller Einsatz der Künstler für das Theater war erforderlich, um die Krise zu überwinden: Eifrige Leistungsbereitschaft im Dienste der Theaterkunst und Selbstbeschränkung im Streben nach Öffentlichkeit und publizistischer Betätigung wurden verlangt. Poißl übernahm hier die Handlungsmuster politischer Akteure in Zeiten der Revolution: Die Disziplinierung der Presseöffentlichkeit gehörte zu den ersten Aufgaben, um die Kontrolle über die revolutionäre Krise zu gewinnen. Poißl verwies auf den §18 – es ist be-

Bonn 1997, insbes. 746–751. Vgl. auch den Bericht des Intendanten Karl Theodor von Küstner, Vierunddreißig Jahre, 195: „Im September 1848 wurde der Concertsaal im Schauspielhause der Nationalversammlung eingeräumt und letztere verblieb daselbst bis zum Einmarsch der Truppen am 10. November desselben Jahres, worauf am 11. November früh das Schauspielhaus von den Truppen besetzt und am 13. November Berlin in Belagerungszustand erklärt wurde, an welchem Tage das Theater geschlossen blieb. Während der ganzen Zeit, wo die Nationalversammlung im Schauspielhause tagte, war dasselbe ein politischer Centralpunkt. Von früh bis Abends umwogten Menschenmassen dasselbe; auf der großen breiten Treppe wurden, meist von Karbe, Reden politischen Inhalts gehalten und von der versammelten Menge mit Acclamationen begleitet.“ 249 BayHStA, Intendanz Hoftheater, Nr. 1032, Disciplinar-Satzungen, Rede des Hoftheater-Intendanz, 31. Mai 1848. 250 Ebd.

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zeichnenderweise der einzige Paragraph der Disziplinar-Satzugen, den er in der gesamten Rede anführte, – und forderte die Einstellung des Informationsflusses an die Presse: Besonders nöthig findet es der Unterzeichnete noch, das gesammte Kunstpersonal auf die gewissenhafteste Einhaltung der durch den §18 der Disciplinar Satzungen überhaupt ins Besondere aber dort unter No. 3 [btr. Verbreitung nachteiliger Gerüchte über Stücke] gegebenen Vorschriften um so mehr aufmerksam zu machen, als ja nicht nur die Ehre jedes Einzelnen mit der Ehre der Anstalt zusammenhängt, sondern auch die Interessen jener Kasse dabei betheiligt sind, aus welcher Alle die Befriedigung der ihnen eingeräumten Ansprüche erwarten.251

Die März-Revolution brachte auch für die Journalisten in Bayern die lang ersehnte umfassende Presse-Freiheit. In diesem Kontext ist Poißls Versuch der Ermahnung an den disziplinierenden §18 zu sehen. Der Hoftheater-Intendant hielt am 31. Mai 1848 seine Rede. Vier Tage später, am 4. Juni 1848, erging das „Edikt über die Freiheit der Presse und des Buchhandels“, welches die Zensur für alle Druckerzeugnisse und für jede Art „sinnlicher Darstellungen und Mittheilungen an das Publikum“ aufhob. Poißl musste befürchten, dass dies auch die sorgsam regulierten Beziehungen zwischen Theaterakteuren und Presseöffentlichkeit stark beeinflussen würde. D e r I n t e n d a n t u n d d i e P r e s s e . Der Hoftheater-Intendant war in einer exponierten Stellung als Vorstand einer ‚öffentlichen Anstalt‘. Er musste nicht nur die inneren Kommunikationswege zwischen dem Hof und dem Theater verantworten, sondern stand auch als ‚öffentliche Person‘ im Rampenlicht. Insbesondere zu Karl Theodor von Küstner stehen interessante Dokumente zur Verfügung, um in dieser Hinsicht seine Position zu beleuchten. In den Repertoireberichten des Hoftheaters252 etwa finden sich zahlreiche und intensiv geführte Briefwechsel zwischen Karl Theodor von Küstner und Ludwig I. bezüglich Fragen der Besetzung, der allgemeinen Administration und der konkreten jeweiligen Einschätzung von Stücken. So wurde zwischen den beiden etwa die Aufführung des Stückes Monaldeschi von Heinrich Laube diskutiert, die letztlich von Ludwig I. wegen der enthaltenen Religionsfrage (Katholizismus vs. Protestantismus) abgelehnt wurde.253 Auch die ‚Außenbeziehung‘ des Theaters stand hier zur Debatte. So wollte Karl Theodor von Küstner die Erlaubnis erhalten, dem Publikum zuliebe „auf Begehren“ Stücke ins Repertoire zu übernehmen, wie es auch in Berlin am Hoftheater Praxis sei. Diese Bitte lehnte Ludwig I. jedoch kategorisch ab.254 Gleich zu Beginn seiner Intendanz in München versuchte Karl Theodor von Küstner, die Informationswege an die Presse zu kanalisieren. Er verfasste am 27. März 1833 an 251

BayHStA, Intendanz Hoftheater, Nr. 1032, Disciplinar-Satzungen, Rede der Hoftheater-Intendanz, 31. Mai 1848. 252 BayHStA, Intendanz Hoftheater, Nr. 1040, Repertoirsberichte, 1833–1852. 253 BayHStA, Intendanz Hoftheater, Nr. 1040, Repertoirsberichte, 1833–1852, Schreiben Küstners an den König, 30. November 1841, Notiz des Königs vom 3. Dezember 1841. 254 BayHStA, Intendanz Hoftheater, Nr. 1040, Repertoirsberichte 1833–1852, Schreiben Küstners an den König, 7. März 1835, Notiz des Königs vom 12. März 1835.

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alle Münchner Zeitungen ein Rundschreiben, in dem er die Redaktionen dazu aufforderte, jeweils zwei Tage im Voraus im Theaterbureau die Anzeige der nächsten Vorstellung einzuholen, um dem Abdruck des Repertoires „die gehörige Verlässigkeit zu geben und dadurch jedem Irrthum möglichst vorzubeugen“255. Karl Theodor von Küstner überwachte die Richtigkeit der Angaben in den Zeitschriften256 und auch deren Quellen – der Wert der Nachrichten über das Theater wurde hoch taxiert. Im autobiographischen Resümee seiner Intendantenlaufbahn, Vierundreißig Jahre meiner Theaterleitung (1853), führte Karl Theodor von Küstner aus, inwiefern der Intendant grundsätzlich, und insbesondere er selbst in München, der öffentlichen Kritik ausgesetzt gewesen sei, und inwiefern seine Reformbemühungen im Inneren der Institution Widerstand erzeugten: Eine Menge nachtheiliger falscher Gerüchte über ihn [den Intendanten], seine Maßregeln und die Resultate seiner amtlichen Thätigkeit werden systematisch immer wiederholt, mündlich in Blättern, ja in Broschüren von den Gegnern des Intendanten verbreitet, welche er in und außer dem Theater in allen Denen findet, deren Wünsche und Verlangen nicht erfüllt werden […]257

Karl Theodor von Küstner behauptete weiter, er hätte sich ebenso der Öffentlichkeit bedient, um diesen Angriff abzuwehren und das öffentliche Bild des Intendanten und seiner Institution zu berichtigen: „Verbreitete Unwahrheiten und Verleumdungen, meine dienstliche Wirksamkeit betreffend, berichtigte ich öffentlich und scheute auch hierin nicht die Oeffentlichkeit, wie ich glaube, häufig zu meinem Besten.“258 Ähnlich wie schon anhand der Berliner Öffentlichkeitssituation zwischen Presse und Theater dargestellt259 , entsteht auch hier der Eindruck eines ‚öffentlichen Kampfplatzes‘, den der Hoftheater-Intendant aus Schicklichkeitsempfinden nicht von alleine suchen sollte, aber ihn im Zweifelsfall nicht scheute, um für die gerechte Sache, nämlich das Theater und die eigene Person, einzutreten. Insbesondere sein Buch Vierunddreißig Jahre meiner Theaterleitung von 1853 war nichts anderes als die detaillierte Darlegung seiner beruf255

BayHStA, Intendanz Hoftheater, Nr. 1040, Repertoirsberichte, 1833–1852, Zirkular der HoftheaterIntedanz an die Redaktionen der Zeitungen, 27. März 1833. Die unzuverlässige ProgrammInformation durch die Zeitungen führte immer wieder zu Debatten und Auseinandersetzungen zwischen der Presse und den Theatern. Vgl. hierzu etwa auch die Beschwerde Franz Pokornys, Direktor des Theater an der Wien, am 27. November 1847 gegen Saphir wegen des Abdrucks „unwahrer Notizen“. Porkorny hielt dies für geschäftsschädigend, da der Widerruf zur Verwirrung des Publikums und letztlich zur Rufschädigung des Theaters führen würde; OESTA Wien, AVA, Polizeihofstelle, 463/1848, Saphir, Pokorny – Humorist, Bl. 13–20, Eingabe Pokornys vom 27. November 1847. 256 Vgl. etwa seine Rüge an die Redaktion des Museums vom 8. April 1836, die vorgezeichneten Kommunikationswege nicht zu verlassen. Das Museum hatte das ganze Wochenrepertoire abgedruckt, das es nur unter der Hand von Theaterangehörigen erhalten haben konnte. Küstner verwies auf das 1833 vorgezeichnete Procedere über das Theaterbureau (s.o.); vgl. BayHStA, Intendanz Hoftheater, Nr. 1040, Repertoirsberichte, 1833–1852, Schreiben an die Redaktion des Museums, 8. April 1836. 257 Karl Theodor von Küstner, Vierunddreißig Jahre, 92f. 258 Karl Theodor von Küstner, Vierunddreißig Jahre, 93. 259 Vgl. Kap. 4.1., 140–168.

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lichen Erfolge und die ausführliche öffentliche Rechtfertigung seines Handelns als Intendant. Die öffentliche Auseinandersetzung schien der Intendanten-Position grundsätzlich beizuhaften; auch der Vorgänger von Küstner, Johann Nepomuk von Poißl, suchte diese, um seine „dienstliche Wirksamkeit“ zu rechtfertigen. Johann Nepomuk von Poißl war sehr kurzfristig und überraschend durch Karl Theodor von Küstner als HoftheaterIntendant 1833 ersetzt worden. Im Gegensatz zu Küstner bewertete Poißl gerade in der Anfangsphase der neuen Intendanz am Münchner Hoftheater die Presse keineswegs als Hindernis, sondern beschwerte sich im Gegenteil bitter über den ‚Jubelton‘ der Zeitungen über Küstners ‚Neuerungen‘ am Theater, die im gleichen Atemzug ihn als Vorgänger stark kritisierten. Poißl setzte sich mit der Veröffentlichung einer Broschüre zur Wehr „als abgedrungene Erwiederung auf viele in öffentlichen Blättern erschienene Schmähungen,“260 um seinerseits seine Verdienste am Hoftheater darzustellen: Seit den vierzehn Monaten der Wirksamkeit der gegenwärtigen Hoftheater-Intendanz vergieng kaum eine Woche, in der nicht in irgend einem hiesigen oder auswärtigen Blatte neben den unmäßigsten Lobeserhebungen der gegenwärtigen Führung irgend eine mehr oder wenig derbe, immer aber gleich lügenhafte Invective gegen die zunächst frühere Leitung erschien, und ich konnte noch von großem Glücke sagen, wenn es nur bey, meine Führung in den Koth tretenden Vergleichungen blieb, und nicht häufig Behauptungen aufgestellt wurden, welche sogar der Ehre des frühern Vorstandes zu nahe treten, und ihn der Verletzung seiner Pflichten anklagen.261

Es ging Poißl dabei um die Wiedergewinnung der Gunst des Publikums, das dadurch in die Lage versetzt wäre, „sowohl den Vergleich zwischen der vorigen und jetzigen Führung selbst zu ziehen, als auch die Unverschämtheit und Unwahrheit der gegen meine Verwaltung erhobenen Beschwerden gründlich zu beurtheilen.“262 Dass es unterschwellig auch um die Wiedergewinnung der höfischen Gunst ging, scheint offensichtlich – der öffentliche Umweg bot sich an, wenn Küstners Person und Stellung den direkten Weg verstellten. Beide Intendantenpersönlichkeiten, Küstner und Poißl, reagierten höchst empfindlich auf die öffentliche Kritik und sahen sich veranlasst, öffentlich zu kontern. Es wäre zu einfach die Reaktionen der Intendanten an dieser Stelle einfach durch die persönliche Disposition ausgeprägter Eitelkeit zu erklären. Vielmehr muss man sich vor Augen halten, dass die unverblümte öffentliche Kritik an höfischen Beamten, und das sind Poißl und Küstner in ihrer Amtszeit, eine nicht gewöhnliche Erscheinung war. Während nun im preußischen Berlin in den 1820er Jahren Graf von Brühl sich mittels königlicher 260

So im Titel der Broschüre: Johann Nepomuk von Poißl, Beleuchtung eines Artikels in Nro. 64. des heurigen Jahrgangs der ‚Leipziger Theater-Chronik‘ betitelt: „Königliches Hof- und NationalTheater zu München. Intendant: K. Th. Küstner.“ Als abgedrungene Erwiederung auf viele in öffentlichen Blättern erschienene Schmähungen der vorigen Führung dieser Königlichen Kunstanstalt, München 1834. 261 Johann Nepomuk von Poißl, Beleuchtung eines Artikels, IVf. 262 Johann Nepomuk von Poißl, Beleuchtung eines Artikels, VI.

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Verordnungen gegen einen solchen unerhörten Anspruch der Journalisten auf umfassende Kritik noch weitgehend erwehren konnte,263 sah die bayerische Pressepolitik in den 1830er Jahren keine direkten Möglichkeiten vor, die Debatte um Handlungsweisen der Hoftheater-Intendanz aus den Blättern zu verbannen.

Abb. 9: Karl Theodor von Küstner (1784–1864)

Karl Theodor von Küstner musste dies 1835 in einer Auseinandersetzung mit dem Münchner Tagblatt erfahren. Anfang Februar 1835 hatte diese Zeitung in mehreren aufeinander folgenden Artikeln harsche Kritik am Führungsstil Küstners abgedruckt. Aufgebauscht wurde das Thema noch dadurch, dass ein Verteidiger Küstners einen Gegenartikel an die 263

Vgl. Kap. 4.1., 140–168.

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Zeitung einsandte, welchen diese auch abdruckte. Dadurch entstand der Eindruck, Küstner hätte jemanden mit seiner Verteidigung beauftragt, oder gar selbst zur Feder gegriffen. Küstner schrieb einen Beschwerdebrief264 an den König und forderte, dass künftig der Abdruck solcher ‚Invectiven‘ verhindert werde sollte. Er erhielt am 20. März 1835 vom Innenministerium folgende Antwort: Artikel über das Theater sind weder Gegenstand der äusseren noch Gegenstand der inneren Politik. Dieselben können daher auch abgesehen von den gegenwärtigen bestehenden Vollzugs Vorschriften zum §2. der dritten Verfassungsbeilage einer Censur unter keiner Normensetzung unterstellt werden. Wo daher nicht aus dem Grunde der §§ 3. [Geheimnisverrat von Staatsdienern] 6. [strafrechtliche Übertretungen] oder 7. [Majestätsbeleidigung, Staats- und Religionsbeleidgung, Agitation zum Aufruhr], offizielle Einschreitung wegen nicht censirbarer Artikel einzutreten hat, kann aus Anlaß von Zeitungsaufsätzen, welche Angriffe auf Privat-Personen oder Staatsdiener enthalten, daher nur dasjenige Verfahren Platz greifen, worüber das angeführte Edikt in seinen §§ 10. und 11. die Vorschriften ertheilt.265

Das Innenministerium gab Karl Theodor von Küstner zur Antwort, dass grundsätzlich Theaternachrichten nicht der Zensur unterworfen werden könnten. Da die §§3, 6 und 7 des „Edict über die Freyheit der Presse und des Buchhandels“ (26. Mai 1818)266 in seinem Falle nicht greifen konnten, kam nur die nachträgliche Beschlagnahme von Drucksachen bei rechtswidrigen Angriffen auf Privatpersonen in Frage, wenn diese ein Gerichtsverfahren einleiteten (§10). So war Küstner zunächst an die Gerichte verwiesen und konnte nur durch eine Klage gegen die Zeitung vorgehen. Dass er damit ungeheuren Staub aufwirbeln und letzten Endes das genaue Gegenteil einer Befriedung der öffentlichen Meinung erreichen würde, musste allen involvierten Stellen klar sein. Doch Karl Theodor von Küstner bekam vom Innenministerium ein verdecktes Angebot. Da das Münchner Tagblatt wegen politischer Artikel grundsätzlich unter Zensur stand, hatte die Zensur-Stelle die Möglichkeit, vor der Drucklegung, alle Artikel, auch die Theaternachrichten, einzusehen. Und so eröffnete sich für Küstner eine wichtige amtliche Informationsquelle: In dieser Beziehung ist der k. Polizeydirektor angewiesen, von etwa in den Tagblättern vor ihrer Ausgabe wahrgenommenen injuriösen Artikeln rechtzeitig der k. Hoftheater Intendanz Nachricht zu geben. Nachdem das Münchner Tagblatt übrigens wegen Ausdehnung seiner Mittheilungen auf Gegenstände der äusseren Politik neuerlich in Ansehung solcher Artikel der Censur untergeben worden ist, und zensirte Blätter gemischten Inhalts ihrem vollen Inhalte nach zur Kenntniß der Censur Behörde gelangen, ist damit zugleich dem Censor die vorläufige 264

Vgl. BayHStA, MInn, Nr. 45512 Hoftheater Intendanz zu München, Beschwerde derselben gegen das Münchner Tagblatt, Schreiben Küstners an den König, von Küstner falsch datiert auf den 15. März 1835. Da die beanstandeten Zeitungsartikel vom 2. bis 14. Februar 1835 stammten und der Innenminister Ludwig Fürst von Oettingen-Wallerstein bereits am 4. März 1835 gegenüber dem König zu den Inhalten des Küstner-Briefes Stellung nahm, kann man davon ausgehen, dass Küstner den Brief bereits am 15. Februar 1835 an den König geschrieben hat. 265 BayHStA, MInn, Nr. 45512 Hoftheater Intendanz zu München, Beschwerde derselben gegen das Münchner Tagblatt, Schreiben des Innenministeriums an die Hoftheater-Intendanz, 20. März 1835. 266 Veröffentlicht in Gesetzblatt für das Königreich Baiern, 24. Juni 1818, 181ff.

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Einsicht in alle nicht censirbaren Artikel des Blattes und die volle Gelegenheit gegeben, der Polizeybehörde auf etwaige Beschlagnahme nach §§ 3.6.7.10. und 11. rechzeitige Nachricht zu geben.267

Dadurch ergab sich für Küstner die Möglichkeit, steuernd auf die Presseöffentlichkeit einzuwirken: Entweder indem er vor der Veröffentlichung direkt bei der Redaktion intervenierte oder das Gericht anrief und so eventuell die Vorab-Beschlagnahme schon vor der Veröffentlichung erreichen konnte. Es ist im Weiteren aus den Akten leider nicht zu ermitteln, ob Küstner diese Maßnahmen gegen das Tagblatt je ergriffen hat. Im München des Vormärz war der Intendant eine öffentliche Person in einer Art exponierter Schwellenposition: Zum einen war er der Vorstand einer zunehmend bürgerlichen öffentlichen Institution, zum anderen war er noch immer in die höfische Struktur involviert und konnte auf deren Kontrollmechanismen zurückgreifen, die immer noch jenseits von öffentlicher Auseinandersetzung funktionierten. Dadurch hatte der Intendant, wie am Beispiel Küstners gezeigt, durchaus effektive Möglichkeiten, die PresseÖffentlichkeit zu regulieren. Auf der anderen Seite entging der gesellschaftlichen Öffentlichkeit diese ambivalente Stellung des Intendanten nicht und er wurde dadurch zur beliebten Zielscheibe öffentlicher Kritik. T h e a t r a l e s E r e i g n i s u n d G e g e n w a r t . Das Theater bot das Potential, politische und soziale Gegenwart und die anwesenden Theater-Teilnehmer (Zuschauer und Akteure) kritisch aufeinander zu beziehen. Daher galt es insbesondere, die ‚brenzlige‘ Situation der Theateraufführung zu regulieren. Diese Regulierung erstreckte sich auch auf die öffentlichen Thematisierung des Gegenwarts-Geschehen durch die Theaterangehörigen. So brachte etwa Küstner in einem Zirkular dem Theaterpersonal am 1. Juli 1836 die dahingehend wirkende Hausordnung in Erinnerung: Die k. Intendanz hegt das feste Vertrauen, daß Alles, was gegen die Regel der Ordnung und des Anstandes anstößt, als: Mitführen der Hunde, Tabakrauchen, Andeutung der Gegenwart durch Namen, Zeichen, Denksprüche an Mauern und Säulen etc. etc. ohnehin sorgfältig von Jedermann vermieden werde.268

Hier werden anstößige Verhaltensweisen zusammengestellt, die auf den ersten Blick keine Ähnlichkeiten aufweisen. Doch das Tabakrauchen, über seine feuerpolizeiliche Dimension hinaus, und die „Andeutung der Gegenwart“ hatten beide etwas mit dem öffentlichen Raum zu tun. So konnte etwa der Verstoß gegen das Verbot des öffentlichen Tabakrauchens als oppositionelles Verhalten gewertet werden; in der Zeit war das

267

BayHStA, MInn, Nr. 45512, Hoftheater-Intendanz zu München, Innenministerium an HoftheaterIntendanz, 20. März 1835. 268 BayHStA, Intendanz Hoftheater, Nr. 1032, Zirkular der Hoftheater-Intendanz, 1. Juli 1836. Obgleich offensichtlich die Anwesenheit eines Hundes im Theater der Anlass des Schreibens ist, so ist diese Zusammenstellung anstößigen Verhaltens doch bezeichnend.

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Rauchen auf der Straße eine der Spielarten von Protestverhalten. Der öffentliche Maueranschlag war sicherlich eine der aktuellsten Medienformen und wurde gerade im Zusammenhang mit ‚Unruhe‘ und ‚Tumult‘ gesehen.270 Nicht selten tauchten solche Maueranschläge auf, um Zusammenkünfte und Versammlungen kurzfristig einzuberufen. Und diese Erscheinungen waren politisch brisant und höchst verdächtig. Die Theaterangehörigen wurden in ihrer Hausordnung explizit zur Abstandwahrung von solchen gegenwartsbezogenen politischen Äußerungen aufgefordert. Die dem Theaterschauspieler nahe liegendste Form des Gegenwartsbezugs war die improvisierte Rede während der Aufführung. Die Einhegung solcher Möglichkeiten gehörte daher zu den vordringlichsten Feldern der Disziplinar-Ordnungen. Schon 1829 wurde daher im §16 das Extemporier-Verbot nachdrücklich festgeschrieben: Keinem Schauspieler oder Sänger ist es gestattet, an seiner Rolle ohne Vorwissen der Intendanz irgend eine Aenderung durch Auslassen, Einlagen fremdartiger Stücke, Extemporiren, u.s.w. zu machen. Wer hierin einen Wunsch vorzubringen hat, wird solchen dem Regisseur noch vor der Hauptprobe eröffnen, und den ihm von demselben aus eigener Zuständigkeit, oder auf Entscheidung der Intendanz zugehenden Weisung bey Vermeidung der in §1 und 3 bestimmten Strafen Folge leisten.271

Das Extemporier-Verbot galt nach wie vor in den neuen Disziplinar-Satzungen von 1842 (§77), allerdings wurde es nun explizit auch auf „nicht vorgeschriebene Aktionen und Handlungen“272 ausgedehnt.273 Nicht nur improvisierte Dialoge, sondern auch spontane Gesten, Mimik und Interaktionen erschienen zu riskant und mussten reguliert werden. Wenn man sich die Auflistung der tatsächlich exekutierten Disziplinarstrafen genauer anschaut, so entsteht der Eindruck, die Hoftheater-Angehörigen hätten sich sehr selten einen Verstoß gegen das Extemporier-Verbot erlaubt. Im Register der Diszipli269

Vgl. zur Geschichte und politischen Dimension des Tabakrauchens im Berlin des Vormärz und der Revolution Oliver Briese, „Jleechgültigkeit und rochen im Thierjarten“, in Peter Stein, Florian Vaßen und Detlev Knoop (Hg.), 1848 und der deutsche Vormärz (= Jahrbuch Forum Vormärz Forschung), Bielefeld 1997, 27–42. 270 Vgl. etwa hierzu den Bericht von Franz Heinrich Ungewitter über die belgische Revolution von 1830, wo er von die Revolution ankündigenden Maueranschlägen berichtet in Franz Heinrich Ungewitter, Geschichte der Niederlande, Bd. 2, Leipzig 1832, 255: „Schon am 23. fand man in mehreren Stadtvierteln folgenden Anschlag angeheftet: Montag: ‚Feu d’artifice‘, Dienstag: ‚Illumination‘, Mittwoch: ‚Revolution‘.“ 271 BayHStA, Intendanz Hoftheater, Nr. 1032, Disciplinarsatzungen, Disziplinar-Satzungen vom 30. Dezember 1828, in Kraft getreten am 4. Januar 1829. 272 BayHStA, Intendanz Hoftheater, Nr. 1032, gedruckte Fassung der Disciplinar-Satzungen für das Kgl. Hof- und National-Theater zu München, gültig ab 1. Februar 1842, 49. 273 Bereits 1837 verordnete die Hoftheater-Intendanz auf Weisung des Königs die Ausdehnung des Extemporier-Verbots: „Nicht nur, daß wörtliche Einschaltungen nicht gestattet, so sollen auch nicht vorgeschriebene Aktionen und Handlungen wegfallen, vor allem solche, die aus dem Ritus einer Religion entlehnt sind […]“ In: BayHStA München, Intendanz Hoftheater, Nr. 1032, DisciplinarSatzungen, Zirkular der Hoftheater-Intendanz, 7. Mai 1837. Hervorhebung im Original.

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narstrafen sind für den Zeitraum von 1829 bis 1848 nur drei Fälle aufgezeichnet. Der Hofschauspieler Ferdinand Lang erhielt im Februar 1837 zwei Mal 24stündigen Polizeiarrest wegen wiederholten Extemporierens in dem Stück Eulenspiegel.275 Der Hofsänger Eduard Sigl musste mehrere Geldstrafen bezahlen, weil er „in der Posse: Kobold am 19ten November 1843 ohne Vorwissen des k. Intendanz-Vorstandes u. des betreffenden Regisseurs – auf die Theuerung u. Polizey-Stunde bezügl. Couplets gesungen“276 hatte und weil er unerlaubt gesprochenen Text in der Oper Zar und Zimmermann (28. Juli 1844) eingefügt hatte.277 Die Teuerung war in der Tat ein prekäres Thema zu der Zeit,278 die hohen Preise riefen großen Unmut in der Bevölkerung hervor. Zum letzten Vergehen in Lortzings Oper gibt es keine weiteren Hinweise. Als Sigl ein drittes Mal – am 9. August 1844 – bei der Aufführung der Oper Die beiden Schützen ein von der Intendanz nicht authorisiertes Couplet vortrug, kam es zu einem Kompetenzengerangel zwischen dem Intendanten von Frays und dem Regisseur Heigel. Frays erteilte Sigl und Heigel einen strengen Verweis, ersterem wegen des Extemporier-Verbots, letzterem, weil er seine Kontrollpflicht vernachlässigt habe. Heigel wehrte sich dagegen, indem er anführte, in den Disziplinar-Satzungen wäre durchaus der Fall vorgesehen, dass der Regisseur unbedenkliche Textveränderungen eigenverantwortlich zulassen könnte, und, er hätte das Couplet über zufälligen und ungerechtfertigten Reichtum passieren lassen, da es ihm zwar wenig pointiert, aber durchaus nicht anstößig erschienen wäre. Heigel äußerte hier zudem die Ansicht, die Form des Couplets dürfte nicht zu stark eingeschränkt werden, da es vom Publikum als ‚würzende Zutat‘ gewünscht wäre. Die finanziellen Bühnen-Verhältnisse hingen von den Zuschauern ab, daher dürfte es nicht zu einer zu großen Beschränkung der komischen Momente kommen.279 Heigel legte den Text der fraglichen Couplet-Strophen bei. Der Hoftheater274

BayHStA, Intendanz Hoftheater, Nr. 1041, Disziplinar-Strafen (1829–1863). Ebd., Amtliche Vormerkung der zur Anzeige gebrachten und nach Vorschrift der Satzungen des königlichen Hoftheaters abgewandelten Straffälle vom Jahre 1829 bis mit 1842 den 1. Februar, Eintrag Nr. 52 und 53. 276 Ebd., Amtliche Vormerkung der zur Anzeige gebrachten, und nach der Vorschrift der DisciplinarSatzungen des Königlichen Hoftheaters abgewandelten Straffälle vom Monate July 1842 an, Eintrag Nr. 191. Hervorhebung im Original. Sigl muss hierfür „3 Kr. vom Gulden einer Monats-Gage pp 83 f 20 kr“ Strafe zahlen. 277 BayHStA, Intendanz Hoftheater, Nr. 1041, Disziplinar-Strafen (1829–1863), Acten das Extemporiren des Königlichen Hof- und Hofopern-Sängers Eduard Sigl in „Czaar u. Zimmermann“ u. durch Couplets in „Die beiden Schützen“ betr. 1844, Brief des Regisseurs Lenz an die HoftheaterIntendanz vom 2. August 1844. 278 Die Lebensmittelpreise stiegen im Jahr 1843 stark an. So kostete etwa ein Scheffel Kartoffeln 1842 noch 4 fl. 17 kr., 1843 schon 5 fl. 14 kr. Ein Pfund Schweinefleisch hatte 1842 einen Preis von 10 kr. 5 hl., 1843 schon 14 kr. 3 hl. Alle Angaben aus Hummel, Karl-Joseph: München in der Revolution von 1848/49. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 333, Tabelle 112. 279 Vgl. BayHStA, Intendanz Hoftheater, Nr. 1041, Acten das Extemporiren des Königlichen Hof- und Hofopern-Sängers Eduard Sigl in „Czaar und Zimmermann“ u. durch Couplets in „Die beiden Schützen“, 1844, Schreiben des Regisseurs Heigel an die Hoftheater-Intendanz, 13. August 1844. 275

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Intendant von Frays antwortete umgehend am 17. August 1844 und versuchte, seinen wegen des Verweises aufgebrachten Regisseur zu beschwichtigen. Der Inhalt des Couplets wurde in keiner Zeile mehr erwähnt, Eduard Sigl erhielt keine weitere Disziplinar-Strafe. Auch der Schauspieler Carl Jost kam Ende 1844 mit einem Verweis davon. Hier ging es direkt um die Beziehung des Theaters zur Presseöffentlichkeit. Carl Jost wurde ernsthaft verwarnt und im Wiederholungsfalle mit einer „treffenden Disciplinarstrafe“ bedroht, weil er von der Bühne herab einen Journalisten provoziert hatte. Dies würde die Veranlassung zu persönlichen Angriffen gegen das Personal in öffentlichen Blättern geben.280 Es drohte ein Zeitungskrieg gegen das Theater. 281 Und das musste vom Intendanten unbedingt verhindert werden. Bis 1848 ist keine weitere Disziplinierung wegen Extemporierens in den Akten verzeichnet. Dies und die oben erläuterte Rede des Intendanten Poißl im Mai 1848 könnten Hinweise auf eine Dominantenverschiebung liefern. Poißl erwähnte das ExtemporierVerbot überhaupt nicht. Für ihn war das wesentliche Problem vielmehr die Beziehung der Theaterangehörigen zur Presseöffentlichkeit und der strategisch-politische Umgang mit internen Informationen aus der Theateranstalt. Aber nicht nur das, was auf der Bühne passierte, sondern auch die Beziehung, die in der Aufführungssituation zwischen den Zuschauern und den Akteuren geknüpft wurde sowie das performative Verhalten des Publikums stellten ein Risiko im öffentlichen Operationsfeld des Theaters dar. Insbesondere in dem Moment, wenn die Schauspieler aus ihren Rollen traten und sich immer noch im öffentlichen Raum der Bühne befanden, musste verhindert werden, dass es zu exzessivem Verhalten kam – wenn die Schauspieler dem Publikum gegenüber traten, um sich dem Applaus zu stellen. Oder sie taten es nicht bzw. zögerlich und verursachten Unruhe beim Publikum, was die HoftheaterIntendanz 1837 anmahnte: Schon seit längerer Zeit besteht der Uebelstand, daß, wenn die königl. Regie die Mitglieder, die gerufen werden, herauszugehen auffordert, dieselben, entweder nur nach langem Zögern, oder gar nicht dieser Aufforderung nachkommen, welches theils ein langes, lautes Rufen von Seite des Publikums, das die schuldige Rücksicht für den Allerhöchsten und Höchsten Hof nicht gestattet, veranlaßt, theils auch zu vielfältigen, dem Institut und dessen Mitgliedern nachtheiligen gedruckten und mündlichen Bemerkungen die Veranlassung giebt.282 280

Vgl. BayHStA, Intendanz Hoftheater, Nr. 1032, Disciplinar-Satzungen, Schreiben der HoftheaterIntendanz an den Schauspieler Carl Jost, 4. Dezember 1844. 281 Es war nicht zu ermitteln, um welchen Journalisten es sich handelte, aber man ist hier an den Theaterskandal um den Journalisten Gerhard Stadelmeier und den Schauspieler Thomas Lawinsky am 16. Februar 2006 erinnert, als letzterer den Theaterkritiker während der Aufführung eines IonescoStückes am Schauspiel Frankfurt aggressiv anging, ihm den Notizblock wegriss und höhnte „Mal sehen, was der Kerl da schreibt.“ Stadelmeier verließ unter Beschimpfungen Lawinskys das Theater und antwortete mit einer Medienoffensive. Lawinsky kündigte wenig später am Frankfurter Schauspiel, um seiner Entlassung zu entgehen. 282 BayHStA München, Intendanz Hoftheater, Nr. 1032, Disciplinar-Satzungen, Zirkular der Hoftheater-Intendanz, 29. Mai 1837.

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Es ist nicht klar, warum die Schauspieler das Publikum „schon seit längerer Zeit“ derart warten ließen. Aber dies war ein wiederholt auftauchendes Problem, das immer wieder durch Zirkulare der Intendanz angemahnt wurde. In einer Bekanntmachung findet sich der Hinweis auf ‚Künstlerlaune‘. Am 9. Februar 1839 hatte die Primadonna van Hasselt sich nach der Aufführung der Oper Euryanthe nicht zum Heraustreten bewegen lassen, woraufhin auch die anderen Sänger nicht ohne ihren Star vor den Vorhang treten wollten.283 Man kann vermuten, dass auch dieser Teilaspekt von ‚Medienpraxis‘, nämlich die reibungslose Applausordnung vor einem bürgerlichen Publikum, noch nicht routiniert und selbstverständlich von statten ging. Das zögerliche Hinaustreten der Schauspieler provozierte die Zuschauer, so dass es zu Unmutsäußerungen kam und zu einer schlechten Beurteilung in den Zeitungen. Aber noch schwerwiegender war im Prinzip die Abweichung von der Routine, die den kritischen Moment des öffentlichen Auftritts außerhalb der Rolle normalerweise sichernd rahmte. Wenn die Schauspieler nicht erschienen, fing das Publikum an zu toben, was wiederum eine exzessive Reaktion der Schauspieler erwarten ließ. Hier könnte eine Aktionsspirale in Gang gesetzt werden, welche für die öffentliche Ordnung des Theaters bedrohlich werden könnte. Das Problem der Regulierung dieses ‚Schwellenmoments‘ wird in den Akten zu den Disziplinar-Satzungen regelmäßig wiederkehrend thematisiert. Zwei Jahre später, am 14. Februar 1839, musste den Theaterangehörigen sogar mit einem Einblatt-Druck nachdrücklich die reibungslose ‚Abwicklung‘ dieses kritischen Moments abverlangt werden, da der Hof und das Publikum entgegen der ihnen schuldigen Achtung wiederum lange warten mussten, „bis die gerufenen Mitglieder erschienen und durch dieses Ausbleiben ein lang dauernder, unanständiger Lärm herbeigeführt wurde.“ 284 Und dieser Lärm konnte leicht in eine gefährliche Situation des Aufruhrs entgleiten. Doch auch wenn die Schauspieler und Sänger beim Applaus sofort pflichtschuldig erschienen, so musste dennoch die Aktionsmöglichkeit eingeschränkt werden. Nach den Disziplinar-Satzungen von 1829 war nach §20 jedem Bühnenakteur lediglich „die Aeußerung seines Dankes, nicht aber ein Haranguiren des Publikums, ein Beziehen auf andere Bühnen-Glieder, u.dgl. gestattet.“285 Der Schauspieler durfte nicht vom vorgesehenen Ablauf abweichen und „eine öffentliche, feierliche Rede halten; das Wort führen,“286 wie das Brockhaus Conversations-Lexikon von 1809 für den Begriff „haranguiren“ angibt. In den Disziplinar-Satzungen von 1842 war der Ausdruck des Dankes

283

Vgl. BayHStA, Intendanz Hoftheater, Nr. 1032, Disciplinarsatzungen, Bekanntmachung, EinblattDruck, 14. Februar 1839. 284 Ebd. 285 BayHStA, Intendanz Hoftheater, Nr. 1032, Disciplinarsatzungen, Disziplinar-Satzungen vom 30. Dezember 1828, in Kraft getreten am 4. Januar 1829. 286 Brockhaus Conversations-Lexikon, Bd. 7, Amsterdam 1809, 432.

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sogar nur noch „durch eine stumme Verbeugung, nicht durch Worte auszusprechen,“287 so weit galt es, den öffentlichen Bühnenauftritt zu begrenzen. Der Verstoß gegen diese Bestimmung wurde mit der gleichen Strafe belegt wie das unstatthafte Extemporieren, wenn „der Schauspieler während der Darstellung selbst unschicklicher Weise aus seiner Rolle treten, und zum Publikum sprechen sollte.“288 Die öffentliche Kontaktaufnahme mit dem Publikum von der Bühne herab stellte eine Herausforderung für das Regulierungsbestreben der Hoftheater-Intendanz dar. Robert Prutz konnte 1844 am Berliner Hoftheater eine Regulierungslücke nutzen, da er als Dramatiker nicht unter solche gängigen Theaterdisziplinarien gerechnet werden konnte.289 Die Kontroll- und Regulierungswelle, die seine ungebührliche Rede an das Publikum auslöste, gibt Zeugnis von der Schwere dieses Vergehens und des Stellenwerts der Bühne als öffentliches Forum mit politischem Potential. Die Disziplinar-Satzungen von 1842 gingen so weit, den Kontakt zwischen Bühnenakteuren und Zuschauern im Theater weit reichend zu unterbinden: „Niemand, der in einer Vorstellung aufzutreten hat, oder aufgetreten ist, darf vor oder nachher sich unter die Zuschauer mischen, auch selbst nicht in den Theaterlogen, bei Strafe einer Tagesgage.“290 Die beiden Gruppen potentieller Öffentlichkeitshandlungen mussten streng getrennt gehalten werden. Wo dies nicht geschah, war die Gefahr des Theatertumults nahe liegend. Z u s c h a u e r - K o n t r o l l e . Der Theaterexzess war zu vermeiden, das Publikum musste in den Schranken gehalten werden. Wir haben es nach 1800 generell mit einer zunehmenden Regulierung des Publikums zu tun, die genau mit der Transformation der Publikumsschichten zu tun hat. Bezeichnend hierfür ist etwa das „Publicandum“, das 1823 im Berliner Schauspielhaus „und an anderen Orten zu Jedermanns Kunde“291 angeschlagen wurde, und das Verhalten von Schauspielern und Zuschauern im Theaterraum zu disziplinieren suchte. Neben dem Verbot des ‚Haranguierens‘ und ‚Extemporierens‘ für Schauspieler ging es hier um das sittliche und angemessene Agieren der Zuschauer: Das Publikum wird ebenmäßig ernstlich angewiesen, sich aller Störungen im Schauspielhause zu enthalten, und Niemand, ohne Unterschied des Standes oder Ranges, darf etwas unternehmen, wodurch die Vorstellung unterbrochen, oder die Aufmerksamkeit der Zuhörer gestört werden könnte, wozu namentlich das laute Rufen, Pfeifen, Zischen und Poltern gehört. Am wenigsten kann es gebilligt werden, wenn aus persönlichen Gründen, oder aus Partheilichkeit gegen einen Schauspieler öffentliche Unruhen und Zänkereien veranlaßt werden.292 287

BayHStA, Intendanz Hoftheater, Nr. 1032, Disciplinarsatzungen, gedruckte Fassung der Disciplinar-Satzungen für das Kgl. Hof- und National-Theater zu München, gültig ab 1. Februar 1842, §83, 52f. 288 BayHStA, Intendanz Hoftheater, Nr. 1032, Disciplinarsatzungen, gedruckte Fassung der Disciplinar-Satzungen für das Kgl. Hof- und National-Theater zu München, gültig ab 1. Februar 1842, §83, 53. 289 Vgl. Kap. 4.3., 201f. 290 BayHStA, Intendanz Hoftheater, Nr. 1032, Disciplinarsatzungen, gedruckte Fassung der Disciplinar-Satzungen für das Kgl. Hof- und National-Theater zu München, gültig ab 1. Februar 1842, §84, 53. 291 GStA, I. HA Rep. 77, tit. 1000, Nr. 3, Bl. 3, Publicandum vom 19. Januar 1823. 292 Ebd.

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Es wurde gleichzeitig angekündigt, dass bei Zuwiderhandlung die polizeilichen Ordnungshüter eingreifen würden und die „ausgemittelten Ruhestörer, ohne Ausnahme des Standes und der Person, zur Verhütung größerer Excesse, durch die anwesenden Polizei-Officianten, nöthigenfalls mit Hülfe der Königl. Militair-Wachen, nicht nur so fort aus dem Schauspielhause entfernt, sondern noch ausserdem nach Maßgabe der Umstände, zur gerichtlichen Bestrafung gezogen werden.“293 In München entzündete sich eine Auseinandersetzung um angemessene Maßnahmen zur Disziplinierung des Publikums im Königlichen Hoftheater an einem verhältnismäßig geringen Verstoß von Personen gegen den Verhaltenskodex im Theater: Es ging um das Hutabnehmen im Theaterraum. Bezeichnend sind hier jedoch unterschwellig wirkende Vorbehalte gegen bestimmte Bevölkerungsschichten als Publikum des königlichen Theaters bei einer gleichzeitigen Scheu der Obrigkeiten, gegen diese ‚neuen‘ Publikums-Gruppen ‚hart‘ disziplinierend durchzugreifen. Zwischen 1833 und 1846 kam es immer wieder vor, dass Zuschauer ihre Hüte vor, während und nach der Vorstellung und sogar in Anwesenheit des Hofes nicht abnahmen. So bemerkte die Polizeidirektion München gegenüber der Hoftheater-Intendanz: Seit kurzer Zeit wiederholen sich die Fälle, daß Personen vorzugsweise Studenten und Fremde, die Hüte oder Hauben auf dem Kopfe behalten, wenn schon Seine Majestät der König, oder Mitglieder des Königl. Hauses anwesend sind, oder bereits die Ouverture begonnen hat.294

Dem Briefwechsel zwischen Polizeidirektion, dem Corps-Kommando der Gendarme und der Hoftheater-Intendanz kann man entnehmen, dass es hier um unangemessenes Verhalten an einem öffentlichen Ort ging. Obgleich die verschiedenen Dokumente deutlich machen, dass der bedeckte Kopf insbesondere in Anwesenheit des Königs einen Verstoß gegen die Schicklichkeit, wenn nicht sogar eine Provokation darstellte, so geht aus den Schreiben jedoch auch hervor, dass das Hutabnehmen generell, also auch bei Abwesenheit des Hofes, zum Verhaltenskodex des Theaterbesuchs gehörte;295 und den musste man durchzusetzen. Das Hoftheater war erst seit 1799 für ein bürgerliches Publikum gegen Eintritt allgemein geöffnet,296 die kulturelle Praxis des Theaterbesuchs war noch nicht genügend eingeübt. Laut Polizei- und Leitungsbehörden waren die davon betroffenen Gruppen: 293

GStA, I. HA Rep. 77, tit. 1000, Nr. 3, Bl. 3, Publicandum vom 19. Januar 1823. BayHStA, Intendanz Hoftheater, Nr. 1046, Einrichtungen, Garderoben, Dekorationen und Requisiten bei dem Hoftheater in München, 1823–1846, Akt das Verhalten der Herrn im Schauplatze mit unbedecktem Haupte betreffend, Schreiben der Polizeidirektion München, Bl. 1, 12. Januar 1833. 295 Es ist etwa die Rede einer „von jeher bestehenden Sitte, nach welcher die Herren von ihrem Eintritt in den Schauplatz des k. Hoftheaters bis zum Austritte aus demselben die Kopfbedeckung abzunehmen haben“ ohne jede Erwähnung der Anwesenheit des Königs. Vgl. BayHStA, Intendanz Hoftheater, Nr. 1046, Einrichtungen, Garderoben, Dekorationen und Requisiten bei dem Hoftheater in München, 1823–1846, Akt das Verhalten der Herrn im Schauplatze mit unbedecktem Haupte betreffend, Schreiben der Polizeidirektion München, Einblattdruck o.D. 296 Vgl. oben, 230, FN 25.

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Studenten, Fremde, und die bürgerlichen „Zuschauer des Parterre“ . Insbesondere bei diesen Personen würde es vorkommen, „daß Herren am Schluße der Vorstellung noch innerhalb des Schauplatzes ihre Hüte aufsetzen, sowie daß namentlich in dem Stehparterre Unschicklichkeiten vorfallen, die den Gang der Vorstellungen stören und dem Anstande zuwider laufen.“298 Hier wurde dem „Stehparterre“, den neuen Publikumsschichten, die eher der mittleren bürgerlichen Klasse angehörten, deutlich das unangemessene Handeln zugewiesen; die Regeln für den Theaterbesuch, welche die Ordnung des öffentlichen Ereignisses herstellten, mussten effektiv eingesetzt werden. Aber welche Maßnahmen waren geeignet, um dem Publikum zu vermitteln, dass nur angemessenes Verhalten im Theater die öffentliche Situation der Aufführung überhaupt ermöglichen konnte? In München schwankte die Einordnung des Zuschauer-Fehlverhaltens von Seiten der Behörden zwischen bewusster Insubordination und einfachem Missverständnis, und zog somit unterschiedliche Empfehlungen für geeignete Gegenmaßnahmen nach sich. Während die Polizeidirektion wiederholt die Intendanz aufforderte, durch öffentliche Bekanntmachung des Hut-Verbots per Anschlag oder Theaterzettel aktiv zu werden, verlangte die Hoftheater-Intendanz eine verstärkte Kontrolle der Gendarmen im Theater. Beide Parteien befürchteten nachteilige Wirkungen für ihre Institutionen und eine Herabwürdigung in der öffentlichen Meinung, wenn das gewählte Mittel sich als exzessiv erweisen sollte. Die Hoftheater-Intendanz formulierte dies am 20. Februar 1833 in einem Schreiben an das Präsidium der Regierung des Isarkreises: [Es] glaubten schon die früheren Hoftheater Intendanzen, und auch die gegenwärtige theilt die selbe Ansicht, daß öffentliche Bekanntmachungen durch Anschlag oder Information eine Erinnerung auf dem Theaterzettel, wenn sie auch noch so sorgfältig abgefasst worden, nur zu leicht schiefen Deutungen ausgesetzt seyn, u. wohl auch nicht ohne Erwiderung von Seite des Publikums bleiben dürften […]299

Dagegen wäre das Eingreifen der Gendarmerie weit effektiver, „in specie wenn diesseits auch allenfalls noch die Verfügung getroffen wird, daß durch die Billeteurs die Eintretenden, die nicht als gewöhnliche Theaterbesucher bekannt sind, von der bestehenden Sitte des Hutabnehmens vor und während der Vorstellungen gehörig unterrich297

Vgl. BayHStA, Intendanz Hoftheater, Nr. 1046, Einrichtungen, Garderoben, Dekorationen und Requisiten bei dem Hoftheater in München, 1823–1846, Akt das Verhalten der Herrn im Schauplatze mit unbedecktem Haupte betreffend, Bl. 2, Schreiben der Regierung des Isarkreises an die Hoftheater-Intendanz, Bl. 2, 16. Februar 1833. 298 BayHStA, Intendanz Hoftheater, Nr. 1046, Einrichtungen, Garderoben, Dekorationen und Requisiten bei dem Hoftheater in München, 1823–1846, Akt das Verhalten der Herrn im Schauplatze mit unbedecktem Haupte betreffend, Schreiben der Hoftheater-Intendanz an die Polizeidirektion München, Bl. 7, 28. September 1846. 299 BayHStA, Intendanz Hoftheater, Nr. 1046, Einrichtungen, Garderoben, Dekorationen und Requisiten bei dem Hoftheater in München, 1823–1846, Akt, das Verhalten der Herrn im Schauplatze mit unbedecktem Haupte betreffend, 1846, Bl. 3, Brief der Hoftheater-Intendanz an die Regierung des Isarkreises, 20. Februar 1833.

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tet werden.“ Natürlich konnte man durch diese Praxis gezielter die einzelnen verstoßenden Personen erreichen, ohne das ganze Publikum gegen sich aufzubringen. Diese selektive Disziplinierung fügte sich ein in den Generalverdacht gegen bestimmte Schichten und Gruppierungen der Gesellschaft, die es im Forum des Theaters neu und bestimmt zu formieren galt, ohne eine generelle öffentliche Diskussion um die Theaterkonvention des Hutabnehmens zu riskieren. Die Polizeibehörde dagegen bevorzugte den allgemein gültigen öffentlichen Aushang, der dem Einschreiten ihrer Gendarme eine Legitimation lieferte. Der Zweck der Disziplinierung könnte mit einer Veröffentlichung der Regel erreicht werden, etwa auf den Theaterzetteln, „ohne unangenehme Störungen und Aufsehen zu verursachen und Fremde in peinliche Verlegenheit zu setzen, was mit der Einschreitung der Gendarmen, die bei vorkommender Renitenz ohnehin eintritt, unvermeidlich verbunden ist.“301 Die Hoftheater-Intendanz konnte sich durch den Druck der Polizeibehörde nicht der Aufforderung entziehen entsprechende Anschläge im Theater anzubringen. In den Akten hierzu findet sich etwa ein Einblatt-Druck, ohne Datum, der in Erinnerung brachte, dass sich „die Herren im Parterre des Königl. Hoftheaters ohne Kopfbedeckung zu verhalten haben“302 . Gleichzeitig wurde hier angekündigt, die königliche Militär-Wache wäre angewiesen, jeden dagegen Verstoßenden „bescheiden zurecht zu weißen“303. Also fanden sich beide Institutionen in der Pflicht, das Verhalten der Zuschauer beim öffentlichen Ereignis Theater zu kontrollieren. Dass sich beide, Polizeidirektion und Hoftheater-Intendanz, in dieser Sache so schwer taten, spricht von einem gewissen Unbehagen, die Bürger so offensichtlich bei ihrer Medienpraxis in die Schranken zu weisen. Beide Institutionen sahen einen Regulierungsbedarf, eine ‚neue Publikumsschicht‘ an die Gepflogenheiten des Hoftheaters anzupassen, aber keiner war gewillt, die öffentliche Kritik für ihre Disziplinierung auf sich zu nehmen. N e u e M e d i e n . Die dargelegten Aspekte einer versuchten Regulierung des theatralen Verhältnisses zur gesellschaftlichen und politischen sowie publizistischen Öffentlich300

BayHStA, Intendanz Hoftheater, Nr. 1046, Einrichtungen, Garderoben, Dekorationen und Requisiten bei dem Hoftheater in München, 1823–1846, Akt, das Verhalten der Herrn im Schauplatze mit unbedecktem Haupte betreffend, 1846, Bl. 3, Brief der Hoftheater-Intendanz an die Regierung des Isarkreises, 20. Februar 1833. 301 BayHStA, Intendanz Hoftheater, Nr. 1046, Einrichtungen, Garderoben, Dekorationen und Requisiten bei dem Hoftheater in München, 1823–1846, Akt, das Verhalten der Herrn im Schauplatze mit unbedecktem Haupte betreffend, 1846, Bl. 8, Schreiben der Polizei-Direktion München an die Hoftheater-Intendanz, 13. Oktober 1846. 302 Vgl. BayHStA, Intendanz Hoftheater, Nr. 1046, Einrichtungen, Garderoben, Dekorationen und Requisiten bei dem Hoftheater in München, 1823–1846, Akt, das Verhalten der Herrn im Schauplatze mit unbedecktem Haupte betreffend, 1846, o. Bl., o. Datum. Wahrscheinlich datiert der Anschlag vom März 1846, da ein beiliegendes Schreiben der Hoftheater-Intendanz vom 29. März 1846 mit dem gleichen Wortlaut beginnt. 303 Ebd.

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keit geben einen Eindruck von der auf verschiedenen Ebenen operierenden Neubestimmung des Hoftheaters als einer öffentlichen Institution. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts materialisierte sich am Münchner Hof und bei seiner Hoftheater-Intendanz eine Neukonzeption der theatralen Medienöffentlichkeit. Die Modifikation des §4/§18 der Disziplinar-Satzungen zwischen 1829 und 1842 spricht von einem veränderten Verhältnis zur Presse-Öffentlichkeit. Jetzt wurde die Rolle der Zeitungsmedien als wichtiger öffentlicher Akteur anerkannt, das Theater konnte sich dem nicht verschließen, wollte aber die Kontrolle über den Informationsfluss behalten. Der Intendant Karl Theodor von Küstner geriet selbst in den Konflikt mit den Zeitungen und musste sich in den 1830er/1840er Jahren der bayerischen PressePolitik beugen, die anders als die preußische der 1820er Jahre, nicht den Verordnungsweg suchte, um das Hoftheater vor publizistischen Angriffen zu schützen, sondern die selbst gesetzten ‚Spielregeln‘ des Zensur-Edikts einhielt und sich offiziell ausschließlich auf die Kontrolle der politischen Berichterstattung beschränkte. Am Verhalten der Schauspieler und auch der Zuschauer während des öffentlichen Medienereignisses ‚Theater‘ und dessen Regulierungsversuchen lassen sich Transformationen der Medienkonventionen ablesen. Das Extemporieren, das als politisches Potential des Theaters gefürchtet war, wurde in den 1840er Jahren zunehmend weniger zum faktischen Disziplinarfall. Schauspieler kamen in der Regel mit einem Verweis davon, wenige schwerwiegende Vorfälle lassen sich ausmachen. Dagegen galt es, die öffentliche Beziehung zu den Zuschauern fest zu rahmen und die Vereinigung mit dem Publikum während des Theaterabends einzuschränken. Die vorgegebene Applausordnung musste eingehalten werden, die öffentliche Adresse an das Publikum fiel aus. Auch das Publikum musste sich an die Regeln halten. Anhand des Hut-Verbots wurde aufgezeigt, wie ambivalent die Autoritäten sich gegenüber der Disziplinierung des Publikums verhielten. Der Regulierungsbedarf für eine Anpassung des Publikums an die Medienkonventionen des Theaters war unbestritten, aber keine Behörde wollte dafür als ‚Machthaber‘ einstehen. Hier entsteht das Bild der behördlichen Schwierigkeiten, das Hoftheater unter Vermeidung öffentlichkeitspolitischer ‚Flurschäden‘ in eine bürgerliche Institution des Öffentlichen zu transformieren. Dennoch stand in München das kulturpolitische Projekt eines ‚bürgerlichen Hoftheaters‘ nie in Frage. Der Weg zum Modell einer öffentlichen Institution als Staatstheater war vorgezeichnet. Verbürgerlichung und Institutionalisierung sind die signifikanten Strukturmerkmale der Theaterentwicklung in der ersten Hälfte der 19. Jahrhunderts. Daher erscheint es nur logisch, dass in der politischen Bewegung um 1848 die Bürger selbstverständlich auf das Theater zurückgriffen, um es als politisches Forum zu instrumentalisieren. Im Wien des Jahres 1848 wurden die Vorstadttheater zum Tribunal und Ort des politischen Triumphes im Zeichen des politischen Modus der Straßenöffentlichkeit.

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Die Gegenwart der Öffentlichkeit Wien 1848

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts verdoppelte Wien seine Einwohnerschaft auf annähernd 449.000 Personen im Jahre 18501 und wuchs mit seiner Theaterlandschaft zur ersten eigentlichen Kultur-Metropole innerhalb des deutschen Bundes heran. Die innere Stadt verfügte über das höfische Burgtheater (Sprechtheater) und das Kärntnertor-Theater (Oper), außerhalb der Stadt und durch Stadtwall und Fortifikationen räumlich stark getrennt, befanden sich die drei Vorstadt-Theater: das Josefstädter Theater, das Leopoldstädter Theater und das Theater an der Wien. Obgleich landläufig als Volkstheater bezeichnet, beschränkten sich diese drei Theater im Vormärz durchaus nicht auf die Aufführung von Volksstücken oder Lokalpossen, sondern hatten ebenso Opern, Schauspielstücke und gelegentlich auch Unterhaltungsangebote aus den zirkusnahen Künsten oder den Projektionskünsten im Repertoire. W i e n e r S t a d t - u n d T h e a t e r ö f f e n t l i c h k e i t. Johann Hüttner geht davon aus, dass in den 1840er Jahren die sozial niederen Schichten weitgehend aus den Vorstadttheatern verdrängt wurden und einem eher bürgerlichen und großbürgerlichen Publikum wichen.2 Wie das Königstädtische Theater in Berlin (1824–1852) und das Isarthor-Theater in München (1812–1825), werden auch die Wiener Vorstadttheater in ihrer umgestalteten Form der 1840er Jahre (bauliche Veränderungen, Pächterwechsel) in diesem Kapitel aus der Perspektive des ‚bürgerlichen Theaters‘ betrachtet und es wird weniger auf ihre Charakteristik als Spielorte für ‚volkstümliche Stücke‘ eingegangen. Erst ab dem Jahr 1857 wurde mit der Auflassung der Stadtmauern, Gräben, mit der Anlage der Ringstraße und der Bebauung des Glacis die Stadt zu den Vorstädten hin geöffnet und als urbane Entität gestaltet. Man kann also davon ausgehen, dass in der Zeit der Wiener Revolution 1848 der Verkehr zwischen der innerstädtischen Bevölkerung und den Vorstadttheatern sich eher mühsam gestaltete und eine Vermischung 1 2

Vgl. Johann Hüttner, „Das Burgtheaterpublikum in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts“, in Margret Dietrich, (Hg.), Das Burgtheater und sein Publikum, Bd. 1, Wien 1976, 125–184, 139. Vgl. Johann Hüttner, „Das Volk sucht sein Theater. Theater suchen ihr Publikum: Das Dilemma des Wiener Volkstheaters im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts“, in Jean-Marie Valentin (Hg.), Das österreichische Volkstheater im europäischen Zusammenhang 1830–1880, Bern u.a. 1984, 33– 53, 34.

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Die Gegenwart der Öffentlichkeit

des innerstädtischen mit dem Vorstadt-Publikum allein aus topographischen Gründen nicht selbstverständlich war. Johann Hüttner konstatierte, dass sich trotz dieser geographischen Hindernisse die Vorstadttheater als Bestandteil der Wiener Theaterkultur etabliert hatten und nicht als eine Art ‚Gegenkultur‘ zu den Stadttheatern fungierten.3 Man könnte vermuten, dass die literarischen und Unterhaltungszeitungen in Wien in der Zeit dazu beigetragen haben, das Bild eines Stadt und Vorstadt verbindenden Kulturraumes zu vermitteln. In diesem Zusammenhang hatten sich bis zur Revolution von 1848 vier Personen als wichtige Akteure für die Wiener Theater-Öffentlichkeit etabliert: die Journalisten Adolph Bäuerle (1786–1859), von 1806 bis 1860 Herausgeber und Redakteur der Allgemeinen Theaterzeitung, und Moritz Gottlieb Saphir (1795–1858), von 1837 bis 1858 Herausgeber und Redakteur des Humoristen4, sowie die Theaterdirektoren Franz Pokorny (1797–1850), Theater an der Wien5 und Josefstädter Theater6, und Carl Carl (1787–1854), Leopoldstädter, ab 1847 Carl-Theater7. Während nun Bäuerle und Saphir die literarische Wiener Zeitungsszene im Vormärz konkurrierend dominierten,8 galt das Gleiche für Pokorny und Carl bezüglich der Theaterszene der Vorstädte. Wie muss man nun ihre Rolle in der medialen Öffentlichkeit einordnen? In rückblickenden Würdigungen wird immer wieder das Klischee des opportunistischen Zynikers Saphir gegen das des manipulativen Gemütsmenschen Bäuerle gesetzt9 und beider Käuflichkeit durch die jeweiligen Theaterdirektoren für eine gefälli3

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Johann Hüttner, „Volkstheater als Geschäft. Theaterbetrieb und Publikum im 19. Jahrhundert“, in Jean-Marie Valentin (Hg.), Volk – Volksstück – Volkstheater im deutschen Sprachraum des 18.– 20. Jahrhundert, Bern u.a. 1982, 127–149, 132. Moritz Gottlieb Saphir war von 1829 bis 1834 als Herausgeber und Redakteur mehrere Blätter in München tätig. 1834 kehrte er nach Wien zurück, wo er zunächst wieder für Bäuerles Theaterzeitung tätig war bis ihm schließlich 1837 die Herausgabe einer eigenen Zeitung erlaubt wurde – Der Humorist. Theatereigentümer und Direktor von 1845 bis zu seinem Tod 1850. Theaterdirektor 1837 bis 1848. Carl Carl hat nach seinem Weggang aus München 1825 zunächst ab 1826 das Theater an der Wien gepachtet. 1838 kaufte er das Leopoldstädter Theater, welches er zusätzlich bespielte. Nach der Ersteigerung des Theater an der Wien durch Franz Pokorny musste Carl 1845 die Bühne räumen und verlor damit seine repräsentativere Spielstätte. Daher ließ er das kleine und renovierungsbedürftige Leopoldstädter Theater abreißen und eröffnete 1847 an gleicher Stelle das ungleich größere und prächtigere Carl-Theater, um mit Pokorny konkurrieren zu können. Zur Theaterkritik der 1840er Jahre in Wien vgl. Jürgen Hein, „Zur Rolle des ‚Humoristen‘ in der Volkststück-Debatte um 1840 oder ‚Die Kunst, in sechs Lektionen ein Volksstück zu schreiben‘“, in Wolfgang Hackl und Kurt Krolop (Hg.), Wortverbunden – zeitbedingt, Innsbruck u.a. 2001, 41– 52; W. Edgar Yates, „Theater, Politik und Theaterkritik in Wien um 1840“, in Wolfgang Hackl u. Kurt Krolop, Wortverbunden, 53–64. Vgl. etwa den Artikel in der Tageszeitung Neue Freie Presse vom 5. September 1908 anlässlich des 50. Todestages von Moritz Gottlieb Saphir: „Sich gefürchtet machen und dadurch einen Zwang der Anhängigkeit üben, das sagte dem Zuge seines [Saphirs] innersten Wesen sogar mehr zu – während Bäuerle die ihm passendere mildere Tonart gewählt hatte, um denselben Zielen mit denselben

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ge Berichterstattung als Faktum angenommen – beide werden so als skrupellose Nutznießer und charakterlose Erpresser hingestellt. Der Topos der Korruption und Charakterlosigkeit in der Theaterkritik des Vormärz in Wien – und insbesondere in Bezug auf Moritz Gottlieb Saphir10 – wurde fraglos bis in jüngste Zeit in der Theatergeschichte tradiert.11 Die zeitgenössischen Urteile über Saphir und Bäuerle zeugen deutlich von einem Unbehagen mit der generell wachsenden Einflussnahme der Journalisten auf die öffentliche Meinung. Dies kann man als Symptom der als verunsichernd empfundenen medialen Umbrüche der Zeit betrachten. Die Forschung muss diesen Kontext reflektieren und darf solche zeitgenössischen Meinungen und Urteile nicht unkritisch kolportieren. Die dabei oft im Fokus stehenden Charakter-Einschätzungen der beiden Journalisten verstellen sonst massiv den Blick auf die medialen Funktionen und den journalistischen Beitrag Bäuerles und Saphirs zu einer Umgestaltung des Medienfeldes ‚Zeitung‘. In dieser Studie soll daher von der üblichen personenbezogenen Abqualifizierung Abstand genommen und sachlich betrachtet werden, was es mit der finanziellen Verstrickung von Saphir und Bäuerle mit den Theatern auf sich hatte. Zweifelsohne rührte das negative Bild Saphirs von dessen öffentlicher Auseinandersetzung mit dem Theaterdirektor Pokorny im Jahr 1846 her. Saphir sah Anfang 1846 seine Integrität als Journalist in Frage gestellt, als bekannt wurde, dass er bis Ende 1845 bei Pokorny hohe Schulden hatte. Nach einer kritischen Besprechung des Theater an der Wien am 1. Januar

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Mitteln, auch dem des Abhängigmachens zuzustreben – und am meisten bekamen das natürlich die Theaterdirektionen und die Leiter sonstiger Vergnügungs- und Genussesstätten zu verspüren, weil ja diese das einzige Terrain waren, wo die ‚öffentliche Meinung‘ des Vormärz etwas dreinzureden hatte.“ Auch in jüngster Zeit ist der Brauch, auf geringer Quellenbasis unter Heranziehung älterer Literatur hemmungslos pejorative Charaktereinschätzungen Saphirs vorzunehmen, noch verbreitet, vgl. hierzu Rainer Theobald, „‚Nur nicht zu ultraliberal!‘ Drei Briefe von M. G. Saphir, aus den Handschriften mitgeteilt“, in Nestroyana, Heft 1/2, Jg. 28, 2008, 154–161. Theobald geht sogar so weit die differenzierte und fundiert wissenschaftlich recherchierte Forschung Peter Sprengels, vgl. Peter Sprengel, „Moritz Gottlieb Saphir“, herabzuwürdigen und deren Aussagekraft in Frage zu stellen, indem er mit einer hoch spekulativen Ausdeutung dreier Briefe kontert. So ist etwa die Dissertation von Annelore Lippe, Verfallserscheinungen, unzweifelhaft stark von der herabwürdigenden und antisemitischen Saphir-Rezeption im Nationalsozialismus beeinflusst. Sie übernahm die Einschätzung der Bestechlichkeit Saphirs, indem sie sich undifferenziert die Meinung der Ankläger-Seite der Auseinandersetzung von 1846 zueigen machte. Gleiches gilt für die auf Gerüchten basierende angebliche Spitzeltätigkeit Saphirs in den 1830er Jahren in München, die von ihr zur Tatsache umgemünzt wurde, ohne einen Nachweis dafür zu liefern. Konsequenterweise gipfelte diese Arbeit in dem vernichtenden Fazit: „Saphir war der Hochstapler seiner Zunft [der Theaterkritik], er hatte nie ‚Theater gelernt‘, er leistete seinen Zeitgenossen eben nicht, was sie bedurften, sondern nur was sie lobten“(270) Hervorhebung im Original. Tragischerweise werden solche Pauschalurteile auch in neuerer Zeit noch für bare Münze genommen, so etwa die ansonsten über jeden Zweifel an der Wissenschaftlichkeit erhabene Irmlind Capelle, welche 1995 genau diese Stelle aus Lippe (1954) zitiert, um in der Lortzing-Briefedition dessen negatives Urteil über Saphirs Kritik-Tätigkeit zu kontextualisieren; vgl. Albert Lortzing, Sämtliche Briefe. Historische-kritische Ausgabe, hg. von Irmlind Capelle. Kassel u.a. 1995, 320, Kommentar zu einem Brief Albert Lortzings an Karl Gollmick, 11. Februar 1848.

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1846 , dessen neue Dekoration nach den Renovierungsarbeiten Saphir als „abgeschmackt“ und das Parterre als unbequem bezeichnete, kam es zu anonymen Zeitungsartikeln, welche Saphir beschuldigten, nach der vollständigen Ableistung der Finanzschuld an Pokorny (November 1845) nun besonders negativ über dessen Theater zu sprechen. Als Reaktion darauf widmete Saphir am 24. Januar 1846 die vollständige Ausgabe des Humoristen (vier Seiten), um seine kritische Unabhängigkeit nachzuweisen. In der Tat konnte er mit verschiedenen Zitaten überzeugend darstellen, dass er sowohl vorher als auch nachher situativ und differenziert geurteilt hatte. In dieser ‚Verteidigungsrede‘ ging er soweit, an Pokorny die Frage zu stellen, ob zwischen ihnen je eine „Geldangelegenheit Statt fand, deren Beginn und Beendigung nicht eben so rechtlich als seiner und meiner würdig Statt fand, deren Veröffentlichung, wenn sie nöthig sein sollte, auf meine volle Ehrenhaftigkeit als Mensch und Kritiker auch nur den leisesten Schatten zu werfen beschaffen ist?“13 Direkt hierauf antwortete Pokorny am 31. Januar 1848 in einem Artikel in der Allgemeinen Theaterzeitung. Er veröffentlichte dort detailliert alle Schulden, die er von Saphir zwischen 1840 und 1845 übernommen hatte, und legte so die finanzielle Abhängigkeit des Journalisten offen. Darüber hinaus beschuldigte er Saphir, undankbar zu sein. Obgleich er ihm das Theater an der Wien für seine letzte deklamatorische Akademie fast unentgeltlich überlassen hatte – er soll lediglich 30 fl. bezahlt haben – sei wenig später seine verheerende Kritik an der Umgestaltung des Theaters erschienen. Pokorny argumentierte hier widersprüchlich. Zum einen unterstützte er Saphirs scharfe Trennung zwischen finanziellen Verhältnissen unter Privatleuten und der Bestechung eines Journalisten. Was er an finanzieller Unterstützung gegeben hatte, sei ein Opfer gewesen, „das eine Theaterdirection nicht dem ‚Humoristen,‘ wol aber dem Menschen brachte! Ich rufe Herrn Saphir auf, er soll sagen, als Ehrenmann sagen, ob ich für diese Gefälligkeit von ihm gefordert habe, daß er mein Institut auf Kosten eines andern lobe, oder ein fremdes zu meinem Vortheil tadle?“14 Doch dies wäre nicht nötig, gäben doch die harten Kritiken Saphirs gegen das Theater an der Wien aus eben den Jahren der Schuldverpflichtung den genauen Gegenbeweis. Zum anderen stellte er die finanziellen Vorteile in den Zusammenhang mit einer ‚undankbaren‘ Haltung des Journalisten, also sollte Saphir doch den Freundschaftsdienst des Theaterdirektors publizistisch honorieren. Genau dies wies Saphir aber weit von sich. Er präzisierte in seiner öffentlichen Entgegnung im Humoristen am 7. Februar 1846 nochmals den genauen Ablauf der Geldangelegenheit.15 Pokorny hatte in den Jahren 1840 und 1841 für Saphir Schulden ausge12 13 14 15

Vgl. Moritz Gottlieb Saphir, „Oeffentliche Privat-Vorstellung, zum Besten der Wohltätigkeit“, in Der Humorist, 1. Januar 1846. Ebd. Franz Pokorny, „Mein erstes und letztes Wort an Herrn M. G. Saphir,“ in Allgemeine Theaterzeitung, 31. Januar und 2. Februar 1846. Moritz Gottlieb Saphir, „Nicht mein erstes, und, wenn’s nöthig sein sollte, auch nicht mein letztes Wort an Herrn Franz Pokorny“, in Der Humorist, 7. Februar 1846.

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löst und 1842 eine Wechselforderung von Carl in Höhe von 3.666 fl. 40 kr. übernommen, nachdem jener am 17. Juli 1841 schon die exekutive Sequestration des Humoristen erreicht hatte. Die Zessionsurkunde Saphirs an Carl, in welcher der Journalist alle eingehenden Pränumerations- und Abonnementszahlungen seiner Zeitschrift Der Humorist bis zur vollständigen Tilgung seiner Schulden an den Theaterdirektor Carl überschrieb, ist im Nachlass Pokornys16 erhalten. Pokorny machte nun seine Ansprüche auf Rück-Zahlung im Januar 1845 an Saphir geltend; man einigte sich auf eine Ratenzahlung, welche in zweieinhalb Jahren abgegolten sein sollte. Saphir behauptete nun, sein Bestreben, die volle Abzahlung der Schuld zu beschleunigen, sei motiviert gewesen durch sein Bewusstsein der Problematik einer solchen finanziellen Verbindung von Kritik und Theater: „Da ich aber nichts sehnlicher wünschte, als aus der schiefen Stellung, einem Theater-Vorsteher schuldig zu sein, mich zu befreien, so kam ich im November 1845 unaufgefordert zu Hrn. P., um meine Schuld rück zu escomptiren.17“ Pokorny erklärte sich mit der Barzahlung von 3.600 fl. (bei einer Gesamtschuld von 5038 fl. 8 kr.) zufrieden, die von Saphir vollständig abgedruckte Quittung vom November 184518 belegte die definitive Abwicklung der Schuld. Saphir druckte auch ein zweites Dokument ab, nämlich die Rechnung, welche die technischen Kosten seiner Akademie im Theater an der Wien aufweisen. Hier wird ersichtlich, dass er – entgegen kolportierter Anekdoten in der Theatergeschichte – durchaus die vollen Betriebskosten (hier 185 fl. 51 kr.), von den Kassenkräften bis zur Öl-, Gas- und Kerzenbeleuchtung, übernahm. Allerdings musste er keine Miete für das Theater zahlen, was Saphir mit dem wohltätigen Zweck seiner Akademien rechtfertigte – die Hälfte der Einnahmen wurde grundsätzlich gespendet. Schließlich wies Saphir jede Einflussnahme durch Geldgeschenke von sich. Er behauptete sogar, Pokorny abe ihm verschiedentlich Angebote gemacht (teilweiser Erlass der Schulden, Reise, honorierte Abfassung eines Prologs für die Theatereröffnung), die er alle aus dem Bestreben nach Unabhängigkeit abgelehnt habe. Daher sei doch sattsam bewiesen, „daß mich Geld und Geldinteressen nicht für eine Sache gewinnen können, über deren Bestand und Kunstwerth ich so meine eigenen Ansichten hege.“19 Saphir bestand also weiterhin auf einer Differenzierung zwischen seinen Schulden als Privatmann bei Pokorny und beruflichen Geldvorteilen, die seine journalistische Tätigkeit beeinflussen würden. Während ihm ersteres zwar als „schiefe Stellung“20, aber nicht wesentlich konfligierend mit seinem Berufsethos erschien, so war letzteres nicht vereinbar mit seiner journalistischen Tätigkeit.

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Theatermuseum Wien, NL Pokorny, Box 9, Mappe 8/1–3, Cessionsurkunde Moritz Gottlieb Saphir, 17. Juli 1841. Moritz Gottlieb Saphir, „Nicht mein erstes“, n.p. Ebd. Ebd. Ebd.

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Einem heutigen Verständnis von unabhängigem Journalismus widerspricht diese spitzfindige Unterscheidung in Bezug auf finanzielle Abhängigkeit vollständig. Jedoch muss man Saphir immerhin bescheinigen, dass er ein starkes Bewusstsein für die Fragilität journalistischer Unabhängigkeit hatte und dies überzeugend formulierte. Fast ist man gewillt, Saphirs journalistisches Credo ernst zu nehmen, er würde sich von den pöbelhaften Beschuldigungen der Korruption „nicht einen Augenblick beirren lassen, im Interesse der Kunst, der Wahrheit und des Publikums mein kritisches Talent nach allen Richtungen hin in meiner gewohnte Weise konsequent fortwirken zu lassen“21. Eine Einflussnahme auf seine Theaterkritiken der 1840er Jahre ist meines Erachtens jedenfalls nicht evident. Saphir blieb eine schillernde Figur der Öffentlichkeit allein durch die Tatsache, dass er die journalistische Öffentlichkeit mit solcher Perfektion bediente, dass seine Zeitung sich durchaus als ‚Meinungsmacht‘ profilierte. Und Pokorny bekam das auch zu spüren, ging er doch nicht unbeschadet aus der Auseinandersetzung heraus. Der Vorstand des Bücher-Revisions-Amtes Hölzl urteilte in einem internen Bericht vom 19. Januar 1848, Saphir wäre es publizistisch gelungen, „diesen, an Intelligenz zwar subordinirten, aber ehrhaften und harmlosen Mann, in den Augen des Publikums zu verdächtigen und herabzuziehen, und zwar leider mit solchem Erfolge, daß Pokorny gegenwärtig zu den stereotipen komischen Figuren der Residenz gehört, an welchen jeder literarische Neuling sein Müthchen zu kühlen versucht.“22 Pokorny hatte als öffentlicher Akteur offensichtlich an Reputation eingebüßt. Der nachlässige Umgang mit journalistischer Unabhängigkeit in Gelddingen schien durchaus eine gängige Praxis in der Zeit. Auch Adolph Bäuerle hing finanziell von Pokorny ab, dies ist durch mehrere flehentliche ‚Bettelbriefe‘ Bäuerles an die Direktion des Theaters an der Wien belegt – etwa vom 3. April 1845 über ein Darlehen von 1200fl und vom 21. Mai 1852 über ein Darlehen von 200fl.23 Dennoch stand seine Theaterzeitung dem Pokorny-Theater durchaus nicht unkritisch gegenüber. Während Saphirs Unterhaltungszeitung Humorist im Vormärz eine weitgehend lokal beschränkte Verbreitung hatte24, gelang es Bäuerle durch den Ausbau seines Korrespondentennetzes (Paris, London, Berlin, München und andere) seine Allgemeine Theater-Zeitung im deutschsprachigen Raum als Informationsstandard in Theaterdingen zu setzen.25 Davon sprechen die vielen Bezüge auf Bäuerles Zeitung, die man in Thea21 22 23 24

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Moritz Gottlieb Saphir, „Nicht mein erstes“, n.p. OESTA Wien, Allgemeines Verwaltungs-Archiv, Polizeihofstelle, 463/1848, Saphir, Pokorny – Humorist, Abschlussbericht des k.k. Wiener Bücher-Revisions-Amtes, 19. Januar 1848. Theatermuseum Wien, NL Pokorny, Box 10, Mappe 10/27–32, Schreiben von Adolph Bäuerle, 3. April 1845 u. 21. Mai 1852. 1838 liegt seine Auflage bei ca. 3.000 Exemplaren, vgl. Kai Kauffmann, ‚Es ist nur ein Wien!‘ Stadtbeschreibungen von Wien 1700 bis 1873. Geschichte eines literarischen Genres der Wiener Publizistik, Wien u.a. 1994, 306. Bezeichnend ist hier etwa, dass Karl Theodor von Küstner als Intendant der Berliner Hofbühne am 27. März 1844 in der Allgemeinen Theaterzeitung die Bekanntmachung der ab sofort geltenden

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terschriften und literarischen Berichten findet. Friedrich Adami etwa, der BerlinKorrespondent Bäuerles, berichtete im Juli 1844, es gäbe „keine fashionable Berliner Conditorei, wo Ihre ‚Theaterzeitung‘ nicht gehalten wird. […] [Überall] Ihre ‚Theaterzeitung,‘ wie der Figaro hier, der Figaro dort, das Factotum der schönen Welt.“27 Ebenso polemisierend wie die stereotypen Bilder Bäuerles und Saphirs sind auch die wertenden Urteile über Carl Carl und Franz Pokorny in der Theatergeschichte28. Carl ist dort dargestellt als skrupelloser Geschäftsmann, ein Millionär, der als Erz-Kapitalist seine Theaterangehörigen hemmungslos ausbeutete. Pokorny hingegen wird als idealistischer Kunstmensch geschildert, der sein „letztes Stückel Brot“29 mit seinem Ensemble teilte und durch naive aber redliche Geschäftsmoral ungebremst in den Theaterruin trieb. Im Gegensatz dazu stellt Johann Hüttner sachlich und berichtigend fest, dass Carl ein effizienter Manager mit einer guten Kapitalausstattung war, der sich „weder durch einen anderen Theaterbegriff noch eine wesentlich andere Geschäftsauffassung von den anderen Vorstadttheaterunternehmern des 19. Jahrhunderts unterschied.“30 Darüber hinaus habe er seine darstellenden Mitglieder adäquat, wenn nicht sogar besser entlohnt.31 Meine Darstellung von Carls Geschäftsgebaren am Isarthor-Theater in München32 hat gezeigt, dass ihm auch durchaus aus sozialpolitischen Gründen an einer Erhaltung des dortigen Theaters gelegen war und er dabei ein außerordentliches Verhandlungsgeschick zeigte. Das beschönigende Bild Pokornys muss allein durch die Tatsache zurechtgerückt werden, dass er ohne weiteres zum September 1848 die Oper am Theater an der Wien auflöste33 und somit eine große Zahl von Musikern und Sängern, unter diesen auch

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Tantième-Bestimmungen veröffentlichte. Er rechnete hier mit einem hohen Verbreitungsgrad und versuchte so, ‚bundesweit‘ gute Autoren für sein Theater zu gewinnen. So erwähnt etwa Karl von Holtei in seinen Memoiren, dass er bei einem Aufenthalt in Prag in der Theaterzeitung einen Artikel von Moritz Gottlieb Saphir gelesen habe und somit das erste Mal auf den Namen dieses Journalisten gestoßen sei. Er präzisiert den Zeitpunkt nicht genau, es muss sich allerdings um die Zeit der ersten Tätigkeit Saphirs bei Bäuerle handeln, also zwischen 1822 und 1825. Vgl. Karl von Holtei, Vierzig Jahre, 276f. Friedrich Adami, „Berliner Brief“, in Allgemeine Theaterzeitung, 16. Juli 1844. Besonders problematisch ist hier die Darstellung in der vom österreichischen Bundesministerium für Unterricht und den Gemeinden Wien und Graz dereinst geförderten Publikation von Rudolf Holzer, Die Wiener Vorstadtbühnen, Wien 1951, 60–72. Vgl. etwa die Charaktereinschätzungen zu Carl und Pokorny: „[Der] eine war ein rücksichtsloser Geschäftemacher und kalter Egoist, der andere ein weichherziger, idealistischer Phantasiemensch“(66). So die viel kolportierte Anekdote, Pokorny habe bei der unsicheren Lage der revolutionären Unruhen 1848 seinen Angestellten versichert, so lange er noch ein Stückel Brot habe, würden sie alle nicht hungern müssen. Vgl. etwa auch in dem Artikel „März-Repertoire von 1848“ im Neuen Wiener Journal vom 11. März 1906. Johann Hüttner, „Volkstheater als Geschäft“, 140. Johann Hüttner, „Volkstheater als Geschäft“, 141. Vgl. Kap. 5.2, 268–279. Bereits am 31. Januar 1848 berichtete die Allgemeine Theaterzeitung von der bevorstehenden Auflösung der Oper und brachte dies mit wirtschaftlichen Interessen in Zusammenhang: „Director Po-

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Albert Lortzing, der Arbeitslosigkeit preisgab. Im Sommer 1848 kündigte Pokorny auch dem gesamten Theaterensemble des Josefstädter Theaters – etwa 150 Personen – die sich darauf hin mit der Errichtung der Sommerarena in Hernals auf Aktien eine eigene Wirkungsstätte schufen. Der Humorist berichtete über dieses Projekt am 3. Juli 1848 und gab Hinweise darauf, dass Pokornys Handeln durchaus kritisch gesehen wurde. Die Aktien-Unternehmer hätten sich in ihrem Programm „den gereizten Aeußerungen gegen Herrn Direktor Pokorny“34 nicht enthalten können. Die Zeitung hingegen verteidigte Pokornys wirtschaftliche Zwangslage: „Wenn er das Josephstädter Theater aufgelöst, so hat er es gewiß nur, gedrängt von den Zeitumständen, gethan, denn mit fortwährend leeren Häusern kann man keine Gesellschaft von hundertfünfzig Personen bezahlen.“35 Vorstadt-Theater war Geschäft – ohne soziale Sicherung und doppelten Boden; die Verhaltensweisen der Theaterunternehmer folgten rein wirtschaftlichen Interessen. Für Carl als Theaterunternehmer spricht, dass seine Schauspieler in der Regel sehr lange an seinem Theater verblieben36 – er schien ein Garant für sichere Wirtschaftsverhältnisse des Theaterbetriebes. Die etablierten Strukturen der Öffentlichkeit im Theater und Zeitungswesen, wie ich sie hier skizzierte, wurden in der Wiener Revolution 1848 schlagartig von einer Kommunikationswelle überrollt und drastisch umgeformt. Um dies zu verstehen, muss man sich kurz die politischen Ereignisse vergegenwärtigen.37 D i e W i e n e r R e v o l u t i o n. Bereits in den Jahren 1845–1847 war das Habsburgerreich von einer massiven Agrar- und Handelskrise betroffen, die eine mangelhafte Versorgung insbesondere der ärmeren Bevölkerungsschicht, Hunger und Unzufriedenheit hervorrief. Die industrielle Entwicklung setzte darüber hinaus durch eine maschinelle Rationalisierung von Arbeitsprozessen viele Menschen der Arbeitslosigkeit aus. Wolfgang Häusler betonte insbesondere die prekäre Lage der Menschen „an der Peripherie der Vororte“38 und ihr revolutionäres Potential:

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korny, der uns durch die Gastspiele einer Lind, Marra, Lutzer, eines Staudigl und Pischek, der uns durch die Aufführungen so vieler neuen Opern, unter welchen Meierbeers ‚Vielka‘, Balses ‚Zigeunerin‘, Lortzings ‚Waffenschmied,‘ und vor Kurzem erst Wallaces ‚Maritana,‘ eine überaus beifällige Aufnahme gefunden, und Cassa gemacht haben, so viele schöne Genüße bereitet hat, soll zu Ostern sein Opern-Personal entlassen und sich auf Possen und Spectakel-Schauspiel beschränken wollen.“ Der Humorist, 3. Juli 1848. Ebd. So war etwa Johann Nestroy Carl Carl über 23 Jahre als Schauspieler und Theaterdichter treu und übernahm nach dessen Tod die Leitung des Carl-Theaters (1854–1860). Zur ausführlichen Darstellung vgl. etwa Wolfgang Häusler u. Ernst Bruckmüller (Hg.), 1848. Revolution in Österreich, Wien 1999; und Pieter M. Judson, Wien brennt! Die Revolution von 1848 und ihr liberales Erbe, Wien u.a. 1998. Wolfgang Häusler, „Wien,“ in Christof Dipper, u. Ulrich Speck (Hg.), 1848. Revolution in Deutschland, Frankfurt a. Main 1998, 99–112, 100.

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Seit Beginn des 19. Jahrhunderts war die Maschinenspinnerei eingeführt worden, waren große ‚Etablissements‘ für die Endfertigung der Kattunstoffe entstanden. Die Einführung der Stoffdruckmaschine (Perrotine) hatte Massenentlassungen zur Folge. In düsteren Hinterhöfen und in Fabrikdörfern sammelte sich jenes Protestpotential, das im März 1848 zum Ausbruch kam.39

Hinzu kam die bürgerliche Unzufriedenheit über die politische Stagnation und Reformunfähigkeit der Regierung unter Ferdinand I. Die Studierenden, welche sich an der Universität schlechten Ausbildungsbedingungen und durch die Wirtschaftkrise einer eingeschränkten Berufsmöglichkeit gegenübersahen, 40 verbanden ihren politischen Unmut mit dem der Bürger und den existenziellen Forderungen der Arbeiter zu einer revolutionären Kraft, die sich in den Märztagen eruptiv entlud. Am 12. März 1848 versammelten sich die Wiener Studierenden in der Aula und beschlossen eine Massen-Petition an den Kaiser mit den Forderungen nach Pressefreiheit, nach einer Reform des Unterrichtswesens (Lehr- und Lernfreiheit), nach Gleichstellung der Konfessionen, nach Öffentlichkeit und Mündlichkeit des gerichtlichen Verfahrens und nach der Einführung einer Volksvertretung (Volkssouveränität).41 Nach einer unverbindlichen Antwort des Hofes versuchten die Studenten ihren Forderungen am 13. März 1848 mit einem Marsch zum nieder-österreichischen Landhaus, wo die Ständeversammlung tagte, Nachdruck zu verleihen. Große Gruppen von Arbeitern aus den Vorstädten schlossen sich den Studenten an. Nach dem Sturm des Landhauses bewegte sich die Menge zur Staatskanzlei als am frühen Nachmittag das Militär den Schießbefehl erhielt und mehrere Demonstranten tötete. Die folgenden Straßenschlachten zeigten, dass das Militär den Revolutionären nicht gewachsen war. Am selben Abend trat der Staatskanzler Metternich, Symbolfigur des reaktionären Staatsabolutismus, zurück, doch auch diese Konzession beruhigte die Lage nicht. Erst nachdem der Kaiser am 14. März 1848 die Pressfreiheit und am 15. März 1848 eine Verfassung in Aussicht stellte, endeten die Proteste und die Wiener feierten ihre so genannten ‚Märzerrungenschaften‘. Eine Nationalgarde wurde gegründet – die Bewaffnung erfolgte nach dem Prinzip von ‚Besitz und Bildung‘, so dass die Arbeiter davon ausgeschlossen blieben. Innerhalb der Nationalgarde bildete die Akademische Legion eine eigene Gruppierung. Ende April 1848 wurde eine Verfassung von der Regierung ausgearbeitet und oktroyiert. Unzufrieden mit den unzureichend demokratischen Inhalten derselben beschloss das Studentenkomitee eine Petition, die wesentliche Änderungen zugunsten der Volkssouveränität forderte. Nach politischem Kräftemessen zwischen der Akademischen Legion und dem Ministerrat organisierten die Studenten mit der Nationalgarde und 39 40 41

Wolfgang Häusler, „Wien“, 100. Zur Universitätsreform als politische Forderung vgl. Thomas Maisel, Alma Mater auf den Barrikaden. Die Universität im Revolutionsjahr 1848, Wien 1998, insbes. 11–16. Die Petition der Studenten vom 12. März 1848 ist vollständig abgedruckt in Paul Molisch, „Die Wiener Akademische Legion und ihr Anteil an den Verfassungskämpfen des Jahres 1848“, in Archiv für Österreichische Geschichte, Bd. 110, Wien 1926, 1–207, 41.

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Arbeitern aus den Vorstädten einen Massenaufmarsch und überreichten am 15. Mai 1848 eine ‚Sturmpetition‘ mit der Forderung nach der Einberufung des Reichstages als verfassungsgebendes Organ und der Degradierung der Aprilverfassung zum Provisorium. Am 3. Juni 1848 bestätigte der Kaiser nach weiteren Unruhen und Auseinandersetzungen zwischen Akademischer Legion und Ministerrat die Position der Studenten und versprach die Einberufung des konstituierenden Reichstags. Im Juni häuften sich Maschinenstürmerei und Plünderungen im Zuge von Arbeiterdemonstrationen und sozialen Unruhen. Im Sommer kam es dann zur Spaltung zwischen Bürger und Studenten auf der einen Seite und den Arbeitern der Vorstädte auf der anderen Seite, welche in der Praterschlacht vom 23. August 1848 gipfelte. Erdarbeiter (Straßenbauarbeiter) demonstrierten gegen Lohnkürzungen, die bürgerliche Nationalgarde eröffnete das Feuer auf die Protestierenden. Jetzt trat der Gegensatz zwischen der politischen Revolution von Bildungs- und Besitzbürgern und der sozialen Revolution von proletarischen Arbeiterschichten drastisch zu Tage. Häusler erläutert, die Spaltung sei jedoch schon in der Anfangsphase der Revolution angelegt gewesen: Bürgerwehr und neugebildete Nationalgarde griffen scharf gegen die unruhigen Arbeiter durch, die Mehrzahl der Märzgefallenen starb nicht unter den Schüssen des Militärs, sondern im Verlauf der Wiederherstellung von ‚Ruhe und Ordnung‘ in den Arbeitervierteln der Vorstädte und Vororte.42

Am 6. Oktober 1848 sollten Truppen der Wiener Garnison als Verstärkung der kaiserlichen Armee gegen das revolutionäre Ungarn ausrücken. Dies wurde jedoch von Arbeitern, Nationalgarde und der Akademischen Legion durch Sabotierung der Eisenbahngleise und Straßenschlachten mit den Militärs verhindert. Im Zuge dieser Kämpfe wurde der Kriegsminister Latour, den man für den Truppentransfer nach Ungarn verantwortlich hielt, gelyncht und öffentlich aufgehängt. Damit war das Zeichen zur militärischen Offensive gegen Wien gesetzt: Am 20. Oktober 1848 verhängte Fürst Windischgrätz den Belagerungszustand über die Stadt. Die Kampfhandlungen begannen am 28. Oktober. Drei Tage später, am 31. Oktober 1848, wurde die Stadt nach schweren Kämpfen mit 1.198 Opfern auf Seiten des Militärs und schätzungsweise vier- bis sechstausend auf Seiten der Revolutionäre eingenommen.43 Es folgte die Phase des repressiven Zivil- und Militärgouvernements in Wien. Zahlreiche Festnahmen, Verurteilungen und Exekutionen folgten; so auch am 9. November 1848 die Erschießung des liberal-demokratischen Politikers Robert Blum, der sich an den Kämpfen beteiligte hatte und über dessen politische Immunität als Abgeordneter der Frankfurter Nationalversammlung sich Windischgrätz hinwegsetzte. Im März 1849 wurde der nach Kremsier verlegte konstituierende Reichstag gewaltsam aufgelöst. Es kam in der Folge zu einer jahrelangen Lähmung des städtischen gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Lebens. Erst nach der Ankündigung der Stadterwei42 43

Wolfgang Häusler, „Wien“, 103. Die Opferangaben sind entnommen aus Wolfgang Häusler, „Wien“, 107.

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terung und der Schleifung der Fortifikationen am 20. Dezember 1857 als „Friedensschluß des Kaisers mit dem Besitzbürgertum der Gründerzeit“44 trat die Stadt Wien in eine neue Aufschwungsperiode ein. S t r a ß e u n d F o r u m . Mit Wolfram Siemann möchte ich für die Analyse der theatralen Öffentlichkeit während der Revolutionszeit 1848 in Wien von einer dynamisierenden Kommunikationsrevolution sprechen, welche seit dem Ende des 18. Jahrhunderts vorausgegangene Medien-Entwicklungen bündelt und gleichsam fokussiert in Erscheinung bringt. Siemann fasst prägnant zusammen: Das Doppeljahr 1848/1849 bedeutete in der Tat in Deutschland und darüber hinaus in Europa nicht allein den Ausbruch einer Revolution in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft. Es steht zugleich für eine Kommunikationsrevolution, und man könnte noch weiter gehen und feststellen, daß die freigesetzte Kommunikation überhaupt erst die Bedingungen schuf für eine Dynamik, die sich beständig beschleunigte und welche die Zeitgenossen in hohem Maße erschütterte, irritierte und motivierte, so daß man mitunter nicht anders als von dem ‚tollen Jahr‘ zu sprechen wußte.45

Nachrichten erreichten in nie geahnter Geschwindigkeit über Eisenbahn und telegraphische Kommunikation46 die städtischen Brennpunkte der Revolution, und genau diese Mobilisierung „ermöglichte der politisch erregten Bevölkerung die Schaffung einer lokalen ‚Versammlungsdemokratie‘.“47 Schon vor der Revolution war das politische Fest48 mit dem Wartburgfest (1819) und dem Hambacher Fest (1832) als deutschlandweit wirksames Forum der Öffentlichkeit erfahren und vermittelt worden. Und der Straßenexzess hatte sich ab Mitte der 1840er zum erprobten Mittel vor allem der Unterschicht entwickelt, um existenziellen Forderungen nach Brot und Bier massiv Ausdruck zu verleihen. Kommunikationsmoderne und Versammlungs- bzw. Straßenöffentlichkeit konvergierten nun zum politisch schlagkräftigsten Mittel der Revolution. Man kann die Spielräume von Theater als politisches Medium der 1848er Revolution nur im Zusammenhang mit einer Politisierung des öffentlichen Raumes verstehen. Manfred Gailus konzediert einer ‚politisierten Straßenöffentlichkeit‘ höchste Massenwirksamkeit in der Revolution von 1848: Mehr noch als beratende Sitzungen im Clubzimmer des politischen Vereins oder das politisierende Gespräch in der Wirtsstube, mehr noch als das gedruckte Wort des von der Zensur be44 45 46

47 48

Wolfgang Häusler, „Wien“, 108. Wolfram Siemann, „Revolution und Kommunikation“, in Christof Dipper u. Ulrich Speck, 1848, 301–312. Die Allgemeine Theaterzeitung meldete etwa am 24. Januar 1848: „Die elektro-magnetischen Telegraphen-Linien sind im Kaiserstaate gegenwärtig so weit ausgedehnt und vollständig hergestellt, als die zwei großen Schienenwege nördlich und südlich es selbst sind. Gleichwie längs der Nordbahn, in ihrer Geammtlänge, eine solche Linie besteht, so besteht sie nun auch längs der Südbahn, in ihrer bisherigen Gesammtlänge.“ Wolfram Siemann, „Revolution und Kommunikation“, 302. Zum politischen Fest allgemein vgl. etwa Dieter Düding (Hg.), Öffentliche Festkultur von der Aufklärung bis zum 1. Weltkrieg, Reinbek b. Hamburg 1988.

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freiten Pressewesens kann die politisierte Straßenöffentlichkeit als das wichtigste massenwirksame ‚Medium‘ der Revolutionszeit angesehen werden. Der besetzte öffentliche Raum war nicht allein Schauplatz von Politik, sondern verlangte und kreierte seinerseits einen eigenen Modus des Politischen: ‚Straßenpolitik‘.49

Mit ‚Straßenpolitik‘ meint Gailus den Gebrauch der Straße als ‚öffentliche Bühne‘, die Inbesitznahme des öffentlichen Raums, um „soziale Notstände anzuprangern, um kollektive Ängste und Begehren öffentlich zu machen.“50 Ich würde hier noch eine weitere Funktion hinzufügen, die insbesondere für theatrale öffentliche Formen relevant scheint: die Herstellung einer kollektiven Performativität, die symbolische Darstellung einer politischen Gruppenzugehörigkeit, bei der jeder Beteiligte sich öffentlich der Anwesenheit der anderen und dadurch der Legitimität seiner geäußerten Anliegen versichert. Es scheint daher sinnvoll, Theater in der Revolution als Teil der Versammlungsöffentlichkeit und der ‚Straßenpolitik‘ zu betrachten51 und den Fokus weniger auf Theater als Ort der literarischen Bildungskultur zu legen. Damit lässt sich seine prekäre, aber auch wirksame Öffentlichkeit der Aufführung in den Zusammenhang mit einer Versammlungssituation und der unkontrollierbaren, daher potentiell agitierenden JetztSituation stellen. Mit dieser Logik operiert auch der literarisch-politische Diskurs der Zeit, wenn er das Theater immer wieder als politisches Forum beschwor und die politische Ausgestaltung dieses Forums von den Theaterleuten – Direktoren, Dramatikern, darstellenden Künstlern – forderte. So wurde das Theater etwa als „constitutionelle[s] Haus der Poesie“ bezeichnet, in welchem „der Dichter mit der Beredsamkeit der dramatischen Kunst zur Volksversammlung spricht.“52 Das Theater wurde in einen direkten Zusammenhang mit den politischen Umwälzungen gestellt, die Befreiung des Volkes war gleichsam auch die Befreiung des Dramas: Im Angesicht des stürmenden Fortschritts können wir jetzt auch von Deutschland ein Theater im nationalen Sinne des Wortes erwarten, weil das Volk seine Freiheit begründen hilft und stolz auf seine freiheitliche Heimath wird; ausgeschnitten und ausgebrannt hat es endlich jenen Krebsschaden der Censur und der Tyrannei, die an seiner geistigen Entwickelung bejammernswürdig so lange genagt, und ihren Wachsthum aufhielten. Das Drama, wenn es frei dasteht, muß belebt sein durch eine Idee die das Ganze beseelt, durch ein großes Motiv, dessen Endzweck zur mächtigen That wird. Es müssen die Elemente der Nation darin ringen und charaktervoll wetteifern, es muß seine Geschichte abspiegeln, seine Volksthümlichkeit und seine Thaten.53

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Manfred Gailus, „Die Straße“, in Christof Dipper u. Ulrich Speck, 1848, 155–169, 155. Ebd. So etwa auch Yvonne Raffelsberger, „Theater und Presse 1848/49 in Berlin und Wien.“ Unveröffentlichtes Manuskript, München 1998. A. Barri in Allgemeine Theaterzeitung, 28. März 1848. Anonymus, „Gedanken über die Aufgabe des deutschen Dramas nach der Befreiung Deutschlands“, in Jahrbücher für dramatische Kunst und Literatur, hg. Heinrich Theodor Rötscher. Berlin u. Frankfurt/Oder, Jg. 1848, 292–296.

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Durch den Konnex mit der politischen Volksbewegung sollte das Theater nun seine politischen Taten folgen lassen, es sollte sich in ein politisches Forum umbilden und dem „stürmischen Fortschritt“ angemessene Formen ausbilden. Ein genauerer Blick auf die Spielpläne der Theater und die Theaterkritik der Zeit lässt jedoch erkennen, dass die nun geforderte neue Dramatik auf sich warten ließ. Die politischeren Stücke des Vormärz, etwa von Karl Gutzkow, Heinrich Laube, Robert Prutz und Julius Mosen, wurden zwar verstärkt in das Repertoire aufgenommen, eine spezifische Dramatik der Zeit, der Revolutionszeit, blieb die Ausnahme.54 Dagegen trat gerade in Wien das Theater als Versammlungsort und politisches Tribunal jenseits des Dramentextes deutlich hervor. Die Versammlungs- und Präsenzsituation der Theater-Aufführung wurde jetzt als politisches Potential voll wirksam – und genau dies wurde gefürchtet und geschätzt. Es lässt sich beobachten, dass Aspekte der ‚theatralen Gegenwärtigkeit‘ als quasi theatralisierendes Element auch auf andere Medien der politischen Öffentlichkeit – etwa Zeitung und Einblattdrucke – übertragen wurden, um sie ‚noch gegenwärtiger‘ wirken zu lassen – nämlich gegenüber einem als der Gegenwart zugewandten Volk/Publikum. Dies lässt sich etwa am Phänomen der dramatisierten Flugschrift veranschaulichen, die um 1848 große Verbreitung fand. Hier wurden politische Inhalte als Dialog präsentiert, der das Wirtshausgespräch55, die Diskussion auf der Straße imitierte. Dabei hielten sich die Autoren geflissentlich an die literarischen Konventionen des dramatischen Dialogs: Auf- und Abgänge wurden ebenso didaskalisch verzeichnet wie die räumliche Situation. Der Leser wurde in die allmähliche Entwicklung des politischen Diskurses hineingezogen. Ihm wurde die Gesprächssituation als theatralische Situation vergegenwärtigt, er schien fast einsprechen zu können. In Erweiterung von Manfred Gailus möchte ich daher die Versammlungsöffentlichkeit als den dominierenden ‚Modus des Politischen‘ für 1848 konstatieren, der nicht nur die Straße, sondern auch den öffentlichen Ort der Versammlung – Kaffeehaus, Theater etc. – mit einschließt. Im Rahmen der historischen Situation der Wiener Revolution von 1848 werde ich Aspekte politischer Versammlungsöffentlichkeit der Medien Theater und Zeitung darstellen und diskutieren. Ö f f e n t l i c h k e i t d e r G e g e n w a r t. Im ersten Abschnitt (6.1) werde ich den Fokus auf die Neustrukturierungen von Zeitungsmedien im Sinne des revolutionären politischen Modus der Versammlungsöffentlichkeit legen. Sowohl die kulturelle Praxis mit Zeitungsmedien als auch die binnenmediale Praxis der Zeitungsmedien wird anhand der Kaffeehaus-Öffentlichkeit in Vormärz und Revolution sowie den Umformungen der Allgemeinen Theaterzeitung (Bäuerle) und des Humoristen (Saphir) nach den Märzunruhen kritisch dargelegt. Im zweiten Abschnitt (6.2) wird es darum gehen, wie das Theater auf die Dominanz der studentischen ‚Straßenpolitik‘ reagierte und in der Revolution eine eigene politische 54 55

Eine Ausnahme bildet etwa Johann Nestroy, oder Albert Lortzings „Regina“. Vgl. Kap. 6.3, 366–390. Vgl. oben Kap. 5.1, 238f.

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Position zu finden suchte. Während Franz Pokorny am Theater an der Wien mit Das bemooste Haupt die politische Feier mit den Studenten inszenierte und sich dadurch den Titel eines ‚Nationaltheaters‘ errang, stellte das Carl-Theater den entgegen gesetzten Pol des Spektrums politischen Theaters dar. Johann Nestroy zeigte dort mit Freiheit in Krähwinkel den satirischen Spiegel der Revolution auf, der die Aufführung gerade nicht in der politischen Gemeinschaft aufgehen ließ, sondern die kritische Distanz auf die Ereignisse wahrte. Im dritten und letzten Teilkapitel (6.3) soll es schließlich um den spezifischen Theaterentwurf Albert Lortzings als Beitrag zum politischen Geschehen gehen. Lortzing unternahm mit Regina den Versuch, die politische und gesellschaftliche Relevanz der Oper unter Beweis zu stellen und aus seiner persönlichen Berufslage heraus, am Erfolg des Revolutionstheaters teilzuhaben. Lortzing nahm hier eine quasi vermittelnde Position zwischen der politischen Feier im Theater an der Wien und der kritischen Satire Nestroys im Carl-Theater ein, indem er einerseits genau wie Nestroy konkrete Revolutionsereignisse und -themen inhaltlich aufnahm, andererseits aber die außertheatrale musikalische Erfahrung des Publikums, die zur Herausbildung der revolutionären Gemeinschaft, des revolutionären Gemeinschaftsgefühls, beitrug, in Regina integrierte und so bei den Zuhörern in Erinnerung rief. Ähnlich wie bei der Aufführung des Stückes Das bemooste Haupt zielten auch in Lortzings Oper die Studentenlieder, nationalpolitischen Hymnen und an politische Sprechchöre angelehnten Chorpartien auf die emotionale Bindungskraft in der revolutionären Gemeinschafts-Erfahrung.

6.1

Zeitung und Versammlungsöffentlichkeit

Jörg Requate beschreibt für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Entwicklung des Nachrichtenwesens, das eine Konzeption von gesicherten Fakten als Nachrichtenwert hervorbrachte. Qualitativ unterschied sich damit die Nachricht von einem undurchsichtigen Gemenge an Gerüchten.56 Glaubwürdigkeit der Presse werde nun zu einem nachprüfbaren Qualitätskriterium und einem marktfähigen Gut. Dem Verleger Cotta sei es gelungen, durch den Ausbau eines verlässlichen Korrespondentennetzes seine Allgemeine Zeitung dahingehend zum Referenzpunkt der deutschen Zeitungslandschaft aufzubauen. Damit sei tendenziell eine Abkehr von ‚anarchischen Kommunikationssituationen‘ erreicht worden, es habe hier jedoch in der 1848er Revolution wieder einen Umschwung gegeben:

56

Vgl. Jörg Requate, „‚Unverbürgte Sagen und wahre Fakta.‘ Anmerkungen zur ‚Kultur der Neuigkeiten‘ in der deutschen Presselandschaft zwischen dem 18. und der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts“, in Bernd Sösemann (Hg.), Kommunikation in Preußen vom 16. bis zum 19. Jahrhundert, Stuttgart 2002, 239–254.

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Diese grundsätzliche Tendenz bedeutet gleichwohl nicht, daß es nicht immer wieder auch zu einer Rückkehr zu ‚anarchischen Kommunikationssituationen‘ kommen konnte. Dies soll abschließend noch einmal kurz am Beispiel der 48er Revolution gezeigt werden. Der anarchische Charakter der Nachrichtenkultur entstand dadurch, daß die von der Zensur gepeinigten und geprägten Zeitungen schlagartig an Glaubwürdigkeit verloren und somit auch etwa die Allgemeine oder die Vossische Zeitung als die Referenzpunkte öffentlicher Kommunikation dienen konnten. Ein Zeichen für den anarchischen Charakter der Kommunikation war die Tatsache, daß die Zeitungen ihre Spalten den Lesern öffneten und sich selbst als strukturierende Instanz im öffentlichen Kommunikationsprozeß zurücknahmen.57

Diese so beschriebene ‚anarchische Kommunikationssituation‘ möchte ich an dieser Stelle in eine andere Perspektive bringen. Ich sehe die Transformation des Zeitungsmediums zu einem Forum hin, das sich als Raum für den Diskurs der Stadt, der Straße anbietet, in einem Zusammenhang mit einer quasi ‚Absolutsetzung‘ einer beschleunigten Medienzirkulation. Die Zeitungen versuchten, sich imitierend an eine Versammlungsöffentlichkeit anzunähern, welche in der Revolution der dominante ‚Modus des Politischen‘ war. Dabei blieb der Anspruch auf verlässliche Informationen und glaubwürdige Fakten durchaus bestehen, er wurde in der unruhigen Revolutionszeit bei erhöhtem Orientierungsbedarf sogar noch wichtiger. Wie erklären sich sonst die in den Zeitungen heftig ausgetragenen Debatten darüber, welche Fakten bezüglich der Revolution denn nun wahr wären oder nicht; so etwa auch die wochenlange publizistische Diskussion um die Schüsse, die im März 1848 aus dem Berliner Königstädter Theater fielen, welche immer neue Veröffentlichungen von Ehrenerklärungen und Augenzeugenberichten verschiedener Seiten nach sich zogen.58 ‚ F o u l e ‘ v s . ‚ P u b l i c ‘ . Im Zusammenhang mit der Frage nach der Umorientierung der Zeitungsmedien in der Zeit der Revolution auf ein politisiertes Publikum hin scheint die von Gabriel Tarde vorgenommene mediensoziologische Unterscheidung zwischen einer affektgesteuerten ‚foule‘ und einer abstrakt geistig verbundenen ‚public‘ in methodisch-theoretischer Hinsicht hilfreich.59 Tardes Essay L’opinion et la foule (1901) steht noch ganz im Bann der modernen explosiven Zeitungsentwicklung des späten 19. Jahrhunderts und stellt eine frühe ausführliche Reflexion dar über die Charakteristika einer medialisierten Lese-Gemeinschaft/Zeitungs-Öffentlichkeit (‚public‘, frz. „Publikum, Öffentlichkeit“) im Gegensatz zur körperlich präsenten Menge (‚foule‘, frz. „Menge, Menschenmenge“): On dit: le public d’un théâtre, le public d’une assemblée quelconque; ici, public signifie foule. Mais cette signification n’est pas la seule ni la principale, et, pendant que son importance décroit ou reste stationnaire, l’âge moderne, depuis l’intervention de l’imprimerie, a fait appa-

57 58 59

Jörg Requate, „Unverbürgte Sagen“, 251. Vgl. Kap. 5.3, 287, Anm. 247. Gabriel Tarde, L’Opinion et la foule, Paris 1901.

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Die Gegenwart der Öffentlichkeit

raître une espèce de public toute différente, qui ne cesse de grandir, et dont l’extension indéfinie est l’un des traits les mieux marqués de notre époque.60

Die Zeitungsleserschaft als ‚public‘ sei durch einen gemeinsamen Erfahrungs- und Denkhorizont verbunden, der bei der aktuellen Zeitungslektüre präsentische Wirkung entfalte. Die Überzeugung, dass eine Idee oder eine Meinung im gleichen Moment von einer zerstreuten Menge an Menschen geteilt werde, führe zu einer engen Verbindung: „Il suffit qu’il sache cela, même sans voir ces hommes, pour qu’il soit influencé par ceux-ci pris en masse, et non pas seulement par le journaliste, inspirateur commun, qui lui-même est invisible et inconnu, et d’autant plus fascinateur.“61 Daher auch das negative Gefühl, das entstehe, wenn der Zeitungsleser entdecke, in einer alten Zeitung gelesen zu haben: Die imaginative Aktualisierung der Lese-Gemeinschaft funktioniert nicht mehr, der individuelle Leser ist aus dem gemeinsamen Denkhorizont herausgefallen.62 In Tardes Konzeption des ‚public‘ findet sich daher, wenn auch imaginativ und medialisiert, durchaus der Aspekt der präsentischen Gemeinschaft. Wenn man diesen Gedanken Tardes weiter verfolgt, dann wäre die so häufig als neuartig postulierte vernetzte und aktualisierte Gemeinschaft des Web 2.0 nur eine modifizierte Form von Tardes spiritueller Leser-Gemeinschaft, die sich über die Zeitungslektüre imaginativ verbindet. Zeitungsöffentlichkeit (‚public‘) und Versammlungsöffentlichkeit (‚foule‘) verfügen gleichermaßen über starke Bindungskräfte – die eine durch den imaginierten Gegenwarts-Horizont, die andere durch die körperliche Anwesenheit der Beteiligten. Für den Zusammenhang meiner Studie bietet die Unterscheidung von ‚public‘ und ‚foule‘ die Möglichkeit, sich genau die Momente des Übergangs zu vergegenwärtigen, die meiner Meinung nach schon potentiell im oben erläuterten Präsenz-Aspekt der Zeitungs-Öffentlichkeit angelegt sind. So stellt Tarde nicht zufällig fest, trotz der konzeptionellen Unterscheidung, sei von allen sozialen Aggregaten die Menge (‚la foule‘) dasjenige, welches mit den ‚publics‘ die engste Verbindung habe.63 Die konkrete politische Situation der Revolution verursache die Transformation der abstrakten geistigen Gemeinschaft in eine körperlich präsente und gemeinsam handelnde Menge; die medialen Formen der direkten Kommunikation würde dominieren, die überhitzte Lese-Gemeinschaft gebäre den Straßenmob: Du public surexcité, il est vrai, naissent des rassemblements tumultueux dans la rue; et, comme un même public peut être répandu sur un vaste territoire, il est possible que, dans beaucoup de villes à la fois, des multitudes bruyantes nées de lui s’assemblent, crient, pillent, massacrent. […] Si, par hypothèse, tous les journaux étaient supprimés, et, avec eux, leurs publics, est-ce que la population ne manifesterait pas une tendance beaucoup plus forte qu’a présent à 60 61 62

63

Gabriel Tarde, L’Opinion et la foule, 1f. Gabriel Tarde, L’Opinion et la foule, 3. Vgl. Gabriel Tarde, L’Opinion et la foule, 4: „J’ouvre un journal que je crois du jour, et j’y lis avec avidité certaines nouvelles; puis je m’aperçois qu’il date d’un mois, ou de la veille, et il cesse aussitôt de m’intéresser. D’où provient ce dégoût subit? Les faits racontés ont-ils rien perdu de leur intérêt intrinsèque? Non, mais nous nous disons que nous sommes seuls à les lire, et cela suffit.“ Vgl. Gabriel Tarde, L’Opinion et la foule, 26.

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se grouper en auditoires plus nombreux et plus denses autour des chaires de professeurs, de prédicateurs même, à remplir les lieux publics, cafés, clubs, salons, salles de lecture, sans compter les théâtres, et à se comporter partout plus bruyamment?64

Genau auf diese Situation reagierten die Zeitungsmedien in der Revolutionszeit, so meine These, und integrierten in ihre Formen und Formate Aspekte von Versammlungsöffentlichkeit – ‚public‘ und ‚foule‘ wurden gleichermaßen aufgesogen. Damit gewinnt man eine andere Sicht auf Jörg Requates Unterscheidung zwischen einem gerade erst gewonnenen ‚strukturierten Nachrichtenwesen‘ und einer der Revolution geschuldeten ‚Kommunikationsanarchie‘: Die Präsenzaspekte der Zeitungen, welche die redaktionellen Eingriffe der Zeitungsmacher zugunsten des Leser-Disputes zurückdrängten, stellten nicht den temporären Rückfall auf die Ebene der „unverbürgten Sage“65 dar, sondern eine Reaktion der Zeitungsmedien auf die politische Dominanz der Versammlungsöffentlichkeit, welche Potential für eine weitläufige Medienlandschaft bereithielt. D i e Z e i t u n g i m K a f f e e h a u s. Das Kaffeehaus war der öffentliche Ort, an dem das Zeitungslesen mit dem Gespräch, nicht selten mit dem politischen Diskurs, verbunden wurde. Wie oben schon dargestellt, wurde es dem jungen preußischen Dramatiker Gotthilf August von Malitz in den 1820er Jahren zum Verhängnis, dass er in einschlägigen Berliner Konditoreien die brisantesten Stellen aus seinen Stücken vorlas und sich so als Akteur in einer politischen ‚Ersatz‘-Öffentlichkeit exponierte.66 Durch das laute Vorlesen und das Gespräch wurde die Zeitung im Kaffeehaus zu einem ‚performativen Medium‘ – damit wurden Nachrichten und politische Inhalte einerseits auch leseunkundigen Schichten zugänglich, andererseits bot der Ort direkte Mitsprache in kritischen Gesprächen. Beides ließ sich schwer mit aufklärerischem Bildungsvorbehalt und dem Monopolstreben der politischen Kommunikation staatlicher Obrigkeiten in Einklang bringen. Spitzelberichte aus dem Wien der 1820er Jahre zeugen von einer erhöhten Aufmerksamkeit für das, was sich anhand der Zeitungslektüre in den Cafés performativ entfaltete. Aufgrund einer Mitteilung, dass im Kaffeehaus Benko „täglich eine Gesellschaft zusammenkomme, unter welcher sich besonders mehrere pensionirte Offiziere befinden sollen, in der die Tagszeitungen laut abgelesen, und dann mit anstößigen Bemerkungen besprochen werden,“67 wurden von der Polizei „vertraute Männer“68, also Spitzel, dort eingeschleust, die über die Zeitungsgesellschaft berichteten. Es handelte sich um eine regelmäßige Zusammenkunft Wiener Bürger: ein Kaufmann, ein Arzt, ein niederer höfischen Beamter, ein ehemaliger Militärarzt, ein Makler und ‚Negozient‘69: 64 65 66 67 68 69

Gabriel Tarde, L’Opinion et la foule, 26f. So der Titel seines Aufsatzes, vgl. Jörg Requate, „Unverbürgte Sagen“. Vgl., Kap. 4.2, 178f. OESTA Wien, Allgemeines Verwaltungs-Archiv, Polizeihofstelle, 2234/1820, Studenten im Kaffeehaus Benko in Wien, Über die Gesellschaften in Benko’s Kaffeehaus, 17. März 1820. Ebd. Ebd.

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Sobald die Wiener Zeitung anlangt, nimmt sie [der Kaufmann] Ledl zur Hand, alles schweigt und er beginnt in seinem Pathos die Ablesung, welche sich auf alle Beylagen ausdehnt. Sobald er geendet hat, macht er mit seinen Konsorten seine Bemerkungen, die aber weder politisch, noch unpatriotisch sind, sondern sich meistens in commerziellem Sinne aussprechen. Die Ansichten sind öfters komisch und andere Gäste, die sich dabey einfinden, belustigen sich damit.70

Abb. 10: Zeitungslektüre im Kaffeehaus, 1848

Obgleich sowohl das Kaffeehaus Benko ein nur wenig einflussreicher „Sammlungsplatz der gemeinsten Negozienten und Gassen Geldmäckler“ und „seit einiger Zeit […] weniger besucht“71 sei, als auch die Bemerkungen dem Berichterstatter „weder politisch, noch unpatriotisch“ erschienen, so lässt sich aus dem kurz Zitierten doch die öffentliche Wirkung und das performative Potential herauslesen. Ledl schaffte es, die Aufmerksamkeit der Gruppe auf sich zu ziehen („alles schweigt“) und bediente sich „in seinem Pathos“ theatraler Stimmfärbung und (kritischen?) Witzes, um auch die weitere Kaffeehaus-Öffentlichkeit zu erreichen – „andere Gäste“ fanden sich ein und nahmen daran teil. Dieses performative Potential wurde jedoch trotz „politische[r] Neuigkeitkrämmer 70 71

OESTA Wien, Allgemeines Verwaltungs-Archiv, Polizeihofstelle, 2234/1820, Studenten im Kaffeehaus Benko in Wien, Über die Gesellschaften in Benko’s Kaffeehaus, 17. März 1820. Ebd.

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72

und Zeitungszergliederer“ nicht als politische Bedrohung angesehen; es folgten keine weiter belegten Eingriffe der Polizei.73 Auch die Aktivitäten der literarischen Zirkel in Kaffeehäusern standen unter Beobachtung, waren jedoch nicht einfach zu kontrollieren, wie angesichts einer Eingabe der Schauspielerin Caroline Pann bei der Polizeihofstelle gegen den Journalisten Saphir74 belegt ist. Pann berichtete im November 1838, dass nach ihrem Gastspiel am Theater an der Wien in Saphirs Humorist eine hämische Kritik hätte erscheinen sollen, welche aber von der Zensur gestrichen worden war. Anschließend sei diese Kritik dann jedoch von Saphirs Mitarbeitern Schlesinger und Lewitschnigg unter Umgehung der Zensur in Kaffeehäusern öffentlich verlesen worden. Wenige Tage später schlug Saphirs publizistischer Konkurrent Adolf Bäuerle in die gleiche Kerbe, indem er angab, Schlesinger und Saphir würden ihn unausgesetzt angreifen, und beklagte, „daß der Unfug des Vorlesens beleidigender Aufsätze, ob diese nun erst censurirt werden sollen, oder bereits nicht censurirt, sondern gestrichen wurden, täglich mehr in der Clique des Herrn Saphir […] überhand nimmt“.75 Der Polizeibericht des Hofrats Josef von Amberg zur Sache76 hielt zum einen sachlich den Zusammenhang zwischen der wirtschaftlichen Konkurrenz von Saphir und Bäuerle und der Denunziation des letzteren fest, stellte jedoch nicht in Abrede, dass die angesprochenen Treffen und Lesungen wirklich im Adamischen und Corra’schen Kaffeehaus statt fanden. Nach seinen Informationen sei der betreffende Aufsatz zum Gastspiel der Pann im Theater an der Wien wirklich verlesen worden, jedoch sei die Strafverfolgung aussichtslos, da „keines der Mitglieder im Falle einer ämtlichen Nachfrage eine der Wahrheit gemäße Zeugenschaft abgeben würde“ und die Beteiligten sich „durch vorgeschützte Unkenntnis des einen oder anderen Factums […] zu entziehen wissen.“77 Aus diesem Grunde müsse sich die Behörde auf genaue und diskrete weitere Beobachtung beschränken, um nicht durch ineffektives Eingreifen „die Veranlassung zu einer noch feindseligeren Stimmung“78 zu geben. 72 73

74 75 76 77 78

OESTA Wien, Allgemeines Verwaltungs-Archiv, Polizeihofstelle, 2234/1820, Studenten im Kaffeehaus Benko in Wien, Über die Gesellschaften in Benko’s Kaffeehaus, 17. März 1820. Dieses Dokument wurde bezeichnenderweise unter der Überschrift „Studenten im Kaffeehaus Benko in Wien“ ohne weitere Berichte oder Akten abgelegt, obgleich darin nicht von Studenten die Rede ist. Hierdurch entstand ein Konnex zwischen dieser Bevölkerungsgruppe und der politisierten Debatte in den Kaffeehäusern, wie er in den Köpfen der Polizei-Beamten anscheinend bereits selbstverständlich bestand und zur Spitzelei verstärkt Anlass gab. OSTA Wien, Allgemeines Verwaltungs-Archiv, Polizeihofstelle, 1382/1839, Saphir, Angriffe in dem ‚Humoristen‘, Schreiben der Schauspielerin Caroline Pann, 30. November 1838. OSTA Wien, Allgemeines Verwaltungs-Archiv, Polizeihofstelle, 1382/1839, Saphir, Angriffe in dem ‚Humoristen‘, Schreiben des Adolf Bäuerle, 2. Dezember 1838. OSTA Wien, Allgemeines Verwaltungs-Archiv, Polizeihofstelle, 1382/1839, Saphir, Angriffe in dem ‚Humoristen‘, Polizeibericht, 19. Februar 1839. Ebd. Ebd.

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Amberg beschrieb hier genau die Zwangslage der Polizeibehörden in der Zeit. Einerseits gab es nachweislich ein wachsendes Interesse der Wiener Bürger und literarischen Kreise an der Partizipation an literarischer, kritischer und publizistischer Öffentlichkeit, die einen erhöhten Kontrollbedarf bei den staatlichen Behörden erzeugte; andererseits durfte dieser sich nicht ungebremst Bahn brechen, da gerade die gewachsene Öffentlichkeit und öffentliche Meinung ihrerseits zunehmend darauf reagierte. Wie stark zu Beginn der 1840er die Kultur der Kaffeehausöffentlichkeit in Wien bereits geworden war, davon zeugt eine dringende Anfrage des Grazer Bücher-RevisionsAmtes, also der lokalen Zensurstelle, am 28. Februar 1842,79 ob es den dortigen Kaffeesiedern erlaubt sein solle, neben den inländischen politischen Zeitungen auch ausländische, literarische und belletristische Zeitungen auszulegen. 1798 war ein HofkanzleiDekret ergangen, wonach die literarischen Zeitungen nicht mehr öffentlich ausliegen durften, da durch sie Auszüge von verbotenen Büchern an die Öffentlichkeit gelangen könnten. Die k.k Polizeidirektion in Graz sah diese Regel durch die in Wien obwaltende Zensurpraxis widerlegt, da obgleich die Zensur-Vorschrift von 1798 nicht aufgehoben sei, man davon jedoch „schon längst abgekommen zu seyn scheine, indem bekannter Maßen in der Residenzstadt Wien selbst [seit] einer Reihe von Jahren in Kaffeehäusern außer den [erlaubten] politischen Zeitungen nicht nur inländische, sondern auch [aus]ländische, literarische und belletristische Journale [für die] Gäste öffentlich gehalten werden.“80 Daher könne die Rückkehr zur genauen Beachtung der Zensur-Regel von 1798 nicht im Sinne der hohen Staatsverwaltung liegen. So kann man feststellen, dass es in den 1840er Jahren einer Medien- und Kulturpraxis gelungen war, bei den Polizei-Behörden durch die beharrliche und performative Ein- und Ausübung ein Bewusstsein für die selbstverständliche Ausweitung der Kaffeehaus-Öffentlichkeit zu schaffen. Das gesamte Spektrum an verfügbarer ZeitungsÖffentlichkeit wurde tolerierbar, obgleich das performativ politische Potential immer noch unbestreitbar offen lag. Damit waren Grundlagen einer publizistischen und performativen Kaffeehaus-Kultur geschaffen, die mit der Februar-Revolution 1848 in Paris diesen Ort schlagartig zur Informationszentrale und zum turbulenten nachrichtenpolitischen Umschlagplatz machten. Am 11. März 1848, also noch vor den gewaltsamen Ausbrüchen in Wien am 13. März 1848, berichtete die Allgemeine Theater-Zeitung, dass seit dem Beginn der Erhebung in Paris die Zeitungen in den Kaffeehäusern so begehrt und umkämpft seien wie vormals die Plätze zu einem Gastspiel der ‚schwedischen Nachtigall‘ Jenny Lind81. 79 80

81

OESTA Wien, Allgemeines Verwaltungs-Archiv, Polizeihofstelle, H 134/1842, Zeitungen, Halten von – durch die Kaffeehäuser, Schreiben des Bücher-Revisions-Amtes in Graz, 28. Februar 1842. OESTA Wien, Allgemeines Verwaltungs-Archiv, Polizeihofstelle, H 134/1842, Zeitungen, Halten von – durch die Kaffeehäuser, Gutachten der k. k. Polizei-Direktion Graz, 14. März 1842. In den eckigen Klammern wurden die durch Brandschaden unkenntlich gemachten Wortteile durch Textvergleiche sinnvoll ergänzt. Allgemeine Theaterzeitung, 11. März 1848.

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Nichts sei interessanter, als zu beobachten, wie es dort beim Erscheinen der Zeitungen zuginge: Wie das Raubthier auf seine Beute lauert und über dieselbe herfällt und verschlingt, so lauern auch die Leute auf das Erscheinen der Zeitungen, reißen, stoßen, drücken sich, um dieselben, bis endlich Einer so glücklich ist, sie zu erobern. Dieser Glückliche muß sich nun, von allen Seiten bedrängt, bequemen, die ganze Zeitung laut vorzulesen, weil die Andern nicht mehr die Geduld haben, länger ihre Neugier zu bezähmen. – Alle scharen sich nun um den Vorleser herum, und es herrscht die größte Stille im Saale, welche nur durch die Stimme des Vorlesers unterbrochen wird. – Auf Billiards und Stühle steigen die Gäste, um nur einen Blick in die Zeitung werfen zu können.82

Der Autor beschreibt hier ein regelrechtes Kampfgewühl – nie war das Bedürfnis nach aktuellen Nachrichten dringender.83 Das Vorlesen – ein kostengünstiger und zeitsparender Informationsmodus für alle Beteiligten – schuf eine kommunikative Gemeinschaft, die alle Schichten, auch wenig gebildete oder illiterate Menschen, umfassen konnte. Die Zeitung wurde bei dieser ‚Performance‘ fast zum Fetisch erhöht. Es ging nicht nur darum, das aktuellste politische Geschehen zu erfahren, nein, wichtig war es außerdem, einen einzigen Blick auf das Blatt zu erhaschen und mit eigenen Augen das gedruckte Faktum zu erfassen, ohne es wirklich inhaltlich selbst studieren zu müssen. Zweimal täglich – morgens beim Erscheinen des Österreichischen Beobachters und mittags beim Erscheinen der ausländischen Blätter – sei das Treiben zu beobachten84, aber am Wichtigsten sei es, beim anschließenden Diskurs dabei zu sein: „Und wenn die Vorlesung geendet hat, dann geht es erst los, da ist ein Plaudern, ein Schreien und ein Durcheinanderrennen in den Caffeehäusern, daß man sein eigenes Wort kaum hört.“85 Der Beobachter wurde nun zum Wortführer, auch wenn sein Sprechen im Lärm der erregten Diskussion fast unterging. Die Gespräche über die aktuelle politische Situation werden hier als dynamisches Brausen dargestellt. Alle Anwesenden wurden in den kommunikativen Rausch hinein gesogen. Man kann sich vorstellen, welch affektiver Zündstoff dies barg, wie schnell der Funke vom ‚brausenden‘ Diskurs zur kollektiven politischen Protesthandlung übersprang. Das Kaffeehaus stellte hier die Vorstufe zur ‚Straßenpolitik‘ dar. Die geistig rationale ‚public‘ stand an der Schwelle zur ‚foule‘, die revolutionäre Situation im Kaffeehaus stellte den Übergang von der Zeitungsöffentlichkeit zur Versammlungsöffentlichkeit her. Nicht nur in der akuten Kampfphase der Revolution, sondern auch in der anschließenden Orientierungs- und Symbolisierungsphase der Revolutionäre standen die 82 83

84 85

Allgemeine Theaterzeitung, 11. März 1848. Es gibt eine große Anzahl von Berichte die gleichermaßen das Gedränge um die Zeitungen im Kaffeehaus als neuartig empfundene Kommunikationssituation herausstellen. So etwa die bei Wolfram Siemann zitierte Beschreibung des sächsischen Legationsekretärs Carl Friedrich Graf Vitzthum von Eckstädt aus Wien am 5. März 1848, vgl. Wolfram Siemann, „Revolution und Kommunikation“, 301. Allgemeine Theaterzeitung, 11. März 1848. Ebd.

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Kaffeehäuser weiter im Zentrum der Kommunikationsdynamik. Die Zeitungen waren weiterhin eine wichtige Nachrichtenquelle, darüber hinaus war das Kaffeehaus ein Ort des mündlichen Informationsaustausches. Gerüchte sprangen von einem zum anderen, aber auch konkrete Beratungen, wie man sich nun zu verhalten hatte, fanden statt. In den Kaffeehäusern lag in der Regel auch der stenographische Bericht der Frankfurter Nationalversammlung aus86, wodurch dort eine direkte Vermittlung der nationalen Revolutionspolitik erfolgen konnte. Diesem Versammlungs- oder Straßenpolitik-Modus konnten sich auch die Zeitungen vor Ort nicht entziehen. Am Beispiel der Allgemeinen Theater-Zeitung soll gezeigt werden, inwiefern sich ein Wiener Zeitungsmedium in der Revolutionszeit durch Umgestaltung seiner publizistischen Inhalte und Formate der Situation der politischen Dominanz von präsentischen Kommunikationsformen zu begegnen suchte. ‚ C e n s u r f r e i e s O r g a n ‘ . Die Wiener Theaterszene war genau wie die Berliner Theaterszene zwischen 1800 und 1850 eng verflochten mit der Zeitungsöffentlichkeit der jeweiligen Stadt. Man könnte auch hier eine ‚Kampfzone‘ der Öffentlichkeit feststellen, wie sie oben für die preußische Residenz dargelegt wurde.87 Die publizistischen Angriffe liefen über verschiedene Medienformen, Stückeschreiber karikierten Journalisten, Zeitungsschreiber druckten polemische Stückekritiken und endlich wurden auch die Theaterdirektoren nicht verschont. 1817 stellte die Polizeihofstelle resigniert eine unübersichtliche gegenseitige Denunziation gegen die Öffentlichkeitsakteure des Theaters fest: Neuerlichst erst hat der bekannte Comödienschreiber Meisl gegen den Journalisten Hebenstreit, dieser wieder gegen den berüchtigten Herausgeber der Theater Zeitung Bäuerle, letzterer aber gegen den Theaterdichter Menner, endlich dieser wieder gegen den vorgedachten Bäuerle gleichzeitige Klage geführt, weil einer von dem anderen, durch persönliche Ausfälle in öffentlichen Blättern sich beleidigt glaubte.88

Als Konsequenz wurden alle Redakteure und Herausgeber von Journalen, „in welchen gewöhnliche Kritiken überhaupt, insbesondere aber Theaterkritiken vorkommen“89, vorgeladen und bei voller Haftung für die Mitarbeiter darauf verpflichtet, „keinen Aufsatz aufzunehmen, welcher das Gepräge der Persönlichkeit und der öffentlichen Verun86 87 88 89

Vgl. Wolfram Siemann, „Revolution und Kommunikation“, 306. Vgl. Kap. 4., 139–222. OESTA, Allgemeines Verwaltungs-Archiv, Polizeihofstelle, H 162/1817, Theaterkritiken, Beschwerde gg. die – wg. abfäll. Schreibweise, Dekret der Polizeihofstelle, 27. August 1817. Ebd., folgende Journale sind genannt: Wiener Allgemeine Theaterzeitung (Hg. und Red. Adolf Bäuerle), Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode (Hg. Schick, Red. Hebenstreit), Der Sammler (Hg. Strauß, für Theaterkritiken Joseph von Seyfried), Allgemeine musikalische Zeitung (Hg. Steiner), Vaterländische Blätter, oder eigentlich dessen angehängte Chronik der österreichischen Literatur (Hg. Strauß, Red. Satori), Eipeldauer Briefe (Hg. König, Red. Gewey), Der Wanderer (Hg. Strauß, Red. Joseph von Seyfried).

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glimpfung an sich trägt“ . Bei einem Verstoß dagegen wurde das Verbot des Journals angedroht. Zahlreiche Beschwerdebriefe und Eingaben der folgenden Jahre, welche in den Akten der Polizeihofstelle dokumentiert sind, sprechen davon, dass sich diese Eindämmung der Theater-Polemik nicht realisieren ließ. Auch die Beschwerden des Theaterdirektors Franz Pokorny gegen Saphirs Humoristen im Jahr 1847 konnte die Polizeihofstelle nur mit wenig effektiven Drohgebärden gegen den Satiriker und Journalisten beantworten.91 In dieser publizistischen Atmosphäre der übersteigerten Theater-Polemik brach sich das Konzept der Meinungspresse Bahn, die Schärfe der Auseinandersetzung brachte der Vorsteher des Bücher-Revisions-Amtes, Heinrich Josef Hölzl, im Januar 1848 mit dem Bedarf nach einer Medienöffentlichkeit in Verbindung: Da die kritischen Besprechungen der hiesigen Bühnen beinahe das einzige Element bilden, welches nach den bestehenden Censurgesetzen unter allen Erscheinungen des öffentlichen Lebens den Wiener Journalen zur vollsten Diskussion allein überlassen bleibt, so ist es nicht zu verwundern, wenn die theatralische Polemik bisweilen schärfer hervortritt.92

Hölzl lieferte auch gleich das probate Mittel gegen diesen ‚Übelstand‘: „[Bei] einem repressiven Pressengesetz, wo jeder Redacteur und Schriftsteller gegen Jedermann mit seiner persönlichen Verantwortung einzustehen hat“, könnte sich kein Publizist hinter der durch die Zensur verbrieften Schmähung verschanzen, ohne ein Gerichtsverfahren befürchten zu müssen. Hölzl griff hier schon dem am 1. Februar 1848 erlassenen Zensurgesetz vor, das einen rechtlichen Instanzenzug bis zum obersten Zensurkolleg vorsah und die Einrichtung einer eigenen Zensur-Oberdirektion.93 Vom Berufungsrecht explizit ausgenommen blieben Zeitschriften, Tag- und Flugblätter.94 Durch die Revolution wurde dieses Gesetz bereits sechs Wochen später schon Makulatur. Die Zensur blieb auch nach der Erklärung der Pressefreiheit 1848 ein wichtiges Thema für die Zeitungen. Denn nun ging es zum einen darum, den revolutionären Lesern zu vermitteln, dass sie ein vollständig erneuertes, nämlich ‚freies‘ Blatt in den Händen hielten, zum anderen musste die freiheitliche Gesinnung als ursprünglicher Charakter90 91 92 93

94

OESTA, Allgemeines Verwaltungs-Archiv, Polizeihofstelle, H 162/1817, Theaterkritiken, Beschwerde gg. die – wg. abfäll. Schreibweise, Dekret der Polizeihofstelle, 27. August 1817. Vgl. dazu das Aktenkonvolut OESTA Wien, Allgemeines Verwaltungs-Archiv, Polizeihofstelle, 463/1848, Saphir, Pokorny – Humorist, div. Berichte. OESTA Wien, Allgemeines Verwaltungs-Archiv, Polizeihofstelle, 463/1848, Saphir, Pokorny – Humorist, Abschlussbericht des k.k. Wiener Bücher-Revisions-Amtes, 19. Januar 1848. Das Zensur-Gesetz erfüllte hier teilweise die Forderungen der österreichischen Literaten, welche sie 1845 als Petition vorlegten: Erlassung eines Zensur-Gesetzes auf der Grundlage der ZensurInstruktion von 1810, Verleihung einer unabhängigen Stellung für die Zensoren, Gründung eines wirksamen Rekurs-Zuges in Censur Angelegenheiten. Vgl. Adolph Wiesner, Denkwürdigkeiten der Österreichischen Zensur vom Zeitalter der Reformazion bis auf die Gegenwart, Stuttgart 1847, 416. OESTA, Allgemeines Verwaltungs-Archiv, Polizeihofstelle, H 109/1847, Errichtung einer CensurOberdirection in Wien und eines Obersten Censur-Collegiums, gedruckte Bekanntmachung für den Behördenversand ohne Datum.

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zug erklärt werden – die jeweiligen Publizisten waren bemüht, immer schon Gegner und Opfer der Zensur gewesen zu sein. Hier hatte Adolph Bäuerle gegenüber seinem Erzrivalen Saphir die deutlich schwächere Position. Saphir hatte nachweislich gegen die Zensur politisch agiert. So war er an der Zensur-Petition der Wiener Literaten aus dem Jahre 184595 beteiligt gewesen und stand als politisch exponierter Akteur auch bei privaten Festen unter polizeilicher Überwachung. So heißt es in einem Spitzelbericht vom 15. Februar 1847 über eine Soirée, bei der auch theatralische Darstellungen stattfanden: Donnerstag den 11. d. Mts. war Soirée bei Saphir, wobei Meyerbeer, Hr. und Mad. Rettich, Hr. und Mad. Fichtner, Hr. und Mad. Koch, Hr. und Mad. Eberberg, Anschütz, Jerrmann, Hr. und Mad. Laroche, Hr. und Mad. Holbein, Mad. Heitzinger, Dlle. Neumann, Dr. Schlesinger, Mortier, Sedlitz , Jeitteler, Saphir jun., Mad. Dobbler u. m. a. Notabilitäten erschienen. Es wurde Thee servirt und konversirt bis ½ 11 Uhr, wornach ein glänzendes Soupee erschien. In der Zwischenzeit las Saphir unter der Thüre eine humoristische Vorlesung, und nach ihm erschien seine kleine Tochter als Saphir kostümirt mit Perüke, Brillen und Schnurbart und las auch eine humoristische Vorlesung, worüber sehr gelacht wurde. Mad. Gordon machte die honneurs. Eingeladen waren noch hatten aber abgesagt: Jenny Lind, Erl und Dlle Zerr. Hr. Mortier spielte Einiges.96

Der Bericht zeugt hier gleichzeitig von der weiten künstlerischen Vernetzung des Journalisten wie von der Banalität des ‚Spitzelgeschäfts‘. Im Bericht über ausspionierte Korrespondenzen, ebenfalls vom Februar 1847, gab es brisanteren Stoff zu berichten, nämlich, dass Saphir den bespitzelten Literaten als aktiver Gegner der Zensur galt: „In den Briefen der Litteraten wird neuerlich viel über Censur gesprochen und namentlich werden dem Redakteur Saphir Bemühungen in den Mund gelegt, welche, wenn gleich deren Richtigkeit durchaus nicht gewährleistet ist, dennoch zur hohen Kenntniß Euerer Excellenz ehrerbiethigst gebracht werden zu sollen scheinen.“97 Es ging sogar das Gerücht um, Saphir wolle den Protest-Gang zum Innenminister wagen: Die Journalisten behaupten mit der Censur nicht länger auskommen zu können. Saphir gar soll seit der letzten Akademie erzählen: daß er bei der Hofstelle war, um zu erklären, daß [sein Blatt] mit dieser Censur aufhören müsse zu erscheinen, daß er seine Concession zurückgeben müsse, denn unter diesen Umständen könne er seine Verpflichtung gegen die Abbonnenten nicht länger erfüllen. Er wolle noch einen letzten Schritt thun nämlich zum Grafen Kolowrat gehen. 98

Ob Saphir letztlich diesen Schritt getan hat oder nicht, ist im Fortgang der Ereignisse unerheblich. Wichtig war jedoch, dass seine Reputation als Zensurgegner später in der Revolutionsphase gesichert war. 95 96 97 98

Vollständig abgedruckt mit Signaturen-Liste bei Adolph Wiesner, Denkwürdigkeiten, 409–422. OESTA Wien, AVA, Polizeihofstelle, 1614/1847, Bl. 6–10, Bericht des Hofrats Dumbacher, 15. Februar 1847. OESTA, Allgemeines Verwaltungs-Archiv, Polizeihofstelle, 1614/1847, Bericht an die Polizeihofstelle, 9. Februar 1847. Ebd.

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Ganz anders dagegen Bäuerle, der etwa die oben genannte Petition von 1845 nicht unterzeichnet hatte. Am 16. März 1848, einen Tage nach der Durchsetzung der Revolutionsforderungen, denen mit der allerhöchsten Entschließung vom 15. März 1848 nachgegeben wurde, druckte Bäuerle in seiner Zeitung erstmals Berichte vom Revolutionsgeschehen ab. In den Tagen davor war die Allgemeine Theater-Zeitung im gewohnten Format und mit den gewohnten Inhalten – mit Berichterstattung über die Lage in Paris, aber ohne Erwähnung der Wiener Unruhen und mit dem Fortsetzungsroman auf Seite eins – erschienen. Jetzt aber war das ganze Blatt von der Erzählung über die revolutionären Ereignisse bestimmt. Bäuerle konnte offensichtlich aus druck- und zensurtechnischen Gründen von seiner geplanten Veröffentlichung nicht so schnell abweichen. Saphir reagierte schneller. Bereits am 15. März 1848 erschien im Humoristen eine Eloge der ‚Preßfreiheit‘, von Saphir „in der Nacht vom 14. auf den 15. März 1848“99 niedergeschrieben. Der vierseitigen Ausgabe war zudem eine fünfte Seite mit Zensur-Karikaturen beigegeben. Vielleicht machte diese Differenz es für Bäuerle nötig, sich an den ‚Freiheitsdiskurs‘ der Revolution bestimmt anzuschließen und ein Bekenntnis zur Zensurfreiheit abzudrucken: Böswillige haben das Gerücht verbreitet, und wie sehr leicht zu begreifen ist, in der Absicht die ‚Theaterzeitung‘ zu verdächtigen, das Gerücht, nämlich: ich ließe meine Blätter noch immer und zwar heimlich censuriren!!! Wenn irgend einer der Redacteure Wiens ein Jubelgeschrei über die gestürzte Censur anzustimmen Ursache hat, so bin ich es, denn mehr chikanirt und maltraitirt als ich wurde gewiß keiner! […] Wien, am 20. März 1848. Adolf Bäuerle.100

Um seine Zeitung fest in den Zusammenhang der Errungenschaften der Revolution zu stellen, verankerte Bäuerle ab dem 1. April 1848 den Ausweis der Pressfreiheit in der Titelei: „Allgemeine Theater-Zeitung. Censurfreies Organ für alle Erscheinungen des Tages, im Leben, im Fortschritte der Zeit, in Kunst und Wissenschaft, in der Literatur, im Bereiche der Intelligenz, der Industrie, des Handels u.u.“101 Bis Ende März 1848 hatte sich Bäuerle mit einer weit bescheideneren Reichweite der Berichterstattung begnügt, der alte Titel hatte als „Originalblatt für Kunst, Literatur, Musik, Mode und geselliges Leben“ die Grenzen innerhalb des gesellschaftlichen Unterhaltungsfeldes eng gezogen. Obgleich die Allgemeine Theaterzeitung auch schon früher kleinere Notizen aus dem wirtschaftlichen, industriellen und politischen Leben, etwa in den Rubriken „EisenbahnZeitung“, „Welt-Courier“, „Tagsbegebenheiten“ etc., gedruckt hatte, so fehlte doch der Anspruch einer dezidiert politischen Berichterstattung. Dies änderte sich nun angesichts der von Frankreich ausgehenden politischen Umwälzungen. Am 7. März 1848 führte

99

Moritz Gottlieb Saphir, „Der erste Frühlingsstrahl der Preßfreiheit!“, in Der Humorist, 15. März 1848. Adolf Bäuerle, „Erklärung und Widerlegung eines lächerlichen Gerüchts“, in Allgemeine Theaterzeitung, 21. März 1848. 101 Titelei Allgemeine Theaterzeitung, 1. April 1848. 100

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Bäuerle eine Rubrik „Neuestes“ ein, welche täglich – teils als Korrespondentenbericht, teils den politischen Zeitungen entnommen – den aktuellen Nachrichten zur Revolution in Frankreich gewidmet war. Er vermeldete hier etwa die Einnahme des Festung Vincennes (9. März 1848) oder die Flucht des französischen Königs nach England (11. März). Mit dieser Rubrik „Neuestes“ erwies sich Bäuerle als flexibler Zeitungsmann und hatte einen ersten Schritt in Richtung politische Tageszeitung unternommen. Er erkannte die Zeichen der Zeit und reagierte auf das Informationsbedürfnis des Publikums angesichts der politischen Umwälzungen. Auch mit dem Beginn der umfassenden revolutionären politischen Berichterstattung der Allgemeinen Theater-Zeitung – ab 16. März 1848 –, blieben die aktuellen Nachrichten über die revolutionären Erhebungen in ganz Europa als Rubrik „Neuestes“ Bestandteil der Zeitung.103 Die Allgemeine TheaterZeitung transformierte schließlich kurzfristig in ein Forum der revolutionären und politisierten Leserschaft. D i e N e u e r f i n d u n g d e r Z e i t u n g. In den 1840er Jahren hatte sich die schon seit 1806 bestehende Theaterzeitung von Bäuerle von einer Fachzeitung zu einem erfolgreichen allgemeinen Unterhaltungsblatt entwickelt.104 Durch ein weites Korrespondentennetz konnte sie an sechs Tagen in der Woche Nachrichten aus den europäischen Hauptstädten bringen und hatte bei einer Auflage von ca. 5.000 Exemplaren105 einen stabilen Abonnementenstamm. Die Revolution von 1848 trug zu einer massiven Politisierung des Blattes bei und veränderte auch die grundlegende Kommunikationsstruktur der Zeitung. Der Pariser Korrespondent der Allgemeinen Theater-Zeitung berichtete am 13. März 1848 von der dekretierten Aufhebung der Zeitungssteuer106 und machte den Lesern wenige Tage später, am 16. März 1848, die Konsequenzen für die Pariser Zeitungsland102

Erstmals eingeführt am 7. März 1848 für eine Meldung zur Februarrevolution in Paris: „Der Platz ‚Place Royale‘ führt jetzt den Titel ‚Platz der Republik,‘ die Oper den Titel ‚Theater der Nation,‘ die Bibliothek der Straße Richelieu den Titel ‚Nationalbibliothek,‘ […]“ 103 Am 23. März 1848 druckte Bäuerle in dieser Rubrik den ersten Bericht der Fr. Ob. Z. vom 15. und 16. März 1848 über den Beginn der Revolution in Berlin ab: „Emeute in Berlin“. Es folgt ein Korrespondenten-Bericht dazu am 24. März 1848 und weitere Berichte „[aus] den Berliner Blättern“. 104 Zur Entwicklung der Allgemeinen Theaterzeitung vgl. Kai Kauffmann, ‚Es ist nur ein Wien!‘, insbes. 303–314. 105 Zur Auflagenentwicklung der Allgemeinen Theaterzeitung vgl. Kai Kauffmann, ‚Es ist nur ein Wien!‘, 306. Bäuerles Zeitung war die auflagenstärkste Unterhaltungszeitung Wiens. Man muss davon ausgehen, dass die Zahl der Leser um ein vielfaches höher war, bedingt durch Kaffeehäuser und Lesekabinette sowie die private Zeitungszirkulation. 106 Am 4. März 1848 wurden die Zeitungsstempel und die Konzessionspflicht für Zeitungen in Paris von der provisorischen Regierung aufgehoben, vgl. Beatrix Wrede-Bouvier, „Zur Geschichte der Französischen Revolution von 1848,“ in Zeitungen der Französischen Revolution von 1848, hg. von der Bibliothek der sozialen Demokratie (Friedrich-Ebert-Stiftung). Bonn-Bad Godesberg 1985, Typoskript, 1–30, 24.

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schaft deutlich. Die alten Journale würden nun nichts mehr gelten, „wer sich aus ‚Débats,‘ ‚Siècle,‘ ‚Constitutionnel,‘ u.s.w. über den Zustand Frankreichs orientiren wollte, wenig lernen und erfahren würde.“ Aktueller sei eine neuartige Zeitungsform, welche keine fixen Abonnements hätte, sondern zahlreich für nur einen Sou auf der Straße verkauft würde. Der Korrespondent bezog sich hier unter anderem auf die Zeitung Le Représentant du Peuple, ein von dem Anarchisten Pierre Joseph Proudhon herausgegebenes Tagesblatt, das von 27. Februar bis August 1848 eine Spitzenauflage von bis zu 50.000 Stück gehabt haben soll.107 Es handelte sich hier also um Zeitungen, die der Versammlungsöffentlichkeit angepasst waren; die Straße war der Ort, wo man sie kaufen konnte. Die Titel, welche der Korrespondent der Allgemeinen Theater-Zeitung nennt – erwähnt sind auch L’Ami du Peuple und La Voix du Peuple – sowie der günstige Preis zielten deutlich auf eine Leserschaft aus den unterprivilegierten Schichten. In dieser Form präsentierte sich das neue Medium der Zeit, die adäquate revolutionäre Zeitung. Der Korrespondent schloss mit den Worten: „Eine Revolution wie diese muß nothwendig neue Menschen, neue Ideen und somit auch neue Organe in der Tagespresse fördern.“108 Die ‚Groschenzeitungen‘ der Pariser Revolution setzten auf schnellen Umlauf und hohe Verbreitung und verschwisterten sich hier mit den politischen Flugschriften. Letztere galten als das effektivste politische Medienformat und hatten insbesondere in revolutionären Zeiten eine große Popularität.109 Unterschwellig bot sich hier eine Übertragung auf die Wiener Revolution an. Dem Leser wurde vermittelt, dass auch die Wiener Zeitungen neue Wege finden müssten, um die Menschen angemessen über den Zustand ihrer revolutionären Stadt zu orientieren. Auch die Allgemeine Theaterzeitung griff immer wieder auf Flugschriften zurück und entnahm ihnen Informationen für ihre eigenen politischen Berichte.110 Außerdem näherte sich Bäuerles Blatt formal den Flugschriften, indem etwa Aufrufe und Bekanntmachungen im Format des Einblattdruckes

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Der volle Titel des Blattes lautete Le Représentant du Peuple. Journal quotidien et hebdomadaire des travailleurs. Es erschien vom 27. Februar bis 21. August 1848, vgl. Lois Spear, Pierre Joseph Proudhon and the Revolution of 1848, Ann Arbor, Michigan 1971, insbes. das Kapitel „The Editor of ‚Le représentant du people‘ and the Provisional Government‘, 41–73. 108 Allgemeine Theaterzeitung, 16. März 1848. 109 Zu diesem Medienformat während der Wiener Revolution 1848 vgl. Ulrike Kortschak, Illustrierte Flugblätter und populäre Druckgrafik zur Revolution von 1848 in Wien, Univ.-Diss. Graz 1982. Ein Leser der Allgemeinen Theaterzeitung bestätigte in einem Bericht vom 23. März 1848 den Status der Flugschriften als zeitgemäßes Medium mit politischer Wirkung: „Bei der so wohltuenden neuen Sonne der Preßfreiheit, welche jetzt über uns aufgegangen ist, war das erste, das Erscheinen von zahllosen Flugblättern, in welchen die meisten die gute Absicht haben, das Volk auf vieles Nützliche aufmerksam zu machen, es für das wahrhaft Gute zu stimmen und Gemeinsinn und Eintracht zu wecken.“ Allerdings rügte dieser Leser auch den Geschäftssinn der Verlage, die mit hohen Preisen raschen Gewinn auf der Straße machen wollen. 110 So beinhaltet etwa ein Bericht über die revolutionären Geschehnisse in Brünn einen dort in der Form des Flugblatt erschienenen ‚Aufruf an das Volk in Brünn‘, vgl. Allgemeine Theaterzeitung, 16. März 1848.

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in die Rubriken der Zeitung eingerückt wurden. Dazu kam, dass die Redaktion sich bemühte, der Aktualität der Flugschriften in nichts nachzustehen. Hinkte die Berichterstattung zu Beginn der Revolution noch um etwa drei Tage den Ereignissen hinterher, so gelang es Bäuerle bis Oktober 1848 bereits am nächsten Tag die politischen Ereignisse aufzunehmen.112 Doch nicht nur Aktualität und schnelle Verbreitung waren die Kennzeichen der ‚neuen‘ Allgemeinen Theaterzeitung, Bäuerle ging noch einen Schritt weiter in Richtung ‚Versammlungsöffentlichkeit.‘ Er gestaltete sein Blatt kurzfristig in ein diskursives Forum der Revolution um und rief am 16. März 1848 die Leserschaft zur Mitsprache auf:113 „Wünsche für das Beste des Volkes auszusprechen“114 sei dringend nötig und mit der bewilligten Pressefreiheit auch möglich. Daher würde die Theaterzeitung ihre Spalten für anständige und im Ton gemäßigte Einsendungen bei angemessener Honorierung anbieten. Bereits einen Tag später erschien erneut ein Aufruf, diesmal insbesondere „an die Herren National-Gardisten.“115 Hier erfolgte eine direkte Kampfansage an die konkurrierenden Flugblätter, welche mit Verschwendung und unlauterer ‚Winkelpresse‘ in Zusammenhang gesetzt wurden: Keine Gelage, keine Festessen in den Zeiten der jetzigen Noth, aber auch keine unnöthigen Flugschriften. Lasset unsere Journale die Organe sein, in denen ihr eure Gesinnungen aussprecht, lasset durch sie euren Ruf zu dem Volke erschallen, lasset durch sie euere Wünsche und Begehren verlautbahren.116

Auch Saphir übernahm diese Konzeption und kündigte am 21. März 1848 die Eröffnung seines „Saals der Oeffentlichkeit und Mündlichkeit“117, um „ein urbanes Feld der populären Interessen und der allgemeinen Stimm- und Meinungs-Freiheit dem Publikum zur freien Benützung zu überlassen.“ Saphir formulierte darüber hinaus deutlich die neue Rolle der Redaktion, sie sei nunmehr „Magazineur und Spediteur“, keineswegs 111

So etwa der Abdruck der kaiserlichen Proklamation zum konstituierenden Reichtag am 3. Juni 1848, abgedruckt auf dem Titelblatt der Allgemeinen Theaterzeitung vom 8. Juni 1848. Auch Saphir druckte im Humoristen gelegentlich Flugblätter und Einblattdrucke vollständig ab. So veröffentlichte er etwa wortgetreu am 3. August 1848 eine Adresse der Brünner Studenten an die Wiener Studenten vom 31. Juli 1848. Dieser Einblattdruck liegt in der Österreichischen Nationalbibliothek im Original vor, Sign. F 500195-B Flu. 112 So wurde bereits am 7. Oktober 1848 über die dramatischen politischen Ereignisse des 6. Oktobers 1848 in der Österreichischen Courier (Allgemeine Theaterzeitung) berichtet. 113 Allgemeine Theaterzeitung, 16. März 1848. 114 Ebd. 115 Allgemeine Theaterzeitung, 17. März 1848. Der Aufruf ist von der Redaktion nicht unterzeichnet, der Leser konnte also den Eindruck gewinnen, es handele sich hier um eine abgedruckte Lesermeinung. Bäuerle hatte am 16. März 1848 explizit in Aussicht gestellt, Einsendungen auch ohne Nennung des Namens zu publizieren. Der Redaktion müsse der Autor jedoch bekannt gemacht werden. 116 Ebd. 117 Der Humorist, 21. März 1848. Saphir übernahm hier die Formulierung, welche im Zusammenhang mit der revolutionären Forderung nach „Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Gerichte“ stand. Die Zeitung sollte sich durchaus als öffentlicher Gerichtssaal bewähren.

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„Fabrikant und Erzeuger“ der in dieser Rubrik versammelten Artikel. Gleichzeitig ließ er sich aber die Möglichkeit der redaktionellen Anmerkung offen und machte in der Folge auch immer wieder Gebrauch davon. Die Leser nahmen die beiden Redakteure beim Wort. Der Humorist musste den Einsendungen täglich erheblichen Platz einräumen119 ; die Allgemeine Zeitung, überschwemmt mit Lesermeinungen, druckte immer neue persönliche Eindrücke, Aufrufe und regelrechte Diskussionen zwischen einzelnen Personen ab. Während nun einige, durch Pressefreiheit und die kommunikative Atmosphäre in der Stadt aufgefordert, trotzdem noch selbstkritisch die eigene ‚Unzulänglichkeit‘ als Schriftsteller thematisierten – „Mögen die vorstehenden Zeilen gehörig gewürdiget werden. Schließlich habe ich noch zu bemerken, daß sie von einem Manne ausgehen, der sich nicht anmaßt sich den Namen ‚Schriftsteller‘ beizulegen, weil er ein Wort zur Zeit schrieb“120 – so waren insbesondere zahlreiche Mitglieder der Nationalgarde sehr bestimmt in ihren Meinungsäußerungen. Es lässt sich in der Allgemeinen Theaterzeitung etwa eine regsame Debatte über die Bewaffnung und Ausstattung der Nationalgarde nachvollziehen, die sich über mehrere Ausgaben hinweg weitersponn. Am 20. März 1848 machte ein „Dr. Karl Ulbricht, Lieutnant der Nationalgarde“ erste Vorschläge zur Uniformierung, „damit über diesen Gegenstand nicht etwa ein einseitiger, und Nationalgarden fremder Entschluß gefaßt und uns aufzunöthigen versucht werde.“121 Hier wurde die Mitbestimmung qua öffentlicher Äußerung ernst genommen und bereits drei Tage später das Thema von dem nächsten nationalgardistischen Autor aufgenommen, da es doch nötig sei, „den in Rede stehenden Gegenstand noch in mehrfache Berathung zu nehmen.“122 Schon am nächsten Tag kam hierzu eine Antwort mit dem Hinweis auf den „bereits darüber erschienenen Aufsatz“123 und nahm die Theaterzeitung in veranschaulichender Parteilichkeit in Beschlag: „Ich erkläre mich entschieden für das der Theaterzeitung nächstens beigelegt werdende Bild. Diese Uniformierung ist eben so zweckmäßig als dauerhaft, wohlfeil und schön.“124 Diese Vereinnahmung machte Bäuerle jedoch nicht mit, die versprochene Illustration als Überzeugungsmittel ist in seiner Zeitung nie erschienen.125 118

Der Humorist, 21. März 1848. Etwa eine halbe bis eine Seite bei vier Seiten Gesamtumfang. 120 Allgemeine Theaterzeitung, 18. März 1848. Ein „Leopold Braun“ hielt hier seinen Vorschlag zur Verwendung ‚verwahrloster Jugendlicher‘ zur Kolonialisierung dalmatischer Inseln für eine tagesrelevante Sozialmaßnahme im Kontext der Reform. Es entsteht hier der Eindruck, die Zeitung bot jetzt endlich ein Forum für ‚angestaute‘ Reformideen – seien sie auch noch so abstrus. Der Autor hatte offensichtlich nur auf eine Möglichkeit der öffentlichen Äußerung gewartet. 121 Allgemeine Theaterzeitung, 20. März 1848. 122 Allgemeine Theaterzeitung, 23. März 1848. 123 Allgemeine Theaterzeitung, 24. März 1848. 124 Ebd. 125 Im Jahrgangsband 1848 des Deutschen Theatermuseums fand sich kein solches Bild. Obgleich in den Archivbeständen oft Bildbeilagen nicht vollständig gesichert sind, so erläuterte die Allgemeine Theaterzeitung doch grundsätzlich in einer kleinen Rubrik „Costume-/Mode-/Satyre-Bild Nr. x zur Theaterzeitung“ akribisch die beigelegten Grafiken. Da eine solche für das angekündigte Bild der 119

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Die Theaterzeitung druckte täglich solche Meinungsäußerungen, Erwiderungen, Aufrufe und kleine persönliche Berichte von den Straßentumulten sowie anekdotische Erzählungen. Generell weisen die Stimmungen und Einschätzungen der revolutionären Geschehnisse in Bäuerles Zeitung erstaunliche Übereinstimmungen mit einer stark rezipierten historischen Quelle aus der Sicht der Studenten auf: Die von Peter Frank-Döfering 1988 editierten Briefe (17. März 1848 bis 7. November 1849) des Wiener Studenten Carl von Borkowski an seine Familie in Czernowitz.126 Dies scheint zu bestätigen, dass die Theaterzeitung tatsächlich ein Panorama der Revolutionsstimmen bot, und sich nicht auf ihre redaktionelle Linie beschränkte. Einem Genre musste die Zeitung jedoch im Interesse ihres neuen politischen Schwerpunkts Einhalt gebieten – Bäuerle bat gleichzeitig mit einer sachlichen Information für Einsendungen nachdrücklich um eine Eindämmung der Gedichte-Flut.127 Mehr als eines davon täglich wollte er nicht in seine Zeitung aufnehmen, hier überließ er gerne den Flugschriften das Feld. D i e p o l i t i s i e r t e K u n s t k r i t i k. In der Revolution wandelte sich die Zeitung erkennbar und der bisherige Fokus auf Theater, Kunst und Literatur wich politischen Debatten und Berichten. Dennoch flossen nach wie vor noch Theaterkritiken in die Ausgaben ein; Bäuerle entschuldigte sich regelrecht für deren vorausgesetzte Unangemessenheit: Wir können für den Moment den Kunstinteressen vielleicht Raum, aber kaum so viele Aufmerksamkeit zuwenden, als nothwendig um uns mit dem Leser über den veränderten Standpunct der Kunst und der Kritik zu verständigen, und behalten sonach die gewohnte Form noch kurze Frist fest.128

Zum einen griff Bäuerle hier dem Vorwurf der unpolitischen Berichterstattung vor angesichts der dramatischen revolutionären Umwälzungen, zum anderen jedoch benannte er die Notwendigkeit, die Funktion von Kunst und Kritik neu zu bestimmen. Der „veränderte Standpunct der Kunst und Kritik“ konnte nur ein politischer sein – zu verhandeln war hier die Rolle von Musik, Theater und Kunst in einer revolutionären oder auch liberalen Gesellschaft. Bäuerles Theaterrezensenten beschworen entsprechend in den folgenden Wochen das Theater als „ein nicht gleichgiltiges Moment der freien volksthümlichen Fortentwicklung“ (Lumau)129 und „constitutionelles Haus der Poesie“ (Barri)130 . Der Redakteur der Theaterzeitung, Leopold Raudnitz, der noch kurz davor, am 4. März 1848,131 die absolute ‚Zweckfreiheit‘ des Theaters als eigentlichen Wert postuNationalgarden-Uniform nicht vorliegt, so kann es als gesichert betrachtet werden, dass ein solches Bild auch nie dort publiziert wurde. 126 Vgl. Die Donner der Revolution über Wien. Ein Student aus Czernowitz erlebt 1848, hg. Peter Frank-Döfering, Wien 1988. 127 Allgemeine Theaterzeitung, 22. März 1848: „Noch ein Mal wird ersucht, keine Gedichte einzusenden.“ 128 Allgemeine Theaterzeitung, 18. März 1848. 129 Allgemeine Theaterzeitung, 23. März 1848; in einem Bericht zum Burgtheater. 130 Allgemeine Theaterzeitung, 28. März 1848; bezeichnenderweise unter der Rubrik „Wünsche aus dem Volk und für das Volk“. 131 Allgemeine Theaterzeitung, 4. März 1848.

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liert hatte, appellierte nun an die Theater, das Volksstück als Genre der Zeit mit nationalem Auftrag zu begreifen: Aber unsere Theater, werden sie die Zeit bald verstehen? Wir wollen unsere frühere Stellung zu ihnen nicht vergessen, wir wollen sie mahnen an das, was wir zu einer Zeit gesprochen haben, in der sie Entschuldigungen in dem Druck der Censur hatten. Leben und Bewegung, das beste Stück ist ein Volksstück, Schiller, Lessing, Shakespeare, das sind die echten Volksdichter; jeder deutsche Dramatiker gehört der Nation, gehört dem Volke! Versteht das recht!132

Insbesondere das Theater an der Wien und, etwas verspätet, das Carl-Theater schienen den Aufruf der Publizisten zu einer den politischen Umständen angemessenen Aufführungspraxis gehört zu haben.133 Entsprechend waren es fast ausschließlich ihre Theateraufführungen, welche, wenn auch nur einen kleinen Raum im Blatt einnehmend, von den Theaterkritikern besprochen wurden. Diese wenigen Kritiken wiederum setzten eine dezidiert politische Messlatte an: Es ging in erster Linie darum, die Gesellschaftsund Zeittauglichkeit der Stücke unter die Lupe zu nehmen und die Theaterdirektoren entsprechend zu loben oder zu tadeln. So kam etwa dem Rezensenten die erste Aufführung des Theater an der Wien nach der Revolution, eine harmlose Posse mit dem Titel Vier Wochen in Ischl, als unbegreiflicher politischer Fehlgriff vor: Eine solche Zeit, solche Bilder vor unseren Augen, solche Vergangenheit und solche Zukunft, die Welt- und Menschengeschichte offen gelegt, - - und nun treten wir in das Komödienhaus eine Posse zu besprechen, und noch dazu eine elende Posse, welche am Schlusse total ausgepfiffen wurde.134

Der Theaterdirektor Pokorny belehrte sich schnell eines besseren und wusste den ‚Geist der Zeit‘ theatral vollkommen einzunehmen. Z u r ü c k z u r R e d a k t i o n . Im Verlaufe der Monats Mai 1848 publizierte die Theaterzeitung nicht weniger Politisches, im Gegenteil, es kündigte sich der Gestaltungswille zur regelrechten politischen Tageszeitung an, aber die Kommunikationsformen, welche den politischen Modus der Straßen- und Versammlungsöffentlichkeit aufwiesen, wurden bewusst zurückgenommen. Ende Mai kündigte Bäuerle „den Bewohnern Wiens“135 faktisch das Ende der freien Debatte in seiner Zeitung an. Er machte den Willlen zum starken Redaktionseingriff kund und entfernte sich von der Konzeption der Versammlungsöffentlichkeit zugunsten eines Zeitungsformats der redaktionellen Vermittlung: Nur die unvorhergesehenen Zeitereignisse verhinderten das Erscheinen unseres neuen Programms, das als Leitfaden dienen sollte, von welchem Gesichtpuncte unser Blatt von nun an ausgehen werde. Vor der Hand aber sehen wir uns zur Bemerkung veranlaßt, daß wir als Organ der Zeit alle Stimmen derselben in unserem Blatte sprechen ließen. Unser eigenes politisches Glaubensbekenntniß ist im ‚Tagesboten‘ enthalten, welcher nicht angestrichene, sondern 132

Leopold Raudnitz, „Ein Programm zur Kunstkritik“, in Allgemeine Theaterzeitung, 23. März 1848. Hierzu mehr in Kap. 6.2, 340–366. 134 Allgemeine Theaterzeitung, 20. März 1848. 135 Allgemeine Theaterzeitung, 29. Mai 1848.

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eigene für Wien umgearbeitete Artikel enthält. Wer dieselben einer Würdigung unterzieht, wird diese unsere Aussage bestätigen müssen. In diesen Artikeln aber kann uns nichts gewiesen werden, was irgend etwas die Helden des Tages Verletzendes enthielte, wol aber werden viele Puncte vorkommen, die zu ihrer verdienten Verherrlichung beitragen. In Hinkunft wollen wir doch auch jenen Meinungen, die wir als Beiträge zur Zeitgeschichte, die nur aus dem Für und Wider sich gestalten läßt aufnehmen zu müssen glaubten, die Aufnahme verweigern, weil ja das öffentliche Urtheil deutlich zu erkennen gegeben, daß diese Einzelnen, welche dem gesunden Sinne der Massen verwegen die Stirne bieten, auch geschichtlicher Rücksichten wegen, keine Beachtung verdienen.136

Zum einen kündigte Bäuerle hier an, die Helden der Revolution weiterhin publizistisch zu ehren und stellte sich somit in den Dienst der ‚Märzerrungenschaften‘. Zum anderen aber machte er sehr deutlich, dass nicht mehr ‚alle Stimmen der Zeit‘ im Blatt Aufnahme finden würden. Der Abdruck kontroverser Meinungen als „Beiträge zur Zeitgeschichte“ gehörte zur Pflicht eines Zeitungsorgans in der unmittelbaren Revolutionszeit. Die politische Orientierung war nun an einen Punkt gekommen, an dem die Zeitung ihre eigene Perspektive stark machen wollte. Der Modus der Straßen- und Versammlungsöffentlichkeit als diskursives und differentes Forum wurde zunehmend blockiert.

Abb. 11: Katzenmusik in Wien, 1848

Dies war sicherlich auch mit den konkreten politischen Verhältnissen in Verbindungen zu setzen. Mit der Ausweitung der Katzenmusiken als Druckmittel der Straßenpolitik 136

Allgemeine Theaterzeitung, 29. Mai 1848.

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gegen Privatpersonen begannen sich im Mai 1848 kritische Stimmen zu äußern. In der Allgemeinen Theaterzeitung forderte der Redakteur Raudnitz am 16. Mai 1848 nach einer Katzenmusik (Charivari) gegen den Theaterdirektor Carl die Eindämmung dieser Straßenbräuche: Die Charivaris, welche vermög ihres komischen Grundcharakters anfangs weit davon entfernt waren, Besorgnisse einzuflößen, welche überall als das gelindeste Mittel angesehen wurden, die Missbilligung einer öffentlichen Handlung oder die Unbeliebtheit einer Person, in so ferne sie mit dem politischen Leben zusammenhängt, auszudrücken, gelangen bei uns in ihrem Umfange, ihren Tendenzen und ihrem Charakter zu einem Grade, welcher ernste Bedenken einzuflößen geeignet ist.137

Ganz anders als zu Beginn der Märzrevolution wurde dies nicht mehr als legitimes politisches Mittel gegen Machthaber gewertet und begrüßt, sondern nun als anarchistische Bedrohung, als „Fluch der Zeit“138, verstanden, die schwer zu kontrollieren war. Die Demonstrationen machten in den Vorstädten zunehmend dem Unmut über Privatleute, Hausbesitzer, spekulierende Händler und andere soziale Mißstände Luft, die Bürger fühlten sich verunsichert.139 Zur konkreten Lage nach der Sturmpetition am 15. Mai 1848 äußerte sich Raudnitz wiederum sehr negativ. Man würde in Wien nun unter einer Tyrannei stehen, „welche von privilegirt rohen Massen in inniger Verbrüderung mit privilegirt gebildeten ausgeübt wird.“140 Raudnitz formulierte hier die bürgerlichen Vorbehalte gegen das Bündnis zwischen Arbeitern und Studenten und konnte die politische Gleichstellung der Bevölkerungsgruppen nicht hinnehmen. Er beklagte, dass das ineffektive Taktieren des Ministerrats dazu geführt hätte, daß man jetzt in der Gefahr wäre, „eine constituirende Versammlung in einer Kammer, vielleicht von lauter Proletariern, zu bekommen.“141 Obgleich Bäuerle direkt im Anschluss an diesen Artikel eine wesentlich positivere Einschätzung der Situation durch einen Studenten 142 abdruckte, und damit für ein ausgeglichenes Meinungsbild sorgte, so wurde doch nach der Flucht des Kaisers aus Wien am 17. Mai 1848 der stark gewachsene bürgerliche Unmut über die Politik der Straße in der Zeitung widergespiegelt. Bäuerle selbst distanzierte sich am 19. Mai 1848 auf der Titelseite zu den politischen Kämpfen der vergangenen Tage und zur Durchsetzung des konstituierenden Reichstags: Möge der Kaiser nicht übersehen, daß nur ein kleiner Theil der Bevölkerung am 15. Mai Sein Herz tief betrübte, daß aber auch dieser durch Seine Abreise in den herbsten Schmerz versetzt 137

Leopold Raudnitz, „Anfang des Ende, oder Ende des Anfang? oder welche Rolle spielt die Nationalgarde bei den Katzenmusiken?“, in Allgemeine Theaterzeitung, 16. Mai 1848. 138 Ebd. 139 Vgl. auch Wolfgang Häusler, „Freiheit in Krähwinkel? Biedermeier, Revolution und Reaktion in satirischer Beleuchtung“, in Österreich in Geschichte und Literatur, Heft 2, Wien 1987, 69–111, 87f. 140 Leopold Raudnitz, „Der fünfzehnte März und der fünfzehnte Mai“, in Allgemeine Theaterzeitung, 17. Mai 1848. 141 Ebd. 142 J. M. Schleichert, „Der fünfzehnte Mai in Wien“, in Allgemeine Theaterzeitung, 17. Mai 1848.

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wurde, und nun keinen andern Wunsch, kein größeres Glück kennt, als den theueren Vater seiner Völker wieder in seiner Residenz zu erblicken.143

Abb. 12: Der Humorist, 26. November 1848

Die bürgerliche Distanz zur Straßenpolitik, zu den Akteuren derselben und ihren Formen der Versammlungsöffentlichkeit schrieb sich kontinuierlich fort, 144 und so war es nur konsequent, dass Adolf Bäuerle auch seine Zeitung wieder stärker hierarchisch in 143 144

Allgemeine Theaterzeitung, 19. Mai 1848. Am 20. August 1848, schon bereits atmosphärisch durch beginnende Arbeiterunruhen geprägt, druckte der Österreichische Courier (Allgemeine Theaterzeitung) einen Artikel ab, der mit den Katzenmusiken hart ins Gericht ging. Hier wurde das gerichtliche Vorgehen gegen die ‚Ruhestörer‘ gefordert. Künftig sollten Katzenmusiken amtlich angemeldet werden und nur nach der Hinterlegung einer Kaution von 500 fl. erlaubt werden. Ganz ad absurdum geführt wurde die Katzenmusik durch die Forderung, „die gedacht Musik [soll] mit Vermeidung alles Lärmens und Beunruhigung der Nachbarschaft vor sich gehen, daher ganz im Stillen und ohne alles Aufsehen abgehalten werden“.

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Form brachte. Seine Rückkehr zur redaktionellen Ordnung lässt sich hier einreihen, der Weg zur bürgerlichen politischen Tageszeitung wurde kontinuierlich gebahnt. Am 10. Juni kündigte die Redaktion den „verehrlichen Abonnenten“145 an, dass die Zeitung ab dem 1. Juli 1848 unter dem Titel Österreichischer Courier erscheinen und ein „vollständiges politisches Journal“146 enthalten würde. Der belletristische Teil würde weiterhin Allgemeine Theaterzeitung heißen und für die Leser ein „Feuilleton für Kunst, Literatur, Musik, Mode und geselliges Leben“147 bereithalten. Damit hatte Bäuerle nun auch formal den Übergang zur politischen Tageszeitung vorgenommen, die durch die Revolution erfolgte Dominantenverschiebung zu Politik und Zeitgeschehen materialisierte sich als definitives Format. Saphir folgte ihm hier, indem er ab dem 24. September 1848 seine Zeitung als Politischer Horizont erscheinen ließ.148 Der „Saal der Oeffentlichkeit und Mündlichkeit“ entfiel ab sofort, das Feuilleton unter dem Namen Humorist schrumpfte mehr und mehr zusammen. Saphirs politisches Blatt bestand jedoch nur einen Monat, am 26. Oktober erschien die letzte Nummer. Nach einer Pause reaktivierte Saphir am 26. November 1848 wieder das Unterhaltungsformat mit dem Humoristen. Die Ausgabe wurde eingeleitet mit einem zwischen Opportunismus und Freimütigkeit schwankenden Rechtfertigungsbericht Saphirs über „Freiheitsrausch“ und „Heiligtum des Kaisers“ – der politische Anspruch, soviel wird aus der Ankündigung klar, konnte nicht aufrechterhalten werden. Und dies kommentierte Saphir selbstironisch bis zynisch mit der Veröffentlichung einer Karikatur von C. Scholz: Unter der Überschrift „Der ‚Humorist‘ sucht seinen ‚politischen Horizont‘“ sehen wir eine Saphir ähnliche Figur, die mit erhobenen Händen einen Krebs zu erhaschen sucht. Darunter steht geschrieben: „Mancher denkt zu fischen, und er – krebst.“ Auch Bäuerle musste im weiteren Geschichtsverlauf den politischen Entwicklungen folgen. Nur ein gutes Jahr später war auch er gezwungen, sein Blatt politisch zu ‚entschärfen‘. Nach der Niederschlagung der Revolution und der Installierung der neuabsolutistischen Herrschaftsform war es opportun, sich auf den Bereich der Belletristik und Unterhaltung zu beschränken. Die Zeitung nahm ab dem 1. Januar 1850 wieder den alten Namen in einer leichten Variation an. Sie hieß nun: Wiener allgemeine Theaterzeitung. Unterhaltungsblatt für Freunde der Kunst, Literatur und des geselligen Lebens. Die Phase der Anpassung an eine Versammlungsöffentlichkeit im Zeitungsmedium lässt sich demnach auf März bis Mai 1848 begrenzen. Zeitlich parallel dazu hatte auch das Theater die Tendenz zu performativen Praktiken, die eng an Formen von revolutionärer Straßen- und Versammlungsöffentlichkeit angebunden waren. Insbesondere der Monat April 1848 stellte mit den Aufführungen des ‚Studentenstückes‘ Das bemooste 145

Allgemeine Theaterzeitung, 10. Juni 1848. Ebd. 147 Ebd. 148 Saphir kündigte am 3. September 1848 im Humoristen an, dieses Blatt würde bald „in neuer Gestalt, veränderter Form und größerm Format als ein ‚politisches Blatt‘“ erscheinen. 146

Die Gegenwart der Öffentlichkeit

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Haupt, oder der lange Israel von Roderich Benedix im Theater an der Wien den Höhepunkt dieser revolutionären Theaterpraxis dar.

6.2

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Der über 70jährige Journalist Sigmund Schlesinger erinnerte sich 1904 an das eindrucksvolle Erscheinungs-Bild der Wiener Studenten während der Revolution 1848, das die gesamte Stadt-Bevölkerung in den Bann zog: Nimmer vergisst der Wiener, der als Junger im Frühjahre 1848 zum erstenmale diesen Zauber empfunden, wie das ganze Wien, Alt und Jung, Groß und Klein, Mann und Weib – und die Mädchen gar, ach, die Mädchen – davon gefaßt war, als man die Federn auf den ersten Studentencalabresern149 flattern sah, als die ersten Schläger über das Straßenpflaster klirrten und die ersten Ziegenhainer150 geschwungen wurden.151

Eine schwärmerische Verehrung für die Studenten, welche sich durch ihre Uniformierung von anderen Gruppierungen im Stadtbild deutlich abhoben, bestimmte das Verhältnis der Wiener Bürger zu den Akademikern – insbesondere in der ersten Phase der bürgerlichen Revolution152. Als ‚Helden der Revolution‘ wurden sie gefeiert, welche ihr Leben für die ‚Märzerrungenschaften‘ gaben. Obgleich von heute aus gesehen deutlich ist, dass erst das Gewaltpotential der Arbeiter in den Vorstädten die nötige Drohkulisse aufgebaut hatte, um die Staatsführung zum raschen Nachgeben zu bewegen,153 und auch unter den Opfern die Arbeiter an erster Stelle standen, so waren für die Bürger doch die Studenten die positiven Symbolgestalten von 1848. „Die Wiener Studenten repräsentierten,“ so Dieter Langewiesche, „die ‚gute‘ Revolution – die bürgerliche, die politische Revolution, die Verfassungsrevolution.“154 Die Arbeiter dagegen standen für die ‚schlechte‘ Revolution, die soziale, unterbürgerliche Revolution, 155 welche von den Bürgern mit der ‚proletarischen Gefahr‘ von Besitzverlust und Anarchie gleichgesetzt wurde. Demgegenüber gingen die Bürger mit den Studenten eine Verbindung ein, um mit Bürgerwehr und Nationalgarde im Namen von ‚Ordnung und Sicher149

Der Calabreser ist ein breitkrempiger, spitz zulaufender Hut. Der Ziegenhainer ist ein Knotenstock, ursprünglich ein Wanderstock, der von den Jenaer Studenten als Statussymbol getragen wurde. Von dort breitete sich dieser unter den Studenten aus und wurde auch als Schlagwaffe eingesetzt. 151 Sigmund Schlesinger, „Studentenstücke“, in Neues Wiener Journal, 30. Oktober 1904. 152 Auf die kritischen bürgerlichen Stimmen nach den Mai-Unruhen habe ich weiter oben schon hingewiesen, Kap. 6.1, 336f. 153 Vgl. etwa Dieter Langewiesche, „Studenten in den europäischen Revolutionen von 1848“, in Jahrbuch für Universitätsgeschichte, Bd. 2, Stuttgart 1999, 38–57, 41: „Die nächtlichen Brände in den Vorstädten dramatisierten das Geschehen in der Innenstadt und verliehen der bürgerlichen Revolution eine Bedrohlichkeit, die zum unerwarteten Nachgeben der Staatsführung wesentlich beitrug.“ 154 Dieter Langewiesche, „Studenten“, 40. 155 Ebd.

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heit‘ gegen die Arbeiter vorzugehen. Der traurige Höhepunkt dieser Front gegen die Arbeiter wurde am 23. August 1848 mit dem blutigen Exzess der Praterschlacht erreicht. Die später einsetzende Erinnerungskultur der 1848er Revolution forcierte daher das überhöhte Bild der ‚Revolutions-Studenten‘, welches deren politische Kraft für die ‚Märzrerrungenschaften‘ absolut setzte. Erst im 20. Jahrhundert begann eine verstärkte Aufarbeitung der Rolle der Arbeiter in der ‚bürgerlichen Revolution‘.156 Sigmund Schlesinger gab Hinweise darauf, inwiefern das Theater an der mythischen Überhöhung der revolutionären Studenten beteiligt war. Er benannte eine populäre Rückkopplung zwischen Theater und Straßenöffentlichkeit, die das ‚Fuchslied‘ („Was kommt da von der Höh’?“) der Studenten durch die Theateraufführung in die Nähe des ‚Gassenhauers‘ rückte: Und als nun das erste Studentenstück auf dem Theater erschien, jenes damals allgespielte ‚Bemooste Haupt‘ oder ‚Der lange Israel‘ des braven Burschenphilisters Roderich Benedix, der […] den ersten Unterricht der Wiener in der edlen Straßenkunst der Katzenmusiken vermittelte – was für ein lustiges Sturmesecho hallte da von der Straße ins Theater zurück! Alle Werkelmänner spielten, Buben- und Mädchenkehlen sangen auf den ‚entersten‘157 Gründen draußen mit der gleichen furiosen Beharrlichkeit, wie den wienerischen Gassenhauer das ‚Was kommt da von der Höh’?‘ […]158

Seit diesem durchschlagenden Erfolg des Stückes Das bemooste Haupt – am 1. April 1848 im Theater an der Wien erstmals aufgeführt – sei der Student von der deutschen Bühne so untrennbar159 wie vom deutschen Volksleben, „darum hat auch das Theater keiner anderen Nation eine Studentenfigur gleich der des deutschen ‚Burschen‘.“160 Und dieser ‚Bursche‘ würde gerade nicht dem ‚braven Studenten‘ entsprechen, sondern 156

Exemplarisch sei hier genannt Wolfgang Häusler, Von der Massenarmut zur sozialen Frage in der Wiener Revolution von 1848, Wien u.a. 1979; Wolfgang Häusler hat auch die Re-Edition der Erinnerungen von Ernst Violand besorgt, welche diese zeitgenössische Quelle in den Fokus der Rezeption brachte, vgl. Ernst Violand, Die soziale Geschichte der Revolution in Österreich 1848 (1850), hg. von Wolfgang Häusler, Wien 1984. 157 Es handelt sich hier um den Superlativ des österreichischen Dialektwortes „enten“, das soviel wie „drüben, gegenüber“ bedeutet. In der hier vorliegenden Kombination „enterste Gründe“ klingt so etwas wie „entfernteste Winkel“ an. Für diesen Hinweis bin ich Michael Gissenwehrer mit Dank verbunden. 158 Sigmund Schlesinger, „Studentenstücke“, n.p. 159 Schlesinger konstatierte nun eine neue Welle des Interesses an Studentenstücken, nachdem diese einige Jahrzehnte lang wie verfehmt gewesen seien. Es gibt Gründe anzunehmen, dass dies auch mit der ‚Stillstellung‘ des akademischen und burschenschaftlichen Lebens insbesondere in der Phase des Wiener Zivil- und Militärgouvernements unmittelbar nach der Revolution zusammenhängt. So unterstand etwa die Technische Hochschule nach Wiederaufnahme der Vorlesungen 1852 bis 1859 unter militärischer Leitung und der Immatrikulation von Studenten musste eine Genehmigung durch die Militärbehörden vorhergehen. Vgl. hierzu Paul Molisch, „Die Wiener Akademische Legion“, 162–192; vgl. auch Klaus-Walter Frey, Die bürgerliche Revolution des Jahres 1848 an den Universitäten Wien, Graz und Innsbruck unter dem Einfluß der freiheitlich-burschenschaftlichen Bewegung, Univ.-Diss. Würzburg 1983, insbes. 248–258. 160 Sigmund Schlesinger, „Studentenstücke“, n.p.

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der „trotzige Unabhängigkeitssinn, der ja doch, trotz aller staatsbürgerlichen und sonstigen Correctheit, in Deutschen steckt“, würde sich am Protestpotential des rebellischen Akademikers erfreuen.161 So führte Schlesinger den studentischen Erinnerungskult von 1848 mit dem Erfolgsstück Das bemooste Haupt zusammen und konstatierte hier die Begründung einer Theatertradition des Studentenstücks, welches den Bürgern immer noch ein kleines Gefühl revolutionären Aufbegehrens verschaffte. Wenn ich im Folgenden den Fokus auf die Aufführungen des Studentenstückes Das bemooste Haupt oder Der lange Israel im Theater an der Wien 1848 lege, so werde ich mich jedoch weniger mit dem unbestreitbar flachen Inhalt der Komödie aufhalten, sondern ihre Aufführungen als exemplarischen Typus von revolutionärer Theaterpraxis schildern, der den Theaterabend zu einer symbolischen Feier von Gemeinschaft werden ließ und für die Zeitgenossen durchaus die Kennzeichen eines „politischen Sensationsereignisses“162 trug. D a s T h e a t e r z w i s c h e n ‚ p u b l i c‘ u n d ‚ f o u l e ‘ . Für die Analyse des revolutionären Theaters ist es hilfreich, nochmals auf die Konzeption des Lesepublikums von Gabriel Tarde zurück zu gehen. Wie ich bereits dargelegt habe163 , erweitert Tarde den Begriff ‚public‘ (frz. Publikum, Öffentlichkeit) zur Vorstellung einer medialisierten Lesergemeinschaft der Zeitung, welche durch die imaginierte Aktualität des Leseereignisses eine Gemeinschaft bildet. Im gängigen Sinne bezeichnet ‚public‘ doch eigentlich das Theaterpublikum, dem Tarde jedoch vielmehr die Eigenschaft der ‚foule‘, also der in direkter Anwesenheit versammelten Menge zuspricht. Er sagt: „On dit: le public d’un théâtre, le public d’une assemblée quelconque; ici, public signifie foule.“164 ‚Public‘ und ‚foule‘ werden hier also zur Unterscheidung von medialisierter Gemeinschaft und Präsenzversammlung herangezogen. Meines Erachtens täuscht sich Tarde jedoch über den Charakter des Theaterpublikums, wenn er es generell der ‚foule‘ zuordnet. Im Gegenteil, möchte ich den französischen Sprachgebrauch von ‚public‘ ausgerechnet mit Tarde für das Theater bestätigen. Die Versammlung der Zuschauer im Theater stellt sich durch direkte Anwesenheit her und hat sicherlich Aspekte von gemeinschaftlicher Präsenz. Dennoch möchte ich behaupten, dass es sich im Theater um eine medialisierte Gemeinschaft handelt. Dies ist jedoch nur zutreffend, wenn man die Unterscheidung in ‚medialisiert‘ und ‚nicht-medialisiert‘ nicht anhand des Kriteriums von technischer Vermittlung trifft, sondern die 161

Sigmund Schlesinger, „Studentenstücke“, n.p. Sigmund Schlesinger stellte mit Ernüchterung die Banalität des vormals als ‚hochpolitisch‘ angesehenen Stückes fest, Sigmund Schlesinger, „Studentenstücke“, n.p.: „Wenn man jetzt diese damals zu einem politischen Sensationsereignisse gewordene eigentliche Studentenphilisteriade liest, wird man sie selbstverständlich über alle Maßen naiv, geradezu kindisch finden.“ 163 Vgl. oben, Kap. 6.1, 319ff. 164 Gabriel Tarde, L’Opinion et la foule, 1. Dies habe ich weiter oben bereits in einer längeren Fassung zitiert, Kap. 6.1, 319f. 162

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Perspektive von Medienkonventionen und Medienpraxis, also eine anthropologische Medienkonzeption, in Anschlag bringt. Das Kapitel zur Disziplinierung der Medienpraxis im Münchener Hoftheater165 hat gezeigt, dass das öffentliche Forum ‚bürgerliches Hoftheater‘ für seine Etablierung und seinen Selbsterhalt als mediale Struktur auf die Einhaltung der medialen Konventionen bestehen musste. Das Theater generierte also ein Publikum – Tardes ‚public‘ –, das in Bezug auf die abstrakte Vereinigung der Geister ebenso viel Imaginationsarbeit zu leisten hatte wie das Lesepublikum der Zeitung, jedoch mit dem (graduellen) Unterschied, dass sich die Gleichzeitigkeit der Medienpraxis automatisch herstellte. Für die revolutionäre Theaterpraxis möchte ich dieses Argument noch weiter entwickeln. Ich gehe davon aus, dass sich in der revolutionären Situation, in welcher der politische Modus der Straßen- und Versammlungsöffentlichkeit dominierte, das Theater ebenso wie die Zeitung das Potential hatte, den Übergang zwischen ‚public‘ und ‚foule‘ zu eröffnen und seine Theaterbesucher und Theaterakteure vom Publikum zur revolutionären Menge werden zu lassen. Daher möchte ich hier konstatieren, dass genau dies das besondere Kennzeichnen revolutionärer Theaterpraxis war und weniger die spezifische Auswahl eines politisch wirksamen Repertoires. Genau darin lag auch der Unterschied zwischen den revolutionären Aufführungen des Studentenstückes Das bemooste Haupt von Roderich Benedix166 – keineswegs ein politisch brisanter Stoff, darüber hinaus bereits 1838 entstanden – am Theater an der Wien und dem Revolutionsstück Freiheit in Krähwinkel – von Johann Nestroy167 (1801–1862), das inhaltlich auf Revolutionsereignisse und Revolutionsdiskurse zugeschnitten war und daher ab Juli 1848 im Carl-Theater allabendlich für volle Kassen sorgte. Im Theater an der Wien wurde eine Theaterpraxis vollzogen, welche die anwesenden revolutionären Studentengruppen stark involvierte und daher von ihnen als adäquates ‚Revolutionstheater‘ betrachtet wurde. Der Theaterdirektor Pokorny wurde so vom Publikum veranlasst, sein Theater offiziell in „Nationaltheater“ umzubenennen. Im Carl-Theater dagegen reflektierte die bürgerliche Gesellschaft die Revolutionsereignisse 165

Vgl. Kap. 5.3, 281–302. Roderich Benedix (1811–1873) war Schauspieler, Komödiendichter und Theaterleiter. 167 Johann Nestroy begann 1822 seine Theaterkarriere als Sänger an der Hofoper in Wien und wechselte dann ins Schauspielfach. 1826 wurde sein erstes Theaterstück Die Verbannung aus dem Zauberreiche in Graz uraufgeführt. Ab 1831 spielte er unter Direktor Carl am Theater an der Wien und erreichte als Schauspieler sowie als Possendichter Starstatus. 1845 wechselte er mit Carl ans Theater in der Leopoldstadt, später Carl-Theater, dessen Direktion er nach Carls Tod 1854 bis 1860 innehatte. Durch politisch eingefärbtes Extemporieren und Anspielungen auf Zeitereignisse geriet er im Vormärz immer wieder in Konflikt mit den Zensurbehörden und der Polizei. 1848 erreichte er in der einzigen zensurfreien Periode seines Lebens mit der Revolutionsposse Freiheit in Krähwinkel einen der größten Erfolge als Theaterdichter. Zur Biographie Johann Nestroys vgl. etwa Helmut Ahrens, „Bis zum Lorbeer versteig’ ich mich nicht“. Johann Nestroy – sein Leben, Frankfurt a. M. 1982; Otto Basil, Johann Nestroy, Reinbek b. Hamburg 1967; Herbert Zeman, Johann Nepomuk Nestroy, Wien 2001. 166

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distanziert, erkannte die eigene Widersprüchlichkeit im Spiegel der Satire wieder und delektierte sich an den politischen Spitzfindigkeiten. Bei Carl wurde Theater über/zur Revolution gemacht, bei Pokorny wurde die revolutionäre Straßenöffentlichkeit direkt ins Theater hineingetragen und die medialisierten Theaterkonventionen zur Politik der Masse transformiert. D a s T h e a t e r a n d e r W i e n i n d e r R e v o l u t i o n. Am 1. April 1848 bewies der Theaterdirektor Pokorny eine glückliche Hand, als er nach einigen eher erfolglosen Versuchen, mit den politischen Tagesereignissen zu konkurrieren, das Studentenstück Das bemooste Haupt oder Der lange Israel von Roderich Julius Benedix auf die Bühne des Theater an der Wien brachte.168 Allein im Monat April ließ er das Stück 15 Mal spielen und erzielte damit einen großen finanziellen Erfolg: Von 11.722, 04 fl. Kasseneinnahme169 im April, alleine 9.074,81 fl. durch die Aufführungen des Benedix-Stückes bei einer durchschnittlichen Tageseinnahme von 644,47 fl.170 für jede Aufführung. In der Revolutionszeit war die Kassenlage der Theater allgemein sehr schwierig und Pokorny konnte bis Ende des Jahres 1848 diesen wirtschaftlichen Erfolg nicht mehr wiederholen. Im Gegenteil, von Mai bis September 1848 pendelten sich seine Durchschnittseinnahmen auf 3.–4.000 fl. pro Monat ein und er konnte sein Theater nur durch hohe Darlehen am Leben erhalten. Besonders drastisch stellt sich das im Kassenbuch des Monats Juni 1848 dar: Von 14.049,33 fl. Einnahmen stammten alleine 11.197 fl. aus geborgtem Geld. Daher wird klar ersichtlich, dass für Pokorny Das bemooste Haupt einen sensationellen Einnahme-Erfolg bedeutete. Albert Lortzing, seit September 1846 als Kapellmeister am Theater an der Wien tätig, bestätigte in einem Brief vom April 1848 den über das Carl-Theater triumphierenden Kassenerfolg des Stückes und blieb gleichzeitig skeptisch gegenüber der Geschäftstüchtigkeit seines Direktors und der Zukunft seines Theaters: Das Karl-Theater ist gänzlich in Verfall gerathen und der sonst so pfiffige Karl macht jetzt (den Neubau seines Theater mit inbegriffen) einen dummen Streich über den anderen. Unser Theater müßte jetzt unter einem intelligenten Leiter das brillanteste in Wien werden. Den Einnahmen nach ist es schon ein solches – seit 14 Tagen nämlich, wo das lang verpönte Stück, das bemooste Haupt gegeben wurde. Pokorny hat das Publikum, namentlich die Studenten jetzt ganz auf seiner Seite. Freilich müßen noch viele gute Einnahmen kommen, bis die Löcher in 168

Die Hauptrolle des Studenten Alsdorff spielte Emil Schmidt als Gast vom Pressburger Theater, den Stiefelputzer Strobel spielte Karl Matthias Rott, den Fuchs Hempel Adele Beckmann. 169 Alle Angaben zu Kasseneinnahmen sind dem Kassenbuch des Theater an der Wien entnommen, Theatermuseum Wien, X121, Bd.1, Cassa Journal, 30. August 1845 bis 31. Dezember 1848. 170 Diese Durchschnittseinnahme von ca. 650 fl. wird vom Schauspiel des Theater an der Wien zwischen März und November 1848 überhaupt nur einmal erreicht: Die Aufführung von Schillers Die Räuber am 29. März 1848 bringt 651,42 fl. ein. Erst im Dezember 1848 erreichen zwei Aufführungen höhere Einnahmen: Ein Traum – kein Traum oder Der Schauspielerin letzte Rolle, eine Posse von Friedrich Kaiser mit Musik von Franz von Suppé, am 3. Dezember 1848 (686,57 fl.) und Schlimme Frauen am 26. Dezember 1848 (767,13 fl).

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unsern Financen nur einigermaaßen zugestopft sind; und das kann geschehen, wenn – wie oben erwähnt ein gescheidter Mann an der Spitze steht.171

Dass Lortzing mit seinen Vorbehalten gegen Pokorny Recht behielt, lässt sich an der weiteren Finanzmisere des Theater an der Wien ablesen. So blieb er auch nach der Auflösung der Oper zum 1. September 1848 seinem ehemaligen Kapellmeister Albert Lortzing noch drei Monate Gehalt schuldig, die er nachweislich noch bis zum 1. Mai 1849 ratenweise auszahlte.172

Abb. 13: Wenzel Scholz und Johann Nestroy als Brückenwächter, 1848

171

Brief an Josef Bicker in Leipzig, Wien, Mitte April 1848 in Albert Lortzing, Sämtliche Briefe, 322f, 322. Hervorhebung im Original. 172 Pokorny schuldete Lortzing am 2. März 1849 noch 220 Gulden C.M. Gehalt. Belegt sind drei von Lortzing unterschriebene Quittungen für März, April und Mai 1849 von jeweils 50 Gulden C.M., vgl. Theatermuseum Wien, NL Pokorny, Box 11, Mappe 77–79.

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Es war für die Vorstadttheater-Direktoren eine Herausforderung, in der Revolution den richtigen Weg zu finden zwischen ‚Gesinnung‘ und ‚Ökonomie‘. D i e P o l i t i k d e r T h e a t e r. Von beiden Theaterdirektoren wurde am 17. März 1848 in der Allgemeinen Theaterzeitung gemeldet, dass sie sich sofort an der revolutionären Bewegung beteiligten. Pokorny und Carl unterstützten jeweils Bürgerwache und Nationalgarde. Der erste soll bereits am 13. März 1848 sein Theaterpersonal mit Waffen ausgerüstet und unter Auszahlung der Monatsgage zur Sicherung der Vorstadt herangezogen haben: Ein großer Theil der Schauspieler schloß sich, ebenfalls bewaffnet an, und half so eine Armada bilden, die nicht nur die beiden Theater und ihre Nachbarschaft gegen böswillliges Gesindel schützet, sondern fortwährend bei Tag und Nacht Patrouillen entsendet, die selbst die entferntesten Vorstädte durchstreifen […]173

Carl bewaffnete ebenfalls sein Theaterpersonal und besetzte am 14. März 1848 die Schlagbrücke, am nächsten Tag übernahm er das Kommando über die Nationalgarde der Leopoldstadt.174 Seine beiden Star-Schauspieler, Wenzel Scholz und Johann Nestroy, boten als Brückenwächter für die Wiener Bürger ein besonderes Spektakel – gleichzeitig konnte das Carl-Theater hier publikumswirksam Gesinnung zeigen.175 Diese Szene ist uns heute überliefert in vielfach reproduzierten Bildern, welche das Geschehen als regelrechtes Theater-Spektakel mit amüsierten Zuschauern darstellen.176 Von den Theatern wurde also politische Beteiligung gefordert, auch das Repertoire sollte den neuen Freiheiten entsprechend politisiert werden. Vollkommen unmöglich erschien es, am alten Spielplan ungerührt festzuhalten, während draußen Revolution war.177 Sehr bestimmt äußerte sich auch das Publikum und forderte, dass die bislang von der Zensur beschnittenen oder verbotenen Stücke des Vormärz gespielt werden sollten, so etwa ein Hofburg-Theater-Abonnent am 28. März 1848 in der Theaterzei173

Allgemeine Theaterzeitung, 17. März 1848. Ebd. Das Nationalgarde-Kommando brachte Carl später eine unerfreuliche Auseinandersetzung mit den Studenten ein, dazu mehr weiter unten, 358f. 175 Vgl. dazu den Bericht in Heinrich Reschauer, Das Jahr 1848. Geschichte der Wiener Revolution, Bd. 1, Wien 1872, 432: „Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht von der Bewaffnung der Leopoldstädter Schauspieler und viele Hunderte aus der Stadt und den Vorstädten promenirten an der Brücke auf und ab, um ihre Lieblinge, darunter auch die beiden Komiker Scholz und Nestroy, beide bis an die Zähne bewaffnet, Schildwache stehen zu sehen.“ Siehe hierzu auch den bei Otto Basil publizierten Bericht Franz Gämmelers, eines Schauspielkollegen Nestroys, der die Brückenwache von Scholz und Nestroy auf den 30. April 1848 datierte; vgl. Otto Basil, Johann Nestroy, 123. 176 Vgl. Abb. 13, 347, entnommen dem Band Heinrich Reschauer, Das Jahr 1848, 433. 177 Vgl. etwa Allgemeine Theaterzeitung, 20. März 1848; hier wurde Pokorny die unpassende Aufführung der Posse Vier Wochen in Ischl, oder: Der Geldausleiher in tausend Ängsten von J. Carl Böhm am 18. März 1848 vorgeworfen. Pokorny hatte die Posse zunächst am 13. März 1848 als Benefiz der Schauspielerin Adele Beckmann angesetzt. Wegen der Unruhen musste die Aufführung ausfallen und er sah sich in der Pflicht, das zugesagte Benefiz für Beckmann am 18. März nachzuholen. 174

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tung. Er wünschte, an Stelle der Massenware an unbedeutenden Lustspielen „würdigere Nationalwerke der ältern und neuern Zeit“178 auf der Bühne zu sehen. Unter diese rechnete er die Werke von Schiller, Goethe, Laube, Gutzkow, Mosen und Prutz.179 Das Theater an der Wien kam diesem Wunsch bereits entgegen. So brachte Pokorny in den ersten Wochen nach der Bewilligung der Pressefreiheit Karl Gutzkows Zopf und Schwert (erstmals am 24. März 1848) und auch Schillers Räuber (erstmals am 29. März 1848) auf die Bühne. Den drastischen Umschlag des politischen Klimas kann man an Gutzkows Lustspiel Zopf und Schwert ablesen. Das Hofburg-Theater hatte Anfang 1844 das Stück zur Zensur an die Polizeihofstelle eingesandt. Im Februar 1844 äußerte der Präsident der Polizeihofstelle, von Sedlnitzky, seine Bedenken in „politischen Beziehungen“180 , und auch der hinzugezogene Staatskanzler Metternich urteilte vernichtend. Die Aufführung am Burgtheater könne auf keinen Fall erlaubt werden, da dort „das häusliche Leben einer Königsfamilie bis zur Fratze entstellt und herabgewürdigt“ werde.181 Auch in Preußen durfte das Stück nicht aufgeführt werden, es wurde sogar zur Ursache eines generellen Darstellungsverbotes von Angehörigen der Königsfamilie.182 Das Stück hatte sich damit den redlichen Ruf der politischen Anstößigkeit erworben. Umso mehr nun die Enttäuschung des Rezensenten, der das Werk endlich auf der Bühne zu sehen bekam. Die neue politische Situation ließ das Lustspiel enorm verblassen, Leopold Raudnitz stellte lakonisch fest: „Du guter Gutzkow, wie haben sie dir Unrecht gethan? Gibt es ein politisch harmloseres Stück als dieses ‚Zopf und Schwert,‘ gibt es einen politisch unwirksameren Dramendichter als Gutzkow?“183 Aber, so mussten sich die Theaterdirektoren fragen, welches Stück wäre denn in der Revolutionszeit wert, ins Theater zu gehen? Welcher Dramendichter war denn nun politisch wirksam? Wie konnte man den revolutionären Geist der Zeit auf die Bühne bringen und dem Publikum ein angemessenes Theatererlebnis bieten? Carl und Pokorny reagierten zunächst pragmatisch und instinktiv revolutionstreu: in der Leopoldstadt wurde auf dem Theaterbalkon die deutsche Fahne aufgesteckt184 und auf der Wieden setzte man die Preise herab: Director Pokorny, der seinen richtigen Tact und seine Aufmerksamkeit für das Publikum unter allen Verhältnissen bewährt, hat, in Erwägung der gegenwärtigen Zeit, die Preise des Theaters an der Wien, obschon dieselben ganz im Verhältnis zu dem Gebotenen stehen, sehr bedeutend 178

Allgemeine Theaterzeitung, 28. März 1848. Ebd. 180 Wienbibliothek, H.I.N. 25811, Abschriften nach Akten des Ministerium des Innern Wiener Theater betreffend, 1835–1847, Bl. 317, Schreiben Sedlnitzkys an die Hof- und Staatskanzlei am 9. Februar 1844. 181 Wienbibliothek, H.I.N. 25811, Abschriften nach Akten des Ministerium des Innern Wiener Theater betreffend, 1835–1847, Bl. 318, Schreiben Metternichs an die Polizeihofstelle am 14. Februar 1844. 182 Vgl. Kap. 4.3., 205. 183 Allgemeine Theaterzeitung, 27. März 1848. 184 Allgemeine Theaterzeitung, 7. April 1848: „Seit vorgestern flattert auf dem Balcone dieses Theaters die deutsche Fahne.“ 179

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herabgesetzt und so allen Theaterfreunden die Gelegenheit gegeben, auch unter den ungünstigsten Umständen ein geistiges Vergnügen sich verschaffen zu können.185

Dass Pokorny dabei den besseren Riecher hatte und dem Leopoldstädtischen Theater erstmals den Theater-Rang in der Vorstadt ablaufen konnte, zeigen die Ereignisse der Aufführungen von Das bemooste Haupt. D i e p o l i t i s c h e G e m e i n s c h a f t i m T h e a t e r. Für die Presse, vor allen Dingen die Allgemeine Theaterzeitung war Das bemooste Haupt durch das Agieren des studentischen Publikums eine politische Sensation. Die Studenten – diese bürgerlichen Hauptakteure der Revolution – eigneten sich die Aufführung, ja das ganze Theater, an und transformierten sie zu einer revolutionären Festveranstaltung. Die im Stück vorkommenden Studentenlieder wurden von Publikum und Akteuren gemeinsam gesungen, hinzu kamen Sprechchöre und Vivats auf den Kaiser. Es entstand der Eindruck, als würde das Theater hier einen geeigneten performativen Rahmen bieten, um die Revolutionäre und Bürger gemeinschaftlich auf die erst zwei Wochen vorher schockhaft erlebten politischen Ereignisse symbolisch einzuschwören. Eine solche symbolische politische Funktion des Theaters als Festereignis war keine Neuerfindung der Revolution von 1848. Sowohl das politische Fest (etwa Hambach 1832) als gemeinschaftliches Erlebnis von öffentlicher Tragweite, als auch die Tradition der theatralen Festveranstaltung zu monarchischen Festtagen (Namenstag des Souveräns, Krönungsjubiläum etc.) waren in der Zeit übliche Praktiken. Aber auch die Verknüpfung mit politischen Ereignissen, welche das Volk als Hauptakteur schlagartig ins Bewusstsein riefen und somit die Gefahr eines Umsturzes bewusst machten, war schon vor 1848 zu erleben. Ein Beispiel war die theatrale Verarbeitung des mißglückten Attentats auf den preußischen König am 26. Juli 1844. Die Allgemeine Theaterzeitung berichtete in zwei Artikeln ausführlich über die Reaktion des Theaterpublikums im Königstädtischen Theater in Berlin. Der erste Bericht ist die Übernahme eines Artikels aus der Allgemeinen Preußischen Zeitung, dem preußischen Staats-Anzeiger, die Ergriffenheit eines Publikums, das im Theater Orientierung und Trost sucht: Das Königstädter Theater war am 26. Juli – dem Tage, wo ein Wahnsinniger das Mordblei auf das Haupt eines milden, tugendhaften, hochherzigen Königs zu entsenden gewagt – in allen Räumen gefüllt; eine dumpfe Betäubung schien sich vor dem Beginne der Darstellung aller Anwesenden bemächtig zu haben; mit sichtlichem Abscheu erkundigte man sich in den verschiedenen Gruppen nach den Details der in preußischem Lande, preußischer Geschichte unerhörten Frevelthat. Da ertönen, nach Beendigung der Ouverture, die Klänge unseres NationalLiedes, und in freudiger Begeisterung erhob sich die ganze Versammlung, einstimmend in die Rhythmen der Hymne, worin ein treues Volk seinem Landesvater Liebe gelobt und Treue schwört. Es war ein schöner, feierlicher, wahrhaft ergreifender Moment! Wahrlich, eine Unthat, wie die begangene, kann – das stand in diesem Augenblicke klar vor der Seele eines Je185

Allgemeine Theaterzeitung, 4. April 1848.

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den – nur als eine wahnsinnige Handlung, die der demoralisirten Isolation angehört, betrachtet werden.186

Ganz detailreich schilderte der Autor hier die Dynamik des politischen Gemeinschaftsgefühls im Theater. Heute versammelt sich angesichts der gemeinschaftsrelevanten politischen Krise die Menge vor den Fernseh- und Computer-Bildschirmen, um Informationen, Orientierung und einen Ausgleich des Gefühlshaushaltes zu finden. 1844 war das Theater das Medium, von welchem sich die Menschen genau dieses erhofften. Das Königstädtische Theater war vollbesetzt, die Zuschauer suchten diesen Ort auf, um eine adäquate Haltung gegenüber dem politischen Ereignis des Attentats zu finden. Die „dumpfe Betäubung“187 spricht von einer Art ungewissen ‚Wartehaltung‘, auch der Austausch von Informationen unter den Anwesenden bewirkte noch keine Besserung. Jetzt handelte das Theater: Nach der Ouvertüre erklang die National-Hymne, alle Anwesenden, „einstimmend in die Rhythmen“188, erlebten singend die Rückgewinnung eines positiven Gemeinschaftsgefühls. Nachdem auch der Hauptdarsteller des gegebenen Stückes Köck und Guste, Philipp Grobecker, ein Couplet des Dankes für die Rettung des Königs dargebracht hatte,189 transformierte die „dumpfe Betäubung“ endgültig in moralische Beruhigung. So bestand nach dieser Theaterfeier kein Zweifel mehr darüber, dass der Täter in „demoralisirter Isolation“ gehandelt hatte, die Gemeinschaft konnte ihre Integrität wieder herstellen. Dieses erhebende, fast karthasische Grundgefühl machte auch den Heimweg zum gelungenen Festerlebnis: „Beim Nachhausegehen fanden wir die Königstraße und die Linden aus freiwilligem Antrieb der Bürgerschaft glänzend beleuchtet.“190 Einige Wochen später, am 13. September 1844191, stellte Friedrich Adami in seinem „Berliner Brief“ nochmals die zentrale Rolle des Theaters in der emotionalen und symbolischen Verarbeitung der politischen Krise heraus. Das Königstädtische Theater habe „den Ton des allgemeinen Patriotismus getroffen, der sich hier mit Feuer und Begeisterung kund gab, und dieser Abend, wo auch das Theater, eine der wichtigsten Stätten der deutschen Öffentlichkeit, so zu sagen sein Dankopfer brachte, ist einer der schönsten im Königstädtischen Repertoire […]“192 Eine Schilderung des Ereignisses würde allerdings unvermeidlich matt erscheinen müssen gegenüber „dem feurigen Enthusiasmus, wie er sich dort in unmittelbarer Erregung offenbarte, alle Anwesende mächtig, ja feierlich ergreifend und mit sich fortreißend.“193 Auch hier wird der Erlebnischarakter der Unmittelbarkeit herausgestellt, die mediale Vermittlung muss unzureichend bleiben. 186

Allgemeine Theaterzeitung, 5. August 1844. Ebd. 188 Ebd. 189 Ebd. 190 Ebd. 191 Friedrich Adami, „Berliner Brief“, in Allgemeine Theaterzeitung, 13. September 1844. 192 Ebd. 193 Ebd. 187

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S t u d e n t e n t h e a t e r. Ich möchte nun behaupten, dass vier Jahre später im Theater an der Wien eine ähnliche Dynamik zwischen Theater und Zuschauern passierte, die eng im Zusammenhang mit den dramatischen Umwälzungen nach den politischen Märzereignissen stand. Das bürgerliche Lustspiel Das bemooste Haupt funktionierte auf der Inhaltsebene nur bedingt als ‚Revolutionsstück‘, es war die Aufführungssituation, die es zum revolutionären Theaterereignis machte. Roderich Julius Benedix hatte das Stück bereits Ende der 1830er Jahre geschrieben und am 18. Januar 1839 im Wintertheater in Wesel uraufgeführt.194 Es war sofort ein Publikumserfolg und verhalf Benedix zum Durchbruch als Komödienschreiber. Im Bemoosten Haupt geht es um den Studenten der Theologie Alsdorff, der wegen der korrupten Universitätspräsidentin keine Pfarrstelle bekommt und daher seine Verlobte erst nach vierzehn Jahren, nach der glücklichen Auflösung der Intrige, heiraten kann. Entscheidend ist allerdings, dass zahlreiche Szenen aus dem studentischen und burschenschaftlichen Leben gezeigt werden, so etwa die Initialisierung eines ‚Fuchses‘ und ein der korrupten Präsidentin dargebrachtes ‚Pereat‘. Durch die theatrale Darstellung des letzteren wurde der Rügebrauch der studentischen Katzenmusik überhaupt erst in Wien bekannt gemacht und sofort in die Praktiken der dortigen Straßenpolitik integriert.195 Das Theater an der Wien spielte Das bemooste Haupt zum ersten Mal am 1. April 1848. Raudnitz berichtete zwei Tage später in der Theaterzeitung, Pokorny habe für dieses Stück das wirksamste Mitglied engagiert, nämlich „[die] Gunst des Augenblicks, die Politik.“196 Das Benedix-Stück – „auch ein von der Censur verfolgtes Kind“197 – wäre „wie für den Moment geschrieben“.198 Raudnitz erläuterte kurz die Handlung des Stückes und bewertete die Darstellung, sein Bericht wurde jedoch von der Feier des Ereignisses dominiert: Interessanter noch als die Vorstellung auf der Bühne, war die im Parterre, welche fast ganz von heimischen und fremden Studenten occupirt war. Jede Wendung, jede auf die Universität bezügliche Stelle, besonders aber das der depravirten Präsidentin gebrachte ‚Pereat‘ wurde unter Jubel, der kein Ende erreichen wollte, aufgenommen. Die Studentenlieder sangen alle mit, Studenten und Publikum, die Fußlampen schienen weggeräumt: ein den Wienern neues Schauspiel!199

194

Robert Prutz datierte in seiner Zeitschrift Deutsches Museum (Nr. 3, 21. Januar 1864, 90) die Uraufführung des Stückes am Wintertheater in Wesel auf den 18. Januar 1839. 195 Zur Funktion des Stückes für die Katzenmusiken in Wien 1848 vgl. etwa Wolfgang Häusler, „Freiheit in Krähwinkel?“, 87. Aber auch zeitgenössische Quellen bestätigen dies. So gab etwa der Humorist in seiner Kritik vom 3. April 1848 einen Hinweis auf die begeisterte Aufnahme des ‚Pereat‘: „die Katzenmusik mußte wiederholt werden.“ Und auch Sigmund Schlesinger schrieb 1904 rückblickend, dieses Stück habe „den Wienern den ersten Unterricht in der edlen Straßenkunst der Katzenmusiken“ vermittelt; Sigmund Schlesinger, „Studentenstücke“, n.p. 196 Allgemeine Theaterzeitung, 3. April 1848. 197 Ebd. 198 Ebd. 199 Ebd.

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Abb. 14: Das bemooste Haupt, Theater an der Wien, 1848

Die Studenten identifizierten sich mit dem Stück, machten sich das dort geschilderte ‚Studentenleben‘ zu eigen und zelebrierten sich selbst. Theaterakteure und Publikum wurden im Theaterraum vereint zur politischen Festgemeinschaft, „die Fußlampen schienen weggeräumt“, die Rampe war aufgehoben. Moritz Smets schilderte 1872 rückblickend die Vermischung der Theater- und Zuschauersphären. Die Studenten auf der

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Bühne hätten wie in einem Spiegel die politischen Abzeichen an der Kleidung des studentischen Publikums reflektiert, und beide Seiten wären zu Theaterakteuren geworden: Der Schauspieler sprach von der Bühne herab mit dem Studenten, der Student mit dem Schauspieler; die Legionäre schwenkten die Hüte, die Schauspieler schwenkten die Mützen; auf der Bühne sang man ein Studentenlied – die Studenten im Publikum stimmten ein; kurz es war ein eigenthümlicher noch nie dagewesener Geist, der die Schranken zwischen Parterre und Podium bannte und in einzelnen Momenten den Schauspieler zum Zuseher, den Zuseher zum Schauspieler umwandelte.200

Das Wiener Theaterpublikum erlebte hier im Theater nicht nur Einblicke in studentisches Leben, sondern auch sich selbst als Teil der politischen Bewegung, im Theater symbolisch erhöht zum „neuen Schauspiel“. Hier war nicht der politische Kampf das Entscheidende, sondern die politische Feier des durch Kampf erreichten. Während dort die Arbeiter ihre revolutionäre Kraft für den politischen Kampf einsetzten, waren es hier die Studenten und die Bürger, die sich in der politischen Feier vereinigten und pathetisch aufluden – vielleicht auch für kommende Kämpfe. In den folgenden Aufführungen erfuhr die politische Feier im Schauspielhaus noch weitere Steigerungsformen. Die Theaterzeitung berichtete täglich von den ersten vier Aufführungen. Der Theatersturm der Studenten beeindruckte die Journalisten und Berichterstatter so nachhaltig, dass die Zeitung von der sonstigen Praxis, nur ein, höchstens zweimal (bei Gastspielen und Sonderereignissen) über ein Theaterstück zu berichten, abwich. Der Humorist blieb dagegen distanziert und brachte nur einen Artikel. Julius Marx berichtete dort sehr kurz und kommentierte sachlich: „Es ist ein Stück mit Bildern aus dem deutschen Studentenleben, welche jetzt noch ein Mal so stark zünden als sonst, besonders vor einem Publikum, wie das hier versammelte, das zum großen Theile aus den achtungswerthen Jüngern der Wissenschaft bestand.“201 Die Berichte in der Theaterzeitung hingegen spiegelten die enthusiastische Begeisterung der Theaterfeier wider. Die Studenten wurden als Idealfiguren beschworen, es würde „keine edleren, ritterlicheren jungen Leute in der ganzen Welt“202 geben – das Theater an der Wien wurde zum idealen Ort dieser edlen Ritter: Es waren vielleicht fünf Hundert203 Studirende versammelt. Daß sie bei allen den wirksamen Scenen aus dem Studentenleben, wie Tags vorher, mitjubelten, alle Studentenlieder mitsangen, alle zeitgemäßen Reden mit Begeisterung aufnahmen, alle patriotischen Scenen mit Jubel begrüßten, alle Ausfälle auf das Philister-Leben, auf die Feilheit schlechter Beamten mit zahllo200

Moritz Smets, Das Jahr 1848. Geschichte der Wiener Revolution, Bd. 2, Wien 1872, 45. Smets orientiert sich hier wahrscheinlich an einer Theaterkritik des Wanderers vom 3. April 1848, die das Geschehen fast wortgleich beschreibt. 201 Der Humorist, 3. April 1848. 202 Allgemeine Theaterzeitung, 4. April 1848. 203 Im Vergleich zur Anzahl der gesamten Sitzplätze von über 2100 Plätzen im Theater an der Wien im Jahr 1832. Vgl. hierzu Tadeusz Krzeszowiak, Theater an der Wien. Seine Technik und Geschichte 1801–2001, Wien u.a. 2002, 72; vgl. auch Franz Hadamowsky, Wien. Theatergeschichte von den Anfängen bis zum Ende des Ersten Weltkriegs, Wien u. München 1988, 518.

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sen Bravos begleiteten etc., etc., das versteht sich von solchen intelligenten jungen Männern von selbst. Aber wie sie sich bei den Worten zeigten, mit welchen auf der Bühne von dem Helden des Stückes gesagt wird: Es lebe die Freiheit und Der welcher uns die Freiheit gegeben hat; wie sie da aufjauchzten, alle sich von ihren Sitzen erhoben, die Hüte und die Taschentücher schwenkten und laut riefen: Die Volkshymne anstimmen! Die Volkshymne! mitten in der Scene! Die Volkshymne! Gott erhalte den Kaiser! Der Kaiser Ferdinand hoch!!! das beschreibt Niemand. Und augenblicklich stimmte das Orchester die Hymne an und Schauspieler, Studenten und was in dem übervollen Hause noch versammelt war, sangen unter unbeschreiblichem Jubel mit und sangen das herzerhebende Lied mit himmlischer Begeisterung für den größten und edelsten Monarchen der Welt. Und kein Aug blieb trocken, und alles jubelte und sprach seine Huldigung und Verehrung für Ferdinand den Gütigen, den wahren Vater seiner Völker, aus, und die Studenten schwenkten neuerdings die Hüte und die deutsche Fahne wurde auf dem Theater geschwungen. Es war dies eine Feierscene, wie noch keine vorgekommen. Wer ihr nicht beigewohnt, kann sich schwerlich einen Begriff davon machen.204

Die Studenten, zahlreich versammelt, stimmten von Anfang das gesamte Theater auf die Feier ein, sie sangen mit, setzten die Zelebration des Vorabends fort. Doch dann erfolgte die Verknüpfung der studentischen Freiheitsfeier mit der hymnischen Preisung der Monarchie und der nationalen Bewegung, symbolisiert von der schwarz-rot-goldenen Fahne. Dies war der emotionale Höhepunkt der politischen Theaterfeier, kein Auge blieb trocken, das Erlebnis war unbeschreiblich, so eine „Feierscene“ gab es noch nie. Das Theater fungierte hier als Katalysator der politischen Stimmung und gleichzeitig trieb es die gemeinschaftliche Feier noch weiter an. Das Orchester stimmte ein, die Fahne wurde auf die Bühne gebracht. Wer nicht dabei war, konnte es nicht begreifen. Das hieß für die Leser der Theaterzeitung, sie mussten ins Theater kommen, um ein Teil der politischen Gemeinschaft zu werden. Hier bot sich eine bürgerliche Alternative, um – nicht gerade im Kampfgeschehen oder in den Pflichten der Nationalgarde – doch an der Revolution Anteil nehmen zu können. Die Verknüpfung des gemeinschaftlichen Theatererlebnisses mit den konkreten politischen Ereignissen und Erfolgen brachte J. M. Schleicher in der dritten Besprechung205 des Benedix-Stückes auf den Punkt. Nicht nur alle Anspielungen auf „das ehemalige Joch und die nunmehrige Erlösung von demselben“206 wären mit größtem Jubel aufgenommen worden, sondern auch das Feiern der politischen Gemeinschaft sei wesentlich für das politische Erleben der Revolution gewesen. Hinsichtlich des populären FuchsLiedes sagte er: Wie aus einem Munde klang es durch das ganze Theater: ‚Was macht die Frau Mama? – Was macht die Frau Mama? Was macht die lederne Frau Mama?‘ u.s.w. – Es war ein köstlicher Moment, der nie vorher in Wien erlebt, und ebendeshalb den Beweis liefert, daß die Freiheit die Menschen näher aneinander rückt, sie inniger verbrüdert.207

204

Allgemeine Theaterzeitung, 4. April 1848. Hervorhebung im Original. Allgemeine Theaterzeitung, 5. April 1848. 206 Ebd. 207 Ebd. 205

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Erst die Revolution hatte die Freiheit gebracht, welche die politische Gemeinschaft als Feier ermöglichte. Und dies wurde als authentisches Freiheits- und Politikerlebnis im Theater empfunden. Es überraschte daher nicht, dass die Studierenden am 4. April 1848 Pokorny aufforderten, dass Theater an der Wien in „Nationaltheater“ umzutaufen – so der Bericht des Nationalgardisten Adalbert Prix über die ‚Politisierung‘ des Theaters an der Wien. Publikum und Theaterdirektor bestätigten sich gegenseitig in ihrem Nationalgefühl. Die Ermäßigung der Eintrittspreise und die Aufführung des Studentenstückes hatten eine Theater- und Politikeuphorie entzündet: „Die Begeisterung für [Pokorny] geht so weit, daß das Publikum am 4. d. M. das Theater an der Wien am Schlusse als Nationaltheater proclamirte und die Studentenschaft Herrn Pokorny zur Aussteckung der deutschen Fahne aufgefordert hat, welche nun auch am Hauptthore über dem Doppelaar weht.“208 Dies war nur konsequent, erlebten alle Beteiligten doch hier gerade die eindringlichsten Momente der politischen Gemeinschaft; so müsste es sich anfühlen, wenn dereinst die deutsche Nation als freiheitliches Staatswesen realisiert sein werde. Pokornys förmlicher Antrag vom 9. April 1848 an das Präsidium der k. k. Nieder-Österreichischen Landesregierung, das Theater „künftig Nationaltheater nennen zu dürfen“, erfuhr prompt einen Tag später die Genehmigung.209 In den ersten Wochen der Revolution nahm das Theater an der Wien fast die Position eines symbolischen Gegenortes zur universitären Aula ein, die als politisches Zentrum fungierte. Die Aula suchten die Studenten auf, um politische Orientierung, Informationen und den Austausch über ihre politische Gesinnung zu erhalten. Das Theater an der Wien bot mit den Aufführungen von Das bemooste Haupt einen symbolischen Ort der öffentlichen Feier, der gemeinschaftlichen Rückversicherung der Studenten und bürgerlichen Revolutionäre im Fest. Hier wurde eine emotionale Aufladung erzeugt, welche das politische Handeln befeuern konnte. Die studentische Katzenmusik entstand aus dem Theater heraus und präsentierte sich als ideales Übergangsmedium zwischen theatraler Symbolisierung und konkretem politischem Handeln. Obgleich Pokorny versuchte, die enge Bindung des Theaters an die revolutionären Studenten weiter zu knüpfen, wurde schnell klar, dass sich die Theaterfeier nicht unendlich wiederholen ließ. Pokorny demonstrierte am 13. April 1848 nochmals seine Verbundenheit mit den Studierenden, indem er die Einnahmen der Aufführung (506 fl. 35 kr.) „zur Equipierung unbemittelter Studenten, welche der Nationalgarde eingereiht sind,“210 spendete. Pokorny übergab zusätzlich einen ebenso hohen Betrag, nämlich „500 fl. als Geschenk von Se. Majestät zu demselben Zweck.“211 Dem Kaiserhaus blieb also die überschwängliche Theater-Revolutions-Feier nicht verborgen. Aber da dies allabendlich 208

Allgemeine Theaterzeitung, 6. April 1848. Theatermuseum Wien, NL Pokorny, Box 4, Mappe 5, Genehmigung des Präsidiums der k. k. Nieder-Österreichischen Regierung vom 10. April 1848. 210 Theatermuseum Wien, NL Pokorny, Box 2, Mappe 63, Empfangsbestätigung der Nationalgarde vom 28. April 1848. 211 Ebd.

209

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mit Hochrufen auf den Kaiser verbunden war, so war diese Gunstbezeugung des Hofes nicht unüblich. Wenn der Kaiser sich schon nicht im Theater sehen ließ – wie dies etwa Adalbert Prix in seinem Bericht wünschte212 –, so konnte er doch eine Anteilnahme symbolisch als vom Theaterdirektor vermitteltes Geldgeschenk ausdrücken. Innerhalb der Nationalgarde wird diese Geste bekannt geworden sein, eine weitere Verbreitung über die Zeitungen, die doch aufmerksam für die politische Dimension des Theaterabends waren, ist nicht nachweisbar. Doch mit der Zurückdrängung der Dominanz des politischen Modus der Straßenund Versammlungsöffentlichkeit nach den ersten Wochen der Revolution erlosch auch die Bindekraft der inszenierten politischen Gemeinschaft im Theater an der Wien, und die Bühne gewann ihre Rahmung als repräsentatives Medium zurück. Das Theaterstück wurde nun wieder verstärkt am politischen Inhalt und der Kunstfertigkeit der Darstellung gemessen. Lortzing formulierte diesen Übergang, jedoch nicht als Reflexion auf die oben genannte Umwertung des politischen Theaters, sondern als wirtschaftliches Konkurrenzverhältnis zum Carl-Theater: Unsere Einnahmen waren lange Zeit die besten. Es wurde im Schauspiel ungeheuer gearbeitet, und die Freiheitsstücke, das bemooste Haupt, die Jesuiten Komödie213 machten in den ersten Freiheitswochen tüchtige Einnahmen. Nach und nach aber schwand der Sinn für’s Komödienspiel gänzlich und in allen Häusern herrscht die schauerlichste Leere mit Ausnahme des KarlTheaters, wo ein neues Stück von Nestroy: „Freiheit in Krähwinkel“ das Publikum durch dreißig Vorstellungen anzog. Es ist ein zusammen gewürfeltes Machwerk, hat aber viele komische Situationen und läßt natürlich alle Saiten der Zeitumstände erklingen.214

Man könnte hier hingegen umformulieren, dass nicht der „Sinn für’s Komödienspiel“, sondern vielmehr für die politisch-theatrale Feier im Theater schwand. Und der Erfolg von Nestroys „zusammen gewürfeltem Machwerk“ läge dann gerade im repräsentativen Anklang an die Zeitumstände und dem weit gehenden Verzicht215 auf die gemeinschaftliche Performance als Symbolisierung der politischen Ereignisse. Doch zunächst gab es den Versuch, das Theater an der Wien mit seinem symbolischen Titel „Nationaltheater“ politisch weiter zu profilieren und die Funktion des Theaters in der politischen Situation genauer auszutarieren. 212

Allgemeine Theaterzeitung, 6. April 1848. Gemeint ist das Stück Keine Jesuiten mehr, dass am 13., 14. und 16. Mai 1848 im Theater an der Wien aufgeführt wurde, vgl. Theatermuseum Wien, X121, Bd.1, Cassa Journal, 30. August 1845– 31. Dezember 1848, Repertoire von Mai 1848. 214 Brief an Georg Meisinger, Wien, 31. Juli 1848, in Albert Lortzing, Sämtliche Briefe, 327–330, 327f. Hervorhebung im Original. 215 Es gibt Hinweise auf gemeinschaftliches Singen bei der Aufführung. Der Österreichische Courier (Allgemeine Theaterzeitung) berichtete am 3. Juli 1848, dass am Schluss das Lied „Was ist des Deutschen Vaterland?“ angestimmt wurde. Ob das Publikum dabei mitsang ist nicht klar, allerdings hieß es beim Bericht über den Theaterbesuch der Deputierten aus Frankfurt, Österreichischer Courier (Allgemeine Theaterzeitung), 7. Juli 1848: „[Das] Publikum verlangte einstimmig das Absingen des Liedes: ‚Was ist des Deutschen Vaterland?‘ Was auch unter Beifall- und Vivatruf geschah.“

213

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N a t i o n a l t h e a t e r. Die Ernennung des Theater an der Wien zum Nationaltheater im April 1848 hing direkt mit den Aufführungen des Stückes Das bemooste Haupt zusammen und der Wahrnehmung dieses Theaters als adäquates Revolutionstheater. Die Vorstellungen darüber, was ein Nationaltheater in politischer und künstlerischer Hinsicht zu leisten habe, gingen auseinander. Der Theaterkritiker Leopold Raudnitz verpflichtete den Theaterdirektor Pokorny am 14. April 1848 in einem offenen Brief auf die Bildungsfunktion von Theater. Das Theater an der Wien wäre nun von „der Stufe eines Privaterwerbmittels (das im Grunde ein Theater, eine mit der Bildung und Anregung des Volkes innig zusammenhängende Anstalt, nie sein sollte) zu einem wichtigen öffentlichen Institute“216 erhoben worden und müsste daher bedacht sein, „das Würdige und Gute gut und würdig zur Darstellung zu bringen.“217 Und genau dies könne das derzeitig verpflichtete Ensemble nicht leisten; Pokorny müsse das Theater neu aufstellen, um eine Qualitätssteigerung zu erreichen. Die Zeit der Rücksicht und Nachsicht ist vorüber; es wäre Ihr Verderben, wenn Sie den allesübertünchenden Schmeichelworten Jener Gehör geben, welche Sie bereden, Sie könnten auf die augenblickliche Gunst des Publikums hin mit den Kräften Ihres Schauspiels dauernd Erfolg haben. – Ein Stück wie ‚der lange Israel‘218 ist ganz ein anderes als ‚Uriel Acosta,‘219 ‚Karlsschüler,‘220 ‚Urbild des Tartüffe‘221 und so weiter; schon ‚Zopf und Schwert,‘222 ‚die Räuber‘223 haben mich von der Unzulänglichkeit der Kräfte überzeugt.224

Für Leopold Raudnitz bestand also die Leistung des ‚Nationaltheaters‘ in der einem bürgerlichen Bildungskanon entsprechenden Auswahl der Stücke und ihrer vorbildhaft künstlerischen Darstellung auf der Bühne. Dieser Aufgabe war das Theater an der Wien in den Augen des Kritikers nicht gewachsen. Der Theaterdirektor Pokorny sah dagegen seine Pflicht als Vorsteher des Nationaltheaters in einem ganz anderen Licht. Die feierliche Umbenennung des Theaters erfolgte am 13. April 1848 vor der 13. Aufführung des Stückes Das bemooste Haupt. Raudnitz brachte hier nochmals die divergierenden Ansprüche an das Nationaltheater auf den Punkt, wenn er bei der Beschreibung des Abends die deutschen Farben in „Fahnen, Cocarden, Haarschleifen, Gürtelbänder[n]“ gegen die Schwäche des gebotenen Stückes aufrechnet: „[Die] politischen Elemente [gewährten] dem Abende eine Feier […], welche in gar keinen Verhältnisse mit dem Werthe des aufgeführten Lustspiels stand […]“

216

Leopold Raudnitz, „An Herrn Pokorny Director des National- und nebenbei des Josephstädter Theaters“, in Allgemeine Theaterzeitung, 14. April 1848. 217 Ebd. 218 Das bemooste Haupt oder Der lange Israel von Benedix. 219 Uriel Acosta von Karl Gutzkow. 220 Die Karlsschüler von Heinrich Laube. 221 Das Urbild des Tartüffe von Karl Gutzkow. 222 Zopf und Schwert von Karl Gutzkow. 223 Die Räuber von Friedrich von Schiller. 224 Leopold Raudnitz, „An Herrn Pokorny“, n.p.

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Genau darum ging es nämlich, ob man die Aufgabe eines Nationaltheaters in der politischen Feier oder in der oben beschriebenen Bildungsfunktion sah. Pokorny stand hier eindeutig auf der Seite der politischen Feier. So versuchte er etwa Ende Juli 1848 dem ‚Dauerbrenner‘ Das bemooste Haupt neue politische Wirksamkeit einzuflößen, indem er ein Benefiz für die Juristische Compagnie der Akademischen Legion ausrichtete.225 Die Besonderheit des Abends bestand nun darin, dass einige Studenten der Juristischen Compagnie tatsächlich selbst in dem Stück mitwirkten und als Darsteller auf der Bühne standen. Die Hauptrolle des Alsdorff als auch die wichtige Nebenrolle des Stiefelputzers Strobel wurden von Studenten der Juristischen Compagnie gespielt, die sich in der Kritik sogar einiger Anerkennung erfreuten.226 Dabei wurde Pokorny sich wahrscheinlich gar nicht bewusst, dass er damit die Konzeption der gemeinschaftlichen Feier unterlief. Die Partizipation der Studenten war vom Theaterraum auf die Bühne verschoben. Dadurch wurde das Bemooste Haupt von einem Anlass zur politischen Feier, welche Zuschauerraum und Theaterakteure verband, zur studentischen Theateraufführung, welche diesen besonderen Moment der Vereinigung nicht mehr erzeugen konnte. Die Studenten hatten zwar die Seite der Rampe gewechselt, aber die ‚Fußlampen‘227 markierten die räumliche Trennung. Eine Vereinigung zwischen Bühne und Parterre fand in dem Maße wie in den April-Aufführungen nicht mehr statt, obgleich die studentischen Zuschauer mit „lauten Beifallsacclamationen“228 auf ihre darstellenden Kollegen reagierten. Bereits am nächsten Tag, am 29. Juli 1848, führte Pokorny wieder das gleiche Stück in der nämlichen Besetzung auf,229 und wieder war es ein Benefiz. Dieses Mal spielte das Nationaltheater zugunsten des Flottenvereins230, der am 13. Juli 1848 seine Gründung im Österreichisches Courier (Allgemeinen Theaterzeitung) bekannt gab.231 Dieser Verein, unter der Leitung des Professors Anton Füster, Revolutionär der ersten Stunde, und des Buchhändlers Franz Gerold, hatte sich das Ziel gesetzt, Geld für eine nationale deutsche Flotte bundesweit zusammenzubringen. Pokorny wurde rasch für die Idee gewonnen, bereits zwei Wochen nach der Gründung erfolgte sein Beitrag in Form eines halben Benefiz’. Auch hier, so lässt sich vermuten, spielte die Bindung an die Wiener Studenten eine Rolle. Anton Füster war Feldkaplan der Akademischen Legion und als Professor an der Wiener Universität eng mit den politischen Vorgängen in der Aula verknüpft. So ist es sehr wahrscheinlich, dass diese Kontakte Pokorny mit dem Flottenver225

Vgl. hierzu den Quittungsbeleg der Juristischen Compagnie, Theatermuseum Wien, NL Pokorny, Box 2, Mappe 64, Empfangsbestätigung des Kassiers der Juristischen Compagnie vom 29. Juli 1848. 226 Vgl. die positive Besprechung im Humorist, 31. Juli 1848. 227 Vgl. weiter oben, 350f. 228 Österreichischer Courier (Allgemeine Theaterzeitung), 31. Juli 1848. 229 Vgl. Der Humorist, 31. Juli 1848. 230 Vgl. hierzu Theatermuseum Wien, X121, Bd.1, Cassa Journal, 30. August 1845–31. Dezember 1848, Eintrag für Juli 1848: „29. Das bemooste Haupt. 1/2 Benef. für Deutsch. Flotte.“ 231 Cajetan Cerri, „In Sachen einer deutschen Flotte. Ein Wort zur Zeit“, in Österreichischer Courier (Allgemeine Theaterzeitung), 13. Juli 1848.

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ein in Verbindung brachten und der Theaterdirektor sein Nationaltheater in der Pflicht sah, hier für die nationale, politische und auch gewissermaßen universitäre Sache zu agieren. Dies stand für Pokorny im Vordergrund und überstrahlte jeden Anspruch des bürgerlichen Publikums und der bürgerlichen Kritiker an ein bildungsorientiertes Kunstinstitut. Dass er damit durchaus auch positive finanzielle Effekte für sein Theater erzielte belegen nicht nur die sensationellen Einnahmen für die April-Aufführungen des Bemoosten Haupts, sondern es gelang ihm auch in der politischen Krise, finanzielle Unterstützung für das ‚Nationaltheater‘ zu erreichen. Da das Theater im Oktober 1848 wegen der politischen Ereignisse 24 Schließtage erfahren musste und nur 734,54 fl. Kasseneinnahme flossen, erhielt Pokorny 5.000 fl. „Zuschuss vom Ministerium“232 – eine politisch motivierte Subvention für das ‚Nationaltheater‘ Wiens. Die beiden politisch motivierten Benefize mit studentischen Darstellern am Theater an der Wien fanden zu einer Zeit statt, als das Carl-Theater längst wieder die theatrale Dominanz in den Vorstädten übernommen hatte. Johann Nestroy zeigte ab dem 1. Juli 1848 erstmals sein Zeitstück Freiheit in Krähwinkel233 und brach alle Zuschauerrekorde.234 D i e u n s i c h t b a r e K a t z e n m u s i k. Das Carl-Theater war im April 1848 gegenüber dem Theater an der Wien ins Hintertreffen geraten. Carl gelang es nicht, sein Theater als ‚revolutionäres Theater‘ der Stunde zu etablieren, darüber hinaus verstrickte er sich in politische Auseinandersetzungen, die Folgen für den Ruf seines Theaters hatten. Carl war bereits zu Beginn der März-Unruhen Kommandant der Leopoldstädter Nationalgarde geworden und versuchte, in dieser Funktion seiner Aufgabe der Sicherung von Ruhe und Ordnung gerecht zu werden. Am Abend des 12. Mai 1848 schritt Carls Nationalgarde gegen eine Katzenmusik vor dem Hause des Baron Schloißnigg ein, einem des Wuchers verdächtigen Hausvermieters235. Dabei wurden auf beiden Seiten Personen verletzt. Carl wurde daraufhin Unsolidarität gegen das protestierende Volk und die Gewalttätigkeit der Nationalgarde vorgeworfen. Diese Vorwürfe gipfelten in einer Katzenmusik gegen Carl, die am 13. Mai 1848 vor dem Carl-Theater stattfand und in eine tätliche Auseinandersetzung auszuarten drohte. Nach Leopold Raudnitz sei die Menge auf etwa tausend angewachsen und es sollen bereits Steine geflogen sein, als ein Student vom Balkon des Theaters herab die Protestierenden beruhigen und zerstreuen 232

Theatermuseum Wien, X121, Bd.1, Cassa Journal, 30.8.1845–31.12.1848, Eintrag für Oktober 1848. Zu Nestroys Revolutionspossen vgl. Günter Berghaus, J. N. Nestroys Revolutionspossen im Rahmen des Gesamtwerks. Ein Beitrag zur Bestimmung von Nestroys Weltanschauung auf dem Hintergrund der österreichischen Sozialgeschichte des Vormärz, Univ.-Diss. Wien 1977. 234 Das Carl-Theater hatte ca. 800 Sitzplätz und fasste insgesamt etwa 2000 Besucher, vgl. Franz Hadamowsky, Wien, 501 und Ders., Das Theater in der Wiener Leopoldstadt 1781–1860, Wien 1934, 75. 235 Vgl. Wolfgang Häusler, „Freiheit in Krähwinkel?“, 97. 233

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konnte. Daraufhin legte Carl am nächsten Tag das Kommando der Nationalgarde ab. Wegen der Verfassungsunruhen kehrte er jedoch am 15. Mai 1848 wieder auf seinen Posten zurück.237 Nestroy selbst stand ebenso im politischen Kreuzfeuer, da er am 21. Mai 1848 in seiner Posse Die Anverwandten mit einem die Wahl zur Frankfurter Nationalversammlung verspottenden Couplet einen Theaterskandal heraufbeschworen hatte.238 Das Theaterpublikum protestierte vehement und verlangte von Nestroy Abbitte.239 In dieser prekären Situation für das Carl-Theater stand die Aufführung von Freiheit in Krähwinkel unter politischem und finanziellem Erfolgsdruck – die neue Produktion musste zünden und auch den ramponierten politischen Ruf des Theaters sanieren. Nestroy hat in seinem Stück die Revolutionsereignisse in Wien von März bis Mai 1848 in die Provinz verlagert und somit in einen kleineren Maßstab gebracht. Seine Hauptfigur, der liberale Journalist Eberhard Ultra, bringt dies auf den Punkt: „Also wie’s im Großen war, so haben wir’s hier im Kleinen gehabt“240 (III, 25). Und diese Verkleinerung auf dem revolutionären Schauplatz des kleinbürgerlichen Krähwinkel erzeugt Komik. Am Ende gelingt den Krähwinklern die Revolution gegen die reaktionären Funktionäre der Stadt, aber das schaffen sie nur, indem sie sich der theatralen Travestie bedienen. Ultra schlüpft in die Rollen der etablierten Figuren der Reaktion – er tritt auf als Liguorianer, als knutenschwingender russischer Fürst und zuletzt als Fürst Metternich persönlich –, um seine Freiheit bringende Intrige zum Erfolg zu führen. Die Respekt einflössenden Studenten auf den Barrikaden, vor denen der Bürgermeister zuletzt die Flucht ergreift, sind nicht etwa kämpferische Burschenschaftler, sondern die mit Frau von Frankenfrei verschworenen Mädchen der Stadt. Nestroy veranstaltete ein turbulentes Revolutionsspektakel und gab dem Publikum doch gleichzeitig das Gefühl, im Gegensatz dazu, die ‚richtige‘ Revolution in ihrer Stadt erlebt zu haben. Nicht zuletzt durch den feierlichen Schluss des Stückes. Ultra beschwört den Glauben an die Unantastbarkeit der revolutionären Errungenschaften. „[Die] Reaktion ist ein Gespenst, aber G’spenster gibt es nur für den Furchtsamen. D’rum sich nicht fürchten davor, dann gibt’s gar keine Reaktion“241 (III, 25). Und dann stimmte man gemeinsam die Hymne an: „Was ist des Deutschen Vaterland“242. 236

Vgl. Leopold Raudnitz in Allgemeine Theaterzeitung, 16. Mai 1848. Vgl. den Abdruck der Rücktrittserklärung Carls und den Bericht in der Allgemeinen Theaterzeitung, 17. Mai 1848. 238 Vgl. hierzu Wolfgang Häusler, „Freiheit in Krähwinkel?“, 97 und Irmgard Neck, „Freiheit in Krähwinkel“, in Nestroyana, Heft 3/4, Jg. 2, 1980, 78–90, 82. 239 Ebd. 240 Johann Nestroy, Freiheit in Krähwinkel. Posse mit Gesang in zwei Abtheilungen und 3 Akten, Wien 1849, 119. 241 Johann Nestroy, Freiheit in Krähwinkel, 120. 242 Dieser Text wurde als deutschnationales und antifranzösisches Gedicht von Ernst Moritz Arndt während der Befreiungskriege verfasst und später in vielen Versionen als Lied vertont. Die populärste Liedversion stammt von Gustav Reichardt (1825) und fand als Hymne der deutschen Eini237

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Diese Mal gelang es, das Publikum nahm die Posse begeistert auf, das Stück stand bis Ende Juli und nach der Sommerpause bis zum 4. Oktober 1848243 erfolgreich auf dem Programm. Am 3. Juli 1848 erschienen die Premieren-Kritiken von Nestroys Stück in den Zeitungen. Am gleichen Tag publizierte der Österreichische Courier (Allgemeine Theaterzeitung) einen kleine Artikel unter dem Titel „Eine unsichtbare Katzenmusik am hellen Tage“: Ich war eben in der Mittagsstunde in meiner Wohnung, in der Weintraubengasse in der Leopoldstadt, angelangt, und wollte […] Mittagessen da höre ich einen gellenden Pfiff, dem bald mehrere rasch folgten. ‚Himmel, eine Katzenmusik!‘ rief ich aus, ließ […] den Löffel, fallen, und eilte zum offenen Fenster. Ich sah in die lange Gasse und entdeckte nichts, ich sah rechts und links, und als sähe ich in ein neu entstandenes Zeitungsblatt, ich fand immer nichts. Ich eilte auf die Straße und rief: ‚Welch’ Getümmel Straßen auf!‘ aber es war ganz – ruhig. Nur einige Bürger, die da standen, fragten sich gegenseitig: ‚wo denn die starke Katzenmusik, die man so deutlich hört, eigentlich stattfinde?‘ Ich stand verblüfft da, da kommt ruhig der Schauspieler F., vom Leopoldstädter-Theater, auf mich zu, den packe ich nun voll Neugierde, und rufe: ‚Freund! wo ist Katzenmusik!‘ Lachend sagte er, ‚im Theater, wo sie jetzt Probe von Nestroys neuem Stücke haben, in welchem eine Katzenmusik vorkommt.‘244

Der Autor dieser Anekdote wurde im Alltag durch die Signale einer Katzenmusik aufgeschreckt und versuchte sogleich, heraus zu bekommen, wem diese galt. Er eilte auf die Straße, wo schon andere versammelt waren, um mehr zu erfahren, vielleicht aber auch, um sich daran zu beteiligen oder auch gegen die Katzenmusik einzuschreiten. Er fühlte sich sofort zum Handeln veranlasst und mit ihm „einige Bürger“ auf der Straße. Alle Beteiligten kannten die gängigen Muster der Katzenmusik, sie waren es mittlerweile gewohnt, damit umzugehen. Die Verblüffung entstand zum einen, da die Katzenmusik nicht sichtbar war, also im Geheimen, im Verborgenen ablief und nicht öffentlich zugänglich war, zum anderen, dass es sich um die Theaterprobe einer Katzenmusik handelte, also um eine gespielte Katzenmusik, die von den Anwesenden weder eine Partizipation verlangte, noch irgend eine reale Konsequenz hatte. Damit scheint sich der Kreis der politischen Theater-Intervention an dieser Stelle zu schließen. Hatte die Aufführung des Stückes Das bemooste Haupt die Katzenmusik in Wien verbreitet und als häufige Praxis der Straßenpolitik etabliert, so brachte Nestroys Freiheit in Krähwinkel die Katzenmusik wieder zurück in den repräsentativen Rahmen, die Bürger waren von der Partizipation ausgeschlossen. Das Theater stellte diese Praxis hier noch einmal auf der Bühne vor Augen, ohne jedoch eine politische Aktivität zu initiieren. Die Rahmung der Aufführung ließ die Katzenmusik zu einem geschichtlichen Moment der Revolution gerinnen und enthob sie ihrer politischen Wirksamkeit. Darüber hinaus war das Mittel der politischen Satire, das Nestroy so meisterhaft beherrschte, gerade nicht dem feierlichen Pathos zuzuordnen, sondern basiert auf einer absoluten gungsbewegung starke Verbreitung. In dem Lied soll das deutsche Vaterland reichen „so weit die deutsche Zunge klingt.“ 243 Vgl. Wolfgang Häusler, „Freiheit in Krähwinkel?“, 97. 244 Österreichischer Courier (Allgemeine Theaterzeitung), 3. Juli 1848.

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Distanz zum Geschehen. Nur von einer distanzierten Beobachterhaltung aus konnte Nestroy alle Akteure der Revolution gleichermaßen satirisch aufs Korn nehmen. Der Zuschauer ließ sich auf diese enthobene Position ein und machte durch Lachen kenntlich, dass er nicht direkt handelnd involviert war, sondern verstehend-beobachtend partizipierte. Der anhand der Katzenmusik erläuterte politische Zirkelschluss soll hier leitend sein für die Perspektive auf Nestroys Revolutionsposse Freiheit in Krähwinkel und stellt diese damit in eine Art polarisierte Gegenposition zu der oben erläuterten politischen Feier der Gemeinschaft in Benedix’ Das bemooste Haupt. Während bei letzterem das Stück an sich gar nicht so entscheidend war, sondern das durch seine Aufführung veranlasste Ereignis im Theater, so dominierte bei Nestroy die inhaltliche Qualität und die literarische Perspektive. Dass Nestroy und Carl dabei dennoch nicht unberührt von dieser jüngsten revolutionären Theaterpraxis blieben, wird weiter unten erläutert, dennoch stellte Freiheit in Krähwinkel eine Wende im politischen Theater der Revolutionszeit dar. Nach einer kurzen Phase des revolutionären Theaters als ereignishafte politische Feier mit den Zuschauern, ging das Theater damit wieder zurück zur repräsentativen Darstellung vor den Augen der Zuschauer. Nicht umsonst war in der Premierenkritik des Österreichischen Couriers (Allgemeine Theaterzeitung) davon die Rede, Nestroy hätte es verstanden, „die Bewegungen in Wien seit dem 13. März in einem Miniatur Bilde mit großer Geschicklichkeit vorzuführen“245 . Die ganze Revolution und Reaktion würde hier „in einem hellbeleuchteten Guckkasten“ 246 erscheinen. Ganz deutlich wird hier die visuelle Metapher, die eine distanzierte Betrachtung und nicht das gemeinschaftliche Erleben evoziert. Diese ‚Wende‘ geschah im Einklang mit der generellen Tendenz einer bürgerlichen Abwertung des politischen Modus der Straßen- und Versammlungsöffentlichkeit, wie ich sie oben bereits dargestellt habe. Eines wollten die Zuschauer allerdings nicht zu sehen bekommen: Nestroy stellte mit dem Traum des Bürgermeisters vom russischen Triumphmarsch gegen die Revolution (Akt I, Szene 25)247 unbarmherzig – und in fast prophetischer Voraussicht der kommenden Ereignisse in Wien – den möglichen Sieg der Reaktion vor Augen, das Publikum protestierte und erreichte die Streichung dieser Szene.248 245

Österreichischer Courier (Allgemeine Theaterzeitung), 3. Juli 1848. Meine Hervorhebung. Ebd. Meine Hervorhebung. 247 Nachdem der Bürgermeister eingeschlafen ist, erscheint ein Traumbild. Die Szenenanweisung lautet, Johann Nestroy, Freiheit in Krähwinkel, 58: „Die Wand und der Wolken-Vorhang öffnet sich. Die Musik geht in einen russischen Triumphmarsch über, und man sieht folgendes Tableau. Auf einer Seite knien die Krähwinkler, auf der andern steht eine dem Bürgermeister ganz ähnliche Gestalt, mit einem russischen General Arm in Arm, unter einem Triumphbogen. Im Hintergrunde sieht man Kosaken ansprengen und russische Grenadiere, welche die Knute schwingen. Nach einer Weile schwindet das Traumbild, der Bürgermeister drückt im Schlafe die größte Behaglichkeit aus.“ 248 Vgl. hierzu Wolfgang Häusler, „Freiheit in Krähwinkel?“, 97 und Otto Rommel, Alt-Wiener Volkskomödie, Wien 1952, 629. 246

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Während die Theaterzeitung die Aufführung sehr positiv besprach und dem Direktor Carl ein „Cassestück“ prophezeite und dazu gratulierte, so machte Julius März vom Humorist diese Wendung von der revolutionären Feier zu distanzierter Satire und Theater-Spott nicht mit. Er empörte sich über Nestroys politische Spitzfindigkeiten, die er als reine theatrale Effekthascherei und zynische Herabsetzung der revolutionären Bewegung betrachtete. Er stellte Nestroy in seiner Kritik politische Gewissensfragen, die durchaus die grundlegende Haltung des Theaters zur Politik zum Thema machten.249 So wollte er von „Herrn Nestroy“ wissen: Wer oder was ihn dazu berechtigte, die Sache unserer Freiheit, eine Sache, die wir mit unserem Blute bezahlten, in’s Lächerliche, Gemeine, herab zu zerren! Wir fragen Herrn Nestroy weiter: Ob ein dramatischer Schriftsteller, der auch nur eine blasse Idee von einer constitutionellen Gesinnung hat, ob sich der so weit vergessen darf, ja, nur kann, mit einer solchen Missgeburt den Pfad der Oeffentlichkeit zu betreten!! Wir fragen Herrn Nestroy ferner: Ob er es je verantworten könne, sich durch derlei gemeine Spässe durch derart ordinäre Anspielungen, wie sie die ‚Freiheit in Krähwinkel‘ viele auszuweisen hat, den Beifall eines sonst geschmackvollen Publikums erworben zu haben.250

Die Revolution verstand keinen Spaß, der Ernst der Lage war nach Julius März wohl angemessener mit der politischen Feier und dem Pathos des gemeinschaftlichen Erlebens im Theater zu fassen. Der Beifall des Publikums für Nestroys Posse, den März auch nicht leugnen konnte, sprach allerdings eine andere Sprache. Kurze Zeit später erreichte ein über die Kritik an Nestroy entrüsteter Leserbrief, der die Zeitung der Parteilichkeit bezichtigte, seinen Chefredakteur Saphir, der diesen am 6. Juli 1848 abdruckte.251 In typischer SaphirManier beantwortete er das achtzeilige Schreiben mit sechs Fußnoten, welche insgesamt ungefähr fünffach soviel Platz in den Spalten einnahmen. Damit übernahm Saphir in satirischer Weise die Deutungshoheit, er machte die Anrede des Briefes lächerlich, verkehrte dessen Anklage der Parteilichkeit in die Feststellung der Parteilichkeit des Lesers usw. Dennoch nahm er Abstand von seinem Redakteur März und schrieb der politischen Satire ihre volle Berechtigung zu: [So] lange das Publikum nicht den Uebermuth des Scherzes und die ätzende Schärfe des Spottes über die Schattenseiten, Lächerlichkeiten und Extravaganzen einer jeden politischen Region mit Gleichmuth ertragen kann, so lange ist dieses Volk und dieses Publikum noch in den ersten Windeln der Preß- und Redefreiheit. Herr Nestroy kann die beißendsten Witze über die Verkehrtheit und Uebertreibung der Liberalen machen, und dabei im Grunde des Herzens ein echter Liberaler sei!252

249

Der Theaterkritiker der Allgemeinen Theaterzeitung machte sich über die „rührende Kindlichkeit“ des „hyperliberalen“ Kritikers lustig, mit der dieser eine ernsthafte Beantwortung durch Nestroy erwartete; vgl. Österreichischer Courier (Allgemeine Theaterzeitung), 14. Juli 1848. 250 Der Humorist, 3. Juli 1848. 251 Der Humorist, 6. Juli 1848. 252 Ebd.

Studententheater

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Im Grunde stellte Saphir hier zwischen Nestroy und sich selbst eine Parallele her. Auch er stand als Satiriker immer in der Gefahr, dass die Differenz zwischen der Kunstausübung und dem realen Leben aufgehoben und somit der Autor auf die Inhalte seiner Satire regelrecht verpflichtet wurde. Saphir hingegen beharrte hier auf die distanzierte Position des Satirikers, der ‚über den Dingen steht‘ und nur dadurch allen Beteiligten den Spiegel vorhalten kann. In Bezug auf Nestroys Posse konnte es daher nicht um die politische Authentizität gehen, welche die theatrale Feier der Gemeinschaft charakterisierte. Der Modus des ‚Guckkastens‘ hatte die repräsentative Differenz eingezogen und die theatrale Posse musste von da aus als Satire politisch funktionieren. Der Kritiker Julius März musste hinnehmen, dass Nestroys Stück nicht als politische Feier funktionierte, daher erklärte er nur noch, Saphir möge ihm vier Spalten seiner Zeitung frei halten, damit er nach Beantwortung der von ihm an Nestroy gestellten Fragen, sich ernsthaft kritisch mit dem Stück auseinandersetzen könnte.253 Damit war jedoch das Nestroy-Scharmützel im Humorist beendet. Nur, um einer weiteren Debatte zu weichen: Nestroy wurde in einen Plagiatsvorwurf verwickelt, der über Humorist und Theaterzeitung hinweg diskutiert wurde. Sowohl die März-Saphir-Debatte als auch der Plagiatsvorwurf sind Indizien für eine ‚Re-Literarisierung‘ der Theaterkritik. Es ging bei beidem um die Frage der Integrität des Autors, um die Angemessenheit und Authentizität des Dramentextes. Fragen der Aufführung und des theatralen Ereignisses wurden davon in den Hintergrund gedrängt. Um diese Wende anschaulich zu machen, soll daher auch der Plagiatsvorwurf eingehender dargestellt werden. P o l i t i k d e r D i c h t e r. Nachdem Nestroys Freiheit in Krähwinkel schon fast zwei Wochen lang für ein volles Theater gesorgt hatte, meldete sich am 12. Juli 1848 der Possendichter J. Carl Böhm (1808–1872) öffentlich zu Wort und beschuldigte Carl und Nestroy254 des Ideendiebstahls. Böhm kündigte im Humoristen die Premiere seines neuen Stückes Eine Petition der Bürger einer kleinen Provinzstadt am Theater an der Wien an und holte zur Anklage aus: [Da] ich dasselbe Stück früher bei Herrn Direktor Carl eingereicht hatte, selbes zurückgewiesen, und später unter dem Titel: ‚Freiheit in Krähwinkel‘ von Herrn Nestroy an das Tageslicht kam, so benachrichtige ich hiermit das Publikum von einem schmählichen Plagiate, in der Ueberzeugung, daß mir volle Gerechtigkeit widerfahren wird.255

Es ist nicht nachweisbar, ob Nestroy sich von diesem Stück in irgendeiner Weise für seinen Stoff inspirieren ließ, aber Böhm erreichte seinerzeit zumindest bei der Premiere 253

Vgl. die Erklärung von Julius März in Der Humorist, 10. Juli 1848. Nestroy veröffentlichte einen Tag später, am 13. Juli 1848, im Österreichischen Courier (Allgemeinen Theaterzeitung) eine Ehrenerklärung, sich keines Plagiats schuldig gemacht zu haben. 255 Der Humorist, 12. Juli 1848. 254

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Die Gegenwart der Öffentlichkeit

seines Stückes am 12. Juli 1848 im Theater an der Wien ein volles Haus256 . Die Kritiker waren gespannt – und verrissen das Böhm-Stück nach allen Regeln der Kunst.257 Auch das Publikum entschied per Akklamation und Kartenkauf zugunsten Nestroys.258 Damit hatte Böhms verloren, er war einfach der schlechtere Dichter. Nestroy reagiert mit einem öffentlichen Brief259, in dem er Böhm – durch seinen Theatersieg bestärkt – satirisch aufs Korn nahm. Böhm habe ihm in der Zeitung Der Demokrat (11. Juli 1848) den Satz „Heilig ist das Eigenthum!“ unter die Nase gehalten, Nestroy konterte augenzwinkernd: „Sie sind ein origineller Mann, aber diese Idee ist nicht von Ihnen; ich wette darauf, Sie haben sie von einer Gewölbethüre abgespickt.“260 Damit war die ‚Originalität‘ Böhms schon wieder ordentlich ausgehebelt, konnte man doch in Wien zur Zeit der Unruhen diesen Satz auf vielen Türen lesen, was Nestroy ja auch in seinem Stück karikierte.261 Diese Auseinandersetzung um die Ideenhoheit über die ‚Krähwinkeliade‘ der MärzRevolution schließt an die Wende von der politischen Feier zur politischen Satire im Theater an. Sowohl bei Julius März’ grundlegender Kritik an der Revolutionsposse Nestroys als auch im Dichterstreit ging es um die Darstellung der revolutionären Themen auf der Bühne. Das Stück-Thema rückte vollkommen in den Vordergrund sowie seine repräsentative Rahmung im Theater. Damit wurde hier wieder nahtlos an die Erwartungshaltung an Theater vor der Revolution angeschlossen. Weder im Theater noch im theaterkritischen Diskurs war die feierliche Symbolisierung der Revolution zwischen Theaterakteuren und Publikum jetzt das Thema. Nur noch die Kunstfertigkeit von Dichtung und Darstellung standen zur Debatte. 256

Der Kritiker Bärenklau von Bäuerles Zeitung unterstellte Böhm genau diese Absicht, vgl. Österreichischer Courier (Allgemeine Theaterzeitung), 14. Juli 1848. 257 Julius März äußerte sich ablehnend, vgl. Der Humorist, 14. Juli 1848. Der Kritiker Bärenklau vernichtete das Stück publizistisch vollständig, vgl Österreichischen Courier (Allgemeine Theaterzeitung), 14. Juli 1848: Böhm sei dumm und boshaft zugleich, sonst wäre er nicht so verblendet, „diesen Kram eines Plagiates fähig zu halten“ und den „ersten komischen Volks-Dichter“, Nestroy, mit einer solch anmaßenden Anklage zu behelligen. Bärenklaus drehte überdies den Spieß um und bezichtigte seinerseits Böhm, von den Erfolgsstücken Keine Jesuiten mehr und Das bemooste Haupt abgekupfert zu haben. 258 In Bäuerles Zeitung wurde von der Reaktion des Publikums im Carl-Theater am Abend nach der Böhm-Premiere berichtet; Österreichischer Courier (Allgemeine Theaterzeitung), 17. Juli 1848: „An diesem Abend [13. Juli 1848] überschüttete [man] ihn [Nestroy] mit Beifall, und rief ihn einstimmig hervor, um ihm unter Applaus und Bravorufen hinsichtlich der ungerechten, beleidigenden und frechen Anklage und Beschuldigung Böhms, Genugthuung angedeihen zu lassen.“ 259 Johann Nestroy, „Ganz offener Brief an Herrn C. Böhm“, in Österreichischer Courier (Allgemeine Theaterzeitung), 14. Juli 1848. 260 Ebd. 261 In Freiheit in Krähwinkel persiflierte Nestroy die bürgerliche Sorge um das Eigentum, die während der Unruhen dazu führte, dass Hausbesitzer diesen Satz auf ihre Türen schrieben. Auch der Ratsdiener Klaus, gespielt von Wenzel Scholz, schreibt dies mit Kreide auf sein Haus (III, 18). Vgl. Johann Nestroy, Freiheit in Krähwinkel, 109.

Studententheater

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Eine Spur der revolutionären Feierlichkeit erhielt sich dennoch – nämlich im Saisonabschluss des Carl-Theaters. D i e T h e a t e r f e i e r a u f d e r S t r a ß e . Am 31. Juli 1848 ließ Carl zum Saisonabschluss Freiheit in Krähwinkel aufführen. Aber dieses Mal inszenierte er eine Rahmung für das Stück, die durchaus an die politischen Feiern im Nationaltheater an der Wien erinnerten. Zum einen lud er die gesamten Brünner Nationalgarden mit Freibillets zum Theaterbesuch ein und ließ den Schauspieler Hopp, einen mährischen Landsmann der Brünner, eine Freundschaftsadresse vortragen – „Verbrüderung tut Noth in trüber Zeit, doch glaubt, was Unser ist, bleibt unbenommen, D’rum sei die Losung: Freiheit, Einigkeit!“262 –, zum anderen organisierte er ein spektakuläres Theaterfest in der Straße und dem nahe liegenden Gasthaus: Vor dem Theatergebäude war ein von Herrn Direktor Carl arrangirter großer Fackelzug, an welchem Nationalgarden und Studenten Theil nahmen, mit zwei Musikcorps ausgestellt; ebenso standen am Balcone des Theaters 130 weißgekleidete Mädchen mit Fackeln. Beim Austreten der Gäste aus dem Theater stimmte alle ein lautes ‚Vivat‘ an, und die Musik spielte ‚des Deutschen Vaterland.‘ Unter einem anhaltenden Jubel ging der Zug durch die Jägerzeile und Taborstraße zum National-Gasthofe, woselbst bei einer herrlichen Beleuchtung, und während die beiden Musikcorps beliebte Compositionen vortrugen, die zahlreiche Gesellschaft bis 2 Uhr nach Mitternacht versammelt blieb, und Toaste auf das Wohlsein der Brünner und Wiener Nationalgarde, und zum effectvollen Schlusse auf den deutschen Reichsverweser, Erzherzog Johann, und die Mitglieder des Reichstages ausbrachten.263

Dies waren die zündenden Elemente des politischen Festes: Eine politische Gruppierung – vorzugsweise studentisch – wurde als Gast ins Theater geladen, politische Reden wurden ins Theaterprogramm integriert, und schließlich ließ man eine symbolische Gemeinschaft durch gemeinsamen Fackelzug, Lieder, Jubel, Trinkfest sich performativ ereignen. Darüber hinaus übergab die Brünner Nationalgarde am Schluss der Feier eine Fahne als Geschenk an die Wiener Nationalgarde und rundete somit das Ereignis symbolisch ab. Hier gibt es jedoch einige wesentliche Unterschiede in der Inszenierung Carls zum Studentenspektakel im Nationaltheater an der Wien. Carl unterschied strikt zwischen seiner Stückaufführung und der symbolisch-politischen Feier. Der Gedichtvortrag Hopps, der Fackelzug und auch die Fahnenübergabe fanden nach der Aufführung statt. Das Theaterpublikum und die Theaterakteure verblieben während der Aufführung der Posse in ihren konventionellen Rollen, erst nach Stückende passierte der Übergang zur politischen Feier. Die Inszenierung des Fackelzuges stand bereit, die Theaterbesucher wurden beim Hinausgehen durch die Musik und die Vivat-Rufe in ihre neue Rolle als Teilnehmer einer politischen Feier hineingeleitet. Carl trennte damit die Ereignisse auch in räumlicher Hinsicht. Die politische Feier fand nicht im Theater, sondern in der Straße 262 263

Österreichischer Courier (Allgemeine Theaterzeitung), 2. August 1848. Ebd.

Die Gegenwart der Öffentlichkeit

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vor dem Theater ihren Anfang und wurde dann in den ‚National-Gasthof‘ überführt. Die räumliche Trennung unterstreicht hier die Unterscheidung zwischen einer Theaterkonzeption, die das Publikum als Adressaten und Rezipienten der Aufführung betrachtet, und einer Modellierung des Publikums als Theaterakteure, die in die Inszenierung und das theatrale Ereignis als Feier involviert werden. Damit blieb Carl der repräsentativen Konzeption von politischem Theater treu und konnte dennoch an die zeitgemäße Praxis der gemeinschaftlichen Feier zumindest stückweit anschließen. Albert Lortzing nahm beide Theaterkonzeptionen – das kritische Theaterstück und die symbolische Feier – in der Wiener Revolutionszeit aufmerksam wahr und entwickelte aus seinen Eindrücken mit musiktheatralen Mitteln eine sich dazwischen positionierende Ausformung politischen Theaters. Es soll daher im Folgenden um Lortzings ‚Gegenwartstheater‘ und seine ‚Zeitoper‘ Regina (1848) gehen.

6.3

Lortzings Gegenwartstheater

Im April 1848 schrieb die Allgemeine Wiener Musik-Zeitung eine Art ‚Weckruf‘ an die deutschen Komponisten. Unter dem Titel „Brauchen wir eine italienische Oper?“ beklagte der Kritiker Gernerth das „Unheil und die Schmach“, welche die italienische Oper dem Publikum gebracht habe,264 da die „vaterländischen Kräfte“ durch die seichte „transalpinsche Faktura“ in Schlaf gelullt worden wären. Dies habe dazu geführt, dass „die eigene Kunst wie ein Stiefkind“ behandelt worden sei, aber nun müsse es darum gehen, die deutsche Oper als angemessene vaterländische Kunst ins Rechte Licht zu setzen: Laßt nur die deutschen Komponisten recht warm werden; sie werden euch eine Musik machen, daß euch die Schwerter in der Scheide klirren sollen. Zeigt ihnen, daß ihr sie liebt und sie erheben wollt, so werden sie beweisen, daß das Gold der Melodien nirgends reicher glänzt, als bei ihnen; sie werden wissen, für wen sie schreiben und der allgemeine Schwung wird auch ihre Fittige zum höchsten Fluge ermuthigen. Lange genug hat auch die Musik das fremde Joch getragen; hoffen wir, daß diese Zeit um ist; was die einzelnen Stimmen der Kritik nicht vermochten, das wird der Donnerruf einer Nation wohl vermögen. Schon zieht das deutsche Lied, dieser ewig treue und still geliebte Gefährte seines Volkes, siegreich durch alle Gauen des

264

Nach der Kriegserklärung Italiens an Österreich am 26. März 1848 wandte sich die Stimmung der Wiener aggressiv gegen die italienische Oper, so dass der Direktor Carlo Balochino (1770–1851) die geplante Eröffnung der ‚Stagione‘ am 1. April 1848 nicht vollziehen konnte. Er trat zurück und das Kärtnerthor-Theater wurde am 29. April unter der Leitung eines Künstlerkomitees als privilegierte Opernbühne (nicht mehr als Hofoper) wieder eröffnet. Den Vorsitz des Komitees erhielt der Direktor des Burgtheaters, Franz Ignaz von Holbein (1779–1855). Zur Geschichte des Kärntnerthor-Theaters in dieser Ära vgl. Michael Jahn, Die Wiener Hofoper von 1848 bis 1870, Tutzing 2002. Lortzing berichtete über die Auflösung der italienischen Oper in seinem Brief an Georg Meisinger am 31. Juli 1848, in Albert Lortzing, Sämtliche Briefe, 327–330, 327.

Lortzings Gegenwartstheater

367

großen, gemeinsamen Vaterlandes und ruft die Sympathien für dasselbe in erneuerter Kraft wach.265

Gernerth setzte hier einen engen Zusammenhang der zu gestaltenden Operngattung mit dem Lied, das in der Revolutionszeit das dominante musikalische Format darstellte und auf den Straßen, in den Konzertsälen und Theatern revolutionäre Atmosphäre schaffte. Die neue deutsche Oper soll den politischen Kampf beflügeln, dass „die Schwerter in der Scheide klirren“ und Sympathien für das große, gemeinsame Vaterland erwecken. Albert Lortzing versuchte 1848 mit seinen Musikwerken an den Revolutionsdiskurs und die Praxis des ‚revolutionären Theaters‘, wie ich es oben beschrieben habe, anzuschließen. Man könnte vermuten, Lortzing habe sich bei der Komposition seiner ‚Zeitoper‘ Regina diese Zukunftsvision einer Nationaloper zum Vorbild genommen. Wie konnte so etwa aussehen? Es ging um ein gegenwartsbezogenes Musikwerk, das die Themen der Revolutionszeit aufgreifen und angemessen künstlerisch gestalten sollte. Dabei verschrieb sich Lortzing jedoch nicht der satirischen Distanz, wie es etwa Nestroy mit seinen politisch präzise und scharf analysierenden Possen tat. Nein, er verblieb nicht in seinem angestammten komischen Genre der Spieloper, der er die nötige politische Würze unzensiert einhauchen könnte, sondern, er orientierte sich an der pathetischen Wirkung der ‚politischen Theaterfeier‘ (à la Bemoostes Haupt) und ließ seine ‚Zeitoper‘ zum revolutionären Lied tendieren. Sein Werk Regina sollte eine ernste Oper werden, welche „Zeitumstände berührt, Freiheitslieder u.d.g. enthält und einige famöse Parthien besitzt“266 . Doch dieses Genre angemessen und gegenwartsnah zu bedienen, hielt einige Schwierigkeiten bereit. So waren zum einen allein die Produktionsbedingungen von Opern nicht dafür ausgelegt, schnell auf Zeitereignisse zu reagieren. Lortzing versuchte den Wettlauf mit der Zeit, daher war er erstmals gezwungen, eigenes ‚Opernmaterial‘ wieder zu verwenden – Reginas Ouvertüre besteht überwiegend aus der Ouvertüre seiner Oper Caramo oder Das Fischerstechen. Obgleich Lortzing die Oper innerhalb von sechs Monaten beendete, gelang es ihm nicht, gegen die politischen Ereignisse anzuhalten – die Revolutionsgeschichte hatte sich bereits selbst überholt, die Einnahme Wiens durch Windischgrätz im Oktober 1848 beendete die Freiheit und auch Lortzings Projekt einer ‚deutschen Nationaloper‘. Eine zweite Schwierigkeit dieses Projekts bestand darin, dass Lortzing nicht auf Vorbilder für die Konzeption einer gegenwartsbezogenen ‚Zeitoper‘ zurückgreifen konnte. Als die politisch wirksamste Oper der Zeit galt Die Stumme von Portici von Daniel François Auber – stand sie doch im Zusammenhang mit der Belgischen Revolution von 1830. Ihre Inhalte waren keineswegs an die konkreten zeitpolitischen Umstände gebunden, doch gab es versteckte politische Hinweise und augenfällige Liedpartien, die von Vaterlandsliebe, politischem Aufbruch und Freiheitsstreben sprachen. Das 265 266

F. Gernerth, „Brauchen wir eine italienische Oper?“, in Allgemeine Wiener Musikzeitung, 6. April 1848. Brief an Raimund Härtel am 20. Oktober 1848, in Albert Lortzing, Sämtliche Briefe, 339f, 339.

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Die Gegenwart der Öffentlichkeit

Wesentliche an dieser Grand Opéra war jedoch ihre emotionale Wirkung, die durch eine dichte, packende Dramaturgie, konstrastierende Handlung und eine affektgeladene musikalische Sprache und Orchestrierung unterstützt wurde. Und Lortzings ‚Zeitoper‘ Regina versuchte, unter dieser Voraussetzung als musiktheatrales Werk an die ‚Gegenwart der Öffentlichkeit‘ im revolutionären Wien anzuknüpfen. Mit der Darstellung und Erläuterung des ‚revolutionären Theaters‘ zwischen den Polen des politischen Zeitstücks (Freiheit in Krähwinkel) und der politischen Theater-Feier in der affektgeladenen Versammlungsöffentlichkeit (Das bemooste Haupt) habe ich ein Feld eröffnet (6.2.), auf dem sich auch Regina positionieren lässt. Dabei kann es an dieser Stelle jedoch nicht um eine umfassende musikwissenschaftliche Analyse und Ausdeutung gehen, die ich als Theaterwissenschaftlerin auch gar nicht leisten kann.267 Die erste werkgetreue Inszenierung im Jubiläumsjahr 1998 am Schillertheater NRW in Gelsenkirchen in der Regie von Peter Konwitschny268 führte zu einer stark politischen Rezeption von Regina und Lortzing.269 Das Werk wurde nun als erstes politisches Musiktheater apostrophiert und Lortzing auch in seinen Spielopern politisches Sendungsbewusstsein unterstellt.270 Regina beginnt mit einem Arbeiterstreik in einer Fabrik. Die Arbeiter fordern vehement mehr Lohn, der Geschäftsführer Richard verhindert Gewaltanwendung, indem er verspricht, sich für die Arbeiter beim Fabrikanten einzusetzen. Regina, die Tochter des Fabrikherrn, wird Zeugin des Vorfalls und gesteht Richard ihre Liebe. Bei der Rückkehr des Fabrikanten, Herr Simon, dankt dieser 267

Die ausführlichste musik- und kulturwissenschaftliche Analyse liefert Jürgen Lodemann, Lortzing. Gaukler und Musiker, Göttingen 2000, 440–543. Leider stellt er einige sehr spekulative Überlegungen an und bezieht sich gelegentlich unkritisch auf das von Petra Fischer als erfunden entlarvte angebliche Gespräch von Johann Christian Lode mit Albert Lortzing (Consonanzen und Dissonanzen, Leipzig 1869), vgl. Petra Fischer, Vormärz und Zeitbürgertum. Gustav Albert Lortzings Operntexte, Stuttgart 1996, 24–30. Fischer liefert auch eine ausführliche Analyse des Librettos von Regina, vgl. Petra Fischer, Vormärz und Zeitbürgertum, 256–283. Zu Regina vgl. auch knapp, aber präzise Irmlind Capelle, „Regina 1848“, in Programmheft „Albert Lortzing. Regina“, Schillertheater NRW, Gelsenkirchen 1998, 8–14; vgl. Robert Didion, „Regina – Eine Oper zwischen Revolution und Romantik“, in Programmheft, 63–76. 268 Peter Konwitschny wurde im gleichen Jahr auch aufgrund dieser Inszenierung von dem Fachblatt Theater heute zum „Opernregisseur des Jahres“ gewählt. 269 Kritisch zu einer politischen Lesart von Lortzings Regina steht etwa Ulrich Schreiber, der allerdings vor der bahnbrechenden Inszenierung Konwitschniys von 1998 publizierte. Vgl. Ulrich Schreiber, Opernführer für Fortgeschrittene. Eine Geschichte des Musiktheaters – Das 19. Jahrhundert, Kassel u. Basel 1991, 169: „Man könnte als Regina, die ein wenig im Fahrwasser der französischen Rettungsopern der Revolutionszeit schwimmt, auch ein Loblied auf die Konterrevolution nennen, wäre diese Interpretation nicht wie die radikaldemokratische einfach unangemessen. Die Textur beweist warum: Lortzing hat das Werk mehr oder weniger bedenkenlos konzipiert und geschrieben, musikalisch einem italianisierenden Brio verpflichtet, dessen periodische Gleichmäßigkeit eher klassizistisch als revolutionär wirkt, musik-textlich ohne genaue Profilierung der Figuren, rein textlich mit mancherlei Widersprüchlichkeit, Schludrigkeit behaftet.“ 270 Vgl. Petra Fischer, Vormärz und Zeitbürgertum, insbes. 119–121.

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Richard für sein Einschreiten und verlobt ihn zum Lohn mit Regina. Der Werksmeister Stephan, in dessen Schuld Simon steht, ist seinerseits verliebt in Regina und fordert ihre Hand. Nach seiner Zurückweisung verbündet Stephan sich mit dem Revolutionär Wolfgang und dessen Freikorps und überfällt die Fabrik während des abendlichen Verlobungs- und Versöhnungs-Festes. Regina wird entführt und die Fabrik in Brand gesetzt. Richard und eine Schar Bewaffneter nehmen die Verfolgung auf. Als die Situation am Pulverturm für Stephan ausweglos erscheint, will er sich mit Regina in die Luft sprengen. Regina gelingt es jedoch, Stephan vor der Entzündung des Pulverturms271 zu erschießen. Im Finale treffen die Liebenden wieder aufeinander und Richard führt den Chor zum Freiheitslied an. Es lässt sich nicht abstreiten, dass es einen politischen Lortzing gab – sowohl von seiner biographischer Seite her als auch in politischen Aspekten seines Werkes. Im Zusammenhang meiner Studie kann es jedoch nicht um eine Bewertung der politischen Absicht oder auch Wirksamkeit Lortzings gehen, sondern vielmehr stellt sich vordringlich die Frage, inwiefern sich sein Musiktheaterwerk in den Rahmen des Öffentlichkeits-Gefüges der Revolution von 1848 einordnen lässt. Dabei ist nicht nur die topologische Ausdeutung der Inhalte interessant, sondern es steht die formal-ästhetische und theaterpraktische Seite einer – leider in der Zeit nicht realisierten – Aufführung als öffentliches und politisches Ereignis zur Debatte. In diesem Sinne folgt die Darstellung hier der Selbststilisierung Lortzings als „alter Praktikus“272. Albert Lortzing war 1846–48 am Theater an der Wien als Kapellmeister tätig und erlebte die Wiener März-Ereignisse hautnah mit. Lortzing begrüßte den Umsturz des 13. und 14. März 1848. Er nahm eine gemäßigt bürgerliche Haltung ein und beteiligte sich zunächst an der Bürgerwehr, die radikale Ausschreitungen und Übergriffe verhindern sollte. Vor allen Dingen ging es um den Schutz des Eigentums vor dem Zugriff der Besitzlosen. Albert Lortzing berichtete am 31. Juli 1848 seinem Freund Georg Meisinger: Am 13ten und 14ten März konntest Du uns alle mit der Muskete auf der Schulter und in Ermangelung einer weißen Binde, mit einer schmierigen Conraetz’schen Serviette um den Arm bei Tag und Nacht patroulliren sehen, denn der Pöbel plünderte in den Vorstädten. Vor der Nationalgarde habe ich mich Dato gewahrt. Dagegen ist mein Herr Sohn Theodor mit Leib und Seele Vaterlandsvertheidiger und hat mit meinem Schwiegersohn in spe die Nächte hinter den Barrikaden gelegen.273 271

Es lassen sich in den Wiener Zeitungen tatsächliche Berichte nachweisen, nach denen es einen Freischärler-Überfall auf Pulvertürme bei Simmering gegeben hat, bei dem die Sprengung in letzter Minute durch militärisches Eingreifen verhindert werden konnte. Vgl. Allgemeine Theaterzeitung vom 1. April 1848: „In der Nacht vom 29. auf den 30. März versuchte eine zucht- und ordnungslose, elende Banditenhorde die Pulverthürme im sogenannten ‚Neugebäude‘ nächst Simmering, in der ausgesprochenen Absicht zu stürmen, Alles in die Luft zu sprengen!“ 272 Vgl. Brief an Breitkopf und Härtel am 27. Dezember 1848, in Albert Lortzing, Sämtliche Briefe, 349f, 349. 273 Brief an Georg Meisinger vom 31. Juli 1848, in Albert Lortzing, Sämtliche Briefe, 327–330, 328.

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Abb. 15: Albert Lortzing (1801–1851)

Den Schritt in die revolutionäre Nationalgarde vollzog Albert Lortzing nicht, hier waren jüngere und politisch stärker engagierte Kräfte gefragt. Lortzing nannte in diesem Zusammenhang immer wieder seinen Schwiegersohn und seinen Sohn Theodor274 , der als Student des Polytechnikums zu einer der aktivsten studentischen Gruppierungen gehörte. Die ‚Techniker‘ waren bei den Protesten und Kämpfen überall an vorderster Front 274

Zwischen März 1848 und April 1849 erwähnte er Theodors Einsatz auf den Barrikaden in fünf der überlieferten Briefe: am, 20. Juli 1848 an Friedrich Lortzing, am 31. Juli 1848 an Georg Meisinger, am 18. September 1848 an Philip Reger, am 26. November 1848 an Georg Meisinger, am 1. April 1849, vgl. Albert Lortzing, Sämtliche Briefe.

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dabei. So berichtete der ‚Techniker‘ Carl von Borkowski seiner Familie über die MaiUnruhen: Wir Techniker führten Geschütze mit uns, und viele trugen Werkzeuggeräte zum Zeichen der Pionierabteilung. Bei der Burg war Militär postiert, aber nun hörte man immer mehr den Ruf: ‚Laßt uns nicht eher weichen, bis alles bewilligt ist!‘ Da waren besonders wir Techniker zur rechten Zeit am richtigen Platze.275

Lortzing lieferte keine Detailberichte über Theodors Aktivitäten während der Unruhen, aber, obgleich er immer wieder leicht über den mangelnden Studienwillen im Gegensatz zum aktiven politischen Engagement spöttelte, so war doch sein unverhohlener Stolz auch nicht zu überhören.276 Man kann davon ausgehen, dass Lortzing durch seinen Sohn aufs engste mit den studentischen Aktivitäten verbunden war. Theodor wohnte bei seinen Eltern, sein Vater konnte Informationen aus erster Hand gewinnen. Darüber hinaus war Lortzing durch sein Engagement am Theater an der Wien in die ‚studentische Theaterrevolution‘ im Zusammenhang mit den Aufführungen des Bemoosten Haupts involviert. Zweimal erwähnte er in seinen Briefen den ungeheuren finanziellen Erfolg dieses Stückes. Es ist wahrscheinlich, dass Lortzing als Kapellmeister, der auch für Schauspielmusiken zuständig war, die Leitung des Orchesters auch bei den Aufführungen von Das bemooste Haupt innehatte. Ihm kann nicht entgangen sein, dass das Schauspiel gerade als die adäquate revolutionäre Gattung heraufbeschworen wurde. Die feuilletonistischen Zeitungen forderten von den Schauspiel-Direktoren, aktuelle und zeitbezogene Dramen aufzuführen, von der Oper erwartete man dagegen im Äußersten noch eine Abwendung von der als fremde, dem jetzigen Nationalgefühl widersprechend betrachteten italienischen Oper277. Das ‚Arbeitsprogramm‘, welches Leopold Raudnitz dem Theaterdirektor Pokorny als das eines angemessenen ‚Nationaltheaters‘ diktierte, konnte für die Oper keine politischen Aufgaben benennen. Pokornys Oper würde an großen strukturellen Mängeln leiden, die es in erster Linie zu beheben galt: Hier ist besonders eine solide Wirthschaft, ein Beschränken auf den Kreis der heitern Conversationsoper, eines etwa entstehenden volksthümlichen neuen Genres, angezeigt, da die Mittel eine große Oper zu erhalten, keinem Privatinstitute gegeben, die hohen Eintrittsgelder (diese nicht zu entschuldigenden Brandschatzung des Publikums) ohnehin nicht mehr zu erschwingen sind, und das Lirum larum der welschen [italienischen] Oper, einem Haupttheil des Repertoires, die Welt bereits anekelt.278

Die ‚heitere Conversationsoper‘ sah Raudnitz als das einzig realistische und angemessene Genre für das Theater an der Wien. In diesem Sinne könnte Lortzing mit seinen 275

Die Donner der Revolution, 80. Lortzing schrieb, Theodor habe in den Tagen der Gefahr die Nächte hinter den Barrikaden gelegen wie ein ergrauter Krieger, vgl. sein Brief an Friedrich Lortzing vom 20. Juli 1848, in Albert Lortzing, Sämtliche Briefe, 325–327, 326. 277 Vgl. die Auseinandersetzung um die italienische Oper, weiter oben, 366f. 278 Leopold Raudnitz in Allgemeine Theaterzeitung, 14. April 1848. 276

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vormärzlichen Spielopern auftrumpfen. Doch Pokorny hatte in der Tat in der Oper derart unsolide gewirtschaftet, dass 1848 an einen geregelten Spielbetrieb nicht mehr zu denken war. Pokorny hatte sich mit aufwändigen Star-Gastspielen (Jenny Lind, Meyerbeer) finanziell überhoben und war nicht in der Lage, einen stabilen ‚Normal-Betrieb‘ zu etablieren. Nachdem schon seit März desselben Jahres Gerüchte über die Auflösung der Oper kursierten, kündigte Pokorny zum 1. September 1848 dem gesamten Opernpersonal endgültig. Er konnte den Betrieb aus finanziellen Gründen nicht mehr aufrecht halten. Lortzing berichtete Ende Juli 1848 Georg Meisinger über die desolate Lage an seinem Theater. Pokorny hatte sich wegen finanzieller Fragen mit seiner Frau Marie Pokorny überworfen, die Oper war der Willkür ausgesetzt: Pokorny, seit langer Zeit schon mit seiner Gattinn zerfallen, hat die Oper bis zum September entlassen, wozu ihn seine Ehehälfte (jetzt Mitregentin) gezwungen. Sie hatte sich nämlich verpflichtet, die Rückstände zu garantiren, wenn die Oper aufhöre. Er gieng darauf ein. Nun mangeln ihr aber die Moneten, und so glaubt Pokorny seiner Verpflichtung entbunden. Wir geben daher dann und wann immer wieder Opern mit unsern geringen Kräften; denn unser ganzes Opernpersonale besteht aus den Herren Bielchitzky, Radl, Schüttky und Reichmann, welche nicht mehr in Gage stehen, sondern dann und wann einen Theil der Einnahmen erhalten, welcher kläglich genug ausfällt. Ferner aus den Damen Hellwig und Treffz, welche beide gratis mitwirken. Was man unter solchen Umständen von den Mitwirkenden verlangen kann wird Dir einleuchten. […] Das Regiment der Oper ruht jetzt in unsern Händen, Suppées und den Meinigen. Fällt er mir heute ein eine Oper, die zu besetzen ist, einzustudiren, so geschiehts, ihm [Pokorny] ist alles recht, es geschieht ja seiner Gattinn damit ein Poßen.280

Hier handelte es sich nicht nur um ein verwaltungstechnisches Chaos, das alles andere als einen produktiven Rahmen ästhetischer Tätigkeit bieten konnte, sondern es ging auch um die existenziell prekäre Lage der Opernangehörigen. Die Sänger waren gar nicht mehr engagiert, sangen gezwungenermaßen auf Beteiligung und auch Lortzing selbst wurde seine Gage vorenthalten.281 Albert Lortzing befand sich also 1848 in einer zwiespältigen Situation. Einerseits stand er in enger Beziehung zu den Kämpfen und auch zu den Zielen der MärzRevolution. Er nahm das politische Engagement und auch die politischen Erfolge der Studenten sehr genau und wohlwollend wahr und sah seine eigenen politischen Wünsche verwirklicht. Vor allen Dingen die Zensurfreiheit gab seinem künstlerischen Schaffen den lange entbehrten Raum. Lortzing fürchtete den Verlust der Märzerrungen279

Zur Analyse der Dramaturgie in Lortzings Spielopern im Abgleich mit den Schauspiel-Vorlagen seiner Libretti vgl. Jürgen Schläder, „Die Dramaturgie in Lortzings komischen Opern“, in Albert Gier (Hg.), Oper als Text. Romanistische Beiträge zur Libretto-Forschung, Heidelberg 1986, 249– 275. Jürgen Schläder sieht eine Kluft zwischen Albert Lortzings komischen Opern und der musikdramatischen Moderne seiner Zeit, ihn habe folglich „das Votum des Publikums, nicht die ästhetische Rechtfertigung seiner Kunst“ interessiert, in Jürgen Schläder, „Die Dramaturgie“, 275. 280 Brief an Georg Meisinger am 31. Juli 1848, in Albert Lortzing, Sämtliche Briefe, 327–331, 327. Hervorhebung im Original. 281 Vgl. weiter oben, 340, Anm. 172, Pokornys Rückstände auf seine Gehaltszahlungen.

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schaften beim Anmarsch der Kroaten Mitte Oktober 1848 und berichtete über den „Druck der Censur fühlbarer als je“ unter der Militärherrschaft in Wien ab Ende 1848283. Andererseits bewirkte die politische Situation eine völlige Destabilisierung seiner beruflichen Lage. Seine Existenz war gefährdet, die Familie musste sich stark einschränken284, die gemietete Wohnung musste halbiert werden 285. Und er hatte zunächst keine Zukunftsaussichten. Vergeblich bemühte er sich um ein festes Engagement innerhalb und außerhalb Wiens286. Diese Situation bestimmte Lortzings Handeln in den Revolutionsmonaten, er bemühte sich sowohl politisch als auch beruflich an die Zeitereignisse anzuschließen. In seinen Werken den richtigen Ton zu treffen, bedeutete zum einen politische Teilhabe an der revolutionären Zeit, zum anderen jedoch auch einen möglichen finanziellen Erfolg. Zunächst versuchte Lortzing dies mit seinen ‚Freiheitschören‘,287 die er „Wiens hochherzigen Studenten achtungsvoll“288 widmete. Es handelt sich hier unter anderem um vier wahrscheinlich zwischen dem 13. und 18. März 1848 entstandene Lieder – „Deutsches Studentenlied“, „Neues Osterlied“, „Das waren die braven Studenten“, „Das Lied vom deutschen Kaiser“ –, die Lortzing im Juli 1848 bei Haslinger in Wien veröffentlichte. Alle vier Lieder nehmen Schlagworte und Ideen der März-Revolution auf, das zentrale Thema ist die Freiheit und die politische Rolle der Studenten. Obgleich Lortzing hier sehr schnell auf den politischen Diskurs reagierte, hatte er nur mäßigen Erfolg damit. Einzig eine zeitnahe Aufführung des „Neuen Osterlieds“ ist nachgewiesen. Sie fand im Rahmen einer deklamatorisch-musikalischen Akademie der Schwestern Wollrabe am 26. März 1848 im Theater an der Wien statt.289 Obgleich das Programm dieser Akademie versuchte, inhaltlich die politischen Ereignisse aufzunehmen – so trug Staudigl etwa ein „Ausrückungslied der Nationalgarde“ (Text Saphir, Musik Preyer) und „Die Flucht der Schwarzen“ (Text Elmar, Musik Suppé) vor –, lehnte der Kritiker der Allgemeinen Theaterzeitung diese Gattung als den Zeitgeist vollkommen verfehlend ab, das Theater wäre demzufolge zu recht schwach besucht gewesen: 282

Brief an Raimund Härtel am 20. Oktober 1848, in Albert Lortzing, Sämtliche Briefe, 339–340, 339. Brief an Georg Meisinger am 26. Dezember 1848, in Albert Lortzing, Sämtliche Briefe, 348–349, 348. 284 Brief an Georg Meisinger am 31. Juli 1848, in Albert Lortzing, Sämtliche Briefe, 327–331, 328. 285 Brief an Georg Meisinger am 26. November 1848, in Albert Lortzing, Sämtliche Briefe, 344–347, 346. Zur sozialen Lage der Musiker und Theaterkünstler im vormärzlichen Wien vgl. Alice M. Hanson, Die zensurierte Muse. Musikleben im Wiener Biedermeier, Wien u.a. 1985, insbes. 13–52. 286 Irmlind Capelle veröffentlicht in ihrer Brief-Edition sein in der Leipziger Theaterchronik am 14. Juli 1848 erschienenes Engagements-Gesuch der Agentur Sturm und Koppe in Leipzig, auf das sich Lortzing in seinem Brief an Georg Meisinger am 31. Juli 1848 bezog. Vgl. in Albert Lortzing, Sämtliche Briefe, 327 und 330. 287 LoWV 80–82, in Albert Lortzing, Chronologisch-Thematisches Verzeichnis der Werke, hg. von Irmlind Capelle, Köln 1994. 288 Vgl. Titelblatt der Ausgabe 4 Chöre für 4 Männerstimmen, Wien 1848. 289 Vgl. Albert Lortzing, Werkverzeichnis, 320. 283

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Ist es aber auch zu verwundern, wenn man in dem gegenwärtigen Zeitpuncte an Concerten und Akademien weniger als sonst Geschmack findet? Ist es etwa zu verargen, wenn das Interesse an derlei Productionen durch die jetzigen hochwichtigen Zeitinteressen in den Hintergrund gestellt wird? – die Concert- und Akademiegeber, welche, die Stimmung des gegenwärtigen Zeitpunctes missachtend, nicht desto weniger mit Concerten und Akademien auf das Publikum lospumpen, verdienen daher wahrlich! von der Presse ernst zurechtgewiesen zu werden. Der Himmel hängt nicht gar so voller Geigen, um jetzt an dem ewigen Gefidel und Geliedel einen besonderen Geschmack zu finden.290

Die Beiträge Lortzings – die Ouvertüre seiner Oper Caramo und das „Neue Osterlied“ – „sprachen in geringem Grade an“.291 Lortzing gelang es hier nicht, seine Werke vom „ewigen Gefidel und Geliedel“ abzusetzen. So kritisierte die Wiener Musik-Zeitung Lortzings schnell geschriebenes Lied äußerst hart und stellte den Komponisten in den Verdacht, den frischen Geist der Zeit verschlafen zu haben: Das ‚neue Osterlied‘ gedichtet von C. Rick, komponirt von Lortzing für Männerchor mit Begleitung des Orchesters hat den einzigen Fehler, daß es nicht neu ist. Alte Ideen in alter Form! das strophenweise wiederkehrende Alleluja gehört in die Kirche, und Herrn Lortzing’s Komposition hat – einen Zopf sammt Haarbeutel.292

In der Revolutionszeit gehörte es so ziemlich zu den schlimmsten Urteilen, jemandem ‚einen Zopf‘ zu bescheinigen, ist dieser Zopf doch das prägnante Symbol für die absolutistische Herrschaft, für konservative Gesinnung und politische ‚Ewiggestrigkeit‘. Trotz explizit politischer Texte – das „Osterlied“ beginnt mit „Die Freiheit ist erstanden, erlöst von Schmach und Banden“ – geriet Lortzing hier mit der musikalischen Form von Konzert und Akademie allgemein und mit seinem konventionellen musikalischen Material in den Verdacht der Enthobenheit von den politischen Geschehnissen. Gesellschaftlich rehabilitieren konnte sich die Akademie nur in der Form der Wohltätigkeitsveranstaltung – etwa für die Hinterbliebenen der Märzgefallenen. Auch sein nächstes Werk, die Liedvertonung des bekannten Gedichts „Sieg der Freiheit oder Tod!“ von Karl Herloßsohn, vom 5. April 1848, erfuhr eine rasche Drucklegung, schon im Mai 1848 bei Koffka.293 Empfohlen wurde das Lied in der Zeitung als Zwischenaktmusik, die von Theaterakteuren und Publikum zusammen gesungen werden konnte.294 Über Aufführungen in den Theatern Wiens ist nichts bekannt. Lodemann behauptet, Lortzing habe solche Lieder mit Studenten im Theater an der Wien einstudiert, jedoch bleibt er den genauen Nachweis schuldig.295 Dies erscheint durchaus möglich, „Sieg der Freiheit oder Tod!“ war genau in der Zeit entstanden, als die Studenten das Theater an der Wien bei den Aufführungen von Das bemooste Haupt zum politischen Theater und ‚Nationaltheater‘ machten. Das gemeinsame Absingen von Hymnen 290

Dr. Leone, „Geschwister Augusta und Amalia Wollrabe“, in Allgemeine Theaterzeitung, 28. März 1848. Ebd. 292 Allgemeine Wiener Musik-Zeitung, 28. März 1848. 293 Vgl. Albert Lortzing, Werkverzeichnis, 321. 294 Vgl. Jürgen Lodemann, Lortzing, 446. 295 Jürgen Lodemann, Lortzing, 446f. 291

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und politischen Liedern gehörte durchaus zum Programm dieser ‚politischen Performance‘. Studentische Chor-Aktivitäten am Theater an der Wien sind belegt, allerdings ist von einer Beteiligung Lortzings hier nicht die Rede. Am 22. März 1848 hatte es ein Benefiz-Konzert296 zugunsten eines Monuments für die Gefallenen der Märztage im Theater an der Wien stattgefunden, bei dem ein Chor der Akademischen Legion297 einen „Chorgesang mit Marsch“ von Henry Charles Litolff aufführte.298 Da der Komponist das Orchester selbst dirigierte299, muss man davon ausgehen, dass er auch den Chor einstudiert hat. In den Rezensionen der Theaterzeitung und der Allgemeinen Wiener MusikZeitung zu diesem Konzert sind Komponisten und Interpreten der wichtigsten Beiträge genannt, Lortzing wurde hierbei nicht erwähnt.300 Die Theaterkritik nahm von seinen ‚Freiheitsliedern‘ nicht weiter Notiz, die durchschlagende Anerkennung blieb ihnen verwehrt. Zu viele Lieder dieser Art entstanden in der Zeit, sie waren fest mit der ‚Alltagspraxis‘ verknüpft. Lortzing gelang es hier nicht, sich künstlerisch davon abzuheben oder mit der Popularität etwa der Studentenlieder zu konkurrieren. Dennoch glaubte er weiter an die politische und theatrale Kraft der Musik und der Oper – und auch an ihre Angemessenheit gegenüber den politischen Ereignissen.301 Er nahm wahr, dass es auch außerhalb der Oper vor allen Dingen die Musik war, welche ein symbolisches revolutionäres Gemeinschaftsgefühl herstellte – in gemeinsamen Hymnen während der Schauspielaufführungen, aber auch in Sprechchören bei politischen Demonstrationen auf der Straße. Und somit konnte man die Musik als ein wichtiges Element der politischen Geschehnisse betrachten. D i e O p e r i n d e r G e s e l l s c h a f t. Zu Lortzings Schaffenszeit als Komponist lassen sich in der deutschen Oper neue Impulse ausmachen. Zum einen stand im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts die Frage nach einer deutschen Nationaloper im Raum,302 welche die Dominanz der italienischen Oper brechen sollte; zum anderen setzte der Erfolg der 296

Das Kassenbuch vermerkt eine Benefiz-Einnahme von 121 fl. 44 kr. Vgl. Theatermuseum Wien, X121, Bd.1, Cassa Journal, 30. August 1845–31. Dezember 1848, Eintrag für den Monat März 1848. 297 Carl von Borkowski berichtet seiner Familie von seiner Beteiligung an diesem studentischen Chor, vgl. Die Donner der Revolution, 42: „Ich selbst sang in dem Studentenchor eines Konzertes an der Wien mit, dessen pekuniärer Beitrag obigem Zwecke [der Errichtung eines Denkmals für die MärzGefallenen] gewidmet war.“ 298 Vgl. Dr. Leone: „Feier-Concert, dessen Reinertrag der Errichtung eines Denkmals für die in den letzten Tagen Gefallenen gewidmet ist“, in Allgemeine Theaterzeitung, 24. März 1848. 299 Ebd. 300 Ebd. und Allgemeine Wiener Musik-Zeitung, 24. März 1848. 301 Auch sein letztes ‚Freiheitslied‘ der Periode spricht von seinem Versuch, an die politischliterarische Aktualität anzuschließen. So vertonte er am 16. Mai 1848 ein erst eine knappe Woche zuvor, am 10. Mai 1848, in der Allgemeinen Theaterzeitung erschienenes Gedicht von Cajetan Cerri: „Die Garde der Nation“, vgl. Albert Lortzing, Werkverzeichnis, 322. 302 Vgl. etwa Otto Nicolai, „Italienische Studien. Einige Betrachtugen über die italienische Oper, im Vergleich zur deutschen“, in Neue Zeitschrift für Musik, Nr. 25, 28. März 1837 und Nr. 27, 4. April 1837.

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französischen Grand Opéra als eines musiktheatralen Werkes ungeahnter emotionaler Wirkung und auf der textlichen Basis eines auf Spannung setzenden ‚Pièce bien faite‘ (vor allen Dingen durch Eugène Scribes Libretti verwirklicht) eine neue Opernentwicklung in Gang, die sich nun ebenfalls effektvoller Kontraste in Musik und Handlung sowie szenischer Sensationen bediente. Der überwältigende Erfolg der Oper La Muette de Portici (dt. Die Stumme von Portici) von Daniel François Auber (Libretto von Eugène Scribe und Germain Delavigne) ab 1830303 hat zur Gattungsbildung der Grand Opéra wesentlich beigetragen. Darüber hinaus machte in den 1840er Jahren der Opernreformer Wagner erstmals in größerem Maßstab von sich Reden. Mit seinem Rienzi304 (UA 1842 am Hoftheater Dresden) hatte er musiktheatral für Aufsehen gesorgt, seine Reformabsichten wurden jetzt zunehmend bekannt. Insbesondere im Jahr 1848 trat Wagner dezidiert politisch und musikpolitisch in die Öffentlichkeit. Albert Lortzing beobachtete diese Tendenzen, so bemerkte er in einem Brief an Heinrich Schmidt am 31. Juli 1848: Euer Rienzi Wagner war – oder ist noch hier um, wie hiesige Blätter melden,305 das Opernwesen in Wien zu reformieren. Ein weiser Vorsatz, ob’s aber Herrn Richard gerade gelingen werde, möchte ich bezweifeln. Gestern erfahre ich, Wagner habe wegen Einmischung in politische Angelegenheiten Dresden meiden müßen. Ist wahres daran oder nicht. Bitte um Aufklärung. Vielleicht wäre für einen Andern etwas zu machen, für mich nämlich aber, das Ganze wird wohl nur Gerede sein.306

Lortzing äußerte sich hier sehr lakonisch. Die Opernreform war durchaus ein „weiser Vorsatz“, aber ihm selbst fehlte das ‚Sendungsbewußtsein‘ für solche Bestrebungen. Lortzing ging es hier in erster Linie darum, zu erfahren, ob Wagner eine Vakanz am Dresdener Hoftheater hinterlassen hatte, die ihm zugute kommen könnte. Und auch Wagners und Röckels politische Aktivitäten in Dresden betrachtete er von der pragmatischen Perspektive: „Herr Wagner ist ein Schlingel und meinem Herrn Cousin [August Röckel], der Gott danken sollte eine solche Stellung zu haben, sollte man den Hintern voll hauen.“ Lortzing äußerte sich hier erschreckend spießbürgerlich und anti-politisch, doch muss man sich vor Augen halten, dass solche verbalen Entgleisungen erstens mit seiner eigenen prekären existenziellen Lage zu tun haben, und zweitens August Röckel,

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Vgl. hierzu ausführlich Ludwig Finscher, „Aubers La muette de Portici und die Anfänge der Grand Opéra“, in Jürgen Schläder u. Reinhold Quandt (Hg.), Festschrift Heinz Becker, Laaber 1982, 87– 105. 304 Rienzi gilt trotz dramaturgischer und musikalischer Schwächen als Beginn von Wagners symphonischer Dialogtechnik, welche später mit seiner leitmotivischen Kompositionstechnik zur vollen Entfaltung findet. Vgl. Werner Breig, „Wagners kompositorisches Werk“, in Richard-WagnerHandbuch, 353–470, 373. 305 Es ist davon auszugehen, dass Lortzing in diesem Zusammenhang auch Wagners öffentlichen, solidarisch-revolutionären „Gruß aus Sachsen an die Wiener“ wahrgenommen hat, der in der Österreichischen Allgemeinen Zeitung am 1. Juni 1848 abgedruckt wurde. 306 Brief an Heinrich Schmidt am 31. Juli 1848, in Albert Lortzing, Sämtliche Briefe, 331–333, 331.

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der mit Lortzings Cousine Caroline Lortzing verheiratet war, durch seine politische Haltung seine Frau und damit einen Teil der Lortzing-Familie ins Unglück stürzte.307 Darüber hinaus war Lortzing kein politischer Kämpfer, die Radikalität Wagners und auch Röckels stieß ihn ab. Lortzing stellt sich hier als ein typischer Vertreter der bürgerlichen Mittelschicht dar: Der Kampf hatte politische Errungenschaften gebracht, jetzt ging es um die Konsolidierung des Erreichten, aber auch um die Eindämmung einer anarchistischen Gefahr, welche insbesondere im Feld der Arbeiterschaft vermutet wurde. Auch wenn er die politische Ausrichtung der beiden Dresdener Musiktheater-Akteure ablehnte, so muss man an dieser Stelle doch konstatieren, dass damit für Lortzing generell das Thema des politischen Engagements im Zusammenhang mit Musiktheater in unmittelbare Nähe gerückt war. Die immer stärker artikulierten Forderungen der literarischen und publizistischen Kritik an das Drama, sich mit den gesellschaftlichen Zeitläuften zu befassen und eine Stellung zur politischen Gegenwart einzunehmen, fanden auch Eingang in Musik- und Opernkritik. So publizierte etwa Wolfgang R. Griepenkerl in der prominenten Neuen Zeitschrift für Musik308 am 26. August 1847 einen kurz zuvor im Leipziger Gewandhaus anlässlich der ersten Tonkünstler-Versammlung gehaltenen Vortrag mit dem Titel „Die Oper der Gegenwart“, in dem er sich genau mit dieser Frage befasste. Griepenkerl war kein Tonkünstler, er war Dramatiker und Literat, und übertrug hier den linkshegelianischen literarischen Diskurs um die Wirksamkeit der Kunst in der Gesellschaft auf die Oper. Musik, so Griepenkerl, dürfe nicht verfehlen, „ein Abdruck und Spiegelbild zu sein des Universalgehaltes der Zeit“, sonst würde sie sich entwürdigen, „eitel Werk“ und reine „Kurzweil“ zu sein.309 Es sei in Deutschland möglich gewesen, die politischen Impulse der Französischen Revolution und der Napoleonischen Kriege zu verträumen, aber jetzt könne man nicht mehr ungestraft apolitisch bleiben: „Die öffentliche Meinung, die eben in solcher Atmosphäre ihre glänzendste Gestalt gewinnt, straft diese Versündigungen alsobald, indem sie dieselben der Lächerlichkeit vorwirft.“310 Griepenkerl machte dies nicht explizit, aber deutlich war hier der Hinweis auf eine medialisierte Öffentlichkeit, welche eine politisierte Atmosphäre geschaffen hätte, der man sich nicht mehr entziehen könnte. Griepenkerl drückte hier im Prinzip aus: Der politische Diskurs erreicht jeden, dank der medialen Vermittlung, man kann nicht mehr so tun, als wüsste man nicht, was vor sich geht. Die Musik müsse sich ihrer Enthobenheit entledigen und 307

August Röckel wurde am 10. August 1848 wegen politischer Aktivitäten als Musikdirektor am Dresdener Hoftheater entlassen. Lortzing schrieb am 9. April 1848 von Leipzig an seine Frau, vgl. Albert Lortzing, Sämtliche Briefe, 354f, 354: „Röckel hat sich durch seine politischen Umtriebe um das Engagement gebracht, giebt ein Volksblatt heraus und wird von einer demokratischen Parthei unterstüzt. Die Frau soll sehr unglücklich sein. Ich will sie heute früh besuchen.“ 308 1834 mitbegründet und zehn Jahre lang herausgegeben von Robert Schuhmann in Leipzig. 309 Wolfgang R. Griepenkerl, „Die Oper der Gegenwart. Vortrag im Saale des Gewandhauses zu Leipzig zur ersten Tonkünstler-Versammlung im August 1847“, in Neue Zeitschrift für Musik, 26. August 1847, 97–104, 98. 310 Ebd.

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dem Rufe Schillers nach „höherm Flug der Kunst“ folgen angesichts des politischen Ringens um Freiheit.311 Griepenkerl postulierte das Konzept der ‚freien Wirklichkeit‘: Die Oper sollte sich in ihrer Gestaltung an der Wirklichkeit orientieren und diese dann versittlichend überformen. Das individuelle Reale – das Einzelschicksal einer Figur – müsse in ein großes Ganzes übergehen, dass die zeitlichen Fragen berühre und sich nicht vor dem Politischen scheue. So könne ein Werk entstehen, „das heiß herausgeholt aus den Fragen des gegenwärtigen Tages, den eigentlichen Kern der größten Beziehungen unserer Zeit birgt.“312 Dies sah Griepenkerl in der Grand Opéra verwirklicht und in höchster Form in Giacomo Meyerbeers Hugenotten, da es wie kein anderes Werk in seiner Katastrophe die Spitze der dramatischen Größe erreicht habe.313 Den wesentlichen Punkt seines Vortrages fasste Griepenkerl mit der Frage zusammen, „ob die Kunst, weil in ihrem tiefsten Wesen auf Wirklichkeit angewiesen, in den Vorgrund einer Zeit zu treten berechtigt sei, die von allen ihren Erscheinungen den Abdruck ihrer Züge verlangt; ob die Kunst jene Macht zu werden verdiene, als das Forum der Oeffentlichkeit, als der jedesmalige Körper eines Zeitalters dazustehen.“ Es sei an den Komponisten, diese Frage mit künftigen Werken nachdrücklich zu bejahen. Man kann diesen ‚Fortschrittsdiskurs‘ mit Carl Dahlhaus als typisches Kennzeichen der vormärzlichen Opernästhetik betrachten. So stellt Dahlhaus vier Postulate dieser Opernästhetik fest: 1) die Verbindung des musikalischen Dramas mit dem symphonischen Stil, 2) eine Tendenz der Opernmelodie zum Gegeneinander der Stimmen und Charaktere, 3) den musikalischen Ausdruck weltgeschichtlicher Substanz und entgegen individualistischer Ästhetik, 4) die Verknüpfung des musikalisch-dramatischen Fortschritts als Ausdrucksform eines ideen- und sozialgeschichtlichen Fortschritts und damit einhergehend eine politische Dechiffrierung des Musikdramas. 314 Albert Lortzing blieb von diesem Diskurs nicht unberührt, und er kannte das politische Potential der Oper als Theaterform. Lortzing hatte den Erfolg der MeyerbeerOpern am Theater an der Wien wahrgenommen, und ihm war die explosive Wirkung der Oper Die Stumme von Portici (La Muette de Portici) sehr gut bekannt, welche wenige Wochen nach der Pariser Juli-Revolution von 1830 in Brüssel die belgische Revolution entzündet.315 Die Stumme nannte auch Griepenkerl als glänzendes Beispiel für 311

Wolfgang R. Griepenkerl, „Die Oper der Gegenwart“, 99. Wolfgang R. Griepenkerl bezog sich hier auf den Prolog von Schillers Wallenstein. 312 Wolfgang R. Griepenkerl, „Die Oper der Gegenwart“, 103. 313 Ebd. 314 Vgl. Carl Dahlhaus, „Wagner, Meyerbeer und der Fortschritt. Zur Opernästhetik des Vormärz“, in Ernst Herttrich u. Hans Schneider (Hg.), Festschrift Rudolf Elvers zum 60. Geburtstag, Tutzing 1985, 103–116, 107. 315 Französische Agitateure nutzten die Aufführung der emotionsgeladenen Stummen am 25. August 1830 im Théâtre Royal de la Monnaie, um das Publikum aufzuheizen und den Theatermob zur Erstürmung von Zeitungsredaktionen und Justizpalast zu bewegen. Damit begann die Belgische Revolution, welche am 4. Oktober 1830 zur Unabhängigkeitserklärung gegenüber den Niederlanden führte.

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die Kunsterscheinungen der Zeit, denn sie habe „dahin geleuchtet, wo es sich um große welthistorische Fragen handelte.“316 Aubers Oper war nicht revolutionär, aber sie war der passende Katalysator für die revolutionäre Stimmung. Von ihrer Handlung – eine Liebesintrige, die mit einem Volksaufstand verbunden ist und in einem Vulkanausbruch endet – war keine revolutionäre oder politische ‚Message‘ zu erwarten. Die eigentliche politische Wirkung war auf der musikalischen Ebene zu suchen und auch in der Rezeptionshaltung des vormärzlichen Publikums: Das Publikum dekodierte einzelne Schlagworte der Librettos und münzte sie um in politische Schubkraft. Die Musik lud diese politischen Schlagworte emotional gehörig auf bot somit die atmosphärische Grundlage für den Umschlag in die politische Aktion, wie es ja 1830 in Brüssel geschehen war.317 Es ist Auber anzurechnen, dass er eine neuartige Ausdrucksform der Oper fand, die eine packende Emotionalität über Musik und Dramaturgie vermittelte, so das kollektiv schwelende Gefühl bündelte und performativ an die Oberfläche schwemmte. Richard Wagner formulierte dies in einer euphorischen Kritik mit präziser Sprache sehr eindrucksvoll: Denn das Neue an dieser Musik zur ‚Stummen‘ war diese ungeahnte Konzision und drastische Gedrängtheit der Form: Die Rezitative wetterten wie Blitze auf uns los; von ihnen zu den Chorensembles ging es wie im Sturme über und mitten im Chaos der Wut plötzlich die energischen Ermahnungen zur Besonnenheit, oder erneute Aufrufe; dann wieder rasendes Jauchzen, mörderisches Gewühl, und abermals dazwischen ein rührendes Flehen der Angst oder ein ganzes Volk seine Gebete lispelnd. Wie dem Sujet am Schrecklichsten, aber auch am Zartesten nichts fehlte, so ließ Auber seine Musik jeden Kontrast, jede Mischung in Konturen und in einem Kolorit von so drastischer Deutlichkeit ausführen, daß man sich nicht entsinnen konnte, eben diese Deutlichkeit je so greifbar wahrgenommen zu haben.318

Dieser Oper – „heiß bis zum Brennen und unterhaltend bis zum Hinreißen“319 – würde es ganz und gar an Steifheit und hohlem Pathos ermangeln. Überzeugende Effekte würden durch glänzende Instrumentierung und die Dramaturgie des Chores als ‚bewegte Masse‘ in ‚drastischen Gruppierungen‘ erzeugt.320 Dies waren die ‚operativen‘ Zutaten eines Revolutionspotentials, das Die Stumme bei ihrem Siegeszug durch Europa in weiteren mit politischen Turbulenzen verbundenen Aufführungen – die immer wieder zu zeitweisen Verboten führten – unter Beweis stellte.321

316

Wolfgang R. Griepenkerl, „Die Oper der Gegenwart“, 100. Als zeitgenössische Quelle zur belgischen Revolution vgl. den Bericht von Franz Heinrich Ungewitter in seiner Geschichte der Niederlande von 1831. 318 Richard Wagner, „Erinnerungen an Auber (1871)“, in Gesammelte Schriften und Dichtungen, Leipzig 41907, 42–60, 45. 319 Richard Wagner, „Erinnerungen an Auber“, 46. 320 Vgl. Richard Wagner, „Erinnerungen an Auber“, 48. 321 So sorgten etwa die Aufführungen an der Frankfurter Oper 1831 und 1848 für regelrechte Tumulte, vgl. Ludwig Finscher, „Aubers La muette de Portici“, 99f. 317

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Albert Lortzing war Die Stumme sehr vertraut, hatte er sie doch im Mai und Juni 1847 mehrfach am Theater an der Wien dirigiert,322 bevor sie auch in Wien verboten wurde.323 Damit hatte er ein Opern-Modell an der Hand, das den Beweis der politischen Wirkung von Oper verkörperte und dessen musikalische und inszenatorische Mittel den Stand der gegenwärtigen modernen und auch höchst erfolgreichen Opernentwicklung darstellten. Er hatte in der Tat mit Regina versucht, dramaturgische Mittel der Grand Opéra umzusetzen.324 So ist diese Oper weitgehend durchkomponiert, Dialoge sind sehr sparsam umgesetzt und auch der Spannungsbogen von der glücklichen Streikschlichtung und Verlobung über die Katastrophe des Fabriksturms, der Entführung hin zum knapp errungenen Happy End bietet einigen Stoff für emotionale Schwankungen. Dennoch erreichte Lortzing hier keineswegs die Dramatik eines Scribe – er ließ den Pulverturm im Finale der Oper eben nicht in die Luft gehen.325 Und auch Lortzings enger Bezug auf das Zeitgeschehen, den die Autoren und Komponisten der Grand Opéra eben durch historische Stoffe relativierten und in metaphorisch-symbolische Bedeutungen überführten, markieren einen Abstand. Genau dies macht den lang andauernden Erfolg der Grand Opéra aus – Meyerbeer, Auber und andere finden sich noch heute auf den Spielplänen. Ihre Werke verblassen nicht vor der potentiellen Zeitenwende, sondern können neu ausgedeutet ihre Wirkung weiter entfalten. Ab Mai 1848 arbeitete Lortzing an seiner Zeitoper Regina, welche den Rahmen seiner bisherigen Musikwerke sprengte. Erstmals machte er sich an einen Stoff, welcher der direkten Gegenwart entnommen war. Griepenkerls Forderung durch das Kunstwerk hindurch „soll der große Ton unserer Zeit ein stets gegenwärtiges Geläute hallen, so daß wir nie vergessen unser Zeitbürgerthum“326 , schien über dem Projekt zu stehen. Dabei versuchte Lortzing gleichzeitig, sich dem Format der ‚großen Oper‘ zu nähern. Seine Hauptpartien erfordern große Stimmen, die Musik braucht ein großes Orchester inklusive einer Harfe, wie sie in Wien üblich war, und seine Oper beinhaltet Massenszenen, für welche ein großer Chor eingesetzt wird. 327 Lortzing hatte das Werk auf die Hofoper am Kärntnertor berechnet,328 das Theater an der Wien verfügte nicht über die nötigen musikalischen Mittel. 322

Vgl. Fritz Racek, „Einiges über Lortzings Tätigkeit am Theater an der Wien“, in Friedrich Wilhelm Riedel und Hubert Unverricht (Hg.), Symbolae Historiae Musicae. Hellmut Federhofer zum 60. Geburtstag, Mainz 1971, 248–251, 249. 323 Lortzing vermeldete explizit das erneute Verbot der Stummen mit dem Beginn des Militärgouvernements in Wien in einem Brief an Georg Meisinger am 26. November 1848, in Albert Lortzing, Sämtliche Briefe, 344–347, 345. 324 Petra Fischer geht soweit, eine enge formal-ästhetische Verwandtschaft von Regina mit der Grand Opéra zu konstatieren, vgl. Petra Fischer, Vormärz und Zeitbürgertum, 268. 325 Vgl. ebd. 326 Wolfgang R. Griepenkerl, „Die Oper der Gegenwart“, 103. 327 Vgl. Programmheft, 12. 328 Lorzting erklärte dies in einem Brief an Raimund Härtel vom 20. Oktober 1848, in Albert Sämtliche Briefe, 339–340, 339.

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Damit sprengte Lortzing auch den Rahmen des zu erwartenden ‚revolutionären‘ Publikums. Er musste sich bewusst sein, dass er in der Oper am Kärtnerthor ein anderes Publikum erreichen würde als das revolutionäre Sprechtheater in den Vorstädten, das stark von akademischen Gruppierungen geprägt war. Wäre es wirklich zur Aufführung gekommen, dann hätte er die Revolution musiktheatral an das gehobene Bürgertum und das adelige Opernpublikum herangetragen. Der kaiserliche Hof, der dem Theater an der Wien fern blieb und aus der Distanz das revolutionäre Studententheater beobachtete329, hätte sich dort der Uraufführung der neuen Oper Regina sicher nicht entzogen. Dieser Diskrepanz zwischen Opern-Genre, Publikum und revolutionärem Anspruch schien Lortzing sich bewusst zu sein, wenn er in einem Brief an Philip Reger am 18. September 1848 in Bezug auf Regina schrieb: [Ich] freue mich schon zu hören, wie die gelehrt sein wollenden Musiker ausrufen werden: ‚wenn der Mensch doch bei seiner komischen Musik bleiben wollte!‘ ich kann ihnen aber nicht helfen, diesen armseligen Subjekten, die selber nichts leisten können aber alles andre bekritteln – sie müßen mein neuestes Opus verdauen.330

Es war, als wollte er – in direkter Reaktion auf den durchschlagenden Erfolg des Lustspiels Das bemooste Haupt – mit seiner Oper den Gegenbeweis zur Dominanz des Sprechtheaters als Idealform politischen Gegenwartstheaters antreten. Und tatsächlich schuf Lortzing 1848 mit Regina331 eine Oper, die ein zur Revolutionszeit adäquates Kunstwerk der Gegenwart darstellt. Tragischerweise war diese politische Gegenwart schon wieder Vergangenheit als Lortzing sein Werk vollendete. Nach der Einnahme Wiens durch Windischgrätz und dem Erfolg der Reaktion in ganz Deutschland hatte Albert Lortzing zu Lebzeiten keine Möglichkeit mehr, seine politische Zeitoper aufzuführen.332 D e r p o l i t i s c h e L o r t z i n g. Es wurde schon darauf aufmerksam gemacht, dass Albert Lortzing in seinen Spielopern immer wieder politische Anspielungen versteckte und mit seinem Figurenpersonal die ständischen Ordnungen umkehrte oder aufhob.333 Lortzing suchte das politische Umfeld, er nahm Teil am literarisch-politischen Diskurs der Zeit. Insbesondere in seiner Leipziger Zeit als Mitglied des Vereins „Tunnel über der Pleiße“, dem etwa auch Heinrich Laube, Heinrich Marschner und Anton Philip Reclam angehörten, stand er mit den Vertretern einer sozial und politisch engagierten Literatur 329

Vgl. oben, 354, Spende des Kaisers bei Benefizaufführung zur Ausstattung der Studenten. Die vollständige Distanzierung des Kaiserhauses zum Theater an der Wien erfolgte 1849, die traditionelle Logenmiete wurde aufgehoben, vgl. Franz Hadamowsky, Wien, 519. 330 Brief an Philip Reger am 18. September 1848, Albert Lortzing, Sämtliche Briefe, 336–339, 338. 331 LoWV 84. 332 Lortzing hatte die Oper zunächst am Kärtnerthor-Theater in Wien eingereicht, dann in Leipzig, Breslau und Frankfurt ohne Erfolg. Vgl. hierzu den Brief an Georg Meisinger am 26. November 1848, in Albert Lortzing, Sämtliche Briefe, 344–347, 345. 333 Vgl. Petra Fischer, Vormärz und Zeitbürgertum.

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und Kunst in Verbindung. Pressefreiheit und soziale Frage waren die zentralen Themen, die dort debattiert wurden. Lortzing war in musikalischer Hinsicht auch aktiv an den seit 1840 von Robert Blum organisierten Schiller-Feiern beteiligt,334 welche als politisches Signal für Pressefreiheit und Volkssouveränität fungierten. Durch seine Tätigkeit als Sekretär am Leipziger Stadttheater war Robert Blum schon beruflich mit Albert Lortzing in näherem Kontakt.335 Blum wirkte dort nicht nur als ‚Verwaltungsangestellter‘, sondern trat in einer dramaturgenähnlichen Position 336 hervor. Er schrieb das Libretto zu Lortzings Oper Die Schatzkammer des Ynka aus dem Jahr 1836. Die heute verschollene Oper wurde nie vollständig auf die Bühne gebracht, lediglich ein Marsch aus dem ersten Akt erfuhr am 3. August 1837 am Stadttheater Leipzig seine Uraufführung.337 Die berufliche und freundschaftliche Beziehung zu Blum brachte Lortzing in den Umkreis politischer Aktivitäten. Den Höhepunkt seines politischen Musiktheaterwerkes stellt allerdings die Oper Regina dar, mit der sich die Lortzing-Rezeption spätestens seit dem Jubiläumsjahr 1998 ausgiebig befasst hat.338 Obgleich Lortzings Regina schon umfassend in die Märzereignisse eingeordnet wurde – das geht soweit, dass einzelne politische Akteure in LortzingFiguren wieder erkannt werden wollen339 –, so fehlt meines Erachtens jedoch die konsequente Bezugnahme auf die revolutionäre und politische Theaterpraxis in Wien nach den Märzunruhen. Ich gehe davon aus, dass Lortzing sowohl in den Vorgängen im Theater an der Wien, aber auch in dem allseits bekannten Freiheit in Krähwinkel Vorbilder politischer Theaterpraxis erhalten hatte, welche den Entstehungsprozess der Oper Regina durchaus prägten. In diesem Sinne geht es im Folgenden darum, Regina als eine spezifische Ausformung theatraler Öffentlichkeit in der Revolutionszeit zu betrachten. R e g i n a ( 1 8 4 8 ) . Lortzings Oper Regina ist 1848 in der einzigen zensurfreien Schaffensperiode des Komponisten entstanden. Es handelt sich hier nicht um politisch-agitatorisches Musiktheater, aber die Oper lässt sich mit den Ausprägungen des Wiener revolutionären Theater verbinden. Lortzing verarbeitete auf konkrete Weise Geschehnisse der März-Revolutionen und ihre politischen Diskurse und nutzte die musikalische Ebene, um affektiv an die theatrale politische Feier anzuknüpfen. Lortzing war von den allgemeinen publizistischen Forderungen nach einem ‚Zeit-Theater‘ der Revolution beeinflusst worden, aber auch einzelne Motive und Ereignisse in der Oper lassen sich auf 334

Vgl. LoWV 45–47, 51, 52, 67 Nr. 1. Beide waren einige Jahre zeitgleich am Leipziger Stadttheater tätig, Robert Blum von 1832–1847, Albert Lortzing von 1833–1845. 336 Zu Blums Tätigkeit am Leipziger Stadttheater vgl. Rolf Zerback, Robert Blum, Leipzig 2007, 53–63. 337 LoWV 36. 338 Vgl. Irmlind Capelle, „Regina 1848“, Robert Didion, „Regina“; Jürgen Lodemann, Lortzing, 440–543. 339 So will etwa Jürgen Lodemann im Tenor Richard sowohl Anklänge an Richard Wagners politische Aktivitäten, an Robert Blum und an Richard Krafft, den Schwiegersohn Albert Lortzings, erkannt haben. Vgl. Jürgen Lodemann, Lortzing, 454f. 335

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Zeitungsberichte und -debatten zurückführen. Damit ist Lortzings Regina das einzige musikdramatische ‚Zeit-Stück‘ dieser Epoche. Der Entstehungsprozess der Oper ist eng mit den politischen Ereignissen in Wien verknüpft. Lortzing hat die Oper am 31. Mai 1848 begonnen, in einer ersten Konsolidierungsphase der Revolution, nach den Verfassungskämpfen der Studenten. Beendet wurde das Hauptwerk am 5. Oktober 1848, einen Tag vor der Lynchjustiz an Kriegsminister Latour – der Wende in der Wiener Revolution. Während Windischgrätz mit kroatischen und tschechischen Truppen Wien für die Reaktion zurückeroberte, arbeitete Lortzing an der Ouvertüre. Um die Zeit der Wiener Kapitulation am 31. Oktober 1848 und der folgenden Hinrichtung Robert Blums am 9. November 1848 brach Lortzing die Arbeit an Regina ab. Die Ouvertüre blieb unvollendet. Blums Tod löste deutschlandweit Trauer aus; und man kann davon ausgehen, dass auch Lortzing um den Freund aus Leipziger Jahren trauerte. Die Zeit war schockartig eine andere geworden, es machte nun keinen Sinn mehr seine freiheitliche ‚Zeitoper‘ zu vollenden. Lortzing war sich sofort bewusst, dass der Erfolg Reginas von den politischen Umständen abhing und formulierte seine Bedenken bereits am 20. Oktober 1848 im Brief an seinen Verleger Raimund Härtel: Hiermit zeige ich Ihnen an, daß ich ein neues Opus vollendet, in welches ich Vertrauen setze, weil es Zeitumstände berührt, Freiheitslieder u.d.g. enthält und einige famöse Parthien besitzt. Ich habe die Oper für das Kärnthnerthor:Theater berechnet, leider aber laßen die hiesigen Zustände noch auf keine Eröffnung der Bühnen hoffen und dann auch – leider muß ich es aussprechen, fragt sich – ob derartiges gegeben werden darf, denn Wien steht auf dem Punkte, seine Errungenschaften – schmachvoller Gedanke! – wieder herausgeben zu müßen. Wenn wir nicht die Kroaten, die vor unsern Thoren liegen sammt den österreichischen Truppen aufs Haupt schlagen, ist unsre Freiheit dahin. Gott stärke unsre Waffen.340

Breitkopf und Härtel, denen hier offen das Risiko der Verlegung schon geschildert wurde, lehnten am 7. Dezember 1848 die Drucklegung mit ausweichenden Verweisen auf ‚Mangel an Originalität‘341 ab. Ein solches Werk würde zu dieser Zeit die Verleger in eine prekäre politische Lage bringen und auch vorsichtige Versuche, die Oper im (noch) freien Leipzig oder Breslau unterzubekommen, scheiterten an der politischen Wende. Lortzing erlebte die Uraufführung und auch die Drucklegung seiner Oper nicht mehr. 342

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Brief an Raimund Härtel am 20. Oktober 1848, in Albert Lortzing, Sämtliche Briefe, 339f, 339. Albert Lortzing verteidigte sich in seinem Antwortbrief an Breitkopf und Härtel vom 27. Dezember 1848 gegen den im verloren gegangenen Absagebrief formulierten Vorwurf des ‚Mangels an Originalität‘, in Albert Lortzing, Sämtliche Briefe, 349f, 349. 342 1899 bemächtigte sich Adolphe L’Arronge an der Königlichen Hof-Oper Berlin der Oper Regina. Er verlegte sie ins Jahr 1813 und gab ihr eine stark nationale und monarchistische Tendenz. Die DDR-Aufführung von 1951 war wiederum eine massive Bearbeitung – dieses Mal zur sozialistischen Arbeiteroper. Erst 1998 – 150 Jahre nach der Märzrevolution – fand die Uraufführung der Originalfassung am Schillertheater Nordrhein-Westfalen Wuppertal/Gelsenkirchen in der Regie von Peter Konwitschny statt.

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Insbesondere drei musikalische Momente der Oper sind stark mit der revolutionären ‚Tonlage‘ verbunden. Es handelt sich zum einen um die Chor-Arie „Wir wollen nicht“(I,1) der Arbeiter ganz zu Beginn der Oper, zum zweiten um das Kilians-Lied „Hinaus, hinaus“(II,9), das im Gewand des studentischen Trinkliedes erscheint, und schließlich das Finale der Oper, die Hymne „Heil Freiheit Dir, Du Völkerzier“(III,7). Die Einbettung der politischen Ereignisse in ein Liebes- und Eifersuchtsdrama verstellt dennoch nicht den Blick auf Lortzings Verhandlung revolutionärer Konflikte, die einen Beitrag zu den Diskursen von 1848 darstellen. Zum revolutionären Alltag in Wien gehörten auch Straßenproteste, Arbeiterstreiks und Maschinenstürmerei. Die Wiener Zeitungen berichteten immer wieder davon und auch das unmittelbare Lebensumfeld Lortzings, die Vorstädte Wiens, war direkter Schauplatz dieser Ereignisse. Daher war es nur konsequent, dass er diese Themen in das Projekt seiner ‚Zeit-Oper‘ integrierte. Und genau dies war zu Lortzings Zeit ein radikales Unterfangen für die Gattung: Einen Arbeiterstreik in gegenwärtigem Zeithorizont hatte es bis dato auf der Opernbühne noch nicht gegeben. Zu Beginn der Oper Regina stellt der Chor der Arbeiter seine Forderungen mit einem regelrechten Protestlied. Nach einer halben Minute Einleitung, in der das rhythmische „Wir wollen nicht“343 von Flöte und Streichern vorweg genommen wird, setzt mit Macht der Chor skandierend ein. Das „Wir wollen nicht“ legt harte synkopische Rhythmen über Spannung erzeugende Sechzehntelläufe in den Streichern, um sich dann in der Stimmlage dramatisch nach oben zu steigern, wenn es um den Sachverhalt geht: „Auch noch besondre Liebespflicht, bei solchem kargen Lohn.“344 Jürgen Lodemann kommentiert dieses Klangerlebnis als eine Spiegelung der Welt von 1848: Es ist, als gäbe es mit diesen Lortzing-Noten eine Art Tonaufnahme aus dem Jahr 1848 – skandierend marschierendes Rufen, Sprech- oder Straßengesang waren auch damals in Übung, der Komponist hat das zu hören bekommen, als Studenten und Arbeiter durch Wiens Straßen zogen […]345

In der Tat meint man, sich beim Lortzingschen Arbeiterstreik inmitten eines Protestzuges in den Wiener Straßen zu befinden. Anlass zum Streik ist Kilians Aufforderung, dem Dienstherrn einen dankbaren Empfang zu bereiten. Die Arbeiter weigern sich, sie würden sich entwürdigen, wenn sie den ausbeuterischen Fabrikherrn auch noch lieben sollten. Die Arbeiter müssen nicht dankbar sein für den Lohn, wenn sie dafür „des Leibes Kräfte“346 einsetzen. Der gerechte Lohn ist nur die „verfluchte Schuldigkeit“ 347 des Fabrikherrn. Die Auseinandersetzung steigert sich bis zur Androhung von Waffengewalt. Immer noch skandierend untermauern die Arbeiter ihre politische Entschlossenheit: „Beschlossen ists, zu Ende sei / Die 343

Libretto in Programmheft, 17f. Libretto, 17. 345 Jürgen Lodemann, Lortzing, 465. 346 Libretto, 17. 347 Ebd. 344

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Knechtschaft und die Tyrannei!“ Jetzt ändert sich die musikalische Stimmung, jubilierend erhebt sich der Chor zur Hymne: „Wir werden Recht uns bald verschaffen, / Seis nicht mit Worten, seis mit Waffen“349 – und dieses „Waffen“ wird bedrohlich steigernd fünf Mal wiederholt. Lortzing lässt den Prokuristen Richard als Friedenschlichter und bürgerlichen Vertreter einer politischen Alternative zum bewaffneten Kampf auftreten (I, 2). Richard mahnt die Arbeiter an ihre moralischen Verpflichtungen gegen den Fabrikherren, er spricht einzelne aus der Menge an, um sie an gute Taten zu erinnern, die der Fabrikant Simon an ihnen verübt hat. Gleichzeitig gesteht er ihnen die Berechtigung ihrer Forderungen zu und verspricht, sich für eine Erhöhung des Lohns beim Fabrikherrn einzusetzen, was er auch erfolgreich tut. Richards politisches Agieren lässt sich hier mit dem Politiker und Lortzing-Freund Robert Blum in Zusammenhang setzen. Blum galt als ausgesprochen überzeugender Redner, hatte er doch durch die Kraft des Wortes während der Leipziger Unruhen 1845350 ähnlich wie Richard in der Fabrik die Volksmassen beruhigt und von Gewaltausbrüchen abgehalten. Zum Dank für die Ausübung dieser vermittelnden Funktion erhielt Blum eine Dankadresse Leipziger Bürger, erreichte große Popularität in der Stadt und wurde im November 1845 mit einer überwältigenden Stimmenanzahl zum Stadtverordneten gewählt.351 Dort eine Dankesadresse und die städtische Anerkennung für Blum, hier die Hand der Fabrikantentochter für Richard. Lortzing stellte hier das Verhältnis zwischen Arbeitern und Bürgern in der 1848er Revolution auf typische Weise dar. Von bürgerlicher Seite wurde die Lösung sozialer Probleme der Arbeiter und der niederen Schichten der Bevölkerung als dringliches Anliegen anerkannt, gleichzeitig gab es jedoch ein doppelbödiges Verhältnis zum Gewaltpotential der Arbeiter. Zum einen war dieses Gewaltpotential ein wichtiger Bestandteil der Durchsetzungskraft der bürgerlichen Revolution352, zum anderen ging es aus bürgerlicher Sicht jedoch um die Eindämmung dieser proletarischen Kraft, bevor sie ihre Zerstörungsmacht gegen das bürgerliche Besitztum wenden könnte. Aus dieser Perspektive wird die Transformation der Kampfkraft in politisches Agieren auch den Arbeitern in der Oper von vorne herein abgesprochen, daher muss sich der bürgerliche ‚Juniorchef‘ Richard zum politischen Sprachrohr aufschwingen. Diese Art der politi348

Libretto, 18. Ebd. 350 Am 12. April 1845 demonstrierte eine große Menschenmenge vor dem Hotel, in dem der als religiöser Eiferer geltende Bruder des sächsischen Königs, Prinz Johann, logierte. Die Menge warf mit Steinen die Fenster des Hotels ein. Als die Menge sich schon zerstreute, feuerte das Militär und einige Menschen starben. Am 13. April fand eine Versammlung statt, in der Robert Blum die Teilnehmer überzeugte, die Gesetze zu achten. Er wurde Kopf einer Delegation, die die Wünsche des Volkes im Rathaus vortrug. Robert Blum profilierte sich hier als Politiker des Volkes, aber auch des Ausgleichs. Vgl. zum Leipziger August 1845 Ralf Zerback, Robert Blum, 176–189. 351 Vgl. Ralf Zerback, Robert Blum, 187. 352 Vgl. oben, 313ff. und 340f. 349

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schen Vermittlung lässt die hierarchischen Verhältnisse in der Fabrik unangetastet, „das Völkchen“353 der Arbeiter – so vom Fabriksfaktotum Kilian gegenüber Richard bezeichnet – schweigt nun still und überlässt dem höher Gestellten die politische Verhandlung. Lortzing verdeutlicht dies, indem er den Chor auf Richards Verlangen „verlegen“354 von seinen Waffenforderungen zurücktreten lässt: „Wir meinten nur, weil dieser Fall / Fast vorgekommen überall –“355 . Die sich in ihre ‚unmündige‘ Rolle fügenden Arbeiter bitten Richard um Vergebung für ihren wütenden Ausbruch und sprechen ihm das Vertrauen aus. An dieser Stelle hätte Lortzing durch die starke Kontrastierung auch einen karikierenden Effekt auf die Darstellung der Arbeiter legen können: Erst ertönt mit aller Kraft vorgetragener Kampfes-Pathos, dann das kleinmütige „wir meinten nur“. Die Arbeiter sind doch nur ein „Völkchen“ – wenn auch ein gelegentlich aufmüpfiges. Doch Lortzing enthält sich dieser Möglichkeit, wenn er auch kein ungebrochenes Bild der Arbeiter liefert. Damit steht er ganz im Einklang der Zeit, in welcher der bürgerliche Diskurs die Arbeiter zugleich respektvoll bis fürchtend und verachtend darstellt. Lortzing begann das Libretto seiner Oper Ende Mai 1848. Zu diesem Zeitpunkt fing das Bündnis zwischen Bürgern, Studenten und Arbeitern in Wien zu bröckeln an. Zwar hatten die Studenten im Verbund mit den Arbeitern durch Proteste und Ausschreitungen die Eröffnung des verfassungsgebenden Reichstages und damit eine souveräne Volksvertretung erstritten, aber durch die strikte Ablehnung des Kaisers standen die Bürger Wiens unter Schock und machten ihre Distanz zur eruptiven Gewalt und der Durchsetzung von konsequent demokratischen Zielen in Opposition zur Monarchie deutlich. Im August 1848 kam es zum offenen Bruch und zu bürgerlicher Waffenanwendung gegen protestierende Arbeiter. Lortzing äußerte sich – im Einklang mit dem bürgerlichen Diskurs in Wien – sehr abfällig gegenüber den Arbeiterprotesten und deren blutige Folgen: Hier giengs vor ein paar Tagen wieder blutig her. Man hatte den Arbeitern vom Lohn abgezogen, weil es eine faule Bagage ist. In Folge dessen fanden einige Tage vorher Aufläufe statt und am Mittwoch kam es zu ernstlichen Demonstraionen zwischen ihnen, der National: und der Municipal:Garde in der Leopoldstadt unten beim Theater. Es blieben sieben Todte auf dem Platz 68 Verwundete liegen im Spital und an zweihundert wurden eingeführt. – Leider vertheidigt ein großer Theil der Bevölkerung das Auftreten der Arbeiter und die Geschichte wird noch nicht zu Ende sein.356

Hier tritt die ganze Ambivalenz des bürgerlichen Verhältnisses zu den revolutionären Arbeitern zu Tage. Lortzing stellt in seiner Oper Regina die streikenden Arbeiter durchaus wohlwollend dar und legt ihnen wichtige Grundsätze des bürgerlichen Revolutionsdiskurses in den Mund. Auch Richard tritt keineswegs in Opposition zu den Arbeitern auf, sondern integriert sie in ein egalitäres und liberales Menschenbild: „Recht soll

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Libretto, 18. So die Regieanweisung im Libretto, 19. 355 Ebd. 356 Brief an Heinrich Schmidt vom 26. August 1848, in Albert Lortzing, Sämtliche Briefe, 333–334, 333.

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Euch werden / Denn leiden soll kein Mensch auf Erden.“ Dann wird Richard von der Musik zum stimmlichen Höhepunkt geführt: „Denn frei geboren sind wir Alle.“358 Dieser humane Grundsatz wird schließlich zum politischen Bekenntnis, indem Richard es nochmals zwei Tonstufen höher wiederholt und regelrecht herausschmettert. Hier geht Lortzing weit über eine gemäßigte bürgerliche Haltung hinaus, er verschreibt seinen Helden den Grundsätzen der französischen Revolution und einem liberalen Menschenbild. Doch nur für einen kurzen Moment. Im Grunde könnte man Richard hier sogar ein taktisches Manöver vorwerfen, denn er geht sogleich über zur Ruhe-Pflicht der abhängigen Arbeiter und ihrer individuellen Schuldigkeiten gegenüber dem fürsorgenden Fabrik-Patriarchen – „Als Deines Vaters Feld vernichtet / Durch Hagelschlag, wer half ihm auf?“359 Genau hier geht Lortzing mit seiner Oper zurück auf den bürgerlichen Standpunkt: bedingte Unterstützung für die Rechte der Arbeiter – ja, bewaffneter Widerstand der Proletarier – nein. Es ist auch auffallend, dass in Regina, nach dem fulminanten Eröffnungsauftritt der Arbeiter, deren Rolle vollkommen in den Hintergrund tritt. Sie beteiligen sich noch am Versöhnungs- und Verlobungsfest und dessen tumultuarischem Ausgang. Beim Finalchor dagegen besetzen sie nur noch als revolutionäres Kolorit und Theatereffekt den Bühnenhintergrund: „Richard, Simon, Kilian, Beate, Barbara, Landleute, Arbeiter aus allen Klassen mit Büchsen, Hacken, Sensen, bunten Fahnen etc. Soldaten strömen von allen Seiten herbei und füllen den Hintergrund.“360 Mit dem Versöhnungsfest in der Fabrik beim Finale des ersten Aktes ist das bürgerliche Ideal realisiert, die Arbeiter erfüllen ihre Pflicht, entsagen gewalttätigen Protesten und der Fabrikherr erweist sich als guter Vater, der einer Lohnerhöhung zustimmt. Mit dieser feierlichen Versöhnung zitiert Lortzing wiederum die gegenwärtigen Verhältnisse. Die festliche Inszenierung mit versöhnlichen Symbolen nach einem ‚Arbeitskampf‘ oder Vorfällen von ‚Maschinenstürmerei‘ gehörte zum ‚arbeitspolitischen Repertoire‘ der Zeit. So kann man dies etwa in Berichten der Allgemeinen Theaterzeitung zur Maschinenfabrik der Wien-Gloggnitzer Eisenbahngesellschaft (27. März 1848)361 und zu Haslingers K.K. Hof- und bürgerl. Kunst- und Musikalienhandlung (1. April 1848) nachlesen. Zu letzerer hieß es etwa: Keiner von den 30 Beschäftigten in seiner Druckerei auf der Wieden ließ sich während des Tages durch die ringsum herrschenden Tumulte zu einem unter den damaligen Umständen leicht 357

Libretto, 18. Libretto, 19. Hervorhebung im Original. 359 Ebd. 360 Libretto, 61 (III, 7). 361 In diesem Artikel ist zunächst von allgemeinen Streik-Gerüchten wegen einer Verringerung der Arbeitszeiten die Rede, dann wird ausführlich über ein Dankesfest der Arbeiter in der WienGloggnitzer Eisenbahnfabrik berichtet. Gefeiert wurde das Zugeständnis eines 10h-Arbeitstages von der Direktion, welche das ruhige Verhalten der Arbeiter während der allgemeinen Unruhen honorierte. Während der Feier wurden Musik- und Gedichtvorträge dargebracht und der Kaiser bejubelt, es gab zum Schluss ein Feuerwerk. Vgl. Allgemeine Theaterzeitung, 27. März 1848. 358

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verzeihlichen Müßiggang hinreißen, und während der Nacht blieben alle, unter der Leitung des besonnenen Factors H. Eckel, in der Druckerei versammelt, um jedes heranziehende Gesindel in die Flucht zu treiben. Als die Tage der Gefahr vorüber waren und Hr. Haslinger seine Anstalt besuchte, fand er dieselbe mit farbigen Fahnen und Inschriften ausgeschmückt. Er wurde von dem gesammten Personale mit dem herzlichsten Freudenjubel empfangen, welcher für die Biederkeit dieser Leute so wie für die Humanität des Prinicipals das ehrenvollste Zeugnis gab.362

Die Anti-These zu dieser friedlichen Verbrüderung bildet in der Oper nun das Freikorps des Revolutionärs Wolfgang. Die radikalen Freischärler, von Lortzing negativ gezeichnet, wenden ihren revolutionären Kampf zur Lust an Zerstörung und dem Ausleben des Rachedursts. Hier könnte man anarchistische Positionen etwa eines Mikhail Bakunin erkennen. Dagegen favorisierte Lortzing deutlich die gemäßigte revolutionäre Position, die den Kampf um die ‚März-Errungenschaften‘ führte, aber dann eine Stabilisierung der Situation anstrebte. Dies machte er in seinen Briefen deutlich, welche das Ende der Revolution in Wien beschreiben. So schrieb er etwa an Georg Meisinger am 26. November 1848: In vielfacher Beziehung sind wir hier wieder auf dem alten Punkte, wie vor den März-Tagen. Im Kärtnerthor sind: die Stumme und Don Juan verboten, mit vielen Stücken gehts eben so – die Censurfreiheit wurde eben zu weit getrieben!363

Die März-Freiheiten waren verloren, der Exzess hatte die politische Konsolidierung verspielt, und nach der Ansicht konservativerer bürgerlicher Kreise begann dies mit den Mairevolten der Studenten und Arbeiter, die den Kaiser so ‚schmerzlich‘ von der bürgerlichen Revolution distanzierten. Die Freischärler in Regina betreiben ihren Kampf für Freiheit exzessiv bis zur Anarchie. Ihr Handeln wird noch zusätzlich in ein schiefes Licht gesetzt durch das Bündnis mit dem nur seiner persönlichen Rache und keinerlei politischem Ziel verpflichteten Stephan. Demgegenüber formuliert Wolfgang durchaus noch politische Grundsätze wie etwa die Gegnerschaft zum Adel364 und den Kampf um Freiheit: „Schwachköpfe finden allerdings unsre Handlungsweise etwas freier als frei. Das kommt aber nur auf die Ansichten an. Mit einem Wort: wir rächen uns an denen, die uns mit Füßen getreten, und was das Schicksal uns versagt, ertrotzen wir mit starkem Arm.“365 Doch der Exzess der Gewalt ist in jedem Fall zu verdammen, er führt zu Verderben und Unglück und verkehrt schlimmstenfalls die Verhältnisse von der Freiheit zur absoluten Unfreiheit. So wird in Regina das Freikorps fast gänzlich aufgerieben und Stephan stirbt ausgerechnet durch die Hand des Menschen, den er liebt. So zeigt Lortzing in seiner Oper nicht nur einen einheitlichen und bestärkenden Revolutionskosmos, den es mit dem Publikum zu beschwören gilt, sondern er stellt hier 362

Allgemeine Theaterzeitung, 1. April 1848. Brief an Georg Meisinger vom 26. November 1848, in Albert Lortzing, Sämtliche Briefe, 344–347, 345. 364 Wolfgang war im Gefängnis, da er einem Adeligen, „der sich an mir vergriff und der leider mein Vorgesetzter war, sein adeliges Blut abgezapft.“ Libretto, 30. 365 Libretto, 31 (I, 9).

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differierende Auffassungen gerechten politischen Handelns auf die Bühne, die Ambivalenzen eines Freiheitskampfes und all seiner Folgen für Bevölkerungsgruppen und individuelle Schicksale. Ebenso ambivalent ist Lortzings Kilian-Lied, mit dem dieser die Freischärler einschläfert und Regina zur Flucht verhilft. Kilian wird von ihnen aufgefordert, ein Lied zu singen, „denn wir wollen fröhlich sein.“ 366 Dieser hat allerdings zuvor dem Wein ein Schlafmittel beigemischt und nötigt die Männer zum Trinken. Dann beginnt er, ein Lied zu singen, das direkt dem Kanon der studentischen Revolutionslieder entstammen könnte. Die Einfachheit der Melodieführung, der eingängige Refrain und die Rhythmisierung durch das wiederholte „Drididum“ scheinen den burschenschaftlichen Unterhaltungen entnommen zu sein. Kilian benennt in den Liedstrophen alle Gegner der Revolution nacheinander, die schleunigst aus dem Lande zu werfen sind: „Hinaus hinaus in schnellster Frist, Drididum! / Was nicht dem Land zunutze ist, Drididum! / hinaus mit Stock und Reisesack / Das ganze Jesuitenpack! Drididum!“367 Der Chor der Freischärler fällt direkt in das Drididum ein und wiederholt jeweils die letzten beiden Strophenzeilen mit Kilian. Hinaus müssen auch der korrupte Rat, der versnobte Adelige, der Spießer, welcher nicht mit der Zeit mitgeht, und das kokette Weib, welches nicht nach Herz und Gesinnung fragt. Das Kilians-Lied hätte bei einer zeitnahen Aufführung sicher das Potential zum ‚Gassenhauer‘ gehabt, genauso wie die studentischen Lieder des Bemoosten Haupts. Damit bediente Lortzing den revolutionären Lieder-Kanon aufs Beste. Doch das Kilians-Lied ist durch die Position und Funktion in der Oper ebenso doppelbödig wie das Freiheitsthema in Szene gesetzt. Kilian ist in der Hand der gewalttätigen Freischärler und wird zum Singen gezwungen. Er versucht, ihrer Gesinnung möglichst entgegen zu kommen, und nichts kann dazu besser dienen als ein Revolutionslied. Darüber hinaus ist das Lied eingebettet in den Fluchtversuch, es verschleiert die Wirkung von Kilians Schlaftrunk. Das Lied ist gut geeignet, die Freischärler in Sicherheit und ‚Gemütlichkeit‘ zu wiegen. Damit ist das Kilians-Lied einerseits eine gemeinschaftliche Feier der revolutionären Ziele und Errungenschaften und ‚Kampfeslied‘. Gleichzeitig jedoch ist es ein ‚falschzüngiges‘ Lied, es dient einem anderen Plan. Die Sympathieträgerin der Oper ist Regina und gerade für ihre Befreiung wird das revolutionäre Lied strategisch eingesetzt und seiner ursprünglichen, die Revolution feiernden, Funktion enthoben. Im Opern-Finale, das Lortzing als Hymne an die Freiheit gestaltet, verliert die Oper ihre Zweideutigkeit in Bezug auf die Revolution. Das positive Ende der Oper gehört dem redlich strebenden Volk und dem zwar als Figur eher schwach gezeichneten, doch unbestritten politisch integren und vermittelnden Richard. Albert Lortzing hat für dieses vaterländische und freiheitliche Finale die populäre „Deutsche Hymne“ von Friedrich Stoltze bearbeitet, der als Frankfurter Mundart- und so genannter ‚Paulskirchen-Dichter‘ tätig war: 366 367

Libretto, 51 (II, 9). Libretto, 51f.

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Heil Freiheit Dir, du Völker Zier, Dir leben wir, dir sterben wir! […] Auf! rüstet Euch! Das Schwert zur Hand, Im Sturmschritt für das Vaterland! Ein Volk! Ein Heer! Ein Herzensschlag! Nun kommt der Freiheit großer Tag! Das Volk läßt sich nicht spotten! O Glanz! O Sieg! O helle Ruhmesbahn! Auf Vaterland! Voran! Auf! Vaterland, Voran!368

Lortzing verlässt hier im Prinzip den Opern-Plot. Mit der Erschießung Stephans und der Befreiung Reginas hat die Liebes- und Entführungs-Geschichte ihre glückliche Auflösung gefunden. Er geht nun zum musikalischen Inventar der Revolution zurück und intoniert eine große Beschwörung des Kampfes für die Freiheit, aber in den Bahnen der Vaterlandsehre, also nicht etwa im Sinne eines anarchistischen Freikorps. Diese Hymne wirkt bei Regina wie ein ‚Schluss-Kommentar‘ oder eine letzte Ausdeutung des Revolutionsgeschehens. Der Opernhandlung läuft dieser Schlusschor fast zuwider, man erwartet eigentlich ein finales Liebesduett zwischen Regina und Richard. Doch die Bühnenfigur Regina steht nun nicht mehr im Fokus, trotz ihrer anzunehmenden emotionalen Erschütterung und etwaigem Trostbedürfnis wendet sich ihr Verlobter Richard von ihr ab und versammelt das Volk zur Hymne. Damit wird „Heil Freiheit Dir“ zu einem regelrechten Appell an die Zuschauer. Man könnte dies als finale politische ‚Message‘ Lortzings an das Publikum werten, wie es auch die Lortzing-Rezeption verstärkt getan hat.369 Die Freiheits-Hymne überwölbt dann symbolisch das an der Figur Regina exemplarisch exerzierte Problem der Freiheitsberaubung durch Gewalt und des Freiheitsgewinns durch beherztes und kämpferisches Handeln.370 Hier würde sich Regina in die Galerie der weiblichen SymbolFiguren des revolutionären Kampfes einreihen wie etwa die französische Marianne oder die deutsche Germania. Man darf jedoch meines Erachtens an dieser Stelle die Gesamtperspektive des revolutionären Theaters in Wien nicht außer Acht lassen. Lortzing integrierte hier deutlich die von ihm intensiv erfahrene Praxis des revolutionären Theaters, 368

Libretto, 61f. Vgl. etwa Jürgen Lodemann, Lortzing, 520f, der das Schluss-Tableau als Albert Lortzings „Wunschbild einer allgemeinen Freiheit“ deutet; vgl. auch Robert Didion, „Regina“, der die handlungslogische Unabhängigkeit der Hymne feststellt und eine allgemeine Gültigkeit des Inhalts mit der Zeitgeschichte feststellt, ohne jedoch die von mir konstatierte Verbindung zum ‚revolutionären‘ Theater anzusprechen. 370 Ist doch die entschiedene Wandlung Reginas von der behüteten Fabrikanten-Tochter zur eigenständig handelnden Frau, welche den entscheidenden Rettungs-Schuss abgibt, in der Oper höchst bemerkenswert. Robert Didion legt dar, dass Regina sich in ihren drei Duetten von „lyrischer Emphase“ ins „jugendlich dramatische Fach“ steigert, Robert Didion, „Regina“, 73: „Auf sich allein gestellt, radikalisiert sich die Fabrikantentochter [in der Schlussszene] vollends zur jugendlichen Heldin.“ 369

Lortzings Gegenwartstheater

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die ich oben beschrieben habe , in seine Oper. Der Schlusschor beschließt den Theaterabend mit einer feierlichen Revolutionshymne, wie es etwa auch bei Freiheit in Krähwinkel geschah. Dort war es das gemeinschaftliche Absingen des Liedes „Was ist des Deutschen Vaterland“, das den Theaterabend rahmte. Die Parallelen sind augenfällig. Bei beiden handelt es sich um bekannte Texte, welche vom Publikum mühelos erkannt und mitverfolgt werden können. Beide sind politische Hymnen, welche die globalen revolutionären Themen, die großen Diskurse aufgreifen – bei Regina die Freiheit des Vaterlandes, bei Freiheit in Krähwinkel die Einheit des Vaterlandes. Beide werden in eingängiger Liedform vertont, das Mitsingen des Publikums scheint in solcherart revolutionärer Inszenierung voraussehbar – zumal es durch die Liedtradition der Märzrevolution vorgeprägt und eingeübt ist. Beide Lieder haben das Potential zum pathetisch und affektiv aufgeladenen Erleben der revolutionären Gemeinschaft durch Musik und Gesang. Damit fügt sich Lortzings Regina ein in die Praxis des Theaters in der Revolutionszeit und positioniert sich zwischen den Polen eines auf die revolutionäre Gegenwart bezogenen (Freiheit in Krähwinkel) und eines auf die gemeinschaftliche emotional-politische Feier abhebenden Theaters (Das bemooste Haupt). Der streikende Chor – musikalisch und inhaltlich an die politischen Protestchöre der Zeit angelehnt –, das Kilians-Lied – nach studentischen Trinkliedern der Revolution modelliert – und die finale Hymne von Regina verweisen auf eine musikalische Erfahrung, welche den Zuschauern auch außerhalb des Theaters in der politischen Wirklichkeit der Revolution von 1848 widerfuhr. Lortzing brachte so das außertheatrale Musikrepertoire der Revolution in das Bühnenwerk ein – ein theatrales Mittel, welches Das bemooste Haupt im Theater an der Wien so erfolgreich gemacht hatte. Für das BenedixStück waren die Wirkungen und Folgen – die Aufhebung der Rampe in der gemeinschaftlichen Feier, die Rückführung des Theatergeschehens auf die Straße – der Aufführungen bekannt. Es lässt sich für Regina leider nur spekulieren, ob eine zeitgenössische Aufführung ähnliches Aufsehen erregt hätte. Mit dem Beginn des Zivil- und Militärgouvernements und später der formalen Wiedereinsetzung der Zensur 1850 kam die kurze Zeitspanne der revolutionären Theateröffentlichkeit, welche so sehr mit der Dominanz des politischen Modus der Versammlungs- und Straßenöffentlichkeit verbunden war, zu einem raschen Ende. Auch Lortzing musste sich mit der Rückkehr zur Spieloper den Gegebenheiten anpassen. Doch seine Karriere als Komponist und Kapellmeister hatte in der politisch bewegten Zeit eine empfindliche Unterbrechung erhalten. Er konnte nicht mehr daran anschließen und fristete seine letzten Lebensjahre unter einfachen Verhältnissen. Ein letztes Engagement am Friedrich-Wilhelmstädtischen Theater in Berlin bot ihm keine Entfaltung mehr. Er starb am 21. Januar 1851, nur knapp neun Monate nach seiner Einstellung dort.

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Vgl. Kap. 6.2, 340–366.

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Friedrich Hebbel reflektierte in seinem 1850 in der Wiener Zeitung erschienenen Aufsatz „Ueber die sogenannten politischen Demonstrationen bei theatralischen Vorstellungen“1 die nach-revolutionäre Situation des Theaters und seine politische Funktion. In einer politischen ‚Zwischenphase‘, in der zwar in Wien das Militärgouvernement rigide gegen die Akteure der Revolution vorging, aber in Bezug auf das Theater noch keine formalen Vorkehrungen für eine Zensur getroffen waren2, stellte Hebbel sich äußerst kritisch gegen die 1848 erlebte massive Politisierung des Theaters. Er gestand dem Theater im absolutistischen Staate zunächst die Funktion einer politischen ‚Ersatzöffentlichkeit‘ zu. Ohne Pressefreiheit müsse sich die öffentliche Meinung auf anderem Wege Bahn brechen, und es sei ganz natürlich, dass das Theater eine gute Gelegenheit dazu böte, denn es seien ja „gar keine Dramen denkbar, in denen nicht einzelne Aeußerungen eine doppelsinnige Auslegung und Auffassung gestatteten.“3 Dann allerdings schränkt er ein, dass der jetzt erreichte konstitutionell-monarchische Staat4 eine Öffentlichkeit ermögliche, die das Theater als Medium nicht mehr benötige: Ganz anders steht es aber im constitutionellen Staat, in welchem jeder Gedanke, der begründet werden kann, auch berechtigt ist und vermöge der Preßfreiheit auf offener Heerstraße in voller Waffenrüstung einherziehen darf, nicht aber beim Dämmerlichte in dem einen oder anderen unüberwachten Winkel des gesellschaftlichen Gebäudes wie ein Gespenst herum zu spuken braucht. Wozu hier die Umwege? Warum das Theater aus einem Tempel der Kunst in ein Forum verwandeln? Warum den Tribun in Shakespeare’s Coriolan suchen, den man im Journal hat? Warum einem Dichterausspruch Gewalt anthun, wenn man selbst nur den Mund zu öffnen braucht, um sich Luft zu schaffen? Wäre hierzu wirklich eine Nothwendigkeit vorhanden, so müßte der Staat aufgehört haben ein constitutioneller zu sein. 5 1 2 3 4

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Friedrich Hebbel, „Ueber die sogenannten politischen Demonstrationen (1850)“, in Ders., Sämmtliche Schriften, Bd. 12, hg. von Emil Kuh. Hamburg 1867, 269–276. Die österreichische Theaterzensur wurde erst am 26. November 1850 per Verordnung wieder eingerichtet. Friedrich Hebbel, „Ueber die sogenannten politischen Demonstrationen“, 269f. In Österreich erfolgte am 4. März 1849 der Oktroi einer Verfassung, die Elemente freiheitlicher Grundrechte und einen repräsentativen Reichstag vorsah. Im Zuge der rasch einsetzenden neoabsolutistischen Tendenzen wurde diese Verfassung jedoch nie durch politische Vollzüge erfüllt. Am 31. Dezember 1851 hob der Kaiser mit dem so genannten ‚Silvesterpatent‘ die Verfassung auf. Friedrich Hebbel, „Ueber die sogenannten politischen Demonstrationen“, 270f.

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Grenzen der politischen Demonstration

Die politische Entwicklung schlug jedoch sehr bald in eine Richtung um, die das Theater durchaus wieder zum notwendigen Ort für politische Zweideutigkeiten und Anspielungen werden ließ. Hebbels grundsätzliche Kritik an ‚sogenannten politischen Demonstrationen‘ auf dem Theater basierte auf seiner künstlerischen Konzeption des Dramas und einem Vorbehalt gegenüber dem Publikum. Die Zuschauer würden nämlich, wenn sie durch ihre ‚Acclamation‘ bei politisch zündenden Worten und Aussagen einzelner Bühnenfiguren dem Dichter ihre Zustimmung ausdrücken wollten, ganz aus den Augen verlieren, dass sich die Meinung des Dichters durchaus nicht im Detail widerspiegele, sondern in der gesamten Anlage des Dramas. Keine der auftretenden Personen habe nach des Dichters Ansicht vollkommen Recht oder Unrecht, vielmehr beruhe das Drama eben auf Wirkung des Gegensatzes. „Wer aber wissen will, was der Dichter selbst beabsichtigte und meinte, der halte sich nicht an einen der einzelnen Charaktere und an dessen Schlagund Wurzelworte, sondern er fasse die Gruppirung derselben zu einem zusammenhängenden Ganzen in’s Auge.“6 Dieses Missverständnis des Publikums, das mit seiner politischen Zustimmung am Dichter vorbeiziele, führe zum einen zu einer verstärkten Verwendung politischer Anspielungen durch Applaus erheischende Dichter und somit zu einer Verflachung des dramatischen Kunstwerks7, zum anderen habe dies aber auch eine gravierende politische Folge: Dadurch würde „die Aengstlichkeit der in der einen oder der andern Form an allen Orten und zu allen Zeiten gebliebenen und bleibenden Theater-Censur […] nothwenig bis zu einem unberechenbaren Grade gesteigert […]“8 Friedrich Hebbel forderte Anpassung an die politische Realität, die Theater sollten keinesfalls eine Rückbesinnung der Autoritäten auf die Hochzeit der Zensur provozieren. Welche Auswüchse die Kontrollpraxis bei einer ‚gesteigerte Ängstlichkeit‘ der Zensur gegenüber den politischen Anspielungen des Theaters zeitigt, haben wir anhand der beiden in Kap. 4 aufgearbeiteten Zensurfälle der Stücke Der alte Student (1828) von Maltitz und Moritz von Sachsen (1844) von Prutz gesehen. In der „Arena der Öffentlichkeit“, dem umkämpften Berliner Schauplatz öffentlicher Medien- und Theaterpraxis, ging es in der Tat um ‚politische Demonstrationen‘. Doch anders als im Hebbelschen Sinn beschränkten sich diese nicht auf Beifall heischende Anspielungen des Theaters auf Tagesgeschehen und politische Gesinnung, sondern es ging hier um die grundsätzliche Neu-Positionierung von Medien und Theater als Akteure der Öffentlichkeit. Anhand eines neuartigen Theaterjournalismus’ lässt sich in den 1820ern feststellen, wie die Zeitungen ihren Geltungsbereich ausdehnten und mit einer Zielrichtung auf eine breite Leserschaft das Format des gelehrten Aufsatzes zugunsten eines zirkulär gedachten Meinungsaustausches verließen. Die zugespitzte Theaterpolemik des populären Journalisten Moritz Gottlieb Saphir stand hierfür Modell. 6 7 8

Friedrich Hebbel, „Ueber die sogenannten politischen Demonstrationen“, 272f. Friedrich Hebbel, „Ueber die sogenannten politischen Demonstrationen“, 274f. Friedrich Hebbel, „Ueber die sogenannten politischen Demonstrationen“, 273f.

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Auch das Theater selbst war grundsätzlicher in die Öffentlichkeitskonkurrenzen involviert als es eine oberflächliche Analyse von Theatertexten im Hinblick auf politische Inhalte vermuten lässt. Mit den beiden von Zensur und Aufführungsverbot betroffenen Dramatikern Gotthilf August von Maltitz und Robert E. Prutz stellten sich Akteure der Öffentlichkeit vor, die das Theater mit seinem politischen Potential der direkten und gemeinschaftlichen Ansprache für eine Ausdehnung der eigenen öffentlichen Wirksamkeit nutzten. Dabei griffen beide auf journalistische und publizistische Mittel zurück, um ihren Kampf um den Auftritt in der öffentlichen Sphäre flankierend zu unterstützen. Deutlich lässt sich zwischen dem Ende der 1820er Jahre und der Mitte der 1840er Jahre – also auch zwischen dem öffentlichen Agieren von Maltitz und von Prutz – eine Professionalisierung hinsichtlich des Selbstverständnisses als öffentliche Person und des medialen Handelns feststellen. Während von Maltitz die literarische Strategie verfolgte und mit Das Pasquill (1829) eine quasi dramatische Reflexion des politischen Öffentlichkeits-Diskurses lieferte, agierte Prutz mit der Veröffentlichung der politischen Akten und Dokumente fast wie ein ‚Enthüllungsjournalist‘ und machte seine politische Position unmittelbar deutlich. Umgekehrt blieb das Theater auch als Institution und öffentliches Ereignis nicht unbeeinflusst vom Konkurrenzverhältnis mit den neuen Druckmedien – Zeitschrift und Zeitung. Das Theater formierte sich als modernes öffentliches Medium – sowohl die Medienerwartungen und Medienkompetenzen der Theaterbesucher betreffend als auch hinsichtlich des strategischen Umgangs der Theaterleitungen mit öffentlicher Meinung und öffentlicher Sphäre. Karl Theodor von Küstner war hier eine der epoche-prägenden Direktoren-Persönlichkeiten, da er sich intensiv mit der strukturellen Umgestaltung des Theaters als öffentliche Institution befasste und strategisches Geschick im Umgang mit der Medienöffentlichkeit bewies. Hebbels Einschätzung einer neuen Öffentlichkeitssituation für das Theater im konstitutionellen Staat lässt sich auch auf die bayerische Theatersituation beziehen. Die Auseinandersetzungen um ‚politische Demonstrationen‘ auf der Bühne traten in der Reformära des bayerischen Staates zugunsten einer Kulturpolitik, welche Theater als „Institution der Öffentlichkeit“ begriff und gestaltete in den Hintergrund. Wie in Kap. 5 dargelegt zeigte sich dies zunächst anhand der behördlichen Auslotung der Grenzen eines schichtenübergreifenden Liebhaber- und Privattheaters im Abgleich mit dem bürgerlichen Begehren nach dem öffentlichen Auftritt. Diese öffentliche Theaterpraxis stellte die traditionelle Gesellschaftsordnung in Frage, welche bisher die Zugänge zur Öffentlichkeit als Privileg der höheren Stände vorsah. In diesem Zusammenhang stand das Verhältnis von Berufstätigkeit und Freizeitverhalten sowie die Demonstration von und Identifikation mit dem Lebensstil höher gestellter Personen durch die Bühnendarstellung als gefährdende Faktoren für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Stabilität zur Debatte. Letztlich gab es jedoch von Seiten der politischen Behörden eine grundsätzliche Bejahung und Unterstützung der sich abzeichnenden öffentlichen Neuordnung. Die Regierung des bayerischen Königs Max I. Joseph unter dem Einfluss des

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Staatsministers Maximilian von Montgelas machte ihr kulturpolitisches Reformpotential mit den beiden Bauprojekten des Isarthor-Theaters und des neuen Nationaltheaters vor der Folie einer Konzeption von Theater als öffentliche bürgerliche Institution geltend. Die neue ‚Verbürgerlichung‘ und ‚Öffentlichkeit‘ des Theaters barg einige Risiken für die Behören, das ‚Medienhandeln‘ der beteiligten Akteure musste sorgsam neu reguliert werden. Zum einen ging es hier um die Kontrolle der Aufführungssituation, das Agieren der Schauspieler gegenüber den Zuschauern als auch die Einübung disziplinierten Verhaltens der Zuschauer im Theater betreffend. Anhand der Auseinandersetzung um das Hut-Verbot zeigte sich das Regulierungsdesiderat der involvierten Behörden aber auch die Schwierigkeit des rechten Maßes für die Zuschauerkontrolle. Zum anderen ging es um das Verhältnis des Münchner Hoftheaters als Institution gegenüber der Medienöffentlichkeit. Was durften die Zeitungen sich an Kritik erlauben, inwiefern durften die Schauspieler enge Beziehungen zur Presse unterhalten? Die Hoftheaterintendanten versuchten hier durch Disziplinar-Satzungen und Zirkular-Verordnungen ihre Künstler in deren starkem Drang nach medialer Aufmerksamkeit und Artikulation zu bremsen, andererseits aber auch mit dem gewandelten Medienanspruch der Gesellschaft umzugehen und ihrerseits einen produktiven Weg in die Zeitungsöffentlichkeit zu finden. Die Revolution von 1848 brachte eine andere Modellierung von Öffentlichkeit hervor, wie es in Kap. 6 anhand der Wiener Zeitungs- und Theaterkultur gezeigt wurde. Unter den Vorzeichen der politischen Unruhen im März 1848 dominierte der politische Modus der Straßen- und Versammlungsöffentlichkeit, der auch die Medien Zeitung und Theater maßgeblich beeinflusste. Die beiden theaterrelevanten Wiener Blätter, Die Allgemeine Theaterzeitung und Der Humorist, von Adolf Bäuerle und Moritz Gottlieb Saphir, machten sich konsequent zum medialen Sprechsaal und öffentlichen Versammlungsraum der Revolution, indem sie ihre Spalten den revolutionären Lesern und Akteuren zur Verfügung stellten. Das redaktionelle Prinzip trat entsprechend zurück, nur, um mit der Zurückdrängung der ‚Straßenpolitik‘ ab etwa Ende Mai 1848 wieder verstärkt Geltung zu erhalten. Für die Wiener Vorstadttheater lässt sich eine ähnliche Entwicklung aufzeigen. Anhand der einflussreichen Aufführungen des Benedix-Stückes Das bemooste Haupt am Theater an der Wien kann man feststellen, wie die ‚Repräsentationsmaschine Theater‘ im revolutionären studentischen Sog zu einer Feierstätte der politischen Gemeinschaft transformierte. Von dort aus gelangte die Protest-Praxis der Katzenmusik auf die Straßen der Stadt und stellte so das Bindeglied zwischen Theateröffentlichkeit und Straßenöffentlichkeit her. Der Theaterdirektor Franz Pokorny unterstützte diese Entwicklung und versuchte, den Erfolg des Studentenstückes auch mit anderen Theaterproduktionen fortzusetzen. Die vom Publikum und den politischen Instanzen geforderte und geförderte Umbenennung seines Theaters in „Nationaltheater“ setzte hier einen Stempel auf, der eine weitere Entwicklung und Neuorientierung des Theaters erschwerte.

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Daher war es nicht überraschend, dass es Carl Carl nach kurzer Zeit gelang, die führende Stellung seines Theaters in der Leopoldstadt zurückzugewinnen. Maßgeblich wirkte hier Johann Nepomuk Nestroy, dessen Freiheit in Krähwinkel geradezu paradigmatisch für die Re-Installierung der Theater-Rampe stand. Dieses Stück setzte auf die satirische distanzierte Analyse der politischen Ereignisse – die Revolution war in die Phase der kritischen Selbstreflexion eingetreten und entsprechend trat der Modus der Straßen- und Versammlungsöffentlichkeit zunehmend in den Hintergrund. Mit der Feier des Saison-Abschlusses am Carl-Theater kann man durch die räumliche Differenzierung die theatrale Anpassung an diese Öffentlichkeit-Entwicklung nachvollziehen: Im Theater, auf der Theaterbühne, fand mit der Aufführung von Freiheit in Krähwinkel die Repräsentation der Revolution statt; auf der Straße vor dem Theater inszenierte man die politische Feier als theatrales Gemeinschaftserlebnis. Mit der Analyse von Albert Lortzings Oper Regina lässt sich eine dritte Position revolutionären Theaters in Wien darstellen, die quasi vermittelnd beide Aspekte theatraler Öffentlichkeit in der politischen Situation aufnahm – zum einen den Anklang an die revolutionäre Straßenöffentlichkeit wie im Studentenstück Das bemooste Haupt, zum anderen die distanzierte Thematisierung revolutionärer Geschehnisse und Diskurse wie in der Nestroy-Posse Freiheit in Krähwinkel. So thematisierte Lortzing einerseits konkrete Ereignisse und Personen der Revolutionszeit wie etwa Maschinenstürmerei, Versöhnungsfest der Arbeiter, politische Gruppierungen, Freikorps und bürgerliche PolitikPositionen vertretende Figuren, und folgte damit der Nestroy-Linie, ohne allerdings die scharfe Analyse der politischen Satire realisieren zu können, andererseits übernahm er aus dem musikalischen Repertoire der Straßenöffentlichkeit Klang- und Liedformen – protestierende Sprechchöre, Studentenlieder, politische Hymnen –, die emotional den Grundton der gemeinschaftlichen politischen Feier der 1848er Revolution anschlugen. Die Konzeption der Öffentlichkeits-Analyse hat hier das Potential für eine medienhistorische Perspektive auf Theatergeschichte gezeigt. Denkbar und auch wünschenswert wären vertiefte Studien zu anderen gesellschaftspolitischen und ästhetischen Umbruchsituationen wie etwa Theater und Medien der Weimarer Zeit oder eine Fokussierung auf die medialen Revolutionen an der Wende zum 21. Jahrhundert. Die Grundlagen hierfür liegen in einer differenzierten Analyse der jeweiligen historischen Öffentlichkeitssituation, der Ausdehnung des Untersuchungsbereichs auf außertheatrale Phänomene und gesellschaftspolitische Entwicklungen sowie einem konsequent medienhistoriographischen Blick auf Theater als Medium der Öffentlichkeit. Theater und performative Künste sind immer im Zusammenhang mit anderen Medien zu sehen. Die Interdependenzen und Interaktionen zwischen allen Medien der Öffentlichkeit darf man nicht vernachlässigen. Nur dann lässt sich die komplexe Mehrschichtigkeit der Öffentlichkeitsstrukturen einer Zeit vermitteln – über ein Konstatieren ‚politischer Demonstrationen‘ hinaus. In diesem Sinne gelangten wir hier zu einem vielschichtigen Bild von Theater in einer Zeit, in der es das politische Bewusstsein der Theaterkünstler, Literaten und Öffentlichkeitsakteure erlaubte, eine Neu-Konzeption

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dieses alten Mediums im Sinne eines gegenwartsbezogenen und Gesellschaft prägenden Forums vorauszudenken und sich für deren Realisierung entschieden zu engagieren: Theater und Öffentlichkeit im Vormärz.

8

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Historische Quellentexte

Adami, Friedrich: „Berliner Brief“, in Allgemeine Theaterzeitung, 16. Juli 1844. Ders.: „Berliner Brief“, in Allgemeine Theaterzeitung, 13. September 1844. Alvensleben, Ludwig von: Biographisches Taschenbuch deutscher Bühnen-Künstler und Künstlerinnen, 2. Jahrgang, Leipzig 1837. Anonym: „Gedanken über die Aufgabe des deutschen Dramas nach der Befreiung Deutschlands“, in Jahrbücher für dramatische Kunst und Literatur, hg. von Theodor Rötscher, Berlin und Frankfurt/Oder 1848, 292–296. A Short Sketch (Taken within these few Nights) of the ‘Row’ at the Theatre-Royal, Covent-Garden; wherein is given an Exact Representation of the O.P. Dance, and Other Manoeuvres, as Practised by the Opponents of this Theatre, Bath, printed for T. Hobbs, by M. Gye, Market-Place, Nov. 24, 1809, 11p. Aus Metternichs nachgelassenen Papieren, Bd. 3, hg. Richard von Metternich-Winneburg und Alfons von Klinkowström, Wien 1881. Bäuerle, Adolf: „Erklärung und Widerlegung eines lächerlichen Gerüchts“, in Allgemeine Theaterzeitung, 21. März 1848. Cerri, Cajetan: „In Sachen einer deutschen Flotte. Ein Wort zur Zeit“, in Österreichischer Courier (Allgemeine Theaterzeitung), 13. Juli 1848. Dank-Schreiben an den Herrn Verfasser des Sendschreibens an *** über den damaligen Zustand des Theaters in Berlin, im Anfang des Jahres 1832 von Giovanni Cipollini. Aus dem italienischen Manuscripte übersetzt von Adolf Schecke. Leipzig u. Baltimore: Zriebelsche Buchhandlung, 1832. Devrient, Eduard: Geschichte der Deutschen Schauspielkuns, 5 Bde, Leipzig 1848–1874. Ders: Das Nationaltheater des neuen Deutschlands, Leipzig 1849. Ders.: Ueber Theaterschulen, Berlin 1840. Die Donner der Revolution über Wien. Ein Student aus Czernowitz erlebt 1848, hg. Peter FrankDöfering, Wien 1988. Gernerth, Franz von: „Brauchen wir eine italienische Oper?“, in Allgemeine Wiener Musikzeitung, 6. April 1848. Görres, Joseph: „Die teutschen Zeitungen“, in Rheinischer Merkur, 1. Juli 1814. Griepenkerl, Wolfgang R.: „Die Oper der Gegenwart. Vortrag im Saale des Gewandhauses zu Leipzig zur ersten Tonkünstler-Versammlung im August 1847“, in Neue Zeitschrift für Musik, 26. August 1847. Gutzkow, Karl: „Ansprache an die Berliner im März 1848 (1848)“, in ders. (1850), 105–119. Ders.: Vor- und Nach-Märzliches. Leipzig 1850.

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Anhang

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Historische Quellentexte

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402

Anhang

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410

Anhang

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Anhang

412

8.3

Lexika, Handbücher, Gesetzessammlungen

Allgemeine Deutsche Biographie, 54 Bde., Leipzig 1875–1912. Allgemeine deutsche Real-Encyklopädie für die gebildeten Stände. Conversations-Lexikon, 15 Bde., Leipzig 101851–1855. Allgemeine deutsche Real-Encykopädie für die gebildeten Stände. Conversations-Lexikon, 12 Bde. Leipzig 71830. Das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794, hg. von Hans Hattenhauer, Neuwied u.a. 31996. Allgemeines Theater-Lexikon oder Encyklopädie alles Wissenswerthen für Bühnenkünstler, Dilettanten und Theaterfreunde, 6 Bde., hg. von R. Blum, K. Herloßsohn und H. Marggraff, Altenburg u.a. 1846. Gesetzblatt für das Königreich Bayern, München 1818. Gesetz-Sammlung für die Königlich-Preußischen Staaten, 1818, Anhang, Nr. 23. Handbuch pädagogischer Grundbegriffe, Bd. II, hg. von Josef Speck und Gerhard Wehle, München 1970. Hegel-Lexikon, hg. von Paul Cobben, Paul Cruysberghs, Peter Jonkers und Lu de Voss, Darmstadt 2006. Historisches Wörterbuch der Philosophie, 13 Bde., hg. von Joachim Ritter, Darmstadt 1971–2007. Neuer Nekrolog der Deutschen 1831, hg. von Bernhard Friedrich Voigt, Ilmenau 1833. Neues Rheinisches Conversations-Lexicon, 12 Bde., Köln 31830–1836. Protokolle der deutschen Bundesversammlung, Frankfurt a. M. 1816–1848. Reichsgesetzblatt für das Kaiserthum Österreich, Nr. 454, 25, November 1850. Richard-Wagner-Handbuch, Hg. von Ulrich Müller und Peter Wapnewski, Stuttgart 1986. Sammlung kurpfalz-bayerischer Landesverordnungen, IV. Band, 1788, Nr. LXX. Staats-Lexikon oder Enzyklopädie der Staatswissenschaften in Verbindung mit vielen der angesehensten Publicisten Deutschlands, 15 Bde., hg. von Carl von Rotteck und Carl Welcker, Altona 1834-1843. Theaterlexikon, hg. von Philipp Düringer, Leipzig 1841. Volksthümliches Handbuch der Staatswissenschaften und Politik, hg. von Robert Blum, Leipzig 1848.

8.4

Periodika

Allgemeine Theaterzeitung, Wien, Jge. 1840–1848 (ab Juli 1848 Österr. Courier) Berliner Courier, Berlin, Jge. 1827–1830 Berliner Schnellpost, Berlin, Jge. 1826–1829 Der Humorist, Wien, Jge. 1840–1848 Münchener Theater-Journal, München, Jg. 1814–1816

8.5

Archivdokumente

Berlin Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (GStA)

I HA, Rep. 77, Tit. 1000, Nr.1 I HA, Rep. 77 , Tit. 1000, Nr. 4

Archivdokumente I HA, Rep. 77, Tit. 1000, Nr. 5, Bd. 1 I HA, Rep. 101 D, Nr. 11 I HA, Rep. 77, tit. 420, Nr. 7, Bd.1 I. HA Rep. 77, tit. 1000, Nr. 3 I HA, Rep. 100, Nr. 1124/2 I HA, Rep. 100, Nr. 1124/4

Landesarchiv Berlin

Apr. Br. Rep. 30-5, Nr. Th 357 Apr. Br. Rep. 030, Nr. 20295

Theatersammlung, Stadtmuseum Berlin

Theaterzettel Königstädtisches Theater 1824–1829 Typoskript, Willi Eylitz, Das Königstädtische Theater in Berlin, Univ.-Diss., Rostock 1940

Frankfurt a. Main Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg NL Gutzkow, 47/ca. 30, 2872–2873

Marburg Staatsarchiv Marburg Bundes-Central-Behörde, Frankfurt a. M., Bericht vom 2. April 1836, Digitalisat, bei www.digam.net

München Bayerisches Hauptstaatsarchiv München (BayHStA)

MInn, Nr. 45512 MInn, Nr. 45783 MF, Nr. 55857 MF, Nr. 55858 MF, Nr. 55859 MF, Nr. 55862 MInn, Nr. 54129 Intendanz Hoftheater, Nr. 1032 Intendanz Hoftheater, Nr. 1040 Intendanz Hoftheater, Nr. 1041 Intendanz Hoftheater, Nr. 1046

Staatsarchiv München RA, Fasz. 2277, Nr. 40930

413

Anhang

414

Wien Österreichisches Staatsarchiv, Allgemeines Verwaltungsarchiv

Polizeihofstelle, H 109/1847 Polizeihofstelle, H 134/1842 Polizeihofstelle, H 162/1817 Polizeihofstelle, 463/1848 Polizeihofstelle, 1382/1839 Polizeihofstelle, 1614/1847 Polizeihofstelle, 2234/1820 Polizeihofstelle, 5010/1819

Wiener Stadt- und Landesbibliothek 3010, Nr. 6893/264

Theatermuseum Wien

NL Pokorny, Box 2, Mappe 63 NL Pokorny, Box 2, Mappe 64 NL Pokorny, Box 4, Mappe 5 NL Pokorny, Box 9, Mappe 8/1–3 NL Pokorny, Box 10, Mappe 10/27–32 NL Pokorny, Box 11, Mappe 77–79 X121, Bd.1

Wienbibliothek H.I.N. 25811

8.6

Abbildungsnachweise

Abb. 1:

Moritz Gottlieb Saphir, Lithographie von Hanfstaengl, 1830, Deutsches Theatermuseum München, Inv.-Nr. II 24056. Königstädtisches Theater, Stahlstich von Finden nach Schwartz, um 1830, Deutsches Theatermuseum München, Inv.-Nr. S Kö 657. Das Pasquill, Hamburg 1829, Umschlag. Berliner Schauspielhaus am Gendarmenmarkt, um 1830, Deutsches Theatermuseum München, Inv.-Nr. VII 1211. Isarthor-Vorplatz mit Isarthor-Theater, um 1820, Deutsches Theatermuseum München, Inv.-Nr. VII 2954. Abällino im Schauspiele gleichen Namens, gespielt von Herrn Carl, in Münchener TheaterJournal, 1. Jg., 1814, Anhang. Das Königl. Hof- und Nationaltheater zu München nach dem Brande des 14ten Januar 1823, um 1823/1824, Deutsches Theatermuseum München, Inv.-Nr. VII 2272. Max-Joseph-Platz mit dem Hof- und Nationaltheater München, um 1840, Deutsches Theatermuseum München, Inv.-Nr. VII 1193. Karl Theodor von Küstner, Lithographie von J. Fertig, 1840, Deutsches Theatermuseum München, Inv.-Nr. II 325 (Por III). „Im Namen der konstitutionellen Regierung, still! Ich werde vorlesen!“, in Reschauer, Heinrich: Das Jahr 1848. Geschichte der Wiener Revolution, Bd. 1, Wien 1872, 31.

Abb. 2: Abb. 3: Abb. 4: Abb. 5: Abb. 6: Abb. 7: Abb. 8: Abb. 9: Abb. 10:

Abbildungsnachweise

415

Abb. 11: „Heute ist hier Abendunterhaltung“, in: Smets, Moritz: Das Jahr 1848. Geschichte der Wiener Revolution. Bd. 2. Wien 1872, 137. Abb. 12: Der Humorist, 26. November 1848. Abb. 13: Die Schauspieler Nestroy und Scholz auf der Brückenwache, in Reschauer, Heinrich: Das Jahr 1848. Geschichte der Wiener Revolution, Bd. 1, Wien 1872, 433. Abb. 14: Szene aus dem Stück „Das bemooste Haupt“, in Smets, Moritz: Das Jahr 1848. Geschichte der Wiener Revolution. Bd. 2. Wien 1872, 41. Abb. 15: Albert Lortzing, Stahlstich von A. Duncan nach J. A. Schramm, um 1835, Deutsches Theatermuseum München, Inv.-Nr. II 24056.