Studien in der Wüste [Reprint 2021 ed.] 9783112508329, 9783112508312

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Studien in der Wüste [Reprint 2021 ed.]
 9783112508329, 9783112508312

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in

W ü st e

d e r

Von

Dr.

Kar l

Sederholm,

Pastor der evang. Gemeinde in der Umgegend von Moskau, Religionslehrer am Moskauer Kadettenkorps, wie auch Lehrer an der Kaiser!. MedicoChirurgischen Akademie, an der Kommerz-Schule und am Lasarewschen Institut der orientalischen Sprachen.

Berlin, bei G. Reimer.

18 3 5

Vorrede. Umstande, deren Anführung aber nicht hieher gehört,

nöthigten den Verfasser dieser Studien, von denen das erste Heft hier erschien, für die folgenden einen Verleger

in Deutschland zu suchen.

Daher die unfreiwillige Ver­

spätung , wegen welcher er die Besitzer des ersten Heftes, welches zugleich mit dem gegenwärtigen und mit einigen

frühern Schriften von ihm in den deutschen Buchhandel tritt, um Entschuldigung bittet. Wenn der Verfasser vorliegender Bruchstücke immer

nur mit Schüchternheit seine Versuche der Oeffentlichkeit übergab: so ist dieses jetzt doppelt der Fall, wo seine

Schrift nicht im Schatten der unbeachteten Ferne, son­ dern am lichten Markte des Deutschen gelehrten Publikums

erscheint.

Zwar ist er sich dessen bewußt, daß , so gering

auch seine Leistung immer seyn mag, dieses dennoch Alles ist, wa^ ihm bei seiner höchst spärlichen Muße möglich war, und zwar möchte der Umstand, daß er von Geburt kein Deutscher ist, ihn einige Nachsicht in Hinsicht des

Ausdrucks hoffen lassen; allein bei alle dem geht er nur mit großer Schüchternheit daran, diese Entwürfe und

Fragmente, als das Einzige, was er dermalen noch zu bieten hat, dem deutschen Publikum zu übergeben, und

nur der Blick auf die Wandelbarkeit aller menschlichen

Dinge und die Betrachtung, daß er vielleicht nie dazu kommen wird, etwas Großes und Vollendetes zu leisten,

uöthigen ihn, diese vorläufigen Versuche denen, die mit ihm dies Verständniß der Dinge suchen, in der Hoff­

nung vorzulegen, daß sie darin hie und da einen An­ klang ewiger Wahrheit finden werden.

Wenigstens ist

er sich dessen bewußt, daß er diese Herausgabe aus keinen unwürdigen Nebenabsichten, als aus pekuniären, aus

Lust am Büchermachen u. s. w. unternommen, und was

man ihm auch mag vorwerfen können, den Vorwurf der

Selbstüberschätzung

wird man

ihm

nie

vorzuwerfen

haben.

Das nächste Heft dieser Studien wird hoffentlich bald folgen, so wie der erste Theil der versprochenen Re­ ligionsphilosophie. Ueberhaupt wird der Umstand, daß der Verfasser nunmehr in dem wackern Manne, bei dem dieses Büchlein erscheint, einen Verleger gefunden hat, seine Theilnahme an eine Literatur, in deren Kreis er, der

Fremdling, zu treten gewagt hat, erleichtern.

Moskau, am Schalttage 1832.

Seite L

Der Bund der Politik mit

der Religionsphilosophie.

Brief an einen Diplomaten unsrer Lage

...

Aphorismen über verschiedene Gegenstände der Politik

n.

Zur Lehre von der Vorsehung

III. WaS meint

die

Ein

.

.

1 35

............................................................... 50

evangelische Christenheit dazu? oder Versuch

das Glaubensbekenntniß der evangelischen Kirche, dem jetzigen

Standpunkte derselben gemäß, aufzustellen.

Ein verspäte­

ter Beitrag zur Feier des Jubiläums der Augsburg. Konf.

74

IV. Was ist'Mysticismus?......................................................................... 91 V.

Ueber die Entstehung der verschiedenen Menschenra^en

VI.

Das Bewußtsein als Princip der Erkenntniß und der Phi­ losophie

Anhang.

.

.

97

.............................................................................................106 Ueber die Unentbehrlichkeit der Religionsphiloso­

phie zur Lösung der Aufgabe der Philosophie schlechthin

.

129

I

Der Bund der Politik mit der Reli­ gionsphilosophie. Ein Brief an einen Diplomaten unserer Tage.

(§w. Excellenz haben mir gütigst erlaubt, Ihnen meine Ansicht von dem Nutzen mitzutheilen, welchen es der Politik gewähren

würde, wenn sie auf die Wahrheiten der Religionsphilosophie ein­ gehn, wollte, und ich eile daher, von dieser Erlaubniß Gebrauch

machend, sie der Prüfung Ew. Excellenz zu unterlegen.

So

wenig ich mir aber auch schmeicheln darf eine so schwere Aufgabe genügend gelöst zu haben, so-dürfte doch dieser Versuch wenig­

stens den Nutzen haben, daß er eine gründliche Erörterung eines

Gegenstandes von so unermeßlicher Wichtigkeit veranlasse und Fragen zur Sprache bringe, welche für das Heil der. Menschheit

nur zu wenig berücksichtigt worden sind.

Ew. Excellenz werden

aber über dieses Unternehmen lächeln, wenn Sie sehen wie einer,

der die Welt nur von

seiner Studirstube aus kennt, sich unter­

fängt, einen Mann, der nicht nur selbst auf der Bühne der po-

litischen Begebenheiten steht, sondem auch an der Leitung dersel­ ben Theil nimmt, von denselbm zu Unterhalten; doch mag dieses Schreiben selbst das kühne Unternehmen seines Verfassers recht­

fertigen oder doch entschuldigen — wenn es dieses kann! Aber noch eine Entschuldigung, bedarf meine Schrift, die, daß sie manches mehr oder weniger Fremdartige enthält.

Man

kann aber ein so reichhaltiges Thema nicht behandeln, ohne daß sich einem Nebmideen, die da auch verlangen entwickelt zu wer­

den, aufdrängten.

Ich habe mich dieser Verlockung hingegeben,

und zwar damit ich, bis ich einmal die ersehnte Muße finde,

wenn ich sie finde — etwas Umfassenderes und Geordneteres zu liefern, mich über diese Nebenideen wenigstens vorläufig ausspre­

chen sonne.

Und da es leicht möglich

ist,

daß ich aus diesem

Leben scheiden werde ohne alle die Ideen, die meine Brust bewe­

gen, so umfassend wie ich wünsche,

entwickeln zu können, so

werden Ew. Excellenz mir nicht übel nehmen, wenn ich die Ge­ legenheit ergreife, um einige mit meinem Thema nur locker zu­

sammenhängende Gegenstände wenigstens in flüchtigen Skizzen anzudeuten. Es hat von jeher ein unfreundliches Verhältniß zwischen

der Politik und der Philosophie bestanden, und zu welchen Klagen auch diese sich gegen jene berechtigt halten mag, so bleibt es den­ noch auf der andern Seite wahr, daß auch die Philosophie zum

großen Theil die Schuld selbst trägt, wenn kein besseres Einver-

ständiß zwischen ihr und der Politik statt gesunden hat. Die Schuld der Philosophie in dieser Hinsicht möchte aber

vorzüglich darin zu suchen sein, daß sie, anstatt das, was der Menschheit wahrhaft noth thut,

in ein helles Licht zu setzen,

immer noch bei den Prinzipien stehen geblieben ist, ohne eine durchgreifende Anwendung derselben auf die Wirklichkeit, mit der

die Politik allein zu thun hat, zu versuchen, woher es denn auch kommt, daß die herrschende Philosophie, wenn sie aufrichtig sein will, über die höchsten praktischen Angelegenheiten der Mensch­

heit fast eben so wenig im Klaren ist als die Politik.

kommt, daß sie sich noch

Dazu

immer darin gefällt, die Wahrheit,

die sie allenfalls hat, in ein abschreckendes Dunkel zu hüllen. Sie gebe aber einmal der immmer dringendem und unabweisbarem

Forderung des Zeitalters nach, der Forderung der Popularität und der Würdigung der religiösen und politischen Bedürfnisse

der Menschheit, und zeige einmal in einer klaren, bündigen und durch sich selbst überzeugenden Sprache, wie ihnen genügt wer­ den könne: es ist keinem Zweifel unterworfen, daß sie auch bei der

Politik Eingang finden wird.

Die Wahrheit hat eine so unwi­

derstehliche Kraft, daß sie durchaus Eingang finden und jeden Widerstand besiegen muß, und wo sie nicht Eingang findet, da ist es entweder die Wahrheit nicht, oder die Darstellung derselben ist verfehlt.

Auch hier ist der Erfolg ein Gottesurtheil.

Unstreitig hat aber auch die Politik ihrerseits darin Unrecht,

daß sie sich bei ihrem Wirken zu sehr isolirt und nur sich selbst

um Rath, wie sie verfahren soll, gefragt hat.

Denn giebt es

einen Gott, so muß er, als die höchste Weisheit einen Zweck mit der Menschheit haben, und da muß denn alles was die

Menschen überhaupt und also auch in der Politik bezwecken, nothwen­

dig nichtig, ja verderblich sein, in sofern sie nach diesem Zwecke Got­ tes mit seiner Menschheit nicht fragen oder gar demselben mtgegen wirken.

Wo hat aber die Politik sich je um den Willen

Gottes in der Geschichte bekümmert, und wo hat sie, wenn sie es auch gethan hätte, sich zu einer höhern Ansicht erhoben, als

zu der, ihre Bestimmung sei: die Reibungen zwischen den In­

dividuen unter sich und zwischen den Staaten unter sich zu un­

terdrücken, und den materiellen Wohlstand des einzelnen Staates zu fördem, als wenn damit ihre ganze Aufgabe gelöst wäre! Vielleicht würde sich der Wirkungskreis der Politik ganz anders

gestalten, wenn sie, und sei es auch nur um konsequent zu han­ deln und um nichts Vergebliches und Unnützes zu thun, sich fra­

gen würde, wie sie im Einklang mit dem göttlichen Willen zu wirken hätte.

Allein selbst von dieser Schuld trägt die Philoso­

phie den größern Theil, denn nicht von der einzelnen Wissenschaft und Kunst, — und die Politik ist beides, — darf man verlan­

gen, daß sie sich zur Einsicht ihres rechten Platzes und Verhält­ nisses zu dem Ganzen erheben soll; wohl aber von der Philosophie, daß sie ihr diesen ihren rechten Platz und ihr rechtes Verhältniß anweise und sie, darauf aufmerksam mache, was ihr höchstes Prin­

cip und ihre leitende Idee sein soll.

Das hat aber die Philoso­

phie in Beziehung auf die Politik nicht gethan, wenigstens nicht mit Klarheit und Durchführung, womit sie es thun muß, wenn

sie sich davon einigen Erfolg versprechen will.

Keine Zeit scheint aber geneigter,

eine innige Verbindung

zwischen der Philosophie und der Politik herbeizuführen als die

gegenwärtige, denn in ihrer gewaltigen Bewegung läßt sie jener nur die Wahl, entweder sich um die Verhältnisse der Wirklichkeit

zu bekümmern, oder künftig als nutzlos und ohne Werth für

das praktische Leben ignorirt und verachtet, und höchstens als

eine Privatliebhaberei geduldet zu werden.

Auf der andem Seite

wieder hat die Politik nie mehr als eben jetzt die Unzulänglichkeit der ihr zu Gebot stehenden Mittel zur Erreichung ihrer Zwecke

1*

eingefehen, nie ist bei ihr daS Bedürfniß, sich nach haltbarem umzusehen, dringender gewesen als jetzt, utfb nie möchte sie sich daher williger als jetzt finden lassen, einer Wissenschaft Gehör

zu geben, die ihrer Wirksamkeit einen sichem Erfolg und fester» Bestand zu geben verspricht. Ew. Excellenz werden mir daher gütigst erlauben, daß ich

Ihnen meine Ansicht, wie diese gegmseitige Annäherung zwischen jenen beiden Welten,

der Welt der Wirksamkeit und des Den­

kens zu Stande kommen könnte, ohnmaßgeblich mittheile.

Ich

bitte nur um Gehör, und überlasse es der Wahrheit selbst, in­ sofern ich hoffen darf, sie zu haben und sie richtig darzustellen, sich geltend zu machen.

Rur das darf ich im Voraus bemerken,

daß es keine philantropische Träumereien sind, womit ich Ew.

Excellenz unterhalten werde.

Ich werde keine utopische Politik

voraussetzen, sondern eine wie sie ist und sein kann, und ich werde

nicht verlangen, daß sie, sanguinischen Hoffnungen zu

Gefallen, ihre Tendenz verläugne; ich will nur von dem reden,

was für sie von handgreiflichem Nutzen ist, und

gern zugeben,

daß ich mich geirrt habe, wenn sie nicht die vorzutragende An­

sicht als evident wahr, nothwendig und ausführbar anerkennt. Aber eben dämm kann es gar nicht meine Absicht sein, glauben

zu machen, daß ich irgend eine neue unerhörte Wahrheit vorzu­ tragen hätte,

sondern es sind nur mehr oder weniger bekannte

Wahrheiten, denen ich nur durch eine einfache Zusammmstellung

einige Evidenz zu geben hoffe.

Nie war die Aufgabe der Politik schwieriger als grade in

unsrer Zeit, die in politischer Hinsicht genau dasselbe , ist, was das sechzehnte Jahrhundert in kirchlicher Hinsicht war.

Denn

wie damals ein ©heben nach kirchlicher Mündigkeit bei den Völ­ kern Europas rege ward, so ist auch das Streben unsrer Zeit seit

einem halben Jahrhundert ein Streben nach politischer, und künf­ tige Geschichtsschreiber werden sie einst als das Zeitalter der Ver­

vollkommnung der politischen Institutionen bezeichüen.

Unstreitig

waren die Völker vom dreißigjährigen Kriege an bis zur franzö­ sischen Revolution, im Ganzen ruhiger als seit den letzten vierzig Jahren, und die politischen Kämpfe gingen mehr von den Kabineten

als den Völkem selbst aus.

Wenn bis dahin die Fürsten selbst

Friede haben wollten, so war alles ruhig; jetzt nicht mehr so.

Diese große politische Ruhe bis dahin war aber nicht die Folge

davon, daß die Volker damals besser regiert wurden als jetzt,— es wäre schmahliger Undank, wenn man nicht das Gegentheil freu­

dig anerkennen wollte, — oder daß sie gehorsamer, weiser und

frömmer oder auch glücklicher waren als jetzt; und schienen sie es

auch zu fein, so war ihr Glück ein irrationelles, ein auf die

Länge unmögliches; sondem davon, daß sie in Beziehung auf

politische

jetzt.

Ideen unmündiger

und weniger entwickelt waren als

Die Politik hat aber nicht blos darum heut zu Tage einen

so schweren Stand, weil sie, obgleich ohne Zweifel gerechter und thätiger für ihre Zwecke als je, die Folgen der Mißgriffe und Unvollkommenheiten ftüherer politischer

Institutionen zu büßen

hat; nicht blos darum,. weil heut zu Tage, — ob mit Recht oder Unrecht, gehört nicht hieher, — so viele Stützen wegfallen, welche

der Politik ftüherer Zeiten zu Gebot standen,

namentlich das

Bündniß mit den Dienern der Kirche, die einst die Gesinnung des Volks leiteten und den Begriff von einem göttlichen Recht und einer göttlichen Auktorität der Herrscher aufrecht hielten, und

endlich nicht blos dämm, weil die in einem unaufhaltbaren Fort­ schritt begriffene und bewegte Zeit jeden Versuch zur Repristina-

tion, welchen die Politik, — ob mit Recht oder Unrecht, gehört

wieder nicht hieher, — zu versuchen geneigt sein möchte, unmög­ lich macht: sondern vorzüglich darum, weil der Kampf zwischen dem Bestehenden und dem Neuen ein allgemeiner ist, ein Kampf,

woran nicht blos einzelne Individuen oder Stände, sondern bei­ nahe die ganze Masse der Nation, nicht blos ein einzelnes Volk,

sondern das ganze Zeitalter Theil nimmt. Die Politik, die Hüterin des Bestehenden, dessen, wodurch

sie sonst Ruhe und Frieden auftecht erhielt, muß dieses Bekannte

aufgeben, um nicht genug erprobtes Neues an die Stelle dessel­ ben zu setzen.

Und dieser Widerstreit ist nicht etwa der ruhiger

Verhandlungen, sondern die Politik hat es hier mit einem aufge­

regten leidenschaftlichen Zeitalter, und mit allen Künsten einer gesteigerten Selbstsucht zu thun, welche, je mehr ihr gewährt wird, desto mehr fordert, und nur zu geneigt ist, jedes billige

Zugeständniß für Schwäche auszulegen; und die mit frecher Ab­ sichtlichkeit die Verlegenheiten der Gegenwart vermehrte,

um ihre

Absichten desto sicherer verfolgen zu können; weshalb, bei dieser

t» Lage der Dinge, jeder Wohlgesinnte und Rechtliche sich gedrun­ gen fühlen muß, ohne Weiteres die Partei der Regierungen zu

nehmen.

Was aber die Lage der Politik am allerschwersten macht,

ihr aber zugleich auch an die Hand giebt, wie sie diesen Sturm

beschwören soll, ist, daß dieser politischen Leidenschaftlichkeit unserer

Tage mehr als je alles Gegengewicht fehlt. Das Menschengeschlecht wird, wie die Blume des Frühlings,

seiner immer weitern Entwickelung entgcgengetrieben; ist aber, wie dies bei den Mitgliedern derjenigen Kirche, aus deren Mitte

die evangelische hervorging, der Fall ist, das sittlich religiöse Ele­ ment im Menschen zurückgedrängt: so muß diese Entwickelung

mehr eine des kalten Verstandes und der Selbstsucht werden. Der Mensch muß unter diesen Umständen anfangen auf sinnli­

chen Lebensgenuß zu raffiniren und politische Bedeutsamkeit als Mittel dazu zu erstreben.- Dieses Raffinement ruft den Luxus her­

vor, und der Luxus, der einerseits den Sinnlichen noch sinnlicher macht,

treibt ihn andrerseits immer gewaltiger,

sich

um neue

Mittel umzusehen, wodurch er die Gebote desselben erfüllen könne.

Es muß daher im bürgerlichen Leben ein rastloses Sich-Hervordrän­ gen, ein Sich-Geltendmachen anfangen,— um immer mehr Mit­

tel zum materiellen Lebensgenuß zu erbeuten, welches nicht statt­ gefunden hätte, oder doch nicht mit einer solchen Gier getrieben worden wäre, wenn nicht die menschliche Entwickelung, dadurch,

daß die sittlichen und religiösen Elemente im Menschen, besonders

in der katholischen Christenheit, dem Heerd fast, aller politischen Umwälzungen unserer Tage, zurückgedrängt worden sind, eine

so sinnlich selbstische geworden wäre, oder wenn dieses Treiben, in einer mit gleicher Raschheit erfolgten sittlich - religiösen Entwick­ lung sein Gegengewicht gefunden hätte.

Unstreitig bieten unsere

politischen Institutionen ein reiches Feld zu Verbesserungen dar, — denn auch sie sind Menschenwerk; unstreitig müssen diese Ver­

besserungen mit mehr Eifer und redlichem Willen betrieben wer­

den, als damals wo der Ton angebende Fürst seiner Zeit sprach:

l’etat c’est moi! allein unsre Zeit ist in das ganz entgegen gesetzte Extrem verfallen, und, so wie die Sachen jetzt stehen, wird, wo das höhere Leben schweigt, nur die materielle Entwickelung gefor­

dert und mit einer Art von Wuth getrieben, die den unparteii­

schen Beobachter mit tiefem Bangen erfüllt.

Es kann auch nicht anders fein, denn das eigentliche bewe­

gende Princip des geistigen Lebens eines Menschen ist seine Liebe,

sein Streben, irgend einen Gegenstand mit der ganzen Thätigkeit

seines Geistes zu umfassen und für denselben zu wirken, daher man denn von einem Menschen, der gar keinen solchen Gegen­ stand seines Strebens hat, mit Recht sagt: er lebe nicht, sondern

vegetire nur.

Die Gegenstände des Anstrebens und der Liebe

lassen sich nun in einer Stufenleiter denken, die in dem Selbst anfängt und in Gott aufhört, und

je näher dem Selbst die­

ser Gegenstand des Strebens eines Menschen liegt,' desto niedri­

ger, selbstsüchtiger ist es und desto mehr sucht der Mensch nur sich selbst uhb geht er nur auf Mittel für den möglichst größten sinnlichen Genuß seines Daseins aus.

Je höher dieser Gegen­

stand steht, als Wissenschaft, Kunst, Idee, Religion, desto edler,

göttlicher ist das Streben.

Wo aber unser Sinn auf's Geistige

und Göttliche gerichtet ist, da muß das Irdische uns zur Neben­ sache werden; da sind wir zufriedner, ruhiger, mäßiger, bescheidener in unsern Forderungen, besonnener, än unserm politischen Wirken und beurtheilen die Mißgriffe der Negierenden und die Kränkun­ gen, die uns widerfahren und die Mängel des Vorhandenen nach­

sichtiger, als sonst.

Liebe des Göttlichen, und Selbstsucht wären

also die Pole unsers Strebens.

Nun ist aber klar, daß mit je

größerer Liebe und Energie der Mensch sich gegen den einen die­

ser

Pole

neigt, desto gleichgültiger wieder gegen den andern.

Der in seine Wissenschaft vertiefte Gelehrte, der wahre Künstler,

der Fromme, dem das Leben in Gott aufgegangen ist, werden

schwerlich einen Trieb in sich fühlen, für eine gewaltsame uud leidenschaftlich betriebene Umgestaltung des politischen Lebens mit­ zuwirken, und eben so wenig wird derjenige,

der dem sinnlichen

Genusse seine ganze Liebe zugewandt, etwas Ideelles und Gött­

liches zum Gegenstand seines Hauptstrebens machen.

Zwar kann

und soll keiner dem einen Pole auf dieser Stufenleiter der Be­

strebungen so ganz anhangen, daß er für das Uebrige gar keinen Sinn mehr behält.

Auch der religiöseste Mensch wird für sein

irdisches Auskommen sorgen, und selbst bis zu einem gewissen Grade sich bestreben, sich sein irdisches Leben zu erheitern und ge­ nußreich zu machen,

und selbst bei dem sinnlichsten Menschen ist

der Sinn für das Göttliche nie so ganz untergegangen» daß et

nicht auch ihm einen kleinen Theil seiner Liebe zuwenden sollte; allein bei jenem ist das Sinnliche, bei diesem das Göttliche verhältnißmäßig nur Nebensache. Was aber hier von Individuen

gilt, das gilt auch von ganzen Nationen und Zeitaltem. Aus diesem Allen geht nun auch hervor, welche Aussicht auf größere Wirksamkeit ein engerer Bund zwischen der Politik und der Philosophie der ersteren bietet.

Indem aber die letztere darauf

hinweist, bescheidet sie sich, die Politik etwas lehren zu wollen,

was diese eben so gut selbst wissen kann.

Daß also die Politik

um so sicherer geht und um so erfolgreicher wirkt, je durchgän­

giger sie ihr Wirken auf die ewigen Gesetze des Rechts gründet, und je mehr ein Staat einen Bortheil verschmäht, der mit dem

Schaden eines andem verbunden ist,

daß sie die immer weitere

Vervollkommnung der Organisation und Verwaltung des Staats zu ihrem Hauptgeschäft machen muß, und daß sie nur in sofern

des Erfolgs sicher sein kann, als es ihr gelingt, diese Aufgabe zu

lösen, — das sind Sachen, auf welche keine Philosophie sie erst aufmerksam zu machen nöthig hat.

Wohl aber wird sie sich an

die Philosophie wenden, müssen, um von ihr zu lernen, was in jeder Beziehung Recht ist, denn so sicher der Einzelne, sobald er

nur das Rechte will,

von seinem sittlichen Gefühl belehrt wird,

was in jedem vorkommenden Falle Recht sei, so schwierig wird der Politik oft die Beantwortung dieser Frage, und zwar beson­

ders darum, weil sie dieselbe nicht allein aus dem Gesichtspunkt der Idee des Rechts beantworten darf, sondern dabei zugleich

einmal bestehende Verträge berücksichtigen muß, welche, obgleich

selbstsüchtige Gewalt sie nur zu oft diktirte, und die Noth an­ nahm, und ob sie gleich daher so viel einander Widersprechendes,

so

viele sich durchkreuzende Interessen und so viel der Idee des

Rechts Zuwiderlaufendes enthalten, auf der einen Seite, als ein­

mal eingegangen, ehrlich gehalten, und auf der andern mit der unabweisbaren Forderung des ewig Rechten ausgeglichen werden

müssm. — Ferner muß die erst durch die Philosophie mögliche,

vollendete wissenschaftliche Theorie der Politik ihr, als Praxis, einleuchtend machen, daß jeder Vortheil, den eine Abweichung von den ewigen Gesetzen des Recht's verspricht, nur auf einer groben Täuschung beruht, und daß nur das wahren, vernünfti­

gerweise wünschenswerthen Vortheil gewährt, wo das Ganze zu-

gleich mit dem Einzelnen gewinnt; eine Lehre übrigens/ welche,

so wahr sie auch ist, in den Verhandlungen der Philosophie noch schwerlich gefunden wird. — Sodann muß die Politik von der Philosophie zuerst lernen, worin die vollkommenste Organisation und Verwaltung des Staats bestehe, eher als sie eine solche verwirklichen kann. Hier sieht man es recht deutlich, wie bitter sich die Trennung der Theorie von der Praxis gerächt hat. Die

Politik fragte bis jetzt die Wissenschaft viel zu wenig um Rath, und beging, indem sie sich an eine trügliche und einseitige Erfah­

rung hielt, Mißgriffe über Mißgriffe.

Die Speculation wieder,

die sich von allem Einfluß auf die Wirklichkeit ausgeschlossen sah, baute auf eigene Hand kindische Luftschlösser, die für keine Wirk­ lichkeit paßten. Also schon hier, wo die Politik sehr gut weiß, was sie will, wird sie nicht umhin können sich mit der Frage nach dem Wie an die Philosophie zu wenden, und je enger sie sich an diese schließt, desto mehr wird sie gewinnen. — Man

wende nicht ein, daß das Theoretisiren der Politik zu nichts helfen könne, sondern daß sie sich an die Erfahrung halten müsse, denn

einmal könnte man dagegen fragen, ob denn die Ergebnisse, zu welchen die Politik durch die Erfahrung gekommen ist, so glänzend seien, und dann möchte es wohl mit ihrem Verhältnisse zur

Philosophie dieselbe Bewandtniß haben, als mit der Religion zu derselben, und, so wie nach Baco von Verulams Ausspruch, eine oberflächliche Philosophie von Gott abführt, eine gründliche aber zu ihm zurückführt, so möchte eine, auf wahre Philosophie

gegründete Theorie der Politik ihr eben so förderlich sein, als eine auf einseitige und falsche ihr verderblich ist. Die politischen Leiden der Völker haben ihren Grund eben so sehr in der Unthätigkeit der ftühern Politik und in der Anwendung falscher politi­

scher Theorien als in der Selbstsucht der Negierenden und Negier­ ten. So z. B. wäre die große französische Revolution ohne die

ungeheuer irrige politische Ansicht und die daraus entstandenen praktischen Mißgriffe der damaligen Regierung nimmer entstanden und so sehr sie, einmal ausgebrochen, in der Selbstsucht der Anführer und der Leidenschaft der Menge den Grund ihres Fort­ bestehens hatte, so hätte sie doch weder so lange gedauert, noch so viel Elend über Frankreich und beinahe ganz Europa gebracht,

waren nicht die politischen Theorien der Revolutionsmänner (z. B.

Sieyes)

so

spottschlecht und lächerlich gewesen, ja wären nur

die der übrigen Regierungen,

die mit Frankreich in Kollision

kamen, ein wenig besser gewesen.

Und wenn die Revolution der

drei Julitage vor jener so viel voraus hatte, so lag die Ursache

wohl nur in den immer doch bedeutenden Fortschritten, welche die Politik, wenigstens als Theorie seit der Zeit gemacht hat, und darin, daß die Führer und Theilnehmer dieser Revolution

von richtigern politischen Ideen

geleitet waren und wenigsims

verhältnißmäßig besser wußten,

was sie wollten, als man es

vierzig Jahre früher wußte.

Femer denke man nur an die Fol­

gen der irrigen politischen Ansichten vom Glaubensrechte (Into­ leranz) von den Rechten und Pflichten der verschiedenen Stande, an die Folgen von der Ausschließung der Bürger von aller Theil­

nahme an dem bürgerlichen Leben (Bureäucratie) Kameralre-

giment, „Ruhe ist des Bürgers erste Pflicht" an die Folgen falscher Finanz-, Kameral- und Handelssysteme, an die Folgen

der Würdigung nur der materiellen Elemente des Staats (Phy-

siokratie) an die Folgen einer irrigen Ansicht von dem politi­ schen Gleichgewicht und von dem Mißbrauch des an sich richti­ gen und fest zu haltenden Begriffs der „Legitimität" (die ar­

men Griechen!) und endlich an die Folgen von dem Untergang der Idee von einem christlichen, europäischen Staatenbund (Fort­ dauer der türkischen Herrschaft auf den Trümmern einer christli­ chen Welt) und man muß gestehen, daß der Politik nur in ei­ ner klaren Uebersicht ihrer gestimmten Aufgabe Heil ist." Ew. Excellenz werden sich einer frühern herben Aeußerung

von mir

errinnern,

der, daß das Princip

Selbstsucht bleiben werde,

so wie ich

mich

der Politik immer

mit Freuden des

Widerspruch's erinnere, den dieser Satz bei Ew. Excellenz fand. Allein, so erfreulich mir auch eine solche Verneinung im Munde eines ausgezeichneten Staatsmannes ist, so kann ich mich immer

nicht dazu verstehen, diesen Ausdruck zurück zu nehmen, womit indes­ sen nichts mehr gesagt ist, als daß sie bei jedem ihrer Schritte durch­

aus auf ihren Vortheil sehn wird. — Wollen wir nicht vor diesem Geständnisse erschrecken! — und es wird nie eine ihren Vortheil aufopfernde, für eine philantropische Idee schwärmende

Politik geben, und es ist vielleicht gut, daß es also ist.

Aber

das müssen wir wünschen, das dürfen wir hoffen, daß diese

Selbstsucht eine verständige und konsequente werde, die da klar

weiß, was sie will, und die keinen Vortheil will, der ihr mit der Zeit einen größer« Nachtheil bringen würde: dies müssen wir wün­ schen, dies dürfen wir hoffen, daß die Politik, stark geworden

durch ihr Anschließen an die Idee,

alle kleinliche Aengsilichkeit

und Eifersüchtelei fallen lasse und den Muth und die Kraft habe, Alles zu wollen was ihr wirklichen Nutzen bringt.

Und kommt

sie nur so weit, so sind die kühnsten Wünsche des Menschen­ freundes erhört.

quenten

Mit einer vollkommen verständigen und konse­

Selbstsucht

laßt sich

gut Geschäfte machen.

einer, ,mag er sonst noch so selbstsüchtig sein,

Sobald

nur zu dem Be-

wustsein gekommen ist, daß es schon um seines Vortheils willen das Allergescheidteste ist, y>as er thun kann, streng rechtlich zu

sein, nicht blos Rechtlichkeit zu erheucheln, und so lange

er bei

diesem Grundsatz konsequent bleibt, so kann man sich in allem, was Geschäft ist, nichts Besseres wünschen. Wenn aber die Po­ litik, die nur mit dem Irdischen zu thun hat, sich auf keinen

höhern Gesichtspunkt erheben kann noch soll, und wenn wir gleich

uns bescheiden, von ihr zu fordern, sie solle das Gute um des

Guten willen thun, sonder schon herzlich zufrieden sein wollen, wenn sie nur ihren wahren Vortheil einsieht, um dieses Vortheils

willen, das Gute will und überall auf das Bessere dringt, wel­ ches ihr Vortheil bringt: so muß sie doch zugleich erkennen, daß

es höhere und edlere Ziele und Hebel des menschlichen Wollens giebt, nämlich Sittlichkeit und Religion, und daß sie, will sie ihre Zwecke

verständig

und

konsequent

Kräfte im Menschen in Anschlag

fördern,

bringen und

Wenn sie aber konsequent bleiben will,

diese

höhern

benutzen muß.

wird sie diese höheren

Kräfte nicht zu Dienerinnen ihrer Zwecke herabwürdigen, indem

sie dieselben dadurch inkonsequenterweise gradezu vernichten würde;

sondern sie wird die möglichste Entwicklung derselben

möglichst

befördern, weil sie einsicht, daß sie selbst dabei am Besten fahren wird.

Die

Erfahrung, die ihr über Alles geht, hat sie gelehrt,

daß eine sinnlich-selbstsüchtige Richtung in der Thätigkeit des Zeitalters Verirrungen hervorbringt, sie in Verlegenheit setzt, und

leicht Stürme herbeiführt, die sie hernach kaum im Stande sein wird zu öeschwören.

Aus diesem Grunde muß ihr überaus dar­

an gelegen sein, die Kraft im Menschen hervor zu rufen, welche

jenem selbstsüchtigen Streben allein die Wage halten kann,, die sittlich - religiöse. Diese Belebung eines wahrhaft sittlich - religiösen Sinnes

wäre also das Erste, wodurch die Philosophie der Politik die Aussicht auf eine größere und sichere Wirksamkeit zu bieten hatte. Db aber, wie behauptet wird, mit dem Aberglaubm und der Prie­

steranmaßung, welche die Aufklärungsperiode glücklicherweise ver­ nichtete, auch das religiöse Gefühl wirklich erkaltet ist, ist wenig­

stens in den Ländern, welche die Reformation angenommen ha­ ben, zum Glück noch sehr problematisch: in dem katholischen Eu­ ropa aber möchte die Wirkung der Aufklärung nicht so wohl darin

bestanden haben, daß sie die Menschen irreligiöser machte als vor­ her, als darin, daß durch sie dasjenige Surrogat der Religion

verschwand, welches dem Mmschen bis dahin den Schein deS Religiösen gab.

Auf der andern Seite ist fteilich auch nicht zu

verkennm, daß, mit der glücklich gestürzten Priesterherrschaft in der katholischen Welt, auch alle Scheu vor einer göttlichen Auk-

torität überhaupt verschwand, und daß die sonst herrschende Un­

duldsamkeit nur zu oft in Jndifferentismus umschlug.

Das reli­

giöse Gefühl ist aber im Ganzen noch nach wie vor da, denn

zum Glück ist dessen Dasein von keinen irdischen Mächten abhän­

gig.

Es ist dermalen nur zurückgedrängt

geworden, hat sich

aber indessen, seitdem jene Periode der Aufklärung vorüber ist,

wieder mächtig hervor gearbeitet.

Unsere Zeit ist zwar eine selbst­

süchtige Zeit, aber zugleich zu kalt verständig', um den glücklicher­

weise gestürzten,

doch mächtig erschütterten Aberglauben

oder

und sich von geistlicher

sich nochmals aufdrängen

Selbstsucht

verfinstem zu lassen, damit diese sie desto sicherer beherrsche.

Ew. Excellenz sehen leicht ein, daß, von der bescheidenen, anmaßunglosen evangelischen

nichts für die Belebung

Kirche aus, der Politik eigentlich

des religiösen Gefühls in der Kirche,

aus welcher sich einst die unsere ausschied, vorgeschlagen werden kann.

Denn einestheils wäre es thöricht, die nur aufs Reelle

gehende Politik selbst mit Wünschen für Vie Regeneration dieser Kirche

zu behelligen, und anderntheils fühlt es keine Kirche lebhafter als die evangelische, daß eine solche Regeneration sich nur aus

dem Schooße derselben, wie eine lebendige Blüthe und nicht wie em Treibhausgewächs

entwickeln muß.

Nur

einen frommen

Wunsch kann sie sich nicht versagen, hier laut werden zu lassen, und sie darf es um so eher, da der Vortheil der Politik mit der

Erfüllung desselben in einer so engen Verbindung steht.

Ich

meine den Wunsch, daß di« Hydra des Jesuitismus in der gan­ ze» katholischen Christenheit von einem neuen Hermles bekämpft

und endlich vernichtet werden möchte.

Dmn so viel scheint ge­

wiß, daß man, ohne sich an der Wahrheit zu versündigen, die­ sen gefährlichen Orden als «inen durchaus selbstsüchtigen Verein,

der nur.seinen eigenen Vortheil sucht, und welcher dem -Wohl

der Menschheit auf's Entschiedenste im Wege steht, bezeichnen muß, und daß man getrost behaupten darf, daß man in der katho­ lischen Christenheit wcker ein regeres religiöses 8eben, welches doch

den in ihr grade so heftig und bedrohlich wüthend«» politischen

Sturm allein beschwören könnte, noch die Versöhnung der mit der rckigiösen Wahrheit so gespannten katholischen Christenheit mit die­

ser eher erwarten darf, als bis der Einfluß dieses gefährliche» Ordens vernichtet worden ist. Um uns aber von nun an mit unsern Wünschen für die

Belebung eines acht sittlichen und religiösen Lebens nur inner­ halb der evangelischm Kirche zu halten, so ist es klar, daß eine et«

wanige Begünstigung und Beförderung der Frömmelei und des

Obskurantismus, weit entfernt davon, daß sie das religiöse Le­ ben befördern, vielmehr höchst verderblich wirken würden.

Len»

einmal wäre ein Stteben sie zu befördem nur vergeblich, indem

das Zeitalter zu weit vorgerückt und zu kalt verständig ist, um sich in

die Netze

des Obskurantismus fangen zu

lassen,

und

wenn auch dieses Unmögliche durch eine thätig betriebene Kabale, durch eine umfassende Verschwörung wider die Entwickelung der Religiosität im Lichte der Wahrheit wirklich zum Theil gelänge:

so würde sie nur eine allgemeine gefährlich« Erbitterung erzeugen, wie wir es kürzlich in Frankreich gesehen haben.

Ob wir wohl

ohne die Bulla sollkitudo omuium die drei Julitage erlebt hät­ ten? Daß aber jede Begünstigung des Obskurantismus oder der

Frömmelei, die, sobald sie Parteisache wird, nothwendig in baare

Heuchelei ausarten muß,

ohnehin die schlimme Folge hat, daß

die Indifferenten gegen alles Religiöse dadurch zu thätigen Fein­ den der Religion, die Gott-Losen zu wirklichen gottlosen werden,

bedarf wohl keines Beweises.

Wenn aber gefragt wird, auf welchem Wege denn die Be­ lebung eines wahrhaft religiösen Sinnes möglich sei: so bemerken wir vorab, daß, so wie die Sachen jetzt stehen, das Heil nur von der evangelischen Kirche ausgehn kann. Hier öffnen sich nun zwei Wege; entweder wir legen die Hände in den Schooß

und harren bis die Vorsehung einer Menschheit, die sich selbst nicht helfen will, nach langem Warten, ob sie es denn nicht end­

lich einmal thue, endlich den großen Mann sendet, der, wie einst Luther, seiner Zeit einen neuen Schwung giebt. Daß er endlich einmal kommen wird, ist richtig, wie viele Jahrhunderte wir aber

auf ihn zu warten haben werden, ist ungewiß. Denn indem die Gottheit dem Menschen Vernunft, Freiheit und Sehnsucht nach dem Göttlichen gab, sprach sie: Mensch hilf dir selber! Und wer

zweifelt wohl daran, daß, wenn die kirchlichen und bürgerlichen

Gewalten die Bedürfnisse der Zeit besser verstanden und beherzigt hätten, die Kirchenreformation, auch ohne alle Buchdruckerkunst um Jahrhunderte früher zu Stande gekommen wäre, eigentlich

nie nöthig

geworden wäre.

Es ist gradezu irreligiös, wenn

der Mensch von dem Wirken der Vorsehung das erwartet, was

er selbst thun soll. Thut er es nicht, so kommt die Vorsehung zwar endlich nach langem vergeblichen Warten der menschlichen Indolenz zu Hülfe; wie viel Elend aber, wie viele Abwege in dem menschlichen Entwickelungsgänge, wären nicht vermieden, wenn die Politik ihre Zeit besser begriffen und was derselben Noth that, befördert hätte! Hierzu kömmt aber noch, was die Beherzi­ gung der Politik in einem höhern Grade verdient, indem es mit dem Vortheil derselben genau zusammen hängt, daß wir gar nicht

wissen, welche ungeheure Verlegenheiten für sie aus der Aufregung der religiösen Thätigkeit unserer Zeit auf der einen und der Erschlaf­ fung derselben auf der andern Seite entstehen können, wenn sie nicht, um den eben wüthenden Sturm zu beschwören, nach einem sichrem Mittel greift, als Diplomatie und Kanonen ihr gewähren

können. Den gegenwärtigen Sturm wird sie zwar allein beschwö­ ren, ob aber auch (ohne sich um höhere Bundesgenossen, als Klug­ heit und Gewalt umzusehen) das unter der Asche fortglimmende Feuer ganz löschen, das ist noch gar sehr die Frage.

Und eben

so wenig als es nöthig ist, es darauf ankommen zu lassen, was daraus werden will, eben so wenig möchte es konsequent genannt

werden können.

Wir sehen, welche gemeine Naturen die Urheber

der politischen Umwälzung seit vierzig Jahren, mit wenigen Aus­

nahmen im Grunde waren; wir sehen, daß die gemeinste Gemein­ heit, ein

fanatisirter Pöbel der eigentliche Hebel derselben war.

So große Wirkungen brachte gemeiner Sinn und offenbar böser

Wie wäre es denn wenn

Wille zu selbstsüchtigen Zwecken hervor.

guter Wille, wenn auch m t ganz gewöhnlichen Köpfen, — denn der ersehnte große Mann will sich leider noch immer nicht zeigen!—; sich verl inde, um zu einem guten Zwecke jenem selbstsüchtig-re­

volutionären Sweben dadurch entgegen zu wirken, daß die Politik

dein menschlichen Geist eine Richtung auf ein geistiges Ziel gäbe,

und auf diese Weise von der allzu aufgeregten Beschäftigung mit politischen Fragen abzöge? Auf ähnliche Weise verfährt die Heil­

kunst in entzündlichen Krankheitsfällen.

Nach aller Wahrscheinlich­

keitsrechnung müßte ein solches Unternehmen 'gelingen.

Die Poli­

tik müßte sich also entschließen, für die Belebung eines ächt sitt­

lich-relgiösen Sinnes etwas Entscheidendes zu thun. — Was denn

aber? Es giebt, ohne daß sich unsere Zeit wie gesagt, des Daseins eines gewaltigen,

sein Zeitalter geistig bezwingenden, Mannes zu

rühmen hätte, in unserer evangelischen Christenheit, vorzüglich in Deutschland, so viel wackere Geister, die, von einer heil-losen Zeit

eingeschüchtert und enNnuthigt, nur aufgemuntert und deren Thä­ tigkeit nur von einer oft sterilen, einseitigen Gelehrsamkeit abgeru­

fen und auf die praktischen geistigen Bedürfnisse der Zeit hingelenkt werden darf, um durch sie das gesuchte Gegengewicht zu finden.

An diese müßte die Politik sich wenden, nämlich an solche, in welchen

sich das religiöse Leben am höchsten,

am schönsten und

würdigsten entwickelt hat, und die, ohne Parteimänner des trau­ rigen rationalistischen und supranaturalistischen Streits zu sein, am fähigsten wären, für die Belebung der Religiosität auf eine beson­

nene und durchgreifende Weise zu

wirken.

fähigte Männer würden wir bezeichnen:

Als hierzu ganz be­ einen Daub, Mar-

heinecke, Neander, Schuderoff, Schwarz und Fichte, den würdigen Sohn eines Mannes, welcher der evangelischen Kirche

ein neuer Luther hätte werden können. Wenn die Politik sich nur mit diesen Männern setzen und ihre Stimme über diesen wichtigen Gegenstand verlangen würde, so ist kein Zweifel, daß nicht eine

solche Annäherung die heilsamstm Folgen haben würde. es

die Beruhigung des die Erregung

am

Wenn

aber, wie es uns ausgemacht scheint, wahr sein sollte, daß

allzu aufgeregten politischen Strebens und

eines dem Göttlichen mehr zugewandten Sinnes

von der evangelischen Kirche erwartet werden;

ehesten

entstünde die

so

Frage, wie man, um diesen Zweck zu erreichen,

einer solchen Thätigkeit eine Art von Einheit und Form geben könnte.

Diese Einheit müßte

aber mehr als eine journalistische

sein, und nicht blos etwa in einer eigenen Zeitschrift einen Mittel­

Zwar würde fich leicht ein unternehmender,' rüstiger

punkt finden.

deutscher Vielschreiber finden, der ein Ioumal „Für die Belebung des

Sinnes" —

Religiösen

herauszugeben fertig wäre,

allein

ob ein solches Unternehmen einen andem Gewinn als pekuniären

für den Herausgeber und Verleger bringen würde, ist gar sehr die Frage. —

Es giebt leider keine evangelische Kirche, sondem nur

Landeskirchen, die von einander eben so wenig Notiz nchmen, als

von der Wechabitischen Religionsgesellschaft, und die

so

wenig

daran denken, für das was der allgemeinen evangelischen Noth

thut, gemeinschaftlich zu wirken, als die katholische daran denkt, —

den religiösen

Fortschritt der Menschheit zu fördem.

Es müßte

dahe/ selbst der Politik, in fofenr sie von der evangelischen Kirche

Hülfe für ihre Zwecke erwartet, daran gelegen sein die Darstellung

einer solchen Einheit zu fördem; indem sie dadurch ihre eigene Sache Eine solche Einheit könnte aber für's Erste nur eine li-

fördert.

teräre, etwa eine evangelisch-theologische Akademie in Deutschland

sein, versteht sich ohne alle andere Auktorität als die sie sich durch

überzeugende Darstellung der christlichen Wahrheit selbst verschaffen Wenn man sich an Männer,

würde.

wie

die oben

genannten,

und etwa noch an zwei oder drei der berühmtesten deutschen Uni­ versitäten

mit der Frage wendm würde, welche Theologm am

würdigsten wären, zu Mitgliedem einer solchen Akademie berufen

zu werden, und wenn man die Universitäten eines jeden der übri­ gen evangelischen Länder aufforderte, aus jedem Lande den wür­ digsten Theologen als Mitglied der allgemeinen evangelischen Aka­ demie

dahin zu delegiren,

so würde man wohl hoffen dürfen,

die Besten menschenmöglichst vereinigt zu haben.

aber nicht durch

Auf diese Weise,

Kabinetsbefehle oder Büreaukratisch müßte die

Wahl geschehen, wenn sie gut ausfallen sollte.

Diese Akademie

wäre denn der erste Versuch die Einheit der evangelischen Kirche

vorläufig darzustellen, bis sich aus ihr, wie weiter unten gezeigt werden soll, etwa eine reellere entwickelte.

Sie möchte auch, im

Vorbeigehen gesagt, schon darum nöthig sein, um der evangeli­ schen Kirche zu einer Schutzmauer gegen die immer bedrohlicher

werdenden Angriffe der minder gut gesinnten katholischen Schwe­ ster zu werden.

Ihre Tendenz müßte aber nicht blos eine ge­

lehrte, sondern ganz vorzüglich eine praktische sein.

Als gelehrte

Anstalt wäre aber ihre Aufgabe in der Bestimmung: Forderung des Verständnisses der christlichen Wahrheit, erschöpft.

Nur in

der Wahrheit ist für die Menschheit Heil, die Wahrheit ist aber nur durch das Verständniß des Christenthums möglich, und nur durch ein klares Verständniß, — Gottlob,

ein solches ist mög­

lich und wir brauchen das Licht nicht zu scheuen! — ist unserer

entgeisteten, abgespannten, herzlosen, zweifelnden Seit zu helfen. Die praktische Aufgabe der Anstalt wäre aber, einmal, die Theo­ rie der Verfassung unsrer Kirche, wovon weiter unten, wissen­ schaftlich aufzustellen und dann, für die Belebung des religiösen Sinnes in d^r evangelischen Christenheit möglichst zu wirken.

Wenn wir sehen, welchen Einfluß schon die Thätigkeit der pie­ tistischen Partei unsrer Kirche,

der Beschränktheit ihrer Ansicht

und ihrer Opposition mit dem Lichte des Evangeliums zum Trotz gewinnt, und vor allen Dingen, ungeachtet die Lauterkeit ihrer

Absichten, obgleich wohl mit Unrecht, von ihren Zeitgenossen be­ zweifelt wird:

so unterliegt es wohl keinem Zweifel, daß nicht

ein solcher Verein, wo alles nur Mögliche gethan wäre, um ihn aus den Besten

seiner Zeit zusammenzusetzen

und welcher,

im Bunde mit der Wissenschaft und dem Licht dem tiefgefühlte­

sten Bedürfniß derselben entgegen käme, einen weit umfassendem und gesegneter« Einfluß

gewinnen müßte. —

könnte zugleich eine Bildungsschule

für eine

Diese Akademie

kleine Anzahl der

ausgezeichnetsten Köpfe unter angehenden Theologen, die schon

ihren Universitätskursus vollendet hätten, werden.

Jede bedeu­

tendere deutsche Universität und außerdem jeder evangelische Staat,

der an diesem Unternehmen Theil nimmt, hätte das Recht, ein

oder zwei der Hoffnungsvollsten angehenden Theologen dahin zu

schicken, um, im geistigen Verkehr mit den Meistern der Wissen­ schaft ihrer künftigen Bestimmung entgegen zu reifen.

Ich habe schon gesagt, daß

eine Aufgabe dieser Akademie

die wäre, die Theorie der Verfassung Unsrer Kirche, wissenschaft­ lich aufzustellen, damit dieselbe ins Leben eingeführt und die Ein­

heit der evangelischen Kirche möglichst vollkommen dargestellt wer­ den könne.

Zwar

sollte ich grade eigentlich jetzt mich hüten,

von dem Bedürfniß einer Verfassung unsrer evangelischen Kirche zu reden, zu dieser Zeit, wo Man sich nicht immer in guter Ge­

sellschaft befindet, wenn man sich zu denen gesellt, die Verfassun­

gen verlangen.

Jedoch einem Mann wie Ew. Excellenz gegen­

über brauche ich nicht zu befürchten, deßhalb verkannt zu werden,

wenn ich um einer guten Sache willen um dasselbe bitte, welches andere aus

selbstsüchtigen Absichten fordern. —

einem Vorurtheil hat

mein Vorschlag

zu

Aber noch mit

kämpfen.

Seit der

Herrschaft der katholischen Kirche ist nehmlich die Furcht vor der Hierarchie, als einer auch innerhalb unsrer evangelischen Kirche möglichen Erscheinung zum stehenden

geworden.

politischen Glaubensartikel

Zwar ist diese Furcht groß und unsre Zeit klein, allein

auch hier hab' ich keine Verkennung zu befürchten, indem ich zu einem rede der zu sehr Mann ist, um sich vor Gespenstern zu

fürchten.

Ich halte vielmehr die Furcht vor der Hierarchie so sehr

für ein Hirngespinnst, daß ich sie bei der fortschreitenden Entwi­

ckelung der politischen Institutionen und schon bei den Fortschrit­ sogar einer falschen Aufklärung, wie der Volltairischen,

ten

und um so mehr bei denen einer wahren, nicht blos in der evan­ gelischen, sondem selbst in der katholischen Kirche für ein Unding

halte.

Wie gesunken ist nicht die Hierarchie dieser letztem überall,

wo der Fortschritt der Zeit sich irgend geltend gemacht hat, und

zu welchen Künsten der Finsterniß muß nicht die katholische Hie­

rarchie ihre Zuflucht nehmen, um ihr schwankendes Dasein und ihr immer mehr sinkendes Ansehn nothdürftig zu erhalten.

Und

daher muß sie, wenn sie konsequent sein will,— und sie ist es, — für die Erhaltung der Finsterniß wie für ihr heiligstes Palla­ dium kämpfen.

Und wenn in der evangelischen Kirche sich hie

und da ein Geistlicher als ein Päbstlein gerirt hat, so beweist die­

ses nur die Lethargie der geistigen und politischen Entwickelung ei­

ner Zeit, wo dieses möglich war.

Heut zu Tage möchte aber

schwerlich auch der schlimmste Zelot innerhalb unsrer Kirche diesen

Vorwurf, wenn er auch wollte, verdienen können-

Da hier nicht der Ort sein kann, die Verfassung, die man

der evangelischen Kirche wünschen muß, zu entwickeln: so erlau­

ben mir Ew. Excellenz hier nur einige Andeutungen über diesen wie es scheint

hochwichtigen Gegenstand.

Vorab muß ich aber

bemerken, daß ich der evangelischen Kirche die Verfassung durch­

aus nicht wünsche, welche sie in Schweden hat, wo die Geistli­

chen einen eigenen Reichsstand bilden.

Denn der Geistliche muß

streng innerhalb seiner Sphäre bleiben und nur für ein geistiges

Bedürfniß wirken, und indem die übrigen Staatsbürger ihm zu­ trauen,

daß er,

bei der Mitwirkung nichtgeistlicher

Vertreter

der Gemeinde, daL. geistige Wohl derselben zu fördern verstehe, muß er seinen übrigen Mitbürgern zutrauen, daß sie auch ohne

ihn, dessen Geschäft es nie sein kann, das politische Leben des

Staats zu erhalten und zu fördern,

dieses verstehen und auch

für sein Bestes in bürgerlicher Hinsicht redlich sorgen werden.

Folgendes also

betrachte

ich

als die Grundprincipien der

Verfassung der evangelischen Kirche.

Verein ist,

So wie der Staat der

wodurch die Menschen ihr irdisches Heil durch Zu­

sammenwirken

und

durch

Theilung

der Arbeit möglichst för­

dern, also ist auch die Kirche der rein geistige Verein der Men­

schen, um ihr ewiges geistiges Heil möglichst zu schaffen.

Da

Geistiges und Leibliches genau genommen, incommensurable Größen

sind, so kann eigentlich nie gefragt werden, ob in der Idee die Kirche über dem Staat, oder der Staat über der Kirche stehe.

Was aber

die Wirklichkeit betrifft, so will die evangelische Kirche sich nie über

den Staat stellen, noch ihn beherrschen oder sich auf die Angelegen­

heiten desselben den allermindesten Einfluß anmaßen.

Für sich aber

wünscht sie möglichste Selbstständigkeit und, bis auf die später zu

erwähnende Schirmherrschaft des Fürsten,

Unabhängigkeit vom

Staate, und sie hofft, ein Staat, der seinen eigenen Vortheil begreift, werde sie ihr um so eher zugestehen, da es klar ist, daß sie dem

Staate um so vollkommener die Sittlichkeit und Religiosität sei­ ner Bürger garantiren kann, je freier sie ist und je ungehinderter sich also ihr Leben entwickeln kann. —

Ferner, da im Geistigen

eben so gut als im Leiblichen nicht jeder alles sein kann, so be­ stellt die christliche Gemeinde Männer aus ihrer Mitte zu Lehrern

und zu Förderem des Zwecks der Kirche, die, indem sie sich die­

sem Berufe ganz widmen, die Sache besser verstehen müssen als

2*

das mit

andern Dingen

beschäftigte Gemeindeglied.

Hiedurch

zerfallen die Mitglieder der Kirche in zwei Klaffen, in Lehrer

und zu Unterrichtende, in Erzieher und zu Erziehende.

Diese

machen die Kirche, im engern Sinn des Worts, jene die Ge­

meinde aus.

Die Kirche hat, als Lehrerin der Gemeinde, die

Obliegenheit, durch ihre Diener aus dem Material der göttlichen

Offenbarung das Gebäude christlicher Wahrheit aufzubauea und auszusprechen, was sie nach bestem Wissen und Gewissen für recht­

gläubig christliche Wahrheit hält.

Nach diesem System lehrt sie,

und wünscht, daß jeder aus der Gemeinde, der sich getrieben fühlt, als Lehrer derselben aufzutreten,

in sofern e$, sich in Opposition

mit dem Lehrsystem der Kirche befindet, sich nicht direct der Ge­

meinde, dem Volke, als Lehrer aufdränge, indem er dadurch leicht

falsche Ansichten verbreiten könnte, sondern daß er sich mit seiner abweichenden Ansicht an die Unterrichtetsten seiner Zeit wende und trachte, ihr erst bei ihnen Eingang zu verschaffen.

Da die evange­

lische Kirche aber keine andern Mittel kennt, um dem was sie als christliche Wahrheit anerkennt, Eingang zu verschaffen, als

ziehung — nur

Er­

der sittlich-religiöse Unterricht steht unter ihrer

Alleinaufsicht und der Geistliche hat auf die Erziehung und den

übrigen Unterricht nur so viel Einfluß als er durch seine Persön­ lichkeit erlangen kann, nicht ex officio, — und Ueberzeugung durch

Gründe: so kann es ihr nie einfallen vorzuschreiben was man glau­

ben soll und eine Abweichung zu ahnden. Zwar ist zwei mal zwei vier und die Wahrheit nur Eine, und zwar hat vor Gott nie­

mand das Recht zu glauben was er will, sondern die Verbind­ lichkeit dahin zu trachten, daß er das Eine Wahre glauben könne,

und es ist daher eben so sehr die Pflicht eines Jeden, das Eine Wahre zu glauben, als das Eine Rechte zu thun, allein da eben

die Kirche die Lehrerin dieser Einen christlichen Wahrheit und die

Erzieherin, zum Glauben an dieselbe ist, so erkennt sie, daß wo einer daran nicht glaubt dieses mehr ihre Schuld als die seine

ist, indem sie dann entweder die Wahrheit nicht gelehrt hat, oder es in der Erziehung zum Glauben an diese Wahrheit versehen hat

und sie gesteht daher, daß sie in diesem Falle gar kein Recht hat, mit einem solchen Andersglaubenden zu rechten, sondern nur die Verbindlichkeit, ihm, und zwar einzig und allein durch die Macht

der Wahrheit zu einer bessern Ueberzeugung zu verhelfen.

Da aber die Förderung des Zweckes der Kirche ein Geschäft

ist, ein solches aber, soll es gelingen, eine gewisse Gestaltung ha­ ben

muß: so bilden die Lehrer derselben ein organisches Ganze

unter sich.

Die Lehrer des Volks und der Jugend

(letztere nur

in sofern es den sittlich religiösen Unterricht betrifft,) stehen -unter

der Aufsicht und Leitung von Provinzial-Vorgesetzten, Pröpsten,

Superindenten oder Bischöfen und diese wieder unter der einer obersten unabhängigen Zentralbehörde mit ihren Präsidenten an der

Spitze. Damit aber einerseits auch der letzte Verdacht falle, daß da­ durch eine Hierarchie aufkommen könnte, damit ferner der Ge­ meinde ihr Recht bleibe, ihr geistiges Heil selbst mit zu berathen

und damit anderseits durch diesen allgemeinen Antheil an die För­

derung dieser Allen wichtigen Angelegenheit die Theilnahme dafür immer lebendiger und allgemeiner werde, ordnet sich die Kirche

unter dem Mitwissen der Regierung Gemeindevertreter aus dem

Volk zu besserer Förderung des Gemeinzweckes bei.

Die weltli­

chen Vertreter der Kirche besorgen vorzugsweise die nichtgeistlichen Geschäfte derselben, die Geistlichen die geistlichen. Jene haben in

den rein geistlichen Geschäften nur eine berathende Stimme, eS

sei denn daß sie die Bildung und Erfahrung eines Geistlichen vollkommen besitzen.

Jede Gemeinde wählt ihren Kirchenrath,

welcher dem Prediger derselben zur Seite steht. Die verschiedenen wählen wieder einen nickt Geistlichen oder einen Rath von sol­ chen (Oberkirchenrath) um den geistlichen Provinzial-Geistlichen zur

Seite zu stehen, und die verschiedenen Oberkirchenrathskollegien wäh­ len wieder unter sich eine der der geistlichen Mitglieder der Ober­ behörde

derselben.

gleichkommende

Zahl weltlicher

Mitglieder zu Räthen

Die Gemeinde wählt ihren Prediger, die Prediger der

Provinz mit einer ihnen gleichen Zahl von Delegirten der Kir-

chmrathskollegien die Provinzial-Vorgesetzten und diese mit einer gleichen Zahl von Delegirten der ihnen zur Seite stehenden Glie­

der der Oberkirchenrathskollegien die geistlichen und weltlichen Glie­ der der obersten geistlichen Behörde, und zwar also, daß die geist­ lichen und weltlichen Wähler zugleich die geistlichen und weltlichen Mitglieder wählen und nicht etwa die geistlichen blos die geistli­

chen und die weltlichen die welüichen.

Alle Mitglieder der ersten,

obersten Behörde wählen unter den geistlichen Gliedern einen Vor-

sitzer.

Dieser wechselt alle Jahre, die übrigen Mitglieder wechseln

alle zehn Jahre, die Mitglieder der Oberkirchenraths- und Kir­ chenrathskollegien so wie die geistlichen Provinzial-Vorgesetzten alle fünfzehn Jahre, die Wahlen der Pfarrer sind lebenslänglich. Keine dieser Wahlen bedarf der Bestätigung der Regierung, in der Regel nämlich; in einer solchen Zeit politischer Leidenschaft­

lichkeit aber, wie die jetzige, wäre allerdings diese Bestätigung nothwendig, um möglichen demokratischen Umtrieben vorzubauen. Femer darf es keine eigene Gerichtsbarkeit für die Geistlichen ge­

ben, mithin kommt der Negierung auch das Recht zu, Schreier und Fanatiker in der Geistlichkeit, die es immer gegeben hat, und geben wird, zur Ruhe zu verweisen und jeden Geistlichen, der es verdient hat, gesetzlich (nicht durch Kabinetsordre) seines Amtes

zu entsetzen. In die oberste geistliche Behörde delegirt die Regie­ rung einen Syndicus, der allen Verhandlungen derselben beiwohnt,

und darauf sieht, daß nichts dem politischen Staatszwecke Nach­ theiliges von ihr unternommen werde.

In einem solchen Falle

legt er ein Veto ein und die Ausführung unterbleibt bis die Be­ hörde sich mit der Regierung verständigt hat und die Aufhebung

jenes Veto erlangt hat.

Die Kirche kann bis zu einem gewissen

von der Regierung zu bestimmenden Maximum Vermögen erwer­

ben und verwalten.

Die Negierung hat aber das Recht darauf

zu sehen, daß dieses gut verwaltet und zweckmäßig verwendet wird. Außerdem legt die Kirche der Nation öffentliche jährliche Rechen­

schaft von dem Zustande ihres Vermögens und dem Gebrauch dessel­

ben ab.

Die Kirche hat in keinem Stücke eine eigene Gerichtsbarkeit.

Ehescheidungs-Sachen entscheidet eine weltliche Behörde nach ei­

nem von der Regierung und der geistlichen Oberbehörde gemein­ schaftlich bestimmten Gesetze.

Die Negierung verbindet sich, kei­

nem Diener der Kirche irgend eine Belohnung zu ertheilen und die Kirche ebenfalls ihrerseits durch keinen Titel oder äußere Aus­ zeichnungen der Eitelkeit ihrer Diener Vorschub zu thun.

Da

die Kirche nie eine weltliche Macht zu sein begehrt und auf dem Boden des Staats besteht, so ist das Haupt derselben natürli­ cher Schirmherr der Kirche.

Sobald dieser sich aber überzeugt, daß

die Kirche sich keine ihr nicht zukommende Gewalt anmaßt, so läßt er der Thätigkeit der Kirche innerhalb ihrer Sphäre völlig freien und unbeschränkten Spielraum.

Es ist unmöglich, daß ein gesunder, vorurtheilsfreier Sinn,

der von keinem bösen Willen verstimmt ist, in dieser Verfassung ein evangelisches Pabstthum finden könnte.

Ist aber die Sache

gerecht und gut und vor Gott zu verantworten, so braucht man sich an das Urtheil der Selbstsüchtigen und Blödsichtigen nicht zu kehren. —

Welch'

ein reges, fröhliches Leben würde aber

nicht eine Verfassung wie die hier nur flüchtig angedeutete in uns­

rer evangelischen Kirche erwecken!

Wie mächtig würde nicht da

das zurückgedrängte religiöse Element im Menschen wieder her­ vortreten und hier, wo alle Hemmungen bestmöglichst entfernt wären, sich zur schönsten Blüthe entfalten! Wie würden hier alle

Uebelstände, welche jetzt unser kirchliches Leben trüben und hem­

men, wegfallen, die Lauigkeit der Lehrer, die Gleichgültigkeit der

Hörer einer frischen Begeisterung Platz machen! Eine neue Sonne des heitersten und

wärmsten Lichts würde für unsre regenerirte

Kirche aufgehen und den vom irdischen Sinn und engherziger Selbstsucht befangenen Menschen aus seinem trüben Schatten her­

vorlocken, sich zu sonnen in dem Lichte des Verständnisses, des

lebendigen Glaubens an Den in welchem uns allein Heil ist. Und

welch' einen handgreiflichen Nutzen müßte nicht eine solche Gei­ stesrichtung

eines Volkes der Politik gewähren! Wie wären da

politische Erschütterungen auch nur möglich!

Zwar würden da

die Unterthanen die Negierung um Abstellung drückender bürger­ licher Mißverhältnisse, wo solche vorhanden sind, bitten, selbst in­

ständig bitten; allein, wenn sich in dieser revolutionenreichen Zeit die evangelische Kirche schon in ihrer bisherigen unvollkomnenen

Gestaltung,

einer unzweideutigen

Erfahrung zufolge, als die

beste Schutzmauer gegen politische Erschütterungen erwiesen hat, —

denn was wollen die im Ganzen unbedeutenden politischen Unmhcn in protestantischen Ländem gegen die Gräuel der Revolutionen früher und noch jetzt in dem katholischen Frankreich und in dem katholischen Südamerika und seit neulich in dem katholischen Bel­ gien, dem katholischen Jreland, dem katholischen Polen, und end­

lich gegen die revolutionären Farcen in dem katholischen Italien! —

um wie viel mehr würde sie sich nicht durch die Regeneration zu einem neuen freudigen Leben als eine solche erweisen!

Allein noch einen zweiten Gewinn uttd die Aussicht auf die Beseitigung einer Verlegenheit, in welcher sich die Politik bald

befinden dürfte, bietet dieser die Religionsphilosophie.

Denn muß

die Politik schon mit Besorgniß in der Gegenwart umherblicken, scheint es ihr schon eine schwierige Aufgabe zu sein, wie sie den

wilden Kampf unsrer Tage beschwören soll, mit welcher größem Besorgnis» muß sie nicht der Zukunft entgegen blicken.

Denn

bald wird doch dieß wilde Toben gestillt sein, bald werden bei der reichen Kraft, welche die Vorsehung in die menschliche und

äußere Natur gelegt hat, die Wunden, welche die Napoleonischen Kriege, die merkantilischen und andere Mißgriffe der fünfzehn Frie»

densjahre seit der Restauration und die jüngsten Revolutionen dem Wohlstand der Nationen schlugen, vernarbt sein, und das rascher als je, und nur zu rasch sich entwickelnde politische Leben, wird

die letzten Hindemiffe der politischen Wohlfahrt besiegen, die nun immer reicher aufblühen wird.

Und das weise und würdige Zu­

sammenhalten der heutigen Diplomatik und die in dem letzten halben Jahrhundert

gemachten Erfahrungen verbürgen Europa

eine lange Friedenszeit.

Die Schulden werden bezahlt, die Spu­

ren früherer Leiden verwischt sein, und es wird sich ein Ueberfluß

von politischer Kraft und eine Uebervölkerung erzeugen, leicht zu neuen Gahrungen Anlaß geben möchte.

welche

Dieses wird

um so mehr der Fall sein, da das, was wir von der Beschwich­

tigung der politischen Leidenschaften durch die Hinlenkung des

Sinnes auf das Ewige und Göttliche gesagt haben, sich vielleicht noch Jahrhunderte lang auf die evangelische Christenheit allein

beschränken wird und da es eine nur zu sanguinische Hoffnung wäre, vorauszusetzen, daß es sobald in der katholischen Christen­ heit zu einem gleich regen religiösen Leben kommen-werde.

Einen Abfluß also muß der nächstens zu erwartende Ueber»

schuß an

politischer Kraft und an Menschen haben und eine

weise Politik wird die Nothwendigkeit davon einsehen, einen sol­

chen Abfluß frühzeitig yorzubereiten.

Es kann einen solchen Ab­

fluß nach Innen und nach Außen geben. zuerst.

Betrachten wir jenen

Bis jetzt hatten wir in der Steigerung des religiösen

Lebens ein Gegengewicht gegen die politische Leidenschaftlichkeit

unsrer Zeit gesucht, jetzt werden wir in der Steigerung des sitt­ lichen ein neues finden, welches zugleich ein kräftiges Ableitungs­ mittel der überflüssigen politischen Kraft nach Innen sein wird.

meinen damit vorzüglich die allgemeine Volksbildung.

Wir

Da jede

Sünde und jedes Laster zuletzt auf eine Thorheit hinausläuft,

und da man, um den Menschen von jeder unsittlichen That ab­

zuhalten — die Ausbildung und Pflege seines religiösen Gefühls vorausgesetzt — nichts weiter nöthig hat,

als ihn nur recht ver­

ständig zu machen, und zum Verständnisse der Dinge zu führen,

so braucht die Nothwendigkeit und der Nutzen einer durchgän­

Mit der Ent­

gigen Volksbildung nicht erst bewiesen zu werden.

wickelung des Staatslebens und mit der Nothwendigkeit eines

Gegengewichts gegen das sich von selbst

entwickelnde Böse im

Menschen, muß diese hochwichtige Angelegenheit immer mehr Be­

achtung finden. Bis jetzt ging das Wirken für

diese Angelegenheit von

Privatpersonen aus, allein so

lobenswerth

auch ein

solches

so fehlte derlei

gen doch

der innere Zusammenhang und die Konsequenz, wel­

Wirken war,

che der Begriff des Staats verlangt;

und

wohlgemeint

Unternehmun­

einst aber wird es dem

Staate gelingen, das Reich der Freiheit darzustellen und für sich als ein Reich der Vemunft und der Freiheit,

alle Kräfte in

Beschlag zu nehmen, mit welchen bis jetzt die Willkühr schaltete, und die Volksbildung wird durchgängig eine Staatsangelegenheit

werden. Bis jetzt war es keine Wohlthat, sondem nur eine Gnade, ein Glück, wenn jemandem die Gelegenheit zur Bildung zu Theil

ward, einst wird sie ein Recht sein, welches jeder Bürger eben so durch­ gängig als Schutz des Lebens, der Ehre und des Eigenthums fordern kann. — Hieraus ergiebt sich, daß wir verlangen, die Sorge für diese Angelegenheitsolle vom Staate selbst und nicht von Verbindungen im

Staate, die in Altengland und noch mehr in Neuengland — den nord­ amerikanischen Freistaaten — das Princip eines bedeutenden Theils

des politischen Lebens sind, ausgehen. Denn so löblich und so heilsam

auch in Ermangelung eines Bestem, solche Verbindungen sind, so

scheint es doch, daß sie nie für die wahre Form des politischen

Lebens gelten können, sondern daß sie vielmehr nur als Surro­ gate desselben zu betrachten sind.

Wo das Leben im gesammten

Staatsorganismus nicht hinlänglich entwickelt oder wo es gelähmt

ist, da sind diese Vereine die erste Aeußerung des erwachenden politischen Lebens; allein, obgleich Staaten, wo es nicht'einmal zu solchen Verbindungen gekommen ist, auf einer noch weit tie­

fem Stufe bürgerlicher Entwickelung stehen, so ist doch die Auf-

gäbe des Staats, es dahin zu bringen, daß Er selbst der Mittel­ punkt und der Quell alles politischen Lebens in ihm werde. Dem Einzelnen bleibt aber die Aufgabe, sich den Zwecken des Staats

anzuschließen,

wo dieser das Rechte auf die rechte Weise will,

oder eine kräftige Opposition auf rechtlichem d. h. verfassungs­

mäßigem Wege

wider die Mißgriffe desselben zu

bilden.

So

muß es auch endlich dahin kommen, daß z. B. selbst die Aufhe­ bung des Gebrauchs geistiger Getränke, wofür jetzt in Amerika Frcivereine so rühmlich und segenreich thätig sind,, vom Staate

selbst gewollt und betrieben wird. Wie übrigens dieses Wirken für eine durchgängige Volkser­ ziehung zu orzanisiren, wie namentlich die Bell-Lankastersche Me­

thode zu diesem Zwecke vervollkommnet werden müsse, gehört nicht hieher;

wir haben hier nur den Grundsatz für diese Thätigkeit

des Staats aufzustellen und glauben,

ihn also aussprechcn zu

müssen: ein Staat hat als sittliche Person nicht eher seine Pflicht

gegen seine Bürger erfüllt, und kann daher auch nicht eher auf ungetrübte bürgerliche Ruhe rechnen, als bis er sich so weit ent­ wickelt hat, daß er nicht nur jedem seiner Bürger Gelegenheit zu einer jeden angemessenen Bildung gewährt, sondern es auch

dahin bringt, daß sie ohne Ausnahme benutzt wird. —

Diese

Volksbildung, die aber ganz das Gegentheil von dem aufkläreri­ schen Streben des vorigen Jahrhunderts sein müßte, und bei der

man mehr auf die Entwickelung der geistigen Fähigkeiten als auf

die bloße Beibringung von Kenntnissen zu sehen hätte, bestünde

etwa in Folgendem:

Jeder Bürger ohne Ausnahme muß, als

Bedingung der Selbstbildung und der Bildung durch Andere durch­ aus lesen können.

Das Schreiben ist schon nicht so nöthig und

hat mit dem Rechnen, den technologischen Kenntnissen u. s. w. nur einen untergeordneten Werth, weshalb die Erwerbung dieser Fertigkeiten und Kenntnisse dem, der sie braucht, anheim gestellt

werde. Erstens muß jeder Bürger eine gründliche Kenntniß seiner Religion haben,

als die haltbarste Bürgschaft seiner Sittlichkeit

und der Erhebung seines Sinnes über die gemeine Gesinnung und

die irdischen Leidenschaften.

Hat man ihm aber das Höhere, die

Religion in die Brust eingepflanzt, so kann man sich mit dem Niedern, der Moral desto kürzer fassen.

Einige wenige leitende

sittliche Ideen und weiter nichts! Man hat noch Niemanden sitt­

lich moralisirt.

Ferner muß jeder Bürger ohne Ausnahme die Ge­

schichte und Verfassung seines Landes kennen.

Nur dann kann

er es lieben und nöthigenfalls für dasselbe sterben.

Endlich muß

auch jedem Bürger wenigstens ein Blick in die Offenbarung Got­

tes in der Natur, im Leben und in der sittlichen Welt (Natur­ lehre, Geschichte, Kenntniß der physischen und sittlichen Natur des

Menschen) vergönnt sein, damit er seine Bestimmung nicht nur

als Bürger kenne.

Zuletzt müßte der Gesangunterricht einen noth­

wendigen Theil des allgemeinen Schulunterrichts ausmachen.

Eins

gehörte freilich noch zu der Förderung allgemeiner Bildung, —

die Ausbildung der körperlichen Kräfte; allein hierin sind wir zu

sehr Barbaren gegen die Alten; als daß man, — zumal wenn man an das schmähliche Schicksal der armen Turnanstalten denkt, — ohne sich lächerlich zu machen, diese Forderung einmal in die Liste frommer Wünsche eintragen dürfte. —

Von wem sollen

aber die zu dieser Volksbildung nöthigen Schriften ausgehen, vom

Staat, oder vom Einzelnen? Da diese Frage mit andem Worten heißt, ob von der Freiheit oder

der Willkür,

von dem guten

Willen oder von der Selbstsucht, so beantwortet sich diese Frage selbst. Der Staat daher, der die Buchhändlerspeculationen und

die Selbstsucht des Einzelnen nach Belieben in dieser hochwichti­ gen Angelegenheit schalten läßt, wie sie wollen, erfüllt schlecht seine

Pflicht gegen seine Bürger, eben so schlecht', wie wenn er jedem frechen Schmierer erlaubt, sich zum Glaubenslehrer im Volk auf­

zuwerfen und an dessen religiöser Ueberzeugung nach Belieben herum zu hanthieren.

Wenn daher sich einer zum Volkslehrer auf­

wirft, ohne sich durch tüchtige Gesinnung, leichte Ideen, hinrei­

chende Kenntnisse und Meisterschaft des Ausdrucks dazu zu qualisiciren, so hat der Staat nicht nur das Recht, sondern ist sogar

verbunden, ihn auf die Finger zu klopfen.

Ihm ist auch das

sittliche Wohl seiner Bürger ans Herz gelegt, und er muß daher den guten Willen haben dafür zu sorgen, daß seine Bürger mit

guten Volksbüchern versehen werden, und muß daher gute Volks­

schriftsteller kräftig aufmuntern und die schlechten, die feilen Schreib­

knechte — versteht sich auf dem Wege des Rechts und nicht der Willkür,— eben so kräftig verfolgen.

Er zeige hier nur guten

Willen und setze einmal die Summe- die man auf die Entdeckung

eines Indigo- Surrogats ausgesetzt hat, als Preis für das beste

Handbuch der Volksbildung aus und vernichte einmal die ganze Auflage aller neu herauskommenden unbezweifelt schlechten Volks­

bücher, und wir werden nicht lange mehr über den Mangel an guten zu klagen haben. Wir dürfen aber nicht mit der Pflichterfüllung auf gut Glück anfangen wo wir wollen, sondern müssen zuerst den nächsten Kreis

.der Pflicht erfüllen, dann erst den weitern und darauf den noch

weitern.

Ein Ueberspringen dieser Kreise ist eben so pflichtwidrig

als absolute Pflichtverletzung.

Der Staat muß daher zuerst für

die Sittlichkeit aller seiner Bürger, und eher für die seiner schuld­ losen als seiner schuldigen Bürger sorgen.

Aber wenn er auch

diese seine erste Pflicht hinsichtlich der allgemeinen Bildung seiner

Bürger erfüllt hat, so wird es doch durch die Verkehrtheit der Er­ ziehung, die das Haus, das Leben oder das Schicksal dem Men­ schen giebt, noch solche geben, welche dasjenige nicht thun, was sie

als gut, oder das nicht unterlassen, was sie als böse erkannt ha­

ben; und zwar einige darum, weil ihre Willenskraft durch die Sünde so paralysirt ist, daß sie sich gar nicht mehr beherrschen können, z. B. Trunkenbolde, geheime Sünder, krankhaft Geile,

wüthende Spieler, u. a. m.

Es ist aber damit nicht genug, daß

der Staat dem Menschen gegen seine äußem

Feinde Sicherheit

gewährt, er muß ihn auch wider den allergefährlichsten, den er

haben kann, gegen sich selbst,. Sicherheit gewähren.

Hat er erst

für seine schuldlosen Bürger gesorgt, so muß er nun auch für

die schuldigen sorgen, und zwar zuerst für diejenigen, die mehr gegen sich selbst als gegen Andere sündigen:

Es müssen daher

im Staate Anstalten da sein, wo solche sittlich paralysirte Menschen Unterkommen und Aufsicht finden.

Wer durch die That sich als

ein Unfreier bewiesen hat, darf nicht mehr auf die Rechte eines Freien Anspruch machen.

Zn diesen Anstalten, wo sie übrigens

keiner kränkenden Behandlung ausgesetzt wären und jede sonstige

vernünftige Freiheit, nur nicht die zu sündigen, genössen, würden sie möglichst zu sittlicher Freiheit erzogen werden.

Die Gebesserten

werden entlassen, die durchaus Unverbesserlichen verbringen ihr

Leben wenigstens schuldlos und ohne die Menschheit durch scheuß­ liche Laster zu entehren. —

Nun erst, wenn der Staat auch für

diese gesorgt, kommen die Verbrecher, im juristischen Sinn des

Worts, an die Reihe, d. h. diejenigen, die dem Bösen nicht wi­ derstanden, ob sie gleich die Kraft dazu hatten, und es als Bö­

ses erkannten. Hinsichtlich derselben versteht es sich von selbst, daß alle Gefängnisse wirkliche Korrectionshäuser sein müssen, daß

in denselben die Menschenrechte, die auch dem Verbrecher bleiben,

nicht verletzt werden dürfen und daß derselbe hier nicht nur Ge­ legenheit zu nützlicher und würdiger Beschäftigung finden, son­

dern auch durch

alle Zweckdienliche und

gerechte Mittel zum

Guten zurückgeführt werden muß.

Indem aber auf der einen Seite dem Staat auf diese Weise obliegt für die Sittlichkeit seiner Bürger zu sorgen, muß ihm

auf der andem Seite das Recht unbestritten bleiben, Bürger, die, ob sie gleich zur Sittlichkeit erzogen worden sind, den voraus­

gesetzten Staatsvertrag frech verletzen, zu tobten.

Ob bis dahin

die Todesstrafen im allerstrengsten Sinn des Worts gerecht sind,

mag auf sich bemhen,

hat aber der Staat für die Förderung

des sittlichen Lebens das Seine gethan, so sind sie es unbezwei­

felt.

Auf der andern Seite könnte man, nicht ohne einen großen

Anschein des Rechts, sagen, daß der Staat, eher als er für die

Sittlichkeit seiner schuldlosen Bürger gesorgt hat, nicht das Recht

habe, irgend einen Kraftaufwand auf die Verbesserung der Ver­ brecher zu verschwenden, sondern daß er verbunden sei, sich ihrer, vor­

ausgesetzt, daß sie den Staatsvertrag gröblich verletzt haben, brevi

manu zu entledigen, indem seine unschuldigen aber noch immer ver­

nachlässigten Bürger ein Näherrecht auf diesen Kraftaufwand haben.

Hat aber der Staat seiner Pflicht genug gethan, so muß ihm das Recht bleiben den groben und vorsätzlichen Verbrecher, als einen,

an welchen er keine Sorgfalt mehr zu verschwenden verbunden

ist, zu tödten, da er, bei der Frechheit des Lasters dieses ernste Abschreckungsmittel nicht entbehren kann.

Denn wo das Laster

frech.waltet, da muß der Staat streng walten.

Daß derjenige,

der aus Armuth stiehlt, oder aus Leidenschaft mordet u. s. w. darum nicht der Todesstrafe verfallen darf, versteht sich von selbst, mit dem Staate ist es aber wohl bestellt, wo nicht nur den vor­ sätzlichen Mörder und den frechen Räuber, sondern auch den be­ stechlichen Richter, den Schelm von Bankeroutteur, den Plünderer der Staatskasse, den Vaterlandsverräther u. s. w. das Beil er­

wartet.

Ein Staat ohne wahre sittliche Gesinnung ist ein miß-

liches Ding, wahre sittliche Gesinnung ist aber immer mit Ernst und Strenge verbunden. So achtungs- und lobenswerth daher die Bemühungen der neuern Zeit sind, barbarische Kriminalgesetze zu verbessern und die Versündigungen an der Menschheit in der bisherigen Behandlung der Gefangenen zu suchen, so widerlich lächerlich erscheint das Streben, jedem Spitzbuben, was er auch

verbrochen habe, das liebe Leben liebevoll zu erhalten. Es giebt Verbrecher, denen nur dadurch sittlich zu helfen ist, daß sie in je­

nes Leben exilirt werden. Wir gehen jetzt zu der Untersuchung über, wie man der zu erwartenden überflüssigen polittschen Kraft einen Abfluß nach Außen

verschaffen kann. Bis jetzt beschrankte sich die Politik, wenn man die Türkei ausnimmt, ausschließlich auf die civilisirten Staaten und nur Gebietsvergrößerungen und Handelsvortheile brachten sie mit den übrigen Völkern des Erdbodens in Verbindung. Mit Ausnahme der päbstlichen hat die Politik wohl nie für die Ver­ breitung der Civilisation weder mittelbar durch die christliche Re­ ligion, noch unmittelbar etwas gethan. Und doch müßte es nicht nur eine der Politik würdige Frage sein, welches ist denn die po­

litische Bestimmung dieser übrigen Völker der Erde, und wie wer­ den sie das ihnen von der Vorsehung bestimmte Ziel erreichen; sondern die Beantwortung dieser Frage dürfte für sie sogar von ent­ schiedener Wichtigkeit sein, so daß sie selbst eine ganz andere Ge­ staltung, einen ganz andern Wirkungskreis bekommen möchte, je

nachdem sie sich diese Frage so oder anders beantwortet.

Würde

sie nun sich entschließen von der Religionsphilosophie Antwort auf dieselbe zu verlangen, so würde diese nicht umhin können, die für jene vielleicht wunderlich genug klingende Antwort darauf zu ge­

ben, daß nur in Christo Heil ist und daß die nicht christlichen Völker der Erde nur in sofern ihre Erdenbestimmung erreichen, gesittet und glücklich werden können, als sie Christen werden. Ja sie scheut sich sogar nicht, sich zu dem übelberüchtigten Satz von einer alleinseligmachenden Kirche zu bekennen, wobei sie freilich die große Einschränkung macht, daß diese nicht die sogenannte

katholische, -sondern die wahre christliche ist.

Den Beweis aber,

daß dem gewiß und wahrhaftig also ist, so wie die Beantwor­ tung der Einwürfe, die man dagegen vorzubringen pflegt, muß

sie fteilich hier schuldig bleiben, indem erst die vollendete Reli-

gionsphilosophie dieselben liefern kann.

Gesetzt aber auch,

daß

die Lehre vom Sohne Gottes: der Mensch ward um das Men­ schengeschlecht zu erlösen, und ein Reich Gottes zu gründen auf

Erden,

mehr als fromme Fabel wäre, so

genügt es schwerlich

dieses Factum zu glauben, d. h. als wahr gelten zu lassen; son­

dern die gesammte Wissenschaft, also auch die Politik muß sich entschließen, davon Notiz zu nehmen, indem sie, wenn diese Lehre

wahr wäre, sie aber dieselbe,

als sie nicht angehend,

ignorirte,

Gefahr liefe in ihrer Wirksamkeit und in der Verfolgung ihrer

Zwecke ganz verkehrt zu verfahren.

Wenn also diese Lehre, daß der Menschheit nur in Christo

Heil ist, welche der Angelstern des Christenthums ist, wahr ist: so hätte die Politik die Aufgabe sich auf die Entwilderung uncivilisirter Völker einen immer größer» Einfluß zu verschaffen und

eine umfassende Suprematie über sie zu begründen.

Diese Auf­

gabe würde aber mit der früher erwähnten, dem zu erwarten­

den Ueberfluß politischer Kraft einen Abfluß zu verschaffen, vor­ trefflich übereinstimmen und die Politik würde (wie dieses über­

all der Fall ist) um so sicherer für ihren eigenen Vortheil sorgen,

je thätiger sie für die Verwirklichung der Zwecke der Vorsehung wirkte.

Ich

schweige ganz davon, welches Vereinigungsmittel

für unser ohnehin nachgerade alterndes Europa in der Eröffnung eines solchen Wechseleinflusses auf die übrigen Welttheile (vor­ züglich auf Asien!) liegen würde, wie auch davon, daß dieses

das einzige Mittel sein dürfte, um der riesenhaft sich entwickeln­ den Kraft Nordamerikas — und Südamerika und Neuholland werden schon nachkommen! — ohne Besorgniß zuzusehen und dem­ selben noch Jahrhunderte lang, vielleicht für immer, die Waage

zu halten. Dieser Abfluß würde sich aber darstellen, einestheils als ein syste­

matisches und ins Große gehendes Kolonisationswesen, und andem-

theils als das Bestreben, Nichtchristliche Staaten durch die Gewalt der Waffen von der christlichen Politik und den Zwecken derselben abhän­ gig zu machen.

Der Nutzen und die Nothwendigkeit jenes Ko­

lonisationswesens ist zu einleuchtend, als daß wir noch nöthig

hätten uns darüber weiter zu verbreiten.

Welchen neuen Schwung

würde es nicht schon dem Welthandel geben, und welch' ein dau-

erhaster Grund wäre dadurch nicht zur Entwilderung der Völker gelegt. Desto nöthiger ist es aber, uns über jenen zweiten Punkt

aufzuklaren.

Ew. Excellenz werden mir zutrauen, daß ich, ein

evangelischer Religionslehrer, die Politik nicht auffordern werde, die christliche Religion mit Feuer und Schwerdt oder gar durch jesuitische Künste der Finsterniß unter Nichtchristen zu verbreiten;

aber so wie der einzelne Mensch nicht im Staate so leben darf wie er eben will, so hat ein Staat,

er sei nun ein christlicher

oder ein nicht christlicher, nur in sofern das Recht im großen po­ litischen Ganzm zu existiren, als bei ihm die Entwickelung, zu

welcher er von der Vorsehung bestimmt ist, möglich ist, und die Politik hat, sobald sie eine christliche sein will, was sie wohl nicht

länger umhin können wird zu wollen, nicht nur das Recht son­

dern gradezü die Verbindlichkeit, die nichtchristlichen Staaten zu

nöthigen, diese Entwickelung bei sich möglich zu machen.

Nun ist

aber keine bürgerliche Entwickelung da möglich, wo der Staat das Leben, die Freiheit und das Eigenthum des Bürgers nicht

sichem kann oder will, und eben so ist keine religiöse Entwickelung

da möglich, wo der Verkünder des Evangeliums dieses nicht un­ gefährdet predigen kann.

Die höchste Gabe des Himmels, die

Religion, soll dem Menschen nicht, sei es auf welche Weise es

wolle, aufgedrungen werden, allein die Möglichkeit muß gegeben werden, daß sie zu einem Volke und zu den Individuen desselben, welche sie annehmen wollen, gelangen kann; und es möchte wohl

hier von der Pflicht der kultivirten Menschheit dieses für ihre un-

kultivirten Brüder zu den können.

thun ohne Anmaßung gesprochen wer­

Zenm sich erzeugenden Ueberschuß

von politischer

Kraft müßte also die Politik auf diese Staaten hinlenken, und wo diplomatische Vorstellungen nicht helfen, sie mit Krieg über­

ziehen, nicht um sie zu unterjochen, sondern um sie zu nöthigen,

jene Grundlage bürgerlicher Entwickelung, Sicherheit des Lebens, der Freiheit und des Eigenthums bei sich einzuführen und, als

Bedingung sittlicher Entwickelung, zu erlauben, daß die christlichen Lehrer des Evangeliums bei ihnen denjenigen, die es hören wol­

len, ungefährdet predigen dürfen.

Sind diese Bedingungen er­

füllt und für die Zukunft garantirt: so sind diese Staaten unter ihren bisherigen Herrschern völlig unabhängig, und dann erst ga­ rantirt die Politik die Existenz derselben.

Die Kosten eines solchen

im Namen der Menschheit geführten Kriegeswürden neue Han­ delsverbindungen wohl wehr als hinlänglich ersetzen. —

Bis dieses aber geschieht, bis die evangelische Kirche zu neuem Leben und neuer Thätigkeit erwachen wird, bleibt nur zu wün­ schen,

daß die Politik sich das sittliche Elend der nichtchristlichen

Völker wenigstens insofern zu Herzen nehmen möchte, daß sie das Mifsionswesen, welches in seiner dermaligen Beschränktheit nur sehr spärliche Früchte tragen kann, auf eine thätige und libe­ rale Weise unterstützt.

Die Einwendung, daß wir unter uns

Nichtchristen genug zu bekehren hätten, ist nicht ganz haltbar;

denn einmal ersetzen doch bei ihnen Sittlichkeit und Kultur, wenn

auch unvollkommen, den Mangel des christlichen Elements, und dann ist dieses bei uns doch schon da, und wirkt im Einzelnen im Stillen siegreich fort.

Daß aber die Mehrzahl der Menschen

auf Erden noch alle Gelegenheit das Christenthum zu erkennen

entbehrt, ist eine sehr niederschlagende Erscheinung.

Denn, so

wie die Sachen dermalen stehen, kommt kaum Ein Lehrer des Evangeliums auf — Eine Million Nichtchristen.

Selbst für die

Bekehrung der Juden im Großen könnte sehr viel geschehen, wenn

die Politik diesen Gegenstand ihrer Aufmerksamkeit und Theilnahme würdigte, sonst aber nie. Und so lange das Missionswesen, ein Unter­

nehmen übrigens, von welchem nur mit der höchsten Achtung gespro­ chen werden kann, ein Unternehmen bleibt, welches ohne eine leitende Idee und ohne einen Gesammtplan nur von Privatpersonen und Sectirem ausgeht, so können bedeutende Mißgriffe schwerlich ver­ mieden werden.

Wie ganz anders würde sich aber nicht diese An­

gelegenheit gestalten, wenn zu dieser höchst achtungswerthen Be­ geisterung, welche den Missionär treibt, unter die Heiden zu ge­

hen, noch eine entwickeltere und unbefangene Weltansicht, deren Mangel so schmerzlich vermißt wird, vorzüglich aber das Licht des Verständnisses und der Wissenschaft käme, und wmn der Mis­

sionär dem Sohn der Finsterniß nicht nur den Glauben, sondern auch das lichte Verständniß des Christenthums zu bieten hätte.

Auch scheint es, als wenn das Missionswesen nur dann erst recht gedechen würde, wenn man auf jeder Station eines Missionärs

zugleich eine kleine Kolonie, deren Mitglieder freilich nie sorgfäl­ tig genug ausgesucht werden könnten, anlegte, die den Nichtchri­

sten zugleich

europäische Sittigung und Beispiel und Vorbild 3

eines christlichen Lebens brächte.

Die Verheirathung des Nach­

wachses dieser Kolonie in die Familien der Ureinwohner würde

dann auch nicht wenig zur Verbreitung und Befestigung des Christenthums beitragen. Das vorzüglichste Augenmerk der Mis­

sionäre müßte aber der Unterricht der Jugend sein, und wenn der Missionär nicht so viele gewonnene wirkliche Christen zählte, als seine Schule Schüler gezählt hat, so wäre das nur seine Schuld. Und selbst da, wo die Erwachsenen keine Empfänglich­ keit für die Lehren des Christenthums zeigten, müßte es doch dem Missionär, wäre er sonst was er sollte, unter den Söhnen der

Armuth und der Sclaverei nicht an Schülern fehlen. Aber die Kosten, welche die Einrichtung einer solchen evan­ gelischen Akademie und eine solche Erweiterung des Missionswe­ sens verursachen würde? Darüber können wir ganz ruhig sein.

Sobald die lebendige Einsicht da ist, daß etwas durchaus und unumgänglich nöthig ist, so finden sich die Kosten dazu immer von selbst. Er wird so viel bei dem Einzelnen kollectirt, man sollte einmal versuchen zu einem so edlen Zwecke bei der Regierung selbst zu kollectiren. Uebrigens werden ja der Politik heutzutage so manche Ausgaben erspart, welche sie früher hatte. Die schmäh­ lichen Tribute der christlichen Mächte an die Barbaresken haben wohl bereits aufgehört, und bei dem unverkennbaren Streben zum

Bessern, welches sich auch in der Politik zeigt, fallen gewiß manche „geyeime Ausgaben" weg. Vielleicht entschlösse man sich, diese

Summe, welche sonst der Schmach geopfert wurde, zur Ehre Gottes anzuwenden?

Aber alle diese Vorschläge, welche ich so frei gewesen bin, dem Urtheil Ew. Excellenz zu unterlegen, bezwecken nichts anders, als die Erhebung der Politik über ihre bisherige beschränkte An­ sicht zu einer höhern, durch das Eingehen auf die Wahrheiten

der Religionsphilosophie. Und nur wenn sie darauf eingeht, wenn sie die Wahrheit will und sich bis zu der Wahrheit in ihrer all­

umfassenden Einheit erhebt, wird sie im Geist Gottes wirken, und nur dann wird sie die Stürme der Gegenwart beschwören und der Zukunft ruhig entgegenblicken können. Nur dann wird sie

stark und unüberwindlich, und ihr Wirken für die Menschheit se­

genreich sein. Das Reich Gottes auf Erden kommt nicht wie Sonnen,

schein und Regen von selbst, sondern es will von Menschen dar­ gestelltwerden.

Heil dem, welchem es vergönnt war, zur Lösung

dieser höchsten Aufgabe der Menschheit mitzuwirken! Nur das bleibet!

Es ist zwar mehr als ich hoffen darf, daß diese Andeutun­ gen von der Politik einiger Aufmerksamkeit gewürdigt werden

sollten.

Sollte aber dies auch nicht geschehen, so mögen diese

Blätter, wenn sie sich nämlich in der Sündfluth der Literatur

unsrer Tage erhalten, der Nachwelt ein Zeugniß davon ablegen, daß die Religionsphilosophie diese hochwichtigen Gegenstände zur

Sprache gebracht hat.

Zurückkommen wird man wohl auf diese

Ansichten, sei es auch erst nach Jahrhunderten. Mögen sie indes­

sen, wenn, wie es nur zu wahrscheinlich ist, die heiße Sehnsucht,

damit etwas Gutes zu stiften, unerfüllt bleiben wird, in den Ac­ ten der Geschichte niederlegt, einst zum Beweis dienen, daß die Religionsphilosophie schon zu unsrer Zeit sich zu diesen Wahrhei­

ten erhoben hat. Zum Schluß sei es vergönnt, diesem Schreiben einige apho­ ristische Ideen über einige Gegenstände der Politik, die sich nicht

in diesen Brief verweben lassen und

die ich dennoch andeuten

möchte, bcizufügen, und sie dem Urtheil Ew. Excellenz zu unter­

werfen. Genehmigen Ew. Excellenz

k.

Aphorismen über verschiedene Gegenstände der Politik.

1. Ich sprach oben von der schwierigen Lage der Politik, indem

sie die Frage, was in einem vorkommenden Fall Rechtens sei, nicht allein aus dem Gesichtspunkt der Idee des Rechts beantworten

darf, sondern dabei zugleich einmal bestehende Verträge berücksich­ tigen muß, welche, obgleich selbstsüchtige Gewalt sie nur zu oft

dictirte und die Noth annahm,

und ob sie gleich daher so viel

3*

einander Widersprechendes, so viele einander durchkreuzende Interes­ sen und so vieles der Idee des Rechts Zuwiderlaufendes enthalten,

auf der einen Seite, als einmal eingegangen, ehrlich gehalten und auf der andem mit der unabweisbaren Forderung des ewigen Rechts

ausgeglichen werden müssen.

Es sei mir wegm der unermeßlichen

Wichtigkeit des Gegenstandes erlaubt darauf noch einmal zurück» zukommen.

Es ist klar, daß ein starres Beharren bei dem Ge­

gebenen eben so unrecht ist als ein rücksichtsloses Hinstürmen auf den ideellen Rechtszustand ohne Achtung für die historische Ent­

wickelung und das Gegebene.

Zwar wird die Politik immer das

Gegebene, so wie die Philosophie jenen ideellen Rechtszustand vor­

zugsweise im Auge behalten, indessen wird doch eine Politik, die da weiß, was sie will, vom Gegebenen und von der Heilighal­

tung des bestehenden Rechts ausgehend, sich jenem ideellen Ziel immer mehr zu nähern suchen.

Das Recht einer solchen allmä-

ligen und vorsichtigen Reformation und Vervollkommnung des

Rechtszustandes zwischen zwei Staaten, liegt in der Unvollkom­ menheit der bestehenden Vertrage als des Resultats den Rechts­

zustand zwischen beiden auszudrücken, der, als von Menschen ge­

dacht, gewollt und ausgeführt nicht anders, als sehr unvollkom­ men sein kann und einen bedeutenden Theil des Unrechts, also seines Gegentheils, in sich involviren muß und der also, ohne Ver­

sündigung an dem ewigen Recht nicht als unwandelbar gedacht werden kann; so wie umgekehrt der Umstand, daß es wieder Men­ schen sind, die den vorhandenen Rechtszustand dem ideellen zu nähern suchen, die also diesen letztem konstruiren, den Fortschritt

demselbm entgegen beschließen und fördern, die höchste Umsicht und Vorsicht gebietet. —

Das Gesetz, der Vertrag ist also nicht

in der sittlichem Welt das Höchste, sondem dasjenige, woraus diese emaniren und wovon sie nur ein unvollkommener Ausdruck sind,

nämlich die Idee des Rechts.

Aus diesem Grunde steht der Sou-

verain zum Theil über dem Gesetz, und ist ihm in dem Recht zu

begnadigen, einen Proceß niederzuschlagen u. s. w. das Recht ge­

geben, das Gesetz zu suppliren und dessen starre Konsequenzen zu

mildern; aus diesem Grunde steht die Regierung als legislative Ge­ walt über dem Gesetz und hat das Recht die vorhandenen zu erwei­

tern und zu vervollkommnen.

Aus diesem Grunde hat auch der

eine Staat dem andem gegenüber das Recht, auf einen vollkom-

menern Rechtszustand zwischen beiden zu dringen; aus diesem Grunde

hat endlich sogar das Individuum das (ideelle) Recht, sich über den bestehenden Rechtszustand zu stellen, und als Reformator auf­ zutreten.

Und so wie der Souverain, indem er, seinem Gefühle

der Idee des Rechts folgend, den dem Individuum bedrohlichen Proceß niederschlägt, mit seinem: ich wills vor Gott verantwor­ ten! Recht hat, wenn er dieser Idee gemäß handelte; so wie der Reformator, wenn er seinem Werk gewachsen ist, und das was

er will, im ewigen Recht begründet ist, Recht hat zu sagen: ich will

mein Auflehnen wider das Bestehende vor Gott vertreten (ein ide­

elles Recht nämlich,

denn in bürgerlicher Hinsicht macht er sich

durch dieses Auflehnen eben so rechtlos): also hat auch der eine Staat, sobald die Veränderung des Rechtszustandes, die er von dem andem fordert, wirklich eine in der Idee des Rechts gegrün­

dete Vervollkommnung ist, das Recht, nicht nur diese zu fordern, sondern, wo sie ihm verweigert wird, durch Reclamation derNö-

chigung des politischen Ganzen, und, wo diese nicht gewährt wird oder hilft, durch Gewalt der Waffen, zu erzwingen.

Der Krieg

ist dann von Seiten des Angreifenden eine Auflündigung des Rechts­

zustandes zwischen beiden Staaten und eine solche Aufkündigung

muß, wo keine andern Mittel mehr helfen, erlaubt sein.

Je voll-

kommner die politischen Verhältnisse der Staaten sich ausbilden und je fester daher der Verband zwischen den einzelnen Staaten

wird,

desto seltner wird es zum Kriege kommen, indem das

Ganze die Reibungen unter den Theilen nicht erlaubt.

Auf diese

Weise wird zwar (wo das Ganze das Unrecht des einen Theils

nicht einsehen oder ihn nicht zwingen will, es aufzugeben) man­

ches Unrecht in den Verhältnissen zwischen Staaten fortbestehen, das der Krieg vielleicht ausgeglichen hätte, wenn mämlich der da

Recht hat, auch der Mächtigere ist; aber endlich muß doch das Recht siegen, weil es aus Gott ist und weil die Wahrheit eine so starke Nöthigung mit sich führt, daß man ihr auf die Länge nicht widerstehen kann. Obgleich ich in dem Gegebenen ein mit göttlicher Nothwendigkeit

Gewordenes nicht erblicke, sondern meist ein Werk der menschlichen Un­ vollkommenheiten und Leidenschaften, die nie etwas göttlich Nothwen­

diges sein können, sondern umgekehrt grade in der Willkühr ihre Wur­

zel haben: so muß hier doch nicht übersehen werden, daß, was an sich

Recht ist, darum noch nicht für uns Recht ist.

Denn die Idee

des Rechts ist gleichsam nur der Eine Pol des absoluten Rechts

und das historische, positive, aus Verträgen entstandene Recht der andere und die Einigung uni)] Versöhnung dieser beiden Gegen­

sätze das absolute Recht selbst.

Wenn daher ein Staat von dem

andern ein Rechtsverhältniß verlangt, welches zwar mit der Idee des Rechts übereinstimmte, allein mit dem gegebenen Rechtszu­ stand des andern im offenbaren Widerspruch stünde, z. B. wenn

er einen freien Handelsverkehr mit ihm verlangte, welches zwar

ideell recht ist, allein welches die positiven Rechte der Bürger des andern, z. B. der Fabrikinhaber u. s. w. beeinträchtigte, so wäre

dieses suminuin jus summa injuria.

Die Vermittelung dieser bei­

den Gegensätze ist der gute Wille, der die Rechtmäßigkeit des Ge­

gensatzes bei dem andem anerkennt und die Zeit.

Der eine Staat

muß sich z. B. hier vernünftigerweise geneigt finden lassen, die Möglichkeit

eines

einstigen

freien Handelsverkehrs ernstlich und

thunlichst vorzubereiten, und der andere muß damit zuftieden sein und keine göttliche Umkehrung des Bestehenden verlangen.

Wenden wir das Gesagte auf den oben aufgestellten Satz

an, ein christlicher Staat habe das Recht einen nichtchristlichen

zu nöthigen, die ersten Elemente politischer Entwickelung bei sich anzuerkennen und den christlichen Glaubensboten zu erlauben, de­

nen, die sie hören wollen, das Evangelium ungefährdet zu predigen.

Hier ist nun voraus zu bemerken, daß bei den Meisten nicht­ christlichen (Völkern) Staaten keine Verträge verletzt würden, in­ dem sie gar nicht eristiren.

Wo sie aber existiren und einem nicht

christlichen Staat unter der Bedingung, daß er sie hält, ein gu­ tes Verhältniß versprochen worden ist, da darf doch unsrer Mei­ nung nach, jener diesem offen erklären: Bis jetzt erkannte ich meine

Pflicht nicht für deine bürgerliche vorsehungsgemäße Entwickelung

zu sorgen, jetzt erkenne ichs und darum fordere ich von dir, daß du die Elemente bürgerlicher Entwickelung bei dir ins Leben rufst und einen emstlichen Anfang machst das Recht an die Stelle des

Unrechts zu setzen, und wenn du dich hierin nicht fügen willst, so kündige ich die bestehenden Verträge mit dir auf und werde dich, nachdem ich dir Zeit gelassen haben werde, meinen Vorschlag

zu überlegen, wenn du ihn verwirfst, durch die Gewalt meiner Waffen dazu zwingen.

2.

Wie soll dem immer bedrohlicher werdenden Unfug der po­

litischen Zeitungsschreiber in einem Lande, wo Preßfreiheit herrscht, gesteuert werden? Ich glaube, also: Wer als solcher ausireten oder fortbestehen will, soll sich durch sein bürgerliches Leben und Wir­

ken als einen wohlgesinnten Mann legitimiren.

eine so

Anders darf ihm

gefährliche Gewalt nicht in die Hände gegeben werden.

Daher hat in der Pairs - oder Deputirtenkammer jedes Mitglied das Recht, darauf anzutragen, daß man daselbst.darüber abstimme,

ob N. der verantwortliche Herausgeber der und der Zeitung sich durch sein bürgerliches Leben und Wirken als einen wohlgesinnten

Mann bewiesen oder nicht.

Hat er hier die Majorität wider sich,

so kann er an eine gleiche Abstimmung in der andern Kammer

appelliren.

Bekommt er hier die Majorität für sich, so kann er

bis zum Ende des nächsten Jahres, wenn nämlich dann jemand

auf eine neue Abstimmung anträgt, sein Blatt fortsetzcn.

Fällt

er aber in beiden Kammern durch, so darf er erst nach 3 bis 5

Jahren mit der Bitte um Erlaubniß, sein Blatt von neuem an­

zufangen, bei der Kammer einkommen.

Hat man aber zu der im

voraus zu bestimmenden Zeit die Abstimmung versäumt, so bleibt sein Blatt, bis diese Zeit wieder eintritt.

Uebrigens bleibt natür­

lich der Regierung das Recht, den Herausgeber wegen jedes straf­ baren Artikels besonders gesetzlich zu belangen.

Noch ein anderes Mittel, gegen dessen Rechtlichkeit wohl nie­ mand gegründete Einwendungen wird machen können, stünde zu Gebot.

Alan wird doch einmal dahin kommen, den Grund­

satz aufzustellen: das, wovon das Heil und der geistige Fortschritt der Menschheit und die Wohlfahrt des Staats abhängt,

darf

nie der Gegenstand einer Finanzspeculation, einer Industrie werden, und die Literatur ist nicht um der Industrie der Berfasser und

Verleger willen da, sondern diese um der Literatur willen.

Wer

sich daher berufen fühlt, seine Mitbürger über ihre religiösen, wis­

senschaftlichen und politischen Angelegenheiten zu belehren, soll erst beweisen, daß er dieses um der guten Sache und nicht um des

Gewinnes willen thut, und durch seine Uneigennützigkeit zeigen, daß er werth ist dafür zu wirken.

Legt er es aber auf eine Fi-

nanzspeculation an, so hat er dadurch die Gemeinheit seines Sire-

40 bens beurkundet und wird von Rechtswegen abgewiesen.

Auf

einen mäßigen Ersatz seiner Mühe, darf er zwar, wenn er damit

zufrieden sein will, rechnen, aber dieses Geschäft nicht als einen

Nahrungszweig, ein Bereicherungsmittel betrachten.

Man sage

also den Zeitungsschreibern: Ihr sollt das Recht haben, die Nation

über den Gang der politischen Begebenheiten zu belehren, allein ihr

müßt dann auch beweisen, daß es euch nur um die Sache zu thun

ist.

Zu diesem Ende muß der Redacteur eines politischen Blattes

darein willigen, daß ein von der Negierung bestimmter Mann den Debit desselben übernimmt.

Der Verfasser erhält sein mäßiges

Honorar pr. Bogen und zwar gleich viel, wenn die Zeitung einen starken, oder wenn sie einen geringen Absatz hat;

der Rest der

Einnahme fällt einer milden Stiftung zu.

Wenn also der pekuniäre Grund, Leser anzulocken, wegfällt, so wird auch das Anlocken selbst durch freches Schreiben u. s. w. gröstentheils wegfallen.

3.

Die Politik wird doch einmal wider das Büchermachen als industriellen Nahrungszweig einschreiten müssen, d. h. da, wo schon Preßfreiheit herrscht.

Es müßte daher z. B. in Deutschland

gleichsam eine Junta von Gelehrten niedergesetzt werden, um zu prüfen, welche bei jeder Messe herauskommende Bücher durchaus nur beutelschneiderische Finanzspeculation der Büchermacher und der

Verleger wärm.

Die also bezeichneten Bücher würden dann an

die deutschen Universitäten vertheilt und jede

derselben gehalten

werden, ihr Schuldig oder Unschuldig darüber auszusprechen. Durch

das Schuldig wäre der Verleger zu einer Geldbuße verfallen. 4. Wo Preßfreiheit ist, muß es doch der Regierung frei stehen, Schriftsteller von anerkannt nichtswürdiger Gesinnung z. B. Glau»

ren, unter literärpolizeiliche Aufsicht d. h. unter die Censur zu stel­

len.

Wo keine Preßfreiheit noch ist, würde das dazu kein übler

Anfang sein, wenn die Regierung fürs erste wenigstens Schrift-

stellem von bewährter Gesinnung für ihre eigenen Schriften und für fremde die sie förmlich billigte, Censurfreiheit gewährte.

5.

Zur vollkommenen Staatseinrichtung gehörte auch eine allge­ meine und durchgängige Landesassekuranzanstalt, gegen alle mög­

liche Unglücksfälle, als Feuerschaden, Ueberschwemmungen, Miß­ wachs, Hagelschlag, Viehseuchen u. s. w.

Jeder Bürger müßte

dazu nach seinem Vermögen kontribuiren, was, wo alle daran Theil

nehmen und der Staat keinen Gewinn wollte, eine unbedeutende Abgabe wäre.

6.

Die Ansicht vom Staat, als einer moralischen Person, die nicht

nur Rechte, sondern auch Pflichten gegen die Bürger hat, ist noch bei

weitem nicht hinlänglich hervorgehoben worden.

Derjenige Staat ist

in politischer Entwickelung noch nicht weit gekommen, und hat von seinen Pflichten sehr unvollkommene Begriffe, der es nicht so weit gebracht hat oder doch die Verbindlichkeit fühlt, es so weit zu brin­

gen, daß keiner seiner Bürger, der da arbeiten will, Hungers

zu sterben braucht. 7. „Ein edles Volk, die Norweger, hat den Muth gehabt, bei

sich den Adel aufzuheben.

So sehr aber eine solche Aeußerung

des National - Charakters Verehrung verdient, so ist es doch noch die Frage, ob man Recht daran thäte, einen so mächtigen Hebel

ganz weg zu werfen.

Es scheint, es wäre noch zweckmäßiger,

wenn jeder eben lebende Edelmann seinen Adel niederlegte und dann wartete, ob die Repräsentanten der Nation ihm das Ererbte als Lohn seines persönlichen Verdienstes zurückgeben oder nicht.

Ein jedes edle Geschlecht hätte dann seinen bestimmten Platz an der Wand des Ritterhauses, und ein jeder, der seinen Adel also

wiedergewonnen hätte, das Recht, sein Wappen daselbst aufzuhän­ gen.

Hätte aber dessen Sohn keine eminente Verdienste, so bliebe

dessen Platz leer, was übrigens keinesweges für eine positive Schande zu achten wäre.

Ein solcher Verdienstadelstand könnte hernach

einen Ausschuß der Besten bilden, der jedesmal entschiede, wer

von dem nachwachsenden Geschlecht würdig wäre, sein Wappen im Ritterhaus aufzuhängen.

Die Repräsentanten

der Nation

würden dann dieses Urtheil des Ausschusses kontroliren und bestä­

tigen.

Eben so würden diese bestimmen, wer da würdig wäre

ein neues edles Geschlecht anzufangen, wo dann jeder Ausschuß das Recht hätte, zu erklären, ob der bestehende Adel den Vorge­

schlagenen für würdig hielte, in seiner Mitte ausgenommen zu wer­ Welch' ein neues Leben würde nicht diese Einrichtung in

den.

den Adelstand

bringen!

Jeder, dessen Wappen

im Ritterhause

hinge, wäre dadurch ipso facto Ritter und trüge irgend ein diese

Würde bezeichnendes Zeichen." Nachsatz.

So schrieb ich,

ehe

ich mit einem. Mann,

den ich

als

kompetenten Richter über diesen Gegenstand anerkennen muß, eine Unterredung darüber hatte.

Er behauptet, jener Vorschlag von

einem Verdienstadel sei unausführbar und der Erbadel sei noch auf

Jahrhunderte hinaus ein durchaus nothwendiges Institut.

Ich

habe darüber nachgedacht und will hier— ohne mir ein bestimm­

tes Urtheil über diesen Gegenstand zu erlauben,— den Weg be­ zeichnen, auf welchem die Nothwendigkeit des Erbadels, wenn

er sonst erwiesen werden kann, vielleicht erwiesen werden könnte.

Nach unsrer, in Aphor. 1 aufgestellten Ansicht bedingt das Wech­ selspiel zweier Kräfte das Leben des Staats, das Beharrenwollen nämlich bei dem Bestehenden und das Hinstreben zum Neuen,

Vollkommenern.

Soll daher, könnte man sagen, das Leben des

Staats gedeihen, so muß diese doppelte Lebensrichtung desselben sich in einer doppelten Bestrebung der Bürger auszusprechen, d.

h. einige müssen das Bestehende, andere den Fortschritt wollen.

Da es nun aber in einem Staate mehr Arme als Reiche giebt, und

noch

mehrere,

die da immer reicher

sein

wollen, ferner

mehr sich finden, die da nach Ehren wachten, als die sich mit denen, die sie haben begnügen: so wird es in einem Staate nie

an Bürgem fehlen,

welche den Fortschritt wollen, als wobei sie

zu gewinnen und sich auszeichnen zu können hoffen;

wohl muß

aber der Staat für das Gegengewicht zu diesem Vorwärtsstreben sorgen.

Es muß also int Staate ein Stand da sein, dem an der

Erhaltung der Ruhe und an dem Fortbestand des Bestehenden

gelegen ist.

Dieser Stand muß also begütert und bürgerlich hoch-

gestellt sein, damit er nicht nöthig habe, nach Vermögen und Ehre

zu jagen.

Dieser Stand ist der Erbadel und der Mittelpunkt

und Erhalter desselben so wie der Quell, aus welchem Glanz auf ihn strömt, ist der Monarch. —

Wollte man wider diese An­

sicht einwenden, daß es doch Staaten giebt, wo z. B. in den nord­ amerikanischen Freistaaten das bürgerliche Leben wohl gedeihet, obgleich daselbst der Adel ein beinahe untergegangenes Institut ist, so läugnen wir eben das Gedeihen des. bürgerlichen Lebens in die­

sem Staate und glauben, daß der Untergang des Erbadels daselbst

mit der Grund zu dem wüthenden Jagen nach Gewinn, to make money, ist, welches als die beinah einzige Lebensthätigkeit daselbst

erscheint, und welches uns ein bedrohliches Zeichen der gestörten Harmonie in der Lebensthätigkeit "dieses Staates zu sein dünkt.

Alle Beachtung möchte aber Mösers zunächst in Rücksicht auf

den deutschen Adel gemachter Vorschlag verdienen, daß nämlich der Adel sich überall nach dem Vorbilde des englischen regeneriren

möge, wo nur auf den ältern Sohn des Pairs der eigentliche Adel vererbt, während die jungem Söhne im gemeinen Leben

weiter keine Adelsauszeichnungen genießen, sondern sich den übri­ gen Klassen der bürgerlichen Gesellschaft anschließen.

Nur da­

durch kann die Zersplitterung der Güter des Adels, mithin die Ver­ armung desselben verhindert werden, nur so lange der Erbadel

reich ist, kann er seinem Zweck für den Staat entsprechen.

8. Soll ein Volk als mündig oder unmündig betrachtet werden?

Auf jeden Fall als unmündig in der Mehrzahl, als mündig nur in seinen gebildeten Gliedern.

Das Streben einer guten Negie­

rung geht aber dahin, diese Unmündigkeit immer mehr aufzuhe­ ben.

Denjenigen der Gebildeten, welche nicht persönlich zu der

politischen Klasse (Beamte und Volksrepräsentanten) gehören,

muß, so weit als es irgend thunlich ist, möglich gemacht werden, Mitarbeiter der politischen Klaffe zu sein, und ihren sittlich intel-

lectuellen Einfluß auf dieselben auszuüben: Preßfreiheit, Petitions­ recht.

Der Menge aber kann nur der Instinkt zugetraut werden,

zu erkennen, wer sie besser zu regieren versteht, als sie sich selbst. Die Lehre

von

der Volkssouverainität aber ist eine der abge­

schmacktesten und gefährlichsten Narrheiten der Revolutionsmänner.

9. Alle Obrigkeit ist von Gott.

Zwar nicht faktisch, da die

meisten Staaten durch Unterjochung entstanden sind, aber doch in der Idee.

Das heißt, es ist Gottes Wille, die Menschen sol­

len Staaten bilden, sich einer Obrigkeit unterwerfen und ihr Un­ terthan bleiben. Die Vorstellung von einer Volkssouverainität

ist daher ein Unding.

Nicht einmal der Einzelne im Walde ist sou-

verain, denn es ist Gotteswille, daß er nicht da bleibe, sondern sich einem Staate unterwerfe, und es hängt keinesweges von sei­

ner Willkühr ab, ob er es thun soll oder nicht.

Indem daher die Ein­

zelnen zusammen treten, müssen sie eine Regierung bilden und

dieser grade die bestimmten, in der Vernunft gegründeten Rechte

übertragen, ohne welche ein Staat nicht denkbar ist.

Wenn die

Besiegten sich entschließen, den Widerstand wider den Besieger auf­

zugeben und, weil dieses doch das Vemünstigste ist, was sie thun können, ihm treu zu bleiben, so entsagen sie aber der Volks­

souverainität, wenn sie auch bis dahin eine hatten. 10. Die Politik hat den wundermächtigen Hebel, der in Treu

und Glauben liegt, bei weitem noch nicht hinlänglich gewürdigt.

Welch' einen Zuwachs von politischer Kraft würde nicht ein Land gewinnen, wenn Staat und Fürst auss gewissenhafteste darauf hiel­ ten und jede Veruntreuung und jeden Lug und Trug im Han­

del und Wandel, namentlich bei Bankerotten, aufs unerbittlichste ahndeten!— So auch in äußern Verhältnissen. Die Politik wird freilich nie so weit gehen, daß sie einer Versprechung ohne Ga­

rantie glaubte, aber sie wird durch strenges Festhalten an garan« tirte Versprechungen Wunder verrichten.

So müßte einst die Po­

litik dahin kommen, den Etat eines Minimums von stehenden Hee­

ren für jeden Staat in gemeinschaftlicher Berathung zu bestimmen.

Dann würde man zwar nicht die überflüssigen Heere auf die Ver­ sicherung der Nachbam hin, daß sie ihr Etat nicht überschreiten

werden, eingehen lassen, wohl aber würde man dies auf gemein­ schaftliche solitorische Garantie aller Mächte thun.

Fiele es dann

dessen ungeachtet einem ein, dawider zu handeln, so würde, wo

dies Princip aufgestellt wäre, die Drohung der übrigen Mächte

hinreichen, um Jenen zur Besinnung zu bringen, und hülfe die­

ses nichts, so müßte, um einen Napoleonischen Ausdruck zu gebrau­ chen, der Uebertreter aufgehört haben zu regieren.

Was vermöchte

aber auf die Länge der Einzelne gegen alle Uebrigen, wo dieses Princip heilig gehalten würde!

11. Nicht eher wird das Mißbehagen aufhören, welches das bür­ gerliche Leben in Europa wie ein Alp drückt, nicht eher wird die

überall gefühlte Verarmung schwinden, als bis die Regierungen

sich über die zwei Hauptpunkte der europäischen Politik vereinigen: Wenn sie den zum Schaden Aller gefesselten Handel freilassen und dazu ihre unermeßlichen Heere, welche die beste Kraft Europa's

aussaugen, nach einem gemeinschaftlichen festzusetzenden Etat, auf ein Minimum herabsetzen.

12. Die Zweikämpfe sind ein so auffallendes Gebrechen unsers

geselligen Zustandes, daß jeder, dem der Fortschritt des Geschlechts

am Herzen liegt, seinen Beitrag zur Lösung der Frage, wie die­

sem Uebel abzuhelfen sei, beisteuern müßte.

Hier ist mein Scherf­

Es ist vorab klar, daß der Staat darauf bestehen und alles daran setzen muß zu verhindem, daß Handlungen, die für das lein.

Wohl seiner Bürger so bedenkliche Folgen haben können, wie die

Zweikämpfe, nicht anders, als mit seinem Willen und Wissen,

wenn er sie erlaubt, stattfinden.

Das erste, was also der Staat

in dieser Hinsicht zu thun hat, ist, den Zweikampf ohne sein Mitwiffen unmöglich zu machen. Dieses geschieht dadurch, daß er von jedem seiner Bürger aus den Ständen, wo Zweikämpfe vor­

zufallen pflegen, das Ehrenwort abfordert, daß derselbe sich nicht anders als mit seinem Wissen schlagen will.

Wer dieses verwei­

gert, werde nie angestellt oder verlasse den Dienst oder gar das

Land.

Bricht nun jemand sein Ehrenwort und schlägt sich heim­

lich, was der Staat sich aufs eifrigste angelegen sein läßt, her­ auszubringen, so ist ein solcher ehrlos, wird öffentlich für einen

solchen erklärt und ferner weder im Dienst, noch in irgend einer

Gesellschaft geduldet.

Wo also zwei sich schlagen wollen, da mel­

den sie ihr Vorhaben der dazu vom Staate verordneten obrigkeitli.

chen Person,

am besten einem alten verdienten und durch seinen

Muth ausgezeichneten Militair. Meinung

So lange nun die, freilich irrige

allgemein herrscht, einerseits, es gebe kein

sichereres

und einfacheres Mittel, gewisse Kollisionen auszugleichen, als

ein geregelter Schwerdtkampf, der übrigens nicht die Absicht hat,

das Leben der Kämpfenden zu gefährden, und andrerseits, es gebe Beleidigungen, die nur durch den Tod des einen Betheiligten ge­

sühnt werden könnten: so wird es dem Staate nie gelingen die Zwei­ kämpfe ganz zu unterdrücken, sondern Alles was er thun kann ist,

daß er es dahin bringt, daß sie unter seinen Augen stattfinden und daß er sich dadurch einen Einfluß auf sie verschafft.

Hier muß nun entschieden werden, ob sie bloße Raufereien sind, wo der Herausforderer blos die Absicht hat, seinem Gegner nach dem Kunstausdruck eine Lection zu geben, oder ein Kampf

auf Leben und Tod; ferner ob die Kämpfenden noch Jünglinge sind, denen der Staat wegen ihres heißen jugendlichen Blutes eine

gewisse Nachsicht schuldig ist, oder Männer, von denen der Staat

volle männliche Besonnenheit erwarten darf.

Ist es also auf eine

Rauferei abgesehn und sind die, die sich raufen wollen, Jünglinge,

Studenten, junge Lfficiere u. dgl., so wäre das Verfahren des Staates dabei folgendes: Einmal lasse der Staat hier keine andere

Waffe, als das Schwerdt, nie aber Degen oder Pistolen zu, und

lasse die nach dem Studentencomment eingeführten Vorsichtsmaß­ regeln, um lebensgefährliche Verletzung zu vermeiden, genau beo­

bachten.

Wollen Jünglinge

sich einer Kleinigkeit

willen

auf

Leben und Tod schlagen, so bekommen sie Arrest auf längere Zeit und werden unter Vormundschaft gesetzt, dann untersucht der obrig­

keitliche Schiedsrichter nebst einigen beiderseitig ernannten Ehren­ richtern (etwa ein Kamerad der Gegner von jeder Seite) und zwei

Beistände von Alter und Ansehn die sich der Schiedsrichter erwählt, die Veranlassung, und der Ausspruch dieser Ehrcnjury's und das

Ansehn von Männern welche die Gegner beiderseits als Ehren­ männer anerkennen muffen, würden gewiß sehr viele, vielleicht die meisten dieser Raufereien verhindern.

Bestehen die Gegner aber

dennoch darauf sich zu schlagen, so wird ihnen vorgestcllt, wie der Staat diesen Schritt mißbilligt, wie er, unter sonst gleichen Um­

ständen, in der Zukunft denjenigen der weise genug ist, um Hän­ del zu vermeiden oder sich rathen zu lassen, dem Raufer vorziehen

wird, weshalb auch eine solche Rauferei, nebst der Veranlassung

zu derselben in das akademische Zeugniß oder in die Dienstliste eingetragen wird.

Hilft auch diese Weisung nicht, so wird ihnen

Bedenkzeit gegeben,

und erst wenn sie nach Verfluß derselben

auf ihrem Sinn bestehen, wird ihnen der Kampf im Beisein des Schiedsrichters und der übrigen Ehrenrichter erlaubt,

nachdem

beide ihr Ehrenwort gegeben, daß es ihre Absicht nicht ist, den Gegner lebensgefährlich zu verletzen.

Erfolgt nun keine lebens­

gefährliche Verletzung, so ist die Sache abgemacht.

Erfolgt sie

aber, oder fällt gar einer, so büße der andere für seine Anma­

ßung, sich in ein solches gefährliches Spiel eingelassen zu haben, ohne die Geschicklichkeit zu haben, seinen Gegner nicht lebensge­

fährlich zu verletzen, jahrlang auf der Festung. —

Sind's aber

Männer — das 40. Jahr mache hier die Grenzlinie, — die sich schlagen wollen, so muß hier der Staat, indem er von ihnen

reife Besonnenheit verlangen darf, strenger verfahren.

Entweder

ist es eine Kleinigkeit, weswegen sie sich schlagen wollen, oder eine emste wirkliche Beleidigung, z. B. wenn einer eine Entehrung seiner Schwester, Gattin oder Braut an dem absichtlichen Ver­

führer zu rachen hat.

Im erstem Falle erlaubt der Staat, wenn

die Gegner durchaus darauf bestehen, den Zweikampf aufs Schwerdt unter obigen Bedingungen, nur müssen sie, wegen dieser Unbe­ sonnenheit in männlichen Jahren sich gefallen lassen, unter Vor­ mundschaft gesetzt zu werden, wie es der Staat von Neu-York mit seinen Duellanten thut.

Denjenigen aber, der sich um einer

Kleinigkeit willen auf Leben und Tod schlagen will, erwartet das

Irrenhaus.

Ist aber eine wirkliche, emste Beleidigung zu rächen,

so komme der Staat, seiner Pflicht genügend durch Vervollstän­

digung seiner Gesetzgebung und Verhängung der gesetzlichen Strafe nicht nur der Privatrache vor, sondern erspare dem Beleidigten das so widerliche und für den Mann von

Ehre

beinahe

hier

unmögliche Geschäft, den Kläger machen zu müssen.

Es giebt

keine andern Mittel, den Zweikampf unmöglich zu machen.

Will

oder kann der Staat dieses nicht thun, nun so reiche er dem Beleidigten das Schwerdt der Gerechtigkeit, welches

er nicht

handhaben will, und erlaube ihm förmlich damit den Beleidiger, wenn ers kann und will, niederzustoßen.

Wo der Staat sich

seiner Pflicht begiebt, da tritt für das Individuum das Recht der Selbsthülfe ein.

13. Wenn es wahr ist, daß die Bürger derjenigen Staaten, wo

die Juden einen bedeutenden Theil der Bevölkerung ausmachen, von diesen häufig in ihrem bürgerlichen Gewerbe beeinträchtigt

werden, und daß dieselben die besten Kräfte des Staats oft aus­ saugen: so verdimt die Frage: Mit welchem Recht sind sie Mit­ bürgereines christlichen Staates? die emstlichste Berücksichtigung,

und das um so mehr, da unser kleines Europa an vielen Orten bald für seine eigentlichen Bewohner zu eng wird; aber auch nur

unter der Voraussetzung der Nichtigkeit jener Annahme, kann eine solche Untersuchung nöthig sein. Wenn sich nun heutzutage auf einmal ein Schwarm von einigen tausend Juden an der Gränze eines europäischen Staates zeigte, und in denselben einwandern wollte, so hätte ohne Zweifel die Regierung das Recht ihnen den Eintritt ganz zu verweigern, wenn sie nämlich voraussähe, daß diese Ankömmlinge denen, die schon im Besitz der Rechte eines Staatsbürgers sind, Abbruch thun könnten; wenn sie aber glaubt, ihnen den Eintritt erlauben zu können, so hätte sie eben so unbe­

zweifelt das Recht, die Bedingungen vorzuschreiben, unter welchen sie dieses thäte. Diese rechtlichen Feststellungen von vorn herein fehlen

nun ganz in Beziehung auf die Juden, und daher hat man nicht mehr das Recht, sie, da man sie einmal ins Land gelassen hat, ohne Weiteres wieder hinaus zu treiben. Eine Revision der Bürger­ rechte aber, die sie nach und nach erlangt haben, ist, nach der Einsicht jener vorausgesetzten Schädlichkeit derselben für die eigent­

lichen Bürger des Staats, um so zulässiger, da für den Staat, als moralische Person bei fortschreitender Entwickelung einmal die

Zeit nothwendig kommt, wo er anfangen muß, sich ein klares Bewußtsein des ganzen Systems seiner Rechte und Pflichten als solcher auszubilden. Nun kann aber der Bürger dem Bür­ ger nur in der industriellen und politischen Klasse durch vermehrte Konkurrenz zu industriellen Nahrungszweigen oder zu Stel­

len Abbruch thun, als Urproducent aber, der dem Staate ein sonst nicht daseiendes Vermögen verschafft, nimmer. Der schaf­ fenden Urpoducenten kann es, so lange der Boden für die Thä­ tigkeit derselben Raum hat, nie zu viel geben, sie können ein Land nur bereichern, nie auszehren, der veredelnden Industriellen

kann es nur so viel geben, als die Konsumtion braucht, und der

verzehrenden Glieder der politischen Klasse nur so viel, als zur

Besetzung aller Stellen derselben nöthig ist.

Ferner ist grade das

Jüdische an den Juden, das Abgeschlossene derselben unter sich und

ihr größeres Zusammenhalten, als unter

den übrigen Bürgern

möglich ist, was ihre Theilnahme an dem industriellen Verkehr

des Staats diesen nachtheilig macht. Wo daher die christlichen Bürger von den Juden beeinträchtigt werden, da hat die Regie­ rung das Recht, wie die Pflicht dem zu steuem, und zwar da­ durch, daß sie den Juden nur unter der Bedingung erlaubt im Lande zu bleiben und ihnen Bürgerrechte verleiht, daß sie Ur­ producenten werden.

Wollen sie das nicht, so bleibt nichts übrig,

als daß sie auswandern, in welchem Falle die Regierungen ge­ meinschaftlich ihnen Hülfe leisten müßten, ein neues Vaterland

zu finden; denn obgleich der einzelne Staat das Recht hat, den Ankömmling, der seinen eigentlichen Bürgern Abbruch tijut, in­

sofern er es thut, abzuweisen, so hat dieser doch als Mensch An­

theil an dem Erdboden, und es ist die Pflicht grade desjenigen

Staates, der ihn nicht unter seinen Bürgern dulden darf, ihm zum Besitz eines Bodens, wo und von dem er leben kann, zu

verhelfen.

Wenn die Juden aber durchaus bleiben und der in­

dustriellen oder politischen Klasse angehören wollen, so müssen sie das, wodurch sie den übrigen Mitgliedern derselben Abbruch thun,

nämlich das Jüdische ablegen, d. h. Christen werden, nnd durch

Heirathen in christliche Familien den Rest des Jüdischen an sich vernichten.

Wer dann nicht schon Familienvater ist, muß entwe­

der auswandem, oder Urproducent oder ein Christ werden.

Der

Familienvater aber, der durchaus nicht seinen Glauben aufgeben

will, darf unter der Bedingung daritt bleiben, daß er darein ein­ willigt, daß seine Kinder zu Christen erzogen werden, was na­ türlich dann die Sache des Staats ist. Daß diese Maßregel übri­

gens mir der größten Rechtlichkeit ausgeführt und die mindeste Bedrückung aufs strengste geahndet werden müßte, versteht sich

von selbst, und grade diese Rechtlichkeit und Unparteilichkeit würde

die Juden mit dieser Maßregel aussöhnen, und dieselbe als das was sie ist, als ein Gebot ernster Nothwendigkeit, betrachten lassen.

II.

Zur Lehre von Der Vorsehung. Vorerinnerung. Es giebt unstreitig keine Lehre der philosophischen Religionswis­

senschaft, die sich so wenig einer wissenschaftlichen Durchfühmng zu erfreuen gehabt hätte, als die von der Vorsehung.

Und doch

ist keine von einem allgemeinern praktischen Interesse als eben sie. Aus diesem Grunde hofft der Verfasser des vorliegenden Versuchs, daß man, — was er als den höchsten Lohn seines Unternehmens

betrachten würde, — ihm denselben nicht übel nehmen, noch sich

an die vielleicht herbe Weltansicht, die seinem Versuch zum Grun­ de

liegt, stoßen werde.

Denn wenn es

irgendwo nöthig ist,

die Wahrheit rücksichtslos zu suchen, ohne sich um die Folgen und den Widerstreit mit der herrschenden Ansicht weichlich zu be-

kümmem, so ist es grade hier.

Man nehme aber diesen Versuch

für das, was er ist, d. h. nicht etwa für ein Glaubensbekenntniß

des Verfassers, sondem für ein „Problem«," für eine Aufforderung zum allseitigen Eingehen auf die Frage.

Ist übrigens die Auf­

stellung der Wahrheit in thesi einmal gelungen, so

kann die

Einigung derselben mit der Dffenbarungswahrheit nicht schwer werden, denn es ist derselbe Gott, der sich in der Vernunft und der sich in seinem Worte offenbart.

1.

Rathschluß.

Die Differenzierung des Ur in Gott und Welt, oder die der Ureinheit (Absolutum) in Ursubjekt und Urobjekt, hatte der Er­

scheinung, welche wir Natur, die Differenzierung Gottes, des Ur­ subjektes, des Urgeistes, in Liebenden und Geliebten, in Vater und Sohn dem Universum Gottbewußter Geister das Dasein gegeben.

Jede dieser beiden Erscheinungen mußte nun ein Gesetz haben.

vermöge dessen sie als Erscheinungen waren, was sie in der Idee

sind.

Das Gesetz für erstere, als die ihrer unbewußte, oder doch

nicht sittliche Welt, ist das Naturgesetz oder der Inbegriff der Ge­

setze für die Natur, das für die letztere, als die vernünftige und sittliche Welt, der Nathschluß Got^s.

Daß beide vor Gott Eins

sind, braucht kaum bemerkt zu werden, wohl aber, daß die be­

schränkte Spekulation wohl thut, sie auseinander zu halten.

Was

nun das erstere dieser Gesetze betrifft, so ist hier der Ort nicht, dasselbe zu erforschen, ob wir gleich einige Bestimmungen aus

demselben, die sich lediglich auf die Geisterwelt beziehen, für diese

Untersuchung entlehnen müssen, was um so unentbehrlicher ist, da sich ohnehin der Zweck der Natur auf den der Geisterwelt bezieht.

Der Rathschluß Gottes aber zerfallt in einen, wenn wir so sagen dürfen, ursprünglichen und in einen durch den Fall, wenn diese von Gott gedachte Möglichkeit zur Wirklichkeit werden sollte, modificirten.

Jener konnte nur dieser sein: die Intelligenzen über­

haupt, oder um uns nur auf die uns bekannte Provinz im Reiche derselben zu beziehen, die Menschen sollten, als selbst geworden, und durch die Selbstheit hindurch, indem sie das Selbstische und Irdische immer mehr aufgäben, zurückkehren in Gott und, als

selbstverbleibend aber mit verschwindender Individualität, oder des­ sen was den endlichen (erschaffenen) Geist scheidet von Gott, im­

mer seliger werden in ihm.

Mit der Selbstheit aber, einem Cen-

ttum neben und außer dem Urcentrum, war zugleich die Mög­ lichkeit eines Falles gegeben.

Und da bestimmte denn der Rath­

schluß Gottes, daß wo eine Geisterwelt durch,den Fall entftemdet würde von Gott und dem Leben in ihm, da sollten die Gefallnen

nimmer ganz getrennt werden von ihm, und er wolle dasFünk-

lein des in jedem zurückgebliebenen Minimums vom Göttlichen in

einigen unter ihnen so weit beleben, daß die Sehnsucht nach einem bestem Sein und die Hoffnung desselben in der Menschheit nie ganz

untergehen würde.

Wenn denn einerseits das Licht einer vor­

bereitenden Offenbarung des göttlichm Rathschlusses, das da von Zeit zu Zeit hineinleuchten würde in die Finsterniß, die Sehnsucht

nach Erlösung in der Menschheit erregt und allgemein gemacht,

und sich andrerseits der Verlauf des Abfalls vollendet haben würde, da würde,— ein Factum, welches von dem des Falls das voll­ kommenste Gegentheil sein, und die einander wie Satz und Ge-

4*

gensatz bedingen würden,— diese Sehnsucht beftiedigt, der Pro­

totypus der Geifterwelt, das ewige Wort Fleisch werden und er­ scheinen in der Endlichkeit, um die Schuld, die bis dahin die

Menschen trennte von Gott, zu vernichten, ihnen ihr Sein in

Gott zu offenbaren und die Rückkehr der Menschheit zu Gott

möglich zu machen.

In dem nun beginnenden Konflikt zwischen

der bisherigen Entwickelung der Menschheit, die Welt genannt, und dem vom Sohne Gottes mitten in der Endlichkeit gegründe­

ten Reiche Gottes sollte dieses, durch den Geist Gottes, der

nun die Menschheit durchdringen und den Geist derselben zu einem

göttlichen machen würde, endlich siegen, und die Menschheit sollte,

das Irdische immer mehr aufgebend, eingehen in dasselbe.

Auf

diese Weise würde einst wieder alles werden wie es im Anfang

war, die Geisterwelt wieder bei Gott und Gott Alles in Allem.

Dieser Rathschluß

Gottes kann nun allerdings mit Recht

eine Vorherbestimmung genannt werden.

Sieht man aber auf

die einzelnen Thaten freier Wesen, so paßt der letztere Name nicht,

denn obgleich die sittliche That in Gott gethan ist, so geht sie doch von der Freiheit des Handelnden und nicht von der Nöthigung eines andern Wesens aus, welches ihn dazu bestimmt oder vorher bestimmt Da aber die allerwenigsten Thaten der Gefallenen sittlich

hätte.

sind, so dürfen sie um so weniger vorher bestimmt genannt wer­

den, weil Gott dadurch zum Urheber des Bösen in ihnen gemacht würde.

Borhergewußt sind sie aber alle, sie seien nun gut

oder bös, von Demjenigen, der die ganze Reihe von Ursachen und Wirkungen durchschaut und der da weiß, welche Motive bei jedem

die dringendsten sind, und ob einer so beschaffen ist, daß er nach ihnen oder aus Laune ihnen zuwider handeln wird, indem, in die­ sem Falle, auch jene Laune ihren Grund im Vorhergehenden hat.



Zm Gebiete der Freiheit giebt es keine Bestimmung.

Gott

sieht zwar die Thaten des Menschen voraus, aber bestimmt sie nicht, einmal, weil er nichts als das Gute wollen kann, und

dann weil sie, damit ein sittliches Verhältniß zwischen Gott und

Mensch möglich sei, dem Selbst des Letztem entspringen müssen.

Zwar scheint es, als wenn es eine Bestimmung da gäbe, wo die Natur der eine Faktor des Geschehenen ist, z. B. wo der Blitz

den und den, da und da erschlägt; aber dieses scheint nur so lange so, als die Reihe der durch die Willkühr hervorgebrachten

Zustande, die da voranliegt, als nothwendig und alS bereits ge­ schehen gesetzt wird.

Verändre aber an einem beliebigen Punkte

in dieser Reihe den andern Faktor derselben, die Willkür, und das Resultat am Endpunkte wird gleich ein andres.

Wie aber sich Grundsätze zmn Handeln verhalten, also ver­ hält sich der Rathschluß Gottes zu seiner Vorsehung. Diese ist

also die Handlungsweise Gottes, nach welcher er verfährt,

indem er die Geisterwelt wieder zurückführt zu sich, und diese Zu­

rückführung einer selbstgewordnen und gefallenen Geisterwelt selbst. —

Hieraus schon ist also klar, daß in der Lehre von der Vor-

sehung insbesondre, so wie in der Religion überhaupt, alles geist­

lich zu nehmen sei, indem der Zweck derselben ein reingeistiger

ist, und daß alles Leibliche darin eine höchst untergeordnet« Rolle spielt und beinahe alle Bedeutung verliert. 2. Vorsehung.

A. Als Führung. 1. Verschiedene Arten der Führung der Vorsehung. Da das Leben nur Eins ist, und da das, was wir Sterben

nennen, nur einen sehr geringfügigen Abschnitt darin macht, so

ist die Führung des Menschen, worin die Vorsehung eben be­ steht, Eine, vom Anfang seines individuellen Daseins bis zum End­

ziele in der Ewigkeit.

Wir müssen daher diese Führung als einen

Weg betrachten, von dem wir zwar nur den kleinsten Theil über­ sehen, der sich aber von da, wo er sich unsern Augen entzieht,

bis zu dem uns bekannten Endziele ununterbrochen fortzieht. Die Vorsehung ist keine Rettungsanstalt aus leiblichen 916«

then, sondern Prüfung des Menschen sowohl als Individuum, als auch als Geschlecht, zu Gott: Zeitigung des Göttlichen in

ihm, Erziehung zum wahren Leben.

Nun sind im geistigen Le­

ben des Menschen nur diese zwei Zustände denkbar, entweder hat

er sein Sein ans göttliche geknüpft und lebt in Gott, bei aller Schwäche seines Herzens, bei allen Rückfällen nnd aller Unvoll­

kommenheit; oder er ist, so viel an ihm ist, gänzlich abgekommen von Gott, und müht sich nun vergeblich ab, ein von ihm unab­

hängiges Leben zu begründen.

Mithin muß auch die Führung

und Erziehung der Vorsehung in dem einen Falle anders sein,

als in dem andern.

Bei den Erweckten und Gläubigen erscheint

sie daher als Leitung und Aushülfe, als ein Supplirm dessen, das ihnen bei ihrer unaustilgbaren menschlichen Unvollkommenheit

unmöglich ist, durch ihren Segen.

Denn das Verhältniß zwi­

schen Gott und Mensch ist ein wechselseitiges, und so wie nicht

nur die Sonne die Erde anzicht, sondem auch diese verhältnißmäßig die Sonne,

also zieht nicht Gott allein den Menschen zu

sich empor, sondern steigt auch zu ihm, dem ihm Entgegenstrebenden herab.

Wenn der Mensch sich so weit zu Gott erhoben,

als es ihm, nach den Bedingungen seiner Endlichkeit irgend mög­

lich ist, so kommt auch Gott ihm bis auf diesen Punkt entgegen.

In jedem Menschen ruht der verborgene Keim des Göttlichen, aber Gottes Vorsehung überläßt es dem durch das Gegebene be­ dingten Konflikt zwischen dem Einzelnen und dessen Außenwelt,

ob jener Keim auch zum lebendigen Funken werden soll.

Sie

hat nur dasur gesorgt, daß dergleichen Konflikte überall statt fin­ den, und daß durch dieselben jener Keim zum Funken werden könne, ob übrigens in diesem Leben oder in jenem ist ihr im Gan­ zen einerlei.

Genug wenn er nur fürs Erste hie und da geweckt

wird und die Menschheit dadurch, wenn auch um ein weniges, weiter kommt, und wenn von Seiten der Vorsehung dafür ge­ sorgt worden, daß einst, bei größerer Entwickelung der Mensch­

heit diese Wirkung endlich durchaus bei jedem statt finden muß, und, bei noch weiterer, daß sie durchaus bei keinem vergeblich

sein wird.

Daß diese Wirkung ursprünglich nicht bei jedem mög­

lich ist, oder, was dasselbe ist, beinahe nothwendig spurlos an ihm vorübergehen muß, z. B. die Wirkung durch Krankheit bei einem Wilden, ist eine nothwendige Folge von dem Entwickelungs­ grad desjenigen Ganzen, zu welchem der Einzelne gehört.

Frei­

lich wird einem solchen, wenn er dieses Erdenleben verläßt, die

Seligkeit fürs Erste nicht zu Theil, indem sie ihm fürs Erste gar nicht möglich ist, denn ihm ist das Leben in Gott gar nicht aufgegangen, in welchem allein Seligkeit denkbar ist. Da aber der Mensch nach dem Tode anfängt, wo er hier aufgehört hat,

und von diesem Punkte aus, vermöge des ewigen Gesetzes des

Lebens unaufhörlich fortschreiten muß, so kommt er doch einmal zu dem Punkt hin, wo ihm jene Weckung wird und sein Leben

Gott entgegenzustreben anfängt.

Hier hat er also, da die paar

Jahre des Erdenlebens in der Rechnung der Ewigkeit ganz verschwin­ den, gegen denjenigen nichts verloren, dem jene Weckung schon hienieden ward; es sei denn, daß er, eben in dieser Vorausse­

tzung, dieselbe vorsätzlich unbeachtet lassen würde, welche Sünde nothwendig ihre Strafe mit sich führen würde.

Ist nun aber durch jenen Konflikt der Keim des Göttlichen

bei jemanden zum Funken geweckt, so hangt es noch von der Freiheit dessen, bei dem dieses geschah, ab, ob er ihn auch auffassen und nähren will in seinem Gemüth oder nicht. Wir sehen so viele Menschen, bei denen dieser Funke sogleich aus Mangel an Pflege

erlischt, um daß diese Thatsache zu läugnen wäre.

Hier besteht

nun die Vorsehung darinn, daß sie den Menschen so geschaffen und dafür gesorgt, daß in dem Menschen immer des Göttlichen

so viel zurückgeblieben ist, daß es in jedem aufleben kann, daß es in so vielen als zum Fortschritt des Ganzen nöthig ist, fortleben muß, und daß, bei größerer-Entwickelung des Ganzen, die Zeit kommen muß, wo es in Keinem mehr erlöschen kann.

Von den­

jenigen aber, bei denen dieser Funke des Göttlichen wieder latent

wird, gilt dasselbe, was oben von denjenigen gesagt worden, in welchen der Keim des Göttlichen gar nicht belebt wird, und was dabei von Schuld unterlaufen mag, wird wohl vor dem Ewigen

keine andre Strafe finden, als daß jener noch eine Sttecke wei­ ter im Dunkeln wandeln muß, ehe er an das Licht gelangt. — Diese nun, in welchen das Feuer des Götttichen brennt, und bie.

desselben pflegen wollen, deren Sinn also aufs Göttliche gerich. tet ist, macht die Vorsehung zu Werkzeugen, um ihre Mensch­

heit weiter zu fördern, und bei ihnen besteht sie darin, daß sie es

also eingerichtet hat, daß dieses nun lebendig gcwordne Göttliche das irdische Princip in (Fleisch) und außer ihnen (Welt) bis zum nöthigen Grade überwinden kann und muß.

Je weiter nun die

Menschheit kommt, je mehr was Gottes ist, die Welt überwindet, und sein Wille obsiegt, desto mehr und desto vollkommner wird

jeder Einzelne zum Organ dieses göttlichen Willens.

Da also, wie wir gesehen haben, der Mensck selbst den Fun­ ken des Göttlichen in seiner Brust pflegen und selbst sein Leben

aufs Götttiche beziehen muß: so kann allerdings gesagt werden,

es gäbe für den Menschen nur in sofern eine Vorsehung als er

eine glaubt.

Denn dieses heißt mit andern Worten nichts anders

als: die Gläubigen seien der vorzügliche Gegenstand der Vorse­ hung.

Dem Gläubigen kommt nämlich alles von Gott, indem

er es zum Beförderungsmittel

in ihm braucht.

seines Lebens

Selbst das Uebel wird ihm zum Weckungs- oder Korrektions­

mittel, und welche Modifikation sein Leben auch vom Gegebenen, dem durch den Gang der Natur und der Geschichte Nothwendi­

gen, erhalte, so ist ihm jede eine Stufe zum höhem Leben.

Je

näher Gott, je göttlicher der Mensch, desto fester auch sein Vor­ sehungsglaube, d. h. die Ueberzeugung, daß alles in der Geschichte Bezug auf unser Leben in Gott habe, und daß alles lediglich Daher auch Jesu fester Glaube

darauf bezogen werden müsse.

daran.

Für ihn hatte alles, was geschieht nur insofern Sinn und

Bedeutung und Werth, als der Mensch ihm diese Beziehung giebt. Eben so kann man auch sagen, daß es für den Unerwachten, Ir­

dischen und Gott-losen keine Vorsehung gebe, indem jener Kon­ flikt den Funken des Göttlichen bei ihm nur selten erweckt, und er, wo dieses geschieht, ihn nicht pflegt, und indem die Vorsehung

bei ihren liberalen Regienmgsgrundsätzen den Einzelnen, als sol­ chen, selten zwingt das Höhere zu ergreifen.

Zuweilen geschieht dieses wohl, uud zwar damit der Geschichte der Beweis für das Uebergreifende in dem Willen Gottes gegen den des Einzelnen nicht fehle.

Das Göttliche ist hier ein Stachel

dessen der nur Irdisches wollende Mensch gar nicht los werden, den er gar nicht abstumpfen, und dessen Schmerz er gar nicht entfliehen noch übertäuben kann. Ungleich öfter überläßt aber die

Vorsehung den Irdischen, nachdem sie ihre Mahnung an ihn hat

gelangen lassen, wieder sich selbst.

Denn die Freiheit soll der Vor­

sehung da entgegen kommen wo diese ihr entgegen kommt.

Ge­

schieht es nicht, diesseit des Grabes, nun so wird es einst jenseit desselben nothwendig geschehen.

sehung.

In dieser Nothwendigkeit ist Vor­

Uebrigens ist das Sterben und sich begraben lassen et­

was so Gleichgültiges und Geringfügiges, daß es ihr ziemlich gleichgültig ist, ob die Wirkung bei dem Einzelnen, wohl zu mer­ ken als solchem, diesseits oder jenseits fruchtet.

Dabei bleibt es

aber immer ein ungeheurer Frevel von diesem wenn er einer sol­ chen Weckung vorsätzlich widersteht, (die Sünde wider den heiligen Geist), und er darf es gar nicht für einerlei halten, ob er es schon

in diesem Leben zum Leben bringt oder nicht.

Es ist wahrschein-

lich nichts geringes ob man Ein Leben früher oder spater zum wahren Leben kommt.

2. Beschaffenheit dieser Führung. Aus dem Obigen ist es klar, daß die Vorsehung zu dieser Führung des Einzelnen keines Wunders, d. h. einer besondern Modifikation des Ganges der Natur nach einem gegenwärtigen

besondern Zweck, und eben so wenig einer übematürlichen Einwir­ kung auf den Geist des Menschen bedarf, um Entschlüsse und Ge­

danken in ihm hervorzubringen, auf die er nicht schon durch das Gegebene gekommen wäre; sondern sie führt den Einzelnen zum

Wirken für ihre Absichten lediglich durch das Walten des Göttli­

chen im Menschen und durch die wechselseitige Reaction zwischen

diesem und dem Gegebenen.

Daß Gott den Menschen also ge­

schaffen, daß das Irdische ihm nicht genügen kann, und daß er,

von diesem unbefriedigt, nach einem hohem Gegenstände seiner Sehnsucht tappt; daß der Stachel des Göttlichen in seiner Brust

ihm keine Ruhe läßt, sondern ihn treibt, den irdischen Genuß auf­ zugeben, und dem Sterne seiner Sehnsucht nachzuziehen; daß er, wo sein Stteben rein irdisch ist, überall in Kollisionen gerathen

und anrennen muß, und daß die sinnliche Lust, sobald er sie er­ hascht hat, unter seinen Händen verschwindet, — darin ist Vor­ sehung, und dadurch zeigt sie daß ihr Plan nur auf die Errei­ chung geistiger Zwecke berechnet ist. Nichts hat die Lehre der Vorsehung so verdunkelt, als die

menschliche Selbstsucht, indem jeder, an den eine Mahnung der Vorsehung gelangt ist, sich als den Gegenstand einer ganz besondern Fürsorge derselben und als ein ganz besondres Werkzeug in ihrer

Hand bettachet. Weiter kann die Selbstsucht wohl nicht gehen, als wenn einer sich für einen so vorzüglichen Menschen betrachtet, daß Gott sich besonders mit der Lenkung seiner Schicksale beschäf­

tigen oder ihn zur Herbeiführung großer Zwecke unter Tausen­ Vor Gott sind wir alle gleich und in die Brust eines jeden hat er den Keim des Göttlichen geschenkt. den ausgesucht haben muß!

Hat er dessen dem einen mehr dem andem weniger gegeben, so

geschah dieses wahrlich nicht aus Vorliebe gegen den Begünstig­ ten, sondem um einem allgemeinen Gesetze in seinem Universum zu genügen, welches, der Einförmigkeit abhold, sich in der größ-

ten Mannichfaltigkeit

gefallt.

Der Vorsehung konnte es z. B.

nicht anders als gleichgültig sein ob es grade dieses Individuum, als

solches, oder ein anderes war, das den Zweck derselben, die Israe­ liten aus dem Lande der Prüfung herauszuführen, vollbringen

sollte.

Sie hatte, nach jenem Gesetze der Mannichfaltigkeit einen

so reichen Keim des Göttlichen in die Brust mehr als eines Isra­ eliten gesenkt, daß sie gewiß war, daß dieser in irgend einem,

und zwar in dem dazu Passendsten, er heiße übrigens so oder an­

ders, sich entwickeln und daß er durch die Reaktion mit dem Ge­ gebenen, so weit erstarken mußte, daß der Zweck der Vorsehung

erreicht werde.

Und so wie jetzt hier, so muß dieses überall vor­

handene Göttliche zu allen Zeiten und unter allen Völkern, hier freilich mehr, dort weniger, hier in einem höher», dort in einem

geringern Grade zum Vorschein kommen.

Derjenige aber nur,

der den Ruf beachtet, den die Vorsehung an mehrere zugleich er­ gehen läßt und den lebendig gewordenen Funken in seinem Jn-

nem pflegt, der ist nur derjenige, den die Vorsehung zum Mittel zur Erreichung ihres Planes gebraucht.

Zwar kann demjenigen der

es thut, daraus durchaus kein Verdienst vor Gott erwachsen, denn er

thut nur etwas was er nicht lassen kann; und daß er das Gute wollen kann, daß er sich ihm ganz hingebcn muß, ist eine Gabe dessen, von

dem er alles empfangen hat, was er hat; indessen ist doch diese Auf­ merksamkeit auf die Regungen des Göttlichen, diese Liebe zu demselben, diese Ergebung seines ganzen Wesens an dasselbe, auf dem Bo­

den seines Selbst erwachsen, und weil hier sein Wille mit dem

Göttlichen zusammengefallen ist, hat das Göttliche auch Leben ge­ wonnen in ihm, und ist er gewürdigt worden, Werkzeug der Vor­ sehung zu werden, es sei nun blos um sein eignes Heil zu schaf­

fen, was freilich niemand thun kann, ohne sich zu bekümmern, ob auch andre selig werden, — oder um vorzüglich auf andre zu

wirken, daß sie es thun.

3. Unverrückbarkcit des Gange» der Vorsehung in der Führung der Menschheit zum bestimmten Ziele. Wenn nun aber gleich die Vorsehung die Willkür des Ein­ zelnen, und, um

der Freiheit (?) Entzückende Erscheinung nicht zu stören, — des Uebels grauenvolles Heer In seinem Weltall lieber toben läßt, so führt sie doch, — und darin grade offenbart sie sich am erha­ bensten, — das Ganze zu dem Ziele nothwendig hin, welches

sie, als Rathschluß ihm gesetzt hat, ohne daß die Willkür, die Thorheit, die Verkehrtheit und Bosheit der Einzelnen diesen Weg verrücken könnten. Aber eben so wenig als die Freiheit dieses

kann, eben so wenig kann sie auch den Fortschritt der Mensch­ heit zu diesem Ziele verzögern oder beschleunigen. Denn wer hier nicht fördernd wirkt, der ist eine Kraft, auf welche die Vorsehung ohnehin nicht gerechnet hat; wer aber gar hemmend wirkt, auf dessen direkte Mitwirkung für ihre Zwecke hat die Vorsehung eben­ falls nicht gerechnet. Er dient vielmehr dazu um das Böse sei­

ner Entwickelung und Vollendung entgegen zu führen.

Dadurch

wirkt er aber mittelbar und wider Willen für bu Sache des Gu­

ten, denn das Böse und Verkehrte wird nur dadurch im Dasein erhalten, daß es ein Minimum vom Guten tragt. In dem Grade aber als das Böse sich entwickelt und vollendet, wird es

von diesem Trager evakuirt und wird eben durch seine Vollendung vernichtet. — Wer wieder fördernd für die Zwecke der Vorse­ hung wirkt, der ist schon dadurch der Sphäre der Willkür entrückt, wo er das Gute thun kann und auch nicht.

Er gehört einer hö-

hern Nothwendigkeit an, wie denn alles Göttliche überhaupt das

Gepräge der Nothwendigkeit trägt, und er kann nur das Gute thun, und dessen so viel thun, als seine Kräfte irgend gestatten.

Mithin ist sein ganzes Wirken von der Vorsehung im Voraus gleichsam in Beschlag genommen und sie hat darauf gerechnet, und so weit es ihm auch gelingen mag den Plan der Vorsehung weiter zu fördern so hat sie doch auf alles was er je leisten kann

und leisten wird gerechnet. Daß die Menschheit das vom göttlichen Rathschluß bestimmte Ziel erreiche, bewirkt nun die Vorsehung durch die überwiegende Kraft des göttlichen Princips in der Menschheit. Fiele auch der Mensch, — denn das Böse gehört ins Reich des Zufälligen, nur das Gute ist durchaus nothwendig, — so würde doch des Gött­ lichen so viel im Menschen zurückbleiben, daß er die Bahn, die

er nun durchlaufen müßte, würde vollenden können;

und wenn

dieses geschehen wäre, würde sie, durch die Anknüpfung.eines hin­

zugekommenen Göttlichen an dieses zurückgebliebene Minimum vom Göttlichen, ihm einen Schwung und diesem Schwünge eine Rich­ tung geben, die ihn zum bestimmten Ziele nothwendig führen würde.

Wer den Menschen schuf, der konnte auch die Sphäre aller mög­

lichen Aberrationen der Willkür berechnen, und des Göttlichen so viel in ihn legen, daß dieses das Maximum jener Aberrationen über­

winden müßte.

Die Geschichte ist die Kette einer Proportion in

welcher jedes Glied ein Produkt ist, von dem die Naturnothwen­ digkeit der eine und die Willkür der andre Faktor ist.

Jener er­

stere Faktor ist eine durchaus bestimmbare Größe, und sobald der

andre mit ihm in Verbindung getreten, die Willkür zur That ge­

worden ist, so ist auch das jedesmalige Produkt, das Gegebene, bestimmt, und auf diese Weise ist der eine Faktor dessen was ge­ schehen soll, von dem was geschehen ist und geschieht, immer be­

stimmt.

Wer nun aber diese Progression kennt, welche den einen

Faktor der Geschichte

ausmacht, und alle möglichen Ausdrücke

des andern Faktors, der Willkür, der kann auch das Endprodukt kennen, und bestimmen, welches es sein wird.

Hierzu kommt noch

daß die wahre Freiheit Nothwendigkeit ist, und daß der Mensch, sobald er frei wird von den hemmenden Einflüssen der Selbstheit

und des Irdischen, nicht umhin kann grade das zu wollen was Gott will, und daß also die Willkür das: das Gute wollen und auch nicht wollen können, ein Faktor ist, der in der Geschichte

immer abnehmen und zuletzt ganz verschwinden muß, wodurch

es denn der Vorsehung um desto eher möglich wird die Mensch­

heit, der Willkür zu Trotz, zu dem von ihr im Voraus bestimm­ ten Ziele zu führen. —

Auf diese Weise ist in der Führung der

Menschheit durch die Vorsehung zu dem ihr von derselben bestimm­

ten Ziele durchaus nichts Wunderbares, d. h. keine Willkür bei

Gott, die den geregelten Gang der Natur zuweilen aufhöbe und dem Menschen Entschlüsse und Thaten einflößte, zu welchen er nicht nach dem schon Gegebenen ohne Weiteres kommen würde.

B. Als Fürsorge und Schutz.

1. Leiblich. Die Vorsehung hat die Natur so eingerichtet, daß er in einer natürlichen Ordnung, d. h. sofern er dem göttlichen Willen ge­

mäß lebt, alles findet, was er zur Erhaltung seines irdischen Le­ bens, ja sogar zur Verschönerung desselben braucht.

Dadurch aber

daß die Vorsehung alles in der Matur bei dem ihm einmal ertheil­ ten Gange erhält, findet der Mensch immer und sicher was er

leiblich braucht, und weiß immer worauf er bei ihr zu rechnen und

wessen er sich zu ihr zu versehen hat.

Da aber die Vorsehung

der Natur freie Wesen gegenüber stellte, so mußte sie auch, selbst

wenn die Menschen noch so Vernunft- und naturgemäß lebten, auf

mögliche Kollisionen rechnen.

Und daher wurde der menschliche

Körper und die äußere Natur so eingerichtet, und mit so reichen Wiederherstellungskräften versehen, daß diese Störungen wieder möglichst ins Gleis gebracht werden, und der Mensch in den Stand

gesetzt sehr viel zu ertragen, eher als sein körperliches Leben auf­ gerieben und er mithin außer Stand gesetzt würde, den höher»

Zweck seines Erdendaseins zu erreichen. —

Aber nicht allein hie­

rin offenbart sich die Fürsorge der Vorsehung für den Menschen im Leiblichen, sondem auch vorzüglich darin, daß sie, durch das Ueberwiegende des in ihm gelegten göttlichen Princips, ihn treibt die Natur zu erforschen und einen Zustand, (Staat) zu begrün­

den, in welchem er die Natur sich immer mehr Unterthan macht, die Kollisionen mit ihr immer mehr vermeidet und möglichst un­ schädlich macht.

Endlich aber thut sich die Fürsorge der Vorse­

hung im Leiblichen darin kund, daß alles im Menschen darauf eingerichtet ist, ihn dahin zu bringen, daß dieses Leibliche nicht die Hauptsache seines Strebens werde.

Alles zeigt ihm das Ungenü­

gende des irdischen Genusses, und predigt ihm, daß er nur inso­ fern Frieden haben könne, als er seinen Sinn vom Irdischen ab­

zieht, dieses als eine wenn auch ganz angenehme Nebensache, aber

doch nur als solche betrachtet, seine eigentliche Liebe aber dem Geist­ lichen und Göttlichen zuwendet und dieses zur Hauptsache seines

Strebens macht.

Je mehr er nun diesem Triebe folgt, desto

mehr ist er vor allem Verderblichen in der Natur geschützt, denn

desto weiser und besonnener ist er, desto weniger verlangt er von

ihr, und desto leichter tröstet er sich, durch den reichen Ersatz den ihm dasjenige bietet, in dem sein eigentliches Leben ist, wenn selbst seine verschiednen Forderungen an sie nicht ganz befriedigt werden

sollten.

2. Geistlich. Aus dem bereits Gesagten geht schon hervor, daß Gott vor­ züglich geistlich für den Menschen sorgt und ihn beschützt. Sie sorgt dafür, daß er aus dem Schlummer erwacht, in welchen

ihn das Erdenleben versetzt hat, daß er, unbefriedigt von dem was dieses ihm bietet, seine Liebe ^inem überirdischen Gegenstand zuwendet, und reift ihn durch diese Sehnsucht, er mag nun jenen

Gegenstand finden oder nicht, für ein höheres Sein. Diese Sehn­

sucht treibt ihn auch einen reingeistlichen Verein, die Kirche, zu

bilden, in welchem er für sein geistliches Heil sorgt, so wie in dem

Staate für sein Leibliches.

Vorzüglich zeigt sich aber diese Sorge

der Vorsehung für sein geistliches Heil darin, daß sie ihn so ein­

gerichtet, daß jener Funke des Göttlichen, ist er nur einmal recht erwacht, in ihm nie mehr ganz erlöschen kann.

Mag auch die

Flamme desselben nie durchbrechen in Thaten, ja mag der Mensch

gequält von dem Stachel derselben, und doch zu schwach um dem Zuge zu folgen, wohin es ihn treibt, sich aus Verzweifelung desto

tiefer in die Genüsse und Zerstreuungen der Erde versenken, das

Feuer des Göttlichen glimmt doch desto heißer unter dieser Decke fort und zeitigt unter Kampf und Fall und Reue, das Gemüth, das von ihm entglüht ist, für ein höheres Leben.

Aber die Vor­

sehung schützt auch wirklich den Menschen in den Kämpfen sei­ nes geistlichen Lebens.

Der Mensch ist nämlich von ihr so einge­

richtet, das er durchaus jede Versuchung überwinden kann, wenn er nur ernstlich will, und sich im Kampfe an Gott hält, und nie­

mand unterliegt ihr, der sich nicht hemach gestehen müßte, daß

er freiwillig den Kampf aufgegeben und sich freiwillig entschlossen nicht weiter wider die Versuchung zu kämpfen. Freilich ist es nicht der Mensch auf eigne Hand, auf seine eigne Kräfte sich ver­

lassend und von Gott getrennt, dem dieser Kampf gelingt und den Gott in demselben schützt, sondern insofern er sich an ihn

hält, unter seinem Schutze kämpft und durch den Hinblick auf

ihn sich neue Kräfte holt.

Mit Gott ist er unüberwindlich und

nur von ihm sich wendend fallt er. Allein, da er einmal selbst ge­ worden ist, so hat auch die Vorsehung die Möglichkeit, daß der Mensch sich im Kampfe auf sich selbst und nicht auf Gott ver­ laßt, berechnet und ihn so eingerichtet, daß selbst sein Unterliegen im Kampfe ein wirksames Beförderungsmittel seines höhern Lebens

werde. Der Gefallne lernt sich selbst besser kennen, wird des Kam­ pfes kundiger, und der Stachel der Reue und der Selbstbeschamung erhöht seine Kräfte beim nächsten Kampfe. — Endlich

offenbart sich die Fürsorge der Vorsehung für das geistliche Heil des Menschen darin, daß sie ihn, den Einzelnen, mit dem Gan­ zen dem diesem bestimmten Ziele entgegenführt.

Als Einzelner

nämlich, ist der Mensch ganz seiner eigenen Willkühr überlassen, als Theil dieses Ganzen aber wird er mit ihm fortgezogen, und kommt mit ihm dem Ziele immer näher, welches der Rathschluß Gottes ihm gesetzt hat.

3. Die Vorsehung hilft aber dem Menschen nur in sofern als er selbst will, daß ihm geholfen werde. a. Nach der gemeinen Ansicht von der Vorsehung wird Gott dem Einzelnen, er möge es noch so verkehrt machen, immer irr

der Noth helfen.

Dem ist aber nicht also.

Der Rathschluß Got­

tes hat einen gewissen Entwickelungsgang der Menschheit bestimmt

und ihr Anweisung gegeben, wie sie ihn verfolgen soll.

In sofern

sie nun dieses thut, in sofern Gottes guter Wille geschieht, wird dem Einzelnen durch das Ganze geholfen.

In sofern aber an­

statt dessen der Menschen böser Wille geschieht, führt die Vorse-

hung zwar auf einem andem längern Wege das Ganze zum

Ziele, aber der Einzelne geht häufig leiblich oder geistlich unter, und erst jenseit des Grabes fängt er an dem ihm gesetzten Ziele

entgegenzustreben.

Braucht diese Verspätung um einige Jahre

in der Rechnung der Ewigkeit eine Ausgleichung, oder ist einer

hier durchaus ohne seine Schuld und nur durch andre unglücklich

gewesen, so hat der Allmächtige Mittel und Wege genug, diese Kleinigkeit in jenem Leben zu berichtigen.

Wir werden aber,

wenn erst der Schleier fällt, eine solche Vergeltung kaum mehr begehren, indem wir dann einsehen werden, wie wenig dieser Still­ stand von wenigen Jahren in der Unendlichkeit der Ewigkeit be­

deutet, und daß ohnehin jedes Leiden ein Mittel mehr war um

64 uns zum höhem Leben zu erziehen.

Haben wir es richtig benutzt,

so haben wir uns gar nicht, haben wir es aber nicht gethan, so haben wir uns nur über uns selbst zu beklagen.

b. Dieser Schutz und diese Fürsorge der Vorsehung ist nicht unbedingt, weder in leiblicher Hinsicht, Will also der Mensch die Mittel zur Erhaltung seines irdi--

schen Lebens nicht kennen lernen und gehörig gebrauchen, welche

die Vorsehung in seine Vernunft und in die Natur gelegt, so wird

sie keine Wunder thun, um ihm da zu helfen, wo er sich selbst nicht helfen will. Die Vorsehung läßt ihn dann zu Grunde ge­ hen, indem sie dabei die große Lehre predigt, der Mensch

soll

leben, wie sie haben will daß er lebe, wenn er auf ihre Hülfe

rechnen will; und es ist eine ungeheure Selbstsucht vom Einzelnen, wenn er sich als den auserwählten Liebling Gottes betrachtet und verlangt, Gott solle ihn da leiblich schützen, wo er sieht wie Tau­

sende um ihn herum zu Grunde gehn, — weil nicht Gottes gu­ ter sondem der Menschen böser Wille geschieht.

In sofern bet

Einzelne nicht nach dem Willen Gottes lebt, ist er kein organi­

sches Glied des Ganzen, wodurch dieses weiter entwickelt und ge­ fördert wird, sein Erdendasein ist also ohne Bedeutung für das

Ganze, und es ist also gleichgültig ob er einige Jahre früher oder

später in ein andres Leben versetzt wird, wo bei ihm diejenigen Hindernisse wegfallen werden, die ihn hier verhinderten den Wil­

len Gottes zu thun.

Ueberhaupt machen wir aber viel zu viel

Aufhebens von unserm irdischen Leben, als wenn dieser kleine Theil

das Ganze wäre.

Denn gleichwie Christus als Mensch unter­

ging und untergehen mußte, und nur durch dm Tod in seine Herrlichkeit eingehen konnte, so ist auch das Irdische an uns einer beständigen Reibung ausgesetzt, bis es endlich gänzlich aufgerieben wird; und die einzige Aufgabe unsers Lebens hienieden ist, daß

wir davon für unser eigentliches Selbst Nutzen ziehen sollen.

Nur

in sofern ols wir diese Aufgabe aufgefaßt haben, und dahin stre­

ben, daß der Wille Gottes von uns und an uns geschehe, und wir, so viel an uns ist, auch das Ganze dahin zu bringen suchen,

hat unser Erdenleben einen Werth vor Gott, und dann wird seine

Vorsehung schon dafür sorgen, daß wir, als ihre Werkzeuge, die­ sen Zweck so weit erreichen, als nöthig ist.

Der Mensch hat sich bei dem verkehrten Gange der Kultur

ins Irdische so tief hineingelebt, daß die halbe Welt beitragen muß seine erkünstelten Bedürfnisse zu befriedigen.

Was gehen sie aber

Gott an, der weder ihre Befriedigung zum Zweck meines Erden­

lebens noch zum Mittel um diesen Zweck zu erreichen, gemacht

hat? Brauch' ich sie,

oder vermeine ich in meiner Verkehrtheit

sie zu brauchen, so mag ich auf eigne Hand, so geschickt oder ungeschickt als ich kann, und mit oder ohne Erfolg mit den irdi­ schen Mächten darum kämpfen. Nur darf ich, wenn,sie mir ihre

Gaben wieder zurückfordern, oder sonst ihre Tücke fühlen lassen, die Vorsehung nicht drein mischen.

Sie hat damit nichts zu thun.

Bin ich aber einmal in Gefahr zu verhungern, zu verbrennen

oder sonst zu verderben, dann

mag meine Seele zu der Vorse­

hung um Rettung schreien, dann kann ichs doch ohne Erröthett thun.

Aber freilich ist selbst hier eine höhere Stufe des geistigen

Lebens denkbar, wenn ich nämlich, ohne selbst hier von der Vor­ sehung etwas zu verlangen, mich in ihren Willen, d. h. in ihren

nothwendigen Gang ergebe, nur daran denke, wie ich diese Prü­ fung zur Läuterung meiner Seele gebrauche und überzeugt bin, daß ich, sobald der Kampf ausgekämpft worden ist, von dem

Punkte, auf dem ich hier stehen bleibe, jenseits fortschreiten werde. Da daher die irdischen Güter des Lebens dem Menschen in

Beziehung auf sein höheres wahres Heil völlig indifferent sind,

indem er eben so gut durch die Entbehrung als durch den Genuß derselben, zum höhern Leben gezeitigt werden kann: so ist der Mensch

hienieden den irdischen Mächten, dem Zufall, dem Schicksal und dem Glück anheim gegeben und sie mögen, sofern die Menschen

das Reich Gottes noch nicht dargestellt haben auf Erden, in wel­

chem jene alle Bedeutung und alle Gewalt verlieren, mit ihrem irdischen Leben schalten, wie sie wollen.

Die Vorsehung mischt

sich nur insofern darein, daß sie alles was dem Menschen begeg­

net, zu einem Erregungs- und Erziehungsmittel für sein höheres Leben werden läßt.

Daher soll der Mensch das Glück als etwas

annehmen, was zwar nur mittelbar, aber doch von Gott kommt,

der ein Vater seiner Geschöpfe ist, und der sich, menschlich zu re­ den, freut, wenn seine Kinder gutartig und unverdorben genug sind, um daß er, ohne nöthig zu haben, härtere Mittel zu gebrau­

chen, sie durch das Glück für das höhere Leben erziehen kann.

5

Eben so mittelbar kommt auch das Unglück von Gott.

Zunächst

kommt es nämlich von den irdischen Mächten, aber durch die Vor­ sehung bekommt es eine Beziehung auf unser geistliches Leben,

um es nämlich zu wecken und zu steigern; und wenn die Vor­ sehung sich dieses ernsten Mittels zu unsrer Erziehung bedient,

so ist das ein sichres Zeichen, daß wir durch kein gelinderes zu erziehen oder so weit als durch dieses energische zu bringen waren, c. noch

sogar in geistlichen.

Daß Gott nicht einmal geistlich jeden Einzelnen unbedingt schütze, beweißt schon die Erfahrung, daß, wie annoch die Lage

der Menschheit auf Erden ist, die wenigsten in diesem Erdenda­ sein zum höhern, wahren Leben erwachen; daß selbst mitten in

der Christenheit so unzählige verwahrlost und verführt werden und verstockt sterben.

Die Ursache hievon liegt theils in dem Ganzen,

das sich entweder gar nicht, oder doch nur sehr unvollkommen so organisirt hat, als es sich nach dem Rathschlusse Gottes hätte orgamsiren müssen, und daher den Einzelnen in der Errei­

chung seines Zieles entweder direkt hindert, oder ihn doch nicht, so viel an ihm ist, zu diesem Ziele führt; theils aber im Einzel­

nen selbst, der hinter dem Fortschritt des -Ganzen und ihn sich nicht so weit aneignet als er es könnte.

Folglich theilen sich auch

das Ganze und der Einzelne in die Schuld und das Verderben des letztem.

Die Vorsehung hat aber die Möglichkeit dieser Ver-

kehrcheit zugelassen, weil dieses, daß der Einzelne hier entweder

keinen Schritt seinem Ziele entgegen thut oder gar geistlich zu Grunde geht, für diesen nur ein vorübergehendes Uebel ist, denn im erstem Falle kann jenseit des Grabes geschehen, was hier nichtgeschah, und im letztem mag auch das Leben jenseits, eben so

gut wie dieses hienieden Läuterungsmittel genug für die Makel habm, welche die Seele sich hier zugezogen.

Was wieder das

Ganze betrifft, so ist dieser vorsehungswidrige Zustand in welchem

dieses durch die Schuld der Einzelnen von seinem Forsschritt um ein Weniges zurückgehalten wird, gleichfalls nur ein vorübergehen­

der; indem, wie schon angedeutet worden, und später ausführli­ cher auseinander gesetzt werden soll, das Ganze doch endlich das

ihm von der Vorsehung gesetzte Ziel erreichen muß. Da endlich die Rückkehr der Menschheit zu Gott ein sittli-

67 ches Verhältniß zwischen ihr und Gott voraussetzte, indem goft

aus Liebe zu ihr, als dem Abglanz seines Seins, sie zurückzuziehen

trachtet in sich, um sie zu beseligen, und das Geschöpf daher, um diese Liebe zu erwiedern, jenem Zuge folgen muß, so mußte diese

Rückkehr zu Gott, vom Gesichtspunkt des Individuums aus, ein

durchaus freies sein, d. h. er sollte dazu nicht blindlings getrie­

ben werden, sondern es frei wollen.

Wo aber bei beschränkten

Wesen, wie der Mensch ist, die Freiheit gesetzt ist, da ist auch die Willkür gesetzt, d. h. die Möglichkeit, daß er, wegen seiner

Beschränktheit und Selbstheit das Rechte auch nicht wählt.

Da­

her konnte die Vorsehung, sofern sie sich nicht selbst widersprechen

sollte, nicht umhin die Möglichkeit zuzugeben, daß sich der Mensch auch der Bestimmung des göttlichen Rathschluffes widersetze und —

für dieses Erdenleben möglicherweise auch geistig zu Grunde gehe. Wie wenig aber der Einzelne wie das Ganze dadurch verliere, ist

aus dem Obigen klar.

Muß doch, um dieses Beispiel aus einer

niedern Sphäre zu verdeutlichen, der irdische Vater, wenn er nicht

seinem Zwecke als Erzieher entgegen arbeiten will, seinen Sohn, noch eher als dessen Charakter sich vollkommen ausgebildet hat, sich selbst überlassen und es ihm frei stellen, ob er den vorgezeich­

neten Weg gehen oder, ihn verlassend, anrennen wolle.

Je besser

seine Erziehung war, desto sichrer kann er fein, daß der Sohn endlich einmal von seinen Verirrungen und auf den rechten Weg

zurückkehren werde.

Und doch wagt der irdische Vater, daß der

Sohn in den Jahren des Taumels die Gesundheit des Geistes

und des Körpers einbüße, während der Zögling des Erziehers

der Menschheit, der Mensch, in ewiger Jugend und Frische ver­ bleibt, und während dieser göttliche Erzieher für jeden vom Er­

denleben erkrankten Einzelnen ein Heilbad, das Grab, bereitet hat, dem dieser genesen entsteigt, um dem fernem Ziele mit neuen Kräf­

ten entgegen zu pilgern.

C. Mögliche höhere Potenz des Wirkens der Vorsehung. Ist es, wie kaum zu läugnen, gegründet, daß die Religion auch

ihr poetisches Element habe, so muß auch die Lehre von der Vor­ sehung, als von der Führung des Menschen, neben der herben

Prosa, in welcher wir sie bis jetzt vorgetragen haben, nothwendig auch ihr poetisches Element haben, d. h. etwas, was für den Men-



schm in einer gesteigerten, dichterischen Stimmung wahr ist, ohne daß es jedoch, wie es scheint, der kühlen Vernunft gelänge, diese

Ansicht auf eine ihr völlig genügende Weise zu begründen.

So

ist vor der Vernunft und alles Ernstes wahr, wenn wir sagen,

dieses irdische Wohl oder Weh, das mich ebm betroffen, sei von der Vorsehung darauf berechnet, um mich zum hohem Leben auf­

zuregen; aber es ist nur poetisch wahr, wenn ich ein Mißgeschick, das mich, nach dem bestimmten Gang des Gegebenen, in dem Augenblicke wo ich gesündigt, trifft, als eine Strafe für meine

Sünde betrachte, indem derselbe Gang des Gegebenen, ein ander­ mal ein solches schmerzliches Ereigniß auch nicht herbeiführen könnte; — oder wenn ich der Vorsehung für eine Hülfe, die mir, wo ich

in Lebensgefahr schwebte, nach dem Gange des Gegebenen wird, als für eine mir von ihr eigens gesandte Hülfe kindlich danke.

Soll aber eine solche Ansicht, die wir als die poetische bezeichnen, mehr als Schwärmerei und Aberglaube sein, so muß von der Ver­

nunft wenigstens die Möglichkeit, daß die Vorsehung so handeln könne, wie ich in jener gesteigerten Stimmung mir denke, wenn

auch nicht die Nothwendigkeit, daß sie so handeln müsse, nachge­ wiesen werden können.

Gelingt dieses, so kaim derjenige, dem

jene bis jetzt entwickelte herbe prosaischere Ansicht der Vernunft nicht genügt, sich an diese halten, ohne zu befürchten, daß er dadurch

der Würde der Offenbarung Gottes in der Geschichte zu nahe tritt.

Nur muß er denjenigen darum nicht für Gott-los halten,

der dieser Steigerung seines Vorsehungsglaubens nicht bedarf. Wenn sich also einer, -um uns auf unser früheres Beispiel

abermals zu beziehen, in augenscheinlicher und, wollen wir noch

annehmen, in durchaus unverschuldeter Lebensgefahr befindet, und seine geängstete Seele unwillkürlich zu der Vorsehung um Ret­ tung schreit, so wäre es für sehr viele, ja für die allermeisten

Menschen hart und unerträglich, glauben zu müssen, daß Gott durch den regelmäßigen und unabänderlichen Gang, den er der Natur ertheilt hat, es sich gleichsam unmöglich gemacht, ihm hier

zu helfen.

Und doppelt unerträglich wird einem dieses, wenn er

sich bewußt ist, daß sein Leben einem dem Plane, der Vorsehung gemäßen und würdigen Zwecke geweiht war. Es ist als wenn

ein solcher da ausrufen müßte: also bist du, den-ich als Vater

verehre, nicht mein unmittelbarer Herr, sondern du hast eine blinde

eiserne Kraft, die weder von deiner väterlichen Gesinnung, noch von meiner Noth etwas weiß, zwischen dein Vaterherz und das

Herz deines Kindes gelegt, und nicht Du, Geist und Leibe wie ich, sondern eine blinde unbeugsame Kraft ists, die mit dem Le­

ben deines Kindes schaltet! — Und eben so unerträglich ist es ihm, wenn er, indem er mit den Wellen kämpfet und endlich auf die schmale Sandbank geräth, die seinem Fuß glücklicherweise Bo-,

den giebt, sich sagen muß: also wars nicht deinem Willen und deiner Absicht der ich meine Rettung verdanke, sondern deiner

leblosen Natur, die hier eine Erhöhung im Sande bildet und de­ ren Spiel mit Wind und Wellen mich auf diese einzige Stelle

trieb, wo mein Fuß Boden fassen konnte.

Nicht dir, dem Va­

ter, darf ich dafür bansen, sondem der blinden Natur und dem

noch blindern Zufall, die von meinem Danke nichts vemehmm! Die Möglichkeit jener Ansicht nun, zufolge deren man sich

die Vorsehung als Netterin des Einzelnen in der Noth denken könnte, scheint folgendermaßen begründet werden zu müssen. Al­

les im Universum weißt darauf hin, daß das Geistige das Pri­ märe und Uebergreifende, und das Körperliche das Sekundäre und mehr Passive sei.

Dies könnte nicht sein, wenn es nicht bei

Gott und in Gott seinen Grund hätte und er, als Geist und

nicht als Natur, der Spiritus rector des Universums wäre.

Dar­

um müßte er sich auch als Vorsehung als das Uebergreifende

über die Natür offenbaren.

Auch hier ist der Mikrokosmos ein

hinweisendes Symbol, -wie es im Makrokosmos ist.

Alles in

meinem Körper geht seinen regelmäßigen Gang, wie von Gottes

Körper, der Natur, prädicirt wird; allein doch greift der Geist, der Deus in nobis, jeden Augenblick durch, und, was er will,

geschieht.

Die natürlichen Funktionen meines Körpers gehorchen

einem von meinem Willen unabhängigen Gesetze, und wenn sich mein Geist nach eigner Willkür den Körper selbst gebaut hätte,

wie Gott sich

sein Universum, und, wie er, Herr wäre über

alles, was darin geschieht, so würde ich, sofern ich vernünftig genug wäre, um im Voraus zu wissen, was ich will, den Blut­ umlauf, die Absonderungen u. s. w. ja selbst das Wirken der Na­

tur in der Krankheit nie stören wollen, sondern bei dem ihnen

einmal ertheilten Gange erhalten; und doch sind die Kräfte dieses Körpers in einer andern Hinsicht ganz zur Disposition meiner

Freiheit gestellt.

So muß es auch bei Gott sein.

Was wir

vielleicht lediglich aus menschlicher Beschränktheit uns nur als

starres gefühlloses Naturgesetz denken können, ist vielleicht am

Ende das eigne Wirken Gottes selbst, in welchem, auf eine Weise, wofür wir den Ausdruck noch nicht gefunden, etwas uns als

willkürlich erscheinen kann, was doch an sich strengste Regelmä­

ßigkeit ist.

So wie mein Arm, obgleich der Blutümlauf u. s. w.

in ihm unabhängig von mir geschieht, dennoch meinem Willen

gehorcht, wenn ich durch die eine Bewegung desselben, jene zum

brennenden Licht hinstrebende Motte vom Tode in der Flamme retten will, so muß auch ein solcher Arm Gottes da sein, der

den ewigen Gesetzen der Natur unbesckadet vollbringt, was er für den Augenblick will. Vielleicht giebt uns einst die Naturphi­ losophie eine weitere Entwickelung

dieser Ansicht. —

Endlich

verheißt uns auch die Einheit der Poesie und der Wahrheit, daß

es einst gelingen werde die Nothwendigkeit dessen, was das un­ verstimmte dichterische Gemüth von der Vorsehung prädicirt, der Vernunft einleuchtend zu machen.

Vielleicht ist aber auch dem

Menschen in jener gesteigerten Stimmung auch objektiv und abso­ lut wahr, was ihm in einer kühlern nur poetisch wahr ist.

Viel­

leicht ist dem Menschen nur in der höchsten Steigerung seines Seins,

in jener Stimmung, wo ihm Glaube und Dankgefühl

Gott näher gebracht, vergönnt, die Wahrheit als Eine, in ihrer

Einheit mit der Poesie, zu schauen?

3.Worin offenhart sich dieVorsehung und worin nicht? Nachdem wir auf diese Weise das Wesen des göttlichen Rath­

schlusses und der Vorsehung an sich auseinander gesetzt haben, bleibt uns noch übrig, dasselbe polemisch gegen die mehr oder we­ niger gangbare Meinung darzustellen, d. h. die Frage zu unter­ suchen, worin offenbart sich die Vorsehung und worin nicht. a) In allem worin intellektuelle oder sittliche Verkehrtheit

ingrediirt, offenbart sich, in sofern es darin mgrediirt, keine Vor­

sehung; denn da sie die Handlungsweise eines allweisen Gottes ist, so kann sie sich unmöglich widersprechen, d. h. da die Vor­ sehung nur das will und bewirkt, was den Menschen zu dem

von ihr bestimmten Ziele führt, so kann sie unmöglich zugleich

dasjenige wollen, was den Menschen von diesem Ziele abführt.

Dieses ist aber was als Verkehrtheit, Thocheit und Bosheit er« scheint, mit welchem die Vorsehung also vernünftigerweise in kei­ ner Beziehung stehn kann.

Aber sie ist dabei noch die Handlungs­

weise eines allheiligen Gottes, zwischen welchem daher und dem

Bösen sittlicherweise gar keine Beziehung statt finden kann, seihst wenn dieses unmittelbar oder mittelbar die Zwecke der Vorsehung fördern würde. Wenn also irgend ein Ereigniß in der sei's intel­ lektuellen, sei's sittlichen Verkehrtheit der Menschen seinen Grund

hat, so ist dieses schon ein Beweis, daß es in der Vorsehung

Gottes keinen Grund habe.

Selbst ein Zulasfen von ihrer Seite

dürfen wir nicht statuiren, denn dieses setzt schon eine Beziehung zwischen dem, der da zuläßt und dem was er zuläßt voraus. Wenn ich meinen Sohn zuweilen sich selbst überlasse, damit er

selbst seine sittliche Freiheit behaupten lerne, so lasse ich die Thor­ heiten, die er nun vielleicht fürs erste begehen wird, nicht zu, sondern ich stehe in gar keiner Beziehung zu ihnen; und selbst

wenn ich sie voraussähe, würde ich davon absehen.

Ist nun hier

'keine Zulassung der Vorsehung, so ist um so weniger eine Schi­ ckung, d. h. Veranstaltung derselben da, denn diese würde die

Beziehung zwischen Gott und dem Bösen noch größer machen.

Nicht einmal das darf eine Zulassung, noch weniger eine Schi­ ckung Gottes genannt werden, wenn ein Naturereigniß den Ge­

rechten mit dem Ungerechten verletzend trifft.

Denn das heißt

nur Dunkelheiten, um nicht Ungereimtheiten zu sagen, in die Lehre

von der Vorsehung hineindichten, wenn man annimmt, hundert Böse und Thoren gehen ruhig ihren verkehrten Gang durchs Le­

ben und jenen Hundertundersten grade hat sie zeitlich strafen wol­

len, und grade jenen Gerechten die diese Strafe mit ihm theilen,

sei dasselbe verletzende Ereigniß eine Strafe für ihre unbekannten Sünden oder ein Läuterungsmittel ihres Glaubens. hat man sich die Sache also vorzustellen:

Vielmehr

Gott habe die Natur

so eingerichtet, daß zwischen ihr und den freien Wesen Kollisio­

nen manchmal entstehen? müssen.

Und zwar je sinnlicher, je we­

niger fortgeschritten in Bildung der Mensch ist, desto weniger kennt er die Natur und desto nöthiger sind ihm diese Kollisionen,

damit er durch sie aufgeregt werde, aus dem Traum seiner Sinn­ lichkeit.

Zn dem Grade aber als der Mensch in Bildung fort­

schreitet, lernt er diese Kollisionen vermeiden und sie werden ihm

72 auch jetzt nicht mehr so nöthig, indem bei diesem Fortschritt sein geistiges Leben sich entwickelt, und ihm auch ohnedies häufige We-

ckungsmittel darbietet.

Indessen finden späterhin diese Kollisionen

immer noch, obgleich immer seltner statt, und haben im Allgemei­

nen den Zweck, den Menschen aus der Betäubung des Irdischen aufzuregen.

Indem sie nun grade den Bösen vernichtend treffen,

versetzen sie ihn in ein Leben, das seinem sittlichen Fortschritt

vielleicht günstiger ist, und indem sie den Gerechten treffen, neh­

men sie ihm nichts, er hat nur Leben um Leben eingetauscht; der Sinn derjenigen aber, in deren Mitte dieses Ereigniß statt fand, wird aus der Betäubung aufgerüttelt, und vom Irdischen aufs Göttliche gerichtet.

b) In allem aber, insofern darin etwas Gutes ingrediirt, ist, insofern es darin ingrediirt, Vorsehung. Denn insofern etwas (wahrhaft) Gutes geschieht, geschieht was die Vorsehung will, und was dm Menschen dem von ihr bestimmten Ziele nähert.

Das Gute ist, als das von Gott Gewollte, von Gott und Gott

hat in seinem Rathschlusse darauf gerechnet, und des Guten so,

viel ins Leben gelegt, daß es das Ungöttliche überwinden muß. Wir sollen also das Gute hoffen, und wo es erscheint, als eine Gabe von ihm dankbar annehmen, das Böse aber als aus uns selbst und als Menschenwerk betrachten und, es möge nun von unsern

Mitgenossen in der Schwachheit oder von uns selbst herstammen, als Beförderungsmittel zum höhern Leben benutzen.

Und wenn

wir uns selbst recht kennen lernen, wenn wir einsehen lernen, welche reiche Beiträge zum Bösen wir durch unser Leben geliefert

haben, und wie wenig wir, so viel an Ms war, den Zweck der Vorsehung gefördert haben: so wird diese Selbsterkenntniß uns,

zumal wenn wir das Leben in seiner Totalität betrachten, die Lust benehmen, mit denjenigen, die vor uns gelebt haben, und die mit

uns leben, darüber zu rechten, ob wir nur verhältnißmäßig viel Böses oder mehr als recht war, empfangen haben.

c) Die Vorsehung hat endlich Alles so eingerichtet, daß das Böse, wenn es ohne ihre Zulassung, Schickung und Willen ein­ mal da ist, mittelbar ihren Zwecken bienen muß.

Denn nicht

nur daß es, wenn auch erst durch mehrere Mittelglieder, im Gu­ ten seine Neutralisation findet, sondern durch jedes Böse wird

auch ein ihm korrespondirendes Gutes, welches sonst nicht da

wäre, gesetzt.

So wie jeder Druck den Gegendmck, also die Wirk­

samkeit einer Kraft, die sonst latent bliebe, erregt, so hat die Vor­ sehung es also eingerichtet, daß das erscheinende Böse ein Gutes, das sonst geschlummert wäre, ins Dasein ruft.

Nun ist aber

dieses Gute aus Gott, also muß es das Böse, durch welches es

hervorgerufen wurde, endlich vernichten.

Neben der Vorsehung haben auch die Wörter Zufall und Schicksal ihre Bedeutung.

Denn wenn der Einzelne, bei einer

Menge von Möglichkeiten, gar keine Gründe hat, warum er die­ ses statt jenes ergreife, z. B. wenn er lustwandelnd den Weg

rechts anstatt den links einschlägt, oder wenn er diese Gründe nicht abwägt, sondern einer dunkeln Einwirkung der Natur be­

wußtlos folgt und etwa den Weg einschlägt, der einen stumpfern

Winkel mit seiner bisherigen Richtung macht, oder von einem ge­ fälligem Laubwerk auf der einen Seite angezogen wird, und diese Willkür nun für ihn Folgen hat, die er nicht bezweckte, oder

wenn von etwas,

was er bezweckte,

durch den Konflikt mit

dem Gegebenen, ganz andre Resultate hervorgehen als er bezweckte, so ist ihm dieses Zufall, etwas was ihm unbezweckt zufällt.

Der

Zufall eristirt mithin nur subjektiv und nicht absolut, denn was einem Zufall war, war durch das Gegebene nothwendig.

Das­

selbe gilt auch vom Schicksal, das nur ein potenzirter Zufall, ein

Zufall des Zufalls ist.

Dies ist auch etymologisch gegründet, sal

heißt bekanntlich Menge, Reichthum, also Reichthum, Fülle von

Schickungen d. h.- Zufällen.

Kurz Zufall und Schicksal sind

dem Individuum, das nicht berechnete Resultat der Konflikte sei­ ner Willkür oder seines Nichtwollens mit dem Gegebenen', inso­

fern er kein Resultat, oder ein andres, als da herauskam, be­ zweckte.

III.

Was meint die evangelische Christenheit dazu? oder

Versuch das Glaubensbekenntniß der evange­ lischen Kirche, dem jetzigen Standpunkte der­ selben gemäß, auszustellen. Ein verspäteter Beitrag zur Feier des Jubiläums der Augsburgischen Konfession. Wie unwürdig deß großen poetischen Namens Got-

tes-Gelehrte sind die, welche mit irgend einer Selbstnoth das Recht eines Meineides und fortge­ setzter Lehrlügen zu bekommen glauben, wie etwa der Talmud erlaubt, das Gesetzbuch zu verkaufen, um eine Frau zu nehmen, Jean Paul.

Vorwort. (§s ist unlaugbar, daß die Maßregel der kirchlichen und Staats­

behörden, die Augsburgische Konfession als eine immer und all­ gemein geltende Norm der Rechtgläubigkeit der evangelischen Kirche

zu gebrauchen, seit geraumer Zeit eine zwar stille aber sehr ver­ breitete Opposition findet.

Aber nicht nur in der Ueberzeugung

der Lehrer, sondern auch in der der öffentlichen Meinung und her des Staats ist manches aus dieser Bekenntnißschrift stillschwei­ gend abolirt worden.

Oder es versuche heutzutage ein evangeli­

scher Geistlicher jemanden zu ercommuniciren, wozu ihn, wenn

auch nicht die Vernunft, doch die Augsb. Konf. berechtigt, und

man wird sehen, ob nicht der Staat selbst ihm das Halten an

eine Lehre übel nehmen wird, die er ihn doch mit hat beschwö­ ren lassen, und ob nicht die öffentliche Meinung, und zwar mit

Recht sich dagegen allgemein empören würde.

Und da diese Be-

kenntnißschrift doch, laut der Einleitung, nur ein Zeugniß und

eine Erklärung des Glaubens der damals Lebenden enthalten sollte, und da die verfängliche Frage Kaiser Karls des V. bei der Ue-

bergabe, ob auch diese Konfession alles enthalte, was man zu än­

dern gedächte, von den Fürsten mit einem bestimmten Nein be­

antwortet wurde: jjp scheint auch die evangelische Kirche unserer Zeit das Recht zu haben, unabhängig davon ihr Glaubensbekennt­

niß, ihren jetzigen Fortschritten und Bedürfnissen gemäß aufzu­ stellen.

Und da keine kirchliche Behörde, trotz allem Beschwören­

lassen es dahin bringen wird, daß einer der da denkt und dem es um die Wahrheit heiliger Ernst ist, an die in der Augsb. Kons, behauptete Ewigkeit der Höllenstrafen, oder an den „Zorn" Got­

tes glaubt, oder daran, daß, wer nicht an die Dreieinheit glaubt, verdammt werde, oder an die Auferstehung unsers irdischen Leibes,

oder daran, daß Christus auch die persönliche Sünde versöhnt hat, und da jenes Glaubensbekenntniß so viele wesentliche Bedürf­

nisse der erst seitdem entwickelten evangelischen Kirche nicht vor­

aussehen und berücksichtigen konnte:

so ist wohl keinem Zwessek

unterworfen, daß nicht ein solches Glaubensbekenntniß, welches

einer, dem die Wahrheit theuer ist, mit gutem Gewissen beschwö­ ren könnte und welches, nachdem die Sache desselben vor dem Richterstuhl der Kritik ausgesochten und es von der öffentlichen kirchlichen Meinung gleichsam sanctionirt worden wäre, manches

Gute stiften würde. Schon das wäre kein geringer Gewinn, wenn

die heutige evangelische Kirche offen erklären könnte: das ist mein gegenwärtiges Glaubensbekenntniß! Offenheit war von jeher ein auszeichnender Charakterzug der evangelishen Kirche. Dieser Of­

fenheit geziemt es offen vor der Welt zu gestehen: dieses ist, nach dreihundertjähriger Entwickelung, mein Glaubensbekenntniß! dies

glaub' ich, das kann ich nicht glauben. Von wem soll aber ein solches Glaubensbekenntniß ansge.

hen?

Wohl wäre es zu wünschen, daß ein Verein der vorzüg­

lichsten Theologen der ganzen evangelischen Christenheit, oder doch

des evangelischen Deutschlands, oder doch eines größer» evange­ lischen Staates zusammenträten, und, ohne damit etwas anderes

zu bezwecken, als eben daß es, zu einem Zeugnisse der evangeli­ schen Wahrheit, da wäre, ein solches ausarbeiteten und mit der

Erklärung öffentlich bekannt machten, daß dieses das Glaubens-

bekenntniß der evangelischen Kirche sei, wie es nach ihrer besten

Ueberzeugung sein müßte. —

Sie werden es aber nicht thun,

weil ihnen der, freilich ungerechte Vorwurf gemacht werden könnte daß sie dadurch eine Auktorität aufstellen wollten.

Aus demsel­

ben Grunde wird kein einzelner angesehener Theolog es thun. Wie soll es denn aber zu Stande kommen? Es scheint nur auf die Weise, daß die erste Veranlassung und der erste Anfang dazu von einem in der theologischen Welt so gänzlich unbedeutenden Individuum ausginge, daß es lächerlich wäre anzunehmen, dieses hätte dabei eine persönliche Absicht, und so daß man annehmen

müßte, er habe es nur darum gethan, um einer guten Sache dm ersten Impuls zu geben.

Es müßte also gleichviel von wel­

chem urtheilsfähigen Kirchmgliede es auch sei, nur je unbekann­ ter und unberühmter, desto besser, der Versuch gemacht werden,

die ersten Principien eines solchen Glaubensbekenntnisses aufzustel­

len.

Da könnte man denn wohl annehmen, daß die evangeli­

schen Theologen dazu nicht schweigen würden, wenn dieses im

Namen der evangelische Kirche ausgesprochen und der öffent­ lichen Prüfung übergebene Glaubensbekenntniß Unwahres und Schiefes enthielte;

sondern es würde gewiß Mancher, dem die

Sache der evangelischen Wahrheit am Herzen liegt, auftretm, die aufgestellten Ansichten bestreitend, berichtigend, ergänzend.

Die

Ansichten derselben würden dann wieder von einem Dritten be­ richtigt werden, und so fort, bis endlich die öffentliche Meinung 1 unsrer Kirche sich darüber hinlänglich ausgesprochen hätte. leicht gäbe auch ein solcher Versuch

Viel­

Anlaß, daß eine Anzahl

deutscher Theologen sich in einer Gesellschaft vereinigten, um diese Bekenntnißangelegenheit zu fördern.

Diese würden sich zu die­

sem Zwecke mit den angesehensten evangelischen Theologen des

In- und Auslandes in Verbindung setzen, und in einem perio­

disch erscheinenden Repertorium alle darüber erscheinenden Verhand­

lungen niederlegen.

Auf diese Weise dürfte mit der Zeit aus die­

sem Verein ein Gloubensbekenntniß hervorgehen, welches die öffent­

liche kirchliche Meinung

für

ein ächt-evangelisches anerkennen

würde, welches aber natürlich nur so weit gelten würde, als es angenommen wäre.

Vielleicht würde dann einst mancher Staat

das Siegel seiner Auktorität darauf drücken, zu dem Ende näm­

lich, daß, wenn Einer dann in den geistlichen Stand träte, so

könnte, anstatt ihn die Augsb. Sons, hergebrachtermaßen beschwö­ ren zu lassen, ihm seine Ansicht von diesem spätern Glaubensbe­

kenntniß, unter eidlicher Versicherung vollkommener Aufrichtig­ keit und weiter nichts, schriftlich abgefordert werden, woraus denn die geistliche Behörde ersehen könnte, ob er zuzulassen sei; und diese feine individuelle Meinung enthaltende Zugabe zu dem allge­

meinen Glaubensbekenntniß würde seinen rechtlichen Standpunkt im Amte begründen.

Als einen solchen Anknüpfepunkt stellt Verfasser diefes fol­ genden Versuch, den er eigentlich zu einem Beitrag zur Feier des Jublläums der Augsb. Sons, bestimmt hatte, der aber wegen

verschiedener Umstände verspätet wurde, zur Prüfung Sachkundi­

ger anspruchlos auf.

Es wäre Anmaßung, wenn er hier seinen,

wenn gleich völlig obskuren Namen nennen würde.

Als Doctor

der Philosophie, als öffentlicher Prediger und vorzüglich als einer,

dem die Sache der Sirche am Herzen liegt, glaubt er das Recht zu haben, diesen Versuch zu wagen. es in seiner Nichtigkeit zerfallen.

Ist daran nichts, so möge

Ist darin etwas der Rede und

Gegenrede werth, so möge es die Veranlassung zu der Abhülfe eines wie es scheint tief gefühlten Bedürfnisses werden.

Uebri-

gens protestirt der Verfasser hiemit, denn Vorsicht kann nichts

schaden, gegen alle Folgerungen von diesem idealen Glaubensbe­ kenntnisse auf sein Glaubensbekenntniß als amtliche Person.

Die oft nur zu weit gegangene Opposition der heutigen

Theologie mit dem was früher für religiöse Wahrheil galt, hat die Sprache unsrer Sirchenlehrer unbestimmt, schwankend und ver­ legen gemacht.

ist schlimm.

Die alte freudige Zuversicht ist dahin, und das

Man sieht den theologischen Schriftstellem, zumal

denen die für das größere kirchliche Pnblikum schreiben, oft genug

an, daß sie manches hinter dem Berg zu halten, manche Ergeb­

nisse neuerer theologischer Forschung zu verschleiem haben und den Eindruck derselben durch erbauliche Redensarten zu beschönigen suchen.

Ein solches Benehmen geziemt aber keiner Sirche wem«

ger als der unsern, deren Charakter Offenheit und deren Lebens­ element das Licht ist. Könnten aber die Lehrer sich über die Haupt­

wahrheiten des Evangeliums vereinigen und der Gemeinde zeigen,

daß sie an sie freudig und unverrückt festhalten wollen: so dürf­ ten sie auch, ohne Aergerniß zu erregen, ihre Meinung über un-

haltbare Nebensachen, die da doch früher oder später fallen müs­

sen, offen und unumwunden darlegen, und diese Offenheit würde unsrer evangelischen Kirche die freudige Zuversicht wiedergeben, die

ihr, zumal itzt, so sehr noth thut. Da nicht vorauszusetzen ist, daß die Lehrer der evangelischen

Kirche, wie überhaupt alle Urtheilsfähige, denen die evangelische

Wahrheit am Herzen liegt, zu einem mit Bedacht im Namen

der evangelischen Kirche ausgesprochenen allgemeinen Glau­ bensbekenntniß derselben, schweigen werden, wenn es Unwahrheit enthielte: so darf wohl der Einzelne es insofern für wahr Hallen, als die Lehrer der Kirche und die der Wisseuschaft überhaupt das­

selbe nicht einer Unrichtigkeit zeihen werden, und insofern es, nack

redlicher Prüfung seinem eigenen Wahrt eitsgefühl zusagen wird. Da es aus der ganzen Tendenz dieser Blätter hervorgeht, daß sie eigentlich darum geschrieben sind, um recensirt zu werden,

so braucht der Verfasser nicht erst um Berücksichtigung derselben

von den Recensionsinstituten zu bitten, und es steht zu erwarten, daß dieser Aufsatz zu einer Recension Anlaß geben wird, die mehr

werth sein wird, als der zu recensirende Aufsatz selbst.

Indes­

sen möchte der Verfasser grade die berliner Kirchenzeitung aus­

drücklich bitten/ davon Notiz zu nchmen, da zu hoffen steht, daß die Art, wie dieses Blatt unsern Versuch wahrscheinlich aufneh­

men wird, am ehesten zu weitern Erörterungen Anlaß geben wird.

Versuch das Glaubensbekenntniß der evan­ gelischen Kirche, dem jetzigen Standpunkte derselben gemäß, aufzustellen» 1. Nothwendigkeit eines Glaubensbekenntnisses. Da die Wahrheit nur Eine sein kann, und da es eben so sehr Pflicht ist, das Eine Wahre zu glauben, als das Eine Rechte zu thun: so hält sich die evangelische Kirche für verbunden aus­

zusprechen, nicht sowohl historisch, was sie für die eben herrschen­ den Glaubensansichten ihrer Glieder, als dogmatisch, was sie nach

ihrer bisherigen Entwickelung und auf ihrem gegenwärtigen Stand­

punkt für ewige evangelische Wahrheit hält.

2. Verhältniß desselben zur AugSburgischen Konfession. Ob sie gleich der Augsburgischen Konfession, dem Geiste der­ selben und der Hauptsache nach, beistimmt, und ob sie ihr gleich

die Gerechtigkeit schuldig ist, daß sie so genügend ist, als sie es, hei der damaligen Kindheit der Auslegungskunst und Religions­ philosophie sein konnte:

so kann sie dieselbe, als Menschenwerk,

nicht für durchaus vollkommen und unfehlbar halten.

Eben so

wenig findet sie dieselbe anders, als insofern sie ewige göttliche Wahrheit enthält, für unsere Zeit bindend, zumal da der Stand­ punkt dieser manche geistige Bedürfnisse zu berücksichtigen hat, welche jene Zeit nicht fühlte, und die Augsburgische Konfession

also auch nicht berücksichtigen konnte, und aus diesem Grunde glaubt sie volles Recht zu haben, ihr eigenes Glaubensbekennt­

niß aufzustellen, welches,-wie sich aus dem Folgenden ergeben wird, mit dem Augsburgischen im Wesentlichen übereinstimmt und dessen Ansehen dadurch nicht geschmälert werden soll.

3. Verhältniß desselben zum Apostel, und Nicäischen GlaubenSbckcnntniß. Die evangelische Kirche bekennt sich fortwährend zu dem Apo­

stolischen und nicäischen Glaubensbekenntnisse, und zwar mit fol­ genden nähern Bestimmungen: 1. das Niederfahren zu der Hölle betrachtet sie als eine Vorstellung der damaligen Zeit; 2. das Si­

tzen zur Rechten des Vaters betrachtet sie als einen figürlich zu nehmenden Ausdruck, und zwar als einen Ausdruck der Wahrheit,

daß Christus durch seine Lehre das durchgreifende Princip der'

neuen Weltordnung ist; 3. die Auferstehung des Fleisches versteht

sie so, daß Gott die Seele der Auferstandenen mit einem neuen,

ihrer nenen Bestimmung angemessenen Leibe, überkleiden wird; 4. von der Wiederkunft Christi zum Gericht gesteht sie aber, daß es ihr bis jetzt nicht gelungen ist, diese Lehre zu einem genügenden

Verständniß zu bringen.'

4. Verhältniß der evangelischenKirche zu den Nichtglau­ benden. Da die Wahrheit einem jeden nur insofem Wahrheit ist, als

sie ihm als solche einleuchtet und er von ihr überzeugt ist; und da die evangelische Kirche keine andere Mittel, der Wahrheit Ein-

gang zu verschaffen anerkennt, als Belehrung durch Gründe, und Erziehung, so folgt von selbst, daß sie auch gegen diejenigen ihrer

Glieder, welche die evangelische Wahrheit nicht anerkennen, keine andere Mittel als diese billigt, noch anwenden will, und daß sie

allen Glaubenszwang und alle Verfolgung Andersdenkender als unrechtlich, unvernünftig und unchristlich verabscheut und verwirft.

5. Anspruch dieser Glaubensbekenntnisses auf Wahrheit. Da die Auffassung und Darstellung göttlicher Wahrheit noth­

wendig Menschenwerk ist:

so kann von der Unfehlbarkeit eines

evangelischen Glaubensbekenntnisses vemünftigerweise gar nicht die

Rede sein.

Daher macht dieses Glaubensbekenntniß nur insofern

.auf Wahrheit Anspruch, als es ihm gelungen ist die göttliche Wahr­

heit ungetrübt auszusprechen, und insofern es ihm daher gelingt, sich durch die der Wahrheit einwohnende Kraft selbst Eingang

zu verschaffen.

6. Da- Verhältniß der Vernunft und Offenbarung zu einander. Die evangelische Kirche bekennt, daß die Vemunft zwar das

alleinige Organ ist, wodurch uns die Wahrheit wird; daß aber

die Vernunft, indem der Mensch durch die Sünde aus der ur­ sprünglichen Gemeinschaft Gottes herausgekommen ist, die Erkennt­

niß Gottes so gänzlich verloren hatte, daß der Mensch Gott nim­ mer erkannt hätte wenn er sich ihm nicht in Jesu Christo wieder geoffenbart hätte, und daß der Mensch daher Gott nur vermittelst

dieser Offenbarung in Christo erkmnt.

7. Das Wort der Offenbarung in einer heilige» Schrift. Die evangelische Kirche bekennt, daß die dem Menschenge­

schlecht durch Christum geoffenbarte und den Rathschluß zu uns­ rer Seligkeit enthaltende göttliche Wahrheit in dem Evangelio un­ sers Herrn, dem neuen Testament niedergelegt ist, und daß diese

daher, so weit sie diesen Rathschluß betrifft, eine unter Gottes besonderm Beistand geschriebene und erhaltene heilige Schrift ist;

indem Gott nicht hat zulassen können, daß die Menschen in dem,

was sein Rathschluß zu ihrer Seligkeit ist, irren sollten.

8. Verhältniß der Göttlichkeit des A. T. zu der des N. T. Was aber das Neligionsbuch des israelitischen Volks, das Alte Testament, betrifft, so hält die evangelische Kirche es für einen Irrthum, und zwar für einen dem Verständnisse der gött­

lichen Wahrheit nicht selten verderblichen, wenn ihm dieselbe Gött­ lichkeit und Auktorität als dem Evangelio Christi beigelegt wird,

und sie hält nur dasjenige darin für göttliche Offenbarung, was ewige göttliche Wahrheit enthält und also mit dem Geist des Neuen Testaments, dem Prüfstein der Wahrheit desselben übereinstimmt,

ferner was darin Weissagung von dem kommenden Messias ist, und endlich was durch seine Aufnahme in das N. T. eine höhere

Bedeutung bekommen hat.

S. -Das Verhältniß der Vernunft zu der Bibel. Da aber der Mensch das Göttliche außer ihm nicht erkennen

könnte, wenn in ihm selbst nicht etwas Göttliches wäre, nämlich die durch die Offenbarung erleuchtete Vemunft, welches dasselbe als solches erkennt und anerkennt; da ferner die im Evangelio

enthaltene göttliche Wahrheit dem Menschen nur durch die Ver­

nunft aufgeht, und die darin zerstreuten Elemente derselben nur

durch die Vemunft zu einem Ganzen vereinigt, und von dem nur zeitlich

Geltenden

unterschieden werden können: so

Vernunft und Offenbarung gegenseitig voraus:

setzen sich

und daher muß

die evangelische Kirche der durch die Wissenschaft ausgebildeten und durch das Christenthum wieder Gottes bewußt und des Le­

bens in Gott theilhaft gewordenen Vernunft das Recht einräu­

men, zu prüfen und zu bestimmen, was in der Bibel ewige gött­ liche Wahrheit und was darin nur zeitlich Geltendes ist, und ebenso das Recht, daraus das Gebäude der göttlichen Wahrheit

aufzuführen.

Dem Privaturtheil eines jeden aus der Menge aber,

der ohne wissenschaftliche Tiefe und ohne daß in ihm der Geist Christi lebendig geworden wäre, sich damit abgiebt, kann sie eine Entscheidung über göttliche Wahrheit nicht zugestehen.

10. Verhältniß ber wahren evangelischen Kirche zu den verschiedenen herrschenden Glaubensansichten. Die wahre evangelische Kirche bekennt sich also eben so we­ nig zu der heutzutage herrschenden Partei der Rationalisten, als zu

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der der Süpranaturalisten und der der Mystiker, ob sie gleich das mehr oder weniger vorhandene Gute in der Ansicht aller dieser

Parteien nicht verkennt; sondem sie erhebt sich, wie aus diesem

ihrem Glaubcnsbekenntniß hervorgeht, über alle diese Gegensätze zu der oberhalb derselben schwebenden Einen versöhnenden Wahr­

heit.

Zn Beziehung auf die Gesinnung aber erklärt sie, daß sie

nichts so sehr verabscheut als die Heuchler und demnächst die der unduldsamen und unvernünftigen Eiferer; daß sie nichts so sehr bedauert, als die trübe und einseitige Ansicht der Frömmler, und

daß sie nichts geringer schätzt, als das Bestreben der Buchstabier,

an dem todten Buchstaben festzuhalten; und daß ihr, nächst dem freudigen besonnenen Eifer für immer weitere Einführung der be­ seligenden und göttlichen Lehren des Christenthums

ins Leben,

nichts erwünschter sein kann, als ein eifriges und redliches Stre­

ben nach dem immer weitem Verständniß des Evangeliums durch alle Mittel der Wissenschaft und durch ein immer freudigeres Hin­

einleben in den Sinn Christi.

11. Quelle der Lehre der evangelischen Kirche. Aus dieser Quelle, der durch die Vernunft erkannten und

anerkannten Offenbarung, schöpft die evangelische Kirche, mit Ver­ werfung aller Ueberlieferung außer der in. der Entwickelung des

kirchlichen Lebens, die diesem Grunde nicht widerstreitet, ihr gan­

zes Lehrsyftem und bekennt, daß sie den besonnenen Vernunftge­ brauch eben so wenig als die göttliche Offenbarung des Rathschlus­ ses Gottes, welcher der Vernunft sonst unbekannt geblieben wäre,

je aufgeben wird.

12. Dasein Gottes. Sie lehrt in Uebereinstimmung mit dem Glauben aller Ver­

nünftigen unter den Christen und Nichtchriften, das Dasein eines Gottes, die Unsterblichkeit der Seele, und die Verbindlichkeit sitt­

lich zu handeln.

Also zuerst das Dasein eines höchsten, einigen,

höchst vollkommenen Gottes, ohne alle menschliche Beschränktheit,

welcher der Urheber, Erhalter und Regierer des Weltalls und der höchste Gesetzgeber und Richter der sittlichen Welt ist.

Sie ver­

wirft also jede Lehre, die in Gott nur eine blinde, ihrer unbe­ wußte Urkraft sieht.

13. Unsterblichkeit und Vergeltung.

Sie lehrt ferner die Unsterblichkeit der Seele und ein ewi­ ges Leben, ein Leben der Vergeltung und der Vervollkommnung. Obgleich sie aber fest vertraut, daß der ewige Richter dem Gerech­

ten dessen unverschuldete Leiden hienieden, vergelten werde, so be­ trachtet sie doch das Rechnen auf diese Vergeltung bei ihren Glie­

dern als das Zeichen eines wenig entwickelten christlichen Sinns;

indem der wahrhaft Fromme für die Prüfungen, die ihm hienieden widerfuhren, keinen Ersatz verlangt, da gerade sie ihm die kräftigsten Entwickelungsmittel seines Lebens in Gott waren. —

Was aber die Bestrafung der Bösen in jenem Leben betrifft, so kann sie, da der ewige Vater seiner Menschen nicht straft, um sich zu rächen, sondem um zu bessern und bis Besserung erfolgt, die Lehre von der Ewigkeit derselben nicht annehmen, sondern betrach­

tet dieselbe als die Folge einer fehlerhaften und einseitigen Auf­ fassung der hieher gehörigen Bibelstellen.

14. Verbindlichkeit des Menschen sittlich zu handeln. Endlich erkennt sie, in Uebereinstimmung mit der nicht durch

die Offenbarung erleuchteten Vernunft, die Verbindlichkeit an, sitt­ lich zu handeln und einer immer reinern, höhem und uneigennü­

tzigem Tugend nachzustreben, als wodurch allein der Mensch mit sich selbst Frieden haben und dem höchsten Gesetzgeber im Reiche der Sittlichkeit gefallen kann.

So sehr sie aber darauf dringt, so

bestimmt erkärt sie sich wider die Verdienstlichkeit aller Büßun­ gen, Entsagungen, Selbstquälungen und andre Künste des Aber­

glaubens, sondern sie erklärt jede That, und wäre sie auch an und für sich löblich, als Almoftngeben, Milderung von Menschen­

elend und dergleichen, sobald sie nicht aus einem tugendhaften Ge­ müthe kommt, für nichtig und ohne alle sittliche Verdienstlichkeit.

15. Sittliches und religiöses Leben.

Die evangelische Kirche erkennt sogar das Leben der Pflicht

nicht für die höchste Stufe des geistigen Lebens an, sondern sie

stellt oberhalb desselben noch das religiöse Leben, für welches jedes Soll der Pflicht zu spät kommt, und wo einer schon nicht darum

das Gute thut, weil er muß, und weil das Pflichtbewußtsein

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ihn dazu zwingt, sondcm weil er, von dem Geiste Christi getrie­

ben, nicht umhin kann, es zu thun.

16. Dreieiniger Gott. Obgleich das Neue Testament nur den ersten Keim der Lehre von dem dreieinigen Gott enthält, so findet die evangelische Kirche

die Wahrheit derselben so tief in dem Wesen der Vernunft ge­ gründet, daß sie diese Lehre von dem einigen Gott, der sich als

Water Sohn und heiliger Geist offenbart, als die nie aufzugebende Grundlage des eigentlich christlichen Glaubens anerkennt, und sie nimmt, mit den obenerwähnten nähern Bestimmungen Alles an, was das apostolische und nicäische Glaubensbekenntniß darüber lehrt.

17. Sündenfall. Ebenso erkennt sie die Lehre von dem Sündenfall für ewige Wahrheit an, ob sie gleich die mosaische Darstellung derselben Sie verwirft aber

nur als dichterische Einkleidung gelten läßt.

die augustinische Ansicht, als habe sich diese ursprüngliche Sünde vermittelst der natürlichen Fortpflanzung auf alle Menschen ver­ erbt und lehrt dagegen, daß das Menschengeschlecht, in der frühe­

sten Periode seines Daseins, zu irgend einer Zeit in allen seinen

Gliedern von der ursprünglichen Gemeinschaft Gottes abgekommen

ist; daß dadurch die Erkenntniß Gottes bei ihm beinahe gänzlich erlosch und die Sünde bei jedem der Nachgebornen zum Vorschein kam, und daß endlich die Wiederholung des Falles bei jedem Ein­

zelnen durch die Nichtachtung auf die Stimme seines Gewissens bei diesem erst eine persönliche Schuld begründet.

18. Freiheit. Demnach lehrt die evangelische Kirche, der Mensch sei nur

in Gott wahrhaft frei, d. h. nur insofern er sich an Gott hält, sei er von allem Einflüsse des Bösen frei, welches ihn sonst von dem was Gottes ist, abzieht, und er könne unter dieser Bedin­

gung der Versuchung allemal widerstehen.

Eben so setzt sie die

Ursache der Sünde in die Willkür, d. h. in die erste unvollkom­

mene Aeußerung der Freiheit.

19. Gottheit Christi. Die evangelische Kirche hält fest auf die Wahrheit der Of­

fenbarung und der Vernunft, daß in Jesu Christo Gottes ringe-

Borner Sohn, der ewige Gegenstand der Liebe des Vaters, als Mensch geboren wurde, um die Menschen durch seine Lehre, sein Lei­

den, und durch die Stiftung des Reiches Gottes auf Erden, aus der

Gewalt der Sünde und des Elends, welches in der bis auf ihn auf­ gehobenen Gemeinschaft des Menschen mit Gott liegt, zu erlösen.

20. Unzulänglichkeit bloßer Sittlichkeit zur Seligkeit Eben so bekennt sie sich zu der Wahrheit, daß nicht nur jene äußerlichen, sogenannten guten Werke, sondern sogar bloße, wenn gleich reine Sittlichkeit zur Seligkeit unzulänglich ist.

Nicht aber

als wenn Gott einen Menschen darum verdamme, weil er nur

ein sittlicher ist;

sondern weil die Sittlichkeit nur eine Harmo­

nie des Menschen mit sich selbst,

die Religion aber, oder der

Glaube, im wahren christlichen Sinne des Worts, oder die innige Beziehung unsers ganzen Dichtens und Trachtens und Liebens auf Gott, die Harmonie des Menschen mit Gott, dem einzigen

Quell der Seligkeit begründet, in welcher Harmonie ihm erst Se­ ligkeit möglich ist.

21. Seligkeit außerhalb der Kirche. Die evangelische Kirche bekennt,

daß außerhalb der Kirche

kein Heil ist, außerhalb der christlichen nämlich, außer der keine

wahre mehr möglich noch denkbar ist.

Sie betrachtet nicht aber

sich allein als die christliche Kirche, sondern sich und die übrigen

sämtlichen christlichen Konfessionen als die mehr oder weniger ge­

lungenen Versuche, die unsichtbare Eine wahre Kirche in der Wirk­ lichkeit darzustellen.

22. Nur in Christo Heil. Diese Lehre, daß außerhalb der christlichen Kirche kein Heil

ist,

gründet sie aber auf die Haupt- und Grundwahrheit der

christlichen Kirche, daß nur in Jesu Christo Heil ist, indem sie die Bewahrerin und Lehrerin der Wahrheit ist, die Er der Mensch­

heit brachte und die Pflegerin des LebenZ in ihm bei ihren Gliedern.

23. Verhältniß der evangelischen Kirche zu denjenigen, die an dem kirchlichen Leben keinen Theil nehmen Vermeinte aber einer ohne sie und auf eigne Hand sein Heil

zu finden,

entweder durch Sittlichkeit allein ohne allen Glauben

oder indem er auf eigne Hand sich die durch die Kirche erhaltene

und entwickelte göttliche Wahrheit eigen zu machen sucht: so wird sie zwar dieses Beginnen, als mißlich, nie billigen, jedoch, da

aller Zwang ihr fremd ist, einen solchen nie zur Theilnahme an

ihrem kirchlichen Leben zwingen; eben so wenig wird sie aber auf­ hören, auch einen solchen als Mitglied der evangelischen Gemeinde als er selbst als

zu betrachten, so lange nämlich und insofern,

ein solcher betrachtet werden will, indem dieses das einzige Mittel ist, daß auch ein solcher zur richtigern Erkenntniß der göttlichen Wahrheit gelange.

24. Ausschließung unwürdiger Mitglieder. Zwar vindicirt sie sich, insofern nämlich die Staatsgewalt,

von der sie abhängig ist, dieses erlaubt, das allgemeine Gesellschaftsrecht unwürdige Mitglieder aus ihrer Mitte auszuschließen, — eine Maßregel, die lediglich von der Gemeinde und deren Vor­

stehern, und zwar nach der Anweisung der bürgerlichen Behörde,

nie aber von dem Lehrer der Gemeinde ausgehen kann, — doch

kann eine solche Ausschließung nie wegen Irr- oder Unglaubens, es sei denn wegen eines gar zu stechen Prahlen's damit, sondern

nur wegen sittlicher Verworfenheit und Ruchlosigkeit zugegeben werden.

25. Ansicht von der Seligkeit derer, die Christum nicht kannten. Obgleich die evangelische Kirche nie von der Grundwahrheit abgehen kann, daß nur in Christo Heil ist,

so ist sie doch fern

davon zu lehren, Gott werde diejenigen verdammen, die aus die­ sem Leben scheiden, ohne Christum erkannt zu haben; sondern sie

hofft, es werde die göttliche Wahrheit, welche Christus der Mensch­ heit brachte, und ohne die keine Seligkeit denkbar ist, ihnen in jenem'beben aufgehen.

26. Hauptpunkt der Lehre Christi. Der eigenen so deutlich ausgesprochenen Ansicht des göttli­ chen Stifters gemäß, betrachtet die evangelische Kirche das von

CMsto verheißene und gegründete Reich Gottes auf Erden, wo einst Sein Wille so vollkommen geschehen soll,

als er im Him­

mel geschieht, und nicht die Versöhnungslehre, deren hohe Be-

deutung sie dadurch übrigens keinesweges herabfttzen will, als den Mittelpunkt der Lehre Christi, und die Verwirklichung dieser Ver­

heißung und der Sehnsucht der Menschheit, als das höchste Ziel ihres Strebens; sich aber, wie überhaupt die gesammte christliche

Kirche, insofern sie die Wahre ist, sammt der Wissenschaft betrach­

tet sie als die Fördrerin dieses Reiches Gottes auf Erden und mithin als die Führerin der Menschheit zu Gott.

27. Herrschende Einseitigkeiten in der Kirche. Aus diesem Grunde betrachtet sie das Verweilen derjenigen Partei, die sich für die allein rechtgläubige halt, bei der Versöh­ nungslehre für einseitig und hinderlich für die Wirksamkeit der

evangelischen Lehre. Eben so bewachtet sie die Sitte jener Partei, in ihren Vorträgen beinahe einzig und allein unsers Herm Jesu Christi, mit fast gänzlicher Uebergehung Gottes des Vaters zu er­ wähnen, als einen Mißbrauch.

Endlich hält sie es nicht minder

für eine schädliche Einseitigkeit, daß die hochwichtige Lehre vom heiligen Geist und vom Reiche Gottes auf Erden fast überall so

gänzlich hintangesetzt worden und beide zu bloßen bedeutungslosen

Redensarten herabgesunken sind.

28. Mittel der Wirksamkeit der Kirche. Die evangelische Kirche erkennt, daß sie zur Erreichung jenes

hohen Zieles, nämlich zur Förderung des ReichesGottes auf Er­ den keine andere Mittel braucht noch begehrt, denn das Wort Gottes und die Wissenschaft,

mit dem Recht freier Forschung,

die Sakramente und die Leitung der religiösen Erziehung und des

religiösen Unterrichts.

29. Die Sakramente. Von den Sakramenten, d. h. der heiligen Taufe und dem

heiligen Abendmahl lehrt sie, daß sie beide für göttliche Gnaden­ mittel anerkennt, durch deren ersteres der Mensch in die Gemein­

schaft Christi ausgenommen,

und durch deren, letzteres er, wenn

er durch die Sünde daraus herausgekommen ist, wieder ausge­

nommen wird.

30. Bedeutung des heiligen Abendmahls. Sie kann mithin der Ansicht nicht beitreten, als sei das heilige Abendmahl eine bloße Erinnerungsfeier, und als wenn das Brot und der Wein in demselben nur der Leib und das Blut unsers

Herrn bedeute; sondern sie erklärt, sie glaube fest, daß unser Herr, der für uns beschrankte Wesen die Gnade an Zeit und Raum gebunden, sich mit dem Gläubigen, der ihm mit der gan­

zen Inbrunst seines Herzens entgegenkommt, in dem Augenblicke, wo er das gesegnete Brot und den gesegneten Kelch empfängt,

aufs Allerinnigste vereine und ihm durch diese selige Wiedervereinigung neue Kraft zu einem neuen heiligen Leben verleihe.

31. Verhältniß der Kirche zum Staate. Was das Verhältniß

der evangelischen Kirche zum Staate

betrifft, so bedauert sie zwar tief den Mangel an Einheit, Ver­ fassung und Vertretung in ihr, und nicht weniger, daß sie durch

die Schuld derjenigen Kirche, schied,

aus deren Gemeinschaft sie einst

aller Selbstständigkeit beraubt und dem Staate unterge­

ordnet worden ist; allein sie will, dadurch, daß sie diese Mißver­ hältnisse ruhig erträgt, bis daß sie im Lichte der Wissenschaft und

bei vollkommener Einrichtung der Staatsverhältnisse von selbst ver­ schwinden, selbst ihren Gliedern das Beispiel des Gehorsams ge­ gen bürgerliche Obrigkeit, den sie lehrt, geben und dadurch der Welt beweisen, daß kein Streben ihr fremder fein kann, als das nach Hierarchie.

32. Der todte und der lebendige Glaube. Obgleich die evangelische Kirche diese Lehren als Grundwahr­

heiten betrachtet, die sie nimmer aufgeben will, und ob sie gleich

sehnlichst wünscht, daß alle ihre Glieder sie als solche erkennen und annehmen mögen; so erklärt sie dennoch, daß sie den kühlen

gleichgültigen Glauben an diese Wahrheiten für etwas völlig werth­ loses und zur Seligkeit gleichgültiges betrachtet, und nur den Glau­

ben als einen christlichen und zur Seligkeit unentbehrlichen gelten läßt, wo der Gläubige die christliche Wahrheit mit der ganzen

Liebe seines Herzens und mit der lebendigsten Ueberzeugung um­

faßt; weßhalb sie auch einen Glaubensgenossen, welcher nur jenen

89 todten Glauben hat, nicht höher, als den redlichen bescheidenen Zweifler schätzen kann.

33. Verhältniß der evangelischen Kirche zu denen, die den wahren Glauben nicht haben. Da nur in der Wahrheit Heil ist, und die Menschen nur insofern selig werden können, als sie Christo leben', welches ohne

alle Erkenntniß der Wahrheit, die er der Menschheit brachte, un­ möglich ist:

so verlangt sie dringend, daß alle ihre Glieder sich

ernstlich bestreben sollen zu dem Verständniß dieser Wahrheit hin­

durch zu dringen; wie denn auch sie ihrerseits in allen ihren Leh­ rern thätig sein will, sie zu diesem Verständnisse zu führen.

Da

es aber einerseits vollkommen unmöglich ist, sich zum Glauben, —

wenn auch ein solcher todter Glaube zu etwas nütze wäre, — zu zwingen, und da Erziehung, bürgerliche Lage und Geistesfä­

higkeiten es so vielen unmöglich machen, zum Verständnisse des Evangeliums hindurch zu dringen: und da anderseits die evange­

lische Kirche gestehen muß, daß es ihre eigene Schuld ist, und entweder an der mangelhaften Verfassung derselben, oder an dem

mangelhaften Verständniß oder Eifer ihrer Lehrer liegt, wenn nicht Mehrere zu diesem gelangen:

so erkennt sie, von denen die sich

zu ihr bekennen, auch diejenigen als ihre Glieder an, die, außer

dem Glauben eines jeden vernünftigen Menschen,

er sei Christ

oder Nichtchrist, an einen Gott, an eine Unsterblichkeit und an

die Verbindlichkeit sittlich zu handeln, Jesum Christum wenigstens als den erhabensten Lehrer und Wohlthäter der Menschheit und das höchste nachahmungswürdigste Tugendvorbild dankbar verehren. Wenn die evangelische Kirche aber auch solche als ihre Glie­ der gelten läßt, die auf diesem niedrigen Standpunkte des Ver­

ständnisses stehen, so thut sie es in der Hoffnung, daß es ihr vermittelst Belehrung durch Gründe gelingen werde, einem solchen zu einem höher» zu verhelfen, und in der Voraussetzung, daß

ihm in seiner Lage mög­ lich war, nicht gelungen sei, sich zu der höhern Ansicht von Jesu es ihm, alles redlichen Forschens, das

Christ, als wahren Gott und wahren Menschen, zu erheben, daß er aber fortfahren werde, danach zu ringen.

Solche aber,

die von Jesu Christo nichts wissen wollen, oder wohl gar gering­ schätzig von ihm reden und sich mit dieser ihrer Verblendung, als

90 einer hohen Weisheit brüsten, duldet sie nur m ihrer Mitte, hof­ fend, daß die ewige Wahrheit auch an solchen Verblendeten ihre

ewige Gottesmacht erweisen wird.

Jene Duldung gewahrt aber

die evangelische Kirche im vollsten Maße.

Sie begehrt nur Leh­

rerin und Seelsorgerin, nicht aber Angeberin und Straferin zu

sein, und wo daher Menschen sich gegen das Göttliche versün­ digen, da überläßt sie die Angabe und Bestrafung eines solchen

Vergehens der bürgerlichen Obrigkeit ganz, ohne sich darein zu

mischen oder dazu aufzureizen.

IV.

Was ist Mysticismus?

(§o wie im Reiche der Körperlichkeit der Planet einen Zug ge­ gen seinen Centralkörper zu fühlt, welcher Zug der Eine Faktor des kosmischen Lebens desselben, die Anziehungskraft des Central­

körpers aber der andere ist: also fühlt auch der Mensch, als Geist

aus Gottes Geist, einen Zug gegen seinen Ursprung, Gott, und dieser Zug, Glaube, Religion genannt, ist wieder der Eine und

die Anziehungskraft Gottes, die Gnade, der andere Faktor des Lebens im geistigen All.

Hier haben wir aber nur mit der er-

stern Kraft im Menschen zu thun, mit der, die ihn treibt, seinem Ursprung entgegen zu streben.

Dieser Zug ist im Anfang nur

ein bewußtloser Trieb, dem gleich, durch welchen die Blume in der dunkeln Stube sich dem Lichte entgegenneigt und das Insekt

dem Licht entgegenstrebt.

Bei fortschreitender Entwickelung des

Menschen entwickeln sich in ihm immer mehr die Fragen, wer

denn dieser Unbekannte sei, zu dem er sich hingezogen fühlt, wel­

ches sein Verhältniß zu demselben sei und endlich was er selbst

sei, und es entwickelt sich in ihm immer mehr das Bedürfniß, sich eine Totalvorstellung davon,— seine Weltansicht, — zu bil­ den, welche natürlicherweise nur insofern einen Werth für ihn ha­ ben kann, als sie ihrem Gegenstände entspricht,— wahr ist.

Ist

es nun sein Herz, das da thätig ist, diese Fragen zu beantwor­

ten, so entwickelt sich aus diesem Streben die Religion, aber seine Vernunft, die Philosophie.

ist es

Nun leuchtet es aber ohne

Weiteres ein, daß er die Wahrheit nur insofem finden kann, als er sie in der Einheit seines Wesens sucht, also nicht als eine bloße Liebhaberei oder als Beftiedigung seiner Neugierde, sondern mit der ganzen Inbrunst und Sehnsucht seiner Seele, uicht mit dem

Verstand, der Vernunft, der Phantasie oder dem Gefühl allein,

sondem mit allen diesen Geisteskräften in harmonischer Entwicke­ lung und Thätigkeit zugleich.

Daß es aber einen solchen Brenn­

punkt des Geistes, wo Verstand, Vernunft, Phantasie, Wille und Gefühl zusammcnfallen, giebt, ist außer allem Zweifel, und

dieses ist es wohl, was man unter dem Namen Gemüth, dem

Mittel und Brennpunkt des Geistes, begreift oder doch begreifen sollte.

Soll also dem Menschen die Wahrheit werden, so müssen

Philosophie und Religion einander immer mehr durchdringen, und

beide immer mehr von dem Gemüth ausgehen, so daß zuletzt der Unterschied zwischen beiden nur in dem Uebergewicht der Ver­ nunftthätigkeit in jener und der der Liebe und der Sehnsucht in

dieser besteht.

Wenn die Vernunft in ihrem Streben nach Wahr­

heit die Mitwirkung der übrigen Geisteskräfte in Anspruch nimmt, so wird sie dadurch nicht bloß erst in den Stand gesetzt, ihre Auf­ gabe zu lösen, sondern sie gewinnt dadurch mehr Eingang und

Einfluß auf das Leben und erhebt und heiligt den Menschen, was sie alles, als eine bloße Vemunftthätigkeit gar nicht oder doch nicht

in dem Grade thut; und wenn hinwiederum das Herz in seinem Stre­ ben nach Wahrheit für sich die Mitwirkung der übrigen Kräfte des

Geistes, besonders die der Vernunft in Anspruch nimmt, so dringt die Religion immer mehr zum Verständniß hindurch, die bei fort­ schreitender Entwickelung des Menschen immer mehr Bedürfniß wird. Diesem allein richtigen Streben des Menschen nach Wahr­

heit, nämlich in der Einheit seines ganzen geistigen Seins, stehen,

als ein doppelter Partikularismus, zwei Abwege gegenüber, die wohl am richtigsten als Nationalismus und als Mysticis­ mus bezeichnet werden.

Ersterer tritt aber in einer doppelten Ge­

stalt hervor, denn einerseits besteht er, und zwar sowohl in der Philosophie als in der Religion, darin, daß der Mensch, seinen

gefallenen Zustand und seine daraus entstandene Verkehrtheit ig-

norirend, sich zutraut, aus sich allein und ohne die Beihülfe einer göttlichen Offenbarung jene große Fragen, welche den Inhalt der Philosophie ausmachen, zu beantworten. Andrerseits besteht er aber

darin,

daß die Vernunft auf eigene Hand und ohne Beihülfe

und Verbindung mit den übrigen Geisteskräften sich zutraut, die­

selben beantworten zu können.

Die Folge dieses Rationalismus

in der Philosophie ist die, daß diese wie bekannt ihre Aufgabe noch nicht hat lösen können, daß sie dieselbe, so weit sie von ihr hat ge­ löst werden

können, einseitig und unvollständig gelöst hat und

daß sie einen verhältnißmäßig sehr geringen Einfluß auf das Le­

ben ausübt.

Zn der Religion aber treten diese Uebelstande noch

stärker hervor, indem die Bernunstthätigkeit, welche in der Philo­

sophie die Hauptrolle, in der Religion aber nur eine Nebenrolle spielt, und welche nicht einmal ihre eigene Aufgabe allein lösen

kann, sich anmaßt eine fremde zu lösen. Der schlimmste dieser Uebelstände ist aber der, daß die Religion unter den plumpen Hän­ den des Nationalismus beinahe ganz verschwindet und sich in

Moral umsetzt, als die höchste Lebensansicht, deren der Rationalis­ mus fähig ist.

Das Wesen des Mysticismus hingegen, als des entgegenge­ setzten Partikularismus, besteht darin, daß in dieser Form des Strebens zu Gott das Erkennen Gottes ganz zurücktritt oder doch mehr eine Sache des Gefühls und der Phantasie als die klarer Vernunftanschauung wird, mit Einem Wort darin, daß der My­ sticismus sich zutraut Gott leben zu können ohne Gott zu erken­

nen. So wie daher der Rationalismus darin fehlt, daß er sich nur an den Verstand, höchstens an die Vernunft hält, die übri­

gen Geisteskräfte aber vernachlässigt, so der Mysticismus grade

durch das Gegentheil. Sobald der Mensch den Urquell seines Seins erkannt hat, so erscheint ihm dieser als das höchste Gut, als der wünschenswertheste Gegenstand seines Strebens, und dieses Streben zu ihm als sein wahres Leben und die volle Gnüge der Seligkeit, welches

sein unruhiges Herz bis dahin im Endlichen gesucht hatte.

Er

fängt an Gott zu leben, und nun erst wird seine Religion, die bis dahin nur ein Streben nach Gotteserkenntniß war, wahrhaft

Religion, d. h. ein Beziehen seines ganzen Dichtens und Trach­ tens auf Gott und ein Leben in Gott.

Nun ist aber die My­

stik ebenfalls ein Suchen Gottes, und zwar nicht sowohl mit

dem klaren Blick des Verständnisses als mit den offnen Armen der Sehnsucht, nicht sowohl das Hangen unsers geistigen Blickes

an ihm, als das Verweilen unsrer Liebe bei ihm; und so fällt

die wahre Mystik insofern mit der wahren Religion zusammen,

daß beide mehr ein Tottleben als ein Gotterkennen sind.

Beid

suchen Gott und eine Vereinigung mit ihm und beide halten diese

Vereinigung mit ihm und das Leben in ihm für möglich und beide

machen diese zu ihrer Hauptsache.

(Daß aber die wahre Religion

d. h. das Christenthum wirklich dieses Hinstreben zu Gott und

diese Vereinigung mit ihm, die dem Rationalismus so undenkbar und abenteuerlich erscheinen, für etwas Mögliches,

Nothwendi­

ges und Hauptsächliches hält, zeigt das Festhalten desselben

an

der höchsten Ansicht des Abendmahls, des Kulminationspunktes

des christlichen Lebens, welcher zufolge der Gläubige in demselben

mit seinem Erlöser und, durch ihn, mit Gott aufs Allerinnigste vereinigt wird.)

Indessen, wenn wir uns die Mystik auch noch

so veredelt und von allen verunstaltenden Zuthaten befreit denken,

so bleibt doch ein wesentlicher Unterschied zwischen ihr und der Religion.

Denn diese gründet sich auf eine durch die Wissen­

schaft und die Rekonstruktion der Offenbarung im menschlichen

Geist gewonnene Vernunftanschauung von dem Verhältnisse des Menschen zu Gott, während die Mystik dieses Licht verschmäht oder gar flieht.

Die wahre Religion ist durch die lichte Pforte

des Verständnisses zu Gntt eingegangen und hat das Verständ­ niß hinter sich, während die Mystik nicht einmal dazu kommt, es

zu suchen.

Die wahre Religion ist der Tag mit seiner leuchten­

den und wärmenden Sonne, die Mystik aber die Nacht mit ihren

tausend Lichtern, die doch alle zusammen dem Einen des Tags an Helle nickt gleichkommen; jene ist endlich das heitre Wachen, diese das sinnige Träumen. Ist also in dem Mysticismus auch in dessen vollkommenster Gestalt eine Einseitigkeit vorhanden, so tritt diese mit der Ausar­

tung desselben immer mehr hervor.

Auf der nächsten niedrigen

Stufe schwelgt er in Gefühlen und Phantasien und giebt das Han­ deln für die Welt der Wirklichkeit ganz auf; auf einer noch nie­

dern spielt und tändelt er mit dem Geheimnißvollen und den Sym­ bolen desselben; auf der niedrigsten endlich fängt dieser Selbstbe­

trug an, in Heuchelei überzugehen.

Tauler, die Anachoreten, die

Karfunkelsänger und unsere heutigen Frömmler können diese Stu­ fenleiter bezeichnen. —

Hieraus geht nun auch hervor, welchen

Nutzen die Wissenschaft von den Schriften der Mystiker zu hoffen

hat,

von den achten und tiefsten nämlich,

denn andere können

hier natürlicherweise in keinen Betracht kommen.

Zwar hat die

Aufklärerei und der Rationalismus darin Unrecht, wenn sie ihn

wegwerfend behandeln, aber auch unsere neueste bessere Zeit scheint darin Unrecht zu haben, sich so viel davon zu versprechen: ob es immer gleich eine interessante Erscheinung ist, zu sehen, mit wel­ cher Freudigkeit die besten Köpfe unserer Tage jedem bedeutenden

Mystiker entgegenkommen,

als

hofften sie in dessen

Schriften

ganze neue Kapitel aus der Offenbarung der Wahrheit zu finden.

Zn der Geschichte der Entwickelung des menschlichen Geistes, als der Naturgeschichte des menschlichen Denkens, find die Mystiker allerdings sehr beachtenswerth,

aber daß die Mystik uns große

Aufschlüsse über die Frage: was ist Wahrheit? geben könnte, die­

ser Hoffnung widerspricht schon der Umstand,, daß sie ein Parti» Interessant und beachtungswerth werden immer

kularismus ist.

ein Swedenborg, ein Jakob Böhme und dgl. in der Geschichte der Philosophie bleiben; aber den Nutzen, den sie der Sache der Wahrheit bringen, wird man schwerlich je besonders hoch anschla­

gen können.

Wer ein ganzes Menschenleben darauf zu verwen­

den hätte, die Goldkömlein der Wahrheit in ihren Schriften zu

sammeln, der würde zwar nicht ganz leer ausgehen, sich aber

doch am Ende gestehen müssen, er habe dieses Gold viel zu theuer gekauft und er habe es anderweit lichter und weit reichlicher ge­

winnen können. Der Mysticismus hat zwar seinen Namen vom Geheimniß­

vollen, allein darum ist doch nicht jede Hinneigung zu demselben

als z. B. die Lust mit Geistern zu verkehren, mit den geheimniß­ vollen Naturkräften zu spielen rc. Mysticismus, sondern vielmehr

Wundersucht oder dgl. zu nennen.

Nur Ein Geheimniß beschäf­

tigt den wahren Mystiker, das, welches jene Hauptaufgabe des

menschlichen Geistes in sich faßt. —

Hieraus geht nun aber

auch hervor, worin der Unterschied zwischen Mysticismus und

Schwärmerei besteht.

Während der Mysticismus, zumal der

wahre, nur Einen Gegestand seines Strebens, seiner Sehnsucht

und Liebe kennt, kann man für alles Andere, dieses Eine ausge­ nommen, schwärmen; denn es wäre Unsinn von jemandem zu sa­

gen, er schwärme z. B. für das Göttliche.

Die Schwärmerei

96 entsteht, wenn bei einem, bei Unkenntniß der wahren Verhält­ nisse der Dinge und bei Uebermaß des Gefühls und der Phanta­

sie, irgend ein besonderes Streben sich entwickelt und nun dieser

seiner überspannten Vorstellung gänzlich lebt, dabei aber, von der Unfehlbarkeit seiner lebhaften individuellen Ueberzeugung eingenom-

ttien, es vermeidet, sich eine richtigere Ansicht von seinem Lieblings­

streben und von dem Werth desselben in Hinsicht der übrigen Ge­

genstände der menschlichen Thätigkeit und Liebe zu verschaffen. Die Schwärmerei kommt daher nur insofern mit dem Mysticis­ mus überein, daß sie, diesem Gliede ein Partikularismus ist.

V.

Ueber die Entstehung der verschiedenen Menschenra^en.

£)um Tempel der Wahrheit führen bekanntlich zwei Stufen; die

untere heißt Möglichkeit, die obere Wirklichkeit.

Von der

untern schauen wir die Dinge an, wie sie allenfalls sein könn­

ten, von der obem, wenn wir sie sonst betreten können, wie sie wirklich sind.

Wem es aber nicht vergönnt ist, die zweite Stufe

zu ersteigen, hat dennoch dadurch, daß er sich auf die erste schwang, seine Menschenwürde beurkundet.

Denn diese besteht, als Wissen,

darin, daß der Mensch das ihn umgebende Universum in seinem

Geiste abspiegelt und seinem Geist die Dinge so vorstellt, als sie an sich sind.

Nun ist aber klar, -daß eine solche Vorstellung

nicht eher ein Reflex des Wirklichen, des Gegenstandes, sein kann, als sie nicht nur eine mögliche ist, als das Denken, indem das­

selbe sie bildet, in keine Widersprüche mit sich selbst geräth, son-

dem keinen objektiven Widerspruch in sich enthält.

Soll z. B.

meine Vorstellung von dem Ring des Saturns möglicherweise

wahr sein können, so muß ich mir erstens diesen Ring nicht als

viereckig denken, indem Ring und viereckig sich widersprechen, und dann etwa nicht als eine bloße, durchaus immaterielle Lichtmasse,

indem es der Natur des Lichtes widerspricht, etwas so scharf Abgegränztes zu bilden und anders als an der Materie zu erscheinen. Erst wenn meine Vorstellung von diesem und ähnlichen Gebrechen

frei ist, ist sie insofern denkbar, d. h. ist es möglich, daß der Ring des Saturns solcher ist, wie ich ihn mir denke, womit frei­ lich indessen noch gar nicht abgemacht ist, daß er wirklich meiner

Vorstellung entspricht.

Der erste Schritt zur Wahrheit und die

Bedingung, daß wir ihr näher kommen können, ist daher die, 7

Ä8 daß wir uns von der Sache eine Vorstellung machen, die wenig­

stens denkbar ist.

Nur so können wir vielleicht einst zu einer der

Sache wirklich entsprechenden gelangen. gefangen hat,

Sobald daher einer an­

sich um das Wie der Dinge zu bekümmern, so

muß er sich um jeden Preis eine wenigstens denkbare Vorstellung

desselben bilden, sollte sie auch fürs erste eben nur denkbar, eine Hypothese anstatt eine evidente Wahrheit sein.

Bei der Beschränkt­

heit des menschlichen Erkennens ist es schon ein Gewinn, sich eine Sache denkbar zu machen, wenn man auch nicht zum Wirklichen hindurchdringen kann.

Wenigstens ist dann der Geist so lange zu­

frieden, als jene Denkbarkeit hält. Zu diesen Vorstellungen, mit denen wir wenigstens bis zur Denkbarkeit hindurchzudringen gezwungen sind, gehört unstreitig

auch die von der Entstehung der verschiedenen Menschenraven.

Da

wird es uns nun gleich von vornherein unmöglich,mehrere ursprüng­

liche Menschenpaare anzunehmen, obgleich, da nichts hindert uns dieselben so verschieden als wir es nur irgend wollen zu denken,

die ganze Frage mit einer solchen Annahme ohne Weiteres gelöst wäre.

Aber schon die weise Einfachheit und Sparsamkeit, die wir

überall in der Schöpfung wahrnehmen und das überall sichtbare und der Weisheit des Ordners der Dinge so angemessene Streben, die

Aufgabe des Universums auf dem einfachsten Wege zu lösen, wi­

derspricht dieser Annahme;

wenn wir auch von allen sittlichen

Gründen, die hier vielleicht noch mehr ins Gewicht fallen dürften, absehen wollten.

Nichts dürfte aber die Unhaltbarkeit der Annahme:

die Urmenschen seien an verschiedenen Punkten der Erde von den Naturkräften hervorgebracht, sosehr beweisen als die von Gelpke

(in dessen Schrift über das Urvolk der Erde zc.) gemachte Ein­ wendung, daß dann das Menschengeschlecht in Amerika noch wei­ ter von uns abstehen würde, als der Urang-Utang und daß der

von den Naturkräften dieses Welttheils hervorgebrachte Mensch eben so ungestalt sein würde, wie das Faulthier nmd die übrigen

daselbst ursprünglichen unansehnlichen und beinahe mißgestalteten Thiere.

Auf der andern Seite scheinen die Gründe, welche man

wider die Abstammung des Menschengeschlechts von Einem Paar vorbringt, nicht sonderlich ins Gewicht zu fallen. Einmal wäre dann, sagt man, die Bevölkerung der Erde dem Zufall überlassen; als wenn

es vor der Gottheit einen Zufall gäbe, und als wenn Der, wel­

cher das Dasein des Menschengeschlechts beschloß und den ersten Menschen schuf,

die jetzt auf der Erde lebenden 4 — 500 Mill.

Menschenpaare nicht eben so gut erhalten muß, wenn sie bestehen

sollen, als das erste Menschenpaar.

Ferner wäre, sagt man, die

Verbreitung des Menschengeschlechts durch Auswanderungen von

Einem Punkt aus gar zu unwahrscheinlich.

Kennen wir denn

aber den Urmenschen und den Instinkt, der ihn int Anfänge sei­ nes Daseins leitete? Wissen wir denn, ob er nicht grade einen solchen Auswanderungsinstinkt hatte und beweiset denn das Aus­ ziehen unzähliger Menschenschwärme aus den Hochebenen Asiens

nichts? Die Richtigkeit der Bemerkung, die ferner gemacht wird,

daß eine fruchtbare Begattung zwischen Individuen von den entge­ gengesetztesten Ra§en nichts für die Abkunft des Menschengeschlechts

von Einem Urstamm beweiset, müssen wir zugeben; aber eben so wenig scheint dieser Umstand wider diese Abstammung zu beweisen.

Nur der Einwurf, daß sich der Ra^enunterschied nie verwischt, scheint vom größten Gewicht zu sein.

Denn die Erfahrung, daß Euro­

päer, welche Jahrhunderte lang unter Negern lebten, dennoch nichts

Negerartiges annahmen, es sei denn daß eine Vermischung mit

ihnen statt gefunden hatte, scheint der Annahme zu widersprechen, als sei diese körperliche Verschiedenheit nur eine Folge der klima­

tischen.

Wer weiß aber, ob nicht auch die Erfahrung, wenn man

nur recht genaue Nachfrage hielte, wenigstens leise Spuren davon aufzuweisen hätte, daß, so wie die Negerfarbe, auch ohne Vermi­ schung, im Verlauf der Jahrhunderte in weiter vom Aequator

gelegenen Ländern erbleicht, die Negerbildung auch zurücktritt und daß in dem Grade als geistige Bildung den klimatischen Unter­ schied unterstützt, auch die vorgestreckten Kiefern zurücktreten und der Hirnschädel sich freier wölbt.

Wenigstens behauptet Calda-

nus, (Institutiones physiol. Patav. 1773 pag. 144) daß ein

Neger, der als ein Kind nach Venedig gebracht worden war,

durch einen langen Aufenthalt daselbst so sehr von seiner Schwärze verlor, daß er am Ende nur gelblich war.

Ferner soll sich in Ko­

penhagen eine Negerfamilie befinden, welche nur erst in der zwei­ ten Generation da lebt, aber schon die dunkle Schwärze der Haut verloren hat. —

Ebenso sollen nach Zimmermann (geograph.

Geschichte der Menschen, 1. Th. S- 79 — 97) Menschen von der

7*

kaukasischen Ra?e in heißen Ländern die schwarze Farbe annehmen, die, nach Blumenbach dadurch entsteht, daß ein Theil des Koh­

lenstoffes in dem gekohlten Wasserstoffgas, welches sich in den

heißen Ländem vorzüglich entwickelt, unter der Oberhaut in dem Schleimhäutchen niedergeschlagen wird, wodurch dasselbe schwarz gefärbt wird. —

So kamen nach Zimmermann die Mauren

und Sarazenen im 7. Jahrhundert als braune Menschen nach dem

nördlichen Afrika, gleichen aber jetzt, nachdem sie tiefer gegen den Aequator hinuntergegangen sind, dem wahren Neger an Farbe

vollkommen. So sind die Nachkommen der Portugiesen, welche sich im 14. Jahrhundert nicht weit vom Senegal niederließen, nicht von

den Negern zu unterscheiden.

Eben so sind die Juden, welche

sich einst in Abyssinien niederließen, und vermöge ihrer Religions­

gesetze sich mit den Negern nicht vermischt haben, jetzt eben so

schwarz wie die Abyssinier.

Soll man aber Ein Urvolk, als die

Nachkommen Eines Urpaars, annehmen, — und wir können von

dieser Annahme schwerlich loskommen,— so kann man, wie auch Link in seinem Buche: die Urwelt und das Alterthum, dem wir hier folgen, es annimmt,—

dieses nirgends anders als un­

ter den Negern suchen, einmal weil der Negerstamm unter allen Menschenstämmen unstreitig der unvollkommenste ist und die Na­

tur immer von den unvollkommnern Geschöpfen zu den vollkommnern fortschreitet, und dann weil im Thierreich der schwarze Stamm

in der Regel der Urstamm ist, der weiße hingegen der abgeleitete. Indessen scheint das heiße, in seinem Innern sandige und vermuth­ lich mit großen Sümpfen und Lagunen bedeckte Afrika, zumal als eine abgeschnittene Halbinsel zu einer Wiege des Menschengeschlechts

wenig geeignet.

Nün wird aber das Innere der großen Inseln

im indischen Meere noch heutzutage von einem Negervolk (Ha-

raforas) bewohnt.

Auf diesen Inseln, die in den frühern Zeiten

wahrscheinlich mit dem Festlande zusammenhingen, wäre daher die

Wiege des Menschengeschlechts wohl am ehesten zu suchen, und

wenn die Phantasie hier einen festen Punkt verlangt, wohin na­

mentlich sie dieselbe zu verlegen hätte, so mag Seilan mit seinem Pic Adam und mit der Sage, daß dort der erste Mensch gelebt

habe, ihr für einen solchen gelten.

Auch einige Züge der indischen

Mythologie als der schwarze Bud ha, Krishna der schwarze und

Hanuman, der Fürst der Affen, Krishna's Freund und Gehülfe,

scheinen auf einen schwarzen, den Affen nicht ähnlichen sondem

ähnlich gewordenen Urstamm hinzudeuten.

Von hier mag sich

nun der Negerstamm nach dem Innern von Afrika hin verbreitet

haben, wo er durch die isolirte Lage diefes Welttheils und durch hemmende klimatische Einflüsse in dem Fortschritt zur Bildung

aufgehalten worden sein und sich von den übrigen am schärfsten unterschieden erhalten haben mag.

Zugleich mag er sich aber auch

nach dem Norden und Osten verbreitet haben.

Der erste durch

Klima, Zeit und die Eigenthümlichkeit des Entwickelungsganges vermittelte Uebergang des Negerstammes war der nach dem Nor­

den und Osten in den malayischen, welcher durch dieselbe Vermit­ telung später in den mongolischen überging, so wie dieser in sei­

ner östlichen Verbreitung in den amerikanischen und durch seinen

nordwestlichen in den kaukasischen, während der Negerstamm im Innern von Afrika nördlich in den,

den Uebergang zum kauka­

sischen vermittelnden Kafferstamm und südlich in den, den Ueber­

gang zum mongolischen vermittelnden Hottentottenstamm überging. So weit nach Link.

Wenn wir den ursprünglichen Sitz des Men­

schengeschlechts auf den großen Inseln im indischen Meere annehnehmen, so zog die früh entstandene Abart der Mongolen erstlich nordwärts nach Hinterindien, dann ostwärs an den Küsten herab

nach Turkin und China, verbreitete sich gegen das Innere des Landes, wo die Gebirge sie lange zurückhielten, bis sie endlich über diese nach Tibet und in die Kalmükei vordrangen.

In den

ebenen und fruchtbaren Landern von Chiam, Cochinchina, Tunkin

und China bildeten sich diese- Völker mehr aus, als die in den innern gebirgigen Gegenden, vorzüglich das chinesische, vielleicht weil in gemäßigten Himmelsstrichen die Thätigkeit der Menschen dauernder und inniger erregt wird, als in den heißen Gegenden. Link II, 233.

Wir haben Klima, Zeit unt> die menschliche Entwickelung als die Bedingungen für den Uebergang einer Menschenrare in

eine andere gesetzt, und daß sie, zumal in Wechselwirkung auf ein­ ander, einen solchen bewirken können, ist mehr als bloß wahrschein­ lich.

Nehmt ein Negerpaar (o geschähe doch in der That dieser

Versuch!)

gebt ihnen die höchste mögliche geistige Bildung und

die Gestalt (Schädel und Kiefer) ihrer Nachkommen müssen sich

veredeln, das kann schlechterdings nicht fehlen.

Bei der Ent­

menschlichung, als etwas, was nie im Nathschlusse der Vorsehung liegen kann, wie der Fortschritt zur Humanität, möchte dieses in­

dessen nicht gelten. —

Was nun den mächtigsten dieser Fakto­

ren, die Entwickelung und Bildung betrifft, so läßt sich von vornherein ein dreifacher Zustand desselben annehmen.

schreitet gar nicht vorwärts,

Entweder sie

oder die Menschen erheben sich zu

einem bedeutenden Grad der Bildung, bleiben aber dann Jahrtau­

sende lang auf derselben Stufe stehen, oder ihre Entwickelung wird

zu einem immer weiter und ins unendliche gehenden Fortschritt. Auf der andern Seite ist aber offenbar, daß diese verschiedene Bildungsstände, außer denen kein andrer mehr möglich ist, sich nach dem Vorzug der einen Raye vor der andern richten müssen.

Der

unvollkommenste Menschenstamm, der der Neger, bleibt immer bei­ nahe auf derselben Stufe stehen, auf die ihn die erste Nothwen­

digkeit des Zusammenseins von Menschen mit Menschen hinstellte und scheint sich gar nicht darüber erheben zu können.

Der nächste

höhere Menschenstamm, der malayischeund mongolische, als Einer

genommen, ging aus dem unvollkommnern Urstamm hervor, weil

ein Theil des letztem sich über die Inseln Südasiens, über Indien und das heutige China verbreitete, wo die Natur weit anregender

auf den Menschen gewirkt haben mag, als im sandigen erstorbenen

Mittelafrika, wo der Urstamm eben aus diesem Grunde das blieb,

was er in seinem Ursitze war.

Diese durch die Natur bewirkte

Veredelung des Urstammes bewirkte eine fortschreitende Entwicke­ lung, allein bald machte sich die vis inertiae der nahen Abstam­

mung aus dem unvollkommensten Menschenstamm geltend, und dieser Stamm blieb, nachdem er eine gewisse Höhe der Ausbildung erreicht

hatte, auf dieser Stufe für immer stehen.

Endlich potenzirte sich die

menschliche Natur zum kaukasischen Stamm, und ihrFortschritt ward

nun -ein ins Unendliche weiter gehender.

Dieser hat von der Vor­

sehung die Aufgabe bekommen, nachdem die Reibungen unter den Völkern, welche denselben ausmachen, aufgehört und sie die Haupt­ bedingungen für ein höheres Sein bei sich erfüllt haben werden,

auf den Fortschritt der übrigen Menschenstämme aufregend einzu­

wirken, wobei der Gang natürlich kein anderer als von dem voll-

kommnern Stamm zum minder vollkommnen heruntersteigend sein kann.

Dem kaukasischen Stamm steht der amerikanische, zumal in

Nordamerika am nächsten. Auf ihn hat die Einwirkung schon Hätten die Europäer aber die ihnen von der

mächtig begonnen.

Vorsehung ertheilte Bestimmung begriffen, so hätten sie vorher ihren asiatischen Stammbrüdern die ihnen von denselben einst ge­

brachte bürgerliche Ordnung und Sittigung, welche bei diesen un­

tergegangen war, zurückgebracht.

Ob man sich nicht indessen die

Kreuzzüge als eine instinktmäßige Ahnung dieser Aufgabe betrach­ ten darf?

Nachdem sie aber einst wird gelöst worden sein, wird

der Konflikt mit dem mongolischen und endlich mit dem malayiDie letzte Aufgabe der gebildeten Mensch­

schen Stamm beginnen.

heit wird aber die sein, dm Urstamm, den am niedrigsten stehen­ den, in dem geheimnißvollen Afrika aus seiner Lethargie zu we­ cken und ihn durch die Sittigung und Bildung, welche sie ihm bringen wird, zu einer höhern Stufe des menschlichen Seins zu

erheben. Ist unsere Annahme eines dreifachen Bildungszustandes rich­ tig, so muß sie sich auch ferner in den Sprachen, diesen Zei­

gern der jedesmaligen Entwickelungsstufe nachweisen lassen. Und in der That scheint die Erfahrung dieses zu bestätigen. Die Spra­

chen der Negervölker sind ein formloses, ungeordnetes Chaos, wel­

ches auf gar keine Bildung hin weist.

So wie aber der Ne­

gerstamm in den malayischen überging, so ging die kindische Ur­

sprache in die einsylbige Siamische und Chinesische über, welche, bei aller grammatikalischen Biegungslosigkeit, doch auf einen be­ Diese Sprache geht nördlich in die der Mantschu und südlich in die der

deutenden Fortschritt derer, die sich ihrer bedienten, hinweist.

Malayer, welche beide die Mitte zwischen den ein- und vielsylbigen bilden, über.

Erst bei dem kaukasischen Menschenstamm er­

reicht auch die Sprache ihre höchste Vollendung, die sich beson­

ders in dem Uebergang zu der chr eigenthümlichen, den Namen­

laut und nicht die Sache bezeichnenden Schrift kund thut.

Aber

auch beim kaukasischen Stamm zeigt sich eine doppelte Tendenz,

einmal ein Ueberrest, der in den niedriger stehenden Stämmen noch

stärker vorwaltenden vis inertiae, und dann die zum unendlichen Fortschritt.

Wir möchten jenen den Orientalismus,

Germanismus nennen. schen Sprachen an,

diesen den

Dem Orientalismus gehören die semiti­

der Germanismus hat in der Zendsprache

seinen Ausdruck gefunden.

Die Zendsprache nun wirkte bildend

zurück auf einen weniger vollkommnen Stamm und erzeugte die

Sanskritsprache, welcher die griechische, lateinische und slavische

entstammen, so wie die germanischen unmittelbar der Zendsprache. Die in der Sanskritsprache erscheinende höchste Sprachausbildung

verdankt also ein niedriger stehender Stamm dem am Höchsten ste­

henden. Wir haben an einem andern Ort (Studien 1 Heft, S. 60)

dargethan, daß das intellektuelle Leben durch keine Steigerung des

Vegetativen, d. h. des Lebens des Organismus, sondern erst durch ein Uebergreifen der Gottheit zu erklären ist.

Wenn daher der

Mensch Geist aus Gottes Geist ist, so scheint es, um noch ein­

mal zum Urstamm der Menschheit zurückzukehren, unnatürlich, den thierischen, dem Affen am nächsten stehenden Neger als den aus Gottes Schöpferhand hervorgegangenen Urmenschen anzunehmen.

Allein auch hier bietet sich ein sehr nahe liegender Erklärungsgrund -ar, wenn sonst der Naturforscher nicht verschmäht von den Er­

gebnissen der Offenbarung und der Spekulation Notiz zu nehmen. Beide lehren nämlich in wunderbarer Uebereinstimmung mit ein­ ander und dazu noch mit der Erfahrung, einen ursprünglichen Fall

-es Menschengeschlechts.

Wenn also auch der Naturforscher die

Wahrheit in ihrer organischen Einheit gelten lassen will und sich

für verbunden hält, sie

in dieser Einheit zu suchen und von

-em Notiz zu nehmen, was auch in andern Sphären des Wissens Wahrheit ist, so braucht er den heutigen Neger nicht als den Ur­

menschen, sondern als den sinnlichen Typus des gefallenen Men­ schen anzusehey. Der Urmensch wäre demnach nicht der heutige

Neger mit der zurückstoßenden Affenphysiognomie, sondem etwa, wenn man nicht sonst das Gewicht dieser eben so schönen als auf­

fallenden Ueberlieferung verwerfen will, die Aithioper Homers,

„die gerechtesten der Menschen, die Lieblinge der Götter, zu deren Festen diese sich begeben."

Durch den Fall aber, der ein Abfall

von dem Leben in Gott und ein Zurücksinken des Menschen in

sich war, mußte der Urmensch, der gerechte Aithiope, sinnlich und thierisch werden, und daß durch diese geistige Verwandelung auch seine körperliche Gestalt verwandelt wurde, daß die Organe des

Fressens hervor- und die seines geistigen Lebens zurücktraten, ist wohl mehr als bloß wahrscheinlich.

Ein so ungeheurer Riß als

der Abfall des Menschen von Gott war, mußte auch im Physi-

105 schen auffallende Erscheinungen hervorbringen.

Das auch nach

dem Falle im Menschen zurückgebliebene Minimum

eines Gött­

lichen hat aber diese affenartige Umatur in andern Menschenra^en

schon eher als das welterlösende Evangelium an sie gelangte, auf­ gehoben, und einst wird die von dem edelster Menschenstamme aus­

gehende höhere Bildung und das geistigere, auf Gott zurückgeführte

Leben die Formen des gefallenen

und mit dem Gepräge des

Falls bezeichneten Urstamms so veredeln, daß an ihm am Ende nichts Neger- und Affenartiges mehr zurückbleiben und er sich nur etwa durch seine schwarze Farbe und sein krauses Haar von den

andern Stämmen unterscheiden wird.

VI. Das

Bewußtsein

als

Princip

der

Erkenntniß

und der Philosophie.

Da

das Bewußtsein, wie es im 1. Hefte oben S. 10 ff. kürz­ lich dargestellt worden, derSchlußstein desHartman'schcnSy­

stems ist, mit welchem dieses steht oder fällt, so wird es um so nöthiger sein, hier besonders anzudeuten, — wie wir denn hier nur Andeutungen geben können, — einmal wie das Bewußtsein

das Erste und Letzte der Erkenntniß ist, und dann, wie sich diese

Hartman'sche Lehre vom Bewußtsein, als höchstem Princip der Erkenntniß, gegen die Einwürfe vertheidigen ließe, die aus dem Gesichtspunkte der dermalen herrschenden Philosophie dagegen

gemacht werden können.

So wie, nach dem Ausspruche Schlegels, die Philosophie subjektiv betrachtet, immer , wie ein Epos, in der Mitte anfangt,

so scheint sie auch, objektiv genommen, mitten im Gegebenen und vom Standpunkte des gewöhnlichen Denkens anfangen zu müssen.

Denn an dem Menschen, wie er sich beim ersten Selbstbesinnen vorfindet, ergehen jene ewigen Fragen, deren Beantwortung eben

die Philosophie ausmacht, und mit den Fähigkeiten, deren er sich bei diesem Selbstbesinnen bewußt wird, muß er an die Beantwor­

tung -jener Fragen gehen.

Von jedem andern Standpunkte an

die Philosophie anfangen wollen, hieße sie mit einem Sprunge anfangen wollen, und welche Gewißheit ließe sich von einer Phi­ losophie erwarten, die auf die Frage,

wie sie von dem Stand­

punkte des gewöhnlichen Denkens zu dem selbstgewählten gekommen sei, die Antwort schuldig bleiben müßte!

Daß jener Standpunkt kein anderer sein könne als der des Bewußtseins, leuchtet von selbst ein; denn Alles, was wir wissen,

wissen wir nur insofern, als wir uns dessen bewußt werden, also

insofern es vor unserm Bewußtsein steht.

Nur was innerhalb

des Kreises desselben liegt, ist für uns und unsre Erkenntniß da,

wahrend, was außerhalb, für uns gar nicht existirt.

Etwas er­

kennen heißt also nichts anders, als es vor ben. Spiegel des Be­

wußtseins bringen und zusehen, wie es sich in demselben darstellt.

Tritt aber das zu Erkennende nicht in unser Bewußtsein ein, so wird es nimmer unser Eigenthum. Bewußtsein ist der Akt des Wissens: wo der nicht vor sich geht, wo nichts gewußt wird, da ist natürlich auch kein Wissen.

Da nun also alle Erkenntniß in­

nerhalb des Bewußtseins liegt, und da wir durch unser Philoso­

phiren eine Erkenntniß suchen, so muß die Philosophie nothwendig vom Bewußtsein ausgehen. Philosophiren heißt vorerst, eine Erkenntniß suchen, obgleich

nicht jedes Suchen einer Erkenntniß darum Philosophie ist.

Nun

kann man aber nicht erkennen, ohne Etwas zu erkennen.

Die

Erkenntniß hat also ein Objekt.

Welches Objekt wollen wir also

durch unser Philosophiren erkennen?

Ohne Zweifel Alles, was

Objekt der Erkenntniß ist oder sein kann, also uns selbst, die Welt und die letzte Ursache von Allem was da ist.

Warum wollen wir

aber dieses erkennen? Eigentlich schon darum, weil das Erkennen dem Geiste eben so Bedürfniß ist, als dem Körper das Athemholen, als der Biene das Honigsammeln und Zellenbauen. So­ dann aber auch, ohne Zweifel, um ein adäquates Bild unsers

Selbst, das wir ebenfalls nur insofern erkennen, als es vor un­ serm Bewußtsein steht, und der Welt zu. haben; also um uns und

die Welt zu verstehen, um zum Verständniß des Daseins zu kom­ men, und um uns daher so benehmen zu können, daß wir mit

uns selbst und mit allem, was uns umgiebt, in keinen Wider­ spruch gerathen.

Der Zweck unsers Philosophirens wäre also

erreicht, wenn wir erstens uns ein vollkommen adäquates und

bleibendes Bild alles dessen verschaffen könnten, was sich uns in unserm Bewußtsein vorübergehend darstellt, und wenn wir, da

die Verhältnisse und Ursachen des Ganzen sich dem Bewußtsein nicht unmittelbar darstellen, sondern in dem Gegebenen beson­ ders ausgesucht werden müssen, auch diese dergestalt vor das Be­

wußtsein bringen könnten, daß wir uns auch davon ein solches ihnen völlig entsprechendes Bild verschaffen könnten, insofern das

im Dewußtsein.Vorkommende auf diese Verhältnisse und Ursachen

hinweist und sie voraussetzt.

Wäre beides dieses möglich, so hät­

ten wir in uns ein zwar nicht erschöpfendes, aber doch getreues

und in sich vollständiges Bild des Ganzen, so weit wir damit

in Berührung kommen, und könnten also, im Besitz wahrer, dem

Ganzen entsprechender Vorstellungen, so denken und handeln, daß wir dadurch keinen Widerstreit mit ihm zu befürchten hätten. Die Möglichkeit der Philosophie beruht daher auf der Mög­

lichkeit, folgende drei Fragen genügend zu lösen: wahre Erkenntniß an sich möglich?

1. Wie ist eine

2. Wie ist eine wahre Er­

kenntniß der sich dem Bewußtsein darstellenden Objekte möglich?

und 3. Wie ist eine wahre Erkenntniß der sich in ihm nicht un­ mittelbar darstellenden Verhältnisse und Ursachen derselbm möglich, auf welche das im Bewußtsein Vorkommende hinweist und welche

es voraussetzt? Da man aber nicht erkennen kann, ohne.etwas zu erkennen, so fällt die erste dieser Fragen mit den beiden fol­ genden zusammen.

Dagegen zeigt sich in der Erkenntniß des im

Bewußtsein Vorkommenden sogleich eine Doppelheit. Das Ob­ jekt derselben verändert sich unaufhörlich, jinb die Erkenntniß muß

sich also, soll sie wahr bleiben, parallel mit demselben verändern. Dieser Wechsel kann aber nur als die Aeußerung eines hinter ihm verborgenen Seins gedacht werden, und wir müssen daher, um das Objekt vollständig zu erkennen, es nicht nur in seiner wech­ selnden Erscheinung,

sondern auch in seinem sich immer gleich

bleibenden Sein, das jener ohne Zweifel zum Grunde liegt, er­

kennen.

Mithin gestalten sich die Hauptfragen der Philosophie

nunmehr also:

1. Wie ist eine wahre Erkenntniß des sich in un­

serm Bewußtsein Darstellenden möglich, insofern es eine wechselnde Erscheinung ist? Wenn dieser Erscheinung ein sich gleich bleiben­

des Sein zum Grund liegen sollte, wie ist dieses, das sich wohl nicht- unmittelbar unserm Bewußtsein darstellt, zu erkennen? Nun

ist aber dieses Letztere nur insofern zu erkennen, als wir es vor unser Bewußtsein bringen, indem nur da Erkenntniß möglick ist. Es gestaltet sich diese zweite Frage wieder also: Wie ist das im Be­

wußtsein nicht unmittelbar Vorkommende also, einmal das Seiende und Bleibende in der Erscheinung, und dann der Grund der Dinge

darin aufzusuchen? Wenn nun aber diese zwei Fragen beantwor­ tet sind, so entsteht noch die dritte: Wie ist von diesem doppelten

Material,

dem im Bewußtsen unmittelbar Gegebenen und dem

darin besonders Aufzusuchenden, die Konstruktion eines in sich

gegründeten Systems von Erkenntnissen möglich, welches ein ge­

treues Bild des Systems der Objekte selbst, so weit diese erkannt werden, darböte? Die erste dieser Fragen hat Hartman

in

seiner Wissen-

schaftslchre vollständig und genügend beantwortet, und was wir

in der Darstellung seines Systems darüber aufgestellt haben, möchte

wohl fürs Erste hinlänglich sein, um wenigstens seinen Jdeengang darzustellen.

Er zeigt, wie das durchaus unveränderliche und

nichts verändernde Bewußtsein das Objekt getreu und unverändert abspiegelt, so daß wir, insofern es vor diesem steht, ein reines und unverfälschtes Bild des Objekts in uns aufnehmen können.

Darauf, daß das Objekt eine wechselnde Erscheinung ist, legte

er kein Gewicht, und in Einer Hinsicht wenigstens hatte er auch Recht darin, es nicht zu thun; denn die Erkenntniß ist darum

nicht minder wahr und hat darum keinen geringern Werth daß das Objekt eine solche ist.

Denn wenn wir z. B. einen Menschen

als wechselnde Erscheinung erkennen, so ist diese Erkenntniß von

ihm eben so wahr, d. h. seinem Objekt eben so sehr entsprechend, als wenn wir ihn als Idee erkennen.

Daß das Objekt wechselt,

in jedem Augenblick ein neues ist und von irgend etwas Anderm im Dasein erhalten wird, thut der Realität der Erkenntniß des­ selben durchaus keinen Eintrag, denn sie ist insofern reell und

wahr, als sie jedesmal, wenn sie das Objekt abspiegelt, es ge­ rade so abspiegelt, wie es in diesem Augenblicke ist, und sie würde nur dann unwahr sein, wenn sie es als etwas Anderes zeigte,

als es eben jetzt ist.

Und so verderblich die Lehre der griechischen

Sophisten war, daß wir nur diese wechselnde Erscheinung erken­ nen könnten, und daß nur allenfalls diese Erkenntniß einen Werth

habe, so wäre das eine vielleicht nicht weniger verderbliche So­ phisterei, wenn man lehren würde, die Erkenntniß,der Erscheinung

wäre darum unwahr, und werthlos, weil diese etwas Wechseln­

des ist, und nur die Erkenntniß der Dinge in ihren Ideen oder

Begriffen sei die wahre.

Und daher möchte die Tendenz der Hart­

man'schen Philosophie, welche den Werth der Erkenntniß der Er­ scheinung würdigt, und als den nothwendigen Durchgangspunkt

jener Erkenntniß des an sich Seienden zu achten lehrt, besonders

heutzutage sehr wohlthätig und beachtenswerth sein; denn so wie wir überhaupt die Wahrheit nicht anders haben werden als inso­

fern wir sie als Eine ersassen, so werden wir sie auch nur dann

haben, wenn wir die Erkenntniß der Erscheinung und der Idee in Eins zusammenfassen, sie als die beiden gleich nothwendigen Fak­

toren der Erkenntniß des Objekts betrachten und durch die der Er­ scheinung zu der der Idee hindurchdringen. Es steht daher der Philosophie übel an, auf jene Erkenntniß vornehmthuend herabzu­

blicken,

sie als die gemeine zu bezeichnen, und, „allgütig wie

sie ist" das „gemeine Bewußtsein als gottverlassen" und „nichts­

würdig" darzustellen, rind es'wird immer ein mißliches Unterneh­

men sein, sie überspringen und sich ohne Weiteres in die Idee versetzen zu wollen.

Jene Vereinigung der Erkenntniß der Erscheinung mit der der Idee ist aber noch nicht in dem Hartman'schm Systeme,

so weit dieses von seinem Urheber aufgestellt wurde, ausgesprochen„sondern wird nur daraus gefolgert, und auf dem von Hart­

man eingeschlagenen Wege kommt man erst im Weitergehen, aber indem man es weiter entwickelt, kommt man auch nothwendig dazu.

Der Forderung dieser Vereinigung liegt aber die Ansicht

zum Grunde, daß die Erkenntniß der Geschichte, der Entwicke­ lung, des Werdens des Objekts eben so viel werth sei, als die seines Seins, und daß man Nur durch die Erkenntniß des Wer­

dens zu der des Seins kommen könne.

Die Philosophie darf

also, will sie zum Verständniß des Seins gelangen, nicht einsei­ tig bei diesem stehen bleiben, sondern muß zugleich die Geschichte

in ihren Kreis aufnehmen und bei dem Verständniß des Werdens anfangen.

Wir werden späterhin Gelegenheit haben diese Behaup­

tung zu urgiren und besonders zu zeigen, wie die Philosophie nur dann dazu kommen wird, zu verstehen, was der Mensch ist, wenn

sie das Gesetz seines, Werdens oder seiner Geschichte mit in ihren Kreis aufnimmt, und wenn sie, da der Mensch nur insofern die Wahrheit haben wird, als seine Entwickelung mit diesem Gesetze

übereinstimmt, dasselbe in der Geschichte aufsucht, und den Men­

schen, der die Wahrheit haben will, auf den Punkt hinstellt, wo

er vermöge dieses Gesetzes stehen muß. Die zweite Frage der Philosophie wieder: Wie ist das im

Bewußtsein nicht unmittelbar Vorkommende, also, einmal das

Seiende und Bleibende in der Erscheinung, und dann die Ver­ hältnisse und der Grund der Dinge darin aufzusuchen? läßt sich zwar nach den Grundsätzen des Hartman'schenSystems genü­

gend beantworten, aber sie muß durch die Entwickelung

dersel­

ben daraus mehr gefolgert werden, als daß sie darin bereits aus­

gesprochen wäre.

Die dieser zum Grunde liegende Frage, von

dem Allgemeinen und Nothwendigen in der Erkenntniß, hat Hart­ man indessen genügend beantwortet; da aber ihr wieder die Lehre

von den Begriffen zum Grunde liegt, indem der Begriff uns ein Bild des Objekts in seiner Allgemeinheit und Nothwendigkeit

giebt, so wie die Anschauung ein Bild desselben als einer wech­ selnden Erscheinung, so halten wir uns verbunden aus der oben erwähnten Znledning u. s. w. Folgendes über die Begriffe nach­ zuholen:

„Es giebt zwei Gesichtspunkte, aus denen man die Vorstel­ lung eines Objekts betrachten kann: aus dem des Objekts und dem des Wissens.

In Beziehung auf jenes stellt sie nur eben

dieses Objekt vor und richtet sich darnach,

so daß, wenn man

ein andermalmehre Umstände oder Theile bei demselben wahrnimmt, wie unfehlbar geschehen muß, wenn man es näher und genauer

betrachtet, die Vorstellung sich'verändert und dann mehr enthält als jetzt;

denn dann ist das Objekt das Urbild der Vorstellung,

indem die Frage ist, wie (quäle) das Objekt ist, und so verhält es sich mit allen Vorstellungen in Beziehung auf die aufgefaßten

und gewußten Gegenstände; so nämlich, daß sie sich nach ihnen richten, je nachdem wir sie genauer erkennen, oder sie sich ver­

ändern.

Aber ganz anders verhält es sich mit der Vorstellung,

wenn sie von Seiten des Wissens betrachtet wird.

Dann bleibt

sie immer unverändert, so daß ich immer weiß wie dasjenige war, welches durch dasselbe dargestellt wurde:

und die Vorstellung,

aus diesem Gesichtspunkt betrachtet, ist von seinem einzelnen Ob­ jekt gleichsam abgelöst (abstrahirt), und wird dann selbst zum Ur­ bild, auf welches die Objekte bezogen werden können.

Das Wis­

sen mit seinem Inhalt giebt daher, bestimmt und einzeln aufge­

faßt, eine Vorstellung, die nunmehr sich nicht auf Gegenstände bezieht, sondern auf welche Gegenstände bezogen und daher wie­ der erkannt werden können: denn auf diese Weise wird die Be­

schaffenheit (Welcherleiheit) der Gegenstände aufgefaßt, ohne daß

diese selbst in unmittelbare Berechnung kamen.--------- Jedes Wis­

sen ist mit seinem Inhalt in jedem Akt des Bewußtseins bestimmt

und aufgefaßt; und jede Vorstellung kann und muß daher als eine doppelte angesehen werden: so nämlich, daß sie auf der einen

Seite eine einzelne, auf der andern eine allgemeine ist. Denn sie wird

auf diese Weise allgemein, daß sie nachher im Geiste als einUrbild fer­ tig dasteht, nach welchem man sodann die Gegenstände, die später vorkommen können, berechnen und wiedererkennen kann, ob sie gleich

ihrem Inhalte nach ganz dieselbe ist, als die einzelne Vorstellung, von

deren Objekt sie abstrahirt worden ist.

nur Gedanke und nicht Sache.

Sie ist nämlich in diesem Falle

DieS sind die Begriffe.---------

Wenn das Kind zum ersten Mal etwas auffaßt, wenn der Akt des Bewußtseins das erste Mal vor sich geht so ist es wohl mit

dem Subjekt, das da weiß, und dem Wissen, wegen der durch­ aus unveränderlichen Natur des Bewußtseins, ganz wie es soll; das Objekt aber ist noch durchaus undeutlich.

Das Kind nimmt

nur wahr, daß es von Etwas afsicirt wird, ohne weiter zu un­

terscheiden, was dieses Etwas ist;

und da jede Vorstellung auf

der Seite des Wissens Begriff ist, so hat das Kind bei seinem

ersten Wissen den allgemeinsten aller Begriffe gegeben und fertig,

nämlich den Begriff von Etwas, obgleich es nicht im Stande ist, über die absolute Allgemeinheit des Begriffs Betrachtungen

anzustellen; aber es gebraucht es doch,

auf die Weise, daß es

vermittelst desselben alle darnach vorkommende Gegenstände erkennt,

insofern sie auch für die Auffassung Etwas sind: denn Etwas ist auf diese Weise nichts Anders, als das, was für ein Wissen Ob­ jekt sein kann, von welcher Art es auch übrigens sein mag.

Ue­

ber dieses Etwas besinnt man sich dadurch, daß man sich über das Nichts besinnt, oder vielmehr, diese beiden Vorstellungen ent­ stehen für das Bewußtsein gerade in dem Augenblick, wo das

Bewußtsein vom Nichtsein zum Dasein übergeht, d. h. wenn der

Akt desselben zum ersten Mal vor sich geht: gleich wie derjenige, der im Dunkel erzogen worden wäre, erst in dem Augenblicke sich über das Dunkel besinnen würde, wenn er daraus hervorginge und

den Eindruck des Tages und des Lichtes auffaßte, oder so wie

man wirklich das Dunkel in einem dunkeln Zimmer sieht, wenn man dahin zurückschaut, nachdem man ins Licht herausgetreten

ist.

Jedesmal nun, wenn der Akt des Bewußtseins bei dem Kinde

vor sich geht, faßt es immer mehreres und mehreres auf, so daß es nach und nach einzelne Züge und Umstände unterscheidet, und nach jedem neuen Zuge zerfallen die Gegenstände in Klaffen für

die Auffassung,

in sichtbare, hörbare u. s. w. Gegenstände, in

dem Grade als mehrere Züge der Gegenstände in den Vorstellun­ gen desselben aufgefaßt werden.

Und da jede solche Auffassung,

indem sie im Bewußtsein vor sich geht, auf der Seite des Wis­

sens ein Begriff ist, welches auch daraus erhellt, daß sich die

Erkenntniß bei dem Kinde entwickelt, welches nicht geschehen könnte, wenn es nicht bei seinem beschränkten Erkenntnißvermögen, die Gegenstände unter ihren Klassen wiedererkennte; so ist es klar,

daß das Kind wirklich, parallel mit der Auffassung der sinnlichen Eindrücke, nach den Gesetzen für ein beschränktes Vermögen, die Entwickelung seiner Erkenntniß mit den allerallgemeinsten Begrif­

fen anfängt, und davon durch das Auffassen immer mehrerer

Züge, zum Einzelnen fortschreitet. —

Der Irrthum, als wenn

die Erkenntniß des Kindes mit den Vorstellungm einzelner Gegen­ stände anfange, und daß es erst nach Jahren, nach angestellten

Vergleichungen und durch die Ausmusterung gefundener Gleichhei­

ten, sich allgemeine Begriffe bilden, könne, da es sich damit doch umgekehrt verhält, kommt daher, daß man übersehen hat, daß,

obgleich die ersten Eindrücke, so wie alle Eindrücke überhaupt, von einzelnen Gegenständen hervorgebracht werden, so werden doch

die Vorstellungen als einzelne nicht beibehalten, weil sie auf der

Seite der Objekte mit vollständigem vertauscht werden, wo dann die weniger vollständigen nach und nach wegfallen; aber auf der

Seite des Wissens bleiben sie zurück und werden als wirkliche Begriffe, wie sie es auch sind, angewendet.

Die Anwendung

der Worte hat aber die Denker hierüber irre geleitet.

Man hat

nämlich geglaubt, daß man die Begriffe in derselben Ordnung erhält, als man in den Stand gesetzt wird, sie mit Worten zu bezeichnen: und da man, was diese Worte betrifft, nothwendig

anfangen muß einzelne Gegenstände zu benennen, auf die man einander Hinweisen kann, und nach und nach erst, und nach vie­

len angestellten Vergleichungen, über die Namen allgemeiner Be­ griffe Übereinkommen konnte, so glaubte man auch, daß man die Begriffe in derselben Ordnung erhalte, ob man sie gleich in der

That in einer durchaus umgekehrten Ordnung erhält."

Weiter ist Hartman in der Lehre von den Begriffen nicht gegangen.

Die Thätigkeit des Geistes aber, durch welche dieser

die Vorstellung, von der Seite des Wissens aus betrachtet erst

zum Begriff vollkommen ausbildet und wovon bald die Rede sein soll, hat Hartman eben so wenig dargestellt, als den Unterschied

zwischen Begriffen und Ideen, wie denn über diese letztere in sei­ nem Systeme überhaupt gar nichts vorkommt.

Sein Verdienst

besteht aber auch hier darin, daß er einen festen Grund gelegt, auf den eine haltbare Lehre von den Begriffen aufgebaut werden kann, und daß er nachgewiesen hat, wie wir nur vermittelst der

Auffassung der Gegenstände zu ihnen kommen, nicht aber durch eigene von ihnen unabhängige Thätigkeit allein.

Auf diesem H art-

man'schen Grund und Boden wäre nun die herrschende Ansicht leicht zu widerlegen, nach welcher die ewige Zeugung des Soh­ nes Gottes uns ein Vorbild sein soll, wie auch unser Geist, un­

abhängig von den Objekten, und aus sich selbst das Bleibende und Nothwendige 'der Erkenntniß, d. h. die Begriffe schafft. Hier aber sei es genug, zu bemerken, daß dieses Vorbild nicht paßt, indem diese ewige Zeugung des Sohnes Gottes nur die Eine Seite der Urmanifestation des Ur ist, von der das

sich Differenziren

des Ur in Gott und Natur die andre und zwar die dem sich Differenziren Gottes in Liebenden und Geliebten im Denken we­ nigstens vorangehende ist.

So auch im menschlichen Geist.

Nach­

dem uns ein Objekt geworden, und dasselbe uns Vorstellungen geliefert, können wir zwar diese in unserm Geiste unabhängig vom

Vorgestellten behandeln, und die ihnen entsprechende Begriffsreihe

entwickeln, und so zum Allgemeinen und Nothwendigen in der Erkenntniß kommen, nie aber anders als durch diesen Durchgangs­

punkt, und dieses Allgemeine und Nothwendige aus dem Objekt selbst schöpfend, so daß unsre eigne Thätigkeit der eine und das im Objekt Gegebene der andre Faktor desselben ist.

Die Frage wieder: Wie ist der Grund der Dinge im Be­ wußtsein aufzusuchen? läßt sich aus dem Gesichtspunkte der Hart­

man'schm Philosophie folgendermaßen beantworten.

Mit der

Beantwortung dieser Frage müssen wir aber hier sogleich die dritte und letzte von uns aufgeworfene verbinden, die nämlich:

Wie

ist aus jenem doppelten Material der Erkenntniß, des im Be­

wußtsein unmittelbar Gegebenen und dem darin besonders Auf-

zusuchenden die Konstruktion eines in sich gegründeten Systems

von Erkenntnissen möglich, welches ein getreues Bild des Systems der Objekte selbst, soweit diese erkannt werden, darböte? Alles, was wir sollen denken können, d. h. dessen Borstel, lung wir sollen behandelir können, — denn der Geist erschafft

keine absolut neue Vorstellung, sondern sie wird ihm, und er kann die verschiedenen Vorstellungen nur verändern, trennen und

zu einem Ganzen verbinden oder konstruiren,

d. h. zusam­

menbauen, denn weiter bedeutet dieser Begriff auch in der Philosophie nicht, — muß, indem außerhalb des Bewußtseins keine

Erkenntniß möglich ist, und indem dieses nichts hervorbringt, vor

dasselbe treten und folglich etwas schon früher Gegebenes und Da­ seiendes sein.

So muß nicht nur das ObM, sondern selbst das

Subjekt und Wissen dem Bewußtsein gegeben und ihm aufge-

gangen sein, wenn wir die Vorstellungen derselben sollen behandeln können. Jede Vorstellung weist also auf eine ihr zum Grunde liegende Realität hin, auf ein reales Objekt, Subjekt oder Wis­

sen.

Daß wir also Gott denken können, beweist daher das Da­

sein Gottes und zwar auf eine doppelte Weise, d. h. das Vor­

handensein Gottes in unserm Bewußtsein, und unser Sein in Gott.

Denn den darin nicht Vorhandenen und folglich, wenig­

stens als Vorstellung, Daseienden könnten wir nicht denken.

Gott

ist aber nicht bloß als Vorstellung in unserm Bewußtsein da, son­

dern die Vorstellung Gottes ist die Vorstellung eines auch außer­

halb desselben Seienden.

Denn da alles, was im Geiste ist, inner­

halb des Bewußtseins liegt, so wissen wir auch woher unsre Vor­ stellungen sind.

Wenn also Gott unserm Bewußtsein aufgeht, so

wissen wir, wir haben uns nicht das Materiale dieser Vorstellung gegeben, sondern haben es empfangen, und sie stelle daher etwas

außer ihr Seiendes vor, welches die Vorstellung erzeugt und nicht

umgekehrt. —

Zweitens beweist dieses daß wir Gott denken kön­

nen, daß wir in Gott, daß wir Gottes sind, daß Gott das wahr­ haft Seiende an uns ist, und daß also der selbst da sein muß, der unserm Subjekt sein eigentliches Sein giebt. Wären wir aber nicht Gottes, so könnten wir eben so wenig Gott denken, als

das Thier es kann, und könnten ihn dann, selbst wenn er in den Kreis unsers Bewußtseins träte, eben so wenig wahrnehmen, als

dieses es kann.

Nur das Göttliche in uns, nur der in uns da-

8*

seiende Gott, kann den aus seinem außer uns bestehenden Sein zu uns gleichsam hineintretenden und sich uns im Bewußtsein

offenbarenden Gott erkennen und anerkennen.

Das Eintreten Gottes in unser Bewußtsein kann aber ein

doppeltes sein, auf dem Weg des Subjekts und auf dem des Ob­ Das heißt, sein, auf jeden Fall außer dem Geist bestehen­

jekts.

des Sein kann uns entweder in und mit dem Objekt,

oder in

und mit unserm eignen Subjekt offenbar werden, insofern dieses

oder jenes sich

im Bewußtsein offenbart.

Auf dem objektiven

Wege erkennen wir Gott, insofern er sich darin durch die Idee offenbart, insofern uns mit dem Objekt die Idee, von der es ein Ausdruck ist, aufgeht.

Die Idee ist überhaupt und in jeder Hin­

sicht das Vermittelnde zwischen Gott und Mensch.

Die Mög­

lichkeit aber, die Idee aufzufassen, liegt darin, daß der Geist selbst

eine Idee ist, die darum die ihm im Bewußtsein aufgehende äu­

ßere Idee erkennen kann, die der Geist wieder mit dem Objekt, als dem Ausdruck der Idee, auffaßt.

In der Idee schaut also der

Geist Den an, dessen Ausdruck sie ist, so wie das Objekt wieder der Ausdruck der Idee. —

Aber Gott offenbart sich auch in un­

serm Subjekt als das eigentliche Seiende darin und dasselbe Tra­ gende.

Das heißt, insofern sich der Geist im Bewußtsein wahr­

haft erkennt, erkennt er auch Gott und findet Gott in sich.

Er

findet sich als etwas Bedingtes, welches von einem Sein außer

ihm, das aber bis zu ihm hineinreicht, getragen wird.

Wenn der

Sonnenstrahl zum Bewußtsein erwachte und sein Sein begriffe,

so würde ihm dabei zugleich das Dasein der Sonne, von dem sein eignes getragen wird, aufgehen.

So wie, wenn einer mit uns redet, wir aus den Vorstellun­ gen, die seine Rede in uns hervorruft, eine Totalvorstellung zu­ sammenbauen, die, wenn beiderseits richtig verfahren ist, der Vor­

stellung entspricht, die jener aus seiner Seele in unsre hat über­ tragen wollen, so konstruiren wir uns auch aus den Vorstellun­

gen, die der sich in unserm Bewußtsein auf dem subjektiven und

objektiven Wege offenbarende Gott in uns erweckt hat, eine To­ talvorstellung seiner, die, wenn wir hiebei richtig verfahren sind,

d. h. uns nur daran halten was in einem reinen Bewußtsein ge­ geben ist, und das sich uns darbietende Objekt so auffassen, wie

es sich uns giebt, ihm auch nothwendig entsprechen muß, so näm-

lichr daß, was in der Vorstellung ist, auch im Borgestellten, in

Gott, sein muß, ob er gleich unendlich mehr sein kann, als in ihr liegt.

So wie wir uns aus den einzelnen Zügen des sich im Be­

wußtsein offenbarenden Gottes die Vorstellung von ihm konstruiren: so konstmiren wir uns auch überhaupt die Vorstellung eines Objekts.

Denn wenn ein solches auch ganz vor unserm Bewußt­

sein steht, so können wir, vermöge unsrer Beschränktheit, es nur

Zug für Zug auffassen, und müssen hernach diese einzeln aufge­

faßten Züge zu einem Ganzen verbinden. liche Geist, wegen seiner Beschränktheit,

Zwar kann der mensch­ sich keiner Vorstellung

rühmen, die da alles enthielte, was das sich dem Bewußtsein

vorstellende Objekt enthält; aber da wir nicht einmal darauf rech­ nen können, daß alle von uns erkennbare Züge des Objekts von

dem Bewußtsein aufgefaßt werden, so würden wir um so weni­ ger, nur durch Konstruiren der uns gelieferten Züge, zu einer

auch nur relativ zu unserm Erkenntnißvermögen vollständigen Vor­ stellung von einem Objekt kommen.

Noch mißlicher sieht es mit

der Vollständigkeit dieser Vorstellung aus, wenn sich das Objekt

augenscheinlich nur in wenigen einzelnen Zügen unserm Bewußt­

sein darstellt.

Um daher zu einer Vorstellung zu gelangen, die

uns ein Bild des Objekts in seinen Hauptzügen liefert, muß die Konstruktion den ersten Entwurf der Vorstellung des Objekts, den uns jene einzelne, sich dem Bewußtsein darstellenden Züge

liefern, die aber noch kein Ganzes bilden, dahin in die Vorstel­

lung desjenigen Ganzen, wozu dieses Objekt gehört, hineinpassen

und nun erwägen, welche Bestimmungen das Objekt noch haben muß,

um mit diesem Ganzen integriren zu können.

Jene Be­

stimmungen des Objekts, die sich dem Bewußtsein unmittelbar dargestellt haben, machen gleichsam den einen Faktor unsrer zu

gewinnenden Totalvorstellung von demselben, und diese Bestim­ mungen, welche, durch dieses Hineinpassen ins Ganze, vor das Bewußtsein, als nothwendig da sein müssend, treten, machen den

zweiten aus.

Die Art wie wir uns die Vorstellung eines histo­

rischen Charakters bilden, liefert ein Beispiel einer Konstruktion

dieser Art.

Die einzelnen historischen Züge, die uns von ihm

selbst überliefert worden sind, machen jenen ersten Faktor aus, und die Kenntniß der menschlichen Natur und der Umgebung jenes.'

Individuums,

so wie die der Eigenthümlichkeit seiner Zeit Und

seines Volks, den andern.

Ist es aber nicht eine Realvorstellung

sondern ein Begriff, den wir uns durch Konstruktion bilden, so

liefert uns ebenfalls die Nealanschauung, von welcher der Begriff den Revers ausmacht, den einen nothwendigen Faktor dieses Be­ griffs, und jenes Hineinpassen in das Ganze, zu welchem er

gehört, den andern.

Die Thätigkeit des Geistes bei der Konstruk­

tion des Begriffs ist also von dreierlei Art, nämlich erstens jenes schon früher berührte Abtrennen (Abstrahiren) vom einzelnen Ob­

jekt,

zweitens das Suppliren fehlender

aber nothwendiger Be­

stimmungen, die sich aus dem Zusammenhalten des Einzelnen mit dem Ganzen ergeben,

so wie oben bei der Realvorstellung

und drittens das Fallenlassen aller Bestimmungen, die in der Realvorstellung vorkommen, die aber, ohne den Begriff aufzuhe­

ben, wegfallen können. Obgleich es aber auf diese Weise eine zweite Seite der Er­

kenntniß giebt, welche weniger abhängig vom Objekt erscheint, nämlich die Erkenntniß des Objekts in seinem Begriffe und mit­ hin seiner Nothwendigkeit nach, und also die Erkenntniß des Blei­ benden in ihm und des über allem Wechsel Schwebenden, wäh­ rend der Metamorphosen in der Erscheinung; und obgleich diese

Erkenntniß insofern einen Werth hat und wahr ist, als sie uns

ein treues Abbild des Objekts außer uns,

insofern es aufgefaßt

ist, liefert; (und auch das Subjekt, so wie das Wissen desselben als erkennbar, d. h. in eine objektive Lage zu unserm Bewußtsein

gebracht, wird uns ein äußeres): so ist doch diese durch Kon­ struktion gewonnene Begriffserkenntniß keine höhere und wahrere

als die, welche das einzelne Auffassen des Objekts, die Wahrneh­

mung giebt; sondern umgekehrt ist hier die Gefahr des Irrthums größer als dort, indem die Wahrheit des Begriffs nicht blos da­

von abhängt, daß wir das Objekt jedesmal richtig auffaffen, und das Aufgefaßte so bewahren, daß wir, bei der Wiedervorstellung

desselben vor das Bewußtsein, keinen früher aufgefaßten Theil des­ selben hinweglassen, keinen verändem und keinen neuen anders­

woher hinzufügen; sondern auch davon, daß wir die verschiedenen Auffassungen richtig zusammenstellen, das also Gewonnene gehö­ rigen Orts in das Ganze, zu welchem es gehört, hinstellen, das

ihm hier nothwendig Zukommende richtig ausmitteln, das Unwe-

sentllche fallen lassen u. f. w.

Gesetzt aber auch, was fteilich nie

zugegeben werden kann, wir würden, wie behauptet wird, unsre Vorstellungen aus uns selbst erschaffen, ohne daß das Objekt uns

dazu das Material lieferte, so wäre damit doch nickts gewonnen. Denn dieses Schaffen hätte doch nur insofern einen Werth, als

wir dadurch etwas dem Objekte außer uns völlig Entsprechendes zu Stande brächten.

Welche größere Wahrscheinlichkeit hätten

wir aber eine wahre Erkenntniß zu gewinnen, wenn wir sie aus uns, als wenn wir sie aus dem Objekte schöpften? Wäre dieses nicht eben so, als wenn einer wähnte, die Geschichte, die er schrei­

ben will, werde um so wahrer ausfallen, je freier er sich von der Erkenntniß des Objekts hält, dessen Geschichte er liefern will? Vergebens würde man hier einwenden, das eben unterscheide die philosophische Erkenntniß von der historischen, daß diese abhängig von der Erscheinung sei, jene aber darüber schwebe.

Denn auch

wenn man nicht den Verlauf der Erscheinung des Objekts ver­

folgen will, (Geschichte) muß man eher als durch Konstruktion das am Objekt sich manifestirende Nothwendige und Bleibende

erkennen und also sich eine philosophische Erkenntniß bilden kann,

aus der Auffassung der Erscheinung sich die zu konstruirenden

Elemente verschaffen.

Es geziemt daher nicht der Philosophie,

die Wahrnehmung zu überspringen oder zu ignoriren, noch durch

vornehmthuendes Herabblicken auf sie sich zu gebärden, als wenn sie derselben nicht bedürfte.

Da aber unsre Erkenntniß endlich und beschränkt ist, und

wir nur einen kleinen Theil des Objekts nach dem andern auffas­ sen können, so müssen wir, bei dieser Konstruktion, nicht nur

auf den zu konstruirenden Gegenstand, sondern zugleich auf die

Art unsers Konstruirens sehen, und die richtige Methode wird

uns wieder helfen, den Gegenstand richtig aufzufassen.

Denn in­

dem wir dadurch Widersprüche in unsrer Vorstellung entdecken, sinden wir, daß wir im Auffassen des Gegmstandes nicht richtig

verfahren sein müssen, und indem die zu konstruirende Totalvor­

stellung sich zu keinem harmonischen Ganzen fügen will, sinden wir, daß wir es beim Zusammenstellen der einzelnen Züge ver­

sehen haben müssen, und irgend eine parzielle Vorstellung nicht

an ihren Ort gestellt oder ihr eine schiefe Lage zum Ganzen ge­

geben haben.

Nachdem wir auf diese Weise angedeutet haben, wie das

Bewußtsein Princip der Erkenntniß sein müsse und sein könne, müssen wir, ehe wir weiter gehen, einige der gangbarsten Ein­ wendungen dagegen berühren.

Wir können also nicht umhin uns

wider die Ansicht Schellings in seiner Abhandlung vom Ich als Princip der Philosophie u. s. w. zu erklären; aber nur mit frommer Scheu thun wir das, indem wir bedauern, daß eine

Lehre nicht haltbar sein soll, der eine Ansicht, die so durch und

durch acht religiös ist, und der die ewige Wahrheit, Gott sei Alles in Allem, das allein wahrhaft Seiende und es sei nichts, als inso­ fern es in Gott ist, zum Grund liegt.

So sehr wir aber mit dem

Verfasser in dieser Grundansicht übereinstimmen, so wenig können wir uns mit der Anwendung befreunden, die er davon macht, in­

dem er nur die Erkenntniß gelten lassen will, die, seinem Sprach­ gebrauch nach unbedingt ist, und die also das Bewußtsein nicht

soll geben können. Das ganze Mißverstandniß jener Ansicht scheint sich um die

Worte bedingt und Objekt zu drehen.

Das Wort bedingen

wird hier von dem Wort Ding in der Bedeutung res abgelei­ tet und unbedingt genannt, „was gar nicht zum Ding gemacht

ist, gar nicht zum Ding gemacht werden kann."

Uns daucht cs

aber weit wahrscheinlicher, daß das bedingen vom Worte Ding

in der Bedeutung gerichtliche Verhandlung (die es noch in der schwedischen und norwegischen Sprache hat,

(Ting Gericht;

Storting großes Gericht, tinga dingen, conducere, pacisci) ab­

stamme.

Bedingen könne also nur verhandeln bedeuten und

unbedingt was ohne weitere Verhandlung zugestanden wird.

Was aber also zugestanden wird, wird unabhängig davon zuge­ standen, und so hieße denn unbedingt zuletzt so viel als unabhän­

gig.

Gesetzt nun aber auch, unbedingt komme wirklich von

Ding in der Bedeutung res her, was bedeutet denn ein Erkennt­ nißprincip welches gar nicht zum Ding werden kann? Sonst wird

Ding der Persönlichkeit und der Bewußtheit entgegengesetzt; und daß nichts Princip der Erkenntniß sein kann, welches ein seiner

unbewußtes Etwas werden könnte, muß ohne Weiteres zugegeben

werden.

Allein dasWortDing soll hier so viel als Objekt be­

deuten, was daraus erhellt, daß das absolute Ich, das Schellingsche

Princip der Erkenntniß als etwas bestimmt wird, was schlechter-

dings niemals Objekt werden kann.

Soll denn unbedingtes Er-

kenntnißprincip und unbedingte Erkenntniß so viel als ursprüng­ liche bedeuten, so kann eine solche nur bei Gott gedacht werden. Es kann aber nie die Aufgabe einer menschlichen Philosophie wer­

den, von dem Erkenntnißprincip Gottes, als solches, etwas be­

stimmen zu wollen, und wir können es daher auch dahin gestellt sein lassen, ob vielleicht jenes Kriterium: niemals Objekt werden zu können,

auf das Erkenntnißprincip passen würde, wenn der

Erkennende selbst— das Absolutum wäre.

Ist aber der Erken­

nende nicht dieses, sondern etwa mit sammt dem Princip seines Erkennens erst durch irgend eine Differenzirung mit dem Absolu­

tum möglich, so ist sein Erkenntnißprincip auch diesem objicirt.

Aber selbst abgesehen davon, so muß das Erkenntnißprincip, wenn

eine philosophische Darstellung desselben soll möglich sein können

dem Subjekt gegenständlich, Objekt also eine Erkenntniß werden, wie

auch das absolute Ich, „das schlechterdings niemals Ob­

jekt werden kann," Objekt des Denkers wird, der die Theorie des­ selben vorträgt.

Wäre also das absolute Ich das Princip unsrer

Erkenntniß, so würden wir uns nur insofern dieses Erkenntniß­

principes bewußt und könnten darüber etwas philosophisch bestim­

men, als dieses absolute Ich uns d. h. unserm Erkenntnißvermö­ gen Objekt würde.

Welchen Abbruch litte es auch dadurch?

Es

wird ja dadurch nicht abhängig von unserm Denken, sondern bleibt an sich was es ist, wir mögen es nun denken oder nicht, richtig

oder unrichtig denken. Umgekehrt wird unser Denken, d. h. unsre Vorstellungen ihrem Inhalte nach abhängig von ihm. Ist doch unser eignes Subjekt uns nur insofern erkennbar, als es zugleich

Objekt wird, wird es aber dadurch abhängiger als es sonst ist, daß es dieses wird?

Wenn wir uns daher in das absolute Ich

so hineinleben könnten, daß es uns so

eigen würde, als unser

eignes Subjekt, so wäre es uns auch dann nur insofern erkenn­

bar, als es, grade so wie dieses, uns Objekt wird.

Wir wollen daher versuchen, welchen Sinn die Unbedingtheit

des Erkenntnißprincips haben könnte, wenn unbedingt nur so viel als unabhängig heißen soll.

Wenn nun diese Unabhängig­

keit nichts weiter heißen soll, als „daß es ein Wissen geben muß, zu dem man nicht wieder durch ein andres Wissen gelange, und

durch welches allein alles andre Wissen Wissen ist" und daß,

„was für uns Princip alles Erkennens ist, nicht wieder durch ein

andres Princip erkennbar sein muß," so muß dieses unbedingt zu­ gegeben werden.

Es wird aber eine durchgängige Unbedingtheit,

d. h. Unabhängigkeit des Erkenntnißprincips gefordert.

Abhän­

gig könnte es aber sein, entweder vom erkennenden Subjekt, oder vom erkannten Objekt oder gar von Weiden. Born Subjekt kann das Erkenntnißprincip nicht abhängig sein, indem dieses jenes selbst

ist, als derjenige, der da erkennen kann; vom Objekt aber ist es nicht seinem Dasein, sondern nur seiner Aeußerung nach abhängig,

indem man nicht erkennen kann, ohne etwas zu erkennen, und

indem es sich nicht eher ausüben kann, als bis es etwas zu er­ kennen, einO>bjekt seines Erkennens hat.

Da ferner die Erkennt­

niß das Band ist, welches die Subjcktwelt mit der Objektwelt verbindet und eben das Aufgehen dieser für jene ist, so kann das

Erkcnntnißprincip in dem Sinn unmöglich unabhängig sein, daß es da sein könnte, ohne das Subjekt und das Objekt; denn wer soll

erkennen,

wenn kein erkennendes Subjekt pnd was soll erkannt

werden, wenn kein Objekt da ist?

Was wieder die Erkenntniß

selbst betrifft, so ist sie erst nach vorangegangener Differenzirung möglich, und entsteht erst, wenn ein Subjekt da ist, das da er­

kennen, und ein Objekt, das da erkannt werden kann. In die­ sem Sinn ist also die Erkenntniß allerdings abhängig von beiden. Eine andre Frage ist es aber, ob die Erkenntniß auch in dem Sinn abhängig sei, daß der Inhalt derselben durch sie bestimmt und

modisicirt werde, oder nicht.

Was nun das Objekt betrifft,

so

kann sie unmöglich anders als von ihm abhängig sein, denn es wird ja nicht schlechthin erkannt, sondern etwas, und dieses etwas ist eben das Objekt.

Es giebt nur die Erkenntniß irgend

eines Objekts und Erkenntniß entsteht erst da, wo dem Erkenntnißvermögen etwas objizirt wird.

Sie hat vielmehr nur in­

sofern Werth als sie durchaus abhängig vom Objekt ist, denn das

Wissen ist, wo und wie ein Wissen ist, nur insofern Wissen, als es bedingt d. h. bestimmt durch das Objekt und Reflex desselben

ist, und nur unter dieser Bedingung kann es einen Werth haben

d. h. wahr sein.

Wenn sich daher das Objekt verändert, so muß

sich die Erkenntniß, soll sie wahr bleiben, parallel mit ihm ver­

ändern, indem sie sonst dem Objekt nicht entspricht, nicht mehr

wahr ist.

Daß es neben dieser darum nicht geringer zu schätzen-

den Erkenntniß eine andre Erkenntniß giebt, nämlich die des Objekts, in seinem sich gleichen, der Erscheinung zum Grund liegenden Sein,

ändert in der Sache nichts. Auch diese Erkenntniß hat nur insofern ei­ nen Werth, als auch sie von der Idee des Objekts abhängig ist oder

ein adäquates Bild des Objekts seiner Idee nach giebt, d. h. wahr ist. Abhängig ist also die Erkenntniß vom Objekt, insofern, daß

sie ihrem Inhalte nach von ihm bestimmt wird; nicht aber inso­ fern, daß sie es verfälschen oder sie gleichsam zwingen könnte, ein

falsches Bild seiner darzustellen.

Es ist schlechterdings undenkbar

und im Bewußtsein als unmöglich gegeben, daß das Objekt sich

dem Erkenntnißprincip so darstellen könne, daß durch dessen Schuld

eine unwahre Erkenntniß entstünde.

Geschieht dieses, so liegt im­

mer die Ursache im erkennenden Subject, nicht aber im Objekt. — Denn was jenes betrifft so kann zwar die Erkenntniß von ihm

unabhängig sein, fteilich nicht so, daß der Erkennende sein Er­ kanntes, d. h. seine Vorstellungen nicht sollte ümschaffen können,

aber doch so, daß durchaus keine Nothwendigkeit vorhanden ist, daß das Subjekt beim Aufgehcn des Objekts für das Bewußt­

sein, in dieses etwas legen müßte,

was nicht darin liegt oder

das Bild des Objekts verschieben und verzerren müßte, obgleich

allerdings auch die Möglichkeit vorhanden ist. daß es dieses thun

könnte, was von Seiten des Objekts unmöglich ist.

Die Mög­

lichkeit dieser Unabhängigkeit der Erkenntniß von den Einflüssen des Subjekts, — denn hier haben wir fürs Erste nur mit der

Möglichkeit zu thun, — ist hinlänglich gegeben, einmal durch die neutrale und neutrolisirende Natur des Bewußtseins, und dann dadurch, daß das Bewußtsein seine eigne Kontrole ist, und von Allem weiß, was von ihm gewußt wird,

also auch wenn das

Subjekt die Erkenntniß auf irgend eine Weise modisiciren würde. Soll aber eine wirkliche Erkenntniß zu Stande kommen, so

ist es damit nicht genug, daß das Objekt für das Subjekt im Akt des Bewußtseins aufgeht, sondern das Subjekt muß sich da­

bei thätig verhalten.

Es muß das im Bewußtsein sich abspie­

gelnde Objekt auffassen, und es dadurch fairen und sich gleichsam eigen machen, sonst verschwindet es sogleich wieder, wie das Spie­

gelbild, indem der im Spiegel abgebildete Gegenstand vor diesem hinweg gerückt wird.

Und in dieser Thätigkeit, nicht aber in dem

schlechterdings unfehlbaren Aufgehen selbst, worin das Bewußtsein

besteht und welches, seiner neutralen Natur nach, den Gegenstand

schlechterdings nicht anders liefern kann, als er ist, liegt die erste Möglichkeit des Irrthums und in der oben dargestellten Konstruk­

tion des Aufgefaßten die zweite.

Wohl kann also die Stimmung

des Subjekts bei diesem Auffassen, so wie das Auge des Gelb­

süchtigen dem Objekt eine falsche Färbung geben; wohl kann die

Erkenntniß eines und desselben Gegenstandes bei dem einen rich­ tiger und vollkommner sein als bei einem andern;

dieß beweist

aber gar nicht, das Bewußtsein des einen habe das Objekt an­

ders abgespiegelt als das des Andern, und man müsse daher, um

eine wahre Erkenntniß des Objekts zu haben, ein andres Erkennt­ nißprincip als das Bewußtsein aufsuchen; sondern es beweist nur, daß der Eine das gleich Abgespiegelte anders aufgefaßt habe, als

der Andre.

Welche nun die Bedingungen dieses richtigen und

nröglichst vollständigen Auffassens seien; was man also zu beobach­ ten habe, damit man nicht dem Gegenstände zuschreibe, was ein reines Auffassen desselben nicht liefert; wie man vermeiden müsse daß nicht die Begierde, etwas in dem Gegenstände zu finden, die­

ses in ihn hineinlege;

wie man sich zu hüten habe, daß, indem

irgend ein Theil vom Bild des Gegenstandes unter den Brenn­

punkt der Begierde geräth, dieser Theil unverhältnisimäßig zu den andern vergrößert und dadurch das Bild unförmlich gemacht werde

und seinem Objekt nicht mehr entspreche; wie man seinen Gegen­ stand durch wiederholtes Hinstellen vors Bewußtsein möglichst er­

schöpfe, und endlich wie man das richtig Aufgefaßte richtig zusammen­ bauen oder konstruiren müsse: alles dieses gehört in ein andres Gebiet,

nämlich in die angewandte Erkenntnißlehre.

Hier sei es genug, die

Einerleiheit und die Wahrheit dessen, was das Bewußtsein giebt

durch ein einziges Beispiel anschaulich machen.

Das Faktum sei

die scheinbare Bewegung der Sonne, die dem Bewußtsein von A und B auf einmal aufgeht.

Hier, sagt man, zeige es sich

nun deutlich, wie unwahr die Erkenntniß sei, welche die Sinne liefern, und wie verschieden sie daher auch bei verschiedenen Indi­

viduen ausfalle.

Das wahre Faktum aber, oder das dem Sub­

jekt hier sich manifestirende Objekt ist die Sonne und der Erdho­ rizont, die sich des Morgens von einander entfernen und sich des Abends wieder auf der entgegengesetzten Seite einander nähern.

Dieses Objekt geht dem Subjekt beider auf und ist, als rein

aufgefaßt, wahr und bei beiden dasselbe.

Wenn nun aber A dar­

aus behauptet, die Sonne gehe, er sehe es ja, so legt er, durch einen falschen Schluß, in das Objekt etwas, was nicht darin liegt,

und sein unrichtiges Verfahren beim Auffassen erzeugt den Irr­ thum, nicht das Aufgehen des Objekts im Bewußtsein selbst. Wenn B hingegen sagt: ich sehe hier diese beiden Gegenstände

sich von einander entfernen;

es findet also eine Bewegung statt,

und es muß sich also entweder die Sonne oder die Erde bewegen,

oder sie müssen es gar beide thun, und er nun anderswoher zu bestimmen sucht, welche von diesen drei Möglichkeiten hier statt

finde, so hat er, wenn ihm dieses gelingt, und er die fehlenden

Bestimmungen findet, durch ein richtiges Verfahren in der Be­ handlung desselben Gegebenen die Wahrheir gefunden, aus welchem der Andre den Irrthum schöpft, indem er es durch einen Fehlschluß ergänzt,' ohne aber daß dieses und das Aufgchen desselben für

sein Bewußtsein, daran schuld wäre. So ungegründet aber als es daher ist, wenn matt dem Be­

wußtsein den Irrthum Schuld giebt, eben so ungegründet möchte auch der Einwurf sein, .das Bewußtsein liefere nur die niedrigste

Erkenntniß.

Denn da dieses nichts ist, als der Akt, durch wel-

chen das Objekt sich dem Subjekt darstellt und für dasselbe ein

Dasein bekommt; da ferner die Erkenntniß die Auffassung des Ob­ jekts vom Subjekt ist, insofern es vor demselben im Bewußtsein da ist, und da endlich alles Wissen auf dem Gebiet des Bewußt­

seins und innerhalb der Gränzen desselben statt findet:

so ist es

klar, daß die Erkenntniß, die das Bewußtsein liefert, welcher Werth ihr übrigens zukommen mag, eben so gut die höchste als die nied­ rigste genannt werden kann, indem sie eben die durchaus einzig

mögliche ist.

Außerhalb des Bewußtseins ein Wissen und eine

Erkenntniß suchen, heißt ohne Auge und ohne Licht sehen wollen. Indem wir uns einen Begriff bilden, oder zur Anschauung einer Idee gelangen, treten sie eben so gut und ganz auf dieselbe Weise

in unser Bewußtsein ein, als eine Vorstellung, die ein unserm Subjekt sich darstellender sinnlicher Gegenstand liefert und sie sind

für uns nur insofern da, als sie es thun und wir ihrer bewußt

werden.

Da also das Bewußtsein etwas Durchgängiges ist, wel­

ches überall da ist, wo eine Erkenntniß ist, so kann mithin von

einem Erkenntnißprincip außerhalb des Bewußtseins, vernünftiger*

weife gar nicht die Rede sein. Aus dem Gesagten geht also hervor, daß das Bewußtsein das erste und letzte der Erkenntniß, mithin das wahre Princip dersel­

ben ist.

Soll es aber das sein, so darf es nicht etwas Beding­

tes sein.

Und man darf nur die Natur desselben rein und klar

auffassen, um einzusehen, daß es dieses nicht ist.

Es ist was mit

Recht vom Princip der Erkenntniß gefordert werden muß, in sich selbst klar und seine eigne Kontrole, indem man nicht wissen

kann, ohne zugleich zu wissen, daß man weiß, durchaus einfach und durch nichts modificirt oder modisicirbar. Es ist ferner der Punkt,

und zwar der allereinzigste, wo Subjekt- und Objektwelt einander berühren und wo diese für jene aufgeht. Objekt.und Subjekt müs­ sen sich zwar also in einem Punkt berühren, wo Bewußtsein statt

finden soll, aber dennoch ist dieses selbst von keinem von beiden bedingt.

Erstens vom Subjekt, denn es ist kein Produkt deffel-

ben, sondem das Aufgehen des Subjekts für sich selbst, indem das Objekt für dasselbe aufgeht.

Eben so wenig bedingt ist das

Bewußtsein von den Einwirkungen des Objekts; ob es gleich

vom Vorhandensein desselben bedingt wird, indem nicht gewußt werden kann, ohne daß etwas da sei, das da gewußt werde und

diese Bedingtheit, aber freilich auch nur die, muß sich allerdings die menschliche Erkenntniß gefallen lassen. Denn so verschieden und wech­

selnd auch das Objekt, welches gewußt wird, fein mag, so ist doch der Akt des Wissens, das Bewußtsein, immer einer und derselbe. Er erlei­ det keine Modifikation vom Objekt, denn dieses stellt sich dem Be­

wußtsein nur dar, und das Bewußtsein weiß nur das Dargestellte. Es bleibt also nichts übrig, wovon es bedingt wäre, außer vom Vorhandensein des Objekts, aber auch dieses ist nur die Bedin­

gung für die Aeußerung des Bewußtseins, denn es ist selbst

nichts als die Aeußerung des Subjekts, welches also unabhängig vom Objekt und vor dieser Aeußerung überall da ist, wo einem lebenden Wesen ein Objekt aufgeht.

Das Bewußtsein ist also

unbestimmbar vom Subjekt und Objekt und unterliegt nur der

einzigen Bedingung,

daß es ein Objekt haben muß, d. h. daß

Man, um zu wissen, etwas, haben muß, was man wissen soll. So gewiß es daher ist, daß das Bewußtsein das Princip

der Erkenntniß sein muß, so gewiß ist es auch, daß nichts Andres,

also auch nicht „das absolute Ich," der reine Geist oder wie man sich ausdrücken will, dieses sein kann.

Denn wenn dieser es wäre,

so würde dann einmal das Princip der Erkenntniß auf die subjektive Seite fallen, welches so wenig taugt, als wenn es auf die objektive fiele; indem man dann noch immer die Frage zu lösen

hätte, wie das Subjekt zur Erkenntniß des Objekts komme und

also wieder zum Bewußtsein seine Zuflucht nehmen müßte.

Wird

hingegen das Bewußtsein als das Erkenntnißprincip gesetzt,

so

wird es in den einzigen Punkt hin versetzt, wo Subjekt- und Objektwelt einander berühren und möglicherweise berühren können. Dann

wäre das Princip der Erkenntniß, was es doch

noth­

wendig sein muß, kein durchaus Allgemeines für jedes lebende Wesen,

es wäre keine Erkenntniß eher, als im „reinen Geist"

möglich, und man müßte dann dem Aufgehn des Objekts für das Subjekt von der untersten Stufe lebendiger Wesen an, bis zum

reinen Geiste hin,

den Namm Erkenntniß absprechen, was doch

eben so unrichtig als willkürlich wäre, indem gar kein Grund vor­

handen ist, zu bezweifeln, daß z. B. das Thier den äußem Ge­ genstand als solchen und insofern es ihn auffaßt, nicht eben so

richtig auffaßt, als der Mensch.

Dann müßte man auch für

dieses Aufgehen nicht nur einen andern Namen, (Empfindung!) womit man bald fertig wäre, sondern auch ein andres neues Prin­

cip und ein andres neues Gesetz erfinden.

Ferner taugt der „reine

Geist" schon darum nicht zum Princip der Erkenntniß, weil er

eine Thätigkeit, etwas Aktives ist, denn dieses muß etwu§ .Neu­ trales sein, wie es das Bewußtsein ist,.damit es das Bild des Objekts nicht verändern könne,

sondern unverändert und wie es

ist, dem Geist überliefere, denn nur unter dieser Bedingung kommen wir zu einer dem Objekt entsprechenden Erkenntniß. Endlich könnten wir, wenn der „reine Geist" das Erkenntnißprincip wäre,

von dem Standpunkte, wo unsre Philosophie anfängt, von dem der Selbstbesinnung nämlich, nur durch einen Sprung, durch ein

wahres Salto mortale, zu diesem Princip kommen und könnten keine genügende Rechenschaft davon ablegen, wie wir dahin ge-

kommen sind.

So wenig es also, unsrer Meinung nach, je möglich sein wird, ein andres haltbares Princip der Erkenntniß als das Be­ wußtsein aufzusinden und so wenig, dem Obigen zufolge der „reine

Geist" es sein kann, so scheint es doch, als wenn man, durch die Aufstellung dieses Erkenntnißprincips, der Wahrheit um Einen

Schritt näher gekommen wäre.

Denn unstreitig soll dieser Aus­

druck so viel heißen, als, der Geist, der durch eine dem Plan der

Vorsehung gemäße Entwickelung so weit gesteigert ist, daß er das Objekt rein, richtig und möglichst vollständig auffassen könne,

also von den Mängeln dec Individualität befreit und dem Ewigen Und daß der Geist so weit gekommen sein muß, bevor

lebend.

er eine in jeder Hinsicht wahre und vollständige Erkenntniß sich erwerben kann, kann vemünstigerweise gar nicht bestritten werden;

obgleich der auf diese Weise gesteigerte Geist, darum nicht selbst als das Princip der Erkenntniß gesetzt werden kann.

Dieses ist

eine Ansicht, worin die Fichtische, Schellingsche und Hartmanscke

Philosophie

sowohl unter sich als mit dem Christenthum, wie

wir bald Gelegenheit haben werden, es darzuthun, men.

übereinstim­

Denn damit scheint ausgesagt zu werden, der Geist könne

nicht ohne Weiteres die Wahrheit finden, sondern erst bei gehöri­

ger Entwickelung.

Soll aber diese Entwickelung gehörig sein, so

muß sie nach einem bestimmten der Menschheit gegebenen Gesetze

erfolgen.

Dieses Gesetz ihrer Entwickelung kann sie aber nicht

eher finden, als sie die Wahrheit gefunden und mithin zum Ver­ ständniß ihres Seins gekommen ist;

die Wahrheit kann sie aber

nicht eher finden als sie, falls es nämlich ihr selbst anheim gestellt

sein sollte, sich in einer richtigen Ordnung so weit erzogen, daß ihr dieses Verständniß möglich wird.

Dadurch also, daß die Phi­

losophie den „reinen Geist" als Princip, der Erkenntniß aufzu­

stellen sucht, spricht sie, so vergeblich auch dieses Bemühen an sich sein möchte, das Bedürfniß aus, die geschichtliche Entwickelung

des Menschen beim Suchen der Wahrheit zu berücksichtigen.

Und

auf diesem Wege erst, auf den ihr guter Genius sie geführt hat,

wird sie die Wahrheit finden, indem sie den zweiten, bisher ver­

nachlässigten Faktor der Wahrheit berücksichtigend, dieselbe als Eine zu erfassen suchen wird.

Anhang. Ueber die Unentbehrlichkeit der Religionsphklosophie zur Lösung der Aufgabe der Philosophie schlechthin. (Vergl. hiermit des Verfassers Schrift: übet die Möglichkeit und die Bedingungen einer Religionsphilosophie» Moskau 1829.) Zn dem Grade als der Mensch zur Selbstbesinnung erwacht, fangt

er an, das Bedürfniß eines reinen Verständnisses der Dinge zu

fühlen.

Er muß wissen was er selbst ist, damit er so handeln

könne, wie er seiner Natur nach handeln soll; er muß wissen, was die Dinge um ihn her sind, damit er sie so behandeln könne, als sie ihrer Natur nach behandelt werden wollen. Nur durch dieses Verständniß der Dinge kann er einen Widerspruch mit sich selbst

und mit seiner Umgebung, wodurch sein ganzes Dasein zu einem Unding werden würde,

vermeiden.

Da nun aber der Mensch

nichts weiß, als insofern etwas vor seinem Bewußtsein steht, so muß er sich selbst und die Welt vor sein Bewußtsein bringen und

betrachten, was sie, in diesem Spiegel abgebildet, sind.

Nur in­

sofern sie vor dem Bewußtsein stehen, weiß er sie, und nur in­ sofern er sie weiß, sind sie für ihn da.

Sollen diese Vorstellun­

gen aber, die sich der Mensch von sich selbst und der Welt bildet, einen Werth für ihn haben, so müssen sie wahr sein, d. h. den Dingen, so weit sie in ihnen vorgestellt sind, entsprechen; denn

nur insofern sie dieses sind, kann der Mensch, der auf sich selbst und auf die Dinge nur insofern wirken kann, als sie in seiner

Vorstellung da sind,

ihnen entsteht.

sie so behandeln, daß kein Widerspruch mit

Allein mit einem Aggregat von, wenn gleich wah­

ren Vorstellungen der Dinge, wäre ihm noch nicht geholfen. Denn die einzelne, aus dem Gegebenen geschöpfte Vorstellung sagt nur aus, das Ding, welches sie vorstellt, sei gegenwärtig so und so,

9

und wenn das Objekt sich verändert, so muß auch eine neue Vor­

stellung von demselben gebildet werden.

Wenn nun aber dasselbe

Objekt bald als dieses, bald als jenes, bald wieder als ein ande­ res erscheint, so kommt der Mensch bald dahin, zu fragen, welche denn von diesen verschiedenen Erscheinungen desselben Objekts die

Wesentliche sei, und, da er keinen Grund hat die Eine Erschei­ nung für wesentlicher als bie andere zu halten, was denn das Wesentliche an diesem Objekt und das allen Erscheinungen dessel­

ben zum Grund Liegende sei? Um aber nun also dieses zu finden, muß er sich das Aggregat seiner Vorstellungen von sich selbst und

der Welt in ein organisches Ganzes, in ein System bringen und seine Vorstellungen der Objekte so zusammenkonstruiren, wie sie

eins aus dem andem entstehen.

Zn diesem Zurückgehen von Ur­

sache aus Ursache kann er nicht eher aushören, als bis er zu einer

letzten Ursache kommt, welche Ursache seiner selbst und alles an­

dern ist.

Was nun die Objekte sind,

letzten Ursache hervorgegangen sind,

indem sie aus

dieser

müssen sie wesentlich sein,

und aus der Erkenntniß dieses Wesentlichen läßt sich denn die Mannichsaltigkeit der Erscheinungen ableiten.

Das Streben der

Vernunft nun zu einem reinen Verständniß der Dinge zu gelan­ indem sie sich wahre Vorstellungen derselben zu bilden und

gen,

diese zu einem organischen Ganzen zu verbinden bemüht ist, wel­

ches ein getreues Abbild der Objektwelt giebt, insofern sie darin enthalten ist, ist die Philosophie. Diese ist aber nicht etwas dem Menschen von außen Gegebenes, sondern eine Blüthe sei­

ner

eigenen

Vernunft.

nunft über sich

Sie ist das

Sichbesinnen der Ver­

selbst und die Welt.

Das Thier kann nur

den vor ihm liegenden Gegenstand erkennen, nimmer aber sich selbst.

Darin liegt eben der Unterschied zwischen Thier und Mensch.

Der Mensch aber,

dem die Möglichkeit des Selbstbesinnens als

Bedingung aller Entwickelung gegeben ist, fängt indessen auch sein

geistiges Leben damit an, daß er die Gegenstände um sich her zu erkennen strebt.

In dem Grade wird er aber erst Mensch und ent­

wickelt sich die Menschheit in ihm, als seine Vernunft einestheils ihren Blick auf sich selbst zurückzukehren, und anderntheils ein

Wild vom Ganzen um sich her in sich zusammenzusetzen anfangs. Es gehört aber ein bedeutender Grad von Entwickelung dazu, eher

als der Mensch so weit kommt, daß er sich diese Vorstellung von

sich selbst,

vom Ganzen und von seinem Verhältniß zu dem­

selben, d. h. eine Weltansicht bildet.

phie, wahre oder irrige, möglich.

Da ist auch keine Philoso­

Mithin wird schon das Dasein

der Philosophie durch die menschliche Entwickelung bedingt.

So

wie aber ein Baum auf einem ihm angemessenen Boden grade

und ebenmäßig gen Himmel steigt, auf einem andem aber krumm und schief, verkrüppelt und voller Auswüchse wird, so entwickeln sich auch die Menschen, je nachdem ihr Verhältniß zu der Natur

und unter sich ein solches ist, wie es sein soll, oder nicht, natür­ lich oder verkehrt.

Nach der Beschaffenheit dieser ihrer Entwicke­

lung aber gestaltet sich auch ihre Weltansicht als der Keim ihrer

Philosophie.

Mithin wird, wie das Dasein der Philosophie durch

diese Entwickelung so auch die Nichtigkeit und Wahrheit derselben

durch die Richtigkeit dieser Entwickelung bedingt. So wie der Mensch jedes Objekt, welches sich seinem Be­

wußtsein darstellt, als ein wechselndes findet, so auch sich selbst und sein Geschlecht.

Und zwar erscheint dieser Wechsel, wenn er

sich, wie er in einem Zeitmoment erscheint, mit dem vergleicht, was er

in einem spätern ist, als Entwickelung. Diese Entwickelung des einzel­

nen Menschen und des ganzen Geschlechts kann aus einem doppelten Gesichtspunkte betrachtet werden, einmal als unabhängig von ihm und dann als das Ergebniß seines eignen Handelns.

In der ersten

Hinsicht entwickelt sich der Mensch, als Einzelnwesen wie als Ge­ schlecht, nach einem von seiner Natur und Bestimmung bedingten,

von ihm unabhängigen Gesetze in geistiger Hinsicht so ohne sein eigenes Zuthun wie in leiblicher die Pflanze oder sein eigener Kör­ per.

Nun tragt aber der Mensch auch auf der untersten Stufe

seines geistigen Lebens in der Willkürfähigkeit (s. unten die Ab-

handl. von dem Uebel und dem Bösen) den Keim der Frei­

heit in sich, und diese Willkür macht ihn bis zu einem gewissen Grade von dem Gesetze jener von ihm unabhängigen Entwickelung frei, und durch das Eingreifen der Willkür kann er diese Entwi­ ckelung bis zu einem gewissen Grade aufhalten oder stören. Erst später, wo die Willkür sich zu wirklicher Freiheit entwickelt hat,

sieht er ein, daß, so wie die einzelne Pflanze und das Gesammtleben der Erde nur insofern gedeiht, als diese sich durch einen re­ gelmäßigen Umschwung um die Sonne in Beziehung auf diese

erhält, also kann auch seine, des Abhängigen, Entwickelung, wie

die seines Geschlechts, nur insofern gedeihen, als er sich in durch­ gängiger Beziehung auf den Urgrund seines Daseins erhält und

der seiner Entwickelung von einem höchsten Willen vorgezeichneten Bahn folgt

Bis dahin aber ist die Richtung der Bahn seiner

faktischen Entwickelung von dem Zusammenwirken jener beiden Kräfte, der innern menschlichen Natur und der Willkür bestimmt.

Bon dieser Bahn, fei sie nun die richtige, oder nicht, ist aber der­

jenige Bogen, welchen der Mmsch, als Individuum oder als Ge­ schlecht, bis zu feinem Erwachen zur Selbstbesinnung beschreibt,

eben so unabhängig von der Philosophie, die erst hier möglich wird, als er von äußern Umständen bestimmt ist.

Hier muß sich der

Mensch nehmen, wie er sich vorfindet und hier erst wird es ihm

möglich das Gesetz zu entdecken, nach welchem er sich entwickeln

muß, um mit dem Urgründe seines Daseins in keinen Widerspruch zu gerathen, und die Ausgabe seines Lebens wird von diesem Punkt an

die, die fernere Bahn seiner Entwickelung diesem Gesetze gemäß zu vollenden. Seine Ansicht aber von demselben ergiebt sich, aus seiner

Weltanficht, die er sich, sobald er zur Selbstbesinnung erwacht, bildet. Ist diese falsch, so muß jene es auch fein.

Die Wahrheit seiner Welt­

ansicht hängt aber wieder von der Richtigkeit seiner Entwickelung

bis dahin ab.

Ist diese verkehrt gewesen, oder ist er darin hin­

ter seiner Zejt zurückgeblieben, — vorausgesetzt, daß ihre Ent­

wickelung die richtige war,

so kann seine Weltansicht unmög­

lich eher richtig sein, als bis er sich von der Verkehrtheit frei ge­

macht, mit der er sich da behaftet findet, wo er, aus dem Punkt der Selbstbesinnung sich überkommt; als er den Vorsprung ein­

geholt, den sein Geschlecht hier vor ihm hatte, unh dessen Ent­ wickelung bis zu dem Punkte, aus dem es eben steht, an sich

wiederholt hat, und endlich als er, wenn die Entwickelung seines Geschlechts verkehrt gewesen ist, diese Verkehrtheit in der seinigen

ausgleicht —

Um aber dieses übersehen und bestimmen zu kön­

nen, welche die wahre Entwickelung seines Geschlechts sei, muß er schon eine wahre Weltansicht, d. h, eine vollständige und rich­

tige Vorstellung des Ganzen haben, denn nur daraus kann eine Um diese wahre

richtige Schätzung des Gegebenen hervorgehen!

Weltansicht ju, haben, muß er gehörig entwickelt sein.

Ob er

aber dieses sei oder nicht, kann er erst dann beurtheilen, wenn er

bereits die wahre Weltansicht hat,



Und

so müßte

sich

der Mensch, gäbe es für ihn außerhalb der Philosophie kein Aus­

kunstsmittel dafür, immer im Kreis dieser Voraussetzungen der Wahrheit herumtreiben, ohne Hoffnung, sie je zu finden, indem

die Philosophie, welche die Blüthe der Entwickelung der mensch­ lichen Vernunft bis dahin ist, nur insofern ihrer Wahrheit ge­ wiß sein kann, als sie sicher ist, diese Entwickelung sei die richtige, welche Entwickelung sie wieder nicht eher richtig schätzen kann, als

bis sie die Wahrheit gefunden.

Zwar sucht die Philosophie dieser Voraussetzung ihrer Wahr­

heit dadurch zu entgehen, daß sie den Menschen betrachten will, nicht wie er in der trüglichen, wechselnden Erscheinung, sondem wie er in der Zdee ist; indem bei ihm wie er hier ist, von kei­ nen Einflüssen einer möglicherweise verkehrten Entwickelung die

Rede sein kann;

allein dieß wird ihr nur dann gelingen, wenn

bewiesen werden kann, daß die Entwickelung der Menschheit eine

natürliche ist.

Denn gesetzt, der Mensch sei unnatürlich gewor­

den und befinde sich auf einem falschen Wege der Entwickelung,

so hat sich auch die Vernunft,

welche nun die Wahrheit sucht,

auf dem Boden der Verkehrtheit entwickelt,

und wurzelt dar­

auf. Woher soll nun diese zur Einsicht ihrer Verkehrtheit kom­ men, und, gesetzt, sie käme durch ein Wunder dazu, woher die Kraft nehmen sich darüber zu erheben, wie mit ihrem gelbsüchti­

gen Auge die Farbe der Wahrheit erkennen, wie in ihrer Verstimmt­ heit sich eine Vorstellung von dem Nichtverstimmten machen, und wie soll endlich sie, deren ganze Entwickelung vorausgesetztermaßen

ein Produkt einer verkehrten Entwickelung ist, sich zu dem erhe­ ben können,

wie etwas in der Idee ist ? —

Auch ist, wie frü­

her gezeigt worden, die Konstruktion, die dem Objekt seine wahre Stelle im Ganzen, und sein wahres Verhältniß zu demselben an-

weist, der Eine Faktor der Erkenntniß dieses Objekts in der Idee, so wie die Erkenntniß desselben Objekts, als eines Gegebenen oder als einer Wahrnehmung, die andre. des Menschen durch

Ist aber der geistige Blick

eine verkehrte Entwickelung verschroben, so

kann ihm zwar allenfalls eine richtige Auffassung des Objekts in

dieser letztem Hinsicht gelingen, für die Richtigkeit seiner Konstruk­ tion aber hat er hier, sobald jene Verkehrtheit vorausgesetzt wird,

keine Bürgschaft, mithin auch keine für das Finden der Wahrheit. — Wir haben aber keinen Grund anzunehmen, daß die Entwicke-

lung des Menschen bis zum Punkt der Selbstbesinnung die rich­ tige sei.

Denn die Bahn dieser Entwickelung wird, wie schon ge­

zeigt worden, durch das Zusammenwirken von zwei verschiedenen Kräften bestimmt. Da und insofern der Mensch aus Gott ist,

so muß allerdings irgend ein göttliches Princip die eine dieser Kräfte sein;

da er aber zugleich Selbst und in der Natur eingewurzelt

ist, wodurch er von Gott abgezogen wird und immer mehr in sich selbst versinkt, so können wir diese zweite Kraft, die in der Will­

kür ihre Wurzel hat, nicht anders, denn als ein ungöttliches Prin­ cip bezeichnen.

Jenes göttliche Princip muß wieder aus einem

doppelten Gesichtspunkte betrachtet werden, einmal als das Gött­ liche im Menschen, das Gott entgegenstrebende Göttliche im Men­

schen, vermöge welches dieser strebt, die richtige Bahn seiner Ent­

wickelung zu finden und zu gehen, und dann als das den Men­ schen zu Gott hinziehende Göttliche, insofern Gott dem, durch die Einflüsse des Entgegengesetzten, geschwächten göttlichen Princip im Menschen zu Hülfe kommt.

Jenes kann in Einer Hinsicht

als die Vernunft, in einer Andern, und wenn man einmal dahin

gekommen sein wird zu verstehen, was Christus mit diesem Worte meinte, als der Glaube bezeichnet werden, dieses wieder ist die

in der Offenbarung kund gewordene Gnade.

(Wie dies in der

Abhandl.: die Ideen im ersten Heft entwickelt worden ist.)

Mit

dem ungleichen Kampf des Göttlichen im Menschen gegen das

ungöttliche Princip, von Christus die Welt genannt, ist daher die Nothwendigkeit dieser Offenbarung gegeben.

Denn da der Mensch nicht aus und in sich selbst ist und be­ steht, sondern aus und in Gott, so muß die Bahn seiner Ent­ wickelung nothwendig eine Richtung auf Gott zu haben, und der

Mensch darum da sein, um jenes ungöttliche Princip immer mehr zu besiegen und immer göttlicher zu werden.

Nun ist aber, einer­

seits bei der über alle Geschichte hinaufreichenden Verdorbenheit der

Menschen, und, anderseits, bei der unläugbaren Erfahrung, daß im anfangenden Menschen oft ein Böses zum Vorschein kommt, welches nicht von außen in ihn hineingelegt worden ist, nicht ab­

zusehen wie, — Gott als das Centrum gesetzt, — diese centri-

strgale Richtung seiner Bahn, wenn der Mensch, sich selbst über-

lassen, sich aus sich selbst entwickelte, in eine centripetale übergehen könnte, sondern wir sind, um uns diesen Uebergang als möglich zu

denken, gezwungen, einen gleichsam unmittelbaren Einfluß des Ur­ hebers des Menschen auf ihn anzunehmen, einen Einfluß, der die­

sen Fortschritt gleichsam rektisicirt.

Diese, die Bahn der mensch­

lichen Entwickelung rektificirende Kraft, deren Nothwendigkeit wir hier nur andeuten, die Religionsphilosophie aber beweist, ist dieOffen-

barung,

das in die Nacht des ungöttlichen Wesens, der Welt,

hineinleuchtende Göttliche, welches der Menschheit ihre zulaufende

Bahn zeigt; das, zudem im Menschen zurückgebliebenen Minimum

vom Göttlichen hinzukommende Göttliche, wodurch Gott die Mensch­ heit zurückführt zu sich, und soweit entwickelt, daß sie nach wie­

derhergestellter Beziehung ihres Daseins zu ihm, — und, im Vor­ beigehen gesagt, selbst dann, wenn jede Erkenntniß göttlicher Dinge, die sie diesem sie erziehenden Princip verdankt,

auf einmal bis

auf die letzte Spur durch ein Wunder bei ihr verloren gehen sollte, — zu einem reinen Verständniß dieses ihres Daseins kommen kann. Der Ausspruch eines Meisters in der Philosophie: „die Be­ deutung einer Philosophie, welche das Princip des Sündenfalls,

in der höchsten Allgemeinheit ausgesprochen, zu ihrem eignen Prin­

cip macht, kann nicht groß genug angeschlagen werden."

(Schel­

ling, Phil, und Rel.) verbürgt die Nichtigkeit unsrer auf Hart­

manschen Principien aufgestellten Ansicht von einer ursprünglichen Verselbstung der Welt der Intelligenzen, welche in Einer Hinsicht nicht füglich anders denn als Abfall oder, wenn uns dieses neue

Wort erlaubt ist, als Centrifugenz bezeichnet werden kann.

Da

nun aber das Gesetz des Lebens oder der Entwickelung der Welt

der Intelligenzen nicht wohl anders ausgedrückt werden kann als: aus Gott und, Selbst geworden und Selbst verbleibend,

in Gott zurück, so mußte, sollte eine Verwandlung jener Bahn

der Centrifugenz in die der Centripetenz möglich werden, ein Fak­

tum statt finden, das in Allem grade das Gegentheil von dem wäre, wodurch sich die Welt der Intelligenzen verselbste und von Gott entfernte.

Diese beiden Fakta, als die Knoten in der Ent­

wickelungsbahn der Menschheit, mußten aber in der Zeit aus ein­

ander fallen, damit der Abfall nicht umsonst sei, sondern die Mensch­

heit zu einem klaren Bewußtsein der Nichtigkeit ihres Seins außer Gott käme.

Während dieser Zeit entwickelte sich die Menschheit

durch das Hineinleuchten jenes Göttlichen, welches zu dem im Men­ schen zurückgebliebenen Minimums des Göttlichen, hmzukam, durch

die vorbereitende Offenbarung in den Heroen der Menschheit bis

zu Christus, und diese vorbereitende Offenbarung reichte nun eben

hin, um die Fortbewegung der Menschheit zu bewirken und eine noch größere Centrifugenz zu verhindern.

Endlich gelangte, durch

die Fleischwerdung des Gottessohnes, die vorzugsweise also zu nen­

nende Offenbarung, die bestimmt ausgesprochene Offenbamng von dem Sein des Menschen in Gott, an die Menschheit.

Diese Offen­

barung wirkte aber anfänglich mehr unbewußt, d. h. die in dieser Offenbamng sich manifestirende göttliche Kraft gab der Bahn der

Menschheit, dieser noch beinahe unbewußt, die Richtung auf Gott zu.

Erst in dem Grade, als dieses göttliche Princip der Mensch­

heit immer mehr durchdringt und

die bisher abnorme Bahn der­

selben rektificirt, kann die Menschheit zu einem klaren Bewußtsein

ihres wahren Seins kommen, und gleichsam aus eignem, freien

Entschluß auf dieser Bahn weiter vorwärts streben.

Und erst in

dem Grade als die Bahn der Menschheit die richtige und die Mensch­ heit selbst göttlich wird, kann sie das göttliche Princip, das sie bis-

jetzt ihrer beinahe unbewußt erzogen, anerkennen und begreifen. Nur wenn der Gott in uns die ihn verhüllenden Nebel durchdringt,

kann er das Göttliche außer sich vernehmen. Gesetzt nun, — denn hier ist der Ort nicht, den Beweis

dieser Wahrheit zu führen, sondem nur sie anzudeuten, — gesetzt also, durch die Offenbarung, oder, um die so zu sagen einleitende

Offenbarung zu überspringen und uns an der vorzugsweise also

zu nennenden zu halten, durch die Erscheinung Gottes im Fleisch, durch Christus, sei der Menschheit das wahre Gesetz ihrer Ent­

wickelungsbahn bekannt gemacht worden, und sie zur Einsicht ihres Seins in Gott, als ihres wahren, eigentlichen Seins, verholfen: so ist es klar, daß es nur dann der Philosophie gelingen werde, ihre Aufgabe zu lösen, wenn sie von diesem Gesetz und von die­ ser Aufklärung über das wahre Sein der Menschheit Notiz nimmt

und sie mit den Ergebnissen ihrer eignen Forschungen so lange

vergleicht, bis sie die Offenbarung richtig versteht und bis das,

was sich in den Organismus der Einen Wahrheit nicht fügen

will,

als unorganisch ausstoßen wird.

Soll aber dieses ihr ge­

lingen, so muß sie sich mit diesem Einigungsversuch nicht an dm

menschlichen Geist schlechtweg, sondern an den in einer Vorsehungs­ gemäßen Ordnung entwickelten Geist wenden. Denn, da der

Mensch nicht etwas durch sich selbst, sondern durch den Urgrund alles Daseins Gewordenes ist, so kann er nur insofern sich selbst begreifen, als er davon Notiz nimmt, was dieser, als Urheber seines Wesens mit ihm beabsichtigte, und als er das ist, was er nach dessen Absicht sein soll. Also nur aus der Einigung der Of­ fenbarung mit den bisherigen Resultaten der Philosophie ist die Gewinnung der Wahrheit zu hoffen. Nun hat die Philosophie zwar von vernein keine Bürgschaft dafür, daß, was dem Men­ schen als göttliche Offenbarung geboten wird, auch dieses wirk­ lich sei; aber da der Mensch als abhängig von etwas außer ihm Seienden erscheint, so muß wohl die Bestimmung seines Daseins in einer durchgängigen Beziehung desselben zu dem Urgrund eben dieses Daseins bestehen, so wie die des Planeten in einer Bezie­ hung desselben zu der Sonne besteht; und da es im Menschen, hei der faktischen Verdorbenheit seiner Natur, nichts giebt, was ihn in diese Beziehung setzen und darin erhalten könnte, so muß die Thätigkeit, die ihn in diese Beziehung zu dem Urgrund seines Da­ seins setzt, nothwendig auch und vorzugsweise von diesem selbst ausgehen, so wie man im Reiche des Körperlichen allenfalls die Centrifugal- nie aber die Cmtripetalkraft läugnen könnte. Und da der Mensch Alles was er ist, in seinem Bewußtsein ist, so muß diese Anziehungskraft Gottes, soll es für den Menschen eine solche geben, ihm in seinem Bewußtsein aufgehen, d, h. Gott muß den Menschen, dadurch daß er ihm die Erkenntniß seiner Anziehungskraft auf ihn und die Einsicht aufgehcn läßt, daß ihm nur insofern wohl sein kann, als er dieser Anziehungskraft folgt und sich in einer durchgängigen Beziehung seines Daseins auf Gott erhält, an sich ziehen und in dieser Beziehung erhalten« Auf diesem SBcge läßt sich die Nothwendigkeit einer Offenbarung er­ weisen. Ist sie aber erwiesen, so kann keine Frage fein, wo man diese in der Wirklichkeit zu suchen habe. Jene übrigen Ueber­ lieferungen, die auf den Namen einer göttlichen Offenbarung An­ spruch machen, verhalten sich zu der christlichen wie der Traum zum Wachen und während jene nur eine in jenem Minimum des im Menschen zurückgebliebenen Göttlichen erwachte Ahnung ist, so ist diese der Punkt, wo jenes nothwendig hinzukommen müssende Göttliche dieses Minimum durchdrungen hat. Ist also die Offen­ barung, die da nothwendig erfolgen muß, an die Menschen gelangt,

so kann es nur die christliche fein.

Den Beweist aber, daß dieses

geschehen sei, kann 'nur der Erfolg führen, der auch hier ein

Gottesurtheil ist, indem eine Offenbarung, die, durch ihr Zusam­ menfallen mit den Ergebnissen der Entwickelung der menschlichen Vernunft, die Wahrheit geben soll, nothwendig die wahre sein So wie die Lehre des Copernicus so lange eine Hy­ pothese blieb, bis alle Phänomene der Bewegung unsers Son­

muß. —

nensystems dadurch erklärt wurden, und so wie sie, sobald dieses

geschehen war,

aufhörte eine zu sein, und zu einer erwiesenen

Wahrheit wurde: so wird auch die aus der Einigung der Offen­

barung und der Philosophie zu gewinnende Wahrheit so lange

eine Hypothese bleiben, dis daß sich alle Erscheinungen der geisti­ gen Welt daraus erklären und alle bisherigen Widersprüche vernich­

ten lassen.

Ist aber dieses geschehen, so wird man eben so we­

nig anstehen können, jene des Copernicus.

eine solche Lehre für wahr zu halten, als