Systemische Beratung in fünf Gängen: Ein Leitfaden 9783666490965, 9783525490969, 9783647490960

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Systemische Beratung in fünf Gängen: Ein Leitfaden
 9783666490965, 9783525490969, 9783647490960

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© 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525490969 — ISBN E-Book: 9783647490960

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Helga Brüggemann Kristina Ehret-Ivankovic Christopher Klütmann

Systemische Beratung in fünf Gängen Ein Leitfaden

Mit 16 Abbildungen

4. Auflage

Vandenhoeck & Ruprecht © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525490969 — ISBN E-Book: 9783647490960

Bibliografische Informationen der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.ddb.de› abrufbar. ISBN 978-3-525-49096-9 ISBN 978-3-647-49096-0 (E-Book) © 2012, 2006, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen / Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A. Internet: www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Schrift: Minion Satz: SchwabScantechnik, Göttingen Druck und Bindung: l Hubert & Co, Göttingen Illustration: Alexander Lengerke (www.alexanderlengerke.de) Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

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Inhalt

Vorwort von Haja Molter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Vorwort der Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Legende der Symbole . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17

I.

Beziehung aufbauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 1. Einstieg gestalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Angenehme Arbeitsatmosphäre schaffen . . . . . . . 3. Rahmenbedingungen der Zusammenarbeit festlegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Anlass der Beratung erfragen . . . . . . . . . . . . . . . 5. Erwartungen klären . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

24 26 29 31 34

II. Anliegen konkretisieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 1. 2. 3. 4. 5.

Schlüsselbegriffe aufgreifen . . . . . . . . . . . . . . . . . Auswahl treffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hypothesen bilden und erweitern . . . . . . . . . . . . Anliegen klären . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anliegen formulieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

40 44 53 55 58

III. Bearbeitungs- und Lösungsebene finden . . . . . . 60 1. Suchprozess vorbereiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 2. Blickwinkel erweitern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 3. Blickwinkel verengen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525490969 — ISBN E-Book: 9783647490960

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Inhalt

4. Wirklichkeitsbilder entdecken . . . . . . . . . . . . . . 5. Lösungsweg auswählen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

78 81

IV. Impulse geben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. 2. 3. 4. 5.

Zur Veränderung einladen . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 In Bewegung bringen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 Einen Unterschied machen . . . . . . . . . . . . . . . . 95 Veränderung erfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 Ideen entwickeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101

V. Gespräch abschließen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 1. 2. 3. 4. 5.

Gespräch zusammenfassen . . . . . . . . . . . . . . . . Wichtigste Punkte benennen . . . . . . . . . . . . . . . Ausblick geben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kunden verabschieden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abschlusskommentar formulieren . . . . . . . . . . .

107 111 113 115 118

Nachwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 Methodenmatrix . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149

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Vorwort von Haja Molter

Der Franzose sagt, l’appétit vient en mangeant, und dieser Erfahrungssatz bleibt wahr, wenn man ihn parodiert, und sagt, l’idée vient en parlant. Heinrich von Kleist, Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden, um 1805

Die Autorentriade stellt ihrem Buch »Systemische Beratung in fünf Gängen« die Metapher von einem Menü in fünf Gängen voran. Die Arbeit mit Metaphern gehört schon zum Methodeninventar der systemischen Beratung. Mit dieser Rahmung präsentiert die Triade, Helga Brüggemann, Kristina Ehret-Ivankovic und Christopher Klütmann, eine an- und aufregende Anleitung, systemische Beratung im Profit- und Non-Profit-Bereich kreativ zu gestalten. Sie sind flott unterwegs. Ihre systemische Haltung erinnert an den englischen Starkoch Jamie Oliver, der seine Menükreationen so präsentiert, dass man Lust bekommt, sie bei nächster Gelegenheit sofort selbst auszuprobieren. Bevor man ein Menü zubereitet, plant man, trifft man Vorbereitungen und überlegt, wen man einlädt, welche Gäste sich angemeldet haben. Man macht sich Gedanken, was man investieren will, welche Lebensmittel und Zutaten (»Ressourcen«) schon zur Verfügung stehen, was man schlussendlich auftischen will und was man besser in den Vorratsräumen lässt. Man bestimmt Ort und Zeit und wählt das Porzellan, das passende Dekor und Getränke aus. Dann kann das Menü zu einem gemeinsamen Genuss werden. Alle diese unterschiedlichen Schritte werden, wie es sich für ein gutes Kochbuch gehört, übersichtlich und systematisch dargestellt. Wiederkehrende graphische Signale erleichtern die Orientierung. Die Leser und an systemischer Beratung Interessierte werden die Menüvorschläge mit Appetit © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525490969 — ISBN E-Book: 9783647490960

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Vorwort von Haja Molter

»verspeisen«. Sie haben einiges zu verdauen und können aus der Menüfolge selbst Kreationen schaffen, welche die eigene systemische Praxis bereichern kann. Systemische Beratungspraxis hat in ihrer Entstehung Anleihen aus unterschiedlichen Familientherapierichtungen und systemtheoretischen Ansätzen genommen. Auf der erkenntnistheoretischen Basis des Konstruktivismus und der postmodernen Theorie des sozialen Konstruktionismus hat sich so in den letzten Jahren eine Haltung entwickelt, die von vielen Beobachtern heute »systemisch« genannt oder sogar als systemische Theorie angesehen wird. Im Wesentlichen gehört dazu der Blick auf die Ressourcen und Ausnahmen, weg von der üblichen Defizitorientierung, auf Vernetzung in und mit unterschiedlichen Kontexten und die Anerkennung der Sinnund Bedeutungsgebung durch die Kunden. Wenn auch den Problembeschreibungen der Kunden und Klienten besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird, dienen sie eher als Eintrittskarte, neue Lösungen zu (er)finden. Diese Haltung ist geprägt durch Wertschätzung, Neugierde, Partizipation, Autonomie und Eigenverantwortung aller Beteiligten. Wie man diese Haltung erwerben und einüben kann, darüber schreibt die Autorentriade anschaulich, kompetent ohne Schnörkel und detailgenau. Jeder einzelne Schritt beziehungsweise Gang wird praktisch vorgeführt und mit Beispielen aus dem Profit- und Non-Profit-Bereich nachvollziehbar illustriert. Als besonderen Nachschlag werden sowohl Einsteiger wie auch langjährige Praktiker in systemischer Beratung die Methodenmatrix am Ende des Buches schätzen. Sie kann den Anfänger unterstützen, mit Hilfe von Methoden und Techniken Neues auszuprobieren, und den Erfahrenen veranlassen, neben der gewohnten Routine Anregungen aus der Methodenmatrix in sein Beratungsangebot aufzunehmen. Ich empfehle das Buch mit großer Freude und verweise auf Schopenhauer, der zu Baltasar Graciáns »Handorakel und Kunst der Weltklugheit« (1653) als Empfehlung anmerkte: »Das einmalige Durchlesen ist offenbar durchaus unzulänglich, vielmehr ist es zu anhaltendem, gelegentlichen Gebrauche gemacht und recht eigentlich ein Gefährte für das Leben; © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525490969 — ISBN E-Book: 9783647490960

Vorwort von Haja Molter

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daher wird, wer es gelesen, oder auch nur darin geblättert hat, es besitzen wollen ...« Alle meine guten Wünsche begleiten diesen kleinen, aber feinen Leitfaden für die systemische Beratung. Haja (Johann Jakob) Molter

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Vorwort der Autoren

Liebe Leserin und lieber Leser, auf die Lektüre möchten wir Sie mit einer Metapher einstimmen. Dieses Buch ist ein systemisches Menü in fünf Gängen, bei dem Sie jeden einzelnen Gang für sich genommen genießen können. Die sinnliche Verführung startet mit einem Aperitif, währenddessen Sie sich mit ihrem Gesprächspartner vertraut machen. Mit der Vorspeise soll die Auswahl des Mahls konkret werden, und das Ziel der Zusammenkunft wird präzisiert. Die Auswahl der Speisen macht erste Unterschiede deutlich. Der Hauptgang ist gehaltvoll und erfordert Ihr persönliches Engagement und Ihre professionelle Wachsamkeit. Die Zutaten sind so abgeschmeckt, dass sich das wohlige Gefühl vom Genährtsein langsam und sicher auf Körper, Geist und Seele des Gesprächspartners übertragen kann. Bei einem kreativen Koch und gut ausgebildeten Geschmacksnerven kann der Nachtisch das Sahnehäubchen sein. Die geschmackliche Menü-Komposition kann sich entfalten und vom Gesprächspartner aufgenommen werden. Zu guter Letzt der Digestif: Ein edler Tropfen rundet die kulinarische Erfahrung ab und verleiht ihr eine einmalige Note. Erfüllt und gestärkt verlässt der Gesprächspartner den Tisch, und die Tafel wird aufgehoben. Aufbauend auf Ihrer Erfahrung und Kreativität möchten wir Sie mit diesem Buch ermuntern, Ihr eigenes phantasievolles Mahl für Ihren individuellen Arbeitskontext zusammenzustellen. Wir möchten Sie herzlich dazu einladen, mit uns einen systemischen Beratungsweg zu durchlaufen, den wir für Sie in fünf Etappen gegliedert haben. Anhand von Beispielen werden Möglichkeiten eröffnet, sowohl berufliche als auch private Veränderungen zu begleiten und zu initiieren. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525490969 — ISBN E-Book: 9783647490960

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Vorwort der Autoren

Die einzelnen Kapitel sind spielerisch aufgebaut und mit Illustrationen veranschaulicht. Jeder, der den Wunsch nach Entwicklung und Veränderung in sich trägt, kann für sich Anregungen aus systemischer Perspektive für die Gesprächsführung finden. Dieses Buch wird sich Ihnen nicht durch das einfache Lesen erschließen. Wir setzen eine Portion Mut zur Umsetzung voraus. Sie haben die Chance, schon morgen zu beginnen, etwas anders zu tun als bisher. Wir, die Autoren, haben uns das Ziel gesetzt, den Beratungsprozess klar zu strukturieren und originell aufzubereiten. Sie profitieren von unseren unterschiedlichen beruflichen Erfahrungsfeldern und können den hier vorgestellten systemischen Gesprächsleitfaden sowohl im Profit- als auch im Non-Profit-Bereich einsetzen. Die verschiedenen beruflichen Kontexte sind graphisch unterschiedlich kenntlich gemacht. Der Profit-Bereich erscheint und der Non-ProfitBereich unterlegt. Für die bessere Lesbarkeit wird in diesem Buch stets die männliche Form gewählt, auch wenn sowohl weibliche als auch männliche Personen angesprochen werden. Wir wünschen Ihnen eine anregende Lektüre! Helga Brüggemann, Kristina Ehret-Ivankovic und Christopher Klütmann

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Einführung

Das Buch richtet sich an Personen, die in beratender Funktion tätig sind. Organisationsberater, Personalentwickler, Führungskräfte, Lehrer, Pädagogen und Interessierte sind gleichermaßen angesprochen. Jeder, der Lust hat, mehr über die systemische Beratungspraxis zu erfahren und seine persönliche Kommunikationsstruktur weiter zu entwickeln, ist herzlich dazu eingeladen. Dieses Buch ist keine Festschreibung, sondern möchte die systemische Beratungspraxis aus der Perspektive der Autoren möglichst vielen Interessierten zugänglich machen. Es ist ein spielerisch aufbereitetes Handbuch, das die Idee der Systemtheorie hinsichtlich Beratungssituationen in fünf Schritte gliedert, an denen man sich orientieren kann. Die in diesem Buch geschilderten Beratungsbeispiele aus dem Profit- und Non-Profit-Bereich geben einen guten Einblick in die praktisch angewandte systemische Beratung. Mit der Darstellung der unterschiedlichen Berufsbereiche werden sowohl Gemeinsamkeiten eines typischen Beratungsablaufs als auch die Haltung des Beraters deutlich. Es gibt kulturelle Unterschiede im Profit- und Non-Profit-Bereich, die sich in der Methoden- und Wortwahl einer Beratung widerspiegeln können. Der Ablauf der Beratung unterscheidet sich allerdings nicht voneinander, ebenso wenig die Grundhaltung des Beraters. Die Arbeit in unterschiedlichen Bereichen ist für jeden in beratender oder unterstützender Funktion eine Bereicherung. Die Dynamik des Kunden- oder Klientensystems kann sich in dem Ausdruck und in der Intensität ihrer Kommunikation unterscheiden. Die Bewegungen innerhalb dieser Strukturen sind jedoch vergleichbar, so dass das Grundverständnis der Systemtheorie sowohl im Profit- als auch im Non-Profit-Bereich greift. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525490969 — ISBN E-Book: 9783647490960

Zielgruppe

Profit und Non-Profit

Systemisches Verständnis

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Einführung

In dem Buch verwenden wir die Begriffe Kunde und Klient und unterscheiden damit in der Regel den Profit- und NonProfit-Bereich.

Abbildung 1: Orientierungsgrafik: Die fünf Phasen der systemischen Beratung

Roter Faden Der Aufbau dieses Buches gibt die typischen Phasen eines

Beratungsgesprächs wieder, die theoretisch aufeinander folgen. In der Praxis können diese Phasen sich überschneiden, eine Phase kann die andere überspringen oder zwischen den Phasen kann hin- und hergependelt werden. Die Integration des aufeinander aufbauenden Fünfklangs ist eine große Hilfe in der praktischen Beratung. Die fünf Beratungsphasen beziehen sich sowohl auf eine einmalige Beratung als auch auf einen Beratungszyklus. 5 Phasen In einer einmaligen Beratung werden die Phasen entsprechend schnell durchlaufen, und die Methodenwahl wird auf den begrenzten Zeitrahmen abgestimmt. In einem Beratungszyklus können mehrere Termine innerhalb einer Phase stattfinden. Ausgehend vom systemischen Prozessverständnis können sich das Thema oder das Ziel der Beratung immer © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525490969 — ISBN E-Book: 9783647490960

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Einführung

wieder verändern, so dass Beratungsschritte wiederholt werden können. Ebenso wie der Ablauf der Beratung ist auch die Haltung des Beraters unabhängig davon, wer in welchem Kontext beraten wird. Der Berater stellt sein systemisches Fachwissen und die Metaperspektive zur Verfügung, indem er die Sichtweisen des Gesprächspartners erweitern und Impulse geben kann. Die dem Beratungskontext angemessenen Methoden auszuwählen, ist eine der Hauptaufgaben des Beraters und erfordert von ihm Mut, Einfühlungsvermögen und eine professionelle Einschätzung des zu Beratenden und der Situation. Bei der Methodenwahl werden Unterschiede in Abhängigkeit der Vorerfahrungen des zu Beratenden, des Auftrags, des Auftraggebers und der Persönlichkeit des Kunden deutlich. Bei einer Teamentwicklung beispielsweise sollte der Berater entscheiden, ob eine emotional berührende Methode geeignet ist oder eher eine rational distanziertere Vorgehensweise zur Bearbeitung der Thematik angebracht ist. Um schnell eine geeignete Methode zur Auswahl zu haben, finden Sie am Ende des Buches in der Methodenmatrix systemische und für die systemische Arbeit hilfreiche Methoden im Überblick. Aus dieser Matrix können Sie mit Hilfe der Kategorien Ziel, Anwendung und Dauer auswählen. Es liegt in Ihrer Hand, die vorgestellten Beispiele auf Ihren speziellen Arbeitskontext zu übertragen. Wir, die Autoren, repräsentieren sowohl den Profit- als auch Non-Profit-Bereich, was uns beim Schreiben des Buches eine große Hilfe war. Somit konnten unterschiedliche Erfahrungen und Ideen zur systemischen Arbeit mit Einzelpersonen und Gruppen einfließen. Ebenso profitieren Sie von unseren unterschiedlichen Perspektiven aufgrund unserer verschiedenen beruflichen Erfahrungen als interne und externe Berater. Zusätzlich fließt unsere eigene Führungserfahrung insbesondere bei der Darstellung der Fallbeispiele mit ein. Auch nutzten wir Arbeitsmaterialien aus dem Institut für Familientherapie Weinheim – Ausbildung und Entwicklung e.V. (IFW). Die Arbeit war für uns ein triadischer Lernpro© 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525490969 — ISBN E-Book: 9783647490960

Beraterhaltung

Methodenwahl

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Einführung

zess, der unsere praktische systemische Arbeit begleitet und der uns viel Freude bereitet hat. Wir hoffen, dass Sie einen Teil dieser positiven Energie beim Lesen der einzelnen Kapitel wiederfinden und für sich nutzen können. Diese Autoren haben für Sie gearbeitet:

Triade Virginia Satir (v. Schlippe u. Schweitzer 1999) entdeckte in der Beratung eines Kindes, zu der sie zunächst die Mutter und dann den Vater hinzuzog, die Strukturaspekte des Ursprungssystems: Vater, Mutter, Kind – die Triade. Schließen sich zwei Personen zusammen, bleibt die dritte automatisch außen vor. Bedingt durch die Dreierkonstellation können Allianzen entstehen (enge Beziehung, die nicht gegen einen Dritten gerichtet ist) oder Koalitionen (das Verbünden zweier Personen gegen eine dritte). Eine Koalition kann mit der Umleitung eines Konflikts einhergehen, wenn beispielsweise ein Kind in einen Konflikt seiner Eltern einbezogen wird. Die Erfahrungen in der ersten triadischen Verbindung zwischen Eltern und Kind sind grundlegend für das spätere Sozialverhalten und verdienen daher eine besondere Beachtung in der systemischen Beratung.

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Legende der Symbole

Methode

Beratungsbeispiel Profit-Bereich

Non-Profit-Bereich

Theoretischer Input

Fragen

Zeitfaktor

Hinweis

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I. Beziehung aufbauen

1. Einstieg gestalten 2. Angenehme Arbeitsatmosphäre schaffen 3. Rahmenbedingungen der Zusammenarbeit festlegen 4. Anlass der Beratung erfragen 5. Erwartungen klären In diesem Kapitel möchten wir Sie einladen, den Beginn eines KontaktBeratungsprozesses kennenzulernen, der Ihnen dabei behilf- aufnahme lich sein kann, einen guten Kontakt zu Ihrem Gesprächspartner herzustellen. Erste Begegnungen in Beratungsgesprächen können von Unsicherheit oder großer Erwartungshaltung gekennzeichnet sein. Das kann sich in unterschiedlichen Reaktionen äußern. Zum Beispiel können Ihnen Ihre Kunden oder Klienten in einer sehr offenen, impulsiven Art, in einer zurückhaltenden abwartenden Haltung oder in rein sachlicher Erklärungsweise begegnen. Sie können auch auf erfahrene Gesprächspartner treffen, die mit klaren Zielvorstellungen die Beratung aufsuchen. Mit folgenden Sätzen könnte ein Kunde zu Ihnen in die Erstberatung kommen: »Was muss ich jetzt tun?« »Ich habe Folgendes erlebt …« »Was stellt der Berater wohl mit mir an?« »Was wird das Ergebnis der Beratung sein?« »Ob mir der Berater wohl unangenehme Fragen stellen wird?« »Endlich jemand, der weiß, wo es lang geht.« »Was wird hier mit mir gemacht?« »Hoffentlich kann der Berater mir helfen.« »Am besten halte ich mich erst einmal zurück.« © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525490969 — ISBN E-Book: 9783647490960

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I. Beziehung aufbauen

»Was der Berater wohl von mir denkt, wenn ich mit meinen kleinen Problemen komme?« »Der Berater wird mir hilfreiche Fragen stellen.« Innere Dies können mögliche Gedanken sein, die dem GesprächsLandkarte partner vor der Beratung durch den Kopf gehen. Ihre Auferkunden

gabe als Berater ist es nun, auf die jeweilige Vorstellung von Beratung und das Bild von Veränderung des Kunden individuell einzugehen. Diese können sich in gesprächigen, vorsichtigen, verallgemeinernden oder zielgerichteten Verhaltensweisen zeigen. Fallbeispiel In einem Erstkontakt nimmt die Führungskraft Herr S. dem Berater gegenüber Platz und ergreift nach der Begrüßung sofort das Wort: Herr S.: »Bevor wir beginnen, sollten Sie erst einmal Folgendes über mich wissen. Ich bin schon seit über zwanzig Jahren eine erfolgreiche Führungskraft und habe einige Mitarbeiter kommen und gehen sehen … derzeit befinden wir uns wieder in einer Phase der Umstrukturierung, die siebte, seit ich in der Zentrale bin … der Wechsel des Vorstandsvorsitzenden hat sich mit zeitlicher Verzögerung auch in unserer Abteilung niedergeschlagen …« Der Berater wartet eine Pause ab und unterbricht den Redefluss mit der Frage: Berater: »Mit über zwanzig Jahren Führungserfahrung haben Sie sicher eine Menge erlebt. In welcher Form haben Sie bisher Beratung in Anspruch genommen, und welche Erfahrungen haben Sie dabei gemacht?« Herr S. beschreibt in erster Linie Erfahrungen mit Unternehmensberatern, die er oft als Bedrohung erlebt hat, da sie meistens das Ziel der Rationalisierung verfolgten und er die Konsequenzen »ausbaden« musste.

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I. Beziehung aufbauen

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Berater: »Wie müsste ich mich anders verhalten als die von Ihnen erlebten Unternehmensberater, damit wir beginnen können, vertrauensvoll miteinander zu arbeiten?« Herr S.: »Die Ziele der Beratung müssten nicht nur für meine Chefs, sondern auch für mich transparent sein. Ich müsste darauf vertrauen können, dass meine Offenheit nicht missbraucht wird und nichts von dem, was ich hier preisgebe, an meinen Chef weitergeleitet wird. Ich möchte ungefiltert sagen können, was ich denke, ohne mir überlegen zu müssen, was taktisch klug wäre oder strategisch geschickt.« Der Berater erkundet neugierig die inneren Landkarten des Kunden und versucht nachzuvollziehen, was er genau meint, indem er Fragen stellt: Berater: »Was denken Sie, welches Ziel Ihre Chefs mit der Beratung verfolgen?« »Was genau verstehen Sie unter ungefiltert?« »Wer sollte Ziele offenlegen und in welcher Form?« »Woran würden Sie erkennen, dass die Beratung absolut vertraulich ist?« Nachdem Herr S. seine Vorstellungen präzisiert und nachvollziehbar beschrieben hat, versucht der Berater, das wachsende Vertrauen auszubauen. Berater: »Wie unterscheidet sich Ihrer Meinung nach eine Beratung, wie wir sie heute durchführen, von der Beratung, die Sie mit den Unternehmensberatern in der Vergangenheit gemacht haben?« Der Abgleich der Vorstellung von Beratung mündet in einer Zusammenfassung der wichtigsten Punkte in Form von Regeln der Zusammenarbeit, die zwischen dem Berater und Herrn S. für den weiteren Verlauf der Beratungsgespräche vereinbart werden.

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I. Beziehung aufbauen

Fallbeispiel Zu Beginn des Erstgesprächs begrüßt eine Teamleiterin den Berater freundlich und wartet ab. Auf Fragen antwortet sie höflich und knapp. Berater: »Was erwarten Sie von unserer heutigen Beratung?« Teamleiterin: »…, dass Sie mir helfen, die Probleme mit meiner Chefin zu lösen.« Berater: »Woran könnten Sie erkennen, dass die Probleme mit Ihrer Chefin gelöst sind?« Teamleiterin: »Das würde schon vor der Arbeit beginnen. Ich hätte keine Magenschmerzen mehr …« Berater: »Was wäre anstelle dessen?« Teamleiterin: »Ich würde gerne zur Arbeit fahren. Meine Chefin würde mich freundlich behandeln und mich unterstützen.« Berater: »Und wie würden Sie sich anders verhalten als bisher?« Teamleiterin: »Ich würde auf meine Chefin zugehen, das Gespräch mit ihr suchen und sie vielleicht sogar mal um Rat fragen.« Berater: »… und wie kann ich Sie dabei unterstützen, das zu erreichen?« Teamleiterin: »… indem Sie mir helfen zu erkennen, warum das so schwer für mich ist und was mich davon abhält.«

Neugier Lieber Leser, Sie sollten dafür sorgen, dass der Gesprächs-

partner die erste Begegnung als sinnvoll und hilfreich erlebt und eine wertvolle Beratungsbeziehung entstehen kann. Erkunden Sie neugierig die inneren Landkarten Ihrer Kunden oder Klienten.

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I. Beziehung aufbauen

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Abbildung 2: Landkarten in den Köpfen der Kunden

Ihr Handeln sollte darauf ausgelegt sein, Informationen zu sammeln. Je neugieriger Sie Fragen stellen, umso mehr Ideen zu Lösungsmöglichkeiten werden Sie gemeinsam im Gespräch entwickeln können. Lösungsorientierte Haltung Die systemische Beratung ist von einer lösungsorientierten Grundhaltung des Beraters geprägt. Der Berater geht von der Annahme aus, dass der Kunde/ Klient bereits über alle Ressourcen verfügt, die er zur Problemlösung benötigt, er sie zurzeit nur nicht nutzt. Die lösungsorientierte Kurzzeitberatung, entwickelt von Steve de Shazer, ist eine für den Kunden/ Klienten wirksame und stärkende Methode. Es geht vor allem darum, Fähigkeiten und Ressourcen des zu Beratenden zu aktivieren, zu entwickeln und zu nutzen. Anstelle von Problembehandlung werden Lösungen fokussiert und damit attraktive Verhaltensweisen und Einstellungen erzielt und erprobt. In kleinen Schritten werden realisierbare Ziele entwickelt und Lösungen auf ihre Alltagstauglichkeit überprüft. Durch Interventionen kann das soziale Umfeld mit einbezogen werden. Die lösungsorientierte Haltung und Sichtweise des Beraters, die konsequente Vorgehensweise bei der gemeinsamen Suche nach Lösungen führen zu einer geringen Anzahl von Sitzungen und bringen zudem häufig schnelle und stabile Erfolge.

»Wenn was funktioniert, mach mehr davon.« Steve de Shazer

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I. Beziehung aufbauen

1. Einstieg gestalten Beratungs- Sie können eine vertrauensvolle Beziehung aufbauen, indem Beziehung Sie den Gesprächspartner dort abholen, wo er sich gedank-

lich und emotional befindet. Begrüßen Sie den Kunden, und nehmen Sie Äußerlichkeiten (Parkplatzsuche, Kleidung, Getränk) zum Anlass, um in das Gespräch mit ihm einzusteigen. Lassen Sie sich intuitiv von folgenden Fragen leiten: Was fällt Ihnen als Erstes auf? Was war Ihr erster Gedanke, als der Kunde den Raum betrat? Was ist heute an ihm auffällig? Was für ein Erscheinungsbild hat der Kunde? Wie tritt er auf? Was an ihm finden Sie auf Anhieb sympathisch? Welchen Gesichtsausdruck hat der Kunde? Wie fest ist sein Händedruck? Wie zielstrebig betritt er den Raum? Sucht er Blickkontakt und wo schaut er hin? Wie klingt seine Stimme? Formulieren Sie Ihre Beobachtungen wertschätzend gegenüber dem Gesprächspartner, damit eine wohlwollende Atmosphäre entstehen kann. Ihre geschulte Wahrnehmung und Ihr Einfühlungsvermögen werden dabei hilfreich sein. Das Geheimnis einer gelungenen Beziehung innerhalb des Beratungsprozesses ist das Zulassen verschiedener Hypothesen bereits zu Beginn der Beratung. Ihr Interesse und Ihre Neugier können unterstützende Begleiter für eine nützliche Zusammenarbeit sein.

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1. Einstieg gestalten

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Wertschätzung

Im Veränderungsprozess ist die wertschätzende Haltung des Beraters eine wesentliche Voraussetzung. Durch die Würdigung des Bisherigen werden sowohl die Qualität als auch die Ressourcen der bisherigen Situation wahrgenommen und anerkannt. Damit bereitet der Berater den Weg, dass die Notwendigkeit der Veränderung vom Kunden erkannt, akzeptiert und mitgetragen wird.

Des Weiteren ist es für einen erfolgreichen Beratungsprozess unerlässlich, dem Kunden mit Ihrer ganz individuellen Beraterpersönlichkeit zu begegnen. Nur mit einem authentischen Auftreten, eindeutigen Haltungen, einem therapeutischen Konzept, hilfreichen Visionen und einem gut gefüllten Methodenkoffer können Sie Ihren Kunden für ihre Anliegen professionell zur Seite stehen.

Abbildung 3: Beraterpersönlichkeit

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I. Beziehung aufbauen

»Wer nur einen Hammer hat, macht alle Probleme zum Nagel.« Watzlawick/Maslow

2. Angenehme Arbeitsatmosphäre schaffen Arbeits- Laden Sie Ihren Gesprächspartner ein, den Beratungsverlauf atmosphäre mitzugestalten, indem er sich beispielsweise einen Platz seiner

Wahl sucht. Damit hat der Kunde die Möglichkeit, Nähe und Distanz zum Berater und zu anderen Anwesenden selbst zu bestimmen. Gleichzeitig kann der Klient sich im Raum orientieren und hat genügend Zeit, in seinem persönlichen Tempo anzukommen. Die systemische Beratung richtet sich nach den Bedürfnissen Ihres Gesprächspartners, so dass Nähe und Distanz, Langsamkeit und Schnelligkeit variieren können. BeratungsIn dieser Phase ist es häufig angebracht, den Kunden dabei Tempo zu unterstützen, erst einmal zur Ruhe zu kommen und zu »entschleunigen« (nach Gesa Jürgens, IFW). Sorgen Sie dafür, dass Sie selbst entspannt in die Beratung gehen. Mit einer entspannten Körperhaltung können Sie das Tempo drosseln, indem Sie bewusst Pausen nach jeder Frage machen und aufmerksam die Reaktionen des Kunden beobachten. Auch die Methode des aktiven Zuhörens verlangsamt den Kommunikationsprozess.

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2. Angenehme Arbeitsatmosphäre schaffen

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Aktiv zuhören Die Methode des aktiven Zuhörens von Carl R. Rogers zielt darauf ab, sich in den Gesprächspartner einzufühlen, in der Beratung mitzudenken und den Ausführungen des Gesprächspartners aufmerksam und interessiert zu folgen. In dem Beratungsgespräch konzentriert sich der Berater auf den Kunden/ Klienten und schenkt ihm seine Aufmerksamkeit. Der Berater stellt das gegenseitige Verständnis sicher, indem er das, was er versteht, mit eigenen Worten zusammenfasst und seinen Gesprächspartner gegebenenfalls korrigieren lässt. Dem Berater ist bewusst, dass der Kunde/ Klient seine eigene Wirklichkeit hat, die ganz unabhängig von der Sichtweise des Beraters existiert. Auch wenn der Berater und der Kunde/ Klient dieselbe Sprache sprechen, ist es wichtig, das gegenseitige Verständnis sicherzustellen, indem der Berater: – behutsame Zwischenfragen stellt, – mit kurzen Äußerungen ( »ja«, »ich verstehe«) bestätigt, – Kommentare und Feedback gibt (»Ich habe verstanden, dass …?«), – nonverbal antwortet: Körpersprache gezielt einsetzt, – dem Drang widersteht, die eigene Meinung kundzutun, – bei Unklarheiten nachfragt, – eigene Gefühle und die des Gesprächspartners erkennt und anspricht.

Ansprechende Bilder, Symbole, Figuren im Raum können genutzt werden, um die aktuelle Stimmungslage des Gesprächspartners in Erfahrung zu bringen.

Fallbeispiel Eine Teamleiterin, die in einem Internat ein neues Team übernommen hat, nimmt das Angebot der Internatsleitung wahr, sich bei der Teamneufindung unterstützen zu lassen. Die Teamleiterin kommt schnellen Schrittes auf den Berater zu, schaut ihn bei der Begrüßung nur flüchtig an und streift eilig ihren Mantel ab.

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I. Beziehung aufbauen

Berater: »Guten Tag. Schön, dass Sie da sind. Suchen Sie sich einen Platz aus.« Nach einer bewusst gewählten Pause unterstützt der Berater Frau S. dabei, gedanklich anzukommen. Berater: »Sind Sie Bahn- oder Autofahrerin?« Frau S.: »Ich fahre bevorzugt mit der Bahn.« Berater: »Welchen Zug würden Sie wählen, wenn Sie die Wahl hätten: eine S-Bahn, einen Regionalexpress, einen IC oder einen ICE?« Frau S.: »Einen möglichst schnellen, den IC oder besser noch ICE.« Berater: »Inwieweit lässt diese Vorliebe auf Ihr inneres Tempo schließen?« Frau S.: »… auch mein inneres Tempo ist hoch. Ich stehe unter Druck. Es gibt so viel zu regeln.« Berater: »Was würde passieren, wenn Sie sich heute einmal bewusst für die S-Bahn entscheiden würden?« Frau S.: »Die Fahrt würde länger dauern und ich würde Zeit verlieren.« Berater: »Was wäre gut daran, die S-Bahn zu nehmen?« Frau S.: »Na ja, ich könnte in Ruhe über alles nachdenken und meine Gedanken sortieren.« Berater: »Was halten Sie von der Vorstellung, dass unser Beratungsgespräch in der S-Bahn stattfindet?« Frau S.: »Ich kann es versuchen, aber ich weiß nicht, ob mir das gelingt.« Berater: »Was brauchen Sie, damit es gelingt?« Frau S.: »Ich bräuchte das Gefühl, nichts zu verpassen, wenn ich fort bin. Auch das Gefühl, dass es für die anderen o.k. ist, dass sie meine Arbeit mitmachen, ist mir wichtig.« Berater: »Was können Sie tun, um das Gefühl zu bekommen?«

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3. Rahmenbedingungen der Zusammenarbeit festlegen

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Es gibt eine Vielzahl von Möglichkeiten, die Befindlichkeit des Kunden zu erkunden. Hier eine kleine Auswahl: »Welche Farbe des Bildes spricht Sie am meisten an?« »Wofür steht diese Farbe?« »Wem würden Sie diese Farbe im Team zuordnen?« »Welches Symbol repräsentiert momentan ihre Arbeitssituation?« »Was verbinden Sie mit diesem Symbol?« »Auf welchem Instrument würden Sie jetzt gerne spielen?« »Welche Position würden Sie in einem Staffellauf einnehmen?« »Welche Funktion in einer Fußballmannschaft würden Sie einnehmen?« »Wo würden Sie sich derzeit in dieser Landschaft platzieren? Im Vordergrund, Hintergrund, oben oder unten, in der Nähe der Menschen, der Berge, im Wald oder auf dem Felsen?« »Wenn Ihr Schreibtisch sprechen könnte, was würde der sagen, wie es Ihnen heute ergangen ist?« Auch wenn Ihrem Kunden Ihre ganze Aufmerksamkeit gilt, Überblick sollten Sie den gesamten Beratungsverlauf im Blick haben. Zu den Rahmenbedingungen gehören Faktoren wie Geräuschkulisse, Ungestörtheit, geeignete Sitzhaltung und angemessene Räumlichkeiten. Indem man darüber nachdenkt, wie man in Kontakt kommt, hat man schon Kontakt aufgenommen.

3. Rahmenbedingungen der Zusammenarbeit festlegen Schildern Sie dem Kunden Ihre Arbeitsweise und legen Sie Rahmendie Regeln der Zusammenarbeit offen. Je transparenter Ihre Bedingungen Motive und Methoden für den Gesprächspartner sind, desto einsichtiger und angenehmer gestaltet sich die Beratungssituation für ihn. Wesentlich ist, dass der Kunde mit der Arbeitsweise einverstanden ist und er sich der Vertraulichkeit © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525490969 — ISBN E-Book: 9783647490960

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I. Beziehung aufbauen

des Gesprächs sicher sein kann. Zu den Rahmenbedingungen gehören unter anderem: – Pünktlichkeit, – Räumlichkeit, – Gesprächsdauer, – Gesprächsintervalle, – Kosten, – Vertraulichkeit (Umgang mit Mitschriften, Auskunft gegenüber Dritten), – Arbeitsweise (Videoaufzeichnung, Reflektierendes Team [siehe Methodenmatrix], Beobachter). Indem Ihr Kunde oder Klient das Beratungsgespräch mitgestaltet, werden eventuelle Vorbehalte abgebaut, ganz nach dem Leitsatz: Partizipation reduziert Widerstand! VereinJe nach Unternehmenskultur kann die Inanspruchnahme barungen von Beratung als Stärke angesehen oder, im Gegenteil, als Schwäche ausgelegt werden. Im letzteren Fall sollten Sie im Vorfeld der Beratung mit dem Kunden besprechen, wofür gesorgt werden muss, damit er sein Gesicht wahren kann. Sie können Vereinbarungen hinsichtlich der Beratungszeit, des Beratungsortes und organisatorischer Fragen, beispielsweise der Rechnungsstellung, treffen. Alles, was für Ihren Kunden im Vorfeld geklärt werden sollte, muss abgesprochen werden. Fragen Sie Ihren Gesprächspartner, was Sie darüber hinaus mit ihm vereinbaren sollten. In der Rolle des Beraters können Sie Anregungen geben; was für den Kunden oder Klienten bedeutend ist, weiß nur er selbst. Transparenz In Beratungsgesprächen ist höchstmögliche Transparenz von entscheidender Bedeutung für die Bereitschaft des Kunden, sich auf die Beratung einzulassen. Transparenz wirkt angstreduzierend und beugt unangenehmen Spannungen und Befürchtungen vor.

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4. Anlass der Beratung erfragen

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4. Anlass der Beratung erfragen Vor-

Erfragen Sie, was der Anlass und die Vorgeschichte zu dieser geschichte Beratung sind. »Wie kam es zur Beratung?« »Was war der Anlass, gerade jetzt eine Beratung aufzusuchen?« »Wurde die Beratung angeordnet und wenn ja, von wem?« »Wie wurde auf den Wunsch nach Beratung reagiert?« »Welche Vorinformationen gibt es zum Kunden, zum Team, zur Firma, zum Auftraggeber?« »Wer weiß noch von der Beratung?« »Wer bezahlt die Beratung?« »Welche Wünsche, Ängste, Befürchtungen wurden geäußert?« Die Vorgeschichte kann sehr aufschlussreich sein, da bei- Erwartungsspielsweise Empfehlungen, zu Ihnen oder einem anderen Be- haltungen rater zu gehen, oder Ihre beziehungsweise deren Arbeitsweise mit Kommentaren versehen wurden, die Erwartungen oder Befürchtungen bei Ihrem Kunden auslösen können. Aus diesem Grund ist es für Sie bedeutsam zu wissen, welche »Versprechen« andere möglicherweise im Vorfeld gegeben haben. Durch die Klärung der Vorgeschichte wird für Sie deutlich, wer der Auftraggeber ist. Nicht selten kommt es vor, dass der Kunde nicht aus freien Stücken eine Beratung aufsucht, sondern von seinem Chef vermittelt wurde. In diesem Fall ist es förderlich, dass Sie gleich zu Beginn der Beratung die Motivation des zu Beratenden ansprechen. Ein mündlicher Kontrakt, in dem Inhalt und Ziel der Beratung festgelegt werden, ist eine notwendige Voraussetzung für einen klaren Arbeitsauftrag an Sie und gibt Ihnen die Erlaubnis, beraterisch tätig zu sein.

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I. Beziehung aufbauen

Fallbeispiel Eine Verkaufsdirektorin beauftragt eine Beraterin, eine ihrer Managerinnen, die fachlich gute Arbeit leistet, zu beraten. Der Grund dafür ist, dass diese Mitarbeiterin bei Kollegen und Kunden mit ihrer nüchternen Art häufig »aneckt«: Beraterin: »Wer weiß von unserem heutigen Treffen?« Frau L.: »So weit ich weiß meine Chefin und meine direkten Mitarbeiter.« Beraterin: »Was glauben Sie, was Ihre Chefin mit dieser Beratung bezweckt?« Frau L.: »Ich weiß nicht, vielleicht, dass ich meine Arbeit besser organisiere.« Berater: »Und was, glauben Sie, würden Ihre Mitarbeiter antworten, wenn ich sie fragen würde, was heute hier in der Beratung geschehen soll?« Frau L.: »Ich glaube, die können sich unter einer solchen Beratung wenig vorstellen.« Beraterin: »… und wenn sie es könnten?« Frau L.: »Vielleicht würden sie hoffen, dass es zu mehr Klarheit und Verbindlichkeit in der Zusammenarbeit mit den anderen Abteilungen kommt.« Beraterin: »Was wünschen Sie sich, was nach der heutigen Beratung anders sein soll als bisher?« Frau L.: »Ich bin ja gar nicht gefragt worden, ob ich das überhaupt will.« Beraterin: »Was müsste hier passieren, dass Sie es wollen?« Frau L.: »… dass die anderen nichts mehr an mir aussetzen und meine Chefin mit mir persönlich spricht, anstatt eine Beratung anzuordnen.« Beraterin: »Was genau meinen Sie, wenn Sie »aussetzen« sagen?« Frau L.: »Ich schreibe beste Zahlen, und meine Sortimente sind auf dem neuesten Stand. Trotzdem habe ich das Gefühl, als Person nicht richtig anerkannt zu werden.« © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525490969 — ISBN E-Book: 9783647490960

4. Anlass der Beratung erfragen

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Beraterin: »Wie würden Ihre Mitarbeiter sich anders verhalten als jetzt, wenn Sie richtig anerkannt würden?« Frau L.: »Nach unseren Teambesprechungen würden sie nicht immer die Köpfe zusammenstecken …« Beraterin: »Was würden sie anstelle dessen tun?« Frau L.: »Themen, die zu klären sind, in meiner Anwesenheit ansprechen.« Beraterin: »Was könnten Sie tun, damit Ihre Mitarbeiter in Ihrer Gegenwart Themen offen ansprechen?« Frau L.: »Ich weiß nicht.« Beraterin: »Frau L., sind Sie damit einverstanden, dass wir die heutige Beratung dazu nutzen, gemeinsam zu überlegen, wie Sie sich in Teambesprechungen anders verhalten können, damit Ihre Mitarbeiter Schwierigkeiten, die sie stören, offen ansprechen?« Frau L.: »Ja, das würde mir helfen.«

Weitere hilfreiche Fragen, die beispielhaft den Kontext der Beratung klären können, sind: »Wir treffen uns heute das erste Mal, und ich möchte Sie einladen, mit mir gemeinsam zu beleuchten, was Sie veranlasst hat, die Beratung in Anspruch zu nehmen. Sind Sie damit einverstanden?« »Ihr Unternehmen finanziert Ihnen diese Beratung. Was vermuten Sie, mit welchem Ziel?« »Ihr Chef hat mich beauftragt, mit Ihnen zu arbeiten: Was denken Sie, bezweckt er damit?« »Was glauben Sie, welchen Auftrag Ihr Chef an mich hat?« »Was, glauben Sie, vermuten Ihre Mitarbeiter, was der Grund für dieses Gespräch ist?« »Bisher haben wir uns angesehen, was andere von unserem Treffen erwarten, was erwarten Sie?« »Wenn es nach Ihnen ginge, was sollte heute hier passieren?« »Welche Themen sollten wir auf jeden Fall ansprechen?« © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525490969 — ISBN E-Book: 9783647490960

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I. Beziehung aufbauen

»Über welche Themen sollten wir auf keinen Fall sprechen?«

5. Erwartungen klären Vor- Erfragen Sie die Erwartungen des Gesprächspartners. Sie annahmen können den Kunden und Klienten in seiner Darstellung un-

terstützen, indem Sie beispielsweise nach ersten Erwartungshaltungen und den damit verbundenen Vorstellungen fragen. Oftmals kann es hilfreich sein, Sinnzusammenhänge anzusprechen und erste Hypothesen zu entwickeln. Hypothesen Hypothesen sind Annahmen des Beraters, die es im Verlauf der Beratung zu überprüfen gilt. Der Kunde/ Klient entscheidet durch seine verbalen und nonverbalen Reaktionen, ob eine Hypothese für den Beratungsverlauf Sinn ergibt. Die Bildung mehrerer Hypothesen erleichtert es dem Berater, flexibel zu bleiben und offen die Impulse des Kunden/ Klienten aufzunehmen. Ein professioneller Berater widersteht der Versuchung, selbstverliebt an seinen Hypothesen festzuhalten. Je mehr Hypothesen im Beratungsverlauf gebildet werden, desto mehr mögliche Lösungen eröffnen sich dem Kunden/ Klienten. Der Berater sollte seine Hypothesen wieder verwerfen und eine neue Perspektive einnehmen, sobald der Kunde/ Klient den Impuls des Beraters nicht aufnimmt. Unterschiedliche Hypothesen eröffnen unterschiedliche Perspektiven und Herangehensweisen. Durch die Hypothesenbildung hat der Berater die Möglichkeit zu erkennen, dass alles auch ganz anders sein könnte, als er zunächst vermutet hat. Die Hypothesenbildung bedarf großer Sorgfalt und Aufmerk samkeit, da sie die Basis für die Interventionen im System bildet. Auch scheinbar widersprüchliche Hypothesen finden ihre Wirkung und führen zu größerer Wirksamkeit der Interventionen im System.

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5. Erwartungen klären

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Hören Sie aufmerksam zu, fragen Sie bei bedeutungsvollen Umsicht Begrifflichkeiten genau nach, was der Gesprächspartner damit meint, und fragen Sie nach Unterschieden, Ausnahmen und Regeln. Es ist grundlegend in der systemischen Beratung, Worte oder Sätze des Kunden wahrzunehmen, die Anlass bieten können, genauer nach zu fragen und damit Wirklichkeitskonstruktionen auf ihre Gültigkeit zu überprüfen. Beispiele dafür sind Wiederholungen, Füllwörter, häufige Verneinungen, Metaphern, nicht vollendete Sätze. Zur Ausgangssituation »Mein Kollege hört nie zu! Immer muss ich alles doppelt und dreifach erzählen« bieten sich die nachstehende Fragen an: »Wann hat Ihnen der Kollege das letzte Mal zugehört?« »Was war anders?« »Was haben Sie dazu beigetragen?« »Unter welchen Bedingungen hat er zugehört?« »Was tun Sie, damit man Ihnen zuhört?« »Was tun die anderen, wenn er ihnen nicht zuhört?« »Wer hat Ihnen das letzte Mal zugehört?« »Was machen Sie, dass Ihnen keiner zuhört?« »Woran merken Sie, dass Ihnen jemand zuhört?« »Was vermuten Sie, welches Bild Ihr Kollege vom Zuhören hat?« »Was genau bedeutet Zuhören für Sie?« »Was erreicht beziehungsweise vermeidet Ihr Kollege dadurch, dass er Ihnen nicht zuhört?« Im Rheinland sagt man »Jeder Jeck ist anders«, so auch Ihre Erfahrung Kunden. Nutzen Sie diese Weisheit, um offen und neugierig auf Ihre Gesprächspartner zuzugehen. Es hängt von den Vorlieben Ihres Kunden ab, wie Sie die Beratung gestalten. Für den Einen wird eine bildhafte Sprache die Arbeitsebene bringen, auf der Sie abstrakt, systemisch arbeiten können. Für den Anderen ist es wichtig, schnell auf den Punkt zu kommen. Je mehr Beratererfahrung Sie sammeln, umso mehr werden Sie einen guten Einstieg in den Beraterprozess finden und eine unterstützende Beratungsbeziehung aufbauen. Trauen Sie © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525490969 — ISBN E-Book: 9783647490960

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I. Beziehung aufbauen

sich, gewohnte Denkmuster zu verlassen, und beschreiten Sie ungewohnte und neue Wege. Denken Sie daran, es gibt keine »Falschnehmung«, sondern nur die »Wahrnehmung«. Das ermöglicht dem Gesprächspartner, neue Gedanken zu entwickeln und Veränderungen zuzulassen. WirklichkeitsDurch den Einsatz verschiedener Fragetechniken lernen konstruktion Sie die Wirklichkeit Ihres Kunden oder Klienten kennen. Unternehmen Sie gemeinsam einen Spaziergang in die Erlebniswelt der Wahrnehmungen, Kommunikationsmuster und Perspektiven des Ratsuchenden. Muster

Der Berater lenkt seine Aufmerksamkeit auf die Art und Weise, wie der Kunde/ Klient Beziehungen gestaltet und welche Auswirkungen seine Art zu kommunizieren auf alle anderen hat. Kommunikationsmuster sind Verhaltensweisen, denen Regeln zugrunde liegen, die dazu führen, dass ein bestimmtes Verhalten bevorzugt gezeigt wird. Verhaltensweisen werden in regelhafter Weise aneinandergereiht. Ein Wort gibt das andere. Wenn Mutter A sagt, sagt der Sohn B. Aufgabe des Beraters ist zu erkunden, in welcher Weise Interaktionskreisläufe aufrechterhalten werden und welche Funktion sie innerhalb des Systems erfüllen. Nach der Identifizierung eines Musters können die Interventionen des Beraters darauf zielen, die sich wiederholenden Muster zu verändern.

Oft ist es angebracht, gewohnte Strukturen zu verlassen. Warum klassisch an einem Tisch sitzen? Laden Sie den Kunden ein aufzustehen, sich zu bewegen, sich einen anderen Platz auszusuchen oder sogar einen kleinen Spaziergang (»Walk-Talk«) mit Ihnen zu unternehmen. Die Irritation kann dazu beitragen, andere Wege zu beschreiten. Je mehr der Gesprächspartner dazu gebracht wird, gewohnte Verhaltensweisen zu durchbrechen, umso eher wird er sich auf einen Veränderungsprozess einlassen und neue Wege einschlagen.

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5. Erwartungen klären

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Fallbeispiel Herr P. ist nach einem stressigen Arbeitstag und einer halbstündigen Autofahrt bei dem Berater eingetroffen. Berater: »Wie geht es Ihnen auf einer Skala von eins bis zehn, wenn eins schlecht und zehn gut bedeutet?« Herr P.: »Von der Stimmung her acht, körperlich vier bis fünf.« Berater: »Was müsste passieren, damit sich Ihr körperliches Befinden von vier bis fünf auf zehn verbessert?« Herr P.: »Ich müsste etwas gegen meine Verspannungen tun. Ich habe den ganzen Tag gesessen.« Berater: »Was halten Sie davon, wenn wir damit gleich beginnen? Wir könnten unser Gespräch bei einem Rheinspaziergang fortführen. Was meinen Sie?« Herr P.: »Gerne schnappe ich ein bisschen frische Luft. Außerdem kommen mir beim Gehen oft die besten Gedanken.«

Walk-Talk

Der Berater verlässt mit dem Kunden den Besprechungsraum. Nach einem einstündigen »Walk-Talk« am Rhein kehren sie zurück. Der Berater lädt Herrn P. ein, die wichtigsten Erkenntnisse zusammenzufassen und schreibt die Punkte auf einem Flipchart stichwortartig auf. Am Ende eines ersten Gesprächs sind viele Informationen Struktur zusammengetragen worden. Durch Ihre Fragen haben Sie erste Schilderungen zum Anliegen und der Situation des Gesprächspartners sammeln können. Gleichzeitig konnte der Kunde durch Ihre Wertschätzung und Ihr Interesse erfahren, dass sein Beratungsanliegen sinnvoll ist. Nun kann es hilfreich sein, einen gemeinsamen Kontrakt zu vereinbaren, um der Beratung eine Struktur zu geben. Was werden die nächsten Schritte sein? Schildern Sie dem Klienten Ihre ersten Eindrücke über den Verlauf des Prozesses und planen Sie gemeinsam das weitere Vorgehen © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525490969 — ISBN E-Book: 9783647490960

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I. Beziehung aufbauen

anhand des Anliegens, das zuvor der Klient eingegrenzt hat. Eine Zieldefinition kann für den Gesprächspartner hilfreich sein, weil so ein gemeinsames Verständnis von der Beratung entsteht.

Die in diesem Kapitel verwendeten Methoden – – – – – – – – –

Aktiv Zuhören Anknüpfen an Leidenschaften Irritationsfragen Metaphorische Sprache Reime Synonyme Walk-Talk Weisheiten, Geschichten, Märchen einbringen Wortspiele

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II. Anliegen konkretisieren

1. Schlüsselbegriffe aufgreifen 2. Auswahl treffen 3. Hypothesen bilden und erweitern 4. Anliegen klären 5. Anliegen formulieren Der erste Kontakt zwischen Ihnen und Ihrem Gesprächspartner ist hergestellt. Sie haben sich angenähert und einen gemeinsamen Prozess angestoßen, und Ihre Reise in die Wirklichkeit Ihres Klienten kann fortgesetzt werden. In einem zweiten Schritt der Beratung ist es notwendig, Beratungsziel den Auftrag, der an Sie gerichtet ist, zu klären. Ihr Ziel sollte es sein, gemeinsam mit dem Kunden den Beratungsauftrag herauszuarbeiten. Ihre Aufgabe als Berater ist es, für Orientierung und Transparenz im Beratungsprozess zu sorgen. Der Prozessgedanke der systemischen Beratung spielt hierbei eine grundlegende Rolle. Prozessdenken Das Prozessdenken ist eines der Grundprinzipien der systemischen Beratung. Es geht darum, dem Kunden/ Klienten beratende Unterstützung anzubieten, mit dem Ziel, seine Anliegen eigenständig bewältigen zu können. Der Berater begleitet den Kunden/ Klienten in dem Prozess der Lösungsfindung. Veränderungen werden als ständige Herausforderungen angesehen, die die Persönlichkeit, die Lebenssituation und die individuellen Anliegen des zu Beratenden beeinflussen. Das Entwickeln neuer Ziele und Verhaltensweisen erfolgt dabei im Respekt vor den bestehenden Handlungsstrategien.

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II. Anliegen konkretisieren

Der zu Beginn der Beratung vorgestellte Auftrag des Gesprächspartners muss nicht das endgültige Ziel der Beratung sein. Im Laufe der Kontextanalyse können sich die Ziele verändern. Möglicherweise steht das Thema für etwas anderes, in manchen Fällen sogar für etwas, das nicht angesprochen wurde oder das für den Kunden noch unklar ist. Mit der systemischen Grundhaltung, dass alles auch ganz anders sein kann, sollte es Ihnen möglich sein, Probleme umzudefinieren und andere Sichtweisen und Perspektiven anzubieten. Grundhaltung des Beraters Der Berater begegnet dem Kunden/ Klienten neugierig und wertschätzend. Er ist offen für die Wirklichkeit des Kunden und regt als Außenstehender vielfältige Sichtweisen an. Seine Rolle ist vergleichbar mit der eines Sparringspartners. Durch zum Teil unerwartete und ungewohnte Interventionen, wie dem zirkulären Fragen, verändert der Berater die Sicht auf die momentane Situation und macht dem Kunden/ Klienten die in ihm schon vorhandenen Lösungsalternativen zugänglich. Im Gegensatz zur Expertenberatung berät ein systemischer Berater den Kunden/ Klienten mit der Haltung, dass allein der zu Beratende selbst weiß, was für ihn gut ist. Der Berater hält keine Antworten bereit, sondern bringt den Kunden/ Klienten und sein System in Bewegung.

1. Schlüsselbegriffe aufgreifen Klienten- Sprechen Sie Schlüsselbegriffe an, die Ihnen in den Schilbeschreiderungen des Kunden aufgefallen sind und für den weiteren bungen

Verlauf von Bedeutung sein könnten. In diesem Schritt werden ähnlich wie in der Phase der Beziehungsherstellung von dem Kunden verwendete Begriffe und Symbole aufmerksam wahrgenommen und nach ihrer Bedeutung gefragt. In der Regel kommt der Kunde oder Klient mit einem »Problembewusstsein«, das es umzudeuten gilt; versuchen Sie, neue Sichtweisen herauszuarbeiten. Zur Aussage eines Kunden »Meine Begeisterung für das Projekt lodert wie Feuer« können folgende Fragen hilfreich sein: © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525490969 — ISBN E-Book: 9783647490960

1. Schlüsselbegriffe aufgreifen

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»Wie gelingt es Ihnen, Feuer in Ihnen anzuzünden?« »Unter welchen Bedingungen brennt Feuer in Ihnen? »Wann erlischt das Feuer?« »Ich habe den Eindruck, dass Sie sich mit Ihrem Unternehmen sehr verbunden fühlen.« »Wie sehr brennen Sie für Ihr Unternehmen?« Beklagt sich der zu Beratende »Ich kämpfe schon so lange für den Job«, können Sie aus den folgenden Fragen wählen: »Das hört sich nach Krieg an. Wer kämpft gegen wen?« »Ich habe den Eindruck, die Frage ›gehe ich oder bleibe ich‹ steht im Raum.« »Wann haben Sie das letzte Mal gewonnen?« »Was befürchten Sie, wenn Sie verlieren?« Ist Ihr Kunde aufgebracht (»Ich koche vor Wut über die Faulheit meiner Kollegin«), können Sie mit Fragen vermitteln wie: »Wie sieht das aus, wenn Sie ›vor Wut kochen‹?« »Was macht Ihre Kollegin, das Sie ›zum Kochen bringt‹?« »Wie oft ›kochen Sie vor Wut‹?« »Was findet in der Zeit statt, wenn Sie nicht ›vor Wut kochen‹? Was ist dann anders? Wie würden Sie dieses Gefühl beschreiben?« »Wenn Sie nicht ›vor Wut kochen‹ würden, was könnten Sie anstelle dessen tun?« Fragen Sie nach dem Wie, dem Wann, dem Wo, dem Was. W-fragen Vermeiden Sie die Frage nach dem Warum, um bei Kunden und Klienten keine Rechtfertigungen zu provozieren. Welche Haltungen liegen der Situation zugrunde? Welche Denkmuster wirken in dem Kunden? Welche Verhaltensmuster führen ihn zu den als problematisch empfundenen Situationen?

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II. Anliegen konkretisieren

»Probleme« Aus systemischer Sicht kann es durch eine Verkettung von Umständen zu Beziehungskonstellationen kommen, durch die ein Problemsystem aufrechterhalten wird. Eine Person, eine Firma oder eine Gesellschaft hat demnach kein Problem, sondern um ein möglicherweise zufällig entstandenes Verhalten herum kann eine Form der Kommunikation entstehen, die den als problematisch empfundenen Zustand weiter stabilisiert. Als systemischer Berater bezeichnen wir einen solchen Zustand als Problem, wenn er sowohl veränderbar als auch veränderungsbedürftig ist.

Bei einer problemorientierten Perspektive können Wiederholungen, Negierungen, Füllwörter und eine symbolreiche Sprache erste Anhaltspunkte für Hypothesen sein. Seien Sie aufmerksam und lassen Sie sich intuitiv von den Beschreibungen des zu Beratenden leiten, indem Sie Schlüsselwörter aufgreifen, die der Verständigung dienen können. »Die Wirklichkeit des Klienten zu kennen, ist der Schlüssel in der Kommunikation.« Paul Watzlawick System Ein lebendiges System setzt sich aus einer Anzahl von Elementen zusammen, die in ständiger Wechselbeziehung miteinander stehen. In diesem Sinne ist der Mensch ein komplexes System, das wiederum mit anderen Systemen, wie Familienmitgliedern und Kollegen, weitere übergeordnete Systeme, wie Gesellschaft und Wirtschaft, bildet. Als soziales Wesen ist der Mensch kein isoliertes Individuum, sondern er lebt in Beziehungen mit anderen und ist damit Teil verschiedener Systeme. Jede Veränderung in einem Element erzeugt auch Veränderung bei allen beteiligten Elementen. Systeme werden oftmals unbewusst gesteuert und streben einen Gleichgewichtszustand an.

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1. Schlüsselbegriffe aufgreifen

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Vielmals verhindert eine negative Sicht der Dinge den Blick Perspektiven auf die Ressourcen und die unterstützenden Aspekte des Systems. Das berühmte eigene Süppchen kann schnell zu einem tiefen Teller ohne Boden werden, indem der Klient sich unbewusst selbst isoliert und sich in seinem Handeln beschränkt. Durch wertschätzende Rückmeldungen der negativen Kommunikationsmuster bauen Sie eine Brücke, um neue Perspektiven zu entwickeln. Reframing Durch Reframing (engl. Neurahmung, im Deutschen meist als »Umdeutung« bezeichnet) wird einer Situation oder einem Geschehen eine andere Bedeutung oder ein anderer Sinn zugewiesen. Indem die Situation in einen anderen Bezugsrahmen gestellt wird, verlässt der Kunde/ Klient die gewohnte Perspektive und nimmt einen unbekannten Blickwinkel ein. Dadurch entsteht eine neue Sichtweise auf das Geschehen, wodurch eine Verhaltensänderung ermöglicht wird. In vielen Fällen wird ein als negativ oder belastend erlebtes Verhalten (»Mein Chef überfordert mich«) durch eine positive Sichtweise umgedeutet (»Ihr Chef traut Ihnen viel zu«).

Fallbeispiel Ein junger Mann, Herr G., sucht einen Berater auf, weil er sich bei seinen Entscheidungen von seinem Vater bevormundet fühlt. Berater: »Was tut Ihr Vater, wenn Sie sich bevormundet fühlen?« Herr G.: »Mein Vater schreibt mir vor, was ich zu tun und zu lassen habe. Er entscheidet bei Meinungsverschiedenheiten ohne Wenn und Aber, knallhart, ohne auf meine Meinung Rücksicht zu nehmen. Er ist unerbittlich.« Berater: »Zu welchem Anlass hat Ihr Vater sich das letzte Mal so verhalten, und was hat er genau getan?«

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II. Anliegen konkretisieren

Herr G.: »Ich habe um Erlaubnis gefragt, ob ich mir von meinem Geburtstagsgeld ein Motorrad kaufen darf. Mein Vater hat in einem sehr bestimmten Ton geantwortet, dass das gar nicht in Frage komme, da das Motorradfahren viel zu gefährlich sei und hat dann den Raum verlassen …« Berater: »Ich möchte Ihnen gerne eine andere Sichtweise auf die Äußerung Ihres Vaters zur Verfügung stellen. Wäre es auch denkbar, dass das Verbot Ihres Vaters Ausdruck seiner Liebe ist und er sich um Sie sorgt und sich wünscht, dass Ihnen nichts zustößt?«

2. Auswahl treffen Zieldefinition In dieser zweiten Phase des Beratungsgesprächs sollten Sie

Ihren Kunden ermuntern, sein Beratungsziel auf den Punkt zu bringen. Je komplexer sich das Anliegen des Kunden darstellt, umso herausfordernder ist eine kurze und klare Zieldefinition. Um sich selbst und dem Kunden einen Überblick zu verschaffen, bietet es sich an, das System zu skizzieren. Falls keine Tafel oder Flipchart vorhanden ist, können Sie improvisieren und ein großes Blatt mit Klebestreifen an einer Wand oder Tür anbringen oder selbstklebende Zettel verwenden. Mit der Frage »Welche Personen, Personengruppen, Abteilungen und Teams spielen bei Ihrem Anliegen eine Rolle?« stellt der Berater mit Hilfe des Kunden die Puzzlestücke seines Systems zusammen, die mittels Visualisierung zu einem Bild zusammengesetzt werden.

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2. Auswahl treffen

Systemgrenzen Im Unterschied zu materialisierten Grenzen, wie zum Beispiel Stadtmauern oder Flüssen, stehen in der systemischen Beratungsarbeit nicht sichtbare Grenzen im Vordergrund. Materielle Grenzen, wie zum Beispiel verschlossene Türen, sind in diesem Zusammenhang eher von symbolischer Bedeutung. Über Systemgrenzen regulieren Menschen den Kontakt. Die Systemgrenzen sind ein Aspekt, mit dessen Hilfe der Berater die Verbindung zwischen einem System (z. B. Abteilung, Familie), einem Subsystem (z. B. Sekretärinnen, Geschwister) und seiner Umwelt (z. B. Konzernzentrale, Nachbarschaft) veranschaulichen kann. Die Grenzen beschreiben die Art der Kommunikation, die Dauer, den Grad und die Intimität.

In der folgenden Legende finden Sie Beispiele für die geläufige Darstellung von

Systemgrenzen: starre Grenze durchlässige Grenze diffuse Grenze

Personen: Männer Frauen

Beziehungen untereinander: Koalition Allianz

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II. Anliegen konkretisieren

Übermäßiges Engagement Konflikt verdeckter Konflikt Umleitung eines Konflikts

(zitiert nach Arbeitsmaterialien IFW)

Zur Veranschaulichung der aufgeführten Legende möchten wir Ihnen zwei Strukturskizzen vorstellen, an denen Sie die geläufige Darstellung von Systemen, ihren Beziehungen untereinander und von Systemgrenzen nachvollziehen können. Im ersten Fall handelt es sich um zwei Bereichsleiter, die einen verdeckten Konflikt haben, der auf die Assistentin der Geschäftsleitung umgeleitet wird.

Abbildung 4: Genogramm 1

Im zweiten Fall handelt es sich um eine Familienkonstellation, in der zwei Geschwister eine Allianz bilden und der Vater übermäßiges Engagement seinem jüngsten Sohn gegenüber zeigt.

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2. Auswahl treffen

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Abbildung 5: Genogramm 2

In dieser Phase der Beratung ist es hilfreich für Sie, im Hinterkopf zu haben, dass Systeme die Tendenz haben, sich zu verwickeln oder sich aufzulösen. In Krisenzeiten werden Systemgrenzen häufig verletzt und Systemkönnen für ein Systemmitglied diffus, offen und ungewohnt grenzen starr erlebt werden. Für eine erfolgreiche Beratung ist es daher hilfreich, die Art, wie die Systemgrenzen erlebt werden, zu erfragen. Fragen nach den Systemelementen und deren Beziehungen, der Zugehörigkeit, der Hierarchien erleichtern es Ihnen, sich ein Bild von den zurzeit wahrgenommenen Systemgesetzen und der Wirklichkeitskonstruktion Ihres Kunden zu machen. Hilfreiche Fragen können dabei sein: »Welche Personen spielen bei Ihrem Anliegen eine Rolle?« »Welche Abteilungen oder Teams sind von der Situation mittelbar oder unmittelbar betroffen?« »Gibt es Gruppierungen und wenn ja, welche?« »Wer steht Ihnen am nächsten?« »Um welche Person beziehungsweise Personen geht es bei Ihrem Anliegen?« »Wer gehört alles zu dieser Gruppe?« © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525490969 — ISBN E-Book: 9783647490960

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II. Anliegen konkretisieren

»Gibt es noch eine Person oder Abteilung, die eine Rolle spielt, aber in unserem Bild bisher noch nicht auftaucht?« »Wer kommuniziert mit wem?« »Wie wird zwischen den beteiligten Personen kommuniziert?« Skalierung Mit der Formulierung eines konkreten Anliegens wird Ih-

rem Kunden ein Überblick seiner Situation erleichtert, auf deren Grundlage Handlungsalternativen erarbeitet werden können. Sie können Ihren Kunden durch Konkretisierungsfragen unterstützen. Skalierungen, messbare Einschätzungen, die durch zirkuläre Fragen unterstützt werden, eröffnen neue Perspektiven.

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2. Auswahl treffen

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Zirkuläre Fragen Zirkuläre Fragen wurden in der systemtherapeutischen Praxis entwickelt und werden eingesetzt, um zirkuläre Prozesse in Beziehungssystemen aufzudecken und starre Interaktionsmuster, die Konflikte innerhalb des Systems verursachen, durch gezielte Einnahme von unterschiedlichen Beobachterpositionen und Perspektivwechseln zu verflüssigen. Der Berater eröffnet den Beteiligten durch seine zirkuläre Frageweise Möglichkeiten, sich in andere Positionen hineinzuversetzen und dabei einen anderen Blickwinkel innerhalb des Systems einzunehmen. Die zirkuläre Fragetechnik provoziert ein »Mutmaßen im Beisein der Anderen«, denn die Beteiligten werden angeregt, ihre Vermutungen über Wünsche, Bedürfnisse, Meinungen, Beziehungen anderer Beteiligter zu äußern. Im wechselseitigen Bezug aufeinander werden neue Denkprozesse eingeleitet und Veränderungen möglich. Zirkuläre Fragen sind eine Art Rückkopplungsmechanismus, bei dem die Wirkung eines mitgeteilten Gefühls auf die anderen untersucht wird. Man kann direkt fragen: »Wie fühlst du dich?« In der systemischen Beratung wird vorwiegend zirkulär gefragt. »Was denken Sie, wie es Ihrer Kollegin in der neuen Position geht?«, »Was würde Ihre Frau sagen, wenn ich sie frage, was Ihr Sohn in vergangener Zeit gut gemacht hat?«, »Angenommen ich würde Ihre Chefin befragen, was würde die mir sagen, wie groß die Chance ist, dass Sie das Projekt erfolgreich zu Ende führen?«. Das bedeutet, dass beim zirkulären Fragen der Empfänger der Botschaft befragt wird.

Fallbeispiel Eine Abteilungsleiterin lässt sich bei der Einführung eines neuen Warenwirtschaftssystems durch systemische Beratung begleiten. Berater: »Wer ist alles an der Einführung des neuen Warenwirtschaftssystems beteiligt?« Frau G.: »Die Mitarbeiter der Leitstelle Warenwirtschaft, die Mitarbeiter der Pilotfilialen, der Projektleiter der Zentrale und mein Chef.«

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II. Anliegen konkretisieren

Berater: »Fangen wir mit Ihrer Einschätzung an. Wie hoch schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit ein, dass die Einführung des neuen Systems zum ersten Oktober abgeschlossen sein wird, wenn eins geringe und zehn hohe Erfolgswahrscheinlichkeit bedeutet?« Frau G.: »Ich weiß nicht, vielleicht bei vier. Man weiß ja nie, was kommt.« Berater: »Was glauben Sie, wie Ihr Chef die Erfolgswahrscheinlichkeit einschätzt?« Frau G: »Über acht. Für den ist die Sache schon gelaufen. Der wendet sich schon wieder neuen Themen zu.« Berater: »Und die Mitarbeiter der Warenwirtschaft?« Frau G.: »Das kommt drauf an, wen Sie von denen fragen. Wenn Sie die Systemspezialisten fragen, dann glaube ich, dass die unter fünf antworten würden. Diejenigen, die das neue System präsentieren, denke ich, um die sieben.« Berater: »Wie kommt es Ihrer Meinung nach zu dieser unterschiedlichen Einschätzung?« Frau G.: »Die Systemspezialisten schlagen sich täglich mit den Fehlerprotokollen herum und tun sich schwer, die Anforderungen der Anwender zu integrieren, während diejenigen, die das System präsentieren, immer viel von den Vorzügen erzählen und alle Einwände übergehen, weil sie mittlerweile selbst von ihren Argumenten überzeugt sind.« Berater: »Was ist mit den Mitarbeitern der Pilotfiliale, wie würde die Erfolgswahrscheinlichkeit von denen eingeschätzt, wenn wir sie heute fragen würden?« Frau G.: »Der Abteilungsleiter würde wohl auch über fünf sagen, allein schon, um gegenüber der Zentrale nicht als Bedenkenträger angesehen zu werden.« Berater: »Wie viel unter fünf, wenn er sagen würde, was er insgeheim denkt?« Frau G.: »Ich glaube zwei bis drei, weil er darüber informiert ist, wie groß der Unterschied zwischen den © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525490969 — ISBN E-Book: 9783647490960

2. Auswahl treffen

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Anforderungen und den tatsächlichen Leistungen des Systems ist.« Berater: »Würden seine Mitarbeiter das genauso einschätzen oder optimistischer oder pessimistischer?« Frau G.: »Die Mitarbeiter würden derzeit seine Meinung teilen.« Berater: » … und was verbirgt sich hinter dem Wort derzeit?« Frau G.: »Wenn sie in Zukunft mehr mit einbezogen würden, hätten sie einige Ideen einzubringen, wie die Anforderungen in Einklang zu bringen sind. Aber das ist wieder das alte Spiel. Die Zentrale denkt vor und fragt diejenigen, die später täglich mit dem System klarkommen müssen, erst viel zu spät.« Berater: »Lassen Sie uns zum Schluss auf Ihre vermutete Einschätzung des Projektleiters der Zentrale schauen. Was denken Sie, würde er antworten, wenn wir ihn heute fragen würden?« Frau G.: »Der Projektleiter ist Berufsoptimist und könnte sich eine negative Prognose gar nicht leisten. Der würde glatt neun bis zehn sagen.« Berater: »Die Einschätzungen der Projektbeteiligten sind sehr unterschiedlich. Sie hatten zu Anfang unseres Gesprächs gesagt, Sie würden die Erfolgswahrscheinlichkeit bei vier einschätzen. Was müsste aus Ihrer Sicht passieren, um die Erfolgswahrscheinlichkeit zu erhöhen?« Frau G.: »Durch unser Gespräch ist mir klar geworden, dass wir unbedingt den Kontakt zwischen dem Entwicklungsteam und dem Anwenderteam intensivieren müssen. Es wird zwar immer unvorhersehbare Ereignisse geben, aber wenn es uns gelingt, die Anwenderanforderungen frühzeitig einzuarbeiten, dann würde die Erfolgswahrscheinlichkeit, dass die Einführung im September erfolgreich über die Bühne gegangen sein wird, von vier auf acht steigen.«

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II. Anliegen konkretisieren

Mit dieser Art der Gesprächsführung verschaffen Sie sich einen Überblick über die Bewertung und die Dringlichkeit des einen oder anderen Anliegens. Zur Konkretisierung sind hilfreiche Fragen möglich: Unterscheidungsfragen »Für wen ist es ein größeres Problem?« »Wer hat das größte Interesse, die Situation zu verändern? »Wer hat das größte Interesse, dass alles so bleibt, wie es ist?« »Wen belastet das Problem am meisten?« Fragen zum Verhalten »Was zeichnet Ihr Verhalten aus?« »Was tut Herr S., wenn er Informationen abblockt?« »Was ändert sich an dem Verhalten Ihrer Kollegen, wenn sich die Stimmung wieder bessert?« Fragen nach Daten »Wer gehört alles zur Familie?« »Wer gehört noch zu dem System?« »Wer ist wem übergeordnet?« Lösungsorientierte Fragen »Wann ist das Problem nicht aufgetreten?« »Was haben Sie in diesen Zeiten anders gemacht?« »Was könnten Sie tun, um diesen Zustand öfter zu erreichen?« »Wer hätte den größten Gewinn davon?« Fragen zur Kontexterweiterung »Mit wem arbeiten Sie zusammen?« »Was sagt Ihr Partner dazu, dass Sie heute hier sind?« »Wer würde als erster merken, dass sich etwas verändert?«

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3. Hypothesen bilden und erweitern

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3. Hypothesen bilden und erweitern Für eine systemische Beratung ist es unerlässlich, auf der Ba- Hypothesensis der Beschreibungen des Kunden oder Klienten Hypothe- bildung sen zu bilden. Bisher haben Sie Schlüsselwörter aufgegriffen und sie mit Leben gefüllt. Jetzt geht es darum, aus den Beschreibungen erste Vermutungen abzuleiten, welche alternativen Perspektiven innerhalb des Systems existieren könnten. Die Sichtweise des Kunden kann sich durch das Hinzufügen neuer Bedeutungszuschreibungen verändern. In einem gemeinsamen Prozess entwerfen Sie andere Wirklichkeiten und schreiben ihnen neue Bedeutungen zu. Stellen Sie sich den Beratungsverlauf wie einen Trichter vor, durch den alle Informationen wie Murmeln fallen. Den ersten Behälter werden nur die wirklich interessant aussehenden Murmeln erreichen. Die nächste Ebene passieren nur bestimmte Murmeln, die aufgrund von Dringlichkeit und Intensität herausgefiltert werden. Welche Murmel ist besonders wichtig und welche kann vernachlässigt werden? Die dritte Ebene erlangen Murmeln der gleichen Farbe, so dass am Ende ein klares und geordnetes Bild entsteht, das Orientierung bietet. Bezogen auf den Beratungsprozess, werden mit dem Kunden kreative Suchbewegungen durchgeführt, die entlastende Lösungswege eröffnen. Aus diesem Prozess können neue Haltungen, Sichtweisen und Handlungsmöglichkeiten hervorgehen. Fallbeispiel Trichterebene 1: Ein Kunde nennt auf die Frage nach seinem Anliegen ein Bündel von Themen: Das angespannte Verhältnis zum Chef, Überforderung, Probleme in der Beziehung mit seiner Frau und Entscheidungskonflikte, wenn es um das Abwägen von Vor- und Nachteilen geht.

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II. Anliegen konkretisieren

Trichterebene 2: Im Verlauf der Beratung wird deutlich, dass sich das Thema, »Nein« zu sagen und Grenzen zu setzen, durchzieht. Den Zusatzaufträgen des Chefs, den Wünschen der Frau und den Forderungen der Kinder fühlt sich der Kunde nicht gewachsen. Trichterebene 3: Am Beispiel des letzten Auftrags des Chefs, zusätzlich ein neues Projekt zu leiten, bespricht der Berater mit dem Kunden, welche Möglichkeiten es gibt, zu dem Auftrag »Nein« zu sagen, ohne die gute Arbeitsbeziehung zu ihm zu gefährden.

Abbildung 6: Trichter

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4. Anliegen klären

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4. Anliegen klären Fordern Sie Ihren Kunden auf, die Themen mit der für ihn Themenhöchsten Dringlichkeit auszuwählen. Die Hypothesenbildung auswahl hat neue Sichtweisen eröffnet, aus denen Ideen und Perspektiven entstehen können, die sich in anderen Verhaltensweisen zeigen. Der zu Beratende wird sich aus den erarbeiteten Vorstellungen diejenigen aussuchen, die ihn am meisten ansprechen. Damit verdichtet sich das Netz der Anliegen auf wenige Kernpunkte, die jetzt in diesem Moment aktuell sind. Die Methode des Reflektierenden Teams kann Ihren Kunden unterstützen, seine Anliegen zu festigen. Durch Rückmeldung zu Gestik, Mimik sowie zum Gesprächsverlauf wird der Kunde in seiner Auswahl des Anliegens bestärkt. Fallbeispiel Die Projektleiterin Frau B., die in einem multikulturellen Zentrum arbeitet, schildert dem Berater Führungsschwierigkeiten und beschreibt anhand von Beispielen, dass sie sich als Führungskraft nicht akzeptiert fühlt. Nach einem einleitenden Interview bezieht der Berater zwei Kollegen mit ein, die das Reflektierende Team bilden. Er rückt seinen Stuhl in die Nähe seiner Kollegen, so dass sie ein Dreieck bilden und Blickkontakt zueinander haben. Frau B. wird eingeladen, einfach zuzuhören und das Gesagte auf sich wirken zu lassen. Drei Personen sitzen zusammen. Eine Person sitzt mit Abstand, aber in Hörweite daneben, in der Nähe eines Flipcharts. Berater: »Was ist Ihnen während meines Gesprächs mit Frau B. aufgefallen?« Kollege M.: »Frau B. wirkte sehr engagiert. Sie konnte detailliert das Verhalten und die Reaktionen ihrer Mitarbeiter beschreiben und sich in sie hineinversetzen. Sie wirkte äußerst empathisch.«

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II. Anliegen konkretisieren

Abbildung 7: Berater mit zwei Kollegen im Reflektierendem Team

Kollege F.: »Was Sie als empathisch beschreiben, könnte man auch als starkes Engagement bezeichnen. Während Frau B. sprach, hatte sie rote Wangen und hat sehr schnell gesprochen. Es schien, als seien ihr die geschilderten Situationen präsent und würden starke Gefühle auslösen.« Berater: »Frau B. schilderte, dass ihr Mitarbeiter Herr J. sich nicht an ihre Zielvorgaben hält. Dieses Verhalten scheint er auch anderen Frauen in der Institution gegenüber zu zeigen. Da liegt es nahe, dass sein Verhalten nicht unbedingt Ausdruck mangelnder Anerkennung der Person und Führungskraft Frau B. ist.« Kollege M.: »Frau B. wirkte betroffen, als sie erzählte, dass sie sich als Führungskraft nicht anerkannt fühlt. Unter den erschwerten Rahmenbedingungen ein interkulturelles Projekt zu leiten, dessen Budget in Frage gestellt wurde, ist in meinen Augen eine große Leistung. Frau B. erzielt immerhin seit über einem Jahr gute Arbeitsergebnisse.« Kollege F.: »Als es um die Budgetkürzung ging, veränderte sich die Stimme von Frau B. und sie wirkte angespannt. Unabhängig davon, wer das Team leitet, erscheint die Projektleitung eine herausfordernde Aufgabe zu sein.«

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4. Anliegen klären

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Der Berater dankt den beiden Kollegen, nimmt seinen Stuhl und setzt sich wieder zu Frau B. Er nimmt Bezug auf das Reflektierende Team, indem er die gängigen Fragen stellt: »Was war für Sie besonders wichtig?« »Was war neu?« »Was hätte lieber nicht gesagt werden sollen?« »Angenommen, Sie müssten sich für ein Thema entscheiden, welches wäre das?« »Was ist nicht gesagt worden?« »Ich erlebe Sie gerade sehr aufgeregt. Was hat Sie so berührt?« Reflektierendes Team Der Berater kann das Reflektierende Team (RT) nutzen, das der Beratung visuell und akustisch folgt. Es besteht in der Regel aus zwei bis drei Personen, die das Beratungssetting positiv erweitern können, indem sie das Gehörte und Gesehene unter Beachtung folgender Regeln offen vor dem Kunden/ Klienten wiedergeben. Die Äußerungen des Reflektierenden Teams sollten – wertschätzend gegenüber der Problemsicht des Klienten sein, – Schlüsselwörter benennen, die ihnen aufgefallen sind, – Gesten ansprechen, – Fragen zu Erklärungen stellen, die sie nicht verstanden haben, – unterschiedliche Sichtweisen des Problems gleichberechtigt nebeneinander stehen lassen, – Vermutungen im Konjunktiv formulieren (»Könnte es sein, dass …«, »Ich hab es so verstanden, dass …«). Das Geheimnis des Reflektierenden Teams liegt in der Vielfalt der verschiedenen Sichtweisen, die von außen in den Beratungsprozess eingebracht werden. Drei Augen- und Ohrenpaare sehen und hören oft mehr als nur eines. Ziel ist es, einen Freiraum für die Entwicklung vielfältiger Perspektiven und angemessener Ideen und Lösungsmöglichkeiten zu schaffen, indem die Integrität der Kunden/ Klienten gewahrt bleibt und das Annehmen von Vorschlägen erleichtert wird.

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II. Anliegen konkretisieren

Der Berater sollte in dem Bewusstsein arbeiten, dass es sich stets um Momentaufnahmen des Kunden oder Klienten handelt. Morgen kann es vielleicht schon wieder ganz anders sein.

5. Anliegen formulieren Thema Laden Sie Ihren Kunden am Ende des Suchprozesses ein, sein fokussieren Anliegen in einem Satz zu formulieren. »Das ausgesprochene

Wort verwandelt sich in Energie« (nach Gudrun Popken-Gulyás), da der Schlüssel zur Veränderung in der Gestaltung der Kommunikation liegen kann. Indem Ihr Gesprächspartner das Anliegen formuliert, zeigt er seine Bereitschaft zur Veränderung und den Wunsch nach Weiterentwicklung. Hilfreiche Fragen können sein: »Was soll heute in der Beratung geschehen?« »Was muss hier passieren, damit Sie am Ende sagen können, das ergibt einen Sinn?« »Worin kann ich Sie unterstützen?« »Was genau wollen Sie dabei von mir?« »Was darf auf keinen Fall passieren?« »Gibt es jemanden, der in die Beratung mit einbezogen werden soll?« »Hat sich an Ihrem Anliegen von der vergangenen Sitzung etwas geändert, wenn ja, was hat sich geändert?«

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5. Anliegen formulieren

Die in diesem Kapitel verwendeten Methoden – – – – – – – –

Konkretisierungsfragen Reflektierendes Team Reframing Skalierungsfragen Strukturabgleich Hardware/ Software Strukturskizze (Genogramm/ Organigramm) Visualisieren Zirkuläre Fragen

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III. Bearbeitungs- und Lösungsebene finden

1. Suchprozess vorbereiten 2. Blickwinkel erweitern 3. Blickwinkel verengen 4. Wirklichkeitsbilder entdecken 5. Lösungsweg auswählen Metastabilität Lieber Leser, ein gutes Stück Beratungsarbeit liegt nun hin-

ter Ihnen. Sie haben sich mit professioneller Neugier dem Anliegen des Kunden genähert und einen vertrauensvollen Rahmen für Interaktionen geschaffen. Vereinbarungen zu Zeit, Raum und Gesprächsgestaltung wurden getroffen, die für die Prozesssteuerung weitere wichtige Aspekte sind, die dem Kunden eine sichere Basis bieten. Auch in dieser Phase des Beratungszyklus kommt Ihre ressourcenorientierte und wertschätzende Haltung zum Tragen, um den konstruktiven Veränderungsprozess zu begleiten. Das Anliegen des zu Beratenden wurde konkretisiert und klar formuliert. Instabilität Nun beginnt die gemeinsame Suche und Erarbeitung von Lösungsmöglichkeiten. Das beinhaltet die Gestaltung von Metastabilität, das heißt, dem Kunden oder Klienten einen zuverlässigen Ausgangspunkt anzubieten, von dem aus er sich mit Neugier, Interesse und Anteilnahme in Bewegung setzen und in geschützte Instabilität bringen lassen kann. Auf diese Weise kann der zu Beratende die gewohnten Denkmuster und die damit verbundenen Bedeutungszuschreibungen verlassen. Um Veränderungen zu bewirken, ist es notwendig, gewohnte Muster und vertraute Prinzipien zu verlassen und Irritationen und Verstörung zuzulassen. Veränderung kann Verwirrung und Instabilität von gewohnten Ordnungen bedeuten. Das heißt auch, dass erst durch ein gewisses Maß an Begeisterung und Aufregung Kunden oder Klienten Neues © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525490969 — ISBN E-Book: 9783647490960

III. Bearbeitungs- und Lösungsebene finden

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wagen und sich auf Veränderung einlassen. Diese verschiedenen Phasen des Veränderungsprozesses werden in dem folgenden Schaubild deutlich.

Abbildung 8: Veränderungsprozesse (nach Lenz, G., Osterhold, G., Ellebracht, H.: Erstarrte Beziehung – geheiltes Chaos. Freiburg, Herder, 1995, S. 33)

Die Erklärungs- und Bewertungsmodelle des Kunden sind die Grundlage für das Verändern und Bewahren seiner Verhaltensweisen. Nachfolgende Fragestellungen können den Suchprozess bestimmen: Welche »Geschichten« erzählt der zu Beratende? Welche Zuschreibungen gibt er Situationen, Personen oder Verhaltensweisen? Mit welchen gewohnten Mustern reagiert er? Welche Ordnungen ergeben für ihn Sinn? Durch was werden seine Bewertungsmodelle stabilisiert oder destabilisiert? © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525490969 — ISBN E-Book: 9783647490960

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III. Bearbeitungs- und Lösungsebene finden

Welche Funktion haben seine Verhaltensweisen? Wie konnte der Kunde bisher neue Wirklichkeiten erzeugen? Wie bewertet er seine Systemordnungen? In welchen Hierarchieformen denkt er? Welche menschlichen Beziehungen sind für ihn bedeutsam, welche bedeutungslos? Haben Sie mit Einfühlungsvermögen und Empathie die Wirklichkeitsbilder Ihres Gesprächspartners erfragt und hilfreiche Hypothesen entwickelt, werden Sie mit ihm einen förderlichen Veränderungsprozess erarbeiten können.

1. Suchprozess vorbereiten Suchprozess Die gemeinsame Sucharbeit nach Lösungsmöglichkeiten und

neuen Handlungsstrategien kann beginnen. In der systemischen Beratung gibt es vielfältige Möglichkeiten, hilfreiche Lösungswege zu erproben und eine für das Anliegen unterstützende Vorgehensweise zu finden. Für diesen Suchprozess sollten neben Klarheit und Struktur auch Neugier und Begeisterung Wegbegleiter sein. Es ist individuell zu entscheiden, aus welcher Perspektive die Gesichtspunkte betrachtet werden können. Die Vogelperspektive kann dem Kunden einen Überblick verschaffen und damit die Sichtweise erweitern. Aus der Froschperspektive bekommt der Kunde eine vermutlich unbekannte Ansicht aus einem tiefliegenden Blickwinkel. Manche Anhaltspunkte kommen durch diese Perspektive erst richtig zur Geltung. Die beschriebenen Suchbewegungen stellen zwei Pole dar. In dem Beratungsverlauf sollten Sie die Übergänge fließend gestalten, damit der zu Beratende die Chance hat, aus einer Vielfalt an Möglichkeiten die für ihn geeignete Auswahl zu treffen. Manchmal kann es sinnvoll sein, dass Sie etwas ganz Anderes ausprobieren. Federführend bei all Ihren Entscheidungen in der Wahl © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525490969 — ISBN E-Book: 9783647490960

1. Suchprozess vorbereiten

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der Methode sollte die Frage nach dem Nutzen beziehungsweise dem Ziel Ihres Kunden sein. Der Schritt vom Anliegen des Kunden zur Bearbeitung Systemlösung seines Problems kann erfolgen. Wir erinnern noch einmal daran, dass aus systemischer Sicht ein Problem ein Hinweis darauf ist, dass ein Ungleichgewicht im System vorherrscht. In diesem Sinn kann das Problem eine Lösung für das System darstellen, ein Gleichgewicht oder eine Ordnung wiederherzustellen. Somit erzeugt das Ungleichgewicht Leidensdruck und Unwohlsein, was nach Veränderung strebt. Stellen Sie sich das Bild eine Mobiles vor, bei dem alle Teile Gleichgewicht miteinander vernetzt sind. Zieht man an einem Teil, gerät das Mobile in Bewegung, demgemäß gerät das eine oder andere Ende mehr in Schwung. Die dabei entwickelte Dynamik des Mobiles wird stets danach streben, einen Zustand des Gleichgewichts zu erreichen. Somit trägt das System die Lösung für das Problem bereits in sich. Homöostase – das Streben nach Gleichgewicht Systeme haben ihr Eigenleben, das sich in der Wiederholung verschiedener Verhaltensmuster äußert. Alle Beteiligten eines Systems sind miteinander verbunden, so dass jede Veränderung innerhalb des Systems Auswirkung auf alle anderen hat. Geschlossene Systeme streben in ihren biologischen, psychischen und sozialen Funktionen nach Homöostase, einem funktionalen Gleichgewicht. Droht das Gleich ge wicht aus der Balance zu geraten, versucht jedes System, es möglichst schnell wiederherzustellen. Dieser Anpassungsprozess kann als Lösungsversuch verstanden werden, der unter Umständen dysfunktional sein kann, wenn er zu Verhaltensweisen, Denk- und Kommunikationsmustern führt, die als problematisch erlebt werden. Solche schwierigen Verhaltensweisen können kurzfristig das Gleichgewicht in einem System ausgleichen und daher zweckdienlich sein, auf Dauer aber zu Konflikten, Erstarrungen, Leidensdruck und Erkrankungen führen.

Wir möchten Ihnen, lieber Leser, das Herstellen und Bewahren von Gleichgewicht in sozialen Systemen am Beispiel des Mobiles verdeutlichen. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525490969 — ISBN E-Book: 9783647490960

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III. Bearbeitungs- und Lösungsebene finden

Abbildung 9: Mobile

Ein Mobile ist ein eingängiges und einfaches Beispiel für ein System, an dem alle wesentlichen Bestandteile veranschaulicht werden können. Die einzelnen Elemente des Mobiles stehen für die Menschen in einem System. Beziehungen und Abhängigkeiten zwischen den Personen werden im Mobile durch die verbindenden Stäbe und Fäden charakterisiert. Das soziale System ist durch seine Umwelt bedingt, in der gesellschaftliche Rahmenbedingungen, Arbeitsbeziehungen, finanzielle Aspekte und die Herkunftsfamilie einen großen Einfluss haben. Auch hier lässt sich eine Parallele zum Mobile herstellen. Durch Wärme, Kälte, Luftbewegungen und die © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525490969 — ISBN E-Book: 9783647490960

2. Blickwinkel erweitern

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Aufhängung gerät es in Bewegung. Die Systemumwelt ist bei den menschlichen Systemen ebenso wie bei dem Beispiel des Mobiles sehr verschieden. Die Grenze eines sozialen Systems bleibt oft unscharf. Sie ist vom Standpunkt des Betrachters abhängig. Das heißt, die Frage, wer zum System gehört und wer sich außerhalb befindet, muss individuell beantwortet werden. Trotzdem sind alle Teile allein durch die Umwelt miteinander verbunden. Es zeigen sich verschiedene Ebenen, vielleicht Untergruppierungen und Hierarchien. Menschliche Systeme sind fortwährend in Bewegung. Genauer gesagt, wenn sich jemand verändert, müssen sich die anderen Systemmitglieder in irgendeiner Weise mitbewegen. Das innere und äußere Gleichgewicht scheint ein grundlegendes ökologisches Prinzip zu sein. Menschen streben immer wieder danach, ihre Welt in Ordnung zu bringen und Spannungen auszugleichen. Sie als Berater haben die Aufgabe, dem Kunden- oder Klientensystem Schwung zu geben, so dass es einen anderen Zustand erreichen kann. Mit Ihrem Ideenreichtum können Sie Altes wertschätzen und Neues hervorbringen und damit Veränderungsprozesse initiieren.

Systemgrenzen

Systemordnung

2. Blickwinkel erweitern In dieser Phase werden Perspektiven aufgezeigt, die es dem Vielfalt zu Beratenden ermöglichen, die Welt ganz anders zu betrachten. Wesentlich hierbei ist, dass der Kunde von Beginn an auf die Selbstverständlichkeit der Verwirrung vorbereitet wird und dabei von Ihnen als Berater begleitet wird. Während der Irritationsphase sollte ein dem Kunden angemessenes Tempo gefunden werden, damit er nicht auf altbekannte Muster zurückgreifen muss. Durch systemische Fragetechniken und Interventionen können Sie Gefühlszustände wie Begeisterung, Neugier, Zweifel und Ängste auslösen. Die Kunst besteht darin, Bekanntes mit Neuem zu verknüpfen. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525490969 — ISBN E-Book: 9783647490960

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III. Bearbeitungs- und Lösungsebene finden

Ausgehend von vertrauten Situationen und Verhaltensweisen gilt es für den zu Beratenden, Hypothesen anzunehmen und auf ihre Brauchbarkeit zu überprüfen. Vielfalt Bei großer Skepsis gegenüber neuen Möglichkeiten kann es hilfreich sein, als Berater die Klientenposition einzunehmen. Damit wird der Klient unterstützt, unbekannte und möglicherweise beunruhigende Sichtweisen einzunehmen. Sätze wie beispielsweise: »Die Veränderung kann man tatsächlich nicht machen, dadurch kann es nur schlechter werden«, oder »Zu diesem Zeitpunkt kann ich Ihnen wirklich nicht empfehlen, etwas zu verändern« können dabei helfen. Für einen erfolgreichen Beratungsverlauf ist es notwendig, Ihren Kunden oder Klienten trotz aller Verwirrung und Instabilität emotional zu stärken. Ziel dieser Erweiterung des Blickwinkels ist es, unterstützende Systemteile zu entdecken und verlorengegangene Ressourcen wiederzubeleben. Ihr Hauptaugenmerk sollte auf der Entfaltung der eingeschränkten Sichtweise des Kunden liegen. Vielfältigkeit schaffen kann also bedeuten, Fragen zu stellen wie: »Wer oder was kann hilfreich sein?« »Welche Personen gehören zum System und wer nicht?« »Wie ist der Umgang der beteiligten Personen untereinander, wo erfährt der Kunde Wertschätzung und Respekt?« »Wer könnte den Klienten unterstützen?« »In welchen Beziehungen hat der Kunde den größten Gewinn und in welchen Konstellationen mangelt es an Unterstützung?« Auftrags- Für den Verlauf einer Beratung sind häufig Personen bedeutkarussell sam, die nicht direkt an der Beratung teilnehmen. Durch sie

können für den Kunden Sichtweisen erweitert und Aufträge erteilt werden, zu denen der Kunde zunächst keinen Bezug hat und die unausgesprochen eher hinderlich sein können. Mit Hilfe des Auftragskarussells können sowohl offensichtliche als auch unausgesprochene Aufträge aufgedeckt werden, so wie sie von dem zu Beratenden wahrgenommen und empfunden werden. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525490969 — ISBN E-Book: 9783647490960

2. Blickwinkel erweitern

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Diese Methode kann sowohl von dem Kunden allein als auch in der Gruppe durchgeführt werden. Mit Hilfe von Stellvertretern, die für die Aufträge stehen, werden die Anforderungen und Wirkungen, die für den zu Beratenden damit einhergehen, häufig deutlicher erkennbar. Im Mittelpunkt der Methode stehen die von dem Kunden oder Klienten wahrgenommenen und erlebten Aufträge (und nicht, wie sie für andere erscheinen). Ziel dieser Methode ist es, dem zu Beratenden die Möglichkeit zu geben, die verschiedenen Aufträge zu überprüfen und gegebenenfalls bestimmte hinderliche Aufträge für sich zu verändern oder auch abzulehnen und damit Neues zu ermöglichen. Es folgt nun eine Handlungsanleitung für das Auftragskarussell, die an das jeweilige Anliegen Ihres Kunden angepasst werden kann: 1. Angenehme und ungestörte Rahmenbedingungen für den Kunden schaffen. 2. Es werden Personen ausgewählt, die äußere Aufträge an den Kunden haben. Als Alternative können diese Aufträge auch auf Zetteln festgehalten werden. 3. Die betreffende Person setzt sich in die Mitte der Personen, die die jeweiligen Aufträge darstellen. 4. Die Aufträge werden in der ausgewählten Reihenfolge vorgetragen. 5. Die Aufträge werden von dem Kunden in Ruhe überprüft und dann entsprechend angenommen oder abgelehnt. 6. Die abgelehnten Aufträge werden dahingehend überprüft, ob es für den Kunden eine Möglichkeit gibt, einen Kompromiss zu finden und sie anders zu formulieren und damit anzunehmen. Die andere Möglichkeit ist, die Aufträge vollständig abzulehnen und damit neue Handlungsspielräume zu entwickeln. 7. Die bestehenden Aufträge werden erneut in eine für den Kunden geeignete Reihenfolge gebracht. 8. Die Auftraggeber benennen den Auftrag als Ressource beziehungsweise der zu Beratende kann die Aufträge auf Zetteln selbständig als Ressource umformulieren. 9. Die abgelehnten Aufträge schildern ihre möglichen Formen von Boykott. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525490969 — ISBN E-Book: 9783647490960

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III. Bearbeitungs- und Lösungsebene finden

Hilfreiche Fragen, die den Prozess des Auftragskarussells unterstützen können, sind: »Wer ist der Auftraggeber?« »Was will der Auftraggeber bei dem Kunden erreichen?« »Was muss passieren, damit der Auftrag erfüllt wird?« »Gibt es noch andere, die etwas mit dem Auftrag erreichen wollen?« »An wen könnte der Auftrag noch gerichtet sein?« »Seit wann gibt es den Auftrag?« »Wie könnte der Folgeauftrag lauten?« »Was wird möglich sein, wenn es den Auftrag nicht mehr gibt?« Damit für Sie als Berater diese Methode deutlicher wird, können Sie einen Selbstversuch mit dem Auftragskarussell erproben. Überlegen Sie sich, in welchen Situationen Sie sich beruflich oder privat sehr gefordert oder überfordert fühlen. Im weiteren Schritt denken Sie darüber nach, welche Personen, Sie selbst eingeschlossen, an Sie welche Aufträge haben, schreiben diese auf Zettel und sortieren sie nach einer für Sie sinnvollen Reihenfolge. Schauen Sie auch genau, welche Aufträge Sie an sich selbst haben. Dann gehen Sie nach der beschriebenen Methode vor. Es kann spannend sein, was für Sie Neues dabei herauskommt. Im nächsten Beispiel geht es um eine Entscheidungsfindung, bei der es ebenso hilfreich sein kann, die eigene Perspektive um die Blickwinkel der anderen beteiligten Personen zu erweitern.

Fallbeispiel Familie K. wird seit fast zwei Jahren im Frühförderzentrum betreut. Das Ehepaar ist seit drei Jahren verheiratet und hat zweijährige Zwillinge. Die Frühförderung wurde von ihrem Kinderarzt empfohlen, da die zwei Jungen drei Monate zu früh auf die Welt kamen und die Di© 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525490969 — ISBN E-Book: 9783647490960

2. Blickwinkel erweitern

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agnose Down-Syndrom besteht. Beide Kinder sind in ihrer Entwicklung verzögert und zeigen deutliche Konzentrations- und Aufmerksamkeitsdefizite. Die Frühförderung wurde mit hoher Zuverlässigkeit durchgeführt. In die Beratung kamen Frau K. oder Herr K. meist im Wechsel. Die Aufteilung der Aufgaben und die Verantwortung für die Zwillinge scheint angemessen zwischen den Ehepartnern aufgeteilt zu sein. Themen, die Frau K. beschäftigen, sind der Umgang mit den Kinderärzten, den Therapeuten, anderen Eltern oder Fragen zur Entwicklung und Förderung ihrer Kinder. Eine persönliche Fragestellung hatte sie selten. Beim vergangenen Beratungstermin nannte Frau K. spontan Themen, die für sie relevant sind: – Angst zu haben, dass sie als Eltern die Kinder nicht ausreichend fördern könnten. – Die Förderung der Kinder soll optimal sein, es darf nichts versäumt werden. – Die Frage nach einem geeigneten Kindergarten. Welcher Kindergarten und welcher Zeitpunkt ist angemessen für die Zwillinge? Berater: »Welches Thema möchten Sie heute bearbeiten?« Auf diese Frage des Beraters meinte Frau K., sie möchte sich auf den Kindergarteneintritt vorbereiten. Sie glaube, dass die Kinder gut vorbereitet seien und keine Schwierigkeiten hätten, sich von ihr zu lösen. Sie selbst sei jedoch noch nicht an diesem Punkt. Berater: »Ich habe verstanden, dass Ihre Kinder soweit sind, sich von Ihnen zu lösen. Wo befinden Sie sich in diesem Prozess?« Frau K.: »Ich weiß nicht genau. Ich bin schon auch bereit dazu, aber ich weiß nicht, wie die Erzieherinnen im Kindergarten mit meinen Kindern umgehen.« Berater: »Was ist Ihre schlimmste Befürchtung?«

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III. Bearbeitungs- und Lösungsebene finden

Frau K.: »Dass sich meine Kinder nicht wohl fühlen und sich dort nicht weiterentwickeln.« Berater: »Angenommen, ich würde Ihren Mann fragen. Wann ist für Ihren Mann der passende Zeitpunkt gekommen, die Kinder in die Tagesbetreuung abzugeben? Was würde er mir antworten?« Frau K.: »Er traut den Kindern den Eintritt jetzt schon zu. Und darum fällt es ihm leichter, sie auch schon loszulassen.« Berater: »Angenommen, ich würde Ihre Zwillinge fragen, was glauben Sie, wünschen sich die beiden?« Frau K.: »Ich glaube, die beiden würden sagen, dass sie sich darauf freuen, mit anderen Kindern spielen zu können. Es wäre ja nur der Vormittag und dann wäre Mama oder Papa auch wieder für sie da.« Berater: »Sowohl Ihr Mann als auch Ihre Kinder scheinen für den Kindergarteneintritt zum jetzigen Zeitpunkt zu sein. Was könnte Ihnen helfen, die Verantwortung für vier Stunden am Vormittag guten Gewissens abzugeben und Ihre Kinder den Erzieherinnen anzuvertrauen?« Frau K.: »Um ihnen vertrauen zu können, müsste ich sie besser kennenlernen und wissen, wie sie arbeiten und wie ihre Vorstellungen von Erziehung sind.« Berater: »Was können Sie tun, um sich ein persönliches Bild von den Erzieherinnen zu machen?« Frau K.: »Ich könnte um einen Gesprächstermin bitten und den Kindergarten besuchen.«

Stereotype Des Weiteren kann es hilfreich für Sie sein, stereotype Bilder

und Vorstellungen des Kunden abzurufen, um eindimensionale Sichtweisen zu erweitern. Die folgende Darstellung zeigt vier mögliche Stereotypen im Umgang mit dem Thema »Krise« (nach Arbeitsmaterialien des IFW). Stellen Sie sich vor, die Figuren des Narren, des Weisen, des Ermutigers und des Gerechten durch eine entsprechende Brille zu sehen. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525490969 — ISBN E-Book: 9783647490960

2. Blickwinkel erweitern

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In der Krise trete ich auf die Bühne, spiele den Existentialisten, werfe alles durcheinander, was zuvor gewesen ist. Mit meinem bunten Gewand bringe ich Farbe ins Schauspiel; die Glocken an meiner Mütze irritieren und bringen Töne ins Gehör, die nie zuvor da gewesen sind. Die Chance in meiner Person ist, dass gewohnte Denkmuster bei mir nicht mehr greifen. Wer mich erfassen will, muss um die Ecke und von da aus quer durch den Raum. Humor und Kreativität sind meine Stärken, bei mir kann es auch ganz anders sein.

Abbildung 10: Der Narr

Der Narr ist charakterisiert durch Chaos, Humor, Durcheinander, Kreativität und Musterunterbrechung.

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III. Bearbeitungs- und Lösungsebene finden

Aufgrund meiner Erfahrung kann ich Krisen einordnen. Ich bin vertraut mit ihren Phasen. Jeden einzelnen Akt verbinde ich mit möglichen Handlungsweisen. Ich bin intuitiv und lasse mich von der Stimmung und den Dialogen leiten. Körper, Geist und Seele bringe ich in Einklang mit Weisheiten und Geschichten aus dem Leben. Ich weiß, dass ich nichts weiß, und darum bin ich weise.

Abbildung 11: Der Weise

Der Weise ist charakterisiert durch Erfahrung, Intuition sowie Einklang von Körper, Geist, Seele und Weisheit.

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2. Blickwinkel erweitern

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Ich bin der »NibelungenSiegfried« der Krise. Ich scheue mich nicht, denn ich bin gestärkt durch das Wissen der Vielfalt. Mein Charakter ist gekennzeichnet durch Wertschätzung und Lebenslust, die ich auf der Bühne frei entfalten kann. Der Glaube an die Selbstorganisation meiner Mitspieler ermutigt mich, Ressourcen zu finden, hervorzuheben und wirken zu lassen. Die Verantwortung dafür kann ich gut abgeben.

Abbildung 12: Der Ermutiger

Der Ermutiger ist charakterisiert durch Vielfalt, Wertschätzung, Lebenslust, Glaube, Selbstorganisation und Ressourcen. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525490969 — ISBN E-Book: 9783647490960

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III. Bearbeitungs- und Lösungsebene finden

Der Verlauf des Lebens ist mir zu eigen. Ich achte darauf, dass keiner zu kurz kommt. Jeder hat im Rahmen der natürlichen Ordnung seinen Platz. Dabei bin ich nicht dogmatisch, eher würdigend für das, was die Zeit gebracht hat. Ich erkenne das an, was war, und versuche im Hier und Jetzt eine Lösung für die Krise zu finden. Ich bin der Hüter der Gerechtigkeit.

Abbildung 13: Der Gerechte

Der Gerechte ist charakterisiert durch natürliche Ordnung, Würdigung, Lösung, Gerechtigkeit.

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3. Blickwinkel verengen

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3. Blickwinkel verengen Die vielfältigen Möglichkeiten, die in der Kooperation zwi- Reduktion schen Ihnen und Ihrem Kunden erarbeitet wurden, gilt es, an dieser Stelle zu reduzieren. Auch hier ist es erneut von Bedeutung, die Veränderungsmotivation und das Beratungsziel zu überprüfen. Im Gegensatz zur Erweiterung, die mit Hilfe der Beratung den Systemrahmen vergrößert, bietet die Reduktion die Chance auf Klarheit und die Umsetzbarkeit von neuen Handlungsstrategien. Die im Rahmen des Prozesses neu gefundenen Lösungen müssen von Ihrem Kunden oder Klienten im realen Lebenskontext erprobt werden. Hilfreiche Fragen, die die erarbeiteten Ergebnisse bündeln, können sein: »Was wird im Hier und Jetzt benötigt?« »Welche Handlungsalternative ist für Sie die brauchbarste?« »Wenn Sie sich für nur eine Lösung entscheiden müssten, welche wäre es?« »Welche Entscheidung bringt für Sie den größten Gewinn?« »Was wird der erste Schritt sein, was wäre der zweite und was kann dann weiter folgen, um Ihr Ziel zur erreichen?« »Was ist der kleinste gemeinsame Nenner, den Sie sich vorstellen können?« Den Blickwinkel zu verengen, kann gleichzeitig bedeuten, dem Klienten eine enge Struktur an die Hand zu geben. Bei einigen Klienten kann es hilfreich sein, dass Sie den Blickwinkel auf das beschränken, was ihm vertraut und förderlich zu sein scheint. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, die systemstabilisierende Bedeutung des Ist-Zustands wertzuschätzen und Ihren Kunden in seinem Leidensdruck wahrzunehmen. Damit kann ein Bild von Veränderung und sinnvoller Lösung ohne Bedrohung möglich werden.

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III. Bearbeitungs- und Lösungsebene finden

Fallbeispiel Ein seit zwölf Jahren verheiratetes Paar kommt zur Paarberatung. Das Anliegen des Paars ist es, sich weniger zu streiten und die gegenseitigen verletzenden Vorwürfe endlich zu beenden. In der zweiten Sitzung beklagt sich die Frau, was ihr alles nicht an ihrem Mann gefällt. Es scheint, dass das Klagen der Frau ein Muster in der Beziehung mit ihrem Mann ist, das sie auch in diesem Gespräch wiederholt. Im Gegensatz dazu zieht der Mann sich immer mehr zurück. Berater: »Was ist Ihnen für heute wichtig?« Frau M.: »Mir geht es mal wieder gar nicht gut und ich bin sehr unglücklich mit meinem Mann. Ständig schaut er Fernsehen und hat kein Ohr für meine Themen. Er ist gar nicht aufnahmefähig, und er zeigt gar kein Interesse für mich. Auch vergisst er immer, an die vereinbarten gemeinsamen Hausarbeiten zu denken. Und dann hat er noch den Geburtstag meiner Mutter vergessen, obwohl er weiß, wie wichtig es mir ist, dass er ihr gratuliert. Nichts interessiert ihn. Und da wir keine Zeit miteinander verbringen, kommt es auch nie zu Zärtlichkeiten. Mein Mann berührt mich nicht, macht mir keine Komplimente und spricht nicht mit mir.« Berater: »Ich habe gehört, dass Sie zurzeit viele verschiedene Themen beschäftigen … Angenommen Sie müssten sich jetzt für ein Thema entscheiden, über das Sie mit Ihrem Mann sprechen möchten, für welches würden Sie sich entscheiden?« Frau: »Das hängt ja alles miteinander zusammen. Kann ich nicht sagen, weiß ich nicht. Ich habe den Eindruck, dass er gar keinen Kontakt mit mir will.« Berater: »Ich finde Ihre Fähigkeit, Verhaltensweisen wahrzunehmen und für sich zu wissen, was Ihnen gut tut, bewundernswert. Und ich kann mir vorstellen, dass es schwierig für Sie ist, Wünsche gegenüber Ihrem Mann zu äußern, bei denen Sie befürchten, erneut © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525490969 — ISBN E-Book: 9783647490960

3. Blickwinkel verengen

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enttäuscht zu werden. Ich glaube verstanden zu haben, dass Sie über das Klagen eine Möglichkeit gefunden haben, trotz Ablehnung mit Ihrem Mann in Kontakt zu kommen. Desgleichen kann ich mir vorstellen, dass Sie eine Idee davon haben, was Ihnen das dringlichste Thema ist. Stellen Sie sich vor, Sie müssten sich jetzt für eins entscheiden, was wäre hilfreich für Sie?« Frau: »Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, ich möchte, dass mein Mann mehr mit mir spricht. Ich will, dass er sich auch für meine Sachen interessiert.« Berater: »Sie möchten also mit Ihrem Mann mehr im Gespräch sein und auch Ihre Gedanken mitteilen. Ich würde jetzt gern Ihren Mann dazu befragen. Herr M., was glauben Sie, woran Ihre Frau merken würde, dass Sie mehr mit ihr in Kontakt kommen wollen?« Herr M.: »Ich weiß nicht, ich bin doch mit ihr in Kontakt.« Berater: »Unsere Beratungszeit neigt sich dem Ende zu. Bis zu unserer nächsten Sitzung möchte ich Ihnen eine Aufgabe mit auf den Weg geben. Versuchen Sie, bis zum nächsten Mal, möglichst wenig miteinander zu sprechen und wenig in Kontakt zu sein.«

Zu Beginn der darauf folgenden Beratung berichtet das Paar, wie es ihnen mit dieser Aufgabe ergangen ist. Herr M. hat es als angenehm empfunden, ungestört nach der Arbeit abschalten zu können. Frau M. hat unter der Isolation gelitten. Der Berater erarbeitet im weiteren Beratungsverlauf mit dem Paar Möglichkeiten, ganz bewusst gemeinsame Zeit zu verbringen, in der beide abschalten können. In diesem Beispiel wird deutlich, dass paradoxe Aufforderungen helfen können, Veränderungsschritte einzuleiten.

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III. Bearbeitungs- und Lösungsebene finden

4. Wirklichkeitsbilder entdecken »Geschichten« Systemische Beratung folgt den Prinzipien des sozialen Kon-

struktionismus, einer Theorie, nach der Wirklichkeit individuell immer wieder neu entworfen werden kann und jeder Systembeteiligte in seiner eigenen Wirklichkeit lebt. Wie subjektiv die eigene Wirklichkeit sein kann, veranschaulicht die Geschichte mit dem Elefanten: Ein Mediator versucht einen Streit zu schlichten. Die Fronten haben sich verhärtet und beide Parteien beharren auf ihrem Standpunkt, in dem Glauben, sie hätten Recht. Der Mediator erzählt die Geschichte von den drei Blinden, die gebeten werden zu beschreiben, wie ein Elefant aussieht. Der erste Befragte hat den Rüssel berührt und beschreibt den Elefanten als langgezogenes, schlangenähnliches, weiches Tier. Der zweite umfasst ein Bein und vergleicht den Elefanten mit einem Brückenpfeiler. Der dritte tastet ein Ohr ab und spricht von einem flunderähnlichen Plattfisch. Die Frage, wer Recht hat, kann nicht so einfach beantwortet werden. Schließlich hat ein Elefant einen langen Rüssel, dicke Beine und große Ohren. Es kommt also immer auf die Betrachtungsweise an. In der Beratung laden Sie Ihren Kunden ein, seine Vorstellung von einem Anliegen zu beschreiben. Durch zirkuläre Fragen ergänzen Sie diese Vorstellung um andere, neue Wahrnehmungen, aus denen die Wirklichkeit konstruiert wurde.

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4. Wirklichkeitsbilder entdecken

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Konstruktivismus Wirklichkeit kann nicht losgelöst von ihrem Betrachter gesehen werden. Anschaulich wird die Bedeutung der Wirklichkeitskonstruktion, wenn beispielsweise der Berater ein Paar einlädt, ihr Erleben auf einer Party zu beschreiben. Häufig könnte man meinen, die beiden seien auf verschiedenen Veranstaltungen gewesen. Die Wirklichkeit wurde von beiden unterschiedlich entworfen. Mittels Sprache haben wir uns auf allgemeingültige Bedeutungszuschreibungen geeinigt, die es uns erleichtern, miteinander in Kontakt zu treten. Die Unterschiedlichkeiten aber machen die Vielfalt in uns aus und sind für Sie als Berater das Kapital, das es gilt, im Beratungsprozess gemeinsam herauszuarbeiten. Die Sprache ist dabei der Schlüssel zur Wirklichkeit. Auch wenn es nur schwer gelingen kann, diese tatsächlich voll zu erfassen, so vermögen wir durch Worte Bilder entstehen zu lassen, mit denen Sie in der Beratungssituation arbeiten können. Die kleinen Nuancen der Zwischentöne sind es, die gemeinsam mit der Sprache, Gestik und Mimik eine Klangsymphonie ergeben.

Die im Rahmen des Beratungsprozesses neu gefundenen Perspektiven können nun konsolidiert werden. Ein geeignetes Beispiel für die Veranschaulichung verschiedener Wirklichkeitskonstruktionen von Menschen ist die Betrachtungsweise moderner Kunst. Was für den einen Ausdruck hoher Kreativität ist, wird von dem anderen lediglich als ein Abfallprodukt angesehen. Ebenso wie die zeitgenössische Kunst abhängig vom individuellen Standpunkt des Betrachters ist, so ist das subjektive Erleben von Wirklichkeit übertragbar auf andere Lebens- und Arbeitsbereiche. Eine leicht anwendbare Methode, um die Wirklichkeitsbilder des Klienten zu erfassen, ist die Ausarbeitung der Systemblüte. Die Ausgangsfrage kann dabei lauten: Wie können Sie als Berater einen bestimmten Kontext des Kunden erfassen?

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Wirklichkeitsbilder

Systemblüte

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III. Bearbeitungs- und Lösungsebene finden

Abbildung 14: Systemblüte (nach Arbeitsmaterialien IFW)

Diese Darstellung einer Systemblüte ergibt ein umfassendes Bild von Subsystemen, Motiven und Aufträgen. Die Systemblüte ist eine Momentaufnahme der gegenwärtigen Lebenssituation. Je nach Bedeutung und Wichtigkeit haben die Blütenblätter unterschiedliche Größen. Leiten Sie Ihren Kunden an, in etwa einer halben Stunde seine Systemblüte zu zeichnen. Diese Methode ist auch bestens als Hausaufgabe geeignet. Jedes Blütenblatt steht dabei für einen bestimmten Kontext und hat sein spezifisches Motto, woraus sich jeweils ein Auftrag ergibt. Darüber hinaus können Sie folgende Fragen stellen: »Wie bewegen Sie sich in den einzelnen Blütenblättern beziehungsweise Kontexten?« »Wie kommen Sie von einem Blütenblatt zum nächsten?« »Welche unterschiedlichen Verhaltensweisen nutzen Sie in den verschiedenen Lebenskontexten?« © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525490969 — ISBN E-Book: 9783647490960

5. Lösungsweg auswählen

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»Was ist dabei förderlich, was eher hinderlich?« »Was nehmen Sie jeweils aus den Blättern mit?« »Wenn Sie ein neues Blütenblatt hinzufügen könnten, welchen Inhalt hätte es?« Form und Gestaltung dieser Methode sind modifizierbar und können an den jeweiligen Kunden angepasst werden. Auch für eine Arbeit an Perspektiven ist diese Form anwendbar. Dabei sollten leere Blütenblätter vorhanden sein, die Raum für Anregungen, Phantasien und Visionen bieten. Letztendlich gilt es zu verstehen, wie Ihre Kunden oder Klienten ihre Wirklichkeit erfassen und konstruieren. Fremde Landkarten können für Sie und Ihren Kunden Metaebene gleichermaßen faszinierend sein. Dabei ist es von Bedeutung, dass Sie die aktuelle Wahrnehmung des Kunden wertschätzen und einen Augenblick dort verweilen. Ebenso müssen Sie als Berater in der Lage sein, mit dem Gesprächspartner unbekanntes Terrain zu erkunden. Eine zu starke Betroffenheit kann den zu Beratenden und auch Sie unbeweglich machen, und der Beratungsprozess kann erstarren. Vor diesem Hintergrund bedeutet professionelle Beratungsarbeit, regelmäßig die Metaebene einzunehmen, indem Supervision genutzt wird oder passende Rituale eingesetzt werden. In der Rolle als Berater sollten Sie sich stets eigene Landkarten vergegenwärtigen und Ihre persönlichen Verhaltensmuster hinterfragen und sie gegebenenfalls verändern.

5. Lösungsweg auswählen Nun kann die Bearbeitungs- und Lösungsebene gefunden Lösungswege werden, indem Sie gemeinsam mit Ihrem Kunden die entworfenen Wirklichkeitskonstruktionen betrachten. Viele Entwürfe wurden produziert oder durch Fragen aktiviert, und Hypothesen haben die Lösungsfindung umfangreicher werden lassen. Das Bearbeiten, Abwägen und Auswählen von verschie© 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525490969 — ISBN E-Book: 9783647490960

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III. Bearbeitungs- und Lösungsebene finden

denen Sichtweisen kann eine längere Zeit in Anspruch nehmen, bevor die in diesem Moment hilfreiche Lösungsebene gefunden wird. KonsoliDie im Bearbeitungsprozess neu gefundenen Haltungen dierung müssen Sie durch reale Impulse überprüfen. Dabei ist durch das Erproben von neuem Verhalten positive Erfahrung notwendig. Ihr Kunde kann seine neuen Sichtweisen an dieser Stelle konsolidieren und förderliche Stabilität entwickeln. Sie sollten ihn dabei unterstützend begleiten. Lieber Leser, dabei ist zu beachten, dass während des Prozesses Sprünge, Schleifen und auch Ehrenrunden möglich sind, die ebenfalls wertgeschätzt werden sollten. Zweifel und Einwände Ihres Kunden oder Klienten sollten nicht als Verweigerung oder Ablehnung verstanden werden, sondern sind wichtige Schritte im Veränderungsprozess. »Auch wer rückwärts geht, kann vorwärts kommen.«

Die in diesem Kapitel verwendeten Methoden – – – –

Arbeiten mit Stereotypen Auftragskarussell Paradoxe Verschreibung Systemblüte

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IV. Impulse geben

1. Zur Veränderung einladen 2. In Bewegung bringen 3. Einen Unterschied machen 4. Veränderung erfragen 5. Ideen entwickeln Kleine Musterunterbrechung – wir verzichten auf eine Vorbemerkung.

1. Zur Veränderung einladen Lieber Leser, laden Sie Ihren Gesprächspartner zur Verände- Intervention rung ein und bitten Sie um Erlaubnis, unbekannte Impulse geben zu dürfen. Impuls steht für Antrieb, Anstoß, Anregung, Ermunterung oder auch Aufmunterung. Ermutigen Sie Ihren Kunden, den Schlüssel im Zündschloss seines Fahrzeugs zur Lösungsfindung umzudrehen und loszufahren. Den Untersatz und den Schlüssel besitzt er bereits, jetzt kann er sich in Bewegung setzen. Geben Sie verschiedene Anregungen, indem Sie beispielsweise provozieren oder bewusst Rollen und Haltungen einnehmen, die den Kunden irritieren. Ermuntern Sie Ihren Kunden oder Klienten, unbeachtete Wege einzuschlagen und neue Pfade zu erkunden. Nachdem Sie sich mit dem zu Beratenden warm gelaufen haben, können Sie mit den Interventionen beginnen. So wie sich der Bergsteiger vor der Wanderung zunächst mit dem Inhalt seines Rucksacks beschäftigt, Wanderschuhe einläuft und die einzelnen Etappenziele festlegt, so wird auch der © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525490969 — ISBN E-Book: 9783647490960

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IV. Impulse geben

Kunde schrittweise und mit einem an ihn angepassten Tempo an die Bearbeitung und Lösungsfindung für seine individuelle Situation herangeführt. Anmerkungen und Verhaltensweisen Ihres Kunden können von Ihnen bewusst aufgegriffen, verstärkt, relativiert oder hinterfragt werden. An der Vielzahl dieser Möglichkeiten merken Sie bereits, dass wir an einem Schritt im Beratungsprozess angekommen sind, der für viele Kunden und Klienten herausfordernd ist. Gewohnte Muster und Verhaltensstrukturen zu verlassen, ist für den zu Beratenden häufig mit Angst vor Ungewissem verbunden. Wer kennt dieses Gefühl nicht? Wenn Sie in sich gehen, werden Sie ebenfalls auf Muster und Strukturen stoßen, die durch die Jahre hinweg gewachsen sind und für Sie einen Sinn ergeben. In den vorangegangenen Kapiteln haben Sie gelesen, dass die Beteiligten eines Systems miteinander in Verbindung stehen. Die Beziehungen untereinander werden über das individuelle Verhalten und die Kommunikation gesteuert. In dieser Phase sollte Ihr Ziel sein, gemeinsam mit dem Kunden Fragen zu bearbeiten wie: Welchen Sinn haben die Verhaltens- und Kommunikationsmuster? Für wen innerhalb des Systems sind sie gut und hilfreich? Wirken sie eher unterstützend oder blockierend? Fallbeispiel Wechselwirkung

Ein Team, bestehend aus drei gleichberechtigten Kundenbetreuern eines Direktmarketing-Unternehmens, arbeitet seit einigen Monaten zusammen. Bedingt durch eine neue Systemeinführung müssen die Prozesse umgestellt und neue Routinen festgelegt werden. Die Umsetzung läuft nicht nach Plan. Die Bearbeitungszeiten verlängern sich, und die Unzufriedenheit ist bei einigen Teammitgliedern deutlich zu spüren. Der Teamleiter, in der Rolle als Berater, lädt alle drei zu einem klärenden Gespräch ein. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525490969 — ISBN E-Book: 9783647490960

1. Zur Veränderung einladen

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Berater: »Mir ist seit Systemeinführung aufgefallen, dass die Prozesse bei euch im Büro nicht mehr so rund laufen. Was hat sich verändert?« Kollege H.: »Ich komme mit dem System nicht klar, es ist nicht logisch aufgebaut, jede Seite sieht anders aus.« Kollege R.: »Es ist ziemlich kompliziert. Bevor ich tatsächlich einen Vorgang schreiben kann, muss ich Tausende von Buttons anklicken; es sollte doch eine Erleichterung werden und keine Verschlechterung.« Kollegin B.: »Und ich habe das Gefühl, dass ich den ganzen Kram allein machen muss, weil ihr euch nicht mit dem System auseinandersetzt.« Berater: »Ich höre viel Frust aus dem Gesagten. Was muss passieren, damit es besser wird?« Kollege H.: »Das System wieder abschaffen.« Kollege R.: »Genau, da wäre ich auch dafür.« Kollegin B.: »Wenn jeder von uns Verantwortung für seinen Arbeitsbereich übernehmen würde, denke ich, könnte es klappen.« Berater: »Jetzt haben wir zwei Positionen. Einige mögen sich nicht vom Alten trennen. Andere erkennen das neue System an, haben aber das Gefühl, mehr zu leisten als die anderen. Was würde euch helfen, das System besser anzunehmen? Und wie könnte eurer Meinung nach eine Arbeitsaufteilung aussehen?« Kollege H.: »Ich finde es zwar nach wie vor noch unlogisch, aber vielleicht kann ich noch an einer Schulung teilnehmen.« Kollege R.: »Oder ein begleitendes Coaching.« Kollegin B.: »Wir sollten nochmals genau festlegen, wer was wann und wie tut.« Berater: »Das sind doch schon ganz konkrete Vorstellungen. Kollege H., wie oder wodurch entsteht Logik für dich?« Kollege H.: »Indem die Dinge für mich einen Sinn ergeben und ich sie nachvollziehen kann.«

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IV. Impulse geben

Berater: »Wie wäre es, wenn wir die Dinge, die für dich keinen Sinn ergeben, zusammenfassen und du sie mit in die Schulung nimmst und gemeinsam mit dem Trainer versuchst, Lösungen dafür zu entwickeln?«

Verände- Die Beratung ist an dieser Stelle noch nicht abgeschlossen. rungs- Der Prozess wird weitergeführt werden müssen, bis alle Beprozesse

teiligten sich mit dem neuen System und Prozessen angefreundet haben. Dies ist ein klassisches Beispiel von Veränderung im Profit-Bereich, in dem häufig althergebrachte Prozesse durch neue Systemeinführungen automatisiert, transparenter gestaltet oder ersetzt werden. Viele Chefs kennen diesen Sachverhalt bereits aus ihrer Erfahrung; junge Teams geraten damit vermeintlich in eine Sackgasse und müssen erst einen spezifischen Ausweg finden. Die Motivation geht gegen Null. Das Neue wird oder will nicht angenommen werden. Menschen, für die das Glas halb voll ist, werden sich leichter mit neuen Anforderungen anfreunden können als Personen, für die das Glas halb leer ist. Welche Strategie wählen Sie aus, um alle wieder ins Boot zu holen? Was kann förderlich sein, um das Team oder den Bereich wieder auf das Ziel des Unternehmens auszurichten? Je eher Sie als Berater den Prozess begleiten, umso leichter haben Sie es mit der Steuerung der Teammitglieder. Weitere Fragen, die in solch einer Sackgasse hilfreich sein können: »Was bereitet Freude?« »Was ist bekannt?« »Wie würde er oder sie jetzt gerne handeln?« »Wenn es einen Ausweg geben würde, in welche Richtung würde er führen?« »Wer oder was könnte bei einem Ausbruch aus der Sackgasse behilflich sein?« »Was befindet sich vor und hinter der Sackgasse?« »Wann befanden sie sich zum letzten Mal in einer Sackgasse?« »Wie haben Sie sich damals zurechtgefunden?« © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525490969 — ISBN E-Book: 9783647490960

1. Zur Veränderung einladen

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»Wenn ich Ihren Partner fragen würde, welche Lösung würde er vorschlagen?« »Wenn Sie eine Lösung hätten, wie würde die aussehen?« Zur Veränderung einladen, sich in Bewegung bringen, beschreibt den Teil des Beratungsprozesses, in dem es konkret um die Verhaltensänderung des Kunden und der anderen Beteiligten geht. Sie kennen vielleicht die Situation: Sie sitzen lange am VerändeSchreibtisch vor dem Computer, der Rücken schmerzt, weil rungsimpuls er es nicht gewohnt ist, lange aufrecht in einer Position zu verharren. Was tun Sie? Sie verändern Ihre Sitzposition, Sie verlassen den Arbeitsplatz oder Sie lenken sich mit einer anderen Beschäftigung ab. In jedem Fall verbessern Sie etwas, weil Sie in der schmerzhaften Position am Schreibtisch nicht mehr produktiv sein können. Ebenso wird Ihr Kunde für sich sorgen; ein einfaches Beispiel dafür, dass nur er selbst etwas an seiner Situation verändern kann. Um eine Erleichterung zu erhalten, muss eine Veränderung stattfinden. Diesen Wandel zu initiieren, ist ihre Aufgabe als Berater. Im folgenden Kapitel werden wir Ihnen Möglichkeiten an die Hand geben, die verschiedene Handlungsschritte einleiten können. Der Berater wählt eine angemessene Methode für den zu Beratenden und das geschilderte Anliegen aus. Der Kunde wird – an den bisherigen Beratungsprozess angelehnt – eingeladen, etwas zu verändern. Detaillierte Informationen und Erklärungen sind an dieser Stelle nicht notwendig, da sich durch das Erleben und Bearbeiten der Fragen Antworten von selbst ergeben. Das Einverständnis des Kunden einzuholen, stellt für den zu Beratenden selbst und auch für Sie als Berater sicher, dass er zum jetzigen Zeitpunkt bereit ist, den bisherigen Zustand zu verändern. Stoßen Sie den Veränderungsprozess an mit einer Frage wie: Ich möchte Sie gern dazu einladen, jetzt etwas anders zu tun als bisher, sind Sie bereit dazu?

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IV. Impulse geben

2. In Bewegung bringen Verwirrung Wie entsteht Bewegung, und was kann sich verändern? Er-

innern Sie sich an das Bild vom Mobile aus dem III. Kapitel. Zog man an einem Ende, übertrug sich die Kraft und Bewegung auf alle anderen Teile des Systems. Mit diesem physikalischen Verständnis beschreibt die systemische Theorie das Zusammenspiel von verschiedenen Anteilen in einem System. Das Wechselspiel der miteinander verbundenen Teile bedingt sich durch Geben und Nehmen, durch Aufnahme und Abgabe, so dass die eingesetzte Energie im System wirkt. Durch die Möglichkeit, in Bewegung zu kommen, kann das Klientensystem flexibel werden und gestattet mögliche Verhaltensänderungen. Muster können beispielsweise unterbrochen werden, indem Handlungsweisen umgedeutet, unterlassen, verstärkt, ersetzt oder transformiert werden. So kann ein bestimmtes Verhalten eines Teammitglieds, das zuvor vielfach für Ärger und Aufruhr gesorgt hat, positiv umgedeutet werden, so dass es seine negative Zuschreibung verliert. Fallbeispiel Ein Teamleiter erhält in der letzten Zeit verstärkt Beschwerden über das Verhalten einer Kollegin. Sie sei unfreundlich, ließe einen nicht ausreden, verhalte sich vorlaut und wisse immer alles besser. Ihre nächste Chefin ist ebenfalls unzufrieden und hat das Gefühl, die Kollegin würde sie in ihrer Rolle nicht mehr akzeptieren. Der Teamleiter in der Rolle als Berater lädt die »auffällige« Kollegin zu einem Gespräch ein. Berater: »Schön, dass du die Zeit gefunden hast, mit mir ein Gespräch zuführen. Wie geht es dir?« Kollegin Z.: »Ach ja, so lala, könnte besser sein.« Berater: »Woran liegt es?« Kollegin Z.: »Privater Stress.« Berater: »Magst du darüber reden?« Kollegin Z.: »Es fällt mir nach wie vor schwer, meine Tochter allein zu erziehen. Ich habe das Gefühl, zu we© 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525490969 — ISBN E-Book: 9783647490960

2. In Bewegung bringen

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nig Zeit für sie zu haben. Und die neuen Servicezeiten haben das Ganze nur noch verschlechtert.« Berater: »Wie äußert sich dieser Stress?« Kollegin Z.: »Ich bin unausgeglichen.« Berater: »Hat die Situation Auswirkungen auf die Arbeit?« Kollegin Z.: »Wie meinst du das?« Berater: »Wenn ich deine Kollegen jetzt fragen würde, wie die dich in der letzten Zeit erlebt haben, was würden die mir antworten?« Kollegin Z.: »Die würden sagen, mit der hatte ich ganz schön viel Stress in der letzten Zeit.« Berater: »Wie empfindest du diese Situationen?« Kollegin Z.: »Als unangenehm.« Berater: »Was wäre für dich eine angenehme Situation?« Kollegin Z.: »Wenn ich das Gefühl haben würde, akzeptiert zu werden.« Berater: »Was denkst du, wer akzeptiert dich am wenigsten aus dem Team?« Kollegin Z.: »Wahrscheinlich meine Chefin?« Berater: »Kannst du mir eine Situation schildern, in der du das Gefühl hattest, nicht von ihr akzeptiert zu werden?« Kollegin Z.: »Ich hatte letztens einen Verbesserungsvorschlag gemacht, den sie mit den Worten ›das brauchen wir nicht, das ist vom Auftraggeber nicht erwünscht‹ abgeschmettert hat.« Berater: »Wie hätte sie mit der Situation deines Erachtens umgehen sollen?« Kollegin Z.: »Sie hätte es etwas netter verpacken können.« Berater: »Wie hätte das Paket denn aussehen müssen, wenn es netter verpackt sein sollte?« Kollegin Z.: »Vielleicht ein bisschen bunter.« Berater: »Was würde deine Chefin sagen, wenn ich ihr die von dir geschilderte Situation vortragen würde?« © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525490969 — ISBN E-Book: 9783647490960

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IV. Impulse geben

Kollegin Z.: »Wahrscheinlich würde sie es abstreiten.« Berater: »Dann hätte ich zwei verschiedene Versionen. Wie würdest du dann an meiner Stelle reagieren?« Kollegin Z.: »Schwierig, wahrscheinlich keinem von beiden Recht geben.« Berater: »Was wäre jetzt eine angemessene Lösung für dich, nach unserem kurzen Gespräch?« Kollegin Z.: »Ich glaube, ich spreche sie nochmals darauf an.«

direkte Dieses Gespräch wird sicherlich fortgeführt. Die Kollegin ist, Kommu- aufgrund ihrer privaten Situation, unausgeglichen und übernikation

fordert. Das Verhalten wirkt sich infolgedessen auch auf ihr Arbeitsumfeld aus. Wichtig für Sie – an dieser Stelle als Chef in beratender Funktion – ist es, den Faden aufzunehmen, um Lösungen zu entwickeln, bevor sich diese hinderlichen Strukturen verfestigen. Konfliktreiche Situationen in Arbeitssystemen sind an der Tagesordnung. Umso wichtiger ist es, mit transparenten Strukturen und klaren Rahmenbedingungen zu arbeiten. In dem eben beschriebenen Beispiel ist es mit Blick auf die Gesamtorganisation hilfreich, die nächst höhere Hierarchiestufe der Kollegin über den Inhalt des Gesprächs zu informieren. Damit werden die Führungsprinzipien des kommunikativen Ordnungsdreiecks gewahrt. Als Faustregel gilt, bei Konflikten wenn möglich über den direkten Chef zu gehen. Im Schema der Abbildung 15 kommt ein kommunikatives Grundprinzip zum Tragen: Je direkter die Systemmitglieder miteinander kommunizieren, umso »gesünder« das System (nach Virginia Satir). Bei Konflikten sollten Lösungsmöglichkeiten zunächst über den direkten Chef gesucht werden.

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2. In Bewegung bringen

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Abbildung 15: Kommunikatives Ordnungsdreieck

Weitere verwendbare Fragen in diesem Zusammenhang können sein: »Welchen Sinn hat das Verhalten der Kollegin?« »Wer reagiert am auffälligsten im Team?« »Was würde passieren, wenn die Kollegin anders als gewohnt reagierte?« »Was müsste passieren, damit es für die Kollegin leicht wäre, eine veränderte Haltung einzunehmen?« »Welchen Nutzen hat das Team von dem Verhalten der Kollegin?« »Wie würde die Tochter der Kollegin die Situation empfinden?« »Über wen oder was werden die Kollegen als nächstes sprechen, wenn der Konflikt nicht mehr vorhanden ist?« »Wie sollte die Kommunikation idealerweise innerhalb des Teams laufen?« Sie als Berater wählen eine geeignete Methode aus, um die MethodenSystembeteiligten zu aktivieren. Die Methodenauswahl ist auswahl nicht nur abhängig von der Persönlichkeit des Klienten, sondern auch von seinen Vorerfahrungen und seiner Experimentierfreudigkeit. Mimik und Gestik sind für Sie ein wichtiger Seismograph © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525490969 — ISBN E-Book: 9783647490960

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IV. Impulse geben

für die Wirkung der Interventionen im fortlaufenden Prozess. Auch beim Nachfragen sollten Sie sich der Reaktion des Kunden bewusst sein und ihn gegebenenfalls unterstützend begleiten. Folgende Fragen können Ihr Verständnis für die Wirklichkeit des zu Beratenden vertiefen. Gleichzeitig wird die Wahrnehmung des Kunden für die eigene Situation geschärft, indem genau nachgefragt wird: »Können Sie mir das bitte näher erläutern?« »Welche Auswirkungen hatte das?« »Wie genau stellt sich die Situation für Sie dar?« »Sie sind gerade sehr berührt, was beschäftigt Sie?« »Ihr Bein bewegt sich die ganze Zeit. Ich habe das Gefühl, als seien Sie auf dem Sprung, wenn ich fragen darf, wohin?« »Als Sie eben gerade von Ihrer Kollegin erzählten haben, mussten Sie sich zweimal kurz hintereinander räuspern, verschlägt diese Frau Ihnen die Sprache?« »Wenn Sie von Ihrem Chef erzählen, sehen Sie die meiste Zeit auf den Boden, was könnten Sie entdecken, wenn Sie ihm in die Augen sehen würden?« Gegenstands- Die Methode der Gegenstandsskulptur kann den zu Beraskulptur tenden im wahrsten Sinne des Wortes in Bewegung bringen.

Sie können mit Ihrem Kunden aufstehen, an einen anderen Platz gehen, die Position erhöhen, erniedrigen, symbolische Gegenstände nach einer bestimmten Fragestellung im Raum anordnen. Diese Methode ist besonders in Situationen geeignet, in denen es notwendig erscheint, etwas Abstand zu dem bisherigen Beratungsgespräch herzustellen und die Ebene der nonverbalen Kommunikation zu nutzen. Das Sprechen über die Dinge wird mit dem Aufstellen von Gegenständen, denen bestimmte Personen, Rollen, Muster, Wünsche und Aufträge zugesprochen werden, visuell unterstützt. Bei dieser Arbeitsweise werden neben der sprachlichen Ebene noch andere Kommunikationsformen genutzt. Der Kunde wird aktiv aufgefordert, seine momentane Wahrnehmung der Situation nachzubilden. Das Herauslösen einer verfestigten Perspektive auf eine andere, spielerische Ebene © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525490969 — ISBN E-Book: 9783647490960

2. In Bewegung bringen

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kann sehr befreiend von den Kunden empfunden werden. Stellen Sie mit Hilfe von Fragen dabei sicher, dass die Auswahl der Gegenstände dem derzeitigen Erleben des Kunden entsprechen. Jedes Objekt kann genutzt werden, da es durch den Kunden eine individuelle, auf das jeweilige Anliegen passende Bedeutungszuschreibung erhält. Nutzen Sie einfach Dinge, die sich in Reichweite befinden, beispielsweise Stifte, Tassen, Pflanzen, Flaschen, Obst, Süßes. Professionelle Berater führen in ihrem Gepäck häufig zusätzliche Hilfsmittel, wie ein Familienbrett oder Schachfiguren mit sich. Ziel dieser Methode ist ein distanzierter Blick auf eine bestimmte Situation, die sich auf die Vergangenheit, die Gegenwart oder die Zukunft beziehen kann. Der Berater lädt den zu Beratenden zu einem Experiment ein. Er bittet den Kunden, aus den vorhandenen Gegenständen die eben beschriebene Situation nachzustellen: Suchen Sie sich für jedes Ihrer Familienmitglieder eine passende Form aus und ordnen Sie diese auf dem Tisch an. Einleitende Fragen zum Auswahlprozess können sein: »Welche Figur wählen Sie aus?« »Welche Anordnung auf dem Tisch entspricht Ihrem inneren Bild?« »Welche Figur passt gerade zu Ihnen?« »Welche Form würden sie der beschriebenen Situation geben?« »Welche Gegenstände fehlen noch?« »Welche Gegenstände sind Ihnen besonders wichtig?« »Wodurch unterscheiden sich die Formen voneinander?« »Möchten Sie an dem Bild noch etwas verändern?« Für weitere Fragestellungen und Hypothesen können Nähe Skulpturund Distanz der Gegenstände untereinander hilfreiche Indi- arbeit katoren sein. Wie nah stehen die einzelnen Objekte zueinander? Welche Position nehmen die Gegenstände ein, und auf was wird der Blick gerichtet? Oder was soll gesehen werden? Sie können auch Dynamik in die Skulptur bringen: Was müsste passieren, damit die beiden Gegenstände sich aufein© 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525490969 — ISBN E-Book: 9783647490960

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IV. Impulse geben

ander zu bewegen können? Was steht zwischen ihnen? Leiten Sie Ihren Kunden an, diese Hindernisse zu benennen und zu positionieren. Beachten Sie dabei stets, dass die Anordnung von Gegenständen nur eine Momentaufnahme des Hier und Jetzt ist und keine Relevanz für den morgigen Tag haben muss. Für einen Beratungszyklus mit mehreren Einheiten kann es sinnvoll sein, diese Momentaufnahmen zu fotografieren. Zu einem späteren Zeitpunkt können sie erneut eingebracht und folgende Fragen gestellt werden: Was hat sich gegenüber dem damaligen Bild verändert? Und was hat dazu geführt? Wie bei der Hypothesenbildung ist die Methodenwahl als Angebot zu verstehen. Sollte ein für den zu Beratenden förderliches Resultat ausbleiben, ist ein Methodenwechsel hilfreich, ohne dabei die Methode an sich zu hinterfragen. Während dieser Prozessphase ist es grundlegend, dass Sie den Kunden für seine körperlichen und emotionalen Reaktionen sensibilisieren. Rationale Erklärungs- oder Ablenkungsversuche des Kunden können Sie durch vertiefende Fragen nach körperlichen Empfindungen und Gefühlszuständen regulieren. Hilfreiche Fragen, um die Aufmerksamkeit zu schärfen, können sein: »Welches Gefühl löst diese neue Situation bei Ihnen aus?« »Wo ist dieses Gefühl in Ihrem Körper lokalisiert?« »Woher kennen Sie dieses Gefühl?« »Wann haben Sie das letzte Mal in dieser Form reagiert?« »Und was haben Sie danach getan? »Welchen Namen trägt das Gefühl?« »Wenn Sie dem Gefühl eine Form geben müssten, welche wäre es?«

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3. Einen Unterschied machen

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3. Einen Unterschied machen Bringen Sie etwas Altes, Neues, Unbekanntes oder Vertrautes Unterschied ein, um dem Kunden oder Klienten einen Unterschied zum Bisherigen zu verdeutlichen. In diesem Schritt geht es darum, dem Klienten eine andere Perspektive zu ermöglichen, indem ein erster kleiner Schritt in Richtung Veränderung eingeleitet wird. Hier können Sie Ihr ganzes Spektrum an neugierigen, kreativen und verstörenden Fragen anwenden. Arbeiten Sie in Zusammenarbeit mit dem Kunden Unterschiede heraus. Grenzen Sie währenddessen verschiedene Verhaltensweisen klar voneinander ab, indem Sie den Kunden unterstützen und nachteilige Handlungsstrategien überprüfen. Fallbeispiel Ein auffälliger Jugendlicher P., der Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben hat, wird wenig bis gar keine Motivation haben, in seiner Freizeit ein Buch zu lesen. P. zeigt typische Vermeidungsstrategien, die zu Misserfolgen führen und einen geringen Selbstwert produzieren. Jetzt heißt es, gemeinsame Strategien zu entwickeln, die diese Spirale durchbrechen und positive Erlebnisse oder Perspektiven einführen. Hilfreiche Fragen, die Sie sich als Berater stellen, können sein: Welche Stärken hat der Jugendliche? Was begeistert ihn? Wo liegt seine eigene Motivation? Welche Erfolge hat P. in der vergangenen Zeit gehabt? Wie hat er sich in vergleichbaren Situationen verhalten? Welche Wechselwirkungen bestehen zur Herkunftsfamilie? Unter welchen Bedingungen vermeidet er nicht? Welchen Gewinn hat der Jugendliche durch die Vermeidung? © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525490969 — ISBN E-Book: 9783647490960

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IV. Impulse geben

Angenommen, er würde nicht vermeiden, was könnte er anstelle dessen tun? Mit einer vorurteilsfreien Haltung weisen Sie den zu Beratenden auf andersartige Ideen oder Handlungsmöglichkeiten hin, ohne dabei zu werten. In der Position des Ideengebers entwickeln Sie Ihre Gedanken in der Ich-Form. Durch das Hervorheben verschiedener Sichtweisen der beteiligten Personen machen Sie einen Unterschied, der es dem Kunden ermöglicht, von seiner einseitigen zu vielseitigen Handlungsperspektiven zu gelangen. Arbeiten Sie bewusst mit unterschiedlichen Ideen, die irritierend und bereichernd zugleich sind. Der zu Beratende wird die für ihn interessanten Anregungen aufgreifen und im weiteren Prozess nutzen können. MusterZiel der Intervention ist es, einen für den Kunden nachunter- vollziehbaren und erstrebenswerteren Unterschied zu dem brechung bisherigen Zustand zu erzeugen. Ihre Aufgabe als Berater ist es, die Kommunikationsmuster Ihres Kunden oder Klienten zu beobachten und zu spiegeln. Wenn sich Ihr Kunde im Kreis dreht, können Sie beispielsweise den Dialog unterbrechen, indem Sie Ihren Gesprächspartner bitten, den Platz zu wechseln, ihn auffordern, Blickkontakt aufzunehmen, oder »Stopp« sagen und ansprechen, was Sie gerade zum wiederholten Mal beobachtet haben. Ein weiterer Schritt ist es dann, den Kunden etwas Neues ausprobieren zu lassen, um einen Unterschied zur eingespielten Kommunikation zu machen. An dieser Stelle ein paar Fragen, die einen Unterschied machen: »Wenn ich an der Stelle von Herrn X wäre, würde ich mich ebenfalls so verhalten. Es könnte nämlich sein, dass …« »Was wäre anders, wenn Sie sich für diese Lösung entscheiden würden?« »Wer würde es als Erster bemerken? Und wer als Zweiter?« »Welchen Gewinn hätten Sie, wenn Sie sich für diese Lösung entscheiden würden?« »Mit welchen Worten würde Ihr Partner diese Lösung beschreiben?« © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525490969 — ISBN E-Book: 9783647490960

3. Einen Unterschied machen

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»Welche Lösung wäre vollkommen abwegig?« »Welchen Buchtitel würden Sie Ihrer Lösung geben?« »Wie könnte eine mögliche Rezension Ihres Titels lauten?« Eine weitere Möglichkeit, einen Unterschied zu machen, ist Ausnahmen die gezielte Frage nach Ausnahmen. Vielfach kreisen die Gedanken des Kunden um die gleiche Problematik, und Schwierigkeiten werden als feststehend erlebt. Positive Ausnahmen, die einen Unterschied ergeben, können in dieser Phase bewusst gemacht und in das persönliche Handlungsrepertoire aufgenommen werden. Im Folgenden ein paar mögliche Gesprächssituationen hierzu: Ehefrau: »Mein Mann vergisst immer, den Kaffee nachzukaufen.« Berater: »Wann haben Sie das letzte Mal vergessen Kaffee zu kaufen?« Berater: »Wann genau hat ihr Mann das letzte Mal vergessen, Kaffee zu kaufen?« Berater: »Vielleicht möchte er in Zukunft gerne Tee trinken?« Sohn: »Immer muss ich meinen Vater anrufen, nie meldet er sich bei mir.« Berater: »Wann hat Ihr Vater Sie das letzte Mal angerufen?« Berater: »Was war der Inhalt des letzten Telefonats mit Ihrem Vater, den Sie positiv bewerten? Worüber haben Sie gesprochen?« Kollege: »Mein Chef hat mir schon wieder die schlechten Zahlen des vergangenen Monats vorgeworfen.« Berater: »Wofür hat Ihr Chef Sie das letzte Mal gelobt?« Kollege: »Ich fühle mich in letzter Zeit mit meiner Arbeit so allein gelassen.« Berater: »In welchen Situationen sind Sie gern allein?«

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IV. Impulse geben

Von besonderer Bedeutung sind die Auswirkungen der Veränderung auf das Gesamtsystem. Eine Verbesserung für eine Person kann Folgen sowohl für nur eine weitere Person als auch für das Gesamtsystem haben; erinnern Sie sich an das Mobile. »Mit gefangen, mit gehangen.« Fallbeispiel Eine Familie befindet sich in einem Beratungsprozess. Anlass sind die Essstörungen der 15-jährigen Tochter. Die gesamte Familie, Vater, Mutter und Geschwister, ist durch die Situation in ein Ungleichgewicht geraten. Missverständnisse, Schuldzuweisungen und Handlungsarmut bestimmen den Familienalltag. Am Ende des Beratungsprozesses kann die Situation der Familie entspannt werden. Neue Verhaltensweisen der einzelnen Familienmitglieder verändern die Zuschreibungen untereinander; beispielsweise wird die alleinige »Schuld« der Tochter mit Blick auf die Konflikte zwischen den Eltern dorthin umgelenkt. Was hat zu einer entspannteren Situation beigetragen? Die Familie hat in einem gemeinsamen Prozess einen Unterschied zu ihrer vorherigen Situation gemacht. Sie hat die Bereitschaft gezeigt, eine Veränderung vorzunehmen, neue Perspektiven einzunehmen, die anders waren als zuvor. Der Unterschied konnte gemacht werden, da die Eltern zu einer veränderten Sichtweise bereit waren.

4. Veränderung erfragen Rück- In dieser Phase des Beratungsverlaufs ist es notwendig, Unkopplung terschiede zum Bisherigen zu erfragen und damit den wei-

teren positiven Beratungsprozess sicherzustellen. Auch hier sind zirkuläre Fragen sinnvoll und unterstützen den Klienten dabei, erarbeitete Unterschiede zu festigen. Indem Sie betei© 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525490969 — ISBN E-Book: 9783647490960

4. Veränderung erfragen

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ligte Personen einbeziehen, wird ein veränderter Blickwinkel ermöglicht, und die problemorientierte Anschauung Ihres Kunden verändert sich. Geeignete Fragen an dieser Stelle des Beratungsprozesses können sein: »Wie war Ihr Verhältnis vor einem Jahr zueinander und was hat sich geändert?« »Wie würden Sie es heute beschreiben?« »Wenn ich Ihre beste Freundin fragen würde, was würde sie mir antworten, auf die Frage, ob eine Veränderung eingetreten ist?« »Wer würde es am ehesten feststellen, wo eine Veränderung eingetreten ist?« »Woran würden Sie erkennen, dass sich etwas verändert hat?« »Wie würde Ihre Tochter die Veränderung beschreiben?« Ebenso wie Sie mittels vielfältiger Perspektiven Unterschiede herausstellen, können Sie auch die Zeit als hilfreichen Faktor nutzen. Was in der Vergangenheit war, muss in der Gegenwart nicht mehr gültig sein. Skalierungen, die im II. Kapitel ausführlicher beschrieben wurden, sind ebenfalls eine moderate Methode, um Unterschiede herauszuarbeiten. Hilfreiche Fragen können sein: »Auf einer Skala von eins bis zehn, wie viel Energie kostet Sie die Situation?« »Und wenn ich Ihren Chef dazu befragen würde, was würde der mir antworten?« »Zu wie viel Prozent ist die von Ihnen gewünschte Situation bereits eingetreten?« »Was denken Sie, wie viel Prozent an Veränderung ist in diesem Monat noch möglich?« »Was muss getan werden, damit Sie eine hundertprozentige Veränderung erreichen?« »Zu wie viel Prozent erhalten Sie Unterstützung aus Ihrem System?«

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IV. Impulse geben

Kreativität Ihrer Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Mit Neugier

und Wertschätzung für das, was sichtbar wird, werden Sie einen geeigneten Zugang zu Ihrem Kunden finden. Neues zu erfragen, Veränderungen zu begleiten und Ressourcen zu mobilisieren, bilden die Grundlage für das Entstehen neuer Zusammenhänge. Unterschied Der Unterschied für Ihren Kunden wird greifbar, indem Sie detaillierte Fragen zu beobachtbarem Verhalten und Abläufen stellen. Je konkreter Sie fragen, umso leichter wird es für den zu Beratenden sein, Antworten zu finden. Bieten Sie verwirrende und stabilisierende Fragen an, um mehr Spielraum für Lösungsalternativen zu schaffen. Mögliche Fragen hierzu können sein: »Wann werden Sie das Verhalten zeigen?« »Wo werden Sie das Verhalten zeigen?« »Wer wird die Veränderung zuerst bemerken?« »Was ist der erste Schritt zur Veränderung?« »Was könnte der zweite Schritt sein?« »Welche Auswirkungen hat die Veränderung auf andere?« »Woran könnte eine dritte Person merken, dass sich etwas verändert hat?« »Was genau werden Sie unterlassen?« Einen Unterschied machen, der einen Unterschied macht In der Beratung gilt es, einen Unterschied zu machen, der einen Unterschied macht. Ein Unterschied ist an einer für den Klienten messbaren Veränderung des zuvor beschriebenen Zustands zu erkennen. Die Veränderung bringt wahrnehmbare Auswirkungen auf das Erleben und die Art und Weise der Kommunikation des Kunden/ Klienten mit den Interaktionspartnern mit sich. Auch wenn die Veränderung minimal ist, kann die Wirkung auffallend sein. Im Gegensatz zu bisher beschriebenen Ausnahmefällen ist erst ein Unterschied gemacht, wenn sich dauerhaft etwas verändert hat: »Unter welchen Umständen ist das Problem nicht aufgetreten?« Sie haben einen Unterschied gemacht, und damit haben sich die Systemregeln verändert.

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5. Ideen entwickeln

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5. Ideen entwickeln Das Ziel dieses Beratungsschritts ist es, Handlungsalterna- Methodentiven für den Kunden erlebbar zu machen, die es ermögli- vielfalt chen, angestrebte Veränderungen durchzuführen. Der systemische Methodenkoffer hält vielfältige Herangehensweisen bereit. Eine grundlegende Methode ist die Skulpturarbeit, die es Ihrem Kunden ermöglicht, die Konstruktion seines inneren Bildes zur Veränderung sichtbar zu präsentieren. Skulpturarbeit Bei dieser erlebnisintensiven Methode visualisiert ein Kunde/ Klient sein Anliegen, indem er die beteiligten Personen oder auch Stellvertreter der Personen seinem inneren Bild entsprechend zueinander in einem Raum aufstellt. Deshalb wird auch häufig von »Aufstellungen«1 gesprochen. Bei dieser erlebnisaktiven Arbeit mit Personen/ Stellvertretern kann weitgehend auf unmittelbare Sprache verzichtet werden. Damit bietet sich diese Methode unabhängig vom Alter, Bildungsstand, Nationalität und den damit verbundenen sprachspezifischen Problemen an. Nachdem der Kunde/ Klient seine Skulptur beendet hat, verweilen die einzelnen Stellvertreter in ihren Positionen und nehmen die Gefühle wahr, die sie in dieser Position empfinden. Anschließend findet eine Mitteilung über diese Gefühle statt. Es können Änderungswünsche geäußert und Vergleiche zu der eigenen Sichtweise aufgestellt werden. Die Methode der Skulptur bewegt sich in einem Grenzgebiet zwischen Therapie und Pädagogik.

Fallbeispiel Ein Teamleiter lässt sich von einem externen Berater zu einer für ihn unangenehmen Situation beraten. Als Mitglied des mittleren Managements verantwortet er 1

Der Begriff »Skulptur« nach Virginia Satir wird bewusst in Abgrenzung zu dem Begriff »Aufstellung« verwendet, da die Autoren sich von den jüngsten Praktiken Bert Hellingers distanzieren.

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IV. Impulse geben

mit sechs weiteren Teamleitern die Produktion des Unternehmens. Im vierzehntägigen Rhythmus trifft sich der Führungskreis unter der Leitung des Managers. Seit geraumer Zeit hat der Teamleiter das Gefühl, sowohl von der Gruppe als auch von seinem Manager in den Besprechungen gestoppt und ignoriert zu werden. Der Berater schlägt als Arbeitsmethode eine Skulptur vor, die dem Teamleiter eine Außenperspektive auf die Situation ermöglichen soll. Berater: »Bitte wählen Sie sich aus den vorhandenen Gegenständen Ihre Kollegen sowie Ihren Chef aus und ordnen Sie diese auf dem Tisch an, so wie Sie die Situation momentan erleben.« Teamleiter: »Egal welche?« Berater: »Greifen Sie intuitiv zu den Figuren und Gegenständen, bei denen Sie erste Assoziationen zur Situation und zu Ihren Kollegen haben.« Nachdem die Figuren oder Gegenstände auf dem Tisch angeordnet sind, wird die abgebildete Situation näher beleuchtet. Berater: »Ist das Bild vollständig, oder fehlen Ihnen noch Personen? Teamleiter: »Nein, ich denke das passt so.« Berater: »Ihr Chef steht sehr nahe bei Ihnen, in welche Richtung sieht er genau?« Teamleiter: »In Richtung der Kollegen.« Berater: »Was würde der Kollege X sagen, wenn ich ihn fragen würde, warum Sie so nah beim Chef stehen?« Teamleiter: »X würde sagen, der war schon immer ein ›Ja-Sager‹.« Berater: »Und Kollege Y?« Teamleiter: »Der würde sagen, wahrscheinlich liegt es an seinen guten Zahlen.« Berater: »Und was würde Ihr Chef sagen?« Teamleiter: »Ich habe Vertrauen zu dem Mann.« Berater: »Und was denken Sie?« © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525490969 — ISBN E-Book: 9783647490960

5. Ideen entwickeln

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Teamleiter: »Ich glaube er schätzt meine Arbeit sehr, umso weniger kann ich verstehen, dass er mich in letzter Zeit in den Besprechungen so wenig einbezieht.« Berater: »Was könnten Sie tun, damit Ihre Stimme wieder gehört wird?« Teamleiter: »Mich vielleicht ein wenig in Richtung der anderen Kollegen positionieren.« Berater: »Wo würden Sie sich am liebsten hinstellen? Bewegen Sie die Figur, die für Sie selbst steht.« Berater: »Und wie ist es jetzt, für Sie?« Teamleiter: »Sieht besser aus.« Berater: »Was denken Sie, wie die anderen Kollegen die Situation empfinden würden?«

Der Kunde gibt seiner inneren Landkarte eine äußere Form und macht sie damit bearbeitbar. Diese Methode kann ebenso mit realen Personen gestellt werden, so dass empfundene Emotionen und Gedanken direkt von den Personen abgefragt werden können. Eine Skulptur mit Personen ist für das Erleben des Kunden intensiver, da nicht er selbst derjenige ist, der Emotionen und Gedanken artikuliert. Stellvertreter geben aus ihrer gestellten Position heraus ihre ganz subjektiven Wahrnehmungen wieder. Als Berater sollten Sie mit großer Aufmerksamkeit verfolgen, welches Bild Ihnen und Ihrem Gesprächspartner präsentiert wird und welche Reaktionen die einzelnen Stellvertreter zeigen. Ebenso bedeutend ist es, im Blick zu haben, was die einzelnen Beschreibungen der Stellvertreter bei Ihrem Kunden bewirken. Wie stehen die Personen zueinander? Wer ist wem zugewandt und wer hat einen festen Stand? In den seltensten Fällen ist es notwendig, das Erlebte zu besprechen. Die Momentaufnahme wird durch die Positionierung von Personen oder Gegenständen bearbeitbar. Eine andere Methode ist die paradoxe Intervention, die durch eine scheinbar widersinnige Aufforderung gekennzeichnet ist. Beispielsweise können Sie dem zu Beratenden eine Aufgabe mitgeben, ein gewohntes Verhalten zu intensi© 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525490969 — ISBN E-Book: 9783647490960

Skulptur

paradoxe Intervention

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IV. Impulse geben

vieren, zu unterlassen oder ein unbekanntes Verhalten auszuprobieren, obwohl es scheinbar seinen Zielen und seinem Veränderungsanliegen widerspricht. Bevor wir uns die Methode genauer ansehen, ein kleines Beispiel hierzu: Kollege: »Immer, wenn ich zu spät komme, gibt es Ärger.« Berater: »Wie oft in der Woche kommen Sie zu spät?« Kollege: »Vielleicht ein bis zwei Mal in der Woche.« Berater: »Dann kommen Sie die nächsten zwei Wochen mindestens drei Mal zu spät.« Berater: »Dann kommen Sie die nächsten Male eine Viertelstunde früher.« Berater: »Was passiert, wenn Sie das nächste Mal gar nicht kommen?« In eingespielten Beziehungsstrukturen wiederholen sich oft bestimmte Verhaltensmuster. Zwischenmenschliche Interaktion zeichnet sich durch Aktion und Reaktion aus – ein lineares Verhalten. Auf diesem Verständnis basierend kann eine überraschende Intervention verstörend oder irritierend auf den Kunden wirken. Fallbeispiel Ein Paar lebt seit vielen Jahren zusammen, beide haben sich angewöhnt, wenig miteinander zu sprechen, geschweige denn zuzuhören. Eine Intervention könnte sein, dem Paar die Aufgabe zu geben, sich voneinander getrennt zu überlegen, was für sie das schönste Erlebnis der Woche gewesen ist. Dies wird dann in einem neu zu schaffenden gemeinsamen Ritual gegenseitig erzählt, ohne es vom Partner kommentieren zu lassen. Eine kurze Intervention, die etwas Neues in die Paarbeziehung einführt. MusterUnter- Eine bewusste Konfrontation zielt auf eine Musterunterbrebrechung chung ab, das heißt, etwas für einen gewissen Zeitraum an-

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ders zu tun, als der zu Beratende es gewohnt ist. Rituale sind ebenfalls eine Möglichkeit, Lösungen zu initiieren, da diese Wiederholungen Struktur, Wertschätzung und eine Form von Sicherheit bieten. Die Musterunterbrechung macht eine Veränderung möglich, indem Verhaltensweisen für einen festgelegten Zeitraum anders erlebt und wahrgenommen werden. Der zu Beratende kommt aufgrund der gemachten Erfahrung zu Entscheidungen und neuen Handlungsstrategien. Aus diesem Grund ist es wichtig, neue Vorstellungen gemeinsam mit Ihrem Kunden zu erarbeiten. Der Kunde kann sich auch dagegen entscheiden und an Altem festhalten. Das bedeutet nicht, dass Altes schlecht ist. Die Betrachtung ist grundsätzlich wertneutral, und Traditionen und Rituale können stabilisierend und hilfreich sein. Die bewussten und unbewussten Gewohnheiten geben Vertrauen und Sicherheit. Veränderte Rituale sind kreative Ideen, die Lösungen initiieren können. Die Verwendung der Methoden sollte unter Berücksichtigung der Anliegen und Ziele des Kunden stattfinden. Eine vertraute Beratungsbeziehung ist für die konstruktive Fallbearbeitung eine Grundvoraussetzung. Das in Bewegung gekommene System impliziert die Chance, Muster zu verändern. Neue Abläufe und Verhaltensweisen werden ausprobiert und in die Art und Weise der Kommunikation des zu Beratenden integriert. In dieser Phase sollten Sie als Berater das zu Beginn des Beratungsgesprächs formulierte Anliegen im Blick haben und es Ihrem Kunden immer wieder vergegenwärtigen.

Die in diesem Kapitel verwendeten Methoden – – – – – – –

Gegenstandskulptur Hausaufgaben Irritation Musterunterbrechung Paradoxe Intervention Rituale Skulpturarbeit © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525490969 — ISBN E-Book: 9783647490960

V. Gespräch abschließen

1. Gespräch zusammenfassen 2. Wichtigste Punkte benennen 3. Ausblick geben 4. Gesprächspartner verabschieden 5. Abschlusskommentar formulieren Sind Sie am Ende eines Beratungsprozesses angekommen? Nach unserem Modell haben Sie jetzt den letzten Schritt der Beratung erreicht. Nach der systemischen Theorie, die sich in der Praxis beweist, kann der Beratungsprozess immer wieder aufgenommen beziehungsweise können Schleifen gedreht werden. Vor dem Hintergrund des stetigen Wandels, den die Veränderung mit sich bringt, ist der Verlauf offen. Ihr Kunde kann für die aktuelle Frage eine Lösung gefunden haben, wodurch sich mit neuen Rahmenbedingungen wieder die Ausgangsfrage verändern kann. Wann ist also der passende Zeitpunkt gekommen, um die Beratung abzuschließen? Sie werden es nicht wissen, sondern können es durch Fragen und genaue Prozessbeobachtung herausfinden. Abschluss Nachdem Sie mit dem Kunden eine Beratungsbeziehung eingegangen sind, das Anliegen konkretisiert, die Bearbeitungsebene erweitert und verengt und erste Impulse zur Veränderung gegeben haben, ist es nun wichtig, die Beratung zum Abschluss zu bringen. Der Kunde hat an seinem Anliegen gearbeitet, unabhängig von der Anzahl der Begegnungen mit Ihnen. Wenn der Prozess gut gelaufen ist, hat er Anregungen bekommen und neue Handlungsstrategien entwickelt. Jetzt ist es wichtig, das Erreichte zu würdigen und den Prozess Revue passieren zu lassen, der es dem Kunden ermöglicht hat, die Stationen der Beratung gemeinsam mit Ihnen zu durchlaufen. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525490969 — ISBN E-Book: 9783647490960

1. Gespräch zusammenfassen

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Wie im I. Kapitel erwähnt, sollte die letzte Einheit, wenn es sich um einen Beratungsverlauf mit mehreren Terminen handelt, Ihren Kunden nicht überraschen. Der gemeinsame Beratungszyklus wurde am Anfang des Prozesses festgelegt, so dass der Abschlusstermin für Sie und den zu Beratenden zeitlich bekannt und somit transparent ist. Als Vorbereitung sollte der Termin rechtzeitig erwähnt werden. Ein wesentliches Merkmal der systemischen Beratung ist Abschlussdie Abschlussintervention. Eine Form der Abschlussinterven- intervention tion ist der Abschlusskommentar, der für den Kunden das Beratungsangebot positiv beendet. Der Abschlusskommentar beinhaltet Anteile von Bestätigung und Anerkennung für den Kunden, die konstruktiv ergänzt werden sollten. Durch das Erzählen einer Geschichte oder das Nutzen von Metaphern wird der Kommentar abgerundet. Die Intervention zielt weniger auf direkte Verhaltensänderung, sondern eher auf ein wertschätzendes Fazit. Es können auch Beobachtungsaufgaben enthalten sein. Wichtig bei der Abschlussintervention ist, dass Sie an das Beratungsgeschehen ankoppeln. Dazu ist es notwendig, dass nur das aufgegriffen wird, was in den Beratungen besprochen wurde. Wenn möglich, sollen Beschreibungen und Bilder des Kunden aufgegriffen werden. Bekanntes und Neues wird miteinander verknüpft, in der Sprache deutlich und in der Aussage kurz und knapp gehalten.

1. Gespräch zusammenfassen Jetzt heißt es, einen würdigenden Abschied zu gestalten. Am Fazit Ende des Gesprächs oder des Beratungszyklus ist es wichtig, den Inhalt der Einheit nachzuzeichnen. Bis hierher sind Sie mit Ihrem Kunden ein gutes Stück gegangen. Der gemeinsame Spaziergang führte durch viele innere Landschaften. Ganz gleich, welche Landschaften Sie mit Ihrem Kunden durchquert haben, schildern Sie die wichtigsten Stationen sowohl aus Ihrer Sicht als auch aus der Sicht des zu Beratenden. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525490969 — ISBN E-Book: 9783647490960

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V. Gespräch abschließen

Der Gesprächsabschluss sollte keine neuen Fragen aufwerfen. Stattdessen sollten Sie als Berater die Arbeit Ihres Kunden würdigen und wertschätzen. Sorgen Sie dafür, dass der zu Beratende gestärkt die Beratung verlässt. Stellen Sie sich den Verlauf der Beratungsstunde wie einen Einkaufsbummel vor, bei dem der zu Beratende nach einem neuen Paar Schuhe Ausschau hält. Er schildert seinen Wunschschuh und seine Maße, dann findet der Kunde ein Modell, das zu ihm passt, und probiert unterschiedliche Farben, Formen und Materialien aus. In welche Richtung er bei der Anprobe läuft, ist für den Lösungsfindungsprozess unerheblich. Von Bedeutung ist die Erfahrung, dass Ihrem Kunden auch andere Schuhe passen und er die Wahl hat, für seine Bedürfnisse das entsprechende Schuhwerk zu finden. Fallbeispiel Ein Teamleiter, in der Rolle als interner Berater, hat zur abschließenden Sitzung eines Optimierungsprozesses eingeladen. In seinem Team war in den vergangenen Monaten eine schlechte Stimmung. Die Qualität der Arbeitsergebnisse sank, und keiner fühlte sich für die täglichen Routinearbeiten verantwortlich. Der Teamleiter entschied sich zu mehreren Workshops, in denen die Mitarbeiter die Möglichkeit hatten, aktiv an ihrer Situation zu arbeiten. Diese Vorgehensweise führte zu der Arbeit an einem verdeckten Konflikt innerhalb des Teams. Einige Teammitglieder hatten das Gefühl, mehr zu leisten als andere. Der Konflikt wurde angesprochen und konnte durch neue Aufgabenverteilung und die Vergabe von Routinearbeiten, die in Arbeitsanweisungen festgehalten wurden, gelöst werden. Berater: »Ich habe euch heute zu unserem Abschlusstermin des Optimierungsworkshops eingeladen, um den Erfolg unserer Arbeit abzufragen. Beim ersten Treffen habe ich euch nach der Zufriedenheit im Arbeitsalltag befragt, ich möchte das Chart gern nochmals zeigen. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525490969 — ISBN E-Book: 9783647490960

1. Gespräch zusammenfassen

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Was ich sehe, ist ein Durchschnitt, der bei fünf Punkten liegt, auf einer Skala von zehn möglichen Punkten. Ich werde euch gleich erneut befragen, nachdem ich unseren gemeinsamen Prozess veranschaulicht habe. Im ersten Treffen haben wir eure Anliegen gesammelt und nach Themen gruppiert. Dabei konnten wir zwei grobe Richtungen identifizieren, zum einen die Arbeitsorganisation und zum anderen einen Konflikt persönlicher Natur. An beiden Themen wurde gearbeitet, erste Lösungen wurden in einem Protokoll festgehalten und allen zur Kenntnisnahme zugesandt. Im zweiten Treffen wurde weiter an den Lösungen gearbeitet und ein Maßnahmenkatalog gemeinsam verabschiedet. Seitdem sind acht Wochen vergangen. Nun stellt sich die Frage, was sich seitdem verändert hat. Auf welcher Höhe der Skala würdet Ihr euch heute einordnen?« Kollege F.: »Ich muss sagen, dass sich unsere Arbeitssituation verbessert hat. Der tägliche Arbeitsablauf verläuft ruhiger, und irgendwie ist es klarer, was zu tun ist. Keiner sagt mehr, ne mach ich nicht, mach du doch. Also ich bin bei einer Acht angekommen.« Kollege L.: »Ich denke auch, dass es besser geworden ist, ich bin bei Sieben.« Kollege W.: »Nachdem wir uns alle in die Augen geschaut haben und das eine oder andere miteinander geklärt wurde, ist es entspannter im Team. Ich bin auch bei Acht.« Teamleiter: »Das ist eine wirklich positive Entwicklung und ein Zeichen für euer Engagement, an einer verwickelten Situation gemeinsam zu arbeiten. Ihr habt Euch alle aktiv in den Prozess eingebracht, der zum Erfolg geführt hat. Was zuvor unter den Tisch gekehrt wurde, kann heute offen angesprochen werden.«

Der Teamleiter in der Rolle als interner Berater ist aufgrund Beraterseiner Position nicht immer wertfrei, im Gegensatz zum ex- rolle ternen Berater. Er handelt abhängig von seiner Funktion und © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525490969 — ISBN E-Book: 9783647490960

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V. Gespräch abschließen

den mit ihr verbundenen Anforderungen innerhalb der Organisation und wahrt somit die Interessen des Unternehmens. Gewinnmaximierung, die durch Effizienzkontrollen und Prozessoptimierungen vorangetrieben werden muss, widerspricht teilweise der Grundhaltung eines systemischen Beraters. Bei der Erfüllung dieser Aufgaben können Entscheidungen getroffen werden, die von der wertfreien Grundhaltung des systemischen Beraters abweichen. Der Vorteil des externen Beraters ist die Unabhängigkeit. Er unterliegt nicht der Dynamik des Systems und kann somit angemessener auf die Bedürfnisse der Teilnehmer eingehen. Eine objektivierende Sicht ist dabei hilfreich. Wesentlich beim ersten Schritt des Abschlusses ist die Zusammenfassung des Bisherigen. Sie als Berater beschreiben wertschätzend, wo sich der zu Beratende gegenwärtig befindet, und benennen seine Lernfortschritte. Dabei stellen Sie den Unterschied, ausgehend von der Beschreibung des Anliegens, zur Darstellung der derzeitigen Situation heraus. Sie konkretisieren den Fortschritt Ihres Kunden, indem Sie veränderte Sicht- und Verhaltensweisen ebenso beschreiben wie Veränderungen in der Kommunikation. Hilfreiche Fragen können sein: »Was hat sich im Vergleich zum Beginn der Beratung verändert?« »Welche positiven Veränderungen können Sie benennen?« »Wie hat Ihre Umgebung auf die Veränderung reagiert?« »Was war für Sie das Wichtigste innerhalb der Beratung?« »Mit welchem Eigenschaftswort würden Sie sich zu Anfang und mit welchem zum Ende der Beratung beschreiben?« »Welchen Nutzen haben Sie aus der Beratung gezogen?« »Was, denken Sie, sollte heute in der letzten Sitzung noch gesagt werden?« »Mit welchem Gefühl möchten Sie heute die Beratung beenden?« »Was können Sie dafür tun, damit wir heute mit einem guten Gefühl auseinandergehen können? Was kann ich dafür tun?« © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525490969 — ISBN E-Book: 9783647490960

2. Wichtigste Punkte benennen

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2. Wichtigste Punkte benennen Nachdem der Beratungsverlauf von Ihnen nachgezeichnet Erfolge wurde, ist es sinnvoll, die Erfolge der gemeinsamen Arbeit zu benennen. Fragen Sie Ihren Kunden, was für ihn während der Beratung besonders hilfreich war. Welche Impulse möchte der zu Beratende weiter verfolgen, und welche Fragen, Wünsche und Ziele haben sich aus der oder den Beratungen ergeben? Sie können abgleichen, wie nah Sie an der Wirklichkeit Ihres Kunden waren und inwiefern Sie einen guten Kontakt zu ihm hatten. Fallbeispiel Ein Berater arbeitet mit einem Jugendlichen, der durch aggressives Verhalten gegenüber Mitschülern negativ aufgefallen ist. Die Eltern haben den pubertierenden Jungen in die Beratung geschickt. Schnell hat der Berater die Eltern hinzugezogen, so dass sich am Ende die gesamte Familie im Beratungsprozess befindet. Im letzten Termin geht es um den wertschätzenden Abschied. Alle Beteiligten haben gut gearbeitet, so dass Lösungen herbeigeführt werden konnten. Berater: »Heute ist unsere letzte Sitzung, und ich würde gern erfahren, mit welchem Gefühl jeder Einzelne von Ihnen heute hier sitzt.« Vater: »Ich fühle mich gut und freue mich auf das, was da noch kommt.« Mutter: »Ich freue mich zwar auch, aber wer weiß, was da noch kommt.« Sohn: »Bin auch froh, dass wir hier waren.« Berater: »Frau E., was war für Sie das Wichtigste in der Beratung?« Mutter: »Zu sehen, dass auch ich meinen Anteil an den Problemen meines Sohnes hatte. Zu erkennen, dass ich durch aufgestellte Verbote den Jungen nur noch mehr in die Abwehrhaltung gedrängt habe.« © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525490969 — ISBN E-Book: 9783647490960

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Berater: »Und was denken Sie, wird für Sie auch nach der Beratung noch ein Thema sein?« Mutter: »Meinen Sohn in seinen Wünschen und Bedürfnissen ernst zu nehmen und nicht immer zu meinen, ich wisse es besser.« Berater: »Herr E., was war für Sie das Wichtigste?« Vater: »Der Moment, als mein Sohn sich von mir in einer Gesprächssituation abwandte.« Berater: »Was genau war das Besondere an der Situation?« Vater: »Ich glaube, ich habe realisiert, dass ich ihn oder wir ihn ständig bevormundet haben und er aber ganz andere Dinge im Kopf hatte.« Berater: »Und welches Thema nehmen Sie mit?« Vater: »Dass unser Sohn langsam erwachsen wird.« Berater: »F. was war für dich das Wichtigste?« Sohn: »Zu wissen, dass ich in Situationen, in denen ich sonst immer ausgerastet bin, auch anders reagieren kann.« Berater: »Nämlich?« Sohn: »Laufen gehen oder versuchen, den Ort zu wechseln, an dem ich mich gerade befinde. In solchen Situationen brauche ich erst einmal Abstand.«

Ziel dieser resümierenden Fragen ist es, das gemeinsame Verständnis der aktuellen Beratungssituation sicherzustellen und den zu Beratenden für Fortschritte und Lernerfolge zu sensibilisieren. Auch an dieser Stelle können Sie Ihrem Kunden Rückmeldung zu seinem Verhalten geben; beispielsweise zur Wirkung seiner Person, seiner Offenheit und Experimentierfreudigkeit.

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3. Ausblick geben

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3. Ausblick geben Im Hinblick auf eine Zeitleiste sind Sie jetzt an dem Punkt Ausblick angelangt, wo der Ausblick in die Zukunft kommt. In den ersten beiden Punkten des Kapitels haben Sie Ihren Kunden durch die Zusammenfassung des Beratungsprozesses und der Nennung der wichtigsten Punkte in die Vergangenheit geführt. Sie befragen Ihren Gesprächspartner zu dem bisherigen Beratungsverlauf und was er noch benötigt, um den Abschluss positiv gestalten zu können. Hilfreiche Fragen können sein: »Was benötigen Sie, um die Beratung abzuschließen?« »Was wird Sie in Zukunft erwarten?« »Was von dem bisher Gelernten war gut und nützlich?« »Auf was möchten Sie besonders achten?« »Was sollte nicht in Vergessenheit geraten?« »Woran möchten Sie weiter arbeiten?« »Die anderen können wir nicht ändern, was können Sie tun?« Fallbeispiel Ein Manager befindet sich in einem Veränderungsprozess. Die Position, die er derzeit ausfüllt, macht ihm zwar nach wie vor Spaß, fordert ihn allerdings nicht mehr heraus. Der Berater hat mit ihm an verschiedenen Ideen gearbeitet. Zwei Varianten haben sich am Ende des Beratungsverlaufs als wichtig herauskristallisiert: Entweder er versucht, seine Position innerhalb des Unternehmens auszubauen, oder aber er orientiert sich extern. Berater: »Zum Schluss möchte ich gern noch konkrete Vereinbarungen mit Ihnen treffen, an die Sie bitte in Zukunft denken. Zwei Varianten stehen momentan im Raum, die Ihre berufliche Motivation wieder ankurbeln könnten. Variante eins, Sie suchen nach Wegen inner© 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525490969 — ISBN E-Book: 9783647490960

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V. Gespräch abschließen

halb der Ihnen bekannten Struktur, oder Variante zwei, Sie suchen Ihr Glück außerhalb des Unternehmens. Ich möchte gern, dass Sie immer dann, wenn Sie der Unmut packt, an eine dritte, vierte und fünfte Variante denken, die wir bisher nicht angesprochen haben.«

Diese Vereinbarungen stehen in Abhängigkeit zum Anliegen und dem jeweiligen Beratungsverlauf und können somit entsprechend angepasst werden. In der systemischen Terminologie wird in diesem Zusammenhang vielfach von Hausaufgaben gesprochen. Hausaufgaben Ziel von Beratung ist die Veränderung, ein Prozess, in dem die Beratung ein Baustein ist. Mit Hausaufgaben kann der Beratungsprozess unterstützend und hilfreich begleitet werden. Mit Hilfe von Aufgaben zu Verhaltensbeobachtungen oder Kommunikationsmustern können Sie als Berater anbieten, dass der Lernprozess Ihres Kunden/ Klienten zwischen den Beratungsintervallen weiter fortgeführt wird. Die Hausaufgaben zeichnen sich oft durch Kreativität und Leichtigkeit aus, mit denen meist verblüffend einfache Lösungen für scheinbar schwerwiegende Probleme gefunden werden. Dafür können auch Problemerklärungen herangezogen werden, die völlig abwegig sind, sofern sie nur dazu dienen, die Aufmerksamkeit auf neue Lösungen zu richten. (nach v. Schlippe u. Schweitzer 1999)

Haus- Hausaufgaben können vielseitig eingesetzt werden, von diaufgaben rekten Verhaltensanleitungen bis hin zu einer Ermutigung,

einen kleinen Unterschied zum bisherigen Verhalten zu machen. Achten Sie allerdings dabei auf die wertschätzende Haltung. »Den Menschen erkennt man weniger an seinen Worten als an dem, was er tut.«

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4. Kunden verabschieden

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Damit die durch Beratung erzeugten Unterschiede bei Ihrem Kunden nachhaltig wirken, müssen sie sich in konkreten Verhaltensweisen und Maßnahmen zeigen. Zu diesem Zweck vereinbaren Sie als Berater mit dem Kunden sichtbare Schritte, in denen Unterschiede deutlich werden. Bei dem Kontrakt sind leistbare und beobachtbare Veränderungen von Bedeutung, die einen Unterschied zu der am Beginn der Beratung beschriebenen Ausgangssituation machen. Quantität und Schwierigkeitsgrad sind dabei unerheblich. Der zu Beratende muss sich dabei wohl fühlen und bereit sein, ein solches Experiment durchzuführen. Der gemeinsame Blick richtet sich auch hier in die Zukunft. Der Klient bekommt von Ihnen konkrete Aufforderungen zur Verhaltensänderung. Beispiele für Handlungsanleitungen können sein: – Befragung dritter Personen zu deren subjektivem Erleben – Wechseln eines gewohnten Platzes (am Mittagstisch) – Schreiben eines Briefs – Führen eines Telefonats mit einer bestimmten Person – Ansprechen oder Unterlassen von Konflikten – Schweigen oder sich zurücknehmen in gewissen Situationen – Rituale einführen – Intensivieren von Verhaltensmustern – Einführung eines neuen Kommunikationsmusters

4. Kunden verabschieden Ihr Kunde ist jetzt an einem Punkt angekommen, an dem Sie Abschied ihn aus der Beratung verabschieden. Der gemeinsame Prozess wird hier vorerst beendet. In einem Beratungsgespräch entsteht eine persönliche Beziehung zwischen dem Berater und dem Ratsuchenden. Die erfolgreiche Bearbeitung setzte eine von Vertrauen geprägte Gesprächsatmosphäre voraus, die Sie durch Ihre wertschätzende Grundhaltung sicherstellten. An dieser Stelle können © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525490969 — ISBN E-Book: 9783647490960

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V. Gespräch abschließen

Sie sich bei Ihrem Kunden bedanken und gute Wünsche mitgeben. Rückmeldung zur Vorgehensweise und gegebenenfalls zu Ihrer Person können zu diesem Zeitpunkt eingeholt werden. Hilfreiche Fragen können sein: »Was hat Ihnen besonders gefallen?« »Was war neu, schwer, leicht, ungewohnt?« »Wovon hätten Sie sich mehr gewünscht?« »Was hätte nicht gesagt werden dürfen?« »Angenommen, eine gute Fee würde jetzt Ihren Weg kreuzen, was würden Sie sich wünschen?« »Was soll im Anschluss an dieses Treffen passieren?« »Was war in der heutigen Beratung Ihr Tief und was war Ihr Hoch?« »Angenommen, es gäbe noch ein weiteres Thema, das Sie bearbeiten möchten, was wäre das?« Fallbeispiel Eine alleinerziehende Mutter, Frau S., hat in der vergangenen Zeit Schwierigkeiten, alles unter einen Hut zu bekommen. Ihr neunjähriger Sohn M. wird zunehmend schwieriger im alltäglichen Umgang. Hinzu kommt, dass der Halbtagsjob als Bürokauffrau immer mehr Anforderungen an sie stellt, so dass es wenig schöne Rituale und entspannte Momente mit ihrem Sohn im täglichen Leben gibt. Frau S. geht es zunehmend schlechter, sie ist häufig krank und leidet unter Antriebsschwäche. In der Beratung wurde die allgemeine Lebenssituation beschrieben. Am Ende der Stunde angekommen, konnten Lösungsansätze entwickelt werden. Berater: »Frau S., wir sind am Ende der Beratungsstunde angekommen. Mit welchen Adjektiv würden Sie die Sitzung beschreiben?« Mutter S.: »Schwierig, weiß nicht so genau.« Berater: »Und wenn es leicht wäre?« Mutter S.: »Das war es allemal nicht.« © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525490969 — ISBN E-Book: 9783647490960

4. Kunden verabschieden

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Berater: »Was genau war denn so schwer für Sie?« Mutter S.: »Ich glaube hierher zu kommen und darüber zu reden.« Berater: »Was war gut an dem, was wir besprochen haben?« Mutter S.: »Dass Sie mich nach Dingen gefragt haben, die nichts mit der Arbeit und nichts mit meinem Sohn zu tun haben.« Berater: »Woran möchten Sie in Zukunft weiterarbeiten?« Mutter S.: »An meinen Themen.« Berater: »Können Sie die für mich noch mal benennen?« Mutter S.: »Ja, dass ich das Gefühl habe, dass alles über mich hinaus wächst und ich nicht mehr hinterherkomme und den Anschluss verliere.« Berater: »Ich möchte gern, dass Sie ab heute etwas ausprobieren. Notieren Sie, wenn Sie das Gefühl haben, etwas zu verlieren oder hinten anzustehen oder nicht mehr hinterzuherkommen. Schauen Sie sich die Situation genau an und schreiben Sie auf, was in dem Moment gerade um Sie herum passiert. Ob Sie beispielsweise allein sind oder im Kontakt mit Ihrem Sohn, den Kollegen, der Familie, den Freunden oder anderen Menschen. Schreiben Sie es kurz auf, um herauszufinden, welche Anlässe es für Ihre Gefühle gibt.« Mutter S.: »Das werden dann aber wahrscheinlich sehr viele werden.« Berater: »Ich würde mich freuen, wenn Sie das täten.«

Das Schreiben eines Tagebuchs kann zum Anlass genommen werden, genau zu schauen, in welchen Situationen welches Gefühl auftritt. Was in der Beratung noch sehr diffus klingen mag, kann sich durch genaues Hinschauen und Hinhören konkretisieren. Die Aufgabe sensibilisiert und schafft Raum für eine andere Perspektive. Indem eine Ebene der Wahrneh© 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525490969 — ISBN E-Book: 9783647490960

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V. Gespräch abschließen

mung dazwischen geschoben wird, entsteht Abstand zum Erlebten. Am Ende der Beratung können Sie aus dem Methodenkoffer verschiedenste Techniken anwenden, die die derzeitige Stimmung des Kunden während des Beratungsprozesses präsentieren und den Abschluss abrunden. Die Methodenmatrix kann Ihnen hilfreiche Anregungen geben. Mögliche Beispiele, die einen Abschied wertschätzend gestalten, sind: – Verwenden von Wortbildern – Mitgeben eines Gegenstands – Mitgeben eines Sinnspruchs – Assoziation mit Schauspielern, Tieren, Rollen, berühmten Persönlichkeiten, Theaterstücken

5. Abschlusskommentar formulieren Abschluss- Das Gespräch wird abgeschlossen, indem Sie Ihrem Kunden kommentar eine wertschätzende Botschaft mitgeben. Sie sollten kurz das

zusammenfassen, was Ihnen als Berater in der Begleitung Ihres Kunden besonders wichtig erschien. Eine zusätzlich ausgesprochene Empfehlung, in Form eines Wunsches, rundet den Kommentar ab. Bleiben Sie dabei in der Ich-Form und vermitteln Sie somit einen subjektiven Eindruck, der auch ganz anders sein könnte. Treffen Sie keine endgültigen Aussagen, lassen Sie mehrere Möglichkeiten offen. Des Weiteren kann es angebracht sein, die Ressourcen des zu Beratenden zu mobilisieren, indem sie konkret ausgesprochen werden.

Einzelberatung »Ich würde Ihnen wünschen, dass Sie Ihren Kollegen ebenso verständlich und offen die aktuelle Situation beschreiben können, wie Sie es im heutigen Gespräch gezeigt haben.« © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525490969 — ISBN E-Book: 9783647490960

5. Abschlusskommentar formulieren

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Jugendberatung »Ich habe heute einen sehr reifen und vorausschauenden Jugendlichen in der Beratung gehabt, der mit wachen Augen durch das Leben geht. Es hat mir Spaß gemacht, mich mit dir zu unterhalten, und ich wünsche dir, dass du in der nächsten Situation, in der du deinen »Tiger« spürst, weißt, wie du ihn im Zaum halten kannst.«

Teamberatung »Zum Abschluss möchte ich mich für die Kooperation mit Ihnen bedanken, und ich glaube fest daran, dass Sie mit Ihrem großen Engagement und Ihrem intensiven Arbeitseifer weiterhin fähig sind, die Konflikte an- und auszusprechen, wie Sie es in den vergangenen Tagen bewiesen haben. Dadurch werden Sie in Ihrer weiteren Zusammenarbeit die Früchte des Erfolgs ernten. Außerdem möchte ich mich für Ihre Offenheit und Ihre Neugier, unbekannte Beratungsmethoden auszuprobieren, bedanken. Sie sind ein leistungsstarkes Team.« Der zu Beratende hat Ihnen als Berater sein Vertrauen geschenkt und viel von seiner Person gezeigt. Dieser Mut verdient es, gewürdigt zu werden. Kunden oder Klienten tendieren dazu, Unterschiede und Lernfortschritte nicht gebührend wahrzunehmen oder sie in Anbetracht übergeordneter Ziele geringzuschätzen. Ihre Aufgabe als Berater ist es, genau diese Aspekte zu beachten und gegebenenfalls zu intervenieren. Gerade bei Kunden, die dazu neigen, sich selbst und auch andere abzuwerten, ist diese Endphase eine passende Gelegenheit, durch ein positives Reframing, wie es im II. Kapitel beschrieben wurde, einen Unterschied zu erfahren. Entsprechend der Gesprächssituation kann es sinnvoll sein, dem zu Beratenden zusätzlich einen Abschlusskommentar per Brief oder per Mail zukommen zu lassen.

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V. Gespräch abschließen

Abschlusskommentar Der Abschlusskommentar dient dazu, das Verhalten des zu Beratenden in einen anderen Bezugsrahmen zu stellen. Diese Methode erlaubt es, eine häufig überbetont kritische Sichtweise zu relativieren und eine positive Bedeutungszuschreibung hinzuzufügen. So kann beispielsweise Unterschiedlichkeit, die als nervend oder belastend erlebt wird, hinsichtlich ihres Nutzens beschrieben werden. Es geht weniger um beschönigende Worte, sondern um eine kurze prägnante Rückmeldung mit positiven Grundaussagen. Provokationen können mit einem Augenzwinkern und wertschätzenden Worten »verpackt« werden. Der Berater kann mit Hilfe des Abschlusskommentars Hypothesen miteinander in Zusammenhang bringen und dem Kunden/ Klienten einen Anstoß geben und ihn ermutigen, Neues auszuprobieren.

An dieser Stelle möchten wir Ihnen, liebe Leserin und lieber Leser, eine kleine Geschichte erzählen und Sie damit aus der Theorie und dem Praxisleitfaden zur systemischen Beratung in fünf Gängen in das Nachwort verabschieden. Einst lebte in einem Dorf eine Katze, die von allen Bewohnern geliebt wurde. Sie hatte ein feudales Leben, jedes Kind wollte mit ihr spielen, und egal wo sie auftauchte, erhielt sie etwas zu trinken und zu fressen. Als Gegenleistung befreite sie die Stadt von Mäusen und Ratten. Beide Parteien waren zufrieden, und so lebten sie einige Jahre miteinander in ihrem Dorf, bis eines Tages im Haus eines Dorfbewohners eingebrochen wurde. Am Mittag nach der Tat traf man sich am Marktplatz, um gemeinsam zu überlegen, wer es gewesen sein könnte. Die Bewohner waren sich einig, dass es niemand aus den eigenen Reihen gewesen sein konnte. Sie vermuteten, den Übeltäter in einer vorbeiziehenden Karawane gesehen zu haben, und beließen es bei der Mutmaßung. Als aber eine Woche später erneut in ein Haus eingebrochen wurde, Sachen entwendet wurden und keine Karawane in der Nähe war, fühlten sich alle unsicher, und Angst machte sich unter den Dorfbewohnern breit. Sie beschlossen, einen Hund anzu© 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525490969 — ISBN E-Book: 9783647490960

5. Abschlusskommentar formulieren

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schaffen, der die Häuser bewachen sollte. Ab sofort war der neue Liebling des Dorfes der Hund und nicht mehr die Katze, da er jetzt einen viel wichtigeren Dienst erfüllte, nämlich die Stadt vor dem Übel zu schützen. Jeder spielte mit dem Hund. Überall, wo er auftauchte, erhielt er zu fressen und zu trinken. Die Katze ging ab jetzt leer aus und bekam weder Aufmerksamkeit noch Leckereien. Als einige Wochen ins Land strichen, wurde das Dorf von einer Mäuseplage überfallen. Die kleinen Nager waren überall, in den Vorratsschränken, in den Kellern und sogar auf den Straßen. Schnell besann man sich der guten alten Katze, doch niemand hatte sie gesehen. Verzweifelt suchten die Bewohner das Tier, aber vergebens. Die Katze hatte das Dorf verlassen, um sich ein neues Zuhause zu suchen, da sie anscheinend niemand mehr brauchte – oder vielleicht doch …

Die in diesem Kapitel verwendeten Methoden – – – –

Abschlusskommentar Arbeitsaufträge Hausaufgabe Reframing

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Nachwort

Geisteshaltung

Persönliches Menü

In einer Welt, in der kleine und große Probleme unsere beruflichen und privaten Lebensräume prägen, sind die Lösungen für die Beteiligten oftmals nicht offensichtlich. Die Perspektive ist in der Regel problemorientiert, und es fällt häufig schwer, hilfreiche Lösungen zu finden. Die Kommunikation in beruflichen und privaten Kontexten wird vielfach als zäh und schwer empfunden. In den meisten Fällen wird die zwischenmenschliche Kommunikation durch die Prozesse und nicht durch die aktuellen Bedürfnisse und Wünsche der Beteiligten bestimmt. Ein erfolgreicher Prozess setzt eine ehrliche und offene Plattform voraus, bei der machtpolitische Entscheidungen oft hinderlich wirken können. Mit Hilfe des sogenannten Humankapitals werden Prozesse durchlaufen, jedoch nicht immer optimal gestaltet. Jeder, der Menschen begleitet und führt, sollte sich die Regeln der zwischenmenschlichen Kommunikation bewusst machen und sie in den Arbeitsalltag integrieren. Die systemische Beratung bietet Ihnen eine Geisteshaltung an, die es Ihrem Gegenüber ermöglicht, die Dinge von unterschiedlichen Seiten zu betrachten. Dabei interessiert nicht in erster Linie die Analyse der Dinge, das Warum und Wieso, sondern vielmehr, was funktioniert, das Wie und Womit. Die systemische Beratung ist zugewandt, human, kunden- und ressourcenorientiert. Wir haben versucht, für Sie die fünf Phasen der systemischen Beratung spielerisch aufzubereiten, und hoffen, dass unser Experiment geglückt ist und Sie die eine oder andere Anregung für Ihre Arbeit bekommen haben. Wir sind am Ende unserer »kulinarischen Reise« angekommen. Mit diesem Bild, das wir Ihnen bereits im Vorwort präsentiert haben, möchten wir uns von Ihnen verabschieden. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525490969 — ISBN E-Book: 9783647490960

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Nachwort

Wir hoffen, dass Sie Appetit auf ein weiteres Mahl bekommen haben. Nur sollten Sie beim nächsten Ma(h)l das Menü selbst zusammenstellen und mit Ihrer persönlichen Geschmacksnote würzen. Zum Abschluss noch ein Bild, das von Ihnen fertig gestellt werden kann. Seit Menschengedenken ist das gemeinsame Essen ein Ritual. Nicht umsonst geht Liebe durch den Magen, oder etwas liegt schwer im Magen oder ist gar mühevoll zu verdauen. Essen verbindet, schlägt Brücken und schafft gleichzeitig neben der Befriedigung des Hungers einen Raum der Begegnung, in dem es Regeln gibt, wie die Abfolge der Gänge, und der gleichzeitig viel Gestaltungsspielraum bietet. Zum Schluss einige Fragen an Sie: »Wie halten Sie es mit den Mahlzeiten?« »Worauf legen Sie Wert?« »Was ist Ihnen beim Speisen wichtig?« »Mögen Sie es lieber scharf oder eher leicht?« »Mit wem essen Sie am liebsten? Und mit wem am zweitliebsten?« »Was gelingt Ihnen besonders gut beim Kochen?« »Und wann war das letzte Essen, an das Sie sich gern zurückerinnern?« »Wie hoch würden Sie die Qualität der Produkte einschätzen, die Sie zum Kochen verwenden, auf einer Skala von eins bis zehn?« Nehmen Sie diese Fragen mit und schauen Sie auf Ihren gedeckten Tisch, in Ihren gefüllten Kühlschrank, in Ihre volle Vorratskammer und in Ihren dampfenden Topf hinein. Wir wünschen Ihnen einen guten Appetit!

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Dank

An dieser Stelle möchten wir uns bei all denen bedanken, die uns unterstützt haben, dieses Buch zu schreiben. Die Dynamik unserer eigenen Systeme, in denen wir uns bewegen, war von einer positiven Grundhaltung gegenüber unserem Buchprojekt gekennzeichnet. Auch wenn wir zeitweise »hilfreiche Hindernisse« zu bewältigen hatten, so wurden wir immer wieder ermutigt weiter zu schreiben. Besonderer Dank gilt Dr. Christoph Danelzik-Brüggemann für die bestärkenden Worte und tatkräftige Unterstützung. Ebenso danken wir Stephan Ivankovic für seine redaktionellen Hinweise und Julian dafür, dass auch scheinbare Störungen sich als förderlich erweisen. Zugleich danken wir Caroline von Saint George für ihre kreativen Ideen. In Dankbarkeit erinnern wir uns an die lehrreiche und nachhaltig wirkende Ausbildungszeit im Institut für Familientherapie Weinheim. Insbesondere danken wir unseren Lehrern Mohammed El Hachimi, Haja Molter, Karin Nöcker und Gudrun Popken-Gulyás. Auch danken wir dem Vandenhoeck & Ruprecht Verlag, der unsere Idee eines systemischen Beraterhandbuchs unterstützte.

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Methodenmatrix

Die Methodenmatrix soll Ihnen als kleiner Handwerkskoffer in zweierlei Weise bei der Beratungsarbeit hilfreich sein:

– Nachschlagewerk Wenn Sie eine Methode auswählen, können Sie die Matrix als Nachschlagewerk nutzen und sich unter dem jeweiligen Stichwort schnell einen Überblick verschaffen.

– Inspirationsquelle Wenn Sie bei der Vorbereitung einer Beratung nach Ideen suchen, lassen Sie sich von der Matrix anregen. Schon der Blick auf die Richtzeiten grenzt die passenden Methoden ein und kann Ihnen die Auswahl erleichtern. Die Methodenmatrix und deren beschriebene Ziele, Anwendungen, Beispiele und Bemerkungen sind als Anregung gedacht und erfüllen keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Die hier ausgewählten Methoden sind alphabetisch geordnet, kurz und knapp beschrieben, detaillierte Beschreibungen sowie mögliche Anwendungsfelder finden Sie in unseren Fallbeispielen und fachlichen Erläuterungen der einzelnen Kapitel. Bei den Zeitangaben handelt es ich um Circa-Zeiten, abgeleitet aus Erfahrungswerten.

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Methodenmatrix

Abschlusskommentar

5 Min.

Ziel

– das Beratungsgespräch ritualisiert positiv beenden – den Kunden sowie den Inhalt der Beratung wertschätzen – den Kunden danken für das entgegengebrachte Vertrauen, die Bereitschaft, sich einzubringen, sich zu öffnen, Neues zuzulassen und zu experimentieren – eine Orientierung für die Zeit nach der Beratung geben

Anwendung

In den abschließenden fünf Minuten des Gesprächs fasst der Berater die wesentlichen Aspekte der Beratung zusammen, indem er einen würdigenden Kommentar zum Beratungsprozess gibt. In einem ausgewogenen Verhältnis von Vertrautem (dem, was möglich war) und Neuem (Wünsche für die Zukunft) stellt der Berater das Erreichte in einen positiven Rahmen. Wertschätzende und anregende Beschreibungen dürfen sich abwechseln.

Beispiel

»Sie haben sich heute mutig einem sehr emotionalen Thema gestellt. Es wurde deutlich, auf wie viele Ressourcen Sie zurückgreifen können, um das anstehende Gespräch zu führen. Ihre offene Art und Ihre Fähigkeit, Ihr fachliches Wissen einzubringen, sind wertvolle Begleiter. Ich wünsche Ihnen, dass Sie diese Ressourcen in den kommenden Wochen ebenso gut nutzen, wie es Ihnen in dem Gespräch mit Ihrem Chef gelungen ist.«

Bemerkung

Je kürzer und pointierter, desto wirkungsvoller ist der Abschlusskommentar. Literaturhinweis: Schlippe, A. von; Schweitzer, J. (1999): Lehrbuch der Systemischen Therapie und Beratung. 6. Auflage. Göttingen.

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Methodenmatrix

Aktives Zuhören

5–30 Min.

Ziel

– Sich in den Kunden einfühlen und durch aufmerksames Zuhören das gegenseitige Verständnis für die Beratung und den zu Beratenden sicherstellen.

Anwendung

Der Berater fasst das, was er verstanden hat, mit eigenen Worten zusammen und lässt den Kunden korrigieren, wenn die Worte aus seiner Sicht nicht ganz treffend waren. Neben kurzen bestätigenden Äußerungen, wie »ich verstehe«, »hm«, kann der Berater behutsam Zwischenfragen stellen, ohne den Redefluss des Kunden zu unterbrechen.

Beispiel

»Hm … habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie der anstehenden Umbauphase grundsätzlich positiv gegenüberstehen, Sie aber befürchten, dass nicht alle Ihre Mitarbeiter mitziehen werden?«

Bemerkung

Das Ansprechen nonverbaler Signale wie Gestik, Mimik oder die Änderung der Sitzhaltung kann dem Berater zusätzliche Informationen liefern.

Anknüpfen an Leidenschaften

2 Min.

Ziel

– Den Kunden erreichen und ihm begegnen. – eine vertrauensvolle Beziehung zwischen Berater und Kunden aufbauen. – An Bekanntes anknüpfen. – Dem Gesprächspartner Sicherheit geben.

Anwendung

Der Berater stellt mit neugieriger, offener Haltung Fragen zu Dingen und Themen, die dem Kunden vertraut sind und zu denen er eine positive emotionale Einstellung hat.

Beispiel

»Was ist Ihr Lieblingsreiseziel?«; »Welche Aufgabenbereiche erfüllen Sie mit Freude?«; »Welche Unternehmungen teilen Sie gern mit Ihrem Partner?«

Bemerkung

Wenn möglich, Vorwissen zu Vorlieben, wie beispielsweise Lieblingsbücher, Reiseziele oder Freizeitbeschäftigungen, nutzen.

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Methodenmatrix

Arbeitsaufträge/Hausaufgaben

2 Min.

Ziel

– Die Zeit zwischen den Beratungen zur Vertiefung des Erfahrenen nutzen. – Zur individuellen Auseinandersetzung anregen. – Zum Ausprobieren neuer Verhaltensweisen einladen.

Anwendung

Der Kunde bekommt in der Beratung einen Arbeitsauftrag mit auf den Weg, beispielsweise einen Brief zu schreiben, ein neues Verhalten auszuprobieren, ein Gespräch zu führen, etwas zu unterlassen oder ein Verhalten verstärkt zu zeigen.

Beispiel

»Ich möchte Sie ermuntern, ein Gespräch mit Ihrer Großmutter auf eine ganz bestimmte Art und Weise zu führen. Stellen Sie mit einer neugierigen und wertschätzenden Haltung Fragen, um Ihr Bild von der ersten Frau Ihres Großvaters zu überprüfen.«

Bemerkung

Bei Arbeitsaufträgen, die dazu einladen, etwas Neues zu tun, sollte der Berater auf mögliche Angst vor Unvertrautem eingehen. Neues kann mit Vertrautem kombiniert werden, beispielsweise ein Gespräch mit einer Person ein wenig anders zu führen als gewohnt.

Auftragskarussell

Ziel

90 Min.

– Den Kontext, in dem der Kunde handelt, klären. – Unterschiedliche Aufträge des Kunden bewusst machen. – Transparenz in offene oder verdeckte Aufträge bringen. – Entscheidungskompetenz über Aufträge (annehmen, ablehnen, verändern) erhöhen.

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Anwendung

Der Berater lädt den Kunden zunächst ein, alle an dem System beteiligten Personen und Abteilungen auszuwählen und sie aufzuschreiben. In einem zweiten Schritt leitet der Berater den Kunden an, den einzelnen Beteiligten Botschaften zu geben, beispielsweise in Form einer Forderung: »du sollst …« oder Zuschreibung »du bist stets fleißig«. Im letzten Schritt priorisiert der Kunde die Botschaften mit Hilfe von Skalierungsfragen wie: »Welches ist die wichtigste Botschaft, welche ist von geringerer Bedeutung?« und »Welcher Auftrag soll umformuliert werden und kann dann ein hilfreicher Hinweis sein?«

Beispiel

Welche impliziten und expliziten Aufträge und Wünsche werden an den Kunden gestellt: Chef: »Ich erwarte Lösungen, keine Probleme.« Kollegen: »Halte uns den Rücken frei.« Ehepartner: »Ich mache mir Sorgen um deine Gesundheit.« Kinder: »Wann hast du wieder mehr Zeit für uns?« Freunde: »Wir haben lange nichts mehr von dir gehört, melde dich mal wieder.« Verwandte: »Du scheinst sehr erfolgreich zu sein, wir sind stolz auf dich, weiter so.«

Bemerkung

Form der »Self-care-Technik« Literaturhinweis: Schlippe, A. von (1996): Das Auftragskarussell. In: Schindler, H. (Hg.): Unheimliches Heim: Von der Familie ins Heim und zurück!?! Familientherapeutische und systemische Ideen für die Heimerziehung. Dortmund, S. 135–143. Eine Variante von Virginia Satir ist die »Parts Party«. Literaturhinweis: Kockmann, M. (1992): Virginia Satirs Parts Party. In: Moskau, G.; Müller, G. (Hg.): Virginia Satirs Wege zum Wachstum. Paderborn, S. 191–208.

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Methodenmatrix

Brief in Ich-Form

20 Min.

Ziel

– Der Kunde nimmt eine neue Perspektive ein. – Der Kunde fühlt sich in eine andere Person ein. – Der Kunde entwickelt Verständnis für das Verhalten einer anderen Person.

Anwendung

Der Kunde wird eingeladen, in Ich-Form einen Brief oder einen biographischen Lebenslauf aus der Perspektive eines anderen Menschen zu schreiben und sich in seine Welt einzufühlen. Mit der Auseinandersetzung des Anderen kann Verständnis für dessen Verhalten entwickelt werden.

Beispiel

Eine Klientin, die sich von ihrer Mutter vernachlässigt fühlt, schreibt einen Brief aus der Perspektive ihrer Mutter: »Als Du drei Jahre alt warst, steckten wir voll im Wiederaufbau des Hauses. Du warst ein liebes Kind, und ich war froh, dass ich Dich überall mit hinnehmen konnte, weil es zu der Zeit keine Kinderkrippen gab. Ab Deinem fünften Geburtstag musste ich Dich häufiger bei unserer Nachbarin unterbringen, weil das Geld nicht reichte und ich hinzuverdienen musste …«

Bemerkung

Der Brief kann auch aus der Perspektive eines verstorbenen Menschen geschrieben werden, um beispielsweise einen noch nicht vorhandenen Abschied zu initiieren. Literaturhinweis: White, M. (1989): Der Vorgang der Befragung: eine literarisch wertvolle Therapie? Familiendynamik 14 (2): 114–128.

Irritieren/Provozieren

Ziel

2 Min.

– Der Kunde verlässt gewohnte Denkbahnen. – Ihm werden neue Verhaltensmöglichkeiten eröffnet. – Der Kunde wird angeregt, das Gewohnte loszulassen.

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131

Methodenmatrix

Anwendung

Der Berater stellt dem Kunden unerwartete Fragen oder macht überraschende Aufforderungen, die aus dem Zusammenhang gegriffen werden, sich aber dennoch auf das Gesagte beziehen.

Beispiel

»Was müssten Sie tun, um das Problem zu verschlimmern?« »Wenn Ihr Schlips reden könnte, was würde er dazu sagen?« »Suchen Sie sich bitte einen anderen Platz im Raum.«

Bemerkung

Eine Sonderform nach Satir ist die paradoxe Intervention (siehe unten).

Metaphorische Sprache

5 Min.

Ziel

– Die Phantasie des Kunden wird geweckt. – Komplexe Zusammenhänge werden veranschaulicht. – Die Tendenz des Kunden, Sachverhalte zu rationalisieren, wird durch beispielhafte Wortbilder ausgeglichen.

Anwendung

Der Berater greift ein geeignetes Bild oder eine Metapher auf, die Bezug zu den Beschreibungen oder den Verhaltensweisen des Kunden hat. Mit Hilfe der bildlichen Sprache werden Zusammenhänge auf eine abstrakte, sprachliche Ebene gebracht. Emotionale Zuschreibungen zu Situationen können versachlicht und somit leichter von dem Kunden angenommen werden.

Beispiel

»Sie sprachen gerade von der Situation, in der es lichterloh brannte. Wer hat in dem Moment die Feuerwehr gerufen, und was wurde gelöscht? Handelt es sich um eine freiwillige Feuerwehr oder um eine Berufsfeuerwehr? Wie ist der letzte Einsatz verlaufen?«

Bemerkung

Der Berater lässt sich bei der Wahl des Wortfelds von den Vorlieben des Klienten für beispielsweise Kunst, Musik oder Sport inspirieren.

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132

Methodenmatrix

Musterunterbrechung

2 Min.

Ziel

– Verhaltens- oder Kommunikationsmuster des Kunden unterbrechen. – Neue Sichtweisen eröffnen. – Handlungsoptionen aufzeigen

Anwendung

Der Berater unterbricht wiederkehrende Kommunikations- und Handlungsmuster, die sich verfestigt haben. Durch verschiedene Arten der Unterbrechung, wie irritierende Fragen oder aktive Aufforderungen, schafft der Berater ein Bewusstsein für ein anderes Verhalten. Das Umdeuten von Verhaltensweisen und Situationen (Reframing, siehe unten) zählt ebenfalls zu den Musterunterbrechungen.

Beispiel

»Ersetzen Sie bitte ab jetzt das Wort ›aber‹ durch das Wort ›und‹.« »Was muss geschehen, damit Sie mit den Schuldzuweisungen aufhören können?« »Man könnte also sagen, der Konflikt ist wie der Kampf von David gegen Goliath.«

Bemerkung

Die Musterunterbrechung ist eine Form der Unterlassungsintervention. Ein Verhaltensmuster kann auch nichtsprachlich unterbrochen werden, indem der zu Beratende beispielsweise eingeladen wird, seine Perspektive im wahrsten Sinne des Wortes zu verändern, indem er seinen Stammplatz verlässt und sich einen für ihn ungewohnten Platz sucht. Literaturhinweis: Brunner, E. J.; Lenz, D. (1993): Was veranlasst ein Klientensystem zu sprunghaften Veränderungen? System Familie 6 (1): 1–9.

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133

Methodenmatrix

Paradoxe Intervention

2 Min.

Ziel

– Die Funktion eines Verhaltens bewusst machen. – Das eigene Verhalten als steuerbar erleben.

Anwendung

Während oder zum Ende der Beratung, in Form eines Arbeitsauftrags, formuliert der Berater ein Paradoxon, das Bewusstsein für die Wirkung eines Verhaltens schafft.

Beispiel

»Versuchen Sie in der nächsten Woche, möglichst viel zu streiten und wenig zuzuhören.«

Bemerkung

Sonderform der Irritation (siehe oben). Der Berater muss vor der Verordnung einer paradoxen Intervention nicht unbedingt verstehen, nach welchen Regeln das Verhalten in dem System abläuft. Literaturhinweis: Furman, B.; Ahola, T. (1995): Die Zukunft ist das Land, das niemandem gehört. Probleme lösen im Gespräch. Stuttgart.

Reflektierendes Team

Ziel

30 Min.

– Dem Kunden zusätzlich zu der Rückmeldung des Beraters ein wertschätzendes Feedback durch zusätzliche Beobachter geben. – Ihm neue Perspektiven zur Verfügung stellen. – Dem Kunden ermöglichen, dem Gedankenaustausch zwischen zwei oder mehreren Personen zuzuhören. – Dem Kunden das Herstellen und Wahrnehmen von Beziehungen zwischen Dingen, Personen und Ereignissen erleichtern.

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134

Methodenmatrix

Anwendung

Das Reflektierende Team kann an verschiedenen Stellen innerhalb eines Beratungsverlaufs eingesetzt werden, je nach Wunsch des Beraters. Er nutzt die zusätzliche Sicht des Reflektierenden Teams, um den Blick zu erweitern und ein weiteres Angebot zu machen, das ihm und dem Kunden zugleich hilft. Die Teilnehmer des Reflektierenden Teams äußern sich wertschätzend über das, was sie während des Interviews gehört und gesehen haben, in Anwesenheit des Kunden. Danach stellt der Berater dem zu Beratenden Auswertungsfragen: »Was war neu?« »Was war besonders?« »Was hätte nicht gesagt werden sollen?« »Was beschäftigt Sie jetzt?«

Beispiel

»Mir ist aufgefallen, dass die Stimme von Frau S. leiser wurde, als sie von Herrn Y sprach. Ich finde es bewundernswert, wie ruhig und differenziert sie die Beziehung beschrieben hat.« »Ich finde es sehr mutig von Frau L., dass sie ihre Gefühle gegenüber ihrem Mann so offen zeigt, obwohl sie so verletzt zu sein scheint.«

Bemerkung

Variante: Die Mitglieder des Reflektierenden Teams geben Rückmeldung zu verschiedenen Wahrnehmungsschwerpunkten, beispielsweise was sie gehört, gesehen, oder gespürt haben. Literaturhinweis: Molter, H.; Schlippe, A. von (1991): Das Weinheimer Modell der Familientherapie – ein Modell der Vielfalt. Systema 5 (2): 14–18.

Reframing

Ziel

2 Min. – Einem Geschehen oder einer Aussage des Kunden einen anderen Sinn geben. – Einen prägnanten Unterschied zur bisherigen Wirklichkeitskonstruktion herstellen. – Dem Kunden eine andere Perspektive zur Verfügung stellen. – Die Bedeutung des Gesagten verändern.

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135

Methodenmatrix

Anwendung

Den Worten des Kunden wird ein anderer Sinn gegeben, indem das Gesagte in einen anderen Kontext (Rahmen, Frame) gestellt wird.

Beispiel

Kunde: »Wie konnte meine Mutter mich nur so entmutigen, als ich in der Schule nicht die Noten brachte, die sie sich vorstellte?« Berater: »Welchen Schulabschluss hat Ihre Mutter?« Kunde: »Aufgrund des Krieges nur Volksschulabschluss, was sie immer bedauert hat.« Berater: »Vielleicht entspringt das Verhalten Ihrer Mutter, das Sie als entmutigend bezeichnen, dem Wunsch, dass Ihnen eine bessere schulische Grundausbildung eröffnet wird als ihr damals.«

Bemerkung

Ein Berater nutzt häufig ein positives Reframing, um den oft negativen Blickwinkel des Kunden zu erweitern. Den Sinn, dadurch ein Verhalten positiv einzuordnen, setzt voraus, dass der Berater den Kontext kennt. Literaturhinweis: Watzlawick, P.; Weakland, J.; Fisch, R. (1974): Lösungen. Stuttgart.

Rituale nutzen

30 Min.

Ziel

– Abläufe verdichten, die sich in einer symbolischen Handlung wiederholen. – Ein Thema kraftvoll und nichtsprachlich bearbeiten, indem es durch eine symbolhafte Handlung auf nonverbaler Ebene greifbar wird. – Themen wie Neuanfänge, Übergänge, Abschied bewusst gestalten, um den Kunden dabei zu unterstützen, in Form einer symbolhaften Handlung den Problemzustand auf einer anderen Ebene zu bearbeiten.

Anwendung

Der Berater leitet den Kunden an, beispielsweise einen Neubeginn, Übergang oder Abschied bewusst zu zelebrieren, indem er ihn einlädt, ein unerwünschtes Verhalten aufzuschreiben und dann mit einem bewusst gewählten Satz sich davon zu verabschieden, indem es beispielsweise verbrannt, versenkt, fliegen gelassen wird.

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136

Methodenmatrix

Beispiel

Beispielsweise einen Brief schreiben und ihn verbrennen; eine Symbolfigur, die für eine bestimmte Zeit steht, vergraben, oder als Ritual der Reinigung sich abduschen oder schwimmen gehen.

Bemerkung

Literaturhinweis: Kruse, P.; Dreesen, H. (1995): Zur psychologischen und sozialen Funktion des Rituals. Hypnose und Kognition 12 (1): 2–10.

Rollenspiele

15 Min.

Ziel

– Dem Kunden einen Perspektivwechsel eröffnen. – Sich in eine Person oder Situation einfühlen. – Verhaltensweisen im Hier und Jetzt beobachtbar und besprechbar machen.

Anwendung

Der Berater lädt den Kunden ein, sich in eine andere Person einzufühlen und aus ihrer Perspektive zu sprechen und zu handeln. Gefühle und beobachtbare Verhaltensweisen werden anschließend gemeinsam besprochen.

Beispiel

»Setzen Sie sich bitte auf den Stuhl Ihres Chefs und fühlen Sie sich einen Moment lang ein. Was denken Sie, würde er in dieser eben beschriebenen Situation sagen? Verhalten Sie sich so, wie er es Ihrer Einschätzung nach tun würde.« »Stellen Sie sich mal auf den Stuhl und stellen Sie sich vor, sie haben ebenso viel Einflussmöglichkeiten wie Ihre Kollegin! Auf einer Skala von eins bis zehn, wie hoch ist Ihr Selbstwert, wenn Sie auf dem Stuhl stehen?«

Bemerkung

Vor allem bei diffusen Gefühlen können die Ursachen durch beobachtbare Verhaltensweisen konkretisiert und besprechbar gemacht werden. Das Einnehmen verschiedener Rollen eröffnet die Möglichkeit, Verständnis zu entwickeln oder emotionale Zuschreibungen zu intensivieren.

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137

Methodenmatrix

Schriftlicher Abschlusskommentar

2 Min.

Ziel

– Abrundung der Beratung. – Ressourcenorientierte Zusammenfassung des Gesprächs. – Orientierung für die Zeit nach der Beratung bieten.

Anwendung

Unmittelbar nach der Beratung schickt der Berater dem Kunden eine Mail oder einen Brief mit einem wertschätzenden Abschlusskommentar (siehe oben).

Beispiel

»Sie sind ein großes Stück vorangekommen in der Klärung der unterschiedlichen Erwartungen, die an Sie herangetragen werden. Ich wünsche Ihnen, dass es Ihnen im Laufe der nächsten Woche gelingen wird, sich gut abzugrenzen und nein zu sagen, so, wie es Ihnen auch in unserem letzten Gespräch gelungen ist.«

Bemerkung

Wenn kein persönlicher Abschlusskommentar möglich war, kann er per Post oder Mail nachträglich geschickt werden, um die Beratung zu beenden. Literaturhinweis: Bandler, R.; Grinder, J. (1985): Reframing. Ein ökologischer Ansatz in der Psychotherapie. Paderborn.

Skalierungsfragen

5 Min.

Ziel

– Dem Kunden Unterschiede und Nuancen bewusst machen. – Differenzierte Sichtweise möglich machen. – Prioritätensetzung, erleichtern.

Anwendung

Zwei Pole benennen und mit Zahlen, Prozentwerten, Eigenschaften oder ähnlichen Vergleichsskalen versehen. Den Kunden einladen, das Thema, den Wunsch, die Person einzuordnen.

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138

Methodenmatrix

Beispiel

»Auf einer Skala von eins bis zehn, welcher der Kollegen steht Ihnen am nächsten, wenn eins für wenig Distanz und zehn für große Entfernung steht?« »Sie sagen, Sie möchten sich zu hundert Prozent von Ihrem alten Arbeitsplatz verabschieden, was denken Sie, zu wie viel Prozent haben Sie sich zurzeit schon verabschiedet?« »Was denken Sie, wie viel Zeit brauchen Sie für die verbleibenden Prozent?«

Bemerkung

Die Skalierungsfrage ist eine Form der Unterscheidungsfrage. Weitere Fragetypen, die Unterschiede verdeutlichen, sind beispielsweise Übereinstimmungsfragen, Systemvergleiche, Prozentfragen, Klassifikationsfragen. Sollte der Klient sich schwertun, eine Einordnung vorzunehmen, bietet es sich an, ihn zu ermutigen mit der Frage »… und wenn Sie es wüssten?« Literaturhinweis: Fritz, S. (2002): Zirkuläres Fragen. Systemische Therapie in Fallbeispielen. Ein Lernbuch. Heidelberg.

Skulptur

Ziel

60 Min. – Der Berater ermöglicht einen ganzheitlichen Zugang zu komplexen Systemen wie Familien oder Organisationen auf verschiedenen Ebenen. – Ein System wird nonverbal symbolisch repräsentiert. – Es wird eine Situation als Momentaufnahme abgebildet. – Sie ermöglicht einen distanzierten Außenblick. – Sie macht Konstellationen sichtbar, besprechbar und bearbeitbar.

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Methodenmatrix

139

Anwendung

Der Berater leitet den Kunden an, stellvertretende Personen für die an der Fragestellung Beteiligten von dem Kunden im Raum zu positionieren. Der Kunde – wählt Stellvertreter aus der Gruppe der anwesenden Personen aus (inklusive einer Person für sich selbst); – bestimmt deren Position im Raum; – lotet deren Distanz und Nähe aus; – bestimmt die Blickrichtung der Repräsentanten. Je nach Bedarf kann die Skulpturarbeit variiert und intensiviert werden, wie die folgenden Bearbeitungsstufen zeigen: – Die aufgestellten Personen (Repräsentanten) werden im Raum platziert. – Die Repräsentanten werden gebeten, ihre Gefühlswahrnehmungen zu beschreiben oder einen Satz zu sagen, der ihnen in den Sinn kommt. – Der Kunde gibt den Repräsentanten einen Satz, den sie in vorher festgelegter Reihenfolge laut sprechen. – Der Kunde stellt sich an den Platz seines Repräsentanten und fühlt sich in ihn ein. – Der Kunde verändert die Position der stellvertretenden Personen, bis er eine veränderte Konstellation gefunden hat.

Beispiel

Der Kunde stellt Stellvertreter für seine Abteilung auf, indem er durch Distanz und Nähe deutlich macht, wie sie zu der Einführung von SAP im wahrsten Sinne des Wortes stehen.

Bemerkung

Das repräsentierte System wird meistens schnell verstanden, da bei dieser Methode nicht auf Sprache zurückgegriffen wird. Literaturhinweis: Schlippe, A. von; Kriz, J. (Hg.) (1993): Skulpturarbeit und zirkuläres Fragen. Eine integrative Perspektive auf zwei systemtherapeutische Techniken aus Sicht der personenzentrierten Systemtheorie. Integrative Therapie 19 (3): 222–241.

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140

Methodenmatrix

Skulptur R Gegensstandsskulptur

45 Min.

Ziel

– Komplexe Zusammenhänge werden mit Hilfe von Gegenständen begreifbar gemacht. – Der Kunde gewinnt durch die Außenperspektive Abstand zu der Situation und kann zu dem Geschehen oder den Personen eine distanzierte Haltung einnehmen.

Anwendung

Der Berater verwendet für die Skulptur Gegenstände, die gerade greifbar sind (Obst, Flaschen, Stifte, Stühle) oder was er mitgebracht hat (beispielsweise Familienbrett, Schachfiguren). Er lädt den Kunden ein, die an dem Anliegen beteiligten Personen oder Ereignisse zu stellen oder zu legen. Er bittet den Kunden, die jeweilige Distanz zwischen den Gegenständen zu bestimmen und die Blickrichtung zu benennen. Die Gegenstände können im Raum verteilt werden und gemeinsam Station für Station abgeschritten und besprochen werden.

Beispiel

– – – –

Bemerkung

Diese Methode eignet sich besonders, wenn nicht genügend Personen für eine Skulptur anwesend sind oder wenn bewusst emotionale Distanz gewahrt werden soll, beispielsweise bei der Arbeit mit realen Teams in Unternehmen.

Chef (Melone) Direkter Kollege (Pflaume) Andere Kollegen (Äpfel) Angrenzende Abteilungen (Banane)

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141

Methodenmatrix

Stammtisch

20 Min.

Ziel

– Nicht ausgesprochene Phantasien ansprechen. – Dem Kunden andere Sichtweisen zur Verfügung stellen. – Phantasien überprüfen. – Hypothesen offenlegen.

Anwendung

Der Berater stellt sich in Analogie zu einem Stammtisch in einer Kneipe einen Stehtisch auf. Er stellt sich allein (oder, falls anwesend, mit einem Partner) an diesen Tisch und spricht laut Phantasien und Vermutungen im Beisein des Kunden aus.

Beispiel

»Ich habe den Eindruck, dass viel seit der letzten Beratung passiert ist. Herr N. wirkt heute sehr zurückhaltend und es könnte sein, dass ihn irgendetwas abhält, sich stärker einzubringen. Vielleicht traut er sich nicht, den Berater auf seine Vorgehensweise anzusprechen oder seine Wünsche an ihn auszusprechen …«

Bemerkung

Diese Methode ist besonders für Gruppensettings geeignet, um informelle Gruppenregeln besprechbar zu machen, Störungen zu bearbeiten, Geburtshilfe zu leisten und geheime Wünsche offenzulegen.

Stereotype nutzen

10 Min.

Ziel

– Der Berater verdeutlicht durch die Herausstellung von Extremen die Aussagen des Kunden – Er macht dem Kunden polarisiertes Denken bewusst.

Anwendung

Der Berater pointiert die Sichtweise des Kunden, indem er Stereotype zur Veranschaulichung nutzt.

Beispiel

»Das hört sich so an, als würden Männer immer rational entscheiden und Frauen immer emotional.«

Bemerkung

Besonders geeignet bei der Tendenz des Kunden, Sachverhalte zu verallgemeinern.

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142

Methodenmatrix

Strukturabgleich von offiziellen und inoffiziellen Informationswegen 30 Min.

Ziel

– Der Berater erfasst, wie die innerbetriebliche Kommunikation von dem Kunden erlebt wird. – Er veranschaulicht Abweichungen zwischen offiziellen und erlebten Informationswegen.

Anwendung

Der Berater heftet ein mit Hilfe des Kunden skizziertes oder mitgebrachtes Organigramm an eine Wand. Im Gespräch mit dem Kunden macht er einen Abgleich der schriftlich fixierten offiziellen Struktur mit den inoffiziellen Strukturen (Informationsflüssen, Ablaufprozessen, Berichtswesen, Entscheidungswegen), indem er den Kunden nach seinem tatsächlichen Erleben im Arbeitsalltag fragt. Abweichungen von der offiziellen Struktur werden von dem Berater farblich kenntlich gemacht.

Beispiel

Ein Abteilungsdirektor ist drei Abteilungen übergeordnet. Faktisch werden Entscheidungen zwischen ihm und dem ältesten Abteilungsleiter getroffen.

Bemerkung

Als Dokumentation schriftlich fixierter offizieller Strukturen können neben Organigrammen alle von Organisationen schriftlich niedergelegten Aussagen zu Strukturen und Abläufen dienen, wie beispielsweise Prozessablaufpläne, Projektpläne, Unternehmensverfassungen, Führungsleitlinien, Zielvereinbarungssysteme, Feedbackprozesse.

Systemblüte

Ziel

30 Min. – Die Bezugsrahmen (Kontexte), in denen der Kunde handelt und sich bewegt, werden verdeutlicht. – Die Rollen des Kunden werden transparent gemacht. – Die unterschiedlichen Anforderungen an den Kunden werden veranschaulicht. – Aufträge, Botschaften oder Motti können integriert werden.

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143

Methodenmatrix

Anwendung

Der Kunde zählt alle Systeme auf, in denen er integriert ist. Jedes System wird durch ein Blütenblatt repräsentiert. Seine Person bildet den Mittelpunkt der Blume, die angrenzenden Blütenblätter repräsentieren die unterschiedlichen Systeme. Zur Visualisierung kann eine Zeichnung hilfreich sein.

Beispiel

Kinder, Ehepartner, Verwandte, Freunde, Nachbarn, Arbeitskollegen, Sportverein.

Bemerkung

Die Arbeit mit der Systemblüte ist für den Kunden häufig entlastend und klärend, da mit Hilfe der Blume alle unterschiedlichen Anforderungen übersichtlich dargestellt werden und die komplexe Aufgabe des Kunden, diese in Einklang zu bringen, deutlich wird.

Tetralemma

60 Min.

Ziel

– Erstarrtes schematisches Denken des Kunden überwinden. – In der Beratung gezeigtes Schwarz-Weiß-Denken des Kunden um zusätzliche Alternativen erweitern. – Den Kunden für unterschiedliche Ursachen eines Verhaltens sensibilisieren.

Anwendung

Der Berater leitet den Kunden an, vier unterschiedliche Positionen zu beziehen, beispielsweise sich in den vier Ecken des Raumes in vier unterschiedliche Standpunkte (das eine, das andere, beides, keines von beiden) zu einem Anliegen einzufühlen und seine Gedanken laut auszusprechen. Für die Auswertung hält der Berater die Äußerungen des Kunden auf kleinen Zetteln fest und legt sie gut sichtbar in der jeweiligen Ecke des Raumes ab oder heftet sie dort an die Wand.

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144

Methodenmatrix

Beispiel

Ein Kunde hat das Angebot, innerhalb der Firma, in der er arbeitet, die Stelle zu wechseln. Er weiß nicht, ob er das Angebot annehmen soll. 1. Alte Stelle behalten Der Berater lässt den Kunden in einer Ecke des Raumes die erste Position gedanklich ausmalen. Er beschreibt die Situation und wie es sich anfühlt, wenn es bliebe, wie es ist. 2. Neue Stelle antreten In einer anderen Ecke des Raumes bittet der Berater den Kunden, sich genau vorzustellen, wie es wäre, wenn er die neue Stelle angetreten hätte.

Beispiel

3. Alte Stelle neu gestalten Für den dritten Standpunkt wechselt der Kunden wieder in eine andere Raumecke und teilt dem Berater mit, welche Möglichkeiten er sieht, das Alte mit dem Neuen zu verbinden. 4. Weder noch, sondern etwas ganz anderes In der vierten Raumecke lädt der Berater den Kunden ein, sich von den bisherigen Überlegungen ganz zu lösen und in Alternativen laut zu denken.

Bemerkung

Die Methode stammt aus der traditionellen indischen Logik. Sie wurde im Rechtswesen genutzt, um Haltungen und Standpunkte zu kategorisieren. Für das Einfühlen in die unterschiedlichen Positionen kann es für den Kunden hilfreich sein, die Augen nach Beziehen des jeweiligen Standpunkts zu schließen und sich einzufühlen. Literaturhinweis: Kibed, M. V.; Sparrer, I. (2002): Ganz im Gegenteil. Tetralemmaarbeit und andere Grundformen Systemischer Systemaufstellungen. Heidelberg.

Timeline

Ziel

30 Min. – Der Kunde ordnet sein Anliegen zeitlich ein, – Er klärt den Kontext – Er macht den Sinnzusammenhang deutlich, in dem das Anliegen steht.

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145

Methodenmatrix

Anwendung

Der Berater visualisiert eine Zeitleiste (zeichnen oder mit Gegenständen aufstellen), indem er den Beginn des Ereignisses, das Ende und dazwischenliegende Ereignisse mit Markierungspunkten kenntlich macht.

Beispiel

Beginn: Eheschließung Meilensteine: – Geburt der Kinder – Hausbau – Jobwechsel Endpunkt: Neuer Arbeitgeber

Bemerkung

Die Auswahl der zwischen Beginn und Ende des Ereignisses liegenden Meilensteine wird von dem Kunden getroffen, da er am besten weiß, was für das Ergebnis relevant ist.

Visualisieren von Strukturskizzen

15 Min.

Ziel

– Der Berater hält das Anliegen als Momentaufnahme fest. – Er schafft Transparenz, indem er komplexe Zusammenhänge übersichtlich darstellt. – Der Berater schafft eine gemeinsame Ausgangsbasis für die Beratung.

Anwendung

Der Kunde formuliert ein individuelles Anliegen, das mit Hilfe eines Genogramms oder eine Skizze bearbeitet werden kann. Personen oder Gegenstände, die an dem Anliegen beteiligt sind, werden auf Papier oder einer Tafel aufgezeichnet und deren Beziehungen mit Pfeilen und Symbolen verdeutlicht. Informationen zu Unternehmen oder Institutionen werden mit Hilfe von Organigrammen festgehalten. Informationen zu Familien in Genogrammen. Hinweise zur Kurzschreibweise: v. Schlippe; Schweitzer, J. (1999): Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung. 6. Auflage. Göttingen, S. 133.

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146

Methodenmatrix Der Kunde hat zwei Söhne und eine Tochter mit seiner Frau und eine Enkeltochter.

Beispiel

Abbildung 16: Genogramm

Bemerkung

Die Visualisierung ist nicht nur eine Hilfe für den Kunden, sondern ermöglicht auch dem Berater eine schnelle Orientierung. Die Skizze stellt eine gemeinsame Gesprächsgrundlage sicher. Genogramme dienen der übersichtlichen Darstellung von komplexen Familieninformationen. Das Genogramm wird mit Hilfe einer festgelegten Zeichensprache aufgezeichnet. Literaturhinweis: McGoldrick, M.; Gerson, R. (1990): Genogramme in der Familienberatung. Stuttgart.

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147

Methodenmatrix

Wortspiele

2 Min.

Ziel

– Der Berater schafft eine entspannte Atmosphäre. – Er versucht, den Kunden zum Schmunzeln zu bringen.

Anwendung

Der Berater verdreht Wörter, reimt, verwendet Alliterationen, verändert Redewendungen, zitiert.

Beispiel

»Ohne Mumm kommt nix rum« »Setzt Euch zueinander statt auseinander.« »Es gibt nur Wahr- und keine Falschnehmungen.« »Hilfreiche Hindernisse« »Wer nach allen Seiten hin offen ist, kann nicht ganz dicht sein.« (nach Haja Molter)

Bemerkung

Die Authentizität des Beraters ist entscheidend dafür, wie der Humor ankommt.

Wunderfrage

2 Min.

Ziel

– Diese Fragestellung lädt den Kunden zum Phantasieren ein. – Die Projektion in die Zukunft wird durch die hypothetische, unverbindliche Fragestellung erleichtert. – Lösungen werden angeregt.

Anwendung

Der Berater stellt dem Kunden eine hypothetische Frage, die sich auf eine mögliche Zukunft bezieht, in der wie durch ein Wunder das Problem gelöst ist.

Beispiel

»Angenommen, diese Nacht – während Sie schlafen – passiert ein Wunder: Die Probleme, die Sie geschildert haben, sind nicht mehr da. Wie werden Sie erkennen, dass das Wunder passiert ist? Wie werden andere erkennen, dass etwas passiert ist? Was werden Sie als Erstes machen, wenn das Problem weg ist?«

Bemerkung

Um die Phantasie des Kunden anzuregen, können Hilfsfiguren erfunden werden, wie zum Beispiel eine gute Fee.

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148

Methodenmatrix

Zirkuläre Fragen

1–2 Min.

Ziel

– Sich in andere hineinversetzen. – Gezielt unterschiedliche Beobachtungspositionen einnehmen. – Gewohnte Perspektiven erweitern.

Anwendung

Der Kunde wird angeregt, seine Vermutungen, Wünsche, Bedürfnisse, Meinungen, Beziehungen anderer Beteiligter zu äußern.

Beispiel

»Was glauben Sie, löst es bei Ihrem Mitarbeiter aus, wenn er mitbekommt, dass sein Kollege fristlos ohne Vorwarnung gekündigt wird?«

Bemerkung

Für die Formulierung zirkulärer Fragen bedarf es häufig besonderer Konzentration, und sie sollten daher behutsam gestellt und wohldosiert eingesetzt werden.

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Literatur

Bandler, R.; Grinder, J. (1985): Reframing. Ein ökologischer Ansatz in der Psychotherapie. Paderborn. Brunner, E. J.; Lenz, D. (1993): Was veranlasst ein Klientensystem zu sprunghaften Veränderungen? System Familie 6 (1): 1–9. Furman, B.; Ahola, T. (1995): Die Zukunft ist das Land, das niemandem gehört. Probleme lösen im Gespräch. Stuttgart. Kibed, M. V.; Sparrer, I. (2002): Ganz im Gegenteil. Tetralemmaarbeit und andere Grundformen Systemischer Systemaufstellungen. Heidelberg. Kockmann, M. (1992): Virginia Satirs Parts Party. In: Moskau, G.; Müller, G. (Hg.): Virginia Satirs Wege zum Wachstum. Paderborn, S. 191–208. Kruse, P.; Dreesen, H. (1995): Zur psychologischen und sozialen Funktion des Rituals. Hypnose und Kognition 12 (1): 2–10. McGoldrick, M.; Gerson, R. (1990): Genogramme in der Familienberatung. Stuttgart. Molter, H.; Schlippe, A. von (1991): Das Weinheimer Modell der Familientherapie – ein Modell der Vielfalt. Systema 5 (2): 14–18. Prior, M. (2003): MiniMax-Interventionen. Heidelberg. Rech-Simon, C.; Simon, F. B. (2006): Zirkuläres Fragen. Systemische Therapie in Fallbeispielen: Ein Lehrbuch. Schlippe, A. von (1996): Das Auftragskarussell. In: Schindler, H. (Hg.): Un-heimliches Heim: Von der Familie ins Heim und zurück!?! Familientherapeutische und systemische Ideen für die Heimerziehung. Dortmund, S. 135–143. Schlippe, A. von; Kriz, J. (Hg.) (1993): Skulpturarbeit und zirkuläres Fragen. Eine integrative Perspektive auf zwei systemtherapeutischen Techniken aus Sich der personenzentrierten Systemtheorie. Integrative Therapie 19 (3): 222–241. Schlippe, A. von; Schweitzer, J. (1999): Lehrbuch der Systemischen Therapie und Beratung. 6. Auflage. Göttingen Watzlawick, P.; Weakland, J.; Fisch, R. (1974): Lösungen. Stuttgart. White, M. (1989): Der Vorgang der Befragung: eine literarisch wertvolle Therapie? Familiendynamik 14 (2): 114–128.

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Liebe Leserin, lieber Leser, Sollten Sie auf den Geschmack gekommen sein, haben Sie die Möglichkeit, die Inhalte dieses Buches in drei Varianten zu erlernen und zu vertiefen. 1. Appetizer an einem Tag An diesem Seminartag können Sie die fünf Gänge der systemischen Beratung genussvoll erleben. Sie werden in die Systematik der Fünf Gänge eingeführt und wenden sie direkt anhand von konkreten Fallbeispielen an. Aperetif

Digestif

Vorspeise

Nachspeise

Hauptgang

2. Halbjährige Fortbildung in fünf Gängen Sie erlernen die 5-Gänge-Systematik in praxisnahen Modulen. Jedes Modul entspricht einer Phase des Ablaufs der systemischen Beratung in fünf Gängen. Unter professioneller Begleitung haben Sie die Möglichkeit, die Inhalte der Module zu vertiefen und die Vorgehensweise und Methoden unmittelbar zu erleben und selbst anzuwenden. Die Zeit zwischen den Modulen dient der Umsetzung in den Arbeitsalltag.

Modul 1 Beziehung aufbauen Modul 2 Anliegen konkretisieren

Modul 3 Bearbeitungsund Lösungsebene finden

Modul 4 Impulse geben Modul 5 Gespräch abschließen

3. Inhouse-Seminar auf Ihren konkreten Bedarf ausgerichtet. Inhalte, Anzahl der Seminartage und Veranstaltungsort werden in einem persönlichen Abstimmungsgespräch gemeinsam festgelegt. Die Seminare sind buchbar ab September 2006. Nähere Informationen finden Sie unter: www.fuenf-gaenge.de oder Sie fordern unseren Angebotsflyer an unter: [email protected] oder Sie wählen den direkten Draht zu uns unter: 0211-1594564 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525490969 — ISBN E-Book: 9783647490960

Systemische Theorie und Praxis Wolf Ritscher Soziale Arbeit: systemisch

Jürgen Hargens Aller Anfang ist ein Anfang

Ein Konzept und seine Anwendung

Gestaltungsmöglichkeiten hilfreicher systemischer Gespräche

Unter Mitarbeit von Jürgen Armbruster, Elsbeth Lay und Gabriele Rein. 2007. 180 Seiten mit 22 Abb. und 1 Tab., kartoniert ISBN 978-3-525-49101-0

Arist von Schlippe / Jochen Schweitzer Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung I Das Grundlagenwissen 1. Auflage 2012. 495 Seiten mit 31 Abb. und 6 Tab., gebunden ISBN 978-3-525-40185-9

Jochen Schweitzer / Arist von Schlippe Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung II Das störungsspezifische Wissen 4. Auflage 2012. 452 Seiten mit 13 Abb. und 29 Tab., kartoniert ISBN 978-3-525-46256-0

Andreas Bürgi / Herbert Eberhart Beratung als strukturierter und kreativer Prozess Ein Lehrbuch für die ressourcenorientierte Praxis Sonderausgabe 2006. 274 Seiten mit 5 Abb., kartoniert ISBN 978-3-525-46247-8

Mit einem Vorwort von Arist von Schlippe. 4. Auflage 2011. 160 Seiten mit 2 Abb. und 3 Tab., kartoniert ISBN 978-3-525-46195-2

Rainer Schwing / Andreas Fryszer Systemisches Handwerk Werkzeug für die Praxis 5. Auflage 2012. 352 Seiten mit 30 Abb. und 14 Tab., kartoniert ISBN 978-3-525-45372-8

Willy Christian Kriz / Brigitta Nöbauer Teamkompetenz Konzepte, Trainingsmethoden, Praxis. Mit einer Materialsammlung zu Teamübungen, Planspielen und Reflexionstechniken Mit Illustrationen von Ulrike Rohrhofer 4. überarb. und erw. Auflage 2008. 287 Seiten mit 18 Abb. und 4 Tab., kartoniert. ISBN 978-3-525-46162-4

Brigitta Nöbauer / Willy Christian Kriz Mehr Teamkompetenz Weitere Methoden und Materialien 2006. 128 Seiten mit 13 Abb., kartoniert ISBN 978-3-525-46253-9

© 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525490969 — ISBN E-Book: 9783647490960

Systemische Theorie und Praxis Johannes Herwig-Lempp Ressourcenorientierte Teamarbeit Systemische Praxis der kollegialen Beratung. Ein Lern- und Übungsbuch

Haim Omer / Arist von Schlippe Autorität durch Beziehung Die Praxis des gewaltlosen Widerstands in der Erziehung

3. Auflage 2012. 253 Seiten mit 11 Abb., kartoniert. ISBN 978-3-525-46197-6

Mit einem Vorwort von Wilhelm Rotthaus 6. Auflage 2012. 262 Seiten mit 5 Abb., kartoniert. ISBN 978-3-525-49077-8

Arist von Schlippe / Willy Christian Kriz (Hg.) Personzentrierung und Systemtheorie

Christian Hawellek / Arist von Schlippe (Hg.) Entwicklung unterstützen – Unterstützung entwickeln

Perspektiven für psychotherapeutisches Handeln

Systemisches Coaching nach dem Marte-Meo-Modell

2004. 307 Seiten mit 24 Abb. und 3 Tab., kartoniert. ISBN 978-3-525-49078-5

2. Auflage 2011. 263 Seiten mit 32 Abb. und 8 Tab., kartoniert ISBN 978-3-525-46227-0

Arist von Schlippe / Michael Grabbe (Hg.) Werkstattbuch Elterncoaching

Christian Hawellek Entwicklungsperspektiven öffnen

Elterliche Präsenz und gewaltloser Widerstand in der Praxis 3. Auflage 2012. 292 Seiten mit 4 Abb. und 6 Tab., kartoniert ISBN 978-3-525-49109-6

Haim Omer / Arist von Schlippe Autorität ohne Gewalt Coaching für Eltern von Kindern mit Verhaltensproblemen. »Elterliche Präsenz« als systemisches Konzept Mit einem Vorwort von Reinmar du Bois. 8. Auflage 2011. 214 Seiten, kartoniert ISBN 978-3-525-01470-7

Grundlagen beobachtungsgeleiteter Beratung nach der Marte-Meo-Methode Mit einem Vorwort von Arist von Schlippe. 2012. 139 Seiten mit 25 Illustrationen, 6 Abb. und 11 Tab., kartoniert ISBN 978-3-525-40217-7

Haja Molter / Rose Schindler / Arist von Schlippe (Hg.) Vom Gegenwind zum Aufwind Der Aufbruch des systemischen Gedankens Mit einem Vorwort von Cornelia Oestereich. 2012. 286 Seiten mit 8 Abb. und 16 Tab. kartoniert. ISBN 978-3-525-40184-2

© 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525490969 — ISBN E-Book: 9783647490960