Tanz Film: Intermediale Beziehungen zwischen Mediengeschichte und moderner Tanzästhetik [1. Aufl.] 9783839423295

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Tanz Film: Intermediale Beziehungen zwischen Mediengeschichte und moderner Tanzästhetik [1. Aufl.]
 9783839423295

Table of contents :
INHALT
EINLEITUNG: THEORETISCHE UND METHODISCHE ÜBERLEGUNGEN
Medientheoretische Begriffe
Medium/Medien – analog/digital
Medialität – Medialisierung/Mediatisierung
Intermedialität
Multimedialität
Transmedialität
Hybridität
Tanztheoretische Begriffe
Körper/Körperlichkeit: Körperbilder – Bewegungskonzepte
Präsenz/Repräsentation – Performanz/Performativität
Methodische Überlegungen
Gattungen und Genres intermedialer Begegnungen
Bewegung, Zeit und Raum als Parameter
Bewegung
Zeit
Raum
ANALYSEN: SECHS THEMENFELDER DER INTERMEDIALITÄT IM TANZ
Themenfeld 1: Medieneinflüsse auf die Tanzästhetik
Technische Innovationen
Tanzästhetik
Exkurs: Excelsior, ein Ballett als Spiegel der industriellen Revolution
Film- und Tanzpioniere der Jahrhundertwende
Dokumentation des Alltags
Imaginative Visionen
Choreographie in Massenszenen: Intolerance
Tänzerisches Erzählen in The Blue Bird
Drei Phänomene einer zeitgenössischen Bewegungsästhetik
Ästhetik der Montage im Tanztheater
Fragmentierung als ästhetisches Prinzip des postmodernen Tanzes
Accrorap: Posen und Brüche im Breakdancemediale Verbreitungsmechanismen des Hip-Hop
Medientheoretische Zwischenbilanz
Transmedialität im Tanz
Themenfeld 2: Medieneinsatz auf der Tanzbühne
Theater- und Tanzavantgarde der 1910er/1920er Jahre
Filmreferenzen in Parade und Le Train bleu
Historisches Ausnahmeexempel: Die Ballets Suédois mit Relâche/Entr’acte
Performancekultur der 1960er Jahre
Judson Church Movement
Videoperformances
Videoeinsatz im jüngeren Bühnentanz
Dance und Live
Projektion in den Arbeiten von Wim Vandekeybus
Extension in Werken
Interaktion in Choreographien
Multiple Dialoge
Medientheoretische Zwischenbilanz
Multimedialität im Tanz
Themenfeld 3: Filmmusical – Tanzfilm - Musikvideo – Tanz im TV
Hollywood-Filmmusical
Top Hat (1935)
42nd Street (1933)
Singin’ in the Rain (1952)
Bollywood – Tanz im indischen Film
Awara (Der Vagabund) (1951)
Kabhi Khushi Kabhie Gham (2001)
Tanz im Spielfilm
The Red Shoes (1948)
Flashdance (1983)
Exkurs: Le Bal (1983), ein wortloser Spielfilm als Zeitspiegel
Moulin Rouge! (2001)
Weitere Phänomene im Tanzfilm
Digitale 3D-Technologie im Tanzfilm – Pina (2011) von Wim Wenders
Tanz im Musikvideo
Thriller (1983)
It’s Oh So Quiet (1995), Hyperballad (1996), All Is Full of Love (1999)
Praise You (1999) und Weapon of Choice (2001)
Around the World (1997) und Phoneheads: Link Up (2002)
Zeitgenössischer Tanz – Tanz im Musikvideo
Tanz im TV
Kunstformate im Fernsehen
Tanz als Vehikel der Reality-Show
Medientheoretische Zwischenbilanz
Intermediale Genrebildungen im Tanz
Themenfeld 4: Videotanz
Historische Vorläufer im Experimentalfilm
Germaine Dulac: Thèmes et variations (1928)
A Study in Choreography for the Camera (1945)
Tanz in den FilmenEmshwiller
Pas de deux (1968)
Anfänge in den USA
Westbeth (1974) und Channels/Inserts (1981)
Beach Birds for Camera (1992)
Beispiele der 1980er und 1990er Jahre in Europa
Jump (1984) und Le P’tit Bal perdu (1993)
Narrativität im Videotanz bei DV8
Neuere Tendenzen
Motion Control (2001)
Raumkonzepte
Medientheoretische Zwischenbilanz
Intermediales Paradegenre Videotanz
Themenfeld 5: Tanz und digitale Technologien
Choreographie per Software
»LifeForms« in Merce Cunninghams CRWDSPCR (1993)
Tanz auf telematischen Bühnen
Ghosts and Astronauts (1997)
Choreographie als Hypertext
CD-ROM Improvisation Technologies (1994) und Website Synchronous Objects (2009)
Digitalisierung und Virtualisierung von Bewegung
Motion Capturing 1999 und Ghostcatching (1999)
Exkurs: Virtueller Videotanz in N+N Corsinos Captive (2nd Movement) (1999)
Interaktive Aufführungssysteme und Installationen
Variations V
In Plane (1994)
Glow (2006) und Mortal Engine (2008)
Tanzinstallation City of Abstracts (2000)
Cyborgs, Roboter, Wearables - Konvergenz von Körper und Technik
Afasia (1998)
Me and the Machine: When We Meet Again (Introduced as Friends) (2009)
Mensch und Maschine – analoge Körper versus digitale Technik
Medientheoretische Zwischenbilanz Hybridität und Interaktivität im Tanz
Themenfeld 6: Tanzästhetik im/via Internet
Dorky Dancing auf YouTube
Where the Hell Is Matt (2003/2005) und Evolution of Dance (2006)
Digital kommunizierte Choreographie
Flashmobs Frozen Grand Central (2008) und T-Mobile Dance (2009)
Medientheoretische Zwischenbilanz
Mediale Konvergenz im Tanz
KONKLUSION UND AUSBLICK
Zusammenfassung zu den Themenfeldern der Intermedialität
Medientheoretische Bilanz: Intermedialität im Tanz
Konvergenzen der Kunstproduktion
ANHANG
Eine kurze Geschichte der Tanzstile des modernen Bühnentanzes und ihrer Affinitäten zu filmischen Medien
Literatur
Werkverzeichnis
Register

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Claudia Rosiny

TANZ FILM

TanzScripte | hrsg. von Gabriele Brandstetter und Gabriele Klein | Band 27

Claudia Rosiny (Dr. phil.) leitet die Tanz- und Theaterförderung beim Bundesamt für Kultur in Bern und lehrt an verschiedenen Universitäten. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Tanz und Medien.

Claudia Rosiny

TANZ FILM Intermediale Beziehungen zwischen Mediengeschichte und moderner Tanzästhetik

Publiziert mit Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2013 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagabbildungen (obere Reihe von links ab hinterem Buchdeckel): Abb. 1: Filmstill aus Animated Picture Studio, Produktion: Mutoscope und Biograph (1903), Abb. 2: Filmstill aus Entr’acte, Regie: René Clair (1924), Abb. 3: Filmstill aus The Red Shoes, Regie: Michael Powell/ Emeric Pressburger (1948), Abb. 4: Filmstill aus 42nd Street, Regie: Lloyd Bacon (1933), Abb. 5: Filmstill aus Dance, Choreographie: Lucinda Childs, Film: Sol LeWitt (1979/2009), Abb. 6: Filmstill aus A Study in Choreography for the Camera, Choreographie und Regie: Maya Deren (1945), Abb. 7: Filmstill aus Ghostcatching, Choreographie: Bill T. Jones (1999), Abb. 8: Filmstill aus Afasia, Performance: Marcel-lí Antúnez Roca (1999), Abb. 9: Filmstill aus T-Mobile Dance (2009) Lektorat: Tobias Hoffmann Umschlaggestaltung, Layout und Satz: consign.ch, Lorenz Jaggi und Michael Bader Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-2329-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

INHALT EINLEITUNG: THEORETISCHE UND METHODISCHE ÜBERLEGUNGEN . . . . . . . . . . . . . . . . .

15

Medientheoretische Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Medium/Medien – analog/digital . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Medialität – Medialisierung/Mediatisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Intermedialität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Multimedialität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Transmedialität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hybridität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

18 18 19 21 24 26 27

Tanztheoretische Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Körper/Körperlichkeit: Körperbilder – Bewegungskonzepte. . . . . . . . . . . . . . . . 30 Präsenz/Repräsentation – Performanz/Performativität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 Methodische Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gattungen und Genres intermedialer Begegnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bewegung, Zeit und Raum als Parameter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

34 34 35 36 37 38

ANALYSEN: SECHS THEMENFELDER DER INTERMEDIALITÄT IM TANZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

41

Themenfeld 1: Medieneinflüsse auf die Tanzästhetik . . . . . 41 Technische Innovationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 Loïe Fullers Tanzästhetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 Exkurs: Excelsior, ein Ballett als Spiegel der industriellen Revolution . . 46 Film- und Tanzpioniere der Jahrhundertwende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Edison und andere: Dokumentation des Alltags . . . . . . . . . . . . . . . . . . Georges Méliès’ imaginative Visionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Choreographie in Massenszenen: D.W. Griffiths Intolerance . . . . . . . . . . . . . . . Tänzerisches Erzählen in Maurice Tourneurs The Blue Bird . . . . . . . . . . . . . . .

49 50 55 60 64

Drei Phänomene einer zeitgenössischen Bewegungsästhetik . . . . . . . Pina Bausch: Ästhetik der Montage im Tanztheater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . William Forsythe: Fragmentierung als ästhetisches Prinzip des postmodernen Tanzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Accrorap: Posen und Brüche im Breakdance – mediale Verbreitungsmechanismen des Hip-Hop . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

67 68 76 85

Medientheoretische Zwischenbilanz: Transmedialität im Tanz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93

Themenfeld 2: Medieneinsatz auf der Tanzbühne . . . . . . . . . 95 Theater- und Tanzavantgarde der 1910er/1920er Jahre . . . . . . . . . . . . . 95 Ballets Russes: Filmreferenzen in Parade und Le Train bleu . . . . . . . . . . . . . . . 97 Historisches Ausnahmeexempel: Die Ballets Suédois mit Relâche/Entr’acte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 Performancekultur der 1960er Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 Judson Church Movement: Elaine Summers und Yvonne Rainer. . . . . . . . . . . 108 Videoperformances von Ulrike Rosenbach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 Videoeinsatz im jüngeren Bühnentanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alwin Nikolais. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lucinda Childs’ Dance und Hans van Manens Live . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Projektion in den Arbeiten von Wim Vandekeybus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Extension in Werken von Frédéric Flamand. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Interaktion in Choreographien von José Montalvo/Dominique Hervieu . . . . . Multiple Dialoge bei Philippe Decouflé . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

120 120 125 130 133 136 138

Medientheoretische Zwischenbilanz: Multimedialität im Tanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141

Themenfeld 3: Filmmusical – Tanzfilm – Musikvideo – Tanz im TV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 Hollywood-Filmmusical . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fred Astaire: Top Hat (1935) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Busby Berkeley: 42nd Street (1933) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gene Kelly: Singin’ in the Rain (1952) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

144 146 149 153

Bollywood – Tanz im indischen Film . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 Awara (Der Vagabund) (1951) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 Kabhi Khushi Kabhie Gham (2001) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .162

Tanz im Spielfilm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 The Red Shoes (1948) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 Flashdance (1983) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 Exkurs: Le Bal (1983), ein wortloser Spielfilm als Zeitspiegel . . . . . . . 172 Moulin Rouge! (2001) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 Weitere Phänomene im Tanzfilm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 Digitale 3D-Technologie im Tanzfilm – Pina (2011) von Wim Wenders . . . . . . 179 Tanz im Musikvideo. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Jackson: Thriller (1983) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Björk: It’s Oh So Quiet (1995), Hyperballad (1996), All Is Full of Love (1999) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fatboy Slim: Praise You (1999) und Weapon of Choice (2001) . . . . . . . . . . . . . Daft Punk: Around the World (1997) und Phoneheads: Link Up (2002) . . . . . Zeitgenössischer Tanz – Tanz im Musikvideo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

182 185 188 193 196 199

Tanz im TV. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 Kunstformate im Fernsehen: van Manen, Cullberg und Cunningham . . . . . . . 202 Tanz als Vehikel der Reality-Show. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 Medientheoretische Zwischenbilanz: Intermediale Genrebildungen im Tanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213

Themenfeld 4: Videotanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 Historische Vorläufer im Experimentalfilm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Germaine Dulac: Thèmes et variations (1928) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Maya Deren: A Study in Choreography for the Camera (1945). . . . . . . . . . . . . Tanz in den Filmen von Ed Emshwiller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Norman McLaren: Pas de deux (1968) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

217 220 222 226 228

Merce Cunningham – Anfänge in den USA. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 Westbeth (1974) und Channels/Inserts (1981). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 Beach Birds for Camera (1992) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 Beispiele der 1980er und 1990er Jahre in Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 Philippe Decouflé: Jump (1984) und Le P’tit Bal perdu (1993) . . . . . . . . . . . . . 240 Narrativität im Videotanz bei DV8 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242

Neuere Tendenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 Liz Aggis: Motion Control (2001) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 Raumkonzepte bei Philippe Saire und Erika Janunger. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 Medientheoretische Zwischenbilanz: Intermediales Paradegenre Videotanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256

Themenfeld 5: Tanz und digitale Technologien . . . . . . . . . . . . 259 Choreographie per Software . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 »LifeForms« in Merce Cunninghams CRWDSPCR (1993) . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 Tanz auf telematischen Bühnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 Susan Kozels und Gretchen Schillers Ghosts and Astronauts (1997) . . . . . . . 266 Choreographie als Hypertext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 William Forsythes CD-ROM Improvisation Technologies (1994) und Website Synchronous Objects (2009) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 Digitalisierung und Virtualisierung von Bewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 Motion Capturing in Merce Cunninghams Biped (1999) und Bill T. Jones’ Ghostcatching (1999) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 Exkurs: Virtueller Videotanz in N+N Corsinos Captive (2nd Movement) (1999). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 Interaktive Aufführungssysteme und Installationen . . . . . . . . . . . . . . . . Cage/Cunninghams Variations V . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Troika Ranchs In Plane (1994) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gideon Obarzanek/Chunky Move: Glow (2006) und Mortal Engine (2008) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . William Forsythes Tanzinstallation City of Abstracts (2000) . . . . . . . . . . . . . . .

277 279 280 282 285

Cyborgs, Roboter, Wearables – Konvergenz von Körper und Technik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 Marcel-lí Antúnez Roca: Afasia (1998). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 Me and the Machine: When We Meet Again (Introduced as Friends) (2009) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 Mensch und Maschine – analoge Körper versus digitale Technik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 Medientheoretische Zwischenbilanz: Hybridität und Interaktivität im Tanz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292

Themenfeld 6: Tanzästhetik im/via Internet . . . . . . . . . . . . . . . 293 Dorky Dancing auf YouTube . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 Matt Hardings Where the Hell Is Matt (2003/2005) und Judson Laipplys Evolution of Dance (2006) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 Digital kommunizierte Choreographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 Flashmobs Frozen Grand Central (2008) und T-Mobile Dance (2009). . . . . . . 299 Medientheoretische Zwischenbilanz: Mediale Konvergenz im Tanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302

KONKLUSION UND AUSBLICK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

305

Zusammenfassung zu den Themenfeldern der Intermedialität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 Medientheoretische Bilanz: Intermedialität im Tanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 Konvergenzen der Kunstproduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310

ANHANG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

315

Eine kurze Geschichte der Tanzstile des modernen Bühnentanzes und ihrer Affinitäten zu filmischen Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Werkverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

315 325 343 351

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Tanz Film

Vorwort In den 1980er Jahren erlebte das Medium Video in der Kunst einen breiten Aufschwung. 1981 startete mit dem Sender MTV ein Fernsehkanal, der Musikvideos zeigte. Mit erschwinglichem Videoequipment realisierten Private ihre Homevideos. Seither sind Kamera und Rekorder wichtige Hilfsmittel im Probenprozess für Tanzaufführungen. In dieser Dekade entstanden zudem neue Formen des zeitgenössischen Tanzes. Nachdem sich das Tanztheater in den 1970er Jahren als Gegenbewegung zum klassischen Tanz der Nachkriegszeit etabliert hatte, wurden heterogene Tanzstile vom Ballett bis zur Kontaktimprovisation sowie multikulturelle, ethnische und aus Alltagsbewegungen abgeleitete Tanzformen gemischt und ineinander verwoben. Es sind individualisierte Formen des Choreographierens: Je nach Neigung werden sie wie bei Anne Teresa De Keersmaeker durch musikalische Interpretationen, bei Wim Vandekeybus und Édouard Lock durch athletischen Tanz, bei Lloyd Newson durch psychologisch motivierte und dennoch stark physisch geprägte Stücke oder bei Philippe Decouflé durch einen comicartigen Bewegungsstil charakterisiert. Die Genannten und viele andere Choreographinnen und Choreographen hatten zugleich ein starkes Interesse an den filmischen Medien. In Europa entstand – inspiriert von amerikanischen Arbeiten – eine neue Art von Tanzwerken: Choreographien, die für die Kamera und nicht für die Bühne konzipiert wurden. Gezeigt werden diese seither auf internationalen Festivals, die ab den 1980er Jahren überall in Europa gegründet wurden. Besonders Frankreich hat diese Entwicklung mit öffentlichen Geldern unterstützt. Unter Kulturminister Jack Lang wurden nicht nur nationale choreographische Zentren eingerichtet. Es wurde auch ein neues Genre des Videotanzes als hybride Facette des zeitgenössischen Tanzes gefördert. Während eines Gastsemesters an der Universität von Amsterdam 1987 begann ich – angeregt durch ein Seminar zu Theater und Video – Entwicklungen zwischen Tanz und Video zu verfolgen. Meinen Magisterabschluss an der Universität zu Köln widmete ich einer Arbeit zum Tanz im Fernsehen: Ich analysierte Probleme, die beim Transfer einer dreidimensionalen Raumkunst in ein zweidimensionales Abbildungsmedium entstehen. Dabei entdeckte ich die erwähnte künstlerische Form, für die Kamera zu choreographieren, als interessante Alternative. 1988 bot sich in Frankreich eine erste Gelegenheit, den neu geschaffenen Wettbewerb Grand Prix Vidéo Danse zu besuchen, der später als Dance-Screen-Festival an verschiedenen Orten fortgeführt wurde. Aus der regelmäßigen Teilnahme an diesen Veranstaltungen, dem Kuratieren von Tanzfilmprogrammen u.a. im Rahmen der Berner Tanztage und einer wis-

Vorwort

senschaftlichen Beschäftigung mit dem Videotanz entstand an der Universität Bern 1997 meine Dissertation zu dieser intermedialen Kunstform. Sie widerspiegelte zugleich den zunehmenden Diskurs zur Intermedialität in den Literatur-, Kultur- und Medienwissenschaften. Bei diesem Thema ging es darum, die im Zug der Postmoderne mannigfach auftauchenden Mischformen sowie Medienwechsel und -kombinationen der Künste zu beschreiben und zu analysieren. Meine Recherche eröffnete neue Untersuchungsfelder, denn vor dem Videotanz gab es im Verlauf der Mediengeschichte bereits vergleichbare hybride Genrevorläufer wie das Filmmusical oder Formen des Experimentalfims, die eine Verbindung zwischen Tanz und Film eingegangen waren. Ebenso fiel auf, dass zunehmend Videoprojektionen in viele Bühnentanzstücke integriert wurden. Im Umfeld der 2001 neu gegründeten kulturwissenschaftlich orientierten Medienwissenschaften an der Universität Basel entstand die Idee, das Forschungsfeld noch einmal etwas umfangreicher aufzufächern. Auf der Suche nach einer (Inter-)Medialität des Tanzes ergaben sich vielfältige Beziehungsfelder zwischen Mediengeschichte und moderner Tanzästhetik. Gleichzeitig zeigten die theoretischen Schriften zur Intermedialität, dass bisher keine Anwendung der theoretischen Begriffe auf den Tanz erfolgt war. Diese Lücke schliesst das vorliegende Werk. Im Mittelpunkt der Arbeit stehen Fallbeispiele von Tanzstücken und audiovisuellen choreographischen Werken. Ich habe sie in folgende sechs Themenfelder unterteilt: 1. Medieneinflüsse auf die Tanzästhetik; 2. Medieneinsatz auf der Tanzbühne; 3. Filmgenres und Fernsehformen wie Hollywood und Bollywood, Filmmusical, Tanzfilm, Musikvideo und Tanz im TV; 4. Videotanz; 5. Tanz und digitale Technologien; 6. Tanzästhetik im/via Internet. Die schriftliche Form der Analyse von Bewegungskunst und bewegtem Bild kann dabei natürlich nicht den direkten ästhetischen Genuss eines Kunstwerks ersetzen. Die im Buch eingefügten Stills aus Aufzeichnungen und Filmen sollen dennoch einen visuellen Eindruck vermitteln. Viele der Werke sind heute im World Wide Web auf Videoplattformen wie YouTube oder Vimeo zu finden. Da die Internetsuche einfach geworden ist, werden nicht alle Links in den Fußnoten aufgeführt. Eine wichtige Quelle zu vielen Filmen war die Internet Movie Data Base (IMDB), außerdem die amerikanische Website »ubu.com«, auf der im experimentellen Bereich viele Informationen und einige Werke in voller Länge versammelt sind. Inzwischen wurde »ubu.com« um eine eigene Sektion zum Tanz erweitert. Auf der Website des transcript-Verlags finden sich als Ergänzung zum Buch einige Links zu den besprochenen Beispielen.

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Danken möchte ich allen, die mich auf dieser Forschungsreise begleitet haben. Zuallererst Georg Christoph Tholen, der mich als neuer Ordinarius der Medienwissenschaften an der Universität Basel aufforderte, das Thema meiner Dissertation noch einmal auszubreiten, und mich immer wieder in Gesprächen und Reflexionen begleitete und motivierte. Auch allen Studierenden des Instituts für Medienwissenschaften in Basel verdanke ich Inspirationen, denn sie dachten in meinen Seminaren mit, entdeckten und bearbeiteten verschiedene Themen. Auf der Seite der Tanzwissenschaft möchte ich Frau Professor Claudia Jeschke von der Universität Salzburg besonders danken, die das Buchprojekt ebenfalls von Anfang an begleitete und mir zum Schluss wesentliche Anregungen gab. Außerdem den beiden Herausgeberinnen der Reihe »TanzScripte« im transcript-Verlag, den Professorinnen der Tanzwissenschaft Gabriele Brandstetter in Berlin und Gabriele Klein in Hamburg, die nach zwei anderen Titeln, die ich mit herausgegeben hatte, auch dieses Buch in ihre Reihe aufnahmen. Ebenfalls möchte ich Professor Andreas Kotte, Direktor des Instituts für Theaterwissenschaft der Universität Bern, noch einmal danken, denn er war damals offen für ein Thema, das zwischen den Disziplinen stand, betreute meine Dissertation und nahm auch an dieser thematischen Fortführung Anteil. Dank gebührt ebenfalls der Studienleiterin des Nachdiplomstudiums Tanzkultur an der Universität Bern, Margrit Bischof. Seit 2002 vermittle ich den DAS- und MAS-Studierenden das Feld von Tanz und Medien. Insbesondere die Betreuung der Diplom- und Masterarbeiten von Angelika Ächter, Monika Bächli, Ruth Kofmel und Daniela Wüthrich beflügelte meine Recherchen. Die Forschungen und Analysen entstanden in verschiedenen Phasen der vergangenen Jahre. Eine wichtige Basis bildete die Archivarbeit in der Tanzabteilung der New York Public Library for the Performing Arts (NYPLPA). Während eines vom Kanton Bern und vom Schweizerischen Nationalfonds finanzierten Stipendiums gaben mir die vielen Fachgespräche mit Deirdre Towers und Marta Renzi von der Dance Films Association sowie der Austausch mit Choreographinnen, Filmern und Kuratoren wichtige Anregungen. Auch David Vaughan, Archivar der Cunningham Foundation, der Tanzwissenschaftler Jens Giersdorf und die Tanzfilmerin Virginia Brooks trugen zum Dialog in New York bei. Weitere Impulse, Begleitung und Unterstützung verdanke ich Marcel-lí Antúnez Roca, Marlon Barrios Solano, Daniel Belton, Johannes Birringer, Lucinda Childs, Paul Kaiser, Dominik Landwehr, Doris Schellenberg-Maranta, Stephanie Schroedter, Veronika Sellier, Isabella Spirig, Wim Vandekeybus’ Gruppe Ultima Vez und Robert Wechsler. Für die Hilfe beim Auffinden von verschiedenen historischen Aufnahmen danke ich Birgit Hauska und dem Deutschen Tanzarchiv in Köln sowie Eve Bhend und Eva

Vorwort

Richterich vom Schweizer Tanzarchiv in Zürich und Lausanne und deren Mitarbeitenden. Auch das audiovisuelle Archiv der Berner Tanztage war eine wichtige Ressource, das dank der Digitalisierungsarbeit von Reto Clavadetscher im Schweizer Tanzarchiv zur Verfügung steht. Die kreativsten Schreibphasen fanden mit der Unterstützung von Kolleginnen, Familie und Freunden in verschiedenen Klausuren in den Niederlanden, im Berner Oberland und im Tessin statt. Herzlich danken möchte ich hier Tiziana Arnaboldi und dem Teatro San Materno in Ascona, Jörg Frei, Andrea Temming, Renate Zentschnig und Johanna Rosiny. Tobias Hoffmann danke ich für die sorgfältige Durchsicht des Manuskripts, Hanne Bestvater, Wolfgang Beywl, Bea Wilmes und Regula Nyffeler für Anregungen und die freundschaftliche Begleitung. Lorenz Jaggi und Michael Bader danke ich für die schöne Gestaltung des Buches. Und schließlich gilt Celina und Reto Clavadetscher ein ganz besonderer Dank, denn sie erlebten alle Phasen der Realisierung intensiv mit. Ein Buch hat in der Regel einen linearen Aufbau. Auch der vorliegende Band ist nach üblichem analogem Muster geplant worden. Doch sollen die Aufteilung in sechs Themenfelder, der theoretische Teil und ein Epilog zu den verschiedenen Tanzstilen und ihren Affinitäten zu den filmischen Medien sowie das umfangreiche Register mit Personen-, Sach- und Werkverzeichnis dazu ermuntern, den Band wie ein digitales Medium auch in netzartigen Strukturen zu nutzen und einzelne Abschnitte herauszugreifen. Und wenn aus einzelnen Themenfeldern weitere Forschungen folgen oder sich im Zug der schnellen medialen Entwicklungen neue Untersuchungsfelder ergeben, ist der Sinn dieser Publikation erfüllt: Sie soll das spannende Feld der intermedialen Beziehungen zwischen Mediengeschichte und moderner Tanzästhetik nicht nur ausbreiten, sondern zum weiteren Reflektieren und Forschen anregen. Bern, Januar 2013

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EINLEITUNG: THEORETISCHE UND METHODISCHE ÜBERLEGUNGEN

Bewegung bildet die Basis sowohl des Tanzes als auch aller audiovisueller Medien. Der Beginn des modernen Tanzes lässt sich mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts markieren. Zur gleichen Zeit etablieren sich die fotografischen und filmischen Medien. Von daher liegt es nahe, dass der moderne Tanz mit diesen bis heute verschiedene Verbindungen eingeht. Der vorliegende Band geht von der These aus, dass die Entwicklung der Bildmedien Fotografie, Film, Fernsehen, Video und der digitalen Medien einen Einfluss auf den modernen Tanz hat(te). Die Analysen sollen die verschiedenen Beziehungen und deren jeweilige spezifische Ästhetik aufzeigen und so einen interdisziplinären Beitrag im Bereich der Kulturwissenschaften leisten. Bisher wurde weder die im deutschsprachigen Raum junge Tanzwissenschaft medientheoretisch reflektiert noch der Tanz im Kontext der Medienwissenschaft behandelt. Analysiert werden paradigmatische Beispiele der Bühnen- und Filmkunst verschiedener Epochen bis zu zeitgenössischen Werken. Film und Video sind für den Tanz zur Erhaltung der Geschichte dieser flüchtigen Kunst wie für das aktuelle Tanzschaffen wichtige dokumentarische Hilfsmittel. Solche filmische Reproduktionen beinhalten eigene Probleme beim Transfer einer dreidimensionalen Bühnenkunst in ein zweidimensionales Abbildungsmedium.1

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Zu diesen Transferproblemen habe ich eine eigene Studie verfasst: vgl. C. Rosiny: Tanz im oder fürs Fernsehen?

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Im Zentrum der vorliegenden Untersuchung stehen unterschiedliche künstlerische Formen und ästhetische Praktiken, die aus der Begegnung oder Kombination von Tanz und audiovisuellen Medien resultieren. Dies können Kunstwerke sein, die einen »Medienwechsel« von einem Medium in ein anderes bedeuten, oder es können »intermediale Bezüge« oder »Medienkombinationen« 2 sein, die sowohl in der Dreidimensionalität einer Bühnensituation oder der Zweidimensionalität eines Bildschirms oder einer Leinwand im filmischen Medium realisiert werden können. Untersucht werden intermediale Phänomene, Wechselspiele zwischen Tanz und audiovisuellen Medien, die teilweise zu eigenständigen Genres wie dem Videotanz führten. Unter den methodischen Überlegungen am Anfang stand nicht nur die Frage, welche auffallenden Wechselwirkungen nachweisbar sind, sondern auch, wie diese veranschaulicht werden können. Nach den einführenden Begriffsdiskussionen im medientheoretischen sowie im tanztheoretischen Kontext und den methodischen Überlegungen sind die Analysen in auffallende ästhetische Phänomene respektive konkrete Genrefelder unterteilt. Dies bedeutet, dass die Analysen nur in groben Zügen und allenfalls innerhalb der ausgewählten Themenfelder einer historischen Chronologie folgen. Sechs Themenfelder werden eröffnet: Im Ersten werden Medieneinflüsse auf die Tanzästhetik in den Anfängen der Fotografie- und Filmkunst und deren ästhetische Auswirkungen auf die Tanzkunst in zwei Perioden untersucht und damit der historische Horizont der Untersuchung um die Wende zum 20. Jahrhundert festgelegt. In diesem Kapitel wird außerdem die Bewegungsästhetik im zeitgenössischen Tanz erforscht, um einen Bogen zum Medieneinfluss auf die heutige Tanzästhetik zu schlagen. Das zweite Themenfeld untersucht den Medieneinsatz auf der Tanzbühne. Auch hier geht es um Repräsentationen auf der Tanzbühne, bei denen Tanz und Medieneinsatz in der Choreographie zu auffallenden ästhetischen Konzepten kombiniert werden. Drei für die Etablierung dieser Medienkombination wichtige historische Phasen werden anhand von exemplarischen Stücken analysiert: Die Theater- und Tanzavantgarde der 1910er und 1920er Jahre, die Performancekunst der 1960er Jahre und zeitgenössische Werke ab den 1980er Jahren. Das dritte Themenfeld widmet sich verschiedenen Filmgenres und Fernsehformen: Thematisiert werden Filmmusical und Tanzfilm in Hollywood und Bollywood, Tanz im Musikvideo und TV. Da das klassische Hollywood-

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Zu der Dreiteilung »Intermediale Bezüge«, »Medienwechsel« und »Medienkombination« vgl. I. Rajewsky: Intermedialität, S. 15ff.

Einleitung

Filmmusical mit Protagonisten wie Fred Astaire, Busby Berkeley, Gene Kelly oder Vincente Minnelli seine Blütezeit in den 1930er bis in die 1950er Jahre hatte werden entsprechende Beispiele aus dieser Zeit untersucht. Tanz im indischen Film oder Tanz im Spielfilm ist dagegen ein Phänomen, das seit einem halben Jahrhundert in der Filmgeschichte präsent ist. Tanz im Musikvideo und einzelne Aspekte von Tanz im TV ergänzen dieses Kapitel unterschiedlicher filmischer Erscheinungsformen. Das vierte Themenfeld untersucht das Genre des Videotanzes sowie historische Vorläufer im Experimentalfilm. Hier werden frühe Werke der 1920er Jahre von Germaine Dulac und Klassiker von Maya Deren, Ed Emshwiller und Norman McLaren betrachtet, die zwischen den 1960er und 1980er Jahren entstanden. Exemplarisch für den Videotanz stehen mehrere Arbeiten von Merce Cunningham, der als Pionier dieser intermedialen Kunst gilt und entsprechende Werke ab den 1970er Jahren schuf, neben einer Auswahl an aktuelleren Werken. Die letzten beiden Analysefelder thematisieren Tanz und Film im Zeitalter der digitalen Medien und stellen Beispiele im Gebrauch solcher Technologien im Tanz vor. Auffallend hierbei ist, dass im Zuge immer stärkerer Hybridisierungen Typologisierungen schwierig sind und Gattungsgrenzen sich auflösen. Überdies findet eine Verschmelzung von künstlerischer und alltäglicher Produktion statt, die als Verschiebung des Rezipienten zum »Produser« 3 sich manifestiert. Im fünften Themenfeld zu Tanz und Neuen Technologien liegt der Akzent noch mehrheitlich auf unterschiedlichen künstlerischen Anwendungen digitaler Technologien auf einer Bühne oder als Installation. Im sechsten Kapitel werden schließlich exemplarische Tanzphänomene des Web 2.0 aufgegriffen, an denen sichtbar wird, wie eine Alltagskultur die Kunstproduktion bestimmt. Drei Zielsetzungen verfolgt die Arbeit: Erstens soll innerhalb der omnipräsenten Intermedialitätsforschung in den verschiedenen kulturwissenschaftlichen Disziplinen eine Klärung der Begrifflichkeiten für das Feld der Medien- und Tanzwissenschaften versucht werden. Zweitens sollen in einer historischen Dimension über einen Zeitraum von gut 100 Jahren mit Schwerpunkt 20. Jahrhundert die Einflüsse analoger und digitaler Medien auf die Ästhetik des Tanzes aufgezeigt werden. Drittens sollen durch die Analysen die verschiedenen intermedialen Verbindungen, Transformationsprozesse, Koppelungen, (Re-)Konfigurationen, 3

A. Bruns: Vom Prosumer zum Produser, o.S.

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Wechselbeziehungen und Konvergenzen von Tanz und audiovisuellen Medien anschaulich gemacht werden.

Medientheoretische Begriffe Auffallend in der jüngeren Medienwissenschaft ist eine breite und divergierende Diskussion der Begrifflichkeiten. Allein schon im Gebrauch der drei Termini Intermedialität, Multimedialität oder Transmedialität lässt sich kein Konsens in der aktuellen Literatur finden. Es ist deshalb kaum möglich, eine Diskussion dieser Phänomene differenziert oder vollständig wiederzugeben. Entsprechend werde ich nur auf einzelne Diskurse eingehen, um zentrale Begriffe für das Thema dieser Untersuchung, der Wechselbeziehungen von Tanz und Film, zu klären. Basis der Begriffsklärungen bilden kulturwissenschaftlich orientierte Publikationen. Medium/Medien – analog/digital

Aus dem Bedeutungsspektrum der Grundbegriffe Medium/Medien, das in den unzähligen Einführungspublikationen der jüngeren Medienwissenschaften verfolgt werden kann4 und zumeist auf kommunikationswissenschaftlichen Forschungen basiert, möchte ich diejenigen Bedeutungen herausfiltern, die für den interdisziplinären Ansatz einer medienästhetischen Analyse sinnvoll erscheinen. Ausgegangen wird von einem Sammelbegriff Medium/Medien, der vor allem die technisch apparativen Medien (Fotografie, Film, Fernsehen, Video, Computer) umfasst.5 Den ursprünglich analogen Medien Fotografie, Film, Fernsehen, Video folgen die neuen Medien, die auf digitalen Techniken basieren und nebst den Speichermöglichkeiten auch eine interaktive Konzipierung und Nutzung gestatten. Allerdings erfasst die Digitalisierung heute ebenso die sogenannten ›älteren‹ analogen Medien, die alle im ›Universalmedium‹ Computer repräsentiert und zugänglich gemacht werden können. Ob diese Synthetisierung im Computermedium ästhetische Wirkungen implizieren, die anders sind als die analoge Ursprungsform, muss in den Analysen differenzierter betrachtet werden. »Die These, alle bisherigen Medien würden im ›Universalmedium‹ irgendwie ›verschmelzen‹, ist viel zu vage«, schreiben Joachim Paech und Jens Schröter im Vorwort zum Band

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Vgl. u.a. G.C. Tholen: Medium/Medien; H. Schanze: Metzler Lexikon Medientheorie, Medienwissenschaft; R. Leschke: Einführung in die Medientheorie; K. Hickethier: Einführung in die Medienwissenschaft. Vgl. K. Hickethier ebd., S. 20.

Einleitung

»Intermedialität. analog/digital«. Denn »die Spezifik der Medien bleibt […] in den Formen ihrer jeweiligen Aisthesis bestehen […]«.6 Medienästhetik verstehe ich in dieser Untersuchung wie von Ralf Schnell formuliert als »Wahrnehmungsform der Medien«7. Auf die unterschiedlichen medialen Beziehungsfelder des Tanzes bezogen beeinflussen die verschiedenen Medien aufgrund ihrer technischen Möglichkeiten im Sinne von Walter Benjamins Grundlagenaufsatz »Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit« 8 die Wahrnehmung des gesamten Kunstwerks. Auch Marshall McLuhans viel zitierte These, das Medium sei die Botschaft, 9 unterstreicht die Bedeutung der medialen Form für die ästhetische Rezeption. Hieraus resultiert »die medientheoretische Schlussfolgerung über den unauflöslichen Zusammenhang von Aisthesis (Wahrnehmung) und Medialität […]. Wahrnehmung ist stets eine des Mediums«.10 In der Untersuchung von intermedialen Phänomenen zwischen Tanz und Medien gehe ich von einem weiten Begriff des Mediums aus, der auch die klassischen Künste umfasst, und betrachte die Kunstform Tanz entsprechend unter einem Medienbegriff, um die intermedialen Beziehungen zu beleuchten. Medialität – Medialisierung/Mediatisierung

Der Begriff der Medialität umfasst die »spezifischen medialen (ästhetischen) Eigenschaften«11 der jeweiligen Medien, teilweise auch mehrere Medien übergreifende Dispositionen. Der Begriff der Medialisierung bzw. Mediatisierung hingegen umschreibt grundsätzliche allgemeine Entwicklungen und Prozesse der von und durch Medien beeinflussten Kommunikation: Medien verändern die Wahrnehmung von Raum und Zeit. Unsere Wahrnehmung ist derart von Medien beeinflusst, dass »die Frage nach der Medialität unserer Wahrnehmungsweisen, Erkenntnisformen und Kommunikationsstile zu stellen, […] zur Prämisse mediengeschichtlicher Untersuchungen geworden [ist]«12. Benjamin thematisiert neben den Wahrnehmungserweiterungen durch das Medium Film in einem medienkritischen Sinne den Verlust an Authentizität.13 McLuhan betont die medialen Möglichkeiten als eine Erweite-

6 7 8 9 10 11 12 13

J. Paech/J. Schroeter: Intermedialität analog/digital, S. 11. R. Schnell: Medienästhetik, in: H. Schanze: Handbuch der Mediengeschichte, S. 73 und ders.: Medienästhetik. W. Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. M. McLuhan: Die magischen Kanäle. G.C. Tholen: Medium/Medien, S. 162. K. Hickethier: Einführung in die Medienwissenschaft, S. 25. G.C. Tholen: Überschneidungen, S. 17. W. Benjamin: Das Kunstwerk, S. 13.

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rung der Sinne.14 Obwohl diese bekannten medientheoretischen Positionen gegensätzlich erscheinen, müssen beide in ihrem jeweiligen historischen Kontext gesehen werden: Benjamin untersucht und vergleicht in den 1930er Jahren den Film als reproduzierende Kunst mit der Malerei, zu einer Zeit, als der Film sich gerade erst als Kunstform emanzipierte, McLuhan zielt in den 1960er Jahren auf die neuen elektronischen Möglichkeiten des Fernsehmediums, denn dieses Medium hat wiederum andere Eigenschaften als beispielsweise das Radio. Generell entstanden im Verlauf der Mediengeschichte wissenschaftliche Reflexionen typischerweise am Übergang und aus der Differenz verschiedener Medien. Helmut Schanze spricht einerseits von »basalen Typen« der Medialisierung/Mediatisierung wie »Verschriftlichung, Verbildlichung, Vertonung und andererseits von technischen Formen der M. [Medialisierung/Mediatisierung] in darstellenden Medien, wie Theatralisierung und Verfilmung«.15 Nicht erläutert wird hier der zugrunde liegende Medienbegriff. Gemeint ist einerseits eine Filmisierung des Theaters, also eine Mediatisierung einer darstellenden Kunst, und andererseits eine Theatralisierung des Films, d.h. eine Beeinflussung des Films durch ursprünglich für das Theater typische Mittel. Solche Kreuzungen von filmischen Medien und darstellenden Künsten lassen sich m.E. unter dem Terminus der »Intermedialität« zusammenfassen. Als Pendant zum Begriff der Medialität aus dem Bereich der Theaterwissenschaften bevorzugt Erika Fischer-Lichte den Begriff der »Theatralität«. Dieser ersetzt in der jüngeren Theaterwissenschaft den älteren Terminus des »Theatralischen« und verweist auf den vermittelnden Charakter, auf die spezifischen Eigenschaften des Theaters.16 Die Umschreibung »Mediatisierungen des Tanzes«17 verwende ich, um verschiedene von den Medien beeinflusste Phänomene der Tanzkunst zu umschreiben und darauf hinzuweisen, dass mediale Einflüsse auf die Tanzästhetik zurückwirken – »Mediatisierung ist nie ein unidirektionaler Prozess«.18 Allen diesen Prozessen der Technisierung, d.h. des Übergangs von direkter zu indirekter Kommunikation, gemeinsam sind Wahrnehmungsphänomene der Entzeitlichung und Enträumlichung. Dabei sind die diversen medialen Möglichkeiten heute so

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Vgl. M. McLuhan: Die magischen Kanäle, S. 11. H. Schanze: Metzler Lexikon Medientheorie, S. 199. Auch stellt sich hier die Frage, ob Theatralisierungs- und Filmisierungsprozesse nicht eher unter dem Begriff der »Intermedialität« und deren Formen diskutiert werden müssten (siehe hierzu das nächste Kapitel). K. Hickethier: Einführung in die Medienwissenschaft, S. 27. Im Programmheft des Nachdiplomstudiengangs »Tanzkultur« an der Universität Bern seit 2002. H. Schanze, ebd.

Einleitung

selbstverständlich geworden, dass bei einer Analyse der ästhetischen Formen einzelne Parameter wie Raum- und Zeitvariation oder Körperlichkeit und deren Repräsentation im Medium genau angeschaut werden müssen. Intermedialität

»Intermedialität ist ›in‹«, schrieb Joachim Paech 1998 im von Jörg Helbig herausgegebenen Band zum Thema.19 Intermedialität wird seit den wissenschaftlichen Untersuchungen der 1990er Jahre20 in den Literatur-, Medienund Kulturwissenschaften fast inflationär gebraucht, um verschiedenste Phänomene postmoderner Kreuzungen von Kunstsparten, von Beziehungen zwischen Medien und deren ästhetischen Koppelungen und Brüchen zu umschreiben. Eine Aufarbeitung der verschiedenen theoretischen Positionen kann hier nicht vollständig erfolgen. In der Betrachtung der Begriffsgeschichte fällt dennoch auf, dass sich aus dem von Julia Kristeva Michail Bachtin folgend und in den 1960er Jahren formulierten Begriffs der Intertextualität eine Linie der Literaturwissenschaften herausgebildet hat, die sich neben den Textverwandtschaften und Formen der Bezugnahme verschiedener literarischer Gattungen besonders eingehend mit der Beziehung zwischen Literatur und Film und Literaturverfilmungen beschäftigt hat. 21 Auch bei jüngeren Standardwerken wie dem von Irina Rajewsky herausgegebenen Band »Intermedialität« ist die Herkunft aus den Literaturwissenschaften offenbar und verweist einmal mehr auf die noch junge Medienwissenschaft, die erst eine eigene Terminologie etablieren muss. Dennoch lassen sich aus einzelnen der aufgeführten Bände Begriffsklärungen für das Thema der intermedialen Beziehungen zwischen Tanz und Film finden. Allgemein kann Intermedialität als »Zusammenspiel verschiedener Medien« 22 oder etwas differenzierter als konzeptionelles Miteinander von gekoppelten Medien definiert werden. Grundlegend für alle zu untersuchenden Beispiele und Genres ist dieses von Jürgen E. Müller geforderte »konzeptio-

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J. Paech: Intermedialität, S. 14. Siehe hierzu als Beispiele etwas allgemeiner und theoretischer abgefasster Untersuchungen u.a. K. Prümm: Intermedialität und Multimedialität; J. Paech: Film, Fernsehen, Video und die Künste; Y. Spielmann: Intermedialität; J.E. Müller: Intermedialität; J. Schröter: Intermedialität; J. Helbig: Intermedialität; M. Mertens: Forschungsüberblick »Intermedialität«; I. Rajewsky: Intermedialität; J. Paech/J. Schröter: Intermedialität analog/digital, der wie andere Bände in Herausgeberschaft Aufsätze versammelt und deshalb nur punktuell einen Beitrag zu einer Begriffsklärung und Theoriebildung bietet. Siehe hierzu u.a. die Publikationen von E.W.B. Hess-Lüttich: Text Transfers; J. Albersmeier: Theater, Film, Literatur in Frankreich; T. Eicher/U. Bleckmann: Intermedialität. Vom Bild zum Text; P.V. Zima: Literatur intermedial: J. Mecke/V. Roloff: Kino-/(Ro)Mania. Vgl. I. Rajewsky: Intermedialität, S. 15ff.

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nelle Miteinander« des Tanzes und des filmischen Mediums. Doch was macht dieses »konzeptionelle Miteinander« aus? Wie fügen sich die verschiedenen Ästhetiken der beteiligten Medien zusammen und wie lassen sich diese analysieren? Aus der Konfiguration der Zeichensysteme entstehe eine ›intermediale‹ Ästhetik. Immer wieder diskutiert wird in diesem Zusammenhang in der Literatur die Bedeutung des »inter«, des Dazwischen-Befindlichen. Was macht dieses aus? Ist nicht das Medium selbst schon etwas, das als Vermittelndes zwischen etwas steht? Ich plädiere hier für eine Über setzung des »inter« als Beschreibung des Wechselverhältnisses zwischen den beteiligten Medien, ohne dabei einen den einzelnen Medien immanenten vermittelnden Charakter unterschlagen zu wollen. Nutzbar scheint mir die von Rajewsky vorgeschlagene Dreiteilung in »Medienkombination«, »Medienwechsel« und »intermediale Bezüge«. 23 Allerdings sollen diese weniger der Bildung von abschließenden Kategorisierungen im intermedialen Feld von Tanz und Film dienen. Diese Termini sollen stattdessen helfen, das intermediale Verhältnis der beteiligten Partner, das filmische Medium und den Tanz, zu umschreiben. Die von Uwe Wirth vorgeschlagene »vorläufige Typologie von Intermedialitätsstufen« 24 in eine Nullstufe, eine erste, zweite und dritte Stufe der Intermedialität lässt sich teilweise mit Rajewskys Einteilung vergleichen. Während die Nullstufe durch »das Thematisieren eines Mediums in einem anderen« der Kategorie der intermedialen Bezüge von Rajewsky zuzuordnen wäre, impliziert die Stufe eins der »medialen Modulationen« unterschiedliche Formen des »Medienwechsels«. Die zweite Stufe der »Kopplung verschieden konfigurierter Zeichenverbundsysteme« kann in Rajewskys Terminologie auch als Medienkombination umschrieben werden. Die dritte Stufe der Intermedialität bei Wirth ist im Gegensatz zur »medialen Hybridbildung«25 der zweiten Stufe die »konzeptionelle Hybridbildung«. 26 Anders als zu vermuten, bezeichnet Wirth damit nicht noch eine höhere oder intensivere Stufe der Intermedialität, sondern lediglich die Übertragung eines Konzepts der medialen Konfiguration eines Zeichenverbundsystems auf ein anderes und entspricht damit vielmehr der Variante von Rajewskys intermedialen Bezugnahmen. Wirth unterscheidet bei diesen vier Stufen Intermedialität im engeren Sinne (harte Intermedialität) – »mediale Hybridisierungen der Stufe zwei« – und Intermedialität im weiteren Sinne (weiche Intermedialität) bei den Stufen eins und drei. 27 23 24 25 26 27

Vgl. I. Rajewsky: Intermedialität, S. 15ff. Vgl. U. Wirth: Intermedialität, S. 262f. U. Wirth: Intermedialität, in: A. Roesler/B. Stiegler: Grundbegriffe der Medientheorie, S. 118. Ebd. U. Wirth: Intermedialität, S. 263.

Einleitung

Vergleichbar beschreibt auch Werner Wolf unterschiedliche Intensitäten intermedialer Verhältnisse: anstelle von Medienwechsel spricht er von einer »Dominanzbildung«, von der »Quantität des intermedialen Bezugsrahmens« je nach partieller oder totaler Einbindung in ein Werk, von der »Qualität des intermedialen Bezuges«, der wiederum durch eine unterschiedliche »Intensität« schwanken kann zwischen den Polen »Kontiguität« und »Synthese«. 28 Obwohl Wolf vor allem Textgattungen als Beispiele anführt, könnten solche Begriffe auch bei Beispielen von Tanz und Medien anwendbar sein. Anfügen möchte ich im weiteren die von Rainer Leschke formulierte Unterscheidung in »primäre« und »sekundäre« Intermedialität, die er in seinem Grundlagenwerk zur Medientheorie aufführt. 29 Er verwendet diese grobe Unterteilung, um mit der primären Intermedialität ein vergleichendes Reflexionskonzept der Medienwissenschaften zu beschreiben: Wenn an historischen Schnittstellen ein neues Medium eingeführt wird, lassen sich so »die unterschiedlichen Qualitäten der gegeneinander gehaltenen Medien differentiell […] bestimmen.« 30 Demgegenüber sieht Leschke unter der sekundären Intermedialität Konzepte der Medienwissenschaft, die versuchen, Einzelontologien durch übergreifende Modelle und Abstraktionsstufen zu erweitern. 31 Seine Feststellung, dass Intermedialität immer dann auftritt, wenn neue Medien entstehen, und das Phänomen der Intermedialität deshalb so alt sei wie die Medien selbst, scheint mir wichtig, um die Allgegenwart des Begriffs zu relativieren und das allgemeine Wechselverhältnis zwischen verschiedenen Medien beim Aufkommen neuer technischer Möglichkeiten zu umschreiben. 32 Bei den zu untersuchenden Themenfeldern wird mehrheitlich Intermedialität im engeren Sinne einer primären Intermedialität, einer Medienkombination und verschiedenen Bezugnahmen in den konkreten Beispielen zu beschreiben sein. Auch weitere der behandelten Begriffe dieses Kapitels können als medientheoretische Rahmungen dienen. Zu diskutieren wird daneben die Frage eines Medienwechsels sein, wenn beispielsweise Choreographien für die Kamera aus einer Bühnensituation heraus für das filmische Medium neu entwickelt werden und damit in den Worten Uwe Wirths »zu einer Re-Konfiguration des Zeichenverbundssystems führen, wodurch sich dessen performative Verkörperungs- und Inszenierungsbedingungen

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W. Wolf: Intermedialität, S. 296. Vgl. R. Leschke: Einführung in die Medientheorie, Kapitel S. 33ff. und S. 306ff. Ebd., S. 23. Vgl. ebd., S. 28f. Vgl. R. Leschke: Mediale Formen, o.S.

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ändern.« 33 Das Eingehen auf die verschiedenen Repräsentationsmedien und deren ästhetische Auswirkungen wird bei der Analyse der Beispiele von Bedeutung sein, denn Verbindungen zwischen Tanz und Film, Video oder neuen Medien werden anders wahrgenommen, wenn sich das Miteinander auf einer dreidimensionalen Bühne abspielt oder im zweidimensionalen Bildmedium gezeigt wird. Die Problematik des Repräsentationsmediums ist m.E. in der Literatur zur Intermedialität bisher zu wenig untersucht worden bzw. stellt sich besonders deutlich in der Kombination aus Bildmedium und performativer Kunst. Intermedialität und Performativität stehen hier in einem weiteren Wechselverhältnis. Festzuhalten aus den verschiedenen Diskursen zur Intermedialität ist, dass mit dem Begriff der Intermedialität Phänomene der Kunst der Moderne eingeteilt und beschrieben werden können: in der unterschiedlich starken oder schwachen Annäherung der beteiligten Kunstformen, im Austausch von ästhetischen Merkmalen oder der Kombination und Fusion von Kunstformen in intermedialen Inszenierungen. Multimedialität

Während der Begriff der Intermedialität sich in der Folge der Herausbildung der technischen Medien Fotografie und Film etablierte, 34 fällt in vielen Texten auf, dass neben dem Begriff der Intermedialität teilweise gleichbedeutend auch Multimedialität und Hybridität und deren Adjektivierungen verwendet werden, beispielsweise von Karl Prümm in seinem kurzen frühen theoretischen Aufsatz von 1988, in dem er den Begriff der Intermedialität neben den der Multimedialität stellt. 35 Ich halte es deshalb für sinnvoll, auf einzelne der dem Begriff der Intermedialität verwandten Termini kurz einzugehen. Prümm bezeichnet Multimedialität als »Teilbereich einer umfassenden Kategorie des Intermedialen […], wenn ein ästhetisches Objekt in mehreren Medien verfügbar und rezipierbar ist«. 36 Auch spricht er davon, dass sich neben der ästhetischen Wahrnehmung ebenso die künstlerische Produktion verändert habe, und nennt einen neuen »Typus des multimedialen Autors«. 37 Eine genaue Differenzierung der beiden Begriffe unternimmt Prümm nicht. Dies ist ebenfalls für die weitere theoretische Diskussion bezeichnend: Das Wort »multimedial« scheint sich in manchen Fügungen besser zu eignen, insbesondere wenn von Medienkombinationen die Rede ist, wie beispielsweise 33 34 35 36 37

W. Wolf: Intermedialität, S. 262. Vgl. Y. Spielmann: Intermedialität, S. 31. K. Prümm: Intermedialität und Multimedialität, S. 195. Ebd., S. 199. Ebd.

Einleitung

bei Uwe Wirth, der von »multimedialen Kopplungen von Text und Bild (z.B. Emblematik), Text und Ton (z.B. Hörspiel) sowie Text, Bild und Ton (z.B. Theater, Oper, Film, aber auch hypermediale[n] Arrangements)« spricht. 38 Historisch gesehen taucht der Begriff Multimedia in der Performancekunst der 1960er Jahre auf, um den Einsatz von Medientechniken in Happening, Fluxus und Performance zu bezeichnen. Im englischen Sprachraum wurde von »intermedia« gesprochen, um in der Happening- und FluxusBewegung die Verwendung unterschiedlicher medialer Ausdrucksformen, d.h. verschiedenster künstlerischer Mittel zu beschreiben. Den Terminus »Intermedia« verdankte die Kunstszene dem Fluxus-Künstler Dick Higgins, der diesen 1966 erstmals und 1984 erneut im gleichnamigen Manifest benutzte, in dem er bemerkte: »Much of the best work being produced today seems to fall between media.« 39 Higgins versuchte, sich mit dem an Samuel Coleridge angelehnten Begriff, der 1812 den Begriff »Intermedium« verwendet hatte, um ein narratologisches Phänomen zu umschreiben, von sogenannten »mixed media« oder »multi-media«-Produktionen abzusetzen. Seiner Meinung nach verzeichneten Intermedia-Projekte eine konzeptionelle Fusion im Gegensatz zu Mixed-Media-Projekten, bei denen die verschiedenen Medien lediglich nebeneinander gestellt würden.40 In den Beispielen zur Performancekultur wird sich die Frage der Terminologie nochmals stellen. Festgehalten werden kann, dass in der Begriffsgeschichte zur Multimedialität in der Performance qualitative Unterschiede zwischen »inter« und »multi« gemacht werden. In der Mediengeschichte wird von Multimedialität heute im Kontext des Computers von einem »multimedialem Verbund auf digital-elektronischer Basis« gesprochen.41 Merkmale der Multimedialität hier sind Interaktivität, Multitasking, d.h. die gleichzeitige Ausführung verschiedener Prozesse und das Ansprechen des visuellen und auditiven Sinns. Der »Computer als programmierbare Maschine [wird] zum ›Integrator aller vorherigen Medien‹«. 42 Damit löst sich freilich noch nicht die Frage, ob und inwieweit im multimedialen Verbund des Computers intermediale Konstellationen erkannt und untersucht werden können. Festzuhalten ist zum Begriff der Multimedialität, dass dieser differenziert neben dem der Intermedialität gebraucht und nicht einfach als Synonym verwendet werden sollte. 38 39 40

41 42

U. Wirth: Intermedialität, S. 255. D. Higgins: Intermedia, S. 21. In der englischsprachigen Literatur könnten hier die Begrifflichkeiten auch in den »interart studies« untersucht werden. Vgl. hierzu z.B. E. Vos: The Eternal Network. Allerdings stehen sich auch hier unterschiedliche Positionen zu den Definitionen gegenüber. G.C. Tholen: Medium/Medien, S. 150. W. Coy: Aus der Vorgeschichte des Mediums, S. 30.

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Transmedialität

Weniger gebräuchlich als die Begriffe Intermedialität und Multimedialität erscheint bisher der Terminus der Transmedialität. Und doch liegt diese Wortbildung nahe, um wie bei Rajewsky neben Inter- und Intramedialität »medienunspezifische Wanderphänomene« zu bezeichnen. 43 Das kann das »Auftreten desselben Stoffes oder die Umsetzung einer bestimmten Ästhetik« bedeuten, »ohne dass hierbei die Annahme eines kontaktgebenden Ursprungsmediums wichtig oder möglich ist«.44 Undeutlich bleiben bei diesen Phänomenen die Mediengrenzen, die in Rajewskys Definition von Intermedialität konstituierend sind: »Mediengrenzen überschreitende Phänomene, die mindestens zwei als distinkt wahrgenommene Medien involvieren«. 45 Entsprechend konzentriert Rajewsky eine intermediale Forschungsperspektive auf diese Kategorie mit den beschriebenen drei Unterteilungen, wobei sie den Schwerpunkt bei den literaturbezogenen Beispielen auf die Unterkategorie des Medienwechsels legt.46 In meinen Analysen wird hingegen hauptsächlich die Form der Medienkombination zu untersuchen sein. Der Terminus des Medienwechsels wird allenfalls im Kontext der Beschreibung des Repräsentationsmediums zum Zuge kommen. Interessanterweise wird der Begriff Transmedialität auch von Uwe Wirth in einer jüngeren Publikation benutzt.47 In Ergänzung zu seinen erwähnten früheren theoretischen Äußerungen bemerkt er: »Paradoxerweise ist es nun die harte Intermedialität der Stufe zwei, die dem Paradigma der Transmedialität am nächsten kommt, denn mediale Aufpfropfungen können nicht nur als Produkt einer intermedialen Kopplung, sondern auch als transmedialer Prozess des Übergangs in den Blick genommen werden.« 48 Entgegengesetzt zu Rajewskys schwacher Kategorie benennt Wirth m.E. ein zentrales Problem der Intermedialitätsforschung bei der Untersuchung von kombinierten Konstellationen: Bei jeder Medienkombination werden durch die jeweilige Repräsentationsform Übergangsprozesse in Gang gesetzt. Allerdings bezieht sich Wirth in seinem Aufsatz auf die Analyse von Hypertexten. Im gleichen Band unternimmt Roberto Simanowski eine Weiterführung von Wirths These,

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I. Rajewsky: Intermedialität, S. 12. Daneben setzt sie »Intramedialität« als Gegenbegriff zum Intermedialen, um damit Verweisphänomene innerhalb eines Mediums zu beschreiben, wenn beispielsweise in einem Film ein anderer Film oder ein filmisches Genre zitiert werden. Ebd., S. 13. Ebd. Vgl. ebd., S. 18ff. Vgl. U. Wirth: Hypertextuelle Aufpropfung als Übergangsform zwischen Intermedialität und Transmedialität. Ebd., S. 33f.

Einleitung

indem er bei der Intermedialität die »Kopplung verschieden konfigurierter Zeichenverbundsysteme in Zeit und Raum« als zentral ansieht, während es »im Modell der Transmedialität um den (zeitlich und räumlich vollzogenen) Übergang verschieden konfigurierter Zeichenverbundsysteme« geht. 49 »Der Akzent liegt, das ist entscheidend, nicht auf dem Ergebnis als der vollzogenen Verbindung beider Partner, sondern auf dem Transfer, der im Moment der Rezeption stattfindet […].«50 Simanowski stellt im Weiteren Fragen zur Präsenz des Ausgangsmediums und dessen Auswirkung und Bedeutung im Endmedium anhand verschiedener ästhetischer Transferformen wie Text zu Bild bzw. bewegtem Bild oder auch Theater und Internet. Kontaktmedium ist mehrheitlich der Computer, um gleichzeitig anhand dieser Beispiele »Mapping«-Prozesse – »Dachbegriff für solche Formen des Datenwandels aus einer medialen Form (Bewegung, Statistik, Text) in eine andere mediale Form (Musik, Bilder, Performance)« 51 aufzuzeigen und diese als Merkmal moderner Kunstproduktion zu bezeichnen. Festzuhalten an Simanowskis Position ist die in früheren Diskursen vernachlässigte Perspektive des Transferprozesses, dessen Auswirkung auf das ästhetische Produkt und dessen Rezeption. Ein weiterer Aspekt wird an seinen Ausführungen offensichtlich: Die wissenschaftliche Aufarbeitung der heutigen Avantgarde im unendlichen ›Mix der Medien‹ stellt eine Herausforderung dar, ob unter dem älteren Paradigma der Intermedialität oder einem neueren der Transmedialität. Die unterschiedliche Verwendung von Begriffen wie Inter-, Multi- und Transmedialität trägt keineswegs zu einer einheitlichen Theoriebildung bei. Ich möchte hier vorerst auch keine weitere theoretische Position dazu ergänzen, sondern plädiere dafür, die vorhandenen Terminologien differenziert einzusetzen. Anhand der sechs Themenfelder der Analysen soll versucht werden, diese auf den Tanz anzuwenden. Hybridität

Alle Wortbildungen wie Hybridität und Hybridisierung sind vom Lateinischen »hybrida« (= Mischling, Bastard) abgeleitet. Sie bezeichnen in der Biologie und der Technik »die Vermischung zweier oder mehrerer deutlich verschiedener Elemente, die zusammen ein Neues ergeben«. 52 Im Kontext der Kulturwissenschaften wird der Begriff – nebst der Anwendung im Zusammenhang mit der Vermischung von Kulturen oder Geschlechts49 50 51 52

R. Simanowski: Transmedialität als Kennzeichen moderner Kunst, S. 4. Ebd., S. 5 (Hervorhebung C.R.). Ebd., S. 23. A. Nünning: Grundbegriffe der Literaturtheorie, S. 67.

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identitäten – parallel zum Intermedialitätsbegriff in Mediendiskursen und Gattungsdiskussionen beispielsweise bei hybriden Genres verwendet. Marshall McLuhan stellte bereits 1964 in »Understanding Media« im Kapitel »Energie aus Bastarden« die These auf, dass durch »Kreuzung oder Hybridisierung von Medien […] gewaltige neue Kräfte und Energien frei [werden]«. 53 Gleichzeitig erkannte er, dass in den medialen Kreuzungen die »strukturellen Komponenten und Eigenschaften zu erkennen seien«, 54 da in der Kreuzung die Funktion des alten Mediums durch das neue Medium aufgegriffen und neu definiert wird. »Hybridbildungen umfassen den Aspekt der Kopplung und der Integration«, 55 formuliert Wirth in seiner Beschreibung der Intermedialität und unternimmt damit keine definitorische Abgrenzung, sondern umschreibt mit »medialer Hybridbildung« Phänomene von Intermedialität im engeren Sinn. 56 Irmela Schneider vermeidet in der Einleitung zum Band Hybridkultur wiederum den Terminus der Intermedialität und setzt stattdessen die übergeordnete Breite des Begriffs der Hybridizität bzw. Hybridisierung ein, um möglichst viele Phänomene einer postmodernen Gesellschaft zu beschreiben und anhand von Beispielen verschiedene Ausdrucksformen der bildenden Kunst wie Installationen und Performances auf diesem Hintergrund zu beschreiben. 57 Im Zuge postmoderner Entwicklungen geht es neben der Tendenz zur Mischung um generelle Auflösungen von Grenzen, Unbestimmtheit, Fragmentarisierung, Ironie, Karnevalisierung, Performanz als Merkmale der Kunstproduktion. Anstelle linearer Prozesse treten Verbindungen und Verknüpfungen auf, die offen und parallel im Sinne von Lyotards ›Erzählungen‹ in einer Pluralität der Perspektiven und in heterogenen Komplexitäten verlaufen. Solche Prozesse – dies schlugen Gilles Deleuze und Félix Guattari schon 1976 vor 58 – müssten anstelle von dichotomen Kategorisierungen durch ein rhizomatisches Denken abgelöst werden. 59 Schneider schließt den berechtigten Einwand an, dass sich ein derart verzweigtes Geflecht kaum systematisieren lässt. Trotzdem sind m.E. postmoderne Denkweisen des Pluralismus und Begriffe wie das Rhizom geeignet – und werden in der Medientheorie bereits verwendet –, um insbesondere verflochtene digitale

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M. McLuhan: Die magischen Kanäle, S. 65. Ebd. U. Wirth: Intermedialität, in: A. Roesler/B. Stiegler: Grundbegriffe, S. 115. Ebd., S. 118. I. Schneider: Von der Vielsprachigkeit zur ›Kunst der Hybridation‹, S. 13. Tatsächlich verwendet Schneider alle Varianten der Wortbildung, ohne dass deutlich wird, wann Hybridation bzw. wann Hybridizität (als Variante zur Hybridität) angebracht wären. G. Deleuze/F. Guattari: Rhizom. Vgl. ebd., S. 43.

Einleitung

Strukturen wie beispielsweise solche von Hypertexten zu umschreiben. Hybridität bildet für die Intermedialitätsforschung den diskursiven Rahmen: »Hybridisierung [gehört] zur Signatur der gegenwärtigen Zeit. Wir leben in einer Hybridkultur.« 60 An der Breite der Begriffsdiskussion und den Überschneidungen und Parallelitäten der diskutierten Termini aus der Medientheorie zeigt sich, dass die wissenschaftliche Reflexion von kulturellen Phänomenen der Grenzüberschreitungen und Vermischungen in einer Kulturwissenschaft eigentlich einer übergreifenden Terminologie bedarf, die den interdisziplinären Bedürfnissen der verschiedenen Fachbereiche Rechnung trägt. Gleichzeitig wird die Formulierung und Deutung der vielfältig verknüpften ästhetischen Ausdrucksformen in der Sprache immer schwieriger und produziert weitere Lücken. Trotz des inflationär gebrauchten Begriffes der Intermedialität, der grundsätzlichen Problematik der Beschreibung von ästhetischer Wahrnehmung und den diskutierten verwandten Begriffen bildet der »terminus ombrello« 61 der Intermedialität und die verwandten diskutierten Begriffen im medientheoretischen Diskurs eine Basis, um in ästhetischen Analysen diese Begriffe anzuwenden. Mit einer solchen Fundierung könnten diese auch für andere kunst- und kulturwissenschaftlichen Disziplinen ausgewertet werden.

Tanztheoretische Begriffe Während in den Kultur- und Medienwissenschaften die breite Diskussion zum Medien- und Intermedialitätsbegriff zur Verwischung und einer weit gespannten Anwendung führte, in der bestenfalls erste Ansätze eines Begriffskanons festgehalten werden können, steckt die deutschsprachige Tanzwissenschaft in den Anfängen und bietet bisher wenige theoretische Ansätze. Deshalb werden in diesem Kapitel Termini wie Körper/Körperlichkeit, Körperbilder und Bewegungskonzepte, Präsenz/Repräsentation und Performanz/Performativität thematisiert, die in der Analyse der Beispiele angewendet werden sollen, aber auch allgemein einer Auslegung in der Tanzwissenschaft dienen können. Teilweise wird hier aufgrund der weiter entwickelten Tanzwissenschaft im angloamerikanischen Sprachraum auf englischsprachige Literatur zurückgegriffen.

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Ebd., S. 47. Vgl. I. Rajewsky. Sie folgt Umberto Eco, um Konzepte und Termini zu umschreiben, »die in der wissenschaftlichen Diskussion mit unterschiedlichsten Bedeutungen und Theorieentwürfen belegt« werden. S. 6.

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Körper/Körperlichkeit: Körperbilder – Bewegungskonzepte

»Körper – und dies bestätigt seine in vielen Sprachen multiple Bedeutung und Benennung – kann nur im Spektrum seiner sich wandelnden und teilweise miteinander konkurrierenden Definitionen beschrieben und interpretiert werden. Körperlichkeit ist nur über Sprache – gedachte oder geschriebene – erfahrbar und vermittelbar.« 62 Gegenstand der Tanzwissenschaft ist die Beschreibung und Erforschung von Bewegung in ihrem kulturellen Umfeld. Die ›Flüchtigkeit‹ der Kunstform wird vielfach formuliert, denn Bewegung lässt sich nur unzulänglich in Sprache transferieren. Und doch manifestiert sich – wie Maren Lorenz im obigen Zitat beschreibt – erst in der sprachlichen Umsetzung die Vermittlung des Gegenstandes. Dieser Herausforderung, der Übersetzung von ästhetischer Wahrnehmung in Schrift, muss sich freilich jede Kunstwissenschaft stellen. Trotzdem bedeutet diese für den Tanz einen äußerst komplexen Anspruch, »denn es begegnet einem ein Phänomenbereich, der – mit dem Sinnenbereich des eigenen Körpers verwoben – dem eigenen Sprachvermögen fremd ist«. 63 Zudem wird die Funktion des Körpers im postmodernen Diskurs komplexer: Der Körper ist nicht mehr wie im Zeichenkodex des klassischen Balletts Instrument, um eine Erzählung zu übermitteln, sondern der Körper selbst ist in seiner Erscheinung bereits Träger von Botschaften. Beschreibungen von Bewegungen benutzen mehrheitlich verbale und adjektivische Sprachformen, also selbst aktive Worte und Ergänzungen, die den Gegenstand zu umkreisen versuchen. Und erst in der sprachlichen Fixierung, in Texten und anderen Aufzeichnungsformen wie Notationen, Fotografie oder Film wird die Medialität des Tanzes sichtbar, und der Tanz kann genauer angeschaut werden. Tanzanalyse muss sich also meistens schon auf eine Übersetzung des flüchtigen Ereignisses verlassen. Dieser Prozess könnte bereits als medialer Transfer angesehen werden. Für die weitere Untersuchung möchte ich, ohne auch in diesem tanztheoretischen Bereich die vorhandene Literatur beispielsweise zum Körperdiskurs vollständig auszubreiten, einzelne Termini aufgreifen und mir relevant erscheinende Aspekte auslegen.64 Tanz und Choreographie lassen sich über verschiedene Parameter beschreiben. Im Zentrum der Analyse einer Aufführung stehen neben den aus 62 63 64

M. Lorenz: Leibhaftige Vergangenheit, S. 11. S. Huschka: Moderner Tanz, S. 17. Einen guten kurzen Überblick über allgemeine wissenschaftliche Diskurse, zudem bezogen auf die Tanzwissenschaft, gibt Friederike Lampert im Kapitel »Körper-Diskurs« in dies.: Tanzimprovisation.

Einleitung

der Theaterwissenschaft und deren Aufführungsanalyse bekannten Parametern wie Bühnenbild, Licht, Kostüme usw. Körper und Bewegung im Zentrum. Doch wie wird der tanzende Körper gelesen? Aufgrund der Genese der Tanzwissenschaft aus verschiedenen Disziplinen spiegelt sich in der Methodendiskussion eine Pluralität der Lesarten: »Als realer, symbolischer und imaginärer Körper oder als geschlechts-, altersspezifisch und ethnisch differenzierter Körper« 65 oder als reine Bewegungsanalysen, die nach erstmaliger Übersetzung in ein Notationssystem versprachlicht und folglich Interpretiert werden. Während im Tanz der Körper Zuschreibungen durch die im historischen und kulturellen Kontext der Aufführung vermittelten Körperbilder erhält, wird in der Medientheorie in Anlehnung an philosophische Traditionen der Phänomenologie der Begriff der Körperlichkeit eingeführt, um damit die »Summe der Eigenschaften des menschlichen Körpers […] und dessen Ausdrucksqualitäten zu benennen«.66 Auch hier werden diskursive Einschreibungen und soziale Kodierungen festgehalten, bei denen allerdings in den mediatisierten Formen noch weitere ästhetisierte Stufen berücksichtigt werden müssen. An den Körperbildern, also Auffälligkeiten und Festschreibungen, die am tanzenden Körper ablesbar erscheinen, und an den im Tanz erkennbaren Bewegungskonzepten müssten folglich auch Medieneinflüsse auf die Tanzästhetik feststellbar sein. Der Begriff des Bewegungskonzepts umschreibt ein erkennbares Bewegungsvokabular eines Tanzes, sei dies eine bestimmte Tanztechnik, ein Tanzstil oder andere Merkmale, die für die Bewegungssprache eines Werkes kennzeichnend sind. Körper und Bewegung, Körperbild und Bewegungskonzept stehen in enger Beziehung zueinander. Ein Bewegungskonzept lässt sich aus den Körperbildern ablesen, Körperbilder zusammen genommen können auf ein bestimmtes Bewegungskonzept hinweisen oder sich zu einem solchen addieren. Tanz, das lässt sich für eine tanztheoretische Reflexion festhalten, muss ›gelesen‹ und in Sprache ›übersetzt‹ werden, allen Unzulänglichkeiten dieses Transfers zum Trotz. Entsprechend bleibt es Aufgabe der Tanzwissenschaft, die Wahrnehmung des Tanzes und die Übersetzung in Sprache in einer möglichst genauen und präzisen Perspektive zu schulen und je nach Untersuchungsgegenstand unterschiedliche Methoden zu erproben. Zur Verfügung stehen einzelne theoretische Modelle, von der Konnotierung von Tanz als Zeichenträger, wie sie beispielsweise von Peter M. Boenisch in seinem

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G. Brandstetter/G. Klein: Methoden der Tanzwissenschaft, S. 11. H. Schanze: Medientheorie, S. 166.

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semiotischen Ansatz vorgestellt wird,67 bis hin zum Vorschlag der amerikanischen Tanzwissenschaftlerin Susan Leigh Foster, die eigene Körpererfahrung in den Schreibprozess einzubeziehen. Sie formulierte in ihrem »Manifesto for dead and Moving Bodies«: »I am a body writing, I am a bodily writing«, denn der Körper mit seinem gesamten kulturellen Kontext fließe in den Schreibprozess ein.68 In der Analyse der Beispiele und Genres sollen neben den zentralen Begriffen von Körper und Bewegung auch mögliche ästhetische und kulturelle Konnotationen im jeweiligen historischen Kontext berücksichtigt werden. Präsenz/Repräsentation – Performanz/Performativität

Die Begriffe Präsenz und Repräsentation sowie Performanz und Performativität prägen den Diskurs der jüngeren Theaterwissenschaft und der »performance studies« und berühren damit auch die Tanzwissenschaft. Während Präsenz an die schon von Benjamin beschriebene »Aura« und Augenblicklichkeit eines Kunstwerks anknüpft,69 mit Präsenz im Tanz der Körperausdruck im Hier und Jetzt, die Ausstrahlung in der Direktheit der sinnlichen Wahrnehmung gemeint ist, bezieht sich Repräsentation in den darstellenden Künsten auf die Vorstellung einer Rolle, von etwas Zweitem, einem ›Als-ob‹, und damit auf alle Formen der Reflexion, wie sie in der Darstellung exponiert werden können. Doch lassen sich beide Begriffe kaum in separate Kategorien zwängen, sondern sie stehen im Bühnengeschehen in stetem Dialog, Bedeutungen werden in theatralen Situationen in der kommunikativen Situation erschaffen, nicht nur durch Präsenz, sondern in einigen Formen sogar durch Absenz, durch Abwesenheit, um mit bewusst gewählten Leerstellen das Publikum mit seinem Wahrnehmungs- und Erinnerungsvermögen mit einzubeziehen.70 Damit öffne sich, wie Gerald Siegmund schreibt, der Repräsentationsrahmen eines Werkes.71 Der Schreibprozess über Tanz und damit die Historisierung können ebenfalls als verschiedene Repräsentationsformen gesehen werden: »In all forms of representations of the body – from portrait photography to historical dance reconstructions – the body in question seems to make an appearance, then it definitely disappears, and is then re-presented.«72 Dadurch, dass der Körper und seine Bedeutungen

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P.M. Boenisch: KörPERformance 1.0. Vgl. S.L. Foster: Choreographing History, S. 3ff. W. Benjamin: Das Kunstwerk, bes. Kapitel II. Vgl. G. Siegmund: Abwesenheit. Vgl. G. Siegmund: Konzept ohne Tanz?, S. 50. P. Phelan: Thirteen Ways of Looking at Choreographing Writing, S. 204 (Hervorhebung C.R).

Einleitung

nur über bildliche oder sprachliche Repräsentationen wiedergegeben werden, ist jede Interpretation fragil, zufällig und unbeständig. Tanz lädt durch diese Unzulänglichkeit beständig zur Interpretation ein. Einen anderen Repräsentationsbegriff evoziert der Körper im medialen Kontext: Wie stehen sich leibhaftige Präsenz im Theaterraum und beispielsweise eine gleichzeitige mediale Vermittlung auf Monitor oder Leinwand gegenüber? Ist die sinnliche Wahrnehmung eine andere, und wie lässt sich diese beschreiben? Rezipiert ein Publikum diese Körperlichkeiten unterschiedlich, und wenn, in welcher Weise? Hintergrund der Termini Performanz und Performativität ist in den Kulturwissenschaften die Verlagerung weg von einer Textinterpretation hin zu einer Forschungsperspektive, welche die Handlung, die Ereignis- und Prozesshaftigkeit von kulturellen Produktionen akzentuiert, um insbesondere zeitgenössische Aufführungsformen des »post-dramatischen Theaters«,73 von Performancekunst oder zeitgenössischem Tanz zu beschreiben.74 In den Kulturwissenschaften wird der Begriff der Performanz universeller verwendet, als ihn John Austin in seiner Sprechakttheorie begründet hatte. 75 Kennzeichen dieser Performativität ist u.a. eine mögliche Multimedialität der Aufführung, in der die Materialität der verwendeten Medien hervorgehoben wird, der Körper als weiteres Medium einer Inszenierung fungiert und das Wechselverhältnis zwischen Aufführenden und Publikum betont wird. Analog dem in Mode geratenen Intermedialitätsbegriff drohen auch den Begriffen Performanz und Performativität durch eine ubiquitäre Anwendung Verwässerung und Ungenauigkeit. Festzuhalten ist für viele zeitgenössische Aufführungen, dass es im offenen Prozess der Produktion wichtiger erscheint, Fragen zu stellen als ein Produkt zu zeigen. Verwendung und Kombination von Medien erweitern dabei die Repräsentationsmöglichkeiten in einem durch technische Medien bestimmten Zeitalter: »Postmoderne Performanz ist nicht mehr an der utopischen und deshalb auch naiven Vermischung von Kunst und Leben orientiert, sondern an der Re-Inszenierung und Re-Flexion medial geprägter Vorbilder und Selbstbilder des Menschen.«76

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Vgl. H.-T. Lehmann: Postdramatisches Theater. Vgl. D. Bachmann-Medick: Performative Turn; E. Fischer-Lichte: Ästhetik des Performativen; sowie alle weiteren Publikationen des Sonderforschungsbereichs »Kulturen des Performativen« der FU Berlin. Zur Herleitung und Verwendung des Performanzbegriffs vgl. U. Wirth: Performanz. G.C. Tholen: Die Zäsur der Medien, S. 200.

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Methodische Überlegungen Idee dieses Bandes ist es, über einen längeren historischen Zeitraum intermediale Beziehungen zwischen Tanz und Film aufzuspüren und deren ästhetische Verknüpfungen zu analysieren. Übergeordnet stehen die gewählten Themenfelder, die dennoch einer gewissen historischen Chronologie folgen, wenn mit den technischen Innovationen des 19. Jahrhunderts und den Anfängen der Filmgeschichte begonnen wird und die neuen digitalen Entwicklungen bis hin zum Internet und deren Auswirkungen auf die Tanzästhetik am Ende des Buches stehen. Innerhalb der Themen werden diachrone historische Schnitte gewählt, die wiederum innerhalb der Themenkapitel der Geschichte der technischen Entwicklungen folgen. Der Fokus auf bestimmte Phänomene bedeutet teilweise das Überspringen von Zeitperioden wie beispielsweise im ersten Kapitel der Analysen, wenn von der Tanzästhetik zur Zeit der Filmpioniere ein Bogen zu einer auffallenden zeitgenössischen Tanzästhetik seit den 1980er Jahren geschlagen wird. Diese bewusst gewählten Lücken könnten zu Untersuchungen anregen, nicht nur von weiteren Beispielen, sondern auch von ganzen Genres. Der Einblick in verschiedene historische Beziehungen soll anhand von auffallenden Perioden, von deren ästhetischen Kennzeichen und innerhalb dieser von bedeutenden, aber auch weniger bekannten Tanz- und Filmschaffenden sowie deren Produktionen untersucht werden. Für jedes Themenfeld wurden bewusst nur wenige, dafür aber bezeichnende Beispiele gewählt. Gattungen und Genres intermedialer Begegnungen

In gewissen Perioden der Filmgeschichte sind eigene Gattungen wie das Filmmusical oder Genres wie der Videotanz entstanden. Vereinzelt wie beim Begriff des Videotanzes, der in früheren filmischen und experimentellen Ausprägungen in den Vereinigten Staaten auch Bezeichnungen wie »ChoreoCinema«, »Cine-dance« oder »Filmdance«77 erhielt, spiegelt sich schon in der

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Ein von der Filmemacherin Amy Greenfield und der Choreographin Elaine Summers 1983 in New York durchgeführtes Festival beispielsweise stand unter dem Titel »Filmdance«. Zu diesem wurde ein kleiner Katalog unter dem gleichen Titel publiziert. In diesem sind mehrere theoretische Aufsätze versammelt, u.a. auch einer von Roger Copeland unter dem Titel »The Limitations of ›Cine-Dance‹«. Das Heft wurde mir freundlicherweise von Elaine Summers zur Verfügung gestellt, ist aber auch im Bestand der Dance Collection der New York Public Library of the Performing Arts (NYPLPA). Ein Aufsatz von Maya Deren in einer Sondernummer der Dance Perspectives zum Thema stand unter dem Titel »Cine-Dance«. Die Variante »Choreo-Cinema« wird ebenfalls u.a. im Zusammenhang mit Derens experimentellen Filmen verwendet.

Einleitung

Genrebezeichnung das intermediale Verhältnis von Tanz und Medien. Bei anderen wie dem Filmmusical oder den Musikvideos dominiert in der intermedialen Konstruktion und in der Gattungsbezeichnung das Element der Musik. Bei der Auswahl der Gattungen und Genres stand vor allem die Überlegung zentral, welche Rolle der Tanz im intermedialen Gefüge spielt – ob der Tanz eine wesentliche Bedeutung neben dem filmischen Medium einnimmt. Einzelne Gattungen – neben dem Musical oder dem Spielfilm beispielsweise auch das Musikvideo – implizieren durch die Bedeutung der Musik weitere intermediale Verknüpfungen. Gerade diese Genres könnten gewiss detaillierter untersucht werden. Hier wurden sie ausgewählt, um intermediale Beziehungen zum Tanz und somit die Bandbreite der Intermedialität des Tanzes zu veranschaulichen. Bewegung, Zeit und Raum als Parameter

Die Untersuchung von Bühnenwerken oder Filmbeispielen stellt, wie bereits in den theoretischen Überlegungen dargelegt, eine komplexe Herausforderung dar. Entsprechend ist es nicht die Absicht, auch nur einem einzigen Beispiel vollständig gerecht werden zu wollen. Die Analysen sollen im Sinne von Susan Sontags Aufsatz »Against Interpretation« keine Interpretationen sein, sondern ein Basisinstrumentarium für Lesarten intermedialer Beziehungsfelder bieten, um die eigenen Sinne zu schärfen: »What is important now is to recover our senses. We must learn to see more, to hear more, to feel more.«78 Denn eine Ästhetik der Wahrnehmung sollte auch ästhetischen Genuss bedeuten: »In place of hermeneutics we need an erotics of art.«79 Entsprechend folge ich eher einem intuitiv sinnstiftenden phänomenologischen als einem auslegenden hermeneutischen Ansatz, wohl wissend, dass jede Analyse unzulänglich bleibt und von den Wahrnehmungen der Analysierenden geprägt ist. Unterschiedlich ist jeweils die Materiallage: Während bei Filmwerken auf das Primärmedium zugegriffen werden kann (sofern dieses noch erhalten ist), gibt es von Bühnenaufführungen im besten Falle eine filmische Aufzeichnung. Im besonderen Falle eines gemeinsamen Auftretens von Bühnenaktion und filmischer Projektion ist die filmische Aufzeichnung oft unbefriedigend, da beide Ebenen oft nicht gleichzeitig im Bild wiedergegeben werden. Und die direkte Bühnenerfahrung wird in der Dokumentation nun filmisch rezipiert. Falls keine Aufzeichnung vorhanden ist, stehen für solche Werke

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S. Sontag: Against Interpretation, S. 14. Ebd.

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eine unterschiedliche Zahl weiterer Sekundärmedien zur Verfügung: Fotografien, Programme, Rezensionen, Berichte und Dokumente der Autorinnen und Autoren usw. Ähnlich wie in der Gesamtanlage des Bandes wurde nicht versucht, zum jeweiligen Gebiet die Materiallage vollständig zu erfassen, sondern für das Thema sinnvolle Ausschnitte zu finden. Damit die Analysen trotz dieser Umstände einer vergleichbaren Perspektive folgen, dienen die Parameter Bewegung, Zeit und Raum als Leitlinien der Analyse. Bewegung, Zeit und Raum sind grundlegende Konstanten sowohl des Tanzes als auch der filmischen Medien. 80 An diesen werden daher sich überschneidende ästhetische Phänomene in verschiedenen intermedialen Konfigurationen aufgezeigt. Bewegung

Bewegung beschreibt auf der Ebene des Tanzes, wie in den tanztheoretischen Überlegungen dargelegt, das Bewegungsvokabular, den persönlichen Stil innerhalb eines Genres und die Kombination der Bewegungen, die Syntax der Choreographie. Unter den Aspekten von Körper- und Bewegungskonzepten lässt sich der Tanz in Beziehung zum kulturellen Rahmen der jeweiligen Zeit setzen. Susan Foster nennt in ihrem Werk »Reading Dancing« fünf breit angelegte Kategorien, auf die ich mich beziehe und die es m.E. erlauben, die wichtigsten Aspekte einer Choreographie zu erfassen: »(1) the frame – the way the dance sets itself apart as a unique event; (2) the mode of representation – the way the dance refers to the world; (3) the style – the way the dance achieves an individual identity in the world and in its genre; (4) the vocabulary – the basic units or ›moves‹ from which the dance is made; and (5) the syntax – the rules governing the selection and combination of moves.« 81 Mit der ersten Kategorie des »frame« spricht Foster grundlegende Bedingungen, ›Rahmungen‹ einer Aufführung an: Programm, Titel, Aufführungsort, Anfang und Ende eines Stückes bis hin zum Fokus der Tanzenden und der räumlichen Adressierung des Publikums geben Hinweise auf die Lesart eines Stückes. Die weiteren Kategorien beziehen sich auf Bewegung und Choreographie: ihre kulturellen Bezüge (2), den individuellen Stil innerhalb eines Genres und

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In meiner Untersuchung zum Videotanz hatte ich Tanz, Kamera, Raum, Zeit und Musik als ästhetische Perspektiven festgelegt, um auffallende Konzepte in einem Panorama der Kunstform herauszuarbeiten. Vgl. C. Rosiny: Videotanz, S. 24. S.L. Foster: Reading Dancing, S. 59. Foster bezeichnet diese Kategorien als »rough draft«, als grobes Konzept für einen Blick auf den westlichen Bühnentanz, den sie in ihrem Buch an den amerikanischen Choreographinnen und Choreographen Deborah Hay, George Balanchine, Martha Graham und Merce Cunningham exemplifiziert. Mir scheinen diese Grundaspekte dennoch übertragbar, da von mir eine ähnlich breite Auswahl an Beispielen des modernen westlichen Bühnentanzes untersucht wird.

Einleitung

einer Kultur (3), das Bewegungsvokabular (4) und die Syntax, also die Zusammenfügung der Bewegungselemente in der Choreographie (5). Bewegungsaspekte des Tanzes in den beschriebenen Spezifizierungen werden durch intermediale, dem filmischen Medium eigene Bewegungsaspekte ergänzt, verstärkt oder konterkariert. Neben den Bewegungen des Tanzes vor der Kamera können dies Kamerabewegungen durch Schwenks, Fahrten oder optische Zooms sein. Die filmische Montage als zeitliche Strukturgebung kann sich auf die gezeigte, d.h. aufgenommene Bewegung auswirken. Eine vierte Bewegungsebene der filmischen Medien ist sozusagen ein grundlegendes Paradox: Film besteht bekanntlich aus Einzelbildern. Erst die Trägheit des menschlichen Auges, erst unsere Wahrnehmung synthetisiert die Bilder, die Posen zu einem Bewegungsfluss. Körper- und Kamerabewegung können sich gegenseitig dynamisieren, indem die Kamera sich gegen die Körperrichtung bewegt, oder zu einem optischen Stillstand führen, wenn die Kamera einen sich bewegenden Körper mittig im Bild hält. Es wird sich an den Beispielen zeigen, dass aus der Verzahnung der Bewegungsaspekte, aus dem Spiel von Bild und Bewegung, von Tanz und Film unterschiedliche und interessante ästhetische Wirkungen resultieren und insbesondere im Bewegungsaspekt ein wichtiger intermedialer Faktor zu erkennen ist. Folgende Faktoren der Bewegung auf beiden Ebenen können unterschieden werden: 1. Bedingungen der Bewegung/des Werkes 2. Bewegungsvokabular, Bewegungsstil und Syntax in der Choreographie 3. Beziehungen der Bewegung zum kulturellen Umfeld 4. Bewegungen der Kamera 5. Durch die Montage induzierte Bewegung und deren Verknüpfungen Zeit

Der Faktor Zeit bezeichnet neben dem Raum eine fundamentale messbare Größe unseres Seins. Gleichzeitig ist die Wahrnehmung von Zeit individuell geprägt und wird stark von der Dichte und der erlebten Art von Ereignissen beeinflusst. Zeit ist Indikator der Prozesshaftigkeit von Tanz und Bewegung. Im Tanz lässt sich die zeitliche Strukturierung einer Choreographie durch Tempo und Rhythmus umschreiben, Wiederholungen oder auch Innehalten als Moment der Verweigerung indizieren Zeit. Die gleichen Aspekte können auch der Spezifizierung des Schnitts im Film dienen, wenn vom Tempo und Rhythmus der Bilder bzw. der Montage gesprochen wird. Der

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Zeitfaktor im Film kann sich auf die Länge der Einstellungen und das Gesamtgefüge der Montage beziehen, aber auch auf die Verlangsamung und Beschleunigung durch technische Manipulationen wie Zeitlupe und Zeitraffer, Stopptrick oder Rückwärtslaufen des Films. Solche Zeitmanipulationen haben wiederum einen wesentlichen Einfluss auf die Wahrnehmung der Kinästhetik von Bewegung. Der Gesamteindruck wird wie beim Parameter der Bewegung also durch das Tempo der gefilmten respektive durch die manipulierte Bewegung beeinflusst. Außerdem kann die Tonebene noch einen weiteren ergänzenden oder kontrastierenden Zeitfaktor bilden. Während im Bühnentanz eine Chronologie der Zeit erlebbar ist – allenfalls zeitliche Sprünge durch narrative Erklärungen wie beispielsweise einen Szenenwechsel hergestellt werden können –, zählen Rückblenden, parallele Zeitstränge durch die filmische Montage, Auslassungs- und Kontraststrategien zu den spezifischen Merkmalen des Filmmediums. Mit solchen zeitlichen und gleichzeitig oft auch räumlichen Erweiterungen lässt sich die Faszination der Verwendung von filmischen Projektionen auf der Tanzbühne erklären. Folgende Faktoren der Zeit auf beiden Ebenen können unterschieden werden: 1. Tempo und Rhythmus von Bewegung und Choreographie 2. Tempo und Rhythmus der filmischen Montage 3. Zeitspezifische Verfremdungen von Bewegung oder Filmfluss 4. Zeitstruktur der Choreographie 5. Zeitstruktur des Films Raum

Der Raum als weitere Grundgröße kann im Tanz zur Beschreibung der räumlichen Ausdehnung von Körperbewegung dienen – raumgreifend oder eher am Ort verweilend. Der reale Raum ist dreidimensional, Film bildet zweidimensional ab. Ein dreidimensionaler filmischer Effekt kann jedoch durch eine bewusste Tiefenwirkung im Bildaufbau erzielt werden. Grundsätzlich sind wir heute filmisches Sehen derart gewöhnt, dass wir in unserer Wahrnehmung sozusagen in das Bild ›eintauchen‹ und ein räumliches Erleben adaptieren. Jeder dargestellte Raum steht in einer Beziehung zur realen und kulturellen Wirklichkeit. Die Freiheit des Films und Hauptkennzeichen des Mediums ist neben der flexibleren zeitlichen Komposition die Möglichkeit, jeden nur erdenklichen Raum unserer Wirklichkeit, theatrale oder fiktionale Räume darzustellen oder künstliche Räume – insbesondere auch durch digitale Verfahren – zu konstruieren und diese in allen möglichen Kombinationen

Einleitung

in der Montage zu einem neuen Raum-Zeit-Kontinuum zusammenzusetzen. Die Verschiebung des noch bei Gilles Deleuze konstatierten Zeitmediums Film zu einem filmischen Raummedium im digitalen Zeitalter beschreibt Yvonne Spielmann: »Im strukturellen Medienvergleich statischer, bewegter und gerechneter Bilder wird deutlich, wie sich der Charakter der Auseinandersetzung mit Gestaltungsfragen, Wahrnehmungsformen und pikturalen Traditionen im Film auf der Raum-Zeit-Achse verschoben hat, und zwar, unterstützt durch die Möglichkeiten der elektronischen Montage, vom Zeitfaktor (dem Prinzip der Sukzession und linearen Montage) zum Raumfaktor (der Konstruktion des filmischen Simultanraumes mittels Schichtung, Inferierung).« 82 Folgende Faktoren des Raumes auf beiden Ebenen können unterschieden werden: 1. Räumliche Nutzung und Ausdehnung von Bewegung und Choreographie 2. Dargestellter theatraler Raum und dessen Referenzen 3. Filmischer Umgang mit Raum (Tiefenwirkung) 4. Dargestellte(r) filmische(r) Raum/Räume und dessen/deren Referenzen 5. Gesamtkonstruktion der filmischen Räume (Montage)

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Y. Spielmann: Digitalisierung: Zeitbild und Raumbild, S. 505.

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ANALYSEN: SECHS THEMENFELDER DER INTERMEDIALITÄT IM TANZ Themenfeld 1: Medieneinflüsse auf die Tanzästhetik Die gewählten Beispiele in diesem Themenfeld sind im ersten historischen Teil sowohl Bühnenchoreographien als auch Filme von Choreographien. Hier interessiert primär, ob und inwiefern eine mediale Formsprache an den Körperbildern erkennbar ist – also der Blick auf die Bewegungsästhetik des Tanzes. In Ergänzung dazu soll analysiert werden, ob mit filmischen Mitteln der Bewegungsästhetik etwas hinzugefügt wurde. Die Hypothese zur Analyse lautet: Die aufkommenden Bildmedien Fotografie und Film zeigen schon in ihren Anfangsjahren eine Auswirkung auf die Ästhetik des Tanzes, insbesondere des modernen Tanzes der damaligen Zeit.

Technische Innovationen Loïe Fullers Tanzästhetik

Loïe Fuller (1862-1928), geboren als Marie Louise Fuller in Fullersburg, Illinois, wurde zu ihrer Zeit noch nicht als Erneuerin des modernen Tanzes gewürdigt. Ihre Auftritte auf den amerikanischen Vaudeville-Bühnen wurden zunächst als technisch ambitionierte und erfindungsreiche Unterhaltung wahrgenommen. Ihre Bedeutung für die Initiation des modernen Tanzes in den Vereinigten Staaten und den spätere Bühnenentwicklungen vorwegnehmenden Gebrauch technischer Innovationen für Licht- und Raumwirkungen und eine das Filmmedium antizipierende Ästhetik wurde erst in den letzten zwei Jahrzehnten in verschiedenen wissenschaftlichen Publikationen anerkannt und unter unterschiedlichen Akzentsetzungen vor allem in der ameri-

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Tanz Film

kanischen Tanz- und Filmwissenschaft ausgiebig beleuchtet.1 Diese wertvollen Detailanalysen sollen hier nicht wiedergegeben werden. Ich möchte aber Loïe Fullers Bedeutung im Kontext einer vom Film beeinflussten Ästhetik im Tanz kurz umreißen. Denn ihre technischen Erfindungen, die sie im Zusammenhang mit ihren aus dem für die Vaudeville-Bühne typischen »Skirt Dance« als »Serpentine Dances« weiter entwickelte, veranschaulichen die Faszination von wissenschaftlich-technischen und ästhetischen Innovationen, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aufkamen: die Elektrizität mit der Erfindung der Kohlenfaden-Glühlampe 1879, die auf Thomas A. Edison zurückgeht und in der Folge die erste elektrische Theaterbeleuchtung im Londoner »Savoy« 1881 ermöglichte. Erst damit wurde es üblich, den Zuschauerraum zu verdunkeln. 2 Fotografische und filmische Wirkungen durch Camera obscura, Stereoskop, Diorama und Möglichkeiten der Projektion mittels der Laterna magica, die im Zuge der industriellen Revolution zu »Massenmedien« avanciert waren, wurden nicht nur auf Jahrmärkten dargeboten oder zu Hause genossen, sondern auch als Bühneneffekte eingesetzt. 3 Die auf Glasplatten gemalten Bilder der Laterna Magica wurden alsbald durch Fotografien ersetzt oder sogar, in mehreren Phasenbildern überblendet, als Bild- und Bewegungsabläufe in Varieté-Shows gezeigt. Georges Méliès war einer der ersten Filmpioniere, die diese Effekte für ihre Filmproduktionen nutzten. Loïe Fuller kam als 16-Jährige mit ihrer Mutter von Illinois nach New York und war ab 1878 bis in die 1880er Jahre in unzähligen leichten Theaterund Musicalproduktionen engagiert, bei denen sie die damaligen Unterhaltungseffekte kennenlernte.4 Fuller wirkte beispielsweise als Hauptdarstellerin 1887 in Aladdin’s Wonderful Lamp mit. Die 14 Tänze in diesem orientalischen Märchen nahmen nicht nur Themen ihrer eigenen Salome-Inszenierungen von 1895 und 1907 vorweg, sondern die leuchtenden Höhlen und Grotten erschienen und verschwanden, projiziert auf Gazevorhänge, mittels von Zauberlaternen-Effekten.5 Obwohl Fuller selbst diese frühen Einflüsse der Vaudeville-Bühne auf ihre Tänze in ihrer Biografie eher verschwieg, um ihre spätere künstlerische Entwicklung zu akzentuieren, sind die grundlegenden 1

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Beispielsweise in G. Brandstetter/B.M. Ochaim: Loïe Fuller; oder in der französischen und amerikanischen Literatur: G. Lista: Loïe Fuller; R. Nelson Current/M. Ewing Current: Loïe Fuller; R.K. Garelick: Electric Salome; A. Cooper Albright: Traces of Light; T. Gunning: Loïe Fuller and the Art of Motion. Vgl. G. Brandstetter/B.M. Ochaim: Loïe Fuller, S. 114. Einen sehr guten Überblick über diese optischen Geräte bietet der Katalog zur Sammlung Nekes: B. v. Dewitz/W. Nekes: Ich sehe was, was du nicht siehst! Eine nahezu vollständige Übersicht ihrer Bühnenauftritte versammelt G.L. Lista: Loïe Fuller, im Appendix. Vgl. R.K. Garelick: Electric Salome, S. 25f. Garelick wie auch Current/Current widmen Fullers früher Tanzkarriere ausführliche Kapitel.

Themenfeld 1: Medieneinflüsse auf die Tanzästhetik

tanzästhetischen und technischen Ansätze in diesen frühen Werken bereits zu finden. Als entscheidenden Wendepunkt nennt Fuller selbst ihr Engagement 1891 in Quack, M.D., ein Stück, in dem sie eine hypnotisierte Witwe verkörperte. Für ihr Kleid wählte sie wie in früheren Werken einen leichten Seidenstoff, allerdings in größeren Stoffbahnen. Es waren die Bewegungen in der Hypnose-Szene, die mit der Stofffülle zu den typischen Drehbewegungen ihrer späteren Serpentinentänze führten: »My robe was so long, that I was continually stepping on it, and, mechanically I held it aloft, all the while I continued to flit around the stage like a winged spirit. There was a sudden exclamation from the house: ›It’s a butterfly! A butterfly!‹.«6 Nach diesem Erfolg trat sie im Winter 1891/92 weitere Male in anderen Stücken mit ihren »Serpentine Dances« auf, in denen sie zudem mit wechselnden Lichteffekten auf den Stoffen experimentierte. 1892 zog sie nach Paris, in der Hoffnung, dort stärker als ›echte‹ Künstlerin anerkannt zu werden: »I wanted to go to a city where, as I was told, educated people would like my dancing and would accord it a place in the realm of art.«7 In Europa verfeinerte sie das Zusammenspiel von Bewegung, Kostüm, Licht- und Raumwirkungen, wobei sie – wie bei ihren Erfahrungen mit Quack – durchaus auch auf die Wirkung beim Publikum reagierte und in Improvisationen neue Kombinationen ausprobierte. Bekannt ist, dass Fuller bereits bei ihrer Ankunft in Paris feststellen musste, dass ihre Tanzweise von anderen unter dem Namen Serpentinen- oder Schmetterlingstänze dargeboten wurde. Deshalb ließ sie in den Jahren 1893 bis 1895 drei ihrer Bühnenerfindungen patentieren: »Garment for Dancers«, »Mechanism for the Production of Stage Effects« und »Theatrical Stage Mechanism«. Das erste Patent war im Prinzip die erste Version ihres Kostüms für den Serpentinentanz, das zweite die Konstruktion ihrer berühmten Unterlichtkonstruktion, bei der sie auf einer von unten beleuchteten Glasplatte tanzte, das dritte ein Spiegelraum, um mit einem Illusionseffekt mehrere Tänzer auf der Bühne vorzutäuschen. Ann Cooper Albright beschreibt diese Patente und rekonstruierte die ersten beiden, um selbst das Erlebnis des Führens der großen Stoffbahnen und der Beleuchtungseffekte zu erleben. Ihre Erkenntnis daraus war, dass eine solche durch Technik gestaltete Umgebung weder sie selbst noch das Publikum zu einem distanzierten Körpererlebnis führte, sondern zu einem veränderten und neuen taktilen und kinästhetischen Bewusstsein anregte. 8 Durch diese licht- und raumtechnischen Effekte erweiterte Fuller die ästhetische und

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L. Fuller: Fifteen Years, S. 31. Ebd., S. 19. A. Cooper Albright: Traces of Light, S. 190f.

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körperliche Wahrnehmung. Solche Licht- und Raumkonfigurationen spiegeln das neue Raumverständnis an der Wende zum 20. Jahrhundert: Multiperspektivität und eine Vielfalt an Standpunkten, wie sie auch in Literatur und Malerei erprobt wurden. 9 Bekannt und anerkannt in der europäischen Theaterwelt wurden ihre neuen ästhetischen Konzepte für die Theaterbühne erst zur Jahrhundertwende durch Theaterreformer wie Adolphe Appia und Edward Gordon Craig, obschon sich diese nicht direkt auf Fuller beziehen.10 Rezipiert und verehrt wurde Fuller hingegen von bildenden Künstlern wie Auguste Rodin oder Henri Toulouse-Lautrec sowie insbesondere von den Symbolisten um den Schriftsteller Stéphane Mallarmé. Es war der Aspekt der Bewegung in der von Fuller verwendeten abstrakten Form, der auch den Art nouveau der Zeit inspirierte. Die Weltausstellung im Jahr 1900, an der Fuller einen eigenen Pavillon hatte, verstärkte ihre Bedeutung im Umfeld der Moderne. Loïe Fuller wird verständlicherweise vielfach als Vorläuferin für die Verwendung von Film auf einer Tanzbühne gesehen. In der Ästhetik ihres Tanzes ist dies allerdings weniger erkennbar als die Synthese von Bewegung, Lichtprojektion und Raumwirkung. Ihr Verdienst ist es, abstrakte Bewegungen und visuelle Wirkungen als erste auf die Tanzbühne gebracht zu haben, auch wenn gleichzeitig der Vorwurf aufkam, dass hinter diesen Effekten kaum eine Tanztechnik steckte – die Stoffbahnen und Lichtprojektionen brachten den Körper vielmehr zum Verschwinden. Es gibt dennoch eine direkte Linie zum Filmschaffen: Loïe Fuller wandte sich im Alter von 57 Jahren nach dem Ersten Weltkrieg noch dem Filmmedium zu. Le Lys de la vie (1920) basiert auf einer gleichnamigen Bühnenchoreographie von 1919 nach einem Märchen der Königin Marie von Rumänien. Fullers Gruppenstücke der 1910er und 1920er Jahre, die sie mit ihren Schülerinnen kreierte, zeigten mehrfach Märchenmotive, in denen sie mit Schatteneffekten spielte. Für Le Lys de la vie entwickelte sie mit ihrer Partnerin Gabrielle Bloch, die sich auch Gab Sorère nannte, ein Storyboard, in dem sie bewusst kinematografische Möglichkeiten entwarf. Entsprechend ihrer grundsätzlichen Abneigung, ihre Bühnenwerke abzufilmen, interessierte sie die Herausforderung, die Besonderheiten des Filmmediums zu entdecken und eine ästhetische Filmsprache zu entwickeln. Cooper Albright beschreibt den Film ausführlich, von dem nur eine Kopie der ersten Hälfte in der Cinémathèque de la Danse in Paris angeschaut werden 9 10

Vgl. ebd., S. 79. Brandstetter und Ochaim erwähnen einen direkten Einfluss von Fuller auf eine ElektraInszenierung von Max Reinhardt. Die Darstellung des Erdgeistes »nach dem System Fuller« wurde allerdings von der Kritik eher negativ bewertet. G. Brandstetter/B.M. Ochaim: Loïe Fuller, S. 117.

Themenfeld 1: Medieneinflüsse auf die Tanzästhetik

kann, und ergänzt die fehlenden Informationen mithilfe von Programmunterlagen und Filmstills.11 Interessant für die Zusammenstellung dieses Bandes der verschiedenen Begegnungen von Tanz und Medien ist, dass Fullers Transfer eines Bühnenstückes in eine filmische Sprache wenig rezipiert wurde, aber einige Effekte vorausnimmt, die in späteren Filmwerken der Avantgarde verwendet werden. Neben differenzierten Licht- und Schatteneffekten fügte Fuller auch Negativbilder ein: »The eerie effects of these negatives, where bodies seem to glow with light, create a cinematic moonscape across which the dancers romp like jubilant glowworms.«12 Und ein Kritiker der Zeit hielt fest, dass Fuller einen filmspezifischen Gebrauch des Lichts gefunden hatte: »Moving lights can create ghosts, sprites, and fairies, which have neither substance nor weight.«13 Im zweiten Filmteil setzte sie auch Zeitlupe ein. Die Tanz- und Filmkritik der damaligen Zeit berichtete enthusiastisch über das Werk. Es waren poetische Qualitäten, welche die formale über die inhaltliche Wichtigkeit stellten, und in diesem Sinne setzte Le Lys de la vie Maßstäbe für das wenig später aufblühende Genre des Experimentalfilms. Allerdings war der Film seiner Zeit voraus und fand zu wenig Publikum, um die Kosten zu decken, so dass Gabrielle Bloch noch nach dem Tod von Loïe Fuller 1928 mit der Tanzcompagnie Loïe Fuller versuchte, das Defizit auszugleichen. René Clair, späterer Vertreter des »Cinéma pur«, spielte in Fullers Film die männliche Hauptrolle. Ihr Bühnentrick der Unterbeleuchtung einer drehenden Tanzbewegung auf einer Glasplatte taucht in seinem Film Entr’acte von 1924 sogar mehrmals als Motiv auf.14 Und der Gebrauch von Negativbildern findet sich in den Experimentalfilmen der folgenden Jahre von Fernand Léger, Man Ray und anderen wieder. Die von Fuller entwickelte raumbetonte Tanzästhetik, die bewusst Farben und Projektionen einbezog, greift Alwin Nikolais in seinen Choreographien zum Ende der 1950er Jahre in einer artikulierten Referenz zu Loïe Fuller auf.15 Giovanni Lista zieht als Kunsthistoriker weitere Verbindungslinien von Fuller zu zeitgenössischen Licht- und Videokünstlern wie James Turrell oder Bruce Nauman und zum Bildertheater eines Bob Wilson. Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Feststellung, dass Fuller mit ihren Werken einen essenziellen Beitrag zum Beginn der Moderne und einen wichtigen Grundimpuls zu intermedialen Beziehungen von Tanz und Film leistete.16

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Vgl. A. Cooper Albright: Traces of Light, S. 196ff. Ebd., S. 198. Gustave Fréjaville, zit. in ebd. Siehe Analyse von Entr’acte im Themenfeld 2. Siehe das Kapitel zu Alwin Nikolais im Themenfeld 2. G. Lista: Loïe Fuller, S. 34.

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Exkurs: Excelsior, ein Ballett als Spiegel der industriellen Revolution

Die vielfältigen technischen Erfindungen und eine Euphorie der industriellen Revolution zum ausgehenden 19. Jahrhundert sind an einem einzigartigen italienischen Ballettwerk aus dem Jahre 1881 ablesbar: Luigi Manzotti (1835-1905) schuf mit Excelsior – ein Ballett in zwei Akten nach der Musik von Romualdo Marenco für die Mailänder Scala ein ›Ballett-Spektakel‹, das dem damaligen Zeitgeist folgend ein Loblied auf die Moderne und den Fortschritt von Wissenschaft und Technik singt.17 Das Werk, das bereits im ersten Jahr ab dem 11. Januar 1881 bis zum Oktober über 100 Aufführungen in Mailand erlebte und bis zum Ersten Weltkrieg im Repertoire der Scala blieb, wurde anschließend an vielen Theatern in Europa und den USA produziert. In Wien war Excelsior von 1885 bis 1887 fast zwei Jahre lang ununterbrochen auf dem Spielplan, und in Amerika wurde die Großproduktion zum ersten Mal am 21. August 1883 in Niblo’s Garden Theatre in New York aufgeführt.18 In der New Yorker Adressierung des Publikums wurden die »greatest themes of modern times«19 angekündigt, die einen Abriss der wissenschaftlichen, technischen wie auch geistigen Erfindungen darstellen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Excelsior, von wenigen Ausnahmen abgesehen, erst 1967 wieder aufgenommen und aufgrund des großen Erfolges der Neuinszenierung von Ugo Dell’Ara wieder auf den wichtigsten italienischen Bühnen gezeigt. 20 Horst Koegler bestätigt in einer Rezension einer Aufführung der Mailänder Scala in der Saison 1974/75 den überwältigenden Eindruck des Mammutwerkes: »I can assure you that it was a unique experience. Never before in my long life as a professional ballet-goer have I seen anything like it!« 21 Interessant für die Beziehungen zum Tanz im Kontext der Mediengeschichte ist der Inhalt des Werkes – die Thematisierung einer Auswahl der technischen Erfindungen der damaligen Zeit. Angekündigt als »Azione coreografica, storica, allegorica, fantastica in due parti e undici quadri«, handeln die elf Szenen der zwei Akte vom Kampf zwischen den symbolischen Figuren

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Den Hinweis zu Excelsior und den Bezug zum Thema verdanke ich Prof. Dr. Claudia Jeschke. Das Programmheft dieser New Yorker Aufführung ist in der NYPLPA einsehbar und diente mir als Informationsquelle. Ebd. Die Fassung, die meiner Untersuchung zugrunde liegt, ist eine Aufführung von 1978 in einer Aufzeichnung des italienischen Fernsehens RAI, die sich im Archiv der NYPLPA in New York befindet. Seit 2003 ist eine ebenfalls 120 Minuten lange DVD des Balletts der Mailänder Scala als Kaufmedium erhältlich. Die verschiedenen Fassungen und Wiederaufnahmen des Werkes beschreibt F. Pappacena im Vorwort zu dies.: Excelsior, S. 201. H. Koegler: Historic Excelsior Revived, S. 36.

Themenfeld 1: Medieneinflüsse auf die Tanzästhetik

des Lichts und des Schattens, der in der Apotheose der Zivilisation endet, wenn im Palast der Zivilisation die großen Nationen der Welt mit ihren Nationalflaggen aufmarschieren. In einer Mischung aus Ballettvokabular beim weiblichen »Licht« und einer eher mimischen Bewegungsdarstellung des männlichen »Schattens« startet eine Reise zu Orten und historischen Ereignissen, von der Inquisition in Spanien zum Palast der Genies, in dem Wissenschaft, Industrie, Erfindung, Kunst, Landwirtschaft und Kommerz der Zivilisation dienen. Weitere Stationen sind ein Dorf an der Weser in der Nähe von Bremen, wo ein Dampfschiff auftaucht, die Skyline von New York mit der Brooklyn Bridge, die damals gerade im Bau war und 1883 eröffnet wurde, eine Szene in der Wüste, die Filmstill aus Excelsior, Regie: Luca Comerio (1913) den Bau des Suezkanals darstellt, der 1869 für die Schifffahrt freigegeben worden war, oder der Eisenbahntunnelbau in den Alpen am Mont Cenis, der erste der damaligen Zeit, der 1871 eingeweiht wurde. Vor gemalten Bühnenprospekten und unter Einbezug lebendiger Kamele bei der Uraufführung bestehen viele Szenen aus marschierenden und paradierenden Gruppenchoreographien. Für diese aufwendigen Aufzüge waren über 400 Darstellende engagiert. Diese Formationen nahmen die Revue-Ästhetik der Tiller Girls oder der Tänze in den Folies Bergère vorweg, die ab den 1890er Jahren bis in die 1920er Jahre zur Blüte gelangten, und wiederum eine Fortsetzung im Genre des Musicals und Filmmusicals fanden. Dieses Ballett widerspiegelt wie kaum ein anderes Ballettwerk ein Stück Zeitgeschichte: den Aufbruch der damaligen Zeit in den sogenannten Gründerjahren in Deutschland ab 1870 und den generellen Imperialismus aller Großmächte, allerdings ohne irgendeinen kritischen Aspekt in dieser Verherrlichung der industriellen Revolution zu berühren. 1913 wurde von Luca Comerio, einem italienischen Filmpionier der in den 1910er Jahren in Italien prosperierenden Filmkultur, eine Verfilmung des Balletts produziert. Die Originallänge des Films belief sich auf die für die damalige Zeit bereits typischen 2000 Meter, was einer Laufzeit von zwei Stunden und der Länge des Originalballetts entsprach. Erhalten sind nur 14 Minuten, in denen die ersten beiden Szenen des Balletts gezeigt wer-

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den. 22 Comerio wollte die Charakteristiken und die Botschaft des Optimismus des Balletts in eine filmische Sprache umsetzen. Auffallend und innovativ für die Zeit ist, dass das Ballett nicht im Theater sondern an Außenschauplätzen aufgenommen wurde: u.a. wurden vor den Toren Mailands ganze Filmsets aufgebaut. 23 Die Bilder waren teilweise – beispielsweise zur Stimmung der Nacht – in Blau oder auch in Rot beim Kampf und Fall des Schattens eingefärbt. Die beschriebenen Massenszenen wurden in ihrer Ornamentik so wiedergegeben, dass die Bilder die Opulenz in den Musicalaufnahmen eines Busby Berkeley vorwegzunehmen scheinen. Und die Außenaufnahmen in dieser Filmversion ähneln den Massenchoreographien in D. W. Griffith’s Intolerance, indem diese von einer leicht erhöhten Perspektive gezeigt werden. Es ist nachgewiesen, dass Griffith Kenntnis von einem berühmten Film des gleichen Jahres in Italien, Cabiria von Giovanni Pastroni, hatte, an dem sich wahrscheinlich auch Comerio zuvor orientiert hatte. 24 Pastroni hatte für seine Aufnahmen einen Dolly erfunden, eine fahrbare Plattform, mit der die Kamera sanfter bewegt werden konnte. Der originale Film, wie Maria Amata Calò anhand von Kritiken der Zeit rekonstruiert, folgte dem Libretto der Bühnenchoreographie. 25 Aber anstelle der gemalten Bühnenprospekte filmte Comerio Szenen wie die Suez-Wüste oder den Mont Cenis an den realen Orten, auch wenn Calò vermutet, dass diese Szenen Comerio nicht speziell für Excelsior gefilmt hatte. 26 Der Film wurde 1914 an verschiedenen Orten in Italien, von einem Orchester und Dirigenten begleitet, gezeigt, spielte aber trotz sehr guter Publikums- und Presseresonanz bei Weitem nicht die hohen Produktionskosten ein. Der Stellenwert dieses Balletts, insbesondere des Films für die Entwicklung der Begegnung von Tanz und Film, scheint mir trotz der Tatsache, dass der Film nur als Teil erhalten ist, bemerkenswert. Es überzeugte das damalige Publikum, dass ein Film ein solches Ballettwerk wiedergeben kann. Der Kritiker des »Corriere della Sera« schrieb: »The public seemed almost to gradually forget that it was watching a cinema work and, won over by the perfect synchronism of an orchestra […] with the action, fell into the illusion of really sitting before an army of dancers, mimes, acrobats, extras, alive and real […].« 27 Aus der heutigen Sicht beeindruckt weniger dieser scheinbare gleichwertige Ersatz für das Bühnenwerk, sondern es beeindrucken vielmehr die film22 23 24 25 26 27

Eine Kopie dieses von der Fondazione Scuola Nazionale di Cinema und der Cineteca Nazionale 1991 restaurierten Films kann in der Dance Collection der NYPLPA visioniert werden. Vgl. M.A. Calò: The Excelsior Film, S. 331. Siehe die folgende Analyse zu Intolerance. Vgl. M.A. Calò: The Excelsior Film, bes. S. 331ff. Ebd., S. 332. Zit. in: ebd., S. 334.

Themenfeld 1: Medieneinflüsse auf die Tanzästhetik

technischen Innovationen der Massenaufnahmen und Außenschauplätze, der Transfer der Bühnenperspektive in den realen Außenraum mit Mut zu Farbstimmungen, die im Theater anders ausgesehen hätten. Obwohl die Kamera in die Höhe bewegt wurde, verharrt sie – den technischen Möglichkeiten der Zeit entsprechend – im gleichen Blickwinkel von der Seite eines imaginären Zuschauerraums in mehrheitlich totalen Einstellungen. Eine größere räumliche Auflösung durch stärkere Einstellungsänderungen und Montage finden sich erst in späteren Werken beispielsweise von D.W. Griffith oder Maurice Tourneur.

Film- und Tanzpioniere der Jahrhundertwende Eine nackte Frau dreht sich und schreitet Treppenstufen hinauf. In einer anderen Bilderserie geht diese treppabwärts oder führt in einer weiteren Serie eine Drehbewegung aus, in der sie ihren Rock hält. Solche einfachsten Körperbewegungen fing Eadward Muybridge zwischen 1877 und 1885 in seinen Reihenfotografien ein, die 1887 unter dem Titel »Animal Locomotion« publiziert wurden und mit den Versuchen von Étienne-Jules Marey als erste Beispiele der Chronofotografie gelten. Bekannt ist der britische Fotograf, der seine Karriere in San Francisco machte, durch seine Bilderserie eines galoppierenden Pferdes, die bewies, dass sich in einem Moment des Bewegungsablaufs tatsächlich alle vier Hufe in der Luft befinden. Um solche Bewegungen sichtbar zu machen, erfand Muybridge das »Zoopraxiskop« (ähnlich dem Zoetrop jener Zeit), in dem eine rotierende zylindrische Konstruktion mit schmalen Längsschlitzen den Eindruck von Bewegung übermittelte. Sein Gerät war eine der Inspirationen für Thomas Edisons Erfindung des Kinematoskops – des ersten kommerziellen Filmprojektionssystems. Alle diese frühen fotografischen und filmischen Experimente entstanden aus dem gleichen Wunsch: Bewegung sichtbar zu machen. Und jegliche Filmrezeption seit diesen frühen Forschungen basiert auf dem gleichen Prinzip: In der Verzögerung der visuellen Wahrnehmung verbinden sich in der menschlichen Wahrnehmung die einzelnen statischen Bilder zu einem Bewegungsfluss. Und mit diesen Wahrnehmungsphänomenen, der Trägheit des menschlichen Auges, kann gespielt werden, wenn beispielsweise durch längere Lücken zwischen den Bildern ein stroboskopischer Bewegungseffekt hervorgerufen wird. Die ersten kinematografischen Experimente hatten eine starke Beziehung zum Tanz – Tanz war ein beliebtes Sujet der Stummfilmzeit. Allerdings ist bisher wenig darüber reflektiert worden, wie die Ästhetik des Tanzes, der Bewegung aussah. Diesen Aspekt möchte ich in den folgenden Abschnit-

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ten besonders betrachten. An ausgewählten Filmbeispielen von Thomas Edison, Georges Méliès, D.W. Griffith und Maurice Tourneur soll veranschaulicht werden, wie die Tanzbewegungen aussahen und welchen Einfluss technische Errungenschaften auf die Wahrnehmung des sich bewegenden Körpers hatten. Thomas Edison und andere: Dokumentation des Alltags

Edisons frühe Filme waren überwiegend einfache Dokumente des täglichen Lebens. Nachdem Thomas Edison (1847–1931) 1888 Eadward Muybridge begegnet war und dessen Zoopraxiskop erlebt hatte, erfand er einen Kinetographen (ein kinematographisches Aufnahmegerät) und ein Kinetoskop (ein kinematographisches Betrachtungsgerät), bei dem jeweils nur ein Zuschauer den Film durch ein Guckloch anschauen konnte. Gemeinsam mit seinem Assistenten William Dickson pantentierte Edison diese Erfindungen bereits 1891. 28 Bühnenwerke, die er in diesen frühen Jahren filmte, waren einfache Aufzeichnungen, in denen der Film als Medium zur Erhaltung anderer Kunstformen fungierte. Die Filme dauerten weniger als eine Minute und wurden von einer statischen Kamera in einer einzigen Einstellung aufgenommen. Die Kamera bewegte sich nicht, denn diese Apparate waren noch nicht für Eigenbewegungen wie Schwenks und Fahrten konstruiert. Auch eine Filmmontage in der Postproduktion war noch nicht möglich. Es war die menschliche Bewegung, die Bewegung des Körpers als Motiv vor der Kamera, welche die wesentliche Attraktion des neuen Mediums war – endlich konnten Bewegungsabläufe noch realistischer wiedergegeben werden als mit früheren optischen Erfindungen. Auffallend ist, dass Edison – wie alle Filmpioniere – Tänzerinnen vor seiner Linse bevorzugte. Dieses Geschlechterverhältnis der Frau als ›Objekt‹ zeigt sich im Film Animated Picture Studio (1903), produziert von der amerikanischen Firma Mutoscope und Biograph29 : In diesem sehen

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Im Glossar des Ausstellungsbuches zur Sammlung Werner Nekes werden diese optischen Medien alle kurz beschrieben. B. v. Dewitz/W. Nekes: Ich sehe was, S. 430-452, zu Edison S. 438. William Kennedy Dickson hatte Edisons Firma 1895 verlassen und gründete American Mutoscope and Biograph Company mit anderen Partnern. Ab 1909 hiess die Firma Biograph. 1903 zog die Firma aus dem Dachstock am Broadway an die East 14th Street in Manhattan. Es war das erste Innen-Filmstudio und das erste, in dem ausschließlich mit künstlichem Licht gearbeitet wurde. Biograph zog 1913 ein weiteres Mal in ein hochmodernes Studio an der 175th Street in der Bronx um, als Spielfilme produziert wurden. Siehe Wikipedia-Eintrag http://en.wikipedia.org/wiki/American_Mutoscope_and_Biograph vom 11.11.2012. Als D.W. Griffith 1908 zur Biograph stieß, startete die Firma einen weiteren Betrieb in Hollywood. Biograph produzierte zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine ganze Reihe von Tanzfilmen.

Themenfeld 1: Medieneinflüsse auf die Tanzästhetik

wir ein weibliches Modell für den Regisseur tanzen. 30 Die Frau toleriert dessen wiederholte Annäherungen und Umarmungen. Die Szene wird ihr nach der Entwicklung des Films kurz darauf in Form einer Filmprojektion innerhalb eines Bilderrahmens vorgeführt. Als sie sich in dieser kompromittierenden Situation mit dem Kameramann sieht, schiebt sie das Bild aus ihrem Sichtfeld. Doch der Film läuft in einer neuen Projektion auf dem Boden weiter. Obwohl an der Oberfläche das Geschlechterverhältnis der damaligen Zeit offenkundig wird, entsteht durch die Mise-en-abyme-Situation, diese in der Projektion gespiegelte Wiederholung, ein reflektorischer Moment Animated Picture Studio ist ein frühes Beispiel eines selbstreferenziellen Films: »The seemingly magical afFilmstill aus Animated Picture Studio, terlife of the dance is clearly Produktion: Mutoscope und Biograph (1903) generated by the technical apparatus itself.« 31 Das Filmmedium zeigt damit schon früh in der technischen Transformation und intermedialen Verdoppelung ein visionäres Potenzial. Die erste kommerzielle Filmvorführung in den Vereinigten Staaten enthielt zwei Tanzszenen. Die Aufführung am 23. April 1896 in der Koster und Bial’s Music Hall, einem Vaudeville-Theater in New York City, beschreibt Jerome Delamater: »Two girls did a parasol dance in which their dresses were hand-tinted pink and blue, and Annabelle the Dancer performed one of her dances […].« 32 Schon zuvor hatte Edison in seinem Filmstudio in New Jersey, das er »Black Maria« nannte, Annabelle Whitford Moore mit einem Serpentinentanz aufgezeichnet. »The serpentine, then very much in vogue, was ideal material for the primitive movie camera. Because it focused on the manipulation of fabric rather than on elaborate footwork, it could be effectively recorded by a stationary camera trained onto a confined space.« 33 Die Version 30

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In Quellen der Videokompilation The Early Days of Cinema & the Beginning of Modern Dance wird Isadora Duncan als Tänzerin und Loïe Fuller als Autorin genannt. Dies scheint mir jedoch schon vom Bewegungsstil der Tänzerin unwahrscheinlich. Weitere Belege hierfür konnte ich nicht finden. Auch Giovanni Lista, der die vollständigste Werk- und Filmliste zu Loïe Fuller liefert, belegt diese Autorschaft nicht. Vgl. G. Lista: Loïe Fuller, Appendix. K. Köhler: Between the Old and the New Art of Movement, S. 196. J. Delamater: Dance in Film Before 1930, S. 11. J. Pritchard: Movement on the Silent Screen, S. 26.

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Annabelle (1897) zeigt eine junge Frau, die ihren fülligen Rock um sich herum wirbelt. Die Farbe ihres Kostüms wechselt dabei alle paar Sekunden. 34 Es war wie erwähnt Loïe Fuller, die aus dem »Skirt Dance« 1891 den »Serpentine Dance« entwickelte, jedoch in kürzester Zeit unzählige Trittbrettfahrerinnen in den Vereinigten Staaten und in Europa hatte, und aus ihrer Erfindung Kapital zu schlagen versuchten. Zwischen anderen Kreationen zeigte Fuller 1896 in der Koster & Bial’s Music Hall einen »Firedance«: »This second dance was called ›Fire‹ and in this most striking effects were produced … She stood on a plate of glass set in the stage and all the light shone up through the stage and down from above … and when the white and yellow and red and blue lights shone and changed on them [the dancer and the scarf] their likeness to waving and flickering flames was often most striking.« 35 Diese Schlüsselszene ihres Schleiertanzes beschreibt deutlich, welche Auswirkung die technischen Apparaturen auf das BeweFilmstill aus Annabelle – Serpentine Dance, gungsbild hatten: Das farProduktion: Edison Company/William Heise (1895) bige Licht, das von unten durch die Glasscheibe ihr Kostüm überflutete, erzeugte eine beschleunigende Wirkung des Tanzes – technische Effekte steigerten die Wirkung der reinen Bewegung. Obwohl viele frühe Filmdokumente von Fullers Imitatorinnen erhalten sind, die Serpentinentänze, Skirt, Flag oder Butterfly Dances zeigen, existiert nur ein kurzer, schlecht erhaltener Filmschnipsel von ihr selbst, bei dem zudem nicht sicher ist, ob er ihr wirklich zugeordnet werden kann. Dieser zweiminütige Film unter dem Titel Firedance der Pathé Frères hatte seine Premiere im Jahre 1905. 36 Fuller tanzt draußen: Zu Beginn fliegt eine Fleder34

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Dieses von Edison gefilmte Dokument befindet sich in verschiedenen Filmkollektionen und kann beispielsweise in der NYPLPA angeschaut werden. Ähnliche Versionen finden sich auch im Internet. Zit. in: G. Brandstetter/B.M. Ochaim: Loïe Fuller, S. 30. Das Zitat folgt der Robinson Locke Collection, in der unveröffentliche Dokumente von Fuller und Zeitgenossen versammelt sind und die sich in der NYPLPA befindet. Die Internet Movie Data Base (IMDB) nennt als Veröffentlichungsdatum den 30. September 1905, http://www.imdb.com/title/tt0345583/ vom 11.11.2012. Lista erwähnt diesen Film

Themenfeld 1: Medieneinflüsse auf die Tanzästhetik

maus durch die Luft, die in einer Überblendung zur Tänzerin mutiert. 37 Vielleicht verweigerten sich die Pionierinnen des modernen Tanzes wie Fuller, Ruth St. Denis oder Isadora Duncan solchen Filmaufnahmen, die der Unterhaltung der Massen dienten, um sich von der Masse der Unterhaltungskünstlerinnen abzusetzen.38 Wie Fuller startete auch Ruth St. Denis (mit gebürtigem Namen Ruth Dennis) ihre Karriere in den 1890er Jahren in den Vaudeville-Shows in New York City mit »skirt dancing«, denn anders als in Europa gab und gibt es in den USA keine staatlich finanzierten Theaterbetriebe. Trotzdem waren ihre Tänze in ihrem subjektiven, naturalistischen und emotionalen Ausdruck und in der sorgfältigen ästhetischen Ausführung anders als diejenigen ihrer Imitatorinnen: Die Unterhaltungskünstlerinnen adressierten ihr Publikum direkter und spielten mit den Reizen des Genres der »Skirt Dances«, den Cancan-Beinbewegungen oder einem Heben des Rocks. Die Werke der Tanzpionierinnen hätten ihrer Ansicht nach wahrscheinlich die »Aura« im Filmdokument verloren, wie Walter Benjamin die Problematik der technischen Reproduzierbarkeit später ausdrückte. Festzuhalten bleibt, dass der Ursprung des amerikanischen modernen Tanzes aus dem gleichen Umfeld der Unterhaltung erwuchs, in dem Tanzeinlagen, aber auch Filmvorführungen Teil eines Nummernprogramms der Varietés und Music-Halls waren.39 Da die Tänzerinnen und Darstellerinnen der Tanzakte die Bühne mit den ersten Filmdemonstrationen teilten, war es für die Filmpioniere naheliegend, diese Vorführungen zu filmen. Die Tänzerinnen wurden gebeten, ihre Aufführungen in einem Filmstudio durchzuführen, damit dort der Vorteil des Tageslichts und der Ausrüstung genutzt werden konnte. In einem Film mit dem Titel Dancing Chinamen, marionettes (1898) 40 filmte Edison zwei Marionetten im identischen Kostüm, die wiederholt in dieselbe Spagat-Position springen. Filme wie dieser thematisierten die wachsenden Chinatowns und damit fremde Kulturen. Ein anderes burleskes Motiv der Zeit findet sich im Film Bowery Waltz (1897), in dem ein erschöpftes Paar gezeigt wird, das in einer späten Nachtstimmung mehr schauspielert als tanzt

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wie alle anderen Autoren als eine Aufnahme ihrer Imitatorinnen. Vgl. G. Lista: Loïe Fuller, Appendix. John Mueller produzierte 2003 eine umfangreiche Kompilation, die eine an der State University of Ohio produzierte Rekonstruktion des Firedance enthält und Archivmaterial zu Loïe Fuller umfasst, das die drei genannten Dokumente ihrer Epigoninnen zeigt. Diese DVD befindet sich in der NYPLPA. Von Isadora Duncan existiert ebenfalls nur ein winziger flüchtiger filmischer Eindruck am Ende eines Auftritts auf einer Gartenparty in England. E. Kendall: Where She Danced, S. 4. Das Originalmaterial ist Teil der Serie 2 von historischen Tanzfilmen Variety Dancing, die sich in der NYPLPA befindet.

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und an die Tanzmarathons erinnert, die in den 1920er Jahren in Mode kamen.41 Angesichts der begrenzten technischen Möglichkeiten dieser ersten Filme ist es verständlich, dass die verführerischen Kostüme der »Skirt Dances«, die voluminösen Stoffbahnen der Serpentinentänze und das handkolorierte Zelluloid die Attraktion der Filmvorführungen steigern sollten. Thomas Edison filmte wie seine französischen Kontrahenten, die Brüder Auguste und Louis Lumière, unzählige andere Aktualitäten. Trotzdem verdeutlichen die wenigen genannten Beispiele der damaligen Zeit, dass jegliche Bewegungsart gefilmt wurde, die attraktiv war: Akrobatik, Burleske oder Tanzinnovationen wie die Serpentinentänze. Auch die Wegbereiter des deutschen Films, die Brüder Max und Emil Skladanowsky, zeigten bereits 1895 einen »Sizilianischen Bauerntanz«, den sie mittels eines Bioscops, ihrer Projektor-Erfindung, im Berliner Varieté »Wintergarten« vorführten. 42 Auch gab es im gleichen Jahr einen »Serpentinentanz« mit einer Mademoiselle Ancion. 43 Einfache Ballettbewegungen auf Spitze wurden genauso gerne gefilmt wie jeder exotische Tanz oder populäre Gesellschaftstänze wie der Cakewalk, Cancan oder Charleston – Tanzformen, welche die damaligen gesellschaftlichen und globalen Entwicklungen von Kolonisation und Vermischungen der Kulturen widerspiegeln. Man könnte annehmen, dass diese einfachen, repetitiven Tänze ohne eine bestimmte Intention der Aufführenden gefilmt wurden. Doch insbesondere in allen Bühnentanzformen wird der Fokus der Bewegung – mit einem Lächeln im Gesicht – direkt zum Kameramann gerichtet, und jede Bewegung weg wird sofort wieder nach vorne refokussiert. Diese Tänze, viele von ihnen Soli, sehen wie private Vorführungen für die Kamera aus, die letztlich auch den Filmzuschauer als Teil dieser Performance im imaginierten Raum einschließen. Und diese Konstellation von Kamera(-mann) und Tänzerin als Objekt der Aufnahme impliziert in diesen frühen Filmaufnahmen bereits einen männlichen Blick der Begierde. 44 Edison produzierte nicht nur Aktuelles, Werbung, Comicfilme und Dokumente von Aufführungen. Um die Wende zum 20. Jahrhundert, als die Aktualitäten an Popularität einbüßten und Edison und seine Konkurrenten

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Teil der Serie 1 der historischen Tanzfilme Variety Dancing. Eine Biografie und eine Liste mit mehr als 300 Edison-Filmen wird erwähnt unter: http://lcweb2.loc.gov/ammem/edhtml/ edmvhm.html vom 11.11.2012. Die Webseite führt außerdem eine Bibliografie zu Edison auf und einzelne der Filme können angeschaut und sogar vom amerikanischen Archiv der Library of Congress Archive heruntergeladen werden. K. Karkosch: Film und Tanz, S. 8. Mit einer ersten Filmvorführung am 1. November 1895 am Ende eines Varieté-Programms datiert eine deutsche erste öffentliche Filmvorführung sogar vor der ›offiziellen‹ Geburtstunde des Kinos der Gebrüder Lumière vom 28.12.1895. Die IMDB listet die Filmografie von Max Skladanowsky auf. Vgl. S. Manning: The Female Dancer and the Male Gaze.

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längere und erzählende Filme erprobten, engagierte er Edwin S. Porter als Regisseur. Einer von dessen bekanntesten Filmen, in dem erstmals Nahaufnahmen und eine Parallelmontage eingesetzt wurden, um die Spannung zu steigern, war der 21-minütige Film The Great Train Robbery (1903). Uncle Tom’s Cabin (1903) mit einer ähnlichen Länge beinhaltete einzelne Tanzszenen, darunter eine mit einem Diener, der einen Cakewalk ausführt. Ergänzt mit Zwischentiteln und begleitet von Live-Musik oder anderen Musikquellen wie dem Grammofon, waren diese Filme wegweisende Beispiele für die hohe Zeit des frühen Films. Und das Muster der einfachen Tanzeinlagen mit Tänzen aller Art in einem narrativen Kontext bleibt typisch für den Tanzfilm bis heute. Georges Méliès’ imaginative Visionen

Die Ursprünge des neuen filmischen Mediums gehen bekanntlich auf eine Vielzahl von technischen Erfindungen zurück. »[They] emerged from the flux of optical toys and devices to become ›machines of everyday life‹.«45 Die ersten Demonstrationen dieser technischen Erfindungen kamen gleichzeitig in den Metropolen New York, London, Berlin und Paris auf. Aber die Geburtsstunde des Kinos wird heute mit der ersten kommerziellen öffentlichen Vorführung eines 20-minütigen Programms von Auguste und Louis Lumière gleichgesetzt, die am 28. Dezember 1895 im Indischen Salon im Keller des Grand Café am Boulevard des Capucines in Paris stattfand. Nun konnte anstelle von nur einer Person, die durch ein kleines Guckloch schaute, ein größeres Publikum gemeinsam kurze Filme auf einer großen Leinwand schauen. Georges Méliès (1861-1938), ein Magier und seit 1888 Besitzer des Theaters Robert Houdin in Paris, war wie die Gebrüder Skladanowsky unter den geladenen Gästen. Er erkannte das »magische« Potenzial des Kinos und versuchte bei den Brüdern Lumière einen Kinematographen zu erstehen. Da diese Méliès keinen verkaufen wollten, erstand er in London einen Projektor samt einigen von Edisons Filmen und zeigte diese in seinem Theater. Er hatte bereits auf der Bühne mit Spiegeln, Projektionsillusionen und anderen magischen Effekten experimentiert. Mit diesem Hintergrund und seinem eigenen Ende 1896 patentierten »Kinétographen« richtete er alsbald ein eigenes Filmstudio ein.46 Seine ersten Filme waren wie die von Edison reine Dokumente verschiedenster Ereignisse – darunter Außenaufnahmen in den Straßen von Paris. Wenig später inszenierte er Aktionen auf einer Bühne in seinem Studio

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I. Christie: Toys, Instruments, S. 15. Elizabeth Ezra führt viele Details seiner Biografie auf und korrigiert Mythen über seine Rolle in der Filmgeschichte. Vgl. dies.: Méliès.

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außerhalb von Paris. Dort hatte er den Vorteil von gutem Tageslicht, denn er hatte im Dach große Oberlichter eingebaut. Die Internet Movie Data Base (IMDB) führt unter Méliès‘ Namen mehr als 500 zwischen 1896 und 1913 produzierte Titel auf, darunter einen Serpentine Dance (1896) und andere Titel mit Tanzbezug.47 Alle Filme, die in seinem Studio – in der Größe ein exakter Nachbau seines Theaters Houdin – gedreht wurden, reproduzieren eine Bühnensituation. Mit der Kamera an der Seite der vierten Wand wird die Aktion in einer einfachen totalen Perspektive aufgenommen, ohne dass die Kamera bewegt wird oder die Einstellung sich verändert. Die Einrichtung war theatral, komplett mit Kulissen und Requisiten versehen, auf deren Basis Méliès durch den Gebrauch von Stopptricks, dem Experimentieren mit Überblendungen und Mehrfachbelichtungen ein fiktionales Universum schuf. The Ballet Master‘s Dream (1903) ist ein solches frühes Beispiel seiner Animationstechnik – Stop-Motion –, eingebettet in eine kurze Erzählung. 48 Dieses Muster liegt fast allen seinen Filmen zugrunde. Méliès selbst spielt den Ballettmeister, dem es offensichtlich beim Zubettgehen an choreographischen Ideen mangelt. In seinen Träumen hat er eine Inspiration, und mithilfe einer Projektion erscheinen zwei Tänzerinnen auf der Rückwand. Die beiden springen auf sein Bett und setzen ihre Tanzschritte in der Mitte des Raumes fort. In einer nächsten Überblendung taucht eine weitere Tänzerin auf, während die beiden ersten verschwinden. Der Hintergrund wird zu einem märchenhaften Bild, so dass der Ballettmeister in seinem Bett liegend wie von Zauberhand in einer neuen Szenerie erscheint. Die Tänzerin führt choreographische Elemente aus: Drehungen und akrobatische Bewegungen wie ein Rad schlagen oder einen Flickflack. Der Ballettmeister bewegt dazu im Schlaf seine Arme. Beim Erwachen versucht er die schöne Tänzerin zu umarmen. Diese verwandelt sich jedoch in einer Überblendung in ein einfaches Hausmädchen, mit dem er einen kurzen Kampf führt. Nach einer letzten Überblendung ist die Frau verschwunden, und der Ballettmeister schlägt frustriert auf sein Kopfkissen ein. Im gleichen Jahr realisierte Méliès mit The Magic Lantern (1903) einen Film, der verschiedene Tanzszenen enthält.49 In diesem führt er sein Spiel mit Mehrfachbelichtungen und Film-im-Film-Projektionen fort. 50 Der Film wird 47 48 49

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Zur Beschreibung dieser Filme und einer kompletten Filmografie siehe IMDB. Der Film befindet sich in der NYPLPA. Einige von Méliès’ Kurzfilmen finden sich in verschiedenen Internetquellen. Eine solche für The Magic Lantern oder The Infernal Cakewalk, in dem ebenfalls einige Tänzerinnen vorkommen, ist eine Méliès gewidmete Website: http://www.numbertwentythree.com/ silentera/melies/melies_video.html vom 11.11.2012. Der Einsatz von Filmprojektionen in einer (gefilmten) Bühnensituation führte, wie Pritchard

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wie von Zauberhand aus einer großen Laterna magica als Projektor-Ersatz auf eine runde Oberfläche projiziert und beginnt mit einem Paar, das sich küsst – in einer halbnahen Einstellung vielleicht eine Reminiszenz an einen bekannten Film der Edison Company, Kiss, aus dem Jahre 1896. Später erscheint aus Überblendungen nacheinander das Bild von zwei Clownfiguren, die schon vorher auf der Bühne agierten. Irritiert vom Anblick ihrer Spiegelbilder, öffnen Pierrot und Punch die Laterne, aus der sechs Tänzerinnen steigen. Eine weitere Tänzerin (Zizi Papillon) betritt die Bühne und führt Cancan-Beinbewegungen und andere akrobatische Einlagen aus. Die Szene erinnert an die Tanzbewegungen und -szenen im Moulin Rouge, dem Nachtklub, der 1889 in Paris Filmstill aus The Magic Lantern, Regie: Georges Méliès (1903) eröffnet wurde. Die Laterna magica, die von einem der Clowns geschlossen worden war, öffnet sich wieder, und aus ihr ergießt sich mit zwei mal fünf Ballerinen sozusagen aus dem Schoß der Laterne ein ganzes Corps de ballet, das einen einfachen Tanz ausführt. Zizi Papillon tritt als Solistin zwischen ihnen auf, die beiden Clown-Figuren umwerben sie und streiten sich um ihre Gunst. Richard Abel analysiert diesen Film zu Recht mit Bezug auf die amerikanische feministische Filmwissenschaftlerin Linda Williams als symbolische Situation für die bereits erwähnte typische GenderKonstellation zur Zeit des frühen Films: Am Ende des Films umtanzen die Ballerinen in einem Kreis eine phallusartige weitere Clown-Figur, die wie das Spielzeug Schachtelteufel (engl. Jack-in-the-box) in der offenen Laterne stehend sich auf und ab bewegt! 51 Die tanzenden, identisch aussehenden Frauen sind hier wiederum Objekte der Inszenierung, ein Muster, das sich in der Geschichte des Tanzfilms im Revue- oder Musicalfilm fortsetzen wird. Andererseits widerspiegelt Méliès’ Werk das reflektorische Potenzial des

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erwähnt, dazu, dass »by 1905 cinematic effects were being incorporated in féeries and ballets at the Châtelet and the Folies-Bergère«. J. Pritchard: Movement on the Silent Screen, S. 30. Laternae Magicae waren als Bühneneffekte bereits bekannt: Glasplatten mit Hebeln ließen projizierte Bilder in Bewegung erscheinen. Vgl. R. Abel: The Ciné Goes to Town, bes. das Kapitel »The Cinema of Attractions 1896–1904«, S. 59–101, hier S. 67.

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Films, wenn weitere optische bzw. filmische Medien wie Projektion und Laterna magica verwendet werden. Méliès adaptiert und variiert diese medialen Möglichkeiten in vielen Filmen. Auch Variationen seiner Formel Zauberer plus Tänzerin hatte er bereits in The Conjurer (1899) und The Dancing Midget (1902) erprobt. 52 In The Conjurer hilft Méliès als Zauberkünstler einer Tänzerin im Tutu, von einem Tisch zu springen. Auf dem Boden führt sie ein paar Ballettschritte aus, bevor sie sich auf einen Stuhl setzt. Méliès wirft ein Tuch über sie und stellt ein großes Rohr auf den Tisch. Mittels seines bekannten Stopptricks verschwinden Frau und Stuhl, und die Tänzerin erscheint dafür wieder unter der Röhre. Er hilft ihr vom Tisch herunter und hebt sie diesmal quer über seine Arme. Im nächsten Moment ist sie verschwunden, und stattdessen fliegt nur noch Konfetti durch die Luft. Méliès spielt mit weiteren Blenden, indem er selbst zur Tänzerin mutiert. Die Illusion kreiert er stets, indem der Film in der Kamera angehalten wird. Eine Filmstill aus The Conjurer, Regie: Georges Méliès (1899) zusätzliche visuelle Überraschung ist in The Dancing Midget zu sehen, wenn Méliès mit der Größe der Abbildungen spielt. Ähnlich klassischen Zaubertricks zaubert der Magier ein Ei aus einem Hut. Ein zweites Ei, doppelt so groß, enthüllt eine winzige Ballerina. Sie tanzt auf dem Tisch, wird bewundert von den Männern, die ihre Bewegungen plump imitieren. Plötzlich wächst sie zu Lebensgröße, und der Zauberer hilft ihr vom Tisch herunter. 20.000 Leagues (1907) ist ein Film, in dem Méliès einen stärkeren narrativen Ansatz nutzt. Er beginnt mit einer Unterwasserszene, im Grunde einem Diorama, das aus Bildern von Fischen und einem gemalten Unterseeboot zusammengesetzt ist. Mehrere Gruppentänze folgen, die aus einem einfachen klassischen Tanzvokabular bestehen und von mehreren Tänzerinnen in weißen Kleidern ausgeführt werden. Die Szene wechselt wiederum zur vorherigen bläulichen Unterwasserszene. Méliès’ Imagination entwickelte sich im

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Diese Filme sind Teil der komplettesten Kollektion von Méliès-Filmen: Georges Méliès: First Wizard of Cinema (1896–1913). Diese DVD-Sammlung erschien 2008.

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Theaterumfeld, doch er vermischte diese Bühnenillusionen mit neuen kinematografischen Kunstgriffen, um so eine einzigartige Konsistenz seiner Vision zu gestalten. Gewünschte Effekte dieser Inszenierungen waren Überraschungsmomente, die komisch und unterhaltend wirken sollten. Weder Méliès noch Edison vor ihm waren speziell von der Ästhetik des eigentlichen Tanzes angezogen. Tatsächlich war der Tanz in ihren Filmen wenig innovativ: Es waren einfache, bekannte Bewegungen aus klassischen oder populären Tanzformen. Sie richteten ihre Kameras stattdessen auf ›dancing girls‹, zuerst auf den Vaudeville-Bühnen, später in den Filmstudios. Es wäre zu simpel, eine Dichotomie zwischen Edison, dem Dokumentaristen, und Méliès, dem Visionär, zu konstruieren. Es gab sogar einen regen Austausch zwischen diesen beiden Filmpionieren. Méliès folgte Edison in seinen ästhetischen Vorgaben, und Edison schlug Kapital aus Méliès’ Trickästhetik und Erzählweisen. Edison popularisierte sogar Méliès’ erfolgreichsten Film, A Trip to the Moon (1902), indem er illegale Kopien in die Vereinigten Staaten exportierte. Dies trieb Méliès schließlich in den Bankrott, denn er hatte gehofft, diesen Film selbst in Amerika zu vermarkten. Die Kombination ihrer Kontributionen etablierte das Medium Film als Unterhaltungsform in einem Sinne, den Tom Gunning als das »Kino der Attraktionen« bezeichnete. 53 Oder wie Felicia McCarren es ausdrückte: »Cinema spectating followed dance spectating.« 54 Dieser Übergang hatte auch damit zu tun, dass das breite Publikum sich vom Tanz zu anderen Unterhaltungsformen hin bewegte – gewissermaßen von einer ›Attraktion‹ zur nächsten. Unter den Parametern Bewegung, Zeit und Raum lassen sich folgende Aspekte für den Tanz im frühen Film festhalten: Die Bewegung auf der Bühne hatte den technischen und theatralen Bedingungen der Zeit zu folgen. Die Bühnen waren als Vaudeville-Bühnen gegeben und dienten der Unterhaltung. Es gab nur einen geringen ästhetischen Anspruch. Stattdessen wollte man das Publikum mit neuen Attraktionen gewinnen. Die Tanzästhetik folgte diesem Bedürfnis, indem einfache Showtänze, verschiedenste Tanzstile und exotische, neue Tanzformen auf die Bühne gebracht wurden. Es gab keine Bewegung der Kamera, sondern Bewegung wurde ausschließlich für die Kamera ausgeführt. Einziges filmisches Bewegungsprinzip war die StopMotion, der Stopptrick, der für überraschende Bewegungseffekte des Auftauchens und Verschwindens sorgte. Unter dem Parameter der Zeit lassen sich noch wenige Auffälligkeiten konstatieren: Die Bewegungszeit war durch die Tanzbewegung und die Cho-

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T. Gunning: The Cinema of Attraction. F. McCarren: Dancing Machines, S. 58.

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reographie bestimmt. Tempo und Rhythmus waren je nach Tanzstil unterschiedlich, die Choreographien liefen chronologisch. Dennoch setzte sich das Nummernhafte der Tanzpräsentationen im Film fort, da die maximale Filmlänge dieser Zeit zuerst nur eine Minute, nach der Jahrhundertwende bis zu 15 Minuten betrug. Die Nutzung des Raumes war von den Ausmaßen der Theater und Filmstudios bestimmt, die Raumwiedergabe wiederum eingeschränkt durch die starre Kamera und ihre fixe Einstellung. Ein Gefühl für Tiefenwirkung ist in vielen Werken von Edison und Méliès bereits erkennbar und wird unterstützt durch den Einsatz von Kulissen und Requisiten. Obschon die Filmpioniere von Anfang an Außenaufnahmen machten, beschränken sich die Tanzaufnahmen mehrheitlich auf Bühnensituationen. Erst in narrativeren Strukturen nach der Jahrhundertwende werden verschiedene Räume mit Referenzen zu realen Stätten bewusst eingesetzt. Choreographie in Massenszenen: D.W. Griffiths Intolerance

Mit Intolerance (1916) von David Wark Griffith (1875–1948) wurde die Filmgeschichte neu geschrieben. Sein dreistündiges Meisterwerk der Stummfilmära wird als Meilenstein für die Entwicklung des Kinos gewertet.55 Gemäß IMDB produzierte Griffith während seiner Anstellung bei der Firma Biograph von 1908 bis 1913 mehr als 400 Kurzfilme in Längen zwischen 9 und 15 Minuten in verschiedenen Genres wie Literaturverfilmungen, Krimis, Komödien, Dramen und Western.56 Die Mitglieder der Denishawn-Schule bekamen Rollen als Schauspieler und Tänzerinnen in Intolerance und anderen Werken57 – und einige von Griffiths frühen kurzen Filmen widmeten sich Tanzthemen. In Behind the scenes (1908) arbeitet eine Mutter als Tänzerin, um ihre kranke Tochter zu unterstützen. Oil and Water (1912) zeigt Blanche Sweet in der Hauptrolle als Tänzerin, hin- und hergerissen zwischen Karriere und Familie in einer Aufführung, die einen Kritiker an die Ästhetik von Isadora Duncan erinnerte.58 Griffith ist vor allem bekannt für seine choreographierten Massenszenen, seinen differenzierten Umgang mit dem Schauspielstil im Stummfilm, einem verfeinerten Einsatz von Großaufnahmen und seine Vorreiterrolle im Gebrauch einer komplexen Montage, um eine Geschichte zu 55

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Es existieren vier Versionen dieses Films (wie im Wikipedia-Eintrag zu Intolerance angegeben). Ich beziehe mich auf die frei zugängliche Quelle unter http://www.archive.org/ details/Intolerance vom 11.11.2012. Tom Gunning analysiert diese frühe Periode von D.W. Griffith in ders.: D.W. Griffith and the Origins of American Narrative Film. Vgl. beispielsweise V. Brooks: From Méliès to Streaming Video, S. 55; J. Pritchard: Movement on the Silent Screen, S. 29; N. Reynolds/M. McCormick: No Fixed Points, S. 708. E. Kendall: Where She Danced, S. 138f.

Themenfeld 1: Medieneinflüsse auf die Tanzästhetik

erzählen. Mit der Entwicklung der Filmmontage wurde die Filmästhetik in den 1910er Jahren revolutioniert. Griffith war zwar nicht der Erfinder dieser filmischen Möglichkeiten, aber sein Gebrauch von Nahaufnahmen und Schnitt setzte einen neuen Standard für die Übersetzung von literarischen in filmische Erzählweisen. 1915 vollendete Griffith The Birth of a Nation. Trotz der späteren Rassismus-Kritik und der Glorifizierung des Ku-Klux-Klans war der Film der größte Kassenschlager seiner Zeit und wird als erster Film der amerikanischen Filmgeschichte in Spielfilmlänge geführt. 59 Intolerance, mit dem Untertitel A Sun Play of the Ages oder Love‘s Struggle Throughout the Ages, war sogar noch anspruchsvoller als The Birth of a Nation. Der Film besteht aus vier komplex ineinander verwobenen narrativen Linien, jede Geschichte ist mit ihren eigenen Figuren besetzt und jede hat – in der Originalversion – eine eigene Filmfärbung: 60 »It is the most incredible experiment in story-telling that has ever been tried«, schrieb Julian Johnson in der Zeitschrift »Photoplay« im Dezember 1916.61 Für viele Historiker war Intolerance Griffiths Antwort auf die enorme negative Kritik zu The Birth of a Nation, der bis heute umstritten bleibt.62 Der Film handelt von der Intoleranz der Menschheit während vier verschiedenen Zeiten der Weltgeschichte: in der babylonischen Zeit, der judäischen Ära, der französischen Renaissance und im modernen Amerika. Diese vier Geschichten werden parallel geführt, durch die Montage verwoben und durch das wiederkehrende Bild von Lillian Gish als »eternal mother« zusammengehalten. Das ikonische Bild, wie sie die Wiege der Menschheit schaukelt, dient als Symbol für die Kontinuität der gesamten Geschichte der Menschheit und als Repräsentation des Lebenszyklus zwischen Geburt und Tod.63 Tanzszenen tauchen in Intolerance nur in den modernen und babylonischen Sektionen auf. Aber viele von Griffiths Schauspielerinnen hatten ein Tanztraining genossen, darunter auch Lillian Gish, die an der DenishawnSchule Kurse besuchte, als diese 1915 in Los Angeles eröffnet wurde. 64

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Vgl. C.P. Jacobs: Pioneer Film Director Dishonored, o.S. Jacobs diskutiert diese Denunzierungen im Detail und stellt fest, dass in der historischen Überlieferung oftmals Analysen aus erster Hand fehlen, um überlieferte Meinungen zu korrigieren. Die meisten der Figuren sind namenlos, um ihren emblematischen Charakter auszudrücken. Zit. aus http://www.bonnerkinemathek.de/filme/intolerance/intolerance_2.htm#johnson vom 24.11.2008. C.P. Jacobs, ebd. Eine detaillierte Beschreibung des ganzen Films liefert Tim Dirks unter http://www.filmsite. org/into.html vom 11.11.2012, W.M. Drew eine kritische Studie zum Film in: ders.: D.W. Griffith’s Intolerance. E. Kendall widmet einen Artikel dem Thema »D.W. Griffith und der Tanz«: ›Lo! The Entertainers‹; in ihrem Buch: »Where She Danced«, ist ein Kapitel überschrieben mit »Hollywood«. In

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Griffith hatte bei Biograph bereits in Kalifornien gedreht und schrieb, wie er Hollywood 1910 entdeckte: »Hollywood, a nice little village with beautiful flower gardens and friendly people«.65 Laut Elizabeth Kendall erwähnen Skizzenbücher der Schauspielerin Carol Dempster, dass Griffith die DenishawnSchule bereits besucht hatte, als er mit der Arbeit zu Intolerance begann. Dort lernte er Tänzer wie Dempster, Ted Shawn und Ruth St. Denis kennen und ließ sich vermutlich zur Entwicklung der aufwendigen Tanzszenen in der babylonischen Geschichte inspirieren. 66 Aufgrund seiner eigenen Erfahrungen als Schauspieler war er sensibel für einen Schauspielstil, der ihn als Regisseur des Stummfilms kennzeichnete. Anders als die aus dem deutschen expressionistischen Film in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg bekannte, ausdrucksstarke und übertreibende Spieltechnik bevorzugte Griffith einen subtileren Darstellungsstil. Solch ein dezenter, aber dennoch ergreifender Gesichtsausdruck wurde das Synonym für einen filmischen Schauspielstil, der mit Mae Marsh als »The Dear One« in Intolerance deutlich wird. »Although to us Griffith‘s acting looks stylized, to his audiences it was boldly realistic«, schreibt Kendall. 67 Die Mehrzahl der Tanzszenen sind choreographierte Massenszenen. Daneben wird Tanz als Gesellschaftstanz der High Society gezeigt, während in einer späteren Szene die Fabrikarbeiter an einem Betriebsfest tanzen. Diese beiden Motive werden mehrmals zwischengeschnitten, um Reich und Arm, Überwachung und Ausgelassenheit zu kontrastieren. Zwei Krankenschwestern tanzen in einer anderen Szene ein paar Schritte im Säuglingsheim, in dem das Baby von »The Dear One« festgehalten wird. Keine dieser Tanzszenen hat eine direkte Bedeutung für die Geschichte. Sie dienen als bewegter Hintergrund, schmücken als Zwischenspiel die Situation aus und wirken allenfalls im Sinne einer kontrastierenden Montage. Dagegen evozieren Präsenz und Anmut der Denishawn-Tänzer in den babylonischen Massenszenen eine Atmosphäre des Bewegungsflusses und Exotismus, der typisch war für den Tanzstil von Ruth St. Denis.68 Es gibt ein

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diesem erwähnt sie, dass in den 1910er Jahren sogar drei Tanzschulen in Los Angeles Bewegungstraining für die Filmindustrie offerierten. Vgl. ebd., S. 136. http://www.biographcompany.com/history/timeline.html vom 24.11.2008. Griffith verließ Biograph im Jahr 1913. Die IMDB führt die komplette Besetzung des Films auf, einschließlich der Denishawn-Tänzer und der Einzelnamen von Ted Shawn und Ruth St. Denis, wenn auch ohne Erwähnung im Abspann. E. Kendall: ›Lo! The Entertainers‹, S. 87. Kendall beschreibt auf der Grundlage von Lillian Gishs Buch über Griffith, dass er fasziniert war von der sinnlichen Bewegung in den Aufnahmen mit den Jungfrauen: »Babylon was Griffith’s idea of a healthy society or his dream of heaven.« E. Kendall, ebd., S. 90, sowie dies.: Where She Danced, S. 148.

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paar kürzere Tanzszenen, die wie in der modernen Geschichte eher eine Nebenbedeutung haben, aber den modernen Tanzstil der damaligen Zeit verdeutlichen: leichtfüßige Schritte, barfuß, leicht bekleidet in Tunikas. In den Massenszenen überzeugen die Denishawn-Tänzer als Menschenmasse mit einer lebhaften physischen Präsenz. Gleichzeitig sind die Bewegungen stark stilisiert. Die eindrucksvollsten Szenen sind diejenigen im zweiten Akt: Eine riesige Menschenmenge bewegt sich auf den Treppen des Tempels hinauf und wieder herunter in choreographierten Reihen und Mustern, während die Kamera sich aus einer weitwinkligen Einstellung in einer Perspektive von oben zu einem näheren und tieferen Blickwinkel verändert, um die ägyptisch anmutenden Filmstill aus Intolerance, Regie: D.W. Griffith (1916) Armpositionen zu zeigen. Griffith führte diese Kamerabewegung mit einer von ihm entwickelten Konstruktion aus: Auf einem Wagen auf Schienen hatte er eine Aufzugkonstruktion platziert.69 In der nächsten Aufnahme der Treppen bewegt sich die Kamera ein paar Minuten später wieder nach oben und vermittelt den Eindruck, dass wir die Darstellerinnen und Darsteller bei ihrem Aufstieg begleiten. Eine weitere spektakuläre Szene ist eine der längsten Tanzsequenzen des ganzen Films. Diese beginnt mit einem Zwischentitel, der ankündigt: »In the Temple of Love. The sacred dance in memory of the resurrection of Tammuz«. Nachdem ein Bild mit einer winkenden Menge zu sehen ist, schwenkt die Kamera nochmals über die Stufen. Aber dieses Mal schneidet Griffith Aufnahmen von verschiedenen Soli, Duetten und kleinen Gruppen dazwischen, die erneut die stilisierten Tempeltanzbewegungen zeigen. Damit demonstriert er eine exakte Kombination von Körper- und Kamerabewegung, die zusammen die Choreographie kreiert. Diese Kollaboration zwischen Kamera und Choreographie war absolut neu und bewirkte ein intensiveres Bewegungserleben für das Publikum. Trotz seines ambitionierten Drehbuchs und der hoch entwickelten Montage hatte der Film nicht den gleichen Kinoerfolg wie The Birth of a Nation. Der Film war sogar ein finanzielles Desaster für Griffith, der ihn dank des 69

Vgl. V. Brooks: From Méliès to Streaming Video, S. 55.

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Gewinns von The Birth of a Nation mit seiner eigenen Firma produziert hatte. Mit Produktionskosten in der Höhe von fast zwei Millionen Dollar, von denen der babylonische Teil ein Drittel verschlang, verschuldete sich Griffith. Selbst heute ist der Verlauf der Geschichte mit seinen verschiedenen Handlungssträngen außer für Filmliebhaber schwierig zu verfolgen. Die zwei Hauptstränge der modernen und der babylonischen Geschichte mit dem intensiven Schauspiel von Mae Marsh als Geliebte und Constance Talmadge als Bergmädchen haben eine konsistentere Erzähllinie. Als besondere Kennzeichen dieses Meisterwerks bleiben dennoch: die ungewöhnliche Montage, der Schauspielstil und der Einsatz von Körperbewegung in Kombination mit Kamerabewegung, um große Menschenmengen in allen vier Geschichten zu choreographieren. Der Einfluss von Intolerance auf die weitere Filmästhetik, insbesondere bei europäischen und sowjetischen Filmemachern, wurde nochmals gefestigt durch die spätere Kompilation des babylonischen Filmmaterials zu einem separaten Film, The Fall of Babylon (1919).70 Die Ähnlichkeit der Treppenszenen in Intolerance und der Odessa-Treppe in Sergei Eisensteins Panzerkreuzer Potemkin (1925) ist offensichtlich. Gewiss hatte Griffith auch einen Einfluss auf Busby Berkeleys kaleidoskopartige Massenszenen in seinen Filmen der 1930er Jahre – ästhetisch erinnern dessen Top-Shots an Griffiths Tempelszenen. Tänzerisches Erzählen in Maurice Tourneurs The Blue Bird

Während in Griffiths Intolerance die Tanzszenen klar extrahiert und beschrieben werden können, scheint Maurice Tourneur (1873–1961) auf den ersten Blick wenig Bezug zum Tanz zu haben.71 Dennoch ist der 75-minütige Film The Blue Bird (1918), der auf Maurice Maeterlincks gleichnamigem Märchen beruht, ein weiteres interessantes Beispiel für die Affinität des frühen Films zu Tanz und Bewegung. Der Einsatz von Timing, Bewegung und

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Um Geld zu verdienen, montierte Griffith 1919 die moderne Geschichte nochmals zu einem eigenen Film unter dem Titel The Mother and the Law. Diesen Teil von Intolerance hatte er sogar schon vor The Birth of a Nation gedreht und diese Aufnahmen um die drei anderen Erzählungen erweitert. Maurice Maeterlinck schrieb dieses Märchen, das zum Klassiker des Kinderttheaters avancierte, 1909 und erhielt 1911 den Nobelpreis in Literatur. Wie viele Bühnenversionen von L’Oiseau bleu wurden auch andere Filmadaptionen realisiert: ein Stummfilm aus dem Jahre 1910 und eine spätere Version von 1940 mit Shirley Temple. Neben einzelnen Zeichentrickfilmen gab es 1976 eine erstmalige russisch-amerikanische Filmkoproduktion nach dem Kalten Krieg mit Elizabeth Taylor, Jane Fonda und Ava Gardner sowie Nadeschda Pawlowa, einer jungen russischen Ballerina in der Rolle des blauen Vogels. Der Film fiel jedoch in allen Rezensionen durch (siehe entsprechende Mappe mit Zeitungsausschnitten in der Dance Collection der NYPLPA).

Themenfeld 1: Medieneinflüsse auf die Tanzästhetik

mimetischem Ausdruck im Schauspielstil ähnelt einem tänzerischen Bewegungsausdruck und unterscheidet sich doch von Griffith. Obwohl der Film vom damaligen Publikum nicht so gut aufgenommen wurde wie Tourneurs bekanntestes Werk von 1920, The Last of the Mohicans, wird The Blue Bird – wie Griffiths Intolerance – heute als kulturell, historisch und ästhetisch bedeutend im amerikanischen nationalen Filmregister geführt. In dieser allegorischen Fantasie suchen Tyltyl und Mytyl, Bruder und Schwester, begleitet von der Fee Berylune, den Vogel des Glücks. An jeder Station ihrer Reise lernen sie eine neue Lebenslektion,die mit der Einsicht endet, dass man Liebe und Glück nur in sich selbst finden kann. Tourneur, geboren in Frankreich, begann wie GrifFilmstill aus The Blue Bird, Regie: Maurice Tourneur (1918) fith als Schauspieler und Bühnenregisseur, bevor er Filmregie führte. Nachdem er für Éclair und World Pictures gearbeitet hatte, kam er 1914 in die Vereinigten Staaten und startete 1918 seine eigene Filmfirma. Tourneur war ein Bewunderer von D.W. Griffith und lobte an diesem, dass er all das erfunden habe, was für gute Fantasy-Filme wichtig war. Tourneur wollte gute Qualitätsfilme kreieren, anstatt eine hohe Quantität an Filmen zu produzieren. Mit seinen Paragon Studios in New Jersey akzentuierte er »the acting, thus obtaining the coveted prize of director and actor alike«.72 Sein Ziel war es, die künstlerischen Möglichkeiten des Films zu nutzen, um zusammen mit den Qualitäten des Theaters Kunst zu erschaffen: »To me, neither the play, the acting, the star, the director, nor the presentation is the thing. It takes all of them.«73 Er war gegen das aufkommende Starsystem und mehr daran interessiert, psychologische Effekte zu übermitteln als physische Aktionen zu betonen.74 Die schauspielerischen Qualitäten in The Blue Bird verdeutlichen eine hohe Sensibilität gegenüber Bewegung. Tourneurs Sinn für Beleuchtung und Tiefe in der Bildgestaltung ist ebenfalls auffallend: beispielsweise in den 72 73 74

Zitate unter: http://www.public.asu.edu/~bruce/Taylor77.txt vom 11.11.2012. Diese Website versammelt einige Artikel und Interviews von und mit Tourneur. Ebd. in einem Artikel von Dorothy Nutting, in Photoplay, Juli 1918. Eine detaillierte Biografie zu Tourneur findet sich in der IMDB.

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Szenen im Palast des Glücks, die in ihrer Rotfärbung fast an Griffiths Treppenszenen erinnern. Im Lauf der folgenden Szenen, in denen das Gefühl des Glücks visualisiert wird, zeigt Tourneur große Gruppen von Agierenden in durchsichtigen Tunikas, die ähnlich den Kostümen einer Isadora Duncan auf die Ära des neuen Romantizismus mit seiner Rückbesinnung auf natürliche Bewegungen verweisen. Die Darstellenden bewegen sich tänzerisch, schmücken ihre einfach stilisierten Armbewegungen aus, manchmal mit Schleiern in jeder Hand. Diese Gruppentänze ähneln in ihrer Choreographie und Regie Griffiths Massenszenen. Man sieht Kreisformationen und Reihen, die aus der und in die Masse fließen und mit der nächsten Szene verschmelzen, die von den Hauptdarstellern gespielt wird. Diese Figuren umfassen die Kinder und die Fee, symbolische Figuren wie das Licht, die Nacht, Wasser oder Feuer und zum Leben erweckte Objekte wie Brot, Milch oder Zucker. Tourneur beschreibt die höchst symbolische Besetzung der Figuren: »I endeavored to apply stylization, in the best of my ability, to my production of Maurice Maeterlinck‘s The Blue Bird. Here I tried to sound the note of fragile, symbolical phantasy.«75 Eine vergleichbare Ästhetik findet sich auch später in Film und Ballett, beispielsweise The Wizard of Oz (1939) in den Tanzszenen von Judy Garland oder L’Enfant et les sortilèges (1925), einer Oper zur Musik von Maurice Ravel, die auch als Ballett mehrmals inszeniert wurde – unter anderem von Ji í Kylián. Darin erwachen ebenfalls Objekte zum Leben. Wie in Tourneurs nächstem Film, Prunella (1918), kombinierte er schon in The Blue Bird seinen theatralen Stil der gemalten Kulissen mit Außenaufnahmen und antizipierte so die Ästhetik des expressionistischen deutschen Stummfilms wie beispielsweise in Robert Wienes Das Cabinett des Dr. Caligari (1920). Trotz guter Kritiken verkaufte sich jedoch keiner der beiden Filme gut. Wie Tourneur selber schreibt, wurde The Blue Bird nur an wenigen Orten in New York City gezeigt.76 Enttäuscht von seinem begrenzten Erfolg, versuchte er eine Rückkehr zu seinem früheren naturalistischen Stil. Desillusioniert vom Produktionssystem im Hollywoodkino der 1920er Jahre – bei MGM musste sich der Regisseur komplett unter die Kontrolle des Produzenten begeben –, kehrte Tourneur 1926 zurück nach Europa.77 Heute ist The Blue Bird ein Dokument der frühen Stummfilmregie, das wiederentdeckt zu werden verdient. Wie Intolerance ist The Blue Bird ein markantes Beispiel für zwei historische Merkmale, die Film und Tanz in dieser

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Ebd. in einem Artikel »Stylization in Motion Pictures Direction«, September 1918. Ebd. in einem Artikel unter dem Titel »Meeting the Public Demands«, Mai 1920. Sein zweiter Film in Europa war die deutsche Produktion Das Schiff der verlorenen Menschen (1929) mit Marlene Dietrich in einer ihrer ersten wichtigen Rollen.

Themenfeld 1: Medieneinflüsse auf die Tanzästhetik

zweiten Phase des frühen Films verbinden: die Entwicklung einer Filmsprache und filmischen Erzählweise wie auch die schrittweise Schaffung eines filmischen Schauspielstils, in dem Emotionen durch den rhythmischen Fluss von Bewegung im Tanz ausgedrückt wurden. Tanz respektive tänzerisches Erzählen bedeutet in diesen Beispielen eine Qualität des frühen künstlerisch ambitionierten Stummfilms. Bewegung wird hier nicht ›vorgeführt‹, sondern dient dem filmischen Erzählen. Auch der Tanzstil hat wie in Intolerance – obschon dem Tempeltanz entlehnt – keine eigenständige Bedeutung, sondern steht in Referenz zum dargestellten Thema Babylon. Diese späteren künstlerisch ambitionierten Filme beziehen sich stärker auf moderne Bewegungskonzepte, wie sie in ihrer subjektiven Ausdruckskraft von Loïe Fuller, Isadora Duncan und Ruth St. Denis entwickelt worden waren. In diesen Filmen wird zwar nicht die Zeitstruktur der Bewegung oder der Choreographie selbst beeinflusst, aber Zeit erhält durch die Struktur des filmischen Erzählens, durch die Montage eine eigene Bedeutung. Die Opulenz eines Werkes wie Intolerance ist außerdem durch die aufwendige Gestaltung des Raumes gekennzeichnet: Verschiedene räumliche Situationen, auch wenn sie ›nur‹ im Filmstudio nachgestellt sind, haben eine deutliche Referenz zu verschiedenen realen, auch historischen Räumen. In Intolerance und The Blue Bird entsteht der erzählerische Fluss erst durch die Addition der verschiedenen aufgenommenen Räume.

Drei Phänomene einer zeitgenössischen Bewegungsästhetik Die bisherigen Beispiele illustrieren die Verbindungen zwischen dem Aufkommen des modernen Tanzes und der ersten Phase des Films: die wechselseitige Beeinflussung der beiden künstlerischen Ausdrucksformen und den Beginn einer immer wieder verknüpften Entwicklung. Im Verlauf der Tanzgeschichte wird die nächste markante Verbindung in Form eines Medieneinsatzes auf der Bühne durch die multidisziplinären Bühnenexperimente der Ballets Russes in den 1910er und 1920er Jahren vorbereitet, auf der Linie der Filmgeschichte manifestiert sich eine erste intermediale Fusion im Genre des Filmmusicals der 1930er Jahre.78 Für eine weitere Charakterisierung einer direkt vom Medieneinfluss gekennzeichneten Tanzästhetik sind vor allem drei Bewegungsästhetiken seit den 1970er Jahren auffallend. Dieser zeitliche Sprung erklärt sich dadurch, dass auf der Tanzbühne während den 1950er

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Siehe hierzu die entsprechenden Kapitel zur Theater- und Tanzavantgarde und zum Filmmusical.

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und beginnenden 1960er Jahren eher eine regressive Ästhetik der klassischen narrativen Erzählformen zu beobachten war. Erst mit dem Genre des Tanztheaters und Varianten des zeitgenössischen Tanzes entstehen in der Folge der 68er-Bewegung innovative ästhetische Formen. Im Folgenden werden einerseits Beispiele besprochen, welche die Qualität der Bewegung an sich, beispielsweise durch Brüche im Bewegungsfluss (wie im Breakdance) oder durch fragmentarisierte Bewegungsabläufe (wie im postmodernen Tanz) verdeutlichen, andererseits auch Werke exemplarisch vorgestellt, die wie im postmodernen Tanz und Tanztheater auf der Ebene der choreographischen Komposition durch eine Collage von Einzelteilen gekennzeichnet sind. Pina Bausch: Ästhetik der Montage im Tanztheater

Pina Bausch (1940–2009) gilt als Pionierin und Wegbereiterin des Tanztheaters. Ihre internationale Anerkennung verhalf dem Genre zu einer wichtigen Position innerhalb des zeitgenössischen Tanzes und Theaters. Es sind zwar viele Bücher, Hintergrundberichte und Bildbände zum Tanztheater Wuppertal entstanden – in verschiedenen Sprachen –, doch gibt es bisher nur wenige Publikationen, die sich mehrheitlich der Ästhetik ihres Tanztheaters widmen.79 In diesem Abschnitt möchte ich der sich im Zusammenhang mit diesem Band stellenden Frage nachgehen, welche filmischen Prinzipien in der Ästhetik ihrer Choreographien erkennbar sind und welche Funktionen diese im intermedialen Gefüge der Kreation übernehmen. Bereits der Begriff des Tanztheaters impliziert ein Überschreiten der Sparten, eine ›intermediale‹ Verbindung zwischen Tanz und Theater, in dem der Kanon der Bühnenmittel des Tanzes um schauspielerische Qualitäten und Sprache erweitert wird. Doch welche Stilmittel kennzeichnen das Tanztheater? Hedwig Müller und Norbert Servos stellen neben den Merkmalen des »work in progress« und der »Verfremdung« den Begriff der »Montage« zentral und beschreiben diesen als »bestimmendes Stilmerkmal […] künstlerischer

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Zu den ersten Publikationen zählt beispielsweise: H. Müller/N. Servos: Pina Bausch – Wuppertaler Tanztheater. Im Vorwort erwähnt der deutsche Kritiker Jochen Schmidt Bauschs seither stets zitierten Leitsatz ihrer Arbeit, dass sie weniger interessiere, wie sich die Menschen bewegen, sondern was sie bewegt. Im gleichen Jahr entstand mit dem Bildband von U. Weiss: Setz dich hin und lächle, ein Publikationstyp, der mit Bänden von Guy Delahaye und vor allem Ursula Kaufmann verschiedene Fortsetzungen erfuhr. Als dritte Kategorie neben wissenschaftlichen Arbeiten, die teilweise gar nicht publiziert wurden, finden sich Hintergrundbücher von Mitgliedern des Ensembles wie die beiden Bände von J.A. Endicott: Ich bin eine anständige Frau! und dies.: Warten auf Pina oder von R. Hoghe: Pina Bausch. Explizit der Ästhetik widmet sich eine in Brasilien entstandene und auch auf Englisch erschienene Uni-Arbeit: C. Fernandes: Pina Bausch and the Wuppertal Dance Theater.

Themenfeld 1: Medieneinflüsse auf die Tanzästhetik

Avantgardebewegungen seit den 10er und 20er Jahren«. 80 Das Prinzip der Montage war, wie am Filmbeispiel von Intolerance beschrieben, dasjenige Mittel, das dem Film in den 1910er Jahren zur Anerkennung als Kunst verhalf. Durch die Kontrastierung verschiedener Bilder und narrativer Elemente entstehen in der Montage bewusst gesetzte Lücken, offene Stellen in der Erzählung, die sich erst im Kopf der Betrachtenden schließen und zu individuellen Assoziationen und Erkenntnissen führen. Wie Müller/Servos schon zu Beginn von Bauschs Karriere ausführten, weisen ihre Arbeiten Analogien zum Theaterkonzept von Bertolt Brecht auf: Verschiedene Medien und Ausdrucksmittel werden kombiniert, darunter auch der Gestus des Zeigens, die Technik der Verfremdung und die Verwendung von Komik, ohne allerdings wie Brecht bewusst einen didaktischen Anspruch zu pflegen. 81 Brecht hatte seine Ideen zum epischen Theater in den 1920er Jahren unter dem Einfluss des aufkommenden Filmmediums entwickelt. 82 Pina Bausch findet früh in ihrer in der Saison 1973/74 am Wuppertaler Theater beginnenden Karriere zum Montageformat ihrer Stücke. Nach den Gluck-Opern Iphigenie auf Tauris (1974) und Orpheus und Eurydike (1975) und einzelnen anderen musikalischen Umsetzungen wie Le Sacre du printemps (1975) zur Musik von Strawinsky, Die sieben Todsünden (1976) zur Weill/ Brecht-Vorlage oder Blaubart. Beim Anhören einer Tonbandaufnahme von Béla Bartóks Oper »Herzog Blaubarts Burg« (1977) erprobt Pina Bausch bereits in Ich bring dich um die Ecke von 1974, Komm tanz mit mir und der Operette Renate wandert aus, beide aus dem Jahr 1977, das für ihre Choreographien typische Format der Collage. Diese Szenenstruktur der Zusammensetzungen wird unterstützt durch kurze Musikstücke, die wie bei der Tanzmusik nach alten Schlagern in Ich bring dich um die Ecke Referenzen zur Revue und zur Vaudeville-Bühne zur Zeit der Filmanfänge aufweisen. Pina Bausch selbst hätte einen solchen Bezug wohl kaum hergestellt, denn sie reflektierte ihre eigenen Stücke selten. In den wenigen aufgezeichneten Interviews mit Fragen zu ihrer Ästhetik und Herangehensweise an Stücke spricht sie von Stimmungen, Emotion und Intuition. Zur Frage der Komposition der Musiken antwortete sie: »Wie soll ich das sagen: Das ist alles Gefühl.« 83 In Café Müller (1978) beschränkt sich Pina Bausch noch einmal auf nur eine Musikvorlage, auf Kompositionen von Henry Purcell. Das Stück, das 80 81 82 83

H. Müller/N. Servos: Pina Bausch, o.S. im Kapitel »Die Produktivität des Unfertigen«. Ebd. Er interessierte sich ab 1920 selbst für Filmprojekte und schrieb Drehbücher. Vgl. J. Knopf: Brecht-Handbuch. Vgl. die von Norbert Servos publizierten Interviews in: Pina Bausch – Wuppertaler Tanztheater, sowie in der Neuauflage mit einem weiteren Interview von 1998: Pina Bausch. Tanztheater, S. 308 bzw. S. 231.

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ursprünglich Bauschs Beitrag zu einem vierteiligen gemischten Abend unter diesem Titel war, weist mit seinem einheitlichen Bühnenbild der vielen Stühle und mit dem Grundthema der zu den Klageliedern passenden Themen von Liebes- und Trennungsschmerz, Einsamkeit und Beziehungssuche eine gewisse Geschlossenheit auf. Ab Kontakthof aus dem gleichen Jahr verwendet sie fast ausschließlich unterschiedliche Musikquellen, und die Spannweite der Musikstile wird immer größer. Inspirationen zur Musik bekam Bausch auf den Tourneereisen durch die ganze Welt. Aus ihrem Interesse an folkloristischer Musik heraus verwendete sie seit der Produktion von Viktor 1986 in Rom oft auch völlig unbekannte Musikquellen aus dem Land, in dem ein Stück in Kooperation mit dem Tanztheater Wuppertal realisiert wurde. Es folgte 1989 Palermo, Palermo in Sizilien, Masurca Fogo wurde anlässlich der Expo 98 in Lissabon produziert, Agua 2001 in Brasilien oder Bamboo Blues 2007 in Indien. Die Szenenfolge wird durch die Musikauswahl unterteilt und zeitlich strukturiert, die Musik dient als »dramaturgische Folie für die Montage der Szenen und Bilder«. 84 Die Szenen selbst entstehen im Probenprozess auf dem Hintergrund persönlicher Erfahrungen der Tänzerinnen und Tänzer zu Fragen, die Pina Bausch ihnen vorgibt, und gelangen später als Versatzstücke in die Inszenierung. Aus diesem Prozess resultiert eine Fülle an Material, an Aktionen, Bewegungen, Sprache und Gesang. Erst zum Schluss der Proben setzte die Choreographin die Vielzahl an Einzelszenen zusammen, wählte aus und montierte sie wie bei einem Film. Zur Montagetechnik befragt, antwortete Pina Bausch: »Das hat sich immer aus dem Motiv ergeben. Wie ich die Dinge empfinde, worum es mir in einem Stück geht, das bringt diese Form mit sich. Ich könnte nicht darüber schreiben. Das Motiv, der Stoff, das Empfinden ergeben die Form. […] Wenn ich etwas spüre, etwas fühle, stellt sich ein Bild ein, schließlich ergibt sich die Struktur, in letzter Zeit die der Montage.« 85 Die Montage lehnt sich zwar an filmische Verfahrensweisen an, doch entsteht sie nicht konzeptionell, sondern intuitiv und assoziativ. Häufig wurden noch nach der Premiere Anpassungen vorgenommen oder das Stück, das zuerst einfach »Tanzabend« oder »Ein Stück von Pina Bausch« hieß, bekam noch einen Titel. Im Inhalt der Szenen ist ein weiterer Bezug zum brechtschen Theater erkennbar, denn Bausch bezog ihre Themen und Fragen aus alltäglichen Erfahrungen, ähnlich wie Brecht Alltag und Straßenszene als Modell des epischen Theaters benutzte. Das Leben wird zur Vorlage für die Kunst. Susanne

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S. Schlicher: TanzTheater, S. 203. Helmut Scheier im Gespräch mit Pina Bausch anlässlich der Verleihung des Deutschen Tanzpreises 1995, zit. in: R. Schulze-Reuber: Das Tanztheater Pina Bausch, S. 82.

Themenfeld 1: Medieneinflüsse auf die Tanzästhetik

Schlicher sieht in der Erweiterung einer Äußerung des Theaterkritikers und -theoretikers Andrzej Wirth aus dem Jahre 1980 zu den literarischen Werken von Heiner Müller und Peter Handke oder den Theaterarbeiten von Robert Wilson und Dario Fo auch das »Tanztheater als ›Nachbrechtsches Theater‹«. 86 Während also Themen und Bewegungsvokabular des Tanztheaters aus dem Alltag gegriffen werden – es gibt auch Bezüge zu Trivialmythen wie dem Schlager oder zur Medienwelt des Bollywood-Kinos wie zum Beispiel in Bamboo Blues 87 – werden diese in der ästhetischen Konstruktion der Choreographie, auf der übergeordneten dramaturgischen Ebene, nach filmischen Prinzipien zusammengesetzt. Und doch ergeben die Teile keine Totalität einer Geschichte oder eines einheitlichen Themas. Es ist die Vielschichtigkeit der Situationen, die Wiederholung von Szenen und Abläufen, die das Rezeptionserlebnis bei Pina Bausch ausmachen. Aus der Menge alltäglicher Themen und gesellschaftlicher Bezüge, aus der Uneindeutigkeit der Szenen ergeben sich breite Identifikationsmuster für das Tanztheater-Publikum. Wie das dafür essenzielle Montageprinzip als choreographische Methode, aber auch andere filmdramaturgische Mittel wie Fokussierungen, Überblendungen und Schnitte mit den verschiedenen darstellerischen Mittel zusammenspielen, wie das Theater der Bruchstücke, der Ausschnitte zusammengesetzt ist und wirkt, soll im Folgenden am Beispiel des Bausch-Stückes Walzer aus dem Jahre 1982 veranschaulicht werden. Walzer (1982) Walzer entstand im Rahmen des Holland-Festivals und wurde im Juni 1982 im Amsterdamer Winterzirkus Carré uraufgeführt. Das Motiv des Runden spiegelt sich nicht nur im Titel, sondern auch in der räumlichen Theatersituation einer Arena – auch die Tänzerinnen und Tänzer des Tanztheaters Wuppertal haben Stühle vor der ersten Reihe des runden Zuschauerraumes und erheben sich gelegentlich von dort zu ihren Auftritten. Die Eröffnungsszene offenbart sowohl die Verwendung einer Musikcollage als auch die Arbeitsweise von Pina Bausch. Ab Band hört man die Worte: »Diese Überspielung ist eine Sonderanfertigung für die Wuppertaler Bühnen und nur dort für den internen Gebrauch bestimmt.« 88 Anschließend folgt Marschmusik,

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Ebd., S. 194. Eine Bollywood-Kinoreklame mit einem Liebespaar erscheint in einer riesigen Videoprojektion. Für die Analyse stand mir die Aufzeichnung der Live-Ausstrahlung des niederländischen Fernsehens des dritten Vorstellungsabends in Amsterdam zur Verfügung. Die mediale Form der Live-Ausstrahlung von Walzer habe ich an anderer Stelle analysiert: C. Rosiny: Tanz im oder fürs Fernsehen?

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während die Tänzerinnen und Tänzer mit einem gefalteten Papierschiffchen auf der flachen Hand kreuzweise hin und her über die Bühne schreiten. Es folgt eine weitere Ansage: »Willkommen in Hamburg. Wir freuen uns, Sie im Hamburger Hafen begrüßen zu können«, und die Musik wechselt zur instrumental gespielten deutschen Nationalhymne. Dazu tritt der Tänzer Jan Minarik ans Mikrofon und erklärt den Probenprozess des Fragens bei Bausch: »Und dann wollte die Pina wissen, was man tut, wenn man sich selber aufmuntern will. Dann habe ich das gemacht.« Minarik wiederholt dreimal drei klare Gesten: Er sagt »Pröstchen« und mimt das Heben eines Gläschens, kitzelt sich mit beiden Händen seitlich am Oberkörper und schimpft: »Du, du, du« mit der strafenden Zeigefingergestik. Abwechselnd mit dem weiteren Schreiten der Gruppe oder anderen gleichzeitig ablaufenden Auslegeordnungen der Tänzerinnen und Tänzer auf dem Boden – sie basteln und arrangieren unterschiedliche Hafensituationen – demonstriert Minarik weitere Beispiele aus den Proben. Bereits in diesen ersten fünf Minuten des dreieinhalbstündigen Werkes sind wesentliche Elemente der Montage erkennbar: Die Montage des Auditiven mit Musik und Lautsprecheransagen, das Ausdehnen der Zeit durch das langsame Schreiten des Ensembles bei gleichzeitigem Fokus innerhalb der Gruppenformation auf eine Solodarbietung und die parallele Montage verschiedenster Aktionen innerhalb einer Szene. Das Mikrofon funktioniert, wie Norbert Servos beschrieben hat, wie das Zoomobjektiv im Film, es lenkt den Fokus auf diese Einzelaktion.89 Trotzdem kann der Zuschauerblick auch zu anderen Aktionen streifen. Innerhalb des Solos ist Wiederholung ein strukturierendes und akzentuierendes Element. Und diese ›Großaufnahme‹ wird mehrmals wiederholt, sozusagen in die Totale montiert, auch wenn das nächste Mal ein anderer Inhalt, eine Variation des gleichen Themas des Probenprozesses gezeigt wird. Eine Referenz zur Revue sind die als Teil der Nummerndramaturgie wiederholt präsentierten Gruppentänze. Sie betonen wie in einer filmischen Perspektive die Tiefe des Raumes und in einer diagonalen Reihung die Größe des Theaters. Nicht nur im Titel und der Bühnenform zeigen sich zudem Bezüge zum Zirkus und Varieté – an Walzer lässt sich Sergei Eisensteins Theorie einer »Montage der Attraktionen« unmittelbar anbinden: Die Szenen in Walzer prallen in ihrer Gegensätzlichkeit so aufeinander, wie er es in seinem 1923 formulierten Manifest formuliert hat. Im Übergang seines Theaterschaffens zur Filmarbeit formulierte er: »Die Schule der Montage ist der Film und vor allem das Varieté und der Zirkus, denn eine (vom formalen Standpunkt) gute Aufführung zu machen heißt eigentlich, ein gutes Varieté bzw. Zirkus89

Vgl. N. Servos: Pina Bausch – Tanztheater, S. 105.

Themenfeld 1: Medieneinflüsse auf die Tanzästhetik

programm aufzubauen, ausgehend von den Situationen, die man dem Stück zugrunde legt.« 90 Bei Bausch sind es die aus den Probensituationen entwickelten Szenen, die in Walzer sogar einzelne zirkusartige Nummern umfassen, so zum Beispiel jene, wo eine Tänzerin zu einer typischen Zirkusmusik immer wieder auf die Schultern ihres Tanzpartners steigt und sofort wieder herunter springt. Gebrochen wird die Analogie zur Artistik durch eine mitrennende Tänzerin, die voller Angst die andere mit ihrem Namen anruft. Die gleiche Zirkusmusik untermalt an anderer Stelle eine im weißen Tüllkleid eine ganze Runde Rad schlagende Tänzerin. Das Wiederholungsprinzip schlägt sich deutlich auch auf der Ebene der Musikkomposition nieder. Wie eine filmische Überblendung wirkt in Walzer beispielsweise der Übergang einer Soloszene mit Mechthild Grossmann zu einem Soloauftritt von Josephine Ann Endicott: Während zu einem schnulzigen Walzertakt Grossmann ihren Akt des Ankleidens und Schminkens weiterführt, tritt auf der anderen Seite der leeren Bühne bereits Endicott im blauen Badeanzug auf und schaut in die Runde. Solche Szenenübergänge der Überblendung werden öfter analog einer Tonspur im Film durch eine vorgezogene oder weiterklingende Musik eingeleitet. Grossmann bettet sich fertig angekleidet im vorderen Teil der Bühne wie zum Schlafengehen hin und schluchzt, denn sie hatte zuvor ein früheres eigenes Solo zitiert, in dem sie Zwiebelsaft unter ihre Augen streicht, um auf der Bühne zu weinen. Das Publikum lacht. Der Widersinn der Handlungen ruft in der für Bausch typischen Weise einen komischen Effekt hervor. Grossmann bleibt noch eine Weile liegen, während die nächste Szene beginnt. 91 Auch in dieser wird das Mittel der Wiederholung mehrfach eingesetzt: Endicott adressiert immer wieder das Publikum und schreit: »I don’t need your help… I don’t need anybodys help.« Die Wiederholung wirkt verfremdend und dient der Steigerung der dramaturgischen Spannung. In der Penetranz der Wiederholung liegt außerdem ein Potenzial an Komik. Wie vorproduzierte Filmszenen werden Endicotts Ausbrüche immer wieder in den 12-minütigen Ablauf der gesamten Szene eingefügt, zugleich wird ihre Stimme jedes Mal hysterischer. Die medial geprägte Technik wird kombiniert mit tanztheatralem Ausdruck und erzeugt dadurch eine erhöhte Spannung. Im offenen dramaturgischen Konzept erfüllen Wiederholungen, Einschübe, Fokussierungen, Blenden ein Vorwärtsstreben, ohne auf eine Klimax oder 90 91

Der vollständige Aufsatz findet sich u.a. in F.-J. Albersmeier: Texte zur Theorie des Films. Vgl. H. Müller/C. Rosiny: Ein Stückchen Tanztheater, S. 4. Am Beispiel des folgenden Solos von Josephine Ann Endicott analysieren die Autorinnen neben den Merkmalen der Szenenübergänge auch inhaltliche Kennzeichen des Tanztheaters wie Frauenrollen, Funktionen von Kostümen, Requisiten, Ausstellung und Reflexion des Körpers und des Tanzes, Einbezug des Publikums, Verfremdungsverfahren oder den schmalen Grat zwischen Rolle und Privatem.

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eine Auflösung zu zielen. Das Montageprinzip setzt gegen den Anspruch auf Geschlossenheit vielschichtige mögliche Assoziationen und innerhalb der einzelnen Szenen komplexe, teilweise gleichlaufende Bühnenvorgänge. Anstelle der Interpretierbarkeit aller Details, wirkt die Offenheit der Struktur und jede Szene auch für sich. 92 Ein 15-minütiger Filmausschnitt von Frédéric Leboyer zur sanften Geburt in Walzer, der sich auf die zwei Jahre zuvor erlebte Geburt ihres eigenen Sohnes zu beziehen scheint, steht am Anfang eines auch bei Bausch vorkommenden Medieneinsatzes auf der Bühne. Doch steht der Film hier kaum in einem dramaturgischen Konzept, sondern bildet einen weiteren Einschub im Gesamtarrangement der Collage. Das Motiv der Geburt taucht in mehreren Szenen auf, beispielsweise wenn die schwangere Beatrice Libonati sich einen Embryo in einer Fruchtblase auf den Bauch malt. 1989 drehte Bausch einen zweistündigen Film: Die Klage der Kaiserin. 93 Seltsamerweise wirkt in diesem die Aneinanderreihung der Filmszenen – die Kamera zeigt mehrheitlich in totalen Einstellungen Einzelaktionen der Ensemblemitglieder in verschiedenen natürlichen Außenräumen – eintöniger als die montierten Szenen auf der Bühne. Im choreographischen Grundmuster der Montage, der Verdichtung und Kontrastierung auf der Bühne verschachtelt Bausch die Szenen nicht nur geschickter, sondern komponiert auch innerhalb der Szenen Bewegungsabläufe, Monologe und Aktionen zu Collagen mit Wiederholungen und Variationen. Wie Ana Sánchez-Colberg richtig bemerkt, ist Die Klage der Kaiserin kein Tanzfilm oder »TV dance«: »[…] it should be regarded as a film or television piece which employs choreographic devices that have been translated (more or less successfully) into the film and TV media.« 94 Der Reiz des Filmmediums zeigt sich immer wieder in Bauschs Arbeiten: Dia-, Film- oder Videoprojektionen sind Bestandteile der Bühnenräume, schaffen Stimmungen und beschleunigte Zeiterlebnisse. Im Stücktitel Rough Cut (Rohschnitt) von 2005 klingt sogar ein direkter Bezug zur Filmherstellung an (gleichermaßen aber auch der Prozesscharakter ihrer Stücke). In diesem Werk wird das aufwendige Bühnenbild einer hohen rohen Felswand zur Projektionsfläche für Videobilder von Landschaften oder Menschenmengen in Asien, die der Bühnenbildner und Videomacher Peter Pabst in Seoul, der Partnerstadt fürs Stück, machte. Solche Stücke von Pina Bausch ließen

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Vgl. H. Müller/N. Servos: Pina Bausch, o.S. im Kapitel »Die Produktivität des Unfertigen«. Wie mir damals eine der Cutterinnen des Films in Köln berichtete, kapitulierte man fast ob der Fülle von 30 Stunden Filmmaterial, das ohne Filmkonzept wie bei Bauschs Bühnenproben gesammelt worden war und tatsächlich erst am Schneidetisch ohne Konzept montiert werden musste. Vgl. C. Rosiny: Filmkritik: Pina Bauschs erste TV-Produktion, S. 75. A. Sánchez-Colberg: You Can See it Like This or Like That, S. 219.

Themenfeld 1: Medieneinflüsse auf die Tanzästhetik

sich möglicherweise auch unter dem Blickwinkel eines dramaturgisch differenzierten Medieneinsatzes auf der Bühne analysieren, doch setzt Bausch solche Projektionen meist nur punktuell als Teil des Bühnenbildes oder wie in Walzer als singuläre Szene ein. 95 Wim Wenders hatte kurz vor Pina Bauschs Tod im Sommer 2009 mit der Planung eines 3D-Tanzfilms begonnen und das Projekt folgendermaßen angekündigt: »Die zweidimensionale Kinoleinwand war bislang nicht in der Lage, weder emotional noch ästhetisch, Pina Bauschs Arbeit gerecht zu werden. […] 3D wird uns die Möglichkeit geben, den Zuschauer direkt mit auf die Bühne zu nehmen, mitten hinein ins Zentrum des Geschehens.« 96 Festzuhalten ist, dass Pina Bauschs Arbeiten vielschichtige Verbindungen zum Filmmedium aufweisen. Herausgestellt habe ich hier als Basisprinzip des choreographischen Verfahrens im Tanztheater die Montage. Abläufe von Bewegung werden montiert, aber auch andere Stilmittel des Tanztheaters wie Gesten, Sprache und Aktionen. Wiederholungen sind dabei ein wichtiges strukturierendes und Spannung erzeugendes Merkmal. Aus der Wiederholung erwächst wie bei Brecht Unterhaltung und Erkenntnis. Choreographie im Tanztheater verlässt lineare, syntaktische und expressive Erzählstrukturen. Tanztheater ist visuell, ein Bilderreigen von Einblicken in Räume und Zeitabschnitte. Raum und Zeit werden zu Puzzleteilen einer Simultaneität, die entgegen einem Raum-Zeit-Kontinuum in einem dramaturgischen Spannungsbogen erscheinen. Sowohl in der Musik als auch in den Themen der collagierten Szenen ist auch ohne aufklärerische Absicht von Bausch oftmals ein Grundtenor, ein Thema erkennbar. Montiert werden nicht nur die Vielzahl der Szenen in einer Diachronizität, sondern ebenso werden innerhalb jeder Szene darstellerische Elemente in einer Synchronizität zusammengefügt. 97 Es ist die Parallelität der Vorgänge, die auch ein wiederholtes Schauen von Bausch-Stücken selten langweilig werden lässt, denn anders als bei einer Kamera kann der Zuschauer den Fokus in der Bühnenwahrnehmung ändern. Auf diese Weise ist Montage in Pina Bauschs Tanztheater nicht gleich stark fixiert wie im Film, sondern durch Unfertigkeit und Bruchstückhaftigkeit gekennzeichnet. Das Strukturprinzip der Montage, die Aneinanderreihung und Kontrastierung von Szenen und Bildern, lässt sich auf das Genre des Tanztheaters allgemein adaptieren und charakterisiert generell die choreographische Struktur des zeitgenössischen Tanzes. 95 96 97

Zu diesen intermedialen Beziehungen von Tanz und Film siehe Themenfeld 2. In diesem werden andere, markantere Beispiele vorgestellt. http://www.pina-bausch.de/news.htm vom 24.6.2009. Zur Analyse des im November 2010 fertig gestellten Projekts siehe das entsprechende Kapitel zu Pina im Themenfeld 3. Vgl. auch A. Sánchez-Colberg, You Can See it Like This or Like That, S. 220.

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William Forsythe: Fragmentierung als ästhetisches Prinzip des postmodernen Tanzes

Ähnlich wie bei Pina Bausch überwiegen im Falle William Forsythes journalistische Erkundungen des Œuvres, denn seine komplexen Werke entziehen sich einer eindeutigen Analyse, eröffnen wie bei Bausch mehrschichtige Horizonte. 98 In diesem Abschnitt werden wiederum die einer Filmästhetik entlehnten choreographischen Prinzipien und Merkmale seines Bewegungsvokabulars veranschaulicht, die vergleichbar mit Bausch ein zentrales Grundmuster seiner Arbeit sind. Einen kennzeichnenden terminologischen Zugang zur Charakteristik seiner Choreographien bildet der Begriff der Fragmentierung. Seit seinem Werk Gänge (1983) für das Ballett Frankfurt, für das Forsythe eine 1982 für das Nederlands Dans Theater entstandene Version zu einer abendfüllenden Produktion erweiterte, zeichnen sich seine Arbeiten durch eine Schichtung von »Sinn-, Bild-, Sprach-, Stimmungs- und Bewegungsebenen« aus. 99 Ein Werkregister zu Forsythe zu erstellen, ist nicht einfach, denn die Arbeitsweise der Stückelung zeigt sich auch in der steten Umkonzeptionierung oder Neufassung von Werken. Zudem werden oft Einzelwerke zu einem Abendprogramm und -titel zusammengefügt oder Ausschnitte in andere Werke gesetzt. Erst im Rückblick veranschaulichen Arbeiten wie Artifact (1984), Limb’s Theorem (1990), The Loss of Small Detail (1991), Eidos:Telos (1995), Kammer/Kammer (2000) oder Decreation (2003) einen Kanon, an dem filmische Grundprinzipien in der Konzeption der Choreographie ablesbar ist. Nick Haffner, von 1994 bis 2000 Tänzer im Ballett Frankfurt und Mitarbeiter bei der CD-ROM Improvisation Technologies,100 die ursprünglich als Trainingsinstrument für die Frankfurter Compagnie gedacht war, sieht im Stück Artifact von 1984 den Anfang für Forsythes Arbeiten mit Informationen, die den Tänzerinnen und Tänzern während der Aufführung zugespielt werden.101 In Artifact ist es zunächst eine Tänzerin auf der Bühne, deren Bewegungen von den anderen Compagnie-Mitgliedern übernommen werden, in späteren Arbeiten sind es ganz unterschiedliche mediale In-

98 In den letzten Jahren sind einzelne wissenschaftliche Bücher verfasst worden wie von C. Berger: Körper denken in Bewegung, oder W. Hartewig: Kinästhetische Konfrontation. Gerald Siegmund hat sich sowohl journalistisch als auch in zwei Büchern Forsythes Ästhetik gewidmet: G. Siegmund: William Forsythe, und ders.: Abwesenheit. 99 S. Huschka: Moderner Tanz, S. 296. 100 W. Forsythe: Improvisation Technologies. An der Ohio State University entstand ein weiteres Analyseinstrument zu seinen Choreographien, das auf der Website synchronousobjects.osu. edu benutzt werden kann. Vgl. ohne Verfasser: Gute Frage, Herr Forsythe, S. 66, und das entsprechende Kapitel im Themenfeld 5. 101 Vgl. N. Haffner: Forsythe und die Medien.

Themenfeld 1: Medieneinflüsse auf die Tanzästhetik

formationsträger. Forsythes Stücke entstehen aus der Improvisation. Ideen für diese sind nicht Fragen wie bei Bausch, sondern Fakten, Impulse aus der intellektuellen Umgebung, mit der sich Forsythe gerade beschäftigt. Das Bewegungsvokabular besteht aus wiederholten, variierten und fragmentierten Bewegungen, die zu komplexen Bewegungsmustern addiert werden. Diese basieren zwar auf dem Vokabular des klassischen Tanzes, doch anders als im Ballett bewegen sich seine Tänzerinnen und Tänzer nicht aus einem Bewegungszentrum oder aus der für das Ballett typischen vertikalen Achse heraus, sondern der Körper scheint in komplexe und kontrapunktisch funktionierende Bewegungszentren zu zerfallen. Dadurch wirken selbst die einzelnen Bewegungen wie unterbrochen im Bewegungsfluss. Aus solchen Fragmentierungen von Bewegung aus multiplen Zentren resultiert eine Vielheit und Simultaneität von Abläufen und Aktionen, welche die Wahrnehmung (über-) fordern und von den Zuschauenden nur selektiv wahrgenommen werden können.102 Im zweiten Akt von Artifact, das in der Beleuchtung aus starken Schwarzweiß- und Helldunkel-Kontrasten besteht, fällt der eiserne Vorhang so plötzlich, dass beim ersten Mal das Raunen im Publikum eine Theaterpanne vermuten ließ.103 Erst durch die Wiederholung dieser Unterbrechung der Wahrnehmung wird ein weiteres unterbrechendes Stilmerkmal der Inszenierung offenbar. Nach dem Heben des Vorhangs sind die choreographischen Formationen im Bühnenraum versetzt, animiert wie bei einer Stop-Motion im Film. Anstelle weicher Szenenübergänge wie bei Bausch setzt Forsythe harte Brüche, addiert Teile. Bei Forsythe werden Bühnensystem und Bewegungsvokabular durch die Brüche offengelegt, und somit wird ein Diskurs über Traditionen und Konventionen eröffnet. Aspekte der Fragmentierung – in Anlehnung an den Begriff des Fragments von Jean-Luc Nancy, der diesen als kennzeichnend für eine ganze Epoche zeitgenössischen Kunstschaffens im Zeichen der Postmoderne charakterisiert – sind Unterbrechungen, Fortsetzungen, Zitate, eingesetzt als Mittel, um gerade durch das Nicht-Gesagte, das Unvollkommene zum Denken anzuregen: »In der Kunst geht es nur um die Fragmentierung von Sinn, um ein Fragment-Sein oder um eine Fraktalität, die grundsätzlich zum Sinn selbst (des Seins) gehört.«104 Anders als Bausch, bei der eine Kritik am klassischen Ballett anklingt, zerlegt, reflektiert und variiert Forsythe das Ballettvokabular, dem er in seiner eigenen formalen Sprache im Grundsatz treu bleibt. Es wird regelmäßig sogar auf Spitze getanzt. Aber diese Bruchstücke werden mit 102 Vgl. K. Evert: DanceLab, S. 124ff. Evert erläutert Forsythes Tanzstil im Weiteren im Bezug zu den Theorien von Rudolf Laban. 103 Ich hatte in den 1980er Jahren eine Vorstellung und diese Irritation in Frankfurt selbst erlebt. 104 J.-L. Nancy: Die Kunst – Ein Fragment, S. 176.

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einer Fülle von Materialien ergänzt, die wie Bilder, Texte oder moderne Technologien auch aus anderen Kunstsparten und Disziplinen stammen können. Dahinter steckt Forsythes Neugierde an neuen Technologien und ein intellektuell geprägtes, breites kulturelles Interesse an Architektur, Film, Linguistik, Mathematik, Mystik oder Philosophie. In Limb’s Theorem dienten Architekturzeichnungen von Daniel Libeskind als Bewegungsinspiration, für Alie/na(c)tion (1992) nahm Forsythe einzelne Sequenzen von Ridley Scotts Film Alien und James Camerons Film Aliens zum Vorbild für die organisatorische Form der Choreographie, im Probenprozess zu Eidos:Telos (1999) lud Forsythe einen Filmcutter ein, um über Filmtechniken zu erzählen: »The edits that exist in cinema can actually work as scores for us.«105 Er selbst spricht von einem filmischen Denken, das in sein choreographisches Schaffen einfließt: »From early on I created storyboards as a way of composing sequences of movement and thinking about the components of the dance.« Zur Produktion von Gänge in Frankfurt erläutert er: »I was […] trying to think cinematically. I worked with the dancers in terms of single frames, trying to reduce everything to its essential elements.«106 Was bei Bausch als Referenz zum Film beurteilt werden kann, ist bei Forsythe bewusst gewähltes filmisches Format und filmische Technik als Vorlage im choreographischen Prozess. Obwohl in manchen Stücken von Forsythe wie auch in Alie/na(c)tion Fernsehmonitore auf der Bühne eingesetzt werden, dienen diese meist nicht dem sichtbaren choreographischen Konzept im Sinne eines Medieneinsatzes auf der Tanzbühne, sondern die Bilder – hier die Ausschnitte aus den Spielfilmen Alien und Aliens – liefern Impulse für den Improvisationsprozess, für das Finden von Bewegung. Manchmal läuft auf den nur für die Tänzer einsehbaren Monitoren wie beispielsweise in Limb’s Theorem einfach ein »time code«, der als Anhaltspunkt für das Timing der Bewegung dient, da die Musik – wie in den meisten Werken von Forsythe seit 1985 komponiert von Thom Willems – aus einem Geräusch- und Klangteppich besteht und kaum eine musikalische Grundstruktur anbietet. Willems arbeitet hauptsächlich mit dem Synthesizer: Er sammelt und speichert Tonmaterial und fügt diese Teilchen zu einer Komposition. Auch in Passagen ohne Musik wird der »time code« als Bezugspunkt für Bewegung eingesetzt. In Eidos:Telos liefert ein weiteres Set an Monitoren, das seitlich auf der Bühne für die Tänzer sichtbar aufgebaut ist, Buchstaben als »key« für bestimmte Bewegungssequenzen. Ausgehend von den 26 Buchstaben des Alphabets wurde zusammen mit dem Ensemble ein Bewegungsalphabet von 135 kurzen Sequenzen erarbeitet. Buchstaben,

105 Zit. in: R. Sulcas: Forsythe and Film, S. 96. 106 Ebd., S. 101.

Themenfeld 1: Medieneinflüsse auf die Tanzästhetik

Filmausschnitte und ein »time code« geben auf drei Ebenen mediale Inputs für die Choreographie. Haffner beschreibt das Prinzip der Bewegungsausführung in Eidos:Telos: »[…] es geht darum, ein sehr schnell abrufbares System für den erarbeiteten Bewegungskatalog zu finden, um ihn jederzeit neu – wie es in der Filmsprache heißt – schneiden zu können.«107 Forsythe setzt Medien als Angebot, nicht als Partitur ein, um seine aus der Improvisation entwickelten Choreographien, die oft in der Aufführung noch aus improvisierten Teilen bestehen, zu realisieren. Die Anwesenheit der Medien ist nicht für das Bühnenprodukt bestimmend, sondern für den kreativen Prozess im Hintergrund. Den Tänzerinnen und Tänzern überlässt Forsythe einen breiten Entscheidungsspielraum in der Aufführung. Statt »great dancing« sagt Forsythe nach einer Aufführung entsprechend »good decisions«.108 Kerstin Evert vergleicht dieses Verfahren, das multiple Angebot im Prozess einer »Echtzeitchoreographie« zu verknüpfen, zu Recht mit den Funktionsprinzipien eines »Hypertexts«.109 Die Tänzerinnen und Tänzer schaffen so durch die von ihnen entschiedenen Verknüpfungen das jeweilige Stück, das jeden Abend ein wenig anders aussehen kann. Und diese Fülle des Wahrnehmungsangebotes wird wiederum nochmals durch das Publikum kombiniert, so dass dieses erst im Rezeptionsprozess, vergleichbar den Mechanismen im Tanztheater, zum Produzenten von individuellem Sinn wird. Während das Tanztheater stärker auf einer emotionalen Substanz und auf Bezügen zum Alltag basiert, wirkt das postmoderne Angebot eines William Forsythe auf einer abstrakteren Ebene. Ein Sinnbezug kann, muss aber nicht hergestellt werden. Kammer/Kammer (2000) Der filmische Einfluss auf Forsythes Choreographien begann Anfang der 1990er Jahre parallel zu einem allgemein starken Medieneinfluss und einem medial geprägten Denken im zeitgenössischen Tanz. Grund hierfür ist auch die kostengünstige Verfügbarkeit von Videomedium oder Computer. Der Videomacher Philip Bussman, der Forsythes Arbeiten seit Artefact kennt, einige Jahre mit der New Yorker Multimedia-Theatergruppe The Wooster Group kooperierte und seit Kammer/Kammer (2000) regelmäßig mit Forsythe arbeitet, berichtete, das Ballett Frankfurt habe damals nach der Weltausstellung in Hannover besonders leicht an Equipment gelangen können. Der Mediengebrauch ist folglich auch stark von den Produktionsbedingungen

107 N. Haffner: Forsythe und die Medien, S. 32. 108 R. Sulcas: Forsythe and Film, S. 101. 109 K. Evert: Filmschnitt und Hypertextur, S. 153.

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abhängig. In Kammer/Kammer sind die Monitore anders als in vielen Forsythe-Stücken für das Publikum sichtbar, und die Bilder zeigen typische Wirkungen des Einsatzes von Medien auf der Bühne: Medienbilder haben bekanntlich eine starke bis dominante Bühnenwirkung. Kammer/Kammer könnte auch unter Parametern des Medieneinsatzes auf der Bühne analysiert werden. In den folgenden Ausführungen steht das Stück trotzdem als Beispiel für die These des Fragmentierungsprinzips in Forsythes Arbeiten. Denn der sichtbare Medieneinsatz ist nur eine weitere Stufe des medialen Denkens von Forsythe; Medien sind inszenatorisches Beiwerk und eine weitere Variante der ästhetischen Nutzung: »I wanted to bring film into the theatrical medium, like a fabulous magnifying glass.«110 Kammer/Kammer ging wie bei vielen Werken von Forsythe ein Stück voraus, aus dem sich Motive wiederfinden. Endless House entstand ein Jahr zuvor für das Bockenheimer Depot, einen neuen Spielort für die Compagnie in Frankfurt. Im breiten Rechteck des Raumes, einer alten Straßenbahnhalle, war die Guckkastenperspektive aufgelöst und das Publikum aufgefordert, sich um die Fläche frei zu bewegen. Auf der Aktionsfläche befanden sich Stühle, die den Zuschauerinnen und Zuschauern als Sitzgelegenheiten angeboten wurden, und mobile Sperrholzwände, die eine volle Einsicht der Bühnenfläche behinderten. Durch das Bewegen der Wände entstand nicht nur eine Aufeinanderfolge von Szenen, also zeitlichen Abläufen, sondern die Separierungen eröffneten auch unterschiedliche räumliche Konfigurationen. Kammer/Kammer baut auf diesem Prinzip der segmentierten Räume von Endless House auf, indem wiederum die flexiblen Stellwände eingesetzt werden. Außerdem befinden sich einige unterschiedlich große Fernsehmonitore auf der Bühne und v-förmig bis in den Zuschauerraum hinein als zusätzliche mediale Repräsentationsebene. Das Publikum, diesmal auf einer im Bockenheimer Depot fest installierten Tribüne platziert, sieht unterschiedliche Ausschnitte sowohl auf der Bühne als auch auf den Bildschirmen. Das Stück ist weniger ein Tanzstück als ein theatrales Ereignis, intermedial im Sinne von Medienkombinationen addiert aus Texten, Tanz, Video, Fernsehen, Gesang und Aktionen. Grundlage des Werkes waren zwei Texte: »Irony is not enough: Essay on My Life as Catherine Deneuve« von Anne Carson, in dem sich Catherine Deneuve als Universitätsprofessorin in eine romantische Fantasie mit einer Studentin verstrickt, und »Outline of My Lover« von Douglas A. Martin, in dem ein junger Mann die ungleiche Beziehung zu einem Rockstar beklagt. Die beiden Protagonisten werden von Dana Caspersen als Deneuve und Antony Rizzi als Tony verkörpert. 110 R. Sulcas: Forsythe and Film, S. 102.

Themenfeld 1: Medieneinflüsse auf die Tanzästhetik

Kammer/Kammer hat beim Einlass des Publikums bereits begonnen. Man sieht eine Probensituation, in der das Ensemble einzelne Aufwärmübungen ausführt, sieht Stellwände und eine Kamera auf einem Stativ, hört Klaviertöne und dazwischen einen Choreographen namens Chris (Christopher Roman) agieren, der versucht, einen Durchlauf zu organisieren. Kurz darauf tritt Tony, der bereits mitprobt, in den Vordergrund und spricht zum Publikum. Er fungiert im gesamten Stück als Moderator des Abends, der abwechselnd zu den Performern und zum Publikum spricht und irgendwann zu Beginn zum Ensemble hin fragt: »Has anybody seen Billy Forsythe?« Diese Offenlegung der konfusen Probensituation wirkt komisch, vor allem im Kontrast zur AnsaFilmstill aus Kammer/Kammer, ge von Tony, der kurz darauf Choreographie: William Forsythe (2000) das Stück erläutert, von dem er sich eigentlich eine Komödie erhofft hatte, doch würde es eher eine Tragödie mit seriösen Themen wie Liebe und Sokrates usw. werden (in Anspielung auf die Textinhalte). Auf den Monitoren sind live aufgenommene Nahaufnahmen der Protagonisten, aber auch vorproduzierte Filmausschnitte zu sehen, oft reden die beiden Protagonisten direkt in die Kamera. Es ist nicht immer deutlich, ob die Bilder auf den Bildschirmen direkt übertragen oder aufgenommen sind. Die Irritation darüber wird zum Spiel mit der Filmwahrnehmung. Die hoch hängenden Monitore und die sichtbaren Scheinwerfer erinnern an ein Fernsehstudio. Tony führt Dana alias Catherine Deneuve ein, die anschließend in die von einer Person gehaltene Handkamera spricht. Diese Nahaufnahme sieht das Publikum auf den Monitoren, Tony unterbricht ihren Monolog, indem er ihre Stiefel kommentiert – einer von vielen Brüchen im schon fragmentierten mehrschichtigen Ablauf, der die reflexive Bühnensituation offenlegt. Später kommentiert Tony eine Filmeinspielung, in der er in einem Hotelzimmer Geige spielt – er sei in 20 Prozent dieses Stücks eigentlich dieser Martin Schwember und in den restlichen 80 Prozent verkörpere er noch den Jungen mit der blauen Strickmütze (er trägt aber bereits die Wollmütze), der in seiner ersten Beziehung mit einem Rockstar befreundet sei und mit ihm von Hotel zu Hotel reiste. Das Ensemble erstarrt während seinen Erklärungen und verlässt erst nach Tonys Aufforderung den Freeze und die

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Hotelzimmer, an die das Bühnenbild erinnern soll. Von Texten und Figuren werden im Stück auf der Ebene der Bühnenaktionen oder Fernsehbilder nur Fragmente verwendet. Alle Teile ergeben in einem chaotischen Setting eine Situation eines Theaters auf dem Theater, wobei die gespielte bzw. geprobte Theatersituation das Format einer Fernsehshow hat: Kammer/Kammer reflektiert die Medien- und Fernsehwelt. Manche auf- und abgebaute Kammerkonstruktionen erinnern, wie Kerstin Everts bemerkte,111 an das Containerleben von Big Brother, ein Reality-Showformat, das 1999 zum ersten Mal in den Niederlanden ausgestrahlt wurde. In einer noch dichteren Art und Weise als in anderen Forsythe-Stücken werden alle eingesetzten Medien so ineinander verwoben, dass ständig Brüche und Lücken entstehen. Besonders in der Wahrnehmung, denn das Verschieben der Stellwände gibt Blicke in Kammern auf der Bühne frei, verhindert aber gleichzeitig Einblicke in die durch die Wände verborgenen Kammern oder zeigt ähnlich wie auf den Monitoren nur Ausschnitte, beispielsweise die Stiefel von Dana oder Körperteile eines Paares. Diese Sichtblockaden evozieren freilich die voyeuristische Neugierde: Was geschieht dahinter? Geschieht etwas hinter den Wänden, das unserem Blick entzogen wurde? Fragmentierungen entstehen zusätzlich zur Textebene auf der Bildebene der Monitore. Diese Bilder sind nicht verdeckt, zeigen aber den Eigenheiten des Mediums folgend nur Ausschnitte. Insbesondere die Verdoppelungen auf den Monitoren bewirken eine Ironisierung und Offenlegung der theatralen Mechanismen, aber auch die Kritik am Fernsehmedium, hier von Reality-Shows. Das ständige Schwatzen des Moderators und die Fülle der Monitore und Bilder karikieren ein Show-Setting im Fernsehstudio. Einzelne Tanzpassagen finden im zweiten Teil statt, beispielsweise auf und um eine Matratze herum, die auf den Monitoren in einer Top-Shot-Aufnahme gezeigt wird und so einen distanzierten zweiten Blick erlaubt. Tanz passiert manchmal nicht direkt einsehbar hinter den Stellwänden, wird auf die Monitore übertragen, kann nur erahnt werden oder findet im Kopf der Zuschauenden statt. Forsythe spielt im choreographischen Prinzip der Fragmentierung mit dem Unsichtbaren, dem »Abwesenden«.112 Zu einem Männertrio in einer der Kammern, das sich im Weiteren zu verschiedenen Formationen entwickelt und zuerst nur auf den Bildschirmen gezeigt wird, spielt Tony, der zu den drei Tänzern hinter die Stellwand verschwindet, ab einem Abspielgerät eine typische Musik von Bach. Er unterbricht die Wiedergabe immer wieder – auch auf der auditiven Ebene ist Fragmentierung ein wiederkehrendes Prinzip. Die

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Vgl. K. Evert: DanceLab, S. 152f. Vgl. G. Siegmund: Abwesenheit, S. 315.

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Bewegungsabläufe der Tänzer laufen separat, wie auf einer anderen Ebene, hier der Tanzebene, ohne Bezug zu den Unterbrechungen der Musik oder dem Kommentar von Tony. Das Bewegungsvokabular zeigt die für Forsythe typischen gebrochenen Bewegungslinien und eine Multiplizität und Isolierung der Bewegungszentren. Auch in Kammer/Kammer wirken die Tanzpassagen improvisiert, nicht reproduzierbar, als Live-Kontrast zu den mediatisierten Bildern. Das Wahrnehmungsangebot auf allen Ebenen ist so dicht, dass es kaum möglich ist, einer Linie zu folgen. Die Rezeption von Kammer/Kammer ist aufgrund des (Über-)Angebots anstrengend. Erst die aktive Beteiligung, die subjektive Auswahl und Zusammensetzung der Fragmente selektiert und kondensiert das Stück. Forsythe schafft Angebote für die Rezeption. Sein Spielen mit der aktiven Teilnahme der Zuschauenden reizt er seit einiger Zeit auch in installativen Arbeiten aus. In White Bouncy Castle, 1997 erstmals im Roundhouse in London erprobt, Ende 1999 im Bockenheimer Depot und später an weiteren Orten gezeigt, gibt es kein Publikum, sondern ausschließlich Akteure. In dieser von Forsythe und Dana Caspersen konzipierten gigantischen Hüpfburg, die sogar einen Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde erhielt, ist die aktive Teilnahme das Ereignis. Die Musik von Joel Ryan animiert und beschleunigt das kinetische Erlebnis. In Scattered Crowd (2002) durfte jeder Besucher zwei mit Helium gefüllte Ballons in einem Raum platzieren, so dass sich eine wandelnde Rauminstallation ergab. City of Abstracts (2002) war eine Videoinstallation im öffentlichen Raum in Frankfurt, bei der an drei Orten versteckte Kameras Passanten filmten, die ihr verfremdetes Videobild auf einer Hauswand an der gegenüber liegenden Seite entdeckten. Wenn sie ›mitspielten‹ und Bewegungen ausprobierten, sahen Vorbeigehende von der Straßenseite der Videowand nur die sich bewegenden Personen und wunderten und amüsierten sich.113 Diese jüngeren Werke von Forsythe bedeuten, wie Sabine Huschka bemerkt, eine »Entgrenzung der Gattung Tanz«, indem er ästhetische Prinzipien der Improvisation und Interaktivität »im Übertritt in den Kunstkontext radikalisiert«.114 Solche Arbeiten zeigen nochmals, dass Forsythe niemals ein fertiges Produkt zeigt, sondern analog der aktiven Gestaltung einer Choreographie mit seinen Tänzerinnen und Tänzern in diesen Installationen das Publikum in eine gestaltende Rolle bringt. Manchmal als alleinige Akteure wie in den genannten Arbeiten oder als Kollaborateure der Ensemblemitglieder wie in Human Writes (2005), wo sich die Besucher vergleichbar mit Endless

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Siehe die genauere Analyse zu City of Abstracts im Kapitel zu interaktiven Installationen im Themenfeld 5. S. Huschka: Media-Bodies, S. 313.

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House frei in einem Raum bewegten, beispielsweise im Foyer des Schiffbaus in Zürich, und von den Ensemblemitgliedern zur Mithilfe bei durch ihren Körper initiierten Schreibbewegungen auf mit Papier bespannten Tischplatten gebeten wurden. Fragmentierung als ästhetisches choreographisches Grundprinzip erscheint in den installativen Arbeiten als Arrangement verschiedener Medien. William Forsythes Arbeiten zeigen als Mittel der Gestaltung, als Medium im engeren Begriffssinn, Verbindungen zu filmischen Medien. Dabei ist sein »Denken in Bewegung«115 geformt von einem medial geprägten Denken, von Inspirationen aus der Film- und Medienwelt und von einer wie ein Computer funktionierenden Denkweise, bei der Dinge in ganz verschiedenen Konstellationen immer wieder neu verknüpft werden können. Und diese hypertextuellen Verbindungen geschehen letztlich in der ästhetischen Wahrnehmung, in der Fügung der Fragmente. Prinzipien der Fragmentierung finden sich auf verschiedenen Ebenen: Auf der Stufe der Bewegung, die aus verschiedenen multiplen Zentren erfolgt. Linien werden immer wieder gebrochen in Gelenken und Bewegungszentren. Aus den Brechungen und den ständig wechselnden Beugungen und Winkelungen von Handgelenken, Ellbogen, Knie- und Fußgelenken entstehen komplexe Bewegungsmuster. Raumrichtungen, in denen Forsythe sehr präzise sein kann, werden wiederum durch die Fragmentierungen der Linien zu Teilkörperräumen. Diese Segmentierung des Körpers setzt sich außerdem in der räumlichen Realisation seiner Choreographien fort. Merkmale seiner die Wahrnehmung fordernden Werke sind wie in Kammer/Kammer eine auf die Spitze getriebene Gleichzeitigkeit von Aktionen und die Aufteilung der Bühne in verschiedene Räume, die durch die Stellwände sogar abgeschlossen und uneinsehbar sind. Wo bei Bausch der Fokus durch Nähe oder Distanz, ›Nahaufnahme‹ oder ›Totale‹ gelenkt wird, bietet Forsythe keine Lenkung des Blicks und versperrt diesen sogar. Bewegungsabläufe, Bilder, Moderationen, Monologe laufen parallel. Analog zur räumlichen Anordnung ist die Zeitstruktur in seinen Stücken nie linear, sondern immer multipel und parallel, austauschbar und improvisiert. Dass die Dramaturgie der Forsythe-Werke trotzdem funktioniert, widerspiegelt die zeitgenössische Tanz- und Kunstproduktion: Im Kontext der Postmoderne gibt es keinen Sinn, Sinn stiftet sich allenfalls durch den Nicht-Sinn bzw. Sinn-Fetzen.

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G. Siegmund: Denken in Bewegung.

Themenfeld 1: Medieneinflüsse auf die Tanzästhetik

Accrorap: Posen und Brüche im Breakdance – mediale Verbreitungsmechanismen des Hip-Hop

Die französische Hip-Hop-Gruppe Accrorap steht beispielhaft für die populäre Tanzform des Breakdance, die vor allem in Frankreich neben den soziokulturellen Erscheinungsformen einer Straßenkultur auch Platz auf den zeitgenössischen Tanzbühnen gefunden hat. Untersucht werden soll in diesem Kapitel, welche Zusammenhänge zwischen den offensichtlichen ästhetischen Merkmalen der Posen und Brüche im Breakdance und den Medieneinflüssen der 1970er und 1980er Jahre festzustellen sind. Und am Beispiel einer Produktion der Gruppe Accrorap, wie eine durch die globale Medienverbreitung typische Vermischung von Tanzstilen, eine »glokalisierte« Tanzkultur, entstanden ist.116 Zur Hip-Hop-Kultur zählen bekanntlich nicht nur der Tanz, sondern auch die Sparten Sprache mit dem Sprechgesang Rap, Bild mit Graffiti und Musikperformance mit DJ-Techniken wie Scratching und Mixing, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll, deren Zusammenwirken jedoch für das Gesamtphänomen einer Kultur von »Peace, Unity, Love and Having Fun« unbestritten ist.117 In der Szene lauten die gängigen Begriffe: Rapping, Writing bzw. Painting, DJing und B-Boying.118 Zentrale Figur der New Yorker Bewegung aus der Bronx ist Afrika Bambaataa, der in seiner 1973 gegründeten Zulu Nation Hip-Hop-Künstler der verschiedenen Disziplinen vereinte und zur Symbolfigur einer friedlichen Jugendbewegung wurde, die sich beispielsweise auch gegen die Apartheid in Südafrika einsetzte. Auf einer Tournee in Europa 1984 gastierte Bambaataa in Frankreich und gründete einen französischen Zweig seiner Zulu Nation. Obwohl die Gruppe sich wieder auflöste, wurde der Breakdance in Frankreich dadurch bekannt und erhielt auf dem Sender TF1 im gleichen Jahr eine eigene Hip-Hop-Sendung.119 Die Bezeichnung Breakdance war zu Beginn der 1980er Jahre, als Filme wie Wild Style! (1982), Beat Street und Breakin’ (beide 1984) den Hip-Hop popularisierten, eine Erfindung der Medien. Dennoch steht das B im von der Szene bevorzug-

116 Der Begriff der »Glokalisierung« geht auf den Soziologen Roland Robertson zurück. Dahinter steht die These, dass globale Phänomene erst auf lokaler Ebene sichtbar sind, sich also globale und lokale Entwicklungen logischerweise vermischen. R. Robertson: Glokalisierung. 117 Beschreibung der Hip-Hop-Kultur, die der Schweizer Hip-Hopper Crazy anlässlich eines Unterrichtstages im Rahmen des Nachdiplomstudiums Tanzkultur im Juli 2009 an der Universität Bern gab. Weitere Einführungen und Übersichten zum Gesamtspektrum des Hip-Hop siehe zum Beispiel: G. Klein/M. Friedrich: Is this real?; P. Shapiro: The Rough Guide to HipHop; K. Bock/S. Meier/G. Süss: Hip Hop Meets Academia; J.G. Schloss: Foundation. 118 Vgl. G. Klein/M. Friedrich: Is this real?, S. 30. 119 Vgl. A.J.M. Prévos: Two Decades of Rap in France, S. 3.

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ten Begriff des B-Boying auch für den Break: Der »Break« war der Bruch, wenn der DJ – zugesprochen wird der Name dem DJ Kool Herc – die Beats auf den Platten manuell verzögerte und die Tänzer diese Lücken mit Bewegungen füllten. Die Wurzeln des Hip-Hops lassen sich bis in die 1960er Jahre zurückverfolgen, zu James Brown, Funk-, Rockmusik und afroamerikanischen Tanzstilen mit ihren multizentrischen Bewegungen. Vielfach werden bereits Verbindungen zum in den späten 1920er Jahren entstandenen Lindy Hop gezogen, der jedoch ein Paartanz war. Shorty Snowden, ein junger Schwarzer aus Harlem, zeigte an einem der damals populären Tanzmarathons – an einer eher seltenen gemischtrassigen Veranstaltung – improvisierte Schritte als Break, während er seine Partnerin wegschleuderte. Der »Break-away« wurde gefilmt, und Snowden antwortete auf die Frage, was er mit seinen Füssen in dieser Improvisation mache: »den Lindy«.120 Den Lindy Hop kennzeichneten Grundschritte und improvisierte Tanzeinlagen, die Form von Tanzwettbewerben und der Ursprung als Tanz der Straße – alles Parameter, die sich 40 Jahre später im solistischen, aber in der im Kreis stehenden Gruppe in der Form von sogenannten »Battles« ausgetragenen Breakdance wiederfinden. Für die weiteren Ausführungen ist die Frage der Terminologie weniger relevant als die Differenzierung in die Tanzstile Breaking, Popping und Locking. Diese Ausdrucksformen zeigen verschiedene von den Medien beeinflusste ästhetische Merkmale. Während Breaking in der South Bronx in New York City in den 1970er Jahren als getanzte Alternative zu Bandenkriegen, Drogen und Gewalt entstand, entwickelte sich an der amerikanischen Westküste mit Popping und Locking parallel zur damals populären FunkMusik ein eigener Stil. Ein Austausch der drei Formen des Breakdance respektive B-Boying geschah bald durch die mediale Verbreitung in Fernsehshows wie Soul Train, Auftritten in Musikvideos und Kinofilmen. Merkmale des Breaking sind einerseits die sogenannten ›Powermoves‹: Drehungen auf verschiedenen Körperteilen wie ›Back Spin‹, ›Head Spin‹, ›Windmill‹ und andere akrobatische Einlagen auf dem Boden,121 andererseits die mehr tänzerischen Varianten des ›Style‹ in aufrechter Position mit ›Footworks‹ (trippelnden schnellen Fußbewegungen), und ›Freezes‹ – Posen, in denen die Tänzer ihren individuellen, unverkennbaren Stil formulieren. Inspirationen zu den athletischen Formen holten sich die Breaker aus den in den 1970er Jahren populären Martial-Arts-Filmen. 120 Vgl. I. Driver: Tanzfieber, S. 135f. Der Lindy Hop entwickelte sich anschließend im Savoy Ballroom in Harlem, wo Snowden bereits zu den Tanzstars der damaligen Swing-Zeit zählte, in Zeiten der Depression zum Massenphänomen der 1930er und 1940er Jahre. 121 Ein Breaking-Glossar ist zu finden bei D. Rode: Breaking, Popping, Locking, S. 130f.

Themenfeld 1: Medieneinflüsse auf die Tanzästhetik

Popping kennzeichnet eher langsame roboterartige Bewegungen im Stand, die mittels Pantomime-Techniken, präzisen und abrupten, mechanisiert wirkenden Isolationsbewegungen ausgeführt werden. Dazu zählen Bewegungsmuster wie die von lebenden Schaufensterpuppen. Zugeschrieben wird dieser Tanzstil Boogaloo Sam, der diesen in den frühen 1970er Jahren in Fresno, Kalifornien, ebenso erfand wie die Variante des Electric Boogaloo, später in New York Electric Boogie genannt,122 mit weicheren Wellenbewegungen. Auch der durch Michael Jackson bekannt gewordene ›Moonwalk‹, der vorher von The Electric Boogaloos, der Gruppe von Boogaloo Sam und dessen Bruder Popin’ Pete, als Backslide verwendet worden war zählt dazu: Zu einer Rückwärtsbewegung des Körpers wird eine Vorwärtsbewegung der Beine vorgetäuscht.123 Ähnlich wie im Breaking entstanden unzählige individuelle Akzentuierungen von Bewegungen, die deutlich aus der Medienwelt, von Science Fiction, Roboterimitationen, Computeranimationen und Videospielen inspiriert waren.124 Mittels pantomimischer Techniken sollte eine Illusion hervorgerufen werden: »There are certain basic techniques that you should follow to make the illusion […]. Specially in popping. That’s the illusion dance.«125 Locking als zweite wichtige Variante des Funk-Stils spielt stärker mit Prinzipien von Spannung und Entspannung. Rode vergleicht den Bewegungsablauf mit den kleinen, an Fäden aufgezogenen Spielzeugfiguren, die – damals in Mode – auf Daumendruck an der Unterseite plötzlich zusammenfallen und ebenso schnell beim Wegnehmen des Daumens sich wieder aufrichten.126 Locking entstand in Los Angeles und wird Don Campbell zugesprochen. Er trug mit seiner Gruppe Campbellockers, die später The Lockers hieß, durch regelmäßige Auftritte in der kalifornischen TV-Sendung Soul Train durch die nationale Fernsehausstrahlung ab Ende der 1970er Jahre zur Bekanntmachung der Tanzformen der Westküste an der Ostküste bei. Kennzeichen dieses Tanzstils sind abrupte Stopps, scheinbare Wechsel von unkontrollierten und kontrollierten Bewegungen, die wie in Comic-Filmen durch Karikierung eine komische Wirkung erzielen. Auch Charlie-Chaplin-Filme dienten als Inspiration, und der Tanzstil beinhaltet übertriebene Sprünge mit angezogenen

122 Vgl. W.E. Perkins: Droppin‘ Science, S. 219. 123 Michael Jackson hatte sich diesen Schritt von Mitgliedern der Electric Boogaloos beibringen lassen und trug mit seinem Auftritt 1983 zu seinem Song »Billie Jean« zu einer weiteren medialen Verbreitung des Popping bei. Solch ein Illusionen hervorrufender Gang ist freilich bereits aus der klassischen Pantomime bekannt. 124 Die Website der Electric Boogaloos nennt einige weitere Stilvarianten und respektiert explizit Innovationen: http://www.electricboogaloos.com/knowledge.html vom 10.8.2009. 125 Special FX zit. in: D. Rode: Breaking. Popping. Locking, S. 133. 126 Vgl. ebd., S. 139.

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Knien oder Spagat-Sprünge.127 Ergänzt durch eine ausgeprägte Mimik und ein clowneskes Outfit werden Gegenstände, Personen und Ereignisse karikiert. Als verschiedene Ausdrucksformen von jugendlichen Subkulturen fanden Popping und Locking alsbald Aufnahme in der New Yorker Szene und im dortigen Breaking, so dass heute die Tänzer zwar je nach regionalen Ausprägungen und persönlichen Interessen den Schwerpunkt in einem Stil pflegen, sich ernsthafte Hip-Hopper jedoch um eine Integration der Stile und eine auch im Künstlernamen verankerte Individualität bemühen:128 »[…] they will choose a name that suggests they wish to project in their dance […]. In many cases, the name is given to them by a mentor or an other dancer, who they respect.«129 Die Hip-Hop-Kultur ist bis heute männlich dominiert, obschon es bereits in den 1970er Jahren einzelne Girl-Breakdance-Crews wie die Zulu Queens gab. Die Rolle der Frau bleibt am Spektrum männlich produzierter Weiblichkeitsbilder orientiert: Zwischen schutzbedürftigen Kindsfrauen und ›Bitches‹, wilden Weibern, zwischen Heiliger und Hure, konservieren Breakdance und Hip-Hop-Kultur traditionelle Geschlechterstrukturen.130 In allen drei Stilrichtungen des Breakdance kennzeichnen Posen und Brüche, abrupte Wechsel wie im Filmschnitt die Ästhetik des Tanzes. Stopps, Spannungs- und Tempowechsel erinnern an die zu Beginn der 1980er Jahre durch die Einrichtung des Senders MTV breitenwirksam ausgestrahlten Musikvideos. Die globale Wirkung von Michael Jacksons erfolgreichen Videos Billie Jean und Thriller131 kann dabei nicht unterschätzt werden, zumal Billie Jean 1983 der erste Videoclip eines afroamerikanischen Musikers auf MTV war – zwei Jahre nach der Gründung des Senders. Aus einer durch die Medienwelt inspirierten Subkultur, die sich in Parks und auf der Straße traf, wurde ein durch die Medien verbreitetes globales Massenphänomen mit lokalen Ausprägungen, in dem der Hip-Hop durch die Medienbilder inszeniert wird. Auch die Szene in Europa wird zuerst durch Filme wie Wild Style und Beat Street oder die kurze Battle-Szene in Flashdance von 1983 und die darin agierenden Gangs wie die Rock Steady Crew geprägt, die außerdem zur Eröffnung der Olympischen Sommerspiele 1984 in Los Angeles auftrat. Die Moves der medialen Vorbilder wurden per Videorekorder, Zeitlupe und Anhalten des Bandes studiert, adaptiert und weiter entwickelt. Gleichzeitig 127 Vgl. C. Pavicic: Hip Hop, S. 89. 128 Vgl. D. Rode, Breaking. Popping. Locking, S. 146. Rode erwähnt, dass Breaking in Deutschland – sicher aber auch in anderen Ländern aufgrund der spektakulären akrobatischen Bewegungen – im Mittelpunkt stehe. 129 J. Schloss: Foundation, S. 70. 130 Vgl. G. Klein/M. Friedrich: Is this real?, S. 206f. 131 Zu Michael Jackson und der Tanzästhetik im Musikvideo siehe das Kapitel zu Tanz im Musikvideo.

Themenfeld 1: Medieneinflüsse auf die Tanzästhetik

inspirierte die Videotechnik das Bewegungsvokabular selbst: Ein Freeze entspricht dem Videostandbild, Abläufe in Zeitlupe oder rückwärts abgespielte Vorwärtsbewegungen sind Themen im Popping. Als in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre die erste große mediale Breakdance-Welle abebbte und VideoEquipment für den Hausgebrauch erschwinglich wurde, dienten selbst erstellte Videokassetten als Medium des Austauschs und der Verbreitung des eigenen Stils.132 Der Musiksender MTV bleibt wichtige Plattform der HipHop-Kultur: 1988 legt sich der Sender mit YO! MTV Raps ein eigenes HipHop-Sendeformat zu. Breakdance wird eine beliebte Visualisierung von Pop-Musik, und die Protagonisten und Gangs erhalten Auftrittsmöglichkeiten. Gleichzeitig wird eine bestimmte großstädtische Bildkultur mit transportiert: städtische Wahrzeichen, sozialer Aufstieg, Statussymbole wie Goldketten und Luxuslimousinen.133 Es sind jedoch nicht nur durch die Medien geprägte Kanäle der Kommunikation, welche die Hip-Hop-Community verbinden – auch auf inhaltlicher Ebene ist der Bezug, das Zitieren und der Wettstreit ein Kennzeichen der Kommunikation. Zudem ist die Szene mobil, europäische Hip-Hopper der ersten Generation wie der Deutsche Storm, die auf den Breakdance in der ersten Hälfte der 1980er Jahre via Fernsehen, Kino und Auftritte der Amerikaner in Deutschland aufmerksam geworden waren, reisten in dieser Dekade quer durch Deutschland zu den verschiedenen »Battles«, und die ausländische Szene kam ab 1991 nach Deutschland, um jährlich an den »Battles of the Year« teilzunehmen. Mit der zweiten Welle des Breakdance in den 1990er Jahren reisten Vertreter der deutschen Hip-Hop-Szene wie Storm regelmäßig nach New York und ins Ausland. Storm tauschte sich schon früh in Paris auch mit der französischen Szene aus, beispielsweise mit der 1984 gegründeten Pioniergruppe Actuel Force. 1993 trafen Storm und die französischen Gruppen der ersten Generation im Théâtre Vilar in Paris aufeinander.134 In Frankreich hatte der Breakdance im Zuge der Unterstützung des zeitgenössischen Tanzes durch Kulturminister Jack Lang früh einen Platz auf den Theaterbühnen erhalten. Neben Actuel Force zählten Black Blanc Beur,135 die

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G. Klein/M. Friedrich: Is this real?, S. 115. Vgl. u.a. Stefan Bolliger: HipHop lebt, S. 57f. N. Robitzky: Von Swipe zu Storm, hier bes. S. 83ff. Der Ausdruck »Black, blanc, beur« steht in Anlehnung an das »Bleu, blanc, rouge« der französischen Trikolore und sollte die Multi-Ethnizität Frankreichs unterstreichen – »beur« ist der jugendsprachliche Ausdruck für Araber und bezeichnet die Kinder der maghrebinischen Immigranten in Frankreich (aus Tunesien, Algerien, Marokko, Lybien, Mauretanien), die entweder als Kinder nach Frankreich gekommen sind oder dort bereits als zweite Generation geboren wurden. Unter diesen Immigranten bildeten sich verschiedene musikalische und literarische Subkulturen.

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1984 von Christine Coudun und Jean Djemad gegründet wurden, zur Pariser Szene. Anders als in den USA mit den fast ausschließlich afroamerikanischen Wurzeln stammten die Hip-Hopper in Frankreich von verschiedensten ethnischen Gruppen, aus Nord- und Schwarzafrika, aus der Karibik und wohnten in den Vorstädten, den »banlieus« der französischen Großstädte. Black Blanc Beur luden schon früh auch Choreographen anderer Stile ein, gaben Originalmusik in Auftrag, erprobten multikulturelle Mixes und forderten einen Veranstaltungsort für den neuen Tanzstil. Es entstanden eigene Festivals wie die »Rencontres urbaines«. Hugues Bazin beschreibt das Aufkommen des HipHop in Frankreich als stark vom Tanz geprägt – schon in den frühen 1980er Jahren trainierten die Rapper auch Breakdance.136 Medien, zuerst eine Radio-, ab 1984 die Fernsehsendung H.I.P. H.O.P. auf TV1, moderiert vom Musiker Sidney, verbreiteten den Rap und Breakdance zuerst mit amerikanischen Namen wie Sugarhill Gang, Kurtis Blow, Afrika Bambaataa, aber auch den Tanz mit den Paris City Breakers. Zu einer weiteren Popularisierung des Hip-Hop in Frankreich in den 1990er Jahren trugen zusätzlich prominente Rapper wie MC Solaar bei. Für die französische Entwicklung des Breakdance kennzeichnend ist die parallele Erscheinungsform in den 1990er Jahren von Tanzkursen in den soziokulturellen Zentren der Banlieus, um mittels des Tanzes die Kids von der Straße zu holen und sinnvoll zu beschäftigen, andererseits die bereits erwähnte Öffnung der zeitgenössischen Tanzbühnen für den Breakdance. Als populäre Kulturform fand der Hip-Hop den Weg von unten nach oben, von der Straße ins Theater, und trug damit auch zu einer schwindenden Bedeutung von High- und Low-Art bei: »Hip-hop dance companies do not consider the ›street world‹ and the ›art world‹ […].«137 In Frankreich wurde in dieser Zeit dadurch ein wichtiger Grundstein für die Akzeptanz des Tanzes in Europa als sinnvolle Vermittlungsform in der Bildung gelegt. Bis heute arbeitet in Frankreich eine große Zahl an professionellen und semiprofessionellen HipHop-Tanzcompagnien.138 Anokha (2000) In der Gegend um Lyon zählt Accrorap zu den prominentesten professionellen Gruppen. 1989 zuerst als Kollektiv gegründet, ab 1993 als professionelle Compagnie arbeitend, leitet Mitgründer Kader Attou, ausgebildet in den

136 H. Bazin: Hip-Hop Dance, S. 99. 137 Ebd., S. 104. 138 Ebd., S. 100.

Themenfeld 1: Medieneinflüsse auf die Tanzästhetik

1980er Jahren an der Zirkusschule von Saint-Priest, seit 2008 mit dieser Gruppe das Centre Chorégraphique La Rochelle. Damit bildet heute Hip-Hop-Tanz sogar das Profil eines nationalen Tanzzentrums. Kader Attou wuchs mit seinen aus Algerien eingewanderten Eltern in der Banlieue von Lyon auf. Accrorap pflegen nicht nur den Hip-Hop-Tanz der Straße, sondern suchen den Dialog mit anderen Kulturen und Tanzformen. Für Anokha (2000) beschäftigte sich Kader Attou mit den klassischen indischen Tanzformen Kathak und Bharatnatyam. Gemeinsam sind diesen Tanzstilen des Orients und Okzidents markante Rhythmen und pulsierende Bewegungen. In vier Sequenzen wird im knapp einstündigen Stück eine Begegnung der Kulturen auf die Bühne gebracht.139 Die vielen Soli, Duette und einzelnen Gruppenformationen sind räumlich genau komponiert und in ein stimmungsvolles Lichtkonzept gesetzt. Vier Männer mit einem im Breakdance geschulten Körper, eine Frau mit modernem und zeitgenössischem Bewegungsvokabular, ein indisches Kathak-Tanzpaar und eine Bharatanatyam-Tänzerin zeigen für ihre jeweiligen Tanzstile charakteristische Tanzpassagen, die im Verlauf des Stücks immer wieder kombiniert und konfrontiert werden. Zu Beginn erinnert der kreisförmige Tanzteppich noch an den Kreis einer Breakdance-Präsentation, aber auch an die Form eines Mandalas. Das Kreiselement wird nochmals mit einer runden Form im Bühnenhintergrund wiederholt. Der typische Soloauftritt des Breakdance wird zu Beginn mit durch Lichtspots gelenkten Einzelauftritten auf einer Kreislinie aufgenommen. Die ganze Inszenierung wirkt aufgrund der differenzierten Beleuchtung und der durchwegs indisch inspirierten Musik dennoch stark zusammen haltend, so dass die beiden Tanzstile eine Liaison eingehen. Nach den ersten Soloauftritten im eigenen Tanzstil werden Duette im jeweils gleichen Tanzstil gezeigt – beispielsweise tanzen das Kathak-Paar oder zwei Breaker gemeinsam. Erst später werden die Tanzstile nicht zeitlich nacheinander, sondern parallel im Kontrast vorgeführt. Das Vokabular des Breakdance besteht aus typischen pantomimischen Bewegungen mit Posen und Brüchen, die im Laufe des Stücks beispielsweise in den Armhaltungen indische Motive aufgreifen. Auch Powermoves werden regelmäßig eingeflochten, diese wiederum fließen über in moderne Bewegungselemente, so dass die unterschiedlichen Phrasen zu einer zusammenhängenden Bühnenchoreographie verwoben werden. Die ganze Gruppe er-

139 Die Compagnie gastierte mit diesem Stück an den 15. Berner Tanztagen 2001. Eine Aufzeichnung hiervon stand mir zur Verfügung. An den 20. Berner Tanztagen zeigte Accrorap Douar, ein Stück über die Aussichtslosigkeit algerischer Jugendlicher in Frankreich und ihre Träume vom sozialen Aufstieg. Hier ist der Hip-Hop-Tanz, vermengt mit arabisch andalusischen Einflüssen, wie für viele Jugendliche der Hip-Hop-Bewegung Überlebenshilfe und übernimmt eine Brückenfunktion.

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scheint erstmals nach gut zehn Minuten gemeinsam auf der Bühne. Ab diesem Moment baut sich im weiteren Verlauf durch die Gegenüberstellungen und Übernahmen von Bewegungen ein sich annähernder Tanzstil auf: FreezeBewegungen aus dem Breakdance werden in Form von vier Kopfständen ausgeführt – dieser Moment des Stillstands transportiert gleichsam ein Bild einer Yoga-Übung wie das eines gestoppten Headspins – oder die Armhaltungen der Breaker nehmen eckige, an Tempeltanz erinnernde Formen auf. Ein Zeitlupengehen in der Gruppe erinnert an Zeitlupenbewegungen im Popping, wird jedoch begleitet vom Sologesang der indischen Tänzerin, so dass auch hier das Bild eines Gemischs der Kulturen entsteht. Die orientalische Stimmung, die Begegnung mit der indischen Kultur wird neben den Tanzpassagen durch Bilder und Bühnenbild übermittelt: durch ein rundes Sonnenmotiv, das später ein Bild Mahatma Ghandis zeigt und gegen Ende sich zu einem aus brennenden Teelichtern zusammengesetzten Swastika-Sonnensymbol wandelt. Die repetitive Rhythmik der Musik, durchsetzt mit indischem Straßengewirr und Stimmen hat im Verlauf des Stücks eine zunehmende Sogwirkung. Die Kreisform wiederholt sich auch in der geschlossenen dramaturgischen Form von Anokha: Das Stück beginnt und endet mit einem der europäischen Tänzer, der auf dem Kopf eine Maske trägt und durch Kopfneigung und Bewegung wie ein fremdes Wesen wirkt. Zusammenfassend kann für die Analyseparameter Bewegung, Raum und Zeit festgehalten werden, dass im Breakdance, im Wort ›Break‹, das Unterbrechungsprinzip in der Bewegung bereits enthalten ist: In den verschiedenen beschriebenen Bewegungsmustern der Varianten Breakdance, Popping und Locking sind Posen und Brüche signifikante Stilprinzipien. Diese Bewegungen zeigen eine deutliche Analogie zu Videotechniken: Freezes entsprechen dem Anhalten des Bandes, Einzelbilder, Vor- und Rücklauf wie Zeitlupe sind ebenso kennzeichnend für die Ästhetik des Hip-Hop. Diese ästhetischen Übernahmen lassen sich mit der zeitlichen Entwicklung der Videotechnik und der Verbreitung von MTV und spezifischen Fernsehsendungen erklären. Zeit als Parameter zeigt sich analog der Bewegung als diskontinuierliche Zeit, als unterbrochene, zusammengesetzte. Und dies sowohl auf der Ebene der Körperbewegung als auch auf der Ebene der Choreographie: Die Auftritte im Hip-Hop bestehen aus der Aneinanderreihung von Soli oder Duetten. Dieses Prinzip passt zur häufigen Grundstruktur von Szenenfolgen im zeitgenössischen Tanz, kann aber, wie am Beispiel Anokha gezeigt, auch durch andere theatrale Parameter wie beispielsweise die Lichtführung zu fließenden Übergängen und einer dramaturgisch geschlossenen Kreisform geführt werden. Während der urbane Außenraum, der ›Streetdance‹ in der Ausdrucksweise des Hip-Hop, auf die Ausbreitung und Adressierung des

Themenfeld 1: Medieneinflüsse auf die Tanzästhetik

jugendlichen Zielpublikums hinweist, besteht der engere Raum im Hip-Hop aus einer Kreisform, welche die Peergroup dieser jugendlichen Subkultur vereint. Innerhalb dieser räumlichen Geschlossenheit hat das Individuum seinen Soloauftritt, misst sich mit den anderen Gruppenmitgliedern oder denjenigen anderer Gruppen. Die Vorführung des individuell geprägten Tanzstils geschieht mehrheitlich am Ort, Hip-Hop zeigt wenig raumgreifende Bewegungen. In der Erweiterung auf die zeitgenössische Tanzbühne kann, wie an Anokha gezeigt, die Kreisform wichtig bleiben, hat aber im Kontext der orientalischen Kultur nochmals eine eigene Bedeutung. Daneben entsteht im Hip-Hop durch die Medien Fernsehen und Video ein globaler, die Kulturen verbindender Raum. Typisch für das globale Hip-Hop-Phänomen sind, wie am Beispiel von Anokha deutlich wurde, rhizomartige Ausprägungen: die Inspirationsquellen von Capoeira, westindischen Tänzen, Martial Arts und Streetdance verzweigen sich aufgrund von neuen Inspirationsquellen und weiteren multikulturellen Tanzstilen. Damit passt der Hip-Hop-Tanz ins allgemeine Gefüge des zeitgenössischen Tanzes, den eine Mischung von Stilen kennzeichnet. Gleichzeitig ist der Hip-Hop noch deutlicher als der zeitgenössische Tanz ein globales Medienphänomen – Verbreitung und Ästhetik sind eng an die Mediengeschichte, an Techniken und die Vermittlung durch Medien geknüpft. Ausgehend von den Vereinigten Staaten verbreitete sich eine stark von den Medien beeinflusste Tanzästhetik, die durch lokale Bedingungen neue glokale Ausprägungen erfuhr. Medientheoretische Zwischenbilanz: Transmedialität im Tanz

Die Beispiele im Themenfeld 1 für die Medieneinflüsse auf die Tanzästhetik veranschaulichen offensichtliche intermediale Beziehungen zwischen Mediengeschichte und moderner Tanzästhetik. Denn Intermedialität tritt in Medienumbrüchen auf, wenn ein neues Medium, hier der Film, entsteht. Im Hinblick auf die Medientheorie zeigt sich, dass mit dem Beginn der Filmgeschichte eine Mediatisierung des Tanzes einsetzte. Für diese erste Einflussnahme der Filmtechnik auf die Tanzästhetik eignen sich medientheoretischen Begriffe, die im Sinne einer schwachen Intermedialität transmediale Wanderphänomene umfassen. In den Beispielen der frühen Filmgeschichte war die Tanzästhetik durch die technischen Erfindungen beeinflusst: Tanzbewegung konnte nur in einem kleinen Bewegungsfeld von der starren Kamera aufgenommen werden. Fullers Serpentinentanz funktionierte als starker Effekt vor der Kamera. Generell wurde in Schauspiel- und Bewegungsstil eine stark präsentierende

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Performanz gewählt. Schnitt und Montage konnten bei den ersten Werken der Filmpioniere noch nicht verwendet werden. Georges Méliès entdeckte mit dem Stopptrick, einem Schnitt in der Kamera, eine Animationstechnik, mit der Überraschungseffekte in den Tanz und die Performance gebracht werden konnten. Erste Ansätze eines sensibleren Bewegungseinsatzes, der auch auf einen psychologisch motivierten Schauspielstil verweist, zeigt Maurice Tourneurs The Blue Bird. Im Verlauf der Mediengeschichte wirkte sich die sich differenzierende Filmtechnik weiter auf die Körperbilder und Bewegungskonzepte aus: Unterbrechungsprinzipien sind in von Medien beeinflussten Tanzstilen wie dem Breakdance in Freezes und abgehackten Bewegungen oder postmodernem Bewegungsvokabular der Fragmentierung und Polyzentrik sichtbar, Montageprinzipien des Films werden in choreographische Konstruktionen des Tanztheaters und zeitgenössischen Tanzes übertragen. Im Tanz treten also durch Film und Medien beeinflusste Modulationen sowohl auf der Ebene der Bewegung als auf der Ebene der Choreographie auf. Das kontaktgebende Medium für den Tanz ist der Film, aber es sind keine intermedialen Formen von Medienwechseln, sondern vom Film determinierte respektive aus dem Film stammende Phänomene, die sich in der Ästhetik des Tanzes transmedial im Sinne einer weichen Intermedialität niederschlagen.

Themenfeld 2: Medieneinsatz auf der Tanzbühne Fokus dieses Kapitels ist der Einsatz von verschiedenen audiovisuellen Medien auf der Tanzbühne. Exemplarisch werden einzelne Beispiele verschiedener Epochen besprochen und ästhetische Merkmale einer solchen Medienkombination beschrieben. Im ersten Schnitt zur Zeit der Theater- und Tanzavantgarde der 1910er und 1920er Jahre ist dies mit Entr’acte ein einzigartiges und vermutlich erstes historisches Beispiel einer Filmprojektion, die in einen Ballettabend integriert war. In den weiteren diachronen Schnitten der 1960er Jahre zur Perfomance-Kultur oder den Beispielen des jüngeren Bühnentanzes besteht diese Medienkombination aufgrund der technischen Entwicklung vor allem im Einsatz von Film- und Videotechnik, von Kamera und Projektionen auf der Tanzbühne. Die Analyse fokussiert die Kombination von Bewegungsästhetik und filmischer Ästhetik: In welchen Wechselbeziehungen stehen die intermedialen Partner? Fügt das eine Medium dem anderen eine zusätzliche ästhetische Dimension zu? Welche konzeptionellen Möglichkeiten entstehen aus der Kombination von realer Körperpräsenz und medialer Bildwiedergabe? Die Hypothese zur Analyse lautet: Aus der Kombination von Tanz und filmischem Medium auf der Tanzbühne entsteht ein konzeptionelles Miteinander in der Spannweite von einem Nebeneinander bis zu einer Vermischung der Medien. Potenzial der intermedialen Schnittstellen sind erweiterte ästhetische Wahrnehmungen.

Theater- und Tanzavantgarde der 1910er/1920er Jahre Parallel zur Etablierung des Films als Kunstform mit den im Kapitel zum frühen Film besprochenen ausgeprägten Erzählformen und ästhetischen Kunstgriffen in der Montage setzte die Theater- und Tanzavantgarde Maßstäbe mit spartenübergreifenden Kunstwerken der Moderne. Radikale Veränderungen der Wahrnehmung von Raum und Zeit durch die technischen Erfindungen des 19. Jahrhunderts, insbesondere auch durch den Film,

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wirkten sich auf die Theater- und Tanzproduktion der ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts aus.1 In der Malerei revolutionierte der Impressionismus das Sehen im »Erlebnis des Optischen«, 2 und der Kubismus sprengte den perspektivischen Raum. In der Musik forderte Arnold Schönbergs atonale Musik eine neue ästhetische Wahrnehmung. Die Theateravantgarde mit Regisseuren wie Max Reinhardt, Wsewolod Meyerhold, Antonin Artaud und später Bertolt Brecht schuf neue Bühnenkonzepte und veränderte die Rezeptionsweisen des Publikums. Für die Tanzavantgarde erprobten Sergei Diaghilews »Ballets Russes« in den 1910er und 1920er Jahren multidisziplinäre Tanzwerke, insbesondere in Kollaborationen mit modernen Komponisten wie den Russen Igor Strawinsky und Sergei Prokofjew und, im Umfeld der ersten Erfolge der Ballets Russes ab 1909 in Paris, mit den Franzosen Eric Satie, Darius Milhaud oder Claude Debussy. Auch bildende Künstler waren Teil von seinem Kollektiv – Russen wie Alexandre Benois oder Léon Bakst und später Franzosen wie Pablo Picasso oder Henri Matisse. 3 Ab der ersten Aufführung der Ballets Russes am 19. Mai 1909 im Théâtre du Châtelet, die von der Pariser Gesellschaft gefeiert wurde, bis zu Diaghilews Tod und der Auflösung der Truppe 1929 entstanden zahlreiche Werke, die bis heute die Tanzgeschichte prägen – darunter Fokines Les Sylphides (1909) oder Feuervogel (1910), Nijinskys L’Après-midi d’un faune (1912) oder Le Sacre du printemps (1913), Nijinskas Les Noces (1923) oder das für das spätere neoklassizistische Ballett stilbildende erste große choreographische Werk von George Balanchine, Apollon musagète (1928).4 Choreographen und Tänzer der Truppe wie Michail Fokine, Tamara Karsawina, Anna Pawlowa, Wazlaw Nijinsky und dessen Schwester Bronislawa Nijinska erneuerten den Tanz und sind heute Ikonen des modernen Tanzes. Es war ein neues, rhythmisch orientiertes, Fragmentierungen zulassendes Bewegungsvokabular, das beispielsweise an Choreographien wie Le Sacre du printemps oder L’Après-midi d’un faune von Nijinsky festzustellen ist. 5 Offenheit und Austausch mit Künstlern und Komponisten führte im Zusammenspiel der Disziplinen zu einer neuen Art von »Gesamtkunstwerk« auf der Tanzbühne. Trotz der Offenheit gegenüber der modernen Kunst 1 2 3 4

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Vgl. E. Fischer-Lichte: TheaterAvantgarde, bes. Einleitungskapitel, S. 1-14. Ebd., S. 2. Vgl. S. Huschka: Moderner Tanz, S. 123ff. Die tanzästhetischen und tanzgeschichtlichen Wirkungen des gesamten Œuvres sind vielfach und auch differenziert behandelt worden, beispielsweise im umfassenden amerikanischen Standardwerk von L. Garafola: Diaghilev‘s Ballets Russes, oder im deutschsprachigen Raum in der Publikation von C. Jeschke/U.Berger/B. Zeidler: Spiegelungen, ebenso im Ausstellungskatalog von C. Jeschke/N. Haitzinger: Schwäne und Feuervögel. Claudia Jeschke hat in verschiedenen Publikationen auf der Basis der Entschlüsselung von Notationen stets einen Fokus auf das Bewegungsmaterial gelegt. Vgl. beispielsweise dies.: Russische Bildwelten in Bewegung – BewegungsTexte.

Themenfeld 2: Medieneinsatz auf der Tanzbühne

und Musik der Zeit gibt es nur wenige direkte Bezüge zum Filmmedium. Diaghilew misstraute, wie Lynn Garafola schreibt, dem Massenmedium Film. Er sah den Film primär wie in seinen Anfängen in den Music Halls als reine Unterhaltungskunst. Ähnlich den Tanzpionierinnen verhinderte er folglich die technische Reproduktion der Ballets-Russes-Produktionen. 6 Die wenigen ästhetischen Verbindungen zum Filmmedium zeigen sich insbesondere an zwei Choreographien. Diese bedeuten weitere erste Belege einer transmedialen Einbeziehung filmischer Ästhetik im Vokabular des modernen Tanzes sowie ein multimediales Wechselspiel von Filmprojektion und Tanzdarbietung. Ballets Russes: Filmreferenzen in Parade und Le Train bleu

Parade (1917) und Le Train bleu (1924) sind erste Beispiele, bei denen das junge Filmmedium sich direkt auf die Ästhetik des Tanzes auswirkt. Parade, choreographiert von Léonide Massine (1896–1979) zu einem Libretto von Jean Cocteau, zur Musik von Eric Satie und Kostümen und Bühnenbild von Pablo Picasso wurde am 18. Mai 1917 im Théâtre du Châtelet in Paris uraufgeführt. Erstmals arbeiteten Satie und Picasso für den Tanz, und zum ersten Mal wirkte ein Künstlerkollektiv gemeinsam an einem Ballett. Das Werk spiegelt stärker als andere durchaus traditionelle und handlungsorientierte Stücke der Ballets Russes die zeitgenössische Kunstentwicklung in der Zusammenwirkung der Künste: eine alogische Struktur, mechanische Bewegungen, eine vom Konstruktivismus geprägte und den Ideen des Futurismus folgende Ästhetik im Bühnenbild. Gleichzeitig werden populäre Motive verwendet. Das Stück spielt in den Straßen von Paris, Thema ist die Tragödie eines erfolglosen Theaterunternehmens, ein Jahrmarkttheater mit einer Parade von Akrobaten und Figuren wie dem chinesischen Zauberer, der von Massine selber verkörpert wurde, einem kleinen amerikanischen Mädchen, zwei Managerfiguren und einem Pferd. Im Pferdekostüm steckten zwei Tänzer. Zuerst saß auf diesem ein als Schwarzer geschminkter Varietésänger als dritte Managerfigur, doch nachdem der Darsteller bei den Endproben von seinem Gaul fiel, blieb nur das Pferd in der Inszenierung. Mit den übergroßen kubistischen Kostümen der beiden Manager, die die Städte Paris und New York mittels französischen Attributen wie Pfeife, Frack und Schnurrbart und amerikanischen Attributen wie Cowboy-Outfit, Lasso und Wolkenkratzer symbolisierten, erfolgte eine »Abstraktion des menschlichen Körpers und seiner Bewegungen […], die zugleich zu den ersten Masken des modernen

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L. Garafola: Tanz, Film und die Ballets Russes, S. 164f. Übersetzung aus L. Garafola: Diaghilev‘s Ballets Russes, S. 66-84.

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Theaters zählen«.7 Jazzrhythmen, Musikzitate, eine von Cocteau ergänzte Geräuschkulisse in manchen Teilen der Choreographie und eine an die amerikanische Music Hall erinnernde Nummerndramaturgie führten erstmals zu einer Auflösung des Kunstbegriffs, einer »bewusste[n] Trivialisierung«8 auf einer Ballettbühne. Die beiden Managertypen trennten die Nummern und Traumwelten der Artisten und symbolisierten in hektischen vergrößerten Schrittbewegungen Betriebsamkeit und Anonymität der Moderne. Diese Bewegungen gingen mit einer für den Tanz bisher ungewöhnlichen Abstraktion und Formalisierung einher. Bezüge zum Filmischen lassen sich grundlegend schon durch die Referenz zur Populärkultur ziehen, konkret an der Figur des amerikanischen Mädchens festmachen. Cocteau liebte amerikanische Filme, und er entwickelte die Rolle des amerikanischen Mädchens in Anlehnung an den damaligen Stummfilmstar Mary Pickford. 9 Fast alle Aktionen des Mädchens, die aus schnellen, sprunghaften Bewegungsfolgen und pantomimischen Sequenzen zu Saties Ragtime bestanden, entstammten Pickford-Filmen oder einem Serienfilm von 1914, The Perils of Pauline, in der Pearl White die Hauptrolle spielte. Mit ihrem akrobatischen Können avancierte sie zu einem frühen Action-Star des Stummfilms. Außerdem verehrte Cocteau wie Massine Charlie Chaplin. In der Figur des Mädchens bündelt er diese Inspirationen: Er lässt sie den komischen, gestelzten Gang von Chaplin zitieren und verweist auf amerikanische Filmdramen, wenn sie beispielsweise mit einem Revolver einen Räuber zu vertreiben scheint. Monika Woitas sieht eine weitere Analogie zum frühen Film darin, dass Tanz und Musik im völligen Gleichklang wie bei einer Stummfilmbegleitung durch einen Pianisten ablaufen.10 Auch das Bauprinzip von Musik und Choreographie ist, wie Woitas detailliert aufschlüsselt, vom Film beeinflusst: Die Szenen wechseln sich wie bei filmischen Überblendungen schnell ab und werden als unabhängige Szenen, als kurze Episoden in unterschiedlichen Settings wie Straßen- oder Strandumgebung montiert.11 Dadurch entsteht auch eine räumlich addierte Struktur. Im Finale treten alle Figuren mit ihrem typischen Bewegungsrepertoire wie in einer Collage in einer Szene auf. Folglich zeigt sich in Parade bereits das szenenartige Montageprinzip, das im Tanztheater der 1970er Jahre wieder aufkam. Einen weiteren wichtigen Einfluss hatte das Werk auf die Performancekultur der 1960er Jahre, die sich auf die Avantgarde zu Beginn des 20. Jahrhunderts bezieht: Parade kann in 7 8 9 10 11

M. Woitas: Parade, S. 15. A. Backöfer: Von der Harmonisierung zur Provokation, S. 143. Vgl. F. McCarren: Dancing Machines, S. 110. Vgl. M. Woitas: Parade, S. 18. Vgl. M. Woitas: Leonide Massine, bes. S. 175ff.

Themenfeld 2: Medieneinsatz auf der Tanzbühne

der Abstraktion und Überzeichnung, dem Tempo der Szenen und Bewegungen und den geometrischen Formen des Bühnenbildes als Muster des Futurismus gelesen werden. Diaghilew hielt sich im Herbst 1916 mit Massine und einigen Tänzern in Rom auf und suchte den Kontakt zu den italienischen Futuristen. Aus dieser Begegnung entstanden die ersten Ideen zum Stück. Lynn Garafola erwähnt, dass Massine sich von den Ideen des im November 1916 erschienenen »Manifesto della cinematografia futurista« (Manifest der futuristischen Kinematografie) inspirieren ließ, indem er Simultaneität und Geschwindigkeit in seiner ersten Choreographie 1917, Die gutgelaunten Frauen, ausprobierte.12 Schon in diesem Werk gab er der Kellnerfigur einen von Chaplin entlehnten schleifenden Schritt. 1917 veröffentlichte Filippo Tommaso Marinetti das »Manifesto della danza futurista«, in dem er sich als Bewunderer von Nijinsky, Isadora Duncan und Loïe Fuller bekannte. An Nijinsky lobte er die »Geometrie des Tanzes« und forderte im Manifest, dass Tanzbewegungen die Bewegungen von Maschinen imitieren sollten, um so die Fusion von Mensch und Maschine vorzubereiten.13 Zuspruch erhielt Parade durch diese Analogien zu den neusten Kunstströmungen damals vor allem von der avantgardistischen Kunstszene. Das traditionelle Ballettpublikum reagierte hingegen ablehnend, so dass das Werk nicht lange im Repertoire der Ballets Russes blieb. Erst in den 1960er und 1970er Jahren entstanden vereinzelt Rekonstruktionen, die Massine bis zu seinem Tod in Brüssel, New York und London einstudierte. Und erst in dieser späteren Periode, als sich die Performancekultur in Mixed-Media-Produktionen auf den Futurismus, Surrealismus, Konstruktivismus oder Dadaismus bezog, wird die historische Bedeutung von Parade als frühes Beispiel eines bildhaften, multidisziplinären Kunstwerks mit starken Anleihen an den Film und andere populäre Unterhaltungsformen wie Varieté, Music Hall oder Zirkus deutlich. Bis zu Le Train bleu gab es bei den Ballets Russes keine bemerkenswerten Anspielungen auf den Film oder andere Phänomene der Moderne.14 Cocteau entlehnte vereinzelt filmische Techniken wie Zeitlupe und eingefrorene Bilder für sein Bewegungsrepertoire – beispielsweise in Le Bœuf sur le toit (1920) oder in Les Mariés de la Tour Eiffel (1921), das die Ballets Suédois herausbrachten.15 Diese Filmtechniken benutzte er noch einmal in Le Train 12 13 14 15

Vgl. L. Garafola: Tanz, Film und die Ballets Russes, S. 171f. F.T. Marinetti: Manifesto della danza futurista (Manifest des futuristischen Tanzes), zit. in: F. Ciofi degli Atti: Avantgardistische Choreographie im russischen Futurismus. Vgl. L. Garafola: Tanz, Film und die Ballets Russes, S. 174. Vgl. ebd., S. 175. Garafola erwähnt, dass die neue Zeitlupentechnik der Pathé-Gesellschaft in der Tanzzeitschrift La Danse 1922 gelobt wurde, da damit Tanzbewegungen veranschaulicht werden könnten. Man sah darin auch einen erzieherischen Aspekt, um Tanzschritte zu analysieren und zu demonstrieren.

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bleu – das Libretto zu diesem Werk war seine letzte Zusammenarbeit mit den Ballets Russes. Die Musik komponierte Darius Milhaud, und von Pablo Picasso stammte schon wie für Parade ein Bühnenvorhang, der zwei füllige, am Strand laufende Frauen zeigt. Das von Henri Laurens geschaffene Bühnenbild referierte mit verschachtelten Schrägen und schiefen Badekabinen auf die Avantgarde-Strömung des Kubismus. Bronislawa Nijinska (1892–1972) war für die Choreographie verantwortlich und interpretierte selber den Tennis-Champion. Le Train bleu thematisiert ein neues Phänomen der damaligen Zeit: Sport als Mode- und Zeiterscheinung – 1924 fanden in Paris die Olympischen Spiele statt. Die Kostüme stammten von Coco Chanel, die damit erstmals Bühnenkostüme entwarf. Der Stücktitel spielt auf den Zug an, der die Vergnügen suchenden Pariser vom Gare de Lyon an die Côte d’Azur brachte. Nijinska, die bereits in Les Biches, ebenfalls 1924 entstanden, die elegante Gesellschaft darstellte – notabene das Zielpublikum der Ballets Russes –, choreographiert Situationen des Alltags dieser Gesellschaftsschicht: Waren es in Les Biches eine Cocktailparty und eine Szene am Strand, so kontrastiert sie in Le Train bleu sportliche und akrobatische Bewegungsabläufe mit Bewegungen des klassischen Balletts. Claudia Jeschke weist darauf hin, dass Nijinska mit Nijinskys Werk Le Jeux von 1913 mit seinen Tennisszenen bereits ein Vorbild hatte, dass Nijinska aber im Gegensatz zu ihrem Bruder, der sich über das Tennisspiel zu innovativen Bewegungen hatte inspirieren lassen, die Bewegungen eher »eklektisch-dekorativ, charakterisierend oder konstruktivistisch einsetzte«.16 Cocteaus Vorgaben, vor allem zur Inszenierung und zu den Bewegungen, waren präzise. Von daher blieb Nijinska wenig Spielraum. Eine Szene, in der Zeitlupe im Bewegungsablauf verwendet wird, ist zu Beginn der Choreographie beim ersten Auftritt der Tennismeisterin zu sehen, wenn sie das Ausholen des Schlägers verlangsamt ausführt. Eine weitere Szene mit Zeitlupenbewegung beschreibt Cocteau, wenn sich die Vergnügenden einem imaginären Flugzeug zuwenden. Die Gestik allgemein lässt Stummfilmszenen anklingen, und die Posen der Tennismeisterin erinnern an Fotografien der Wimbledon-Siegerin von 1924, Suzanne Lenglen. In einer anderen Szene mit der Tennismeisterin und dem Golfspieler, in der sich beide – umrahmt von der ganzen Gruppe – streiten, werden mehrmals Posen wie für einen Fotografen mit einem Blitzlicht eingeflochten, und der Streit kippt schlagartig um in ein ›Bitte recht freundlich!‹. Die Anspielungen auf die neuen Massenmedien Fotografie und Film waren Cocteaus Vorgaben und bezogen sich auf seine Vorlieben und Interpretationen des damaligen Zeit-

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C. Jeschke: Bronislava Nijinska, S. 19.

Themenfeld 2: Medieneinsatz auf der Tanzbühne

geistes. Wie in Parade erwähnt er Charlie Chaplin, um den Streit der beiden Sportler zu beschreiben, den er sich als eine Slapstick-Szene mit Handgreiflichkeiten und dem Ausspielen ihrer Handgeräte vorstellte: »Derjenige, der [die Schläge] erhält, sollte sich bücken; derjenige, der sie austeilt, sollte von den Gesten weggetragen werden ins Nichts, sich auf dem Platz drehen usw. […] (Man erinnere sich an Ch. Chaplins Gefechte.) Die Hennen und Gigolos drehen einen Film, fotografieren, entwickeln einen Film, etc.«17 Cocteaus Fantasien scheinen ganz aus Filmanalogien entstanden zu sein. Die genauen pantomimischen Vorgaben führten schließlich zum Zwist zwischen Nijinska und Cocteau. Cocteau bewirkte bei Diaghilew nach der Premiere noch, dass einzelne Tänze durch pantomimische Szenen ersetzt wurden, denn ihm schien eine filmisch inspirierte mimische Darstellung wichtiger als ein tänzerisches Vokabular. Ab 1930 wirkte der Multikünstler Cocteau, der sich selbst primär als Dichter verstand, auch als Filmregisseur. Weder von Parade noch von Le Train bleu existieren historische Filmaufnahmen. Rekonstruktionen konnten immerhin aufgrund vielfältiger Materialien wie Libretti, Massines und Nijinskas Notizen, Kritiken und Fotografien erstellt werden. Frank W.D. Ries, der in den 1980er Jahren noch die Interpreten der ersten Inszenierung von Le Train bleu, Lydia Sokolowa (Perlouse) und Leon Woizikowsky (Golfspieler), interviewen und so vor allem die pantomimischen Szenen rekonstruieren konnte, bezog sich für die Erinnerung der Gruppenszenen interessanterweise auf anderes Filmmaterial der damaligen Zeit. Garafola erwähnt die Wochenschau-Aufnahmen der Folies Bergère und Aufzeichnungen des Standardtanzpaares Marjorie Moss und Georges Fontana – Bewegungsstile, die viel näher an den Vorführungen der Music Hall als am klassischen Ballett lagen.18 Entsprechend erinnern die Gruppenformationen in Le Train bleu an Chorus-Reihen des Revue-Genres.19 Bewegungsrepertoire und bestimmte Bewegungsqualitäten in den beiden besprochenen Beispielen der Ballets Russes weisen deutliche Bezüge zu den damals aktuellen Medien Fotografie und Film auf: Szenen und Bewegungsabläufe werden populären Stummfilmen und deren Stars wie Charlie Chaplin und Mary Pickford entlehnt und entsprechend stilisiert. Die gefrorene Pose des fotografischen Bildes wird inszeniert und das neue technische Phänomen der Zeitlupe imitiert. Dadurch erhält der Tanz eine durch die filmischen Medien erweiterte Ästhetik. Neben dem klassisch kodierten 17 18 19

L. Garafola: Tanz, Film und die Ballets Russes, S. 174. Garafola bezieht sich auf Cocteaus Libretto, das in vier kompletten Versionen überliefert ist. Vgl. L. Garafola: Legacies of Twentieth-Century Dance, S. 385f. Zur Visionierung stand mir eine im Handel erhältliche Aufzeichnung einer Rekonstruktion mit dem Pariser Opernballett zur Verfügung.

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Ballettvokabular, das weiterhin vorkommt, wird das Repertoire des Avantgarde-Tanzes erweitert und mit einer stärkeren mimischen Qualität als beispielsweise im Ausdruckstanz der damaligen Zeit versehen. Zeit und Raum erfahren in beiden Beispielen keine wesentlichen Veränderungen – beide Bühneninszenierungen laufen nach konventionellen Mustern damaliger Choreographien mit verschiedenen Szenen und ihren jeweiligen Hauptfiguren ab, um so zumindest ansatzweise eine Geschichte zu erzählen respektive ein aktuelles Thema auf die Bühne zu bringen. Beide Werke beziehen sich auf damals populäre Bühnenformen wie Music Hall, Revue, Jahrmarkt und Zirkus. Die Nummerndramaturgie reflektiert eine diskontinuierliche Zeit, eine mit Lücken erzählte Geschichte, wie sie damals durch den populären Film und die Filmmontage bereits bekannt war. Solche unterbrochene Narration widerspiegelt die veränderte Zeit- und Raumvorstellung der damaligen Zeit, die durch Sport und Reise, Freizeit und Vergnügen geprägt war. Das Tempo von Bewegung wird verändert – beschleunigt und verlangsamt. Der Zug im Titel von Le Train bleu wird nicht dargestellt, sondern der Titel hilft, sich in der Imagination an einen anderen Ort zu versetzen, die Zugreise überwindet mental Raum und Zeit. Die besprochenen Choreographien der Avantgarde stehen an einem kulturellen Wendepunkt: Mit dem intensiven Zusammenspiel der Kunstsparten und Bühnengenres erzielen auch die filmischen Medien eine sichtbare Wirkung im Bühnentanz und zeugen davon, wie Zeit- und Raumwahrnehmung durch filmische Medien berührt werden. Historisches Ausnahmeexempel: Die Ballets Suédois mit Relâche/Entr’acte

Die »Ballets Suédois«, vom schwedischen Kunstsammler Rolf de Maré nach dem Vorbild der Ballets Russes gegründet, waren von 1920 bis 1925 im Pariser Théâtre des Champs-Élysées beheimatet. Maré engagierte teilweise die gleichen Komponisten und Künstler wie Diaghilew und beabsichtigte die multimedialen Formen der Ballets Russes noch weiter zu entwickeln. Relâche wurde am 4. Dezember 1924 in einer Choreographie des Hauschoreographen Jean Börlin zur Musik von Eric Satie nach einem Gesamtkonzept von Francis Picabia uraufgeführt. Picabia, der als bildender Künstler und Literat die Perioden des Impressionismus und Kubismus mitgemacht und 1919 die Pariser Dada-Bewegung begründet hatte, setzte in Relâche nochmals DadaPrinzipien um, vor allem im Sinne von Nonsens-Handlungen, und entwarf die Kulissen. Der Titel Relâche bedeutet »geschlossen, Pause« und würde auf einem Theaterplakat ausdrücken: »keine Vorstellung«. Picabia zielte damit auf den erzählerischen Impetus des konventionellen Theaters und hielt dagegen:

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»Relâche will nichts aussagen, es ist der Blütenstaub unserer Epoche.« 20 Sein Werk nannte er selber nicht dadaistisch, sondern »instantanéiste«, was »nur im Jetzt« existierend bedeutete.21 Die Inszenierung basierte auf bewussten Entscheiden und nicht auf für den Dadaismus typischen Zufallsprinzipien der Produktion. Obwohl Dada in diesem Jahr also bereits für ›tot‹ erklärt und durch den Surrealismus ersetzt worden war, manifestierten sich erstmals dadaistische Merkmale in einem Ballett: Der von Picabia in Bildbeschreibungen festgehaltene Ablauf ergab kaum Sinn oder narrative Zusammenhänge. Picabia wollte zu Beginn und zwischen den beiden Akten des Stücks einen Film zeigen, wie es schon vor 1914 bei sogenannten Café-Konzerten üblich war. Er beauftragte mit der Regie den 26-jährigen René Clair, der mit ihm und Satie befreundet war und der nach seinem ersten Auftritt als Filmschauspieler in Loïe Fullers Film Le Lys de la vie von 1920 zu dieser Zeit sein erstes Drehbuch verfasste. 22 Picabia schrieb dazu: »Ich habe René Clair eine ganz kleine Szenenfolge gegeben, fast nichts – er hat daraus ein Meisterwerk gemacht. Entr’acte aus Relâche ist ein Film, der unsere Träume und die nichtrealen Ereignisse, die sich in unserem Gehirn abspielen, übersetzt; warum erzählen, was jedermann sieht – was man jeden Tag sehen kann? Entr’acte ist ein wirklicher Zwischenakt, ein Zwischenakt [Pause] in den täglichen Albernheiten. […] Zwischenakt in der Langeweile des eintönigen Lebens.« 23 Mit diesem Werk wurde erstmals eine Filmprojektion in ein Theater- respektive Tanzstück integriert. Der Film war als Pausenfüller gedacht und stand in keinem Bezug zum Geschehen auf der Bühne. Bezeichnend für diese Separation ist ferner, dass der Film ein Eigenleben bekam und heute als wichtiger Experimentalfilm in allen Datenbanken geführt und überliefert wird. Zu Beginn des ersten Aktes von Relâche werden die Namen der Beteiligten auf einen Vorhang projiziert, und es wird ein kurzer Film als »Prologue Cinématographique« gezeigt. In der heute überlieferten 20-minütigen Filmversion, die mit 18 Bildern pro Sekunde noch den Modus der Stummfilmprojektion aufweist, ist dieser Prolog dem eigentlichen Film vorangestellt. Der Kontext des Balletts Relâche wird zu Beginn per Textprojektion gegeben: »les ballets suédois de rolf de maré ont présenté sur la scène du théâtre des

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G. Wehmeyer: Eric Satie, S. 113. Zufällig wurde der Titel noch zum Omen, denn die Uraufführung war ursprünglich für den 24. November 1924 angekündigt worden. Am Theater hing an diesem Tag der Zettel »Relâche« (keine Vorstellung), und das Publikum hielt die Ankündigung für einen dadaistischen Jux, der zur Vorstellung gehörte. Doch die Verschiebung hatte einen realen Grund: Jean Börlin war erkrankt (vgl. ebd., S. 119). Vgl. ebd., S. 116. Zu Loïe Fuller siehe das entsprechende Kapitel im Themenfeld 1. Der Film Paris qui dort in der Regie von René Clair kam 1925 heraus, wie die IMDB vermerkt. Zit. in: »L’Avant scène«, Cinéma, Nr. 86, November 1968, in: G. Wehmeyer: Satie, S. 117.

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champs elysées«. Auf der nächsten Tafel werden die Autoren Francis Picabia und Eric Satie für den Prolog genannt. Die erste Einstellung zeigt in einer Luftperspektive eine Brücke und Stadtansicht von Paris. Von rechts wird eine Kanone ins Bild gerückt, die in einer nächsten Einstellung sich wie von selbst hin und her durchs Bild bewegt und dreht. Die beiden Autoren springen anschließend in Zeitlupe von rechts und links ins Bild und hinter der Kanone auf und ab, um nach einem stummen Dialog wieder verlangsamt seitlich aus dem Bild zu hüpfen. Der zweiminütige Prolog endet mit einer Nahaufnahme des auf das Publikum gerichteten Kanonenrohrs, aus dem sich langsam das Geschoss bewegt. Dieses Bild wird sogleich abgeblendet, und auf einer nächsten Texttafel wird der Hauptteil erläutert: »entre les deux actes de ce ballet était projeté un film. c’est, d’après un scénario de francis picabia et la musique de eric satie […] entr’acte de rené clair.« 24 In der ersten Hälfte des Films wiederholen sich verschiedene Motive: als Tanzsujet eine von unten Filmstill aus Entr’acte, Regie: René Clair (1924) gefilmte Tänzerin (in Anlehnung an Loïe Fuller), aber auch weitere frontal gefilmte kurze Sequenzen der Tänzerin Inger Friis, Mitglied der Ballets Suédois. In einzelnen Einstellungen sind von ihr nur eine Armhaltung, nur die Beine zu sehen, und in einer komischen Situation verwandelt sie sich durch das Tragen eines Bartes in einen Mann. Ein weiteres starkes Bewegungsmotiv im ersten Teil ist ein auf einem Wasserstrahl tanzendes Ei, auf das der als Jäger verkleidete Jean Börlin zu schießen versucht. Dies gelingt ihm nicht, da sich das Ei einmal vom Wasserstrahl weg wie magisch nach oben bewegt oder das Motiv sich zu vielen Eiern auf Wasserfontänen vervielfacht – Clair spielt mit der von Picabia gelobten traumartigen Wahrnehmung beim Versuch zu zielen. Ein weiteres Bewegungsmotiv sind zwei Hände in hellen Boxhandschuhen, die sich in einer Doppelbelichtung vor einer Straßenkulisse schlagen. Zwei Schachspieler, dargestellt von den Künstlerkollegen Man Ray und Marcel Duchamp, sitzen auf einem Steinge-

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Die in verschiedenen Datenbanken und im Internet zu findende Filmversion, auf die ich mich beziehe, wird von der Firma Pathé vertrieben.

Themenfeld 2: Medieneinsatz auf der Tanzbühne

länder hoch über der Stadt, als plötzlich ein Wasserstrahl die Schachfiguren wegfegt. Alle Motive, auch ein Papierfaltboot, das in einem Doppelbild durch die Stadt zu navigieren scheint, vermitteln zwar keinen Sinn, doch verbinden sie sich durch einen starken Bewegungsimpetus. Bewegung als Fortbewegung verdichtet sich in der zweiten Hälfte des Films, der einen gewissen narrativen Faden zeigt: Ein Trauerzug formiert sich hinter einem von einem Kamel gezogenen Leichenwagen. Auch hier sind die ersten Bewegungen wie im Prolog durch eine Zeitlupe überzeichnet, wenn die Trauergäste in sprunghaften Schritten, lang gezogen durch die Zeitlupe, hinter dem Wagen starten. Das Motiv der von unten durch einen Tisch mit Glasscheibe gefilmten Tänzerin taucht auch im zweiten Teil nochmals auf. Ansonsten konzentriert sich dieser auf den sich im Tempo steigernden Leichenzug, der in der Stadt startet und sich verselbständigt, als das Kamel stehen bleibt und der Wagen alleine weiterrollt. Die Leute laufen dennoch hinterher, es passiert trotz einzelner Fahrten Richtung Abgründe kein Unglück, sondern der Wagen rollt durch die Stadt und wie in einer surrealen Odyssee weiter bis aufs Land. Zwischen die langen Fahrten wurden Kameraschwenks gen Himmel oder andere Geschwindigkeitsmotive wie Autos, eine Achterbahnfahrt oder eine Gruppe von Rennradfahrern montiert. Trotz des Nonsens entsteht eine Sogwirkung in der Wahrnehmung, eine Faszination für das Thema Tempo und Beschleunigung, das in der damaligen Zeit durch den technischen Fortschritt omnipräsent war. Die beabsichtigte Belanglosigkeit der Handlung endet in der Schlussszene, wenn aus dem vom Leichenwagen gestürzten Sarg ein Mann mit Zauberstab entsteigt, der zuerst den Sarg, dann alle Anwesenden und zum Schluss sich selbst zum Verschwinden bringt. Als letzte Einstellung springt einer der Darsteller durch eine Papierwand, auf der »Fin« steht, zieht sich im Rückwärtslauf des Films alsdann zurück, und das Papier fügt sich wieder zusammen. Film- und Bühnenaktionen bestehen auf beiden medialen Ebenen aus mehr oder weniger sinnlosen, fragmentarischen Sequenzen, aus einer Aneinanderreihung von Alltagshandlungen respektive traumartigen Motiven, die allenfalls dem Thema Tod und in ironisierender Form der Vergänglichkeit zugeordnet werden können. Auch Saties Musik, die den Stummfilm untermalte und als Partitur einen eigenen Titel »Cinéma« trägt, unterstreicht belanglose Geschehnisse: »Ich stelle Menschen auf dem Bummel dar. Deshalb habe ich alltägliche Melodien benutzt.« 25 Der Film, nach Clairs eigenen Worten ein »visuelles Stottern von geregelter Harmonie«, 26 spielt in der Addition der Ein-

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G. Wehmeyer, zit. in: G. Brandstetter: Unter-Brechung, S. 180, Fußnote 45. Zit. in: U. Gregor/E. Patalas: Geschichte des Films. Bd. 1, S. 73.

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stellungen und Sequenzen mit dem Bewegungsrhythmus der Bilder. Nach dem Zwischenspiel des Films Entr’acte beginnt der zweite Akt von Relâche nochmals mit Projektionen, diesmal mit Linien, Formen und Sprüchen. Bezüge zwischen Bühnen- und Filmgeschehen ergeben sich zufällig, sind solche, die sich erst im Kopf der Zuschauenden aus der Struktur und dem Kontrast in der Montage ergeben – die Unterbrechungen, die Lücken konfrontieren und provozieren das Publikum, das selbst einen Sinn produzieren muss, wie Gabriele Brandstetter die Wirkung von Relâche zusammenfasst. 27 In den 22 Nummern der beiden Akte von Relâche wiederholen sich parallel zu den einfachen traditionellen Musikabläufen auch die Bewegungsmotive. Es entstehen Beziehungen dadurch, dass einige motivische und rhythmische Elemente in mehreren Tänzen vorkommen. 28 Ansonsten waren es auch im Bühnengeschehen Sequenzen mit einzelnen Motiven, die zusammen keinen Sinn ergaben. John Mueller spricht von einem »jumble of zany events«. 29 Es gab einen Tanz mit einer Schubkarre, einer Drehtür oder Börlin und eine Frau überquerten die Bühne mit einem motorisierten Dreirad. Am Ende erscheinen Satie und Picabia auf einem 5-PS-Motorroller. 30 Es sind also wiederum Alltagshandlungen und Aktionen, die vergleichbar sind zu denjenigen im Film – ein Spiegel großstädtischer Aktivitäten. Da das gesamte Stück damals nur wenige Male aufgeführt wurde und bloß einzelne Fotografien überliefert sind, fokussiert sich die heutige Rezeption auf den Film, und der genaue Ablauf des Abends ist nur bruchstückhaft überliefert. Das Element der Bewegung ist im Film Entr’acte ein stark strukturierendes und motivierendes Element: Auf der inhaltlichen Ebene mit der Tänzerin, dem tanzenden Ei, dem Laufen der Trauergäste oder auch der Fahrbewegung des Leichenwagens; auf der Ebene der Form des Films sind es die Bilder, die eine eigene rhythmische Bewegungspartitur bilden. Durch das Spiel mit der Geschwindigkeit und der Ineinanderschachtelung der Motive erhält das Element Zeit eine wesentliche Bedeutung: Zeit manifestiert sich als Folge von Unterbrechungen, deren Einzelelemente manchmal verlangsamt und gesamthaft – verstärkt durch die von Satie synchron komponierte Musik – besonders in der zweiten Hälfte in einer dramaturgischen Verdichtung beschleunigt wirken. Die Raumstruktur des Films besteht aus wiederkehrenden Motiven, aus der Addition von Alltagsansichten. Die Räume selbst sind urbane Umgebungen, welche Technisierung und Verkehr in Ansichten der Großstadt und von Landstraßen widerspiegeln. Eine Logik der Raumfolgen ergibt sich nur 27 28 29 30

Vgl. G. Brandstetter: Unter-Brechung, S. 177. G. Wehmeyer: Eric Satie, S. 115f. J. Mueller: Films: Relâche and Entr’acte, S. 102. Vgl. ebd.

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zufällig, vor allem als Rahmungen der Fortbewegung, andere Verbindungen und Bedeutungen entstehen erst in der individuellen Rezeption. Relâche/ Entr’acte stellt ein einzigartiges historisches Beispiel dar, in dem sich aus dem Nebeneinander von Film und Tanz ein zusätzlicher, ein intermedialer Sinn aus dem Zusammenwirken zweier Medien ergeben kann – hier gerade aus dem Unsinn einer Addition von Aktionen, aber im Kontrast der Bewegungsebenen von Tanz und Alltagsbewegungen und der Bewegung der Bilder. Damals wirkte dies, freilich verstärkt durch den dadaistischen Impetus, neu und irritierend. Entr’acte weist Parallelen zu Werken gleichgesinnter radikaler Künstlerfreunde wie Fernand Léger oder Man Ray auf, obschon Entr’acte mehrheitlich auf menschlichen Handlungen, Gesten und Bewegungen basiert. Bewegungsprinzipien ohne narrative Struktur, radikalisiert zu Bewegungen von Formen und Objekten, bilden das Fundament des abstrakten Experimentalfilms, des »cinéma pur« oder des »reinen« Films. Fernand Léger feierte in einer Rezension des Films die Begegnung der Medien und betonte das Neuartige der Zeitstruktur und des filmischen Bewegungsmusters in Entr’acte: »[…] car tout est réglé voulu – minuterie du geste, du mouvement, des projecteurs.« 31 Und Henri Chomette, ein Bruder von René Clair, schrieb 1925: »Was echter oder auch ›reiner‹, von allen dramatischen und dokumentarischen Elementen befreiter Film sein kann, lassen einige Werke unserer subtilsten Regisseure ahnen. Dort erst beginnt die filmische Fabulierfreude, und hieraus kann sich einmal eine ›sinfonische Optik‹ entwickeln«. 32 In Ballet mécanique (1924) beispielsweise lässt Fernand Léger Töpfe, Pfannen und Gesichter einen rhythmischen Tanz aufführen. 33 Spätere Arbeiten, die Projektionen auf der Tanzbühne integrieren, insbesondere des zeitgenössischen Tanzes ab den 1980er Jahren, werden – wie noch gezeigt werden wird – direktere und bewusst Sinn oder ästhetische Wirkung gebende Dialogebenen zwischen Film respektive Video und Tanz ausprobieren. Trotzdem war Relâche ein exzeptionelles Beispiel, in dem das Prinzip der Addition und Unterbrechung in der Bühnenchoreographie und im Film in einem multimedialen Konzept erfolgte. Während Rolf de Marés Ballets Suédois drei Monate nach Relâche aufgelöst wurden, verwendeten Diaghilews Ballets Russes mit Balanchines Pastorale (1925) und Massines Ode (1928) auch Filmprojektionen. Ode integrierte durch Relâche inspirierte Licht- und Filmprojektionen und evozierte, wie Kritiker beschrie31 32 33

Fernand Léger zit. in: G. Brandstetter: Bild-Sprung, S. 181, Fußnote 52. Zit. in: U. Gregor/G. Patalas: Geschichte des Films. Band 1, S. 72. Bereits in den Jahren zuvor waren in Deutschland abstrakte Filme von den Malern und Dadaisten Viking Eggeling und Hans Richter entstanden, die mit in Bewegung versetzten geometrischen Figuren arbeiteten.

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ben, deutliche dialogische Effekte zwischen Projektion und Tanzenden, die teilweise sogar hinter einem Gazevorhang tanzten. Verstärkt wurden diese formalen Wirkungen durch ein eher abstraktes Bewegungsvokabular, wie es im gleichen Jahr von George Balanchine in Apollon Musagète für die Ballets Russes eingeführt und später im neoklassischen Ballett fortgesetzt wurde. 34

Performancekultur der 1960er Jahre Einen weiteren wichtigen historischen Abschnitt in der Entwicklung intermedialer Praktiken in Aufführungssituationen bilden die 1960er bis 1980er Jahre. Performance als Genre zwischen bildender und performativer Kunst bediente sich verschiedenster Kunstsparten wie Sprache, Bild, Bewegung und verknüpfte ästhetische Mittel mit alltäglichen Äußerungen zu Kunstaussagen. Live- und Prozess-Charakter waren die neuen Merkmale. Vergleichbar mit Bewegungen des Dadaismus oder Futurismus der historischen Avantgarde entstanden aus dem Aufbrechen von Kategorien neue Stilrichtungen und eine neue Avantgarde. Rose Lee Goldberg spricht sogar von einer »avant avant garde«. 35 Neben der Verwendung verschiedenster künstlerischer Ausdrucksformen wurde insbesondere mit technischen Möglichkeiten der Bildprojektion wie Dias, Film und Video experimentiert. Zudem fällt in die Zeit der 1970er Jahre die Entwicklung der Videotechnik für den Hausgebrauch, als Kamera und Rekorder erschwinglicher wurden. Die Auflösung der Grenzen zwischen hoher Kunst und populärer Kultur war ebenso Kennzeichen wie die Fokussierung auf den Körper als zentrales künstlerisches Ausdrucksmittel. Dieser wurde zum Maßstab des Realen im Kontrast zu den Bildmedien. Judson Church Movement: Elaine Summers und Yvonne Rainer

Das Judson Church Movement, später Judson Dance Theater genannt, war eine lose Gruppierung von jungen Tänzern, Choreographinnen, Musikern und bildenden Künstlern. Aus einem experimentellen Kompositionsworkshop mit Robert Ellis Dunn, der bei John Cage studiert hatte und von dessen kompositorischen Experimenten beeinflusst war, entstand das Bedürfnis, die Ergebnisse des Workshops öffentlich zu zeigen. Dunn hatte bereits von 1960 bis 1962 regelmäßig einen Choreographie-Kurs im Studio von Merce Cunningham im Gebäude des Living Theater angeboten. In der Judson Memorial Church am Washington Square in New York City, in der seit 1948 schon

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Vgl. L. Garafola: Tanz, Film und die Ballets Russes, S. 176ff. R.L. Goldberg: Performance Art, S. 7.

Themenfeld 2: Medieneinsatz auf der Tanzbühne

Ausstellungen, Konzerte und Theaterstücke stattfanden, veranstaltete die Gruppe vom ersten Concert #1 am 6. Juli 1962 bis zu Concert #16 am 29. April 1964 eine Reihe von gemischten Tanzaufführungen. Diese Tanzavantgarde der amerikanischen Tanzgeschichte führte nicht-narrative Aufführungsstrukturen der historischen Avantgarde fort: »Concert of Dance meant non-narrative. It meant coming away from literal, narrative presentation, with hard-core theatrical dance […].« 36 Die Zusammenarbeit von Cunningham und Cage hatte einen starken Impetus auf das Judson Dance Theater. Außerdem ergaben sich über James Waring Verbindungen zum Living Theater und aus der umgebenden Kunstszene Erfahrungen in der Ästhetik der CollageTechnik von Musik, Theater und Kunst. Einen weiteren Impuls setzte die Arbeit von Anna Halprin, bei der einzelne Mitglieder des Judson Dance Theaters, darunter Yvonne Rainer und Elaine Summers, zuvor in San Francisco studiert hatten. Halprin vermittelte den Teilnehmenden ihres Tanzunterrichts, ihrer eigenen Intuition und Impulsen in der Improvisation zu folgen. 37 Die Mischung der Einflüsse und individuelle künstlerische Prägungen führten zu einer starken Diversität der Ästhetik mit einer Nähe zur Performancekultur. Wichtig war der demokratische und kollektive Prozess. Die ganze Bewegung entstand im Umfeld künstlerischer Strömungen wie Pop Art und Happening und aus dem Geist einer Offenheit zwischen den Kunstsparten. New York galt als Kunstmetropole, und speziell Greenwich Village war ein Künstlerviertel vergleichbar mit dem Paris der 1920er Jahre. Yvonne Rainer und Elaine Summers stehen stellvertretend für Künstlerinnen mit solch unterschiedlichen Prägungen. Beide haben eine Affinität zu den Bildmedien. Während Elaine Summers schon in der ersten Aufführung Film einsetzte, entwickelte Yvonne Rainer im Verlauf der 1960er Jahre Multimedia-Arbeiten, bevor sie sich ab 1972 primär der Filmregie widmete. Multimedia war neben einem analytischen Zugang zum postmodernen Tanz und einem theatralen, teilweise auch komischen Stil – beispielsweise beim Judson-Church-Mitglied David Gordon – ein starkes Kennzeichen der Arbeiten. Elaine Summers, heute weniger bekannt als Rainer oder andere Exponenten des Judson Church Movement wie Steve Paxton, Lucinda Childs oder Trisha Brown, erinnert sich an die Vorbereitung des ersten »Concerts«: »Steve [Paxton] and Yvonne [Rainer] and Bob [Dunn] and Judith [Dunn] said, ›Let’s do a concert and everyone can pick one work of their own, or two, and it can be anything you want. […] let’s do a concert in July. It’ll be hot and there won’t be anyone there, and we’ll have just a wonderful time.‹ […] we had so much

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Robert Dunn, zit. in: S. Banes: Democracy’s Body, S. 38. Vgl. ebd., S. xvii.

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material it started at eight and went until midnight. It was hot in there, ninety degrees, and we were totally amazed because so many people came.« 38 Der Abend, der aus 23 Teilen bestand, in 15 Einheiten aus der Feder von 14 Choreographinnen und Choreographen zusammengefasst war, und zudem keinen Eintritt kostete, begann mit einem 15-minütigen Film, der unter dem Titel Overture angekündigt war. Als Autoren dieses Films waren neben Elaine Summers W.C. Fields, Eugene Freeman (eigtl. Friedman), John Herbert McDowell und Mark Sagers aufgeführt. Summers lernte bei Gene Friedman, Assistenzkameramann im kommerziellen Kino und Fernsehen, zu filmen und wollte als Teilnehmerin von Dunns Workshop Zufallsprinzipien ins Medium Film übertragen. So entstand dieser Eröffnungsfilm aus verschiedenem Filmmaterial, das nach Zufallsprinzipien montiert wurde. Summers beschreibt das Verfahren, wie Filmschnipsel von Friedman und Kinofilme von Fields zusammengesetzt wurden: »We took all the film strips, and we rolled them up, and we put them in a big paper bag. They had numbers on them, like one foot, two feet, three feet. We’d get a number from the telephone book, like 234-5654, and we’d have to put the film strips together in that sequence.« 39 Was wie andere Arbeiten des Abends als Übung zum Workshop entstanden war, ergab in der Vorführung eine eigene multimediale Wirkung: Der Film wurde bereits ab 20.15 Uhr in der Kirche projiziert, während das Publikum eingelassen wurde. Genau um 20.30 Uhr begann der erste Gruppentanz Narrative von Ruth Emerson, in dem u.a. auch Summers und Rainer als Tänzerinnen mitwirkten. Es entstand eine Art Überblendung der Filmbilder – die letzte Verfolgungsjagdszene von W.C. Fields The Bank Dick – zum Tanz. Der Tanzkritiker der »New York Times«, Allen Hughes, sah im Film Overture einen Schlüssel zur nicht-narrativen Logik dieses ersten Judson-ChurchAbends: »The overture was, perhaps, the key to the success of the evening, for through its random juxtaposition of unrelated subjects – children playing, trucks parked under the West Side Highway, Mr. Fields, and so on – the audience was quickly transported out of the everyday world where events are supposed to be governed by logic, even if they are not.«40 Für Elaine Summers war dieser erste öffentliche Auftritt der Beginn weiterer multimedialer Erkundungen, in denen es ihr darum ging Raumperspektiven aufzubrechen. Daneben wollte sie allgemein die Wirkung von Projektionen als Kunstmittel 38

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Elaine Summers, zit. in: ebd. Die folgenden Informationen zum Concert #1 und zu Fantastic Garden berufen sich auf die ausführlichen Beschreibungen von Banes, die für ihre Recherche auf der Basis einer Oral History die Zeitzeugen 1980 interviewte. Ich hatte zudem die Gelegenheit, Elaine Summers am 13. November 2008 in ihrem Loft am Broadway in New York zu besuchen und sie zu ihren Multimedia-Arbeiten zu befragen. Interview Banes/Summers, ebd., S. 41. Zit. in: ebd.

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erproben – beispielsweise in der Form von simplen Lichtquellen im Aufführungsraum oder auf Vorhänge und Körper. Mit diesen Prinzipien gestaltete sie Fantastic Gardens, einen MixedMedia-Abend, der am 17., 18. und 19. Februar 1964 ebenfalls in der Judson Church, aber nicht in der »Concert«-Reihe, sondern im »sur+«-Programm gezeigt wurde. Das Programm vereinte nicht nur Filmprojektionen, sondern war eine happeningartige Collage von Tanz, Musik, Gesang, Sprache und Publikumspartizipation – der ganze Kirchenraum wurde bespielt. Summers ging es um eine Multiperspektivität, ein Bewusstsein davon, dass der Filmblick ein anderer ist als der einer Live-Performance. Auch war sie überzeugt davon, dass das Publikum an jedem Abend andere Aspekte der Aufführung wahrnehmen würde. Der dreiteilige Abend mit zwei Pausen begann wiederum mit einer Film-Ouvertüre aus verschiedenen, nach Cages Zufallsprinzip montierten Tänzen. Im zweiten Teil »All Around the Hall« saß das Publikum in einer Pyramidenform im Kirchensaal, und die Tänzerinnen und Tänzer bewegten sich um aufgestellte Skulpturen herum. Das Publikum war in der Pause mit Handspiegeln ausgestattet und auf dem Programmzettel aufgefordert worden, die Filmbilder, die teilweise auch über Spiegelkonstruktionen an die Decke, die Wände, auf den Boden und ins Publikum projiziert wurden, einzufangen und damit die Tänzer zu beleuchten. Auch im dritten Teil, »Other People’s Gardens«, wurden mehrere Filme gezeigt. Ein Film, in dem Sally Stackhouse tanzt, wurde auf einem Split Screen gezeigt, vor dem Stackhouse einen choreographierten Schattentanz aufführte. Summers beschrieb den Abend später: »Fantastic Gardens was the first full-evening intermedia concert in New York City combining film, dance, music and sculpture.« 41 Al Hansen, Mitbegründer und prägende Figur der Fluxus-Bewegung, war nicht nur Akteur an diesem Abend, sondern hatte auch an der Fertigung der Skulpturen mitgewirkt. Eine Nähe zu den damaligen Performanceentwicklungen kann durch die offene, partizipative Form und die personelle Überschneidung belegt werden. Trotzdem war dieser Abend, wie der Experimentalfilmer Jonas Mekas in seiner Besprechung in der »Village Voice« festhielt, nicht das erste derartige Experiment, aber »by far the most successful and most ambitious attempt to use the many possible combinations of film and live action to create an aesthetic experience«.42 Mekas bezeichnete den Abend als »huge ballet-happening« und beschrieb das technische »set-up« der verschiedenen Projektionen: Es gab Leinwände an beiden Seiten des Raumes und drei oder vier Projektoren, die in unterschiedlichen räumlichen

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Ebd., S. 189. »Movie Journal« in: Village Voice vom 27. Februar 1964, zit. in: ebd., S. 190.

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und zeitlichen Anordnungen Bilder projizierten, daneben Doppelbelichtungen und einen von einer Person bedienten Handprojektor, der mit starken, auch schwingenden Handbewegungen Bilder produzierte. So entstanden Wechselspiele zwischen Projektionen und Aktionen, Effekte von Personen, die aus der Leinwand zu steigen schienen, so dass das Publikum nicht immer wusste, was Live-Präsenz und was Bildrepräsentation war. Der Abend listete sogar 13 Untertitel im Programm auf, darunter als Einstieg wieder einen Film Overture von Elaine Summers’ Schwester Carol Summers oder Statues unter Elaine Summers Namen. Für die Choreographie von allen Tänzen zeichnete Summers verantwortlich. Im Programm war allerdings vermerkt, dass die Tänzer nur Anhaltspunkte hatten, anhand derer sie improvisieren sollten. Improvisation war generelles Merkmal aller JudsonProduktionen. Es ist kaum möglich, alle Einzelheiten dieses komplexen Abends zu rekonstruieren, zumal neben dem Programmheft, das in Form von kleinen Zetteln kreativ in Blumenform zusammengeheftet war, neben den Kritiken nur persönliche Erinnerungen und Fotografien überliefert sind. Auffallend sind neben dem komplexen Einsatz von Projektionen das bewusste Umgehen einer narrativen Logik und die Verwendung von Zitaten früherer »Concerts«. So zeigte Summers auch Ausschnitte aus der Choreographie Narrative von Ruth Emerson vom ersten Abend. Mit Fantastic Gardens ist eine Tanzperformance im Umfeld der Performancebewegung entstanden, die verschiedene Funktionsweisen des Medieneinsatzes auf einer Tanzbühne in einer fast chaotischen, gleichzeitig aber stark experimentellen Weise mit dem Medium Film im Super-8- und 16-mmFormat erprobte. Vergleichbare intermediale Beziehungen zwischen Tanz und Bildmedien werden später mit dem Medium Video fortgesetzt, wie in den nächsten Kapiteln deutlich wird. Elaine Summers, die die Judson-Gruppe nach dem Fantastic-GardenAbend verließ, arbeitet bis heute in New York City mit ihrer Elaine Summers Dance and Film Company und bezeichnet ihre Arbeit als »Intermedia«. Im Unterschied zum Begriff »Multimedia«, der ihrer Ansicht nach eher zufällige Kongruenzen von unterschiedlichen Medien umfasst, will sie mit »Intermedia« ausdrücken, dass Elemente wie Tanz, Musik, Film und andere sich zu einem neuen ›Medium‹ vermischen.43 1968 gründete sie zusammen mit Gerd Stern eine Stiftung »Intermedia« und engagiert sich bis heute für die Begegnung von Tanz und Film. Mit dieser Differenzierung der Begriffe scheint sich Summers auf den Fluxus-Künstler Dick Higgins zu beziehen, der im Jahre

43

Vgl. T. Körtvélyessy: 40+ Years of Dance, Intermedia, and Empowerment, o.S.

Themenfeld 2: Medieneinsatz auf der Tanzbühne

1966 den programmatischen Aufsatz »Intermedia« veröffentlichte. 44 Diese frühe begriffliche Auseinandersetzung von Summers kann trotz der spieIerisch-experimentellen künstlerischen Herangehensweise als wegweisend für die theoretische Diskussion zum Medieneinsatz auf der Tanzbühne gewertet werden. In den 1970er und 1980er Jahren realisierte Summers verschiedene Aufführungen auf öffentlichen Plätzen oder in Galerien und Museen, u.a. im Skulpturengarten des Museums of Modern Art oder im Solomon R. Guggenheim Museum in New York, bei denen sie große Videoprojektionen verwendete. Das Bewegungsvokabular resultiert aus ihrer Methode der »kinetic awareness« – choreographische Anweisungen sind »a structure for improvisation, a non-competitive game plan designed for performers of varying skill, always with the intention that it will be a challenge and exciting to perform and watch«.45 Es sind Regeln für mögliche Aktionen, und damit bleibt sie den Grundprinzipien der Judson-Church-Bewegung und der Performancekultur der 1960er Jahre treu. 1983 organisierte sie zusammen mit der Filmemacherin Amy Greenfield im Umfeld der New Yorker Avantgarde-Filmszene ein »Filmdance Festival« im Public Theater, das während zwei Wochen Werke ab den frühen Filmen der 1890er Jahre, die Bandbreite des Genres und die experimentelle Seite einer filmischen Kunstform zeigte.46 Yvonne Rainer studierte an der Martha Graham School und bei Merce Cunningham Tanz. Cunningham und Cage nennt sie als wesentliche Vorbilder ihrer choreographischen Arbeit. Im Kontext der damaligen Tanzinnovationen wird Rainer vor allem mit ihrem Trio A – The Mind Is a Muscle von 1968 identifiziert und heute als zentrale Figur dieser Avantgarde-Bewegung rezipiert. Dieser viereinhalbminütige Tanz, der bis 1999 verschiedenste Variationen und Interpretationen auch von Laien erfuhr, steht heute paradigmatisch für den Postmodern Dance, der mit minimalen Mitteln, einfachen (Alltags-)Bewegungen, oft aus Improvisationen entstanden, als Performancestil und Gegenbewegung den amerikanischen Modern Dance ablöste.47 An Yvonne Rainers Œuvre lassen sich wesentliche Trends und Merkmale der amerikanischen Avantgarde ablesen: Tendenzen des Minimalismus mit einem komplexen Gebrauch von Fragmentierung als ästhetischem Stilmittel, Verwendung autobiografischer Elemente und die Reflexion von Präsenz und Materialität des 44 45 46

47

D. Higgins: Intermedia. Zit. in: T. Körtvélyessy, ebd. Das MoMa zeigte 1987 eine Retrospektive ihrer Arbeiten. Zum Festival erschien ein Katalog, der Biografien von Filmemachern und Choreographen, eine Auswahlbibliografie, Statements von Künstlern und einzelne Fachaufsätze beinhaltete. Seit 1995 pflegt Elaine Summers ein globales Projekt zum Thema Himmel, das sie über www. skytime.org betreut. Vgl. S. Huschka: Moderner Tanz, S. 260ff., oder S. Banes: Terpsichore in Sneakers, S. 40-55.

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Körpers. Da Rainer selbst ihre Arbeiten in eigenen Publikationen auch theoretisch reflektiert hat und diese wie ihre choreographischen und filmischen Werke vielfach dokumentiert und rezipiert sind, 48 möchte ich im Zusammenhang des Themas nur einen kleinen Teil ihrer künstlerischen Laufbahn, den Übergang vom Tanz zum Film herausgreifen. Diese einzelnen, weniger bekannten Multimedia-Aufführungen, in die sie zusammen mit verschiedenen Kameraleuten kreierte stumme Filme integrierte, zeigen in Ergänzung zu Summers exemplarische Aspekte des Dialogs zwischen Tanz und Film auf der Tanzbühne. Bis 1972, als sie ihren ersten langen Film Lives of Performers realisierte, schuf Rainer in den Jahren 1967 und 1968 vier kürzere Arbeiten, bis auf Hand Movie, der im 8-mm-Format gedreht worden war, Filme im 16-mm-Format, stumm und in Schwarz-Weiß. 49 Rainer selbst bezeichnete diese ersten Filmarbeiten eher als choreographische Übungen: »I made filmed choreographic exercises that were meant to be viewed with one’s periphal vision. […] a boring hybrid, too obvious and simplistic to work as either film or dance.« 50 Obwohl sie in diesem Essay, den sie 1971 schrieb, diese frühen Arbeiten als Amateurfilme und als multimediale Arbeit weder in dem einen noch dem anderen Medium als überzeugend einschätzt, wird an ihren Aussagen deutlich, wie stark ihr Filmschaffen vom Bewegungsverständnis einer Tänzerin und Choreographin ausging: »My movies were an extension of my concern with the body and the body in motion […].« 51 Ihre Aussagen verdeutlichen die Problematik eines medialen Nebeneinanders, wie Tanz und Film in einer multimedialen Bühnensituation aufeinander (ein-)wirken können: Die Filmprojektion verträgt oft gar keine eigenständige narrative Dimension, sondern die Projektion wirkt als ergänzender Bewegungsteil, steht nicht alleine, sondern als peripherer, interagierender Teil der Bühnenarbeit. Das bedeutet, dass die Kamera anstelle einer voyeuristisch beobachtenden Position eine aktive bewegliche Rolle als Kollaborateurin erhalten kann. Der erste Film, Volleyball (1967), den Rainer im genannten Essay unter dem Aspekt der aktiven Kamera als noch relativ gelungen bezeichnet, zeigt einen Volleyball, der ins Bild rollt und liegen bleibt. Zwei Beine in Turnschuhen, aufgenommen von den Knien abwärts, treten ins Bild und bleiben 48

49

50 51

Vgl. Y. Rainer: A Woman Who …; dies.: The Films of Yvonne Rainer; dies.: Work 1961-73; dies.: Feelings Are Facts, sowie S. Banes: Democracy’s Body; D. McDonagh: The Rise and Fall, S. 93-100, oder M. Franko: Some Notes on Yvonne Rainer. Filmografie vgl. Y. Rainer: A Woman Who ..., S. 425. Zu Rainers Filmen vgl. auch: S. Green: Radical Juxtaposition, oder N. Carroll: Moving and Moving. Hand Movie ist auf ubu.com zu sehen. Y. Rainer: Work 1961-73, S. 209. Ebd.

Themenfeld 2: Medieneinsatz auf der Tanzbühne

neben dem Ball stehen. Diese minimale Aktion des Gehens wird im zehnminütigen Schwarzweiß-Film aus verschiedenen Kamerablickwinkeln wiederholt und das Rollen des Balles von der mobilen Kamera verfolgt. Eingebettet war Volleyball in der finalen Version von The Mind Is a Muscle von 1968, in dem zwei Versionen von Trio A gezeigt wurden. Als Programmpunkt Nummer 7 unter dem Titel »Film« wurde Volleyball als »Foot Film«, anschließend außerdem ein anderes dieser frühen Filmexperimente, »Hand Film«, auf dem Programmzettel angekündigt, bevor zum Abschluss Yvonne Rainer eine Lecture hielt. Die Leinwand hing in der Mitte im vorderen Bühnenbereich knapp einen Meter über dem Boden. Ein Kontrast der Interaktion zwischen Bühnenaktion und Filmprojektion entstand dadurch, dass die Gruppe sich auch hinter der Leinwand bewegte – die Beine der realen Tänzer waren unter der Leinwand in normaler Größe zu sehen, während die projizierten Beine in einer starken Vergrößerung erschienen. Raum und Zeit waren Gegenstand von Rainers frühen Filmexperimenten, angeregt von damaligen Experimentalfilmen von Maya Deren, Andy Warhol oder Hollis Frampton. 52 Der Übergang zu mehr emotionalen und narrativen Inhalten in eigenständigen Filmwerken vollzog sich nach einer längeren Indien-Reise, bei der Rainer klassische indische Tänze wie Kathakali und Bharatanatyam studierte. Neben dem Interesse an Abstraktion und Avantgarde liebte Rainer die emotionale Kraft des Hollywood-Melodrams und ließ sich von Filmthemen zu Choreographien inspirieren: Sie erwähnt eine Filmreferenz zu Jean-Luc Godards À bout de souffle (1960) in ihrer Choreographie Terrain von 1963 oder eine Bewegungssequenz »M-Walk«, die sie auf der Basis von Szenen aus Fritz Langs Metropolis in verschiedenen Choreographien einsetzte. 53 Rainers Biografie mag zwar in Übergängen vom Schauspiel zum Tanz zum Film (und in den letzten Jahren mit Rekonstruktionen ihrer Werke wieder zurück zum Tanz) eine individuelle sein; trotzdem werden an diesem Beispiel Wechselwirkungen zwischen Tanz und Film in der Periode der 1960er Jahre vergleichbar zur historischen Avantgarde deutlich: Die Verquickung von Bewegung in Tanz und Film wird sich ab dieser Zeit bis heute weiter verdichten. In den Anfängen des postmodernen Tanzes wird der Aspekt der Bewegung zum zentralen Antrieb des Choreographierens. Bewegung wird als Motion, nicht als Emotion gesehen und als Motiv für Experimente mit einfachen, teilweise improvisierten Alltagsbewegungen in Raum und Zeit genutzt. Während Elaine Summers’ Arbeiten einen stärkeren experimentellen Fokus auf vielschichtige intermediale Fusionen legen, in denen sie insbe-

52 53

Vgl. Y. Rainer: Feelings Are Facts, S. 383. Ebd.

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sondere die Aufbrechung des Raumes erprobt, sind Yvonne Rainers multimediale Arbeiten im Minimalismus von Bewegung und reduziertem Filmkonzept zukunftsweisende Beispiele, wie Bühnenraum und Projektionsfläche ein dialogisches Verhältnis eingehen, in dem choreographische Bühnenzeit und vorproduzierte filmische Zeit ein intermediales Verhältnis eingehen. Bei Summers wird der Raum zum Happening von Bewegung, Skulptur, Projektionen und einem aktiven Einbezug des Publikums; Yvonne Rainers Raumkonzept ist neutral, reduziert als offener Raum für die Erkundung von menschlicher (Alltags-)Bewegung. Beide nutzen analog zur Spezifik der Performance keine Theater- oder Guckkastenbühne, sondern Kirchenraum, Fabrik- oder Turnhalle dienen als Aufführungsort und ermöglichen schon in dieser Raumanordnung eine Multiperspektivität, die durch den Einbezug von Film eine weitere Facette der Perspektivierung erfährt. Obwohl viele Werke des Judson Church Movement wiederholte Aufführungen und Variationen erlebten und in erweiterten theatralen Räumen in einer Auflösung des Raum- und Zeitbegriffs stattfanden, zählen sie zum Kanon einer Aufführungsgeschichte des Tanzes. Eine Nähe zur Entwicklung der Performance als eigene Kunstgattung ist beim Judson Dance Theater zwar feststellbar, doch zeigt das folgende Beispiel aus der Performancekunst eine weitergehende Kondensierung zum Ereignis- und Konzeptcharakter zwischen Körper und Medien im Kunstkontext, bei dem insbesondere der Aspekt der Zeit zum konzeptionellen Schlüssel wird. Videoperformances von Ulrike Rosenbach

Aufgrund der raschen Entwicklung und Verbreitung der Videotechnik experimentierten viele Performancekünstlerinnen und -künstler mit dem Medium Video. Thematisiert wurde gleichzeitig die physische Präsenz des Körpers: »Man spielte mit dem Verschwinden des Körpers, mit seiner Verdopplung oder Spieglung.« 54 Ulrike Rosenbach integrierte wie andere Performancekünstlerinnen der damaligen Zeit Kamera und Monitore in ihre Aktionen, realisierte aber auch Videoskulpturen und -installationen sowie reine Videoarbeiten. Sie zählt zur ersten Künstlergeneration, die das Videomedium nicht nur künstlerisch, sondern auch reflexiv erforschte. 55 Die Performancekunst wurde in den frühen Jahren stark von Frauen geprägt. Zeitgenossinnen von Rosenbach, die wie sie im Grenzbereich ver54

55

B. Büscher: Theater und elektronische Medien, S. 33. Einen Überblick über die verschiedenen Video- und Medienanwendungen in der Performance und Künstlerbiografien gibt E. Jappe: Performance – Ritual – Prozess, bes. S. 47ff. Vgl. Y. Spielmann: Video, zu Ulrike Rosenbach S. 243-247.

Themenfeld 2: Medieneinsatz auf der Tanzbühne

schiedener künstlerischer Disziplinen im Umfeld von Performance- und Medienkunst arbeiteten, waren beispielsweise Rebecca Horn, Valie Export, Marina Abramovic, Nan Hoover oder Carolee Schneemann. Auseinandersetzung und Umgang mit dem eigenen Körper, Symbole der Weiblichkeit und Impulse der Frauenbewegung wurden in die Aktionen aufgenommen. Rosenbach studierte in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre Bildhauerei an der Kunstakademie in Düsseldorf, u.a. bei Joseph Beuys, der sie 1969 zur Meisterschülerin ernannte. Ihre ersten Videoarbeiten entstanden 1971, weitere künstlerische Impulse insbesondere zu den Multimedia-Arbeiten entstanden bei einem Arbeitsaufenthalt 1973/74 in New York. Ein Jahr später erhielt sie einen Lehrauftrag für feministische Kunst und Medienkunst am renommierten California Institute of the Arts in Los Angeles. Video und Performance wurden für Rosenbach unzertrennliche Komponenten, um sich mit der eigenen (weiblichen) Identität auseinanderzusetzen und diese am eigenen Körper zu thematisieren. 56 Ähnlich den Prinzipien des Judson Church Movement sind Rosenbachs Arbeiten Collagen verschiedener Ausdrucksformen, die alle Sinne ansprechen sollen: »Die einzelnen Komponenten der Arbeit sind wie Erinnerungsteile, die der Betrachter findet und mit seinen Assoziationsteilen verbindet.« 57 An den Schnittstellen intermedialer Verbindungen eröffnet sich ein Interpretationspotenzial für das Publikum, der Rezipient ergänzt die Inhalte. Rosenbach bezieht sich mit dem Begriff des ›offenen Kunstwerks‹ auf die semiologischen Schriften von Umberto Eco und Roland Barthes, auf das Feld »interpretativer Möglichkeiten», »veränderliche Lektüren« und das »Informationspotenzial« des Kunstwerks. 58 Typische Verwendungsweise des Videos in dieser Zeit war die gleichzeitige Aufnahme und Wiedergabe der eigenen Performanceaktion. Dieses »Closed-Circuit-Verfahren«, eine geschlossene Signalübertragung, bezeichnet eine Verwendungsweise von Video, bei der die Bilder sofort verfügbar waren. Diese Möglichkeit war das Neue und Spezifische an der elektronischen Bildwiedergabe. Zudem erlaubte der Einsatz der Videokamera eine Kontrolle des eigenen Tuns. Diese Möglichkeit, sich von Eingriffen eines Fotografen oder Kameramanns zu befreien, betont Rosenbach: »Selbstkontrolle anstelle von medialer Fremdkontrolle durch einen Mann, die Verweigerung des männlichen Beobachterblicks […].« 59 Realität und Abbild konnten gleichzeitig stattfinden, im gleichen Raum oder räumlich getrennt. Filmausschnitte aus ungewohnten Perspektiven (z.B. Close-up) boten eine weitere Darstellungs56 57 58 59

Vgl. U. Rosenbach: Videokunst und Performanceaktion, o.S. A. Wessels: Zum Werk Ulrike Rosenbachs, o.S. Ebd. G. Glüher: Performance and Body Art, S. 24.

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ebene und eine Brechung gewohnter Wahrnehmungsmuster. Der Reiz entstand aus der Gegenüberstellung von Personen und deren Abbild. Auch das Publikum wurde oftmals Teil der Aktion und sah sich nicht nur der gleichzeitigen Wiedergabe der Künstlerin, sondern unter Umständen auch dem eigenen Abbild gegenüber. Das Videobild fungiert wie ein Spiegelbild; diese Selbstwahrnehmung wird zwar durch das Kameraauge fremdbestimmt, sie ist distanzierte Beobachterin, aber unter der Regie der Künstlerin. In Isolation ist transparent, eine Performance von 1973, die Rosenbach zuerst in New York zeigte, hing die Videokamera unter der Decke und übertrug die Aktion, bei der sich Rosenbach in ein Netz dicker weißer Seile einsponn, auf einen Monitor in den durch eine semitransparente Folie abgeteilten Zuschauerraum. »Isolation ist transparent manifestierte das Konzept meiner Video-Performance-Arbeit. […] Die Zuschauer sahen mich agieren und gleichzeitig sahen sie die Videoaufnahme der Kamera von oben. Von einem Blickwinkel aus, den sie auf jeden Fall nicht in Persona einnehmen konnten – zwei gleichzeitige und verschiedene Ansichten einer Aktion.« 60 Rosenbach war einerseits räumlich eingeschlossen, andererseits regte die Folie und die Bildübertragung eine Reflexion medialer Rezeptionsweisen an. Rosenbachs teilweise nackter, entblößter Körper war ›nur‹ durch eine getrübte Folie, durch eine ›Mattscheibe‹ sichtbar, während die Bildübertragung ›klar‹ auf der Mattscheibe eines Monitors zu sehen war. In Projekt Kinem: Der innere Widerstand sind meine Füße von 1974 befestigte Rosenbach die Kamera an ihrem Bein, so dass die Bewegungen des Körpers ausschließlich von unten gezeigt wurden. In Tanz für eine Frau von 1975 ist von oben das Bild einer sich drehenden Tänzerin zu sehen, die sich zum bekannten Wiener Walzer »Ich tanze mit dir in den Himmel hinein« um die eigene Achse dreht, bis sie am Ende der siebenminütigen Performance zusammenbricht. Aus dieser Perspektive sieht die Figur, die mit fliegenden weißen Tellerröcken bekleidet ist, wie eine drehende Scheibe aus, die leicht hin- und herschwankt. Die ständige Wiederholung erinnert an den meditativen Tanz der Derwische. Das ›Du‹ im Text des Walzerliedes fehlt, respektive der meditative Solotanz der Frau wirkt als bewusst ironische Interpretation der klassischen Zweisamkeit im Walzer. Tanz für eine Frau ist eine jener starken Arbeiten von Rosenbach, in denen sie mittels Körperdarstellung und Bewegung zur Frauenbewegung der 1970er Jahre Stellung bezieht: Frau kann ihr Glück auch alleine in die Hand nehmen. Wulf Herzogenrath sieht in dieser Arbeit einerseits ein typisches Beispiel für ein formal strenges, konzeptuelles Werk der 1970er Jahre, andererseits kann diese »Konzept-Arbeit […] als ein gesellschaftspolitisches 60

U. Rosenbach: Videokunst und Performanceaktion, o.S.

Themenfeld 2: Medieneinsatz auf der Tanzbühne

Manifest gegen die Unterdrückung der Frau wirken«.61 Von den genannten und vielen weiteren Aktionen mit Closed-Circuit-Technik wurde ein Videoband produziert, oder die Aktion war sogar als Grundlage für eine Videoarbeit geplant, so dass diese Aktionen heute als Filme ein künstlerisches Eigenleben haben und im Werkverzeichnis geführt werden.62 Gerade in solchen aufgezeichneten Aktionen, die ohne Publikum stattfanden, hat der ›geschlossene Kreislauf‹ des Closed-Circuit-Verfahrens, wie Glüher bemerkt, zudem etwas Intimes, Privates im künstlerischen Tun.63 In Rosenbachs Arbeiten der 1980er Jahre wird ihr eigener Körper zur Projektionsfläche für andere Bilder – ein Effekt, der auch im zeitgenössischen Tanz wiederholt verwendet wird. Auch hier sind es nicht ›fremde‹ Bilder, sondern von der Künstlerin sorgfältig gewählte, die ein Spiel von Licht und Schatten entfalten. Rosenbach verwertet Filmausschnitte in weiteren Arbeiten, zeigt in Milleniumsfrauen aus dem Jahr 2000 Ausschnitte aus Tanz für eine Frau neben Porträts von bekannten und unbekannten weiblichen Persönlichkeiten. Das Band war als Großprojektion zu einer gleichnamigen Performance der Künstlerin zusammen mit zwei ihrer ehemaligen Studentinnen für den deutschen Pavillon der Expo in Hannover konzipiert. Diese Art des Medieneinsatzes, bei dem Filmbilder als Kulisse dienen, ist vergleichbar mit einem häufig zu beobachtenden Medieneinsatz im jüngeren Bühnentanz.64 So simpel wie diese frühen Videoarbeiten der Performancekunst scheinen – das Prinzip der gleichzeitigen Bildwiedergabe, das Spiel mit zeitlichen Verzögerungen und räumlichen Veränderungen kennzeichnet ein für das elektronische Medium typisches Gestaltungsmittel, das auch im zeitgenössischen Tanz verwendet wird. Mit ihrem Hintergrund als Bildhauerin setzt Ulrike Rosenbach besonders stark skulpturale Überlegungen in ihre Auseinandersetzung mit Raum und Zeit ein. Bewegung, teilweise langsam, oft repetitiv, wird vielfach am Ort wie eine sich bewegende Skulptur ausgeführt. Der Parameter der Zeit ist das grundlegend Neue an der Performancekunst: Kunst als Aktion wird in einem definierten Zeitverlauf realisiert. Das Prinzip der Wiederholung nutzt Rosenbach als zeitliches Muster intensiv, nicht nur in der Bewegung, sondern auch in einem sparsamen Einsatz von Sprache, wenn sie wie in Maifrau von 1977 90 Minuten lang auf einem Stuhl sitzend nur das 61 62

63 64

Geleitwort in: G. Glüher: Ulrike Rosenbach, S. 8. Für eine Kurzbeschreibung der Videoarbeiten von Ulrike Rosenbach vgl. ebd., S. 216-229, chronologisches Werkverzeichnis S. 230. Bildmaterial von verschiedenen Aktionen und ein kurzer Ausschnitt von Tanz für eine Frau sind online unter http://www.medienkunstnetz.de/ kuenstler/rosenbach/ zu sehen vom 11.11.2012. G. Glüher: Ulrike Rosenbach, S. 28. Werkbeschreibung in ebd., S. 229. Weitere vergleichbare Beispiele des Medieneinsatzes auf der Tanzbühne siehe im nächsten Kapitel.

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Wort »Frau« vor laufender Kamera spricht. Bewegung besteht in diesen Aktionen noch stärker als bei den Beispielen des Judson Church Theaters aus einfachsten Alltagshandlungen, bei Rosenbach aus einfachen Körperbewegungen wie Gesten einzelner Körperteile oder aus räumlich beschränkter tänzerischer oder improvisierter Bewegung (ein Beispiel ist das häufige Drehmotiv). Betont wird die Präsenz des Körpers, der in einen Dialog mit der Repräsentanz im Bild tritt und durch die Verfremdung in der Verdoppelung zur Reflexion anregt. Der Videoeinsatz in der Performancekunst passierte in den 1970er Jahren in einer medialen Gleichzeitigkeit, da in dieser ersten Phase der Live-Charakter faszinierte. Ab den 1980er Jahren werden von den Videokünstlerinnen und -künstlern vermehrt eigenständige Bänder produziert bzw. Aufnahmen von den Aktionen. Rosenbach schätzt – Benjamins Theorie zur Reproduzierbarkeit des Kunstwerks folgend – die einfache Handhabung des Videomediums, eines »blanken Mediums«, welches das Potenzial für eine Kunst für alle besitzt und »noch nicht von Männern geprägt [ist]: Es hat noch keine vorbelastete Kulturgeschichte.« 65 Damit steht Rosenbach stellvertretend am Anfang eines intensiven Videoeinsatzes in Performance und Tanz, der auch zu verschiedensten transmedialen Konzepten und zu einer Öffnung und Ausweitung von Kunst und Kunstbegriff führte.

Videoeinsatz im jüngeren Bühnentanz Das folgende Kapitel untersucht Beispiele aus der jüngeren Tanzgeschichte, um an diesen eine mögliche Typologie der Interferenzen zwischen Tanz und Bildmedium auf der Tanzbühne vorzustellen. Drei Kategorien der Wechselwirkungen in einer solchen Medienkombination werden aufgestellt: Projektion, Extension und Interaktion. Die noch als historische Beispiele einzuordnenden Choreographen Alwin Nikolais und Hans van Manen werden vorgängig zusammen mit einem Werk von Lucinda Childs als avantgardistische Einzelerscheinungen behandelt, da sie vor einer Häufung des Medieneinsatzes auf der Tanzbühne in den 1990er Jahren schon Projektionen, Film-, Fernseh- oder Videoübertragungen erprobten. Alwin Nikolais

Alwin Nikolais (1910–1993) ist eine Ausnahmeerscheinung innerhalb der modernen Tanzgeschichte der Vereinigten Staaten: Er lässt sich nicht ein65

A. Wessels: Zum Werk von Ulrike Rosenbach, o.S.

Themenfeld 2: Medieneinsatz auf der Tanzbühne

deutig dem amerikanischen modernen Tanz zuordnen, denn er bewegte sich bereits durch seine Ausbildungseinflüsse von Mary Wigman und Rudolf von Laban in einem transatlantischen Tanzkontext und wirkte in späteren Lebensjahren als künstlerischer Leiter des ersten choreographischen Zentrums in Frankreich von 1978 bis 1981 – am Centre national de danse contemporaine in Angers – wiederum zurück auf den zeitgenössischen Tanz in Europa. 1933 sah er eine Aufführung von Mary Wigman, studierte bei ihrer Schülerin Hanya Holm von 1937 bis 1940 am Bennington College, erlebte dort auch andere Protagonistinnen des amerikanischen Modern Dance wie Martha Graham oder Doris Humphrey. Der Sohn eines russischen Vaters und einer deutschen Mutter, der im ländlichen Connecticut aufwuchs, interessierte sich früh für verschiedene Theaterformen, spielte Orgel, begleitete Stummfilme auf dem Klavier und führte ein Marionettentheater. In der Ära von Vaudeville und Burlesque faszinierte ihn die Gesamtheit des Spektakels: Kostüme, Dekor und Lichtdesign – ein Tanzstudium begann er erst mit 23 Jahren: »It is impossible for me to be a purist; my loves are too many for that. I am excited by things very old and also very new, and by so many things in between as well […]. I like to mix my magics«, schrieb er einleitend zu seinem Glaubensbekenntnis im Tanz.66 Sein künstlerischer Werdegang verlief anders als derjenige der meisten Zeitgenossen – nicht über eigene tänzerische Arbeiten oder als Ensemblemitglied auf der Bühne, sondern schon früh ausschließlich als Regisseur seiner Werke. Hanya Holm, die Nikolais Wegbegleiterin blieb und bis 1985 an seiner Schule unterrichtete, vermittelte ihm 1948 die Leitung des Henry Street Playhouse, einer Off-Bühne in der Lower East Side in New York, die er 20 Jahre lang führte. 1949 lernte er Murray Louis kennen. In ihm fand er einen starken Solotänzer für seine Kreationen, einen Lebenspartner und künstlerischen Weggefährten. Das Henry Street Playhouse nutzte er als Experimentierbühne eines totalen Theaters, in dem in einem multimedialen Ensemble von Bewegung und Technik ein breites Publikum adressiert wurde. 118 Arbeiten schuf er insgesamt bis zu seinem Tod 1993; aufgrund seiner Sonderstellung wurde sein Œuvre dennoch oft nur am Rande der amerikanischen Tanzgeschichte betrachtet.67 Er steht Im Untersuchungsfeld von Tanz und Bildmedien als Vertreter, der dank seines biografischen Hintergrunds und seiner vielfältigen Vorlieben eine Synthetisierung der Künste anstrebte.

66 67

A. Nikolais: No Man from Mars, S. 63. Erst 2007 wurde ein eigener Sammelband mit Aufsätzen zu verschiedenen Themen publiziert: C. Gitelman/R. Martin: The Returns of Alwin Nikolais. Zuvor waren nur vereinzelte Dissertationen in den USA sowie Aufsätze erschienen. Zur Einführung vgl. R. Martin: Nikolais Returns.

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Technisch interessiert, erwarb er früh einen Moog-Synthesizer, auf dem er die Sound-Collagen zu seinen Stücken komponierte; er gestaltete selbst Licht, Bühne und Kostüme. Mit diesem multidisziplinären Ansatz verschob er die Grenzen der Tanzkunst, musste sich dafür der Kritik stellen, dass seine Inszenierungen wenig mit Tanz zu tun hätten, seine Tänzerinnen und Tänzer sich den visuellen Effekten unterzuordnen hatten und schließlich die visuellen Effekte populistische Tendenzen zeigen würden. Nikolais passte nicht in den Tanzkanon des Modern Dance der Zeit mit einer auf die Bewegung selbst und deren emotionalen Ausdruck bezogenen Konvention – sein Bewegungskonzept definierte sich erst im Zusammenspiel der Disziplinen: »While there were critics who questioned whether Nikolais’ work was dance, he himself made crossing boundaries part of his art. He was interdisciplinary, and his work moved across esthetic boundaries of abstract expressionism and pop art, the painterly and the televisual, popular and esoteric.« 68 Er beschrieb seine Theorie von Bewegung als ›decentralisation‹: Kostüme und Bühnenbild ermöglichten eine Befreiung von der körpereigenen Form, und genau dies sollte zum Kern von Tanz und Bewegung, zu einer Einfachheit und Reinheit von Bewegung führen. Yvonne Hardt, die Nikolais Bewegungsansatz in der Anwendung als nach außen gerichtete Improvisationstechnik beschreibt – die Tänzerinnen und Tänzer erproben die Möglichkeiten sich mit Requisiten und in formenden Kostümen zu bewegen –, schlägt statt ›decentralisation‹ die Bezeichnung ›relationality‹ vor, um seine Bewegungstechnik von der eines William Forsythe zu unterscheiden. Bei Forsythe meint Dezentralisierung anders als bei Nikolais die Verlagerung der Bewegungszentren von der Mitte weg.69 Die reine Bewegungstechnik ist bei Nikolais jedoch weit weniger wichtig als die Beziehung des Körpers, der Körperlinien zum Kostüm, zu den Requisiten wie Stoffbändern oder Armverlängerungen und zur räumlichen Umgebung: »The dancer is sometimes man on stage and he is sometimes thing. He is sometimes related to objects and he is sometimes related to environments and situations, but rarely does he dominate them; he rather lives with them, he becomes part of them.«70 Wie eine Chimäre steht Nikolais exemplarisch für ein Kunstschaffen, das sich bis heute immer stärker zwischen einzelnen Gattungen bewegt, das ›high‹ und ›low art‹ verbindet und die Vorzüge der Technik integriert. Er steht am Anfang einer Tradition einer Autorschaft im Tanz – 1954 erschien François

68 69 70

Ebd., S. 3. Y. Hardt: Alwin Nikolais, S. 69. Nikolais, zit. in: W.G. Gary: The Dance Theatre of Alwin Nikolais, S. 38, zit. in: Y. Hardt: Alwin Nikolais, S. 77.

Themenfeld 2: Medieneinsatz auf der Tanzbühne

Truffauts Aufsatz »Une certaine tendance du cinéma français«71, in dem Truffaut die Autorschaft des Filmregisseurs, eine ›Politique des auteurs‹ forderte. Mit Nikolais setzt sich die Tradition eines Theatermagiers fort, wie Georges Méliès einer war, der Bewegung in Verbindung mit technischen Tricks einsetzte. In seiner Offenheit für andere Disziplinen und mit seinem kinetisch-visuellen Ansatz kann er auch als Vorläufer digitaler Experimente gewertet werden, in denen der Körper ein Element im Bühnensetting bildet. Nikolais’ Medieneinsatz auf der Tanzbühne ist kein puristischer oder konzeptioneller, sondern entspricht der Vision eines visuellen Kunstwerks, das von Bewegung, aber auch von Licht und Projektionen lebt. Es sind bewegte Bildwerke, die im Umfeld von Pop Art und Performance in der künstlerischen Aufbruchstimmung der 1960er Jahre entstanden. Seine Arbeiten zeigen Effekte von Bildmedien, geschaffen durch einen gezielten Lichteinsatz, die Verwendung von Bühnenelementen und die Gestaltung der Kostüme. Bei Nikolais sind es noch keine Videobilder, die eine eigene Geschichte erzählen, eine zweite Bedeutungsebene hinzufügen oder in einen Dialog mit dem Bühnengeschehen treten, sondern Lichtprojektionen und Schatteneffekte dienen der Vergrößerung; oder selbst gemalte Dias werden multimedial in die Inszenierung integriert. Eine Fortsetzung seiner visuellen Kunstgriffe sind beispielsweise in den Arbeiten der Bewegungstheatergruppen Momix oder Pilobolus in den Vereinigten Staaten oder den Aufführungen der Schweizer Gruppen Movers und Mummenschanz zu finden – Performer in Kostümen, welche die Konturen und die Dimensionalität der Körper verändern und sich in der Ausleuchtung zu bewegten Skulpturen wandeln, bei denen keine individuelle Personalität gefragt ist. Masks, Props and Mobiles entstand im Henry Theater 1953. Diese Arbeit steht am Anfang von Nikolais’ Raumerkundungen mit unterschiedlichsten Mitteln, mit Extensionen des menschlichen Körpers, wurde allerdings sogleich von der Kritik zwar als interessant, aber als nicht mehr dem Tanz zugehörig rezensiert.72 In der Tradition von Laban und – wie Marcia Siegel bemerkt – auch in einer Anlehnung an Oskar Schlemmer depersonalisiert Nikolais die Tänzer und erkundet den Bühnenraum wie eine dreidimensionale Leinwand.73 In einer Abkehr vom Realismus der Balletttradition, aber auch des Modern Dance einer Martha Graham entsteht Emotion in der Bewegung allenfalls aus der Bewegung selbst, nicht durch Charaktere: »My theory of motion allowed me to divorce myself from the bounds of literalism & realism

71 72 73

F. Truffaut: Une certaine tendance du cinéma français. Vgl. D. McDonagh: The Rise and Fall, S. 131. M.B. Siegel: Artisans of Space, S. 60.

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and to judge my design choice simply upon the base of visual kinetics. I didn’t have to light Nureyev – I could light motion.«74 Imago (The City Curious) von 1963 zählt zu Nikolais’ bekanntesten Werken, und mit ihm gastierte er zudem 1968 erstmals mit seiner Company in Europa. Es besteht aus drei Akten mit insgesamt elf einzelnen Tänzen mit eigenen Titeln, jeder Akt wurde mit einer Gruppenchoreographie beendet.75 Ein Ausschnitt verdeutlicht die abstrakte Visualität seiner Inszenierungen: Die Tänzerinnen und Tänzer tragen vereinheitlichende verschiedenfarbige Ganzkörpertrikots, dazu anonymisierende, hoch aufstrebende Hüte, welche die Performer wie Puppen wirken lassen. Dazu ertönt ein elektronischer Sound aus dem Moog-Synthesizer. Nikolais Aufführungen sind aufgrund seines multidisziplinären Hintergrunds als Musiker, Puppenspieler und Theatermann bunte Farbspiele, Collagen, zusammengesetzt aus Lichtwirkungen, Soundteppich und Projektionen. In Imago werden die Schatten der Figuren vielfach vergrößert auf farbige Kulissen geworfen, ein weiterer Projektionseffekt entsteht durch blumenstraußartige Requisiten, die von den Tanzenden bewegt werden. Das Bewegungsvokabular ist ebenso abstrakt, folgt und verlängert Bewegungslinien, und die Gruppenbewegungen werden eher auf der lateralen Bühnenachse ausgeführt. Dadurch entsteht eine zweite zweidimensionale Ebene vor der Projektion; Vor- und Rückbewegungen in der Tiefenachse würden Vergrößerungseffekte bewirken. Tanz war für Nikolais eine visuelle, nicht nur kinetische Kunst. Von daher dominiert in seinen Arbeiten der Aspekt des Raumes – auch die Bewegung folgt den Erfordernissen der Raumebenen und den visuellen Effekten. Im Parameter der Zeit ergeben sich durch die Projektionen und Verdoppelungen zusätzliche Dimensionen, die sich als weitere Zeitebenen in den Raum einfügen. Diese Präzision der raumzeitlichen Gestaltung erfordert von den Tänzerinnen und Tänzern ein hohes Maß an Körperkontrolle, auch wenn diese Fähigkeiten im Verschwinden hinter Farben und Formen, in der Anonymisierung zu Figuren eines totalen Theaters wenig gewürdigt wurden. Ähnlich wie Merce Cunningham oder Hans van Manen bewegte sich Alwin Nikolais in verschiedenen intermedialen Feldern zwischen Tanz und bewegtem Bild. Bereits ab 1959 schuf er Werke fürs Fernsehen, teilweise wie für Limbo (1968) mit elektronisch generierten Bildern und Bluebox-Effekten oder Projektionen auf den Körpern der Tänzerinnen und Tänzern. Nikolais sah das Fernsehen ganz im damals aktuellen Kontext eines Marshall McLuhan als Medium – als zu gestaltendes Mittel mit neuen Möglichkeiten. Weitere Experimente im

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Alwin Nikolais, in: M.B. Siegel: Sondernummer zu Alwin Nikolais, S. 9. Für einen Überblick über die Struktur des Stücks vgl. ebd., S. 134.

Themenfeld 2: Medieneinsatz auf der Tanzbühne

Filmmedium machte er mit dem Experimentalfilmer Ed Emshwiller: zum Beispiel Premiere (1967), ein Multimedia-Event mit Filmprojektionen sowie einzelne eigenständige Filme, indem er von einem Bühnenwerk wie Totem eine gleichnamige Filmversion oder wie mit Chrysalis eine eigene Kreation für die Kamera schuf.76 Lucinda Childs’ Dance und Hans van Manens Live

1979 entstanden zwei markante Choreographien, in denen Projektionen einen wesentlichen Teil der Bühneninszenierung ausmachen – in Amsterdam kreierte Hans van Manen im Rahmen des Holland-Festivals mit Premiere am 2. Juni Live, in dem eine Solotänzerin, ein Kameramann und Live-Projektionen seiner Aufnahmen zentral stehen. Lucinds Childs, Protagonistin des Judson Dance Theater, entwickelte als Auftragsarbeit der Brooklyn Academy of Music mit Dance ein Gruppenstück, für das der Konzeptkünstler Sol LeWitt eine großformaFilmstill aus Dance, Choreographie: Lucinda Childs, tige Filmprojektion und PhiFilm: Sol LeWitt (1979/2009) lip Glass die Musik schufen. Die Uraufführung fand im Oktober ebenfalls in Amsterdam, die New Yorker Premiere am 29. November 1979 in der Brooklyn Academy statt. Childs hatte zuvor meist ohne Musik und mit einfachen Alltagsbewegungen gearbeitet, die zu präzisen Bewegungsabläufen und leicht verschobenen Bewegungsmustern komponiert wurden. Die Herkunft aus der Cunningham’schen Schule zeigt sich in der formalen Qualität und präzisen Ausführung der Bewegungen. Childs hatte Yvonne Rainer im Unterricht bei Cunningham kennengelernt und wurde von ihm zum Judson Dance Theater eingeladen. 1973 gründete sie ihre eigene, die Lucinda Childs Dance Company. 1976 wirkte sie bei der viel beachteten Oper Einstein on the Beach von Robert Wilson und Philip Glass als Choreographin und Solistin. Die Begegnung mit der Minimal Music von Glass prägte ihr weiteres choreographisches Schaffen. Aus der Zusammenarbeit mit Wilson und Glass entstand ein Tanzprojekt, für das Glass die Musik kom76

Zu diesen Experimentalfilmen siehe Themenfeld 4.

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ponierte. Dieser vermittelte Sol LeWitt als weiteren Partner, und Childs schuf mit ihm das Bühnenkonzept, bei dem die Choreographie auf einer zweiten Ebene einer Filmprojektion verdoppelt werden sollte. Der Film wurde damals im 35-mm-Format gedreht. Dance wurde 30 Jahre nach seiner Uraufführung 2009 wieder aufgenommen und tourt als ›Klassiker der Avantgarde‹ erfolgreich durch die USA und Europa.77 Glass’ Kompositionsstil mit kurzen, repetitiven, rhythmisch präzisen Phrasen widerspiegelt sich in Childs’ Tanzstil, der in Analogie zu Glass’ Musikstil als Minimal Dance bezeichnet wird. Während in der Urversion die Tänzerinnen und Tänzer in einer Verdoppelung im Schwarzweiß-Film mit ihren Alter Egos einen Dialog zu führen schienen, tanzen die heutigen Tänzerinnen und Tänzer in der neu digital aufbereiteten Projektion im Duett mit ihren historischen Vorgängern, unter ihnen Lucinda Childs selbst. In dieser Konfrontation mit der Tanzgeschichte wird ferner die Veränderung der Tanztechnik deutlich: das heutige Ensemble ist noch präziser als das damalige, dafür fehlt der entspannte Bewegungsduktus von damals. Die Tänzerinnen und Tänzer der Schwarzweiß-Bilder wirken wie geisterhafte Doubles. Anstelle einer reinen Projektion als Kulisse werden die Filmsequenzen wiederholt in die fünf 20-minütigen Teile (der Choreographie und Musikkomposition) eingespielt, und die Formate der Projektionen auf dem Gazevorhang am Bühnenrand wechseln – mal scheinen die filmischen Figuren oberhalb der Bühne zu schweben, mal rechts, mal links, und in einigen Sequenzen wirkt es, als ob sie durch den durchsichtigen Vorhang mit den realen Bühnentänzerinnen und -tänzern verschmelzen. So erlebt die Choreographie, die mit Phrasenverschiebungen zur Musik arrangiert wurde, eine weitere Verschiebung und Verdoppelung, eine weitere Ebene der Synchronisation, die mehr ist als eine bewegte Bühnenkulisse und schlichte Projektion – repräsentierte Körper im Film und präsentierte Körper auf der Bühne treten in einen Dialog, und das Publikum wird in diesen Strom von tänzerischer Bewegung und Bildern hineingezogen. Die Ebene der Bewegung beruht in Dance auf einem klaren Bewegungsvokabular, Bewegungsfluss und den Phrasenverschiebungen, die in Relation zur Musik stehen. Die Kamera begleitet die aufgezeichneten und verdoppelten Bewegungssequenzen in verschiedenen Einstellungen und Perspektiven zu einem weiteren Bewegungseffekt, wobei auch nähere Aufnahmen vorkommen und dadurch die Bewegungen vergrößert werden. Der Raum der Bühne erfährt im Film eine Verdoppelung. Da die Bühne jedoch

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2009 produzierte der deutsch-französische Kultursender »arte« eine Dokumentation von Patrick Bensard über Lucinda Childs, in der auch der Probenprozess einer Wiederaufnahme von Dance vorkommt.

Themenfeld 2: Medieneinsatz auf der Tanzbühne

leer ist, dominieren die Körper beide Raumebenen. Die Projektionen unterbrechen und verdoppeln die Zeitebenen – der Dialog besteht aus einem Spiel mit Wiederholungen und Verschiebungen von Zeit. Hans van Manen arbeitete in der 30-minütigen Choreographie Live ebenfalls mit einer Großprojektion, doch schon damals mittels Videotechnik, denn Aufnahme und Wiedergabe sollten gleichzeitig stattfinden, und dies ist nur mit elektronischen Bildverfahren möglich. Dieses intime Werk, das den Untertitel Ein Videoballett trug, schuf er für den riesigen Raum des Amsterdamer Winterzirkus Carré.78 Van Manen interessierte sich wie Alwin Nikolais für alle technischen Innovationen und stellte seine Ballette ebenfalls schon früh, ab 1958, dem Fernsehen zur Verfügung; auch Kreationen fürs Fernsehmedium entstanden kurz darauf, beispielsweise Kain und Abel von 1961, welches die Eigenheiten des Mediums berücksichtigte und erst anschließend den Weg auf die Bühne fand. Den Titel Live wählte er bewusst als Fernsehterminus, um verFilmstill aus Live, Choreographie: Hans van Manen (1979) gleichbar mit den beschriebenen Performanceaktionen die Gleichzeitigkeit von Aufzeichnung und Aussendung auszudrücken – die Aufnahmen des Kameramanns Henk van Dijk, der sich im Dialog mit der Tänzerin Coleen Davis bewegt, sind über eine Großprojektion als Bühnenhintergrund und Verdoppelung des Live-Tanzes sichtbar. Auffallend ist die Gesamtstruktur des Werkes, das in verschiedene Teile und Formen des Medieneinsatzes gegliedert werden kann: Live beginnt mit dem Auftritt des Kameramanns, der mit seiner tragbaren Kamera Personen aus dem Publikum filmt. Der Blick ins eigene Antlitz löst ein Lachen der Zuschauenden aus, legt die Selbstreflexivität des Mediums und mittels des ›Ertapptseins‹ die voyeuristische Position des Publikums offen. Erst nach dem Auftritt der Tänzerin nimmt Henk van Dijk diese ins Bild, folgt ihrem Solotanz und ermöglicht dem Publikum eine mediale Verdoppelung: In der Totale des Bühnenraumes kann das Wechselspiel zwischen Kameramann und Tänzerin verfolgt werden, die 78

Zu Hans van Manen vgl. J. Schmidt: Der Zeitgenosse als Klassiker, zu Live S. 90ff.

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parallel projizierten Großaufnahmen von Gesicht, Händen und Füßen verstärken die Aussagekraft und Emotionen der Tänzerin. Anders als in der Selbstbezogenheit der Solo-Performancekunst entsteht ein intimer Dialog, an dem das Publikum in voyeuristischer Perspektive teilhat: Coleen Davis scheint die Anwesenheit von Zuschauern nicht wahrzunehmen, und an keiner Stelle des Stückes richten sie oder der Kameramann ihren Fokus in den Zuschauerraum. Die Tänzerin wirkt vollkommen bezogen auf die bewegte Kamera, die Spiegel, konfrontatives Gegenüber und Tanzpartner zugleich ist. Die Kamera wird im Verlauf des Solotanzes zur eigenständigen ›Person‹, wobei hinter ihr mit Henk van Dijk tatsächlich ein früherer Tänzer das Medium, das zwischen den beiden Personen steht, bewegt. Die Konfrontation geht so weit, dass van Dijk sich auf den Rücken legt, Davis über ihn hinweg schreitet und die Kamera drehende, die Raumorientierung verlierende Bilder produziert. Von Live wurde 1986 im Rahmen eines fünfteiligen Programms unter dem Titel On Show. Five van Manen pieces eine Bearbeitung durch das niederländische Fernsehen gemacht. Diese zwölfminütige Fernsehversion zeigt nur diesen ersten Teil des Duetts von Tänzerin und Kameramann. Um die Verdoppelung von Live-Präsentation und Repräsentation im Bildmedium im Fernsehen zu kennzeichnen, wurde die Projektion als Schwarzweiß-Bild elektronisch in die farbige Live-Aufnahme von Tänzerin und Kameramann gestanzt. Zusätzlich verdeutlichen Schrifteinblendungen die mediatisierte Form: »In Live hat Coleen Davis zwei Körper. Der eine tanzt, und der andere erscheint auf einem Bild hinter ihr. Dieser Körper kommt aus der Kamera von Henk van Dijk.« Und nach der Einblendung der auf dem Boden liegenden Kamera und einem Stanzenbild mit horizontal liegenden Beinen wird dazu eingeblendet: »Wer ist die Tänzerin – sie, die tanzt, oder sie, die abgebildet wird?« Um diese Film-im-Film-Situation im Fernsehen überhaupt zu vermitteln, musste die gesamte Situation nochmals von Fernsehkameras aufgenommen werden. Und diese dritte Ebene wird wiederum durch ein Stanzenbild links oben im Bild offengelegt, das den Fernsehkameramann an seiner auf einem Stativ stehenden Kamera zeigt – die körperliche Präsenz der Ballerina wird somit mehrfach auf verschiedenen medialen Ebenen repräsentiert und mediatisiert. Die Fernsehfassung reflektiert mit den dem Medium eigenen Mitteln das doppelte Schauen der Theatervorstellung und versetzt das Fernsehpublikum diesmal wirklich in eine voyeuristische Position.79 79

Zur Analyse des Werkes, insbesondere auch Details zur Fernsehfassung, vgl. C. Rosiny: Tanz und Video, S. 31f. Ein Ausschnitt mit Probenbildern ist zu sehen auf der Website des niederländischen Theaterinstituts unter http://www.eenlevenlangtheater.nl/hans%2van%20 manen/Video/1929.html vom 11.11.2012. Henk van Dijk war ab 1974 verantwortlich für die Videoabteilung von Het Nationale Ballet.

Themenfeld 2: Medieneinsatz auf der Tanzbühne

In weiteren Teilen der Choreographie im Theater werden Filmeinspielungen im Sinne einer Extension als Erweiterungen des Raumes eingesetzt: Ein Pas de deux der Tänzerin mit ihrem Partner Henry Jurriëns findet im Foyer statt und wird ›live‹ ins Theater auf die Leinwand übertragen. Auf diese Weise wird mit üblichen Theaterkonventionen gespielt: Während die Verdoppelung mittels Bildprojektion und Live-Tanz noch vor den Augen der Zuschauenden abläuft, wird in dieser Szene das Publikum ›allein‹ gelassen, sieht sich plötzlich in einem Theaterbau mit den Konventionen des Kinos konfrontiert. Trotzdem ist zu erkennen, dass sich die Szene im gleichen Gebäude abspielen muss. Ebenso am Ende des Stückes, wenn die Tänzerin das Theater verlässt, sieht das Theaterpublikum nur noch Aufnahmen von ihr, wie sie ihren Mantel im Foyer anlegt und entlang der Amstel läuft, um an einer Brücke über eine Gracht zu entschwinden. Eine weitere Sequenz, die zusätzlich noch eine zeitliche Erweiterung bedeutet, findet ebenfalls nur auf der Leinwand statt: In der Form eines Flashbacks, eines vorproduzierten Films, wird die Probe zum Pas de deux zwischen Tänzerin und Tanzpartner im Tanzstudio gezeigt. Hans van Manens Faszination für Film und Fotografie – als Fotograf schuf er parallel zu seiner Karriere als Choreograph ein umfassendes eigenes Œuvre – spiegelt sich wiederholt in seinen Choreographien. Auch er stand wie Nikolais unter dem Einfluss der Nouvelle Vague, der neuen Generation des französischen Films, und entlieh Anregungen beispielsweise von JeanLuc Godard: 80 In Mutations (1970) projizierte er Filmbilder in starker Zeitlupe, die es ermöglichte, sogar die Muskelreaktionen wahrzunehmen, in Twice (ebenfalls 1970) setzte er Großaufnahmen ein und nutzte damit in beiden Choreographien die Möglichkeit von Filmbildern als bewegter Kulisse, die der Bewegung zusätzliche, nur filmisch mögliche Bewegungsqualitäten und -ausschnitte hinzufügten. Das Prinzip der Gleichzeitigkeit erprobte er damit bereits einige Jahre früher als in Live, wenn auch noch in einem anderen filmischen Medium. Schmidt schreibt, dass van Manen und sein Filmpartner Jean-Paul Vroom bereits an die Videotechnik gedacht hatten, aber die Verfahren waren 1970 noch nicht ausgereift genug, um die geforderte Projektionsgröße herzustellen.81 In Portrait (1983), einem Solo für die Tänzerin Pauline Daniëls, übernahm ein Scheinwerfer als Verfolger die Rolle der Kamera: Der Lichtstrahl definierte den Bildausschnitt, die Posen für die Theaterzuschauer. 82 Van Manen, der als einer der Erneuerer des klassischen Balletts 80 81 82

Vgl. J. Schmidt: Der Zeitgenosse als Klassiker, Kapitel »Zu Hause im 20. Jahrhundert«, S. 180-185. Ebd., S. 182. Der Scheinwerfer wurde notabene wiederum von Henk van Dijk geführt. Zu van Manen vgl. auch: M. Jonkers: Hans van Manen, bes. S. 95.

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der Nachkriegszeit in Europa gilt, integrierte durchaus Elemente aus Alltagsbewegungen, modernem Tanz oder Jazztanz – »dance expresses dance and nothing else«, 83 lautete sein Credo, für das die Frage der Tanztechnik sekundär war. Neben den in Live ausschließlich verwendeten Bewegungen des klassischen Balletts werden auf der medialen, der projizierten Ebene Fokussierungen und Feinheiten, aber auch irritierende Perspektiven dieses Vokabulars dargestellt. Entscheidend für das Konzept von Live sind die Möglichkeiten der Erweiterungen des Raumes durch Kamera und Projektion: einerseits durch die räumlich und zeitlich gleichzeitig stattfindende Verdoppelung auf der Großleinwand, andererseits mit einer zusätzlichen zeitlichen Ebene. Mit dem Probenprozess zum Pas de deux, der wie die Raumsituationen im Foyer und im Außenraum auch in einem anderen Raum als dem des Theaters, in einem Tanzstudio, stattfand, wird die Vergangenheit vergegenwärtigt. In dieser Addition von räumlichen und zeitlichen Dimensionen vereint Live verschiedene Formen und Funktionsweisen des Medieneinsatzes auf der Tanzbühne, wie sie im Weiteren detaillierter besprochen werden. Projektion in den Arbeiten von Wim Vandekeybus

Eine erste Kategorie der Medienkombination auf der Tanzbühne sehe ich als Grundkategorie des Verhältnisses: Projektionen – ob auf Monitoren oder auf Leinwänden oder anderen Materialien – bilden einen Gegenpart zum Tanz auf der Bühne. Aus den Relationen – den Funktionsweisen im Zusammenspiel, in Ergänzung, Kontrast oder Verschränkung – entstehen »(ästhetische) Brechungen« und eröffnen sich »neue Dimensionen des Erlebens und Erfahrens«. 84 Einfache Formen der Projektion können als bewegtes Bühnenbild, als räumliche Erweiterung des Bühnenraumes fungieren. Nebst dem Bühnenraum öffnet sich durch den filmischen Raum ein ›Fenster zur Welt‹, ein Raum im Raum, eine Ergänzung zum Bühnengeschehen, vergleichbar dem bereits bei den Ballets Russes und Ballets Suédois verwendeten Filmeinsatz. Die Möglichkeiten, andere Orte, Landschaften, Personen, Geschichten in den vorproduzierten audiovisuellen Dokumenten abzubilden, sind unendlich. Die Projektionen können dokumentarisch, fiktional oder dem Genre des Experimentalfilms zugeordnet werden. In Wim Vandekeybus’ Choreographie Immer dasselbe gelogen (1991) wird der für die belgische Compagnie Ultima Vez typische dynamische Bewegungsstil, der in sich schon mit abrupten Bewe-

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Ebd., S. 29. J.E. Müller: Intermedialität als poetologisches und medientheoretisches Konzept, S. 31f.

Themenfeld 2: Medieneinsatz auf der Tanzbühne

gungen des Springens und Fallens als bruchstückhaft gekennzeichnet werden kann, durch Videoprojektionen unterbrochen. Die Filmausschnitte zeigen Carlo Verano, einen 89-jährigen ehemaligen Varieté-Künstler, den Wim Vandekeybus 1990 zufällig am Hamburger Hafen traf, als er mit seiner Super8-Kamera unterwegs war. Es sind dokumentarische, schlichte Aufnahmen des Mannes zu Hause oder im Hafen – singend, tanzend, redend. Er spricht zum Kameramann, zu Vandekeybus, der Bilder von Verano vergleichbar einem Homevideo wie zufällig einfängt. Immer dasselbe gelogen ist die vierte Arbeit des Belgiers Vandekeybus, der mit seinem Werk What the Body Does Not Remember (1987) stilbildend für eine physisch-akrobatische Richtung des zeitgenössischen Tanzes der 1980er und 1990er Jahre wurde. Die Bühnenchoreographie von Immer dasselbe gelogen, deren Ausgangspunkt die Person Carlo Veranos war, erfährt durch die filmischen Dokumente eine Ergänzung und Erklärung, gibt Einblicke in die Welt dieses vereinsamten alten Mannes, um den sich Vandekeybus in der Folge dieser Begegnung bis zu seinem Tod freundschaftlich kümmerte. Obwohl mit den erzählenden Elementen, den Monologen von Verano, die von den Tänzerinnen und Tänzern auf der Bühne repetiert werden, auch narrative Aspekte in die Choreographie hineinspielen, bleibt das gesamte Werk in seiner offenen Struktur eine Montage aus Bewegungen, Text- und Bildfragmenten und kurzen Handlungen wie dem Kochen oder Braten eines Eis, dem Absägen eines Stuhlbeins. Die Filmprojektionen haben keine dramaturgische Funktion im Sinne einer Erweiterung des Bühnengeschehens. Die verschiedenen Filme von Vandekeybus wurden wie die Kurzfilme und die Spielfilme im Jahr 2006 auf einer DVD-Kollektion zusammengefasst. 85 Für eine eingehende Analyse der Bühnenwerke mit Medieneinsatz bei Wim Vandekeybus – ein sicher lohnenswertes Untersuchungsfeld – bräuchte es allerdings Aufzeichnungen von der Bühne bzw. Dokumente, die das Zusammenspiel zwischen Bühnen- und Filmgeschehen belegen. Es besteht eine ähnliche ›Gefahr‹ in der Überlieferung wie bei Entr’acte: Die filmischen Arbeiten überdauern die Geschichte, die ursprüngliche Integration in ein Bühnenwerk geht vergessen. Bei Vandekeybus wird dieser Prozess dadurch verstärkt, dass er von einigen Bühnenwerken eigenständige Filmadaptionen realisiert, die oft einen anderen Titel und nicht wie bei der britischen Gruppe DV8 den gleichen Titel wie die Live-Version tragen: 86 Ein Jahr nach der Premiere produzierte Vandekeybus zusammen mit Walter Verdin den auf Immer

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Wim Vandekeybus: Dance & Short Fiction Films, bestellbar online bei der Compagnie www.ultimavez.com. Ausserdem sind mehrere seiner Tanzfilme auf ubu.com zu finden. Zu DV8 siehe im Themenfeld 4 das Kapitel »Narrativität im Videotanz«.

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dasselbe gelogen basierenden 50-minütigen Tanzfilm La Mentira. In diesem verdichten sich die Aufnahmen von Verano mit den tänzerischen Elementen. Bereits 1989 hatten Vandekeybus und Verdin mit Roseland einen ebenso langen Tanzfilm realisiert. Diesem lagen die ersten drei Choreographien von Vandekeybus zugrunde. Die Filmästhetik einer schnellen Montage intensivierte die dynamische Ästhetik des Tanzes. Bemerkenswert ist, dass Wim Vandekeybus bis heute fast gleich viele Bühnenchoreographien wie Filmwerke schuf. Und in den meisten Choreographien seit den 1990er Jahren spielt der Medieneinsatz eine Rolle. Manchmal tragen die eingespielten Filme wie bei Entr’acte sogar einen eigenen Titel wie beispielsweise Elba und Federico, ein Kurzfilm, der in Her Body Doesn’t Fit Her Soul (1992), oder The Last Words, ein Kurzfilm, der in In Spite of Wishing and Wanting (1999) integriert war. Vandekeybus arbeitete darin mit blinden Tänzerinnen und Tänzern und verfolgte damit die für seinen Bewegungsstil generell kennzeichnenden Leitlinien von Instinkt und Intuition, um gleichzeitig die Verletzbarkeit der Körper zu veranschaulichen. In den Arbeiten nach Immer dasselbe gelogen wird der Medieneinsatz differenzierter und komplexer, denn auch die Bühnenwerke folgen verstärkt narrativen Elementen, Inspirationen und Texten aus Literatur, Mythologie und Philosophie. Blush (2002) weist beispielsweise Interaktionen zwischen Film und Bühnengeschehen auf sowie komplexe Verbindungen zwischen Tanz, Musik, Film, Bühnenbild und Licht. Frauen auf der Bühne tauchen scheinbar in den Film ein und wandeln sich dort zu im Wasser schwimmenden Nymphen. Auch Blush erfuhr wie Immer dasselbe gelogen 2005 eine eigenständige, mit einigen Preisen ausgezeichnete filmische Fortsetzung. Neben der Integration von Projektionen in seine Choreographien steht Vandekeybus außerdem als Vertreter des zeitgenössischen Tanzes, der intermediale Verfahren wählt, um sich in verschiedenen Medien auszudrücken. Er lässt sich in beide Richtungen des Transfers inspirieren und setzt im Sinne postmoderner Addition von Bruchstücken Elemente vorheriger Kreationen neu zusammen. Aus einer Szene von 7 for a Secret Never To Be Told (1997) entstand beispielsweise 2001 eine Videoadaption, die unter dem Titel Silver im Jahr 2001 publiziert wurde. 87 Die genannten Beispiele von Vandekeybus verweigern sich zum Teil einer genauen Zuordnung. Dennoch ergänzen sich die Parameter Bewegung, Raum und Zeit auf beiden medialen Ebenen: Das Bewegungskonzept basiert auf temporeichen, risikofreudigen, animalischen Alltagsbewegungen, Grundbewegungen wie Laufen, Fallen, Springen in einer offenen choreographi-

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Für Werkverzeichnisse von Vandekeybus im Tanz und Film siehe Website der Compagnie www.ultimavez.com.

Themenfeld 2: Medieneinsatz auf der Tanzbühne

schen Struktur mit ständig wechselnden Rhythmen. Das schnelle Tempo, das auf der Bühne überwiegt, wird in Immer dasselbe gelogen auf der Filmebene zu einem Kontrast, in dem Zeit und Raum als neue Fenster, als ergänzende Welten außerhalb des Bühnengeschehens geöffnet werden. Die Projektionen zeigen Orte und Momente, die auf der Bühne so nicht stattfinden können oder dienen als bewegte Bühnenbilder, als wichtige Elemente der Szenographie. Anhand der Beispiele von Wim Vandekeybus wird zudem deutlich, dass der Übergang zwischen Projektion und Extension oft graduell ist. Die zweite Kategorie der Extension umfasst vor allem räumliche und zeitliche Erweiterungen in einer dramaturgischen Funktion zum Bühnengeschehen. Extension in Werken von Frédéric Flamand

Frédéric Flamand setzt in Moving Target (1996) eine Projektion wiederkehrend ein: Eine Leinwand senkt sich von der Decke vor die Bühnensituation, die wie in Immer dasselbe gelogen in dieser Zeit dunkel ist. Der Fokus des Publikums ist also ausschließlich auf die Projektion konzentriert. Eingespielt werden fünf ein- bis zweiminütige Werbeclips, in denen für Pille, Pflaster, Tropfen, Nasenspray oder Spritze geworben wird. Die Clips werden wie Unterbrecherwerbung im Fernsehen eingesetzt, wirken unter Namen wie »GenderAll«, »ConfiDerm« oder »LibidoPhren« der fiktiven Firma »Normal« als Teil des Konzepts der Kontraste und Konfusionen wie eine kommentierende und ironisierende Ebene. Ausgehend von Nijinskys unzensierten Tagebüchern, die er ab dem Ausbruch seiner Schizophrenie nach 1919 verfasste, thematisiert Flamand Gegensätzlichkeiten zwischen Verwirrtheit und Visionen, spürt Widersprüche und Möglichkeiten unserer postmodernen Gesellschaft auf. Angesichts des Themas wirkt der Einsatz eines riesigen Spiegels, der im 45-Grad-Winkel über der Bühne hängt, schlüssig. Dieser unterbricht den Bühnenraum in einer anderen Weise als eine einfache Leinwand, da er durch die Neigung abweichend zu den Videoaufnahmen in Hans van Manens Live eine zweite Abbildungsebene und einen veränderten räumlichen Blickwinkel auf die tanzenden Körper ermöglicht. Den Bühnenraum für Moving Target gestalteten die beiden New Yorker Architekten Elizabeth Diller und Ricardo Scofidio. Flamand arbeitete in vielen seiner Choreographien mit namhaften Architekten zusammen. Helena Waldmann schuf in vodka konkav (1997) eine ähnlich ausgeklügelte räumliche Situation mit Spiegeln und Videoprojektionen, in der für das Publikum die leibhaftig agierenden Tänzer – übrigens ein Zwillingspaar, das für weitere Verwirrung sorgte – und die Bildrepräsentationen derart verschmolzen, dass Real-, Spiegel- und Videobild nicht mehr zu unterscheiden

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waren. 88 Bildprojektionen implizieren die kulturellen Bedingungen veränderter Wahrnehmung, markieren den Wandel im Bild-Denken und -Erleben durch den Einfluss der Medien. 89 Das Spiel mit dem Blick, dem Körper und dessen Spiegel- und Abbild drückt in allen Arbeiten Frédéric Flamands auch seine Auseinandersetzung mit postmodernen Denkweisen aus, die solchen vielschichtigen Bühnenanordnungen zugrunde liegen: »Moving Target nutzt die Möglichkeiten der Rekonfiguration des Raumes und des Körpers der Postmoderne, des Privaten und des Öffentlichen, des Erlaubten und Verbotenen, des Normalen und des Pathologischen, der Vernunft und des Wahnsinns.« 90 Flamand verwendet in allen seinen Choreographien Medien, die er in Beziehung setzt zu Tanz, Raum und Musik. Wie Vandekeybus kein ausgebildeter Tänzer oder Choreograph, gründete Flamand 1973 in Brüssel die multidisziplinäre Gruppe Plan K, erneuerte ab 1991 das Ballet Royal de Wallonie unter dem Namen Charleroi/Danses – Plan K und setzt seit 2004 seine multidisziplinäre Arbeitsweise als Filmstill aus Ex Machina, Choreographie: Frédéric Flamand (1994) Direktor des Ballet de Marseille fort. Merkmal der zweiten Kategorie der Extension ist die Vervielfachung von Blickrichtungen und Perspektiven, die, wie in den beiden erwähnten Beispielen, durch den Einsatz von Spiegeln eine weitere Dimension einer Aufsplitterung, Reizung und Irritation der räumlichen Wahrnehmung bewirkt. In Ex Machina (1994) setzt Frédéric Flamand zusammen mit dem italienischen Videokünstler und Professor an der Kunsthochschule für Medien in Köln, Fabrizio Plessi, mittels Videoprojektionen und Computeranimationen ein durch Medien erweitertes räumliches Konzept um. Zu Beginn der Aufführung ersteht im Sinne eines »establishing shots« die Raumsituation eines Schwimmbads auf einer riesigen, im Hintergrund der Bühne angebrachten Leinwand mithilfe einer Computeranimation (die Uraufführung fand in Charleroi in einem leer stehenden Schwimmbad statt). Für die Tournee der Aufführung 88 89 90

Vgl. J. Schulze: Greetings from Paradise, S. 156ff., und B. Büscher: (Interaktive) Interfaces und Performance, S. 104f. Vgl. G.C. Tholen: Die Zäsur der Medien, bes. S. 15. Frédéric Flamand, zit. bei M. Baudet: Die letzte Zielscheibe von Frédéric Flamand, S. 47.

Themenfeld 2: Medieneinsatz auf der Tanzbühne

wurde ein diesem Schwimmbad nachempfundener Bühnenraum entwickelt, der durch die an der Kunsthochschule für Medien in Köln konzipierten elektronischen Szenographien virtuell erweitert wurde. Im Verlauf der 16 mit Titeln versehenen Szenen des Stücks werden Raumausdehnungen sichtbar: Ein Flugzeug startet in Großaufnahme auf einer oberen Leinwand, während auf einer unteren Ebene die Abflugzeiten wie in einer Flughafenhalle auf einer Anzeigentafel gezeigt werden. Nebst diesen großflächigen Projektionen drehen sich in einer Szene die Tänzerinnen und Tänzer mit kleinen, vor den Körpern wie Prothesen montierten Monitoren, in einer anderen zeigen Fernsehmonitore in der typischen, schon bei Rosenbach oder van Manen erwähnten Live-Verdoppelung Nahaufnahmen von Füßen. Diese können einem Tänzer zugeordnet werden, der auf der horizontalen Ebene des Schwimmbads agiert, während gleichzeitig eine Reihe Tänzerinnen und Tänzer auf einer erhöhten Raumebene in Umkleidekabinen, in denen sich jeweils ein Monitor befindet, ihre Beine bewegen. Zu den nackten Beinen tragen sie die gleichen roten Pumps wie der Tänzer unten. Die Verdoppelung fungiert wie ein zusätzliches visuelles Angebot und eine Irritation für den Blick des Zuschauers. Flamand setzt die Flut der Bilder bewusst dem tanzenden Körper entgegen, um ein Nachdenken über unsere Welt anzuregen. Mensch und Maschine werden zueinander in Beziehung gesetzt durch die Inszenierung von Brüchen – durch eine »Re-Dramatisierung der Schnittstelle« wird ein »Zeit-Raum« des Dazwischen erfahrbar. 91 Ein drittes Werk von Flamand, La Cité radieuse (2005), spielt mit mobilen ›Leinwänden‹, eigentlich metallenen Wänden, auf die projiziert wird, mit denen auch multiple Raumsituationen des Erscheinens und Verschwindens geschaffen werden. Nach der Trilogie zum Thema Körper und Maschine, zu der Ex machina zählte, war La cité radieuse wiederum ein dritter Teil zum Thema Körper und Stadt, hier ausgehend von Le Corbusiers für Marseille in den 1950er Jahren entwickeltem sozialem Wohnungsbau. Für das Bühnenbild verantwortlich war der französische Stararchitekt und Städteplaner Dominique Perrault. Eine komplexe Anordnung von Live-Kameras und Projektionen bietet eine Vielzahl an Perspektiven an, deren Ursprung kaum nachvollziehbar ist – eine »Implosion von visuellen Wahrnehmungen«, 92 welche die Bühnenarchitektur fragmentiert und immer neu variiert. In Flamands Arbeiten dominieren häufig die medialen Bilder, die Bewegungen der Tänzerinnen und Tänzer, die stark an ein klassisches Ballettvokabular angelehnt sind, sind Beiwerk, die Tänzer lebende Bilder neben den mediatisierten. Auf der

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Siegfried Zielinski im Programmheft zum Stück. Dominique Perrault im Programmheft zum Stück.

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Raumebene wechseln choreographierte Bilder auf der Bühne mit projizierten. Teilweise, wie im ersten Beispiel, wird der Fokus auf die eine oder andere Ebene gelenkt, wenn einzig die Leinwand wie im Kino erscheint, in anderen Arbeiten wird den Zuschauenden der Fokus überlassen. Flamand versteht es, die Bühnenwirkung durch eine große Anzahl an Tänzerinnen und Tänzern gleichwertig neben die Sogwirkung der projizierten Bilder zu stellen. Diese komplementäre Wirkung entsteht auf der Zeitebene durch ein präzises und dichtes Timing, durch eine Fülle an Angeboten. Die Möglichkeiten medialer Erweiterungen auf der Tanzbühne sind vielfältig und erheben mit den angeführten Beispielen keinesfalls den Anspruch auf Vollständigkeit. Eine in einer zeitlichen Extension analysierbare Funktionsweise möchte ich dennoch in diesem Themenfeld anfügen und mich dabei auf die bereits beschriebene Choreographie Live von Hans van Manen beziehen: Filmeinspielungen können als Bestandteile der Choreographie als Prolog, Intermezzo, Rückblende oder Epilog eingesetzt werden. Der Rückblick auf die Probensituation oder die Szenen im Foyer und auf der Gracht in Live funktionieren als zeitliche Einschübe und räumliche Erweiterungen der Bühnensituation. Janine Schulze spricht bei vodka konkav von einer dramaturgischen Film-Klammer. 93 Ich würde allgemeiner formulieren, dass, wenn Projektionen als dramaturgische Erweiterungen gleichwertig zwischen getanzte Szenen gesetzt werden, eine szenische intermediale Montage aus der Kombination von Tanz und Film entsteht, die das narrative Angebot produziert. Interaktion in Choreographien von José Montalvo/Dominique Hervieu

Die dritte Kategorie der Interaktion sehe ich als ausgeprägtes Geflecht von Tanz und Medieneinsatz in einer zeitgleichen, wiederum dramaturgischen Intention der Interaktion. Exemplarisch für diesen Medieneinsatz auf der zeitgenössischen Tanzbühne stehen die Choreographien von José Montalvo und Dominique Hervieu. Montalvo/Hervieu arbeiteten 1993 erstmals mit dem Videokünstler Michel Coste für Double Trouble zusammen, in dem Videobilder mit den physisch präsenten Körpern konfrontiert wurden. Weitere Arbeiten mit vergleichbarer Interaktion wie in Paradis waren Le Jardin io io ito ito (1999) und Babelle Heureuse (2002). In Paradis (1997) mischen die beiden nicht nur verschiedene Tanzstile und Kulturen wie afrikanischen, klassischen Tanz und Breakdance mit Opernmusik von Vivaldi, sondern spielen ausgeprägter als van Manen in Live zwischen Tänzerin und Kamera mit anwesenden und abgebildeten Personen. Der Dialog zwischen Bühne und Leinwand, auf der die 93

Vgl. J. Schulze: Greetings from Paradise, S. 149.

Themenfeld 2: Medieneinsatz auf der Tanzbühne

Tänzerinnen und Tänzer, aber auch Großmütter, Kinder und Tiere abgebildet werden, und das Wechsel- und Zusammenspiel auf und zwischen zwei Großprojektionen als Bühnenprospekt eröffnen visuelle Überraschungen. Die spielerische Kreuzung aus Realem und Fiktivem, aus Klein und Groß, Rechts und Links, Mensch und filmischem Double wirkt irritierend, unterhaltsam und komisch. Neu ist diese Variante des Medieneinsatzes nicht – das Entspringen aus der Leinwand charakterisierte bereits eine Variante des Expanded Cinema, 94 eine Filmvorführung mit einer Bühnenaktion zu verbinden. Am Ende des im Kontext der historischen Avantgarde besprochenen Beispiels Entr‘acte von René Clair springt der Dirigent im Film sozusagen aus der Leinwand und beginnt auf Filmstill aus Paradis, der Bühne zu dirigieren. 95 Choreographie: José Montalvo/Dominique Hervieu (1997) Dieses Prinzip des Verschwindens und Auftauchens aus der Leinwand bzw. von hinter der mit Schlitzen versehenen Leinwand sowohl auf der Ebene einer realen als auch einer abgefilmten Leinwand ist das Grundprinzip der Interaktion in Paradis. José Montalvo drückt diese Verschmelzung von Tanz und Medien im Terminus »spectacle audiovisuel dansé« aus.96 Die Überraschungsmomente resultieren aus der Ununterscheidbarkeit von Wirklichkeit und Abbild, aus multiplen Bildmanipulationen wie Verdoppelungen und Vervielfachungen der Bilder und Abbilder, sie entstehen an den Übergängen, den Schnittstellen des Intermedialen: Durch die Kreuzung der Mittel eröffnen sich neue Sehweisen, die unsere Wahrnehmung, Imagination und Reflexion stimulieren. Im Sinne der Verschränkung und Gleichberechtigung der Mittel entsteht in der Interaktion das von Müller geforderte »konzeptionelle Miteinander […], dessen (ästhetische) Brechungen und Verwerfungen neue Dimensionen des Erlebens und Erfahrens eröffnen« oder das von Rajewsky formulierte genuine‹ Zusammenspiel der Medien«. 97 94 95 96 97

Zum Genre des Expanded Cinema vgl. G. Youngblood: Expanded Cinema. Vgl. H. Scheugl/E. Schmidt jr.: Eine Subgeschichte des Films, S. 257. http://www.montalvo-hervieu.com/creations/paradis.html vom 11.11.2012. Hier sind online auch verschiedene Ausschnitte des Werkes zu sehen. J.E. Müller: Intermedialität, S. 83, und I. Rajewsky: Intermedialität, S. 15.

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In Paradis geschieht dies aufgrund einer räumlich und zeitlich präzise choreographierten Interaktion zwischen Bühne und Leinwand. Gespielt wird zudem mit der an die Schwerkraft gebundenen Bühnenaktion im Gegensatz zu Kameraaufnahmen von oben, die auf der Leinwand die Schwerkraft zu überwinden scheinen. Zum Ende der temporeichen Szenenreihung, die immer wieder mit neuen kleinen Varianten wie dem Einsatz eines Zeitraffers auf der Projektion überrascht, werden nicht nur große Schatten auf die Leinwände projiziert, sondern plötzlich sind riesige Schatten von im Vordergrund sich bewegenden Tänzern auf den weißen Leinwänden sichtbar. Der Bewegungsstil ist bei Montalvo/Hervieu heterogen. In ihrer Compagnie tanzen Professionelle mit unterschiedlichsten Tanzhintergründen: Leute mit Hip-Hop-Hintergrund, afroamerikanischem und zeitgenössischem Tanz. Selbst auf Spitze wird getanzt. Alle Bewegung steht im Dienst der unterhaltsam komischen Wirkung im Dialog mit den Filmeinspielungen. Interaktion bedeutet jedoch nicht per se ein komplexes Gebilde. Sie beruht in Paradis sogar auf einfachsten Effekten von Licht und Schatten, Körper und Abbild. Multiple Dialoge bei Philippe Decouflé

Zum Abschluss der vorgenommenen kategoriellen Einteilung der Formen und Funktionsweisen des Medieneinsatzes im zeitgenössischen Tanz möchte ich ein weiteres Beispiel anfügen, Solo von Philippe Decouflé, das teilweise wie in Paradis mit den Grundelementen des Films, Licht und Schatten, dem Dialog zwischen Person und Bild spielt, aber auch wie Live oder die Beispiele von Frédéric Flamand Live-Kameras und Projektionen einsetzt. Solo beginnt mit dem Auftritt von Philippe Decouflé, der sein Solo an einem Ständermikrofon ankündigt – ein Solo sei ein Stück, in dem nur eine Person auf der Bühne agiere! Dabei wird das Mikrofon von einem Assistenten gehalten und Decouflé fordert diesen auf, die Bühne zu verlassen. Ohne Assistenz wäre das weitere Stück gar nicht realisierbar – schon dieser Prolog spielt mit Widersprüchen, mit der physischen Präsenz des Entertainers, der weiß, wie Komik funktioniert, und technischen Spielereien, die häufig nicht durchschaubar sind. Die erste Szene beginnt im Dunkeln mit einer Projektion auf eine kleine Leinwand, welche die Silhouette von zwei Händen zeigt. Diese wachsen zu Monsterköpfen, die einander anzugreifen scheinen. Erst durch eine langsame Beleuchtung hinter der Leinwand wird deutlich, dass die Projektion keine vorproduzierte Videoaufnahme ist, sondern eine Live-Wiedergabe einer kleinen Kamera, die vom Assistenten und Videomacher Olivier Simola justiert wurde. Die nächsten Bilder zeigen Füße in Nahaufnahme. Da

Themenfeld 2: Medieneinsatz auf der Tanzbühne

Decouflé sich zwischen Projektor und Leinwand befindet, werden die Nahaufnahmen durch große Schatten seines Oberkörpers überlagert. Solo spielt in immer komplexeren Variationen mit Schatten, vorproduzierten Aufnahmen, Live-Bildern, multiplen Bildmanipulationen, Doppel- und Mehrfachprojektionen. In einer Szene tanzt Decouflé in verbal geäußerter Reminiszenz an die Filme von Busby Berkeley der 1930er Jahre mit Klonen seiner selbst wie in einer »chorus line«. Solo, das den Untertitel Le doute m‘habite trägt, entstand zum 20Jahr-Jubiläum von Decouflés Compagnie DCA im Jahr 2003. Solo weist mittels Zitaten aus früheren Stücken oder des eingespielten Videotanzes Le P‘tit Bal aus dem Jahre 1995 eine Reflexivität des zeitgenössiFilmstill aus Solo – Le doute m‘habite, schen Tanzes auf – Decouflé Choreographie: Philippe Decouflé (2003) nimmt sich seiner eigenen Bühnengeschichte an. Decouflé wollte ursprünglich Clown werden, besuchte Zirkus- und Mimenschule, bevor er in Angers bei Alwin Nikolais zeitgenössischen Tanz studierte. Seine Werke sieht er weniger im Kontext des zeitgenössischen Tanzes, sondern möchte ein breites Publikum mit einer klaren Bildsprache ansprechen: »I’m not working to further contemporary dance, but to entertain people. I’m merely a saltimbanque and all I care about is that the public enjoys itself!« 98 Er hat nicht nur die Eröffnungsfeier der Olympischen Winterspiele 1992 in Albertville choreographiert und damit einen neuen choreographischen Standard für olympische Feiern gesetzt, sondern auch Werbe-, Musikclips und Fernsehtrailer gestaltet und wurde für seine Kurzfilme auf Filmfestivals ausgezeichnet. 99 Sein erster Kurzfilm La Voix des légumes entstand 1982, bevor er ein erstes Bühnenwerk schuf.100 Decouflé bezieht sich auf Cunninghams Bewegungsvokabular und lernte bei ihm den Umgang mit der Videotechnik, die Basisregeln von Optik 98 http://www.nac-cna.ca/en/nacnews/viewnews.cfm?ID =1371&cat= catDance vom 26.7.2007. 99 Decouflé choreographierte wie auch andere zeitgenössische Choreographen in dieser ersten Boomzeit des zeitgenössischen Tanzes zwei britische Musikvideos: True Faith (1987) der Gruppe New Order und She Drives Me Crazy (1988) der Gruppe Fine Young Cannibals. Vgl. L. Bixler: Zebra Talk, S. 232. 100 Zu La Voix des légumes, Jump und Le P’tit bal siehe Themenfeld 4 im Kapitel zu Philippe Decouflé.

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und Bewegung. Zu Decouflés multimedialen Stilmitteln zählen neben dem Film Musik, Comic- und Zirkuselemente. In dieser Addition der Stilmittel und wegen seines Spiels mit Versatzstücken fügt sich Decouflés Werk, wie Litza Bixler ausführt, in den theoretischen Kontext der Postmoderne.101 Decouflé nennt die Marx Brothers und insbesondere Groucho als Vorbild für seinen durch Komik gekennzeichneten Bewegungsstil. Seine Bühnenarbeiten erinnern bereits auf der Bewegungsebene an das Filmgenre des Slapsticks. Markant ist sein multimedialer Erfahrungsschatz: Er switcht zwischen bewusster Körperpräsenz, Schattenbildern und Videoprojektionen und erzeugt so eine choreographische Komplexität, die immer wieder neue Schnittstellen für mögliche individuelle Wahrnehmungen eröffnet. Dabei spielen räumliche Verdoppelungen, die kaleidoskopartigen Vervielfachungen und multiplen temporalen Ebenen wie in Solo eine entscheidende Rolle. Decouflé, Vertreter der ersten Generation der zeitgenössischen Choreographen in Frankreich, verführt wie Montalvo/Hervieu mit Bühnen- und Medieneffekten und spricht damit ein breites Publikum an. Medien auf der zeitgenössischen Tanzbühne, so könnte eine zusammenfassende These lauten, erlauben vielfältige Effekte, reflexive Formen und zusätzliche Ebenen der Fragmentarisierung. Neben medial inspirierten Bewegungskonzepten, die durch Prinzipien der Unterbrechung und Montage gekennzeichnet sind, werden audiovisuelle Medien in ein Gesamtkonzept einer aus Einzelteilen zusammengesetzten Choreographie eingefügt. Die Varianten sind durch die verschiedenen Medien und Projektionsarten, Filmoder Videotechnik, auf Monitoren, Leinwänden, Gaze-Vorhängen, Körpern oder Bühnenelementen und Requisiten vielfältig. Sie könnten deshalb vielleicht noch differenzierter als in die vorgeschlagenen Kategorien der Projektion, Extension und Interaktion eingeteilt werden. Die Funktionsweisen resultieren aus dem jeweiligen konzeptionellen Verhältnis bzw. Dialog zwischen medialer und körperlicher (Re-)Präsentation. Die zusätzliche Dimension dieses Spiels zwischen Realität und Illusion, zwischen Präsenz und Repräsentation widerspiegelt die gesellschaftliche Bedingtheit unserer von Medien und (Schein-)Bildern geprägten Kultur. Insofern ist an solchen Phänomenen des Medieneinsatzes auf der Tanzbühne das aktuelle kulturelle Umfeld, in diesem Falle die von der Medienentwicklung geprägte Kunstproduktion im zeitgenössischen Tanz ablesbar.102

101 Vgl. L. Bixler, ebd., S. 234ff. 102 Teile dieses Kapitels zum Medieneinsatz in der Dreier-Kategorisierung sind bereits erschienen in: C. Rosiny: Projektion, Extension, Interaktion.

Themenfeld 2: Medieneinsatz auf der Tanzbühne

Medientheoretische Zwischenbilanz: Multimedialität im Tanz

Unter medientheoretischen Gesichtspunkten lässt sich das intermediale Themenfeld 2 des Medieneinsatzes auf der Tanzbühne unter dem Terminus der Multimedialität charakterisieren. Verschiedene ›Medien‹, der Tanz und eine Film- oder Videoprojektion, laufen zusammen im theatralen Raum ab. Wie die Beispiele in einer graduellen Kategorisierung von Projektion, Extension und Interaktion und deren Mischformen veranschaulichten, reicht das Verhältnis von einem Nebeneinander der Medien bis hin zu einer wechselseitigen Dynamisierung. Rajewskys Begriff der Medienkombination als typische Form der Intermedialität kann hier angewendet werden. Aus der Sicht des Nebenund Miteinanders kann m.E. aber auch der Begriff der Multimedialität verwendet werden, denn es sind multimediale Koppelungen von Körpern, Bühnenaktionen oder Tanz mit Filmbildern, -erzählungen oder projizierten Bewegungsabläufen. Zudem lässt sich der Medieneinsatz auf der Tanzbühne historisch in die Avantgarden der 1910er und 1920er sowie der 1960er Jahre einbetten, in Perioden, in denen die Kunstszene multimedial experimentierte und nach spartenübergreifenden Gesamtkunstwerken strebte. Die Autoren der aufgeführten Beispiele sind typischerweise multimedial orientiert, interessieren sich wie van Manen, Nikolais, Decouflé oder Vandekeybus explizit neben dem Tanz auch für Fotografie und Film. Bei einem Neben- und Miteinander auf der Tanzbühne gibt es zwar konzeptionelle Stufen des medialen Zusammenspiels; eine Dominanzbildung eines Mediums ergibt sich dennoch höchstens in der zeitlichen Abfolge der Medienkombination auf der Bühne, wenn zeitweise nur Tanz oder Film vorgeführt werden. Wichtig scheint mir nochmals festzuhalten, dass dieses multimediale Zusammenspiel in einem Theater, auf einer Tanzbühne abläuft und dass nur kurzzeitig, wie beispielsweise in Flamands Moving Target mit einer sich senkenden Leinwand, das Theater zu einem Kino zu mutieren scheint. Der primäre Repräsentationsort ist die Bühne im Theater, nicht die Leinwand im Kino. Von daher kann es in der Rezeptionssituation kein gleichwertiges Nebeneinander geben.

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Themenfeld 3: Filmmusical – Tanzfilm – Musikvideo – Tanz im TV Das folgende Kapitel widmet sich verschiedenen intermedialen Phänomen zwischen Tanz und audiovisuellen Medien wie Film, Fernsehen und Video, die teilweise zu eigenen, längst etablierten Genres im Kino oder Fernsehen geführt haben. Dabei geht es weniger darum, eine umfassende Typologie wiederzugeben oder einem Anspruch auf Vollständigkeit zu genügen. Vielmehr werden analog dem bisherigen methodischen Vorgehen auch hier Einzelbeispiele herausgenommen, an denen typische ästhetische Merkmale der Diffusion von Tanz und Medienaspekten im Kontext der Intermedialitätsforschung beleuchtet werden. Obschon es zu den Themen Filmmusical in Hollywood und Bollywood allgemein viele Forschungsarbeiten gibt, habe ich in diesem Kapitel einzelne, auch bekannte Werke ausgewählt, um an diesen intermediale Bezüge und Verschränkungen von Tanz und filmspezifischen Möglichkeiten aufzuzeigen. Während mit Fred Astaire und Busby Berkeley Beispiele aus der Hochzeit des Musicals der 1930er Jahre ausgesucht wurden, an denen gegensätzliche Verfahrensweisen im Umgang mit Tanz und Kamera erklärt werden, stellt das dritte Beispiel mit Gene Kelly eine für das gesamte Genre typische Variante des Show-Musicals aus den 1950er Jahren dar, das eine innovative Kameraarbeit aufweist. Diese drei Filmbeispiele repräsentieren die sogenannte »Studio-Ära« in Hollywood zwischen 1920 und Mitte der 1950er Jahre, in der Produktionsfirmen wie RKO (Top Hat, 1935), Warner Bros. (42nd Street, 1932) oder MGM (Singin’ in the Rain, 1952) die Kontrolle über Produktion und Distribution innehatten und die ›Traumfabrik Hollywood‹ Filmmusicals in Masse herstellte. Tanzproduktionen aus dem indischen Film wurden erst in den letzten Jahren verstärkt im Westen und von der Wissenschaft beachtet – hier stehen zwei singuläre, populäre Filme stellvertretend für ein den gesamten indischen Film prägendes Genre: mit Awara von 1951 ein historisches sowie mit Kabhi

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Khushi Kabhie Gham von 2001 ein jüngeres Beispiel. An diesen beiden Filmen soll die für Bollywood spezifische Verschränkung von Tanz und Film herausgestellt werden. Auch im Unterkapitel zu Tanz im Spielfilm werden aus verschiedenen Dekaden Beispiele gewählt – The Red Shoes von 1948 bildet das erste historische Beispiel des Genres Tanz- respektive Ballettfilm, Flashdance von 1983 steht stellvertretend für eine Renaissance des Tanzfilms, die mit Kassenschlagern wie Saturday Night Fever (1977) mit John Travolta Ende der 1970er Jahre begann und sich mit weiteren Titeln wie Fame – Der Weg zum Ruhm (1980), A Chorus Line (1985) oder Dirty Dancing (1987) durch die 1980er Jahre zog. Als Beispiel eines jüngeren Tanzfilms steht Moulin Rouge! aus dem Jahre 2001, der in seinem bunten Stilmix und gespickt mit Zitaten beispielhaft für das Potenzial eines intermedialen Genres wie des Filmmusicals steht. Musikvideos sind längst ein viel beachtetes, etabliertes und als Genre implizit intermediales Phänomen, bei dem Bild und Ton eine symbiotische Beziehung eingehen. Während es Grundlagenarbeiten zu Typisierungen und Analysen aus musikwissenschaftlicher Perspektive gibt, fehlen umfassendere Analysen, die den Tanzaspekt herausstellen. Hierzu wurden Beispiele gewählt, in denen der Tanz zentral steht: Musikclips von Michael Jackson, Björk, Fatboy Slim, Daft Punk und den Phoneheads. Schon vorweg kann für dieses Kapitel festgehalten werden, dass weitere Vertiefungen und breiter angelegte Analysen sinnvoll wären. Da sich diese Arbeit nur am Rande mit Tanz im Fernsehen beschäftigt – Fernsehen fungiert mehrheitlich im Sinne eines engeren Medienbegriffs als Gefäß für andere Medien –, werden im letzten Teil des folgenden Kapitels einzelne historisch relevante Phänomene von Tanz im Fernsehen unter dem Blickwinkel einer intermedialen Ästhetik herausgegriffen; außerdem wird das aktuelle Format der Tanzshow als Indiz einer Banalisierung des Fernsehens und als Kontrast zum Bildungs- oder Kunstanspruch des Fernsehens diskutiert.

Hollywood-Filmmusical Es ist kaum verwunderlich, dass mit der Entstehung des Tonfilms ein musikbasiertes Genre wie das Filmmusical entsteht, denn damit konnte die neue Tontechnologie präsentiert werden. Der erste wichtige Tonfilm war bekanntlich The Jazz Singer von 1927 von Alan Crosland, fast ein Musical, in dem Al Jolson in Negermaske in der Tradition der Broadway-Minstrels des 19. Jahrhunderts als Klischeefigur singend auftritt. Auf diesen Film wird sich Gene Kelly in Singin’ in the Rain später beziehen.1 Auch in den ersten Tonfilm1

Siehe hierzu das Kapitel zu Gene Kelly.

Themenfeld 3: Filmmusical – Tanzfilm – Musikvideo – Tanz im TV

versuchen wurden wie zu Beginn der Filmgeschichte Tänze unterschiedlichster Stilrichtungen präsentiert. 2 Trotzdem war Musik schon für den frühen Film von Bedeutung, denn Stummfilme hatten zwar noch keine Tonspur, wurden jedoch von Klavier- oder Orchestermusik begleitet: zuerst um die lauten Geräusche der Projektion zu übertönen, wenig später, um die Grundstimmung einer Szene zu verstärken: »Musik vermittelte damals und auch heute das, was Worte allein nicht ausdrücken können.« 3 Wie Rick Altman in seinem Standardwerk zum amerikanischen Filmmusical ausführt, ist das Genre eng an Struktur und Stil der amerikanischen Gesellschaft geknüpft: Als eines von Hollywoods populärsten Genres spricht es ein breites Publikum an, das Unterhaltung, aber keine Belehrung sucht: 4 »[…] the musical being the quintessential product of Hollywood’s ›dream factory‹«. 5 Unterhaltung hat in der amerikanischen Gesellschaft, wie bereits im Kapitel zum frühen modernen Tanz und Film erwähnt, einen für den Markt relevanteren Stellenwert als im historisch bildungsbürgerlich geprägten Europa. Aus der Unterhaltungstradition des amerikanischen Showbusiness, aus Vaudeville-Show, Music Hall und Broadway-Revue entstand das Filmmusical, zudem eingebettet in die Zeit der wirtschaftlichen Depression und des Zweiten Weltkriegs – eine Zeit, in der Ablenkung das kulturelle Grundbedürfnis war. Paralleles Phänomen und vergleichbares Unterhaltungsgenre war in Deutschland und Österreich der deutschsprachige Revuefilm, auf den hier jedoch nicht näher eingegangen wird, obwohl die filmische Ästhetik und der Tanz in Ornamenten mit der Regie von Busby Berkeley natürlich vergleichbar ist.6 Der Bezug zum Theaterhintergrund wird seit dem ersten genrebildenden Filmmusical Broadway Melody von 1929 in Selbstdarstellungen und Backstage-Handlungen vielfach fortgesetzt, reflektiert und persifliert. Insofern sind hier klassische Formen intermedialer Bezüge ablesbar, wie sie für Medienumbrüche, insbesondere auch den Übergang vom Theater zum Film charakteristisch sind. Laut Altman prägen duale Strukturen wie männlich/weiblich und weitere markante, thematische Oppositionen wie Arbeit/Freizeit, Ordnung/ Freiheit, reale/ideale Welt u.a. das Genre.7 Solche Organisationsprinzipien 2 3 4

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Vgl. D.L. Parker: Popular Dancing in the Movies. D. Ott: Shall we Dance and Sing?, S. 45. Vgl. R. Altman: The American Film Musical, bes. das Kapitel »The Structure of the American Film Musical«, S. 28–58 und »The Style of the American Film Musical«, S. 59–89. Obwohl in einzelnen Publikationen wie bei Ott noch differenziertere Unterkategorien des Filmmusicals, beispielsweise ein Unterschied zwischen Musicalfilm und Filmmusical für eine Bühnenadaption im ersten, für eine direkte Filmversion im zweiten Fall, vorgeschlagen wird, halte ich mich im Weiteren an Altmans allgemeine Genrebezeichnung. Ebd., S. 185. Siehe hierzu z.B. R. Kloos/T. Reuter: Körperbilder. Vgl. R. Altman: The American Film Musical, S. 32ff.

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widerstreben chronologischen, psychologisch motivierten Erzählstrukturen, so dass formale und thematische Aspekte in den Vordergrund rücken. 8 Auch Spielhandlung und Showszenen sind im frühen Filmmusical – wie an den Beispielen deutlich wird – noch klar getrennt und ergeben Brüche im Filmverlauf. Ein Fokus auf duale Strukturen kann auch beim Verhältnis von Tanz und Film sinnvoll sein, wenn angenommen wird, dass die Ästhetik des Filmmusicals auf verschiedensten zweisträngigen, im Verhältnis von Bewegungs- und medialer Ebene auf intermedialen Prinzipien basiert. Die Frage zum Filmmusical lautet: Wie bieten mediale Parameter eine ästhetische Unterstützung oder Erweiterung des Tanzes? Fred Astaire: Top Hat (1935)

Das erste Filmbeispiel zählt zu den bekanntesten Tanzfilmen mit Fred Astaire (1899–1987), der als Frederick Austerlitz mit österreichischer Abstammung in Omaha, Nebraska, geboren wurde. Durch Astaires (und später Gene Kellys) virtuose Tanznummern erlangte das Filmmusical seine Popularität. Stepp- und Gesellschaftstänze dominierten die Filme, neben solistischen Nummern verstärkte der Paartanz die emotionalen Ebenen der Handlung. Astaire avancierte mit seiner Partnerin Ginger Rogers zum Traumpaar Hollywoods – sie standen von Flying Down to Rio (1933) bis zu The Story of Vernon and Irene Castle (1939) gemeinsam in neun Filmen vor der Kamera. Insgesamt wirkte Astaire in 31 Filmmusicals mit, später auch mit anderen Tanzpartnerinnen wie Eleanore Powell, Rita Hayworth, Judy Garland, Cyd Charisse oder Audrey Hepburn. Das Schema der Filme wiederholt sich: Rogers verkörpert eine Dame der besseren Gesellschaft, die sich schließlich vom hartnäckig werbenden Tänzer Astaire erobern lässt. 9 Unter der Beschränkung des damals geltenden »Hays Code« bestanden Richtlinien für die Produktion amerikanischer Filme, um moralisch akzeptable Darstellungen von Kriminalität und Sexualität zu regeln. Auf diesem Hintergrund erklärt sich die Verlegung und Sublimierung der erotischen und sexuellen Annäherungen in den Paartanz, wie sie als Grundmuster nicht nur in Top Hat, sondern auch in allen anderen vom dichotomen Geschlechterverhältnis geprägten Astaire-Filmen und Musical-Klassikern vollzogen werden. Fred Astaire, der mit seiner älteren Schwester Adele bereits als Kind in Vaudeville-Shows tanzte und in den 1920er Jahren in New York wie in London in Broadway-Shows von George Gershwin auftrat, war nicht nur tänzerisch

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Vgl. ebd., S. 58. Vgl. D. Ott: Shall we Dance and Sing?, S. 56.

Themenfeld 3: Filmmusical – Tanzfilm – Musikvideo – Tanz im TV

begabt, sondern spielte Klavier und war rhythmisch-musikalisch versiert – was sich nicht nur im Stepptanz, sondern beispielsweise auch in einer Perkussionsnummer in Easter Parade (1948) niederschlug, in der er in einem Spielzeugladen seinen Stepptanz auf allen möglichen Objekten perkussiv begleitete. Der Film vereinte nach einer zehnjährigen Zusammenarbeit ein letztes Mal Astaire und Rogers. In Top Hat bezieht Astaire die Hotelzimmermöbel in seine erste Tanznummer »No Strings« ein. Für Top Hat schrieb Irving Berlin die Songs, Hermes Pan schuf wie in vielen Astaire-Filmen die Choreographie, und Filmstill aus Top Hat, Choreographie: Hermes Pan, Mark Sandrich führte ReRegie: Marc Sandrich (1935) 10 gie. Musik, Tanz und Romanze wurden zur Erfolgstriade, und viele der Musicalsongs von Gershwin, Berlin oder Cole Porter zählen bis heute wie »Cheek to Cheek« aus Top Hat zu den bekanntesten Standardsongs der Vereinigten Staaten.11 Rick Altman bildet in seiner Genrestudie zum Filmmusical drei Subkategorien: das »Fairy Tale Musical«, das »Show Musical« und das »Folk Musical«.12 Top Hat rechnet er zur ersten Kategorie und bezeichnet diesen Film zudem als »the quintessential Astaire/Rogers film«,13 da der Paartanz den eigentlichen Wert des Filmmusicals, den Kern der nach amerikanischen moralischen Begriffen verbotenen Romanze verkörpere. Der 100-minütige Film beinhaltet fünf Tanznummern, davon drei Paartänze von Ginger Rogers und Fred Astaire neben zwei Soli von Astaire. Die Geschichte folgt dem genannten Schema der Eroberung. Hier stellt Astaire Jerry Travers dar, einen international bekannten Bühnenstar, der Dale Tremont verführt, die als Model die Mode von Alberto Beddini (Erik Rhodes) vorführen soll. Während der rote Faden der Verwechslungsgeschichte nach dem Muster einer Screwball Comedy – Dale verwechselt Jerry mit Horace Hardwick (Edward Everett Horton), dem Mann ihrer Freundin Madge (Helen Broderick) – sich dramaturgisch zäh 10 11 12 13

Die Produktionskosten betrugen rund 600.000 Dollar – besonders das vom Art déco inspirierte Dekor war kostspielig. Vgl. http://en.wikipedia.org/wiki/Top_Hat vom 11.11.2012. Vgl. T. Thomas: That‘s Dancing!, S. 103. R. Altman: The American Film Musical, S. 171ff. Ebd., S. 171.

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durch den Film zieht, kondensiert sich der Verlauf der Verführung und Liebesgeschichte in den fünf Tänzen: Der Tanz steht für die spontane Gefühlsäußerung, die den Handlungsverlauf unterbricht. Dabei sind die Übergänge von der Handlung zu Gesang und Tanz so fließend wie der geschmeidige Tanz und die sanfte, den Tanz begleitende Bewegung der Kamera: »Erzählender Gesang bereitet oft den tänzerischen Exkurs vor.«14 Mit dem ersten Song »No Strings« macht Astaire, im Hotelzimmer in einem Stockwerk über Rogers tanzend, auf sich aufmerksam, der zweite Tanz »Isn’t This a Lovely Day (To Be Caught in the Rain)« repräsentiert die Verführung von Astaire, von der sich Rogers zum Mittanzen und Flirten verleiten lässt. Die Liebesgeschichte kulminiert im vierten Tanz »Cheek to Cheek«, der von Altman als »hymn to pleasure«15 und mehrfach als symbolischer Liebesakt beschrieben wurde: »In fact, the duet suggests the paraxysms of lovemaking.«16 Deutlich ist bei allen Astaire-Filmen, dass die typischen Mittel des Films – Kameragebrauch und Montage – kaum auffallen. Insofern sind in Top Hat keine dualen Prinzipien, keine Kontraste zwischen Kamera und Tanz feststellbar. Astaire nahm bereits in seinem ersten Film für die Produktionsfirma RKO, in Flying Down to Rio, Einfluss darauf, wie die Tänze aufgenommen und geschnitten werden sollten: Im Gegensatz zu Busby Berkeleys dominanter Kameraarbeit forderte er durchwegs totale Einstellungen, welche die eleganten, fließenden Tanzbewegungen aus einer Distanz in einer leichten Untersicht im Raum begleiteten und so die Wichtigkeit der Tanzenden unterstrichen. Die wenigen Schnitte sind kaum feststellbar, wurden nach Sprüngen, räumlichen oder inhaltlichen Wechseln gesetzt. In Top Hat werden dennoch einzelne mediale Eingriffe verwendet: Zu Beginn und am Ende des Films sind nur die Beine der Tanzenden in einer Einstellung sichtbar, und die letzte Tanznummer »Piccolino«, die mit ihrer von Hermes Pan kreierten Gruppenchoreographie eine Referenz zum Showbusiness aufweist (insofern steht der Film eigentlich zwischen den beiden von Altman konstatierten Subgenres Fairy Tale Musical und Show Musical), erinnern mit Aufnahmen aus erhöhter Perspektive, Überblendungen und Spiegelungen im Wasser an die Kameraarbeit von Berkeley, welche die revueartige Ornamentik der Gruppenchoreographie räumlich optimiert wiedergibt. Sobald allerdings Ginger und Fred alleine tanzen, wechselt die Kamera wieder zur konservativen verfolgenden Parkettperspektive, die

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D. Ott: Shall we Dance and Sing?, S. 56. R. Altman: The American Film Musical, S. 173. Jennifer Dunning in der Einführung zur Autobiografie von F. Astaire: Steps in Time, S. VIII, oder vgl. D. Ott: Shall we Dance and Sing?, S. 57, die den gesamten Song und Tanz als zaghaftes Vorspiel, Harmonie der Bewegungen bis zum Höhepunkt und einem Ausklingen danach beschreibt.

Themenfeld 3: Filmmusical – Tanzfilm – Musikvideo – Tanz im TV

auch im dritten Tanz – Astaires Solo vor »Top Hat, White Tie and Tails« im Theater, begleitet von gleich aussehenden Herren – angewendet wird. In Astaires großem Œuvre gibt es in Swing Time (1936) eine auffallend andersartige Tanzszene, in der Astaire mit seinem eigenen, verdreifachten Schatten tanzt. In der Mitte des knapp dreiminütigen Tanzes »Bojangles of Harlem« – Astaire ist schwarz geschminkt und stellt im karierten Jackett eine Hommage an den großen Stepptänzer Bill »Bojangles« Robinson dar – verselbständigen sich die tanzenden Schatten, und Astaire tanzt kurzzeitig im Dialog mit ihnen. Diese erscheinen zudem wie in einer Rahmung auf einer großen Spiegelfläche.17 Bewegung, Zeit und Raum wirken in Top Hat wie eine sich ergänzende Einheit: Der Bewegungsfluss des Tanzes wird von der Kamera in einem kontinuierlichen Raum-Zeit-Gefüge wiedergegeben. In diesen feinfühligen, kaum merkbaren Übergängen unterscheiden sich die Astaire-Filme von vielen anderen Filmmusicals dieser Zeit – die Tanzszenen wirken weniger wie Unterbrechungen, sondern treiben die Handlung, die Liebesgeschichte mit jedem Tanz ein Stück weiter. Das intermediale Zusammenspiel funktioniert auf der Ebene von Erzählung, Gesang und Tanz durch die fließenden Übergänge, während die medialen Aspekte sich diesem Fluss unterordnen und keine eigene Wirkung produzieren – die Kamera steht im Dienste des Tanzes. Damit prägt Astaire den weiteren Verlauf der Filmmusical- und Tanzfilmgeschichte, denn Regiearbeiten wie die im folgenden Kapitel beschriebene von Busby Berkeley sind historische Ausnahmeerscheinungen der Blütezeit des Filmmusicals und heute weniger bekannt als Astaires Filme. Busby Berkeley: 42nd Street (1933)

Busby Berkeley (1895–1976), geboren als William Berkeley Enos in Los Angeles, startete seine Karriere wie Astaire am Broadway als Theaterregisseur und wurde ebenfalls von den aufkommenden Hollywood-Studios angefragt. Er verfügte allerdings über keine Tanz- oder Bühnenausbildung, obwohl seine Mutter als Schauspielerin in Theater und Stummfilm arbeitete. Als Amerika 1917 in den Krieg eintrat, ging er zur Armee. Stationiert in Frankreich, entdeckte er beim Leiten der Paradedrills seine Faszination für militärische Formationen. Er leitete eine Militärshow und wendete die erprobten

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Dieser Ausschnitt findet sich u.a. auf http://www.ubu.com/film/astaire_bojangles.html. Die amerikanische, von verschiedenen Universitäten unterstützte Website ubu.com stellt Avantgardefilme und -videos online. Im Herbst 2012 wurde eine eigene Sektion zum Tanz eröffnet: http://www.ubu.com/dance/index.html. Beide vom 11.11.2012.

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Massenmuster später in Bühnenarbeiten und Filmmusicals an.18 42nd Street gilt nach Broadway Melody als Archetyp des Backstage-Musicals – Rick Altman klassifiziert 42nd Street in sein breit gefasstes Subgenre Show Musical. Es war Berkeleys erste große Filmchoreographie bei Warner Bros., Regie führte Lloyd Bacon. Im gleichen Jahr respektive ein Jahr später folgten drei weitere Arbeiten für Warner: Gold Diggers of 1933, Footlight Parade (1933) und Dames (1934) – alle nach dem gleichen Schema des BackstageMusicals, in dem Produktion und Proben und das eventuelle Misslingen eines Musicals zum Thema werden, ein Thema, das den Tanzfilm bis heute nährt. Das Showbusiness wird keineswegs kritisch reflektiert, sondern die schlechten Bedingungen der Studioproduktionen sollten sogar beschönigt werden.19 42nd Street war eines der erfolgreichsten Musicals der damaligen Zeit und bescherte Warner mit 2,4 Mio. Dollar Rekordeinspielergebnisse (die Kosten betrugen rund 400.000 Dollar). 20 Ruby Keeler verkörpert das für den kurz vor der Premiere verletzten Star einspringende Newcomer-Chorus-Girl Peggy Sawyer, Dick Powell den Showstar Billy Lawler und ihren (Liebes-)Partner. Das Erzählmuster ist simpel: Die Liebesgeschichte entwickelt sich parallel zur Show und zum Aufstieg von Keeler. Nur über die letzten Minuten des 84minütigen Films erstrecken sich die drei größeren Produktionsnummern von Berkeley: »Shuffle Off to Buffalo«, »I’m Young and Healthy« und der Titelsong »42nd Street«. Wie bei Astaire umfassen die Tanznummern nur einen kleinen Teil des Films, oft sogar erst als Höhepunkt im Zusammenhang mit dem Start der Show gegen Ende des Films. Anders als bei Astaire wirken die Massenchoreographien losgelöst von der Story, heben sich durch die filmische Kameraführung wie Traumwelten ab und haben keine narrative Funktion. Deutlicher als bei Astaire zeigt sich bei Berkeley eine Dualität auf der ästhetischen Ebene – ohne Übergänge, wie sie bei Astaire oft durch den Gesang eingeleitet werden. Auch inhaltlich klaffen die Einfachheit der Musicaltruppe mit dem Wettbewerb der Chorus Girls und die schillernden exzessiven Revueszenen auseinander. Martin Rubin spricht von einer Dialektik der theatralen und kinematografischen Elemente im Filmmusical, die von Berkeley am stärksten ausgereizt wurde: »Berkeley evolved cinematic equivalents (›spectacularization of the camera‹) for a particular, archaic stage tradition.« 21 Die Bühnentradition der Broadway-Show mit Audition, Proben und den für die Revue typischen Chorus Lines der Frauen ist das Thema in 42nd Street. Bis zum Schluss wirkt der Film wie eine konventionelle Verfilmung eines Bühnen18 19 20 21

Vgl. T. Thomas: That‘s Dancing!, S. 108. Vgl. D. Clark: Arbeit und Filmerzählung: 42nd Street. http://en.wikipedia.org/wiki/42nd_Street_(film) vom 11.11.2012. M. Rubin: Swow Stoppers, S. 186.

Themenfeld 3: Filmmusical – Tanzfilm – Musikvideo – Tanz im TV

musicals, das Bühnenwerk wird in einem Medienwechsel ins filmische Medium übertragen. Obschon Berkeley filmische Kunstgriffe wie Top-Shot, inszenierte Schnitte, optische Effekte wie Mehrfachbelichtungen oder spektakuläre Kranaufnahmen zur Reife trieb, ist seine Herkunft aus der Tradition des Spektakels, aus Bühnenformen der Unterhaltung des 19. Jahrhunderts wie Minstrel Show, Vaudeville, Burlesque oder die Ziegfeld Follies sichtbar. 22 Die Mischung aus Kameraperspektive und geometrischen Formen der ›Girls‹ produziert die kaleidoskopartigen abstrakten Effekte und ein Abheben in künstliche und stilisierte Traumwelten: »The production numbers are transcendent episodes in an otherwise realistic, gritty, wisecracking, hardbitten Depression Filmstill aus 42nd Street, Regie: Lloyd Bacon (1933), Entsprechend context.« 23 Choreographie: Busby Berkeley kann bei Berkeley von weiteren Dualismen wie realistisch/fantastisch oder erzählend/abstrakt gesprochen werden. Was in 42nd Street erst in Ansätzen zu sehen ist, wird in späteren Werken durch extravagante Bühnenbauten mit gigantischen Treppenkonstruktionen oder Wasserspielen wie in Footlight Parade (1933) oder Million Dollar Mermaid (1952) mit Esther Williams, großformatigen Requisiten wie Klavieren oder Schreibmaschinen noch intensiviert. In den weiteren Berkeley-Filmen verblasst die Handlung neben den opulenten Filmchoreographien, dagegen wirkt der Plot in 42nd Street noch relativ stark. Trotzdem besteht keine Einheit der Handlung wie bei Astaire. Ohne Erfahrungen in der Filmregie erprobte Berkeley bereits in seinem ersten Film Whoopee! (1930) für Samuel Goldwyn, die Aufnahmen ausschließlich mit einer Kamera umzusetzen: »My idea was to plan every shot and edit in the camera.« 24 Die genannten extravaganten Kennzeichen von Busby Berkeleys Umgang mit Tanz und medialen Mitteln sind in 42nd Street vor allem in »Young and Healthy« zu sehen: Dick Powell beginnt seinen Gesang noch an der Bühnenrampe. Erst nachdem eine Bank zur Bühnenebene herabfährt,

22 23 24

Vgl. ebd., S. 4. Ebd., S. 41. Busby Berkeley in: T. Thomas: That‘s Dancing!, S. 111.

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wird die Bühne zu dem für Berkeley typischen schwarzen Raum mit glänzendem Spiegeleffekt. Auf dieser Fläche steht eine Drehkonstruktion, auf der sich die Männer- und Frauenreigen auf drei Ebenen präsentieren. Eine Nähe zur Bühnensituation ist wie beim Übergang durch den Gesang noch ablesbar, bis die Kamera für ein paar Sekunden zu einem Top-Shot wechselt und die für Berkeley typischen runden Rosetten, durch Frauen mit stereotypem Äußerem formiert, zeigt. Im weiteren spielen die Frauen wie bei Astaire mit Bändern, die zusätzliche optische Effekte hervorrufen. (Astaires Film entstand drei Jahre später, so dass anzunehmen ist, dass er sich von den ersten erfolgreichen Filmmusicals von Berkeley bei Warner Bros. inspirieren lassen konnte.) Kamerafahrten setzt Berkeley anders als Astaire auch in der Vertikalen ein. Eine spektakuläre Fahrt führt in dieser Nummer durch die gespreizten Beine der Damen, eine Kamerabewegung, bei der sexistische Ansätze unverkennbar sind. Tanz im Sinne von Bewegung spielt in Berkeleys Tanznummern kaum eine Rolle, denn die Großformationen der Frauen forderten primär eine statische Anordnung mit einfachen Bein- oder Armbewegungen und lächelnden Gesichtern. Er benötigte keine Tänzerinnen, sondern gut aussehende Frauen: »Mir war es egal, ob ein Mädchen ihren rechten Fuß vom linken unterscheiden konnte, solange sie schön war. Ich brachte sie dazu, sich zu bewegen oder zu tanzen oder irgendetwas zu tun. Alle meine Mädchen waren schön und manche konnten ein wenig tanzen, manche nicht«. 25 Es ist verständlich und sinnvoll, dass bei einer solchen Auffassung und Behandlung der Frauen als ›Objekte‹ der Inszenierung, als anonymisierte Dekoration kritische Studien zum »Kino als voyeuristische Unternehmung« wie die genannte zu Dames ansetzen. 26 Dennoch wird hier nicht näher darauf eingegangen, sondern festgehalten, dass anders als bei Astaire der Tanz (die Frauen) im Dienst der Kamera steht (stehen). Es ist die Kamera, die sich bewegt und welche die Tanzbilder produziert. Raum und Zeit sind in Berkeleys Tanznummern Parameter, die für die Loslösung der Tanznummern von der Handlung stehen: Die Ornamente werden in einen schwarzen, leeren Raum gesetzt, dessen Dimensionen nicht fassbar sind, also kaum mehr an einen Bühnenraum erinnern. In diesem Nirgendwo wirkt auch die zeitliche Dimension weit entfernt von der Zeitlichkeit der Bühnenhandlung – die Tanznummern existieren »ausschließlich im Reich der Bilder«.27 Gene Kelly fasste Berkeleys Verdienste für das Filmmusical folgendermaßen zusammen: »Berkeley showed what

25 26 27

Zit. in: L. Fischer: Das Bild der Frau als Bild, S. 83. Ebd., S. 90. Ebd., S. 78.

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could be done with a movie camera. A lot of that is made fun of nowadays; […]. But he was the guy who tore away the proscenium arch. […] And if anyone wants to learn […], they should study every shot Busby Berkeley ever made. He did it all.« 28 Gene Kelly: Singin’ in the Rain (1952)

Gene Kellys Filme in den 1950er Jahren, unter Vertrag bei MGM, produziert von Arthur Freed, stehen am Ende der ›goldenen Ära‹ des HollywoodFilmmusicals. Kelly (1912–1993) war Anfang der 1940er Jahre von New York nach Hollywood engagiert worden, wo er mit Judy Garland in For Me and My Gal (1942) und mit Rita Hayworth in Cover Girl (1944) erstmals tanzend auftrat. Gegen Ende der 1950er Jahre wuchs das Fernsehen zum neuen Leitmedium, und der wirtschaftliche Aufschwung nach dem Zweiten Weltkrieg beeinflusste die Künste in eine andere Richtung – neben dem Massenmedium Fernsehen entstehen Experimental- und Autorenfilm. 29 Kelly produzierte ab 1958 in der Serie »Omnibus« für die NBC ein Fernsehformat, Dancing – A Man’s Game, in dem er sich für die Anerkennung von Männern im Tanz engagierte. 30 Gene Kelly vereinte in seinem tänzerischen Können und seinem Interesse an filmischer Umsetzung aus einer Bewunderung für Busby Berkeley den Blick auf die Schnittstelle von Tanz und Film im Musical. Ein tänzerischer Vorteil gegenüber Astaire war seine Vielseitigkeit: Er beherrschte klassisches Ballett, Modern, Stepptanz, verschiedene Folklore-Tänze wie Flamenco und besaß eine generelle Sportlichkeit. Er studierte Ballett in Chicago, wo er die Fokine’sche Tradition, im Tanz Charaktere darzustellen, lernte und sich für Diaghilews Konzept des Tanzes als ›Synthese aller Künste‹ zu interessieren begann. 31 Kellys Familie hatte irische Wurzeln, der Vater stammte aus Kanada. Geboren wurde er als Eugene Curran Kelly in Pittsburgh, wo er in seiner Kindheit Eishockey spielte. Seine Mutter schickte ihn in Tanzstunden, und mit ihr führte er nach verschiedenen College-Studien eine Tanzschule für Kinder. Nach On the Town (1949) und An American in Paris (1951), der dem Filmteam sechs Oscars einbrachte, ist Singin’ in the Rain, in dem Kelly wie in anderen Werken zusammen mit Stanley Donen Regie führte, bis heute eine Ikone des Filmmusicals. Obschon der Tanz im Regen zum Titel gebenden

28 29 30

31

Gene Kelly, in: ebd., S. 122. Siehe hierzu weiter Themenfeld 4. Auch Astaire hatte 1959, 1960 und 1961 drei Sendungen An Evening with Fred Astaire, Another Evening with Fred Astaire und Astaire Time, die ihm sogar einige Auszeichnungen einbrachten. Vgl. T. Thomas: That‘s Dancing!, S. 103. Vgl. B. Genné: Dancin‘ in the Rain, S. 72.

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Song, wie Kelly selbst sagte, relativ einfach war, 32 symbolisiert dieser Unterhaltung und Illusionspotenzial des Genres. Eine zusätzliche Dimension gewinnt der Film dadurch, dass Hollywood selbst zum Thema wird: der Übergang vom Stummfilm zum Tonfilm anlässlich des Films The Jazz Singer von 1927 mit Blicken hinter die Filmkulissen von Stunts und Playback. Singin’ in the Rain rechnet Altman wie 42nd Street zum Subgenre Show Musical, wobei die Produktion des Musicals in den filmischen Hollywood-Kontext gebettet wird: Zu Beginn dreht sich die Story um die Produktion eines Stummfilms mit den Stars Don Lockwood (Gene Kelly) und Lina Lamont (Jean Hagen). Singin’ in the Rain schaut 1952 zurück auf den Beginn der Musical-Ära, indem inmitten der Stummfilmproduktion der Produzent einen Tonfilm fordert, um neben dem Erfolg von The Jazz Singer zu bestehen. Tatsächlich waren damals viele Stummfilmdarsteller stimmlich überfordert – und so ist es auch Lina Lamont im Film. Nach verschiedenen Stimm- und Playbackversuchen durch Kathy Selden Filmstill aus Singin’ in the Rain, (Debbie Reynolds) entwiRegie: Gene Kelly und Stanley Donen (1952) ckeln Lockwood, Selden und Lockwoods Freund Cosmo Brown (Donald O’Connor) die Idee, den peinlich wirkenden Tonfilm zu einem Musical umzugestalten. Durch diese Verwebungen, Wendungen, Zitate und Referenzen an die Filmgeschichte ist die Handlung in Singin’ in the Rain komplexer als in vielen anderen Filmmusicals. Trotzdem bildet die obligate Liebesstory zwischen dem Star (Kelly) und der noch nicht Entdeckten (Reynolds) den roten Faden der Handlung, und die entscheidenden Fortgänge der Romanze werden ins bekannte Muster der Gesangs- und Tanznummern verpackt. Das erste Duett zwischen Kelly und Reynolds spielt in einem Hollywood-Studio. Anders als bei Astaire wird hier die Kulisse offen gelegt, mit künstlicher Beleuchtung, Klappleiter und Windmaschine. Gesang und Tanz erinnern an Astaire und Rogers, auch in der Art der begleitenden Kamera. Im Musicalvorschlag für den Produzenten werden in der Nummer »Broadway Melody« Musicalreferenzen herangezogen: Kelly zeigt sein ge-

32

Vgl. T. Thomas: That‘s Dancing!, S. 191.

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samtes tänzerisches Können und kokettiert mit Anspielungen auf Tänze und Bühnenformationen in Burlesque, Vaudeville und den Ziegfeld Follies. Die Choreographie der großen Gruppe in dieser Broadway-Nummer ist ein anspruchsvolles Traumballett, das in einen scheinbar grenzenlosen Raum eintaucht. Singin’ in the Rain ist außerdem mit Zitaten von Busby Berkeley gespickt: mit Top-Shots von bunten Ornamenten in diesem Farbfilm und revueartigen Tanzformationen. Ansonsten ist die Kameraarbeit zurückhaltend und doch in vielen Sequenzen in alle Richtungen bewegt: Die Befreiung der Kamera von einer Theaterperspektive und ein Eintauchen in den filmischen Raum kennzeichnen die Tanzaufnahmen in Kellys Filmen. Kameraeinstellungen, -fahrten und Schnitte werden bewusst im Dialog zum Tanz gewählt: »He took what he learned from dance and applied it to the new medium of cinema.« 33 Die bewegte Kamera, beispielsweise in der berühmten Regenszene, ›flaniert‹ mit ihm durch die Straße und zieht den Zuschauer in die Szene hinein. Die Kamerabewegung sollte die physische und kinetische Kraft ersetzen, die das Publikum im Theater spürt: »The screen […] is so remote from the empathy of the live theater.« 34 In einem ans klassische Ballett angelehnten Pas de deux, den Kelly in der 13-minütigen Musicalnummer zum Ende des Films mit Cyd Charisse tanzt, umkreist die Kamera die beiden in einer in Rosa und Violett surrealistisch wirkenden Landschaft. Die Tanzenden werden zwar oft total im Bild gehalten, aber nicht so durchgehend in einer an gewohnte Theaterperspektiven erinnernden frontalen Einstellung wie bei Astaire. Aufnahmen von oben zeigen größere Gruppenformationen. Kelly bemerkte, dass die Kamera ein zusätzliches tänzerisches Element sein konnte – die Dualität von Tanz und Kamera bei Berkeley wird bei Kelly zu einem intermedial verschränkten Wechselverhältnis: In einzelnen Szenen in Singin’ in the Rain bewegt sich die Kamera in einer Gegenrichtung zum Tanz, um im nächsten Moment mitzufahren oder die Körper abzutasten. Die Ebene der Bewegung funktioniert bei Gene Kelly folglich in Interaktion von Tanz und Kamera. Tanzbewegungen sind für ihn Spiel, er ist der Solist im Show Musical und der »happy clown«. 35 Obschon eine Referenz zum Raum im Theater in vielen Szenen gegeben ist und dieser teilweise frontal wiedergegeben wird, entführt eine Szene wie »Broadway Melody« in einen endlosen Raum der Illusionen. Die Übergänge vom Filmstudio auf die Filmleinwand, die alsbald eine Totale mit einem singenden Kelly in der Mitte des Bildes zeigt, zu der Lichter des Broadway angeschaltet werden, die Übergän-

33 34 35

B. Genné: Dancin‘ in the Rain, S. 72. Gene Kelly, zit. in: ebd., S. 75. R. Altman: The American Film Musical, S. 228.

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ge durch Kulissentüren in Tanzräume, welche die Begrenzungen einer Bühne auflösen, sind über Schnitte und Kamerabewegungen übergangslos und analog zu heutigen Computerspielen gemacht. Dadurch wird das Publikum in eine entfesselte Zeit und damit in die unterhaltende Traumwelt des Musicals entführt. Weitere zeitliche Faktoren in Singin’ in the Rain sind gleich zu Beginn Rückblenden von Don Lockwood in seine Kindheit und zu seiner Bühnenvergangenheit mit Freund Cosmo und ein Bilderreigen mit Film- und Musicalzitaten nach einem Drittel des Films. Die verschiedenen Ebenen – Film-imFilm-Sequenzen, wenn der Stummfilm, der Demonstrationsfilm zum Tonfilm oder die ersten Tonfilmversuche mit Don und Lina gezeigt werden, die Rückblenden und phantastischen Reisen in Traumwelten – machen Singin’ in the Rain zu einem dramaturgisch vielschichtigen Filmmusical, das aus von Arthur Freed und Nacio Herb Brown für MGM-Musicals zwischen 1929 und 1939 komponierten Songs neu zusammengesetzt wurde. Die beiden befreundeten Tanzprotagonisten des Hollywood-Filmmusicals, Astaire und Kelly, standen 1946 in Ziegfeld Follies, 1974 in That’s Entertainment Part I und 1976 in That’s Entertainment Part II zusammen vor der Kamera. 1949 engagierten Kelly und Donen Busby Berkeley für die Aufnahmen der Tanzszenen in Take Me Out to the Ball Game. Verschiedene Tanz- und Filmspezialisten waren somit im Austausch an der Entwicklung des Hollywood-Filmmusicals und der ästhetischen Ausformung des Genres beteiligt. Eine weitere, hier nicht weiter behandelte Ebene der Intermedialität des Musicals betrifft Medienwechsel von der Bühne zum Film und umgekehrt. Wie am Übergang von Showformen zum Film bereits besprochen, kennzeichnet die Übertragung von Bühnen- und Filmstoffen ins jeweils andere Medium die Geschichte des Musicals. Und seit 2007 finden mit Produktionen wie »Bollywood – The Show« oder »Bharati« selbst Bollywood-Filmthemen auf die Musicalbühnen Europas.

Bollywood – Tanz im indischen Film Tanz, Musik und Gesang prägen den populären indischen Film seit Beginn, sie sind essenzieller Bestandteil einer von Musik und Tanz durchwirkten Religion und Kultur. Musik und Tanz sind zudem in einem vielsprachigen Land, in dem die Mehrheit der Bevölkerung Analphabeten sind, Kommunikationsmittel, die eine breite Bevölkerung erreichen. Eine der Quellen des indischen Films ist das traditionelle Parsen-Theater, in dem Realismus und Fantasie, Tanz und Musik, Narration und Spektakel sich im Melodram mischen. 36 36

Vgl. http://en.wikipedia.org/wiki/Bollywood vom 11.11.2012.

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Außerdem hat der Tanz im Kanon der Künste in Indien eine viel größere Tradition: »Der Tanz wurde in Indien lange Zeit als heilige Kunst bezeichnet.«37 Gott Shiva wird häufig als vielarmiger Tänzer dargestellt. Bharatanatyam im Süden und Kathakali im Norden sind die bekanntesten klassischen indischen Tänze, deren Stilelemente in vielen Bollywood-Filmen zu erkennen sind und sich heute mit modernen Tanzformen mischen. Der erste Tonfilm Alam Ara (1931) basierte beispielsweise auf einem gleichnamigen Stück des ParsenTheaters und begründete mit den unterbrechenden Musik- und Tanzszenen die bis heute wirksame Struktur des populären indischen Films.38 Erst in den letzten Jahren, u.a. durch Erfolge von Filmen wie Lagaan (2001) oder Kabhi Khushi Kabhie Gham (2001) werden Bollywood-Filme im Westen vermehrt rezipiert, und Bhangra wird als neuer Modetanz angeboten. Wissenschaftliche Analysen entstehen in ersten Ansätzen, mit fundierten Arbeiten im englischen Sprachraum. 39 Bollywood – in Anlehnung an Hollywood – steht für die Unterhaltungsfilmindustrie in Bombay, dem heutigen Mumbai. Dort werden 200 Filme pro Jahr – in ganz Indien jährlich an die 1000 Filme – produziert. Damit zählt die indische Filmindustrie bekanntlich zu den größten der Welt und ist deutlich größer als Hollywood. Neben den Hindi-Filmen aus Mumbai gibt es Produktionen aus dem Süden Indiens, aus Hyderabad in der Sprache Telugu, oder vergleichbare Filmindustrien in Bangladesh und Sri Lanka. Bollywood-Produktionen werden von der ganzen Familie geschaut, von daher achten die Produzenten selber auf eine Zensur und verständliche Themen für ein breites Publikum. Weitere Merkmale des indischen Films sind Playback-Verfahren und ein ausgeprägter Starkult. Der Wert eines Bollywood-Films definiert sich durch seine Stars und die Qualität der Musik- und Tanznummern, die als ›Picturization‹, als bildliche Einschübe bezeichnet werden. Die Stilmittel mischen sich in einer ›Masala‹-Mischung der Genres aus Melodram, Action, Romanze und Komödie – Tragik und Komik wechseln binnen Sekunden – zu einer »unbekümmerten Künstlichkeit«: »Die Form folgt nicht der Funktion, sondern verselbständigt sich, in Fahrten und Zooms der Kamera, in der Wahl seltsamer Aufnahmewinkel, in der Lust an der Redundanz und Wiederholung, in Achsensprüngen, willkürlich anmutenden Blenden und Großaufnahmen.« 40 Das Playback-System, die Nachsynchronisation im Studio sowohl der Dialoge als auch der Gesangs- und Tanzszenen, wurde bereits 1935 eingeführt. Erst in den letzten Jahren entstanden einzelne Filme mit Originalton. Bald sangen nicht mehr die Schauspielerinnen und Schau37 38 39 40

M. Uhl/K.J. Kumar: Indischer Film, S. 29. Vgl. G. Molz: Bollywood-Tanz, S. 19. Beispielsweise V. Mishra: Bollywood. E. Knörer: Bollywood 101, o.S.

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spieler ihre Songs, sondern Playbacksängerinnen und -sänger, die eine eigene Popularität erlangten. 41 Die Vermarktung der Songs im Vorfeld einer Filmpremiere erfolgt heute über verschiedene mediale Kanäle, beispielsweise eigene Musikclips.42 Filme sind über gigantische Plakatwände präsent, Filmsongs werden bei Hochzeiten, Wahlkampagnen oder Festivals verwendet, von der Bevölkerung gesungen und dröhnen aus Radio, Shops und Taxis. 43 Zuerst werden Musik und Songtexte in Auftrag gegeben, bevor die Dreharbeiten beginnen. Die Filmmusik ist essenziell für den Filmerfolg, bestimmt die Identität eines Bollywood-Blockbusters.44 Ein Bollywood-Film dauert oft mehr als drei Stunden und enthält meist fünf bis acht Musik- und Tanzszenen, die zwischen sechs und zehn Minuten dauern. Diese Szenen verdichten die jeweiligen Gefühlszustände der Handlung – vor allem Liebe, Trauer, Eifersucht –, treiben entweder die Handlung voran oder stehen an einem Wendepunkt der Geschichte, um die gewünschte Emotionalität beim Publikum zu verstärken. Wie Myriam Alexowitz beschreibt, werden die musikalischen Grundlagen der Bollywood-Filme anschließend von Choreographinnen und Choreographen – ›dance-master‹ genannt – umgesetzt, die auch die Kameraarbeit in diesen Szenen dirigieren und meist eine eigene Truppe von Tänzerinnen und Tänzern mitbringen. 45 So wie es auf dem Filmset laut zu und her geht (und auch deshalb die Nachsynchronisation einfacher ist!), wird in den Kinosälen mitgegangen und mitgesungen, denn es ist üblich, sich seine Lieblingsfilme mehrmals anzuschauen. Obwohl die indische Filmproduktion wie Hollywood in den 1930er Jahren eine Hochzeit erlebte, werden die 1950er und 1960er Jahre als goldene Ära des Hindu-Films bezeichnet.46 Nach der Unabhängigkeit Indiens 1947 entstanden verschiedene sozialkritisch gefärbte Filme, neben Awara beispielsweise Mother India (1957). Fokus der Analyse der beiden Beispiele ist das Verhältnis zwischen Tanz und filmischen Mitteln: Inwieweit unterscheiden sich hier die medialen Mittel von denjenigen der Hollywood-Beispiele? Wie stehen hier die Aspekte des Tanzes und der Bewegung in Relation zu räumlichen und zeitlichen Parametern? Bei der hohen Anzahl an Produktionen in der indischen Filmindustrie kann die Auswahl von zwei Werken nur einen kleinen Ansatz zeigen. Da aber die Tanzszenen durchweg ähnliche Merkmale zeigen, repräsentieren die beiden Filmbeispiele den typischen Musik- und Tanzeinsatz im Bollywood-Film. 41 42 43 44 45 46

Vgl. C. Tieber: Passages to Bollywood, S. 19 und 49. Die Musikverkäufe aus Filmen haben bis heute bis zu 80 Prozent Marktanteil in Indien. Vgl. ebd., S. 50. Vgl. T. Ganti: Bollywood, S. 78f. Vgl. M. Alexowitz: Traumfabrik Bollywood, bes. S. 72ff. Vgl. ebd., S. 84f., und T. Brockmann: Bollywood singt und tanzt in der Schweiz, S. 57. Vgl. http://en.wikipedia.org/wiki/Bollywood vom 11.11.2012.

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Awara (Der Vagabund) (1951) Awara in der Regie von Raj Kapoor (1924–1988), der dem indischen Film als Darsteller, Regisseur und Mitglied einer ersten indischen Filmdynastie zu internationaler Anerkennung verhalf und zu den Topstars der 1950er Jahre zählte, unterscheidet sich von den jüngeren Bollywood-Filmen durch eine sozialkritische, ödipal motivierte Geschichte: Ein Sohn sucht seinen Vater, den er, als er erfährt, warum dieser seine Mutter verstoßen hatte, töten will. 47 Neben den Anklängen an die Hoffnung auf eine indische Unabhängigkeit im Postkolonialismus nach 1947 und eine mögliche Aufhebung des Kastensystems ist in diesem Grundmuster bereits eines der häufigsten Erzählmuster von Familiengeschichte und Liebesglück im Bollywood-Film angelegt. Die Geschichte widerspiegelt den Streit zwischen Genetik und Behaviorismus, ob Kriminalität vererbbar ist oder nicht: »Die Botschaft am Ende ist […], es sind die Zwänge und Umstände, die Menschen auf den Weg des Verbrechens führen.«48 Die Figur des Vagabunden Raju lehnte Kapoor an die Tramp-Figur von Charlie Chaplin an. Wie in vielen indischen Filmen ist der Regisseur auch Hauptdarsteller – Kapoor verkörpert den Vagabunden und artikuliert so selbst seine Anerkennung für Chaplin. Die in mehreren Rückblenden erzählte Geschichte steht hier nicht im Vordergrund – sie wird in vielen Publikationen analysiert – sondern ich konzentriere mich auf das Thema Tanz im Film. 49 Raju erinnert nur entfernt an Chaplin durch seine Kleidung und den Schnauzbart. Kapoor imitiert auch nicht wirklich Chaplins Bewegungsstil; trotzdem weist diese Reverenz darauf hin, dass das Hollywood-Kino in Indien rezipiert und verarbeitet wurde. Awara ist, wie erwähnt, eines der prominentesten Filmbeispiele aus der goldenen Ära des Bollywood-Kinos, in der es noch keine Trennung zwischen Popularität und künstlerischem Anspruch gab. Erst mit einer staatlichen Filmförderung ab den 1960er Jahren entstand das sogenannte New Indian Cinema, das zwar weitaus mehr als der populäre Bollywood-Film auf internationalen Filmfestivals Anerkennung fand, aber in Indien kaum auf Interesse stieß. Von daher werden in Awara künstlerischer, in diesem Falle auch sozialkritischer Anspruch mit den üblichen Musik- und Tanzszenen kombiniert. Awara war aufgrund der Sozialgeschichte im Osten, insbesondere in Russland und China, äußerst populär, in Cannes wurde er 1953 sogar als bester Film nominiert. 47 48 49

Vgl. V. Mishra: Bollywood, S. 106. Kapoors leiblicher Vater spielt zudem die Rolle des Vaters. M. Uhl/K. Kumar: Indischer Film, S. 45. Die bisher erwähnten Publikationen gehen alle auf diesen Klassiker des indischen Films ein, z.B. C. Tieber: Passages to Bollywood, S. 69–73, M. Alexowitz: Traumfabrik Bollywood, S. 141– 143, oder T. Ganti: Bollywood, S. 146f., thematisieren aber kaum die Musik- und Tanzszenen.

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In diesem in der indischen Originalfassung 193 Minuten langen Schwarzweiß-Film50 gibt es im Vergleich zum zweiten Beispiel neben einzelnen Musikszenen nur wenige Tanzszenen, davon eine größere. Diese neunminütige Sequenz war zum damaligen Zeitpunkt eine der aufwendigsten Tanzszenen des Bollywood-Kinos, welche die weitere Entwicklung des Genres in Indien prägte. In ihr ist ein Bezug zu Hollywood, speziell zu Musicalfilmen von Busby Berkeley, ablesbar. Nachdem schon in einer Gesangsszene die Gefühle von Raju und Rita in einer für Bollywood wie Hollywood typischen abgetrennten Szene thematisiert wurden – der Übergang von der Erzählung zum Gesang wird über einen Zwischenschnitt auf den Vollmond hinter Palmen eingeleitet, danach formuliert Rita ihre Gefühle in einem Lied, umtanzt Raju auf einem Segelboot, auf dem sich beide in einer Studiokulisse befinden –, wird eine lange Traumsequenz über den schlafenden Raju mit einer Überblendung in ein Wolkenmeer eingeleitet. Die folgenden Tanzszenen ›über den Wolken‹, aus Filmstill aus Awara, Regie: Raj Kapoor (1951) denen sich ein spiralartiger gigantischer Turm oder ein riesiges Geländer, das als Rutschbahn genutzt wird, erheben, erinnern in der künstlichen Schwarzweiß-Ästhetik, der Gleichförmigkeit und Reihung der Frauen und dem gigantischen Studioaufwand des Dekors an Berkeleys Musical-Klassiker. Gleichzeitig etabliert sich hier die typische Kombination von Soloauftritt und Gruppe, von Gesang und Tanz im Bollywood-Film. Die Szene ist strukturiert durch Gegensätze: von Himmel und Hölle, Arm und Reich, Gut und Böse, und das Dilemma von Rajus Gefühlen. Die von Altman für das Hollywood-Musical konstatierten dualen Strukturen lassen sich auf verschiedenen inhaltlichen und strukturellen Ebenen auch auf den Bollywood-Film anwenden. Auf der Tanzebene sind Anleihen aus dem klassischen indischen Tanz sowohl in den Frauenformationen wie im Solotanz von Rita, verstärkt durch traditionelle Kleidung, offensichtlich. In der Höllenszene tan-

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Bollywood-Filme wurden für den Vertrieb in andere Länder oft gekürzt. Awara für das United Kingdom beispielsweise auf 168 Minuten, für den amerikanischen Markt sogar auf 82 Minuten, wie die IMDB aufführt.

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zen maskierte Männer mit nacktem Oberkörper und rockartigem Untergewand einen eher afrikanisch anmutenden Tanz um ein Feuer. Ein weiterer für den Bollywood-Film eigener Aspekt, der wiederum von Dualismen geprägt ist, ist der Bezug zur indischen Mythologie, hier zur Geschichte des Nationalepos Ramayana, in der Rama seine Frau Sita verstößt. In der langen Tanzszene tauchen böse Geister im Dekor der Hölle und Götter wie der tanzende vierarmige Gott Shiva im Himmel auf. Die Symbolik vieler Bollywood-Filme erschließt sich für westliche Rezipienten vertiefter erst mit kulturellen Vorkenntnissen. Wie Ganti erwähnt, benötigten die Dreharbeiten drei Monate in Kapoors neu gegründetem eigenem Studio. 51 Der Aufwand zeigt, wie wichtig Investitionen in die Tanzszenen waren. Die Kamera in Awara repräsentiert weniger die Reigen der Tänze aus einer Vogelperspektive, sondern beteiligt sich selber, indem sie sich bewegt, durchaus auch in einer vertikalen Achse in die Höhe, um die Treppenarrangements in ihren Ausmaßen wiederzugeben. Die Hauptdarstellerin Rita wird wie schon in der Bootsszene von der Kamera umkreist, nahezu gestreichelt. Diese Art eines paradoxen teilnehmenden Voyeurismus wurde auch in anderen Filmen von Kapoor wie Barsaat (1949) und Aah (1953) als pornografische Anleihen verurteilt: »The space of the female body is the space of the imaginary.« 52 Erotik und Sexualität sind in Indien tabuisiert, durch die Raumnot ins Heimliche verbannt.53 So scheint es ähnlich dem Puritanismus in Amerika verständlich, dass Erotik im Film in Gesang und Tanz verpackt wird. Was bei Berkeley in seinen Totalen zu einem distanzierten Blick führt, etabliert Kapoor durch die bewegte Kamera in der ›picturization‹ der Tanzszene zu einer Anziehungskraft, einer Anteilnahme und Projektionsfläche für die Gefühle des Publikums, die in jüngeren Produktionen wie Kabhi Khushi Kabhie Gham immer aufwendiger weiter entwickelt wurden. Das Publikum verliert sich im »wahr gewordenen Traum von der romantischen Liebe, unbehelligt von gesellschaftlichen Zwängen, familiären Ansprüchen, unpassenden Horoskopen, ›falscher‹ Kasten- oder Religionszugehörigkeit und Aussteuerzwistigkeiten«. 54

51 52 53 54

Vgl. T. Ganti: Bollywood, S. 147. V. Mishra: Bollywood, S. 100. Vgl. M. Alexowitz: Traumfabrik Bollywood, S. 86–93. D. Wenner: Das populäre Kino Indiens, S. 29. Kapoor war einer der ersten indischen Regisseure, der die zuvor in der Kashmir-Region gedrehten Bergszenen in die Schweizer Alpen verlegte, für Sangam (1964) beispielsweise drehte er auf dem Jungfraujoch. Vgl. M. Alexowitz: Traumfabrik Bollywood, S. 189.

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Kabhi Khushi Kabhie Gham (2001) Als historischer Kontrast zu Awara steht Kabhi Khushi Kabhie Gham (dt. In guten wie in schweren Tagen, engl. Sometimes Happy Sometimes Sad ). Dieser Film vom jungen Nachwuchsregisseur Karan Johar (*1972) versammelt eine ganze Reihe von sogenannten Triple-A-Bollywood-Superstars wie Amitabh Bachchan, seine Frau Jaya Bachchan, Shah Rukh Khan, Kajol, Hrithik Roshan und Kapoors Enkelin Kareena Kapoor. Die Produktionskosten erreichten mit diesem Bollywood-Epos eine neue historische Marke, Kabhi Khushi Kabhie Gham wurde zu einem der erfolgreichsten BollywoodFilme überhaupt, der zusammen mit Lagaan auch im Westen einen Bollywood-Boom auslöste, insbesondere in Deutschland und der Schweiz. Das klassische Familien- und Liebesmelodram spielt in einer äußerst wohlhabenden und angesehenen Familie, deren Oberhaupt von Amitabh Bachchan dargestellt wird, der ab den frühen 1970er Jahren lange Zeit den Bollywood-Film als Star dominierte. Kabhi Khushi Kabhie Gham zählt zu den sogenannten Family-Films, in denen seit den 1990er Jahren traditionelle Motive wie die in Indien üblichen arrangierten Ehen im Konflikt mit der modernen Form der Liebesheirat gezeigt werden. In seiner Exzessivität und Opulenz übertreibt der Film derart, dass gleichzeitig eine Persiflage auf den traditionellen Bollywood-Film anklingt. Die Wechsel der Gefühle von Freude und Trauer, Glück und Leid, die Übergänge von Komödie zu Tragödie, von Melodram zu Parodie erfolgen so dicht und übertrieben, dass sich damit das Family-Genre beinahe selbst karikiert – trotz einer modernen Wendung der Geschichte, in welcher der Patriarch seine traditionelle Ansicht wandelt, nachdem Rohan seinen Bruder Rahul, der die Familie mit Anjali verlassen hatte, in England gefunden hat. Neben der Romanze und Liebesheirat von Rahul (Shah Rukh Khan) und Anjali (Kajol) verdoppelt sich das verbotene Kastenverhältnis nochmals mit Rohan (Hrithik Roshan), der sich in Anjalis Schwester Pooja (Kareena Kapoor) verliebt. Familienoberhaupt Yash Raichand (Amitabh Bachchan) arrangiert sich schließlich, akzeptiert die nicht standesgemäßen Frauen, und die Familie ist wieder glücklich vereint. Das narrative Muster in Kabhi Khushi Kabhie Gham ist in der Opposition von Tradition und Moderne simpel und konzentriert sich auf die Hauptpersonen der Familie. Die Geschichte wird ähnlich wie Awara in Form von Rückblenden erzählt: Zu Beginn ist der jüngere Bruder Rohan am Ende seines College-Jahres zu sehen. Von dort aus wird die Familiengeschichte aufgerollt und teilt sich in typischen Dualismen in Aufnahmen beispielsweise eines traditionellen Diwali (Lichter- und Erneuerungsfest) und Episoden in England, wohin reiche indische Familien ihre Söhne zur Ausbildung hin

Themenfeld 3: Filmmusical – Tanzfilm – Musikvideo – Tanz im TV

schicken. 55 Der Film amüsiert durch geschickte parallele Setzungen und Zitate und bewegt durch die mitreißenden Musik- und Tanzszenen, in denen die Gefühle der Darstellenden visualisiert werden. Der Titelsong »Kabhi Khushi Kabhie Gham« (Manchmal glücklich, manchmal traurig) zieht sich wie ein Leitmotiv durch den Film und wird von der Mutter Nandini Raichand (Jaya Bachchan) mehrmals intoniert, denn in ihrer Figur konzentriert sich der Konflikt des traditionellen Gehorsams gegenüber dem Mann und einer moderneren Ansicht zur Liebe. Die auffallenden Merkmale der Tanzszenen als Formel des BollywoodFilms sollen im Folgenden aufgeführt werden. Sieben Tanzszenen umfasst der 210-minütige Film, der wie im indischen Film üblich in zwei Teile mit einer Pause geteilt ist. Die traditionell beeinflussten Tanzszenen werden in die Festszenen des Karwa-Chauth- oder Diwali-Festes integriert, daneben gibt es moderne Tanzszenen beispielsweise vor dem College in England oder in einer Disco, in der Filmstill aus Kabhi Khushi Kabhie Gham, Disco- mit Rock ’n’ RollRegie: Karan Johar (2001) und Hip-Hop-Bewegungen kombiniert werden. Allen Tanzszenen gemeinsam ist nicht nur die opulente Ausstattung in der jeweiligen örtlichen Umgebung, sondern eine Kameraarbeit, die die Größe der Massenchoreographien und die Ausmaße der Ausstattung zum Besten gibt. Die Kamera fährt unentwegt bis zu Top-ShotAufnahmen, bewegt sich in die tanzenden Gruppen hinein, wird teilweise gerissen, um zwischendurch die Solistinnen und Solisten herauszustellen. Während in Awara, wie im frühen Bollywood-Film üblich, die männlichen Hauptdarsteller noch keine Soli tanzten, wurden im jüngeren Bollywood-Film mit Stars, die wie Shah Rukh Khan sehr gut tanzen, auch Männer zu erotischen Symbolfiguren. Der Rhythmus der Montage passt sich dem jeweiligen Tanzstil an bis hin zu clipartigen Schnitten mit ›Weißblitzen‹, kurzen Flashs zwischen den Bildern, schiefen Bildern und Achsen wie im Musikclip, in der

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Eine detaillierte Beschreibung der Handlung geben M. Uhl/K. Kumar: Indischer Film, S. 96– 104, und M. Alexowitz: Traumfabrik Bollywood, S. 177–188. Anders als Awara ist Kabhi Khushi Kabhie Gham im internationalen DVD-Vertrieb und in Bibliotheken gut vertreten.

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Szene, wo Rohan nach seinem Bruder in London sucht. Die bemerkenswerteste Tanzszene im ganzen Film ist eine in Ägypten gedrehte sechsminütige Sequenz, in der die Gefühle von Rahul und Anjali in Traumbilder transformiert werden. An dieser sind die typischsten Merkmale der Tanzszenen im Bollywood-Film ablesbar: Das Liebespaar befindet sich in einem unendlichen, surreal wirkenden Raum. Die Umgebung und die Kostüme wechseln mit Schnitten oder Überblendungen in einer Künstlichkeit, die jeder HollywoodKonvention eines unsichtbaren Schnitts oder einer narrativen Konsequenz widerspricht. Zwischen die Wüstenbilder werden als weitere Steigerung des Wunschtraums Bilder ihrer traditionellen Hochzeit eingesetzt, bei der Rahul mit seinem Vater sich selbst zuschaut, wie er von Anjali die Tika, ein rotes Segenszeichen auf der Stirn, empfängt und der Vater mit der Braut einen Walzer tanzt. Auch hier steht wie in Awara ein kitschiger Mond der Romanze zur Seite, die Kamera umkreist das Paar, scheint mitzutanzen. Eine Einstellung bietet ein sekundenkurzes Filmzitat zu Singin’ in the Rain, wenn Anjali auf eine verregnete Straße in Delhi schaut, in der die Leute mit Schirmen tanzen. Im Multi-Genrefilm des Bollywood-Films hat der Tanz im Zusammenwirken mit den Songs eine die Emotionen steigernde Bedeutung. Der Tanz, die Bewegung besteht in sich wiederum aus einer Mischung von Tanzstilen, wie anhand beider Filme gezeigt werden konnte. Anleihen an klassische indische Tänze sind in vielen Szenen zu sehen, unterstützt jeweils durch die traditionelle Kleidung. Dazu werden alle möglichen populären Bewegungsstile gemischt: Hip-Hop, Modern Dance, Jazz Dance und andere Modetänze – vorzugsweise leicht nachzuahmende rhythmische Abläufe, die wie die einprägsame Musik vom Publikum nachgemacht und mitgesungen werden können. Der Raum hat in den Tanzszenen des Bollywood-Films eine besondere Funktion: Die Verlagerung in künstliche Welten und endlos scheinende, paradiesisch wirkende Umgebungen bedient den traumartigen Charakter und intensiviert das emotionale Miterleben. Mit dem Aspekt der Zeit wird im Bollywood-Film einerseits durch die oft verschachtelte Dramaturgie gespielt, wenn wie in den besprochenen Beispielen in Rückblenden eine Geschichte erzählt wird; andererseits bedeutet die räumliche Entrückung der Tanzszenen auch ein Abheben in andere zeitliche Dimensionen. Solche Szenen werden nicht zwingend wie in Awara durch den schlafenden Raj als Traumszenen eingeleitet, sondern können wie in Kabhi Khushi Kabhie Gham auch rein formal durch eine Überblendung eines roten Stoffes beginnen. »Bei den Lovesongs ist es üblich, das Ort- und Zeitgefühl aufzuheben und das Liebespaar durch ein Raum-Zeit-Vakuum reisen zu lassen. Es zählt nur noch das subjektive Empfinden der Protagonisten, das jenseits aller materiellen Begrenzungen

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liegt.« 56 Wahrscheinlich ist es dieses Abheben aus jeglicher Realität und die damit verbundene Projektion eigener Wunschvorstellungen, die den Reiz des Bollywood-Films ausmacht – ein Muster, das sich in Tanzshowformaten im Fernsehen wiederfindet. 57

Tanz im Spielfilm Die folgenden Beispiele stehen für die historische Fortsetzung von Tanz im Kinofilm nach der goldenen Ära des Filmmusicals. Einige von ihnen wie West Side Story (1961), Grease (1978) oder jüngere Filme wie Chicago (2002) zählen schon aufgrund des Transfers eines Bühnenmusicalstoffes in den Film zum enger gefassten Subgenre des Filmmusicals oder, wie Dorothee Ott für die Kategorie des Medienwechsels vorschlägt, zum Musicalfilm. Ott versucht, eine differenziertere Begriffsbestimmung zu Musical- und Tanzfilmen zu geben: »Beim Musicalfilm liegt das Gewicht eindeutig auf dem erzählenden Gesang der Protagonisten, im Tanzfilm ist Tanz das wesentliche künstlerische Ausdrucksmittel der Figuren.« 58 Ich möchte in diesem Kapitel keinen eigenen Beitrag zu einer Kategorisierung leisten, sondern mit den folgenden Beispielen weitere Facetten der Intermedialität von Tanz im Film aufzeigen. Diese haben in The Red Shoes und Flashdance den (klassischen) Tanz und die Berufung zur Tänzerin zum Thema. Analog den Referenzen zum Genre der Filmmusicalbeispiele dominiert auch im Tanzfilm eine Selbstreflexivität: Mittels des Tanzes wird Tanz zum narrativen Thema, das ausgeprägter als im Filmmusical persönliche, gesellschaftliche und kulturelle Konflikte widerspiegelt. Der Tanzstil ist sekundär, Tanz ist ›realistisches‹ Element, Träger von Lebensgeschichten wie beruflicher Aufstieg, Wettbewerb oder Selbstfindung. 59 Er dient als »Metapher für soziale Identität oder romantisches Sehnen«.60 Es gibt Varianten wie beispielsweise The Red Shoes oder White Nights (1985) mit dem Ballettstar Mikhail Baryshnikov oder The Company (2003), die als Ballettfilme bezeichnet werden können, da sie vom Alltag im Ballettmilieu erzählen. In Filmen der 1970er und 1980er Jahre dominieren im Zuge des gesellschaftlichen Fitnessfiebers Disco- und Jazztanz, Strictly Ballroom (1992) vom Regisseur von Moulin Rouge!, Baz Luhrmann, spielt im Milieu des Turniertanzes. Moulin Rouge! schließlich stellt ein singuläres jüngeres Beispiel dar, an dem im Kontext der Postmoderne vielfältige Merkmale des Intermediali56 57 58 59 60

M. Alexowitz: Traumfabrik Bollywood, S. 78. Siehe hierzu das Kapitel »Tanz als Vehikel der Reality-Show« im diesem Themenfeld. D. Ott: Shall we Dance and Sing?, S. 24. Vgl. H. Krah: Tanz-Einstellungen, S. 263. D. Ott: Shall we Dance and Sing?, S. 28.

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tätsdiskurses festgemacht werden können. In den Analysen soll wiederum fokussiert werden, wie das Thema des Tanzes und die Tanzszenen filmisch umgesetzt und eingebettet werden. Sind hier Muster aus Hollywood und Bollywood wieder zu erkennen, werden diese allenfalls ästhetisch erweitert? Wie werden ästhetisch-narrative Ansätze (inter)medial umgesetzt? The Red Shoes (1948) Der an das gleichnamige Märchen von Hans Christian Andersen angelehnte britische Film von Michael Powell und Emeric Pressburger kann filmhistorisch als Beginn der beschriebenen zweiten Periode des Tanzfilms bezeichnet werden, in dem Tanz nicht in eine Geschichte integriert, sondern ein Tanzthema als Geschichte inszeniert wird. Bei diesem Film stand zudem erstmals klassisches Ballett in einem Spielfilm zentral: »The Red Shoes war wohl der erste Film, der klassisches Ballett nicht nur als Objekt der Reproduktion ansah.« 61 Die Hauptrolle der jungen Ballerina Victoria »Vicky« Page wird von der damals bekannten Tänzerin am Sadler’s Wells Theater, Moira Shearer, verkörpert, den Chefchoreographen Grisha Ljubov, der auch die Rolle des Schusters tanzt, spielt Léonide Massine, Nachfolger von Nijinsky bei den Ballets Russes, und Hein Heckroth, langjähriger Bühnenbildner der Ballets Jooss, war für die Szenographie in diesem Technicolor-Film zuständig, für die er einen Oscar erhielt. Bezüge zur damaligen Ballettszene sind nicht nur durch diese prominenten Besetzungen gegeben, sondern die Geschichte des Balletts Lermontov, in der Victoria Page als junge Tänzerin von Impresario Boris Lermontov die Chance erhält, in einem Ballett mit dem gleichen Titel wie der Film die Solorolle zu tanzen, bezieht sich auf die Ballets Russes und deren Leiter Sergei Diaghilew.62 The Red Shoes thematisiert ein Spannungsverhältnis zwischen Tanz und Leben, Kunst und Liebe – allerdings anders als im Filmmusical, in dem die Tanzszenen der Visualisierung und Verdeutlichung der Lovestory dienen und die Ausübung des Tanzes meist mit privatem Glück korreliert. Weitere narrative Dualismen in diesem Melodram sind Aufstieg und Fall, Leben und Tod, Erfüllung und Verzweiflung: Page verliebt sich in den jungen Komponisten Julian Craster des Balletts, und muss sich auf Druck von Lermontov zwischen Julian und einer Tanzkarriere entscheiden. Darin klingt ein Bezug zu Diaghilew an, der mit Nijinsky ein Verhältnis hatte, ihn aus den Ballets Russes entließ, als dieser heiraten wollte. In diesem Konflikt lassen sich gesellschaftlich auch Rollenerwartungen der damaligen Zeit ablesen:

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D. Krusche: Reclams Filmführer, S. 534. Michael Powell zit. in: A.L. McLean: The Red Shoes Revisited, S. 33.

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Karriere bedeutete Verzicht auf Familie. Page folgt ihrem Liebhaber und verlässt die Compagnie nach einer erfolgreichen Aufführung des Balletts. Der Streit entflammt erneut, als Page nach mehreren Jahren auf Anfrage von Lermontov nochmals die Rolle tanzen soll: Craster will sie kurz vor der Vorstellung vom Tanzen abhalten. In in ihrer Verzweiflung läuft sie im Kostüm und in den roten Schuhen zum tragischen Abschluss des Films aus dem Theater, springt vor einen Zug und fordert in den Armen von Julian Craster in ihren letzten Atemzügen ihn auf, ihr die roten Schuhe auszuziehen, bevor sie stirbt.63 In der letzten Szene des Films wird das Ballett ohne Hauptdarstellerin aufgeführt. Ein Scheinwerfer markiert die abwesende Tänzerin – balletthistorisch könnte dies, wie Janine Schulze schreibt, auf den Mythos um Anna Pawlowas Paraderolle des sterbenden Schwans verweisen: Am Abend ihres Todestages hätte sie die Rolle tanzen sollen.64 Der Film beinhaltet schon aufgrund der thematischen Ansiedlung weit mehr Tanzszenen als ein Filmmusical. Aufführungen, Training und Proben des Balletts Lermontov, die Planung und Einstudierung des Balletts »Die roten Schuhe« nehmen einen wesentlichen Teil des Films ein. Die Tanzszenen werden nach gängiger Hollywood-Filmkonvention mit unsichtbaren Schnitten und unauffälliger Kameraarbeit wiedergegeben. Auffallend ist hingegen die längste Tanzszene von 15 Minuten im insgesamt 133-minütigen Film: Diese entführt wie das Hollywood- oder Bollywood-Musical in emotionale und traumartige Welten. Anders ist dennoch der Inhalt, denn Vicky Page drückt ihre innere Zerrissenheit tanzend aus: »You seem to be projected into her thoughts and you are carried with her out of the ›reality‹ of the ballet into the ›unreality‹ of her imagination while she dances«, wie der Rezensent 1948 in »Ballet Today« schrieb.65 Die filmästhetischen Mittel in dieser Szene unterscheiden sich vom restlichen Film. Die Szene beginnt mit dem Öffnen des Bühnenvorhangs noch in einer Parkettperspektive und im Theaterkontext, doch sogleich taucht die Kamera ins Bühnengeschehen ein, bewegt sich mit den Protagonisten in den Bühnenkulissen, zeigt geschwenkte, schräge und leicht erhöhte Einstellungen, um vereinzelt wieder einen totalen Blick auf die Bühnensituation zu geben. Der erste Ansatz, in eine traumartige Ebene zu entschwinden, zeigt sich, wenn in einer Überblendung Victoria Page, nachdem die roten Schuhe vom Schuster vorgeführt wurden, kurz in diese

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Zu inhaltlichen und ballettbezogenen Analysen, auch genderbezogenen Aspekten des Films vgl. J. Schulze: Das Rot der Schuhe; H. Krah: Tänzerische Einstellungen, bes. S. 13ff.; oder A.L. McLean: Dying Swans and Madmen, darin das Kapitel »If You Can Disregard the Plot. The Red Shoes in an American Context«, S. 133–171. Vgl. J. Schulze: Das Rot der Schuhe, S. 214. M. Ambler: Film Ballet – a New Art Form?, o.S.

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hineinschlüpft und in ihrer Fantasie in diesen tanzt. Kurz darauf, nach einem Pas de deux mit ihrem Bühnenpartner, springt sie per Stopptrick in die roten Spitzenschuhe, um alsdann wie in einer Tanzwut (so die Andersen-Vorlage) in diesen zu tanzen. Der Einstieg in die psychische Verfasstheit von Page geschieht nach sechs Minuten über ein Close-up ihres Gesichts. Im Angesicht des Schusters, der in ihrer Vorstellung zu Lermontov mutiert, greift sie sich verzweifelt an die Schläfen. In der folgenden Sequenz entschwebt sie in Traumlandschaften, die keine räumlichen Bühnenbegrenzungen haben und durch die sie, von der Kamera begleitet, in Zeitlupensprüngen zu schweben scheint. In der nächsten Einstellung fliegt sie gar in einem bodenlosen Raum, um darauf in einer Nachtlandschaft zu landen, in der sie mit einer Zeitungsseite tanzt, die plötzlich menschliche Konturen und Gestalt annimmt. Die traumartigen Assoziationen zu ihrer inneren Zerrissenheit mit Dämonen, Wasser, das auf die Bühne branden will, wird mit nur filmisch möglichen Mitteln von Reißschwenks, Filmstill aus The Red Shoes, Doppelbildern und ÜberRegie: Michael Powell und Emeric Pressburger (1948) blendungen visualisiert, um in den Schlussminuten dieser Tanzszene wieder auf die Bühnenebene des Balletts zurückzukommen, auf der die roten Schuhe sie in den Tod treiben. Nachdem der Priester ihr diese auszieht und der Schuster mit den Schuhen in der Hand tanzt, senkt sich der Bühnenvorhang wieder, und die Rahmung des Exkurses ins Unbewusste endet. The Red Shoes spielt wie andere Tanz- oder Musicalfilme mit Mise-enabyme-Situationen,66 mit der Integration verschiedener Erzählschichten. Nach dem Erscheinen des Films hatte dieser in Großbritannien zuerst keine guten Einspielergebnisse und erhielt negative Rezensionen – die Ballettwelt vermisste tänzerische und choreographische Qualität (die nur Massine zugestanden wurde) und kritisierte insbesondere die ungewohnt filmische surreale Inszenierung des klassischen Tanzes. Auch Shearer selbst mochte ihr Filmengagement nicht – ihr war ihre Bühnenkarriere im Covent Garden

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Vgl. H. Krah: Tanz-Einstellungen, S. 264.

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wichtiger.67 Erst später nach einer erfolgreichen Laufzeit in den Vereinigten Staaten wirkte The Red Shoes auf die Tanzfilmgeschichte, trug zur Popularisierung des klassischen Tanzes nach dem Zweiten Weltkrieg bei und beeinflusste andere Regisseure wie Brian de Palma oder Martin Scorsese zu einer farbigen Opulenz und weiteren Filmen: 68 Gene Kelly verwendete am Ende von An American in Paris von Vincente Minnelli eine durch den Erfolg von The Red Shoes legitimierte längere Ballettnummer,69 oder Kate Bush produzierte 1993 ein Album unter dem Titel »The Red Shoes«, das vom Pressburger-Film inspiriert war. The Red Shoes ist somit auch ein Paradebeispiel für einen mehrfachen intermedialen Medienwechsel: vom Märchen zum Ballettfilm zum Musikalbum. Unter dem Parameter der Bewegung bleibt The Red Shoes dem Tanzvokabular des klassischen Tanzes verbunden. Solo- und Gruppenchoreographien werden in den meisten Szenen zwar von einer bewegten Kamera begleitet, diese bleibt aber vorwiegend in beobachtender Position. Die beschriebene lange Tanzszene hingegen spielt mit filmischen Mitteln der Bewegung, wenn die Kamera vergleichbar zur beschriebenen Showszene in Singin’ in the Rain in verschiedene Raumebenen eintaucht. Die filmischen Räume visualisieren die sensible Befindlichkeit der Hauptdarstellerin, sind nur zu Beginn und am Schluss als Rahmung an die Frontalperspektive des Theaters gebunden. Sie erinnern an ein endloses räumliches Eintauchen, wie es in Computerspielen üblich und nur als filmischer Raum, unterstützt durch die markanten Kulissen, realisierbar ist. Zeit wird in dieser Entfesselung des Raumes von der Realität enthoben, für die Länge der traumartigen Tanzszene entsteht ein Vakuum als Ausdruck der psychischen Zerrissenheit. Im Tanzfilm, der hier im Ballettmilieu spielt, fügt der medial umgesetzte Tanz der gesamten Erzählung eine zusätzliche Dimension zu, hier nicht mit Happyend, sondern als Brennglas für den narrativen Kernkonflikt. Flashdance (1983) Flashdance repräsentiert einen Boom des Tanzfilms in den 1970er und 1980er Jahren in den Vereinigten Staaten. Während mit West Side Story (1961), mit zehn Oscars eines der erfolgreichsten Hollywood-Musicals aller Zeiten, oder Cabaret (1972), ebenfalls oscarprämiert, das Filmmusicalgenre 67

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Vgl. A.L. McLean: The Red Shoes Revisited, S. 36, und Shearers eigene Aussage: »Red Shoes was the last thing I wanted to do. I fought for a year to get away from that film, and I couldn’t shake the director off.« Zit. in: A. McLean: Dying Swans, S. 143. Vgl. ebd., S. 158. Vgl. ebd., S. 166f.

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bestenfalls in solchen Einzelbeispielen weiterlebte und nachdem inzwischen das Fernsehen zum neuen Leitmedium der westlichen Gesellschaft avanciert war, entstanden Tanzfilme ab den 1960er und 1970er Jahren unter dem Einfluss der Popkultur.70 Tanzfilme widerspiegelten die Vermarktungsstrategien der Popmusik – ab 1981 diente der Sender MTV als Distributionskanal. Der Soundtrack bzw. einzelne Musiknummern von Filmen wie Saturday Night Fever (1977), dem zweiten Travolta-Film Staying Alive (1983), Footloose (1984) oder Flashdance stürmten die Hitparaden, und die in diesen Filmen transportierten Discotänze wurden die neuen Modetänze der Tanzschulen. Unverkennbar auch das dazu passende Aerobic- und Fitness-Outfit, das Jennifer Beals oder John Travolta vorführten und das ebenso zum Modetrend wurde. Die Tanznummern zu diesen Songs wurden wie beim Bollywood-Film zum Teil auf MTV als selbständige Clips gezeigt.71 Die Storys dieser Filme sind blass und belanglos, sind nach ähnlichen Mustern wie in Flashdance gestrickt: Ein junges Mädchen aus dem Arbeitermilieu träumt von einer Tanzkarriere. In Flashdance tanzt die Hauptfigur Alex Owens: Sie arbeitet tagsüber als Schweißerin, abends in einer Bar, entflieht durch den Tanz ihrem Alltag und träumt von einer Karriere als Balletttänzerin (und somit einem gesellschaftlichen Aufstieg). Ihr Chef sieht sie in der Bar tanzen, verliebt sich in sie und verhilft ihr dank seinen Beziehungen zu einem Vortanzen beim Konservatorium in Pittsburgh. Dort beeindruckt sie in den letzten fünf Minuten des Films mit einer eigenen Choreographie aus Jazztanz-, Breakdance und Showelementen. Der Film kulminiert im Motto: Lebe deinen Traum. Der schlichte Plot soll wie im Filmmusical eine emotionalisierende Wirkung haben: Es geht immer um eine Liebesbeziehung, oft zwischen Partnern unterschiedlicher Gesellschaftsschichten, die nicht wie im Filmmusical im Tanz ausgedrückt wird, sondern die Lovestory begleitet die Tanzgeschichte. Diese versinnbildlicht den Traum eines künstlerischen Berufes, verbunden mit einem harten Training hierfür und den Aufstieg in eine höhere Gesellschaftsschicht. Wie im Filmmusical ist die Geschichte vorhersehbar, schmückt die Musik- und Tanznummern, diese sind jedoch anders als im Hollywood- oder Bollywood-Musical stärker in die Handlung integriert. Flashdance weist in den Tanznummern eine mit den MTV-Musikclips verwandte Ästhetik auf: Schnelle Schnitte und Teileinstellungen der Tänzerin – mit bunten Scheinwerfern oder Stroboskop-Licht akzentuiert – zeigen nur die Oberschenkel und den Beckenbereich. Die Kamera interpretiert den Tanz und

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Vgl. D. Ott: Shall we Dance and Sing?, S. 62ff. Beispiel Footlose auf YouTube unter http://www.youtube.com/watch?v= nwBbMXYDsXw vom 2.8.2010.

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den makellosen Körper erotisierend: Für das männliche Publikum wird der weibliche Körper zum Objekt der Begierde, für das weibliche Publikum der Tänzerinnenkörper zum Ideal eines trainierten Körpers.72 Abgesehen von der Clipästhetik in den Tanznummern, verbunden mit einzelnen schrägen Bildeinstellungen und Kameraperspektiven, die den Körper fragmentarisieren, fällt in Flashdance keine spezielle Filmästhetik auf. Einzig im Schlusstanz »What a Feeling« dient die Montage einmal der Verlängerung von Alex’ Pirouette und Sprung mit anschließender Flugrolle: Diese Bewegungssequenz wird durch Zeitlupe und Montage verlängert: »Körperliche Unzulänglichkeiten werden somit durch filmische Mittel überwunden.«73 Analog zu The Red Shoes wird Flashdance Filmstill aus Flashdance, Regie: Adrian Lyne (1983) im Verlauf der weiteren Mediengeschichte zum intermedialen Material: Jennifer Lopez nutzt in ihrem Musikclip »I’m Glad« Bildmaterial aus Flashdance.74 Auf diese Weise wirken Tanzfilme auf Musikclips, die als Sammelsurium verschiedener Filmgenres gelesen werden können.75 Als Filmbeispiel mit aktuellen Modetänzen der 1980er Jahre ist das Bewegungsvokabular in Flashdance dem Jazz- und Showtanz, Aerobic und Breakdance entlehnt. Die im Kapitel zum Hip-Hop erwähnte Rock Steady Crew hat nicht selber einen Auftritt wie in den Breakdance-Filmen der 1980er Jahre, wird aber mit einem Tanz auf der Straße dargestellt und in der Rollenverteilung der Crew im Abspann erwähnt. Die Kamera bewegt sich begleitend und ist in gewöhnlichen Konventionen von Schuss und Gegenschuss platziert, um die jeweiligen Positionen der Figuren zu unterstreichen. Zeit und Raum bleiben am narrativen Handlungsstrang angelehnt, innerhalb des Verlaufs bewirkt die clipartige Montage eine Fragmentarisierung des (Körper-) Raumes und betont einzelne Körperteile. Der Schweiß schafft eine körperliche Nähe und zeugt von der harten Trainingsarbeit. Die durch die Montage 72 73 74 75

Zur filmischen Repräsentation des tanzenden Körpers und einer Diskussion feministischer Lesarten in Flashdance vgl. auch S. Dodds: Dance on Screen, S. 37ff. D. Ott: Shall we Dance and Sing?, S. 81. Dieser Clip ist auf mehreren Internet-Videoplattformen zu finden. Zum Musikvideo siehe weiteres Kapitel in diesem Themenfeld 3.

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rhythmisierte Zeit unterstreicht den Rhythmus der Musik und wird nur an den zwei genannten Stellen des Schlusstanzes verfremdet. Flashdance steht für eine ganze Anzahl von Werken, die trotz bzw. aufgrund ihrer einfachen Erzählmuster und animierenden Tänze als Subgenre des Teenmusicals ein breites junges Kinopublikum begeister(te)n. Exkurs: Le Bal (1983), ein wortloser Spielfilm als Zeitspiegel

Le Bal, ein Film von Ettore Scola aus dem gleichen Jahr wie Flashdance, für den Scola 1984 einen Silbernen Bären bei der Berlinale erhielt, wird in den wenigen wissenschaftlichen Arbeiten zum Tanz im Spielfilm nicht thematisiert. Da der Film mit kaum einem anderen Kinowerk zu vergleichen ist und in keine Genreschublade passt, möchte ich ihn hier erwähnen und würdigen. Le Bal spielt 109 Minuten lang in einem Raum (außer einer kurzen Toilettenszene), es wird fast Filmstill aus Le Bal, Regie: Ettore Scola (1983) durchweg getanzt und kein Wort gesprochen. Der Film basiert auf einem Stück des Théâtre du Campagnol nach einer Idee von JeanClaude Penchenat. Nachdem ein Kellner in einem Ballsaal mit Art-déco-Ausstattung die Lichter eingeschaltet hat, eine Schallplatte aufgelegt hat und die Discokugeln angefangen haben zu drehen, treten neun Frauen auf, schreiten einzeln über die Treppen hinab, manche kontrollieren in die Kamera oder in einen Spiegel schauend ihr Aussehen und platzieren sich jeweils alleine an einen der Tische, die um die Tanzfläche stehen. Anschließend betreten elf Männer fast wie eine Chorus Line den Tanzpalast, umschreiten den Raum, schauen ebenfalls in einen Spiegel und versammeln sich an der Bar. Bevor eine kulturgeschichtliche Zeitreise in sieben Szenen beginnt, werden die exzentrischen Figuren mit charakteristischen Gesten in einer Aneinanderreihung von Naheinstellungen und in den ersten beiden Tänzen, zu denen nun eine kleine Kapelle spielt, exponiert. Der Wechsel zum ersten Zeitfenster 1936 geschieht über eine Weißblende, und der Film wechselt – der Zeit angepasst – zum Schwarzweiß-Format. Typen, Tänze, Musik und Mode wechseln in jeder Szene (1940, 1944, 1946, 1956, 1968, 1983). Der Ballsaal wird zum dunklen

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Bunker, in dem zu Klängen aus dem Transistorradio auch gegessen und geschlafen wird, in dem Nazitypen auftreten, bevor Glocken das Kriegsende verkünden. Rock’n’Roll und Disco prägen die letzten beiden Zeitfenster, bevor am Ende die Figuren wieder einzeln den Ballsaal verlassen. Le Bal gibt nicht Geschichte wieder, sondern erzählt kleine Geschichten der Individuen, eingebettet in verschiedene historische Kontexte. Auf der medialen Ebene fallen in Le Bal wenige Stilmittel auf (einzelne Bildkolorierungen, Freezes, Untersichtaufnahmen der Tanzbeine) – die Kamera wechselt zwischen beobachtenden und teilnehmenden Positionen, bewegt sich manchmal mit den Körperbewegungen. Hervorstechendes Merkmal ist die Körpersprache. Über Bewegung, Tanz, Gestik und Mimik werden die Geschichten erzählt. Auf diese Weise wird eine Stilisierung des Körpers vollzogen, freilich ein Kennzeichen des Theaters respektive Tanztheaters. Raum und Zeit sind wie im Theater an die Einheit des Ortes des Tanzpalastes gebunden, um mittels der Szenen eine historische Zeitreise zu inszenieren. Der intermediale Medienwechsel vom Theater zum Film akzentuiert theatrale Mittel der Gestik und Einheit des Ortes. Durch diese ungewöhnlichen Stilmittel fällt Le Bal aus dem Rahmen einer üblichen Kinoästhetik. Moulin Rouge! (2001) Als letztes Beispiel im Feld von Tanz im Spielfilm steht Moulin Rouge!, ein Film des Australiers Baz Luhrmann (*1962), mit Nicole Kidman als Kurtisane Satine, Star des »Moulin Rouge«, und Ewan McGregor als Schriftsteller Christian in den Hauptrollen. Der englische Schriftsteller blickt im Jahr 1900 ein Jahr zurück auf seine Ankunft in Paris und seine Erlebnisse im Milieu der Pariser Bohème und Umfeld des Moulin-Rouge-Besitzers Harold Zidler. Mithilfe eines Financiers, eines britischen Dukes, soll ein neues Stück produziert werden. Als Gegenleistung soll Satine sich um den Duke ›kümmern‹, doch zu Beginn kommt es zu einer Verwechslung zwischen Christian und dem Duke. Christian und Satine verlieben sich, müssen ihre Beziehung jedoch verheimlichen, um die Finanzierung des Moulin Rouge und des neuen Theaterstücks »Spectacle, Spectacle« nicht zu gefährden. Nach Versuchen des Dukes, seinen Nebenbuhler loszuwerden, endet der Film tragisch: Satine, die von Zidler erfahren hatte, dass sie an Schwindsucht leidet und sterben wird, entschläft in den Armen von Christian, nachdem sich beide bei der Premiere des Stückes auf der Bühne öffentlich ihre Liebe gestanden haben. Das Ensemble spielt das unvorhergesehene Spiel mit, so dass das Publikum die reale Situation nicht erkennt, sondern sich für die Szene als Teil der Bühnenhandlung begeistert. Auf eine Kürzestformel gebracht, lautet die melodramatische

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Lovestory wie von Dorothee Ott formuliert: »Eine Frau steht zwischen zwei Männern, dem Reichen, den sie nicht liebt, und dem Armen, den sie liebt.«76 Grundlegende Motive der Filmhandlung stammen aus den Opern »La Bohème« und »La Traviata« sowie aus der Operette »Orpheus in der Unterwelt«. Luhrmann, der am Originaldrehbuch beteiligt war und selber als Schauspieler, Theaterleiter und Opernregisseur gearbeitet hatte, war als Filmregisseur erstmals mit Strictly Ballroom (1992) in Erscheinung getreten. Dieser Film war aufgrund seines gleichnamigen Theaterstücks entstanden und bildete den ersten Teil einer von ihm so bezeichneten »Red Curtain Trilogy«, die nach Shakespeare’s Romeo und Julia (1996) mit Moulin Rouge! endete. »Als Red Curtain bezeichnet er eine Filmsprache, die eine aktive Teilnahme des Publikums an einem Film erreichen will. Bestandteil dieser Sprache ist eine extrem vereinfachte Handlung, die durch Musik- und Tanzeinlagen unterbrochen wird und damit eine westliche Ausprägung der Bollywood-Filme darstellt.«77 Luhrmann knüpft sowohl an der Opulenz des Bollywood-Kinos, das er einige Jahre zuvor in Indien erlebt hatte, als auch an der Tradition des HollywoodMusicals der besprochenen klassischen Ära der 1930er bis 1950er Jahre an. Sein Erlebnis im indischen Kino beschreibt er im Buch zum Film: »Es war eine Art theatralisiertes Kino, doch dieser indische Film war nicht nur eine Musicalkomödie, er war ebenso eine Tragödie.«78 Von der Überzeichnung im indischen Kino inspiriert, kennzeichnet Moulin Rouge! ein Rausch an Bildern und Tönen, gespiesen aus musikalischen, filmischen, figurativen und narrativen Zitaten, die das Werk zu einem Beispiel postmoderner Kunstproduktion zwischen Kitsch, Collage, Ironie, Karnevalisierung und Selbstreferentialität machten.79 Die Liste der Evergreens umfasst Songs von Elton John, Madonna, David Bowie, The Police, T. Rex, Beatles, Queen bis hin zu Marilyn Monroes »Diamonds are a girl’s best friend« mit Referenz auf Howard Hawks’ Film Gentlemen Prefer Blondes, Jacques Offenbachs Klassiker des Cancan »Galop Infernal«. Auch ein Choreographie-Zitat mit dem Tanz der Kellner aus Gene Kellys »Hello Dolly!« ist zu sehen, getanzt zu einer Interpretation von Madonnas Song »Like a Virgin«. Die Bekanntheit der Songs, die zum kollektiven Musikgedächtnis der westlichen Welt zählen, steigert – wie Dorothee Ott festhält – die emotionale Erlebnisqualität. 80 Obwohl die Form des Zitats schon im früheren Filmmusical – wie bei Kellys Singin’ in the Rain gezeigt – üblich war, sind die vielen Verweise bei Luhrmann nur vereinzelt inhaltliche Anhalts76 77 78 79 80

D. Ott: Shall we Dance and Sing?, S. 227. http://de.wikipedia.org/wiki/Baz_Luhrmann vom 11.11.2012. Zit. in: D. Ott: Shall we Dance and Sing?, S. 225. Vgl. M.K. Booker: Postmodern Hollywood, S. 60. Vgl. D. Ott: Shall we Dance and Sing?, S. 228.

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punkte, sondern bilden stattdessen im Stil der Postmoderne in ihrer Ausstellung, Häufung und Überzeichnung ein ästhetisches Spiel, das sich an keine Regeln des Genres hält. Auch die Scheinwelt des Theaters wird mit allen Mitteln von Kostümen und Ausstattung, übertriebener Schauspielweise und durch Kamera- und Tricktechnik in Szene gesetzt. Der ganze Film spielt, außer in den Modellaufnahmen von Paris, ausschließlich in den inszenierten Räumen des Moulin Rouge, die zudem in ihrer Buntheit keinen Filmrealismus anstreben, sondern bewusst und in postmoderner ›Ausstellung‹ an Theaterkulissen erinnern. Gedreht wurde der Film tatsächlich ausschließlich im Filmstudio, auch das ein Verfahren, das heute selten so pur eingesetzt wird wie beispielsweise zur Zeit von Busby Berkeley. Ähnlich aufwendig war die Produktion, wie Luhrmann und sein Team im »Making of« erzählen. Kombiniert wurden neuste digitale »Matte painting«-Verfahren und vom Computer gesteuerte Beleuchtung mit alten analogen Aufnahmetechniken wie beispielsweise Aufnahmen in Modellbauten. Das Tempo der Montage und die Bilderflut sind ausgeprägter als der Clipcharakter eines Musikvideos – die erste halbe Stunde des 123minütigen Films ist beinahe schwindelerregend und umfasst die gesamte Trickkiste von Kamera und Schnitt: Reißschwenks, Fahrten, alle möglichen Perspektiven von Unter- und Aufsicht, schräge Einstellungen, Zeitlupe und Zeitraffer noch innerhalb der kurzen Schnittfrequenz, die kaum die Länge eines Liderschlags aufweist. Ob diese Temposteigerung, wie Ott bemerkt, als Hinweis auf die Erfahrung der Beschleunigung zu Beginn der Moderne um die Wende zum 20. Jahrhundert gelesen werden kann, scheint mir als Detail weniger bedeutend als der generelle Versuch Luhrmanns, mit modernsten Filmtricks ein historisches Thema zu visualisieren und das Genre des Filmmusicals durch Kontraste, Karikierung und Referenzen in Frage zu stellen. Der Film beginnt mit einem roten Vorhang im Dunkel eines Theaters mit einem Instrumente stimmenden Orchester, applaudierenden Zuschauern und einem Dirigenten vor dem Bühnenvorhang. Doch dieser öffnet sich nicht, um wie in The Red Shoes ein Bühnenwerk zu zeigen, sondern hinter dem Vorhang erscheint der Vorspann der Filmproduktionsfirma 20th Century Fox, bevor die computergesteuerte Kamera in einer Plansequenz zu einer Zeitreise durch Schwarzweiß-Aufnahmen von Paris im Montmartre (gezeigt mittels Modellbauten) eintaucht und zu Christian ins Hotelzimmer fliegt. 81 Luhrmann legt damit sogleich sein Konzept des Zeigens offen: Nicht im Film wird Theater

81

Für eine detaillierte Beschreibung des Beginns und einiger Filmszenen sowie eine vornehmlich inhaltliche Interpretation vgl. D. Otts Kapitel »Moulin Rouge« in: Shall we Dance and Sing?, S. 225–266.

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Tanz Film

gespielt respektive Tanz aufgeführt, sondern im Theater wird ein Film gezeigt, und somit werden die klassischen Kennzeichen des Filmmusicals verkehrt, wodurch eine Künstlichkeit hergestellt wird. Es findet auch kein Transfer eines Bühnenmusicals in den Film statt – Moulin Rouge! wurde eigens fürs Kino aus Versatzstücken der Kulturgeschichte geschrieben. Der Film lebt von Kontrasten zwischen Theater- und Filmkonventionen, von visuellen und auditiven Spannungen. Von daher sind auch in Moulin Rouge! die bisherigen Kennzeichen von typischen Dualismen im Filmmusical ablesbar. Dies sind beispielsweise historische Bezüge, verpackt in moderne Technik, auditive Erinnerungen, kontrastiert mit farbig-schrillen Bildern, Lebenslust und Tanzfreude im Nachtklub mit Krankheitsanzeichen von Satine und mit ihrem Tod. Der Handlungsverlauf ist nicht wie in den meisten Filmbeispielen vorhersehbar – das Ende der Liebesgeschichte wird vom erzählenden Dichter sogar schon zu Beginn vorweggenommen. Anstelle der Handlung sollen die Bilder und Emotionen packen, die Filmstill aus Moulin Rouge!, Regie: Baz Luhrmann (2001) tragische Geschichte wird visuell aufgeladen und ins Komische übertragen. Andeutungen und Abwandlungen passieren stark auf der Ebene der Dialoge und mittels der Texte der Musikzitate. Diese werden ebenso geschickt in die Narration eingebettet, wie Bildzitate auf andere Beispiele des Musicalgenres hinweisen, darunter einige Referenzen an Busby Berkeleys Top-Shots, Gene Kellys Regenschirmszene in Singin’ in the The Rain oder Kulissen, die an Vincente Minnellis An American in Paris erinnern, bis hin zu Referenzen an das Bollywood-Musical durch die indischen Kostümen und die typischen Bewegungen, drapiert auf einer Treppenkonstruktion des Hollywood-Musicals der 1940er Jahre in der Tanzszene des Finales. Neben den vielfältigen Bezügen zum Musical und verwandten Genres vereint Moulin Rouge! alle drei von Altman formulierten Subkategorien des Musicals: Der Film ist Show Musical, in dem eine Produktion auf die Beine gestellt wird, er ist Fairy Tale Musical, in dem er eine Liebesgeschichte transportiert, und Folk Musical, das die Gemeinschaft der Moulin-Rouge-Familie vereint. 82 Ob 82

Vgl. ebd., S. 258.

Themenfeld 3: Filmmusical – Tanzfilm – Musikvideo – Tanz im TV

umschrieben als »Potpourri aus Versatzstücken der Medienkultur« 83 oder kritisiert als feststeckend im parasitären Verfahren 84 – Moulin Rouge! ist ein Einzelfall des Genres. Der Film integriert und kombiniert wie ein Paradebeispiel intermedialer Kunstproduktion Theater- und Filmästhetik, Musik, Tanz, Oper, Literatur. Um diese vielfältigen Verweise zu erkennen, braucht es freilich das entsprechende kulturgeschichtliche Wissen. Von daher funktioniert Moulin Rouge! variabel auf verschiedenen Ebenen – an der Oberfläche als schrill-bunter Musicalfilm, auf tieferen Ebenen als Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Medienkultur. Zusammengefasst ist der Aspekt der Bewegung in Moulin Rouge! weniger von Körper- und Tanzbewegungen bestimmt – auch wenn verschiedene Tanzstile vorkommen – als vielmehr durch die dominante Bewegung von Kamera und Schnitt. Szenen mit Tanz haben keinen eigenen Wert: Tanz ist ebenso wie die Ausstattung Beiwerk und Visualisierung in den zitierten Musikstücken. Die Tanznummern stehen nicht für sich als Einheit, sondern werden stets unterbrochen durch Naheinstellungen auf handelnde Personen. Das Bewegungsvokabular zitiert die typischen Cancan-Beinbewegungen im Moulin Rouge sowie Reihen und Rosetten des Revuefilms, mittels Top-Shot wie bei Busby Berkeley aufgenommen. Die Zeitstruktur ist bestimmt durch die grundlegende Erzählperspektive des Rückblicks und die wiederholten Zwischenschnitte. Diese blenden zurück auf das Verfassen der Geschichte durch den Dichter. Zeit wird gleichzeitig durch den Staccato-Schnitt stark fragmentiert. Der Raum wirkt klar definiert als Theaterraum, aber auch zergliedert in Teilansichten, bei denen der umgebende Raum keine Rolle spielt. Weitere Phänomene im Tanzfilm

Es wäre an dieser Stelle möglich, auf weitere Phänomene von Tanzfilmen einzugehen, doch beschränke ich mich darauf, auf spezielle Aspekte hinzuweisen. Vergleichbar mit Moulin Rouge! sind Tanzfilme wie Billy Elliot – I Will Dance (2000) oder Black Swan (2010) Ausnahmeerscheinungen innerhalb des Genres: In beiden geht der Tanzfilm eine Verbindung mit anderen Filmgenres ein. Die Narration in Billy Elliot folgt vergleichbaren Mustern wie in den beschriebenen Beispielen früherer Tanzfilme, doch lautet hier die Botschaft, dass auch ein Arbeiterjunge seinen Traum leben soll. Gekreuzt wird der Tanzfilm mit dem britischen Arbeiterkino. Zusätzlich zur Darstellung der existenziellen Nöte der britischen Bergarbeiter trug der Film aufgrund seines

83 84

Ebd., S. 260. M. Worthmann: Schwindsucht mit Feuerwerk, o.S.

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Tanz Film

Erfolges auch zu einem verbesserten Rollenverständnis im Tanz bei, indem der Tänzerberuf für Männer ernster genommen und keine Romantisierung des Balletts transportiert wurde. Auch das Thema der Homosexualität wird angesprochen, aber nicht als typische Neigung eines männlichen Tänzers vermittelt. Während Billy Elliot mit einer Schwanensee-Szene endet, um die Reifung zur Selbstsicherheit zu verdeutlichen, wird in Black Swan ein Tanzfilm mit dem Horrorgenre verknüpft. In diesem Psycho-Thriller verkörpert Natalie Portman eine Solistin des New York City Ballet, die beide Rollen des berühmten »Schwanensee«, den weißen und den schwarzen Schwan, tanzen soll, und sich mehr und mehr im Wahn der Rolle des schwarzen Schwans verliert. Die Kombination aus einer starken psychologischen Innensicht, einer beeindruckenden Darstellung durch Natalie Portman, die für diese einen Oscar erhielt, und den starken Visualisierungen und Vermischungen von Halluzinationen und Realität durch Regisseur Darren Aronofsky sorgt für eine neue Variante des Tanzfilms. Letztlich dominieren die Elemente des Horrorfilms, so dass anders als bei Billy Elliot der Tanz keinen Zugewinn erhält – im Gegenteil, Klischees wie die überbehütende Mutter, die als ehemalige Tänzerin ihren verpassten Traum von der Tochter realisiert sehen möchte, oder der autoritäre Choreograph, der intime Verhältnisse zu seinen Ballerinen pflegt, verstärken bestehende Vorurteile, so dass in einer Rezension von einem »Anti-Tanzfilm« gesprochen wird. 85 Interessant an beiden Beispielen könnte eine Detailanalyse der filmischen Mittel sein, wie die genannten Aspekte visualisiert werden. In Black Swan dominiert eine bewegte Kamera – der Kameramann war früher selbst Tänzer, und Aronofsky wollte, dass nicht nur die Tanzszenen, sondern der ganze Film wie eine Choreographie aussehen sollte. 86 In der Darstellung intermedialer Begegnungen stehen beide Filme als Beispiele für mögliche Hybridisierungen von Tanzfilmen und anderen Filmgenres. Es gibt Regisseure wie Federico Fellini, 87 Peter Greenaway oder Vertreter des französischen Autorenkinos wie Jean-Luc Godard oder des jüngeren deutschen Autorenkinos wie Christian Petzold, die in ihrer Art, Filme zu inszenieren, eine Affinität zum Tanz aufweisen oder Tanz punktuell einsetzen. 88 Auch können bestimmte asiatische Martial-Arts-Filme wie Crouching Tiger, Hidden Dragon (2000), Hero (2002) oder Quentin Tarantinos Actionfilme Kill Bill 1+2 (2003 + 2004) als dem Tanz nahe stehende Filme gedeutet werden,

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http://www.ok-magazin.de/entertainment/kino-dvd/5460/kino-tipp-black-swan vom 11.11. 2012. Vgl. http://kunstundfilm.de/2011/01/schwanensee-als-halluzinogen-trip-darren-aronofskyintervie/2/ vom 11.11.2012. Vgl. K. Kirchmann: Lauter schlechte Kopien … Vgl. S. Nessel: Ghost Dances.

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denn die Kampfbewegungen werden sowohl auf der Ebene der Körper als auch auf der filmischen Ebene sorgfältig als Bewegung in (filmischer) Zeit und (filmischem) Raum choreographiert – insbesondere dort, wo mittels digitalen Technologien in einem Film wie Matrix (1999) Simulationen von komplexen Körperbewegungen choreographiert werden. 89 Auch dieser Hinweis versteht sich im Rahmen dieses Überblicksbandes als Anregung für weitere Forschungen. Digitale 3D-Technologie im Tanzfilm – Pina (2011) von Wim Wenders

Kurz eingehen möchte ich auf die digitale 3D-Technologie im Tanzfilm und Wim Wenders’ Film Pina – tanzt, tanzt, sonst sind wir verloren, denn die 3D-Technik zählt zu den Technologien, die im Kinobereich auf dem Vormarsch sind, und eine Anwendung im Tanz zur Darstellung einer dreidimensionalen Körper- und Raumkunst liegt nahe. StreetDance 3D war im Jahr 2010 der erste Tanzfilm. Dieser vereinte Streetdance und Ballett. Obwohl die Stereographie, die mittels zwei Kameras die physiologischen Vorgänge des menschlichen Sehens imitiert, die Körper plastischer erscheinen lässt und diese so berührbar wirken, ist der Tanz häufig noch zu schnell für die Technik, und es muss eine Auswahl an möglichen Bewegungsszenen erfolgen. 90 Dieses Problem formulierte auch Wim Wenders, der trotz langjähriger Pläne, mit Pina Bausch einen Film zu realisieren, erst 2010 Pina produzierte, nachdem er 2007 in Cannes den 3D-Konzertfilm U2–3D sah und die 3D-Technik als für den Tanz geeignet entdeckte. Bei den Dreharbeiten später musste er die Grenzen der Technik feststellen, denn die 3D-Wirkung kam weniger in einer Räumlichkeit als in einer intensiven Körperlichkeit bei den Nahaufnahmen zur Geltung: »Zu meiner größten Verwunderung waren die aufregendsten Erfahrungen der neuen Räumlichkeit nicht etwa die aufwendigen Tanzeinstellungen, auch nicht die langen Kamerafahrten – sondern das Allereinfachste: die Nahaufnahme einer Person!« 91 Uraufgeführt an der Berlinale 2011, wurde Wenders’ Film zu einer Hommage an die Pionierin des Tanztheaters, denn der ursprüngliche Plan, den Film gemeinsam mit Pina Bausch zu realisieren, wurde durch ihren plötzlichen Tod am 30. Juni 2009 unterbrochen. Nachdem in einer gemeinsamen Vorbereitung zum Film die vier Werke Café Müller, Sacre, Kontakthof und Vollmond ausgewählt und auf den Spiel89 90 91

Vgl. z.B. H. Ploebst: Kampf der Avatare, Bio-Punks und Replikanten, oder eine unveröff. Diplomarbeit von R. Kofmel: Detecting Dance. Vgl. A. Wesemann: Streetdance 3D. Zu Wenders 3D-Recherchen und Zitat vgl. http://www.zeit.de/2011/22/Ideen-Wenders vom 11.11.2012.

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plan 2009/10 gesetzt worden waren, um sie in 3D aufzunehmen, und nach einem ersten Schock und Plan, das Projekt nach Bauschs Tod abzubrechen, motivierten schließlich die Tänzerinnen und Tänzer des Ensembles Wenders, den Film doch zu realisieren. Er filmte wie von Bausch gewünscht die vier Werke, die nun in voller Länge im dreidimensionalen Format archiviert sind, und adaptierte das Filmkonzept. Zwischen Ausschnitte dieser vier Werke setzt Wenders Hommagen ihrer Tänzerinnen und Tänzer an Pina, die in Anlehnung an den von Bausch im Jahr 1989 realisierten Film Die Klage der Kaiserin an verschiedenen Außenschauplätzen in Wuppertal und Umgebung gedreht wurden. 92 Darin setzte Wenders Bauschs Methode des FragestelFilmstill aus Pina – tanzt, tanzt, sonst sind wir verloren, lens fort: »Was kannst du Regie: Wim Wenders (2011) mir über Pina erzählen in deiner eigenen Sprache, mit dem Tanz?« 93 Diese Aufnahmen draußen weisen eine bessere dreidimensionale Plastizität auf als die Aufnahmen im Theater – eine Frage der Lichtempfindlichkeit der 3D-Kameras. Aus den Recherchen zur 3D-Aufnahmetechnik resultierten außerdem ›stumme Porträts‹ der Tänzerinnen und Tänzer: Sie sitzen einzeln vor der Kamera, und ihr Blick wandert von der Ferne direkt in die Kamera. 94 Die Aussagen der Personen lässt Wenders im Off ertönen. Weitere einzelne Einschübe sind Archivaufnahmen, in denen Pina Bausch in jungen Jahren tanzt und die Wenders im Deutschen Tanzfilminstitut fand. Diese inszeniert er als ›Film im Film‹ – das Ensemble sitzt von hinten aufgenommen vor einer Leinwand, auf welche die Schwarzweiß-Bilder von einem sichtbaren Filmprojektor projiziert werden. Die Kenner von Bauschs Stücken identifizieren in diesen Soli Zitate aus Bauschs Repertoire, beispielsweise wenn Jo Ann Endicott das künstliche Nilpferd aus Arien im realen Wasser liebkost.

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Zur Entstehungsgeschichte des Films siehe die Website zum Film http://www.pina-film.de vom 11.11.2012. M. Suchy: Making-of Pina, S. 13. Vgl. ebd.

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Die Geschichte des Tanzfilms und die weitere Entwicklung der 3DTechnologie wird weisen, welchen Stellenwert Wenders’ Pina-Film in der Tanz- und Filmgeschichte einnehmen wird. Sicher ist, dass er weltweit der erste Arthouse-Film in 3D ist, obschon die tatsächliche Wirkung und Notwendigkeit der 3D-Technik in Pina für Kontroversen sorgte. 95 Anerkennung fand der Film mit einer Nominierung für die Oscars 2012 als bester Dokumentarfilm neben vier Mitbewerbern, denn auch ohne 3D-Aspekt ist Pina ein Film, der in der Handschrift eines bekannten Regisseurs den Esprit des Tanztheaters Wuppertal einfängt und vermittelt. Wenders setzte für die 3D-Aufnahmen einen speziellen Kamerakran ein. Dadurch fügt die Kamera eine weitere Ebene der Bewegung hinzu. Die Kamera bewegt sich ähnlich wie in einer früheren Adaption von Sacre, die das ZDF 1979 im Studio Hamburg drehte, zwischen den Tänzerinnen und Tänzern und folgt somit einer eigenen Choreographie, die zudem die Bewegungen des Ensembles nicht stören durfte. Mit dieser Eigenbewegung der Kamera sollte die Tiefenwirkung des Raumes unterstrichen werden, jedoch funktioniert diese nicht anders als bei einer zweidimensionalen Aufnahme. 96 Für den 3DEffekt braucht es hingegen, anders als in der damaligen Sacre-Aufzeichnung, in der nur eine Kamera verwendet wurde, zwei Kameras, um den Stereographie-Effekt herzustellen. 97 Den Parameter der Zeit setzt Wenders analog zu den Stilmitteln des Tanztheaters im Sinne einer strukturierten, aber fragmentierten Zeit mit Wiederholungen und einzelnen Momenten der Erinnerung ein. 98 Fast unmerklich vermischt er die drei existierenden Kontakthof-Versionen mit dem Ensemble, mit Damen und Herren ab 65 und Jugendlichen ab 14. Mittels einer Anfangs- und Endszene im Theater mit leerem Zuschauerraum und Blick auf eine leere Bühne wählt er eine geschlossenen Dramaturgie, wobei der Schluss den Film als Filmprojektion auf der Theaterbühne zeigt, auf der nochmals ein Solo von Pina Bausch zu sehen ist, bevor die Leinwand hochgerollt wird und die leere Bühne stehen bleibt zum Zitat von Pina Bausch: »Dance, dance, otherwise we’re lost«.

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Sowohl für den Kinoverleih wie für den Heimmarkt sind 3D- und 2D-Versionen des Films verfügbar. Zu dieser Aufzeichnung vgl. C. Rosiny: Tanz im oder fürs Fernsehen?, S. 225ff. Zur Komplexität der 3D-Technik bei Pina vgl. http://www.pina-film.de/de/ueber-3D.html vom 11.11.2012. Zur Medienästhetik des Tanztheaters siehe auch im Themenfeld 1 das Kapitel zu Pina Bausch.

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Tanz im Musikvideo Da Musikvideos als Visualisierungen von Musikstücken Tanz und Bewegung beinhalten, erstaunt es, dass unter dem Blickwinkel von Tanz im Musikvideo kaum wissenschaftliche Auseinandersetzungen zu finden sind. Peter Ruppert, Head of Music bei MTV Deutschland, schätzte den Tanzanteil in Clips 1999 auf 40 Prozent. 99 Selbst im generelleren Feld der Untersuchung von Musikvideos sind die Arbeiten überschaubar. Entsprechend bemerken Henry Keazor und Thorsten Wübbena in der Einleitung zu einer der wenigen Anthologien, Video thrills the Radio Star,100 dass ihr Band aus einem Hauptseminar 2003/04 an der Universität Frankfurt hervorgegangen sei, da sie keine Literatur zu vertiefenden Analysen von Videoclips gefunden hatten. Auch in ihrem Band wird der Tanz nicht explizit, sondern nur implizit in einer kurzen Analyse von Fatboy Slims Clip Weapon of Choice gestreift.101 Freilich ist die Geschichte des Musikvideos eine kurze, wenn man den eigentlichen Aufschwung des Genres mit dem Start des Musiksenders MTV am 1. August 1981 markiert. Eine ›goldene Ära‹ des Musikvideos ist in der Folge in den 1980er und 1990er Jahren anzusetzen. Ein Werk wie das von Andrew Goodwin als »most popular candidate for the title of ›first‹ music video« bezeichnete Video zu Bohemian Rhapsody von Queen aus dem Jahre 1975 wird vielfach schon als Geburtsstunde des Musikvideos angeführt, obschon dieser Clip die Ästhetik eines Konzertfilms aufweist.102 Heute hat sich das Abspielen von Videoclips durch die Einführung von Plattformen wie YouTube 2005 oder Myspace 2003 ins Internet verlagert.103 MTV und andere Musiksender wie VIVA existieren zwar weiter, orientieren sich in ihrem Programmschema aber an anderen Fernsehsendern und zeigen seit einigen Jahren nicht nur Clips, sondern vermehrt populäre Fernsehformate wie Serien und Shows für ein jugendliches Zielpublikum. MTV Deutschland mutierte 2011 sogar wieder zum alten Format des Pay-TV. Das folgende Kapitel kann nicht die gesamte Geschichte der Musikvideos aufarbeiten – obwohl sich wie in allen Medienentwicklungen auch beim Musikvideo Vorläufer und Vorbilder beispielsweise im visuellen Sound, im Experimentalfilm oder Filmmusical und in den Video-Jukeboxen, den Scopitones, die vor allem in Frankreich in den 1960er Jahren in Gaststätten

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Vgl. B. Heilmann: MTV tanzt, S. 40. Vgl. H. Keazor/T. Wübbena: Video Thrills the Radio Star, S. 18. Siehe hierzu das weitere Kapitel zu Fatboy Slim. Andrew Goodwin: Dancing in the Distracting Factory, S. 30. Der Begriff Videoclip wird sowohl im Deutschen wie im Englischen oftmals synonym für Musikvideo benutzt. 103 Siehe hierzu Themenfeld 6.

Themenfeld 3: Filmmusical – Tanzfilm – Musikvideo – Tanz im TV

aufgestellt waren, finden lassen.104 Breakaway (1966), ein Experimentalfilm des Avantgardekünstlers und Filmpioniers Bruce Connor (1933–2008) ist ein Beispiel, das den schnellen Schnitt der Musikclips nutzt und in seinen fünf Minuten einzig auf Tanz basiert. Antonia Christina Basilotta (Toni Basil, die später als Choreographin im Musikbereich bekannt wurde) tanzt darin in wechselnder Bekleidung oder auch nackt. Die Schnitte sind so schnell, dass die Bewegung flüchtig und verwischt wirkt, und die Bekleidung im StopMotion-Effekt wechselt. Aufgenommen hatte Connor den Tanz mit einer 16-mm-Kamera in Schwarzweiß.105 Streng genommen wird hier zwar nicht der Song ›verkauft‹, sondern dem Experimentalfilm ein Pop-Song unterlegt. Trotzdem kann die Ästhetik des Kurzfilms mit den späteren Musikvideos verglichen werden. Die Beziehungen der Videoclips im Umfeld von Fernsehformaten können im Folgenden nicht dargestellt,106 der fehlende Überblick über Tanzphänomene im Musikvideo kann nicht gegeben werden.107 Die Schwierigkeit liegt hier wie in der generellen Erfassung darin, dass Musikvideos als typische Erscheinung eines intermedialen Genres der populären Kultur derart komplexe und wechselseitige Bezüge zu Tanz- und Filmphänomenen aufweisen, dass der Anspruch einer vollständigen Darstellung nicht eingelöst werden könnte. Obwohl das Musikvideo ursprünglich für ein Produkt – die Musik – werben sollte, ist das Genre selbst zum ästhetischen Produkt avanciert und verweist damit auf die gegenseitige Beeinflussung von Kunst und Werbung, welche die Pop-Art etablierte.108 Gemäß meiner bisherigen Vorgehensweise erläutere ich im Folgenden anhand von repräsentativen Beispielen Aspekte einer Ästhetik der Musikvideos im Geflecht zwischen Tanz und filmischem Medium. Relevant für diesen Fokus sind solche Filmbeispiele, in denen der Popstar durch Tanz inszeniert oder Tanz als Visualisierung des Musikstücks eingesetzt wird. Die Inszenierung der Künstlerinnen und Künstler dient wie 104 Siehe hierzu beispielsweise das Kapitel »Von der visuellen Musik zum Musikvideo« von Peter Weibel, in: V. Bódy/P. Weibel: Clip, Klapp, Bum, S. 53–141; verschiedene Essays in: C. Hausheer/A. Schönholzer: Visueller Sound; oder das Kapitel »Pictures Came and Broke Your Heart« in: H. Keazor/T. Wübbena: Video Thrills the Radio Star, S. 55–77. 105 Vgl. J. Porter: Dance with Camera, S. 58–60. Der Clip ist beispielsweise auf der Web-Plattform Vimeo zu finden. Eine detaillierte Analyse gibt Bob Davis auf der Website Senses of Cinema unter http://www.sensesofcinema.com/2004/cteq/breakaway/ vom 11.11.2012. 106 Siehe hierzu den Band von K. Neumann-Braun: Viva MTV!; oder A. Schmidt/K. NeumannBraun/U. Autenrieth: Viva MTV! Reloaded. 107 Einen Ansatz hierzu versuchte T.J. Buckland mit E. Stewart: Dance and Music Video. Doch gelangt ihr Aufsatz nur zu wenigen generellen Aussagen, sondern konzentriert sich auf die konkrete Analyse von mehreren Beispielen mit den tanzenden Popstars Kate Bush, Paula Abdul, Michael und Janet Jackson. 108 Vgl. D. Daniels: Die Einfalt der Vielfalt, bes. S. 167.

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die filmische Umsetzung des Musikstücks der Steigerung der Bekanntheit des Stars und der Vermarktung der Musik. Die einfachste Form der Visualisierung sind Konzertfilme wie der erwähnte Clip der Gruppe Queen, in denen die Musikdarbietung auf der Bühne abgefilmt oder durch mediale Mittel erweitert wird. Neben der Heroisierung der Stars durch Untersichten der Kamera werden in Bohemian Rhapsody vereinzelt Blend-, Vervielfältigungs- und Montagetechniken verwendet, primär aber der Live-Charakter eines Konzerts beibehalten, indem beispielsweise deutlich Mikrofone im Bild zu sehen sind. In den 1970er Jahren war Lasse Hallström, Regisseur fast aller Musikclips der schwedischen Gruppe ABBA, bereits innovativer – er interpretierte musikalische Elemente visuell. Mit dem Boom der Musikvideos in den 1980er Jahren bemühten sich erste wissenschaftliche Analysen um eine Typologie.109 Einzelne formale Unterscheidungen, ob ein reiner Performanceclip, ein narrativer, nichtnarrativer Ansatz oder ein Konzept vorliegt, erachte ich für die Analyse von Tanzbeispielen als sinnvoll, obwohl eine feste Grenzziehung – analog dem Filmmusical – oft nicht möglich ist. Zu fragen ist, ob durch die Präsentation des Tanzes grundsätzlich ein Performanceclip vorliegt, ob und inwieweit andere narrative und konzeptionelle Aspekte wirken. Auch die Beziehungen Text, Musik und Tanz sollen exemplarisch angeschaut werden: Inwieweit fügt der Tanz noch eine zusätzliche Ebene zum Text und zum Bild hinzu. Zu Beginn der Auswahl steht Michael Jackson mit Thriller, denn mit diesem Clip wird Tanz im Musikvideo oft assoziiert. Parallele Phänomene in den späten 1970er und 1980er Jahren, die zu einer Popularisierung des Tanzes in den Medien führten, waren sowohl die besprochenen Tanzfilme, insbesondere solche, in denen Disco-Tänze als Phänomen der Popkultur zentral standen, als auch der Hip-Hop, der Fernsehformate füllte und schnell zum bevorzugten Tanzstil in den Musikvideos avancierte. Ähnlich den populären Disco-Tanzfilmen oder den Bollywood-Filmen wurden auch Tänze aus Musikclips zu Modetänzen, die in Tanz- und Fitnessstudios unterrichtet wurden. An drei ausgewählten Musikvideos von Björk, die Tanz respektive auffallende Körperkonzepte beinhalten und Björk als Sängerin inszenieren, werden weitere ästhetische Facetten dargestellt. Die beiden Clips von Fatboy Slim zeigen Tanz, bei dem nicht der Sänger ins Bild gesetzt wird, sondern einmal eine Amateurtanzgruppe eine einfache Choreographie im öffentlichen Raum, das andere Mal mit Christopher Walken ein bekannter Schauspieler einen Solotanz in einer Hotellobby aufführt. Die letzten beiden Beispiele beziehen sich in ihren Konzepten auf das

109 Eine Zusammenstellung der wichtigsten Arbeiten leistet beispielsweise A. Goodwin: Dancing in the Distracting Factory, S. 3.

Themenfeld 3: Filmmusical – Tanzfilm – Musikvideo – Tanz im TV

Filmmusical – bei Daft Punk erinnern die Bilder an Busby Berkeley, bei Phoneheads werden Filme ausschließlich von Fred Astaire einem Song unterlegt. Michael Jackson: Thriller (1983)

Michael Jackson hat wesentlich zum Erfolg des Musiksenders MTV beigetragen. Thriller zählt bis heute zu den erfolgreichsten und aufwendigsten Videoclips und ist immer noch das meist verkaufte Musikvideo. John Landis, bekannter Regisseur des Horrorfilmgenres, der 1981 mit An American Werewolf in London eine Horrorkomödie inszeniert hatte, führte Regie und zitiert im Clip einzelne seiner Horrorfilme, mit der Maske von Jackson auch das Werwolf-Thema.110 Die Länge von 14 Minuten weist über das für ein Musikvideo übliche Format von drei bis fünf Minuten hinaus. Auch der finanzielle Aufwand von damals einer halben Million Dollar näherte sich eher den Kosten für einen Spielfilm. Der Faktor der Verkaufsförderung als weiteres Kennzeichen des Genres spielte bei Thriller ebenfalls keine Rolle, denn das gleichnamige Album von 1981 war bereits ein kommerzieller Erfolg, bevor Single und Videoclip erschienen.111 Und die Mischung aus Horrorgenre als Mittel der Narration und Performancevideo entzieht sich ebenfalls einer klaren Klassifizierung als Musikvideo, zeigt aber den für viele Musikvideos kennzeichnenden Stilmix. Mit Thriller wurde, wie Kobena Mercer festhält, »dieser narrative Code selbst zu einer Konvention des Musikvideos«.112 Die von Michael Jackson und Michael Peters – einem ehemaligen Tänzer der Alvin Ailey Dance Company – geschaffene Choreographie in dem für Jackson typischen, vom Breakdance, Jazztanz und den Discotänzen der 1970er Jahre beeinflussten Stil, bildet neben der ›Story‹ einen zentralen Bestandteil, nimmt aber nur zwei Minuten gegen Ende des Clips in einem Instrumental- und Refrainteil zum Song »Thriller« ein. Es war naheliegend, Jacksons Image des singenden und tanzenden ›King of Pop‹ zu visualisieren, denn mit seinem »Moonwalk« in Billy Jean wurde Tanz zum zentralen Element und Kennzeichen seiner Performances. Thriller beginnt nicht mit den ersten Takten des Songs oder Tanzschritten, sondern nach einem Filmtitel »Michael Jacksons Thriller« im bluttriefenden Rot des Horrorgenres mit einer Exposition der beiden Hauptdarsteller, die in einem Auto durch einen dunklen Wald fahren. Dort gesteht Michael Jackson in einem jugendlichen Outfit der 1950er Jahre seiner Freundin, ge110 Vgl. http://en.wikipedia.org/wiki/Michael_Jackson‘s_Thriller vom 11.11.2012. 111 Vgl. K. Mercer: Die Monster-Metapher, S. 210. Mercer gibt eine inhaltliche Interpretation des Musikvideos und liest auch die Tanzsequenzen auf einem sexuell gefärbten Subtext der Androgynität. 112 Ebd.

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spielt von Ola Ray, seine Liebe. Nachdem er ihr einen Ring ansteckt und sagt, dass er ›anders‹ sei, verwandelt er sich in einen Werwolf. Sie schreit und versucht zu fliehen, doch Jackson holt sie ein und stürzt sich auf sie. Mit dem nächsten Schnitt wird dieser Prolog als Film im Film aufgedeckt, denn das Pärchen sitzt nun im Kino und schaut sich diesen Film an. Michaels Freundin verlässt voller Furcht das Kino, er folgt ihr wenig später, obwohl ihm der Film eigentlich gefällt. Das Kino ist mit einem Vincent-Price-Film »Thriller« angeschrieben, ein Verweis auf den bekannten Horrorfilmdarsteller, der im weiteren Verlauf des Musikvideos als Sprecher vorkommt. Erst jetzt, nach drei Minuten reiner Filmästhetik mit untermalendem Sound, erklingt die bekannte Thriller-Musik. Während die beiden durch die nächtliche Straße streifen, singt Jackson die ersten beiden Strophen und fügt ins Gehen einzelne tänzerische Schritte ein. Gekleidet ist er wie in seinen Bühnenshows in eine übergroße rote Lederjacke, zu kurzen Hosen und weißen Strümpfen, die seine Fuß- und BeinbewegunFilmstill aus Thriller von Michael Jackson (1983) gen akzentuieren. Das Horrorgenre wird im Bild kurz verlassen, die Freundin lächelt, doch der Musiktext und die dunkle Umgebung verweisen weiterhin auf die Geisterstunde: »It’s close to midnight and something evil’s lurking in the dark …«. Diese Sequenz visualisiert im Sinne von Musikvideos den Songtext und verdeutlicht in der Gegenläufigkeit von Textund Bildebene den Grundtenor des Clips als Parodie auf das Horrorgenre. Die Kamera begleitet die beiden beobachtend, unterstreicht die tänzerischen Beinbewegungen von Jackson, während sie einen Friedhof passieren. Aus diesem erwachen die Toten und bedienen damit das Motiv der Geisterstunde des Songtextes. Während die Kreaturen sich aus ihren Gräbern erheben, erklingt die Stimme von Price, der weitere Strophen des Songs als Rap spricht. Untermalt von dramatischem Filmsound, verfolgen und umkreisen die Zombies die beiden. Als Jackson in einem Gegenschuss vom verängstigten Paar sich ebenfalls in eine Zombie-Maske verwandelt, beginnt die Choreographie nach achteinhalb Minuten. Jackson führt die Gruppe an, die einfachen, synchronen Bewegungen folgen dem eingängigen Rhythmus des instrumental gespielten Song-Motivs. Gleichzeitig entsteht ein komplexer

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Bewegungsdialog zwischen dem Solisten Jackson und dem Kollektiv der Tänzergruppe. Dieses choreographische Spiel bildet seither den typischen Kern von Tanzchoreographien in Musikclips. Die Perspektive ist frontal in Richtung Kamera, diese bewegt sich vereinzelt in die Menge und über diese hinweg. Ein paar Nahaufnahmen der Horrorgestalten werden im Rhythmus zwischengeschnitten. Nach einer Minute singt Jackson mehrere Varianten des Refrains: »Cause this is thriller, thriller night …«. Im instrumentalen Ausklang flüchtet die Freundin in ein verlassenes Haus, und der Clip endet wieder in der Filmästhetik des Horrorgenres, als die Zombies untermalt von den Schreien der jungen Frau und Horrorgeräuschen in ihr Versteck eindringen. Zum Schluss beugen sich alle über sie. Mit einem letzten Schnitt löst sich die Horrorszene in einem Wohnzimmer als Traum auf, und Jackson sagt zur Freundin: »What’s the problem? Come on, I’ll take you home.« Jackson wendet sich noch einmal in die Kamera, wieder in der Werwolf-Maske mit den gelben Augen, und der Clip endet mit dem hämischen Gelächter von Vincent Price. Über den langsamen Zoom in das zum Lachen erstarrte Gesicht von Jackson und einem wiederholten Tanz der Zombies, die zum Refrain wieder in ihre Gräber verschwinden, folgt ein eineinhalbminütiger Abspann, der wie im Film den ganzen Produktionsstab, darunter »starring Michael Jackson«, Choreographie, Special Effects und den ›Rap‹ von Vincent Price aufführt. Die Schlussschrifttafeln vermelden, dass die Geschichte erfunden sei und dass dieser »motion picture« dem amerikanischen Urheberrecht unterliege. Die allerletzte Einstellung zeigt Vincent Price in Zombie-Maskerade. Im Clip dominiert, wie Mercer beschrieben hat, eine kinematografische Erzählweise, die fast nach aristotelischem Plan in verschiedene, mit Wendepunkten versehene Abschnitte unterteilt werden kann.113 Der Tanz illustriert die Strophen über die Nachtkreaturen, vor denen es kein Entrinnen gibt. Die Choreographie begleitet diesen Inhalt, hebt den Plot vergleichbar dem Muster im Filmmusical auf eine phantastische und parodistische Ebene. Bewegung funktioniert auf der tänzerischen wie filmischen Ebene im Zombie-Tanz als Auftritt des Stars im sich gegenseitig verstärkenden Wechselspiel von Solotanz und Gruppenchoreographie der Begleitgruppe: Die Kamerapositionen unterstreichen diese Konstellation, rücken den Star in Nahaufnahme – beispielsweise bei einem Bewegungsstopp auf den Fußspitzen – in den Mittelpunkt. Die erste Hälfte des Tanzes hat ohne Textbegleitung eine stärkere visuelle Kraft, in der zweiten begleiten ähnliche Bewegungen die Refrain-Zeilen. Die Choreographie war so eingängig, dass sie in unzähligen Tanzkursen und Schulen einstudiert wurde. Auf diese Weise hat sich der Song mit dem 113 Vgl. ebd., S. 216f.

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Tanz im kulturellen Gedächtnis visuell verbunden. Das Muster dieser Choreographie wiederholt sich in vielen Musikvideos von Michael Jackson wie Beat it, Bad, Smooth Criminal oder Black or White. Alle Musikclips werden in einem Raum inszeniert und folgen einem Zeitablauf des Tanzes. Die Choreographie stellt den singenden und in typische Posen springenden Star Jackson in den Mittelpunkt. Begleitet und umrahmt wird er von einer Tanzgruppe. Ebenso durchziehen narrative Rahmungen oder filmisch erzählende Zwischensequenzen alle seine Videoclips, von denen allerdings keines die Länge und narrative Kompaktheit von Thriller erreicht. Die Kombination von narrativen und performativen Elementen bleibt ein funktionierendes Konzept des Musikvideos. Der Tanz hat in diesem Gefüge dominierend illustrierende und illusionierende Funktionen, bei Michael Jacksons Thriller in einer einprägsamen Bildsprache. Björk: It’s Oh So Quiet (1995), Hyperballad (1996), All Is Full of Love (1999)

Die drei ausgewählten Musikvideos von Björk repräsentieren drei der in den 1990er Jahren aktivsten Musikclip-Regisseure: It’s Oh So Quiet wurde von Spike Jonze, Hyperballad von Michel Gondry und All Is Full of Love von Chris Cunningham gedreht.114 Die Musikvideos der isländischen Sängerin, Komponistin und Schauspielerin Björk, die zuerst als Sängerin der alternativen Rockband »The Sugarcubes« in Erscheinung trat, stehen beispielhaft für künstlerisch ambitionierte Musikvideos, in denen neben der Inszenierung der Sängerin das Thema und die Botschaft eines Songs sorgfältig und jeweils speziell umgesetzt werden. Ihre Stimme, die schon bei der Zwölfjährigen auffiel, deren Bandbreite und ein eklektischer Musikstil, der unterschiedlichste Elemente aus Pop, Jazz, Ambient, Avantgarde und elektronischer Musik vereint, sind zwar unverkennbar, doch die Musikvideos lassen sich nicht wie bei Michael Jackson unter einem kennzeichnenden Stil zusammen fassen. Tanz steht keineswegs im Zentrum der Inszenierung wie bei Jackson, und doch fällt ein gezielter Einsatz von Körperlichkeit und Bewegung auf. Björk nutzt das Genre des Musikvideos als zusätzliche künstlerisch-ästhetische Aussage. Da sie trotz ihrer Bekanntheit und einigen Auszeichnungen nicht wie Jackson im auf den Massengeschmack zielenden Musikbusiness, sondern im Indie-Bereich mitmischt, pflegt sie auch in der visuellen Umsetzung ihrer Songs einen unabhängigen Stil. Die drei im Folgenden besprochenen

114 Von allen drei Regisseuren gibt es in der Serie »Directors Label« DVD-Kompilationen aus dem Jahre 2003.

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Musikvideoregisseure sind gleichermaßen nicht einem bestimmten Stil wie John Landis als Vertreter des Horrorgenres verpflichtet, sondern erreichten Bekanntheit und Anerkennung durch ambitionierte Videoclips, die wie bei Spike Jonze beispielsweise durch eine »stets humorvoll-abseitige Tonlage« und eine überraschende Dramaturgie überzeugten.115 Spike Jonze, dessen bürgerlicher Name Adam Spiegel lautet, drehte ab 1989 Skateboard-Videos, realisierte ab 1992 auch Musikvideos, erfand die erfolgreiche MTV-Serie »Jackass« und produzierte 2002 einen Kinofilm Jackass: The Movie. It’s Oh So Quiet erinnert in der Ästhetik des Clips an das Musicalgenre, wenn aus dem Fluss einer erzählenden Dramaturgie unverhofft Tanzszenen entspringen. Jonze bezieht sich, wie Keazor und Wübbena erwähnen, konkret auf den 1963 von Jacques Deny mit Catherine Deneuve gedrehten Film Les Parapluies Filmstill aus It’s Oh So Quiet von Björk (1995) de Cherbourg: eine Autogarage mit ähnlichen Kameraeinstellungen und der Top-Shot auf bunte Regenschirme, der im Vorspann des französischen Films zu sehen ist, sind die konkreten Referenzen. Les Parapluies de Cherbourg ist in seiner Anlage selbst ein Unikum: kein klassisches Filmmusical, denn es gibt keine Tanznummern, dennoch werden alle Dialoge gesungen.116 Jonze hingegen setzt bewusst Tanznummern ein: Im Kontrast der ruhigeren Passagen, wenn Björk »It’s oh so quiet« singt, begleitet die Kamera die Sängerin schwebend wie in Zeitlupe, bis plötzlich mit den Refrain-Zeilen zu »until – you fall in love« oder »... starts another big riot« die Fantasiewelt des Musicals einsetzt und Björk mit unterschiedlichen Formationen Jazzschritte tanzt – zuerst in der Reifenwerkstatt, später auf der Straße. Dort passieren weitere drei Wechsel zu Tanzsequenzen mit dem Refrain, in denen nicht nur die Passanten zu professionell Tanzenden mutieren, sondern neben einer Werbefigur und drei Säulen auch ein blauer amerikanischer Briefkasten lebendig wird und mit Björk tanzt. Die mittlere Szene enthält nach akrobatischen Einlagen – einem Flick-Flack eines Herrn im grauen Anzug und

115 H. Keazor/T. Wübbena: Video Thrills the Radio Star, S. 277. 116 Vgl. ebd., S. 281.

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einem Salto rückwärts von Björk mit einem Schritt gegen die Hauswand – das erwähnte Filmzitat, in dem neun ältere Damen ihre bunten Regenschirme öffnen und Björk umkreisen, bis sie mit den wieder geschlossenen Schirmspitzen auf sie zeigen. In den ruhigen Sequenzen begleitet die Kamera Björk, in den jazzigen Refrain-Zeilen entwickelt auch die Kamera eine Dynamik mit gerissenen Schwenks. In allen Einstellungen folgt das Musikvideo einem der typischsten Grundmuster eines Musikvideos: Björk wird in einem Performance-Clip inszeniert, alles andere wie der Tanz ist visuelles Beiwerk, untersteht jedoch mit den Bezügen zu einem konkreten Film und dem Filmmusical einem klaren Konzept, das als witzige Interpretation des Songs gelesen werden kann. Dieser wiederum ist bereits eine Coverversion des 1948 durch die MGM-Sängerin Betty Hutton populär gewordenen Songs »Blow a fuse« und so eine Reminiszenz an die Musicalnummern der 1940er Jahre.117 Einen schlichten Performanceclip mit Tanz hatte Björk bereits 1993 realisiert: In Big Time Sensuality tanzt sie auf einem flachen Eisenbahnwaggon, in Schwarzweiß aufgenommen von einer starren Kamera, der sich durch die Straßen von New York zu bewegen scheint. Björk schaut singend meist in die Kamera, um zwischendurch rückwärts zu hüpfen. In punktuellen Zeitraffer- und Zeitlupen-Sequenzen wird ihre Bewegung verändert. Mit Michel Gondry, dem französischen Filmemacher und innovativen Musikvideo-Regisseur, drehte Björk mehrmals in den 1990er Jahren. Hyperballad steht nach Army of Me und Isobel in einer thematischen Reihe zum Spannungsverhältnis von Natur und Technik. Gondrys Videoclips kennzeichnet ein präziser Umgang mit musikalischen Elementen und Bewegungsabläufen.118 Gondry erprobte auch neue Techniken, beispielsweise einen »Frozen Moment« im Videoclip zum Rolling-Stones-Song »Like a Rolling Stone« von 1995: In einem eingefrorenen Moment erfolgt eine Kamerafahrt in denselben Raum. Diese Technik wurde wenig später im Kino in The Matrix (1999) perfektioniert.119 Jonze sagte einmal über seinen französischen Kollegen: »For every Video, Michel would not only come up with a concept, he would come up with a whole new technique.«120 Eine solche Vielschichtigkeit von Räumen ist auch das kennzeichnende Stilmittel in Hyperballad: Der Videoclip beginnt mit einer künstlichen Berglandschaft, in der Lichter blinken und über der stilisierte Wolken vorüber117 Vgl. ebd. Björk spielte in Lars von Triers modernem Filmmusical Dancer in the Dark im Jahr 2000 neben Catherine Deneuve und komponierte die Musik. Jonzes Vorliebe für Choreographien zeigt sich in vielen anderen Musikvideos (siehe hierzu Fatboy Slim im nächsten Kapitel). In seinem ersten Spielfilm Being John Malkovich von 1999 steht Tanz ebenfalls zentral. 118 Siehe auch Around the World von Daft Punk im entsprechenden Kapitel. 119 Vgl. H. Keazor/T. Wübbena: Video Thrills the Radio Star, S. 288ff. 120 Zit. in: ebd., S. 288.

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ziehen. In einer Überblendung erscheint eine liegende schlafende Björk, die nur einmal im Verlauf des Clips kurz die Augen blinzelnd öffnet. Diese bewegungslose Körperhaltung wird durch eine Kamerabewegung konterkariert, die den liegenden Körper gleich zu Beginn langsam in einer 90-Graddrehung in die Senkrechte bringt. Dazu erscheinen bunte rauschende Bilder, und mit einer weiteren Überblendung in Schwarzweiß ist die singende Björk zu sehen. »We live on a mountain right on the top. This beautiful view from the top of the mountain …«. Während sie singt, was sie am Abgrund stehend hinunterwirft, fliegen solche Gegenstände wie Besteck, Gläser, Flaschen als grafische Inserts durchs Bild. Die erste von zwei Bewegungssequenzen erfolgt als neue Bildebene, die vorübergehend die beiden Gesichter-Ebenen verschwinden lässt. Björk läuft puppenhaft stilisiert durch eine städtische Landschaft mit beleuchteten Hochhäusern und Strommasten. Sie führt einen Salto aus, Drehungen im schwerelosen Raum und einen Fall, bei dem die Björk-Puppe auf Glasscherben zerschellt. Stadt- und Berglandschaft, schlafende und singende Gesichter von Björk werden im weiteren Verlauf in einer fließenden Bewegung übereinandergelegt und neu gemischt. Perkussive Elemente in der Musik erscheinen als rauschende Bilder, in denen kurzzeitig quadratische rötliche Farbfelder aufscheinen. In der zweiten Laufszene liegen die Bildebenen der Gesichter übereinander, und alle Ebenen zusammen ergeben einen Bewegungsrhythmus der Bilder, die in sich nochmals durch schaukelnde Kamera- und flackernde Bildbewegungen animiert werden und so als visuelle Sinfonie des Songs erscheinen, in der Bedeutungsebenen und musikalische Aspekte des Rhythmus im Bild fusionieren. Björks Gesicht und Körper sind zwar präsent, Bewegung wird hingegen als motivierendes Prinzip des Clips auf mehreren Bild- und Bewegungsebenen eingesetzt, bis im Schlussbild fast die gleiche Bergeinstellung wie zu Beginn zu sehen ist, und damit schließt sich ein dramaturgischer Kreis – ein Ausflug in Traumwelten. 2008 produzierte Björk mit Declare Independence nochmals einen Videoclip mit Michel Gondry, der ein anderes eigenes Bewegungskonzept aufweist: Die Musik im Stil des Punks, der Björks Jugend begleitete, wird von einem einfachen Springen einer multikulturellen Gruppe in Militärkleidung begleitet. Die Bewegung wird punktuell durch ruckende Kamerabewegungen verstärkt. Das Video hatte mit dem simplen Text »Declare independence, don’t let them do that to you. Make your own flag, raise your own flag … higher, higher« einen agitatorischen Impetus und wurde von Björk auch als politische Botschaft einer Unabhängigkeitspropaganda für Grönland, Serbien oder Tibet eingesetzt. Das dritte Musikvideo von Chris Cunningham widerspiegelt kurz vor der Jahrtausendwende den Gegensatz von Technikglauben und -angst: In All Is Full of Love sind zwei Roboter zu sehen, die in ihren Gesichtszügen und

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Bewegungen deutlich an Björk erinnern. Cunningham, der sich nicht wie Jonze oder Gondry am Filmgenre orientiert, sondern seine Inspirationen aus dem Kunstkontext entlehnt und auch als Videokünstler und Fotograf arbeitet, spielt auf seine Weise mit choreographischen Elementen.121 Trotz ihres technischen Aussehens bewegen sich die beiden Roboter feinsinnig und repräsentieren so den menschlichen Körper im Verhältnis zu neuen Technologien. Die Ambivalenz zwischen Mensch und Maschine drückt sich in der Kühle der glatten weißen Oberflächen der Androiden im Gegensatz zu ihren zärtlichen Annäherungsversuchen und dem Austausch von Liebkosungen aus. Ob es sich dabei um ein heterosexuelles oder aber aufgrund der BjörkÄhnlichkeit und den angedeuteten Brüsten bei beiden Robotern um ein lesbisches Paar handelt, wie Keazor und Wübbena die Literatur reflektieren,122 scheint mir hier weniger wichtig als der Kontrast aus Maschinen-Äußerem und Menschlich-Innerem, aus mechanischen Bewegungen der Gliedmaßen und feinen, am Computer generierten Gesichtsbewegungen beispielsweise der Augenpartie. Auf der Textebene geht es mit »You’ll be given love, you’ll be taken care of, you have to trust it« um Zärtlichkeit und Vertrauen, nicht um eine sexuelle Handlung. Auch Yvonne Spielmann erwähnt in ihrem Buch zum reflexiven Medium Video den Clip, um diesen als Beispiel einer selbstreflexiven Kommunikation, einem Hybrid zwischen Mensch und Maschine am Scheidepunkt von analog zu digital und in einer mediengeschichtlichen Betrachtung nach Lacan als Materialisation des narzisstischen Spiegelbildes zu lesen.123 Da ich weniger inhaltliche Interpretationen unternommen habe, möchte ich mich hier ebenfalls nicht auf eine hermeneutische Position festlegen. Dennoch scheint in diesem Musikvideo ein größeres Projektionspotenzial zu stecken, das die Erschaffung des künstlichen Menschen thematisiert – an den Robotern wird im Clip durch weitere Roboterarme gewerkelt –, und durch die Verdoppelung des Individuums wird das vielfach kulturell tradierte Horrorszenario des multiplizierbaren Homunculus zitiert. All Is Full of Love gewann mit seinem einzigartigen Stil viele Preise, zählt zum Kanon der Musikvideo-Geschichte und ist Teil der Sammlung des Museum of Modern Art in New York.

121 Chris Cunningham zeigte auf der 49. Biennale in Venedig eine Video-Installation »Monkey Drummer«, die an Björks Video erinnert. Daneben wurde auch All Is Full of Love in Venedig gezeigt. Vgl. ebd., S. 321. Weiteres Indiz für den Kunstkontext des Musikvideos sind verschiedene Ausstellungen in Kunstmuseen wie »Art of Music Video: Ten Years After« 1991 im Long Beach Art Museum oder eine Chris Cunningham gewidmete Ausstellung 2004 der Kestner-Gesellschaft in Hannover (Ausstellungskatalog hg. von Veit Görner und Hilke Wagner). 122 Vgl. H. Keazor/T. Wübbena: Video Thrills the Radio Star, Fußnote 29, S. 369. 123 Vgl. Y. Spielmann: Video, S. 112ff.

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An den besprochenen Beispielen von Björk sollte exemplarisch deutlich werden, dass der Fokus des Tanzes im Musikvideo oftmals auf einer mehrschichtigen Ebene der Bewegung angeschaut werden muss, die nicht unbedingt als choreographische Bewegung dargestellt wird. Tanz kann als illustratives choreographisches Beiwerk nach dem Muster des Filmmusicals dienen wie in It’s Oh So Quiet, Bewegungsprinzipien können wie bei Gondry konzeptionelle Stilmittel sein, die auf der performativen wie bildlichen Ebene als Verbindung zur musikalischen Ebene filigran eingesetzt werden, oder der Körper kann im Kontext einer kulturellen Diskussion wie in All Is Full of Love in einem eigenen Konzept, hier als Vision in die Technikzukunft, inszeniert und zur Projektionsfläche werden. Der Raum wirkt wie im ersten Beispiel in einer relativen Einheit von Innen- und Außenraum, als vielschichtige räumliche, dabei flache bildliche Überlagerung im zweiten Beispiel oder als klinisch steriler Nicht-Ort im letzten Beispiel. Aus dem Raumkonzept leitet sich in allen drei Filmbeispielen der Parameter der Zeit ab: als narratives Geschehen in einem fragmentierten Ausschnitt von Zeit, einer virtuell abgehobenen, nicht an Handlungsverläufen orientierten Zeit oder einem ausschnitthaften voyeuristischen Blick in einen Laborraum, in dem Zukunft technisch manipuliert wird. Fatboy Slim: Praise You (1999) und Weapon of Choice (2001)

Hinter dem Künstlernamen Fatboy Slim verbirgt sich der britische Musiker Norman Cook, geboren als Quentin Leo Cook. Die Musikvideos Praise You und Weapon of Choice wurden beide von Spike Jonze gedreht, der in beiden Tanz als zentrales Mittel einsetzt. In Praise You tanzt Jonze als Richard Coufey mit der fiktionalen siebenköpfigen Torrance Community Dance Group eine schlichte Choreographie, die wie in It’s Oh So Quiet von Björk seinen Humor beweist. Im zweiten Teil der Choreographie, die im Eingangsbereich eines Kinos aufgeführt wird, parodiert Jonze auf groteske Weise Breakdance und führt zu den Musikklängen von Fatboy Slim aus einem Ghettoblaster schlecht ausgeführte Trippelschritte und Rollbewegungen zum Boden aus, um anschließend in einer Reihe nochmals einfache synchrone Gruppenbewegungen und theatrale Soli der Gruppe einzubauen, während als Unterstützung der komischen Verzerrung der Songtext »I have to praise you like I should« erklingt. In der Schlusssequenz umarmen sich die in Trainingsklamotten gekleideten Tänzerinnen und Tänzer. Nach dem Applaus der Umstehenden spricht Jonze in die Kamera und erklärt, dass viele Leute sagen, sie hätten ein Hip-Hop-Feeling, und ein Mittänzer erklärt, dass es auch seine (Richard Coufeys alias Jonzes) Choreographie sei – »we tell you, original stuff« – und klopft ihm auf die Schulter. Der Sänger Fatboy Slim erscheint nicht im Bild,

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obwohl Insider ihn im Video im Publikum erkennen: Er kümmert sich um die Schlange der Kinogänger, die nun zu wenig Platz zum Anstehen haben, stoppt den Ghettoblaster, und Jonze springt ihm anschließend in die Arme. Der Videoclip hat eine ästhetische Nähe zum Dokumentarischen, denn die Originalgeräusche des Schauplatzes überlagern zuweilen die Musik. Jonze kehrt die übliche Hierarchie zwischen dominanter Musik und begleitenden Bildern ins Gegenteil: 124 Fatboy Slims Musik wird zum Soundteppich eines amateurhaft wirkenden Videos, das von einer primitiven Handkamera aufgenommen wurde. Das Musikvideo erhielt dennoch 1999 bei den MTV Music Awards Auszeichnungen für »Best Direction« und »Best Choreography«. In Weapon of Choice tanzt der Hollywood-Schauspieler Christopher Walken in der menschenleeren Hotellobby des Marriott in Los Angeles. Walken, der ursprünglich Tänzer werden wollte und in einigen seiner Schauspielrollen kurze Tanzsequenzen einbaute, entfaltet hier ein grandioses Tanz-Solo, das man dem Filmstill aus Weapon of Choice von Fatboy Slim (2001) Darsteller von ernsten und unangenehmen Charakteren kaum zutraut. Nur in der Flugnummer zum Ende des Clips ließ er sich, wie Keazor und Wübbena anmerken, doubeln.125 Der clipscheue Norman Cook erscheint wiederum nur kurz, diesmal bloß in Form eines Bildporträts, das an der Wand hängt.126 Zu Beginn sitzt Walken, ein älterer Herr im grauen Anzug mit roter Krawatte, dösend in einem Stuhl. Es erklingt der scratchende Anfangssound des Songs, zu dem Walken nach einem Blick auf einen Wagen zur Reinigung der Zimmer zuerst kleine Kopfbewegungen beginnt, dann aufsteht und zum härteren rhythmischen Musikeinstieg zu tanzen beginnt. Mit markanten Bewegungen tanzt er durch die Halle, öffnet eine Schwingtüre, schaut wiederholt in die Kamera, drückt den Klingelknopf auf der Theke der Rezeption, rollt auf einem Wäschewagen, fährt mit Blick in die Kamera tanzend rückwärts eine Rolltreppe hoch, um in einer sich steigernden Dynamik – 124 Vgl. H. Keazor/T. Wübbena: Video Thrills the Radio Star, S. 280 und 283. Der Clip ist auf der ubu.com-Website zum Tanz zu finden. 125 Vgl. ebd., Fußnote 35, S. 245. 126 Abb. 5 auf S. 233 in: ebd.

Themenfeld 3: Filmmusical – Tanzfilm – Musikvideo – Tanz im TV

begleitet von Kamerafahrten – scheinbar durch die Galerie des ersten Stocks zu schweben. Der Bewegungsfluss erinnert durchaus an Fred Astaire, nur schaute dieser selten in die Kamera, sondern konzentrierte sich auf seinen Tanzauftritt. Es folgt ein Tanz auf einem Tisch, die Bewegungen akzentuieren den eingängigen Rhythmus der Musik. Der komplexe, teilweise auf Frank Herberts Roman »Dune« verweisende Text wird nicht explizit visualisiert. Dieser läuft parallel wie auf einer eigenen kryptischen Bedeutungsebene, so dass in diesem Musikvideo vor allem Musikrhythmus und Körperbewegung synchron verlaufen. Einzig die häufige Wiederholung der Phrasen »You can blow with this or you can blow with that …« verstärken die hypnotisch treibende Kraft: Nach einer Aufzugfahrt und einem Sprung von der Galerie vollführt Walken den eindrücklichen Flug durch die Hotelhalle, der an choreographierte Martial-Arts-Szenen wie in Crouching Tiger, Hidden Dragon, der im gleichen Jahr in die Kinos kam, erinnert. Walken schwebt vor einem riesigen Bild mit drei Segelbooten und landet mit dem Musikende auf dem Boden der Lobby, um wieder in die ursprüngliche Haltung auf dem Stuhl zu sinken. Weapon of Choice erhielt 2001 insgesamt sechs MTV Music Awards. Die beiden Videoclips von Fatboy Slim/Spike Jonze zeigen als Variante des Einsatzes von Tanz, dass Bewegung nicht vom Musikstar ausgeführt werden muss, sondern – je nach konzeptioneller Intention wie bei Walken – von einem anderen Star oder von irgendeiner Gruppe aufgeführt werden kann. Bemerkenswert an dem Auftritt der Torrance Community Dance Group ist, dass ein solcher Auftritt Entwicklungen im zeitgenössischen Tanz der 1990er Jahre widerspiegelt, in dem die Vermittlung des Tanzes, der Einbezug von Amateuren, Jugendlichen oder Senioren zunehmend Bedeutung erlangte. Aus dieser Bewegung, die in England ihren Ursprung hatte, entstanden Dokumentarfilme wie Rhythm Is It! mit Royston Maldoom und Sir Simon Rattle im Jahr 2004, der ein Aufführungsprojekt von »Le Sacre du Printemps« in Berlin begleitet. Während in Praise You die Bewegung folglich als witziger Kontrast erscheint, überrascht die präzise Bewegungsausführung von Christopher Walken in Weapon of Choice und verstärkt die treibende Kraft der rhythmischen Musik. Während die Handkamera in Praise you dokumentarisch beobachtend bleibt, verstärken die gleitenden Fahrten in Weapon of Choice die Tanzbewegung. Wie in den Beispielen von Björk sind bei den Parametern Raum und Zeit keine speziellen Funktionen festzustellen. Die gewählten Räume bilden die Rahmung der Bewegungsinszenierung, die Hotellobby hat durch die offene Halle, die erst den Flug erlaubt, etwas Spektakuläres, während der öffentliche Raum in Praise You zufällig wirkt. Mit diesem Auftritt nimmt Jonze allerdings ein Phänomen vorweg, das erst zehn Jahre später im Zuge breiter Internetkommunikation auftritt: Die Performance erinnert an den

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(in diesem Fall als Werbung) inszenierten Flashmob von T-Mobile, der 2009 im Liverpooler Hauptbahnhof aufgeführt wurde.127 Zeit ist in beiden Beispielen an die Kontinuität des Bewegungsauftritts gebunden, Schnitt und Montage stellen sich in den Dienst des zu dokumentierenden Tanzes, einzig der Flug von Walken wirkt durch Zeitverzögerung akzentuiert. Daft Punk: Around the World (1997) und Phoneheads: Link Up (2002)

Im Videoclip des französischen Housemusic-Duos Daft Punk – das sind Guy-Manuel de Homem-Christo und Thomas Bangalter – zeigt der Regisseur Michel Gondry nochmals seine Stärke in der Visualisierung von Bewegung im Bild. Wie in den Werken von Fatboy Slim treten in diesem Videoclip die Künstler selbst nicht auf. Die beiden zeigen – inspiriert durch das neutralisierte Auftreten der deutschen Gruppe Kraftwerk – ihre Gesichter seit der Jahrtausendwende nie Filmstill aus Around the World von Daft Punk (1997) in der Öffentlichkeit, sondern treten anonymisiert mit Masken auf. Die Videoclips aus dem ersten Album »Homework« – neben Around the World auch das Musikvideo zu »Da Funk« von Spike Jonze – verhalfen Daft Punk durch ihre einprägsamen Bilder zu Bekanntheit. Die Musikvideos erzielten, wie Keazor und Wübbena schreiben, durch die Originalität Kultstatus.128 Die eingängige Musik wurde von Gondry analytisch zerlegt und in einem comicartig bunten Setting in fünf Bewegungsformationen visualisiert. Jede Musiklinie wird von einem einheitlich kostümierten Quartett in eigenen Tanzschritten dargestellt, beispielsweise die Basslinie von Riesen, die künstliche kleine Köpfe haben und auf Brusthöhe wie bei Fasnachtsfiguren aus dem Kostüm schauen, während sie Breakdance-Bewegungen ausführen. Ein weiteres Quartett visualisiert in Skelettkostümen einen schnellen Grundbeat, vier weitere in weiße Bandagen gewickelte Figuren und vier in Glitzertrikots und -kappen Gekleidete ergänzen den rhythmischen

127 Siehe hierzu im Themenfeld 6 das Kapitel zur digital kommunizierten Choreographie. 128 Vgl. H. Keazor/T. Wübbena: Video Thrills the Radio Star, S. 399.

Themenfeld 3: Filmmusical – Tanzfilm – Musikvideo – Tanz im TV

Klangteppich mit isolierten Körperbewegungen, die genau auf die Rhythmusschläge der Musik erfolgen. Giulia Gabriella analysiert den Clip und stellt ebenfalls die strenge Verbindung zwischen Bild/Tanzformationen und Musik heraus, die weder zu einem narrativen Musikclip noch zu einem Performanceoder konzeptionellen Clip passt, sondern Gondry verknüpft jedes Instrument der Musik mit einem choreographischen Element.129 Gabriella schlägt für Around the World eine neue Kategorie des Musikclips vor: »choreographic music video«, bei der nicht die Popstars, sondern andere Gesten, Körperbewegungen und Tanzschritte ausführen.130 Die metallische Vocoder-Stimme wird von in Astronautenkostümen gekleideten Robotern in Szene gesetzt, die abgehackte BeFilmstill aus Link Up von Phoneheads (2002) wegungen ausführen. Die Choreographie wird auf einer durch Treppen abgestuften runden Bühnensituation präsentiert, über welche die Gruppen hinauf- und hinuntersteigen. Erinnerungen an Großformationen des Filmmusicals eines Busby Berkeley werden wach, insbesondere durch die Verwendung eines längeren Top-Shots; gleichzeitig wirkt die verwandte Inszenierung in ihrer Vereinfachung und blinkenden Buntheit wie eine Parodie auf das Genre. Das monotone Textmotiv »around the world« wird durch eine runde Bühne, gebogene Treppen und schreitende Fortbewegungen im Kreis und die Kreisform unterstützende Kamerabewegungen veranschaulicht. Das räumliche Rundmuster erscheint im Top-Shot überdeutlich, und zum Schluss vereinigt sich die ganze Gruppe in einer einheitlichen Choreographie. So simpel wie die ganze Anlage des Videoclips ist, so markant und einprägsam bleibt das Konzept, das die Musik über Bewegung synchronisiert, oft überdeutlich durch sogenanntes »Mickeymousing«, d.h. exakte Bild-/Ton-Synchronität, ins Bild übersetzt. Allerdings wird hier anders als bei einem Trickfilm nicht der Ton exakt zum Bild gesetzt, sondern umgekehrt Bewegung und Schnitt zur bereits existierenden Musik.131 Around the World

129 Vgl. G. Gabrielli: An Analysis of the Relation between Music and Image, S. 100. 130 Ebd., S. 101. 131 Vgl. ebd., S. 104.

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erfüllt die Grunddefinition eines Musikvideos, Musik zu visualisieren, in direkter Übersetzung, ohne die Sänger selbst in Szene zu setzen. Auch das letzte Filmbeispiel erinnert an das Filmmusical respektive zeigt Filme mit Fred Astaire, denn Link Up ist ein sogenanntes Mash-upVideo, das Material aus anderen Filmen zu einem neuen Clip komponiert. Zu einem metallenen Musikklang ertönt ein differenzierter Songtext der Düsseldorfer Drum & Bass-Formation Phoneheads, die seit 1997 als Duo, bestehend aus Philipp Maiburg und Michael Scheibenreiter, arbeitet. Die Bilder komponierte Markus Bader – es sind ausschließlich schwarzweiße Filmzitate aus bekannten Astaire-Filmen, vorwiegend Tanzszenen einschließlich der Bojangle-Hommage aus Swing Time, aber auch Dialogsequenzen zwischen Fred Astaire und Ginger Rogers. So sprechen die Worte des Songs scheinbar aus Astaires Mund. Und obschon man weiß, dass dies nicht Astaires Worte sind, funktioniert die Synthese von Ton und Bild im Kopf des Zuschauenden, entstehen Witz und Wirkung aus der unpassenden Kombination der monotonen Phoneheads-Stimme zu Astaires zierlicher Figur. Auch die Tanzschritte passen auf den Rhythmus der Musik – unser Gehirn verschaltet Bild und Ton zu einer Harmonie. Natürlich besteht das Konzept des Videoclips aus einer geschickten Auswahl der Filmschnipsel und einer entsprechenden Montage, die diese Synchronizität ermöglichen. Das Konzept ist einfach und stringent – nur in der Mitte des Videoclips ertönt als Insert Ginger Rogers’ Originalstimme zum entsprechenden Filmbild aus Top Hat: »It’s more than an experience, it’s sort of a romance, isn’t it?« Die Aussage wirkt gleichsam als Kommentar auf die ›Romanze‹ des Songs mit den Filmmusical-Schnipseln. Die letzten beiden Beispiele veranschaulichen, dass Bewegung sowohl genau zur Musik choreographiert als auch aus bestehendem Material zur Musik montiert werden kann. Während in Around the World die Choreographie in eine einzige theatrale, aber an die Studiosituation des HollywoodFilmmusicals erinnernde Raumsituation gesetzt wird, werden in Link Up Raum- und Zeitfragmente neu zusammengesetzt, woraus mithilfe des Bewegungsflusses in der ästhetischen Wahrnehmung eine neue raumzeitliche Kontinuität entsteht. Die Bilder behalten eine die Musik illustrierende Wirkung. Die Zusammenstellung auffallender Beispiele hat gezeigt, dass Tanz im Musikclip in unterschiedlichen Funktionen eingesetzt werden kann. An den Beispielen sind Aspekte einer groben Unterteilung von Musikvideos erkennbar: Tanzperformance mit oder ohne Gruppe oder Popstar, Tanz und Bewegung als weitere Ebene der Narration wie im Filmmusical, indem Tanzszenen illusionäre Aspekte visualisieren oder Teilaspekte von Text oder Musikrhythmus illustrieren, oder Tanz ist wie in den letzten Beispielen Teil des zentralen

Themenfeld 3: Filmmusical – Tanzfilm – Musikvideo – Tanz im TV

Konzepts eines Videoclips. Tanz ist im Dreieck von Musik – Text – Bild ein verbindendes oder kontrastierendes Element, das im Bild erscheint und direkte Bezüge zu Text und Musik haben kann, aber nicht muss. Musik und Bewegung können im Musikvideo eng verknüpft sein, doch erst mittels eines visuellen Konzepts erhält der Tanz mehr als einen illustrierenden Stellenwert. Tanz kann folglich das breite ästhetische Spielfeld der Musikvideos erweitern – und dies scheint eine aktuelle Tendenz zu sein, betrachtet man die vielen Clips mit Breakdance oder die Beispiele von Beyoncé oder Lady Gaga. Mit Tanz im Musikvideo wird nicht nur der Marktwert der Musik verstärkt, sondern gelungene Musikvideos bleiben dank dem Tanz als starke visuelle Werke im kulturellen Gedächtnis. Zeitgenössischer Tanz – Tanz im Musikvideo

Dass sich Popstars wie Beyoncé auch im kulturellen Gedächtnis des zeitgenössischen Tanzes bedienen, zeigte ein Vorfall im Oktober 2011: Blitzschnell verbreitete sich die Nachricht im Internet, dass Beyoncé in ihrem neuen Clip Countdown Bewegungen wie Filmeinstellungen bei der belgischen Choreographin Anne Teresa De Keersmaeker geklaut habe – aus der von Thierry de Mey 1997 realisierten Filmversion eines ihrer ersten Stücke, »Rosas danst Rosas«, und aus einer Filmadaption der Choreographie »Achterland« von 1994. Es kursiert im Netz eine vom Studio Brüssel angefertigte Montage der entsprechenden Passagen, welche die konkreten Stellen offenlegt. De Keersmaekers Antwort auf dieses Plagiat zeugt vom Verhältnis des zeitgenössischen Tanzes zum Musikvideo: »On one hand I am glad that Rosas danst Rosas can perhaps reach a mass audience which such a dance performance could never achieve … and, Beyoncé is not the worst copycat …« Wieso erreicht ein experimentelles Tanzstück nach dreißig Jahren plötzlich ein Massenpublikum, merkt sie im Weiteren als Frage an. Der Streit um das Urheberrecht ist ein Aspekt dieses Vorfalls – unbekannt ist, ob sich die Parteien überhaupt geeinigt haben, zumal der Nachweis im Tanz schwieriger ist als beispielsweise in der Musik, wo festgelegt ist, ab wie vielen Takten es sich um eine Kopie handelt. Der andere für das Thema interessante Aspekt ist, dass sich – wie ich ausgeführt habe – gerade das Genre des Musikvideos bei allen möglichen Quellen ›bedient‹ und wiederum Musikvideos auf andere Genres wirken. Beyoncé hat zugegeben, dass sie sich von De Keersmaekers Videos hat ›inspirieren‹ lassen, aber auch betont, dass noch viele weitere Anspielungen in ihrem Clip stecken. Sie hatte sich für ihren Clip zu »Single Ladies (Put a Ring on It)« bei Bob Fosse, der als Choreograph und Regisseur beispielsweise durch den Film Cabaret (1972) bekannt wurde, bei seinem aus

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dem Jahre 1969 stammenden Tanz »Mexican Breakfast« ›bedient‹. Und wer Musikvideos auf solche Referenzen überprüft, wird in vielen Beispielen zuhauf fündig. Solche ›Inspirationen‹ und Re-Mades, Samples usw. sind natürlich auch dadurch leichter realisierbar und populärer geworden, dass sich die Distribution der Musikvideos fast vollständig ins Internet verlagert hat und dort im Weiteren auch Plagiate und Parodien von Amateuren zu Musikclips verbreitet werden.132 Im Zusammenhang mit dem zeitgenössischen Tanz möchte ich noch ein Thema erwähnen: Schon in den 1980er und 1990er Jahren choreographierten zeitgenössische Choreographen wie beispielsweise Édouard Lock der kanadischen Gruppe LaLaLa Human Steps für David Bowie Fame oder für Carole Laure Save the Last Dance. In beiden Clips versuchen sich die Pop-Stars im Tanz mit Locks Startänzerin Louise Lecavalier. Auch Philippe Decouflé choreographierte für die britische Band New Order True Faith oder schuf einige markant choreographierte Werbeclips.133 Wahrscheinlich geschah dies nicht nur aus finanziellen Gründen, sondern die hohe Präsenz im Musikfernsehen war schon damals verlockend, denn die jeweilige Bewegungssprache und ihre Urheber sind klar erkennbar.

Tanz im TV Fernsehen als Massenmedium ist Gefäß, Übertragungsmedium für alle möglichen Sendeformate und Genres. Und die Übertragung einer dreidimensionalen Raumkunst in ein kleines zweidimensionales Abbildungsmedium bedeutet zwangsläufig ein Verschwinden von körperlicher und räumlicher Präsenz. Rudolf Arnheim formulierte in seinem Aufsatz »A Forecast of Television« bereits 1935 zur Zeit der ersten Fernsehversuche vor dem Zweiten Weltkrieg: »To be sure, it is a mere instrument of transmission, which does not offer new means for the artistic interpretation of reality – as radio and film did.«134 Obwohl auch die Fernsehtheorie in einer Anfangsphase versuchte, eine Kunsttheorie zu formulieren,135 und ab den späten 1950er bis 1970er Jahren im öffentlich-rechtlichen Fernsehen experimentelle Formen und Kunstformate erprobt wurden, verschwindet der Kunstanspruch seither zunehmend; Kunst ist allenfalls Nischenprodukt, das im Fernsehmedium zu unpopulärer Sendezeit angeboten wird. Aufgrund der Entstehungs- und 132 Zu weiteren Phänomenen der Internetkultur siehe Themenfeld 6. 133 Zu True Faith von Decouflé vgl. S. Dodds: Dance on Screen, S. 53ff., und T.J. Buckland: Dance and Musicvideo, S. 72ff. 134 R. Arnheim: A Forecast of Television, S. 194. 135 G. Eckert: Die Kunst des Fernsehens.

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Verbreitungsgeschichte des Fernsehens aus dem Rundfunk dominieren Informations- und Dokumentationsanspruch und eine entsprechende an der Realität orientierte Ästhetik. Tanzsendungen widerspiegeln im Verlauf der Geschichte technische Entwicklungen – zuerst wurden Live-Übertragungen gesendet, da es noch keine Aufzeichnungsmöglichkeiten gab, anschließend wurden verschiedene Transferformen von der Bühne auf den Bildschirm gesendet. 136 Fernsehen orientierte sich zu Beginn wie der Film in seinen Anfängen an den älteren ›Medien‹, »am Veranstaltungsrahmen des Theaters und Kinos«.137 Insbesondere die Live-Ausstrahlungen, die Fernsehübertragungen aus den Theatern standen dem Theater-Ideal nahe. Zu Beginn des Fernsehens konzentrierten sich die Programmmacher auf Blöcke von zwei Stunden, die als Ganzes funktionierten und ohne Unterbrechung in den Abendstunden geschaut werden sollten: Der Werkbegriff des Theaters wurde ins Fernsehen übertragen.138 Mit der Ausweitung des Programms überwog bald die typische Nummerndramaturgie der Unterhaltungsmedien, und das Prinzip der Unterbrechung wurde durch die Einführung von Werbeblocks erweitert. Es war der Bildungsauftrag des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, der den Anspruch legitimierte, die Bühnenkünste aus den Theatern in die Wohnzimmer zu bringen – in den 1990er Jahren wurden im Zuge neuer intermedialer Entwicklungen vereinzelt sogar Beispiele des Videotanzes gesendet.139 In der Folge von Quotenkämpfen zwischen den öffentlich-rechtlichen und den ab Mitte der 1980er Jahre aufkommenden privatwirtschaftlich geführten Sendern sind solche Experimente aus den Programmschemata so gut wie verschwunden. Selbst der deutsch-französische Kultursender arte hat seinen explizit dem Tanz gewidmeten Sendeplatz eingestellt.140 Stattdessen werden Reality-Elemente, Unterhaltungsanspruch und Showcharakter in Tanzformate transferiert. Phänomene hybrider Programmformen wie Infotainment oder Dokusoap, Zersplitterung und Fragmentierung in Form von wachsenden Spartenkanälen, digitalen Fernsehsendern und Internetangeboten wirken sich auch auf Tanz im TV aus. Computer und Internet haben unterdessen das Fernsehen als Leitmedium der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts abgelöst.141 Zwei Gegenpole der Fernsehentwicklung werden in den folgenden beiden Abschnitten herausgegriffen: Kunstansprüche in Choreographien für das Fernsehen von Hans van Manen, Birgit Cullberg und Merce Cunningham 136 Eine differenzierte Typologie hierzu habe ich an anderer Stelle aufgestellt. Vgl. C. Rosiny: Tanz im oder fürs Fernsehen? 137 K. Hickethier: Fernsehästhetik, S. 191. 138 Vgl. ebd., S. 192f. 139 Siehe hierzu Themenfeld 4. 140 T. Mustroph: »arte«. 141 Siehe hierzu Themenfelder 4 und 5.

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aus den 1960er und 1970er Jahren und ein Beispiel einer Tanzshow, um die erwähnten Fernsehentwicklungen zu beleuchten. Kunstformate im Fernsehen: van Manen, Cullberg und Cunningham

Die ausgewählten Beispiele von van Manen, Cullberg und Cunningham wurden explizit für eine Fernsehausstrahlung geschaffen. Diese Einzelphänomene der Frühzeit des Fernsehens widerspiegeln den kurzzeitigen Kunstanspruchs des TV-Mediums. Experimente in dieser Zeit waren auf die Produktionsmittel des Fernsehens angewiesen, da nur die Fernsehanstalten sich das teure neue elektronische Medium leisten konnten. Die Fortsetzung künstlerischer Arbeiten verlagert sich ab Mitte der 1970er Jahre in den freien Videobereich, denn ab dieser Zeit wurde Videoequipment erschwinglicher. Auffallend ist an den folgenden Beispielen, dass sich die Choreographin und die Choreographen bewusst mit dem neuen Medium auseinandersetzten und ästhetische Umsetzungen entwickelten, die sich von der Guckkastenästhetik des Theaters auf unterschiedliche Weise entfernen. Hans van Manen: Kain und Abel (1961) Hans van Manen (*1932) erhielt 1961 vom niederländischen Fernsehsender VPRO den Auftrag, ein »TV-Ballett« zu kreieren. In Kain und Abel, einer 23-minütigen zeitgenössischen schwarzweißen Interpretation der biblischen Erzählung, die van Manen mit dem 1959 gegründeten Nederlands Dans Theater realisierte, wechseln die Szenen zwischen Fernsehstudio und Außenschauplätzen. Auffallend ist, dass zwar durch die Aufnahme mit einer einzigen, oft starren Kamera und wenigen Schnitten meist eine beobachtende Perspektive gewählt wird; dennoch lehnt sich der Kameraraum nicht an eine Guckkastenbühne an, sondern die Einstellungen folgen einer filmischen Logik und Kameraperspektive, bei der mittels Zoom mit den Größenverhältnissen der Tänzerinnen und Tänzer gespielt wird und vereinzelt Großaufnahmen und Teileinstellungen der Körper gezeigt werden. Die Kamera-Choreographie hat verschiedene Teile, die durch das jeweilige Setting, »szenische Environments«142 des Bühnenbildners Jean-Paul Vroom, definiert sind. Der erste Teil ist eine Gruppenchoreographie im Fernsehstudio, das wie ein Campingplatz eingerichtet ist, die zweite Szene spielt in einem Dekor von antiken Ruinen. In dieser Sequenz streiten Kain (Jaap Flier) und Abel (Gérard Lemaitre) um das gemeinsam begehrte Mädchen (Hanny van Leeuwen), bis Kain seinen Bruder 142 J. Schmidt: Der Zeitgenosse als Klassiker, S. 26.

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tötet. Die Musik ist in verschiedenen Passagen jazzig-rhythmisch, in der langen Traumszene melodisch-klassisch. In der nächsten Sequenz läuft Kain durch die dunklen Straßen von Amsterdam. Die Kamera verfolgt ihn, bis er auf einen Kahn in einer Gracht springt. In dieser Traumsequenz tanzt er einen klassischen Pas de deux mit dem Mädchen, um das er sich mit seinem Bruder gestritten hatte. Die Kamera verfolgt die beiden, die ihr Duett im Hafengelände, vor einer Dächer-Silhouette und auf einer Wiese fortsetzen, bevor das Mädchen entschwindet. Nach einer weiteren Choreographie im Campingplatz-Dekor, in der die Gruppe Kain verstößt, endet der Film mit einer langen Überblendung auf eine dreispurige leere Autostraße mit großen Pfeilmarkierungen, auf der Kain an der nächsten Abzweigung vorbei geradeaus geht. Die Aufzählung der Szenen macht deutlich, dass Kain und Abel mit narrativen Elementen arbeitet, ohne eine stringente Geschichte darzustellen. Die Vorlage wird angedeutet, der Film lebt vom Wechsel der Szenen und erinnert in seiner Ästhetik an den Film Noir, durch den sich van Manen inspirieren ließ.143 Kain und Abel ist ein sehr frühes TV-Ballett mit einer filmischen Ästhetik, die keine Verwandtschaft zu einer Bühnenaufzeichnung hat. Van Manen schuf noch weitere Kamerachoreographien. In der elfminütigen Fernsehfassung von Trois Gnossiennes (1986) umkreist beispielsweise die Kamera in einer ständigen Bewegung einen in einer gigantischen menschenleeren Fabrikhalle getanzten Pas de deux, so dass sich beim Zuschauen fast ein Schwindel einstellt. Van Manen ist zwar weniger bekannt für den Videoeinsatz auf der Bühne oder Fernsehwerke als beispielsweise Merce Cunningham, doch sind seine Werke zweifelsohne innovativ und beispielhaft.144 Birgit Cullberg: Rött vin i gröna glass (1970) und Revolt (1972) Birgit Cullberg (1908–1999), die bei Kurt Jooss studierte und neben Birgit Åkesson als Mutter des modernen Tanzes in Schweden gilt, gründete in Stockholm das Cullbergballett. Ähnlich wie van Manen schuf auch Cullberg früh erste TV-Ballette, beispielsweise Wicked Queen (1960), das in Schwarzweiß produziert wurde und 1961 den renommierten Fernsehpreis »Prix Italia« gewann. Sie reflektierte zudem ihre Arbeit fürs Fernsehen in verschiedenen Interviews und Aufsätzen.145 Cullberg orientierte sich an der Ästhetik der star143 Als passionierter Kinogänger ließ sich van Manen in den 1960er Jahren vom französischen Kino der »Nouvelle Vague«, beispielsweise von Alain Resnais und Jean-Luc Godard, beeinflussen. Vgl. ebd., S. 182. 144 Zum Videoeinsatz bei van Manen siehe das Kapitel »Videoeinsatz im jüngeren Bühnentanz« im Themenfeld 2. 145 Siehe hierzu: B. Cullberg/M. Reuterswärd/B. Lauritzen: Dance in New Dimensions. Diese Publikation umfasst neben einem Gespräch zwischen Cullberg und TV-Produzent Reuters-

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ren Kamera im frühen Film und plädierte dafür, die Bewegung den Tanzenden und nicht der Kamera zu überlassen und trotzdem einen medial bewussten Transfer von einer großen Bühne auf einen kleinen Bildschirm zu vollziehen. Für dieses flache Bild lehnte sie sich an Perspektiven aus der Malerei an, zeichnete Storyboards und inszenierte Close-ups, um eine Tiefenwirkung zu erzielen, allerdings verwendete sie nie einen Zoom, sondern ließ die Tanzenden sich auf die Kamera zu bewegen.146 Cullberg setzte häufig Bluebox-Effekte ein, erstmals in Rött vin i gröna glass (1970): »All sorts of experiments with electronic techniques can give new artistic effects.«147 Sie erkannte ein kreatives Potenzial im Fernsehmedium: »Television creates new choreographic possibilities.«148 In Rött vin i gröna glass und Revolt (1972) spielt sie mit damals neu eingeführten elektronisch gestanzten Kulissen, die zuerst in Nachrichtenund Kindersendungen gebraucht wurden. Durch das Übereinanderlegen von Einstellungen und den Gebrauch von Split Screens schafft sie in manchen Filmstill aus Revolt, Choreographie und Regie: Birgit Cullberg (1972) Sequenzen nicht nur ungleiche Größenverhältnisse der Tanzenden und setzt gezielt Nahaufnahmen beispielsweise von Händen und Armen ein, sondern spielt mit Perspektiven, wenn sich beispielsweise in Rött vin i gröna glass durch einen Top-Shot das Paar, das diesen 15-minütigen Pas de deux tanzt, scheinbar schwerelos durch einen Wolkenhimmel dreht. In Revolt dient der Top-Shot dazu, eine Gruppenchoreographie ornamental wie eine lebendige Illustration des Bühnenbildes zu zeigen. Die Kulissen wirken künstlich und unterstreichen die Zweidimensionalität des Bildschirms. Als Inspiration zu Revolt dienten die Kupferstiche von Kerkern von Giovanni Battista Piranesi aus dem 18. Jahrhundert. Während in Rött vin i gröna glass die durch Gemälde aus dem 18. Jahrhundert von Jean-Antoine Watteau u.a.

wärd ein VHS-Videoband mit Ausschnitten von elf TV-Arbeiten; B. Cullberg: Television Ballet; dies.: The Influence of Television Techniques on the Creation of Ballet; dies.: Ballet on Stage and in TV. 146 B. Cullberg/M. Reuterswärd/B. Lauritzen: Dance in New Dimensions, S. 16. 147 B. Cullberg: Television Ballet, S. 142. Rött vin i gröna glass gewann 1971 den Prix Italia. 148 Ebd., S. 140.

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inspirierten Hintergründe mittels Diaprojektionen auf die blauen Studiowände geworfen wurden, wurde in Revolt ein mehrstufiges Chromakey-Verfahren eingesetzt, dank dessen die Tänzerinnen und Tänzer im vorher gestanzten Bühnenbild und in unterschiedlichen Größenverhältnissen mit einem gigantischen Gulliver agierten.149 Cullberg distanziert sich mit solchen Bildwelten deutlich von einem Bühnenraum, lässt ihre Tänzerinnen und Tänzer durch die elektronischen Tricks in diese künstlichen Bildräume eintauchen. Die Kulissen mit künstlichen Landschaften in Rött vin i gröna glass bewegen sich vereinzelt, oder die Tänzer springen in Revolt aus dem Bild, um nach einem Schnitt wieder in einem nächsten zu landen; sie scheinen an den Mauern der Kerker empor zu klettern, um alsdann wieder hinunter zu rollen. Fliegen und Fallen bewirken eine medial initiierte kinästhetische Wirkung, die losgelöst ist von einer dem Boden verhafteten Schwerkraft. In Cullbergs Bildern fehlt die Bodenhaftung, es gibt keinen Tanzboden oder Hintergrund, sondern die Bildfläche ist ein gesamter flacher Bildraum ohne Horizontlinie, den sie wie eine Box nutzt – Choreographie und Bewegung stehen in einem Dialog mit dem zweidimensionalen Bildraum. Wie van Manen setzt sie Überblendungen ein, um Traumbilder zu schaffen. In Revolt bleibt ein Körper wie tot liegen, während in der Überblendung die gleiche Person sich erhebt und eine eigene Bildreise beginnt. Cullbergs Ansatz zeigt eine für das elektronische Fernsehmedium spezifische Ästhetik, die allerdings auf die 1970er und 80er Jahre und eine bestimmte Musikvideo-Ästhetik beschränkt blieb. Birgit Cullberg nutzte die Massentauglichkeit des Fernsehens: 1984 schuf sie nochmals in der ChromakeyTechnik Abballet zur Musik der schwedischen Popgruppe ABBA, die sie verehrte. So wollte sie jüngere Zuschauende für das Ballett gewinnen.150 Merce Cunninghams Fernseharbeiten – Blue Studio: Five Segments (1975) Merce Cunninghams Choreographien wurden wie diejenigen von van Manen und Cullberg ab den 1950er Jahren im Fernsehen vermittelt, beispielsweise in der den Künsten gewidmeten Sendung »Camera Three« des New

149 Reuterswärd erklärt die jeweiligen technischen Verfahren zu jedem Videobeispiel, vgl. B. Cullberg/M. Reuterswärd/B. Lauritzen: Dance in New Dimensions, S. 106, und Interview S. 34. 150 Vgl. ebd., S. 52ff. Der Song »Kisses of Fire« wird mit einem klassischen Pas de deux illustriert. In den knapp drei Minuten gibt es keinen Schnitt, und die Kamera zoomt nur kurz. Birgit Cullberg suchte eine visuelle Umsetzung der ABBA-Texte. Verschiedene Stücke des Videos sind im Netz zu finden, darunter eine 10minütige Version mit den ersten drei ABBA-Titeln auf YouTube. 1991 trat Cullberg selbst noch einmal in einem Tanzvideo ihres Sohnes Mats Ek auf: The Old Woman and the Door.

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Yorker Senders CBS, die am Sonntagmorgen ausgestrahlt wurde.151 Diese Programme waren vergleichbar mit den erwähnten Vermittlungsformen im europäischen Fernsehen. Auch im amerikanischen TV gab es Beispiele für experimentelle Formen: Cunningham gestaltete 1974 zusammen mit Charles Atlas, der lange Zeit als fest angestellter Filmemacher bei der Cunningham Dance Foundation wirkte, unter der Regie von Merrill Brockway beim erwähnten CBS-Sender eine 50-minütige Sendung A Video Event, die verschiedene Choreographien vereinte; zwei Jahre später entstand nach dem gleichen Muster Event for Television. Diese Sendung, die unter anderen Werken Cunninghams erste Choreographie für die Kamera, Westbeth, und ein Stück mit dem Titel Triangle for Video enthielt, wurde im Rahmen der »Dance in America«-Serie im öffentlichrechtlichen Sender WNET ausgestrahlt. »The excerpts that were from the repertory were remade and angled for the camera; in some cases they were shortened, as I feel one receives information quicker and more Filmstill aus Blue Studio: Five Segments, directly on television than Choreographie: Merce Cunningham, Regie: Nam June Paik (1975) on the stage«, erinnert sich 152 Cunningham 1982. In den Filmografien werden zwei weitere frühe Werke fürs Fernsehen erwähnt, die allerdings nicht unter Cunninghams Regie entstanden: 1961 Suite de Danses, eine Auftragsarbeit vom Kanadischen Fernsehen, Societé Radio Canada, und 1968 Assemblage, ein Film, der im Auftrag des öffentlich-rechtlichen Senders KQED in San Francisco entstand und am Ghirardelli Square in San Francisco gedreht wurde.153

151 Die Entwicklung des amerikanischen Fernsehens beschreiben J. Venza: Dance as Television, S. 4f.; oder B.G. Rose: Television and the Performing Arts, S. 42f. Erfolgreich zur Primetime wurden beispielsweise in der »Dance in America«-Serie ganze Choreographien ausgestrahlt, vor allem aus dem klassischen Bereich. 152 Merce Cunningham: A Collaborative Process, S. 148. 153 Das vollständige Werkverzeichnis findet sich auf der Website der Merce Cunningham Dance Company unter http://www.mercecunningham.org/choreography/ vom 11.11.2012. In die 1960er Jahre fällt außerdem ein früher Einsatz von Fernsehbildern in einer Choreographie: Zu Variations V steuerte 1965 Nam June Paik auf der Basis von Filmbildern von Sten Van der Beek TV-Bilder bei, die auf Leinwänden gezeigt wurden. Siehe auch das entsprechende Kapitel zu Variations V im Themenfeld 5. Eine Filmversion entstand 1966 im Studio Hamburg. Vgl. D. Vaughan: Merce Cunningham‘s Choreography for the Camera.

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1975 entstand im Auftrag des New Yorker öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders WNET/TV Lab Blue Studio: Five Segments, eine Soloarbeit von Cunningham, in der er – wie der Titel andeutet – vergleichbar mit Cullberg mit der Bluescreen-Technik experimentierte und mehrere Bildschichten übereinander legte. Cunningham tanzt darin vor verschiedenen Hintergründen wie Straßenszenen, Landschaftsaufnahmen oder Strand- und Meeresbildern sowie einem Fernseh-Testbild mit den farbigen Balken. Ein Hund ist im Bild zu sehen, Videobilder mit Tänzern aus seiner Company (aus Westbeth) werden zitiert und Cunninghams Solo, das vor allem aus einem schlichten pantomimischen Gehen besteht, wird multipliziert. Die Hintergründe ändern ständig, Cunningham erscheint in verschiedenen Trikots in bis zu fünffachen Vervielfältigungen. Mit ihm tanzt auch ein Ebenbild seiner Person in Form eines grafischen Umrisses seines Körpers, oder der Bildschirm wird als Split Screen vertikal geteilt. Auf der Bildebene werden in der Montage auch Stopptricks und Wiederholungen eingesetzt. Die Tonebene fügt eine weitere Fragmentierung hinzu: Zu hören sind beispielsweise ein Telefonat mit Jasper Johns, Kommentare von John Cage, Interviewfragmente von Cunningham, in denen er sich zum Fernsehen (about killing time) und dem Zeitempfinden im Video äußert. Bild- und Tonebene werden wie in seinem choreographischen Schaffen nach einem Zufallsprinzip zusammen gebracht und produzieren so unterschiedliche Bedeutungsebenen. Im weiteren Verlauf erscheinen Schrifteinblendungen, die zu Bildern eines krabbelnden, dann laufenden Babys oder Bildern eines Volkstanzes behaupten: »This is dance« oder zu einer Luftaufnahme der Park Avenue in New York mit sich bewegenden Autos fragen: »Is this dance?«, um schließlich zu folgern: »Yes. Maybe. Why not?« Anders als bei Cullberg legt Blue Studio: Five Segments die medialen Möglichkeiten offen, indem die Blue Box wiederholt rein blau gezeigt wird. In postmoderner Manier werden Fragen formuliert und keine Antworten gegeben. Diese 15 Minuten wurden im gleichen Jahr zu einem 30-minütigen Programm Merce by Merce by Paik zusammen gefügt. Im zweiten Teil unter dem Zwischentitel »Merce & Marcel« werden weitere Fragen nach der Definition von Kunst in Referenz zu Marcel Duchamp gestellt. In der fortgesetzten fragmentarisierten Ästhetik sind Interviewteile mit Duchamp und Cunningham eingefügt, die durch rasante Schnitte und Wiederholungen verfremdet werden.154 Cunninghams Soli und die Westbeth-Zitate aus dem ersten Teil 154 Cunningham hatte mit Walkaround Time (1968) eine Hommage an Marcel Duchamp in dessen Todesjahr realisiert. Duchamps künstlerische Position lernte er bereits in den 1940er Jahren schätzen. Duchamp stellte seine Installation »Grand Verre« zur Verfügung, aus der Jasper Johns sieben Objekte für die Bühne realisierte. Vgl. J. Lesschaeve: The Dancer and the Dance, S. 114f. Charles Atlas realisierte 1973 eine Filmversion hierzu.

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werden erneut verwendet. Diese Arbeit entstand, wie der Titel verrät, zusammen mit dem Pionier der Videokunst Nam June Paik. Choreographien für die Kamera etablierten sich im Verlauf der Mediengeschichte vor allem in diesem unabhängigen Produktionsbereich, insbesondere in den Vereinigten Staaten, wo die Fernsehanstalten wie das Theater nur geringe öffentliche Finanzmittel erhalten und einen geringeren Stellenwert haben. Während van Manen und Cullberg kaum Videoarbeiten außerhalb der Fernsehanstalten realisierten, gilt Merce Cunningham aufgrund seiner vielen Videoarbeiten ab Mitte der 1970er Jahre als Vaterfigur des Genres Videotanz.155 Die aufgeführten Arbeiten von van Manen, Cullberg und Cunningham zeigen einen ersten bewussten Umgang mit der Fernseh- respektive Videokamera im Tanz, in dem Raum und Zeit als eigene Parameter im Fernsehmedium erkannt und entsprechend anders als bei Bühnenaufzeichnungen transponiert wurden. Während Cullberg auf die Bewegung vor der Kamera, also die Tanzbewegung setzt, erproben van Manen und Cunningham gezielt die Wirkungen der Kamera auf die Bewegung vor der Kamera. Aus der Erkenntnis eines notwendigen spezifischen Umgangs resultierte ein eigener Raumgebrauch und ein neues Zeitverständnis, das sich auf die Art zu choreographieren auswirkte. Erkannt wurde, dass der von einer Kamera aufgenommene Raum diametral anders aussieht als derjenige einer Bühne: »In the theater, the space narrows in perspective from the proscenium opening to the rear; in television, the space widens out from the small aperture of the camera.«156 Und Birgit Cullberg reizte anstelle einer Räumlichkeit die Zweidimensionalität des Bildschirms aus. Zum Zeiteffekt des Fernsehens erkannte Cunningham früh den Effekt, dass wir durch das Fernsehen die Dinge schneller sehen lernen: Die Verkürzung der Vermittlungszeit wird Kennzeichen der Fernseh- und Videoproduktion.157 Tanz als Vehikel der Reality-Show158

Reality-TV dominiert unterdessen nicht nur die privaten, sondern auch die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten. Ursendung von Reality-Shows war Allen Funt’s »Candid Camera« aus dem Jahre 1948, in der Reaktionen von Passanten auf Gags gefilmt wurden – das Prinzip der versteckten Kamera, durch die gewöhnliche Leute bloßgestellt werden. Merkmale solcher Sen155 156 157 158

Siehe hierzu weiter im Themenfeld 4 das Kapitel zu Merce Cunningham. Ebd., S. 35. Siehe hierzu zum Beispiel: K. Hickethier: Schneller sehen!, S. 101. Basis dieses Abschnitts ist ein Aufsatz von mir, der unter dem Titel »Tanz im TV als Vehikel der Reality-Show« erschienen ist.

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dungen sind Elemente der Serie und Dokumentation. Trotz des Titels verschwimmen Fiktives und Reales im Reality-TV, und die Sendungen weisen verschiedene Merkmale anderer Fernsehgattungen wie Magazinsendungen, Reportagen, Talkshow usw. auf. 159 Nach MTVs »Real World« und dem Wettbewerbsformat »Expedition Robinson« in den 1990er Jahren explodierte das Reality-Format ab 2000 mit allen nur erdenklichen Inhalten wie Jobsuche, Hausrenovation, Dating usw. Das Konzept der Reality-Gameshow erlangte mit »Big Brother« ab 1999 einen Höhepunkt und wurde eine der erfolgreichsten Reality-Shows. Da die Themen sich abnutzten, wurden die sozialen Experimente immer abartiger, um das Authentische zu inszenieren, größtmögliche emotionale Wirkung zu erzielen und den Voyeurismus vieler Zuschauenden zu bedienen. Das Schicksal der anderen wird analog zum Sensationsjournalismus zum Thema gemacht.160 Den Griff in die tiefste Schublade tat das deutsche Dschungel-Camp, das im Kampf um Einschaltquoten auf Ekel setzte. Obwohl bald das ganze Dschungel-Setting in Australien als Fake, als Inszenierung enttarnt wurde, funktionierte der Mechanismus, dass die Masse schockiert zuschaute. Auch im Tanz wurden verschiedene Reality-Formate entwickelt. Die erste Tanzshow sendete die BBC. Bereits 1949 brachte »Come Dancing« Tanzstunden mit führenden Tanzlehrern der Zeit ins häusliche Wohnzimmer. Erfinder war Eric Marley, der auch den Miss-World-Wettbewerb ins Leben rief. Die Sendung, ab 1953 als Wettbewerb gestaltet, wurde ein Dauerrenner, versuchte den jeweiligen Tanzmoden der Zeit gerecht zu werden und nahm beispielsweise auch neue Stilrichtungen wie Rock‘n’Roll und Disco auf. Erst 1995 endete die regelmässige Ausstrahlung, nachdem die Zuschauerzahlen stetig kleiner geworden waren. Mit »Strictly Come Dancing« startete die BBC 2004 ein neues Format, das sie als Lizenzversion in rund 20 Länder der Erde verkaufen konnte: einen TV-Tanzwettbewerb, bei dem Prominente mit Profis tanzen. Diese Showformate können, wie Karin Bruns formulierte, in der »Dramatisierung und Erotisierung des Tanzes als kulturalisiertes Massenritual zwischen Frau und Mann« auch in der Tradition des beschriebenen Tanzfilms des Mainstreamkinos gesehen werden.161 In den USA und Australien läuft die Serie unter dem Titel Dancing with the Stars, in Deutschland und Schweden unter Let’s Dance oder in Österreich schlicht als Dancing Stars. RTL setzte die Sendung nach zwei Staffeln in den Jahren 2006 und 2007 trotz einer Ankündigung für 2008 bzw. 2009 ab, auf 159 Zur Einführung in das Genre vgl. beispielsweise folgende beiden frühen Publikationen: C. Wegener: Reality TV, und A. Keppler: Wirklicher als die Wirklichkeit. 160 Vgl. C. Wegener: Reality TV, S. 10. 161 K. Bruns: Vom freien Ausdruck uniform(iert)er Körper, S. 211.

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ORF 1 lief im Frühjahr 2009 die fünfte Staffel. Eine weitere Variante entwickelten wiederum die Briten 2006 und steckten Stars in Schlittschuhe: Dancing on Ice. RTL übernahm dieses Format unter dem gleichen englischen Titel, Pro 7 als Stars auf Eis in der Lizenzversion der amerikanischen Version Skating with Celebrities. Doch auch diese Sendungen mit Prominenz auf glattem Parkett hatten in Deutschland nur ein kurzes Fernsehleben. RTL versuchte mit You Can Dance nochmals ein jüngeres Publikum zu begeistern. Diese Sendung brachte kreativen Tanz in verschiedensten Facetten auf den Bildschirm, fand aber zu wenig Zuspruch. An den globalen Übernahmen und der Vielzahl der Programmfacetten ist ablesbar, wie stark Reality-TV das moderne Fernsehzeitalter prägt und damit Indikator dafür ist, wie Öffentlichkeit und Privatheit, Kunst und Leben im Zeitalter der Massenmedien und der von Gerhard Schulze 1992 so benannten »Erlebnisgesellschaft« verschwimmen.162 Grelles Scheinwerferlicht umrahmt das Logo von Dancing Stars auf ORF 1. Ein riesiger Kronleuchter, in Nahaufnahme die Teilnehmenden: zehn Mal die gleiche Kopfdrehung und ein steifes Lächeln in die Kamera. Der Ballsaal in einer Luftaufnahme, zwei halbrunde Treppen am Ende, seitlich die Zuschauerinnen und Zuschauer an runden Tischen, an einer Längsseite die Juroren. Ein Off-Kommentar adressiert das Fernsehpublikum: »Live aus dem ORFZentrum in Wien … bitte begrüßen Sie Ihre Gastgeber Mirjam Weichselbraun und Alfons Haider.« Das Moderatorenpaar schreitet die beiden Treppen hinab, das Setting versucht, Bilder der großen Hollywood-Filmmusicals mit Stars wie Rogers und Astaire in Erinnerung zu rufen. Nach dem bemühten Hollywood-Auftritt stellt das Moderatorenpaar die vier Halbfinalisten-Paare vor, die nacheinander im Glamour-Outfit von rechts und links die Showtreppe hinabschreiten. Der Ablauf von Dancing Stars folgt immer dem gleichen Muster: Gespräche in einem zweiten Raum neben dem Ballsaal mit Bar-Ambiente, wo jeweils drei den Prominenten nahe stehende Personen die Qualitäten von ihrem ›Star‹ betonen, zwischendurch Filmeinspielungen zur Probewoche eines Paares, Auftritt im Ballsaal, mündliches Feedback und später Wertung der Juroren. Während der Moderator mit den Tanzpaaren in der »Wunderbar« verschwindet, stellt die Moderatorin das Live-Orchester vor und versucht, die ›Star‹-Qualitäten der vier Jury-Mitglieder herauszustreichen: »Der bekannteste Tanzschulbesitzer Österreichs, die bekannteste Schweizerin in Österreich – die Tanzsporttrainerin ...«. Regelmäßig beschwören die Moderatoren das Fernsehpublikum: »Sie entscheiden!« und »Unterstützen Sie alle Teilnehmer, rufen Sie an oder senden Sie eine SMS!«, denn die Sendung lebt nicht nur von der Einschaltquote, sondern auch von den Gebühren der An162 Siehe hierzu auch Themenfeld 6 und G. Schulze: Die Erlebnisgesellschaft.

Themenfeld 3: Filmmusical – Tanzfilm – Musikvideo – Tanz im TV

rufe. In zwei Durchläufen tanzen die Promi-Profi-Paare zuerst einen Standardtanz (Langsamer Walzer, Quickstep, Tango, Slowfox oder Wiener Walzer), anschließend einen lateinamerikanischen Tanz (Cha-Cha-Cha, Rumba, Jive, Paso Doble oder Samba). Aufgabe des Profis ist es, eine für seinen prominenten Partner geeignete Choreographie zu entwickeln und ihn bestmöglich in Szene zu setzen. Die Jury verteilt Noten von Eins bis Zehn, und am Ende der Sendung sorgt das SMS-Plebiszit der Zuschauer für die (vorprogrammierte) Überraschung: Anstelle die Tanzqualität zu würdigen, vergibt das Fernsehpublikum Sympathiepunkte für die Prominenten. Der Tanz ist nur Vehikel der Show, die vor allem eines wecken soll – Emotionen. Die Stars solcher Sendungen gehören mehrheitlich zu einer sogenannten B-Prominenz – im Englischen heißt es bösartig »nonebrities« statt »celebrities«. Vielfach feiert sich das Medium selbst, indem TV-Moderatoren mitmachen. Man greift auf Ex-Stars und TV-Sternchen zurück, die an einer Revitalisierung ihrer Bekanntheit interessiert sind. Heide Simonis, Ex-Ministerpräsidentin und als Politikerin eine Ausnahme in der Prominentenauswahl, sorgte bei der ersten RTL-Staffel von »Let’s Dance« für einen Medienrummel: Obwohl sie von der Jury stets die schlechtesten Noten bekam, brachte das Publikum sie jeweils eine Runde weiter. Kommentare eines Jury-Mitglieds nach dem Vorbild von Dieter Bohlen bei »Deutschland sucht den Superstar« (DSDS) und bösartige Berichte der »Bild«-Zeitung über »Hoppel-Heide«163 führten schließlich zum Rückzug in der sechsten Runde. Warum hatte Simonis sich überhaupt dem Schlachtfeld einer solchen Sendung ausgesetzt? Erhoffte sie sich naiv vor allem eine Spende für das Kinderhilfswerk der UNICEF, mit der sie RTL gelockt hatte? Der Reiz von Selbstdarstellung und Medienpräsenz scheint jedenfalls stark genug, um sich dem »Ball der Peinlichkeiten«164 zu stellen. Warum ziehen solche in mancher Hinsicht peinlichen Tanzdarbietungen ein Millionenpublikum an? Die erste Sendung bei RTL hatte mit über sieben Millionen Zuschauern in Deutschland einen sensationellen Marktanteil von 23,4 Prozent. Daniel Süess, Zürcher Kommunikations- und Medienpsychologe, beantwortet die Frage folgendermaßen: »Emotionalisierende Sendungen lenken ab vom oft eintönigen Alltag und erlauben sich auf andere Schicksale einzulassen, ohne Verbindlichkeiten einzugehen. Die Formate wecken starke Emotionen, sei es Anteilnahme, Überraschung, Schadenfreude oder Empörung.«165 Das Muster der Identifikation (oder einer Distanz nehmenden 163 http://www.bild.de/BTO/leute/aktuell/2006/05/04/simonis-urteil-jury/simonis-jury-urteilwahrheit.html vom 11.11.2012. 164 In: sueddeutsche.de zur RTL-Staffel 2007; oder auch Bilderserie »Bitte lächeln: Die Tanzbären der Nation«, mit Heide Simonis: http://www.sueddeutsche.de/kultur/bildergalerie-bittelaecheln-die-tanzbaeren-der-nation-1.439293-14 vom 11.11.2012. 165 http://de.wikipedia.org/wiki/Reality-TV vom 11.11.2012.

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Tanz Film

Deidentifikation) funktioniert im Reality-TV über das geschickt inszenierte Spiel mit Typen: zum Beispiel der Schönling, die Unsichere, der Unbeholfene, die Souveräne. Wegener formuliert drei Merkmale des Reality-TVs: Personalisierung, Dramatisierung und Stereotypisierung.166 Solche Überzeichnungen erleichtern die Identifikation. Zeitungsschlagzeilen zu den Möchtegern-Stars verstärken den Emotionalisierungseffekt vorübergehend und vermitteln, dass auch die Rezipienten aus der Anonymität der Gesellschaft heraustreten könnten. Es zählen nicht mehr Leistungen, sondern Popularität, und für diese wird selbst der Verlust von Privat- und Intimsphäre in Kauf genommen. Nach der Pause mit den News folgt die »Entscheidung« der Dancing Stars, analog dem Muster von anderen Castingshows wie »DSDS«, »Germany’s Next Topmodel« oder »Popstars«. Die Moderatoren wollen zu spannungsvoller Hintergrundmusik das erste Paar verkünden, das beim Finale in der nächsten Woche dabei sein wird. Ins Finale zieht zwar der indischstämmige MusicalStar, der gut tanzen kann, doch auch die eher verkrampft wirkende ORFModeratorin bekommt Bonuspunkte vom Publikum. Schließlich siegte am 15. Mai 2009 nicht das beste Tanzpaar mit dem Musical-Star, das von der Jury zweimal die Höchstpunktzahl von 40 Punkten erhielt, sondern die seriöse ORF-Moderatorin, die sich von Woche zu Woche mehr traute und mit der sich viele Zuschauer identifizieren konnten. Der Tanz ist wie die Inhalte anderer Reality-Shows austauschbar, dient einzig als Projektionsfläche für Emotionen, Wünsche und Träume – aber nur solange die Quoten stimmen. Bei dieser fünften Staffel von Dancing Stars werteten im Schnitt nur noch 787.000 gegenüber 1,27 Millionen Zuschauern in vorangegangenen Jahren mit. Deshalb setzte auch der ORF diese Sendung ab. Bemerkenswert ist, dass Tanzshows beispielsweise in Grossbritannien und Amerika weiterhin laufen.167 Ein Grund dafür könnte eine stärkere Verankerung des Tanzes in der britischen Gesellschaft sein. Die Briten schlachten das Format zudem mehrschichtig aus: Neben einem »Christmas Special« und einer Zweitsendung auf BBC 2 gibt es seit 2008 auch eine »Live Tour!«, mit der die Show zwei Monate lang durchs Land reist. Grossbritannien kennt generell im Tanz Fördermodelle mit Vorbildcharakter. Es war nicht zuletzt der Film Rhythm Is It! mit den Briten Royston Maldoom und Simon Rattle, der eine ganze Welle der Tanzvermittlung auslöste.

166 Vgl. C. Wegener: Reality TV, S. 51-80. 167 Eine Schweizer Gratiszeitung publizierte Ende November 2010 unter der Rubrik »Was macht eigentlich …?«, dass Jennifer Grey (50), die 1987 an der Seite von Patrick Swayze in Dirty Dancing tanzte, gerade die US-amerikanische Version Dancing with the Stars mit dem TanzProfi Derek Hough an ihrer Seite gewonnen hatte.

Themenfeld 3: Filmmusical – Tanzfilm – Musikvideo – Tanz im TV

Medientheoretische Zwischenbilanz: Intermediale Genrebildungen im Tanz

Die verschiedensten filmischen Formate im Themenfeld 3 verdeutlichen, in welcher Vielfalt sich Mischformen, Genres zwischen Tanz und Film im Verlauf des 20. Jahrhunderts gebildet haben. In weitaus stärkerem Masse als beim Themenfeld des Medieneinsatzes auf der Tanzbühne sind intermediale Formate im Repräsentationsmedium Film wie das Filmmusical in Hollywood und Bollywood, Tanzfilme mit Unterkategorien wie Ballett-, Disco-, LatinDance-Film sowie Mischformen zwischen Tanzfilm und anderen Genres wie dem Horrorfilm oder dem Arbeiterkino entstanden. Es sind die aufeinander folgenden medientechnischen Erfindungen, die zu neuen filmischen intermedialen Genres mit Tanz führen. Mit der Etablierung des Fernsehens werden Formate von Tanz im TV ausprobiert, mit dem Musiksender MTV findet Tanz im Musikvideo seine Verbreitung im Massenmedium Fernsehen, seit der Ablösung des Massenmediums Fernsehen durch den Computer verlagert sich die Verbreitung ins Internet. Die intermediale Genrebildung ist m.E. ursprünglich aus Inspirationen in Phasen von Medienumbrüchen entstanden, beispielsweise im Übergang vom Stummfilm zum Tonfilm entwickelte sich das Filmmusical, im Zeitalter des Fernsehens und der Einführung von neuen Distributionskanälen wie MTV entstanden Musikvideos. Nach den Phasen der Umbrüche differenzierten sich alsdann eigene Genres im Sinne eines engen Intermedialitätsbegriffs.

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Themenfeld 4: Videotanz Das folgende Themenfeld beschäftigt sich mit dem Videotanz als eigene intermediale Kunstform. Entstanden ab den 1970er Jahren im Zuge der Entwicklung von kostengünstigem Videoequipment und parallel zur Videokunst, wurden die frühen Arbeiten von Merce Cunningham wegweisend. Ab den 1980er Jahren beeinflussten diese sowie das Schaffen von Alwin Nikolais, der von 1978 bis 1981 das erste Centre national de danse contemporaine d’Angers leitete, die Tanzszene in Frankreich, vertreten im Folgenden durch die Beispiele von Philippe Decouflé, der bei Nikolais studierte. Von Frankreich aus entwickelte sich, beschleunigt durch einschlägige Festivals in Europa, ein eigenes Genre.1 Der Videotanz steht nicht losgelöst von historischen Entwicklungen: Generell Choreographien für die Kamera, die in diesem Band schon besprochen wurden, können als Vorläufer gelten. Einschneidend für einen theoretischen Diskurs waren Arbeiten des Avantgarde- und Experimentalfilms. In diesem Umfeld, vor der Erfindung der Videotechnik, wurden Begriffe wie »Choreo-Cinema«, »Cine-Dance«, »Film-Dance« usw. diskutiert. 2 Die Frage, ob heute der Genrebegriff »Videotanz« noch ausreicht, da die analoge Videotechnik bereits Geschichte ist und die verschiedenen Formate austauschbar geworden sind respektive immer stärker konvergieren, könnte zu einer Begriffsdiskussion führen, die hier nicht ausgebreitet geführt werden soll. Stellvertretend möchte ich einen Aufsatz des amerikanischen Philosophen und Filmwissenschaftlers Noël Carroll erwähnen, der auf einen Vortrag an einem Symposium »Dance for the Camera« an der University of Wisconsin1

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Vgl. hierzu meine Untersuchung zum Videotanz aus dem Jahre 1999. Angesichts der darin angelegten Breite, eines Panoramas der Kunstform, die ich damals sowohl quantitativ wie auch qualitativ anhand der Beiträge des Wettbewerbs Dance Screen von 1990 bis 1994 untersucht hatte, soll das folgende Kapitel in Ergänzung exemplarische und historische Vertiefungen bieten. Siehe hierzu in der Einleitung das Kapitel zu den methodischen und genrebegrifflichen Überlegungen.

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Tanz Film

Madison im Jahr 2000 zurückgeht. Carroll versucht darin, mit dem Begriff »Moving-Picture Dance« die Problematik der unterschiedlichen Techniken und Phänomene zu umgehen. Er hoffte, mit diesem auch zukünftige Entwicklungen einzubeziehen: »I see my definition, in contrast to existing alternatives, as a means for emancipating creativity, at least in terms of promoting an openness to the inevitability of technological change, rather than a strategy for canonizing entrenched stylistic practices.« 3 Obwohl die Begriffe »Videotanz«, das englische Pendant »Videodance« und der französische Begriff »Vidéodanse« die Genrebezeichnung bis dato dominieren, 4 sind Phänomene einer Choreographie für die Kamera auch unter anderen Begriffen wie »Screendance« zu finden, damit die technische Determiniertheit der Definition umgangen wird.5 Der Vorschlag von Carroll hat sich weder durchgesetzt, noch ist hierzu eine deutsche Übersetzung denkbar. Stellvertretend für historische experimentelle Arbeiten im Filmmedium stehen die ausgewählten Arbeiten von Germaine Dulac, Maya Deren, Ed Emshwiller und Norman McLaren, in denen Tanz und Kamera, Körper und mediale Verfremdungen einen Dialog eingehen. Bei dieser Medienkombination, die sich im Gegensatz zum Medieneinsatz auf der Tanzbühne im filmischen Medium repräsentiert, geht es dennoch um ähnliche Fragestellungen: Auch hier stehen die intermedialen Partner in einem engen Verhältnis, aus dem spezifische ästhetische Wirkungen resultieren. Die Hypothese zur Analyse lautet: Tanz und Video respektive filmisches Medium verschmelzen zu einer eigenen Kunstform, die auf einer Bühne nicht realisierbar wäre und sich deutlich von dokumentarisch intendierten Reproduktionen absetzt. Bewegung ist hierbei sowohl im Tanz als auch im filmischen Medium durch Kameraarbeit und Montage zentrales Element der ästhetischen Gestaltung. M.E. ist es dabei nicht wichtig, ob Choreographie und Bewegungsmaterial von einer Bühnenversion stammen. Entscheidend ist, dass im Transfer eine intermediale Begegnung von Tanz und Video entsteht, welche die Bühnenversion im Film neu interpretiert und in dieser Form auf der Bühne nicht möglich wäre.6 3 4 5

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N. Carroll: Toward a Definition of Moving-Picture Dance, S. 236. Beispielsweise als Eintrag auf Wikipedia: http://en.wikipedia.org/wiki/Videodance und http://fr.wikipedia.org/wiki/Vidéo-danse vom 11.11.2012. Screendance wurde von der Universität in Brighton beispielsweise in Form eines Netzwerks (http://arts.brighton.ac.uk/projects/screendance vom 11.11.2012) und einem »International Journal of Screendance« initiiert, das seit Herbst 2010 online erscheint und zusammen mit der University of Wisconsin in den USA herausgegeben wird: http://journals.library.wisc. edu/index.php/screendance vom 11.11.2012. Sherill Dodds hatte 2001 ihr Buch zum Thema mit »Dance on Screen« betitelt. Vgl. dies.: Dance on Screen. Vgl. hierzu C. Rosiny: Videotanz, bes. S. 200. Aus der Untersuchung der beim Dance Screen unterschiedenen Kategorien »Filmische Neuinterpretation« und »Kamera-Choreographie«

Themenfeld 4: Videotanz

Historische Vorläufer im Experimentalfilm Innovative Filme im Tanzbereich hat es, wie im Kapitel zu den Film- und Tanzpionieren beschrieben, seit Beginn der Filmgeschichte gegeben.7 Das folgende Kapitel stellt gezielt Werke heraus, die im Zuge von Avantgardebewegungen im 20. Jahrhundert entstanden sind und anstelle von Narration den Film formal ausreizen. Experimentalfilme sind individuelle Werke, die abseits von Konventionen neue Ausdrucksmöglichkeiten und Wahrnehmungsweisen erproben, jenseits von Kinostrukturen privat oder durch Kunstinstitutionen finanziert werden und für gewöhnlich kein breites Publikum erreichen. A.L. Rees definiert – ähnlich wie ich innovative Dekaden der Begegnung von Tanz und Film herausgestellt habe – bestimmte Perioden, die mit dem Experimentalfilm verbunden werden. Darunter fallen die 1920er Jahre mit einer Vielzahl an abstrakten und surrealistischen Künstlerfilmen. Rees erwähnt des Weiteren auch die 1960er und 1980er Jahre, wobei er sich in seinem Band auf den britischen Experimentalfilm konzentriert. 8 Für die frühe Zeit steht stellvertretend das ausgewählte Beispiel von Germaine Dulac aus Frankreich, da ihre Arbeiten einen deutlichen Bezug zum Tanz aufweisen und sie als eine der wenigen Filmregisseurinnen in der Filmgeschichtsschreibung lange wenig beachtet wurde. Gleichermaßen könnten hier auch Filmbeispiele des deutschen abstrakten oder »absoluten« Films etwa von Hans Richter, Walter Ruttmann, Oskar Fischinger oder Viking Eggeling oder weitere Vertreter der französischen Szene wie Fernand Léger, Man Ray oder Marcel Duchamp stehen – alles bildende Künstler, die Filme im Sinne eines »Cinéma pur« in einer Trickfilmtechnik, als »sinfonische« Dokumentarfilme oder in Form von »handmade films« durch direkte Bemalung und Bearbeitung des Zelluloids realisierten. Len Lye (1901–1980) war Pionier einer solchen direkten Technik, mit der ein Film ganz ohne Kameraaufnahmen produziert werden konnte. Die abstrakten Bilder führen gleichsam einen Tanz der Bilder vor. Reale Körper wurden allenfalls als ein Bildelement neben anderen verwendet. Rainbow Dance (1936) ist ein solches Beispiel, ein vierminütiger Film zu DixielandMusik, in dem Lye Handkolorierungen mit einem real aufgenommenem Tänzer kombinierte. 9 Experimental- oder Avantgardefilme – beide Begriffe werden parallel verwendet10 – entsprangen dem Kunstkontext. Die Künstler

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ging hervor, dass oftmals die Neuinterpretation ein ausgewogeneres Verhältnis zwischen Tanz und Video aufwies. Siehe hierzu auch die Filmbeispiele von DV8 im Weiteren. Siehe Themenfeld 1 zu den Tanz- und Filmpionieren. A.L. Rees: A History of Experimental Film and Video, S. 1. Zu finden auf YouTube. Vgl. beispielsweise I. Petzke: Das Experimentalfilm-Handbuch, S. 9.

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Tanz Film

des damaligen Avantgardefilms standen insbesondere den Kunstströmungen des Dadaismus, Surrealismus oder Futurismus nahe.11 Die amerikanische Szene entwickelte sich nach dem Zweiten Weltkrieg unter dem Label »New American Cinema«. Maya Deren, Shirley Clarke, Stan Brakhage oder Jonas Mekas zählten zu denjenigen New Yorker Filmschaffenden, in deren Umfeld 1962 die Filmmakers Cooperative und 1970 das Anthology Film Archive gegründet wurden. Letzteres ist noch heute eines der größten und wichtigsten Archive des Avantgardefilms. Neben Maya Deren, deren Film A Study in Choreography for the Camera, wie ich schon an anderer Stelle formuliert hatte,12 zur Ikone des Genres Videotanz wurde, realisierten seit den 1940er Jahren noch weitere Regisseurinnen und Regisseure Filme mit Tanzthemen, darunter Shirley Clarke (1919–1997), Hillary Harris (1929– 1999), Carolee Schneemann (*1939) oder Amy Greenfield (*1950). Clarke hatte zuerst eine moderne Tanzausbildung genossen, bevor sie in den 1950er Jahren bei Hans Richter in New York Film studierte. Wie Deren interessierte sie sich für die Verbindung von Tanz und Film, pflegte einen engen Austausch mit Deren, der sie sich nicht nur in den ästhetischen Grundsätzen, sondern auch als erfolgreiche weibliche Filmkünstlerin verbunden fühlte: »She gave me proof that dance in film is not only created by filming abstract dance movement but that the natural actions of a human being walking, sitting, crawling, sleeping, usw. are also the stuff of cine-dance poetry and become ultimate film choreography.«13 Ihr erster Filme war Dance in the Sun (1953), ein sechsminütiger Kurzfilm, in dem sie die gleichnamige Choreographie von Daniel Nagrin abwechselnd in einem Studio und am Strand aufnahm, im Schnitt fließend verbunden durch die Tanzbewegungen von Nagrin. Der Film zeigt damit ein ähnliches Montageprinzip wie Maya Derens A Study in Choreography for the Camera,14 allerdings kannte sie Derens Film zu diesem Zeitpunkt noch nicht. In Bullfight (1955) montiert sie Stierkampf-Bilder mit Aufnahmen von Anna Sokolow, die ihr Stück »Homage to a Bullfighter« tanzt.15 Hillary Harris, der vor allem als Dokumentarfilmer bekannt war, schuf mit 9 Variations on a Dance Theme 1966 eine intime Studie zum Dialog zwischen bewegter Kamera und Tanz.16 Carolee Schneemann, die in verschiedenen 11 12 13 14 15

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Zur Terminologie und Übersicht verschiedener Filmkünstlerinnen und -künstler sowie einer länderspezifischen Übersicht vgl. H. Scheugl/E. Schmidt jr.: Eine Subgeschichte des Films. C. Rosiny: Videotanz, S. 15. L. Rabinovitz: Points of Resistance, S. 93. Siehe hierzu das weitere Kapitel zu Maya Deren. Ebd., S. 98. Der Film ist auf YouTube zu finden. Dance in the Sun findet sich am Anfang einer Zusammenstellung von Harris’ Kurzfilmen auf http://www.ubu.com/film/clarke_shorts.html vom 11.11.2012. Der Tanzfilm ist auf der DVD-Kollektion »The Films of Hilary Harris«, Mystic Fire Video 2006 versammelt oder auf http://www.ubu.com/film/harris_9-variations.html vom 11.11.2012 zu sehen.

Themenfeld 4: Videotanz

Disziplinen als bildende Künstlerin, Performance-, Film- und Videokünstlerin arbeitet, hat zwar keinen direkten Bezug zum Tanz, bewegte sich aber in den 1960er Jahren im Umfeld des Judson Church Movements in New York. Filme wie Fuses (1965) haben einen starken erotischen, fast pornografischen und narzisstischen Impetus – aber auch einen den weiblichen Körper reflektierenden Aspekt, der ihre Arbeiten in den Kontext feministischer Kunst stellt.17 Bildschichten und aufs Zelluloid applizierte Farben oder gekratzte Formen vermischt sie mit Strandbildern und Meeresbrandung und unterlegt die Bilder der nackten Körper mit Vogelgezwitscher.18 Amy Greenfield hat nicht nur eine ganze Reihe von experimentellen Tanzfilmen produziert, sondern auch aktiv eine Diskussion um ein eigenes Genre »Cine-Dance« lanciert. Sie selbst bevorzugt den Begriff »Filmdance«: »A filmdance is the opposite of the documentation of live dance. It is a film in which the filmmaker/choreographer transforms the ›ground rules‹ of dance time and space through the kinetic use of camera lens, camera angles, camera motion, light, optical techniques, and ›montage‹ or film editing. Through such filmic transformations of the human body in motion, the collaboration between film and dance creates a third experience, a new kind of dance often totally unrelated to live dance.«19 Greenfield spielt mit dieser ›dritten‹ Erfahrung auf das beschriebene andersartige ästhetische Wahrnehmungserlebnis ab, für das Zeit und Raum bewusst anders genutzt werden: »Weit entfernt vom Realismus, schafft der Film ein vollkommen künstliches Paradigma von Zeit und Raum.« 20 Die folgenden Beispiele werden solche Verfahrensweisen verdeutlichen. Als drittes kennzeichnendes Element neben Zeit und Raum setzt Greenfield den Aspekt der Energie, die im Film anders vermittelt wird als über die Schwerkraft in der physischen Welt. Das Publikum wird durch filmische Verfahrensweisen hineingezogen – Mittel hierzu sind in Ergänzung zur Körperbewegung die Kameraaktionen. 21 Greenfield, die in den 1960er Jahren zuerst Tanz studierte, schuf ab 1970 Filme, in denen sie die formulierten Ansprüche erprobte: »›Dance as film‹ is an independent film statement.« 22

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Siehe hierzu beispielsweise A. Kubitza: Fluxus – Flirt – Feminismus? Mehrere ihrer Filme sind unter http://www.ubu.com/film/schneeman.html vom 11.11.2012 zu finden. A. Greenfield: Filmdance, S. 1. Zusammen mit Elaine Summers kuratierte sie Ende 1983 ein zweiwöchiges Festival im Public Theater, New York. Siehe auch im Themenfeld 2 das Kapitel zum Judson Church Movement. A. Vogel: Film als subversive Kunst, S. 91. Ebd., S. 6. A. Greenfield: Dance as Film, S. 26. Für Greenfield steht ›as‹ anstelle von ›Dance for Film‹ dazwischen, um diese Verschmelzung zu verdeutlichen. Sie referiert damit natürlich auch auf das Selbstverständnis der Experimentalfilmer, Film als Film, als künstlerisches Medium zu verstehen.

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Tanz Film

Kamerabewegungen, nackte Körper und Zeitverfremdungen wie eine extreme Zeitlupe kennzeichnen ihre Filme wie beispielsweise Tides (1982), ein Werk, in das sie Ideen und Bilder aus früheren Filmen aufnahm. 23 Germaine Dulac: Thèmes et variations (1928)

Germaine Dulac (1882–1942), geboren als Germaine Saisset-Schneider, zählt zur frühen französischen Filmavantgarde. Dulac studierte Kunst und Musik, arbeitete als Journalistin, engagierte sich politisch als radikale Feministin und Redakteurin von »La Française«, Organ der französischen Suffragetten-Bewegung, für das sie unter anderem Filmkritiken schrieb. Ab 1915 realisierte sie selbst Filme und setzte sich zusammen mit dem Filmtheoretiker Louis Delluc im Umfeld der französischen Surrealisten für die Etablierung des Films als ›siebte Kunst‹ ein. Nach Alice Guy gilt Dulac als zweite Pionierin des Stummfilms in Frankreich. Dokumentar- und Spielfilme schuf sie als künstlerisches Ausdrucksmittel, nicht zum Broterwerb. Sie suchte »poetische, visuelle Ausdrucksformen, um Seelenlandschaften zu zeichnen.« 24 Nach La Souriante Madame Beudet aus dem Jahr 1922, der als erster feministischer Film gilt, realisierte sie 1927 La Coquille et le Clergyman auf der Basis eines surrealistischen Drehbuchs von Antonin Artaud, der allerdings mit dem Film nicht einverstanden war. 25 Der Film entstand mit einzelnen surrealistischen Sequenzen und Zeitlupen- und Zerreffekten noch vor Luis Buñuels Standardwerk des surrealistischen Films Un Chien Andalou und nimmt – obwohl ästhetisch nicht einheitlich – einzelne Stilelemente späterer Arbeiten beispielsweise von Deren vorweg. Thèmes et variations (1928) ist wie Étude cinégraphique sur une arabesque (1929) ein Kurzfilm mit Tanzelementen, der wie Clairs Entr’acte oder Fernand Légers und Dudley Murphys Ballet mécanique (beide 1924) mit dem Rhythmus der Montage spielt und damit in den Kontext des französischen »Cinéma pur« einzuordnen ist. Obwohl alles Stummfilme, war die akustische Begleitung wichtig. Den neunminütigen Film Thèmes et variations ›komponierte‹ Dulac zu klassischer Musik, montierte Bewegungen einer Ballerina zu den Bewegungsmustern von Maschinen, Teileinstellungen der Armbewegungen kontrastierte sie mit Zeitrafferaufnahmen einer keimenden Pflanze. Ihre Art des abstrakten Kinos nannte sie »cinégraphie intégrale«, um ihre Form von einem mechanistischen Kino eines Fernand Léger abzusetzen, denn neben Bewegung sah sie Emotionen als 23 24 25

Zu Amy Greenfields Œuvre vgl. R.A. Haller: Amy Greenfield. H. Scheugl/E. Schmidt: Eine Subgeschichte des Films, Bd. 1, S. 234. Den Konflikt, der auf unterschiedlichen Visionen zum Cinéma pur basierte, beschreibt u.a. A.L. Rees: A History of Experimental Film and Video, S. 47f.

Themenfeld 4: Videotanz

zweite Komponente ihres ›integralen‹ Films: »Von den Pflanzen, den Mineralien zur Linie, zu Volumen, zu weniger genauen Formen, zum integralen Kino ist der Schritt schnell getan, da ja allein die Bewegungen und ihre Rhythmen Empfindungen und Gefühle erzeugen.« Sie suchte nach fließenden Rhythmen, nach einer »Harmonie der Linien. Harmonie des Lichts«. 26 Der Bildrhythmus sollte aus der Logik der Form resultieren. Entsprechend sind die Übergänge der Einstellungen klar konstruiert – es folgen ähnliche Größen und analoge Blickwinkel der Einstellungen aufeinander. Dulacs abstrakte Arbeiten Ende der 1920er Jahre können als frühe Studien einer Filmkomposition unter dem Leitmotiv der Bewegung, als ›visuelle Sinfonien‹ gesehen werden. Filmstill aus Thèmes et variations, Menschliche Bewegung in Choreographie und Regie: Germaine Dulac (1928) den Drehungen oder Armbewegungen der Tänzerin, Bewegungen der Maschinen oder das Keimen von Pflanzen als bewegte Metamorphose werden zu einem Rhythmus der Bilder arrangiert, bei dem der Bildinhalt weniger wichtig ist als die Addition der Bewegungsformen und Einstellungen. Das Potenzial verschiedener filmischer Räume nutzt Dulac nicht aus, denn die in Thèmes et variations gezeigten Motive sind keiner bestimmten räumlichen Umgebung zuzuordnen, sondern sie lässt die Motive das Bild in näheren Einstellungen dominieren. Unter dem Aspekt der Zeit entsteht alles andere als eine kontinuierliche Zeit: Der Rhythmus der Bilder referiert auf den Inhalt als Formprinzip. Die Bilder können wie eine eigene Musikpartitur gelesen werden – wie andere Beispiele des abstrakten Films. Dulac verwendet jedoch Motive aus der realen Welt, die in ihren Details erkennbar bleiben.

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Zitiert und übersetzt von Lena Christolova unter http://www.fluctuating-images.de/files/ images/pdf/08Dulac_Christolova.pdf vom 11.11.2012. Zu Dulac gibt es im deutschsprachigen Raum bisher neben einer Dissertation aus dem Jahr 1994 und einem Tagungsband der Berliner Kinemathek aus dem Jahr 2002 wenige Analysen. In den Anthologien zum Avantgardefilm werden allenfalls ihre drei Hauptwerke, neben den beiden erwähnten noch L’Invitation au voyage, erwähnt, die auf einer von »arte« produzierten DVD veröffentlicht wurden. Ein zweiminütiger Ausschnitt aus Thèmes et variations ist auf dailymotion.com zu finden. Rechte und Vertrieb ihrer Filme sind bei Light Cone, Paris, der gesamte Nachlass befindet sich in der Bibliothèque du film in Paris.

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Tanz Film

Maya Deren: A Study in Choreography for the Camera (1945)

Maya Deren (1917–1961) – vergleichbar mit Dulac in Frankreich – war eine der wichtigsten Persönlichkeiten innerhalb der amerikanischen Filmavantgarde. Tochter eines Psychiaters und geboren in der Ukraine als Eleanora Derenkovskaya, studierte Deren in New York Literatur. In den frühen 1940er Jahren arbeitete sie als Sekretärin für die Choreographin, Anthropologin und Pionierin des Black Dance Katherine Dunham. Ihre Studien zum Tanz in Haiti inspirierten Deren zu eigenen filmischen Recherchen dort. Daraus resultierte 1948 Meditation on Violence. Ihr erster Film Meshes of the Afternoon aus dem Jahr 1943 leitete, wie Scheugl/Schmidt schreiben, »die surrealistisch beeinflusste Richtung im amerikanischen Film der vierziger Jahre ein.« 27 Sie schuf den Film in der Zeit bei Dunham in Los Angeles zusammen mit ihrem damaligen Ehemann Alexander Hammid, geborener Alexander Hackenschmied, Fotograf und Avantgarde-Filmemacher, der aus der Tschechoslowakei in die USA ausgewandert war. Wie in zwei weiteren Werken, At Land (1944) und Ritual in Transfigured Time (1946), wirkte Deren selbst als Darstellerin in diesen traumähnlichen Situationen. Kennzeichen ihrer stummen Filme sind die sorgfältig komponierten Bilder, die in der häufigen Montage von Zeitlupenbildern ein neues Raum-Zeit-Kontinuum ergeben. Sehr deutlich ablesbar ist diese Raum-Zeit-Komposition in A Study in Choreography for the Camera (1945). Talley Beatty, ein Schüler von Katherine Dunham und Martha Graham mit afroamerikanischen Wurzeln, durchtanzt in diesem nur gut zweiminütigen stummen Schwarzweiß-Film verschiedene Innen- und Außenräume. Deren reflektierte diesen Film bereits im Jahr des Erscheinens und erhoffte sich im »Film-dance« eine neue Kunstform: »More and more I began to think of working with the stylized movement of dance, of taking the dancer out of the theater and of giving him the world as a stage. This would mean not only that the fixed front view and the rigid walls would be changed more often than in the theater, but it meant also that a whole new set of relationships between the dancer and space could be developed. […] It is my earnest hope that filmdance will be rapidly developed and that, in the interest of such a develop-

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H. Scheugl/E. Schmidt: Eine Subgeschichte des Films, Bd. 1, S. 182f. Deren wird in den meisten Anthologien zur Filmavantgarde erwähnt. Eine der umfassendsten Publikationen zu Deren ist B. Nichols: Maya Deren and the American Avant-garde. Ihre Filme befinden sich im New Yorker Film Anthology Archive und sind als Kompilationen im DVD-Handel erhältlich, und A Study in Choreography for the Camera ist auch auf ubu.com zu finden. 2002 realisierte Martina Kudlácek mit In the Mirror of Maya Deren einen umfassenden Dokumentarfilm. Erin Brannigan widmet Deren in ihrer Dissertation zum Tanzfilm ein eigenes Kapitel, in dem sie vertikale Filmform, Depersonalisierung sowie Stilisierung und filmische Manipulation als drei wichtige Komponenten von Derens Filmschaffen umschreibt. Dies.: Dancefilm.

Themenfeld 4: Videotanz

ment, a new era of collaboration between dancers and film-makers will open up – one in which both would pool their creative energies and talents towards an integrated art expression.« 28 Derens Formulierung eines integrierten Ausdrucks, »einer gemeinsamen künstlerischen Aus-sage«, 29 nimmt Formen intermedialer Fusionen vorweg. Auch in späteren Reflexionen thematisiert sie die Ähnlichkeit von Tanz und Film als Kunstformen der Zeit und spricht von einer kreativen Synthese des Tanzfilms. 30 Die Rezension von A Study in Choreography for the Camera im »Dance Magazine« bezeichnete den Film als »cinematic study in the poetry of motion« und würdigte den aktiven filmischen Teil, so dass Filmstill aus A Study in Choreography for the Camera, das Produkt seltsam berauChoreographie und Regie: Maya Deren (1945) schend und weit besser sei als die erbärmliche Zweidimensionalität gewöhnlicher Hollywood-Produktionen. 31 Was macht nun diese ›Poesie‹ aus? Wie fügt Deren Tanz-bewegung und Räume zusammen? A Study in Choreography for the Camera weist einen ruhigen Rhythmus auf, hat wie die anderen Deren-Filme einen meditativen Impetus. Die zwei Minuten und 16 Sekunden Länge umfassen wenige, dafür aber exakt gesetzte Schnitte. Die Struktur des Films ist durch vier Räume gegeben, die durch die Bewegung des Tänzers verbunden werden. Zu Beginn schwenkt die Kamera von rechts nach links und fährt dabei viermal an Beatty vorbei, der sich im Wald in einer Spiralbewegung von der Hocke zum Stand bewegt. Die Bildfolge wirkt irritierend, da in der Wiederholung des Schwenks die Schnitte kaum sichtbar sind und so ein Raum-Zeit-Kontinuum entsteht, das real nicht möglich wäre. Gedreht wurde diese Sequenz, indem der Tänzer sich von Aufnahme zu Aufnahme an einem anderen Punkt im Wald und näher an der Kamera platzierte und seine Spiralbewegung fortsetzte. 32 Im Grunde ist diese addierte Technik die gleiche Aufnahmetechnik eines Stopptricks in der Kame28 29 30 31 32

M. Deren: Choreography for the Camera, S. 10 und 11. Übersetzung in der deutschen Version M. Deren: Poetik des Films, S. 63. M. Deren in: Cine-Dance, S. 10. E.G.: Choreography for the camera. A. Greenfield: The Kinesthetics of Avant-garde Dance Film, S. 23.

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ra, den schon Méliès einsetzte: gezielt die Kamera an einem bestimmten Punkt stoppen und an einem späteren Punkt wieder einsetzen. Bei Méliès war die Überraschung ein Bildsprung im gleichen Dekor, während bei Deren eine subtile Irritation durch die Bewegungskontinuität in neuer räumlicher Umgebung hervorgerufen wird. Für Deren steht nicht der individuelle Charakter des Tänzers im Vordergrund, sondern »er ist die identifizierbare Natur seiner Bewegung«. In dieser »Identifikationsverschiebung« sah sie einen wichtigen Schritt weg vom Charakterkonzept der Bühne hin zu einem filmischen Konzept.33 Das Tempo der Spiralbewegung synchronisierte sie mit dem Tempo des Schwenks und addierte die vier Kamerabewegungen fast zu einem kreisartigen Panoramaschwenk. Kamera- und Körperbewegung sind im Einklang und etablieren den meditativen Charakter des Films. Nach einer Nahaufnahme des Kopfes kehrt die Kamera zu einer Ganzkörpereinstellung zurück, in der Beatty in die Knie geht; in der anschließenden Aufwärtsbewegung hebt er ein Bein und führt wiederum eine Drehbewegung aus. Der folgende Schnittübergang ist charakteristisch für Derens Filmkonzept: Die Beinbewegung leitet den Übergang in den nächsten Raum ein. Die Kamera zeigt einen Wohnraum, in den von oben und im Ausschnitt nur das gestreckte Bein ›eintritt‹. Nach einem Schnitt wird Beatty wieder in einer Ganzkörpereinstellung gezeigt, wie er seine Drehbewegung weiter führt. Einzelne Teilkörpereinstellungen folgen und Beatty schreitet im Kreis. Der nächste Schnitt zeigt in einer näheren Einstellung nur Beattys Beine, die sich nun offensichtlich auf einem neuen Untergrund und in einem anderen Innenraum bewegen. Das Kameraobjektiv wird zu einer starken Weitwinkelaufnahme geöffnet, die den Raum optisch verlängert und die ägyptische Halle des Metropolitan Museum of Art in New York zeigt, durch die Beatty anschließend in der Diagonale drehend und springend tanzt. Aus einer Nahaufnahme des sich immer schneller drehenden Tänzers entwickelt sich der letzte räumliche Übergang: Die Pirouette wird nach der Aufnahme des Kopfes noch als Detailaufnahme der Füße gezeigt, bevor der Oberkörper wieder in einem Außenraum mit Bäumen erscheint. Die Sequenz der Pirouette ist für Deren ein Beispiel, wie die Kamera mitgestaltet, denn sie simuliert in der Nahaufnahme des Kopfes und des Fußes in Relevé-Stellung auf halber Spitze, dass Beatty diese scheinbar unendlich lange ausführt. Tatsächlich machte er aber eine Drehung aus dem Derwisch-Tanz, die auf beiden Füßen ausgeführt wird und sehr lange durchgehalten werden kann. In dieser langen Sequenz konnte Deren die Kamerageschwindigkeit von Zeitlupe zu starker

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M. Deren: Poetik des Films, S. 79f. Auf S. 63 beschreibt Deren zudem selbst den Film und die Herstellung der Anfangssequenz.

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Geschwindigkeit ändern, von einer traumähnlichen Qualität zu einem verschwimmenden Bild, das Deren wie ein Maschinenteil sah. 34 In der Beschleunigung der Bilder wirkt Beattys gleichbleibender Gesichtsausdruck irritierend, denn wenn er selber die Drehung beschleunigt hätte, hätte sich dieser durch die Anstrengung ändern müssen. Auch der Übergang zur vierten Sequenz geschieht wieder durch die Bewegungseinleitung, obschon hier verwischter aus der Drehung heraus. Diese letzte Sequenz ist von der Bewegung her durch einen Sprung bestimmt. Beatty sollte aus einer Drehung heraus springen und landen. Den Sprung filmte Deren rückwärts und in Teilabschnitten, so dass dieser seltsam mühelos und schwebend wirkt, bevor Beatty in einer Ansicht von hinten am Rand von Klippen in einer breiten Grätsche landet. Deren stellte damit einen »idealisierten Sprung« her, der nicht an die Schwerkraft gebunden war. 35 Durch diesen filmischen Trick, mehrere Teilkörpereinstellungen und die Zeitlupe wird der Sprung surreal verlängert und in eine poetische Idealbewegung transformiert. Konzept von Derens Film ist die exakte Komposition von Bewegung und Raum auf beiden Seiten der intermedialen Partner: auf der Ebene des Körpers und Tanzes durch eine präzise Choreographie, auf der filmischen Ebene durch Kameraeinstellung, Brennweitenwahl, Variation der Bildgeschwindigkeit und eine Montage, die statt auf eine horizontale Kontinuität auf eine die Avantgarde kennzeichnende Vertikalität baut.36 Auch Mark Franko beschreibt, dass die Choreographie erst durch die kinematografische Komposition der Räume, also nicht als Choreographie für die Kamera, sondern als Choreographie der Kamera bezeichnet werden kann. 37 Jede einzelne Einstellung ist im Detail geplant, gefilmt und geschnitten, nichts dem Zufall einer dokumentarischen Aufnahme überlassen. Durch diese Komposition entwickelte Deren »Relationen zwischen Tänzer und Raum«. 38 Solche Beziehungen bieten ein wichtiges Potenzial der Intermedialität im Videotanz. Obschon das Raumkonzept in A Study in Choreography for the Camera zu dominieren scheint, wird auch der Parameter der Zeit sichtbar, allerdings in einer der Bewegung dienenden Funktion: durch Verfremdungen der Bildgeschwindigkeit in der Ausdehnung des Sprungs oder der Beschleunigung der Pirouette, aber auch durch den meditativ gesetzten Rhythmus. Im Element der Zeit sah Deren eine ausgeprägte Nähe des Films zum Tanz. Film sei zudem wie der

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Ebd., S. 64. Ebd. Vgl. R. Agel: Kamerachoreographie bei Maya Deren, o.S.; oder E. Brannigan: Dancefilm, S. 104ff. M. Franko: Aesthetic Agencies in Flux; S. 138. Ebd., S. 62.

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Tanz primär visuell und operiere gleichfalls mit Stilisierungen – Bedeutung wird bestenfalls über Bewegung generiert. 39 In der Betonung der Differenz zu einer dokumentierenden Kamera schuf Deren die Voraussetzungen für die Kunstform Videotanz: Tänze, choreographiert für respektive aufgeführt durch Kamera und Mensch gemeinsam. 40 Tanz in den Filmen von Ed Emshwiller

Ed Emshwiller (1925–1990), der in Paris an der Ecole des beaux-arts studierte, wurde als Maler mit seinen abstrakt expressionistischen Illustrationen von Science-Fiction-Magazinen bekannt. Film interessierte ihn schon zu Studienzeiten, insbesondere der Surrealismus von Jean Cocteau und Luis Buñuel, dem er in Paris begegnete. Seine Experimentalfilme entstanden wie diejenigen der anderen erwähnten Filmer im Umfeld des New American Cinema in den 1960er Jahren.41 Mit dem Aufkommen der Videotechnik in den 1970er Jahren erprobte er wie viele Vertreter des Experimentalfilms das neue Medium. Als Leiter der Film- und Videoabteilung des California Institute of the Arts experimentierte er in den 1980er Jahren mit interaktiven Aufführungen und schuf mit Sunstone schon 1979 am New York Institute of Technology ein Video, das auf Computeranimation basierte und 3D-Bilder generierte. 42 Emshwiller entwickelte in seinen Experimentalfilmen und Videoarbeiten eine Vorliebe für den Tanz, denn Tanz hatte für ihn ein formales Potenzial und eine Nähe zum Film: »In making films, I often feel I am a dancer with a camera.« 43 Ihn reizte der Kontrast von Live-Aktion und Abstraktion. In Dance Chromatics (1959), seinem ersten Experimentalfilm, kombinierte er abstrakte Malerei mit Bewegungen einer Tänzerin, indem er die Pinselstriche den Körperformen der Tänzerin anglich. Auf einer dritten Ebene wirkt Lou Harrisons perkussives Musikstück.44 Auch in Thanatopsis (1962) arbeitete er mit Trickfilmtechnik, diesmal ohne Malerei. Einzelbilder einer Tänzerin mit langen Verschlusszeiten der Linse werden zu wackelnden und sich verwischenden Bewegungen ani-

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Vgl. M. Deren: Cine-Dance, S. 10. Vgl. ebd., S. 13. Seine Filme sind weniger bekannt als diejenigen von McLaren oder Deren, und es gibt weitaus weniger schriftliche Reflexionen. 1997 kuratierte das Anthology Film Archive in New York ein Programm, zu dem ein kleiner Katalog erschien, in dem der Archivar des Anthology Film Archive auch eine Auflistung aller Erwähnungen von Emshwillers Filmen gibt: R.A. Haller: Intersecting Images. Siehe außerdem B.R. Elder: Body of Vision, darin zwei Kapitel zu Ed Emshwiller. Emshwillers Archiv überließen die Erben dem CalArts in Los Angeles. Emshwiller in: A. Greenfield: Filmdance, S. 25. Vgl. eine kurze Besprechung des Films unter http://www.see-this-sound.at/werke/116 vom 11.11.2012.

Themenfeld 4: Videotanz

miert. Doppelbelichtungen, die durch einfaches Rückwärtsdrehen des Films entstanden, wurden zu einer Schichtung von Bewegungsabläufen multipliziert und im selben Bild zu einem starren Gesicht kontrastiert. Herzschläge und Geräusche einer Motorsäge bewirken eine fast unerträgliche Spannung. Gegen Ende des Schwarzweiß-Films ist eine Fahrt durch eine Großstadtstraße erkennbar, ebenfalls verzerrt. 45 Drei weitere Tanzfilme entstanden zusammen mit der Alwin Nikolais Dance Company: Totem (1963), Fusion (1967) und Chrysalis (1973); 1970 realisierte er noch ein weiteres Werk, in dem Tanz im Titel erscheint: Film with Three Dancers. Doppelbelichtungen und Vervielfachungen der Tänzerinnen und Tänzer sind in allen diesen Beispielen wichtige Stilelemente. Während die meisten Arbeiten größtenteils im Studio entstanden, drehte er Film with Three Dancers im Außenraum der Großstadt. Wie Deren suchte er den künstlerischen Ausdruck im »Cine-dance« und ordnete sich in dieses Genre ein: »Cine-dance is a movie dance, a film involving dance, a film using dance as its principal element«.46 Während Deren in ihren tonlosen Filmen auf die Bildsprache fokussierte, verglich Emshwiller eine Filmkreation mit der Arbeit eines Komponisten: »I would like to make films as a composer, or choreographer, rather than as a performer or recorder.«47 Seine Filme sind mit Ton unterlegt, oft wie in Thanatopsis perkussiv und durch Geräusche atmosphärisch begleitet. Film bot ihm ein Potenzial der Begegnung von Künsten – er umschreibt die Zeit der 1960er Jahre als Periode des künstlerischen Eklektizismus.48 Wie viele Zeitgenossen beschränkte er sich nicht auf ein Medium, sondern kreierte beispielsweise Multimedia-Arbeiten, bei denen er wie in Body Works (1965) mobile Filmprojektoren einsetzte, die Bilder auf weiß gekleidete Tänzerinnen und Tänzer projizierten – eine Technik, die als ästhetische Praxis bis heute immer wieder auf der (Tanz-)Bühne verwendet wird. Im Falle von Fusion hatte Emshwiller für die Alwin Nikolais Dance Company einen Film als Kulisse gedreht. Erst anschließend wurde daraus wie bei Totem und Chrysalis ein Filmprojekt, für das er Elemente der Bühnenchoreographie ins Filmmedium transferierte. Da Fusion von einer Handtuchfirma gesponsert war, arbeitete Emshwiller mit den Mustern der neuen Frühlingskollektion und verwendete beispielsweise auch Zeitlupe. Es ist m.E. dieser Eklektizismus, von dem sich Emshwiller leiten ließ. Dadurch hinterlässt er ein weniger ästhetisch prägnantes Œuvre als Deren oder McLaren. Allerdings ist an der Band45 46 47 48

Thanatopsis ist auf YouTube zu finden, die Tanzfilme sind in der Dance Collection der NYPLPA archiviert. E. Emshwiller: Cine-Dance, S. 25. Ebd. Vgl. ebd.

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breite seines Schaffens deutlich abzulesen, wie experimentierfreudig und offen er für neue Technologien war und dass er jegliche narrative Elemente ablehnte: »I don’t feel films have to tell stories in the usual sense. […] I was not interested in the dramatic, narrative or didactic film.« 49 Wenn er in späteren Filmen, die oft wie in Relativity (1966) essayistisch aufgebaut sind, dokumentarische Elemente wie Interviews aufnimmt, so dienen diese einzig der filmischen Struktur. 50 Festgehalten werden kann, dass Emshwiller den Aspekt der Bewegung als reale Vorgabe der Tanzenden zwar verwendet, aber durch filmische Mittel verfremdet. Jeder Film basiert auf unterschiedlichen Stilmitteln, Bewegung wird auf der Ebene des Films nochmals komponiert, sei es wie in Dance Chromatics mit abstrakter Malerei oder durch Bewegung indizierende Mittel wie Handkamera, Beschleunigungen und Verdoppelungen. Der Raum bleibt oftmals ein unbestimmter, das Filmbild ist Leinwand für Experimente, Referenzen zu realen Räumen sind selten oder werden fast zur Unkenntlichkeit verfremdet. Durch die Schichtung von Bildern, Beschleunigungen und Verlangsamungen entsteht bei Emshwiller eine für den Experimentalfilm typische, filmisch konstruierte Zeit. Es war dieser Aspekt der Temporalität, der bildende Künstler am Experimentalfilm reizte. Norman McLaren: Pas de deux (1968)

Norman McLaren (1914–1987), gebürtig aus Schottland, studierte an der Glasgow School of Art, begann wie viele Experimentalfilmer mit »handmade films« und zeichnete, beeinflusst durch Fischinger, Lye sowie die Montagetechniken der russischen Filmavantgarde in den 1930er Jahren, direkt auf Zelluloid. Ab 1941 wirkte er in Kanada beim National Film Board. Er interessierte sich wie Emshwiller für Tanz und Bewegung in seiner abstrakten Form: »I had always been interested in the ballet in its purest form, stripped of narrative and anecdotal conventions. I like movement for movement’s sake. Abstract ballet.« 51 Durch Auftragsarbeiten und Werbefilme entwickelte er im

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R.A. Haller: Intersecting Images, S. 11 und 34. Bruce Elder bespricht Emshwillers Filme, insbesondere Relativity, der allerdings kein Tanzfilm ist, in: ders.: Body of Vision, im Kapitel »The Body & the Cosmos: The Films of Ed Emshwiller«, S. 15–20. Zitat zu Beginn von Pas de deux auf der vom National Film Board of Canada 2006 herausgegebenen DVD-Kompilation. Die dritte von sieben DVDs widmet sich dem Thema Tanz. McLaren bildete bereits auf einer Zeichnung »Visit to London« aus dem Jahre 1935 eine Ballerina ab und betonte seine Faszination für Choreographie und Formen und Muster auf der Bühne. Vgl. T. Dobson: The Film Work of Norman McLaren, S. 12, Abbildung Zeichnung auf S. 9 und Detail Ballerina S. 18.

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Laufe seines langjährigen Schaffens eine Technik, die er Pixilation nannte: Gefilmte Motive und Menschen wurden durch Einzelbildschaltung, ein Verfahren der Stop Motion, animiert. Mehrere solcher Beispiele sind auf einer seinem Schaffen gewidmeten DVD-Kollektion versammelt, oftmals einfache Arbeiten, die McLaren zusammen mit Freunden realisierte, insbesondere mit Grant Munro, den er für das National Film Board engagierte. Trotz seines 50-jährigen Filmschaffens und unzähligen Arbeiten wird McLaren in vielen Anthologien zum Avantgarde- und Experimentalfilm nicht erwähnt – vielen erschienen seine Arbeiten zu populär, da er unzählige Preise erhielt und seine Filme meist auf einem einfachen Konzept und technischen Raffinessen basierten. 52 Neighbours (1952), ein symbolischer Antikriegsfilm, in dem zwei Nachbarn wegen einer Blume in einen bösen Streit geraten, erhielt 1953 einen Academy Award und wurde 2009 in das UNESCO Memory-of-theWorld-Verzeichnis aufgenommen. Die darin etablierte Ästhetik – die mit den frühen Stop-Motion-Experimenten von Georges Méliès verglichen werden kann –, in der die beiden Darsteller über den Rasen zu schweben, zu fliegen oder in der Luft zu kleben scheinen, findet sich in einzelnen Beispielen des jüngeren Videotanzes wieder, beispielsweise in den Arbeiten von Pascal Baes 46bis (1988) und Topic I & II (1990) oder Balla II (1993). 53 Bewegung wird durch den filmischen Effekt der Einzelbildaufnahme mit einer Verlangsamung der Aufnahmegeschwindigkeit zu einem Gleiten und Rutschen verbunden, Körper verschwinden und tauchen plötzlich wieder auf. Pas de deux (1968) steht ästhetisch fast in einem Gegensatz zu Neighbours und anderen Animationsarbeiten von McLaren. Anstelle von Auslassungen im Bewegungsablauf erscheinen Vervielfachungen von Körpersilhouetten, die wie ein stroboskopischer Effekt wirken. 54 Pas de deux, grafisch und zweidimensional in Schwarzweiß gehalten, ist ein Beispiel einer stringenten Ästhetik, die ganz anders als bei Emshwiller auf nur einem Verfahren basiert. Das Tänzerpaar Margaret Mercier und Vincent Warren trug schlichte weiße Trikots und tanzte einen langsamen Pas de deux in einem schwarzen Aufnahmestudio. Ihre Körper wurden nur schwach von hinten beleuchtet, wodurch der Silhouetten-Effekt entstand. Die multiplen Phasenbilder, generiert durch eine langsame Aufnahmetechnik mit nur 48 Bildern pro Sekunde (halbes Tempo) und Überblendungen, hinterlassen gleichsam Spuren der Bewegung auf dem Zelluloid, die Körper wirken durch die abstra52 53 54

Dobson beschreibt dies und die wenigen Monografien zu McLaren in der Einleitung zu seiner Analyse von McLarens Filmschaffen in ebd., S. 1. Zur Analyse von Topic I & II und Balla II vgl. C. Rosiny: Videotanz, S. 167ff. und S. 157f. Der Film kann u.a. auf der Website des National Film Board angeschaut werden: http://www. nfb.ca/film/pas_de_deux_en/ vom 11.11.2012.

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hierte Bewegung beinahe gespenstisch und geisterhaft. Pas de deux beginnt mit der Tänzerin, die in dieser Silhouette einfache formale Bewegungen ausführt, bis plötzlich ihr Ebenbild aus einer Silhouette entspringt und das Ursprungsbild eingefroren wird, bevor es verschwindet. Dieses Spiel wird mehrmals variiert, bis nach knapp fünf Minuten des gut 13-minütigen Films der Tänzer ins Bild tritt und die Paarbegegnung beginnt. Die mannigfachen Vervielfältigungen werden in der zweiten Hälfte des Films punktuell eingesetzt, bei Arm- und Beinbewegungen oder Hebefiguren, aber auch als räumliche Spur bei einer Fortbewegung. Im vordigitalen Zeitalter verwendete McLaren damit eine Technik, die wie eine Chronofotografie eines Étienne-Jules Marey oder die Stroboskop-Aufnahmen und Experimente einer Hochgeschwindigkeitsfotografie von Harold E. Edgerton wirken, wenn Bewegungsfolgen im bewegten Filmmedium in ihrem zeitlichen Ablauf sichtbar gemacht werden. Typisch für McLaren war es, eine bestimmte Technik als Ausgangspunkt für einen Film zu verwenden und mit diesem Verfahren zu improvisieren und zu forschen: »For me a film begins not so much with a theme as with a curiosity about Filmstill aus Pas de deux, Choreographie: Ludmilla Chiriaeff, some special technical asRegie: Norman McLaren (1968) pect of filming which I feel 55 Oftmals verfolgte er Ideen in einem hasn’t been adequately explored.« nächsten Projekt weiter. Die multiplen Bilder in Pas de deux hatte McLaren beispielsweise bereits in Leap Frog Tests 1961 mit Grant Munro ausprobiert. 56 Für den stroboskopischen Effekt in Pas de deux verwendete er mehrere Kameras, Zeitlupe und einen optischen Printer. Bis zu zehn Bewegungsbilder wurden simultan gezeigt. Damit diese einen fließenden Bewegungsablauf darstellten, musste eine genaue Planung der Aufnahmen erfolgen. McLarens Verdienst für den experimentellen Film ist, dass er mit seinen stringenten technischen Recherchen neues Terrain eroberte und dadurch eine sehr eigene Ästhetik entwickelte, die in ihrer Klarheit auch ein breites

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Norman McLaren im Interview mit Alan Rosenthal im Kapitel »Neighbours and Pas de deux. Norman McLaren«, in ders.: The New Documentary in Action, S. 269. Vgl. T. Dobson: The Film Work of Norman McLaren, S. 193.

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Publikum beeindruckte. In Pas de deux unterstützen die Panflötenmusik und das rumänische Folklore-Orchester die eingängige Wirkung eines »visual poem of form and movement«. 57 McLaren realisierte zwei weitere Tanzfilme, die erwähnenswert sind: In Ballet Adagio (1972) widmet er sich nochmals dem klassischen Tanz und dem Pas de deux, visualisiert diesen in einer durchgehenden Zeitlupenaufnahme, so dass die Bewegungsabläufe wiederum verdeutlicht werden. Narcissus (1983), McLarens letzter Film, wiederholt auf der inhaltlichen Ebene das Spiegelthema, das schon in Pas de deux anklingt, wenn die Tänzerin mit ihrem technisch produzierten Ebenbild tanzt. McLaren filmt erneut einen Pas de deux, mit Fokus auf den männlichen Part. Filmtechniken der Zeitlupenaufnahmen und Unschärfen setzt er punktuell ein, das Spiegelbild des Tänzers ist in der ersten Hälfte kein Doppelbild, sondern ein zweiter Tänzer. Erst in der zweiten Filmhälfte setzt er flackernde, verwischte Bilder und Doppelbelichtungen als Visualisierungen der Spiegelbilder und der Selbstverliebtheit ein. In einer Erweiterung des Konzepts von Pas de deux werden die Vervielfachungen durch Kameradrehung spiegelverkehrt am oberen Rand des Bildes ausgerichtet. Zusammenfassend gesagt benutzt McLaren Bewegung als ästhetisches Grundprinzip seiner mehrheitlich abstrakten, vom Surrealismus beeinflussten Animationsfilme. Diese Dominanz der Bewegung ist besonders deutlich in seinen Tanzfilmen, in denen ausgebildete Tänzerinnen und Tänzer agieren. Aber auch in anderen Filmen ist das Prinzip der Bewegung durch die filmische Animation stilbildend wie im erwähnten Beispiel Neighbours, obschon hier wie in Narcissus Themen, die McLaren für gesellschaftlich relevant hielt, aufgeworfen werden.58 Während der Raum zur Folie des intendierten Effekts wird – in Pas de deux braucht es den schwarzen Raum –, ist der Parameter der Zeit neben der Bewegung das zentrale Kennzeichen seiner Ästhetik. Zeitliche Faktoren verfremden die Bewegungsabläufe: Durch die Auslassung von Bildern oder durch den verdichteten und geschichteten Bilderfluss und die Multiplizierung der Bewegungsmomente wird die Flüchtigkeit der Bewegung im Zeitablauf sichtbar.

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J. Mitoma: Envisioning Dance, S. 170. Dobson erwähnt, dass McLaren in einer Attitüde der Surrealisten wenig über seine Werke sprach oder Interpretationshinweise gab. Vgl. T. Dobson: The Film Work of Norman McLaren, S. 255.

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Merce Cunningham – Anfänge in den USA Merce Cunningham, Leaderfigur des postmodernen Tanzes in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, spielt, wie in diesem Band mehrfach deutlich wurde, eine Schlüsselrolle in der Entwicklung unterschiedlicher intermedialer Beziehungen von Tanz und filmischen Medien. Über die erwähnten Experimente im Umfeld des Fernsehens 59 entdeckte Cunningham das Videomedium und erforschte dieses ab den 1970er Jahren mit seiner Company. Fernsehen und Video basieren auf der gleichen elektronischen Bildgenerierung. Das beschriebene Beispiel, das Cunningham mit dem Pionier der Videokunst, Nam June Paik, im Auftrag des Fernsehens realisierte, wird heute im Videobereich vertrieben und rezipiert. Cunningham war einer der ersten Choreographen, der die spezifische Ästhetik des Videomediums ausreizte und im Geiste der erwähnten Experimentalfilmer den Fokus auf den Gebrauch der Kamera legte: »I see the camera as a moving element of the dance itself. If you jump from one camera to another, if you use two or three cameras, it opens up different possibilities. I’m attempting to make dances directly with the camera … choreographing specifically for the camera … using the camera, not using the stage.« 60 Cunningham sah ebenso das Potenzial des Videomediums für die Dokumentation des Tanzes, insbesondere in der sofortigen Verfügbarkeit der Bilder erkannte er einen großen Vorteil für den Tanz. Er verglich Video mit einer Bandaufzeichnung in der Musik: Beide Aufnahmeformen reichen als Vorlagen für Neuaufnahmen und Wiedereinstudierungen einer Choreographie oder eines Konzertes nicht aus, sondern brauchen noch eine Ergänzung durch Notationen – und Tänzer bevorzugen jemanden, der ihnen etwas leibhaftig vormacht.61 Die konkrete Kameraarbeit begann Cunningham mit Charles Atlas, der 1969 als Stage Manager zur Company kam, aber zuvor beim Film gearbeitet hatte. Sie kauften eine Kamera, um Technik und Aufnahmen im Tanz auszuprobieren. Die Experimente von Cunningham und Atlas können als Ursprung des Genres Videotanz in den USA bezeichnet werden, denn die beiden waren nicht nur die ersten, die das Verhältnis von Tanz und Kamera fundiert erforschten, sondern, wie Nancy F. Becker 1983 feststellte, pflegten auch eine der kontinuierlichsten und nachhaltigsten Kooperationen zwischen einem Choreographen und einem Filmemacher.62 59 60 61 62

Siehe im Themenfeld 3 das Kapitel »Tanz im TV«. Merce Cunningham in einem Katalog »Films and Videotapes« der Cunningham Dance Foundation, o.J. (Mitte 1990er Jahre), S. 4. Vgl. Cunningham in: I. Lesschaeve: Merce Cunningham, S. 224f. N.F. Becker: Filming Cunningham Dance, S. 22. Atlas war weder ausgebildeter Kameramann noch Regisseur, sondern hatte einzelne Filmerfahrungen in der Produktion und im Schnitt bei einer Filmproduktionsfirma. Er arbeitete bei der Cunningham Dance Company weiter auch

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Die folgenden Beispiele nehmen die ästhetischen Recherchen von Cunningham in den Blick. Einige dieser Filme wurden von Fernsehsendern ausgestrahlt oder wie bei jüngeren Beispielen des Genres von Fernsehanstalten (mit-)produziert. Produktions- und Distributionswege werden bei den ästhetischen Analysen allerdings nicht berücksichtigt.63 Ausgewählt wurden, stellvertretend für Cunninghams reichhaltiges Schaffen im Videotanz, das sicher eine umfassende Bearbeitung verdienen würde, drei Arbeiten aus verschiedenen Dekaden.64 Westbeth (1974) und Channels/Inserts (1981) Westbeth (1974) war die erste Choreographie für die Kamera, die Cunningham und Atlas realisierten. Charles Atlas hatte ein Jahr zuvor mit Walkaround Time schon einen Film mit der Company über die gleichnamige Choreographie aus dem Jahr 1968 gedreht. Der Titel von Westbeth bezeichnet schlicht das Gebäude an der Bethune Street im Greenwich Village in New York City, in dem Cunningham im gleichen Jahr seine Studios einrichtete und wo das Video im damaligen Halbzollformat entstand.65 Im Interview mit Jacqueline Lesschaeve berichtet Cunningham, dass sie für Westbeth bereits zwei Kameras besaßen und sich in jedem Tanzteil des Videos mit einem videotechnischen Problem beschäftigten, beispielsweise mit den wechselnden räumlichen Abständen der Tänzerinnen und Tänzer zur Kamera, mit dem Problem des Wechsels zwischen den Kameras oder mit der Frage: »Wie kann man fünf Tänzer filmen, die alle unterschiedliche Bewegungen ausführen und verschiedene Richtungen einschlagen, und sie gleichzeitig alle fünf ganz im Bild behalten?« 66 Diese Fragestellungen wirken auf den ersten Blick beinahe

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als Stage Manager und Lichtdesigner. Die Recherchen entstanden aus einer Neugierde und offenen Partnerschaft. Diese Aspekte hatte ich in der quantitativen Untersuchung des Videotanzes bearbeitet. Vgl. C. Rosiny: Videotanz, bes. Kapitel 3.5., S. 91–93. In den wenigen deutschen oder englischsprachigen Monografien zu Merce Cunningham werden zwar einige Videowerke besprochen, aber grundsätzliche Fragen zum Video kaum behandelt. Jacqueline Lesschaeve widmet in ihren Gesprächen mit Cunningham ein Kapitel dem Medium: »Von der Tanzschrift zum Video«, in: Merce Cunningham, S. 223–231. Und Kerstin Evert behandelt in einem kurzen Unterkapitel Cunninghams »Arbeit mit Film und Video als eigenständigen Medien« und nimmt als Beispiel Fractions I (1977), in dem Cunningham auch vier Monitore auf der Tanzfläche einsetzt. In: dies.: DanceLab, S. 51–53. Beide kommen jedoch kaum zu generalisierenden Aussagen. Kenneth King erwähnt in einer Würdigung von Cunningham, dass das Gebäude zuvor der Telekommunikationsfirma Bell Lab gehörte und in den Räumen sich während des Zweiten Weltkriegs deren Forschungslabor befand, in dem das erste Fernsehen demonstriert wurde! Vgl. K. King: Space Dance and the Galactic Matrix, S. 201. In: J. Lesschaeve: Merce Cunningham, S. 227.

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so, als ob die beiden Realisatoren einen dokumentarischen Transfer im Auge hatten. Doch Cunningham ergründete die unterschiedliche räumliche und zeitliche Wirkung des Videomediums, die er in der Folge bewusst nicht realistisch, sondern medial adaptiert einsetzte. Das 32-minütige Schwarzweiß-Video umfasst sechs Sektionen: In der ersten werden einzelne der elf Tänzerinnen und Tänzer eingeführt, indem sie in die Kamera schauen; in der zweiten werden räumliche Verhältnisse zwischen den Tanzenden in Closeup-Aufnahmen ausprobiert; in der dritten tritt stets eine weitere Person zur Gruppe, und die Aufnahmen beziehen den filmischen Off-Raum mit ein, in dem einzelne Gruppenmitglieder weiter zu tanzen scheinen; im vierten sind die Tiefenschärfe und ihre Auswirkungen auf die Bewegungen Thema, es wird bewusst mit Mustern und Überlappungen für einen perspektivischen Bildaufbau gearbeitet; 67 in der fünften steht der Gebrauch von mehreren Kameras zentral, so dass durch punktuell eingesetzte Schnitte jeweils eine neue Perspektive auf die Gruppenformation geworfen wird; und im letzten Teil werden verschiedene Bewegungssequenzen in der Montage neu zusammengesetzt, wodurch eine physische und räumliche Diskontinuität entsteht. Außerdem wird mit der mobilen Kamera und ungewöhnlichen Blickwinkeln wie Aufsichten experimentiert. Alle Teile betonen das konische Prinzip der Kamera mit dem sich in der Tiefenachse erweiternden Raum. Zudem zieht die Kamera durch ihre Mobilität die Zuschauenden sozusagen mit in den Raum hinein – die Einstellungen weisen keinen Bezug zu einer eine Distanz bewirkenden Frontalperspektive auf. Nur zu Beginn und am Ende des Films wird das Westbeth-Studio gezeigt, in dem zu Beginn Vorhänge vor die Spiegel gezogen und am Ende die Vorhänge vor den Fenstern zur Seite gezogen werden, um einen Blick auf die Stadt freizugeben. Westbeth erlebte wie andere Kamerachoreographien von Cunningham später eine Adaption für die Bühne – üblicher ist der umgekehrte Weg von der Bühne auf den Bildschirm. Channels/Inserts (1981) war die letzte Zusammenarbeit zwischen Atlas und Cunningham. Die Kamerachoreographie fand wie bei Westbeth später den Weg auf die Bühne, bereits zwei Monate nach der Filmpremiere. 68 Zum sechswöchigen Arbeitsprozess schrieb Cunningham ein Tagebuch und erwähnt darin, dass bei diesem Werk von Anfang an eine doppelte Version für Video und Bühne gedacht war, aber trotzdem die Bühnenversion erst nach 67 68

Zur Analyse von solchen Parametern im Tanzfilm vgl. C. Rosiny: Tanz im oder fürs Fernsehen? Wie bereits erwähnt, umfasst die Website der Cunningham Dance Foundation das gesamte Werkverzeichnis wie auch eine komplette Bibliografie. Im Dezember 2008 begann zudem eine Videodokumentationsreihe, »Mondays with Merce«, in der Cunningham beim Unterrichten oder in Interviews gezeigt wird. 16 Episoden mit unterschiedlichen Themen sind bis zu seinem Tod entstanden und können unter http://www.mercecunningham.org/film-media/ mondays-with-merce/ vom 11.11.2012 abgerufen werden.

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der Videoproduktion gemacht werden sollte. 69 Die Räume der WestbethStudios wurden in mögliche Tanzbereiche, einschließlich Büro und Gang, aufgeteilt, der gesamte Film umfasst 16 Sequenzen zwischen zehn Sekunden und drei Minuten. Die für sein choreographisches Schaffen typische Zufallsmethode wendete Cunningham auch für das Video mittels des »I Ging« an, um die Reihenfolge der Räume, die Anzahl der Tänzerinnen und Tänzer und die Aktionen zu bestimmen.70 Die choreographischen Proben fanden vor den eigentlichen Aufnahmen statt, und Cunningham beschreibt in seinem Tagebuch, dass er versuchte, das Kameraauge zu simulieren. Gleichzeitig war er sich einer gewissen Unverträglichkeit von Kamera und Tanzbewegung bewusst und stellte eine mindere Präsenz der Körper im Film fest: »Camera work is basically uncooperative with dancing – limbs getting out of the camera frame. […] Dancing on film doesn’t seem to have presence.«71 Um eine Simultaneität der Aktionen und Abläufe anzudeuten, wählte Atlas in diesem 35minütigen Farbfilm eine Parallelmontage mit einer Hauptaktion und Inserts, die als elektronisch hergestellte Überblendungen wie Flecken oder ein Wischen ins Bild hineingesetzt wurden. Durch diese Additionen und Insertionen entstand eine filmische Collage. Der Schnitt wurde im Voraus geplant, so dass sich die Aufnahmen nach diesen Vorgaben richteten. Drei Kameras waren im Einsatz: eine in einer fixen Position, eine auf einem Kamerawagen für Fahrten und eine mobile Steadicam.72 Wie in Westbeth bewegt sich die Kamera oftmals inmitten der Tänzerinnen und Tänzer, sie laufen ins Bild und wieder in den umgebenden dunklen Raum hinaus. Die Räume haben unterschiedliche Rahmungen, sind schwarz, zeigen den Flur oder die Studiowände. Zu den collagierten Bildern ertönen von David Tudor komponierte metallene Geräusche; in dem für Cunningham typischen Prinzip der Eigenständigkeit von Tanz und Musik haben diese keine direkte Beziehung zur Bewegung. Trotz der Planung des Films wirkt dieser improvisiert und fragmentiert. Wie Atlas arbeitete, zeigt Roamin’ I, ein 15-minütiger Dokumentarfilm, ein ›Making of‹, der zum Film Locale (1979) entstand, in dem eine weitere Kamera die eigentlichen Aufnahmen in Schwarzweiß wiedergibt. Roamin’ I 69

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Merce Cunningham: Diary of a Cunningham Dance, S. 156. Das Tagebuch fängt präzise die Probleme von Tanzaufnahmen ein und beschreibt die Spezifik von Filmaufnahmen mit allem Aufwand auch noch auf humorvolle Weise. Dieses dramaturgische Prinzip der Aleatorik kann, wie Kerstin Evert herausgestellt hat, mit dem Filmschnitt verglichen werden. Cunninghams Choreographien weisen in der Fragmentierung und der Collagearbeit mit Versatzstücken direkte filmästhetische Analogien auf. Vgl. K. Evert: DanceLab, S. 54. Cunningham in: Diary of a Cunningham Dance, S. 157. Es wurde parallel auf Video und Film gedreht. Am Videomonitor konnte sogleich die Wirkung der Aufnahme überprüft werden, die Filmaufnahme war für eine potentielle Fernsehübernahme gedacht. Vgl. ebd., S. 156.

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legt das offen, was in den Bildern von Locale zu spüren ist: Die Kamera ist Teil der Choreographie, wenn Atlas, assistiert von Elliot Caplan und weiteren Kabelträgern, mit einer wuchtigen Steadicam über die Tanzfläche läuft, was wie ein eigener ›Tanz des Kameramanns‹ aussieht.73 Thema der Kamerarecherche in Locale waren Bewegungen mittels drei verschiedenen Kameras (Steadicam, Kamera auf Dolly und eine mit einem Kranarm).74 Locale bildet somit eine logische Fortsetzung der in Westbeth und Channels/Inserts begonnenen filmischen Recherchen. Beach Birds for Camera (1992) Elliot Caplan übernahm nach seiner Assistenzzeit die Videoarbeit von Atlas und realisierte eine Reihe von Filmen, sowohl dokumentarische als auch Kreationen für die Kamera. 1986 drehte er beispielsweise Points in Space, eine preisgekrönte Adaption des gleichnamigen Bühnenstücks. Diese wurde in den Sundance Studios von Robert Redford in Kalifornien gedreht, einem Raum, dessen zum Boden reichende Glasfenster den Blick in grüne Natur freigeben. Nach den Westbeth-Räumen hatte Atlas Coast Zone (1983) in der Kathedrale St. John the Filmstill aus Beach Birds for Camera, Divine in New York City geChoreographie: Merce Cunningham, Regie: Elliot Caplan (1992) dreht und damit für das Genre typisch den Tanz in reale Räume verlegt. Beach Birds for Camera ähnelt aufgrund des räumlichen Ambientes den beschriebenen Beispielen – der 28-minütige Film besteht aus zwei Teilen, die in zwei verschiedenen Studios aufgenommen wurden, allerdings nicht in den Cunningham-Studios.75 Caplan drehte diese Filmversion des Bühnenstückes Beach Birds zu John 73

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Die Kabel liefen teilweise über eine Konstruktion an der Decke, damit die Tänzer ungehindert nah an der Kamera vorbei tanzen konnten. Alle Bewegungen, auch die des Kameramanns, mussten bis ins Detail choreographiert und einstudiert werden. David Vaughan beschreibt in seinem Aufsatz »Locale« dieses Projekt. Beach Birds for Camera hatte ich bereits in meiner früheren Arbeit zum Videotanz analysiert: C. Rosiny: Videotanz, S. 53–56. Dieses Video ist im Internet zu finden, während die älteren besprochenen Werke in der Dance Collection der NYPLPA oder im Deutschen Tanzarchiv zur Visionierung stehen.

Themenfeld 4: Videotanz

Cages Komposition »Four3«, die durch langsame Klaviertöne und Geräusche geprägt ist, auf 35mm, den ersten Teil in Schwarzweiß, den zweiten in Farbe. Während im ersten Teil die Kamera hauptsächlich von einer Raumseite und aus einer beobachtenden Position aufnimmt, bewegt sie sich im zweiten inmitten der Tänzerinnen und Tänzer und zeigt auch Rundumansichten des Raumes. Elemente der Raumnutzung, die Atlas und Cunningham erprobten, setzt Caplan ein: Tiefenwirkungen oder Nutzung des Bewegungsraums im filmischen Off. Bemerkenswert an Cunninghams Videoarbeiten ist, wie mehrfach deutlich wurde, dass die Parameter Raum und Zeit filmspezifisch ausgelotet werden. Dafür investierte Cunningham zusammen mit seinen Filmspezialisten in intensive Recherchen, aus denen unter anderen die erwähnten frühen Film- und Videoarbeiten resultierten. Während auf der Bewegungsebene eine Analogie zu seinen choreographischen Arbeiten gezogen werden kann – abstrakte und formale Bewegungen nach aleatorischen choreographischen Prinzipien –, nutzt er den Raum, wie auch Copeland feststellte, in Film und Video aufgrund der Erkundung der illusionistischen Tiefenwirkung.76 Um einen größeren kinetischen Effekt zu erhalten, bevorzugte Cunningham mit seinen Filmpartnern eine bewegte Kamera. Auf der Bühne wirken manche choreographische Sequenzen zweidimensional in einer lateralen Ausdehnung, während das konische Prinzip der Kamera zu einem ausgeprägten Fokus mit Tiefenwirkung führte. Festzuhalten ist dabei, dass auch Cunninghams Bühnenchoreographien keine zentralperspektivische Ausrichtung aufweisen, sondern sich auf verschiedene Fluchtpunkte beziehen. Und der Transfer von Videowerken auf die Bühne bewirkte, wie Atlas einmal bemerkte, eine Bewusstheit für Details in der Bewegung, zumal Channels/Inserts fast gleichzeitig als Film und Bühnenwerk erschien und dadurch die Unterschiede besonders deutlich waren.77 Dass Zeit im Videomedium viel schneller wirkt, nutzte Cunningham von Anfang an, wie bereits im Beispiel Blue Studio – Five Segments beschrieben: »Everything goes so fast that something that could last five seconds on stage need not last more than one on television because you see it immediately.«78 Die erwähnten Arbeiten weisen eine jeweils erkennbare rhythmische und zeitliche Grundstruktur auf: Während Blue Studio – Five Segments das Thema der Beschleunigung der Medien thematisiert, kennzeichnet Beach Birds for Camera ein verlangsamt ruhiger Bildrhythmus.

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Vgl. R. Copeland: Merce Cunningham, S. 179. Vgl. N. Becker: Filming Cunningham Dance, S. 23, und D. Vaughan: Channels/Inserts, S. 126. Cunningham im Katalog »Films and Videotapes« der Cunningham Dance Foundation, o.J., S. 10.

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Beispiele der 1980er und 1990er Jahre in Europa Merce Cunningham gab einen ersten Videoworkshop zusammen mit Charles Atlas in Paris bereits in den 1970er Jahren.79 Ab 1978 wirkte Alwin Nikolais als künstlerischer Leiter des ersten Centre national de danse contemporaine in Angers. Damit beeinflusste ein weiterer, durch visuelle Medien geprägter amerikanischer Choreograph den modernen Tanz in Frankreich. Parallel zur Entwicklung dieser ersten französischen Choreographengeneration des zeitgenössischen Tanzes wurden durch die Stimulierung der Kulturbehörde unter Kulturminister Jack Lang auch Kreationen für die Kamera finanziell gefördert. Fachtagungen und einschlägige Festivals fanden in den Vereinigten Staaten bereits in den 1970er Jahren statt, in Europa entstanden mit dem Grand Prix Vidéo Danse und dem Dance Screen Award ab 1988 Plattformen des Austauschs zum Tanz in den audiovisuellen Medien. 80 Beides, der zeitgenössische Tanz und der Videotanz, etablierten sich in Frankreich und wirkten von dort aus auf das europäische Tanzschaffen. Zur ersten Generation dieser zeitgenössischen Choreographinnen und Choreographen, die sich gleichzeitig Bühnenwerken und Choreographien für die Kamera widmeten, zählen neben Philippe Decouflé unter anderen Daniel Larrieu und Régine Chopinot. Werke dieser Choreographen waren im Rahmen eines Wettbewerbs in Frankreich Anfang der 1980er Jahre ausgewählt und vom Kulturministerium finanziert worden. 81 Chopinots erstes Video war Rude Raid (1984). Es folgten Le Défilé (1987), Gustave (1987) und K.O.K. (1988). Gustave entstand als Auftragsarbeit des Musée d’Orsay. Während in Rude Raid der Regisseur Marc Caro die Möglichkeiten elektronischer Bildgestaltung mit Bluebox, verschiedenen Split-Screen-Aufteilungen, Insertionen und Wischblenden zelebriert, sind Le Défilé und K.O.K. filmische Kurzumsetzungen der gleichnamigen Choreographien. Alle drei Werke zeigen Kostüme von Jean-Paul Gaultier, mit dem Chopinot während zehn Jahren zusammenarbeitete. Le Défilé war schon als Tanzspektakel wie eine Modenschau aufgebaut, in der die exzentrischen Kostüme das zentrale Element des Tanzes bildeten.82 Beide nur knapp fünfminütigen Filme arbeiten mit Zeitlupe,

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Vgl. P.Z. Grossman: Talking with Merce Cunningham about video, S. 64. Zum Dance Screen vgl. meine Ausführungen in: Videotanz, Kapitel 2, S. 27–37. Der Wettbewerb findet auch nach 1994 alle zwei bis drei Jahre an verschiedenen Orten statt, zuletzt in Zusammenarbeit mit dem Festival Cinedans 2010 in Amsterdam: http://www.dancescreen. com/ vom 11.11.2012. L. Louppe: La Vidéo-danse au bord de la fiction. Im Jahre 2007 widmete das Pariser Musée des Arts décoratifs diesem Stück eine eigene Ausstellung inklusive Katalog. Videoaufnahmen dazu unter http://www.YouTube.com/ watch?v= 0Ax4fOVyUM4 vom 11.11.2012.

Themenfeld 4: Videotanz

Zeitrafferaufnahmen und einzelnen filmspezifischen Blickwinkeln; insbesondere in K.O.K., einem durch Tanz stilisierten Boxkampf, werden immer wieder Top-Shots auf den Boxring gezeigt. Chopinots Werke verdeutlichen nicht nur die Kennzeichen des aufstrebenden zeitgenössischen Tanzes, also Alltagsbewegungen und –situationen sowie Anleihen bei anderen Kunstformen, sondern im Video auch die unterschiedlichen Techniken und Aufnahmen in anderen Räumen als in einem Theater – Parameter, die wie erwähnt zu Kennzeichen des Videotanzes wurden. Weitere frühe Arbeiten der 1980er Jahre realisierten Jean-Claude Gallotta83 mit dem Regisseur Claude Mouriéras, François Verret, Jean Gaudin, Karine Saporta84 oder Joëlle Bouvier/Régis Obadia 85. Frühe gelungene filmische Adaptionen wie Daphnis et Chloé (1983) von Gallotta/Mouriéras oder Daniel Larrieus Waterproof (1986) brachten weitere Choreographinnen und Choreographen dazu, sich mit dem Filmmedium auseinanderzusetzen. Das nationale französische Institut für Audiovisuelles (INA) ließ in diesen Jahren Videotanzwerke produzieren, beispielsweise Parafango (1983/84). Charles Atlas führte Regie, Karole Armitage, Mitglied der Cunningham Dance Company, war für die Choreographie verantwortlich. Die Tänzerinnen und Tänzer in diesem 38-minütigen Werk waren fast ausschließlich Europäer, darunter auch Philippe Decouflé. Vom 23. bis 26. Juli 1984 wurden die erwähnten Arbeiten beim Festival von Avignon als Großprojektion um Mitternacht gezeigt. Dadurch erhielt das Genre erstmals eine größere Publizität in Europa. Anschließend übernahm das Centre Pompidou diese Veranstaltung, und Michèle Bargues vergrößerte den Anlass zu einer bis heute in der Regel jährlich rund einen Monat lang stattfindenden Serie, die unter dem Titel »Vidéodanse« weit über hundert dokumentarische Tanzfilme wie auch Videotanz zeigt.

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Gallotta studierte von 1976 bis 1978 in New York bei Cunningham und gründete 1979, zurück in Frankreich, seine Gruppe Émile-Dubois. Seine Choreographie Ulysse von 1981 gilt als Markstein der »Nouvelle danse française«. Im gleichen Jahr richtete die französische Regierung in der Folge der ersten Gründung in Angers 1978 weitere Centres chorégraphiques nationaux ein – viele der 19 Zentren werden noch heute von der ersten Generation dieser Choreographinnen und Choreographen geleitet. http://fr.wikipedia.org/wiki/Centre_ chorégraphique_national vom 11.11.2012. Saporta studierte wie Gallotta Ende der 1970er Jahre in den Vereinigten Staaten, dort nicht nur Choreographie, sondern auch Fotografie, Film und Video. 1991 war sie in Peter Greenaways Film Prospero’s Books für die getanzten Szenen verantwortlich. Die beiden Kurzfilme L’Etreinte und La Chambre aus dem Jahr 1988 weisen eine markante Schwarzweiß-Ästhetik in einem geschlossenen Raum auf, in den die Kamera intim eintaucht.

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Philippe Decouflé: Jump (1984) und Le P’tit Bal perdu (1993)

Philippe Decouflé realisierte seine erste Choreographie für die Kamera La Voix des légumes, 1982 zusammen mit Marco Guerini und Edith Grattery. Dieser eher spielerische, noch wenig konzeptionell gestaltete Kurzfilm entstand, bevor er 1983 mit Vague Café seine erste Bühnenchoreographie und seine Compagnie DCA gründete. Zur Musik von Karl Biscuit, der auch in La Voix des légumes die Musik beisteuerte, etablierte Decouflé den für ihn typischen plakativen und provozierenden, an Comics und Zirkuselemente erinnernden Bewegungsstil. 86 La Voix des légumes wurde im Garten des Palais Royal in Paris gedreht und besteht aus vier Sequenzen, die ›nur‹ von einer beobachtenden Kamera gezeigt werden. 87 Im Jahr darauf wirkte Decouflé im erwähnten Film Rude Raid von Régine Chopinot mit und realisierte mit Charles Atlas Jump – jenen Film, der durch das französische Kulturministerium für neue Technologien OCTET produziert wurde und der für die Entwicklung und Ausbreitung des Videotanzes in Europa eine zentrale Rolle spielte. Denn durch die Zusammenarbeit mit Cunninghams Filmemacher wurden Cunninghams Erforschungen in Choreographien für die Kamera in Jump nochmals sichtbar: eine mobile Kamera, die sich wie in Westbeth oder Channels/Inserts zwischen den Tanzenden bewegt und deren Abläufe wie eine Choreographie einstudiert werden muss. »Nous sommes alors dans l’image même de la danse«, beschrieb Jean-Paul Fargier die Kameraarbeit. 88 Das 15-minütige Werk Jump (hystérique bourrée) beginnt ohne Tanz, mit einem Auto, das durch eine bizarre Matschlandschaft fährt. Einzelbilder zeigen das leere Cabriolet, den Fahrer im Lauf, an weißen Blumen riechend und diese auf den Boden werfend. Der Tanz von sechs Männern, teilweise in farbigen Anzügen und je zwei mit in Gelb, Grün und Blau geschminkten Köpfen, findet nach einem Schnitt von den Blumen auf den Hinterkopf eines Tänzers in einer Art Ballsaal statt, in dem sich auch eine kleine Bühne befindet. Das Bewegungsvokabular erinnert in seiner formalen Strenge und den synchronen Gruppierungen an dasjenige von Cunningham, dabei wirken die bunten Figuren mit Händen in den Hosentaschen wie Karikaturen. Während die Kamera in diese Gruppenformationen eintaucht, verlassen die Tänzer in der Bildmischung punktuell sozusagen ihre Körper, denn Atlas lässt sie für Momente elektronisch verfremdet, teilweise nur in schwarz gezeichneten Umrissen oder in einer Doppelung erscheinen. Es folgen ein Trio bunt geklei86 87 88

Zu Decouflé siehe auch im Themenfeld 2 das entsprechende Kapitel. Decouflés Filme finden sich alle auf verschiedenen Internetplattformen, La Voix des légumes z.B. auf YouTube. J.-P. Fargier: Vidéo et danse, S. 16.

Themenfeld 4: Videotanz

deter Frauen, die zuvor an Tischen am Rand der Tanzfläche gesessen hatten, ein Soloauftritt einer Tänzerin und der Auftritt der Musiker, Joseph Biscuit und Marcia Barcellos mit ihrer Band, zu dem wiederum die Gruppe der Tänzerinnen und Tänzer in neuen exaltierten Kostümen tanzt. Das Ganze wirkt zur elektronisch akzentuierten Musik und in den wunderlichen Kostümen wie ein Ausflug in eine surreale Welt. Dieser endet in einer Art Epilog mit einem Männerduett in einem Probensaal. Beide betreten springend den Raum, doch der eine hat nur ein Bein, so dass er sich bloß hüpfend fortbewegen kann. Auf der Ebene der Bewegung ist Jump ein vielschichtiges Beispiel, in dem Tanz- und Kamerabewegungen sich ergänzen. Die Kamera bewegt sich als Filmstill aus Le P’tit Bal perdu, Handkamera mit zum BoChoreographie und Regie: Philippe Decouflé (1993) den, wenn ein Tänzer auf den Boden rollt. Das Konzept des Raumes ist grundsätzlich durch die drei räumlichen Umgebungen bestimmt, wobei der Film größtenteils im Ballsaal spielt. Die mobile Kamera von Atlas erkundet diesen nicht nur auf der Ebene der Choreographie, sondern führt auch die Nebensäle und die Galerie vor, wenn sich dort Aktionen abspielen. Während die Zeit hauptsächlich parallel zur Choreographie mit verschiedenen Schnitten verläuft, spielt Atlas gegen Ende des Hauptteils mit einer Beschleunigung in der Montage und drehenden Wischübergängen, bis diese drehenden Bilder zum Fenster hinauszufliegen scheinen. Während Jump deutlich die Handschrift des Regisseurs Charles Atlas trägt, weist Le P’tit Bal perdu von 1993 eine ganz andere Ästhetik auf. 89 Angelegt wie ein Musikvideo, das einen Song präsentiert – das Chanson »C’était bien (Au petit bal perdu)« von Bourvil – interpretieren Philippe Decouflé und Pascale Houbin den Text des Liedes an einem Tisch sitzend mittels Gesten. 90 Der Text einer Liebeserinnerung wird durch Neuinterpreta89 90

Während Jump nicht online zu finden ist, sondern beispielsweise im Deutschen Tanzarchiv in Köln angeschaut werden kann, ist Le P’tit Bal auf verschiedenen Internetplattformen zu finden. Zur genauen Beschreibung des Films vgl. C. Rosiny: Videotanz, S. 175f. Ich habe diesen Film dort unter dem Aspekt des musikalischen Konzeptes analysiert, in dem Bild- und Bewegungsebene die Tonebene kontrastieren.

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tion der Phonetik zu anderen Bedeutungen transformiert, so dass aus ›qui s’appelait‹ beispielsweise ›pelles‹, Schaufeln werden, die wie der folgende Laut ›lait‹ als Schaufeln und Milchkannen von den beiden gezeigt werden. Die Bewegung des Paares an einem Tisch sitzend ist auf Gebärdensprache beschränkt und stellt im engeren Sinne gar keinen Tanz dar. Kamerabewegung wird nur punktuell eingesetzt, wenn die Akkordeonspielerin gezeigt wird: Die Kamera umkreist sie, taucht einmal unter ihrem Hocker hindurch und entschwindet am Schluss in eine Vogelperspektive, die Akkordeonspielerin legt das Instrument weg und entschwindet aus dem Bild. Meistens bleibt die Kamera in einer starren Position, wenn sie das Paar am Tisch sitzend abbildet, einzig unterbrochen durch punktuell eingesetzte Nahaufnahmen, in extremem Weitwinkel als Fischaugenperspektive. Der Raum ist eine reale Kuhweide mit bunten Lampions, auf der die Akkordeonistin sich befindet. In einem Zwischenschnitt sind mehrere Kühe zu sehen. Auch der Tisch steht in einer Wiese, diese wirkt allerdings mit tischhohem Gras und einer unendlichen Weite ohne Bäume künstlich. Der Parameter der Zeit gibt dem Kurzfilm eine besondere Brechung – fast unmerklich setzt Decouflé, der auch für die Regie dieses vierminütigen Clips verantwortlich war, einen Zeitraffer ein, der vor allem an den Bewegungen des Grases und einem Kopfschütteln der Tänzerin erkennbar wird. Es sind der unterschwellige Humor, die Klarheit und Einfachheit dieses Filmkonzepts zwischen Natürlichkeit und Künstlichkeit, die Le P’tit Bal perdu zu einem unterhaltsamen Beispiel des Videotanzes machen. Narrativität im Videotanz bei DV8

In der französischen frühen Szene des zeitgenössischen Tanzes galt JeanClaude Gallotta wie Karine Saporta oder Maguy Marin als Geschichtenerzähler. So verwunderte es nicht, dass er 1989 zusammen mit Claude Mouriéras mit Montalvo et l’enfant eine Art Spielfilm ohne Worte schuf, der auf der Geschichte der Pandora basierte und mit 75 Minuten fast Spielfilmlänge aufwies. Rei Dom ou la légende de Kreuls von 1991 stellte mit 100 Minuten in der Regie von Gallotta selbst noch eine Steigerung dar, diesmal zwar nicht wortlos, doch in einer Fantasiesprache eines Mannes, der nach einem Autounfall seine Erinnerung verloren hatte. Es waren seltsame Beispiele von wortlosen Spielfilmen, die indes auf keine weitreichende Resonanz stießen – die Handlung konnte weniger nachvollzogen werden als im besprochenen Beispiel Le Bal, wo sie überschaubar ist und sich auf ein Spiel der Geschlechter beschränkt. 91 91

Siehe Exkurs zu Le Bal im Themenfeld 3.

Themenfeld 4: Videotanz

In der britischen Szene reflektiert ab den 1990er Jahren das DV8 Physical Theatre menschliche Themen wie Kommunikations- und Beziehungsprobleme, auch gesellschaftlich heikle Themen um Männerbeziehungen und Homosexualität. Lloyd Newson gründete die Gruppe 1986 im Kollektiv, inspiriert durch Pina Bauschs Tanztheater und als Gegenbewegung zu inhaltslosen Produktionen des damaligen modernen Tanzes. Ästhetische und physische Risikofreude, Radikalität und Zugänglichkeit sind die Leitlinien der Gruppe. 92 Newson, der zuvor ein Psychologiestudium absolviert und als Therapeut gearbeitet hatte, wollte soziale, psychologische und politische Aspekte in die Stücke einbringen. Das erste Werk war ein Duo von Newson mit Nigel Charnock, My Sex, Our Dance, das die emotionalen Herausforderungen einer Männerbeziehung zur Zeit der Aids-Problematik der 1980er Jahre thematisierte. Alle Filme, nach My Sex, Our Dance der Schwarzweiß-Film Dead Dreams of Monochrome Men (1990), Strange Fish (1992), beide mit Regisseur David Hinton, Enter Achilles (1995) von Clara van Gool und schließlich The Cost of Living (2004), bei dem Lloyd Newson selbst Regie führte, tragen denselben Titel wie die vorausgegangenen Bühnenwerke.93 Trotzdem sind es eigenständige Filme, angefangen von einer Kürzung der Länge auf höchstens 50 Minuten bis hin zu einer kompletten räumlichen Neuinszenierung. Alle Filme gewannen unzählige Preise, The Cost of Living z. B. die prestigeträchtigen Fernsehpreise »Prix Italia« und »Rose d’Or«. 94 Doch was macht die Narrativität dieser Filme aus? Auf welchen Ebenen funktioniert die Narration, wie ›erzählt‹ die Kamera? Welchen Anteil haben Bewegung und Tanz daran? Alle Filme von DV8 weisen eine intensive Kameraarbeit auf, die stets nah am Geschehen ist und so die Zuschauenden mit hineinzieht. Gleichzeitig ›spricht‹ die athletische Körperlichkeit mit kontaktimprovisatorischen und körpersprachlichen Elementen und evoziert starke Emotionen. 95 Zudem rufen die emotional geladenen Themen eine Berührung, eine Verstörung oder einen Schock beim Publikum hervor.96 Die Tänzerinnen und Tänzer, die gemeinsam mit Newson die Stücke erarbeiten, müssen sich auf heikle Themen einlassen

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Vgl. http://www.dv8.co.uk/about_dv8/artistic_policy vom 11.11.2012. Zu Filmanalysen von Dead Dreams und Strange Fish vgl. C. Rosiny: Videotanz, S. 40–44 und S. 194–196. Newson schuf zusammen mit Bob Bentley einen einzigen Film, Never Again (1989), der nur für die Kamera konzipiert wurde. Die ersten drei sind auf einer Kompilation, der vierte einzeln als DVD im Handel erhältlich. Vgl. J. Leask: Das Schweigen der Männer, S. 49. Ebd.

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können und gehen bis ans Äußerste. 97 Die Intensität im Film ist dabei ähnlich stark wie auf der Bühne. In der filmischen Umsetzung ersetzen Kameraarbeit, Schnitt und Montage die Direktheit, den Schweiß und die leibhaftige Ausstrahlung der Darstellenden. Auffallend ist an allen DV8-Filmen, dass die filmische Umsetzung konventionellen Mustern mit unsichtbaren Schnitten, wechselnden, unmerklich variierenden Kameraperspektiven und einer dem klassischen Kino entlehnten Montage folgt, die keiner Sprechhandlung, sondern stattdessen der Bewegungslogik folgt. DV8-Filme weisen wegen den provozierenden Themen und aufgrund der beteiligten Kamera und eines die Handlung unterstreichenden räumlichen Settings eine starke Spannung auf. Während Dead Dreams of Monochrome Men 98 in zwei Teile und zwei Raumumgebungen unterteilt ist – einen Gay-Club und Bade- und Schlafzimmer einer Wohnung –, spielt Strange Fish in mehreren Räumen eines Hauses. Der Film beginnt und endet im gleichen sakralen Raum, in Filmstill aus Enter Achilles, Choreographie: Lloyd Newson, dem an einem Kreuz ein Regie: Clara van Gool (1995) weiblicher Jesus hängt. Weitere Szenen spielen in einem Raum mit einer Bar, einem Flur und schließlich einem Zimmer, in dem sich die Bretter zu einem Wasserbecken öffnen – auch das Bühnenbild hatte ein Wasserbecken in der Unterbühne. Während in Dead Dreams die Tänzer keine Charaktere darstellen, sondern einzig physisch handeln, tragen die Figuren und deren Konstellationen in Strange Fish zur Verdeutlichung der Beziehungs- und Kommunikationsprobleme bei. Zudem spielt Newson mit Humor und dem Absurden, wie er dies bei Beckett schätzt. 99 Enter Achilles spielt in der Bühnenversion im Bühnenbild eines englischen Pubs. In der Filmversion wird die Choreographie in einen realen Pub verlagert und durch einzelne andere Räume, auch Straßenszenen ergänzt. Wieder geht 97

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Newson wählt für jede Produktion in aufwendigen Auditions die für diese Produktion passenden Tänzerinnen und Tänzer aus. Nigel Charnock und Wendy Houston zählen zu den wenigen, die über längere Zeit mit Newson arbeiteten. Die Probenphasen dauern ungewöhnlich lang. Eine detaillierte inhaltliche Analyse zu Dead Dreams gibt F. Buckland: Towards a Language of the Stage. Vgl. J. Leask, Das Schweigen der Männer, S. 51.

Themenfeld 4: Videotanz

es um Beziehungen, hier explizit um männliche Beziehungen, aber nicht nur in homosexuellen, sondern auch heterosexuellen Konstellationen, und insbesondere um ›Männlichkeit‹ und männliches Gruppenverhalten.100 Unter dem Aspekt der Filmarbeit ist auch dieser Film mit den beiden anderen vergleichbar – die Kamera unterstreicht Bewegungen und Beziehungen, zusammen mit Schnitt und Montage dient die Umsetzung der Spannungssteigerung und dem Transfer ins filmische Medium. Die Choreographie, das physische Theater ›erzählt‹ durch Bewegung. In The Cost of Living arbeitete Newson erstmals mit einem behinderten Tänzer zusammen, mit David Toole, der ohne Beine geboren lange Zeit bei der britischen CandoCo Dance Company tanzte. Gedreht wurde dieser Film in Cromer an der Küste von Norfolk, einem alten Badeort zum Ende der Sommersaison und dort sowohl in Innen- als auch Außenräumen. Eddie und David sind die Hauptfiguren, desillusionierte Straßenkünstler. Thema des Stücks sind Menschen, die nicht in die üblichen gesellschaftlichen Rollen passen, die nicht perfekt sind und sich nicht den Regeln anpassen.101 Die Aussagen der Performer haben eine starke Direktheit, so dass die Personen als authentisch empfunden werden. Dies mag daran liegen, dass in diesem Film viele Figuren, auch ein Kameramann, der Dave zu seiner Behinderung ausfragt, längere Textpassagen haben – Eddies Slang ist zwar kaum verständlich, doch sind es Aussagen, die das Thema erläutern. Dave spricht stellenweise direkt in die Kamera: »Would you like to dance?«, »I’ll be right back« und »I’ll be looking for you« und damit zum imaginären Publikum. Textpassagen werden wie die Handlungsabläufe in Enter Achilles unterbrochen von Gruppenchoreographien, die zu eingängiger Musik ablaufen. Der körperliche Kontrast von Dave schafft dabei überraschende und witzige Momente – insbesondere in der Schlussszene, wenn David auf Eddies Becken sitzt, Eddie sich im Vierfüßlergang fortbewegt und beide zu einem Körper verschmelzen. Unter dem Aspekt der Bewegung sind die DV8-Filme bewegte und bewegende Filme, bei denen die kraftvolle Körperaktivität mit risiko- und temporeichen Bewegungen durch dezidierte Kameraaktionen ergänzt wird – durch bewusst gesetzte Positionen und Perspektiven einer mobilen Kamera. Die Räume für die filmischen Umsetzungen der Bühnenwerke werden im realen Raum gewählt und unterstreichen die Themen der Stücke. Die Choreographien erlangen dadurch eine räumliche Erweiterung, obschon die Raumwahl bis auf in The Cost of Living auf eine überschaubare Anzahl angeschlos100 Janine Schulze untersucht diese Männlichkeitsstrategien und deren Inszenierungen in: dies.: Dancing Bodies Dancing Gender. 101 Vgl. Lloyd Newson im Interview zum Stück unter http://www.dv8.co.uk/about_dv8/ interview_article_19_lloyd_newson_and_dv8 vom 11.11.2012.

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senen Schauplätzen beschränkt bleibt. Der Parameter der Zeit folgt der Logik der Narration, nirgendwo verselbständigt sich die Zeit durch Verlangsamung oder Beschleunigung – der Rhythmus der Montage passt sich dem Tempo der Bewegung an, einzig zum Schluss in The Cost of Living werden gerissene schnelle Kamerabewegungen eingesetzt. Schnitt und Montage wählen aus, zeigen parallele wie fortlaufende Handlungen, die den roten Faden des Themas verstärken. Bei aller Konstruktion von Raum und Zeit bleibt in der wortlosen Erzählung die Offenheit für eine individuelle Interpretation. Aufgrund der starken emotionalen Implikationen fesseln die DV8-Filme ähnlich wie die Tanztheaterarbeiten von Pina Bausch. Es scheint aber auch an der Nähe zum klassischen Erzählkino zu liegen, dass DV8-Filme selbst im Fernsehen funktionieren. Darius Mozafarian formulierte bereits 1974 für einen erfolgreichen Videotanz: »A successful videodance product must be artistically composed and must communicate a meaning to its audience. […] If a videodance composition is intended for a general audience, it must not depart too radically from the familiar grounds upon which the audience can feel secure. […] For presentday audiences this means that a videodance composition must incorporate some degree of linear development in its content, a climax or number of climaxes all lending to a final and major resolution, and finally a conventional soundtrack.«102 Schließlich funktionieren auch die Tonebenen in den DV8Filmen als ergänzendes Beiwerk, als Untermalung und Verstärkung der Spannungsbögen. Die Beispiele von DV8 verdeutlichen, wie Narration im Videotanz in der wechselseitigen Ergänzung der Parameter funktionieren kann. Die Intensität wird dabei auch durch die emotionalen Themen und die ausdrucksstarken Performer erzielt, so dass Tanz und Thema eins werden mit der filmischen Umsetzung.

Neuere Tendenzen Neben der französischen und britischen Szene brachte insbesondere die belgische Tanzszene ab den 1980er Jahren eine Vielzahl an überzeugenden Beispielen des Videotanzes hervor, darunter einige Werke von Anne Teresa De Keersmaeker und Wim Vandekeybus, die wie die Arbeiten von DV8 überwiegend filmische Neuinterpretationen von Bühnenstücken sind.103 Angesichts der großen Anzahl an Einreichungen auf Videotanzfestivals auf der ganzen Welt kann an dieser Stelle kaum eine Übersicht an neueren Ten102 D.M. Mozafarian: A Creative Synthesis of Dance and Video-electronics, S. 179f. 103 Kompilationen dieser Filme können bei beiden Compagnies bzw. auf dem Markt erworben werden.

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denzen gegeben werden. Das Genre existiert neben weiteren Aufsplitterungen in Arbeitsweisen mit neuen Technologien und einer Verlagerung der Distribution ins Internet weiter, obschon die (öffentlichen) Sendeanstalten außer einzelnen Spartenkanälen kaum mehr Sendeplätze bereitstellen. Einschlägige Tanzfilmfestivals, die inzwischen auch neuere Genres wie Installationen umfassen, finden weiterhin rund um den Globus statt. Im Folgenden werden exemplarisch drei jüngere Arbeiten besprochen, die durch ihre jeweiligen Konzepte auffallen – denn ein deutliches ästhetisches Konzept kann generell als Qualitätsmerkmal für überzeugende Arbeiten des Videotanzes gelten.104 Liz Aggis: Motion Control (2001) 105

Liz Aggis ist Professorin am Visual and Peforming Arts Department der Universität in Brighton. Seit Mitte der 1980er Jahre engagiert sie sich für das Genre des Tanzfilms und realisierte in Brighton das wichtigste Produktionszentrum für den Tanzfilm in England. In ihren Bühnen-, Installations- und Filmarbeiten experimentiert Aggis zusammen mit Billy Cowie bewusst an der Grenze zwischen Tanz und bildender Kunst, zwischen Tanz und anderen Künsten. Aggis und Cowie gründeten 1986 die Divas Dance Company. Liz Aggis wurde von der britischen Presse als Vivienne Westwood des zeitgenössischen Tanzes in Filmstill aus Motion Control, Choreographie: Liz Aggis, England bezeichnet. Motion Regie: David Anderson (2001) Control zeigt eine Schnittstelle zwischen filmischem Medium und Performativem, einen Dialog zwischen Performerin und Kamera, zwischen Kamera- und Körperbewegung. In der Direktheit der Konfrontation von Körper und Kamera eröffnet sich auch eine ironisierende, das filmische Medium reflektierende Ebene.

104 Für weitere Beispiele verweise ich auf meine früheren Analysen in: C. Rosiny: Videotanz. 105 Der folgende Abschnitt wurde in leicht anderer Fassung bereits veröffentlicht unter dem Titel: Tanz und das bewegte Bild.

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Aggis und Regisseur David Anderson verwenden eine ganze Palette möglicher filmischer Mittel – subjektive Kamera, Frosch- und Vogelperspektive, Reißzooms. Durch bewusste Drehungen der Kamera um 90 oder 180 Grad ergeben sich ungewohnte Raumwahrnehmungen und eine Irritation der Schwerkraft. Zeitlupe, Zeitraffer und Stopptricks, Rückwärtslaufen des Films, verschiedene Zeitebenen bis hin zu einer geschlossenen Dramaturgie werden eingesetzt: Im Abspann wird auf den Beginn des Films mit gleichen Einstellungen, unterbrochen durch die Abspanntitel, verwiesen. Zudem werden in der Schlusssequenz die teilweise identischen Einstellungen nochmals von einer beobachtenden Kamera oder durch die Kameralinse gezeigt, um auf diese Weise das Medium offen zu legen. Hinzu kommen kaum bemerkbare elektronische Bildverfremdungen: die Technik der Solarisation, bei der Bildpositiv und Bildnegativ vermischt werden, oder sekundenkurze SchwarzweißBildpassagen, die wie Flashs auftauchen. Sowohl im medialen Einsatz als auch in der Körpersprache und der Musikverwendung finden sich weitere überzeichnende Elemente: Der Sound ist wie in einem Trickfilm im als »Mickeymousing« bezeichneten Verfahren synchron zu den Bewegungen beispielsweise beim Zähneputzen mit dem Zeigefinger überdeutlich hörbar, wird auf verschiedenen Ebenen gemischt und auch in gebrochenen Elementen verwendet. Dadurch wirkt der Ton nicht untermalend, sondern verstärkend, fast mit einer eigenen Bedeutungsebene versehen, und eröffnet so eine weitere Wahrnehmungsperspektive. Die Alltagsbewegungen der Performerin sind stilisiert, der Gesichtsausdruck ist teilweise zu Grimassen verzogen. Ebenso werden Farben und Dekor in formalisierender Weise verwendet. Es wird mit Körper- und Raumbewegungen gespielt, insbesondere im Teil eines sich verengenden weißen Raumes. Die computergesteuerte Kamera – sonst eher im Musikvideo und bei Werbeclips im Einsatz als im Videotanz – wird kaum merklich als Instrument zur Raumverfremdung eingesetzt oder dient als Spiegel, als Gegenüber der Performerin. In Motion Control wird generell mit Bewegung gespielt – weniger durch Tanzbewegungen, denn Aggis agiert ausdrucksstark als Performancekünstlerin, als mit den Bewegungsmöglichkeiten der Kamera. Dabei ist es der Dialog zwischen Kamera und Performerin, der die überraschenden Momente hervorruft – die Kamera ist Mit- und Gegenspieler. Ebenso wird der Raum als Teil des Konzepts real oder medial verfremdet, wenn z. B. das weiße Viereck in der weißen Wand sich verengt und Aggis zusammenpresst oder die Kamera Räume zu durchdringen scheint, insbesondere aber durch die Computersteuerung der Kamera, die Bewegungen vollzieht, welche mit einer Handkamera kaum möglich wären. Zeit als ästhetischer Parameter wird in Form von verschiedenen die Zeit verfremdenden Mitteln variiert, aber wie auch bei den

Themenfeld 4: Videotanz

anderen gestalterischen Kniffen sehr gezielt eingesetzt. In Motion Control ist es die enge Verschränkung von Regie und Choreographie, der Dialog von Kamera und Körper, der ein narratives Motiv mitschwingen lässt – Motion Control als Alptraum eines Kameraangriffs. Raumkonzepte bei Philippe Saire und Erika Janunger106

Exemplarisch für Raumkonzepte im Videotanz möchte ich in diesem Kapitel zwei Kurzfilme analysieren, die auf unterschiedliche Weise mit Raumwirkungen spielen. Der Schweizer Choreograph Philippe Saire wählt in Cartographie 2 – les arches einen urbanen Außenraum in seiner Heimatstadt Lausanne, die schwedische Designerin Erika Janunger für ihre Abschlussarbeit in Innenarchitektur mit dem Titel Weightless einen begrenzten Innenraum, der als virtueller Bildraum ausgereizt wird. Choreographie an urbanem Schauplatz Cartographie 2 – les arches (2002) ist der zweite Kurzfilm im Rahmen von in vier Dreierserien strukturierten »Interventions chorégraphiques en paysage urbain« der Compagnie von Philippe Saire aus Lausanne.107 Angelegt als Interventionen im öffentlichen Raum, die als Teil des in relativ kurzer Zeit realisierten Projekts auch als öffentliche ›Aufführung‹ angekündigt wurden, sollen die Filmversionen diese ephemeren Spuren sichern und auf Film- und Videofestivals eine zweite Aufführung erleben.108 Mit dem Medium Film beschäftigt sich Saire seit vielen Jahren – sowohl in Aufzeichnungen und Adaptionen seiner Werke wie L’Ombre du doute (1989), La Nébuleuse du crabe (1994) oder [ob]seen (2003) als auch in eigenständigen Filmwerken wie dem vom Schweizer Fernsehen produzierten und mehrfach prämierten Spielfilm Blind Date (2006). Die Reihe Cartographie sucht in einer Auseinandersetzung mit anderen Kunstsparten neben dem Medium Video einen weiteren Kontext in der Architektur. In der Film- wie der Tanzfilmgeschichte gibt es viele Beispiele, bei denen Architektur nicht nur eine künstliche Filmausstattung umfasst, sondern Architektur ist – wie beispielsweise in Metropolis (1927) von Fritz Lang – Thema und Inhalt, in der die Stadt zur bedrohlichen Vision wird. 106 Das folgende Kapitel wurde bereits veröffentlicht unter dem Titel: »Raumkonzepte im mediatisierten Tanz«. 107 Diese erste Serie choreographischer Interventionen in urbaner Landschaft entstand 2002, eine zweite 2004. 2007 wurden Cartographie 7, 8 und 9 produziert. Saire, der seine Gruppe 1986 gründete, zählt zu den bekanntesten frei schaffenden Gruppen der Schweiz. 108 Vgl. Pressedokumentation zu Cartographie. Les arches wurde am 3. August 2002 öffentlich präsentiert, die Filme touren weiterhin auf Festivals.

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Im Genre des Videotanzes bieten Landschaften, Ruinen oder leer stehende Gebäude beliebte Kulissen, um den Tanz in andere Räume zu verlagern.109 Vorgabe für die von verschiedenen Choreographen, Fotografen und Filmemachern (es waren bisher ausschließlich Männer) realisierten Kurzfilme war, Körper und Bewegung in einem konkreten urbanen Raum in Lausanne zu inszenieren und so eine neue Lesart des jeweiligen Ortes anzubieten. Andererseits sollte Tanz in alltäglichen Situationen auch einem unfreiwilligen Passanten-Publikum angeboten werden. In Les arches führte Philippe Saire selbst Regie und zeichnet auch für Kameraführung und Schnitt verantwortlich. Die Choreographie entstand zusammen mit den beiden Tänzerinnen und dem Tänzer. Für den achtminütigen Film wählte er die prägnanten hohen Bögen unter der Grand-Pont, die zentral mitten in der Stadt das Flon-Tal überspannt. Filmstill aus Cartographie 2 – les arches, Die in der zweiten Hälfte Choreographie und Regie: Philippe Saire (2002) des 19. Jahrhunderts gebaute Brücke hat eine markante geometrische Struktur – verschiedene Bildeinstellungen im Film zeugen von einer starken Linearität in der Bildperspektive. Saire reizte der Kontrast von monumentaler Starre und flüchtiger Bewegung der Körper.110 Die erste Einstellung zeigt einen zentralperspektivischen Blick durch die Brückenbögen und definiert damit den realen urbanen Raum. Passanten queren das Bild von rechts nach links, eine Frau schaut in Richtung der Kamera, die vermutlich auf einem Stativ fixiert war. Ein Tourist mit Fotokamera bleibt stehen und fotografiert in Richtung Kamera. Seine asiatischen Begleiterinnen bleiben ebenfalls stehen, schauen und lächeln – und gehen weiter. Mit dieser Situation wird die mediale Situation offen gelegt, die Anwesenheit der Videokamera im Off verraten. Autos und Fahrräder passieren die belebte Straße von rechts und links, in näheren Einstellungen dazwischen montiert gehen 109 Vgl. C. Rosiny: Videotanz, S. 138ff. 110 »Dans ce travail, j’ai mis l’accent sur ces distinctions de matières, celle fluide, vivante et adaptable des corps, et celle dure et inamovible de l’architecture.« (Kommentar von Saire zu seiner Arbeit auf http://www.philippesaire.ch/pdf/PhilippeSaireficheartistique.pdf vom 11.1.2010 und Pressedokumentation.)

Themenfeld 4: Videotanz

und laufen die Tänzerinnen und der Tänzer durchs Bild – zuerst sind sie kaum als inszenierte Figuren erkennbar. Deutlich wird die Momentaufnahme: ein Ausschnitt einer Stadtszene mit passierendem Verkehr. Bewegungen von Autos und Menschen finden auch im Off-Raum vor und nach Eintritt in den Bildausschnitt statt. Das Bildarrangement gleicht dennoch einer Guckkastenperspektive, die Brückenbögen wirken wie reale urbane Kulissen. Erst nach einer Großaufnahme des Gesichts des Tänzers und einer nächsten fixen Einstellung durch die Bögen, die aus einer totalen Perspektive weitere Bögen freigibt, liegt eine Tänzerin mit dem Rücken zur Kamera auf einer Steinbank, und mit einer Kamerafahrt zurück erscheint auch die zweite Tänzerin in derselben Position auf einem Steinsims liegend. Beide stemmen die Füße gegen die Mauer, die Körper wirken in der Körperspannung wie ein Teil des starren urbanen Schauplatzes, und genau dadurch mutiert der Alltagsraum zum inszenierten Raum. Im weiteren Verlauf verfolgt die Kamera, teilweise auch eine Handkamera, die Bewegungen der drei Tanzenden. Diese Verdoppelung von Bewegung verstärkt als Kontrast zur Starre die Flüchtigkeit von Bewegung – in manchen Einstellungen erscheint Bewegung im Bild durch die Trägheit der Kamerabewegung oder ungenügende Lichtverhältnisse sogar verwischt und erhöht damit den Flüchtigkeits- und Geschwindigkeitseffekt. Straßengeräusche und zufällige Passanten begleiten den Film weiter: Neben den einzelnen Alltagsbewegungen der drei Performer entwickeln sich verschiedene Duette zwischen ihnen, verbindende Umarmungen oder wie Streitsituationen wirkendes Partnering im Stile der Kontaktimprovisation. Sprachliche Äußerungen einer Tänzerin gehen im Lärm eines Presslufthammers unter. In der Mitte des Films verfolgt die Kamera mit Reißschwenks die drei, die sich vom Brückenschauplatz wegbewegen, wie bei einer Verfolgungsjagd. Nach sechs Minuten setzt zu den Straßengeräuschen eine untermalende klassische Streichermusik ein, welche die an den Mauern der Bögen ausgeführten langsamen und anlehnenden Bewegungen begleitet. Das Bewegungsvokabular besteht aus für den zeitgenössischen Tanz typischen, aus Alltagsbewegungen entwickelten Sequenzen, ergänzt durch aus dem Kontakt mit Boden und Mauern entstehendes Rollen, Lehnen, Stützen oder Abstoßen. Der Film endet mit der linearen Perspektive durch die Brückenbögen des Beginns, Tauben fliegen hoch, Autos passieren, ein Fahrrad kreuzt das Bild, eine Tänzerin geht nach oben blickend in die Knie und verschwindet hinter der Steinbank. Les arches nährt sich aus Kontrasten. Neben den Gegensätzen von Starre der architektonischen Umgebung und Flüchtigkeit der Körper und ihrer Bewegung ergänzen sich Inszenierung und Zufall, Anonymität und Begegnung. Der Film wirkt explorativ, spielt bewusst mit einer nicht logischen

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Montage, wenn beispielsweise zur Temposteigerung das Rennen der Akteure mit Reißschwenks der Kamera verdichtet wird. Montage und Dramaturgie entstehen aus den Elementen Raum und Bewegung, denn das klare Raumkonzept des Films wirkt in Ergänzung zum Bewegungskonzept. Typisch für das Genre einer Kamera-Choreographie wird das Potenzial von Bewegung vor der Kamera, der Kamera selbst und von Bewegung mittels Montage eingesetzt.111 Cartographie 2 – les arches ist ein Beispiel, in dem das Raumkonzept durch den urbanen Schauplatz bestimmt wird. Die Kadrierungen der Bildeinstellungen sind, wie Gilles Deleuze schreibt, ein »geschlossenes System«,112 das in Les arches in den die Tiefenwirkung betonenden Einstellungen zu einer Schichtung von Szenen führt: Während im Vordergrund choreographierter Tanz zu sehen ist, laufen im Hintergrund als Nebenszenen zufällige Situationen des urbanen Umraums ab wie beispielsweise die Touristengruppe. Das Bildfeld ist zudem geometrisch, wirkt als »Auffangvorrichtung«, in der »Bewegungen einen festen Halt finden«.113 Das Konzept in Les arches besteht aus Begrenzungen und Bewegungen, mal aus geometrisch kadrierten Einstellungen, in die sich Bewegung einfügt, mal aus Filmbildern, die auf allen Ebenen auf Bewegungselementen basieren. Architektur in Form einer urbanen Umgebung fungiert in Les arches als rahmendes Raumkonzept. Die Kamera erfasst diese starre Rahmung in festen Bildeinstellungen; sie wird im Kontrast der Bewegung der Körper gleichzeitig zur bewegenden Kraft, wenn die Handkamera den Duetten folgt und die Körper fast berührt oder mitläuft, um den Darstellenden zu folgen. Plötzlich wird die Stadt selbst unfassbar und vergänglich, zu einem Rhythmus, zu einem »System in Bewegung«.114 Und auch die Zuschauer haben an einem (Bewegungs-)Ausschnitt der Stadt teilgenommen, waren kurz bewusst oder unbewusst Beobachtende einer typischen urbanen Situation, in der die Anonymität für Momente irritiert und unterbrochen wird. Inszenierung eines virtuellen Bildraums In Weightless (2007) kombiniert die schwedische Möbeldesignerin und Innenarchitektin Erika Janunger die Elemente Architektur, Bewegung und Musik.115 Der knapp siebenminütige Film beginnt mit Nahaufnahmen von blin111 112 113 114 115

Vgl. C. Rosiny: Tanz im oder fürs Fernsehen? G. Deleuze: Das Bewegungs-Bild, S. 17. Ebd., S. 28. G. Klein: Stadt. Szenen, S. 21. Das vollständige Video präsentiert Jungener auf ihrer Website www.erikajanunger.com und es ist auch auf anderen Videoplattformen im Internet zu finden. Im Sommer 2012 liefen jeweils vor Mitternacht ein paar Minuten auf einem Großbildschirm am Time Square in New York im

Themenfeld 4: Videotanz

kenden Glühbirnen an Kabeln. Erst auf einen zweiten Blick fällt auf, dass diese an der rechten Wand ›liegen‹. In der zweiten Nahaufnahme baumeln sie quer durchs Bild – etwas stimmt nicht in der Raumwahrnehmung. Die dritte Einstellung zeigt eine Frau im Bett, nur der Kopf und ein Arm sind zwischen Laken zu sehen. Auf der Tonebene beginnt ein Sologesang mit »I get no sleep when you’re around, can’t put my thoughts back on the ground …«. Die nächste Einstellung zeigt den gesamten Raum, ein stilisiertes Schlafzimmer mit Fenster und Jalousie: Stuhl in einer Ecke, Bett an der rechten Raumwand sowie eine Stehlampe. Die Tänzerin Malin Stattin rollt sich aus dem Bett auf den Boden, stützt ihre Füße auf den Bettrand. Der Körper wirkt seltsam leicht, wenn Filmstill aus Weightless, sie in Rückenlage mit den Choreographie und Regie: Erika Janunger (2007) Beinen wieder aufs Bett rutscht. Als sie mit den Zehen gegen die dunkle Wand tippt und diese sich als Wasserfläche entpuppt, wird deutlich, dass dieser Raum nicht unserer realen Raumwahrnehmung entspricht. Resultat ist die im Titel des Films angekündigte Schwerelosigkeit. Nach zwei Minuten ändert sich die Grundfarbe des Raumes von Blau- zu Brauntönen, und eine zweite Tänzerin, Tuva Lundkvist, scheint auf einem Sessel zu liegen, bis die folgende Totale den gleichen Effekt verdeutlicht – die rechte Wand ist eigentlich der Boden des Raumes, die gesamte Szenographie um 90 Grad gedreht. Auch in diesem zum Wohnzimmer stilisierten Raum ist ein spärliches Mobiliar installiert: das gleiche Fenster, ein Leuchter an der Decke, ein Regal mit Büchern und eine Kommode, auf der zwei Kerzen stehen. Dieser Trick der Drehung des Raumes ist zwar aus anderen Filmbeispielen bekannt, doch können aus dem Spiel mit Bewegung verschiedene Illusionen resultieren. In Royal Wedding (1951) von Stanley Donen tanzt Fred Astaire in einer einzigen Einstellung zuerst realitätsgetreu auf dem Boden, dann fließend an der linken Wand hoch, an der Decke und schließlich an der rechten Wand hinunter. Das gesamte Mobiliar und die Kamera waren in einer

Rahmen von Times Square Moment: A Digital Gallery. Vgl. http://www.timessquarenyc.org/ times-square-arts/moment/archive/erika-janunger/index.aspx vom 11.11.2012.

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Art Trommel befestigt, so dass das Rollen der Kamera ausgeführt und die Illusion des schwerelosen Tanzes erzielt werden konnte.116 Da eine Rollbewegung der Kamera im Gegensatz zu einem Schwenken oder Neigen nicht unserer Realitätswahrnehmung entspricht und das konventionelle Kino sich an einer realistischen Raumwahrnehmung orientiert, fallen solche dem Filmmedium immanenten Möglichkeiten auf. Auch im Videotanz Waiting (1995) von Lea Anderson wird mit einer Verrückung des Raumes gespielt: Zu Beginn des Films ist noch nicht erkennbar, dass die drei Tänzerinnen nicht auf ihren Stühlen sitzen, sondern die Stühle im weißen Raum eigentlich an der Wand montiert sind. Die Irritation der Schwerelosigkeit wird erst in einer Aufnahme der Frauen mit Perücken und roten langen Haaren angezeigt – diese ›hängen‹ nach rechts statt nach unten. Auffallend ist an allen Beispielen, dass sie an Bühnenräumen orientierte Bildarrangements aufweisen. »Typisch sind Inszenierungen von Zimmern, die durch ihren Blickwinkel an Guckkasten-Bühnen erinnern«, schreibt Rayd Khouloki, der in einer Typologie von filmischen Räumen nicht nur formale Aspekte der Bildkomposition, sondern auch Emotion und Kognition als Subkategorien berücksichtigt.117 Raumkonstruktionen unter dem Begriff der Emotion können beispielsweise klaustrophobische Räume sein, die den Eindruck von Beengtheit vermitteln, unter einem kognitionstheoretischen Ansatz solche, bei denen das Raumverständnis im Vergleich zur Alltagserfahrung analysiert wird. Im Sinne einer realistischen Filmdarstellung wird »ein Raum in seiner Geografie, also in seiner Ausdehnung und der Anordnung der Objekte, identifizierbar dargestellt«.118 Meistens treten solche Identifizierungsprozesse nicht ins Bewusstsein der Zuschauenden, da sie der gewohnten Wahrnehmung entsprechen. Erst wenn die vertraute räumliche Orientierung Oben-Unten, Rechts-Links und Vorne-Hinten entsprechend den X-, Y- und ZAchsen des Koordinatensystems eines Raumes außer Kraft gesetzt werden, fällt dies auf. Khouloki spricht hier von »nichteuklidischen Räumen«119 und nennt als Beispiel aus der Filmgeschichte 2001: A Space Odyssey (1968). Inhaltlich ist dieser filmästhetische Kunstgriff hier nachvollziehbar, denn mit ihm soll die Schwerelosigkeit im Weltall filmisch erfahrbar gemacht werden. Interessant, aber auch naheliegend ist, dass im Videotanz mit solchen Konzepten der Raumwahrnehmung gespielt wird. Weightless reizt die Verkehrung der Raumdimension Oben-Unten in beiden Szenerien auf die gleiche Weise aus. Die eingefügten Nahaufnahmen der Protagonistinnen sorgen 116 117 118 119

J. Monaco: Film verstehen, S. 192. R. Khouloki: Der filmische Raum, S. 118ff. Ebd., S. 121. Ebd., S. 122.

Themenfeld 4: Videotanz

vorübergehend für eine ›räumliche Erholung‹, vereinzelte Kameraeinstellungen aus einer leicht erhöhten Perspektive brechen die sonst dominante zentralperspektivische Aufnahme, bevor in der nächsten Szene unser Gehirn gezwungen wird, die Raumwirkung erneut mit der realen Alltagserfahrung zu vergleichen. Die Tanzbewegungen der beiden sind langsam, den Raum erkundend; gleichzeitig verlangte die Choreographie eine präzise auf den Raum eingehende Ausführung, um die Raumillusion zu unterstützen. Im letzten Drittel des Films werden Schlaf- und Wohnzimmer in der Montage immer häufiger miteinander verschränkt, die Bewegungen der beiden Frauen dynamischer, die Kamera verfolgt einzelne Bewegungen mit einer parallelen Kamerafahrt, und auch die Bücher werden im Flug vom Regal der Schwerelosigkeit preisgegeben. Es erstaunt nicht, dass in Blogs und Kommentaren zu Weightless immer wieder diese Irritation und gleichzeitige Verführung bewundernd erwähnt wird – einige geben zu, den Film mehrere Male angeschaut zu haben, denn es braucht eine starke kognitive Anstrengung, um alle Details der Effekte zu übersetzen und im Vergleich zu unserem realen Realitätssinn zu ›verstehen‹. Weightless wurde am zweiten »International Scenographers’ Festival IN3« im November 2008 in Basel sogar in einer Live-Version gezeigt. Die auf YouTube von einer starren Kamera wiedergegebene Aufzeichnung zeigt einen ähnlichen Wohnzimmerraum in Gelbtönen mit einer zusätzlichen Treppe.120 Auch hier verblüfft der Raum dadurch, dass die rechte Wand eigentlich der Boden und Schwerpunkt für die Tänzerin ist. Das Publikum, das hier zu hören ist, konnte freilich das filmische Erlis der Schwerelosigkeit nicht erlebt haben, sondern sah die Schwerkraft der Tänzerin in einem um 90 Grad verkehrten Raumrahmen oder wohnte einer filmischen Live-Projektion mit einer starren Kamera entsprechend der Aufzeichnung auf YouTube beispielsweise in einem Nebenraum bei. Hier ging es primär um die Präsentation der Szenographie, die in einem Workshop mit Erika Janunger im Vorfeld des Festivals gebaut worden war. In den letzten Einstellungen symbolisiert nochmals die Glühbirne am langen Kabel in beiden Räumen das Thema Schwerelosigkeit – die Lampe hängt nicht im Lot, sondern ist Spielzeug für die beiden Tänzerinnen, bevor die letzten Bilder die gleichen Aufnahmen der ›liegenden‹ bzw. horizontal baumelnden Glühbirnen zeigen. Der Film funktioniert auf einer Ebene der Verführung zum Erlebnis Schwerelosigkeit. Der an die Stimme von Björk erinnernde Sologesang – Erika Janunger komponierte und interpretierte die Musik selbst und fügte sie nach der Fertigstellung des Films als drittes Ele120 http://www.YouTube.com/watch?v= gQwNJZ0oq vom 21.1.2010.

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ment hinzu – beinhaltet ein zusätzliches narratives Angebot, eine Art diegetische Erzählerstimme, die in Fragmenten Stimmungen von Schlaflosigkeit, Einsamkeit und die traumartige Illusion der Schwerelosigkeit – im übertragenen Sinn des verlorenen Bodens in einer Beziehung andeutet: »We lost ground and that broke both our hearts.«121 Wie die beiden Beispiele zeigen sollten, liegt in einem bewusst angelegten Raumkonzept im Genre Videotanz ein Potenzial, um damit eine bestimmte ästhetische Wirkung hervorzurufen. Inwieweit eine im Raumkonzept intendierte Wirkung allerdings ›ankommt‹, kann nur begrenzt geplant werden. Den Zuschauenden bleibt die individuelle Freiheit der Wahrnehmung, diesen Konzepten eigene Interpretationen zuzufügen. Subjektive kausale Verknüpfungen und innere mentale Räume entstehen ausgeprägt im Tanz, wenn nur wenige narrative Vorgaben gemacht werden. So kann Les arches zum Sinnbild der Stadt werden oder schlicht zu einem Genuss von Bewegungswahrnehmung im Raum, von visuell starker Bildkomposition oder Flüchtigkeit und Nicht-Bedeutung von Bewegung. Und Weightless kann nebst der Irritation der Raumwahrnehmung als sinnliche Erfahrung eines klaustrophobischen Raumes als eine Verrückung der Welt mit illusionistischem Potenzial oder als traumartiger Zustand in der Reflexion des Menschseins alleine oder in Beziehungen erlebt werden. Sicher ist allerdings, dass ein konzeptioneller Zugang über den Raum im Videotanz ein starkes Potenzial vom Realismus in Richtung Illusionismus erwirken und Sehgewohnheiten brechen kann. Medientheoretische Zwischenbilanz: Intermediales Paradegenre Videotanz

Das in den 1980er Jahren entstandene Genre Videotanz kann unter medientheoretischen Gesichtspunkten als intermediales Paradegenre bezeichnet werden. Zudem kann der Videotanz im Zuge der Entwicklung des zeitgenössischen Tanzes in seiner Stilvielfalt sozusagen als audiovisuelle Variante des vielfältigen zeitgenössischen Tanzes gelesen werden. Wie bei anderen Genres gibt es einen historischen Vorläufer zum Videotanz, den Experimentalfilm – markante Beispiele mit Tanzthemen sind Filme von Maya Deren, Ed Emshwiller, Norman McLaren und anderen, die in ihren Konzepten die Eigenheiten der Choreographie für die Filmkamera und deren Produktionsmöglichkeiten erkundeten. Der Videotanz ist als technischgeschichtliche Fortsetzung eine Synthese aus Tanz und Video, die das gestalterische Poten-

121 http://www.lyricsmania.com/weightless_lyrics_erika_janunger.html vom 11.11.2012.

Themenfeld 4: Videotanz

zial des Repräsentationsmediums Video nutzt, das gegenüber dem Experimentalfilm zusätzlich elektronische Manipulationen ermöglicht. Analog dem Themenfeld 3 bestehen Verwandtschaften zu dokumentarischen Varianten – das Videomedium wurde vielfach zuerst bzw. auch als Hilfsmedium im Kreationsprozess für die Bühne verwendet. Solche dokumentarischen Aufnahmen offenbarten die Schwachstellen eines Medienwechsels einer dreidimensionalen Raumkunst in ein zweidimensionales Abbildungsmedium. Daraus resultierten Forschungen wie die besprochenen von Cunningham, bei denen es um die Frage ging, wie gerade die filmischen Eigenheiten des Videomediums ausgereizt werden können. Markant ist in diesem Genre das intermediale Potenzial der Verschränkung des Bewegungsaspekts von Tanz und Kamrera. Aus diesem sowie Raumund Zeitmanipulationen resultieren eigene Konzepte. Der Videotanz kann als filmisches Gegenstück zum Videoeinsatz auf der zeitgenössischen Tanzbühne gewertet werden. In beiden Varianten werden Tanz und Film im Sinne einer Medienkombination intermedial miteinander verwoben – einmal ist das Repräsentationsmedium die Bühne, das andere Mal das filmische Medium.

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Themenfeld 5: Tanz und digitale Technologien1 Seitlich der Bühne sitzt ein 14-jähriges Computerkid an einem Joystick. Jimmy Petri steuert in Lara die bekannte Pixel-Lady Lara Croft aus dem Computerspiel »Tomb Raider«. Computergenerierte Szenarien, verschiedene Levels aus dem Computerspiel sieht das Publikum auf einer großformatigen Videoprojektion, zu denen die Tänzerinnen der niederländischen Dansgroep Krisztina de Châtel in Dialog treten. Die leibhaftigen Körper werden zusätzlich mittels Live-Kameras in die Projektionen geschnitten – virtuelle Welt und Bühnenwirklichkeit nähern sich an, wenn die Tänzer scheinbar mit ins Spiel eintauchen. Filmstill aus Lara, Choreographie: Krisztina de Châtel (1998) Der Auftritt der Compagnie im Rahmen der Berner Tanztage 1999 verdeutlicht eine für die 1990er Jahre typische Tendenz: Vor der Jahrtausendwende, in den Anfangsjahren der massiven Verbreitung digitaler Techniken und des Internets, ist auch in den Bühnenkünsten ein Trend zur Verwendung digitaler und interaktiver Medientechniken festzu-stellen – dies als logische Folge des Verlaufs der Mediengeschichte, bei dem auch im Tanz jeweils neue Technologien für verschiedenste Zwecke eingesetzt wurden. Neben den reinen Bühnentechniken – heute wird jede Bühnenaufführung in Ton, Licht und Bild von Computerprogrammen gesteuert – interessieren im

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Teile des folgenden Kapitels wurden bereits veröffentlicht unter dem Titel »Körper, Tanz, Technik«.

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Folgenden vor allem solche Verfahren, die ästhetische Auswirkungen auf Dramaturgie und Rezeption von Tanzwerken haben. Die These zu diesen Arbeiten lautet: Die technischen Anforderungen an solche interaktiven Werke sind oft so komplex, dass die Rezeption und das Verstehen der Technik das ästhetische Konzept überlagern. Herausforderung der intermedialen Beziehung ist in diesem Feld, eine Balance zwischen Tanz und Medieneinsatz zu finden. Gruppen wie die schon in den 1980er Jahren von Robert Wechsler in New York City gegründete, später in Nürnberg sesshafte Palindrome Inter. Media Performance Group, die Alien Nation Co. von Johannes Birringer – der auch als Wissenschaftler zum Thema Tanz und Technologien publiziert 2 – oder die 1994 in den USA gegründete Troika Ranch, die Tanz, Theater und Medien (daher der Name Troika) verbindet, widerspiegeln den Einsatz von digitalen Technologien. Allerdings war bei vielen Performances dieser Gruppen der ausgeklügelte, komplexe Dialog von tanzenden Körpern und Computersystemen für das Publikum nur bedingt nachvollziehbar: Die Präsenz der Körper geht oft in der Bilderflut verloren, denn die Projektionen mit bunten Bildern in schnellen Schnitten reizen die visuelle Wahrnehmung stärker; die Medien dominieren die Choreographie, die Qualität des Tanzes lässt neben der elaborierten Technik zu wünschen übrig, oder die Komplexität der Technik ist weder erkennbar noch nachvollziehbar. Parallel zur Entwicklung von künstlerischen Produktionen widmeten sich unter dem Titel »IDAT – International Dance and Technology Conference« vier Tagungen in den 1990er Jahren in den USA und Kanada dem Thema. 3 Interessanterweise fand die Reihe keine Fortsetzung im neuen Jahrtausend – dies kann als Bekräftigung meiner These gesehen werden, dass der Hype um neue Technologien im Tanz seither abgeklungen respektive der Einsatz gewöhnlicher geworden ist. 4 Auch Websites, die in dieser Zeit als Plattformen des Austausches entstanden, werden teilweise nicht mehr bewirtschaftet oder fusionierten mit anderen. Sie bieten aber immer noch – wie insbesondere die »Dance and Technology Zone« 5 – einen Fundus an theoretischen 2 3

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Vgl. J. Birringer: Media and Performance, und ders.: Performance, Technology, and Science. 1992 an der University of Wisconsin, Madison, 1993 an der Simon Fraser University, British Columbia in Kanada, 1995 an der York University, Toronto, und 1999 noch einmal in den USA an der Arizona State University in Tempe, Arizona. Zu diesen entstanden teilweise Tagungsbände mit Beiträgen quer durch alle möglichen Themen bis hin zur Entwicklung von computerbasierten Notationssystemen und Bewegungsanalysen oder zur Beschreibung künstlerischer Konzepte. Im April 2011 veranstaltete das MIT (Massachusetts Institute of Technology) ein Symposium zu »Dance Technology«, insbeondere im Hinblick auf die Nutzung von Social Media. http:// web.mit.edu/slippage/dancetech/ vom 11.11.2012. http://art.net/~dtz/ vom 11.11.2012.

Themenfeld 5: Tanz und digitale Technologien

Texten und bibliografischen Hinweisen aus dieser Zeit. Die damals führenden amerikanischen Universitäten, die im Bereich von Tanz und Technologie forschten, gründeten 2001 einen interdisziplinären Verbund von Künstlern, Technikern und Studierenden, ADaPT: the Association for Dance and Performance Telematics, um einen Austausch in der kreativen Zusammenarbeit via Internet und über Zeitzonen hinweg zu etablieren, als die Möglichkeiten des Web 2.0 sich ausbreiteten.6 Auch diese Website wird nicht mehr bewirtschaftet. Ebenfalls in den 1990er Jahren entstand aus einem Forschungsprojekt »The Digital Performance Archive«. Dieses ist an die Universität von Bristol und die dortige Theatersammlung angegliedert. Der Bestand an Videobändern und gedruckten Dokumenten sollte digitalisiert und zugänglich gemacht werden. Heute ist die Website www.dance-tech.net eine der führenden Fachplattformen im Netz und versammelt in Web-2.0-Manier Informationen, Filmdokumente, Blogs, Live-Streamings usw. Auch in Europa fanden Veranstaltungen statt: In London organisierte Terry Braun in den Jahren 1994 bis 1998 jährlich »Digital Dancing Workshops«, in den Niederlanden wurden 1996 Symposien bzw. Workshops in Amsterdam und Rotterdam durchgeführt, und in Deutschland fanden in den Jahren 1999 und 2000 Symposien zu Tanz und Technologie in der Reihe »Cross Fair« im Rahmen der Tanzlandschaft Ruhr statt, die in zwei Ausgaben der Zeitschrift »tanzdrama« dokumentiert wurden.7 Im Choreographischen Zentrum NRW (seit 2002 PACT Zollverein – Performing Arts Choreographisches Zentrum in Essen) wurden Workshops »Tanz und neue Medien« durchgeführt, aus denen 2002 ein Buch hervorging. 8 Diese Sammelbände oder Themenhefte9 liefern kaum eine mögliche Systematik des Einsatzes von neuen Technologien im Tanz. Kerstin Evert strukturiert ihr Grundlagenwerk in fünf Themengebiete, die auf Arbeitsweisen, choreographische Prozesse und behandelte Inhalte verweisen: 1. Adaption filmischer Segmentierungs- und Montageverfahren, 2. Inszenierung des Cyberspace auf der Bühne, 3. Adaption hypertextueller Strukturen, 4. Inszenierung von interaktiven, computerbasierten Systemen als Erweiterungen des Körpers und 5. Metaphern des (Computer-)Netzes, die mit dem Körper

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http://www.dvpg.net/adapt.html vom 11.11.2012. Siehe tanzdrama Nr. 51, Heft 2/2000, S. 6–51, und Nr. 57, Heft 2/2001, S. 6–33. Vgl. S. Dinkla/M. Leeker: Tanz und Technologie. Zum ausführlichen Stand der Forschung bis 2003 vgl. K. Evert: DanceLab, S. 33–38. 2001 erschien außerdem in Italien ein Sammelband: E. Quinz: La scena digitale. In diesem thematisieren Künstler wie Robert Wechsler, die Software-Entwickler Paul Kaiser und Thecla Schiphorst oder Künstler und Forschende wie Johannes Birringer, Susan Kozel und Scott deLahunta ihre Arbeit. Das Jahrbuch von »ballettanz« widmete sich in der Nummer 8/9 1997 dem Thema Tanz und Technologie.

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vollzogen werden.10 Die zwischen 2007 und 2010 am MIT (Massachusetts Institute of Technology) entstandenen amerikanischen Grundlagenwerke zu Performance und Technologie, die den Tanz mit behandeln, suchen neben der Aufarbeitung historischer Vorläufer nach ähnlichen Rubriken, um das weite Feld zu strukturieren. Während Steve Dixon neben Geschichte und Theorien Kapitel zu Körper, Raum, Zeit und Interaktivität wählt,11 teilt Chris Salter im Fokus auf Bühnenszenerie und Architektur in Raum, Projektionen, Ton, Körper, Maschinen und Interaktion ein.12 Susan Kozel, Philosophin und Performerin, die selber lange mit neuen Medien arbeitete und inzwischen als Professorin für New Media in Malmö, Schweden, wirkt, unterscheidet nach einem Einführungskapitel zur Phänomenologie der Performance in »Telematics: Extending Bodies«, »Responsive Architectures: An Embodied Poetics«, »Motion Capturing: Performing Alterity« und »Wearables: The Flesh of Social Computing«.13 Auf der Basis dieser Literatur habe ich für die folgenden Analysen Themenfelder definiert und dazu paradigmatische Beispiele ausgewählt, die das Spektrum von spezifischen Ästhetiken aufzeigen sollen. Kriterien für die Auswahl war die Verwendung von digitalen Techniken im Unterschied zu analogen Medien wie beispielsweise die in früheren Kapiteln besprochenen Videoprojektionen. Doch wobei mittlerweile werden analoge und digitale Medien oftmals parallel und wie im erwähnten Beispiel Lara kaum noch unterscheidbar verwendet.

Choreographie per Software »LifeForms« in Merce Cunninghams CRWDSPCR (1993)

Computertechnologien beeinflussen seit den 1960er Jahren die Künste. Video, Film, Grafikdesign, Fotografie oder Musik integrierten die digitale Kodierung in Aufzeichnung, Komposition und Übertragung. Und Neuerungen und Verbesserungen von Prozessorgeschwindigkeiten oder Speicherkapazitäten, Entwicklungen von Softwares wurden sogleich angewendet.14 Scott deLahunta beschreibt die Annäherung des Tanzes an digitale Technologien als eine »periodische oder episodische Entwicklung«, die mit einzelnen Künstlern

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Vgl. K. Evert: DanceLab, S. 13. Vgl. S. Dixon: Digital Performance. C. Salter: Entangled. S. Kozel: Closer. Einen guten Überblick über die Computerentwicklung in Kunst und Tanz bietet S. deLahunta: Periodische Konvergenzen: Tanz und Computer.

Themenfeld 5: Tanz und digitale Technologien

verbunden ist, denn der bewegende Körper eigne sich »nur bedingt als Material für die Digitalisierung«.15 Zu Beginn der 1960er Jahre hatten sich wie erwähnt Tänzerinnen und Choreographen aus dem Umfeld von Merce Cunningham zum Judson Church Movement formiert.16 Die Gruppe, die unter Robert Dunn Kompositionsprinzipien des Zufalls studierte und den Austausch mit anderen Künsten suchte, war ebenso von den neuen elektronischen Technologien fasziniert. Im Oktober 1966 fand unter dem Titel »9 Evenings: Theater and Engineering« in New York ein Ereignis statt, das die einjährige Zusammenarbeit von zehn bildenden und Performancekünstlern präsentierte.17 Beteiligt waren die Judson-Mitglieder Alex und Deborah Hay, Lucinda Childs, Yvonne Rainer, Steve Paxton sowie John Cage, David Tudor, Robert Rauschenberg und andere.18 Während in diesen Aufführungen interaktive Abläufe und die Verknüpfung mit Kommunikationstechniken erprobt wurden, ergaben sich durch die Entwicklung von Computerprogrammen in den 1980er Jahren neue Möglichkeiten.19 Beispiele solcher Software sind »LifeForms« oder 3D-Motion-CaptureVerfahren, die einerseits im Prozess des Choreographierens, andererseits auch als Mittel interaktiver Aufführungssysteme zum Einsatz kommen können. Merce Cunningham, der mit John Cage, Nam June Paik, Robert Moog und anderen bereits 1965 mit Variations V ein auf Sensoren basierendes interaktives Multimedia-Spektakel kreierte, entwickelte die Software »LifeForms« ab 1989 mit der Computerspezialistin und Künstlerin Thecla Schiphorst an der Simon Fraser University Vancouver, Kanada. Michael Noll hatte schon 1966 ein einfaches Choreographie-Programm am Computer erstellt, das auf einfachen Strichmännchen basierte und als Vorläufer für spätere Notationssoftware wie beispielsweise »LabanWriter« gilt. 20 Auch an der Simon Fraser University wurde ab 1971 an einem auf Symbolen basierenden Tanznotationssystem gearbeitet. Unter der Leitung von Thomas Calvert wurde die Beziehung zwischen Computertechnologie und menschlicher Bewegung erforscht: »Because dance is the most technically complex form of human movement

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Ebd., S. 67. Siehe im Themenfeld 2 das Kapitel zur Performancekultur. Ein zehnminütiges Dokument dieses Events ist auf der Dance-tech-Website zu sehen unter http://www.dance-tech.net/video/experiments-in-art-and vom 11.11.2012. Vgl. C. Salter: Entangled, S. 241f. Während erste Betriebssysteme in den 1950er und 1960er Jahren entwickelt wurden, Hardund Software jedoch noch verbunden waren, entstehen Software-Firmen in den 1980er und 1990er Jahren mit der Verbreitung der Personal Computer. Zur Geschichte des Computers und von Hard- und Software vgl. beispielsweise H.R. Wieland: Computergeschichte(n). Vgl. http://dance.osu.edu/labanwriter vom 11.11.2012.

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[…] and in a sense, dance encompasses all human movement within it […].« 21 Das Programm basiert auf drei Editoren bzw. Fenstern, um Bewegung zu generieren: einem Editor, um Bewegungssequenzen für einzelne Personen zu entwickeln, einem räumlichen Fenster, um Gruppen zu arrangieren, und einem zeitlichen Fenster, um die zeitliche Dimension festzulegen. 22 Der Tänzerkörper wird jedoch nicht real, sondern abstrahiert in Form von Strichen oder Kreisen in verschiedenen Farben abgebildet. In der auf »LifeForms« folgenden Version »Dance Forms« sind die Figuren realistischer geworden. 23 1991 kreierte Cunningham erstmals eine Choreographie, Trackers, mithilfe dieser Software. Roger Copeland erwähnt in seinem ausführlichen Buch über Cunningham, dass es für diesen folgerichtig war, nach der Trennung von Musik und Tanz, der Verwendung aleatorischer Prinzipien in der Choreographie und dem Einsatz von Film und Video den Einsatz von Computertechnologie zu erproben. 24 Texturen wie Hypertext und Algorithmen passen zu Cunninghams offenen Raumkompositionen, überlappenden Formationen und parallelen Abläufen. Entscheidend für seinen formalen Bewegungsstil war, mittels des Programms auch neue Bewegungsmuster auszuprobieren, die teilweise die menschlichen Möglichkeiten überstiegen, denn es lassen sich auch anatomische Unmöglichkeiten animieren. Die Software kann nicht selbständig choreographische Sequenzen erstellen, sondern dient als Hilfsmittel: »Choreographieren am Computer wird zu einem Planungsprozess«. 25 Das Programm muss mit Bewegungsvorgaben ›gefüttert‹ werden. Da Cunningham diese Inputs lieferte, ähnelten Choreographien, die mit »LifeForms« entwickelt wurden, dem Bewegungsvokabular von Cunningham. 26 CRWDSPCR (1993) war eine der in ihrem Bewegungsvokabular durch die Software »LifeForms« gekennzeichneten Choreographien, die Merce Cunningham in der Folge entwickelte. Der Titel referiert wie schon Tracker (1991) und Enter (1992) auf eine Computerterminologie. »Tracker« bezeichnet eine Funktion des Heranzoomens einer animierten Figur im Bildschirmfenster, »Enter« ist die wichtigste Computertaste, und CRWDSPCR liest sich wie eine auf Konsonanten kondensierte Version von Begriffen wie »crowd spacer« und »crowds pacer« und bezieht sich laut Copeland auf das Moore’sche Gesetz,

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Thecla Schiphorst in ihrer Präsentation der Software »LifeForms: Design Tools for Choreography« an der ersten Dance-and-Technology-Konferenz 1992 in Madison, Wisconsin. In: W.A. Smith: Dance and Technology I, S. 47. Kerstin Evert beschreibt die Funktionsweise der Software detailliert in: DanceLab, S. 65ff. Vgl. Website der Firma Character Motion: http://charactermotion.com/products/danceforms/ vom 11.11.2012. Die Software wird vermehrt auch für den Unterrichtssektor propagiert. Vgl. R. Copeland: Dancing for the Digital Age, S. 184. K. Evert: DanceLab, S. 69. Die Zürcher Ventura Dance Company kann als Beispiel aufgeführt werden.

Themenfeld 5: Tanz und digitale Technologien

das eine Verdoppelung der Integrationsdichte, also der Anzahl Schaltkreise pro Computerchip, pro Jahr umschreibt. Die Steigerung der Integrationsdichte ist wesentlicher Fortschritt der digitalen Technologie. 27 Tempo und Dichtheit der Bewegungen in CRWDSPCR beziehen sich auf diesen Fortschritt, beispielsweise in einem Solo eines Tänzers, der in kürzestem Rhythmus zwei Dutzend Sprünge ausführt. Weitere durch die Software bestimmte Merkmale sind lineare Armhaltungen anstelle früherer Port-de-bras-Haltungen. Generell wirken Bewegungen und Bewegungssequenzen abgehackt. Zu dieser Zeit vermochte die Programmversion noch keine Partnerkonstellationen zu schaffen, und im Editor der Timeline wurden einfach die »Keyframes«, also die Schlüsselbilder der Software-Animation, hintereinander gefügt. Auch dadurch entspricht die Choreographie eher Posen von Einzelpersonen. Das Stück dauert 28 Minuten, die individuellen Ganzkörpertrikots der 13 Tänzerinnen und Tänzer bestehen aus rechteckigen farbigen Flächen. 28 Die Musik von John King trug den Titel »blues 99« und bestand aus elektronisch transformierten Gitarrengeräuschen. Die Choreographie beginnt mit einem Tableau der Tänzerinnen und Tänzer, die bewegungslos in unterschiedliche Raumrichtungen blickend auf der Bühne verteilt stehen. Im weiteren Verlauf lassen sich vier größere Abschnitte unterteilen, die wiederum in Unterabschnitte gegliedert sind. 29 Das Ende des Stücks besteht aus einem starken Kontrast zum statischen Anfang: Die Tänzerinnen und Tänzer bewegen sich im Schlussbild individuell, schnell und in komplexen Abläufen. Wichtig für Cunningham war, dass mithilfe der Software das Bewegungsvokabular erforscht, ausgereizt und neue Bewegungen wie die formalen Armbewegungen gefunden wurden, denn: »The computer opens the eye to detail – the way a photograph does.« 30 Für die Tänzerinnen und Tänzer bedeutete dieser Arbeitsprozess nicht nur eine große Anstrengung, da manche vom Programm vorgegebene Bewegungen zuerst kaum umsetzbar schienen, sondern auch das Erlernen von Bewegungsvarianten, die vorher in der Cunningham-Technik nicht vorkamen, wie beispielsweise die neu gefundenen geraden Armhaltungen. 27 28

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R. Copeland: Dancing for the Digital Age, S. 188f., und Stichwort »Mooresches Gesetz« unter http://de.wikipedia.org/wiki/Mooresches_Gesetz vom 11.11.2012. Das Stück wurde von der Cunningham Dance Company im März 2011 ein letztes Mal in New York im Rahmen des Abschlussjahres nach Cunninghams Tod aufgeführt. Ein kurzer Clip zu diesem Auftritt, bei dem die Kostüme, die formalisierten Bewegungen und die elektronische Musik deutlich werden, ist auf YouTube zu sehen. 1996 produzierte Elliot Caplan unter dem gleichen Titel einen knapp einstündigen Dokumentarfilm, der die Probenarbeit zu CRWDSPCR während eines Jahres begleitet. Zur genauen Beschreibung des Stücks vgl. K. Evert: DanceLab, S. 61ff. Merce Cunningham in der Ankündigung des Dokumentarfilms CRWDSPCR unter http:// www.artfilms.com.au/Detail.aspx?ItemID = 90 vom 3.8.2011.

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Markant an CRWDSPCR ist die Inszenierung von Details, von Gesten und Posen. Die Bewegungen sind determiniert von den Vorgaben der Software. Geometrische Isolationen einzelner Körperteile und staccatoartige Posituren charakterisieren das Vokabular. Das Programm akzentuiert Armbewegungen, die vorher bei Cunningham weniger Beachtung fanden, oder ergab neue Oberkörperdrehungen. Bewegung entfaltet sich nicht als Fluss, sondern aus Segmentierungen des Körpers. Daraus resultiert im Parameter der Zeit ein Rhythmus der Unterbrechungen. Als weiteres starkes Zeitmerkmal ist eine zunehmende Temposteigerung im Stück festzustellen. Auf der Ebene des Raumes sind aufgrund der Software andere und vielfältigere Perspektiven entstanden. Generell passen die erwähnten Charakteristika zu den Grundeigenschaften der Cunningham’schen Ästhetik von Multiperspektivität, Gleichzeitigkeit und stark isolierten Bewegungen. Wie Kerstin Evert zusammenfasst, ist bei Cunningham die »technologisch bedingte Wahrnehmungsveränderung des bewegten Körpers […] Ausdruck eines Abstraktionsprozesses« im choreographischen Prozess, also eine logische Weiterentwicklung in der Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten des Medieneinsatzes in der Choreographie. CRWDSPCR »has both crowded space and quickened pace«. 31

Tanz auf telematischen Bühnen Susan Kozels und Gretchen Schillers Ghosts and Astronauts (1997)

Telematische Aufführungen boomten in den 1990er Jahren mit der Etablierung und Verbesserung von Rechnernetzwerken, Internet oder Telefonund Mobilfunk. Solche Projekte basieren auf der Kombination von Computertechnologie und Telekommunikation, wie sie bei Videokonferenzen eingesetzt wird. Erst die technische Übertragung vervollständigt das performative Ereignis, das Bilder eines entfernten Ortes mit Handlungen vor Ort zu einer Aufführung oder Installation zusammenführt. Bekannt in der bildenden Kunst sind die Installationsarbeiten von Paul Sermon, der beim Pionier der Telekommunikationskunst und Theoretiker Roy Ascott in den 1980er Jahren studiert hatte. 32 In Telematic Vision von 1993 standen an zwei Orten (dies konnte in einem Museum in verschiedenen Etagen oder an zwei entfernteren Orten sein) je ein blaues Sofa und über Telefonleitungen verbundene Monitore.

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R. Copeland: Dancing for the Digital Age, S. 189. Vgl. Interview mit Paul Sermon zum Thema »Tanz auf telematischen Bühnen« in: S. Dikla/ M.Leeker: Tanz und Technologie, S. 245–267.

Themenfeld 5: Tanz und digitale Technologien

Mittels Bluebox-Verfahren sahen sich die Benutzer der beiden Sofas auf einem Bild und schienen sich so in einem dritten telematischen Raum zu begegnen und zu ›berühren‹. Diese unwirklichen Körperkontakte irritierten und belustigten zugleich. Im Jahr zuvor hatte Sermon mit Telematic Dreaming ein ähnliches Arrangement mit einem Bett geschaffen. In dieser Installation wirkte Susan Kozel während zwei Monaten in Amsterdam als Performerin. Sie lag in einem Bett in einem separaten Raum, das Publikum konnte sich in einem anderen Raum und Bett ›zu ihr‹ legen. 33 Die virtuelle Berührung im Bett löste eine Verschiebung, ein anderes Gefühl der Wahrnehmung aus und thematisierte den Begriff des »Cybersex« in jener Zeit, auch wenn Sermon selbst diesen nicht im Zusammenhang mit seiner Installation sah. 34 Kozel beschreibt demgegenüber eine einzelne gewalttätige Cybersexerfahrung, bei der sie von zwei Männern in Lederjacken attackiert wurde. In dieser Situation habe sie aus Selbstschutz eine Trennung von physischem und virtuellem Selbst innerlich vollzogen. Meistens habe sich jedoch der ›Kontakt‹ mit dem jeweiligen Partner wie bei einer guten Kontaktimprovisation angefühlt – es entstand ein hypnotisches Gefühl, eine Offenheit für eine nächste Bewegung, bei der die Unterscheidung, welcher Körper real und welcher irreal war, unwichtig wurde. Die Begegnungen seien von einer starken Körperlichkeit geprägt gewesen. 35 Einer Tanzperformance mit Telepräsenz wohnte ich schon 1992 in Charleroi bei: Ein Tanz wurde live vor Ort ausgeführt, während der Partner in Kanada tanzte und auf eine Leinwand neben den leibhaftigen Tänzer in Belgien übertragen wurde, so dass beide virtuell miteinander tanzten. Die Kopräsenz von Darstellenden (und Publikum) wurde damit in einem (Theater-) Raum aufgespalten und in Frage gestellt. 36 Die Kritik an solchen Experimenten war, dass die Sender-Empfänger-Situation eindimensional und nicht anders als bei Fernsehübertragungen sowie stark von der Übertragungstechnik abhängig sei – in Charleroi brach damals die Leitung ständig zusammen. Dennoch entstanden, wie auch Steve Dixon bemerkt, gerade in den letzten Jahren des 20. Jahrhunderts eine ganze Reihe von telematischen Performances. Häufig mit der Unterstützung von Universitäten, da dort die notwendigen technischen Bedingungen zuerst vorhanden waren. 37 33

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Ein Aufsatz von Suzan Kozel zu dieser Performance lautet: Spacemaking: eine zwar schlechte Aufnahme ist zu finden unter http://www.YouTube.com/watch?v= S4Wt16PnqeY vom 11.11.2012. Auf YouTube sind auch Kurzdokumentationen von Besuchern von Sermons Installationen zu sehen. Vgl. Paul Sermon im Interview in: S. Dikla/M. Leeker: Tanz und Technologie, S. 249. Vgl. S. Kozel: Spacemaking, o.S. Vgl. K. Evert: DanceLab, S. 242f. Vgl. S. Dixon: Digital Performance, S. 423ff.

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Ghosts and Astronauts verband zwei Londoner Theaterorte: die »Riverside Studios« und »The Place«. Das Projekt war Teil des »Digital Dancing Workshop« 1997 in London. Während die Riverside Studios als Arbeitsräume dienten, in denen das Computerequipment, das Publikum und die Tänzerinnen einen Raum teilten, war der Raum im Place Theatre sehr viel stärker von Theaterkonventionen geprägt, und die Zuschauer mussten dazu aufgefordert werden, von der Tribüne auch auf die Bühnenfläche zu gehen. Für die Choreographie war Susan Kozel verantwortlich, die auch tanzte, die digitale Choreographie schuf Gretchen Schiller, die eine der Kameras führte. Schiller zählt wie Kozel zu den Pionierinnen im Tanz und Technologie-Feld und forscht an der Londoner Brunel-Universität. An beiden Orten wurden mittels eines damals erhältlichen Videokonferenzsystems »CUSeeMe« die Tänzer des anderen Ortes als Projektionen gezeigt, so dass die Live- und telematischen Tänzerinnen und Tänzer jeweils entgegengesetzt kombiniert waren. Die Kameras, welche die Bilder via Internet übertrugen, bewegten sich ebenfalls, tanzten mit – teilweise wurden kleine analoge Kameras in den Händen gehalten, es wurden aber auch digitale Kameras verwendet. 38 Kozel reflektiert die Begegnung der tanzenden Körper aus Fleisch und Blut im Kontrast zu den phantasmatischen Körpern der virtuellen Realität als eine Verflechtung von Materiellem und Immateriellem. Diese Hybridität gestatte unter Zuhilfenahme von Paul Virilios Schriften auch eine kritische Reflexion unserer von Technologie vereinnahmten Gesellschaft. 39 Kozel spricht wie bei Telematic Dreaming von einer Erfahrung des ›Hier und Jetzt‹, auch in der Telepräsenz. Diese erlaube neue Raumerfahrungen jenseits von gewohnten kartesischen Koordinatensystemen, die auf den X-, Y- und Z-Achsen basieren. Die Wahrnehmung fluktuiere zwischen der Konfrontation mit dem zweidimensionalen Projektionsbild und der Interaktion mit diesem Bild, es sei ein ›Dazwischen‹ der Räume erfahrbar.40 Kozel ließ sich von Merleau-Pontys Verständnis von körperlichen Wahrnehmungserweiterungen und Experimenten der französischen Choreographin Kitsou Dubois inspirieren, die künstlerische und wissenschaftliche Projekte und Recherchen zur Schwerelosigkeit, unter anderem auch mit Astronauten, realisierte. Auf der Bewegungsebene der Aufführung wurde mit Improvisationen gearbeitet, die sich auf die Wahrnehmungserweiterungen und Ideen der Schwerelosigkeit bezogen. Die Übertragung der Bewegungen durch bewegte 38

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Vgl. ebd., S. 425. Ein Videoband der Aufführung scheint sich im Digital Performance Archiv in Bristol zu befinden, war mir allerdings nicht zugänglich, so dass Aspekte der Aufführung aus Sekundärquellen und Kozels Aufsatz zum Stück entnommen wurden. S. Kozel: Exiles, Ghosts, and Astronauts, S. 105. Ebd., S. 107 und S. 112.

Themenfeld 5: Tanz und digitale Technologien

Kameras intensivierte zudem den ästhetischen Effekt von Schwindel und Schwerelosigkeit. Gleichzeitig wurde das räumliche Empfinden im Dialog mit den projizierten Tanzpartnern ausgereizt. Als stärkster Parameter einer telematischen Tanzaufführung wirkt die spezielle Raumkonstellation – erst die Kombination von übertragenem und realem Raum ergibt die beschriebene ästhetische Erweiterung. Allerdings funktioniert hier die Medienkombination ähnlich wie beim vorproduzierten analogen Medieneinsatz als Konfiguration körperrealer und mediatisierter Systeme.41 Dass die mediale Konfiguration telematisch erzeugt wird, muss sich aus dem Kontext der Aufführung erklären, um als technischer Effekt gewürdigt zu werden. Unter dem Parameter der Zeit verlaufen zwei Aktionen zeitgleich, aber räumlich getrennt. Mittels Übertragungstechnik werden zwei Zeitfenster zu einer Einheit verschmolzen, sie sind zeitgleich präsent, nicht wie beispielsweise im Film bei einer Parallelmontage in Auslassungen nur ›gedacht‹. Räumliche und zeitliche Präsenz sind dabei filmisch abhängig von der jeweiligen Übertragungsart, die in unterschiedlichen Bildausschnitten erfolgen kann.

Choreographie als Hypertext William Forsythes CD-ROM Improvisation Technologies (1994) und Website Synchronous Objects (2009)

Die im folgenden Kapitel vorgestellten interaktiven Hilfsmittel stehen nur indirekt im Kontext einer ästhetischen Analyse. Da beide Projekte jedoch eine weitreichende Wirkung haben und sich auf das Choreographieren im digitalen Zeitalter auswirken, sollen beide kurz vorgestellt werden. William Forsythe suchte zu Beginn der 1990er Jahre ein »training tool«, ein Werkzeug, um den Ensemble-Mitgliedern sein Bewegungsvokabular und seine Improvisationsprinzipien besser vermitteln zu können. Improvisation Technologies. A Tool for the Analytical Dance Eye wurde in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Kunst und Medien (ZKM) in Karlsruhe produziert. 42 Nach einer Begegnung von Forsythe mit Paul Kaiser, der damals ein multimediales Archiv der Theaterarbeit von Robert Wilson entwickelte, wurde zuerst ein digitales Archiv diskutiert, schließlich aber wurden Lecture Demonstrations von William Forsythe ins Zentrum gerückt und mit grafischen Linien und Formen versehen, um wichtige Prinzipien für sein Verständnis von Bewegung und 41 42

Siehe Themenfeld 2. W. Forsythe: Improvisation Technologies. Die erste Version von 1994 war noch eine Festplattenversion, die 2. und 3. Aufl. ist im Handel als CD-ROM mit Begleitheft beim Verlag Hatje Cantz erhältlich.

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deren Kinesphäre zu veranschaulichen. Als Denkmodell zugrunde liegt das Raumverständnis von Rudolf von Laban, das davon ausgeht, dass Bewegungen in unterschiedliche Raumebenen und Richtungen unterteilt werden können.43 Interaktives Prinzip der daraus entstandenen CD-ROM ist die individuelle Navigation in verschiedenen Themenbereichen und Unterthemen. Überdies wurden Elemente des Stücks Self Meant to Govern aufgezeichnet, an dem Forsythe 1994 arbeitete. 44 Auf der Festplattenversion konnte hier zwischen vier Kameraperspektiven auf die Choreographie gewechselt werden. Ferner umfasst die CD-ROM ein siebenminütiges Solo von Forsythe, in dem er versuchte, »25 Jahre Tanzerfahrung auf sieben Minuten zu konzentrieren«. 45 Dieser Kurzfilm kondensiert eindrücklich Forsythes Tanzstil. Die im Begleitheft als »interaktive Tanzschule« bezeichnete CD-ROM dient nicht nur der Company von Forsythe als Arbeitsinstrument, sondern wurde auf zahlreichen Festivals, Symposien und in Ausstellungen gezeigt und ist heute an vielen Ausbildungsinstituten und Universitäten wichtiges Hilfsmittel beispielsweise für den Improvisationsunterricht, denn Forsythes Improvisationsregeln unterstützen generell das Finden von Bewegungsmöglichkeiten. Eine solche Arbeitsweise entspricht dem zeitgenössischen Tanz, bei der die Tänzerinnen und Tänzer zu Mitautoren werden. Während die CD-ROM vor allem auf das individuelle Bewegungsvokabular eingeht, gibt die Website Synchronous Objects Einblicke in choreographische Strukturen. Das choreographische Material basiert auf der Forsythe-Choreographie One Flat Thing, Reproduced (2000), das im Bockenheimer Depot in Frankfurt uraufgeführt wurde. Das Projekt entstand in enger Zusammenarbeit mit der Ohio State University unter der künstlerischen Leitung von Forsythe, Norah Zuniga Shaw und Maria Palazzi. Die Website zum Projekt wurde 2009 aufgeschaltet.46 Daten, bestimmte »Objekte«, »Synchronous Objects« wurden aus dem Stück genommen, um an diesen choreographische Organisationsstrukturen zu verdeutlichen. Vergleichbar zur CD-ROM dienen wiederum grafische Eingriffe sowie Animationen der Visualisierung von Strukturen. Auf der dynamisch gestalteten Website (mit sich bewegenden Bildern der Themen) kann individuell zwischen den

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Kerstin Evert widmet der CD-ROM ein eigenes Kapitel, in dem sie alle Funktionen genau erklärt. Sie diskutiert außerdem allgemein algorithmische Verfahren bei Forsythe, in: dies.: DanceLab, S. 127–132. Nick Haffner, der als Tänzer des Balletts Frankfurt an der Projektleitung beteiligt war, beschreibt zusammen mit dem Designer Christian Ziegler die CD-ROM: Der Tänzer als Medium. William Forsythe im Interview mit Nik Haffner im Begleitheft zur CD-ROM (1999), S. 21. http://synchronousobjects.osu.edu vom 11.11.2012.

Themenfeld 5: Tanz und digitale Technologien

Objekten, verwandten Objekten und Erklärungsebenen navigiert werden. Zudem gibt es eine Ebene, auf welcher der jeweilige Arbeitsprozess erläutert wird. An beiden Projekten ist eine Haltung von Forsythe ablesbar, die Merkmal des digitalen Zeitalters ist: Wissen wird zugänglich gemacht und ein Austausch gesucht. »Am Ende des 20. Jahrhunderts muss man seine Arbeitsweise nicht geheim halten.«47 Forsythe geht es darum, die Modelle seiner Arbeit zur Verfügung zu stellen, damit diese reflektiert und von anderen in eigenen Projekten umgesetzt werden können. Wie sehr künstlerische und forschende Anliegen inzwischen zusammen wirken, zeigt, dass Norah Zuniga Shaw im Jahr 2010 unter dem Titel Synchronous Objects, reproduced eine eigene künstlerische Installation schuf. Die Website steht nicht nur online zur Verfügung, sondern wird auch als Arbeitsinstrument vorgestellt oder als Installation präsentiert. Synchronous Objects ist Basis eines von 2010–2013 laufenden neuen Projekts, »Motion Bank«. Hier soll zudem Bewegungsmaterial von Gastchoreographinnen und -choreographen zugänglich gemacht werden, um choreographische Praxis in einem breiteren Kontext und in einer Zusammenarbeit von unterschiedlichen Disziplinen und Institutionen zu erforschen.48

Digitalisierung und Virtualisierung von Bewegung Motion Capturing in Merce Cunninghams Biped (1999) und Bill T. Jones’ Ghostcatching (1999)

»Motion Capture« bezeichnet eine Bewegungserfassung, bei der Sensoren oder Infrarotpunkte an Gelenken und bestimmten Körperstellen von mehreren Kameras erfasst und Bewegungen als digitalisierte Daten in ein 3D-Format ›gerendert‹, übertragen werden. Solche Software, ursprünglich beim US-Militär zur Ziel- und Positionserkennung entwickelt, wird in Animationen, für Spezialeffekte in Hollywood-Filmen, Werbeclips und Computerspiele verwendet, beispielsweise in »Tomb Raider«. Mittels Motion Capture (MoCap) werden virtuelle Figuren generiert und zum Bestandteil einer Choreographie. Ausgangspunkt für diese Software ist wie bei »LifeForms« menschliche Bewegung – die Daten werden von Tänzerinnen und Tänzern vorgegeben. Die Übertragung der Bewegungsqualität hängt von mehreren Faktoren wie der Anzahl Sensoren und der Detailtreue in der Wiedergabe ab, wenn die digitalisierten Bewegungsdaten auf ein virtuelles Bewegungsskelett

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R. Copeland: Dancing for the Digital Age: Merce Cunningham’s Biped, S. 23. http://motionbank.org vom 11.11.2012.

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übertragen werden. Eine historische Linie kann zu den Reihenfotografien von Eadward Muybridge gezogen werden, 49 denn auch das Anliegen des damaligen Verfahrens war es, Bewegung in ihren Details sichtbar und fassbar zu machen. Obwohl an der naturgetreuen Wiedergabe seit Langem, beispielsweise im »MiraLab« von Nadja Magnenat-Thalmann an der Universität in Genf, geforscht wird, um mittels »Performance Capture« auch den Gesichtsausdruck eines Schauspielers zu generieren, 50 werden in den folgenden Tanzbeispielen bewusst virtuelle, abstrahierte Figuren als Gegenüber der realen Tänzerinnen und Tänzer eingesetzt. »Biped« hieß die von Paul Kaiser und Shelley Eshkar entwickelte Software in ihrer Alpha- und Beta-Version, die Merce Cunningham schon 1998 mit Kaiser und Eshkar in der Installation Handdrawn Spaces und schließlich 1999 in der Choreographie Biped verwendete.51 Kaiser erwähnt als Referenz zum Titel der Choreographie neben der technischen eine anatomische, denn Cunninghams lebenslanges Interesse war es auszuprobieren, was ein Körper auf zwei Beinen ausführen kann. 52 Die gerenderten Daten wurden in Form von virtuelFilmstill aus Biped, Choreographie: Merce Cunningham, len Gestalten in unterdigitale Technik: Paul Kaiser und Shelley Eshkar (1999) schiedlichen Größen auf einen Gazevorhang projiziert, mal schlicht in Form der Sensorenpunkte, so dass die Figuren wie beleuchtete Weihnachtsbäume wirkten, mal an das Bewegungsskelett des Programms erinnernd. Diese durchsichtigen, geisterhaften Figuren bewegten sich im Pas de deux mit den realen 14 Tänzerinnen und Tänzern.53 Die Kritik sah in Cunninghams Biped eine Vision der Zukunft 49 50 51 52 53

Siehe im Themenfeld 1 das Kapitel zu den Tanz- und Filmpionieren. Im Film Avatar von James Cameron aus dem Jahr 2009 wurden die meisten Charaktere mittels Performance Capture animiert. Vgl. R. Copeland: Dancing for the Digital Age. Paul Kaiser in: R. Copeland: Dancing for the Digital Age: Merce Cunningham’s Biped, S. 26. Ich habe eine Aufführung des Stücks im gleichen Jahr der Uraufführung, die in Berkeley stattfand, in der Filature in Mulhouse, Frankreich, gesehen. Die realen Tänzer, die mit den farbigen Strichfiguren auf dem Gazevorhang vorne am Bühnenrand verschmolzen, sind mir in starker Erinnerung geblieben. Eine genauere Beschreibung des Stücks vgl. K. Evert: DanceLab, S. 77–84. Ausschnitte des Stücks sind auf verschiedenen Videoportalen im Internet, u.a. auch auf der Dance-tech-Website zu finden.

Themenfeld 5: Tanz und digitale Technologien

und einen Wendepunkt in der Entwicklung der digitalen Performance: »A kind of utopian imagination, rooted in the corporeal, in which the human intermingles with the natural (animal) and the technological.« 54 Das Bewegungsmaterial entwickelte Cunningham auch für Biped mit der »LifeForms«-Software. Die virtuellen Projektionen von Kaiser/Eshkar dauerten 28 Minuten und waren in Sequenzen zwischen 15 Sekunden und 4 Minuten unterteilt. Die silberblauen Ganzanzüge der Tänzerinnen und Tänzer reflektierten durch einen Metallschimmer zusätzlich die Projektionen. 55 Die Sequenzen wurden nach dem Zufallsprinzip in das 45-minütige Stück projiziert, d.h. Live-Tanz, Projektionen ebenso wie die Musik von Gavin Bryars wurden wie gewöhnlich bei Cunningham erst bei der Premiere zusammengefügt. 56 Kaiser und Eshkar, Medienkünstler der OpenEnded Group, die seit den 1990er Jahren an einigen Tanzprojekten beteiligt waren, waren auch für den digitalisierten Tanz in Bill T. Jones’ Ghostcatching (1999) verantwortlich. In diesem Werk, das sowohl als Installation, als Projektion in einem Soloabend von Bill T. Jones wie auch als eigenständiger achteinhalbminütiger Film und in Form von großformatigen Prints in einem Ausstellungskontext gezeigt wurde, bewegt sich ein virtueller Bill T. Jones, ähnlich abstrahiert zu einem entkörperlichten grafischen Skelett wie die Figuren in Biped, ohne Muskeln und Masse. 57 An seinem Körper, vor allem an den Gelenken, waren 24 Kontaktpunkte befestigt worden, um seine Bewegungen im optischen Verfahren mittels Kameras zu digitalisieren. Ausgangspunkt der 3D-Animationen waren fotografische Vorlagen, die Bill T. Jones in einem Bodypainting des GraffitiKünstlers Keith Haring zeigen. Jones improvisierte ausgehend von diesem Set von sieben Posen. 58 Shelley Eshkar, der an der Cooper Union in New York Zeichnen, Fotografie, Bildhauerei und Computeranimation studiert hatte, brachte Erfahrungen mit der Digitalisierung und Animation von Zeichnungen in der Arbeit mit Studierenden oder in der Umsetzung der Arbeiten von Robert Wilson und William Forsythe mit. Er verfeinerte das Konzept mit Methoden, wie sie im Animationsverfahren der Rotoskopie, im vereinfachten Zeichnen von Bewegungsfolgen, verwendet werden.59 Susan Amkraut und Michael Gerard hatten schon für das mit Cunningham zusammen entwickelte

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Dee Reynolds in: S. Dixon: Digital Performance, S. 190. Eine detaillierte Beschreibung des Stücks gibt R. Copeland: Dancing for the Digital Age, S. 193f. In einem Videoausschnitt von Biped erläutert der Kritiker der »New York Times« Bewegungsvokabular und Projektionen unter http://www.YouTube.com/watch?v= aQMlTsNtxM vom 11.11.2012. Vgl. I. Kästner: Der Urahn. Ein Gespräch mit Paul Kaiser. Bill T. Jones beschreibt das Projekt in ders.: Dancing and Cameras, S. 107. Ein Essay auf der Website beschreibt detailliert den Prozess des Projektes http:// openendedgroup.com/index.php/publications/older-essays/steps/ vom 11.11.2012.

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Projekt Handdrawn Spaces eine Software »Character Studio« entwickelt, die nicht von der Abtastung menschlicher Bewegung ausgeht, sondern ein Animationsverfahren von Zeichnungen ist, und kombinierten diese in Ghostcatching mit dem Material aus dem Motion Capturing. Zu den Bewegungen der geisterhaften Figuren, die wiederum grafische Formen zeichnen – Jones wurde zu mehreren ›Geistern‹ geklont – ist Jones’ Stimme zu hören, die summt und einzelne melodische Phrasen intoniert. Bill T. Jones ist präsent und doch ›unheimlich‹ seines Körpers entzogen. Er tanzt mit sich selber, mit Geistern, die aus einem Körper zu entsteigen scheinen, sich materialisieren und immaterialisieren und so nochmals anders als in Biped auch eine psychologischemotionale Komponente vermitteln. Jones selbst bezeichnete diese Verdoppelungen als »spawns«, als Ausgeburten seiner selbst, und drückte seine Angst aus, seine Seele ginge verloren: »After my motion is captured, the question remains: what entity will next inhabit this motion? Is it a ghost? (It is certainly not Filmstill aus Ghostcatching, Choreographie: Bill T. Jones, me.) Has it taken a piece of digitale Technik: Paul Kaiser und Shelley Eshkar (1999) me? Or did I spawn it – a life 60 in another world?« An der Reaktion auf die Aufführung in der Cooper Union und der Kritik in der »Village Voice« ist trotz der mehrheitlichen Faszination auch ein Argwohn ablesbar, der Tanz und Technologie, Körper und Abbild, in der Entmaterialisierung begleitet. 2010 entstand unter dem Titel After Ghostcatching eine weitere, längere Version, unterstützt von einer neueren Software, die noch mehr des damals digitalisierten Bewegungsmaterials von Jones verarbeitet.61 Die verschiedenen Computerprogramme sind zu komplex, um sie hier detailliert zu erläutern. Dennoch wird an Ghostcatching und Biped deutlich, dass es in einem solchen künstlerischen Projekt nicht primär darum geht, Bewegung authentisch abzubilden oder zu generieren, sondern eine ästhetische Umsetzung zu finden, welche die Digitalität, die Abstraktion

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Bill T. Jones in der »Village Voice« vom 12.1.1999, S. 33, zit. in: S. Kozel: Closer, S. 233. Ausschnitte beider Arbeiten auf der Website der Open Ended Group unter http:// openendedgroup.com/artworks.html vom 11.11.2012.

Themenfeld 5: Tanz und digitale Technologien

durch den Datenprozess betont, denn Motion Capturing kann für sehr unterschiedliche ästhetische Konzepte eingesetzt werden. Der Reiz des Motion Capturing im Tanz liegt in der Dialektik von Körpern und körperloser Bewegung. Bedeutete der Einsatz der Videotechnik noch die Abbildung von Körper und Bewegung, werden hier nur noch Bewegungsdaten als Datenfiguren verfügbar gemacht und der Körper ›entmaterialisiert‹ und von der Schwerkraft entbunden. Durch die Kombination von Bühnenrealität und virtueller Projektion entsteht vergleichbar mit den telematischen Aufführungen eine Kopräsenz dieser Räume. Die virtuellen Figuren schweben in einem künstlichen, vom Computer generierten Raum – sie sind damit einen Schritt weiter als in einer analogen Videoprojektion einer realen Räumlichkeit enthoben. Auch die Zeit hat keine Referenz mehr zu einem fassbaren Ablauf. Durch Verdoppelungen von Figuren und Bewegungen wird Zeit zu einer ästhetischen Schichtung ohne Realitätsbezug. Exkurs: Virtueller Videotanz in N+N Corsinos Captive (2nd Movement) (1999)

Das französische Choreographen-Paar Nicole und Norbert Corsino gründete im Zuge des Booms des zeitgenössischen Tanzes in Frankreich ihre Compagnie N+N Corsino. Schon bald wechselten sie jedoch ihr choreographisches Arbeitsfeld und realisierten ab Ende der 1980er Jahre ihre »choreographischen Fiktionen«62 in Filmen und Installationen. Erste Arbeiten im Genre des Videotanzes waren beispielsweise La Pré de Mme Carle (1988), Un avion, presque au milieu du lac (1989), 211 jours après le printemps (1990) oder die siebenteilige Serie von Hafengeschichten Circumnavigation (1992–1994), die in ihrer Heimatstadt Marseille und in den Häfen von Triest, Rotterdam, Riga, Vigo, Lissabon und Vancouver gedreht wurden. Der siebte Teil entstand in Vancouver aus einer Erprobung der Software »LifeForms«. Anschließend wurde Totempol in einer Residenz im französischen Montbéliard zusammen mit dem Centre international de création vidéo (CICV Pierre Schaeffer) fertiggestellt. Das Video vereinigte virtuelle Verdoppelungen und digitale Rasterungen von zwei Tänzern mit analogen Abbildungen. 63 Im gleichen Jahr wie Biped und Ghostcatching schufen sie einen weiteren Film mit Motion Capturing – Captive (2nd Movement). N+N Corsino zählen zu den Pionieren im Gebrauch von Tanz und neuen Technologien in Frankreich. Sie selbst sehen sich als Kunstschaf-

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Website der Künstler: www.nncorsino.com vom 11.11.2012. Der Film ist im Internet unter http://www.noe-tv.net/?affichage =1&collection =3&film_ id = 59 vom 11.11.2012 zu sehen.

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fende in verschiedenen Feldern, wobei Bewegung und deren Modulationen meist der Ausgangspunkt ihrer Kreationen sind. Captive (2nd Movement) irritierte in seiner virtuellen Schwarzweiß-Ästhetik als erstes Werk des Videotanzes, das ausschließlich in einem digitalen Verfahren entstand. Basis der drei virtuellen Figuren, die noch als weibliche erkennbar sind, waren die Bewegungen von drei Tänzerinnen, Nicole Corsino, Ana Teixido und Carme Vidal, die auf einer Bühne mittels Infrarot-Sensoren und acht Kameras digitalisiert wurden. Am Computer wurden die Bewegungsabläufe weiterentwickelt – deshalb der Titel »2nd Movement« – und in eine virtuelle 3D-Umgebung versetzt.64 Die Szenographie besteht aus abstrakten Geographien, urbanen und wüstenähnlichen Landschaften. Diese erinnern an virtuelle Raumumgebungen von Computerspielen, da die Räume keine Begrenzungen haben und man immer tiefer in diese virtuellen Welten hinein zu tauchen scheint. Die Wahl einer Schwarzweiß-Version, in der nur kurz einzelne farFilmstill aus Captive (2nd Movement), bige Elemente wie ein roter Choreographie und Regie: N+N Corsino (1999) Wasserhydrant oder eine gelbe Fassade eines Hochhauses erscheinen, schafft hingegen – anders als in der Farbigkeit von Computerspielen – einen starken Abstraktionsgrad. Die Wirkung der Räume wird durch einen Klangteppich unter anderem aus Wasserrauschen und Stadtgeräuschen unterstrichen. Der zwölfminütige Film kann in verschiedene Szenen eingeteilt werden: Zu Beginn tanzt eine Figur vor ihrem abstrakt gezeichneten Double, das auf einer riesigen Breitwandleinwand tanzt. Nach einer Sequenz, in der die Tänzerin kurz in ein urbanes Setting eintaucht, bewegt sie sich auf einem gitterartigen Steg, der über ein dunkles Wasser führt. Anschließend taucht wiederum eine Figur in die ›Tiefe‹ des virtuellen Raumes ein und passiert einige Monitore, auf denen Frauenge-

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Dieses Werk wurde an verschiedenen Festivals gezeigt und befindet sich beispielsweise in der Sammlung des Deutschen Tanzarchivs in Köln oder in der Cinémathèque de la danse in Paris. Ein kurzer Ausschnitt kann im Katalog der Cinémathèque angeschaut werden unter http://www.lacinemathequedeladanse.com/catalogue/fiche/398, eine volle Version unter http://www.noe-tv.net/?affichage =1&recherche = corsino&film_id =35, beide vom 11.11.2012.

Themenfeld 5: Tanz und digitale Technologien

sichter zu sehen sind. Im nächsten Teil tanzt jemand zwischen baumartigen Gebilden, im letzten bewegen sich alle drei Figuren um großformatige Kristalle herum, um schließlich selbst kristallin zu werden und ins Nirgendwo des virtuellen Raumes zu entschwinden. Der Film, der wiederum am CICV und mit Mitteln des Fernsehkanals Canal+ entstand, erhielt im Jahr 2000 den Pixel Ina Award und den Preis der Kreation beim Dance-Screen-Festival in Monaco. Die Bewegungen der drei animierten Figuren wirken vereinfacht und formalisiert – die Körper ähneln eher der Spielfigur Lara Croft oder einer Barbiepuppe. Das Gleiten durch die unbegrenzten Räume wird durch Bewegungen der Kamera erzielt, die sich frei im Raum in Ober- und Untersichten und vor allem auch in der vertikalen Achse mal schneller, mal langsamer bewegt. Tatsächlich werden Aufnahmen in solch künstlichen 3D-Räumen durch Positionen und Richtungen in der Software definiert – es wird keine Kamera in einen Raum platziert, die Bewegung der Kamera ist nicht an Bewegungsapparate wie Schienen oder Kran gebunden. Das Raumgefühl in diesem Film ist folglich auch keines, das einem realen Raumempfinden oder einer klassischen Filmästhetik entspricht. Die virtuellen Kameras ermöglichen das Eintauchen in künstliche unendliche Welten, ein Abheben, Fliegen und Vertiefen. Dementsprechend definiert Captive (2nd Movement) keinen erzählenden Verlauf der Zeit, sondern die Umgebungen werden als narrative Fragmente addiert – die virtuelle Reise beginnt und endet irgendwo im Nirgendwo. N+N Corsino erproben gerne als zusätzliche räumliche Erweiterung ihre Kreationen auch in Form von Installationen und schufen in den letzten Jahren Werke, die im Kunstkontext gezeigt werden. 2009 entwickelten sie Soi Moi, eine choreographische Navigation, die im AppStore für das iPhone angeboten und ebenfalls als Installation gezeigt wird, die wiederum mittels Mobiltelefon interaktiv bedient werden kann. 15 ein- bis zweiminütige choreographische Sequenzen werden in dieser spielerischen Applikation mittels Kamera und Mikro beeinflusst und variiert. 65

Interaktive Aufführungssysteme und Installationen Ein breites ästhetisches Experimentierfeld waren in der letzten Dekade vor der Jahrtausendwende interaktive Aufführungssysteme und Installationen, die dank entsprechenden Funktionen von digitalen Technologien seit den 1980er Jahren erprobt wurden.66 Frühe Systeme bzw. Software waren das 65 66

Zu weiteren Phänomenen digitaler Tanzproduktionen, die auf Mobiltelefonie basieren, siehe Themenfeld 6. Scott deLahunta erwähnt, dass bereits ab den 1960er Jahren die ersten Computerprogramme beispielsweise von den Pionieren A. Michael Noll und John Lansdale für den Tanz entwickelt wurden. Vgl. ders.: Tanz und Computer, S. 73.

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»Very Nervous System« (VNS) des kanadischen Künstlers David Rokeby, die über Module aufgebaute, am Pariser IRCAM (Institut de Recherche et Coordination Acoustique/Musique) entwickelte Software Max/MSP oder die BigEye-Software des Amsterdamer Studio for Electro Instrumental Music (STEIM). Gerade im Kunst- und Musikbereich werden seither mit derartigen Computerprogrammen und daran angeschlossenen Sensorsystemen Installationen entwickelt, die das Publikum individuell begehen und in denen es auch neue Sinneswahrnehmungen beispielsweise in 3D erleben kann.67 Jeffrey Shaw schuf schon 1983 für das Mickery Theater in Amsterdam »Points of View«, ein Werk, bei dem der Zuschauer per Joystick die Aktionen von virtuellen Figuren und deren Ansichten steuern konnte. 68 Shaw war auch am ersten Kunstprojekt beteiligt, welches das CAVE-System (Cave Automatic Virtual Environment) verwendete. Dieser Raum, den mehrere Zuschauer zugleich betreten können, von der Tänzerin Carolina Cruz-Neira initiiert und an der Universität von Illinois in Chicago entwickelt, wurde erstmals an der Konferenz SIGGRAPH (Special Interest Group on Computer Graphics and Interactive Technique) 1992 vorgestellt. In Europa befindet sich ein solcher Raum im Ars Electronica Center in Linz. In »ConFiguring the Cave« von Shaw wird in einem solchen Raum die Umgebung anhand einer bewegbaren Gliederpuppe gesteuert, sie tanzt beispielsweise zu einer Ballettmusik.69 Pioniere des interaktiven Computereinsatzes auf der Tanzbühne entwickelten eigene Software-Produkte: Die New Yorker Gruppe Troika Ranch mit »MidiDancer« ein tragbares Sensorensystem, das die Signale drahtlos an den Computer senden konnte. 1999 entstand eine zweite Version einer Software dazu, »Isadora«, mit der die Signale der Bewegungen gesteuert und audiovisuell manipuliert werden. Für die in Nürnberg sesshafte Gruppe Palindrome schuf Frieder Weiss mit »EyeCon« ein auf Kameras basierendes Abtastsystem, das wie »Isadora« bis heute vertrieben und von anderen Compagnien verwendet wird. Allerdings werden die Programme mittlerweile je nach Produktion variiert, wie Frieder Weiss zu seiner Produktion Glow erläuterte.70 Interaktive Aufführungen resultieren aus den Korrelationen zwischen Körperbewegungen der Auftretenden, die durch die digitale Technik Bilder und Töne auslösen und variieren. Allerdings besteht die Gefahr, dass gerade bei technisch aufwendigen Systemen für das Publikum der Clou der Interaktion vielfach nicht erkennbar ist. Auch für die Aufführenden waren insbesondere in der Pionier67 68 69 70

Siehe hierzu weiter S. Dinkla: Pioniere interaktiver Kunst. Vgl. J. Shaw: Theater der Zeichen. A. Wesemann: Die 7 Welten der Gliederpuppe. Weiss sprach über seine Projekte anlässlich einer Präsentation beim Festival »Cinedans« im Dezember 2011 in Amsterdam.

Themenfeld 5: Tanz und digitale Technologien

phase die Systeme so komplex und sensibel, dass sie sich mehr auf die Sensorenpunkte auf der Bühne konzentrieren mussten als auf die Qualität der Bewegungsausführung. Inzwischen sind die Technologien deutlich besser, so dass interaktive und immersive Umgebungen eine weitere Variante eines medialen Einsatzes auf der zeitgenössischen Tanzbühne darstellen. Bei interaktiven Installationen »schlüpfen die Zuschauer in die Rolle der Aufführenden«,71 initiieren und manipulieren selbst diese Auslösemomente und erleben deren Wirkungen. Cage/Cunninghams Variations V

Variations V, ein Auftragsprojekt, das 1965 in der New York Philharmonic Hall uraufgeführt wurde, kann, wie Chris Salter bemerkt, als Vorläufer interaktiver Systeme gesehen werden.72 Diese spartenübergreifende Zusammenarbeit zwischen dem Choreographen Merce Cunningham, den Musikern John Cage, David Tudor und Robert Moog, dem Experimentalfilmer Stan van der Beek und dem Videopionier Nam June Paik spielte mit einer Interaktion zwischen Tanz, Klang und Bild. Das Zusammenspiel in diesem 50-minütigen Werk funktionierte auf der Basis von zwei kybernetischen Rückkoppelungssystemen, die Robert Moog und die Techniker Billy Klüver und Max Matthews entwickelt hatten. Sämtliche Töne, darunter Aufnahmen von lokalen Radiosendern sowie Geräusche, die man mittels Mikrofonen von den Tänzern einfing, wurden durch die Bewegungen der sieben Tänzerinnen und Tänzer ausgelöst und von den Musikern an den elektronischen Apparaturen beeinflusst.73 Das elektroakustische Klangsystem reagierte über Fotozellen ähnlich wie Lichtschranken auf Bewegungen. Auch die Projektionen von van der Beek und die Bildstörungen durch Nam June Paik wurden auf diese Weise gesteuert. Paik, der angeregt durch Störbilder im Fernsehen ab Anfang der 1960er Jahre mit optischen Phänomenen in seiner Videokunst experimentierte, wollte ursprünglich ähnlich der besprochenen Beispiele von Ulrike Rosenbach74 in einem Closed-Circuit mit Live-Kameras arbeiten – auf im Zuschauerraum verteilten Monitoren wären ›gestörte‹ Bilder der Tänzerinnen

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S. Dinkla: Zur Rhetorik und Didaktik des digitalen Tanzes, S. 25. C. Salter: Entangled, S. 237ff. Kerstin Evert und Ute Holl beschreiben das Stück im Detail. Vgl. K. Evert: DanceLab, S. 161– 166, und U. Holl: Ein taktil-skulpturales Sound-System. Holl geht insbesondere auch auf die 1966 vom NDR produzierte Fernsehfassung ein. Ein Ausschnitt ist auf der deutschen Medienkunstnetzwebsite unter http://www.medienkunstnetz.de/werke/variations-vvideo/ 1/ zu sehen, die Vollversion der Fernsehadaption des NDR auf ubu.com unter http://ubu. com/film/cage_variations5.html, beide vom 11.11.2012. Siehe im Themenfeld 2 das Kapitel zu Ulrike Rosenbach.

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und Tänzer zu sehen gewesen. Aus Kostengründen wurde das visuelle Konzept jedoch geändert, und Paik zeigte vorproduzierte ›gestörte‹ Bilder von Diaprojektionen und Filmaufnahmen auf Leinwänden, die sich hinten und seitlich auf der Bühne befanden. Van der Beek hatte hierzu in der für ihn typischen Weise eine Filmcollage aus Werbe-, Animations-, Spielfilmen und Aufnahmen aus Cunninghams Studio zusammengeschnitten. Es kam dennoch auch zu einer Interaktion, wenn sich die Tänzer durch den Projektionsstrahl bewegten, selbst zur Projektionsfläche wurden, bzw. einen Schatten auf die Projektion warfen. Kerstin Evert bemerkt, dass dieses Projekt eine der wenigen interaktiven Arbeiten von Cunningham geblieben ist, und sieht als Grund dafür, dass in Variations V die Tänzerinnen und Tänzer ›nur‹ Zulieferer für die Klangerzeugung waren und sich nicht wie sonst üblich in der Kooperation von Cage und Cunningham als unabhängige, gleichwertige Partner ergänzten.75 Variations V zeigt auf der Ebene der Bewegung die generelle Problematik vieler interaktiver Aufführungen: Der Tanz bedient das technische System, der »Prozess der Klangerzeugung [steht] stärker im Vordergrund als der Klang selbst.«76 Und die Zuschauenden sind damit beschäftigt, im Verlauf des Stückes die Funktionsweise der Technik zu verstehen. Auch die Wege im Raum sind durch die technischen Installationen vorgegeben und auf einfache Abläufe beschränkt. Der Faktor Zeit, der bei Cage/Cunningham stets durch Zufallsprinzipien ausgelöst wird, steht ebenfalls in Abhängigkeit zum technischen System. Allerdings wurde der Output der Klänge nach Zufallsprinzipien in die Schaltkreise und Tonbänder geführt. Die Kritik in der »New York Times« sah in Variations V trotzdem einen Ausblick auf ein Theater der Zukunft: »This would be a theater in which dance (possibly drama), music, scenery and, certainly, lighting, could be created simultaneously in the process of performance.«77 Troika Ranchs In Plane (1994)

Mark Coniglio, zusammen mit Dawn Stoppiello Gründer von Troika Ranch, hatte schon 1989 im Abschlussjahr in Musikkomposition am California Institute of the Arts, wo er Stoppiello kennenlernte, die einen Bachelor of Fine Arts in Tanz absolvierte, ein »Musical Instrument Digital Interface« namens »MidiDancer«, entwickelt, mit dem Performer Musik interaktiv kontrollieren konnten. Ähnliche Midi-Interfaces wie ein Datenhandschuh, mit dem Musik

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K. Evert: DanceLab, S. 162f. Ebd., S. 165. Allen Hughes in der »New York Times« vom 24.7.1965, zit. in: ebd., S. 166.

Themenfeld 5: Tanz und digitale Technologien

gesteuert wird, wurden vom Amsterdamer Labor für elektronische Musik STEIM entwickelt. Stoppiello hatte eine Lecture Demonstration der Videokünstlerin Steina Vasulka im Electronic Café in Los Angeles gesehen, bei der sie mittels einer Midi-Geige eine von einem Computer gesteuerte Laserdisc mit Bildern von Wasser, Feuer und anderen natürlichen Umgebungen bediente. Die Flexibilität der Laserdisc, die man vorwärts oder rückwärts laufen lassen und auf der man bestimmte Sequenzen anspielen konnte, überzeugte.78 Coniglio hatte nach ersten Arbeiten mit dem »MidiDancer« einen mit kleineren Sensoren aus Plastik verfeinerten Datenanzug entwickelt, mithilfe dessen die Signale drahtlos und die Bewegungsfreiheit weniger einschränkend ausgesenFilmstill aus In Plane, Choreographie: Dawn Stoppiello, det werden konnten. Die digitale Technik: Mark Coniglio (1994) Sensoren maßen Beugung und Streckung an den Körpergelenken, übermittelten Signale zu einem kleinen Computer, der unter dem Anzug am Rücken oder Bauch befestigt wurde. Diese Signale wurden in einen Code transformiert, der andere Theaterelemente wie Videokamera und -projektion oder digitale Soundsysteme steuern konnte.79 Das zwölfminütige Solo In Plane entstand 1994, kurz nach der Gründung von Troika Ranch, und wurde zum wegweisenden interaktiven Tanzwerk, in dem eine Tänzerin, Dawn Stoppiello, mit ihrem Videoabbild, mit ihrem »electronic body«, 80 in einen Widerstreit tritt. Stoppiello trägt einen weißen MidiDancer-Anzug, die Bewegungen der Gelenke und deren Steuerung der auf einer Laserdisc vorproduzierten Videobilder sind in diesem schlichten Setting deutlich erkennbar. 81 Auch beim Sound, der wie die Bilder mittels der Software »Interaction« gesteuert wurde und aus elektronisch-metallenen Geräuschen bestand, sind die reaktiven Bezüge zu den Bewegungen erkennbar. 78 79 80 81

D. Stoppiello mit Mark Coniglio: Flesh Motor, o.S. Die Technologie wird auf der Website der Gruppe unter http://www.troikaranch.org/ technology.html vom 11.11.2012 und von S. Dixon: Digital Performance, S. 197f. beschrieben. D. Stoppiello: Flesh Motor. Auf der Website von Troika Ranch ist ein Ausschnitt zu sehen: http://www.troikaranch.org/ vid-earlierWorks.html#plane vom 11.11.2012, und K. Evert widmet dem Stück ein eigenes Kapitel, vgl. dies.: DanceLab, S. 171–179.

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Insbesondere Geschwindigkeitsveränderungen im Bild und andere technische Variationen in Bild und Ton zeugen von Potenzial und möglichen Wirkungen einer solchen interaktiven Aufführung, bei der auch noch das Licht durch die Bewegungen geführt wurde. Dawn Stoppiello sagte zu ihren Erfahrungen im Datenanzug: »Es ist ein ganz eigenartiges Gefühl, die Umgebung durch deine Bewegung steuern zu können. Das verändert auch meinen Darstellungsstil. Ich komme mir überlebensgroß vor, und auch die Zuschauer merken das. Diese Wirkung ist unabhängig davon, ob das Publikum die Technologie versteht oder nicht.« 82 In In Plane ist die Funktionsweise zwischen Mensch und Maschine, zwischen Tanz und Technologie nachvollziehbar, durch die überbetonten Bewegungen in den Gelenken dirigiert und dominiert der Mensch die Technik. Stoppiello erlebte die Technik nicht als externe Objekte, sondern als Extension ihres Körpers. 83 Bewegung wird in In Plane typischerweise als Auslöser für die Interaktivität gebraucht, Stoppiello ›bedient‹ dadurch die Bühne. Tanz und Choreographie wirken durch diese Bewegungsnotwendigkeiten mit einem Grundvokabular aus Laufen, Springen, Fallen und Rollen eingeschränkt und auf kraftvolle Beugungen und Streckungen der Ellenbogen fokussiert, denn Beugungsgrad und Geschwindigkeit bestimmen die Auswahl der Klangfolgen und deren Lautstärke. Durch den Bildkörper entsteht auf der ansonsten leeren Bühne ein zweiter Raum. Dieser gerät zudem noch in Bewegung, denn die Tänzerin kann nicht nur den Bildinhalt und die Einstellungsgrößen variieren, sondern das Bild selbst bewegt sich, wenn mittels eines sich bewegenden Videoprojektors an verschiedenen Stellen der Bühne projiziert wird. Der Parameter der Zeit wird ebenfalls durch die Tänzerin gesteuert, insbesondere sichtbar in Bewegungsverlangsamungen und zeitlichen Bewegungsverschiebungen – der Bildkörper ahmt Bewegungen der Tänzerin nach, oder Stoppiello erwidert Bewegungen in der Projektion. Gideon Obarzanek/Chunky Move: Glow (2006) und Mortal Engine (2008)

Der Informatiker Frieder Weiss, der sich selbst als »Ingenieur in den Künsten« bezeichnet, 84 schuf ab 1993 als Partner von Robert Wechsler für Palindrome »EyeCon« – eine Software, die im Gegensatz zu Elektroden am Körper in einem Datenanzug externe optische Auslöser nutzte. Frühe Werke

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Zit. in: R. Wechsler: Computer im Tanz, S. 31. D. Stoppiello: Flesh Motor. http://www.frieder-weiss.de/ vom 11.11.2012.

Themenfeld 5: Tanz und digitale Technologien

von Wechsler suchten nach Beziehungen zwischen Bewegung und Ton. In Minotaur (1996) ist diese direkte Verbindung deutlich sichtbar – das Bewegungsvokabular ist wie die rhythmischen Töne abgehackt und rhythmisiert. Im Duett Touching (2003) wird dieses Motion-Capture-System auch für eine Bilderzeugung genutzt: Wenn sich die beiden Tanzpartner berühren, wechselt die Projektion beispielsweise in ein Negativbild. Auf der Tonebene entstanden aus größeren Ganzkörperbewegungen und Gesten wie bei Stoppiello laute, nachhallende und perkussive Geräusche. 85 Problematisch bei der Rezeption dieser frühen Tanz- und Technologie-Beispiele war, dass sich die Frage nach dem Sinn der Live-Interaktion stellte – Töne und Bilder hätten in ihrem Verhältnis Filmstill aus Glow, Choreographie: Gideon Obarzanek, zur Bewegung auf der Bühdigitale Technik: Frieder Weiss (2006) ne wie bei den Beispielen des Videoeinsatzes auf der Tanzbühne vorproduziert und vielleicht noch präziser getimt werden können. Bei der Interaktion war zudem vielfach nicht deutlich, ob Bild und Ton dem Tanz folgten oder der Tanz auf Ton- und Bildvorgaben reagierte. Nach der Jahrtausendwende entstanden mit der Verfeinerung der Software Choreographien wie beispielsweise die beiden Arbeiten Glow (2006) und Mortal Engine (2008), die Frieder Weiss mit der australischen Company Chunky Move realisierte. Beide Werke wirken wie multimediale Gesamtkunstwerke, in denen Tanz und digitale Technik verschmelzen. Im 30-minütigen Stück Glow dirigieren die Bewegungen einer Solotänzerin ähnlich den bisherigen Beispielen Licht- und Videoprojektion. Die digitalen Algorithmen von Weiss generieren ungewöhnliche Bilder – ›glühende‹ elektronische Schatten, eine Art sichtbare Körperaura und ganze grafische Landschaften um den Körper der Tänzerin herum und auf dem weißen Tanzboden, der so zur Leinwand in der Horizontalen wird. Die Tänzerin trägt keine Sensoren am Körper, sondern die Bühne ist als ›intelligente Bühne‹ gestaltet, auf der eine Infrarot-Kamera ihre Körperlinien erfasst. Dieses Videosignal wird in einen Computer übertragen und mittels Algorithmen zu abstrakten

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Vgl. S. Dixon: Digital Performance, S. 201.

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Licht- und Bildmustern zurück auf die Tänzerin und die Bühne projiziert. 86 Teilweise verselbständigen sich ihre Schattenbilder, und die Tänzerin scheint mit ihnen zu kämpfen. Das weiße Bühnenviereck, um das herum das Publikum platziert war, wird auch schwarz oder blau, um zwischendurch wieder zu einer weißen Ruhefläche zu wechseln. Aus leichten Armbewegungen entwickeln sich alsdann grafische Muster, die Bewegungsrichtungen und -ausmaß visualisieren. Der Choreograph Gideon Obarzanek wollte anders als in früheren Arbeiten, in denen er Videoprojektionen als externe Erweiterungen einsetzte, Bilder mit dem Körper verschmelzen lassen, und dachte dabei auch an frühere Arbeiten von Alwin Nikolais. 87 Im 60-minütigen Mortal Engine (2008), einer Weiterentwicklung mit Weiss, bei dem außerdem der Sound- und Laserkünstler Robin Fox mitwirkte, verschmelzen mittels der gleichen Technik sechs Tänzerinnen und Tänzer auf einer leicht schrägen Bühnenebene in einem sphärischen Soundteppich mit grafischen und visuellen Effekten. Alle Elemente werden durch die Bewegungsdaten gesteuert, so dass jede Aufführung anders aussehen kann, obschon einzelne Phrasen der Musik von Ben Frost vorproduziert wurden. Als neues grafisches Muster generieren die Körper Schwärme aus Punkten. 88 Einen ähnlichen Schwarmeffekt zeigt Frieder Weiss in einer Installation Flow, bei der das Publikum eine Fläche betreten und sich darauf bewegen durfte und so diese Schwärme in Bewegung brachte.89 Für die grafischen Effekte wählt Obarzanek in beiden Choreographien vor allem Bewegungen am Boden, die sich zusammen mit den visuellen Bildern ergänzen oder ineinander fließen. Die Bewegungsqualität ist ausgeprägt, die physische Anstrengung deutlich. Die Körper müssen nicht der Technik dienen, sondern Tanz und Technik verbinden sich intermedial. Aus der Synthese von Körper- und Bildbewegung, die auf der Musikebene unterstrichen wird, entsteht ein Sog, fast eine Art Immersionseffekt, durch den die visuelle Kraft fesseln kann. Die Ausrichtung in der Horizontalen respektive auf eine schräge Ebene verändert das gängige Raumempfinden bei einer Bühnenchoreographie, die Bühnenfläche wird zur Leinwand und verstärkt

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Ein sechsminütiger Ausschnitt ist auf der Website von Frieder Weiss zu sehen unter http:// www.frieder-weiss.de/video/projects.htm vom 11.11.2012. Er erklärt seine künstlerische Arbeit in einer Präsentation, zu finden auf der Dance-techWebsite unter http://www.dance-tech.net/video/gideon-obarzaneks-digital vom 11.11.2012. Ein sechsminütiger Ausschnitt ist auf der Website von Chunky Move zu sehen unter http://www.chunkymove.com/Our-Works/Current-Productions/Mortal-Engine.aspx vom 11.11.2012. Außerdem ein Kurzporträt über die Entstehung des Werks. 2009 wurde Mortal Engine an der Ars Electronica im Bereich Hybride Kunst ausgezeichnet. Die Installation wurde im Dezember 2011 im Rahmen des Festivals »Cinedans« im Melkweg in Amsterdam gezeigt. Ein Ausschnitt findet sich auf YouTube.

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durch diese räumliche Abwandlung den Sogeffekt der Bilder. Zeit, Bewegungszeit wird durch die Visualisierungen in Mustern sichtbar gemacht. Die Beispiele verdeutlichen, dass digitale Technologien zu kohärenten Bühnenkonzepten beitragen können. Der Grad der Abstraktion in den visuellen Effekten trägt dazu bei, dass sich die Frage nach dem Sinn der Interaktion nicht mehr stellt. Gleichzeitig wird eine Einordnung in Bühnenwerk oder bewegtes Kunstwerk oder Performance in dieser Hybridisierung schwieriger. Stattdessen könnten inhaltliche Fragen nach den Themen der Werke gestellt werden – Obarzanek gibt dazu Leitideen, verfolgt aber keine stringente Narration. William Forsythes Tanzinstallation City of Abstracts (2000)

Generell ist im zeitgenössischen Tanz ein Wandel, eine Tendenz zur Erprobung von neuen Formaten wie Installationen und damit einhergehend eine Abwendung von konventionellen Bühneninszenierungen zu beobachten. Nicht nur N+N Corsino produzieren, wie erwähnt, Installationen, die traditionell der bildenden Kunst zugerechnet wurden, auch William Forsythe widmet sich seit einigen Jahren diesem Genre, in dem er, wie in City of Abstracts (2000), Passanten in einer interaktiven Installation mithilfe von Videobildern zu Teilnehmenden einer Choreographie macht. Solche Projekte eröffnen ein weiteres Feld des Crossovers von Tanz und Performance mit der bildenden Kunst. 90 GleichFilmstill aus City of Abstracts, zeitig stehen Installationen Choreographie: William Forsythe (2000) im Kontext des zunehmenden partizipativen Charakters von Kunst und Kultur – ein weiterer Indikator der Hybridisierung nicht nur der Kunstsparten, sondern auch von Kunst und Alltag. Die erste Version von City of Abstracts wurde im Jahr 2000 auf dem Opernplatz an der Frankfurter Hauptwache gezeigt. Seither tourt die Installation an öffentlichen Plätzen wie im Sony Center am Potsdamer Platz in Berlin,

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Vgl. S. Dinkla: Pioniere interaktiver Kunst; oder P. Gendolla/N.J. Schmitz/I. Schneider/ P.M. Spangenberg: Formen interaktiver Medienkunst.

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aber auch in Museen wie der Tate Modern in London oder in der Pinakothek der Moderne in München. Das Setting ist einfach: auf einer Großprojektion sind Passanten zu sehen. Diese werden von einer Kamera live gefilmt. Das Videobild ist jedoch wie eine spiegelnde Wasserfläche durch eine Software verzerrt und wird mit einer Verzögerung gezeigt. Beide Faktoren irritieren die Passanten, verführen dazu, spontan mit Bewegung zu spielen. 91 Die Motive, oft drehende, spiralförmige Formen, reflektieren die Weichheit, die Fluidität und Verzerrung der Bewegung, wie sie von der Software manipuliert wird. Aus dem Zusammenspiel der zufälligen Bewegungen aller wird eine sich ständig wandelnde soziale Zufallschoreographie generiert, aber anders als ein Phänomen im Zeitalter von Social Media, wenn Flashmobs spontan und improvisiert erscheinen, aber in ihren Bewegungen und ihrem Ablauf zuvor mittels Telekommunikation abgesprochen oder sogar live einstudiert wurden. 92 So schlicht wie das Konzept zu City of Abstracts ist, so einzigartig ist die jeweilige Installation und ihr Publikum, denn an jedem Ort entstehen eigene ›Choreographien‹. Bewegung wird zur Erfahrung am eigenen Körper, eher selten im Dialog mit anderen, denn die Großprojektion wirkt wie ein Spiegel einer Selbstdarstellung, der an Spiegelkabinette auf Jahrmärkten erinnert. Der Raum funktioniert im Sinne von Michel Foucault wie eine Heterotopie, ein Raum, der nach eigenen Gesetzen, hier den Gesetzen der von Philip Bußmann entwickelten Software, funktioniert. Indem sich die Passanten auf diesen Raum und den Dialog mit der Projektion, dem verzerrten Spiegel ihrer selbst, einlassen, tauchen sie ein in eine heterochrone Zeit: »Die Heterotopie erreicht ihr volles Funktionieren, wenn die Menschen mit ihrer herkömmlichen Zeit brechen.« 93

Cyborgs, Roboter, Wearables – Konvergenz von Körper und Technik »Wearables«, tragbare und mobile Computer, Kleincomputer, die entweder als »Handhelds« für den alltäglichen Gebrauch konzipiert sind oder als prothetische Erweiterungen des Körpers in allen möglichen Bereichen, etwa in der Medizin Anwendung finden, wurden schon früh am MIT (Massachusetts Institute of Technology) erprobt – ein erstes »head-mounted display«

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Verschiedene Kurzfilme auf YouTube zeigen diesen Dialog. Siehe hierzu Themenfeld 6. M. Foucault: Andere Räume, S. 43.

Themenfeld 5: Tanz und digitale Technologien

oder ein Datenhandschuh ab 1966. 94 Ähnliche führende zukunftsorientierte Forschungseinrichtungen in Europa sind das Fraunhofer Institut oder technische Hochschulen wie die ETHs in Zürich oder Lausanne. Die Anwendungsbereiche der Computertechnologie und Hybridisierungen in allen Bereichen wachsen derart, dass hier kaum ein Überblick gegeben werden kann. Dennoch möchte ich in diesem Zusammenhang festhalten, dass sich Wissenschaft und Kunst, Biotechnologie und Körperkunst annähern. In Bleu provisoire (2001) des Schweizer Tanz- und Performancekünstlers Yann Marussich (*1966), gezeigt an den Berner Tanztagen 2003, rann in einer sonst bewegungslosen Performance sein Schweiß blau gefärbt an seinem Körper herab. Für Bleu remix (2007), in dem der Soloperformer installativ in einem Glaskasten ausgestellt war, erhielt Marussich an der Ars Electronica 2008 den Preis in der Kategorie »Hybride Kunst«. Diese »biochemische Choreographie« und Introspektion in den Körper hatte er mit Schweizer Ärzten entwickelt – vor der Vorstellung wurde ihm blau gefärbtes Methylen injiziert. 95 Interessant für die performativen Künste im Feld der prothetischen Erweiterungen des Körpers sind kulturhistorische Entwicklungslinien und Diskurse zu Cyborgs und Robotik. Heinrich von Kleists Aufsatz »Über das Marionettentheater« von 1810, E.T.A. Hoffmanns Erzählung »Der Sandmann« von 1816 oder die Manifeste der Futuristen um Filippo Tommaso Marinetti zu Beginn des 20. Jahrhunderts weisen konkrete Bezüge zum Tanz auf. Auch raumplastische Kostüme in Oskar Schlemmers Triadischem Ballett aus der Bauhaus-Zeit oder Rebecca Horns Körperskulpturen der 1970er Jahre wie Einhorn können als Vorläufer computergesteuerter Prothesen im Tanz gelten. Der australische Medien- und Performancekünstler Stelarc (eigentlich Stelios Arcadiou, *1946) setzt den Körper in radikaler Weise als Schnittstelle mit Maschinen ein und entwickelt seit den 1980er Jahren technische Erweiterungen seines Körpers wie die »Third Hand« (1980) oder den spinnenartigen Laufroboter »Exoskeleton« (1998), den er in der Mitte stehend mit seinem immobilen Körper in eine schwerfällig gehende Bewegung bringt. Außerdem experimentiert er mit Virtual Reality und Internetprojekten und tanzte in Scanning Robot (1992) mit einem Roboter. 96

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Die erste ›Kopfbrille‹ war so schwer, dass sie zusätzlich an der Decke befestigt werden musste. Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Head-Mounted_Display vom 11.11.2012. Ein Ausschnitt ist auf Marrusichs Website zu sehen unter http://www.yannmarussich.ch/ perfos.php?p =14 vom 11.11.2012. C. Salter erwähnt den Begriff »biochemical choreography« in ders.: Entangled, S. 251. K. Evert widmet Stelarcs Arbeiten ein Kapitel, in: dies.: DanceLab, S. 191–236. Eine weitere Publikation zu Cyborgs und Stelarc vgl. J. Zylinska: The Cyborg Experiments.

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Marcel-lí Antúnez Roca: Afasia (1998)

Stellvertretend für Performances, die dem Tanz nahe stehen, möchte ich den spanischen Performancekünstler Marcel-lí Antúnez Roca (*1959) anführen, der an den Berner Tanztagen 2003 mit Afasia (1998) auftrat. Roca, der 1979 die katalanische Theatergruppe La Fura dels Baus mit gründete, steuert in diesem Solo Licht und Projektionen, tanzt gleichzeitig mit vier Musikrobotern, die in ihrer Form inspiriert von Gitarre, Trommel, Dudelsack und Geige Rocas Bewegungen mit synthetisiertem Sound und Musikphrasen erwidern. Auch hier sind es wie bei den interaktiven Aufführungen kybernetische Systeme, die zum Dialog zwischen Mensch und Maschine führen – Marcel-lí Antúnez Roca steuert wie Dawn Stoppiello alle Aufführungselemente, aber die Prothesen sind anders als bei Stoppiellos versteckte Sensoren als technische Erweiterungen sichtbar. In Afasia wirkt Roca mit seinem nackten, muskulösen Filmstill aus Afasia, Performance: Marcel-lí Antúnez Roca (1998) Körper wie ein ›Terminator‹ auf einer Tanzbühne, der macht- und kraftvoll die Technik dirigiert. Er ist Erzähler und Hauptdarsteller seiner an Homers Odyssee angelehnten Reise, die durch einen collageartigen Bildersturm auf der Leinwand führt. Gleichzeitig wirkt diese Überzeichnung – als »Wrestler«, wie Dixon schreibt – sich selbst und das Technikverhältnis parodierend, denn zwischen maskuline Gesten setzt er auch ballettartige Schritte. 97 Cyborgs – so die bekannte These von Donna Haraway in dem von ihr verfassten »Cyborg Manifest« – heben Grenzen zwischen Mensch und Maschine oder zwischen Mann und Frau auf und öffnen Denkweisen zu einer nicht mehr notwendig dichotomen Gesellschaft. 98 Marcel-lí Antúnez Roca reflektiert als Cyborg in Afasia auf der Ebene der Bewegung einen solchen Diskurs, obschon dichotome Bewegungsmuster und kein möglicherweise androides Vokabular – wie würde dies aussehen? – gezeigt wird. Der durch die Prothesen gesteuerte akustische und visuelle

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S. Dixon: Digital Performance, S. 326. D. Haraway: Ein Manifest für Cyborgs.

Themenfeld 5: Tanz und digitale Technologien

Raum verstärkt durch die Lautstärke des Tons und die Fülle der Bilder die Überzeichnung in Bewegung und körperlicher Erscheinung. Unsere Sinneswahrnehmung wird durch die Körperextensionen erweitert. Der Parameter der Zeit hat im Setting von Afasia keine spezielle Funktion. Zeit ist wie in anderen beschriebenen Beispielen aufgrund der Collage der Projektion, die auch aus virtuellen Umgebungen besteht, eine verdichtete und geschichtete. Die Performances der seltsam menschlich anmutenden Eisenkonstruktionen »Amorphic Robot Works« von Chico McMurtrie in The Ancestral Path (1996), gezeigt an den Berner Tanztagen 1999, sind eine weitere Variante, in denen statt Cyborgs Roboter bewegt werden: Die Bewegung wird pneumatisch reguliert und vom Computer gesteuert. Neben Fortbewegungen konnten einzelne Maschinen auch Purzelbäume vollführen.99 Bei den behandelten Beispielen stellt sich die Frage einer Grenzziehung zwischen Performance und Tanz. Dennoch sollte an Afasia und den anderen erwähnten Aufführungen deutlich geworden sein, dass sich hier eine Linie in den performativen Künsten fortsetzt, bei der mittels digitaler Technologien die Steuerung von Körperprothesen, Robotern und visuellen Erweiterungen immer komplexer und Maschinenbewegungen immer differenzierter werden. Me and the Machine: When We Meet Again (Introduced as Friends) (2009)

Ein in der künstlerischen Konzeption sehr schlichtes Beispiel, in dem ein HMD (Head-Mounted Display) zum Einsatz kommt, ist eine Arbeit von »Me and the Machine«, das sind das Künstlerpaar Clara Garcia Fraile (*1984) aus Spanien und Sam Pearson (*1985) aus England, die sich während ihres Studiums in Performance und Kunst in Brighton kennenlernten. When We Meet Again (Introduced as Friends) entstand ein Jahr nach ihrem Studienabschluss 2008. Die ›Aufführung‹ ist keine im theatralen Sinn, sondern ein »One to One«-Erlebnis, keine frei begehbare Installation, sondern der Teilnehmer, die Teilnehmerin muss sich für einen Termin anmelden. Stattfinden kann dieses immersive private Erlebnis beispielsweise an bestimmten Tagen und Uhrzeiten während eines Festivals.100 Sam Pearson nimmt die Besucherin in einem leeren Raum in Empfang und setzt dieser ein HMD, »Video Goggles« und Kopfhörer auf. In dieser Kopfbrille läuft ein Film, und verschiedene Kurzsätze zum Thema einer unsichtbaren Frau (Clara Garcia Fraile) sind zu hören,

99 S. Dixon widmet Robotern ein Kapitel in ders.: Digital Performance, S. 271–331. 100 Ich konnte When We Meet Again im Rahmen des Cinedans-Festivals im Dezember 2011 in Amsterdam erleben.

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darunter: »The first time we met, you could see me, but I couldn’t see you.« Die Besucherin wird in ihrer Blindheit für den realen Raum von einer Person umhergeführt und einmal gar zu einem Walzertanz angeleitet. Die Filmaufnahmen – ein Gang durch ein Tunnellabyrinth – sind mit subjektiver Kameraführung gedreht, so dass die Zuschauerin in ihrer Wahrnehmung in diesen filmischen Raum, in den 3D-Soundeffekt und die Mixed-reality eintaucht. Ein Schwenk der Kamera an einem Körper entlang zu den Füßen wirkt im kinästhetischen Erleben wie ein Blick am eigenen Körper hinunter – zu sehen sind aber Männerbeine und -füße.101 Beeindruckend andieser Performance ist die Mischung aus virtuellem Raum Raumerleben und Sinneseindrücken, die sonst in einer Tanzaufführung weniger angesprochen werden: Es gibt eine taktile Filmstill aus When We Meet Again (Introduced as Friends), Wahrnehmung durch die Konzept: Me and the Machine (2009) Begleitung der unsichtbaren Person und den Geschmackssinn, denn zum Schluss des neunminütigen Erlebnisses wird im Film eine Erdbeere zum Mund geführt, während gleichzeitig die unsichtbare Person eine reale Frucht in die eigene Hand legt, die man sich dann selber in den Mund führt. Das Erlebnis der Bewegung ist in diesem Beispiel das eigene körperliche Erleben, indiziert durch die führende Person und irritiert durch den ablaufenden Film. Denn es wirkt so, als ob man sich in einem anderen Körper und in einem anderen Raum befindet, da die reale Umgebung nicht sichtbar ist. Über das filmische Erleben mittels eines tragbaren Empfangsgeräts taucht der Teilnehmer nicht nur in den virtuellen Raum, sondern auch in die filmische Zeit ein – ich werde zum Akteur der Geschichte, zur Hauptfigur im Film. A Machine To See With der britischen Theatergruppe Blast Theory funktioniert auf ähnliche Weise in einer Vermischung von realer und virtueller Welt. Ein Zuschauer wird zum Protagonisten eines Banküberfalls. Nach einem Einschreiben online, bei dem man die eigene Mobiltelefonnummer angibt, 101 Kurze Impressionen aus dem Film selbst und wie diese Performance funktioniert und erlebt wird, sind auf der Website der beiden zu sehen unter http://www.meandthemachine.co.uk/ whenwemeetagain/index.html oder in einem Ausschnitt des British Council unter http:// www.YouTube.com/watch?v= OPrLbohy5Ws beide vom 11.11.2012.

Themenfeld 5: Tanz und digitale Technologien

werden zu einem bestimmten Termin über automatische Anrufe via die OpenSource-Software »Asterix« Anweisungen gegeben, wohin man sich begeben soll. Alles passiert im öffentlichen Raum – es gibt keine Zuschauer, dafür Partner, die real getroffen werden. Solche Erlebnisse eines Eintauchens in eine »augmented reality«, eine Realität, in der wie hier der Außenraum zum filmischen Raum mutiert, finden sich zunehmend häufig in neu entwickelten Computerspielen wieder. Aufführungen wie die beschriebenen intensivieren seit den 1980er Jahren den Diskurs über Mensch-Maschine-Hybride, der an die McLuhan’schen Schriften der 1960er Jahre anknüpft.102 Gleichzeitig reflektieren Diskussionen zur »Wiederkehr des Körpers«, zur Erlebnisgesellschaft oder zum »performative turn« in den Medientheorien das Spannungsverhältnis zwischen Körper und Technik, Tanz und Medien.103 Die Performance von »Me and the Machine« zeigt dabei auf eindrücklich einfache Weise, wie ein tragbares Medium durch seine immersive Kraft eine sehr physische Wirkung und ein neues ästhetisches Erlebnis auslösen kann.

Mensch und Maschine – analoge Körper versus digitale Technik Der Hype der digitalen Medien in Tanz und Performance der 1990er Jahre ist im 21. Jahrhundert vorbei. 2004 verwendeten Troika Ranch in Surfacing nur eine kurze Videosequenz in Zeitlupe – allerdings realisiert mit einer digitalen Highspeed-Kamera – um mehr auf eine Introspektion und Reflexion des Körpers zu fokussieren.104 Das ›Analoge‹, der Körper erlangt wieder mehr Bedeutung, Medientechnologien werden als Mittel, als ›Medium‹ im engeren Sinn verwendet, um diesen Fokus auf den Körper zu unterstreichen – Technik ist ein ästhetisches Mittel neben anderen. Mediale Situationen werden allenfalls offen gelegt oder in einer spielerischen Weise inszeniert und regen dadurch zu Reflexionen zum Verhältnis von Mensch und Maschine an. Robert Wechsler von der Palindrome Company bestätigt, dass interaktive Produktionen nach der Jahrtausendwende nicht mehr die technischen Probleme des letzten Jahrzehnts aufweisen. Die Qualität zeichne sich inzwischen durch eine »synästhetische Erfahrung« aus, bei der nicht mehr unterschieden werden kann, ob beispielsweise etwas zu hören oder zu sehen ist.105 Auch die im 102 M. McLuhan: Die magischen Kanäle. 103 Siehe beispielsweise: U. Wirth, Intermedialität; M. Leeker: Maschinen, Medien, Performances; H.-T. Lehmann: Postdramatisches Theater; D. Kamper/C. Wulf: Die Wiederkehr des Körpers. 104 S. Dixon: Digital Performance, S. 646. 105 In einer persönlichen Mitteilung zu Fragen nach dem Stand digitaler Produktionen in Tanz und Performance vom April 2011.

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Folgenden besprochenen Beispiele, anhand deren das Thema Tanz im Internet diskutiert wird, widerspiegeln eine Rückkehr zu Einfachheit und schlichtem Körperausdruck. Medientheoretische Zwischenbilanz: Hybridität und Interaktivität im Tanz

Für das Themenfeld 5 (Tanz und digitale Technologien) schlage ich die medientheoretischen Begriffe Hybridität und Interaktivität vor. Hybridität bezeichnet, wie in den medientheoretischen Überlegungen dargestellt, als Parallelbegriff Formen der engeren Intermedialität. Aufgrund der starken Kopplung von Tanz und digitalen Technologien kann der Begriff der Hybridität für intensivere Formen von Intermedialität im Sinne einer Medienkombination angewendet werden. Rajewsky hatte in dieser Kategorie der Intermedialität eine Spanne von Kontiguität bis Synthese umrissen. Obschon der Terminus der Hybridität in einigen theoretischen Schriften, wie der erwähnten von Irmela Schneider, anstelle des Intermedialitätsbegriffs und als Ausdruck von allgemeinen postmodernen Fusionsprozessen gebraucht wurde, ist dieser m.E. dennoch geeignet, um eine stärkere Konfiguration mit wechselseitigen Abhängigkeiten in interaktiven Verbindungen zu kennzeichnen. Dies wäre eine zusätzliche Differenzierung der von Uwe Wirth formulierten medialen Hybridbildung im Sinne einer engeren Intermedialität. Digitalisierungsprozesse im Tanz, angefangen von Software wie »LifeForms« bis zu verschiedene Motion-Capturing-Verfahren, greifen stark in den choreographischen Prozess ein. Die Übertragungstechnik in telematischen Aufführungen ist essenziell für die Aufführung, die realen Tanz und virtuelle Repräsentanz von Tanz vereint. Wesentlicher Bestandteil der Choreographie ist der Dialog zwischen diesen Welten. Bei interaktiven Aufführungen und Installationen ermöglicht erst die Koppelung von Tanz und digitaler Technologie das ästhetische Produkt. Wenn prothetische Erweiterungen zum Einsatz kommen, verschmelzen Mensch und Maschine zum Hybrid. Neuartige Erzählweisen eines transmedialen Storytellings verschaffen immersive Erlebnisse, ein Eintauchen in medial vorgefertigte Welten. Die Medientechnik bestimmt wesentlich die Inszenierungsform. Und wenn das Publikum zum Mitakteur wird, findet eine weitere Hybridbildung statt, hier allerdings im allgemeinen postmodernen Sinn von zunehmenden Verflüssigungen und Grenzauflösungen.

Themenfeld 6: Tanzästhetik im/via Internet Dank dem Internet, dem weltweiten Netzwerk von Computern, ist fast jedwede Information zugänglich, Kommunikationswege sind extrem schnell geworden und sind auf der Basis interaktiver Web-2.0-Technologie insbesondere in Form des Social Web im World Wide Web dialogisch und partizipativ geworden.1 Im letzten Kapitel möchte ich zwei Phänomene dieser neuen Internetkultur herausgreifen, in denen Tanz wesentliches gestalterisches Mittel ist. Auf YouTube, seit 2005 online und bereits als das (Fernseh-)Archiv der Zukunft bezeichnet,2 sind Musik und Tanz omnipräsent. Parallel zur Verschiebung des Leitmediums Fernsehen zum Leitmedium Computer hat sich die Präsentation der Musikvideos vom Fernsehen ins Internet verlagert. 3 Doch wieso sind so viele Amateuraufnahmen von Tanz im Internetvideoportal YouTube zu finden, und warum zählen Tanzfilme zu den beliebtesten Clips? Musikclips, die mit wenig Aufwand gemacht sind, wie diejenigen der amerikanischen Rockband »Ok Go«, die durch ihren Clip zum Song »Here It Goes Again« von 2006 durch millionenfache Klicks auf YouTube bekannt wurden, verwenden Bewegung in ähnlich simpler Weise wie Homevideos mit Tanz. Schon das besprochene Musikvideo Praise You nimmt diese Entwicklung eines hausgemachten Stils vorweg.4 In Here It Goes Again – on Treadmills ist die Bewegung der vier Bandmitglieder auf acht Laufbändern ›choreographiert‹ und durch das Timing witzig. 5 Zuvor hatten sie für »A Million Ways« ein 1

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Auf die genauen terminologischen und technischen Unterschiede von Internet und World Wide Web möchte ich hier nicht eingehen – auf Wikipedia sind diese ausreichend abrufbar –, jedoch anmerken, dass beide Begriffe umgangssprachlich im gleichen Sinne benutzt werden. Begriffe zur digitalen Kultur vgl. H. Graber/D. Landwehr/V. Sellier: Kultur digital. P. Snickars/P. Vonderau: The YouTube Reader, S. 13. Siehe im Themenfeld 3 das Kapitel zu Tanz im Musikvideo. Siehe ebd. das Kapitel zu Fatboy Slim. Zu sehen auf verschiedenen Videoplattformen und auf der Website der Band unter http://okgo. net/category/official-videos/page/2/ vom 11.11.2012. Ein in kaleidoskopartigen Bildern von unten durch eine Glasplatte mit der amerikanischen Tanzgruppe Pilobolus choreographiertes Video ist All is not lost von 2010, zu sehen ebenfalls auf der Website unter http://okgo.net/ category/official-videos/ vom 11.11.2012.

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billiges Video mit einer Handkamera im eigenen Garten gedreht, welches durch den amateurhaften Tanz wie eine Parodie auf eine Boygroup wirkt. Zeigt sich in der Präsentation des (hässlichen) Körpers und dem Mut, sich in Bewegung zu exponieren, der Slogan des YouTube-Kanals »Broadcast Yourself«? Sind dies die gleichen Phänomene, die zu den Reality-Fernsehformaten und einem unbehelligten Exhibitionismus in den Medien führten? 6 Auch in den übers Internet initiierten und anschließend wiederum auf YouTube verbreiteten Aufnahmen eines Flashmobs wie dem T-Mobile Dance scheint sich Tanz für das Web 2.0 besonders zu eignen. Fragen einer Selbstreferentialität und deren Bezüge zu Körper und Tanz bilden Aspekte, die bei den ausgewählten Beispielen im Fokus stehen. Schließlich stellen sich Fragen, welche Rolle Kunst und Kultur in dieser Verschmelzung mit Alltags- und HomeSituationen spielen, wenn YouTube zum populärsten Theater und größten »Screening Room« geworden ist.7

Dorky Dancing auf YouTube Matt Hardings Where the Hell Is Matt (2003/2005) und Judson Laipplys Evolution of Dance (2006)

Auffallend an allen Clips auf YouTube, die Tanz verwenden, ist eine theatrale Situation, eine Ähnlichkeit zur Präsentation von Tanz im Stummfilm: Die Vorführung wird vor einer fixen Kamera aufgenommen – am einfachsten von der im Laptop integrierten Kamera. So sitzt beispielsweise in Numa Numa der sichtlich übergewichtige Gary Brolsma mit Kopfhörern vor der Kamera, bewegt den Kopf und die Lippen synchron zum Song und gestikuliert immer wilder zur Musik. Der Kreis scheint sich von Tom Gunnings frühem »Kino der Attraktionen« zu einem ›Bildschirminhalt der Attraktionen‹ auf YouTube mit analogen Einkamera-Aufnahmen zu schließen. YouTube ist das »neue Kino der Attraktionen«. 8 Viele der unzähligen kurzen Amateurtanzfilme im Internet zeigen vergleichbare einfache Bewegungsabläufe: Mit der Körperfront zur Kamera wird das Alltägliche zur Sensation hochstilisiert. Das Bewegungsvokabular besteht aus Alltagsbewegungen, meist improvisiert oder zu simplen choreographischen Formen zusammengestellt. Es wird erst gar nicht der Versuch gestartet, eine ambitionierte Aufführung zu realisieren, sondern in einer Umkehrung von Kunst im Sinne von ›Können‹ geht es um die Zelebrierung des

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Siehe im Themenfeld 3 das Kapitel zum Tanz als Vehikel der Reality-Show. W. Uricchio: The Future of a Medium Once Known as Television, S. 29. T. Rizzo: YouTube: the New Cinema of Attractions, o.S.

Themenfeld 6: Tanzästhetik im/via Internet

Banalen, Blöden und Hässlichen. Im Amerikanischen steht hierfür der Begriff »dorky dancing«. 9 Man ist stolz, sich ›deppert‹, ein bisschen blöd und geschmacklos gekleidet in unkoordinierten Bewegungen zu präsentieren. Und dieser Aspekt ist anders und neu, denn im frühen Film versuchten die Tänzerinnen noch ihre Darbietung im besten Licht vor dem männlichen Blick und der Kameralinse zu präsentieren. YouTube ist der digitale globale Aufführungsort, sozusagen die zeitgenössische VaudevilleBühne, so wie der Film in seinen Anfängen zuerst auf den Vaudeville-Bühnen präsentiert wurde. Mit kurzen gefilmten, amateurhaften, aber möglichst witzigen ›Nummern‹ werden Millionen von Zuschauerinnen und Zuschauern erreicht, die in der häuslichen IntimiFilmstill aus Where the Hell Is Matt tät diese Vorführungen invon Matt Harding (2003/2005) dividuell rezipieren – fast wie bei der Gucklochsituation im frühen Film, als man noch nicht gemeinsam im Kinosaal saß. Als neuer interaktiver Kommunikationsweg werden Kommentare geschrieben, oder man stellt flugs noch eine eigene Variante und Parodie mit einem ähnlichen Tänzchen ins Internet. Anders als im Kino ist Schaulust nicht mehr kollektives Ereignis, sondern die virale Verbreitung im digitalen Netz ersetzt die wirkliche Gemeinschaft, es wird medial statt real kommuniziert. Zur Illustrierung dieses Phänomens habe ich zwei im Netz bekannte Tanzbeispiele ausgewählt. Eines widmet sich immerhin noch einem Tanzrespektive Musikthema und wird ähnlich den Stummfilmbeispielen auf einer kleinen Bühne aufgeführt: Der Komiker Judson Laipply schuf Evolution of Dance als Teil einer Show und parodiert darin Ausschnitte der Popmusikgeschichte. Zwei Jahre lang seit der Publikation auf YouTube im Jahr 2006 war der Clip das meist gesehene Video. Das zweite Beispiel Where the Hell Is Matt zählt ebenso zu den populärsten Clips auf YouTube. Die ersten Versionen dieser einfachen, an unendlich vielen Orten dieser Welt aufgeführten tänzerischen Bewegung entstanden bereits 2003, als der ehemalige Gamedesigner Matthew ›Matt‹ Harding (*1976) sich auf einer halbjährigen Weltreise filmte. 9

Vgl. L. Young: Dorky Dance.

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Mittels Schneeballeffekt – Mailversand an Freunde, Verbreitung auf Blogs und ab 2005 auf YouTube – sind bis heute verschiedene Versionen im Netz zu finden, darunter auch zwei vom Kaugummihersteller »Stride Gum« finanzierte Reisen, auf denen er nicht mehr nur alleine, sondern auch mit weiteren lokalen Personen tanzt. Die Bewegung vor der Kamera ist eine trippelnde Laufbewegung am Ort mit angewinkelten und leicht schwingenden Armen, dazu ein leichtes Neigen des Körpers nach rechts und links. Je mehr Leute mitmachten, desto mehr Bewegungsvariationen sind zu sehen. Dazu klingt der Song »Sweet Lullaby« einer rumänischen Popband, und die jeweiligen Orte werden per Untertitel angegeben. Im Netz kursiert, dass seine Reisen nur ›virtuell‹ vor einer Bluebox-Wand stattgefunden haben sollen. Harding spielt mit diesen Filmstill aus Evolution of Dance von Judson Laipply (2006) Vorwürfen – Humor und Spaß sind Teil der Netzkultur, in der ein Amateur zum Internetstar mit Website und WikipediaEintrag wird.10 »I did not plan to become famous on the Internet by dancing badly all around the world. It just happened.«11 Judson Laipply (*1976) sieht zwar nicht aus wie ein Tänzer, aber seine Tanzzitate zur Popmusikgeschichte führt er gekonnt auf. Evolution of Dance produzierte er 2001 als zweiminütige Schlussnummer einer Show als Redner in einem Stil, den er »Inspirational Comedy« nannte, und zeigte zwölf bekannte Tanzsongs der letzten 50 Jahre. Fünf Jahre später platzierte er eine Sechsminutenversion mit 18 Songs auf die damals noch unbekannte Website YouTube.12 Das Video wurde zum Symbol des Aufstiegs der Videoplattform. Laipply und Harding avancierten zu »Ikonen der Netzkultur«.13 So eine weitrei-

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http://www.wherethehellismatt.com/ und http://en.wikipedia.org/wiki/Matt_Harding vom 11.11.2012. Matt Harding in der Einleitung zu seiner 2009 erschienenen Biografie: Where the Hell is Matt? Geschichte und Videoversionen sind zu finden auf Laipplys Website unter http://mightaswelldance.com/ vom 11.11.2012. Zwischen Breakbeat und Handkamera: Tänzer bei YouTube, ohne Autor in der Internetpublikation bittekunst.de unter http://www.bittekunst.de/zwischen-breakbeat-und-handkamera-tanzer-bei-youtube/ vom 11.11.2012.

Themenfeld 6: Tanzästhetik im/via Internet

chende Medienwirkung wäre Laipply als Bühnenkomiker nie zuteil geworden. Er imitiert Elvis Presleys Hüftschwung aus den 1950er Jahren, Michael Jacksons Bewegungen, John Travoltas Disco-Posen, Breakdance-Abläufe ebenso wie Club-Tänze zu »YMCA« von den Village People, »Walk Like an Egyptian« von The Bangles oder Los del Rios »Macarena«. Spätestens beim ›Ententanz‹ erinnern wir uns an eigene kollektive Tanzerlebnisse und schmunzeln darüber, wie über simple Bewegungsandeutungen ein kulturelles Gedächtnis in Gang gesetzt werden kann. Von einer starren Kamera gefilmt, bewegt sich Laipply in Jeans und T-Shirt und von einem Bühnenscheinwerfer in Szene gesetzt auf der Querebene einer kleinen Bühne. In der Einfachheit der Präsentation regen die Tanzbewegungen zur Nachahmung an – zu Evolution of Dance gibt es im Netz unzählige Kopien, sogenannte »Samples«, »Remixes« oder »Mash-ups«,14 die ausgehend vom Original eigene Interpretationen eines Vorbilds sind. Gleichzeitig wird spätestens am Ende seines Auftritts deutlich, dass bei ihm – im Gegensatz zu vielen Kopien – durchaus Können und Ausdauer im Tanz notwendig waren. Laipply realisierte wie Harding weitere Folgen von Evolution of Dance, schrieb ein Buch, pflegt eine Website und lebt von seinem Internetruhm. Auffallend an den aufgeführten, von der Internet-Community millionenfach rezipierten Beispielen ist, dass sich mehrheitlich Männer selbst darstellen – ob dies Zufall der viralen Verbreitung ist oder andere Ursachen hat, könnte untersucht werden. Es gibt auch viele Dorky-Dancing-Beispiele von Frauen, obgleich mit wesentlich geringerer Viewing-Frequenz. Körperlichkeit und Tanz gelten kulturgeschichtlich als weibliche Domänen. Vielleicht erzeugt die Anonymität des Netzes einen Paradigmenwechsel, in dem auch Männer sich eine größere Körperlichkeit zugestehen. Die Präsentation vor der Kamera ist, wie erwähnt, vergleichbar mit den Aufnahmen im frühen Film: Es sind simple performative Darbietungen, Gesten, Teilkörperbewegungen und Bewegungen, die von einer festen Kamera, oft der im Notebook integrierten Kamera, oder einer Handkamera eingefangen werden. Die gezeigten Räume repräsentieren den HomeCharakter, gedreht wird in der Wohnung, im Garten oder wie bei Harding vor Kulissen, die Reisehunger oder eigene Erinnerungen bedienen. Laipplys Kulisse ist ein Bühnenraum. Obschon Publikumsreaktionen zu hören sind, bleibt offen, ob diese ab Band abgespielt werden, denn ein Publikum ist nicht zu sehen. Der einzige Take ohne Schnitt gibt in der fragmentierten Aneinanderreihung der Bewegungsausschnitte dennoch wie bei der Ästhetik im Breakdance oder den Montageprinzipen im Tanztheater und zeitgenössischen Tanz 14

D. von Gehlen: Mash-up.

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eine gestückelte Zeit, hier Ausschnitte aus der Popmusikgeschichte, wieder. Bei Harding werden Schnitte als Addition der starren Einstellung verwendet – nur die Kulissen wechseln zu einer jeweils neuen räumlichen und zeitlichen Einheit. Auffallend und kennzeichnend für Tanz auf YouTube ist die vorherrschende bewusste und ungenierte Amateurhaftigkeit, die in unzähligen Zitaten und Remakes zelebriert wird und scheinbar den Massengeschmack trifft. Ich stieß sogar auf eine Facebook-Gruppe »Hey ... we’re good at Dorky Dancing«.15 Der Auftritt macht Spaß, Hemmungen fallen in der anonymen Netzwelt. Natalie Bookchin schuf 2009 eine Installation »Mass Ornament«, die aus Hunderten von YouTube-Tanzclips besteht. In der Abfolge der privaten Räume, mehrheitlich Schlaf- und Wohnzimmer, wird deutlich, dass es neben der Selbstdarstellung auch darum geht, das Gleiche wie Millionen andere zu machen: »It’s not about the video. It’s about creating a community around the video.«16 In Anlehnung an Siegfried Kracauers Theorie von 1927 zum »Ornament der Masse«17 inszeniert Bookchin die Bilderreihen in Analogie zu den Formationen der Tillergirls oder von Busby Berkeley. Während damals das Publikum im Kino als Gemeinschaft eine Menschenmasse im Film betrachtete, sitzen nun einzelne Zuschauer zu Hause vor Performances einzelner Personen auf YouTube: »It is a perfectly individualized self-generated, self-replicating system.«18 Durch die Aneinanderreihung der ausgewählten Clips mit ähnlichen Bewegungen oder Rhythmen wird ein weiteres Kennzeichen der YouTubeCommunity in einer parallelen Zeitlichkeit sichtbar: die Kettenreaktion im »Sharing« mit Antworten, Kopien und Variationen eines Clips. Tänze auf YouTube funktionieren gleichzeitig in einem Wettbewerb mit den durch virale Mechanismen sich generierenden Rankings.19 Diese Bewertungen basieren allerdings nicht auf der Beurteilung des Könnens, sondern auf einer Mischung aus verschiedenen Faktoren: Die Verletzlichkeit, die einzelne Performer ausstrahlen, wird mit Bewunderung durch das breite Publikum belohnt und ist vergleichbar mit den beschriebenen Realityshows im Fernsehen20 – wir fiebern und leiden mit, sind selber verführt, einen Auftritt ins Netz zu stellen, oder kompensieren als Voyeure auf YouTube den eigenen Exhibitionismus.

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Siehe http://www.facebook.com/group.php?gid =2253087194 vom 10.1.2012. Charlene Li in der New York Times vom 7.10.2006: »Google is said to set sights on YouTube«, zit. in: J. Porter: Dance with Camera, S. 32. Die Installation wurde im Rahmen der Ausstellung »Dance with Camera« 2009 und 2010 in Philadelphia und Houston gezeigt. S. Kracauer: Das Ornament der Masse. Interview mit Natalie Bookchin, in: C. Kane: Dancing Machines, o.S. Vgl. K. Peters/A. Seier: Home Dance, S. 201. Siehe im Themenfeld 3 das Kapitel zum Tanz als Vehikel der Reality Show.

Themenfeld 6: Tanzästhetik im/via Internet

Digital kommunizierte Choreographie Flashmobs Frozen Grand Central (2008) und T-Mobile Dance (2009)

Flashmobs, Menschenaufläufe in der Öffentlichkeit, bei denen sich die Teilnehmenden nicht kennen, werden via E-Mail, Blogs, Online-Communitys oder Mobiltelefon verabredet: »Die Beteiligten tauchen am vereinbarten Ort zur vereinbarten Zeit auf, um dort kurz und für die unwissenden Passanten völlig überraschend einer gänzlich sinn- und inhaltslosen Tätigkeit nachzugehen.« 21 Chris Salter nennt trotz unterschiedlichen Nutzungen fünf strukturelle und organisatorische Ähnlichkeiten: 1. die Nutzung von mobilen und Online-Technologien, 2. die Einbettung der Aktion in eine alltägliche urbane Situation, 3. die Anhäufung einer Gruppe von untrainierten, nicht-professionellen Teilnehmenden in einem bestimmten Zeitfenster, 4. eine wechselnde Grenze zwischen Performern und Publikum und 5. die zeitliche Unterbrechung einer sozialen Norm oder von gewohnten Aktionsmustern. 22 Unter den bekanntesten Beispielen der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts, die Tanz und Performance zugeordnet werden können, sind Projekte wie Frozen Grand Central (2008) des New Yorker Kollektivs »Improv Everywhere« oder der Werbeclip T-Mobile Dance (2009), den T-Mobile in England inszenierte. Daneben gibt es unzählige Dokumente auf YouTube, die von Tanz-Flashmobs zu Ehren von Michael Jackson bis hin zu diversen Werbeaktionen reichen. Nachdem die eigentliche ›analoge‹ Aktion mit digitalen Kommunikationsmitteln organisiert wurde, wird die spontan wirkende Aufführung auf YouTube global verbreitet. 23 Eine Variante der Flashmobs mit Tanz sind sogenannte Mobile-Clubbing-Events, bei denen sich Menschen zu einer Tanzparty im öffentlichen Raum verabreden, um dort via Kopfhörer und iPod zu ihrer eigenen Musik zu tanzen. 24 Historische Vorläufer der Flashmobs sind Events des Dadaismus und der Happening- und Fluxus-Bewegung der 1960er Jahre. Unterschieden vom performativen Flashmob werden Smart Mobs, die Demonstrationen ähnlich politisch motiviert sind und – wie im Nahen Osten geschehen – Massen bewegen und zu politischen Umstürzen mobilisieren können. Die folgenden beiden Beispiele sollen die Funktionsweise, den Stel21 22 23

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Eintrag »Flashmob« auf Wikipedia unter http://de.wikipedia.org/wiki/Flashmob vom 11.11. 2012. Vgl. C. Salter: Entangled, S. 345. Die Aktion Frozen Grand Central ist auf verschiedenen Webplattformen und auf der Website der Gruppe Improv Everywhere zu sehen unter http://improveverywhere.com/2008/01/31/ frozen-grand-central/ vom 11.11.2012. Der als T-Mobile Dance vom 25. Januar 2009 im Internet kursierende Clip auf YouTube. H. Weber: Zwischen ›Connectivity‹ und ›Cocooning‹.

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lenwert des Tanzes und das Massenpotenzial einer »Performance 2.0« 25 verdeutlichen. Die in New York gegründete Performancegruppe »Improv Everywhere« führt seit 2001 Aktionen im öffentlichen Raum durch – von einstudierten Theaterszenen bis zu Flashmobs mit vielen Teilnehmenden. Eine jährlich stattfindende Aktion ist der »No Pants Subway Ride«, bei dem Mitglieder der Gruppe und Interessierte ohne Hosen in der New Yorker U-Bahn fahren und Aktion und Reaktionen mittels Fotos und Videoaufnahmen im Internet dokumentieren. Im Januar 2012 beteiligten sich 4000 Personen an der kollektiven Aktion. Parallel fand diese in 59 anderen Städten in 27 Ländern statt. 26 Frozen Grand Central fand am 26. Januar 2008 mit über 200 ›Agenten‹ im New Yorker Hauptbahnhof statt. Fünf Minuten lang froren alle zur gleichen Zeit um 14.30 Uhr ihre aktuelle Tätigkeit ein. Die Irritation der Pendler und Touristen war groß – Fremde begannen miteinander zu sprechen, lachten, applaudierten schließlich Filmstill aus Frozen Grand Central nach dem Ende, und der der Gruppe Improv Everywhere (2008) Event wurde via Fotos und Aufnahmen verbreitet. Die Aktionen von »Improv Everywhere« kommen mittels Mailing-List, Blog und anderen Social-Media-Plattformen der Gruppe zustande, es finden reale vorbereitende Treffen statt, bei denen die Aktion geplant wird. Während der Clou an Frozen Grand Central die Bewegungslosigkeit war, das theatrale Bild allenfalls an die Mode der Tableaux Vivants erinnert, die zum Ende des 18. Jahrhunderts aufkamen, basiert der T-Mobile Dance auf einer Aneinanderreihung von bekannten Popsongs und professionell ausgeführten Tanzbewegungen. Eine Imitation von Laipplys Evolution of Dance ist unverkennbar. Getanzt wird auch einmal paarweise ein Wiener Walzer. Irritation und eine Mitmach-Reaktion bei den Passanten ist Absicht, diese tanzen vereinzelt mit – wie Aufnahmen zeigen. Unter dem Werbeslogan »Life

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J. Jochum: Performance 2.0. Siehe Website der Gruppe unter http://improveverywhere.com/2012/01/08/no-pantssubway-ride-2012-new-york-reports/ vom 11.11.2012.

Themenfeld 6: Tanzästhetik im/via Internet

is for sharing« produzierte die Werbeagentur Saatchi & Saatchi für T-Mobile diesen Flashmob in der Londoner Liverpool Station. 350 Komparsen, die in nächtlichen Proben die Choreographie einstudiert hatten, tanzten am 15. Januar 2009 einen Medley zu Musikfragmenten, die plötzlich aus den Lautsprechern tönten. 27 Ein Konzept eines Tanzes von Laien, einstudiert durch zeitgenössische Choreographen, hatte Michel Reilhac mit dem »Bal moderne« bereits Anfang der 1990er Jahre erfunden. 28 Dieser zeitgenössische Ball, bei dem die Bühne zum Ballsaal wurde, fand eine ähnliche, allerdings noch ›analoge‹ Verbreitung und Imitation des Grundkonzepts auf unzähligen Tanzfestivals. Anders als bei Laipplys Performance imponiert beim T-Mobile Dance die Filmstill aus T-Mobile Dance (2009) Choreographie der Masse. Der Werbeerfolg des produzierten Clips basierte sicher auch darauf, dass der Tanz und dessen Rezeption in der Flashmob-Situation bestens zum Thema passte – Passanten nutzten sogleich ihre Mobiltelefone, um über die seltsame Situation zu berichten und diese abzulichten. Anschließend multiplizierte sich der Werbeeffekt: Der Clip verbreitete sich wie die anderen Beispiele in Windeseile im Netz und sorgte für eine Breitenwirkung, die eine Fernsehwerbung kaum erzielt hätte: »Der Kommerz [hat] die subversive Form längst absorbiert.« 29 Der T-Mobile Dance ist damit eine geschickte Weiterentwicklung, Tanz in Werbeclips einzusetzen. Hier würde sich ein weiteres Analysefeld eröffnen, in dem beispielsweise auch eine historische Dimension des Einsatzes von Tanz in Werbeclips aufgezeigt werden könnte, denn Tanz als Sujet gab und gibt es in den unterschiedlichsten Marktfeldern, von der Chanel-Werbung des französischen Designers und Fotografen Jean-Paul Goude der 1990er Jahre über die amerikanische Truppe Pilobolus, die in einigen Clips, u.a. dem »Ford Human Car«, auftrat, bis hin zu unzähligen Breakdance-Nummern in Clips wie für

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Vorbereitungszeit und Proben waren aufwendig und mussten nachts stattfinden. Ein Making-of-Clip ist ebenfalls auf YouTube zu sehen. Der »Bal moderne« wurde auch mehrmals im Rahmen der Berner Tanztage durchgeführt. S. Göschel: Flashmobbing, S. 5.

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Heineken in »Meet you there« oder für Nike mit Sofia Boutella. 30 Auch hier sind Phänomene einer Recycling-Kultur festzustellen. Bewegung (oder auch Bewegungslosigkeit), die von einer Masse von Laien einstudiert wird, charakterisiert die beschriebenen Tanz-Flashmobs. Der Raum, in dem diese stattfinden, ist per definitionem ein öffentlicher urbaner Raum mit einem hohen Passanten- und somit zufälligen Publikumsaufkommen. Die Zeit ist durch die Aktion definiert und meist wenige Minuten kurz, das Ende und die Auflösung der Versammlung erfolgt ebenso überraschend wie der Beginn. Die eigentliche Massenwirkung kommt erst in einer zweiten Zeitphase zustande, wenn die virale Verbreitung des gefilmten Events im Internet erfolgt; meist passiert diese wie beim T-Mobile Dance binnen kurzem, um einem Aktualitätsanspruch zu genügen. Tanzästhetik im/via Internet ist Indikator einer Entwicklung »von intermedialer Konvergenz zu ›produsage‹.« 31 Mitmachoptionen, mindestens eine Nähe zum Publikum wie in den Flashmobs, die Irritation und Konfrontation auslösen, Spaß, Parodie und eine Niederschwelligkeit der Kunstproduktion sind Kennzeichen dieser partizipativen Kultur. Der erwähnte »Numa Numa«Tanz ist zum Symbol dieser Kultur von Gemeinschaft und Kommunikation geworden, die auf Verfahren der Imitation und Kopie basiert. 32 Tanz und Bewegung scheinen sich für einfache Reproduktionen und Massenveranstaltungen besonders zu eignen. Tanz in dieser laienhaften Form ist eine globale ›Sprache‹, die Nationen und Kulturen im ›global village‹ des Internet verbindet, vergleichbar zur Hip-Hop-Kultur der 1980er Jahre, die über Film und Fernsehen verbreitet wurde. 33 Medientheoretische Zwischenbilanz: Mediale Konvergenz im Tanz

Aus medientheoretischer Perspektive zeigen sich im Tanz wie in der allgemeinen kulturellen Entwicklung Tendenzen einer medialen Konvergenz, eines Ineinanderfliessens verschiedenster analoger und digitaler Aktivitäten und Techniken. Mediale Konvergenz verweist dabei interessanterweise wiederum auf einfachste transmediale Übergänge, auf inspirierende Wechselwirkungen zwischen Tanz und Film wie zur Anfangszeit des Films. Diese 30

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Eine Auswahl der besten Werbeclips mit Tanz ist zu finden unter http://flavorwire.com/37414/ a-few-of-our-favorite-dance-commercials, oder als Playlist auf YouTube unter http://www. youtube.com/playlist?list= PL7688C9FFCFDD0D17, beide vom 11.11.2012. Saatchi & Saatchi realisierten im gleichen Jahr wie den T-Mobile Dance einen Clip für Cadbury Caramilk mit Modern Dance: http://www.youtube.com/watch?v= q8GOyuEELWc vom 11.11.2012. So ein Titel von B. Ochsner: Von intermedialer Konvergenz zu ›produsage‹. Vgl. D. von Gehlen: Mash-up, S. 48ff. Siehe im Themenfeld 1 das Kapitel zu Accrorap.

Themenfeld 6: Tanzästhetik im/via Internet

transmedialen Prozesse werden in beide Richtungen variabel eingesetzt: Reale Tanzaktionen wie Flashmobs werden im digitalen Netz verbreitet oder Amateurtänze erst durch das Internet zugänglich gemacht. Aus einer ursprünglichen Transmedialität, der Kontaktaufnahme des Tanzes mit medialen Mögichkeiten, steht am Punkt der heutigen Mediengeschichte eine Intermedialität der Konvergenz: Tanz und Film haben sich analog und digital angenähert.

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KONKLUSION UND AUSBLICK Zusammenfassung zu den Themenfeldern der Intermedialität Die verschiedenen intermedialen Beziehungen zwischen Tanz und Film, das wollte diese Studie zeigen, brachten im Verlauf der Medienentwicklung Wechsel der Paradigmen mit sich, Annäherungen und Ablehnungen. An diesem Verhältnis sind nicht nur spezifische, sondern auch allgemeine ästhetische Entwicklungen und gesellschaftliche Veränderungen ablesbar, insbesondere in Perioden der Avantgarden. So zeigte sich in der ersten Phase des frühen Films, dass die Tanzästhetik breit gefächert war – es galt, sich vor der Kamera möglichst gut zu präsentieren; wichtig war die Darstellung einer Tänzerin im Fokus des Kameramanns, egal in welchem Tanzstil. Der von Loïe Fuller erfundene Serpentinentanz zählte zu den beliebtesten Motiven, aber auch klassische Tanzschritte sowie verschiedenste Folklore- und Gesellschaftstanzformen wurden gefilmt, indessen ohne raumgreifende Choreographien, denn der Bewegungsraum war vor der damals fixen Kamera auf wenige Quadratmeter beschränkt. Der von Georges Méliès erprobte Stopptrick brachte eine erste filmische Animation in den Ablauf einer Choreographie, als Überraschungsmomente des Auftauchens und Verschwindens wie bei einem Zaubertrick. Weitere Kennzeichen im frühen Film waren Expressivität und Erzählweisen, die durch die Körperlichkeit und Ausdruckskraft der Tänzerinnen und Tänzer geprägt waren. Ausdruckstänzerinnen wie Valeska Gert fanden daher Engagements als Schauspielerinnen im expressionistischen Film. Auch die von Ruth St. Denis und ihrer Denishawn-Schule für D.W. Griffiths Monumentalwerk Intolerance choreographierten Massenszenen wurden durch ihren Bewegungsausdruck zu imposanten Schlüsselszenen der frühen großen Hollywood-Produktionen. Zudem wurde von Griffith für diese Szene erstmals

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eine aufwendige Kranfahrt angewendet. Die tänzerische Erzählweise in Tourneurs The Blue Bird verweist auf eine feinsinnigere Spielweise, bei der Mimik und Gestik in Großaufnahmen betont werden, wie sie später für den Schauspielstil im Film kennzeichnend wurde. Tanz und Film standen in dieser frühen Phase des Films in einem transmedialen Dialog, der als eine vorsichtige Begegnung, als eine Periode erster Experimente in einer sich ergänzenden Beziehung der intermedialen Partner bezeichnet werden kann. Die weiteren Beispiele in diesem ersten Themenfeld verdeutlichen als Folge intensiver Verschränkungen differenzierte transmediale Einflüsse audiovisueller Medien auf Bewegungsästhetiken zum Ausklang des 20. Jahrhunderts: Choreographische Konzeptionen der Montage im Tanztheater von Pina Bausch oder Körperbewegungen, die – wie im Bewegungsvokabular von William Forsythe oder im Breakdance – durch Fragmentierungen, Brüche in den Bewegungsabläufen oder Posen auffallen, welche mit einem Freeze im Film vergleichbar sind. Das Themenfeld 2 zum Medieneinsatz auf der Tanzbühne sollte veranschaulichen, dass Film- und Videoprojektionen in verschiedenen Dekaden des 20. Jahrhunderts als multimediale ästhetische Stilmittel erprobt wurden. Die multidisziplinären Bühnenkonzepte der 1910er und 1920er Jahre der Ballets Russes bilden eine für die weitere Entwicklung wichtige Periode, obschon in den Produktionen der Truppe Filmprojektionen nicht direkt eingesetzt, sondern filmische Prinzipien wie Zeitlupe oder eine Fotoästhetik der Pose umgesetzt und Bewegungsreferenzen zum Spielfilm, beispielsweise zu Charlie Chaplin, gezogen wurden. Es waren die Ballets Suédois, nach dem spartenübergreifenden Vorbild der Ballets Russes gegründet, die mit dem Film Entr’acte im Ballett Relâche erstmals einen Film im multimedialen Sinne als Zwischenspiel einsetzten. Der Postmodern Dance im Judson Church Movement der 1960er und die Performance-Kultur der 1970er Jahre waren weitere Spielfelder für die Erkundung und Integration von Projektionen. Der präsente Körper und seine mediale Repräsentation treten hierbei in einen Dialog. Dieses Spannungsverhältnis initiierte zudem einen Diskurs der Reflexion. Auffallend ist, dass solche multimedialen Medienkombinationen als unterschiedlich ausgeprägte Beziehungen von einer einfachen illustrierenden Projektion über eine dramaturgisch intendierte Extension, beispielsweise als raumzeitliche Einschübe, bis hin zu komplexen Wechselspielen zwischen Bühnenchoreographie und Filmprojektion differenziert werden können. Der Live-Einsatz einer Kamera stellt bei solchen Verbindungen ein zusätzliches interaktives Moment dar. Die vorgeschlagene Unterteilung in Projektion, Extension und Interaktion könnte als Basis für weitere Analysen dienen, denn neben den Pionierwerken der 1970er Jahre von Hans van Manen und Lucinda Childs und den herausgegriffenen Arbeiten von Wim Vandekeybus, Frédéric

Konklusion und Ausblick

Flamand, Montalvo/Hervieu oder Philippe Decouflé ließen sich hier noch unzählige weitere Beispiele anfügen, denn Medien auf der Tanzbühne sind ein etabliertes ästhetisches Stilmittel im zeitgenössischen Tanz. Im Themenfeld 3 wurden verschiedene intermediale Genrebildungen zwischen Tanz und Film bzw. Fernsehen zusammengefasst, die alle filmische Repräsentationsformen darstellen und teilweise wie das Filmmusical, der Tanzfilm oder das Musikvideo längst als eigene Genres der Mediengeschichte bestehen. In der Nebeneinanderstellung von Beispielen des Hollywood- und Bollywood-Filmmusicals konnten unterschiedliche Inszenierungen des Tanzes beschrieben werden – von einer den Tanz betonenden Kameraästhetik mit Totalen und wenigen Schnitten bei Fred Astaire bis hin zu einer die Körper durch die Kamera zu Ornamenten inszenierenden Ästhetik bei Busby Berkeley. Vergleichbar mit dem Tanz in Musikvideos bildet der Tanz ein zusätzliches zentrales Element. Tanz visualisiert die Musik und wird wie im Bollywood-Tanzfilm zur Steigerung der emotionalen Wirkung als ein Entheben in Traumwelten eingesetzt. An den Beispielen des Tanzfilms wurden narrative Muster deutlich: Als Fortsetzung des Filmmusicals erhält der Tanz eine dramaturgische Funktion als Zwischenspiel, Wendepunkt oder Verstärkung der Narration. Der Tanzstil ist variabel, die filmische Umsetzung reicht von beobachtend bis zu filmisch verfremdend, um beispielsweise eine Traumszene wie in The Red Shoes zu inszenieren. An jüngeren Beispielen des Tanzfilms wie Billy Elliot oder Black Swan sind zudem neue Genre-Bildungen ablesbar, und die 3D-Technologie könnte, wie in Pina von Wim Wenders erprobt, zu erweiterten ästhetischen Wirkungen im Tanzfilm führen. Beim Musikvideo wurde festgestellt, dass der Tanz ein wirksames Mittel sein kann, um den Popstar (oder andere Personen) in einem Performance-Clip in Szene zu setzen. Tanz kann aber auch wie im Filmmusical als unterbrechendes Stilmittel oder in einem eigenen Bewegungskonzept zu einer charakteristischen Ästhetik eines Musikvideos eingesetzt werden. Bewegung auf der Ebene des Tanzes wie auf der Ebene der schnellen Montage sind das Genre konstituierende Stilelemente. Tanz im TV hat sich von frühen Kunstformaten zu Beginn der Fernsehgeschichte in den 1950er und 1960er Jahren mehrheitlich zu Unterhaltungsformaten wie Reality-Shows entwickelt. Die Verlagerung des Massenmediums Fernsehen zum Computer ist bereits vollzogen, so dass sich nicht nur die Rezeption der Musikvideos, sondern von allen möglichen Tanzformaten ins Internet verlagert hat. Auch der im Themenfeld 4 beschriebene Videotanz stellt ein eigenes, im filmischen Medium repräsentiertes Genre dar. Seit den 1980er Jahren hat sich parallel zur Entwicklung des zeitgenössischen Tanzes eine neue Kunstform etabliert. Diese kann als intermediales Paradebeispiel im Tanz bezeichnet

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werden, steht aber wiederum nicht losgelöst von mediengeschichtlichen Entwicklungen – Experimentalfilme mit Tanzthemen sind deutliche Vorläufer. Wegweisende Beispiele wurden in diesem Feld analysiert. Die Bandbreite der Konzepte reicht von eher formalen visuellen Sinfonien im Experimentalfilm bis hin zu narrativen filmischen Formen im Videotanz. Die Filme der Gruppe DV8 ›sprechen‹ durch Erzählweisen der Körper, die Ausdruckskraft des Tanzes wird unterstrichen durch klassische filmische Prinzipien wie Einstellungsgrößen, Schuss-Gegenschuss-Verfahren und eine die Narration begleitende Montage. Die Bühnenchoreographie wurde in einen realen Raum verlagert und dort gefilmt. Zum Videotanz kann resümiert werden: In vielen überzeugenden Beispielen findet eine Verschmelzung der Bewegungsparameter auf der filmischen wie tänzerischen Ebene und eine Auflösung raumzeitlicher Strukturen statt. Kennzeichen sind wie schon in Maya Derens A Study in Choreography for the Camera von 1945 die Eroberung von unterschiedlichsten Räumen und das Spiel mit räumlichen und zeitlichen Strukturen: Die Schwerkraft scheint aufgehoben, Räume werden addiert, Bewegungen in Zeitraffer und Zeitlupe beschleunigt und verlangsamt, wie es auf einer Tanzbühne nicht möglich wäre. Der Videotanz kann als filmisches Pendant zum Medieneinsatz auf der Tanzbühne als typische Erscheinungsform des zeitgenössischen Tanzes gewertet werden. Themenfeld 5 stellte Beispiele von Tanz und digitalen Technologien heraus. Intention war, hier einen Einblick in unterschiedliche ästhetische Konzepte zu geben, die auf digitalen, oftmals interaktiven Technologien oder Repräsentationen von virtuellen Körpern und Räumen basieren. Bei interaktiven Projekten ist es bei einer Bühnensituation die Bewegung der Aufführenden, die Bilder oder Töne initiiert, bei Installationen wird das Publikum aktiv. In City of Abstracts von William Forsythe werden die Bewegungen der Passanten durch eine Software verändert, so dass die Projektionen der eigenen, verfremdeten Körper irritieren und komisch wirken. Virtuelle Figuren können wie in Merce Cunninghams Biped als zusätzliche Raumebene auf einer durchsichtigen Leinwand erscheinen und so in einen Dialog mit den Tanzenden treten; oder mittels Motion Capturing kann wie in Captive (2nd Movement) ein Videotanz entstehen, in dem vom Computer generierte Figuren sich in Räumen bewegen, die an die unendlichen Welten in Computerspielen erinnern. Dieses Feld der hybriden Verbindung von Tanz und Technologie – insbesondere Verschmelzungen von Körper und Technik in Form von Cyborgs, Robotern oder Wearables, also tragbaren digitalen Technologien – verweist auf einen kulturgeschichtlichen Diskurs über Mensch und Maschine, der in der Literatur seit dem Mittelalter besteht. Geschichten zu Homunculi, künstlich geschaffenen Menschen, thematisieren die ambivalenten Gefühle

Konklusion und Ausblick

des Menschen gegenüber der (modernen) Technik. Dabei werden die Technologien immer differenzierter: In der Kombination von Körper und prothetischer Erweiterung entwickeln sich neue Erzähl- und Wahrnehmungsformen; immersive Erlebnisse werden realisierbar, wie sie in Augmented-Reality-Games, aufwendigem transmedialem Storytelling wie beispielsweise in Performanceprojekten der britischen Gruppe Blast Theory oder dem besprochenen Beispiel When We Meet Again erprobt werden. In welche Richtung sich hier die hybriden und dabei oft interaktiven Beziehungen von Tanz und Technik entwickeln werden – ob in Richtung aufwendiger oder einfacher technischer Settings – kann noch nicht beurteilt werden. Allerdings ist generell festzustellen, dass technische Hilfsmittel und mediale Möglichkeiten selbstverständlicher in die gesamte Kunstproduktion integriert werden, während gleichzeitig eine Rückbesinnung auf analoge Schlichtheit zu beobachten ist. Eine weitere Facette moderner Tanzästhetik im digitalen Zeitalter sollten die beiden Beispiele im Themenfeld 6 zeigen: Sowohl das »Dorky Dancing« auf YouTube, einfachste Bewegungen, die von Amateuren mit einem Mut zur Hässlichkeit in der Anonymität des Netzes präsentiert werden, als auch die mittels Social Media und digitaler Kommunikation initiierten Flashmobs belegen eine Entwicklung hin zu einer partizipativen Kultur des »Produsers«, in der Produzent und Rezipient, Kunst und Leben miteinander verschmelzen. Die unzähligen Amateurvideos im Netz, die mithilfe von Web-2.0-Technologie auch noch kommentiert, imitiert und parodiert werden, bestehen aus einfachen Alltags- und Tanzbewegungen und verweisen in ihrer Aufnahme mit starrer Kamera und wenigen Schnitten wieder auf die Frühzeit des Films, auf das »Kino der Attraktionen«. Doch anders als damals zählt weniger die Qualität der Darstellung als die Anzahl der ›Klicks‹, die Rezeption im weltumspannenden Theater. Und ein solcher sich global verbreitender Erfolg kann offenbar besonders effizient mit Originalität oder Frechheit erzielt werden. Anstelle von Sprache ›spricht‹ der Körper mit Bewegungswitz und Mut zur Hässlichkeit. Auffallend an YouTube als zeitgenössischer Vaudeville-Bühne ist, dass der eigene Körper im privaten Raum einer breiten, aber anonymen Öffentlichkeit exhibitionistisch zur Schau gestellt wird. Der öffentliche Raum verlagert sich ins Internet, während bei den im öffentlichen Raum inszenierten Flashmobs eine zweite virale Verbreitung im Netz und damit ein Einzug des öffentlichen Raumes in den Privatbereich erfolgt.

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Medientheoretische Bilanz: Intermedialität im Tanz Die im Einleitungskapitel wiedergegebenen Typologien der Intermedialitätsforschung lassen sich nicht auf die sechs aufgeführten Themenfelder übertragen. Insbesondere sind nicht alle Stufen der einschlägigen medienwissenschaftlichen Fachliteratur anwendbar. Dies deshalb, da eigentlich alle Themenfelder Facetten einer Intermedialität des Tanzes im Sinne eines engeren Intermedialitätsbegriffs aufzeigen. Das ganze Feld von intermedialen Bezügen jenes Typs, wo Tanz in einem anderen Medium zum Thema wird, wie zum Beispiel in der Literatur, wurde gar nicht behandelt; oder Medienwechsel wie von der Bühne zum Film wurden nur punktuell erwähnt. Anwendbar sind allerdings unterschiedliche Begriffe wie Trans-, Multi-, Intermedialität sowie zur Verdeutlichung einer Verschmelzung der Begriff der Hybridisierung. Deshalb plädiere ich als Zusammenfassung meiner Analysen nicht für eine eigene Theorie oder Typologie der Intermedialität des Tanzes, sondern dafür, vorhandene Begriffe differenziert einzusetzen.

Konvergenzen der Kunstproduktion Die Geschichte von Tanz und audiovisuellen Medien, von markanten Beziehungen, intermedialen Wechselspielen, (Re-)Konfigurationen und Hybridisierungen, die anhand von ausgewählten Beispielen umrissen wurde, weist bei aller Vielfalt und Differenz einzelne Entwicklungslinien und Progressionen auf: Am augenfälligsten ist, dass die neue Partizipationskultur, wie sie sich im Internet als »democratization of the audiovisual space«1 präsentiert, bereits an historischen Phänomenen erkennbar ist: Happening und Fluxus können als Vorboten der partizipativen Netzkultur gesehen werden. Die Mitautorschaft des Publikums entfaltet sich im postdramatischen Theater, in Performance, Postmodern Dance und Tanztheater ab den 1960er Jahren. Stückelung, Montageprinzipien und Fragmentierung sind Kennzeichen dieser Kunstproduktion im Kontext der Postmoderne, die sich unter Medieneinflüssen und Merkmalen des Filmischen herausgebildet haben: »Die nichtlineare Struktur von fragmentierten, gleichberechtigt nebeneinanderstehenden Elementen gehört heute zu den wesentlichen Paradigmen, nach denen sich Wirklichkeit organisiert.« 2 Die Lücken und Übergänge eröffnen eigene Wahrnehmungsperspektiven, die Sinngebung wird erst als ›Kino im Kopf‹ individuell vervollständigt. Im postmodernen Kontext haben sich außerdem

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E. Müller: Where Quality Matters, S. 126. S. Dinkla: Vom Zuschauer zum vernetzten Teilnehmer, S. 51.

Konklusion und Ausblick

Parodie und Persiflage als probate Mittel der Kunstproduktion herausgebildet. Was mitunter als Gesellschaftskritik intendiert ist, droht sich im Zeitalter des Web 2.0 in einer parodistischen Spaßkultur aufzulösen. Tendenzen von Selbstinszenierung und einer Spektakelkultur, wie sie bereits 1967 von Guy Debord charakterisiert wurden, 3 sind an Tanzphänomenen im Internet mit ihrer kennzeichnenden Inhaltslosigkeit feststellbar. Eine weitere Entwicklungslinie ist die Verlagerung der Tanzbühne von festen Häusern mit einer konventionellen Guckkastensituation zu anderen Orten, Industrie- oder öffentlichen Räumen und aufgebrochenen Bühnensituationen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Seit den 1980er Jahren befinden sich nicht nur viele zeitgenössische Bühnen in zu Kulturhäusern umfunktionierten Industriehallen, sondern neue intermediale Kunstformen wie der Videotanz werden typischerweise in urbanen Umgebungen oder Naturlandschaften aufgenommen und solche Aussenräume beispielsweise als Projektionen auf die Tanzbühne gebracht. Der öffentliche Raum wiederum verlagert sich im digitalen Zeitalter in den privaten und virtuellen Raum. »Dorky Dancing«, Amateurtanz, wird zu Hause vor der Webcam ausgeführt, via Internet verbreitet und in häuslicher Umgebung (oder dank mobilen Gadgets überall) individuell rezipiert. Festzustellen sind also Konvergenzen auf verschiedenen Ebenen: Grundsätzlich haben sich Tanz und audiovisuelle Medien kontinuierlich ausgetauscht und angenähert, und diese Beziehungen führten zu ästhetischen Konzepten, bei denen eine Unterscheidung der beteiligten Partner nach Kategorien der Intermedialität kaum noch sinnvoll erscheint. Diese Konvergenzen sind an den Parametern Bewegung, Zeit und Raum ablesbar. Dialog und Interaktion, Abhängigkeiten von Bewegung auf der Ebene des Tanzes wie auf der Ebene des Filmischen führen zu spezifischen ästhetischen Konzepten. Solche Verschränkungen sind in Bühnenrepräsentationsformen mit einem Medieneinsatz auf der Tanzbühne ebenso feststellbar wie in filmischen Formen wie dem Filmmusical, Musikvideo oder Videotanz. Eine Tanzbewegung kann durch eine Bewegung der Kamera verstärkt oder abgeschwächt werden. Eine Kamerabewegung kann für die Zuschauenden ein kinästhetisches Erlebnis vermitteln, indem man mitzutanzen scheint. Im Parameter der Zeit können Bewegungsabläufe mit filmischen Zeitfaktoren verändert werden. Angefangen bei Stopptricks, in denen ein Bewegungsablauf nicht aufgenommen wird, um zu einem Überraschungsmoment zu springen, bis zu übernatürlich wirkenden Beschleunigungen im Zeitraffer oder den schon von Rudolf Arnheim so anschaulich beschriebenen, die Wahrnehmung bereichernden Zeit3

G. Debord: Die Gesellschaft des Spektakels.

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lupenaufnahmen: »[…] die gar nicht als Verlangsamungen schneller Bewegungen sondern als eigentümlich gleitende, schwebende, überirdische wirken.« 4 In der Verbindung von Zeitfaktoren des Tanzes und des Films entstehen somit markante Verbindungen, die eigene ästhetische Wahrnehmungen hervorrufen. Am Parameter des Raumes wurde deutlich, dass der Einbezug filmischer Räume eine willkommene Erweiterung des Bühnenraumes ermöglicht und jede nur erdenkliche Aufeinanderfolge von Räumen durch den filmischen Schnitt realisiert werden kann. Die Bewegung des Tanzes initiiert dabei oftmals die Raumübergänge. Spezifisch am Wandel von analoger zu digitaler Produktion ist die Generierung von virtuellen Räumen, die keine Referenz zu Alltagsräumen mehr aufweisen muss und durch ein immersives Eintauchen in eine Unendlichkeit gekennzeichnet sein kann. Reale und virtuelle Räume, öffentlicher und privater Raum erscheinen nicht mehr getrennt, sondern werden in fließendem Wechsel bespielt und genutzt. Die erwähnte Entwicklung hin zu einer partizipativen Kultur zeigt sich als weitere Konvergenz auf der Seite der Konsumenten und Rezipienten: Das Publikum ist ›Produser‹, Rezipient und Produzent zugleich. Das Internet unterscheidet nicht zwischen traditionellen Kategorien des Privaten und Öffentlichen. 5 Diese Selfmade-Kultur im Internet wurde in den Analysen ausschnitthaft thematisiert, auch im Tanz als typische Recycling-Kultur erkannt. In dieser gibt es keine Grenzen mehr zwischen Kunst, Kommerz, Werbung, Spiel, Video, Kurzfilm usw. Die Idee des »Produsers« basiert auf einer »offenen Akteur-Netzwerk-Struktur«, welche »die ehemaligen Disziplinen-, Medienund Marktgrenzen« wie auch von »Produktion, Distribution und Konsum/ Rezeption« auflöst.6 Offen ist, wie sich eine solche, auf ein Mitmachen des Publikums abzielende Kunstproduktion auf das professionelle Bühnenschaffen im Tanz auswirken wird, inwieweit hierbei interaktive Tools zum Einsatz kommen oder neue transmediale Werke entstehen. Ein einfaches Tanzbeispiel, das verschiedene Aspekte einer partizipativen Kultur aufweist und die Disziplinen- und Mediengrenzen überschreitet, ist eine Produktion der Schweizer Choreographin und Videomacherin Nicole Seiler. Für Living-room dancers aus dem Jahr 2008 suchte sie Amateure, deren Hobby verschiedene Tanzarten wie Tango, Steptanz, Salsa, Improvisation oder Pole-Dance ist. Inspirationsquelle zu diesem Projekt waren tatsächlich die besprochenen Amateurtänze in privaten Räumen, die auf YouTube zu sehen sind. Angelegt als ein choreographischer Parcours in der Stadt, bekam das

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R. Arnheim: Film als Kunst, S. 138. Vgl. G.C. Tholen: Die Zäsur der Medien, S. 198. B. Ochsner: Von intermedialer Konvergenz zu ›produsage‹, S. 193.

Konklusion und Ausblick

Publikum einen Stadtplan, einen MP3-Player und ein Fernglas mit auf den Weg und konnte in einem Zeitfenster am Abend auf individueller Route zu den verschiedenen Orten gehen, um durch mit roten Neonleuchten gekennzeichneten Fenstern von aussen den jeweiligen Tanz in einem privaten Raum zu beobachten. Die voyeuristische Zuschauerposition verlagert Nicole Seiler vom Bildschirm in den realen Raum. Auf dem MP3-Player standen die passende Musik zum Tanz und Informationen zu den Tanzenden zur Verfügung. Nach der Route in der Stadt wurde im Theater ein halbstündiger Dokumentarfilm gezeigt, der die beteiligten Amateure und ihre Hobbys vorstellt und so die eigenen Gedanken zu den Personen ergänzte oder korrigierte. Deutlich wird an diesem Beispiel, wie unterschiedliche Medien und Wechsel von privaten, Aussen- und Theaterräumen integriert werden können, wie analoge und digitale Verfahrensweisen sich ergänzen können. Auch die Rezeptionsmedien werden zunehmend austauschbar, ein Medienwechsel von der Bühne zum Bildschirm, vom öffentlichen, urbanen Raum zum globalen Netz-Raum geschieht wie bei den Flashmobs in schnellen, selbstverständlichen Wechseln. Offen bleibt, wie sich die intermedialen Beziehungen zwischen Tanz und Film weiter entwickeln werden. Inwieweit werden beispielsweise wie Tendenzen im zeitgenössischen Tanz (und anderen Kunstsparten) rückwärtsgewandte Formen des Reenactments – in ihrer Funktionsweise durchaus im Kontext der festgestellten Recycling-Kultur zu sehen – die ästhetischen Konzepte bestimmen. Entspricht es der Recycling- und Amateurkultur mit einem überall zugänglichen Fundus an Kulturproduktionen, dass diese vornehmlich im Verwerten von Vorhandenem funktioniert, dass nichts Eigenes im Sinne des Geniebegriffs mehr entstehen kann? Bröckelt hier der Mythos des Originals, oder geraten Begriffe wie Originalität und Autorschaft ins Wanken? Denn auch eine Kopie ist immer eine Auseinandersetzung mit etwas.7 Weitere aktuelle Phänomene wie Tanz als interaktives Darstellungsmittel in Videogames wurden in diesem Band nicht explizit ausgeführt – sie sind dennoch, wie mit Augmented-Reality-Systemen bei den Wearables angedeutet, weitere Varianten einer konvergenten und partizipativen Medienkultur: Mittels Konsolen mit Bewegungssensoren wie Wii oder Xbox 360 Kinect kann mitgetanzt, nachgeahmt und – im erwähnten beschränkten Rahmen vorgegebener Formen – selber kreiert werden.

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Vgl. Anaïs Hostettler, Herausgeberin des Magazins Copy Paste Reality in: D. von Gehlen: Mash-up, S. 162f. Von Gehlen plädiert im Weiteren dafür, den Begriff des Originals neu zu definieren, denn die Bewertung des Originellen passiere auch erst im Auge des Betrachters (S. 174).

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Die Kunstproduktion im 21. Jahrhundert präsentiert sich als kreatives Schaffen an Rändern und mit Rückbezügen, an Übergängen und Schnittstellen, die kaum mehr als solche identifizierbar sind. Es ist eine Kunstproduktion der Konvergenzen: Alltag und Bühne, Konsument und Produzent, Amateur und Profi, Tanz und Technik verschmelzen zu hybriden Produkten. Dabei ist es unwesentlich, ob einfache oder aufwendige, analoge oder digitale Techniken verwendet werden, denn auch diese sind längst verbunden und kaum mehr als intermediale Beziehungspartner erkennbar. Dawn Stoppiello von Troika Ranch meinte beim ersten ›realen‹ Treffen der ›Dance-tech‹-Community im September 2008 in New York: »We make art now with whatever we need for it.« Technik, analog oder digital, vorproduziert oder interaktiv ist ein Mittel neben anderen des künstlerischen Ausdrucks. Einerseits konvergiert die Kunstproduktion – Henry Jenkins formulierte 2006 eine »Convergence Culture« in der Kollision von alten und neuen Medien8 – andererseits ist die Kunstproduktion, wie Stoppiellos Aussage bekräftigt, individualisiert, divergent und nischenorientiert. 9 Die Affinität von Tanz und Film, Körper und Technik wird vermutlich bestehen bleiben. Nach einer Phase des Erprobens neu entwickelter digitaler Technik und eines beschränkten ästhetischen Outputs zum Ende des 20. Jahrhunderts ist vorerst eine Rückkehr zu einfachen Arbeitsmitteln und amateurhaftem Körperausdruck im Web-2.0-Zeitalter festzustellen. Aber – falls in (oder nach) der digitalen Ära nochmals neue Medien erfunden werden, werden diese sicher erneut zum Experimentieren im Tanz verführen. Denn Tanz und Technik widerspiegeln trotz aller Konvergenzen die Dialektik von Mensch und Maschine – ein Spannungsverhältnis, das die Menschheit von jeher faszinierte und insbesondere seit Beginn der Film- und der modernen Tanzgeschichte zu neuen ästhetischen Wahrnehmungen und künstlerischen Schöpfungen führte.

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H. Jenkins: Convergence Culture. Vgl. auch R. Grusin: YouTube at the End of New Media.

ANHANG Eine kurze Geschichte der Tanzstile des modernen Bühnentanzes und ihrer Affinitäten zu filmischen Medien Die folgenden Seiten geben einen kurzen Überblick zu Tanz und Film aus der Sicht der Tanzgeschichte und zu den dominanten Stilen des modernen Bühnentanzes. Viele der genannten Werke werden im Hauptteil des Buches näher beschrieben. Das Register in diesem Anhang verweist auf die jeweiligen Seitenzahlen zu Personen und Werken.

Klassischer Tanz Das klassische Ballett ist bis heute trotz der vielen neueren Tanzströmungen in der Form der Danse d’école als grundlegende Trainingstechnik in allen Tanzausbildungen erhalten geblieben und bildet damit weiterhin das Fundament des europäischen und amerikanischen Bühnentanzes. Der Terminus »Ballett« geht auf italienisch »balletto« (Diminutiv von »ballo«: Tanz) zurück und umschreibt den künstlerischen Tanz, der sich ab dem 16. Jahrhundert zu einem spezialisierten Zeichensystem verdichtete.1 Aus den italienischen und insbesondere französischen Entwicklungen resultierte u.a. mit Jean Georges Noverres »Lettres sur la danse, et sur les ballets« (1760) eine erste, sich auf die Form des Handlungsballetts beziehende Theoriebildung. Grundlegendes Merkmal klassischer Bühnenwerke ist die Umsetzung eines Librettos, dessen tänzerische Darstellung und musikalische Interpretation. Transformierungen solcher Textgrundlagen bilden vergleichbar mit Theatertextvorlagen bis heute einen wichtigen Teil des Repertoires, indem diese in einen aktuellen Kontext mit den jeweiligen zeitgenössischen Bühnenmitteln umgesetzt werden. Dazu können auch Filmeinspielungen oder Videoprojektionen gehören. 1

Vgl. S. Dahms: Tanz, S. 91.

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An der Schwelle zum 20. Jahrhundert geriet das Ballett als »Inbegriff des repräsentativen Schautanzes höfischer Prägung« bekanntlich in die Kritik der Reformer. 2 Es regten sich aber auch innerhalb des klassischen Tanzes Reformbestrebungen: Sergei Diaghilew und die Ballets Russes kreierten in den 1910er und 1920er Jahren durch den Einbezug namhafter avantgardistischer Künstler aus anderen Sparten wie Darius Milhaud, Eric Satie, Pablo Picasso oder Coco Chanel in Werken wie Parade (1917) oder Le Train bleu (1924) ein Repertoire, das dem Ballett neue Impulse gab. Diese Bestrebungen, durch das Addieren gleichberechtigter Künste ein Gesamtkunstwerk zu schaffen, fanden weitere Nachahmer. Die bekannteste Gruppe waren Rolf de Marés Ballets Suédois, deren Werk Relâche (1924) mit der in die Pause integrierten Filmeinspielung Entr’acte ebenso zum Kanon der Avantgarde zählt wie die Werke der Ballets Russes. Mit Hans van Manen (*1932) und William Forsythe (*1949) können zwei weitere Reformer des klassischen Balletts des 20. Jahrhunderts genannt werden, die in ihren Arbeiten auffallende Bezüge zu filmischen Medien zeigen. Der niederländische Choreograph van Manen, der von 1960 bis 1970 als CoDirektor des 1959 gegründeten Nederlands Dans Theater und von 1973 bis 1987 bei Het Nationale Ballett wirkte, beschäftigte sich bereits in den 1960er Jahren bei Aufzeichnungen des niederländischen und westdeutschen Fernsehens damit, wie seine Choreographien am besten für das Fernsehmedium adaptiert werden konnten, und konzipierte Kain und Abel (1961) sogar direkt für die Fernsehkamera. Mit Live (1979) schuf van Manen außerdem als einer der ersten Choreographen ein wegweisendes Werk, in dem Videokamera und Live-Projektion auf der Ballettbühne eingesetzt wurden. 3 Der Amerikaner William Forsythe, der vor seiner klassischen Tanzausbildung beim Joffrey Ballet in New York Kunstgeschichte und Geisteswissenschaften studierte, interessierte sich seit Beginn seiner Choreographenlaufbahn 1976 beim Stuttgarter Ballett unter John Cranko, als Leiter des Ballett Frankfurt von 1984 bis 2004, freischaffender Choreograph und seit 2004 künstlerischer Leiter der Forsythe Company konstant für den Einbezug anderer Kunstformen. Filmische Strukturprinzipien der Fragmentierung sind Merkmale seiner Kompositionen, und er integriert häufig – wie beispielweise in Kammer/Kammer (2000) – Kameras und Videoprojektionen in eine Aufführung. Alle Elemente einer Inszenierung wie Bewegung, Text, Musik, Ausstattung, Licht usw. sind bei ihm gleichrangige Elemente einer forschenden und

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Ebd., S. 136. Zu Hans van Manen siehe J. Schmidt: Der Zeitgenosse als Klassiker.

Eine kurze Geschichte der Tanzstile

reflektierenden Komposition, einer Untersuchung des Balletts als Sprache. 4 Der choreographische Prozess bei Forsythe weist in der ständigen Reflexion und Improvisation deutliche Merkmale postmoderner Kunstproduktion auf. Forsythe entwickelte mit Improvisation Technologies (1999/2003/2011) eine CD-ROM, die als Trainingsinstrument für seine Tänzerinnen und Tänzer gedacht war, aber in der veröffentlichten Form als Werkzeug für den analytischen Blick auf Tanz und beispielhaftes interaktives Medium gilt. 5 Forsythe experimentiert in seinen jüngeren Produktionen wie in Scattered Crowd (2002) oder Human Writes (2006) auch mit interaktiven Aufführungsformen, die als Installation Aufführungsräume außerhalb von Theaterräumen bespielen. Der Weiterführung seiner Bewegungsrecherche und -vermittlung widmet Forsythe in Kooperation mit der Ohio State University eine eigene Website, Synchronous Objects, auf der in einer spielerischen Tanzanalyse eine Vielzahl seiner Parameter für choreographisches Arbeiten am Beispiel von One Flat Thing, reproduced (2000) sichtbar gemacht und eigene choreographische Ansätze probiert werden können.6

Moderner/Postmoderner Tanz Die Entwicklung des modernen Tanzes beginnt Ende des 19. Jahrhunderts im kulturellen Umfeld von Reformbestrebungen als Aufbruch eines neuen Körperverständnisses. Im amerikanischen Modern Dance waren es Loïe Fuller (1882–1928), Isadora Duncan (1877–1927) und Ruth St. Denis (1879–1968), die zuerst auf Vaudeville-Bühnen im Unterhaltungssektor auftraten und ihre Solovorstellungen auch in Europa zeigten. In der Folge löste der amerikanische Einfluss die europäische Variante einer modernen Tanzbewegung des Ausdruckstanzes aus. Neben dem Einfluss von François Delsarte, dessen Bewegungserziehung ab 1871 auch in den USA bekannt war, boten in Europa Ideen der Zurück-zur-Natur- und neuen Körperkultur der Monte-Verità-Bewegung und Émile Jaques-Dalcrozes Schule für rhythmische Gymnastik in Hellerau das kulturelle Umfeld, aus dem in Europa Persönlichkeiten des Ausdruckstanzes wie Mary Wigman oder Rudolf von Laban hervorgingen. Aus der Bewegungsimprovisation wurden individuell und emotional motivierte Bewegungsformen entwickelt, die sich bewusst gegen den artifiziellen Bewegungskodex des Balletts richteten. »Die neuen Tänze verpflichteten sich einer kraftvollen, kinetisch-visuellen und kinästhetisch-

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Zu William Forsythe siehe G. Siegmund: Abwesenheit. Kerstin Evert stellt diese »interaktive Tanzschule« vor, in: dies.: DanceLab, S. 127ff. http://synchronousobjects.osu.edu/ vom 11.11.2012.

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leiblichen Präsentation des Tanzkörpers, die ihn als durchströmtes Medium von energiegeladenen Bewegungen zeigte.«7 Von den genannten Pionierinnen des modernen Tanzes interessierte sich die aus Illinois stammende Unterhaltungskünstlerin Loïe Fuller für Bewegungsillusionen, Lichteffekte und den Film. 1892 trat sie mit ihrem Serpentinentanz, in dem sie mit großen Stoffbahnen, die von Holzstäben geführt wurden, Bewegungseffekte erzielte, in den Staaten und auch erstmals in den Folies Bergère in Paris auf und wurde in der Folge zu einer zentralen Figur des Art Nouveau. Ab 1919 drehte sie zudem einzelne Filme. 8 Aufnahmen dieser Tänze, ausschließlich Bewegtbilder von ihren zahlreichen Epigoninnen, wurden von Filmpionieren wie Thomas Edison gemacht, allerdings in einem rein dokumentarischen Sinne. Auch von Isadora Duncan ist nur ein ganz kurzer Filmschnipsel erhalten. Einige der Tänzerinnen sowohl in Europa wie in Amerika wirkten in den Stummfilmen der damaligen Zeit mit – so beispielsweise Ruth St. Denis und Mitglieder der Denishawn-Schule, die von 1915 bis 1931 von St. Denis und Ted Shawn in Los Angeles und New York geführt wurde, in D.W. (David Wark) Griffiths Monumentalwerk und Klassiker des Stummfilms Intolerance (1916). Die Kompetenz im Bewegungsausdruck war in expressionistischen deutschen Stummfilmen gefragt und für die Tanzschaffenden eine Verdienstmöglichkeit in einer sich etablierenden Industrie. So trat Valeska Gert (1882– 1978) u.a. in Georg Wilhelm Pabsts Die freudlose Gasse (1925) oder Tagebuch einer Verlorenen (1929) auf. 9 Außerdem stand Gert in diesen Jahren in Austausch und Auseinandersetzung mit Futuristen wie den Brüdern Bragaglia oder der sowjetischen Avantgarde mit Wsewolod Meyerhold und Sergei Eisenstein. Eisensteins Prinzip der »Montage der Attraktionen« findet sich in ihren sozialkritischen grotesken Tanzstücken. Dieser »filmische Darstellungsstil« ist gekennzeichnet durch Brechungen, Disjunktionen und Fragmentierungen.10 Gert sah im Film erweiterte Möglichkeiten zum Theater, die genutzt werden sollten.11

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S. Huschka: Merce Cunningham und der moderne Tanz, S. 30, und dies.: Moderner Tanz. Einen guten Überblick zu Loïe Fuller in ihrer Vielfalt auch in den Beziehungen zu anderen Künsten geben in deutscher Sprache G. Brandstetter/B.M. Ochaim: Loïe Fuller. Zu Valeska Gert siehe: F. Hildenbrandt: Die Tänzerin Valeska Gert; F.-M. Peter: Valeska Gert; S. Foellmer: Valeska Gert. Vgl. G. Brandstetter: Tanz-Lektüren, Kapitel Valeska Gert: »Filmischer Tanz« und Groteske, S. 449–453. Vgl. S. Foellmer: Valeska Gert, S. 66. Valeska Gert wurde bis vor kurzem weit weniger im tanzhistorischen Kontext rezipiert als beispielsweise Mary Wigman. Susanne Foellmers Arbeit liefert hier wertvolle Anregungen, um gerade den Stellenwert Gerts für die Tanz-, aber auch Film- und Theateravantgarde aufzuarbeiten.

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Der Modern Dance blühte in den Vereinigten Staaten mit der Denishawn-Schülerin Martha Graham (1894–1991), die 1923 die DenishawnCompany verließ und in Manhattan 1926 eine Schule gründete, bis Mitte des 20. Jahrhunderts. Graham schuf eine eigene, auf Prinzipien von Contraction und Release basierende Technik, die zwar als Gegenbewegung zur klassischen Technik entwickelt wurde, jedoch wie das klassische Vokabular bis heute zu den Basistechniken in der Tanzausbildung zählt. Aus dieser frühen Zeit des Modern Dance bestehen nur einzelne, dokumentarisch intendierte filmische Aufzeichnungen wie beispielsweise der von Alexander Hammid, Ehemann der Experimentalfilmerin Maya Deren, im Jahre 1960 gedrehte Film Night Journey. Er dokumentiert die im Jahre 1947 entstandene Choreographie von Martha Graham. Er wird von Evann Siebens zu Recht als »extremely sensitive to the choreographer’s work« und mehr als ein Transfer einer Aufführung in einen Film als »new work of art« bezeichnet.12 Die Choreographie wurde in Schwarzweiß in einem Studio aufgenommen, in dem die Kamera losgelöst von jeglicher Guckkastenperspektive auch subjektive Einstellungen zeigt und den Raum filmisch auflöst. In dieser Zeit sind es vor allem die Experimentalfilmer, die eigens für die Kamera inszenierte Choreographien in Kooperation mit Tanzschaffenden entwickeln. Erst im Übergang zum postmodernen Tanz in den 1950er und 1960er Jahren interessieren sich Mitglieder der Judson-Church-Bewegung wie Yvonne Rainer (*1934) und Elaine Summers (*1925) für Film- und Videoeinsatz in ihren Performances. Merce Cunningham (*1919), der von 1939 bis 1945 zahlreiche Solistenrollen in der Martha Graham Company tanzte, 1953 am Black Mountain College seine eigene Merce Cunningham Company gründete und dort Wegbegleiter wie John Cage und Robert Rauschenberg kennenlernte, beschäftigte sich ab den 1970er Jahren mit dem Medium Video. Cunningham, der teilweise in der Tanzgeschichtsschreibung noch dem Modern Dance, teilweise als ›Vaterfigur‹ bereits dem postmodernen Tanz zugeordnet wird, zeigt in seinen Werken eine eigene Ästhetik auf der Basis von klassischer und Graham-Technik, deren offene und nichtnarrative Form eine »Emphase der Körperbewegung« charakterisierte, und schuf damit den Übergang zu bewegungsorientierten, weniger emotional motivierten Werken der nächsten Generation.13 Seine erste Choreographie für die Kamera war Westbeth (1974), realisiert wie Channels/Inserts (1981) und weitere Arbeiten zusammen mit dem Filmemacher Charles Atlas, der damals fest zur Company gehörte. Beach Birds for Camera (1992) entstand mit Atlas’ Nachfolger Elliot

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E. Siebens: Choreography for Camera, S. 2. S. Huschka: Merce Cunningham und der moderne Tanz, S. 35.

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Caplan als Filmversion der Bühnenchoreographie Beach Birds. Channels/Inserts fand den umgekehrten Weg eines Medienwechsels vom Film zur Bühne. Bemerkenswert ist, dass sich Cunningham in den 1990er Jahren erneut als Pionier in der Verwendung digitaler Technologien betätigte, ab 1991 alle seine Choreographien mittels der Software »LifeForms« kreierte und wie in Biped (1999) außerdem mit dem Motion-Capturing-Verfahren experimentierte.14 Ab den 1940er Jahren schuf Alwin Nikolais (1910–1993), der am Bennington College bei Vertretern des Modern Dance wie Graham, Hanya Holm, Doris Humphrey und Charles Weidman studiert hatte, eigene Arbeiten, die sich vom Modern Dance emanzipierten. Er suchte abstrakte Bewegungsformen, experimentierte mit Lichtwirkungen und Musikeinsatz und sah den Tanz nur als Teil eines gesamten Bühnenwerkes. Mit dem Experimentalfilmer Ed Emshwiller schuf er drei Werke, Totem (1963), Fusion (1967) und Chrysalis (1973),15 in denen – ähnlich wie in seinen Bühnenwerken – die Tänzerinnen und Tänzer in der Abstraktion der Bilder durch Licht und Effekte kaum mehr als Individuen erkennbar sind. Nikolais wurde nach erfolgreichen Auftritten seiner Company 1978 von der französischen Regierung eingeladen, das erste choreographische Zentrum in Angers aufzubauen, und hatte dadurch einen Einfluss auf die Entwicklung des zeitgenössischen Tanzes der 1980er Jahre in Frankreich. Als eigentliche Begründer des amerikanischen postmodernen Tanzes gelten die Mitglieder des Judson Dance Theaters, die von 1962 bis 1964, resultierend aus einem Kompositionskurs zum Zufallsprinzip mit Robert Dunn, in der New Yorker Judson Memorial Church einen Aufführungsort gefunden hatten und deren laborartige Treffen nach dieser ersten Zeit von anderen weitergeführt wurden. Merkmale dieser ›Concerts‹, an denen sich auch Maler und Musiker beteiligten, waren Improvisation, die Verwendung einfachster Alltagsbewegungen wie Gehen oder Laufen, Parodie und Ironie, jede offene Form von Ausdrucksweisen. Zu den Mitgliedern der Gruppe, von denen einige zu den Schülerinnen und Schülern Cunninghams zählten, gehörten u.a. Trisha Brown (*1936), Lucinda Childs (*1940), Simone Forti (*1936), David Gordon (*1936), Deborah Hay (*1941), Meredith Monk (*1942), Steve Paxton

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Die Merce Cunningham Company verfügt über ein eigenes Archiv, das seit 1959 von David Vaughan geführt wird. Auf der Website des Merce Cunningham Trust können unter http:// www.mercecunningham.org/choreography/ alle Arbeiten abgerufen werden. Von 2001 bis 2012 wurden alle Archivalien in die Jerome Robbins Dance Division der New York Public Library for the Performing Arts überführt und dort zugänglich gemacht. Sabine Huschka sieht Nikolais wie Cunningham in einer »Mittlerrolle« in der Tanzästhetik zwischen Modern und Postmodern Dance. S. Huschka: Merce Cunningham und der moderne Tanz, S. 35.

Eine kurze Geschichte der Tanzstile

(*1939), Yvonne Rainer und Elaine Summers.16 In der Folgegruppierung der Grand Union, die von 1972 bis 1976 bestand, entwickelten Paxton und Gordon zusammen mit Nancy Stark Smith (*1952) und anderen die Kontaktimprovisation als demokratische Form von improvisierten Paar- und Gruppentänzen. Erkundungen der Bildmedien Film und Video zählten ebenso zur Offenheit der Aufführungskonzepte wie der explorative Umgang mit Musik.17 Als Beispiele solcher Intermedia-Experimente dieser Gruppe stehen die Arbeiten von Elaine Summers und Yvonne Rainer. Rainer begann in den 1960er Jahren, Filme in ihre Bühnenarbeiten zu integrieren, und wendete sich ab den 1970er Jahren ganz dem Filmmedium zu. Summers, die in den späten 1960er Jahren die Experimental Intermedia Foundation gründete, schuf außerdem mit Kinetic Awareness eine eigene Technik zur Schulung des Bewegungsbewusstseins. Die Etablierung des postmodernen Tanzes in den 1960er Jahren entstand in diesem Freiraum für Experimente, aus der gesamten kulturellen Situation poststrukturalistischer Denkweisen, aus Performancearbeiten der Kunstszene, Happening und Fluxus, deren Ursprung bereits in den 1950er Jahren zu finden ist. Historisch beziehen sich Performancekunst und Postmodern Dance wiederum auf Dada-Bewegung, Futurismus und andere Avantgardeprogramme zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Künstler wie Dick Higgins, Nam June Paik, Joseph Beuys, Wolf Vostell, Allan Kaprow oder Al Hansen beeinflussten die amerikanische wie die europäische Performanceszene.18 Video wurde insbesondere von Performancekünstlerinnen in den 1960er und 1970er Jahren eingesetzt, um wie beispielsweise bei Ulrike Rosenbach (*1943) Weiblichkeit und Körperlichkeit zu reflektieren.

Zeitgenössischer Tanz Obwohl es problematisch ist, exakte zeitliche Schnitte zu den historisch gewachsenen Tanzstilen zu machen, kann analog den beschriebenen Übergängen in einer weiteren Phase von Innovationen seit den 1980er Jahren sowohl im amerikanischen Sprachraum von »Contemporary Dance« als auch in Europa von »danse contemporaine« bzw. zeitgenössischem Tanz gesprochen

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Die Bücher von Sally Banes geben sowohl den besten Überblick über einzelne Protagonisten des Judson Dance Theaters als auch eine Einordnung in Avantgarde und Postmoderne der Zeit: dies.: Terpsichore in Sneakers; dies.: Democracy‘s Body; dies.: Reinventing Dance in the 1960s. Banes bezeichnet den Umgang mit Film in der Aufführung sogar als »key outgrowth« der Gruppe. Dies.: Writing Dancing, S. 224. Zur Performancekunst siehe u.a. E. Jappe: Performance – Ritual – Prozess; R.L. Goldberg: Performance Art, und dies.: Performance: Live Art Since the 60s.

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werden. Vereinzelt wird der Begriff des »New Dance« für Strömungen wie die Kontaktimprovisation verwendet, die zum Ende der 1970er Jahre auch in Europa eingeführt wurde. Individualisierungsprozesse und Öffnungen der Stile und Formen setzten sich im deutschen Tanztheater der 1970er Jahre fort. Die Protagonistinnen und Protagonisten in Deutschland, Pina Bausch (1940–2009), Reinhild Hoffmann (*1943), Susanne Linke (*1944), Johann Kresnik (*1939) und Gerhard Bohner (1936–1992), deren historische Wurzeln in individuellen Verläufen zu den modernen Tanzbewegungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zurückverfolgt werden können, lösten im kulturpolitischen Umfeld der 68er-Bewegung eine Popularisierung des Tanzes aus.19 Zur internationalen Anerkennung des Tanztheaters verhalf allen voran Pina Bausch. Typisch für ihre Werke wurde die montageartige, »assoziative Verknüpfung unterschiedlichster szenischer Motive und eine Öffnung der Spartengrenzen« hin zu Text und Bild. 20 Vereinzelt, wie in Walzer (1982) und jüngeren Produktionen wie Wiesenland (2000) oder Rough Cut (2005), setzte Pina Bausch Film- oder Videoprojektionen ein. Mit Die Klage der Kaiserin (1989) entstand als einmaliger Versuch ein 95-minütiger Film, in dem die für Bausch typischen Bühnenbilder, die Naturräume nachbilden, im realen Raum gefilmt und in der beschriebenen Verknüpfung von Szenen aneinandergereiht wurden. 21 Pina Bausch hatte außerdem in Federico Fellinis E la nave va (1983) einen Kurzauftritt und tanzte mit dem Tanztheater Wuppertal in Pedro Almodóvars Habla con ella (2002). Postmodern Dance und Tanztheater sind als Stilrichtungen in einer Vielfalt der Ästhetiken im zeitgenössischen Tanz weiter erkennbar, werden aber dennoch heute oftmals unter dem Begriff des zeitgenössischen Tanzes subsumiert. 22 »Diffusionen heterogener Tanzstile und choreographischer Verfahren […] verästeln sich und assimilieren sich multidisziplinär«, beschreibt Susanne Traub den zeitgenössischen Tanz. 23 Alle möglichen Tanzstile von Ballett bis Kontaktimprovisation, von aus dem Gesellschaftstanz entstammenden Bewegungen wie Tango oder Salsa bis zu Formen des Streetdance sowie verschiedene multikulturelle und ethnische Tanzstile werden zusammengesetzt, um in einer »Prozessualisierung auf allen Ebenen der Choreogra-

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Zum Tanztheater in Deutschland siehe S. Schlicher: TanzTheater, und J. Schmidt: Tanztheater in Deutschland. S. Dahms: Tanz, S. 178f. Siehe hierzu C. Rosiny: Pina Bauschs erste TV-Produktion, S. 75, und A. Sánchez-Colberg: You Can See it like This or like That. Vgl. S. Dahms: Tanz, S. 181. Ebd. Zu möglichen Facetten des zeitgenössischen Tanzes siehe C. Rosiny: Zeitgenössischer Tanz.

Eine kurze Geschichte der Tanzstile

phie« den Tanz zu erforschen, Fragen zu stellen oder teilweise nur eklektisch kulturelle und gesellschaftliche Fragmente zu verschalten. 24 Körper und Bewegung werden als Kommunikationsmittel verstanden, die das Selbst, den Körper und gesellschaftliche Strukturen reflektieren. Es sind häufig persönliche Interessen und individuelle Hintergründe, aus denen heraus verschiedene Tanzstile und Mittel anderer Kunstdisziplinen genutzt und kombiniert werden, um künstlerische Aussagen zu machen. Ein Kennzeichen des zeitgenössischen Tanzes fällt in der Heterogenität und Diversität der Stile und Formen auf: Fragmentierung als Gestaltungsprinzip auf einer strukturellen Ebene der Choreographie. 25 Daran zeigt sich der Einfluss von Postmoderne und Mediengesellschaft. Erst der Zuschauer vervollständigt im Prozess der aktiven Teilnahme das ›Kino im Kopf‹ zum subjektiv rezipierten ästhetischen Produkt und wird so zum Mitproduzenten von Kunst. Auffallend ist, dass die Choreographen eines physisch und auf Geschwindigkeit orientierten Stils der 1980er Jahre wie Édouard Lock (*1954) mit seiner Gruppe Lalala Human Steps in Kanada, Lloyd Newson (*1957) mit DV8 Physical Theatre in Großbritannien oder Wim Vandekeybus (*1963) mit Ultima Vez in Belgien eine starke Beziehung zu den filmischen Medien pflegen. Von allen drei Compagnien gibt es inzwischen Anthologien von Choreographien für die Kamera – sowohl rein filmische Kreationen als auch filmische Adaptionen ihrer Bühnenwerke. 26 Zu Beginn der 1980er Jahre entwickelt sich in Frankreich eine zeitgenössische Tanzszene in Facetten zwischen Tanztheater und den durch das Centre National de Danse Contemporaine (CNDC) in Angers von Alwin Nikolais vermittelten abstrakteren Varianten. Parallel stimulierte die französische Regierung unter Kulturminister Jack Lang in dieser Dekade neben dem Bühnentanz auch das entstehende Genre Videotanz mit finanziellen Mitteln. Eines dieser ersten Videos, Jump (1984), schuf Philippe Decouflé (*1961), der in seiner Bühnenästhetik mit comicartigen Bewegungsversatzstücken arbeitet, Projektionen auf der Bühne einsetzt, aber auch weitere Kreationen für die Kamera wie Le P’tit Bal perdu (1993) realisiert. Mitte der 1990er Jahre entsteht in Europa eine mit dem Terminus »Konzepttanz« spezifizierte Form von bewegungsreduzierten Choreographien, die indes weder als eigene Schule noch unter einem ähnlichen Bewegungsstil zu 24 25 26

S. Dahms, Tanz, S. 182. Vgl. C. Rosiny: Zeitgenössischer Tanz, S. 15. Die Websites der genannten Gruppen bieten teilweise solche Filme bzw. Sammlungen an oder verweisen auf Verkaufsstellen: http://www.lalalahumansteps.com/new/; http://www. dv8.co.uk/; http://www.ultimavez.com/, alle vom 11.11.2012. Obwohl es inzwischen nicht zuletzt dank YouTube einfacher ist, auch solche Kunstvideos zumindest in Ausschnitten anzuschauen, bleibt es schwierig, ältere Werke, beispielsweise der 1980er Jahre, zu finden.

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fassen wären. 27 »Der Tanz als ein physisches, sichtbares performatives Ereignis verschwindet zunehmend von der Bühne.« 28 Arbeiten von Jérôme Bel (*1964), Xavier Le Roy (*1963), Boris Charmatz (*1973), Raimund Hoghe (*1949) oder Meg Stuart (*1965) bieten sich in ihrer reflexiven Form einer wissenschaftlichen Untersuchung an, und jüngere tanzwissenschaftliche Untersuchungen widmen sich in einer Vielzahl diesem Diskurs. Einzelne Exponentinnen wie Stuart setzen auch filmische Bildmittel ein. 29 Im Zuge der digitalen Entwicklungen der 1990er Jahre erprobten einzelne Choreographen wie Cunningham diese neuen technischen Möglichkeiten. Es entstanden mit Gruppen wie Palindrome oder Troika Ranch in Deutschland bzw. den USA Tanzcompagnien, die sich ganz den digitalen Technologien und entsprechenden Bühnenkonzepten widmeten. 30 Neue Tendenzen des zeitgenössischen Tanzes im 21. Jahrhundert sind noch nicht auszumachen. Weder sind neue Allianzen mit den filmischen Medien noch eine Fortführung der digitalen Möglichkeiten, sondern vielmehr ein retrospektiver Blick in Form von Reenactments, eine Wiederholung, Ausbreitung und Auslegung bisheriger Formen des zeitgenössischen Tanzes feststellbar. Bei allen genannten Stilrichtungen und dem Einsatz filmischer Medien stellen sich grundsätzliche Fragen: Inwieweit ist deren Verwendung individuell motiviert, wie regten der kulturelle Kontext der Zeit, insbesondere die jeweiligen technischen Innovationen auf dem Gebiet der filmischen Medien, zu Experimenten an. Boten sich bestimmte Bewegungsstile an, um eine filmische Ästhetik anzuziehen? Wann und warum wurden filmische Medien in eine Choreographie einbezogen? Wie entwickelten sich aus dem Medieneinfluss eigene Stilrichtungen des Tanzes, ein von Unterbrechungen und Fragmentierungen gekennzeichnetes Bewegungsvokabular wie beispielsweise im Breakdance? Auffallend ist, dass in den verschiedenen beschriebenen Tanzstilen und historischen Epochen intermediale Beziehungen zu filmischen Medien festgestellt werden können, anzumerken ist ebenfalls, dass in allen diesen avantgardistischen Strömungen eine deutliche Abkehr von linearen Erzählstrukturen und somit grundsätzlich schon eine Affinität zu einer dem filmischen Medium eigenen Ästhetik festzustellen ist.

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Siehe hierzu G. Siegmund: Konzept ohne Tanz?, bes. S. 47. G. Klein: Die reflexive Tanzmoderne, S. 25. Siehe hierzu A. Jochim: Meg Stuart. Siehe hierzu K. Evert: DanceLab; S. Dinkla/M. Leeker: Tanz & Technologie; S. Dixon: Digital Performance; S. Kozel: Closer; C. Salter: Entangled.

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Wolf, Werner: Intermedialität, in: Ansgar Nünning: Metzler-Lexikon Literatur- und Kulturtheorie, Stuttgart: Metzler 2004, S. 296–297. Worthmann, Merten: Schwindsucht mit Feuerwerk. Baz Luhrmanns wirbelwindiges Film-Musical ›Moulin Rouge‹, in: Zeit online Kultur, Nr. 43, 2001, unter http://www.zeit. de/2001/43/Schwindsucht_mit_Feuerwerk vom 11.11.2012. Young, Latika: Dorky Dance, Youtube, and the New Vaudeville, in: Dance on Camera Journal 2008, Annual Review, New York: Dance Films Association, S. 18–30. Youngblood, Gene: Expanded Cinema, New York: Dutton 1970. Zima, Peter V. (Hg.): Literatur intermedial. Musik, Malerei, Photographie, Film, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1995. Zylinska, Joanna (Hg.): The Cyborg Experiments. The Extensions of the Body in the Media Age, London/New York: Continuum 2002.

Vincente Minnelli

Chris Cunningham

Stephen Daldry Steve Barron

Billie Elliot – I Will Dance

Billie Jean

Michael Jackson

Stan Lathan

Beat Street

Elliot Caplan

Merce Cunningham

Beach Birds for Camera

USA

UK

USA

USA

F

F

Fernand Léger/Dudley Murphey Michel Coste

Montalvo/Hervieu

José Montalvo & Dominique Hervieu

Ballet mécanique

IND

F

F

USA

USA

USA

USA

D

ES

USA

USA

USA

Land

Raj Kapoor

Michel Gondry

Babelle heureuse

Awara (Der Vagabund)

Kader Attou

Daft Punk

Anokha

Around the World

Edison Company/William Heise

An American in Paris Mutoscope und Biograph

All Is Full of Love

Annabelle – Serpentine Dance

Björk

Gene Kelly

Alie/na(c)tion

Animated Picture Studio

Marcel-lí Antúnez

William Forsythe

Afasia

Maya Deren

Maya Deren

Lloyd Bacon

Regie

A Study in Choreography for the Camera

Accrorap

Compagnie

Hillary Harris

Busby Berkeley

Choreographie

9 Variations on a Dance Theme

42nd Street

Titel

Werkverzeichnis

1983

2000

1984

1992

2002

1924

1951

1997

2000

1895

1903

1951

1999

1992

1998

1945

1966

1933

Jahr

110'

105'

28'

19'

193'/GB 168'/USA 82'

4'03''

26''

3'

108'

2'13''

13'

89'

Länge

Stummfilm

Filmmusical

Musikvideo

Bühne

Performance

Videotanz

Experimentalfilm

Filmmusical

Werkart

teilw. s/w

s/w

Musikvideo

Tanzfilm

Tanzfilm

Videotanz

Bühne medial

Experimentalfilm

Filmmusical

Musikvideo

Bühne

handkoloriert Stummfilm vertont

s/w stumm

s/w stumm

s/w stumm

s/w

s/w stumm

Merce Cunningham

Busby Berkeley

Lucinda Childs

Alwin Nikolais

Daniel Nagrin

Countdown

CRWDSPCR

Dames

Dance

Dance Chromatics

Dance in the Sun

UK

David Hinton

USA

USA

USA

USA

USA

USA

USA

USA

D

Dead Dreams of Monochrome Men

Thomas Edison

Amy Greenfield

Ed Emshwiller

Sol LeWitt

Ray Enright

Adria Petty

Charles Atlas

USA USA

AU

DV8

Charles Atlas Ed Emshwiller

CH

F

USA

USA

USA

USA

B

USA

USA

USA

Land

Dancing Stars

Lloyd Newson

Beyoncé

Coast Zone

Dancing Chinamen, Marionettes

William Forsythe

Merce Cunningham

City of Abstracts

Merce Cunningham

Alwin Nikolais

Philippe Saire

Cartographie 2 – les arches

Channels/Inserts

N+N Corsino

N+N Corsino

Captive (2nd Movement)

Chrysalis

Harry Beaumont

Broadway Melody

Philippe Saire

Joel Silberg

Wim Vandekeybus

Nam June Paik

William Heise

Ultima Vez

Breakin'

Blush

Bowery Waltz

Wim Vandekeybus

Blue Studio: Five Segments

Darren Aronofsky

Paul Kaiser/Shelley Eshkar

Regie

Ed Emshwiller

Merce Cunningham

Black Swan

Compagnie

Body Works

Merce Cunningham

Benjamin Millepied

Biped

Choreographie

Titel

1990

2005

1898

1953

1959

1979/ 2009

1934

1993

2011

1983

2000

1973

1981

2002

1999

1929

1984

1897

1965

2005

1975

2010

1999

Jahr

52'

1'

6'

91'

3'33''

30'

18'30''

35'

8'

12'

100'

90'

1'

52'45''

15'38''

Länge

s/w

s/w stumm

Videotanz

TV

Stummfilm

Experimentalfilm

Experimentalfilm

Bühne medial

Filmmusical

Bühne digital

Musikvideo

Videotanz

Installation

Videotanz

Videotanz

Videotanz

Videotanz

Filmmusical

Tanzfilm

Stummfilm

Bühne medial

Videotanz

Videotanz

Tanzfilm

Bühne digital

Werkart

344 Tanz Film

Carolyn Carlson, Emery Hermans, Bob Beswick

Loïe Fuller

Fantastic Gardens

Film with Three Dancers

Firedance

Bill T. Jones

Susan Kozel

Gideon Obarzanek

Busby Berkeley

Régine Chopinot

Fusion

Ghostcatching

Ghosts and Astronauts

Glow

Gold Diggers of 1933

Gustave

Wim Vandekeybus

Björk

Her Body Doesn’t Fit Her Soul

Hyperballad

Hand Movie

Improv Everywhere

Alwin Nikolais

Frozen Grand Central

Loïe Fuller (?)

Elaine Summers

Fame – der Weg zum Ruhm

Jeffrey Hornaday

Louis Falco

Excelsior

Flashdance

Luigi Manzotti

Ex Machina

Firedance

Judson Laipply

Frédéric Flamand

Evolution of Dance

Lloyd Newson

Jean Börlin

Kenny Ortega

Dirty Dancing

Enter Achilles

Pina Bausch

Die Klage der Kaiserin

Entr'acte

Choreographie

Titel

Ultima Vez

Chunky Move

DV8

Compagnie

Michel Gondry

Yvonne Rainer

Régine Chopinot

Mervin LeRoy

Gretchen Schiller

Paul Kaiser/Shelley Eshkar

Ed Emshwiller

Adrian Lyne

Pathé Frères

Ed Emshwiller

Alan Parker

Luca Comerio

Fabrizio Plessi

René Clair

Clara van Gool

Emile Ardolino

Pina Bausch

Regie

USA

B

USA

F

USA

AUS

UK

USA

USA

USA

USA

F

USA

USA

USA

USA

I

B

USA

F

UK

USA

D

Land

1996

1992

1966

1987

1933

2006

1997

1999

1967

2008

1983

1905

1896

1970

1964

1980

1913

1994

2006

1924

1995

1987

1989

Jahr

6'17''

6'

97'

16'

95'

1'

20'

134'

14'

22'

45'

100'

106'

Länge

s/w stumm

s/w stumm

s/w stumm

s/w stumm

Musikvideo

Bühne medial

Experimentalfilm

Videotanz

Filmmusical

Bühne digital

Bühne digital

Bühne digital

Videotanz

Flashmob

Tanzfilm

Stummfilm

Bühne

Experimentalfilm

Bühne medial

Tanzfilm

Stummfilm

Bühne medial

YouTube

Experimentalfilm

Videotanz

Tanzfilm

Videotanz

Werkart

Werkverzeichnis 345

Dawn Stoppiello

In Plane

Philippe Decouflé

Régine Chopinot

Jump (hystérique bourrée)

K.O.K.

Ultima Vez

Darius Khondji

Charles Atlas

Spike Jonze

Frédéric Flamand

Wim Vandekeybus

Philippe Decouflé

Krisztina de Châtel

Kammer/Kammer

La Cité radieuse

La Mentira

La Voix des légumes

Lara

Loïe Fuller

Philippe Decouflé

Bronislava Nijinska

Jean Cocteau

Le Lys de la vie

Le Train bleu

Les Mariés de la Tour Eiffel

José Montalvo & Dominique Hervieu

Le Jardin io io ito ito

Le P'tit Bal perdu

Jean Cocteau

Le Bœuf sur le toit

Le Bal

Hans van Manen

William Forsythe

Kain und Abel

Montalvo/Hervieu

Théâtre du Campagnol

Philippe Decouflé

Loïe Fuller

Michel Coste

Ettore Scola

Philippe Decouflé

Walter Verdin/Wim Vandekeybus

Joes Odufré

Björk

It's Oh So Quiet

D.W. Griffith

Mark Coniglio

Regie

Karan Johar

Ulrike Rosenbach

Isolation ist transparent

Ultima Vez

Troika Ranch

Ultima Vez

Compagnie

Kabhi Khushi Kabhie Gham

Denishawn

Intolerance

In Spite of Wishing and Wanting Wim Vandekeybus

Wim Vandekeybus

William Forsythe

Improvisation Technologies

Alwin Nikolais

Imago (The City Curious)

Immer dasselbe gelogen

Choreographie

Titel

F

F

F

F

F

F

I/F

NL

F

B

F

D

D

IND

F

F

USA

D

USA

B

USA

D

B

USA

Land

1921

1924

1993

1920

1999

1920

1983

1998

1982

1992

2005

2000

1961

2001

1988

1984

1995

1973

1916

1999

1994

1999

1991

1963

Jahr

3'48''

?

110'

50'

23'

210'

4'

15'

3'41''

197'

Länge

s/w vertont

s/w stumm

Bühne medial

Bühne

Videotanz

Experimentalfilm

Bühne medial

Bühne medial

Stummfilm

Bühne digital

Videotanz

Videotanz

Bühne medial

Bühne medial

TV

Filmmusical

Videotanz

Videotanz

Musikvideo

Performance

Stummfilm

Bühne medial

Bühne digital

CD-ROM

Bühne medial

Bühne medial

Werkart

346 Tanz Film

Pina Bausch

Merce Cunningham

Ulrike Rosenbach

Pina – tanzt, tanzt, sonst sind wir verloren

Points in Space

Projekt Kinem: Der innere Widerstand sind meine Füße

Rainbow Dance

Ludmilla Chiriaeff

George Balanchine

Pas de deux

José Montalvo & Dominique Hervieu

Paradis

Pastorale

Léonide Massine

Lloyd Newson

My Sex, Our Dance

Léonide Massine

Frédéric Flamand

Moving Target

Parade

John O'Connell

Moulin Rouge!

Ode

Gideon Obarzanek

Montalvo et l'Enfant

Liz Aggis

Jean-Claude Gallotta

Merce by Merce by Paik

Motion Control

Merce Cunningham

Locale

Mortal Engine

Nicole Seiler

Merce Cunningham

Living-room Dancers

Lives of Performers

Live

Hans van Manen

Alwin Nikolais

Limbo

Link Up

Choreographie

Titel

Montalvo/Hervieu

DV8

Chunky Move

Phoneheads

Compagnie

Len Lye

Elliot Caplan

Wim Wenders

Norman McLaren

Michel Coste

Lloyd Newson

Baz Luhrmann

David Anderson

Frieder Weiss

Claude Mouriéras

Nam June Paik

Charles Atlas

Yvonne Rainer

Henk van Dijk

Markus Bader

Regie

2001

2008

1989

1975

1979

2008

1972

1979

2002

1968

Jahr

USA

D

USA

D

USA

CDN

F

F

F

UK

B

1936

1974

1986

2011

1925

1968

1997

1917

1928

1986

1996

UK/USA/ 2001 AUS

UK

NZ

F

USA

USA

CH

USA

NL

D

USA

Land

4'

56'

106'

13'19''

22'

127'

8'30''

75'

30'

30'

90'

26'

Länge

s/w

s/w

s/w stumm

Experimentalfilm

Performance

Videotanz

Dokfilm

Bühne medial

Experimentalfilm

Bühne medial

Bühne

Bühne medial

Videotanz

Bühne medial

Filmmusical

Videotanz

Bühne digital

Videotanz

Videotanz

Dokfilm

Performance

Experimentalfilm

Bühne medial

Musikvideo

Bühne medial

Werkart

Werkverzeichnis 347

Choreographie

Synchronous Objects

DV8

Maurice Tourneur Georges Méliès Lloyd Newson

The Bluebird

The Conjurer

The Cost of Living

DV8

Georges Méliès

The Ballet Master's Dream

Lloyd Newson

Ed Emshwiller

Saatchi & Saatchi

George Stevens

David Hinton

Olivier Simola

Thanatopsis

Tanz für eine Frau

Ulrike Rosenbach

William Forsythe

Swing Time

T-Mobile Dance

Lloyd Newson

Hermes Pan

Strange Fish

N+N Corsino

Philippe Decouflé

Solo – Le doute m'habite

Gene Kelly/Stanley Donen

Singin' in the Rain

Soi Moi

Georges Méliès

Loïe Fuller

John Badham

Birgit Cullberg

Walter Verdin/Wim Vandekeybus

Charles Atlas

Serpentine Dance

Serpentine Dance

Marc Caro

Régine Chopinot

Fred Astaire

Royal Wedding

Lester Wilson

Pina Bausch

Rough Cut

Rude Raid

Birgit Cullberg

Rött vin i gröna glass

Saturday Night Fever

Stanley Donen

Wim Vandekeybus

Roseland

Ultima Vez

Merce Cunningham

Roamin' I

Thomas Grube

Royston Maldoom

Rhythm Is It!

Birgit Cullberg

Francis Picabia

Birgit Cullberg

Jean-Claude Gallotta

Regie

Revolt

Ballets Suédois

Compagnie

Relâche

Rei Dom ou la légende de Kreuls Jean-Claude Gallotta

Titel

UK

F

USA

F

USA

D

GB

USA

USA

UK

F

F

USA

F

USA

USA

F

USA

D

S

B

USA

D

S

F

F

Land

2004

1899

1918

1903

1962

1975

2009

2009

1936

1992

2003

2009

1952

1896

1891

1977

1984

1951

2005

1970

1989

1979

2004

1972

1924

1991

Jahr

35'

57''

75'

2'

103'

50'

103'

1'

118'

13'

93'

15'

100'

100'

Länge

s/w vertont

s/w stumm

s/w stumm

Videotanz

Stummfilm

Stummfilm

Stummfilm

Experimentalfilm

Performance

Flashmob

Website

Filmmusical

Videotanz

Bühne medial

App/Installation

Filmmusical

Stummfilm

Bühne

Tanzfilm

Videotanz

Filmmusical

Bühne medial

TV

Videotanz

Videotanz

Dokfilm

Videotanz

Bühne medial

Videotanz

Werkart

348 Tanz Film

Yvonne Rainer

Pina Bausch

Fatboy Slim/

Walzer

Weapon of Choice

Me and the Machine

Matt Harding

Westbeth

When We Meet Again (Introduced as Friends)

Where the Hell Is Matt

Wild Style

Erika Janunger

Merce Cunningham

Weightless

Charlie Ahearn

Charles Atlas

Erika Janunger

Spike Jonze

Lea Anderson

Lea Anderson

Waiting

Norman Cook

Yvonne Rainer

Helena Waldmann

vodka konkav

Volleyball

John Cage/ Merce Cunningham

Variations V

Edwin S. Porter

Alwin Nikolais

Totem

Trio A – The Mind is a Muscle

Uncle Tom's Cabin

Ed Emshwiller

Hermes Pan

John Landis Mark Sandrich

Michael Jackson

Thriller

Top Hat

Rock Steady Crew

Michael Powell/ Emeric Pressburger

The Red Shoes

Germaine Dulac

Georges Méliès

The Magic Lantern

Thèmes et variations

Edwin S. Porter

Robert Helpmann

D.W. Griffith

The Great Train Robbery

Regie

The Fall of Babylon

Compagnie

Georges Méliès

Choreographie

The Dancing Midget

Titel

USA

USA

GB/ES

USA

S

USA

D

UK

USA

D

USA

USA

USA

USA

USA

USA

F

UK

F

USA

USA

F

Land

1983

2003/5

2009

1974

2007

2001

1982

1995

1967

1997

1965

1903

1968

1963

1935

1983

1928

1948

1903

1903

1919

1902

Jahr

82'

32'

7'

3'31''

4'10''

10'

13'

16'

101'/81'

13'43''

9'

133'

3'

11'

3'

Länge

s/w stumm

s/w

s/w

s/w vertont

s/w vertont

s/w

s/w stumm

s/w stumm

Tanzfilm

YouTube

Performance

Videotanz

Videotanz

Musikvideo

Bühne medial

Videotanz

Experimentalfilm

Bühne medial

Bühne medial

Stummfilm

Bühne medial

Videotanz

Filmmusical

Musikvideo

Experimentalfilm

Tanzfilm

Stummfilm

Stummfilm

Stummfilm

Stummfilm

Werkart

Werkverzeichnis 349

Register

Fett markierte Seitenzahlen verweisen auf eigene Kapitel, kursiv gesetzte auf Abbildungen. 42nd Street 143, 149ff., 151, 154 9 Variations on a Dance Theme 218 A A Study in Choreography for the Camera 218, 222ff., 223, 308 ABBA 184, 205 Abramovic, Marina 117 Accrorap 85, 90f., 302 Actuel Force 89 Afasia 288f., 288 Aggis, Liz 247f., 247 Alie/na(c)tion 78 Alien Nation Co. 260 All is Full of Love 188, 191ff. An American in Paris 153, 169, 176 Anderson, David 247f. Anderson, Lea 254 Animated Picture Studio 50f., 51 Annabelle – Serpentine Dance 52 Anokha 90ff. Antúnez Roca, Marcel-lí 288f., 288 Armitage, Karole 239 Aronofsky, Darren 178 Around the World 190, 196ff., 196 Ars Electronica 278, 284, 287 Artaud, Antonin 96, 220 Astaire, Fred 17, 143, 146–156, 147, 185, 195, 197, 198, 210, 253, 307 Ästhetik, ästhetisch 16, 24, 29, 41, 59, 68, 76, 93, 95, 291, 305ff., 322ff. Atlas, Charles 206, 232, 233–241 Attou, Kader 90f. Audiovisuelle Medien 16, 95, 140, 143, 238, 256, 306, 310f. Augmented Reality 291, 309, 313 Awara 143,158, 159ff., 160, 163f.

B Bachchan, Amitabh 162 Bader, Markus 197, 198 Bakst, Léon 96 Balanchine, George 96, 107f. Ballet mécanique 107 Ballets Russes 67, 96, 97ff., 107f., 130, 166, 316 Ballets Suédois 99, 102ff., 130, 316 Bambaataa, Afrika 85, 90 Babelle heureuse 136 Baryshnikov, Mikhail 165 Basil, Toni 183 Bausch, Pina 68ff., 76f., 84, 179ff., 180, 243, 246, 322 Beach Birds for Camera 236f., 236, 319f. Beat Street 85, 88 Beatty, Talley 222ff., 223 Benjamin, Walter 19f., 32, 53, 120 Benois, Alexandre 96 Berkeley, Busby 17, 48, 64, 139, 143, 145, 148, 149ff., 151, 155f., 160f., 175ff., 185, 298, 307 Berner Tanztage 91, 287ff., 301 Beuys, Joseph 117 Bewegungskonzept 29ff., 94, 132, 191, 252, 307 Beyoncé 199 Billy Elliot – I Will Dance 177f., 307 Billie Jean 87f. Biped 271ff., 272, 308, 320 Birringer, Johannes 260f. Björk 144, 184, 188ff., 189, 195, 255 Black Swan 177f., 307 Black, Blanc, Beur 89f. Blast Theory 290 Blog 261, 296, 299f. Blue Studio: Five Segments 205ff., 206, 237 Blush 132 Body Works 227 Bouvier, Joëlle 239 Bowery Waltz 53 Brakhage, Sten 218 Breakin‘ 85 Breaking 86ff.

352

Tanz Film

Brecht, Bertolt 69ff., 75, 96 Broadway Melody 145, 150, 154 Brown, James 86 Brown, Trisha 109, 320 Buñuel, Luis 220, 226 C Cage, John 108ff., 207, 237, 263, 279f., 319 Campbell, Don 87 CandoCo Dance Company 245 Caplan, Elliot 236f., 236, 265, 319f. Captive (2nd Movement) 275ff., 276, 308 Cartographie 2 – les arches 249ff., 250 CAVE 278 Channels/Inserts 233ff., 240, 319f. Chaplin, Charlie 87, 98f., 101, 159, 306 Charisse, Cyd 146, 155 Charnock, Nigel 243f. Childs, Lucinda 109, 120, 125f., 125, 236, 306, 320 Chopinot, Régine 238ff. Chrysalis 125, 227, 320 Chunky Move 282ff., 283 City of Abstracts 83, 285f., 285, 308 Clair, René 45, 103ff., 104, 137, 220 Clarke, Shirley 218 Coast Zone 236 Cocteau, Jean 97ff., 226 Comerio, Luca 47f., 47 Coniglio, Mark 280f., 281 Connor, Bruce 183 Cook, Norman 193f., 104 Corsino, N+N 275ff., 276, 285 Countdown 199 Cowie, Billy 247 Croft, Lara 259, 277 Crosland, Alan 144 CRWDSPCR 262ff. Cullberg, Birgit 202ff., 204 Cunningham, Chris 188, 191 Cunningham, Merce 17, 108f., 113, 124f., 139, 201ff., 206, 215, 232–240, 236, 262ff., 271ff., 272, 279f., 308, 319f., 324 Cyborg 286ff., 308

D Dames 50, 52 Dance 125f., 125 Dance Chromatics 226 Dance in the Sun 218 Dancing Chinamen, marionettes 53 Dancing Stars 209ff. Davis, Coleen 127f., 127 de Châtel, Krisztina 259 Dead Dreams of Monochrome Men 243f. Debussy, Claude 96 Decouflé, Philippe 138ff., 139, 200, 215, 238f., 240ff., 241, 307, 323 Denis, Ruth St. 53, 62, 67, 305, 317f. Denishawn-Schule 60ff., 305, 318f. Deren, Maya 17, 115, 216, 218, 222ff., 223, 256, 308, 319 Diaghilew, Sergei 96f., 99, 101f., 107, 153, 166 Die Klage der Kaiserin 74, 180, 322 Digital 17, 18f., 25, 28, 34, 39, 123, 175, 179, 201, 259ff., 269, 271ff., 291ff., 295, 299, 202f., 308f., 312ff., 320, 324 Dirty Dancing 144, 212 Donen, Stanley 153, 154, 156, 253 Dorky Dancing 294ff., 311 Duchamp, Marcel 104, 207, 217 Dulac, Germaine 17, 216f., 220ff., 221 Duncan, Isadora 53, 60, 66f., 99, 317f. Dunham, Catherine 222 Dunn, Robert Ellis 108ff., 263, 320 DV8 Physical Theatre 131, 242ff., 244, 308, 323 E Edison, Thomas A. 42, 49, 50ff., 51, 52, 57, 59f., 318 Eggeling, Viking 107, 217 Eisenstein, Sergei 72, 318 Emerson, Ruth 110, 112 Emshwiller, Ed 17, 125, 216, 226ff., 256, 320 Endicott, Jo Ann 73, 180 Enter Achilles 243ff., 244 Entr‘acte 45, 95, 102ff., 104, 131f., 137, 220, 306, 316 Eshkar, Shelley 272ff., 272, 274 Evolution of Dance 294ff., 296, 300 Ex Machina 134f., 134 Excelsior 46ff., 47

Register

Experimentalfilm 17, 45, 103, 115, 125, 182f., 217ff., 226ff., 232, 256, 279, 308, 319f. Export, Valie 117 EyeCon 278, 282 F Fame – der Weg zum Ruhm 144 Fantastic Gardens 111f. Fellini, Federico 178, 322 Film with Three Dancers 227 Filmisierung 20 Filmmusical 16f., 34f., 47, 67, 143ff., 176f., 182ff., 189f., 193, 197f., 210, 213, 307, 311 Firedance 52f. Fischinger, Oskar 217, 228 Flamand, Frédéric 133ff., 134, 141, 307 Flashdance 88, 144, 165, 169ff., 171 Flashmob 196, 286, 294, 299ff., 300, 303, 309, 313 Fluxus 25, 111f., 299, 310, 321 Fokine, Michael 96, 153 Footlight Parade 150f. Forsythe, William 76ff., 81, 122, 269ff., 285f., 285, 306, 308, 316f. Fragmentierung 76f., 80, 82, 84, 94, 96, 113, 201, 306, 310, 316, 323 Fraile, Clara Garcia 289 Friedman, Gene 110 Frozen Grand Central 299f., 300 Fuller, Loïe 41ff., 52f., 67, 93, 99, 103f., 305, 317f. Fusion 227, 320 G Gallotta, Jean-Claude 239, 242 Garland, Judy 66, 146, 153 Gaudin, Jean 239 Gaultier, Jean-Paul 238 Gert, Valeska 305, 318 Ghostcatching 271ff., 274 Ghosts and Astronauts 266ff. Glass, Philip 125f. Glow 278, 282f., 283 Godard, Jean-Luc 115, 129, 178, 203 Gold Diggers of 1933 150 Gondry, Michel 188, 190ff., 196 Gordon, David 109, 320f. Goude, Jean-Paul 301 Graham, Martha 113, 121, 123, 222, 319f.

Greenaway, Peter 178, 239 Greenfield, Amy 34, 113, 218f. Griffith, David Wark 48ff., 60ff., 63, 305, 318 Gustave 238 Guy, Alice 220 H Halprin, Anna 109 Hammid, Alexander 222, 319 Hand Movie 114 Hansen, Al 111, 321 Happening 25, 109, 116, 299, 310, 321 Harding, Matthew 294ff., 295 Harris, Hillary 218 Hay, Deborah 263, 320 Hayworth, Rita 146, 153 Head-Mounted Display 286, 289 Hepburn, Audrey 146 Her Body Doesn’t Fit Her Soul 132 Hervieu, Dominique 136ff., 137, 307 Higgins, Dick 25, 112 Hinton, David 243 Holm, Hanya 121, 320 Hoover, Nan 117 Horn, Rebecca 117, 287 Humphrey, Doris 121, 320 Hybridität, Hybridisierung 17, 22, 24, 27ff., 178, 268, 285, 287, 292, 308, 310, 314 Hyperballad 188ff. I Imago (The City Curious) 124 Immer dasselbe gelogen 130ff. Improv Everywhere 299f., 300 Improvisation Technologies 76, 69ff., 317 In Plane 280ff., 281 In Spite of Wishing and Wanting 132 Intermedialität, intermedial 16ff., 21ff., 34ff., 68, 93ff., 95, 115ff., 141, 143ff., 169, 177f., 213, 215f., 225, 256f., 292, 305ff., 310ff., 324 Internet 34, 182, 195, 200f., 213, 247, 259, 266, 293ff., 307, 310ff. Intolerance 48, 60ff., 63, 305, 318 Isolation ist transparent 118 It‘s Oh So Quiet 188ff., 189, 193

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354

Tanz Film

J Jackson, Michael 87f., 144, 184, 185ff., 186, 299 Janunger, Erika 249ff., 253 Johar, Keven 162f., 163 Jolson, Al 144 Jones, Bill T. 271ff., 274 Jonze, Spike 188ff., 189, 193ff., 194, 196 Judson Dance Theater 108ff., 120, 125, 219, 263, 306, 319f. Jump (Hysterique bourrée) 240f., 323 K K.O.K. 238f. Kabhi Khushi Kabhie Gham 143f., 157, 161, 162ff., 163 Kain und Abel 127, 202f., 316 Kaiser, Paul 269, 272ff., 274 Kammer/Kammer 76, 79ff., 81, 316 Kapoor, Raj 159ff. Karan, Johar 162f. Keeler, Ruby 150 Keersmaeker, Anne Teresa De 199, 246 Kelly, Gene 17, 143f., 152ff., 153ff., 154, 169, 174, 176 Khan, Shah Rukh 162f. Kidman, Nicole 173 Konfiguration 17, 22f., 36, 44, 80, 134, 269, 292, 310 Konvergenz 18, 286f., 302f., 310ff. Körperbild 29, 30f., 41, 94 Körperlichkeit 21, 30ff., 179, 188, 243, 267, 297, 305, 321 Kozel, Susan 262, 266ff. Kracauer, Siegfried 298 L La Cité radieuse 135 La Mentira 132 La Voix des légumes 139, 240 Laban, Rudolf von 121, 123, 270, 317 Laipply, Judson 194ff., 296, 300 Landis, John 185, 186, 189 Lang, Fritz 115, 249 Lang, Jack 89, 238, 323 Lara 259, 262, 277 Larrieu, Daniel 238f. Le Bal 172f., 172 Le Bœuf sur le toit 99

Le Jardin io io ito ito 136 Le Lys de la vie 44f., 103 Le P‘tit Bal perdu 139, 240ff., 241, 323 Le Train bleu 97ff., 316 Léger, Fernand 45, 107, 217, 220 Les Mariés de la Tour Eiffel 99 LeWitt, Sol 125f., 125 LifeForms 262ff., 271, 273, 275, 292, 320 Limbo 124 Link Up 196ff., 197 Live 125ff., 127, 133, 136, 138, 316 Lives of Performers 114 Living-room Dancers 312f. Locale 235f. Lock, Édouard 200, 323 Lockers, The 87 Luhrmann, Baz 165, 173ff., 176 Lumière, Auguste und Louis 54f. Lye, Lin 217, 228 M Manzotti, Luigi 46 Maré, Rolf de 102f. Marey, Étienne-Jules 49, 230 Marinetti, Filippo Tommaso 99, 287 Martial-Arts-Filme 86, 178 Marussich, Yann 287 Massine, Léonide 97ff., 107, 166, 168 Matisse, Henri 96 McLaren, Norman 17, 216, 228ff., 230, 256 McMurtrie, Chico 289 Me and the Machine 289ff., 290 Medialität, Mediatisierung, Medialisierung 19f., 30, 93 Medienkombination 16, 22, 24ff., 80, 95, 120, 130, 141, 257, 269, 292, 306 Medienwechsel 16, 22f., 94, 151, 156, 165, 169, 173, 257, 310, 313, 320 Mekas, Jonas 111, 218 Méliès, Georges 42, 55ff., 57, 58, 94, 123, 224, 229, 305 Merce by Merce by Paik 207 Mey, Thierry de 199 Meyerhold, Wsewolod 96, 318 Milhaud, Darius 96, 100, 316 Mobile Clubbing 299 Mobiltelefon 277, 290, 299, 301 Momix 123

Register

Montage 37ff., 49f., 55, 60ff., 68ff., 94f., 136, 140, 171, 225, 228, 261, 297f., 306ff., 310 Montalvo et l‘Enfant 242 Montalvo, José 136ff., 137, 140, 307 Moog, Robert 163, 279 Mortal Engine 282ff. Motion Capture/Capturing 262f., 271, 274f., 283, 292, 308, 320 Motion Control 247ff., 247 Moulin Rouge! 144, 165f., 173ff., 176 Mouriéras, Claude 239, 242 Movers 123 Moving Target 133f., 141 Multimedia, Multimedialität 18, 24ff., 33, 97, 102, 107, 109ff., 141, 283, 306 Mummenschanz 123 Muybridge, Eadward 49f., 272 My Sex, Our Dance 243 N Narration/Narrativität 102, 156, 176f., 185, 198, 242f., 246, 307f. Newson, Lloyd 243ff., 244, 323 Nijinska, Bronislawa 96, 100f. Nijinsky, Wazlaw 96, 99f., 133, 166 Nikolais, Alwin 45, 120ff., 127, 129, 139, 141, 215, 227, 238, 284, 320, 323 O Obadia, Régis 239 Obarzanek, Gideon 282ff., 283 Ode 107 OpenEnded Group 273 P Paik, Nam June 206, 208, 232, 263, 279f., 321 Palindrome Inter.Media Performance Group 260, 278, 282, 291, 324 Pan, Hermes 147f., 147 Parade 97ff., 316 Paradis 136ff., 137 Parodie 162, 186, 197, 200, 294f., 302, 309, 311, 320 Partizipative Kultur/Partizipationskultur 111, 285, 293, 302, 309, 310ff. Pas de deux 228ff., 230 Pastorale 107

Pawlowa, Anna 96, 167 Paxton, Steve 109, 263, 320f. Pearson, Sam 289 Performanz, Performativität 24, 28f., 32f. Peters, Michael 185 Petzold, Christian 178 Picabia, Francis 102ff. Picasso, Pablo 96f., 100, 316 Pickford, Mary 98, 101 Pilobolus 123, 293, 301 Pina – tanzt, tanzt, sonst sind wir verloren 179ff., 180, 307 Points in Space 236 Porter, Edwin S. 55 Portman, Natalie 178 Postmoderne 28, 33, 77, 84, 132ff., 174f., 207, 292, 310, 317 Powell, Dick 150f. Powell, Eleanore 146 Powell, Michael 166, 168 Präsenz, Repräsentation 16, 21, 24, 26, 29, 32f., 80, 95, 112, 116, 128, 133, 141, 200, 235, 257, 306f., 311 Price, Vincent 186f. Produser 17, 309, 312 Projekt Kinem: Der innere Widerstand sind meine Füße 118 Prokofjew, Sergei 96 Q Queen 182, 184 R Rainbow Dance 217 Rainer, Yvonne 108ff., 125, 263, 319, 321 Rauschenberg, Robert 263, 319 Ray, Man 45, 104, 107, 217 Reality-Show 82, 208ff., 294, 298, 307 Recycling-Kultur 302, 312f. Rei Dom ou la légende de Kreuls 242 Relâche 102ff., 306, 316 Revolt 203ff., 204 Rhythm is it! 195, 213 Richter, Hans 107, 217f. Roamin‘ I 235f. Roboter 87, 191f., 286ff., 308 Rogers, Ginger 146ff., 154, 198, 210 Roseland 132 Rosenbach, Ulrike 116ff., 135, 279, 321

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Tanz Film

Rött vin i gröna glass 203ff., 204 Rough Cut 74, 322 Royal Wedding 253 Rude Raid 238, 240 Ruttmann, Walter 217 S Saire, Philippe 249f., 250 Saporta, Karine 239, 242 Satie, Eric 96ff., 102ff., 316 Saturday Night Fever 144, 170 Schiller, Gretchen 266ff. Schlemmer, Oskar 123, 287 Schneemann, Carolee 117, 218 Schwerkraft 138, 205, 219, 225, 248, 275 Scola, Ettore 172 Selfmade-Kultur 312 Sermon, Paul 266f. Serpentine Dance 42f., 51f., 52, 56 Serpentinentanz 54, 93, 305 Shaw, Jeffrey 278 Shawn, Ted 62, 318 Singin‘ in the Rain 143f., 153ff., 154, 169, 174, 176 Skladanowsky, Emil und Max 54f. Slim, Fatboy 144, 182, 184, 193ff., 194, 196 Snowden, Shorty 86 Social Media 286, 300, 309 Soi Moi 277 Solo – Le doute m‘habite 139 Sontag, Susan 35 STEIM 278, 281 Stelarc 287 Stoppiello, Dawn 280ff., 281, 288, 314 Stopptrick 38, 56, 58f., 94, 168, 207, 223f., 248, 305, 311 Storm 89 Strange Fish 243f. Strawinsky, Igor 69, 96 Summers, Elaine 34, 108ff., 219, 319, 321 Swing Time 149, 198 Synchronous Objects 269ff., 317 T T-Mobile Dance 196, 294, 299ff., 301 Tanz für eine Frau 118f. Tanzwissenschaft 15, 29ff., 324 Tarantino, Quentin 178 Thanatopsis 226f.

The Ballet Master‘s Dream 56 The Blue Bird 64ff., 65, 94, 306 The Conjurer 58 The Cost of Living 243, 245f. The Dancing Midget 58 The Great Train Robbery 55 The Magic Lantern 56f., 57 The Red Shoes 144, 165, 166ff., 168, 175, 307 Theatralität, Theatralisierung 20, 66, 82, 141, 150, 173f., 294 Thèmes et variations 220f., 221 Thriller 88, 184, 185ff., 186 Tillergirls 298 Top Hat 143, 146ff., 147, 198 Totem 125, 227, 320 Tourneur, Maurice 49f., 64ff., 65 Transmedialität, transmedial 18, 26f., 93f., 97, 120, 292, 302f., 306, 309, 312 Travolta, John 144, 170, 297 Trio A – The Mind Is a Muscle 113, 115 Troika Ranch 260, 278, 280f., 281, 291, 314, 324 Truffaut, François 122f. Tudor, David 235, 263, 279 U Uncle Tom‘s Cabin 55 V van der Beek, Sten 206, 280 van Dijk, Henk 127f., 127 van Gool, Clara 243, 244 van Manen, Hans 120, 125ff., 127, 135f., 141, 202f., 205, 208, 306, 316 Vandekeybus, Wim 130ff., 246, 306, 323 Variations V 206, 263, 279f. Vaudeville 41f., 51, 59, 69, 145, 151, 155, 295 Verdin, Walter 131f. Verret, François 239 Videotanz 16f., 34, 36, 208, 215ff., 225f., 229, 232f., 238ff., 242ff., 247f., 249f., 254, 256f. viral 295, 297f., 302, 309 vodka konkav 133, 136 Volleyball 114f.

Register

W Wahrnehmung 19f., 29ff., 35ff., 49f., 84, 95f., 118, 134f., 140, 198, 219, 248, 253f., 256, 267f., 290, 309, 310ff. Waiting 254 Waldmann, Helena 133 Walken, Christopher 184, 194ff., 194 Walzer 71ff., 322 Weapon of Choice 182, 193ff., 194 Wearables 262, 286, 308, 313 Web 2.0 17, 261, 293f., 309, 311, 314 Wechsler, Robert 260, 282f., 291 Weightless 249, 252ff., 253 Weiss, Frieder 278, 282ff., 283 Wenders, Wim 75, 179ff., 180, 307 Westbeth 206f., 233ff., 240, 319 When We Meet Again (Introduced as Friends) 289f., 309 Where the Hell Is Matt 294ff., 295 Wigman, Mary 121, 317f. Wild Style 85, 88 Williams, Esther 151 Y YouTube 182, 293, 294ff., 299, 309, 312 Z Zeitlupe 38, 88f., 92, 99ff., 129, 171, 220, 222ff., 230f., 248, 306, 308 Zeitraffer 138, 175, 220, 239, 242, 248, 308, 311 Zulu Nation, Zulu Queens 85, 88

357

TanzScripte Gabriele Brandstetter, Gabriele Klein (Hg.) Methoden der Tanzwissenschaft Modellanalysen zu Pina Bauschs »Le Sacre du Printemps« 2007, 302 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., inkl. Begleit-DVD, 28,80 €, ISBN 978-3-89942-558-1

Stephan Brinkmann Bewegung erinnern Gedächtnisformen im Tanz 2012, 328 Seiten, kart., 34,80 €, ISBN 978-3-8376-2214-0

Sabine Gehm, Pirkko Husemann, Katharina von Wilcke (Hg.) Wissen in Bewegung Perspektiven der künstlerischen und wissenschaftlichen Forschung im Tanz 2007, 360 Seiten, kart., zahlr. farb. Abb., 14,80 €, ISBN 978-3-89942-808-7

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TanzScripte Yvonne Hardt, Martin Stern (Hg.) Choreographie und Institution Zeitgenössischer Tanz zwischen Ästhetik, Produktion und Vermittlung 2011, 316 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1923-2

Franco Barrionuevo Anzaldi Politischer Tango Intellektuelle Kämpfe um Tanzkultur im Zeichen des Peronismus 2011, 168 Seiten, kart., 23,80 €, ISBN 978-3-8376-1794-8

Laurence Louppe Poetik des zeitgenössischen Tanzes (übersetzt aus dem Französischen von Frank Weigand) 2009, 340 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1068-0

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

TanzScripte Margrit Bischof, Claudia Rosiny (Hg.) Konzepte der Tanzkultur Wissen und Wege der Tanzforschung

Gabriele Klein (Hg.) Tango in Translation Tanz zwischen Medien, Kulturen, Kunst und Politik

2010, 234 Seiten, kart., zahlr. Abb., 24,80 €, ISBN 978-3-8376-1440-4

2009, 306 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN 978-3-8376-1204-2

Reto Clavadetscher, Claudia Rosiny (Hg.) Zeitgenössischer Tanz Körper – Konzepte – Kulturen. Eine Bestandsaufnahme

Friederike Lampert Tanzimprovisation Geschichte – Theorie – Verfahren – Vermittlung

2007, 140 Seiten, kart., 18,80 €, ISBN 978-3-89942-765-3

Susanne Foellmer Am Rand der Körper Inventuren des Unabgeschlossenen im zeitgenössischen Tanz 2009, 476 Seiten, kart., zahlr. Abb., 39,80 €, ISBN 978-3-8376-1089-5

Sabine Huschka (Hg.) Wissenskultur Tanz Historische und zeitgenössische Vermittlungsakte zwischen Praktiken und Diskursen 2009, 246 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 26,80 €, ISBN 978-3-8376-1053-6

Pirkko Husemann Choreographie als kritische Praxis Arbeitsweisen bei Xavier Le Roy und Thomas Lehmen

2007, 222 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN 978-3-89942-743-1

Natalia Stüdemann Dionysos in Sparta Isadora Duncan in Russland. Eine Geschichte von Tanz und Körper 2008, 164 Seiten, kart., 19,80 €, ISBN 978-3-89942-844-5

Christina Thurner Beredte Körper – bewegte Seelen Zum Diskurs der doppelten Bewegung in Tanztexten 2009, 232 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN 978-3-8376-1066-6

Arnd Wesemann IMMER FESTE TANZEN ein feierabend! 2008, 96 Seiten, kart., 9,80 €, ISBN 978-3-89942-911-4

2009, 280 Seiten, kart., zahlr. Abb., 28,80 €, ISBN 978-3-89942-973-2

Annamira Jochim Meg Stuart Bild in Bewegung und Choreographie 2008, 240 Seiten, kart., zahlr. Abb., 28,80 €, ISBN 978-3-8376-1014-7

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Zeitschrif t für Kultur wissenschaf ten Birgit Wagner, Christina Lutter, Helmut Lethen (Hg.)

Übersetzungen Zeitschrift für Kulturwissenschaften, Heft 2/2012

2012, 128 Seiten, kart., 8,50 €, ISBN 978-3-8376-2178-3 Der Befund zu aktuellen Konzepten kulturwissenschaftlicher Analyse und Synthese ist ambivalent. Die Zeitschrift für Kulturwissenschaften bietet eine Plattform für Diskussion und Kontroverse über »Kultur« und die Kulturwissenschaften – die Gegenwart braucht mehr denn je reflektierte Kultur sowie historisch situiertes und sozial verantwortetes Wissen. Aus den Einzelwissenschaften heraus wird mit interdisziplinären Forschungsansätzen diskutiert. Insbesondere jüngere Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen kommen dabei zu Wort. Lust auf mehr? Die Zeitschrift für Kulturwissenschaften erscheint zweimal jährlich in Themenheften. Bisher liegen 12 Ausgaben vor. Die Zeitschrift für Kulturwissenschaften kann auch im Abonnement für den Preis von 8,50 € je Ausgabe bezogen werden. Bestellung per E-Mail unter: [email protected]

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