Strafzumessung bei schwerer Kriminalität: Eine vergleichende theoretische und empirische Studie zur Herstellung und Darstellung des Strafmaßes [1 ed.] 9783428480456, 9783428080458

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Strafzumessung bei schwerer Kriminalität: Eine vergleichende theoretische und empirische Studie zur Herstellung und Darstellung des Strafmaßes [1 ed.]
 9783428480456, 9783428080458

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HANS-JÖRG ALBRECHT

Strafzumessung bei schwerer Kriminalität

STRAFRECHT UND KRIMINOLOGIE Untersuchungen und Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Freiburg im Breisgau herausgegeben von Hans-Heinrich lescheck . Günther Kaiser Albin Eser

Band 13

Strafzumessung bei schwerer Kriminalität Eine vergleichende theoretische und empirische Studie zur Herstellung und Darstellung des Strafmaßes

Von

Prof. Dr. Hans-Jörg Albrecht Technische Universität Dresden

Duncker & Humblot . Berlin

Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Albrecht, Hans-Jörg: Strafzumessung bei schwerer Kriminalität: eine vergleichende theoretische und empirische Studie zur Herstellung und Darstellung des Strafmasses / von Hans-Jörg Albrecht. Berlin : Duncker und Humblot, 1994 (Strafrecht und Kriminologie; Bd. 13) ISBN 3-428-08045-9 NE:GT

Alle Rechte vorbehalten Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany © 1994

ISSN 0720-6860 ISBN 3-428-08045-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier gemäß der ANSI-Norm für Bibliotheken

Vorwort Die vorliegende Untersuchung zur Strafzumessung bei schwerer Kriminalität greift Fragestellungen auf, die Strafrechtswissenschaft und Kriminologie gleichermaßen seit langer Zeit beschäftigen. Es handelt sich dabei um das Problem der Ungleichmäßigkeit in der Strafzumessungspraxis und um die Frage nach der theoretischen und dogmatischen Relevanz von Gleichbehandlung und Differenzierung in der Strafzumessungsentscheidung. In der Untersuchung werden normative Fragestellungen und der empirische Zugang verknüpft, freilich eine Selbstverständlichkeit, da Ungleichmäßigkeit nur vor einer normativen Folie beobachtet werden kann. Aufgegriffen wurde damit im übrigen auch ein Thema, das international heute große Beachtung findet. Denn dem Ziel gleichmäßigen und der Gleichbehandlung verpflichteten Strafens wird offensichtlich immer größere Bedeutung beigemessen. Die Untersuchung ist international vergleichend angelegt und bezieht Deutschland und Österreich ein. Mit diesem Ansatz wurde über die eingangs genannten Grundsatzfragestellungen hinaus auch das Ziel verfolgt, die Leistungsfähigkeit des positiven Rechts der Strafzumessung sowie auch theoretischer und dogmatischer Überlegungen im Hinblick auf die Erreichung eines gleichmäßigen Ergebnisses der Strafzumessungsentscheidungen zu überprüfen. Damit greift die Untersuchung auch die Perspektive der Evaluation auf. Österreich bot sich zum Vergleich an. Denn zunächst sind Unterschiede im Recht der Strafzumessung festzustellen, die Gelegenheit dazu gaben, an zentralen Punkten die Wirkungen rechtlicher Rahmenbedingungen auf die Strafzumessung hin zu untersuchen. Da es sich aber um eine empirische Studie handelt, war freilich noch ein anderer Gesichtspunkt für die Auswahl ausschlaggebend. Mit Prof. Dr. Pallin, dem ehemaligen Präsidenten des Obersten Gerichtshofs, sowie Dr. Janos Fehervary engagierten sich zwei Wissenschaftler für die Fragestellung der Strafzumessung, die sowohl die empirischen Teile als auch die normativen Fragestellungen des Projekts in Österreich gleichermaßen offen und kompetent betreuten. Ihnen ist zu verdanken, daß die Untersuchung als vergleichende empirische Studie durchgeführt werden konnte. Ich gedenke dabei besonders des kürzlich verstorbenen Prof. Pallin. Ganz besonderen Dank schulde ich sodann Herrn Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Günther Kaiser, der die Untersuchung nicht nur mit den Ressourcen des MaxPlanck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht gefördert hat,

Vorwort

VI

sondern deren Verlauf auch geduldig, mit größter Sachkunde und kritischem Rat begleitete und unterstützte. Prof. Dr. Dr. h. c. Albin Eser hat mir mit seiner Aufgeschlossenheit für kriminologische und empirische Forschung und hilfreichen Gesprächen ebenfalls nachdrücklich zur Seite gestanden. Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Hans-Heinrich Jescheck hat mit dem von ihm initiierten und erfolgreich durchgeführten Institutskonzept "Strafrecht und Kriminologie unter einem Dach" die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß sich eine solche vergleichende und auf Integration angelegte Studie überhaupt entwickeln konnte und dann den institutionellen Rahmen fand, um verwirklicht zu werden. Für diese Weitsicht sowie auch für die persönliche Anteilnahme an der Untersuchung danke ich. Ein empirisches Projekt der vorliegenden Größenordnung ist ohne Mithilfe im Bereich von Dateneingabe und Datenverarbeitung nicht denkbar. Die Herren Baumann und Kirstein haben die Datenerhebung sorgfältig durchgeführt und damit die Grundlagen für eine angemessene Auswertung der empirischen Informationen gelegt. Schließlich bin ich der Deutschen Forschungsgemeinschaft zu großem Dank verpflichtet, deren großzügige Unterstützung es ermöglicht hat, den Forschungsbericht in dieser Form zu veröffentlichen. Dresden, im September 1994 Hans-Jörg Albrecht

Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung ........................................................................ . 1.1 Einführung in Fragestellungen und Problemfelder ....................... . 1.2 Der Gang der Untersuchung ................................................

12

2. Die normativen Grundlagen der Strafzumessung ........................... 2.1 Die Herstellung von Unterschieden und die Herstellung von Gleichmäßigkeit im Strafmaß.............................................................. 2.2 Das Potential von Straf- und Strafzumessungstheorienfür die Herstellung von begründeter Strafmaßdifferenzierung .................................. 2.2.1 Einführung ............................................................. 2.3 Straftheorien und das positive Recht der Strafzumessung ................. 2.3.1 Straferklärung und § 46 Abs. 1 StGB ................................ 2.3.2 Absolute und relative Strafbegründung vor dem Hintergrund von Begriff und Inhalt der Strafe ......................................... 2.4 Straftheorien .................................................................. 2.4.1 Vereinigungstheorien .................................................. 2.4.2 Straftheorien positiver Generalprävention ............................ 2.4.3 Tatschuldtheorie ....................................................... 2.5 Strafzumessungstheorien ..................................................... 2.5.1 Die Spielraumtheorie .................................................. 2.5.2 Punktstrafentheorie und die Theorie des sozialen Gestaltungsakts 2.5.3 Stufentheorie der Strafzumessung .................................... 2.5.4 Die Theorie der Tatschuldvergeltung ................................ 2.5.5 Die Theorie positiver Generalprävention ............................ 2.5.6 Tatproportionalitätstheorie der Strafzumessung...................... 2.6 Zusammenfassung ............................................................

25 28 28 32 36 37 37 41 43 44 47 50 52

3. Die Verwendung empirischer Aussagen in der Strafzumessung und ihr Nutzen für begründete StrafmaßditTerenzierung ............................ 3.1 Präventive Zwecksetzung und Strafkonkretisierung ........................ 3.2 Theoretische Bezüge und Folgenorientierung .............................. 3.3 Dimensionen der Folgenorientierung ....................... . ............... 3.3.1 Generalprävention ..................................................... 3.3.2 Spezialprävention ...................................................... 3.3 .2.1 Abschreckungsprävention ... . ............ . ................... 3.3.2.2 Rehabilitationsprävention .................................... 3.3.2.3 Sicherungsprävention .........................................

57 57 61 62 63 65 65 66 66

16 16

23 23 24 24

VIII

Inhaltsverzeichnis

3.4 Empirische Sanktionsforschung und Befunde zum präventiven Potential strafrechtlicher Sanktionierung .............................................. 3.5 Konsequenzen der Folgenorientierung für die Strafzumessungsentscheidung ..................................................................... 3.5.1 Die Notwendigkeit einer theoretischen Begründung der Folgenorientierung ............................................................ 3.5.2 Das Problem der Theoriekonkurrenz ................................. 3.5.3 Probabilistische Aussagen und Einzelfallbehandlung .............. . 3.5.4 Probabilismus und Strafkonkretisierung .............................. 3.5.5 Prävention und Strafkonkretisierung ................................. 3.6 Theoretische und praktische Verarbeitung der Probleme der Folgenorientierung ........................................................................ 3.6.1 Normativierung der Zweckrationalität ............................... 3.6.2 Beschränkung der folgenbezogenen Entscheidung auf den Stand empirischer Forschung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6.3 Entscheiden bei Unsicherheit ......................................... 3.7 Zusammenfassung ............................................................

66 70 70 71 72 76 77 78 78 84 86 89

4. Die Einordnung der Straftat in den Strafrahmen ........................... 4.1 Die Bedeutung des Strafrahmens für die Strafzumessung ................. 4.2 Strafrahmenänderungen ...................................................... 4.3 Der Strafrahmen als Strafskala ............................................. 4.4 Maßstäbe der Deliktsschwere: Regeljall, Normaljall, Durchschnittsfall 4.5 Die Funktion des Regeljallbegriffs .......................................... 4.6 Die Notwendigkeit einer vergleichenden Beschreibung und Bewertung von Delikten ....................................................................... 4.7 Modelle der vergleichenden Bewertung von Straftaten .................... 4.7.1 Die induktiv-phänomenologische Betrachtungsweise ............... 4.7.2 Gesamtbewertung als Maßstab für eine "vorläufige" Einordnung 4.7.3 Extremmodelle der Einordnung ...................................... 4.7.4 Das normative Regeltatbild als Anknüpfungspunkt ................. 4.8 Grenzen der 1ndividualisierung und Reduktion des Strafzumessungssachverhalts ....................................................................... 4.8.1 Allgemeine Grenzen der Individualisierung ......................... 4.8.2 Kriterien der Reduzierung: Die Reduktion auf Unrechtsquantitäten 4.9 Maßstäbe der Einordnung von Straftaten in den Strafrahmen ............ 4.9.1 Die Maßstäbe der Vertretbarkeitskontrolle .............. ......... ... 4.9.2 Formalisierung und Quantifizierung der Äquivalenz zwischen Strafzumessungssachverhalt und Strafmaß ................................ 4.9.3 Formalisierung als Verrechtlichung der Argumentation in der Begründung des Strafmaßes .......................................... 4.10 Zusammenfassung...........................................................

91 91 92 96 98 100

5. Zur internationalen Entwicklung des Rechts der Strafzumessung ........ 5.1 Einführung.................................................................... 5.2 Strafzwecke und Strafziele im internationalen Vergleich ..................

124 124 129

104 109 109 110 112 112 113 113 116 117 117

119 122 123

Inhaltsverzeichnis

IX

5.3 Die Bestimmung der Strafart und der Strajhöhe ............. . ............. 5.3.1 Die Entscheidung über die Art der Strafe ........................... 5.3.2 Die Entscheidung über die Strafhöhe ................................

134 135 141

5.4 Strafzumessung und Strafvollstreckung: Veränderungen in der erkannten Strafe im Vollstreckungsverfahren ..........................................

148

5.5 Die Kontrolle der Strafzumessungsentscheidung ........................... 5.5.1 Grundlagen der Kontrolle der Strafzumessungsentscheidung: Die Begründung der Strafzumessung .....................................

151

5.6 Zusammenfassung .............................................. . .............

152

6. Empirische Strafzumessungsforschung: Fragestellungen, Theorie, Methoden und Befunde ........... ......... ............... ......... ......... ........ ....

155

6.1 Einführung....................................................................

155

151

6.2 Zum Stand empirischer Strafzumessungsforschung ........................ 156 6.2.1 Theoretische Zugänge und Fragestellungen.......................... 156 6.2.1.1 Fragestellungen empirischer Strafzumessungsforschung ... 156 6.2.1.2 Die Erklärung von Sanktions struktur und Sanktionsentwicklung: Gleichmäßigkeit und Ungleichmäßigkeit im Zeitverlauf ............................................................ 158 6.2.1.3 Die Erklärung von Strafmaßvariation oder Strafungleichmäßigkeit auf Gerichts- und Richterebene .................. 162 6.2.1.3.1 Diskriminierung als Erklärung von Ungleichbehandlung ......................................... 162 6.2.1.3.2 Einstellungsunterschiede bei Richtern als Erklärung von Strafmaßunterschieden .................. 164 6.2.1.3.3 Die Umwelt der Entscheidungsträger ............. 165 6.2.1.3.4 Extralegale Faktoren der Strafzumessungsentscheidung ........................................... 165 6.2.2 Methoden der Strafzumessungsforschung ............................ 167 6.3 Befunde empirischer Strafzumessungsforschung ........................... 169 6.3.1 Legalfaktoren und Strafzumessung ................................... 199 6.3.2 Extralegale Faktoren und Strafzumessung ........................... 199 6.3.3 Richtermerkmale, Einstellungen sowie Strafzweckpräferenzen und Strafzumessung ........................................................ 202 6.3.4 Verfahrensmerkmale, Entscheidungskontext und Strafzumessung 203 6.3.5 Räumliche und regionale Unterschiede der Strafzumessung........ 204 6.3.6 Strafrecht, Organisation und Änderung der Strafzumessung........ 205 6.3.7 Zusammenhänge zwischen Herstellung und Darstellung der Strafzumessungsentscheidung .............................................. 206 6.3.8 Forschungen zur Strafschwere ........................................ 206 6.4 Zusammenfassung und Schlußfolgerungen ..................................

207

6.4.1 Der Forschungsstand .................................................. 6.4.2 Forschungslücken und offene Fragestellungen ...................... .6.4.3 Aufbereitung der Fragestellungen für die empirische Untersuchung

207 207 211

x

Inhaltsverzeichnis

7. Durchführung der Untersuchung: Methode, Stichproben, Fragebogen und Datenerhebung ...................................................................

214

7.1 Zur Methode der empirischen Untersuchung.............. . ................

214

7.1.1 Die Aktenanalyse als Datenerhebungsinstrument ....................

214

7.1.2 Inhaltsanalyse von Strafzumessungsbegründungen im schriftlichen Strafurteil ..............................................................

217

7.1.3 Die international vergleichende Anlage der Untersuchung .........

219

7.1.4 Die Auswahl der Vergleichseinheiten und die Erweiterung der Fragestellungen ........................................................ 221 7.1.4.1 Die Einbeziehung Österreichs ...............................

221

7.1.4.2 Das Strafzumessungsrecht Deutschlands und Österreichs im Vergleich ......................................................

221

7.1.4.2.1 Die Grundlagenforrnel der § 46 Abs. 1 StGB sowie § 32 Abs. 1 öStGB .........................

221

7.1.4.2.2 Die Regelung von Strafzumessungserwägungen im Vergleich: Strafmilderung und Strafschärfung

226

7.1.4.2.3 Die strafrechtlichen Sanktionen im Vergleich ...

229

7.1.4.2.4 Strafrahmen, Mindest- und Höchststrafandrohungen ...... ......... ........ .................... ...

231

7.1.4.2.5 Die Straftatbestände im Vergleich................

232

7.1.4.2.6 Strafzumessung und Strafverfahren...............

235

7.1.4.3 Der internationale Vergleich und strafzumessungsbezogene Fragestellungen ...............................................

236

7.1.5 Stichprobenziehung, Ausfälle und Repräsentativität ................

237

7.1.5.1 Die deutsche Untersuchung ..................................

237

7.1.5.1.1 Stichprobenziehung ................................

237

7.1.5.1.2 Repräsentativität der Verurteilungen .............

238

7.1.5.2 Die österreichische Untersuchung ...........................

245

7.2 Das Erhebungsinstrument: die Variablenbereiche .........................

249

7.3 Zur Beschreibung der Untersuchungsgruppen: Straftaten, Straftäter, Verfahren und Rechtsfolgen im Vergleich ......................................

253

7.3.1 Die Straftaten: Variablen, Operationalisierung und Verteilung im Vergleich...............................................................

253

7.3.1.1 Operationalisierungen ........................................

253

7.3.1.2 Die Verteilungen im Vergleich..............................

255

7.3.2 Die Verurteilten: Merkmale der Straftäter im Vergleich............

259

7.3.3 Verfahrensmerkmale ..................................................

260

7.3.4 Die Rechtsfolgen der Straftat: Strafe, Maßregeln, Strafaussetzung zur Bewährung ................................ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 7.3.5 Die Vollstreckung der Strafe .........................................

270

7.4 Zusammenfassung............................................................

274

Inhaltsverzeichnis

XI

8. Zur Relevanz von Strafrahmen für die Struktur, die Differenzierung und das Ausmaß der Strafen ........................................................

277

8.1 Die Auswirkungen von Mindest- und Höchstgrenzen der gesetzlichen Strafandrohungen ..................................................................

277

8.2 Die Verteilung der Strafmaße innerhalb des Strafrahmens. . . .. ...... .....

287

8.3 Strafrahmenänderungen und Strafrahmenerweiterungen .................. 8.3.1 Die Technik minder schwerer Fälle, gesetzliche Strafmilderungsgründe und Rückfallstrafschärfung ................................... 8.3.1.1 Der minder schwere Fall der Vergewaltigung (§ 177 Abs. 2 StGB) ..... ......... ........... .................. ... ....... ..... 8.3.1.2 Der minder schwere Fall des einfachen Raubes (§ 249 Abs. 2 StGB) .......................................................... 8.3.1.3 Der minder schwere Fall des schweren Raubes (§ 250 Abs. 2 StGB) .......................................................... 8.3.2 Minder schwere Fälle im Vergleich.................................. 8.3.3 Das Konzept der minder schweren Fälle des deutschen Strafrechts im Vergleich zu österreichischen Lösungen ......................... 8.3.4 Die gesetzlichen Strafmilderungsgründe: Versuch, verminderte Schuldfahigkeit, Beihilfe .............................................. 8.3.5 Strafschärfungsgründe: Rückfall (§ 48 a. F. StGB) ..................

291 291 293 306 308 312 315 320 323

8.4 Zusammenfassung ............................................................

326

9. Determinanten des Strafmaßes: Modelle der Erklärung von StrafmaßdifTerenzierung ........................................................................

329

9.1 Die .Er.klärung von Variation im Strafmaß: Begründete und unbegründete VarzatlOn ...................................................................... 9.1.1 Das normative Modell der Strafmaßentscheidung: Differenzierung der Strafe nach Unrecht und Schuld ................................. 9.1.1.1 Die abhängige Variable: das Strafmaß...................... 9.1.1.2 Die empirische Überprüfung: Das Strafmaß bei Delikten des Einbruchsdiebstahls ........................................... 9.1.1.3 Strafmaßerklärung bei Delikten des einfaches Raubes (§ 249 StGB) ...... .......... ...... ................... ............ ..... 9.1.1.4 Strafmaßerklärung bei Delikten des schweren Raubes (§ 250 StGB) .... ............ ................. ......... ........ ........ 9.1.1.5 Strafmaßerklärung bei Vergewaltigungsdelikten (§ 177 StGB) .... .... ... ..................... ..... ......... ............ 9.1.2 Konkurrierende Modelle der Strafmaßerklärung .................... 9.1.2.1 Resozialisierung und Prävention............................. 9.1.2.2 Diskriminierung als Erklärung von Strafmaßvariation ..... 9.1.2.2.1 Geschlecht, "Ritterlichkeit" und Strafmaß ....... 9.1.2.2.2 Ausländereigenschaft und Strafzumessung ....... 9.1.2.2.3 Soziale Schicht und Strafmaß..................... 9.1.2.3 Das Regionalmodell: Variation und Strafmaßdifferenzierung als Ausdruck räumlich begründeter Abweichung ...........

329 330 330 331 338 339 341 343 343 345 345 346 347 348

XII

Inhaltsverzeichnis 9.1.2.4 Innergerichtliche Inkonsistenz in der Strafmaßbestimmung im Zeitverlauf als Erklärung von Variation im Strafmaß? 9.1.2.5 Verfahrensmerkmale: Untersuchungshaftanordnung und Untersuchungshaftdauer als strukturbildende Elemente in der Strafmaßdifferenzierung? ..................................... 9.1.2.6 Strafzumessung und Interaktion mit Verfahrensbeteiligten 9.1.2.6.1 Die Staatsanwaltschaft im Prozeß der Strafmaßkonkretisierung ..................................... 9.1.2.6.2 Strafverteidigung und Strafmaß ................... 9.1.2.6.3 Der Richter zwischen Strafmaßantrag der Staatsanwaltschaft und dem Antrag der Strafverteidigung ................................................ 9.1.2.6.4 Die Nebenklage und die Strafbemessung ........ 9.1.2.6.5 Rechtsmittelgerichte: Veränderung des Strafmaßes durch Berufung und Revision? ...............

354 358 361 361 368 371 372 373

9.2 Die Erklärung von Strafmaßvariation in der Strafzumessung bei mehreren Tatbeteiligten .................................................................

375

9.3 Zusammenfassung .......................... .. ................................

380

10. Die Strafzumessung bei Mehrfachtatbegehung .............................

387

10.1 Die Gesamtstrafenbildung nach §§ 53, 54 StGB ........................

387

10.2 Die Mehrfachtatbegehung in der Strafzumessung im Vergleich Deutschland und Österreich: Einheitsstrafe vs. Gesamtstrafe ...................

395

10.3 Zusammenfassung .........................................................

397

11. Die Bestimmung des Strafmaßes in Österreich und im Vergleich .......

399

11.1 Determinanten der Strafhähe in Österreich..............................

399

11.2 Die Erklärung des Strafmaßes im Vergleich.............................

403

11.3 Zusammenfassung .........................................................

406

12. Begründung und Rekonstruktion der Strafzumessung ....................

408

12.1 Die Darstellung der Strafzumessung ..................................... 12.1.1 Einleitung ..........................................................

408 408

12.1.2 Die quantitative Struktur der schriftlichen Strafzumessungserwägungen ........................................................ 12.1.3 Die thematische Struktur der Strafzumessungsbegründung ..... 12.1.4 Verknüpfungen der Strafzumessungstatsachen ..................

408 411 414

12.2 Die Validität der in die Strafzumessungsbegründungen aufgenommenen Strafzumessungstatsachen .................................................

417

12.3 Zusammenhänge zwischen Darstellung und Strafmaß: Rekonstruktion des Strafmaßes aus der Begründung ..................................... 420 12.3.1 Aussagekräftige und redundante Strafzumessungsdarstellungen 420 12.3.2 Zusammenhänge zwischen Herstellung und Darstellung der Strafzumessung .................................................... 423 12.4 Zusammenfassung .........................................................

426

Inhaltsverzeichnis

XIII

13. Die Strafzumessung im weiteren Sinne: Bestimmungsfaktoren der Geldstrafe bei schwerer Kriminalität ............................... ~ . . . . . . . . . . .. . 428 13.1 Zur Wahl der Geldstrafe..................................................

428

13.2 Die Anzahl der Tagessätze... . . ......... ........... . . . .. .. .... ....... .. ...

435

13.3 Die Höhe des Tagessatzes ................................................

436

13.4 Zusammenfassung ...................................... . ..................

438

14. Die Aussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung ........................

439

14.1 Die Entscheidung zwischen bedingter und unbedingter Freiheitsstrafe

439

14.1.1 Die Aussetzung der verhängten Freiheitsstrafe zur Bewährung nach § 56 StGB . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . 439 14.1.2 Die Strafaussetzung zur Bewährung in Österreich und im Vergleich .................... ........... ................. ........... .... 446

14.2 Die Ausgestaltung der Strafaussetzung zur Bewährung.................

451

14.2.1 Auflagen ........................................................... 14.2.1.1 Geldauflagen ............................................ 14.2.1.2 Die Auflage der Wiedergutmachung................... 14.2.1.3 Gemeinnützige Leistungen ............................. 14.2.2 Weisungen......................................................... 14.2.3 Unterstellung unter Bewährungshilfe ............................ 14.2.4 Die Dauer der Bewährungszeit ................................... 14.2.5 Punitivität und Resozialisierung in der Ausgestaltung der Strafaussetzung zur Bewährung .......................................

451 452 454 455 455 455 456

14.3 Zusammenfassung .........................................................

459

456

15. Maßregeln der Besserung und Sicherung im System strafrechtlicher Sanktionierung .................................................................. 461 15.1 Die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung (§ 66 StGB) ........

461

15.2 Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB)

466

15.3 Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) ...........

467

15.4 Führungsaufsicht ..........................................................

468

15.5 Der Entzug der Fahrerlaubnis und die Sperre der Wiedererteilung (§§69ff. StGB) ............................................................

469

15.6 Zusammenfassung .........................................................

470

16. Der Ertrag der Untersuchung und Konsequenzen für Strafzumessungstheorie, Kriminalpolitik und empirische Strafzumessungsforschung ....

472

16.1 Zusammenfassende Darstellung der Untersuchung und ihres Ertrags

472

16.1.1 16.1.2 16.1.3 16.1.4

Die Ziele und Fragestellungen der Untersuchung ............... Stand der Straf- und Strafzumessungstheorie .................... Empirische Strafzumessungsforschung ........................... Die Durchführung und der Ertrag der empirisch-vergleichenden Untersuchung ....................................................... 16.1.4.1 Zugänge und Methoden ........ ....... ............ ...... 16.1.4.2 Die Verurteilten im Vergleich ..........................

472 473 475 476 476 477

XIV

Inhaltsverzeichnis 16.1.4.3 Empirische Befunde..................................... 16.1.4.3.1 Die Bedeutung von Strafrahmen für die Strafzumessung ............................. 16.1.4.3.2 Die Erklärung der Strafmaßdifferenzierung 16.1.4.3.3 Die Strafmaßerklärung im Vergleich ...... 16.1.4.3.4 Die Darstellung und Begründung der Strafzumessung ................................... 16.1.4.3.5 Die Strafzumessung im weiteren Sinne ... 16.1.4.3.5.1 Die Geldstrafe im Bereich mittelschwerer Kriminalität ...... 16.1.4.3.5.2 Die Strafaussetzung zur Bewährung ....................... 16.1.4.3.6 Die Maßregeln der Besserung und Sicherung 16.1.5 Zum Ausmaß von Gleichmäßigkeit und Ungleichmäßigkeit in der Strafzumessungspraxis und zur Frage der Steuerbarkeit der Strafzumessungsentscheidung .................................... 16.1.5.1 Das Ausmaß von Gleichmäßigkeit und Ungleichmäßigkeit ....................................................... 16.1.5.2 Steuerung und Beeinflussung der Strafzumessungspraxis .......... ... ........ ...... .... ............ .... .....

479 479 480 486 487 489 489 490 491 492 492 494

16.2 Straf- und strafzumessungstheoretische Konsequenzen.................. 16.2.1 Die Grundlagen der Strafmaßentscheidung ...................... 16.2.2 Folgerungen für die Theorie der Strafzumessung ...............

496 496 497

16.3 Kriminalpolitische Konsequenzen ........................................

500

16.4 Kriminologische Perspektiven ............................................

501

Literaturverzeichnis

503

Sachverzeichnis .....................................................................

522

Verzeichnis der Tabellen Tabelle 1: Erreichte Strafakten: Ausgangsmaterial, Ausfalle und verarbeitete Strafakten ...............................................................

239

Tabelle 2: Vergleich der Stichproben mit Grundgesamtheiten von Verurteilten aus Baden-Württemberg und Deutschland ............................

240

Tabelle 3: Schadenshöhe bei Einbruchsdiebstahl und Raub im Vergleich (in kum. %) .................................................................

258

Tabelle 4: Dauer des Strafverfahrens im Vergleich (Durchschnitt in Monaten)

264

Tabelle 5: Struktur der Strafen im Vergleich .....................................

266

Tabelle 6: Anteile zur Bewährung ausgesetzter Freiheitsstrafen im Vergleich (in %) ....................................................................

267

Tabelle 7: Maßregeln der Besserung und Sicherung im Vergleich (in %) ......

268

Tabelle 8: Gnadenpraxis sowie Strafrestaussetzung zur Bewährung im Vergleich (in %) ....................................................................

271

Tabelle 9: Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung im Vergleich (in %)

272

Tabelle 10: Die Struktur der Strafen aus der Sicht der Vollstreckung im Vergleich (in %) ............................................................

273

Tabelle 11: Strafrahmen und Strafpraxis im Vergleich ............................

279

Tabelle 12: Konzentration der Strafmaße bei Strafen von einem Jahr und mehr auf 3-,6- und 12-Monatsschritte im Vergleich (in %) ...............

288

Tabelle 13: Quoten der Strafaussetzung zur Bewährung beim 12- bzw. 24-monatigen Freiheitsstrafen (in %) ............................................

290

Tabelle 14: Die Verteilung minder schwerer Fälle des Raubes (in %) ...........

308

Tabelle 15: Anteile unterschiedlicher Milderungskombinationen (in %) .........

320

Tabelle 16: Durchschnittlich verhängte Strafe bei Versuch / Vollendung und verminderter Schuldfähigkeit / Uneingeschränkter Schuldfähigkeit (in Monaten) ................................................................

321

Tabelle 17: Milderungskombinationen und durchschnittliche Strafe (in Monaten)

323

Tabelle 18: Durchschnittliche Strafmaße (in Monaten) bei Rückfalldelikten (§ 48 a. F. StGB) und anderen Straftaten ....................................

324

XVI

Verzeichnis der Tabellen

Tabelle 19: Abweichungen zwischen Antrag der Staatsanwaltschaft und Urteil (Stratböhe) (deutsche Fälle) ........................................ :...

363

Tabelle 20: Strafaussetzung zur Bewährung im staatsanwaltschaftlichen Antrag sowie im Urteil (in %) .................................................

364

Tabelle 21: Abweichungen zwischen staatsanwaltschaftlichem Strafmaßantrag und richterlichem Strafmaß sowie Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft (in %) ....................................................................

368

Tabelle 22: Deliktsart und erstinstanzliches Gericht (in %) .......................

373

Tabelle 23: Verletzungs- und Gewaltintensität im Vergleich von Strafaktendaten und Strafzumessungsbegründung (Durchschnittswerte) .............. 419 Tabelle 24: Begründung der Strafzumessung und ihr Zusammenhang mit dem Strafmaß.................................................................

420

Verzeichnis der Übersichten Übersicht 1: Empirische Untersuchungen zur Strafzumessung auf der Basis von Strafakten. Zählkarten, lustizstatistiken ..............................

170

Übersicht 2: Experimentelle und quasi-experimentelle Untersuchungen zur Strafzumessung ......................................... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

187

Übersicht 3: Empirische Untersuchungen zur Strafzumessung auf der Basis von Befragung, Interview und Beobachtung ..............................

192

Übersicht 4: Strafschwere im Spiegel empirischer Forschung ....................

208

Übersicht 5: Rechtliche Grundlagen der Strafzumessung im Vergleich ..........

223

Übersicht 6: Delikte und Strafrahmen im Vergleich...............................

232

Übersicht 7: Strafmaße bei Raubdelikten bei mehreren Tatbeteiligten ...........

377

Verzeichnis der Schaubilder Schaubild 1: Strafmaße bei Vergewaltigung 1968 - 1988 (Erwachsenenstrafrecht) in % ...................................................................

242

Schaubild 2: Strafmaße bei Einbruchsdiebstahl 1976-1990 in % ...............

243

Schaubild 3: Strafmaße bei einfachem Raub 1976-1990 in % ..................

244

Schaubild 4: Strafmaße bei schwerem Raub 1976-1990 in % ...................

244

Schaubild 5: Erscheinungsformen des Raubes in % ....................... . . . ....

245

Schaubild 6: Erscheinungsformen der Vergewaltigung (in %) ...................

256

Schaubild 7: Täter-Opfer-Beziehung bei Vergewaltigung (in %) ................

257

Schaubild 8: Verurteiltenmerkmale im Vergleich (in %) .........................

259

Schaubild 9: Häufigkeit von Untersuchungshaft (in %) ..........................

261

Schaubild 10: Untersuchungshaftgründe Deutschland (in %) ............... . ......

262

Schaubild 11: Untersuchungshaftgründe Österreich (in %) ........................

262

Schaubild 12: Dauer der Untersuchungshaft im Vergleich ........................

263

Schaubild 13: Auflagen und Weisungen bei Strafaussetzung zur Bewährung in Deutschland (in %) ...................................................

270

Schaubild 14: Die Vollstreckung der Geldstrafe ...................................

272

Schaubild 15: Verteilung der Strafmaße bei Einbruchsdiebstahl..................

280

Schaubild 16: Verteilung der Strafmaße bei Einbruchsdiebstahl -

der Trend

281

Schaubild 17: Verteilung der Strafmaße bei Raubdelikten ........................

282

Schaubild 18: Verteilung der Strafmaße bei Raubdelikten -

der Trend.........

282

Schaubild 19: Verteilung der Strafmaße bei Vergewaltigung / Notzucht .........

283

Schaubild 20: Verteilung der Strafmaße bei Vergewaltigung / Notzucht - der Trend .................................................................

284

Schaubild 21: Durchschnittliche Freiheitsstrafe für einschlägige Vorstrafen Einbruchsdiebstahl .......................................................

286

Schaubild 22: Minder und normal schwere Fälle der Vergewaltigung - Mittelwerte .... ............. ........ .......... ......... ................... ...

294

Verzeichnis der Schaubilder

XIX

Schaubild 23: Minder schwere und normale Fälle der Vergewaltigung (Kennziffern in %) ..........................................................

297

Schaubild 24: Täter-Opfer-Verhältnis und minder schwere Fälle der Vergewaltigung (in %) .........................................................

298

Schaubild 25: Minder schwere Fälle der Vergewaltigung, Tatschwere und TäterOpfer-Beziehung.....................................................

302

Schaubild 26: Minder schwere Fälle der Vergewaltigung, Tatschwere, Täter und Täter-Opfer-Beziehung ..............................................

302

Schaubild 27: Normal schwere Fälle der Vergewaltigung, Tatschwere, Täter und Täter-Opfer-Beziehung ..............................................

303

Schaubild 28: Minder und normal schwere Delikte der Vergewaltigung bei enger Vorbeziehung ........................................................

305

Schaubild 29: Erscheinungsbild des Raubes und minder schwere Fälle des schweren Raubes (in %) .............................................

310

Schaubild 30: Verteilung der Strafmaße bei minder schweren Delikten des Raubes und der Vergewaltigung (in %) .....................................

313

Schaubild 31: Täter-Opfer-Verhältnis und minder schwere Fälle bei Raub und Vergewaltigung (in %) ...............................................

314

Schaubild 32: Täter-Opfer-Verhältnis und minder schwere Fälle bzw. Nötigung zum Beischlaf (in % aller Sexualdelikte) .......................... :

316

Schaubild 33: Minder und normal schwere Fälle der Vergewaltigung und Notzucht bzw. Nötigung zum Beischlaf im Vergleich ............ ...........

317

Schaubild 34: Minder bzw. normal schwere Fälle des schweren Raubes und schwerer Raub mit/ ohne AO im Vergleich ............ ...........

317

Schaubild 35: Summe der Einzelstrafen und Gesamtstrafenbildung - Durchschnittliche Reduzierung - .........................................

391

Schaubild 36: Die Gesamtstrafe im Verhältnis zur Einzelstrafensumme bei Einbruchsdiebstahl .......................................................

391

Schaubild 37: Häufigkeit von Strafzumessungstatsachen und Strafart ............

409

Schaubild 38: Dauer der Strafe und durchschnittliche Anzahl genannter Strafzumessungstatsachen .................................................

410

Schaubild 39: Strafzumessungsthemen bei Raubdelikten (in % aller Nennungen)

419

Schaubild 40: Strafzumessungsthemen bei Vergewaltigungsdelikten (in % aller Nennungen) .......................................................... 413 Schaubild 41: Strafzumessungsthemen bei Einbruchsdiebstahl (in % aller Nennungen) .......................................................... 414

xx

Verzeichnis der Schaubilder

Schaubild 42: Bezugspunkte von Strafzumessungserwägungen bei Raubdelikten (in % aller Strafzumessungstatsachen) ..............................

415

Schaubild 43: Bezugspunkte der Strafzumessungstatsachen bei Vergewaltigungsdelikten (in % aller Nennungen) ....................................

416

Schaubild 44: Bezugspunkte der Strafzumessungstatsachen bei Einbruchsdiebstahl (in % aller Nennungen) ........................................

416

Schaubild 45: Vorstrafenbelastung und Strafart bei einem einzelnen Einbruchsdiebstahl (in %) ......................................................

430

Schaubild 46: Straflänge und Strafart (in %) .......................................

433

Schaubild 47: Determinanten der Strafaussetzung zur Bewährung (bei aussetzungsfähigen Freiheitsstrafen) (Deutschland) ......................

441

Schaubild 48: Merkmalscluster unter Einbeziehung der Strafaussetzung zur Bewährung ........................................................... 445 Schaubild 49: Determinanten der Strafaussetzung zur Bewährung (bei aussetzungsfähigen Freiheitsstrafen) (Österreich) .........................

449

Schaubild 50: Struktur der Auflagen bei zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafen (in %) .........................................................

453

Schaubild 51: Auflagen und Weisungen bei zur Bewährung ausgesetzter Freiheitsstrafe (in %) ..........................................................

457

Schaubild 52: Ausgestaltung der Bewährung und Resozialisierungsbedarf in % ...

458

Schaubild 53: Dauer der Fahrerlaubnissperre und Straflänge .....................

470

Abkürzungsverzeichnis AG BGH BGHSt GA JR JResDel JZ KB KrimJ LG MDR

= Amtsgericht

= Bundesgerichtshof = Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen = Goltdammers Archiv für Strafrecht = Juristische Rundschau = Journal of Research in Crime and Delinquency = Juristenzeitung = Kriminalsoziologische Bibliographie = Kriminologisches Journal = Landgericht = Monatsschrift für Deutsches Recht Ms~hrKrim = Monatsschrift für Kriminologie NJW = Neue Juristische Wochenschrift NStZ = Neue Zeitschrift für Strafrecht OLG = Oberlandesgericht = Zeitschrift für die Gesamte Strafrechtswissenschaft ZStW

1. Einleitung 1.1 Einführung in Fragestellungen und Problemfelder Die vorliegende Untersuchung hat sich zum Ziel gesetzt, einen Beitrag zur Theorie und Empirie der Strafzumessung zu leisten. Dabei steht die Frage nach der Erklärung und Begründung von Unterschieden im Strafmaß und in der Strafart, also die Strafmaß- und Strafartdijferenzierung, im Mittelpunkt. Insbesondere geht es um das Problem unbegründeter Differenzierung im Strafmaß und in der Strafart und das in Vergangenheit und Gegenwart die strafrechtliche und kriminologische Tagesordnung immer wieder bereichernde Problem der Ungleichmäßigkeit der Strafzumessung. Hierauf bezogene Fragestellungen werden anhand theoretischer Analysen sowie anhand einer empirisch-vergleichenden Studie auf der Basis einer Strafaktenanalyse zu deutschen und österreichischen rechtskräftigen Verurteilungen bei schwerer Kriminalität, und zwar der Delikte Raub, Vergewaltigung und Einbruchsdiebstahl, untersucht. Dabei gilt es vor allem die Fragen zu behandeln,

-

welche Rolle dem Gleichheitssatz im System strafrechtlicher Sanktionierung zukommt,

-

in welchem Umfang und mit welcher Präzision Straf- und Strafzumessungstheorien Strafdijferenzierung begründen, erklären und anleiten können, ob und inwieweit das praktische Resultat der Strafzumessungsentscheidung von Gleichmäßigkeit und Ungleichmäßigkeit gekennzeichnet ist, welche Möglichkeiten sich bieten, Ungleichmäßigkeit in der Strafzumessung zu kontrollieren und bis zu welchem Grad Ungleichmäßigkeit bzw. unbegründete Unterschiede in der Strafzumessung eliminierungsfähig erscheinen,

-

welches der verschiedenen, miteinander konkurrierenden theoretischen Modelle der Strafzumessung zur Erklärung von Dijferenzierung in den Strafen am besten geeignet ist,

-

inwieweit positives Recht und ggfs. welche Elemente aus dem normativen Programm der Strafzumessung die Entscheidung über die Art und das Ausmaß der Strafe zu steuern geeignet sind und damit zur Reduzierung unerwünschter bzw. nicht begründbarer Variation beitragen können,

-

inwieweit normativ-theoretische Erwägungen zur Struktur der Strafzumessungsentscheidung mit einem empirisch plausiblen Modell der Strafzumessung zur Deckung gebracht werden können,

lAlbrecht

2

1. Einleitung

und ferner, inwieweit Determinanten der Herstellung der Strafzumessung einerseits und diejenigen der Darstellung der Strafzumessung andererseits miteinander übereinstimmen. Die hiennit vorgestellten Fragestellungen berühren den Kernbereich der Strafzumessung. Sie verweisen auf strafrechtstheoretische, strafrechtsdogmatische und empirische Probleme. Obwohl in den siebziger und achtziger Jahren die dogmatische und empirische Behandlung der Strafzumessung große Aufmerksamkeit erfuhr l , kann doch als gesichert gelten, daß wesentliche Probleme der Strafe und der Strafanwendung bislang nicht geklärt sind 2. Dies gilt nicht nur für Einzelfragestellungen wie die der Strafzumessung bei mehreren Straftaten (Gesamtstrafenbildung)3 oder die Festlegung der Bewertungsrichtung von Strafzumessungstatsachen4, sondern vor allem für die Grundlagen. Regelmäßig äußern sich wohl gerade in den Einzelfragestellungen ungelöste Grundlagenprobleme. Zwar schreitet die theoretische und dogmatische, ferner die empirische Bearbeitung der Strafzumessung voran, jedoch hat sich dies bislang noch nicht in einer überzeugenden und allseits akzeptierten theoretischen Grundlegung der Strafzumessung sowie in empirisch plausiblen Erklärungskonzepten von Strafmaßvariation niedergeschlagen. Jedenfalls bereitet die Praxis der Strafzumessung ungeachtet der wissenschaftlichen Forschung und ihres nicht gering zu erachtenden Ertrags erhebliche Sorgen 5. Immer stärker rücken dabei Fragen nach den Bedingungen von Gleichmäßigkeit und 1 Bruns, H.-I.: Strafzumessung. 2. Aufl. Köln u. a. 1974; Zipf, H.: Strafzumessung. Heidelberg, Karlsruhe 1977; Streng, H.: Strafzumessung und relative Gerechtigkeit. Heidelberg 1984; Frisch, W.: Gegenwärtiger Stand und Zukunftsperspektiven der Strafzumessungsdogmatik. ZStW 99 (1987), S. 349-388, S. 751-805; Pfeiffer, Ch., Oswald, M. (Hrsg.): Strafzumessung. Empirische Forschung und Strafrechtsdogmatik im Dialog. Stuttgart 1989. 2 Vgl. hierzu beispw. schon Lackner, K.: Über neue Entwicklungen in der Strafzumessungslehre und ihre Bedeutung für die richterliche Praxis. Heidelberg, Karlsruhe 1978, S. 7; Frisch, W.: Gegenwärtiger Stand und Zukunftsperspektiven der Strafzumessungsdogmatik. ZStW 99 (1987), S. 349-388; S. 751-805 sowie die Erwiderung von Bruns, H.-I.: Neues Strafzumessungsrecht? Köln u. a. 1988; Giehring, H.: Ungleichheiten in der Strafzumessungspraxis und die Strafzumessungslehre - Versuch einer Analyse aus der Sicht eines Strafrechtswissenschaftlers. In: Pfeiffer, Ch., Oswald, M. (Hrsg.): Strafzumessung. Empirische Forschung und Strafrechtsdogmatik im Dialog. Stuttgart 1989, S. 77 -125, S. 83; neuerdings von Hirsch, A., Jareborg, N.: Strafmaß und Strafgerechtigkeit. Die deutsche Strafzumessungslehre und das Prinzip der Tatproportionalität. Godesberg 1991. 3 Bringewat, P.: Die Bildung der Gesamtstrafe. Berlin, New York 1987. 4 Frisch, W.: Über die "Bewertungsrichtung" von Strafzumessungstatsachen. Ein Beitrag zur Problematik komparativer Aussagen im Strafrecht. GA 136 (1989), S. 338375. 5 Vgl. einerseits Peters, K.: Praxis der Strafzumessung und Sanktionen. Kriminologische Gegenwartsfragen, Heft 10. Stuttgart 1972, S. 51-67, S. 51 f.; andererseits Kaiser, G.: Praxis der Strafzumessung und der Sanktionen im Verkehrsrecht. Kriminologische Gegenwartsfragen, Heft 10. Stuttgart 1972, S. 92-127, S. 92; Kaiser, G.: Kriminologie. 2. Aufl., Heidelberg 1988, S. 855.

1.1 Einführung in Fragestellungen und Problemfelder

3

Ungleichmäßigkeit der Strafzumessungspraxis, mehr noch, das Problem der Ungleichbehandlung in den Vordergrund. Die Besorgnis über den Zustand der Strafzumessungspraxis läßt sich sicher teilweise darauf zurückführen, daß die strafgerichtliche Praxis der theoretischen Argumentation sehr zurückhaltend gegenübersteht und sich einer im wesentlichen pragmatischen Handhabung der Strafzumessung verpflichtet sieht 6 • Jedoch läßt sich andererseits nicht übersehen, daß auch die Theorien der Strafe und der Strafzumessung noch nicht zur Ruhe gekommen sind und kaum in Anspruch nehmen können, eindeutige und konfliktfreie Bezugspunkte der Praxis darzustellen 7. Darauf deuten gerade in neuerer Zeit die Auseinandersetzungen hin, die wieder um Strafzwecke und Strafbegründungen geführt werden. In der Krise des präventiven, insbesondere des spezialpräventiven, Strafrechts wird diese Problematik sichtbar 8• Die Krise des präventiven Strafrechts ist bislang nicht abgeschlossen und weder kriminalpolitisch und gesetzgeberisch, noch strafrechts dogmatisch verarbeitet. Die optimistische Grundhaltung, die mit einer resozialisierenden Ausgestaltung und der präventiven Bemessung der Strafe einstmals verbunden war, ist abgelöst worden durch zunehmenden Pessimismus im Hinblick auf die Gestaltungskraft des Strafrechts insgesamt wie im Hinblick auf das präventive Potential der Einzelstrafe 9 • Dies gilt nicht nur für die Organisation und den Inhalt der Strafvollstreckung, insbesondere für den Vollzug der Freiheitsstrafe 10, sowie für das ihnen zugeschriebene oder von ihnen erhoffte Potential an Spezialprävention. Darüber hinaus werden von der Krise auch die Überlegungen zur präventiven Kraft des Strafrechts im allgemeinen erfaßt (Generalprävention). Jedoch leidet unter diesem Verfall der Überzeugungskraft der präventiven Theorie der Strafe vor allem die Begründung der Strafmaß- und Strafartdifferenzierung. Schließlich war doch in Bruns, H. J.: Neues Strafzumessungsrecht? Köln u. a. 1988, S. 6 ff. Müller-Dietz, H.: Grundfragen des strafrechtlichen Sanktionensystems. Heidelberg, Hamburg 1979, S. 16 ff. 8 Vgl. hierzu schon Eser, A.: Resozialisierung in der Krise. In: Festschrift für Peters. Karlsruhe 1973, S. 505-518; Kaiser, G.: Resozialisierung und Zeitgeist. In: Festschrift für Th. Würtenberger. Berlin 1977, S. 359-372; im übrigen Albrecht, P.-A.: Spezialprävention und modeme Tätergruppen. ZStW 97 (1985), S. 831-870; Schünemann, B.: Plädoyer für eine neue Theorie der Strafzumessung. In: Eser, A., Comils, K. (Hrsg.): Neuere Tendenzen der Kriminalpolitik:. Freiburg 1987, S. 209-238. 9 Vgl. hierzu auch die These von der Austauschbarkeit strafrechtlicher Sanktionen im Hinblick auf die präventiven Folgen der Strafe, Albrecht, H.-J.: Legalbewährung bei zu Freiheitsstrafe und Geldstrafe Verurteilten. Freiburg 1982; Kerner, H.-J.: Sanktionsforschung, Pönologie. In: Kaiser, G., Kerner, H.-J., Sack, F., Schellhoss, H. (Hrsg.): Kleines Kriminologisches Wörterbuch. 3. Aufl., Heidelberg 1993, S. 440-444, S. 441. Dies gilt nicht zuletzt auch für das Jugendstrafrecht, das ja noch mehr als das Erwachsenenstrafrecht, gar ausschließlich dem erzieherisch-spezialpräventiven Gedanken verpflichtet ist, hierzu Albrecht, H. -J.: Präventive Aspekte der Verfahrenseinstellung im Jugendstrafrecht. In: Walter, M., Koop, G. (Hrsg.): Die Einstellung des Strafverfahrens im Jugendstrafrecht. Vechta 1984, S. 51-78; Albrecht, P.-A.: a. a. O. 1985, S. 840 ff. 10 Hierzu insbesondere Albrecht, P. A.: a. a. 0., 1985, S. 840 ff.; Schünemann, B.: a. a. O. 1987. .. 6

7

1*

4

1. Einleitung

den Anfangen der Resozialisierungsstrafe die Vorstellung wirksam, man könne den schon seit jeher als sperrig empfundenen normativen Strafzumessungsproblemen 11, insbesondere in der Herstellung der Strafe, einfach dadurch entgehen, indem die dem Einzelfall angemessene Strafe aus der eindeutigen Feststellung von Resozialisierungsnotwendigkeiten einerseits und empirischen Gesetzen über das Verhältnis von Resozialisierungsmitteln und Resozialisierungserfolg andererseits präzise abgeleitet werde l2 • Das Strafmaß wie auch seine normative Begründung und Erklärung hätten freilich dann abgeschafft werden können, wenn es gelungen wäre, die hierzu erforderlichen diagnostischen und therapeutischen Instrumente zu entwickeln und die staatliche Strafe in eine Technologie individualpräventiv ausgerichteter "defense sociale" zu überführen. Wenn auch solche wie im übrigen anders begründete "abolitionistische" Strömungen bislang ohne derartig dramatische Folgen blieben, so haben doch die Theorie der Resozialisierung und das Präventionskonzept insgesamt in Form deutlicher Veränderungen der Sanktionssysteme jedenfalls erhebliche Auswirkungen mit sich gebracht. Die Verankerung der Strafaussetzung zur Bewährung und auf sie bezogener Sozialer Dienste im Strafrecht und in der Strafjustiz, die Priorität der Geldstrafe und die damit verbundene Zurückdrängung der kurzen Freiheitsstrafe haben unübersehbare praktische Bedeutung erlangt und sich als (vom Ausmaß der Anwendung her gesehen) erfolgreich konkurrierende Alternativen zur schwerpunktmäßig als Belastung des Straftäters und Übelszufügung ausgestalteten Strafe, vor allem der unbedingten Freiheitsstrafe, erwiesen. Das Sanktionensystem hat sich im Zuge dieser Entwicklung somit individualpräventiv begründet differenziert und spezialisiert, wenn auch andere Gesichtspunkte, insbesondere derjenige der Ökonomie der Strafe und der Strafvollstreckung, für den Verlauf und das Ausmaß der Differenzierung wohl ebenfalls eine beachtliche Rolle spielten. Mit der Differenzierung in verschiedenen Zielen verpflichtete und unterschiedliche Rechtsgüter bzw. Verhaltensbereiche erfassende Sanktionen hat das Auswahlproblern in der Entscheidung über die Strafe aber eine andere Qualität bekommen. Die Strafzumessung wird mehrdimensional, einmal im Hinblick auf Ziele oder Strafzwecke, zum anderen im Hinblick auf die Art der Kosten, die durch die Strafe dem Normbrecher auferlegt werden können 13. II v. Santen, J. J. eh.: Versuch, die Größe der Gesetzwidrigkeiten gegen die Person und das Eigenthum, und das Strafmaaß nach sichern Verhältnissen zu bestimmen. Rostock 1826. 12 So beispw. Kraepelin, E.: Die Abschaffung des Strafmaßes. Ein Vorschlag zur Reform der heutigen Strafrechtspflege. Stuttgart 1880; vgl. auch v. Liszt, F.: Stratbemessung im Vorentwurf zu einem Deutschen Strafgesetzbuch. Berlin 1910, S. 3, mit dem Hinweis, "die Bahn ist frei für eine selbstschöpferische Tätigkeit des Strafrichters, der künftighin nicht nur in der Strafe das Äquivalent für die Schuld des Straftäters zu bestimmen hat, sondern zugleich als Fürsorger für den Verbrecher wie als Hüter der Gesellschaft das Zweckdienliche anzuordnen haben wird"; vgl. schon Medern, R.: Über Strafzumessung und Strafmaß. Gerichtssaal 26 (1874), S. 590-607.

1.1 Einführung in Fragestellungen und Problemfelder

5

Andererseits ist auch die Schuldstrafe in die Krise geraten bzw. in der Krise geblieben 14. Die Problematik der Abgrenzung zwischen Strafe und Maßregel, die unübersehbare präventive Aufladung der Strafe, das Problem der Substantiierung strafrechtlicher Schuld in der Zurechnung wie in der Zumessung lassen sich als sichere Krisenzeichen benennen 15. Dem Schuldbegriff wird im Zusammenhang mit Strafzumessung Irrationalität attestiert 16. Mit der der Schuldstrafe eigenen Argumentation und den Methoden ihrer Fixierung ist offensichtlich eine Grenze der Überzeugungskraft erreicht worden, die über einen Minimalkonsens nicht hinauskommt 17. Die Kritik verlangt deshalb nach einem Paradigmawechsel, ohne daß jedoch eine inhaltlich zufriedenstellende und weiterführende Erklärung bislang angeboten werden könnte. Dies gilt für den Vorschlag, das Verhältnismäßigkeitsprinzip an die Stelle des Schuldgrundsatzes treten zu lassen 18, wie für die aus Bedürfnissen positiver Generalprävention gedeutete und zweckgeleitete Konstruktion der Schuld 19. So nimmt es nicht wunder, wenn nach wie vor die Ungleichmäßigkeit im Strafmaß und die Herstellung bzw. Förderung von Gleichmäßigkeit international beherrschende Themen sind 20 • Denn ist eine absolute Begründung der konkreten Strafe, sei es als das präventiv richtige Strafmaß. sei es als das erzieherisch richtige Strafmaß, sei es als das dem verschuldeten Unrecht präzise angepaßte Strafmaß nicht nachzuweisen, so richtet sich der Blick wohl in demselben Maße, wie die Überzeugungskraft von Theorien der Strafzumessung, die ihren Anspruch auf das richtige Strafmaß lenken, nachläßt, auf eine gerechte Strafe, die sich auch aus dem Gedanken an Gleichbehandlung legitimiert. Die Bedeutung der auf Gleichmäßigkeit des Strafens zielenden Argumentation ist tatsächlich im Steigen begriffen 21. Denn die Differenzierung der Sanktionen unter dem Prinzip 13 Hierzu Köhler, M.: Über den Zusammenhang von Strafrechtsbegründung und Strafzumessung. Erörtert am Beispiel der Generalprävention. Heidelberg 1983, S. 11 ff. 14 Schreiber, H.-L.: Vor dem Ende des Schuldstrafrechts? In: Immenga, U. (Hrsg.): Rechtswissenschaft und Rechtsentwicklung. Göttingen 1980, S. 281-290; Kaufmann, A.: Unzeitgemäße Betrachtungen zum Schuldgrundsatz im Strafrecht. JA 8 (1986), S. 225-233, S. 225. 15 Schreiber, H.-L.: a. a. O. 1980, S. 282 f. 16 Achenbach, H.: Historische und dogmatische Grundlagen der strafrechtssystematischen Schuldlehre. Berlin 1974, S. 221. 17 Roxin, C.: "Schuld" und "Verantwortlichkeit" als strafrechtliche Systemkategorien. In: Festschrift für Heinrich Henkel, 1974, S. 171 ff. 18 Ellscheid, G., Hassemer, W.: Strafe ohne Vorwurf. Bemerkungen zum Grund strafrechtlicher Haftung. In: Lüderssen, K., Sack, F. (Hrsg.): Abweichendes Verhalten II. Frankfurt 1975, S. 266-292. 19 Jakobs, G.: Schuld und Prävention. Tübingen 1976; Kunz, K.-L.: Prävention und gerechte Zurechnung. Überlegungen zur normativen Kontrolle utilitaristischer Strafbegründung. ZStW 98 (1986), S. 823-838; kritisch hierzu von Hirsch, A., Jareborg, N.: a. a. 0., S. 9 ff. 20 Vgl. beispw. Council of Europe (Hrsg.): Sentencing. Straßburg 1974 sowie Council of Europe (Hrsg.): Disparities in Sentencing: Causes and Solutions. Straßburg 1989.

6

1. Einleitung

der Individualisierung der Strafe und das Angebot eines reich gefächerten Spektrums von Sanktionsaltemativen, weitgehend gegründet auf die Annahme der Überlegenheit des Kalküls der Individualprävention, haben natürlich zu einem entsprechenden Zuwachs an Begründungsbedarf geführt. Jedoch sind die Bedingungen der Entstehung von Ungleichbehandlung und Ungleichmäßigkeit wie die Voraussetzungen für ihre Beseitigung oder Reduzierung umstritten. Dies gilt auch für die Frage wie groß das Ausmaß von Ungleichmäßigkeit überhaupt zu veranschlagen ist sowie für die Beantwortung der Frage, ob Ungleichmäßigkeit eher positive oder eher bzw. ausschließlich negative Konsequenzen hat. Denn Ungleichmäßigkeit in Strafmaßen mag einerseits 'Problembewußtsein und Entwicklungsprozesse oder Innovation und Flexibilität indizieren, in pluralistischen Gesellschaften deshalb gar als stabilisierend empfunden werden 22. Andererseits kann Ungleichmäßigkeit jedoch offensichtlich auch als strafzweckstörend und kontraproduktiv eingestuft werden 23, widerspricht Ungleichmäßigkeit in der Strafzumessung doch fundamentalen Vorstellungen über Gerechtigkeit in der Anwendung des Strafrechts 24 • Freilich sind vor allem noch die Grundlagen umstritten und ungesichert. So mag Ungleichmäßigkeit im Strafen vordergründig zwar als Sachverhalt konzipiert werden, der gleichsam in seinem Naturzustand beobachtet werden kann. Andererseits kann Ungleichbehandlung im Strafen aber zweifellos nur dann als existent behauptet werden, wenn alle rechtlich relevanten Differenzierungsgründe berücksichtigt wurden, deren Nichtberücksichtigung gleichfalls den Vorwurf der Ungleichbehandlung provozieren würde. Dies verweist darauf, daß schon in den Begriffen, mit denen Unterschiede in der Strafzumessung erfaßt werden sollen, Differenzierung zum Ausdruck kommen muß. Es geht im wesentlichen darum, begründete von unbegründeten Unterschieden zu unterscheiden. Ungleichmäßigkeit im Strafmaß ist im übrigen an unterschiedliche Quellen und Ursachen gebunden und darf deshalb nur normativ geleitet als analytische Kategorie Verwendung finden. So gesehen kann Ungleichmäßigkeit nur dann sichtbar gemacht werden, wenn Verhältnisse zwischen konkreten Strafmaßen mit Vorstellungen kontrastiert werden können, die die Gründe für eben diese Relationen enthalten. Dies führt in der Folge wiederum auf theoretischen Bedarf in der Erklärung von Strafmaßdifferenzierung zurück. 21 Vgl. nicht zuletzt Jung, H.: Sanktionensysteme und Menschenrechte. Bem u. a. 1992, S. 75 ff. 22 Krauss, D.: Trifft Strafung1eichheit das Strafrecht an seinem Nerv? In: Pfeiffer, Ch., Oswald, M. (Hrsg.): Strafzumessung. Empirische Forschung und Strafrechtsdogmatik im Dialog. Stuttgart 1989, S. 134-137, S. 136; Horstkotte, H.: Praktische Konsequenzen der Strafzumessungsforschung. In: Pfeiffer, Ch., Oswald, M. (Hrsg.): a. a. 0., S. 281290,S.281. 23 So beispw. Streng, F.: Strafzumessung und relative Gerechtigkeit. Heidelberg 1984, S. 16 f. mit der besonderen Betonung mutmaßlicher Gefährdung positiver Generalprävention; Bergmann, M.: Die Milderung der Strafe nach § 49 Abs. 2 StGB. Heidelberg 1988, S.53. 24 Jung, H.: a. a. o. 1992, S. 193 ff.

1.1 Einführung in Fragestellungen und Problemfelder

7

Jedenfalls rechtlich begründete Ungleichmäßigkeit und rechtlich unbegründete Ungleichmäßigkeit sind zu trennen und innerhalb letzterer ist zwischen systematischer und unsystematischer Ungleichmäßigkeit zu unterscheiden. Derartige Unterscheidungs- und Identifizierungsprozesse setzen natürlich voraus, daß ein theoretisches Instrumentarium bereitsteht oder jedenfalls entwickelt werden kann, mit Hilfe dessen begründete und unbegründete Differenzierungen erkannt werden können. Freilich wird mit einer solchen Sichtweise nachdrücklich darauf hingewiesen, daß Strafzumessungstheorie und Gleichmäßigkeit in der Strafzumessung untrennbar verbunden sind und daß Gleichmäßigkeit der Strafzumessung ohne inhaltlich-theoretische Bezüge zu einem Maßstab, der über die richtige Strafe Auskunft gibt, also einer leeren Hülse gleichzusetzen wäre. Sind schon die Voraussetzungen ungeklärt, so ist nicht verwunderlich, wenn auch kein Konsens hinsichtlich der Antwort auf die Frage nachgewiesen werden kann, wie und mit welchem Ziel Gleichmäßigkeit in der Strafzumessung befördert werden soll. Erweiterung der Revision in Strafzumessungsfragen 25, Verengung der gesetzlichen Strafrahmen 26, positivrechtliche Präzisierung des Schuldbegriffs, der Strafzwecke und ihres Verhältnisses zueinander 2?, bessere Information der Richter über Art und Umfang regional und überregional verhängter Strafen 28 , konkrete Strafzumessungsrichtlinien in Form einerseits gesetzlich eindeutig vorbewerteter Milderungs- und Strafschärfungsgründe, andererseits gar in Form von Vorgaben über die Äquivalenz von Strafzumessungstatsachen sowie Kombinationen hiervon und konkreten Strafmaßen 29 werden in diesem Zusammenhang zur Diskussion gestellt. Gerade hier wird der Bedarf an empirischer Forschung zur Strafzumessung besonders deutlich, geht es doch um die Beantwortung von Fragen, die ohne eine empirische Aufbereitung der Ausgangsbedingungen und die Evaluation der theoretischen Propositionen undenkbar ist. 25 Vgl. hierzu schon Tiedemann, K.: Gleichheit und Sozialstaatlichkeit im Strafrecht. Zugleich zur Problematik der §§ 29, 30 StGB, §§ 117,465, 467 Abs. 2 StPO. GA 1964, S. 353 - 376; Frisch, W.: Revisionsrechtliche Probleme der Strafzumessung. Eine Untersuchung über die Struktur und RevisibiIität des richterlichen Ermessens bei der Strafzumessung. Köln u. a. 1971, S. 329 ff.; mit Einschränkungen Streng, F.: a. a. O. 1984, S. 296 ff.; Maurach, R., Gössel, K. H., Zipf, H.: Strafrecht Allgemeiner Teil. Teilband 2, 7. Aufl. Heidelberg 1989, S. 619 ff., mit Einschränkungen für den Präventionsbereich. 26 Streng, F.: a. a. O. 1984, S. 293 ff. 2? Dies wird als besonders vielversprechend bezeichnet von Streng, F.: a. a. O. 1984, S.316. 28 Seebald, R.: Ausgeglichene Strafzumessung durch tatrichterliche Selbstkontrolle. GA 1974, S. 193-208; Seebald, R.: Strafmaßempfehlungen gemäß der typologischen Häufigkeit. DRiZ 53 (1975), S. 4-10; Streng, F.: a. a. O. 1984, S. 304 ff.; Hassemer, W.: Die Formalisierung der Strafzumessungsentscheidung. ZStW 90 (1978), S. 64-99, S.94. 29 Weigend, Th.: Richtlinien für die Strafzumessung. In: Festschrift der Rechtswissenschaftlichen Fakultät zur 600-Jahr-Feier der Universität zu Köln. Köln u. a. 1988, S. 579604.

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1. Einleitung

Beklagt wird ferner die Erstarrung der Strafzumessungswissenschaft in Darstellungsbezogenheit und die Abstinenz von herstellungsbezogenen Untersuchungen, die allein Sicherheit im Strafmaß bieten könnten 30. Gemeint ist damit die Schwerpunktbildung der Strafzumessungstheorie und -dogmatik in der argumentativen Aufbereitung des Strafzumessungssachverhalts, die sich in der Erörterung des Problems erschöpft, welche Strafzumessungserwägungen als strafschärfend oder mildernd eingestuft werden oder unter welchen Bedingungen präventive Argumente Verwendung finden dürfen. Dagegen verliert sich die Herstellung der Äquivalenz zwischen dem aufbereiteten Strafzumessungssachverhalt und dem Strafmaß in undeutlichen Worten über abwägende Gesamtbetrachtung und in dunklen Andeutungen über die Angemessenheit gerade der verhängten Strafe. Die Strafkonkretisierung wird nach wie vor als "Kunst" bezeichnet 31. Freilich konnte sich die Strafzumessungswissenschaft in diesem Feld bislang abstinent verhalten. Denn die Herstellung von Strafmaßen kann ja, läßt man die bisherigen dogmatischen und rechtstheoretischen Untersuchungen Revue passieren, offensichtlich lediglich in der praktischen Strafjustiz gedacht werden. Gerade der empirische Test von dogmatischen und theoretischen Erwägungen, den die klassische Fall- und Problemlösung in der rechtswissenschaftlichen Forschung mit der Schaffung von Widerlegungsmöglichkeiten repräsentiert, läßt sich in der Strafzumessungswissenschaft nicht finden. Hier zeichnet sich ein Bruch in den Überlegungen an, der offenbar durch die Überlegung veranlaßt ist, das eigentliche Substrat der theoretischen und dogmatischen Erwägungen könne lediglich im praktischen Umgang mit Straftäter und Strafverhandlung gewonnen werden. Dies hat nicht zuletzt mit der zentralen Stellung der Person des Straftäters in herkömmlichen Strafzumessungstheorien zu tun, die wiederum erklärbar wird aus den Konnotationen der Schuld. Die Feststellung des Ausmaßes der Schuld soll ja der Einzigartigkeit des Individuums angepaßt sein und verleiht damit freilich auch der individualisierten Strafe jenen Anspruch auf Einzigartigkeit (im Verhältnis zur Person des Straftäters und der Straftat)32, der die Bewertung von Unterschieden zwischen konkreten Strafmaßen und die Erstellung von allgemeinen Sätzen über Relationen zwischen Strafmaßen erschwert. Wenn das Substrat der Strafzumessung aber erst im praktischen Umgang entstehen kann, zeichnet sich allerdings ein gewichtiges Problem ab. Denn dann würden wissenschaftliche Theorien zur Strafzumessung entwickelt, ohne daß gleichzeitig die Bewährung der Theorien erprobt werden könnte. 30 Frisch, W.: Gegenwärtiger Stand und Zukunftsperspektiven der Strafzumessungsdogmatik. ZStW 99 (1987), S. 751-805, S. 792 ff.; Kunz, K.-L.: Überlegungen zur Strafbemessung auf erfahrungswissenschaftlicher Grundlage. In: Kielwein, G. (Hrsg.): Entwicklungslinien der Kriminologie. Köln u. a. 1985, S. 29-45, S. 29 f. 31 Baumann, J., Weber, U.: Strafrecht. Allgemeiner Teil. 5. Auf!. Bielefeld 1985, S.628. 32 Montague, Ph.: Comparative and Non-Comparative Justice. The Philosophical Quarterly 30 (1980), S.131-140, S. 131.

1.1 Einführung in Fragestellungen und Problemfelder

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Jedoch hat sich bislang noch keine überlegene Perspektive abgezeichnet. So verwundert es nicht, wenn die Aufmerksamkeit der Gesetzgeber und der Praxis international auf Sanktionensysteme, Strafzumessung und Strafvollstreckung gerichtet ist. Immerhin handelt es sich gerade bei der Strafbemessung um eine Schnittstelle, an der sich einige der zentralen kriminalpolitischen, strafrechtlichen und kriminologischen Problemstellungen der Neuzeit treffen. Diese belegen, wird der Zusammenhang hergestellt, daß die Strafzumessungsentscheidung weit in andere Bereiche ausstrahlt und machen deutlich, daß es sich tatsächlich um einen, wenn nicht den Kernbereich des Kriminalrechts und der Kriminaljustiz handelt. In den Entscheidungen über die Strafe sowie in deren normativen Grundlagen treffen sich Bedürfnisse nach Berücksichtigung von Ökonomie der Strafe und solche nach Gerechtigkeit, Bedürfnisse nach Rationalität und Effizienz sowie solche nach Praktikabilität. So wäre zunächst auf das Feld der Diversion zu verweisen, dessen Attraktivität sich ja nicht zuletzt aus der Annahme speist, daß die herkömmliche Handhabung strafrechtlicher Sanktionen die in sie gesetzten positiven Erwartungen nicht erfüllt habe, vielmehr strafrechtliche Sanktionierung samt ihrem gerichtlichen Umfeld der Stigmatisierung der Betroffenen und ihrer sozialen Ausgrenzung dienten 33. In diese Richtung drängt auch die Erörterung von Wiedergutmachung und TäterOpfer-Ausgleich, wo sich die Behauptung als zentral erweist, die einstmals als Legitimation von staatlicher Strafe akzeptierte friedenstiftende Funktion und das ihr innewohnende Potential an eskalationsbegrenzender Kraft könnten heute nicht mehr ohne weiteres vorausgesetzt werden, vielmehr böten sich andere, bessere Wege der Streit- und Konfliktschlichtung 34 . Die Ausgestaltung des Vollzugs von Strafen, die bedingte Entlassung, die Gestaltung vor allem des Freiheitsentzugs in Form von unterschiedlichen Graden der Sicherung und der Vollzugslockerungen, die die Freiheitsstrafe in ein differenziertes System unterschiedlicher Grade von Freiheitsbeschränkungen überführt haben, lassen sich als Korrektur, aber auch als Fortentwicklung der richterlichen Strafzumessung unter primär resozialisierender Perspektive begreifen und verweisen auf die Untersuchungsbedürftigkeit des Verhältnisses zwischen Strafzumessung und Strafvollstreckung 35, freilich auch auf die Untersuchungsbedürftigkeit des Verhältnisses zwischen Judikative und Exekutive im Rahmen der Festlegung dessen, was dem Einzelnen als belastende Reaktion auf eine Straftat auferlegt werden darf und so1l36. Die Anforderungen an die Bemessung der Strafe und an die Auswahl der Strafart greifen 33 Müller-Dietz, H.: a. a. O. 1979, S. 52 ff. 34 Schöch, H. (Hrsg.): Schadenswiedergutmachung im Kriminalrecht. München 1985; Frehsee, D.: Die Schadenswiedergutmachung im System strafrechtlicher Sozialkontrolle. Berlin 1987; Eser, A., Kaiser, G., Madlener, K. (Hrsg.): Neue Wege der Wiedergutmachung im Strafrecht. Freiburg 1990. 35 Müller-Dietz, H.: a. a. O. 1979, S. 92 f. 36 Vgl. hierzu Kögler, M.: Die zeitliche Unbestimmtheit freiheitsentziehender Sanktionen des Strafrechts. Frankfurt u. a. 1988.

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1. Einleitung

auf Straftheorien und insbesondere auf die Prognose zurück, stellen also die Strafzumessungsentscheidung in den Zusammenhang empirischen Wissens über das Verhältnis zwischen menschlichem Handeln, Verhalten und strafrechtlichen Interventionen. Die Ökonomie der Strafe letztlich ist zentral von der Handhabung der Sanktionen durch die Gerichte abhängig, wenn auch in den letzten Jahrzehnten immer stärker eine Verlagerung der Gewichte auf die Staatsanwaltschaft zu beobachten ist, eine Verlagerung, die die Staatsanwaltschaft als ein bedeutsames Element für die Bestimmung des Input und damit natürlich für die Art und Umfang der zu verhängenden und vollstreckenden Strafen ausweist. Dies zeigt sich nicht zuletzt in der Anwendung opportunistisch begründeter Erledigungsformen (§§ 153, l53a StPO) sowie am Strafbefehlsverfahren, das dem Bedarf an Verfahrensrationalität und ökonomischen Belangen gleichermaßen Rechnung zu tragen scheint 37 • Schließlich gilt es, auf die neuerdings stark beachteten Absprachen im Strafverfahren zu verweisen, deren Bezugspunkt natürlich auf der einen Seite immer die Rechtsfolge darstellt 38 • Im übrigen dürfte sich die Entscheidung über die Rechtsfolgen einer Straftat auch als Auffangbecken für ungelöste Probleme anderer Stellen des Strafrechts erweisen 39. Nicht von ungefähr wird die Verführung durch den Lockspitzel in der Rechtsprechung des BGH als Strafmilderungsgrund gehandelt 40 und die überlange Verfahrensdauer desgleichen 41 • Nach alledem steht aber die Gleichmäßigkeit des Strafens und hierin begründet die Gleichbehandlung der Straftäter an der vorderen Linie der Problemfelder der Strafzumessung. Denn alle vorstehend gesammelten Erwägungen laufen letztlich auf Differenzierungen in der Reaktion auf Straftat und Straftäter hinaus sowie auf die Begründung und Erklärung dieser Differenzierungen. Freilich ist die Strafzumessungsentscheidung, wird die Perspektive des Gesamtsystems strafrechtlicher Sozialkontrolle angelegt, erst am Ende eines Prozesses anzutreffen, der durch zahlreiche, für die Gleichmäßigkeit des Strafens bedeutsame Entscheidungen anderer Verfahrensbeteiligter gekennzeichnet ist. Die 37 Vgl. hierzu schon Peters, K.: Praxis der Strafzumessung und Sanktionen. Kriminologische Gegenwartsfragen, Heft 10. Stuttgart 1972, S. 51-67, S. 55 f. und nunmehr die weitreichenden Veränderungen durch das Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege vom 11. 1. 1993, BGBI I, 50, zur Begründung BRDr. 837/92, vgl. im übrigen zusammenfassend Böttcher, R., Mayer, E.: Änderungen des Strafverfahrensrechts durch das EntIastungsgesetz. NStZ 13 (1993), S. 153-158. 38 BVerfG NStZ 1987, S. 449; Lüdemann, eh., Bußmann, K.-D.: Diversionschancen der Mächtigen? Eine empirische Studie über Absprachen im Strafprozeß. Kriminologisches Journal 21 (1989), S. 54-72; Schünemann, B.: Absprachen im Strafverfahren? Grundlagen, Gegenstände und Grenzen. In: Verhandlungen des 58. Deutschen Juristentages. München 1990, BI -B 178, B35 ff. 39 So Bruns, H.-J.: Das Recht der Strafzumessung. Eine systematische Darstellung für die Praxis. 2. neu bearbeitete und erweiterte Auflage, Köln u. a. 1985, S. 58 f. 40 Vgl. beispw. BGH Strafverteidiger 1986, S. 100 f. 41 BVerfG Strafverteidiger 1984, S. 97; BGH Strafverteidiger 1983, S. 103; BGHSt 24, S. 239.

1.1 Einführung in Fragestellungen und Problemfelder

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Sichtweise von Problemen der Gleichmäßigkeit und der Konsistenz des Strafens hat sich damit über die Entscheidung des Gerichts hinaus auf andere Bereiche strafrechtlicher Sozialkontrolle ausgedehnt. Die empirische Forschung zur Struktur formeller sozialer Kontrolle verweist auf die Bedeutung des Opfers als "gatekeeper" des Strafrechts, auf die Relevanz der Polizei und der Staatsanwaltschaft im Rahmen der Setzung von Ermittlungsschwerpunkten, von Anzeigeerstattung, Einstellung und Anklage 42 • Schließlich hat die Staatsanwaltschaft durch die Ausweitung des Opportunitätsgrundsatzes in Form von Geringfügigkeitseinstellungen (§§ 153 ff. StPO) selbst Sanktionierungsbefugnisse erhalten (§ 153a StPO). Im übrigen strukturiert die Staatsanwaltschaft insbesondere in Form der umfassend genutzten Anträge auf die Durchführung von summarischen Strafverfahren Strafe und Strafmaß in erheblichem Umfang 43. Ferner sind die Durchsetzungschancen des Strafrechts selbst sehr unterschiedlich, wie der Vergleich von neuen Kriminalitätsformen, wie Wirtschafts- und Umweltkriminalität, mit denjenigen der sogenannten klassischen Kriminalität demonstriert 44 • So werden die Strafzumessungsentscheidung und ihr Ergebnis in ihrer Bedeutung für die Herstellung von Gleichmäßigkeit in der Anwendung der Strafe einerseits relativiert, andererseits ergibt sich eine gewisse Aufwertung. Denn nun mag es in der Zumessung der Strafe und in der Entscheidung über die Strafart auch darum gehen, bereits entstandene Verzerrungen abzuschwächen oder doch nicht weiter zu vertiefen. Dabei stehen natürlich die schweren Strafen und damit schwere Kriminalität ganz im Vordergrund. Gerade an ihnen, auch wenn sie nur einen kleinen Teil der strafrechtlich aufgearbeiteten Kriminalität betreffen, muß sich die Plausibilität des Rechts und der Praxis der Strafzumessung ganz besonders erweisen. Die vorliegende Untersuchung wird sich somit lediglich mit Ausschnitten aus den Zusammenhängen befassen, die sich ergeben, wenn die Perspektive des Gesamtsystems strafrechtlicher Sozialkontrolle an die Frage nach der Konsistenz und der Gleichmäßigkeit in der Handhabung von Strafe angelegt wird. Die 42 Blankenburg, E., Sessar, K., Steffen, W.: Die Staatsanwaltschaft im Prozeß sozialer Kontrolle. Berlin 1976; Steffen, W.: Die Effizienz polizeilichen Ermiulungsverhaltens aus der Sicht des späteren Strafverfahrens. Wiesbaden 1977; Kürzinger, J.: Private Strafanzeige und polizeiliche Reaktion. Berlin 1978; Arnold, H.: Kriminelle Viktimisierung und ihre Korrelate. Ergebnisse international vergleichender Opferbefragungen. ZStW 98 (1986), S. 1014-1058. 43 Albrecht, H.-J.: Strafzumessung und Vollstreckung bei Geldstrafen. Berlin 1980; von den im Jahre 1987 durch die Staatsanwaltschaft betriebenen und nicht eingestellten Strafverfahren wurden mehr als 50% durch den Antrag auf Erlaß eines Strafbefehls erledigt, vgl. Statistisches Bundesamt: Staatsanwaltschaften 1987. Wiesbaden 1989,

S. 12 f.

44 Vgl. beispw. Albrecht, H.-J., Heine, G., Meinberg, V.: Umweltschutz durch Umweltstrafrecht? ZStW 96 (1984), S. 943-988; Heine, G., Meinberg, V.: Empfehlen sich Änderungen im strafrechtlichen Umweltschutz, insbesondere in Verbindung mit dem Verwaltungsrecht. Gutachten D zum 57. Deutschen Jusristentag. München 1988.

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1. Einleitung

einzelnen Schritte der durch die eingangs genannten Fragestellungen geleiteten Untersuchung werden im folgenden vorgestellt.

1.2 Der Gang der Untersuchung Der Gang der Untersuchung nimmt sich zum Ausgangspunkt die Frage nach dem Stellenwert der Gleichbehandlung in der Strafzumessung für die Strafmaßdifferenzierung. Danach ist entscheidend, ob und inwieweit rechtliche Maßstäbe entwickelt werden können, aus deren gleichmäßiger Anwendung Gleichmäßigkeit in der Strafzumessung erst folgen kann. Somit stehen zunächst die normative Struktur und der normative Rahmen der Strafzumessungsentscheidung im Vordergrund. Dies ist selbstverständlich. Denn der Anspruch auf Gleichbehandlung in der Strafzumessung und auf Gleichmäßigkeit im Strafmaß kann sich, abgesehen von den absoluten Differenzierungsverboten, materiell nur in der gleichmäßigen Anwendung derselben Maßstäbe in der Strafzumessungsentscheidung auswirken. Bezieht sich die Strafzumessungsentscheidung zuvörderst darauf, rechtlich begründete und rechtlich abgeleitete, richtige Entscheidung zu sein, dann liegt in dem so formulierten Anspruch auch die Verpflichtung, nicht nur in der Begründung nachvollziehbare, sondern auch in den Resultaten vorhersehbare Entscheidungen zu gewährleisten. Deshalb sind zunächst die Aufbereitung der theoretischen Grundlagen und des positiven Rechts der Strafzumessung von besonderer Bedeutung. Denn normative, durch positives Recht und dessen dogmatische Übersetzung entstandene Strukturen haben sich als Steuerungssysteme ersten Ranges erwiesen, sie setzen Orientierungsmuster, die einen rationalen Ablauf von Handlungen gewährleisten sollen und die Stabilität der Interaktionen zwischen den Beteiligten sichem 45 • Nicht umsonst wird ja gerade im Prozeß der Verrechtlichung der Strafzumessung ein wesentlicher Fortschritt gesehen. Mit diesem Prozeß sind allerdings auch Entscheidungen über die Natur der Strafzumessung verbunden. Strafzumessung, verstanden als Rechtsanwendung und damit als deduktiver Prozeß unterscheidet sich tiefgreifend von einem induktiv-phänomenologischen Verständnis von Strafzumessung, das diese als Erkenntnisschritt oder als sozialkonstruktiven Schritt ausweist, der zwar in einer normativen Struktur abrollt, aber aus Rechtssätzen nicht oder jedenfalls nicht vollständig abgeleitet werden kann. In einem ersten Schritt werden deshalb Struktur und Probleme von Straftheorien aufbereitet sowie die Frage gestellt, welche Konsequenzen sich hieraus für eine Theorie der Strafzumessung ergeben. Sodann werden Strafzumessungstheorien auf ihre Probleme im Zusammenhang mit dem ihnen verbundenen Anspruch,

45 Popitz, H.: Die nonnative Konstruktion von Gesellschaft. Tübingen 1980; Luhmann, N.: Rechtssoziologie. 2. erw. Aufl., Opladen 1983.

1.2 Der Gang der Untersuchung

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Strafkonkretisierung und Rechtsrichtigkeit zu leisten, untersucht. Besondere Bedeutung kommt vor dem Hintergrund des positiven Rechts der Verarbeitung empirischer Befunde, also der Folgenorientierung der Sanktionsbestimmung, zu. Da das geltende Recht in wesentlichen Teilen der Sanktionsnormen Folgenorientierung vorsieht, gilt es, gerade den Bedingungen der Einführung theoretischen und empirischen Wissens in die Entscheidung über die Strafe Aufmerksamkeit zu schenken. Schließlich werden Ansätze diskutiert, die die Einordnung des strafbaren Sachverhalts in den Strafrahmen zum Gegenstand haben und die allgemeinen Grenzen der Individualisierung samt ihres Verhältnisses zur Gleichbehandlung thematisiert. Auf die Aufbereitung der normativen und dogmatischen Erwägungen zu Strafe und Strafzumessung folgt eine vergleichende Bestandsaufnahme der internationalen Strafzumessungsgesetzgebung und des internationalen Strafzumessungsrechts, wobei besonderes Augenmerk auf die neueren Reformtendenzen gerichtet ist. Hieran schließt die Erörterung der Verbindungen normativer und empirischer Strafzumessungsforschung an, auf die eine empirische Bestandsaufnahme zur Strafzumessung folgt. Diese Bestandsaufnahme zergliedert sich in die Analyse der theoretischen und methodischen Zugänge zur Strafzumessungsforschung sowie den Ertrag, der aus bisherigen empirischen Studien resultiert. Hieraus werden die Fragestellungen entwickelt, die den empirischen Teil der vorliegenden Arbeit strukturieren. Ihr vergleichender Ansatz, der österreichische und deutsche rechtskräftige Strafurteile zu den Deliktsgruppen Raub und Vergewaltigung (bzw. Notzucht und Nötigung zum Beischlaf nach österreichisehern Recht) sowie Einbruchsdiebstahlsdelikte einbezieht, macht eine Analyse der Gemeinsamkeiten und der Unterschiede im Recht der Strafzumessung sowie weiterer normativer Rahmenbedingungen beider Staaten notwendig. Diese Analyse erlaubt sodann die Entwicklung spezifischer Fragestellungen, die erst im internationalen Vergleich beantwortungsnihig sind. Dazu gehören insbesondere die Fragen nach der Auswirkung der unterschiedlichen Weite von Strafrahmen und den Unterschieden in Mindest- und Höchststrafenandrohungen sowie Fragen nach den Auswirkungen unterschiedlicher Techniken der Durchbrechung bzw. Erweiterung von Strafrahmen, wie sie sich in der Einführung der Konzepte der "minder schweren Fälle" im deutschen Strafrecht einerseits, der "außerordentlichen Strafmilderung" bzw. der tatbestandlieh eindeutigen Abstufung von Delikten unterschiedlicher Unrechtsschwere im österreichischen Strafrecht äußern. Auf die Darstellung der Stichprobenziehung, der Repräsentativität der gezogenen und in die Auswertung einbeziehbaren Stichproben im Vergleich zu den Gesamtpopulationen von Verurteilten, die Erhebungsinstrumente sowie die Grundstrukturen der Verfahren, Urteile und Urteilsergebnisse folgt eine vergleichende Analyse der strafbaren Handlungen, der Verurteilten sowie der erkannten Strafen, die insbesondere auch die Beantwortung der Frage einschließt, ob und

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1. Einleitung

inwieweit vollstreckungsbezogene Entscheidungen (Ersatzfreiheitsstrafe, Bewährungswiderruf, Gnadenentscheidungen, Reststrafenaussetzung zur Bewährung) signifikante Veränderungen in der originären Sanktionsstruktur zur Konsequenz haben. Hieran schließt sich die Vorstellung der Ergebnisse der empirischen Analyse der Strafzumessungsentscheidung an. Dabei werden zunächst die Verteilungen der Strafmaße über die Strafrahmen hinweg im Vergleich überprüft, um Anhaltspunkte zur Beantwortung von Fragen nach der Relevanz von Strafrahmen sowie Unter- und Obergrenzen von gesetzlichen Strafandrohungen zu gewinnen. Sodann wird in die Untersuchung der Auswirkungen von Strafrahmenänderungsgründen eingetreten. Hier geht es um die Handhabung und Konstruktion der minder schweren Fälle der §§ 177 11, 249 11, 250 11 StGB einerseits, um die Handhabung und Konsequenzen der gesetzlichen Strafmilderungsgründe wie Versuch, Beihilfe bzw. verminderte Schuldfahigkeit andererseits. Nach den Analysen zu den strafrahmenbezogenen Überlegungen zur Strafzumessung wird die zentrale Fragestellung nach der Erklärung von Strafmaßunterschieden thematisiert. Die Überprüfung erfolgt anhand der konkurrierenden und schließlich vergleichenden Betrachtung verschiedener Modelle zur Strafmaßerklärung. Diese Vorgehensweise bezieht ein auf Unrechts- und Schuldüberlegungen zentriertes Modell sowie Modelle der Diskriminierung, der regionalen sowie zeitlichen Variation und des VerJahrenskontexts ein. Schließlich werden Interaktionsannahmen überprüft, die sich auf die Staatsanwaltschaft, die Nebenkläger, den Verteidiger und Rechtsmittelinstanzen erstrecken. Die komparative Betrachtung der Struktur entscheidungserheblicher Faktoren sowie die vergleichende Analyse von Gesamtstrafenbildung einerseits und der Einheitsstrafenfestsetzung nach österreichischem Recht andererseits beschließt die Darstellung der Herstellung der Strafzumessungsentscheidung. Die Analyse der herstellungsbezogenen Seite der Strafzumessung wird sodann ergänzt um die Analyse der darstellungsbezogenen Dimension. Hier geht es um die Strafzumessungsbegründung im schriftlichen Urteil, die in quantitativer und in qualitativer Hinsicht ausgewertet wird. Im Mittelpunkt steht dabei schließlich die Frage, ob und inwieweit die Darstellung der Strafzumessungsentscheidung die Rekonstruktion des Strafmaßes erlaubt und zur Deckung gebracht werden kann mit der Struktur der Herstellung der Strafmaßentscheidung. An die Erörterung der Befunde zur Strafzumessung im engeren Sinne schließt sich die Analyse der Entscheidungen zu Maßregeln der Besserung und Sicherung sowie der Strafzumessung im weiteren Sinne an. Diese Analyse umfaßt die Maßregeln der Sicherungsverwahrung, der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in der Entziehungsanstalt, ebenso wie die Führungsaufsicht und den Entzug sowie die Sperre der Fahrerlaubnis. Die Strafzumessung im weiteren Sinne betrifft die Entscheidung zwischen Geld- und Freiheitsstrafe einerseits und die Strafmodifikation in Form der Strafaussetzung zur Bewährung

1.2 Der Gang der Untersuchung

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andererseits. Dabei wird besonderes Augenmerk auch auf die Ausgestaltung der Strafaussetzung zur Bewährung in Fonn der Auflagen und Weisungen gerichtet. Die Untersuchung wird beschlossen mit Erwägungen zu kriminalpolitischen, straJzumessungstheoretischen und kriminologischen Perspektiven zur Strafentscheidung wie zur Forschung über die Strafzumessung.

2. Die normativen Grundlagen der Strafzumessung 2.1 Die Herstellung von Unterschieden und die Herstellung von Gleichmäßigkeit im Strafmaß Steht das Problem gleichmäßigen Strafens im Mittelpunkt des Forschungsinteresses, dann muß die erste Frage den positivrechtlichen und theoretischen Grundlagen der Strafe und der Strafzumessung gelten. Denn das Thema Gleichmäßigkeit und Ungleichmäßigkeit im Strafmaß verweist zunächst ganz allgemein auf Differenzierungen, die in den verhängten Strafen zum Ausdruck kommen sowie zum Ausdruck kommen sollen und einer Erklärung bedürfen. Insoweit befinden sich das Ziel der Rechtsrichtigkeit der Strafe, das die Übereinstimmung der konkretisierten Strafe mit den verbindlichen Strafzwecken und -zielen anmahnt, und dasjenige der Gleichmäßigkeit der Strafe nicht in einem Ausschlußverhältnis. Vielmehr ist natürlich nur die Strafe richtig, die dem positiven Recht und aus ihm entwickelten Maßstäben entsprechende Unterschiede setzt und gerade deshalb auch gleichzeitig in ihrem Unterschied zu anderen Strafen erklärt werden kann. Umgekehrt kann von Ungleichmäßigkeit im Strafen nur dann die Rede sein, wenn unbegründete Unterschiede festgestellt werden können. Die Erklärung muß sich in diesem Zusammenhang deshalb zunächst auf die richtige Strafe beziehen, bzw. auf die richtige Strafmaßdifferenzierung. Dabei steht außer Frage, daß Strafmaßdifferenzierung einerseits empirisch beobachtet werden kann, zum anderen normativ gefordert ist. Empirisch gesehen sind Unterschiede in der Anwendung von Strafen, wird Unterschied als bloße Variation verstanden, natürlich evident. Der Blick in die Strafverfolgungsstatistiken, in die Verurteiltendaten der Statistischen Landesämter oder der Blick in die Gerichte selbst gibt für Strafart- und Strafmaßvariation genügend Hinweise. Dies gilt im Querschnitt wie im Längsschnitt. Freilich galt die wissenschaftliche Aufmerksamkeit, wurde das Problem der Ungleichmäßigkeit des Strafens thematisiert, bislang fast ausschließlich der Querschnittsbetrachtung. Die Struktur der Strafart, also das Verhältnis zwischen Geldstrafe und Freiheitsstrafe, und die Struktur von StrafmodifIkationen, also das Verhältnis zwischen ausgesetzter und unbedingter Freiheitsstrafe, unterscheiden sich im Vergleich der achtziger Jahre mit den 50er oder den 60er Jahren ganz beträchtlich I. Die Quote zur Bewährung ausgesetzter Freiheitsstrafen hat im übrigen, zu Lasten derjenigen unbedingter Strafen, auch in den 1 Vgl. hierzu Kaiser, G.: Kriminologie. 2. Aufl., Heidelberg 1988, S. 901 ff.; Heinz, W.: Entwicklung, Stand und Struktur der Strafzumessungspraxis. MschrKrim 64 (1981), S.148-173.

2.1 Unterschiede und Gleichmäßigkeit

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achtziger Jahren, beständig zugenommen 2. Es sind regionale Unterschiede in der Struktur der Strafen beobachtbar 3 , zwischen einzelnen Landgerichtsbezirken, aber auch zwischen einzelnen Bundesländern oder zwischen Gruppen von Bundesländern (Nord-Südgefrule)4, ja sogar innerhalb einzelner Gerichtes. Im übrigen werden weibliche Straftäter weniger häufig zu Freiheitsstrafe verurteilt als männliche Delinquente 6. Dasselbe trifft zu für die Behandlung alter Straftäter im Vergleich zu jungen Rechtsbrechern 7. Ausländische Straftäter werden häufiger zu Freiheitsstrafe verurteilt als Einheimisches. Die Struktur der Strafen bei Diebstahlsdelikten unterscheidet sich beträchtlich von derjenigen bei Umweltdelikten und diejenige bei Vergewaltigungsstraftaten von derjenigen bei Raubdelikten.

Natürlich ist mit ebensolcher Evidenz einsichtig, daß jedenfalls substantielle Teile dieser im Längsschnitt wie im Querschnitt auftretenden Variation einleuchtend erklärt werden können, teilweise damit, daß der Gesetzgeber beispw. das Sanktionensystem oder Präferenzen für einzelne Sanktionen verändert hat, teilweise damit, daß Frauen leichtere Delikte begehen, teils damit, daß auf der Basis unterschiedlicher Strafrahmen differenziert werden soll zwischen einzelnen Delikten. Im übrigen steht außer Frage, daß in den Strafen Unterschiede zum Ausdruck kommen müssen. Denn die Extreme, zwischen denen die flexible und differenzierende oder individualisierende Strafzumessung eingeordnet werden kann, nämlich das Konzept der absoluten Strafe einerseits und das Konzept der Taxengeldbußen des Ordnungswidrigkeitenrechts (teilweise auch die ähnlich verengten Taxen der Straßenverkehrs- oder der kleinen Eigentumsdelikte) andererseits, böten keine plausiblen Grundlagen für die Entscheidung über die Strafe. Diese Extremkonzepte verzichten auf Unterschiede im Maß der Reaktion und lassen Gleichmäßigkeit und identische Reaktion zusammenfallen. Beide Extreme gründen allerdings auf der Überlegung, daß im zu ahndenden Verhalten Elemente enthalten sind, die 2 Spieß, G.: Soziale Integration und Bewährungserfolg: Aspekte der Situation nach Haftentlassung und ihre Bedeutung für die Legalbewährung. In: Kury, H. (Hrsg.): Prognose und Behandlung bei jungen Rechtsbrechern. Ergebnisse eines Forschungsprojekts. Freiburg 1986, S. 511-579, S. 529, mit Hinweisen darauf, daß die Strafaussetzung zur Bewährung zunehmend auf Vorbestrafte bzw. wiederholt unter Bewährung gestellte Verurteilte ausgedehnt wird. 3 Vgl. hierzu bereits Woerner, 0.: Die Frage der Gleichmäßigkeit der Strafzumessung im Deutschen Reich. München 1907. 4 Vgl. zusammenfassend Streng, F.: Strafzumessung und relative Gerechtigkeit. Heideiberg 1984, S. 5 ff. S Haddenhorst, W.: Die Einwirkung der Verfahrensrüge auf die tatsächlichen Feststellungen im Strafverfahren. Eine Untersuchung anband der höchstrichterlichen Rechtsprechung eines Jahres. Karlsruhe 1971. 6 Albrecht, H.-J.: Die sanfte Minderheit. Mädchen und Frauen als Straftäterinnen. Bewährungshilfe 34 (1987), S. 341-359. 7 Albrecht, H.-J., Dünkel, F.: Die vergessene Minderheit - Alte Menschen als Straftäter. Zeitschrift für Gerontologie 14 (1981), S. 260-273. 8 Albrecht, H.-J.: Ausländerkriminalität. In: Jung, H. (Hrsg.): Fälle zum Wahlfach Kriminologie, Jugendstrafrecht, Strafvollzug. München 1988, S. 183 -204.

2 Albrecht

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2. Die nonnativen Grundlagen der Strafzumessung

Gleichförmigkeit in der Strafe verlangen, weil eben diese Elemente alle anderen Differenzierungsgründe als rechtlich unerheblich erscheinen lassen. Die absolute Strafe beim Delikt des Mordes rechtfertigt sich so aus der Überlegung, daß das Vorliegen eines der qualifizierenden Merkmale des § 211 StGB neben der Tötung eines Menschen zur Bedeutungslosigkeit aller anderen Merkmale in der Person und im Verhalten (sieht man von den gesetzlichen Strafmilderungsgründen ab) führen muß9. Die Verkehrsordnungswidrigkeit dagegen bedarf wegen der streng auf die Rolle des Verkehrsteilnehmers begrenzten und begrenzbaren Erwartungen nicht einer über die Bußgeldtaxen hinausgehenden Differenzierung. Solches kann aber im Falle der Vergehens- und Verbrechenstatbestände des Besonderen Teils des StGB nicht in Frage kommen. Ihre Ausstattung mit teilweise weitreichenden Strafrahmen ist vielmehr eine Konsequenz des hohen Abstraktionsgrades der Tatbestände, die eine Vielzahl unterschiedlicher Lebenssachverhalte abzudecken in der Lage sind. Die individualisierende oder differenzierende Strafe ist das Produkt einer historischen Entwicklung, die allerdings bis heute noch nicht systematisch aufbereitet ist und wohl keineswegs als einfache lineare Entwicklung von einem ausschließlich an den Tatfolgen orientierten Strafautomatismus hin zu einer individualisierenden Schuldstrafe interpretiert werden kann. Der Schwerpunkt der retrospektiv und historisch orientierten Untersuchungen zur staatlichen Strafe liegt aber im wesentlichen auf der Auseinandersetzung zwischen absoluten und relativen Straftheorien der Neuzeit. Untersuchungen zur Entwicklung von Strafformen 10 und zur Entstehung der (staatlichen) Strafe 11 behandeln Fragen der Entscheidung über die Strafe entweder gar nicht oder doch nur am Rande. Freilich sind diese Untersuchungen im wesentlichen deskriptiv. Es fehlt offensichtlich an einer Erklärung des Strafinhalts und der Strafformen, wie vor allem ihrer Entwicklung im Zeitverlauf, will man nicht das Talion allein zur Ausgangsidee bestimmen, was allerdings wiederum als erklärungsbedürftiger Sachverhalt bliebe. Frühformen des Strafens bedeuteten einen (fast automatischen) Strafmechanismus, der durch den Familienverband in Gang gesetzt werden mußte 12. Die Strafe erfolgte ohne Abstellen auf die persönliche Schuld, was angesichts der Vergesell9 Jedoch wurde diese Konzeption bereits mit der Entwicklung von Umgehungsstrategien, die in den Bereich zeitiger Freiheitsstrafe zurückführen, durchbrochen, vgl. hierzu Sessar, K.: Die Umgehung der lebenslangen Freiheitsstrafe. MschrKrim 63 (1980), S. 193-206 und insbesondere BGHSt 30, S. 105 ff. (analoge Anwendung des § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB bei außergewöhnlichen Umständen). 10 Hentig, H. v.: Die Strafe. Ursprung, Zweck, Psychologie. Stuttgart, Berlin 1932; Hentig, H. v.: Die Strafe. Frühfonnen und kulturgeschichtliche Zusammenhänge. Berlin, Göttingen, Heidelberg 1954. 11 Achter, V.: Geburt der Strafe. Frankfurt 1951; Gernhuber, J.: Die Landfriedensbewegung in Deutschland. 1952; Brunner, 0.: Land und Herrschaft. Grundfragen der territorialen Verfassungsgeschichte Österreichs im Mittelalter. Darmstadt 1984. 12 Bader, K. S.: Schriften zur Rechtsgeschichte. Sigmaringen 1984, S. 594 f.

2.1 Unterschiede und Gleichmäßigkeit

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schaftungsfonnen, die den Sippenverband in den Vordergrund rückten, erklärbar scheint; sie beruhte auf einem, wie es genannt wurde, einheitlich-ungeteilten Unrechtsbewußtsein, das durch ein Verständnis von Rechts- und Friedensordnung als unveränderbar und menschlichen und sozialen Gestaltungskräften unzugänglich, gekennzeichnet ist. Im Zentrum stand die Reaktion auf die Tat, insbesondere auf den Erfolg der Tat. Erst die Gottes- und Landesfrieden, die sich im Mittelalter als Versuch, die Fehde und Selbsthilfe zurückzudrängen und räumlich weitgreifende Herrschaft zu konzentrieren, entwickeln und erfolgreich durchsetzen, ändern das Paradigma der Reaktion auf die Verletzung des Friedens oder mit anderen, modernen Worten, auf die Straftat 13. Anknüpfungspunkt ist danach nicht mehr allein der Eingriff in die Rechte anderer, sondern die Verletzung der im Ideenverlauf verweltlichenden Friedensordnung 14. Die Kompositionensysteme, die sich im Prozeß der Zurückdrängung der Fehde und im Aufbau staatlicher Zentral- und Strafgewalt zunächst ausbildeten 15, sahen eine präzise Festlegung von Bußen vor, die aber noch nicht den Charakter der heutigen, staatlichen Strafe hatten, sondern als Sühneleistungen zwischen Verletzer und Verletztem galten. Sühneleistungen rückten offensichtlich deshalb in den Vordergrund, weil ihr Befriedungspotential größer und dem den Kapitalstrafen eigenen Eskalationspotential vorzugswürdig erscheint l6 • Die peinlichen Strafensysteme, die sich im Anschluß entwickeln, können jedoch, obwohl anders begründet, ebenfalls als Taxen, als festgelegte Folgen einer Straftat bezeichnet werden, die den Gedanken der Proportionalität nur insoweit rudimentär aufnahmen, als die Strafart oder der Vollzug von Strafen an als unterschiedlich schwer betrachtete Delikte angepaßt wurden. Sie sind aber absolut bestimmte Strafen, die im geschriebenen oder im Gewohnheitsrecht keine Abstufungen kannten, die der Entscheidung Strafzumessungsqualität im Sinne einer Auswahlentscheidung und Anpassung anverleihen hätten können. Zwar sind auch Milderungs- und Strafschärfungsgründe bekannt, doch dient dies noch nicht der Differenzierung der Strafen im Sinne der Anpassung an Straftat und Täter, sondern spiegelt Unterschiede in der Perzeption der Bedrohung wider, wenn beispw. der rückfällige Straftäter strenger bestraft oder das Kind von den Lebensstrafen ausgenommen wird. Denn die Strafe und ihr Vollzug werden bis in das ausgehende Mittelalter sehr stark geprägt durch die Schwäche der sich erst ausbildenden Zentralgewalt. Die Schwere der Strafen und ihre geringe Variabilität kann somit als durch mangelnde Effizienz in der Habhaftwerdung von Rechtsbrechern bedingt angesehen werden. Strafe kann, da 13 Hierzu beispielhaft Brunner, 0.: Land und Herrschaft. Grundfragen der territorialen Verfassungsgeschichte Österreichs im Mittelalter. Darmstadt 1984. 14 Kroeschell, K.: Deutsche Rechtsgeschichte I (bis 1250). 6. Auf!. Opladen 1983, S. 196 f. 15 Schmidt, E.: Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspf!ege. 3. Auf!. Göttingen 1965, S. 25; Bader, K. S.: Schriften zur Rechtsgeschichte. Sigmaringen 1984, S.599. 16 Bader, K. S.: a. a. O. 1984, S. 599.

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2. Die nonnativen Grundlagen der Strafzumessung

sie nur selten Verwendung finden kann, Symbolkraft nur bei drastischer Vorführung entfalten. Die seltene Anwendung ist kennzeichnend für das Problem, territoriales Recht bei unzureichender Mobilität und instabiler exekutiver Ausstattung durchzusetzen. Die arbiträre Strafandrohung, die Strafart und Strafmaß in das Ermessen des Gerichts stellt, ist selten 17. Strafverhängung und Strafvollstreckung entbehren zwar nicht einer gewissen Variabilität und Flexibilität; das "Richten nach Gnade" führt insbesondere zu Abstufungen. Diese sind jedoch das Produkt von wenigen, gruppenbezogenen Milderungs- und Schärfungserwägungen oder aber von allgemeinen Gnadenerwägungen bzw. spezifischen Begnadigungsrechten 18. So ist der Strafmilderungsgrund der Jugend des Straftäters seit langem bekannt 19. Er schließt die Verhängung bestimmter schwerer Strafen aus. Die Differenzierung der Strafen findet entlang der Straftatbestände statt; die unterschiedlichen Strafarten spiegeln, wenn überhaupt, Ansichten über die unterschiedliche Schwere verschiedener Deliktstypen. Erst mit der Naturrechtslehre findet die Abkehr von absolut bestimmten Strafen statt. Es beginnt das, was heute als Strafzumessung bezeichnet wird, Gestalt anzunehmen. Dabei gilt es vor allem die Unterscheidung zwischen der poena ordinaria und der poena extraordinaria hervorzuheben, mit der auf Differenzierungen subjektiver Elemente, zwischen Versuch und Vollendung sowie zwischen Teilnahmeformen reagiert wurde 20. Die Ausbildung von Komplexität auf der Tatbestandsseite und im Verbrechensaufbau insgesamt führt offensichtlich zu entsprechendem differenzierenden Bedarf in den Rechtsfolgen. Dies geht Hand in Hand mit der Entwicklung von Straftheorien, die Gedanken der Proportionalität der Strafe und ihrer Nützlichkeit aufgriffen, einerseits sowie der Entwicklung von Strafformen, die, wie die Freiheitsstrafe und die Geldstrafe, flexibel sind und variiert werden können, andererseits. An die Stelle der absoluten Strafandrohung tritt nun der Strafrahmen. Gleichmäßigkeit in der Strafzumessung kann aus einer solchen Perspektive, die die Differenzierung von Strafen selbst als rechtliches Gebot enthält, deshalb nicht als unabhängig von der Rechtsrichtigkeit der Strafe konzipiert werden. Wenn sich beispielsweise bei typischen Massendelikten eine bestimmte allgemeine Strafpraxis herausbildet, dann wäre es zu kurz gegriffen, hieraus bloß eine allgemeine Gerechtigkeitsauffassung zu destillieren, die sodann bei Folgeentscheidungen den Tatrichter verpflichte, diese allgemeine Strafpraxis unter dem Gesichtspunkt der Gleichmäßigkeit des Strafens als Gebot der Gerechtigkeit in die Strafzumessungserwägungen einzubeziehen 21 • Denn offensichtlich bedarf es ja zunächst einmal der Erklärung, warum Gleichmäßigkeit, also identische oder 17 His, R.: Das Strafrecht des deutschen Mittelalters. Erster Teil: Die Verbrechen und ihre Folgen im allgemeinen. Leipzig 1920, S. 348 ff. 18 Niederstätter, A.: Vorarlberger Urfehdebriefe. Dornbirn 1985, S. 15. 19 His, R.: a. a. O. 1920, S. 384. 20 Schmidt, E.: a. a. O. S. 166 ff. 21 So BGHSt 28, S. 318 ff., S. 324.

2.1 Unterschiede und Gleichmäßigkeit

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doch nahe beieinanderliegende Strafmaße, bei massenweise auftretenden Taten typischer Prägung ein Gebot der Gerechtigkeit darstellen soll. Eine Erklärung folgt natürlich nicht aus der bloßen Faktizität der massenweisen Begehung typischer Prägung, obschon anzuerkennen ist, daß vor allem prozeßökonomische Erwägungen auf Vereinfachung der Herstellung und Darstellung des Strafzumessungssachverhalts und zur Konzentration auf wenige elementare Merkmale drängen (Ladendiebstahl: Vorstrafen, Schadenshöhe; Trunkenheit im Verkehr: Blutalkoholkonzentration, Vorstrafen etc.). Vielmehr kann von massenweiser, typischer Straftat, soll eine solche Charakterisierung normative Bedeutung für die Strafzumessung erhalten, nur dann gesprochen werden, wenn der Nachweis gelingt, daß bei bestimmten Straftaten rechtliche Relevanz für eine Differenzierung der Strafen bloß einem einzelnen Aspekt oder doch nur wenigen Umständen der Straftat zukommt. Erst dann läßt sich das Phänomen des "Massendelikts" freilich erst beobachten. Die derzeitig vorherrschende Behandlung des Gleichmäßigkeitsproblems in der Strafzumessung erweckt aber den Eindruck, es gebe neben der bei Massendelikten zu konstatierenden "allgemeinen Auffassung von der richtigen Strafe"22, die gleichsam erst die normative Basis für die Beurteilung von Folgesachverhalten setze, sozusagen eine "besondere" oder individuelle Auffassung von der richtigen Strafe, die bei eher seltenen (und damit in der Regel auch als schwerer eingestuften Delikten) zum Tragen komme, wobei das Strafmaß "aus der Sache selbst" gefunden werden müsse 23 . In diesem Bereich der Straftaten fehle es nämlich, so der Bundesgerichtshof, an einer feststehenden, eine allgemeine Gerechtigkeitsauffassung widerspiegelnden Spruchpraxis als Bezugspunkt bzw. Vergleichsmaßstab 24, der Gesichtspunkt der Rechtsgleichheit besage als formales Prinzip nichts darüber, "welches von mehreren Gerichten seine Zumessungsgrundsätze denen des anderen anzupassen habe"25. Jedoch wäre es verfehlt, den Anspruch auf Gleichmäßigkeit in der Strafzumessung auf ein formales Prinzip zu begrenzen und im Willkürverbot zu erschöpfen 26 und im übrigen eine faktisch begründete Gerechtigkeitserwägung zur Legitimation von Korrekturen in Revisionsentscheidungen einzuführen. Das nur formal verstandene Gebot der Gleichbehandlung gibt ja für die Beurteilung der Sachverhalte, hinsichtlich derer Gleichheit in der Reaktion verlangt wird, nichts her. Verwiesen ist damit auf vorher schon wirksame materielle Kriterien oder Theo22 BGHSt 28, S. 324. 23 BGH MDR 1979, S. 986; BGH Strafverteidiger 1981, S. 123. 24 BGHSt 28, S. 325. 25 BGHSt 28, S. 324; vgl. auch BVerfGE 1, S. 345 sowie Stree, W.: Deliktsfolgen und Grundgesetz. Tübingen 1960, S. 61. 26 BVerfGE 1, S.345; zusammenfassend Leibholz, G., Rinck, H.-J., Hesselberger, D.: Grundgesetz. Kommentar an Hand der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. 6. Aufl., Köln 1990, RZ. 1216.

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2. Die nonnativen Grundlagen der Strafzumessung

rien, die es erlauben, die Sachverhalte als einander ähnlich oder wenigstens in den wesentlichen, die Reaktion bestimmenden Dimensionen, als Gemeinsamkeiten aufweisend zu verstehen. Denn materiell gesehen läßt sich der Anspruch auf Gleichbehandlung natürlich nicht auf die Zumessung einer bloß nicht willkürlichen Strafe beschränken. Es kann nicht richtig sein, daß lediglich ein Anspruch auf eine solche Strafe besteht, die sich im gesetzlichen Strafrahmen hält und durch den Richter erkannt wird 27. Vielmehr besteht die Verpflichtung aus Art. 3 GG in der Rechtsanwendungsgleichheit, die die als Verlängerung gesetzgeberischer Vorarbeiten verstandene Konkretisierung der Strafe durch den Richter erfaßt. Nur so kann auch dem Grundsatz der Rechtseinheit Geltung verschafft werden, der tatsächlich außer Kraft gesetzt wäre, würde eine Strafkonkretisierung erlaubt, die in einem Gerichtsbezirk beständig zu Strafen an der unteren Grenze des Strafrahmens, in einem anderen aber zu Strafen am oberen Rande des Strafrahmens führen würde. Dem steht nicht entgegen, daß durch den Grundsatz der Unabhängigkeit des Richters (Art. 97 GG) eine konstitutionelle" Uneinheitlichkeit" bzw. systematische Gewährleistungsschranke im Hinblick auf Art 3 GG28 auch der Strafrechtspflege gesetzt wird 29. Dies hindert die Schaffung spezifischer, Uniformität im Strathandeln maximierender organisatorischer Voraussetzungen und Kontrollen in der Strafrechtspflege. Dem steht auch nicht entgegen, daß in jeder Rechtsanwendung subjektive Anteile enthalten sind, die sich empirisch gesehen als Hindernis für das Erreichen von Gleichmäßigkeit in der Strafzumessung erweisen können. Materiell ergibt sich hieraus aber kein Abstrich an der durch Art. 3 Abs. 1 GG begründeten Forderung, daß nämlich wesentlich Gleiches gleich zu behandeln ist 30 . Dies bedeutet aber, daß sowohl in der Konstruktion oder Rekonstruktion des maßgeblichen Sachverhalts wie in seiner Bewertung, darüber hinaus in der Bewertung der Strafschwere, derselbe rechtliche Maßstab Verwendung finden muß31. Wäre die Wahl der Maßstäbe frei und somit auch die Erkenntnis unterschiedlicher Strafen anläßlich desselben Sachverhalts ermöglicht, dann könnte nichts anderers als Willkür die Folge sein. Im Anspruch der Strafzumessungsentscheidung, rechtlich richtige Strafen herzustellen, wird somit die Forderung wirksam, denselben rechtlichen Maßstab in die Bewertung verschiedener Straftaten und Strafen und damit in die Herstellung der Strafe ins ge27 So noch BGHSt 1, S. 183 f. 28 Tiedemann, K.: Gleichheit und Sozialstaatlichkeit im Strafrecht. Zugleich zur Problematik der §§ 29, 30 StGB, 117,465,467 Abs. 2 StPO. GA 1964, S. 353 -376, S. 362. 29 Maunz / Dürig: Grundgesetz. Kommentar. München 1990, RZ. 410 zu Art 3; Bruns, H.-I.: Das Recht der Strafzumessung. 2. Aufl. Köln u. a. 1985, S. 199. 30 BVerfGE 4, S. 155. 31 Mißverständlich Bruns, H.-I.: a. a. O. 1985, S. 199, wo davon die Rede ist, daß die Entscheidung über die Rechtsrichtigkeit von den die Strafzumessung leitenden Grundsätzen des einzelnen Falles abhängig sei. Es kann sich natürlich nur um allgemeine rechtliche Grundsätze handeln, die auf den einzelnen Fall angewendet werden; zusammenfassend Frisch, W.: Revisionsrechtliche Probleme der Strafzumessung. Köln u. a. 1971, S. 135 ff.

2.2 Strafzumessungstheorien und Strafmaßdifferenzierung

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samt einzuführen. Freilich schließt der Konkretisierungsauftrag auch ein, daß gleichmäßig verwendbare Maßstäbe entwickelt werden müssen. Dies ergibt sich gerade aus dem begründeten Verzicht des Gesetzgebers, die Konkretisierung der Strafe im Gesetz selbst vorzunehmen, ein Verzicht, der letztlich auch darauf zurückzuführen ist, daß Gleichbehandlung erst über die Anpassung des Strafmaßes an den konkreten Unwert der einzelnen Straftat zu erreichen ist. Der Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Strafzumessung darf deshalb im übrigen nicht auf ein Differenzierungsverbot beschränkt werden. Er enthält auch und in demselben Maße ein Differenzierungsgebot. Der Weg, auf dem solche Gleichbehandlung erreicht werden muß, besteht in der Verwendung desselben oder derselben rechtlichen Maßstäbe, d. h. in der gleichmäßigen Anwendung des Rechts der Strafzumessung und hierauf bezogener Theorien und dogmatischer Regeln, über die sich die Sachverhalte erschließen, die die Grundlage für die Strafe hergeben.

2.2 Das Potential von Straf- und Strafzumessungstheorien für die Herstellung von begründeter Strafmaßdifferenzierung 2.2.1 Einführung Der Ausgangspunkt für die Analyse der Strafzumessung unter dem Gesichtspunkt der Gleichmäßigkeit liegt deshalb in der Frage nach den positivrechtlich und theoretisch begründbaren Maßstäben. Die Antwort auf diese Frage wird dann ermöglicht, wenn eine Theorie zur Verfügung steht, die die Konkretisierung der Strafe leistet und die hierin immer auch enthaltenen Differenzierungen in Strafmaß und Strafart erklärt. Eine akzeptable Theorie der Strafzumessung hat, den herrschenden Standards gemäß, verschiedene Bedingungen zu erfüllen. Dabei handelt es sich um folgende Gesichtspunkte, die als Prüfkriterien in der Bewertung Eingang finden müssen: a) sie muß nachprüfbar gestaltet sein, bzw. die Überprüfung ihrer Anwendungsfälle ermöglichen, b) sie muß wie jede Theorie konsistent und widerspruchsfrei beschaffen sein, c) sie muß mit den positivrechtlichen Grundlagen sowie mit den der Strafe abverlangten Funktionen übereinstimmen, d) schließlich sollte aus einer angemessenen Theorie die Anwendung, das heißt die konkrete Strafe, im Einzelfall abgeleitet werden können. Hieraus folgt, daß die Theorie auch Angaben über ihre Anwendung, d. h. über die Anwendungsbedingungen enthalten muß, e) eine Theorie der Strafzumessung muß praktiziert werden können, d. h. sie muß die organisatorischen und personellen Rahmenbedingungen der Strafjustiz in Rechnung stellen.

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2. Die normativen Grundlagen der Strafzumessung

Die Unterscheidung zwischen Theorie der Strafe und Theorie der Strafzumessung markiert zunächst eine Abschichtung. Die Begründung der Strafe muß danach der Begründung der Strafzumessung vorausgehen. Dies ist selbstverständlich, denn kann Strafe nicht begründet werden, so gilt dies natürlich auch für ihr Maß und hierin liegende Differenzierung 32 • Auseinandersetzungen über die staatliche Strafe hatten lange Zeit zum Schwerpunkt die Strafzwecke, also einen Gegenstandsbereich, der der Straftheorie und damit der Begründung und Erklärung der staatlichen Strafe zuzuordnen ist. Andererseits ließen sich im Bereich der Strafzumessung über lange Zeit hinweg weniger Problembewußtsein und weniger Auseinandersetzung beobachten. Denn offensichtlich galt, daß es "uns unproblematisch sei, daß man bei der Zumessung der Strafe die Qualität der Tat, ihre Schwere oder Leichte zu berücksichtigen hat und daß die persönlichen Verhältnisse des Täters, seien sie nun allgemeiner Natur oder nur für den Zeitpunkt der Tat beachtlich, bei der Beurteilung des Maßes der Strafe eine Rolle spielen müssen"33. Dabei ist aber zu beobachten, daß die für die Bemessung der Strafe Verwendung findenden Merkmale über die Zeit hinweg wenig variieren. Auch sind bei Vorliegen derselben strafzumessungsrelevanten Merkmale offensichtlich die Strafzwecke und Strafziele weithin austauschbar. Dies wird gerne mit Ambivalenz der Strafzumessungstatsachen bezeichnet. Im Kern findet sich hier das Problem wieder, das sich mit den Konzepten Schuld einerseits, positiver Generalprävention andererseits sowie den Fragen nach ihrer Vereinbarkeit, Deckungsgleichheit oder Gegensätzlichkeit verbindet. Die Schwerpunkte der Diskussion haben sich jedoch nunmehr erweitert. Heute steht auch die Strafzumessung im Vordergrund des Interesses. Sind Straf- und Strafzumessungstheorien somit nicht voneinander unabhängig zu diskutieren, so ist zur Aufbereitung der Grundlagen zuallererst die Frage nach der Straftheorie aufzuwerfen.

2.3 Straftheorien und das positive Recht der Strafzumessung 2.3.1 8traferklärung und § 46 Abs. 1 8tGB Der Ausgangspunkt der Aufbereitung der normativen Struktur der Strafzumessung ist zunächst in § 46 StGB zu finden, der als allgemeine Regel die positivrechtlichen Grundlagen der Strafe herstellt. Die hierin enthaltene GrundlagenformeZ, nach der die Schuld des Straftäters Grundlage der Strafbemessung sein muß, bietet allerdings bis heute Anlaß zur Erörterung, welche theoretische Erklärung 32 Müller-Dietz, H.: Grundfragen des strafrechtlichen Sanktionensystems. Heidelberg, Hamburg 1979, S. 2l. 33 Achter, V.: Die Geburt der Strafe. Frankfurt 1951, S. 9.

2.3 Straftheorien und das positive Recht der Strafzumessung

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von Strafe aus § 46 Abs. 1 StGB abgeleitet werden kann 34• Denn § 46 Abs. 1 StGB greift über die Aussage, daß die Schuld des Straftäters Grundlage der Strafzumessung sein muß, hinaus. Auch die Folgen, die von der Strafe für den Straftäter zu erwarten sind, so § 46 Abs. 1, S. 2 StGB, seien nämlich zu berücksichtigen. Läßt sich hierunter zuallererst eine spezialpräventive Komponente fassen, so wird die Einbeziehung generalpräventiver Folgenberücksichtigung jedenfalls durch den Wortlaut nicht gedeckt. Freilich haben sich Interpretation und die praktische Handhabung des § 46 Abs. 1 StGB über den ausdrücklichen Wortlaut hinweggesetzt und den Gesichtspunkt der (negativen) Generalprävention als legitimen und positivrechtlich erlaubten Strafzweck anerkannP5. Immerhin läßt sich dies unter Verweis auf die in §§ 47,56,59 StGB genannte "Verteidigung der Rechtsordnung" im Ansatz begründen, obschon mit der "Verteidigung der Rechtsordnung" wohl nur die negative Ausgrenzung, nicht jedoch eine positive Entscheidungslinie gesetzt wurde 36 • Gleichwohl bleibt das Fazit, das Stratenwerth zu § 13 Abs. 1 a. F. StGB zog, verbindlich. Es ist schwerlich eine Norm vorstellbar, die noch weniger Klarheit über das Verhältnis zwischen Schuld und Prävention und damit die Struktur der verbindlichen Strafzwecke schaffen würde 37 • Die Grundnorm zur Strafe wie zur Strafzumessung legt also keine eindeutige Grundlage, auf der sich zweifelsfrei Sinn und Zweck der Strafe behaupten ließe, um danach die Strafmaßbestimmung zu strukturieren.

2.3.2 Absolute und relative Stratbegründungen vor dem Hintergrund von Begriff und Inhalt der Strafe Der Streit über eine angemessene Straftheorie war lange Zeit dominiert durch die Gegenüberstellung absoluter Theorien auf der einen Seite und der relativen Straftheorien auf der anderen Seite 38. Dabei wurde aber, wie neuere rechtshistorische Studien belegen, von einem Gegensatz ausgegangen, der den absoluten und relativen Positionen zwar jeweils geschlossene theoretische und ideologische Vorstellungen zuordnete, jedoch substantiell wohl bloß rethorischen Charakter hatte 39 • Denn offensichtlich war die Polarisierung zwischen absoluten und relati34 Vgl. zur Entstehungsgeschichte der Grundlagenformel und hierin liegender Konflikte beispw. Stratenwerth, G.: Tatschuld und Strafzumessung. Tübingen 1972, S. 8 ff. 35 Vgl. hierzu beispw. BGH Strafverteidiger 1982, S. 166 f.; BGH NStZ 1982, S. 463; ablehnend beispw. Köhler, M.: Über den Zusammenhang von Strafrechtsbegründung und Strafzumessung. Dargestellt am Problem der Generalprävention. Heidelberg 1983. 36 Müller-Dietz, H.: Integrationsprävention und Strafrecht. Zum positiven Aspekt der Generalprävention. In: Vogler, Tb. (Hrsg.): Festschrift für Hans-Heinrich Jescheck zum 70. Geburtstag. Berlin 1985, S. 813-827, S. 826. 37 Stratenwerth, G.: a. a. 0., S. 14. 38 Jescheck, H.-H.: a. a. O. 1988, S. 54 ff. 39 Fromme!, M.: Präventionsmodelle in der deutschen Straf-Zweck Diskussion. Berlin

1987, S. 191.

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2. Die nonnativen Grundlagen der Strafzumessung

ven Straftheorien weitgehend bestimmt durch Unterschiede in kriminalpolitischen Konzeptionen und Refonnzielen, nicht aber durch den jeweiligen Ausschluß von Gerechtigkeitsvorstellungen einerseits und Zweckmäßigkeitsüberlegungen, das heißt präventiven Überlegungen andererseits. Die Schärfe und die lange Dauer der Auseinandersetzung mögen auch dadurch bedingt gewesen sein, daß den jeweiligen Strafkonzeptionen jeweils ganz bestimmte praktische Folgen im Sinne der Art und des Ausmaßes von Strafen zugeordnet wurden. Insoweit ist sicher richtig, daß insgesamt gesehen verdeckt-relative Straftheorien, man könnte auch sagen, gemischte Ansätze, immer überwogen haben 40. Nicht zuletzt zeigt sich die Zwiespältigkeit bereits in der absoluten Strafbegründung bei Hegel mit der Unterscheidung zwischen Begriff und Inhalt der Strafe. Es erfolgt in der HegeIschen absoluten Straftheorie nämlich eine Entmischung absoluter und relativer Anteile der Straferklärung durch die Ausscheidung der inhaltlichen Aspekte der Strafe. Der Strafe einerseits und der Straftat andererseits werden die materiellen (und Unterschiede begründenden) Inhalte entzogen. Verbrechen und Strafe werden nunnehr in ihrer Bedeutung, ihrem Sinn nach aufeinander bezogen. Dies entlastet das Erklärungsunterfangen einerseits und erleichtert den Blick auf die eine gemeinsame und abstraktionsfähige Dimension, nämlich den Geltungswiderspruch, der sowohl in der Straftat als auch in der Strafe enthalten ist. Andererseits besteht der Preis für eine solche Reduzierung in der Zurücknahme der Erklärungsweite. Denn ist der Strafbegriff, wird er in diesem Verfahren gewonnen, zwar absolut, so der Inhalt eben nicht 41 • Die Konsequenz einer Einheitsstrafe (oder gar einer bloßen einheitlichen Erklärung, daß der Widerspruch zur Nonn in Gestalt des Verbrechens nicht hingenommen werde) wird aus dieser Abstraktion und der Herstellung einer Beidem gemeinsamen Dimension freilich nicht gezogen. Die Schwere der Strafe und damit natürlich auch die Art des als Strafe bezeichneten Eingriffs mögen sich nämlich durchaus wandeln. Der sich seiner selbst sichere Staat, die unangefochtene Zentralgewalt also, bedarf beispw. weniger drastischer Demonstration der Ernsthaftigkeit der Strafe als eine Gesellschaft, in der die Zentralgewalt erst im Aufbau begriffen ist 42 • Hierbei geht es allerdings um die Veränderbarkeit des Strafinhalts im Längsschnitt. Auch die Straftaten unterscheiden sich natürlich in mehr als der ihnen gemeinsam unterstellten Eigenschaft, der Geltung von Nonnen zu widersprechen und mit konträrem Geltungsanspruch versehen zu sein. Ist der Inhalt der Strafe aber relativ und flexibel, abhängig letztlich von den grundlegenden Bedingungen staatlich verfaßter Gesellschaften und ihrer Entwicklung 43, nicht jedoch von Begriff und Begründung (sieht man ab von dem FrommeI, M.: a. a. 0., S. 193. Hege!, G. W. F.: Grundlinien der Philosophie des Rechts. Frankfurt, Hamburg 1968, S. 122 ff., die qualitative und quantitative Beschaffenheit des Verbrechens und seiner Aufhebung fällt in die Sphäre der Äußerlichkeit, in der es keine absolute Bestimmung gibt. 42 Hegel, G. W. F.: a. a. 0., S. 217 f. 40 41

2.3 Straftheorien und das positive Recht der Strafzumessung

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undeutlichen und nivellierenden Hinweis, daß die Strafe ein Übel zu sein habe, auf Kosten des Rechtsbrechers gehen müsse oder einen Eingriff in dessen Rechtsgüter darstelle), so heißt dies natürlich, daß die Erörterung der begrifflichen Seite der Strafe im wesentlichen folgenlos bleiben bzw. dazu führen kann, daß zwischen Hegels absoluter Strafbegründung und modemen Theorien positiver Generalprävention im wesentlichen Übereinstimmung konstatiert wird 44 • Die Brisanz der Strafe folgt aber heute zu wesentlichen Teilen aus ihrem Inhalt, insbesondere ist sie davon abhängig, ob sie als Freiheitsentzug, Freiheitsbeschränkung oder als Entzug materieller Ressourcen verhängt wird. Richtig ist sicher auch, daß niemals ernsthaft überprüft wurde, welche praktischen Konsequenzen sich aus unterschiedlichen Theorien der Strafe ergeben, also insbesondere, weIche Unterschiede in Strafart und Strafmaßen, wenn auch wiederum vermittelt über ggfs. unterschiedliche Strafzumessungstheorien, die Folge sind. Zwar liegen durchaus Hypothesen zu derartigen Zusammenhängen vor. So wurde und wird vermutet, daß der Strafzweck der Rehabilitation und Resozialisierung eher mit längeren Freiheitsstrafen zusammenhängt. Nicht umsonst wurde ja der Kampf gegen die kurze Freiheitsstrafe mit dem Argument geführt, gerade in kurzem Gefängnisaufenthalt sammle sich das gesamte negative Potential der Freiheitsstrafe ohne jede Kompensationsmöglichkeit, während in längerem Freiheitsentzug erst die positive Einwirkung auf den Straftäter möglich werde. Jedoch läßt sich ebenso plausibel auch Anderes annehmen, daß nämlich Resozialisierung eher mit Diversion und Strafverzicht oder allgemein milderer Sanktionierung gekoppelt sei. Zugrunde liegt dabei Theoriekonkurrenz, die jedoch nicht offen ausgetragen wurde. Bestimmend waren und sind vielmehr in der Erörterung von Strafzwecken lediglich Assoziationen zwischen Strafzwecken und -zielen einerseits, Strafart und Strafmaß andererseits. Sicher waren die klassischen absoluten Straftheorien des 18. und 19. Jahrhunderts stark auf Leibes- und Lebensstrafen ausgerichtet, während Zweckerwägungen, wie insbesondere die Rehabilitation, zunächst eher der Freiheitsstrafe und dem Gefängnis verbunden waren 45 . Jedoch wäre es vermessen zu behaupten, Leibes- und Lebensstrafen wären aus theoretischen Überlegungen absoluter Strafbegründung abgeleitet. Ferner sind das Gefängnis und die Freiheitsstrafe nicht aus der Theorie der Resozialisierung und der Spezialprävention heraus entstanden. Hierin kommt ein rechtspolitisches Element in der Strafbegründung zum Ausdruck, das offensichtlich die theoretischen Aussagen übedagert 46 • Nicht umsonst wohl wird die StraJzumessungsrechtspolitik im Vergleich zur Strafzumessungstheorie und Strafzumessungsdogmatik als besonders ergiebig bezeichnet 47 und 43 So daß, wie Hegel, G. W. F.: a. a. 0., S. 217 ausführt, es unter unterschiedlichen sozialen Bedingungen gleichermaßen berechtigt sein kann, einen Diebstahl von einigen Sous einmal mit dem Tode zu bestrafen, ein anderes Mal aber nur mit einer leichten Strafe zu belegen. 44 So Jakobs, G.: a. a. O. 1983, S. 11. 45 Hassemer, W.: Strafzumessung, Strafvollzug und die "Gesamte Strafrechtswissenschaft". In: Lüderssen, K., Sack, F. (Hrsg.): Abweichendes Verhalten III. Die gesellschaftliche Reaktion auf Kriminalität 2. Frankfurt 1972, S. 243 - 256, S. 249. 46 v. Liszt, F.: Kriminalpolitische Aufgaben. Strafrechtliche Aufsätze und Vorträge. Bd. 1, Berlin 1905, S. 93. 47 Peters, K.: Praxis der Strafzumessung und Sanktionen. Kriminologische Gegenwartsfragen, Heft 10. Stuttgart 1972, S. 51-67, S. 53; Kaiser, G.: a. a. 0.1988, S. 851.

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2. Die nonnativen Grundlagen der Strafzumessung

nicht umsonst dürften die großen Veränderungen der Sanktionensysteme im 20. Jahrhundert wenig mit straftheoretischen Positionen zu tun haben. Die Strafinhalte stehen zu einer kriminalpolitischen Disposition, die von der Erklärung der Strafe unabhängig ist oder doch mit ihr nur in einem losen assoziativen Zusammenhang steht. Gerade hier werden aber die Bezüge der Strafe und der Strafbegründung zum Staatsverständnis, der Struktur staatlich verfaßter Gesellschaften sowie ihrer Organisation und Handeln prinzipiell steuernden Werthaltungen und Resourcen unübersehbar. Was Strafe meint, wie Strafe verstanden werden kann, läßt sich ohne Rückgriff auf die staatliche Verfassung und den Stand der Vergesellschaftung nicht beantworten 48. Strafe ist offensichtlich, wird ihr Inhalt betrachtet, Eingriff und Leistung. Dabei geht es jedoch nicht nur um denjenigen, den die Strafe trifft. Vielmehr handelt es sich auch um Eingriffe und Leistungen, die die Gesellschaft insgesamt betreffen. Die Frage, wieviel, in welchem Umfang und mit welchen Inhalten gestraft werden soll, läßt sich nur beantworten, wenn die sozialen und ökonomischen Randbedingungen einbezogen werden. Die Frage, in welchem Verhältnis Eingriff und Leistung stehen sollten, läßt sich ebenfalls zufriedenstellend nur lösen, wenn die grundlegenden Rahmenbedingungen erfaßt und für die Straftheorie fruchtbar gemacht werden können. Andererseits heißt dies, daß die Theorie der Strafe für derartige Bezüge offengehalten werden muß. Freilich wird erst dann die Straftheorie auch auf die Begründung von Unterschieden im zeitlichen Verlauf der Strukturen von Strafmaß und Strafart ausgedehnt werden können.

2.4 Straftheorien 2.4.1 Vereinigungstheorien Zwar werden die Vereinigungstheorie sowie die hierzu passende Spielraumtheorie, die von Rechtsprechung und h. L. heute vertreten werden 49, bereits zu den Gegenständen der historischen Wissenschaften gerechnet SO. Doch sind sie offensichtlich immer noch attraktiv genug, um akzeptiert und in Begründungszusammenhängen verwendet zu werden. In der Vereinigungstheorie wird gleichsam ein additives Verfahren gewählt, das der Schuldkomponente zwar ein besonderes Gewicht verleiht, individuelle Einwirkung und allgemeine Prävention jedoch 48 Müller-Dietz, H.: Integrationsprävention und Strafrecht. Zum positiven Aspekt der Generalprävention. In: Vogler, Tb. (Hrsg.): Festschrift für Hans-Heinrich Jescheck zum 70. Geburtstag. 2. Halbband, Berlin 1985, S. 813 - 827, S. 813 ff. 49 Grundlegend BGHSt 7, S. 32; vgl im übrigen Jescheck, H.-H.: Lehrbuch des Strafrechts. Allgemeiner Teil. 4. Auflage, Berlin 1988, S. 68; zur Geschichte Maurach, R., Zipf, H.: Strafrecht Allgemeiner Teil. Teilband 1. 6. Aufl., Heidelberg 1983, S. 76. 50 So Schünemann, B.: Die deutschsprachige Strafrechtswissenschaft nach der Strafrechtsrefonn im Spiegel des Leipziger Kommentars und des Wiener Kommentars. 2. Teil: Schuld und Kriminalpolitik. GA 1986, S. 293 -352, S. 346.

2.4 Straftheorien

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ebenfalls berücksichtigen will. Auch mit der Vereinigungstheorie ist freilich ein insgesamt präventives Strafrecht gemeint. Denn die Setzung von Strafrecht und die Strafandrohung bzw. die Strafe werden allein durch die Generalprävention im Sinne von Verteidigung der rechtlichen Ordnung und Rechtsgüterschutz gerechtfertigt. Schuldvergeltung allein reiche, so heißt es, zur Erklärung von Strafe nicht aus. Vielmehr muß Strafe präventiv und das heißt durch den Rechtsgüterschutz bzw. den Schutz elementarer Werte des Gemeinschaftslebens gefordert sein 51. Der Schuldbegriff und das Schuldprinzip entfalten danach ihre Wirkung im wesentlichen in der Zumessung der Strafe ("der Täter erhält die im Gesetz angedrohte Strafe nach dem Maße seiner Schuld" 52). Schuld wird hier in zweierlei Hinsicht relevant. Einmal wird Schuld als Zurechnungskategorie überhaupt, also für das Ob der Strafe, herangezogen. Zum anderen soll das Ausmaß der Schuld, als StraJzumessungsschuld, die Höhe der Strafe bestimmen 53. Schuld hat in dieser Perspektive Begründungs- und LimitierungsJunktion. Prävention wird in diesem Ansatz an zwei Stellen eingeführt. Zunächst begründet sie die Strafe insgesamt, sodann kommt ihr die Rolle zu, die theoretisch unterstellte Bandbreite schuldangemessener Strafen im Einzelfall zu schließen. Unterschiedliche Modelle der Vereinigung verschiedener Strafzwecke lassen sich insoweit beobachten, als zum einen behauptet wird, das Limitierungsprinzip lasse eine Abweichung von der schuldbestimmten Strafe weder nach unten noch nach oben ZU 54, zum anderen dafür geworben wird, der Schuldgrundsatz erlaube keine Abweichung nach oben, also zu ungunsten des Betroffenen, aber doch nach unten, lasse also die Ausschöpfung der schuldabdeckenden Strafe nur soweit zu, wie dies durch präventive Erwägungen (Wiedereingliederung, Rechtsgüterschutz) gefordert werde 55. Dabei kann natürlich von der Position einer aus spezial- oder generalpräventiven Gründen auch schuldunterschreitungsfähigen Strafe die Säkularisierung des Schuldbegriffs in Anspruch genommen und darauf verwiesen werden, daß eine zweckfreie Vergeltung von Schuld, um die es sich

51 BVerfGE 45, S. 187 ff., S. 253 f.; BGHSt 24, S.42; Roxin, C.: "Schuld" und "Verantwortlichkeit" als Systemkategorien. In: Roxin, c., Bruns, H. J., Jäger, H. (Hrsg.): Grundlagen der Gesamten Strafrechts wissenschaft. Festschrift für Heinrich Henkel zum 70. Geburtstag. Berlin, New York 1974, S.171-197, S.182f.; Rudolphi, H.-J.: Der Zweck staatlichen Strafrechts und die strafrechtlichen Zurechnungsformen. In: Schünemann, B. (Hrsg.): Grundfragen des modemen Strafrechtssystems. Berlin, New York 1984, S. 69-84. 52 Vgl. nur Dreher, E., Tröndle, H.: Strafgesetzbuch und Nebengesetze. 48. Aufl. München 1989, Anm. 3 zu § 46. 53 Vgl. hierzu insb. Achenbach, H.: Historische und dogmatische Grundlagen der strafrechtssystematischen Schuldlehre. Berlin 1974; Achenbach, H.: Individuelle Zurechnung, Verantwortlichkeit, Schuld. In: Schünemann, B. (Hrsg.): Grundfragen des modernen Strafrechtssystems. Berlin, New York 1984, S. 135 - 151. 54 BGHSt 34, S. 345 ff.; vermittelnd wohl Jescheck, H.-H.: Strafrecht. Allgemeiner Teil. 4. Aufl. Berlin 1988, S. 785 f., wonach bei offensichtlicher Gefährdung des Resozialisierungszwecks das Ziel eines vollen Schuldausgleichs zurückzutreten habe, jedoch eine Kompensation beispw. durch Nebenstrafen oder (Bewährungs-)Auflagen in Betracht komme. 55 Stree in Schönke / Schroeder, Anm. 5 zu § ~6, Vorbem. 18a zu § 38.

2. Die nonnativen Grundlagen der Strafzumessung

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handeln würde, forderte man eine absolute Bindung an die Untergrenze der Schuld, nicht mehr als tragfähige Begründung von Strafe anerkannt werden kann 56. Es handelt sich insoweit um eine spezielle Fonn des Antinomieproblems und seiner Lösung. Immerhin ist damit noch nicht viel über die Plausibilität des theoretischen Ansatzes gesagt. Vielmehr werden sich in einem Vereinigungskonzept der Straferklärung zuallererst, worauf vor allem Bruns mit Nachdruck hinweist, pragmatische Bedürfnisse der Praxis äußern 57. Allerdings dürften sich in den Bedürfnissen der Praxis nicht bloß die theoriebegrenzende Kraft von Praktikabilitätserfordernissen auswirken 58, sondern wiederum strafzumessungstheoretische Probleme verbergen, die dann sofort einleuchten, wenn man die Anwendungsbedingungen von Theorien selbst als theoretisches Problem faßt. Dies ist auch dann der Fall, wenn man über die Entscheidungstheorie im engeren hinausgeht. Jede Theorie, die auf Anwendung oder Verwendung zielt, muß sozusagen die Bedingungen des Feldes, in dem die Theorie Wirkung entfalten soll, in sich aufnehmen 59. Nur so kann im übrigen auch eine Überprüfung der theoretischen Aussagen ernsthaft erfolgen. Daß die Vereinigungs- und Spielraumtheorien praktisch reüssieren, ist deshalb nicht erstaunlich. Denn sie bieten ein Konzept, das flexibel ist und unterschiedlichen Bedürfnissen, Erwartungen und Interessen angepaßt werden kann. Die immer wieder betonte Strafzweckantinomie läßt sich im Rahmen einer solchen Theorie zwar nicht auflösen, doch entsteht eine Struktur, die keinen der zulässigen oder zugelassenen bzw. als legitim empfundenen Strafzwecke ausschließt. Immerhin lassen auch Bevölkerungsbefragungen zum Sinn und der Funktion von staatlicher Strafe erkennen, daß die gleichzeitige Verfolgung mehrerer, sich gegebenenfalls auch widersprechender Zwecke durchaus Billigung findet 60 . So wird gefordert, daß Strafe neben einem gerechten Ausgleich für die Straftat Abschreckung und Resozialisierung sowie Besserung bewirken soll. Dies dürfte letztlich dadurch erklärt werden können, daß Strafe, in welchem sozialem Zusammenhang auch immer sie eingesetzt wird, nie eindeutige oder absolute Konsequenzen hat. Vielmehr sind neben erwünschten positiven auch unerwünschte negative Folgen der Strafe denkbar und in Rechnung zu stellen. In Einklang damit stehen im übrigen Befunde aus der Systemtheorie, die belegen, daß einzelnen Systemteilen unter Bedingungen moderner Vergesellschaftung Multifunktionalität regelmäßig abverlangt wird. Das heißt, Systeme müssen komplexen AnfordeNoll, P.: Die ethische Begründung der Strafe. Tübingen 1962, S. 19 ff. Bruns, H. J.: Neues Strafzumessungsrecht? Köln u. a. 1988, S. 5 f. 58 So Peters, K.: Praxis der Strafzumessung und Sanktionen. Kriminologische Gegenwartsfragen, Heft 10. Stuttgart 1972, S. 51-67, S. 54 f. 59 Ähnlich Hasserner, W.: Die Fonnalisierung der Strafzumessungsentscheidung. ZStW 90 (1978), S. 64-99, S. 76 ff.; Hasserner, W.: Über die Berücksichtigung von Folgen bei der Auslegung der Strafgesetze. In: Horn, N. (Hrsg.): Europäisches Rechtsdenken in Geschichte und Gegenwart. Festschrift für Helmut Coing zum 70. Geburtstag. München 1982, S. 493 -524, S. 516 f. für den Bereich der Folgenberücksichtigung. 60 Hierzu Reuband, K.-H.: Sanktionsverlangen im Wandel. Die Einstellung zur Todesstrafe in der Bundesrepublik Deutschland seit 1950. KZfSS 32 (1980), S. 535 - 558, S.543. 56 57

2.4 Straftheorien

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rungen und Erwartungen entgegenkommen und in ihre Handlungen unterschiedliche, ggfs. auch nicht stimmige Funktionen aufnehmen. Dies ist grundsätzlich nur dann möglich, wenn die Strafe selbst ebenso wie die Strafbestimmungsgründe komplex bzw. mehrdimensional ausgerichtet werden 61. Insoweit ist die schlichte Zuordnung der Generalprävention zur Strafrechtssetzung, des Schuldausgleichs zur richterlichen Strafbestimmung, schließlich der Spezialprävention zum Vollzug der Strafe (insbesondere Vollzug der Freiheitsstrafe), also die "Drei-Säulen-Theorie" des Strafrechts keine angemessene Erklärung 62, vielmehr eher eine unsichere Behauptung von abgrenzbaren Funktionen, die Vereinfachung sucht. Den somit sichtbar werdenden Gründen, die die praktisch herausragende Rolle der Vereinigungstheorie zu erklären vermögen, steht im wesentlichen die Kritik gegenüber, daß derartige Begründung von Strafe zu offen sei und geradezu die Tür öffne für Ungleichmäßigkeit und Unbestimmtheit in der Festsetzung der Einzelstrafe 63. Denn eine Rangfolge der verschiedenen Strafziele bzw. Strafzwekke und eine Bestimmung ihres relativen Gewichts werden weder durch das positive Recht gesetzt 64 , noch sind diese Parameter aus der Theorie ableitbar. Ferner wird eingewendet, es sei nicht einsichtig, einerseits die Notwendigkeit von Strafrecht und damit Strafe präventiv, d. h. über den Rechtsgüterschutz zu definieren, andererseits aber an der Schuldvergeltungsidee als wesentlicher Rechtfertigung von Strafe festzuhalten 65 • Hinzu kommt die Kritik, die Aufnahme von Schuldvergeltung einerseits und Prävention andererseits bedinge einen grundlegenden Widerspruch in den Strafzwecken, der der Forderung nach Rationalität widerspreche und richtige Aussagen in Form richtigen Strafhandelns nicht zulasse 66 • Schließlich ist natürlich Voraussetzung theoretischer Bemühungen um einen Ausgleich von Strafzwecken, daß Konflikte zwischen Schuldausgleich und Prä-

61 Jescheck, H.-H.: Lehrbuch des Strafrechts. Allgemeiner Teil. 4. Auflage, Berlin 1988, S. 68; ferner Schreiber, H.-L.: Widersprüche und Brüche in heutigen Strafkonzeptionen. ZStW 94 (1982), S. 279-298, S. 279. 62 Albrecht, P.-A.: Spezialprävention angesichts neuer Tätergruppen. ZStW 97 (1985), S. 831- 870. 63 Vgl. beispw. Köhler, M.: Der Begriff der Strafe. Heidelberg 1986, S.5; sehr plastisch wird diese Gefahr bei Spende\, G.: Zur Lehre vom Strafmaß. Frankfurt 1954, S. 179, wo der Spielraum zwar als Segen gerechter und zweckmäßiger Strafrechtspflege bezeichnet wird. Die hierdurch eröffnete Differenzierungsmöglichkeit soll sich allerdings darin äußern, daß der Delinquent, der Nachsicht verdient, milde angefaßt, derjenige, vor dem die Rechtsordnung sich vorsehen müsse, streng angefaßt werden könne. Nur: wer verdient Nachsicht, vor wem muß die Rechtsordnung sich vorsehen. Tatsächlich kann so ein Einfallstor für Gefährlichkeits- und andere Erwägungen entstehen. 64 Stratenwerth, G.: a. a. O. 1972, S. 14; vgl. aber BGHSt 24, S.42, wo von einer bedeutsamen Schwerpunktverlagerung auf den Gesichtspunkt der Spezialprävention die Rede ist. 65 Schünemann, B.: Die Funktion des Schuldprinzips im Präventionsstrafrecht. In: Schünemann, B. (Hrsg.): Grundfragen des modernen Strafrechtssystems. Berlin, New York 1984, S. 153-196. 66 Köhler, M.: Über den Zusammenhang zwischen Strafrechtsbegründung und Strafzumessung. Erörtert am Beispiel der Generalprävention. Heidelberg 1983, S. 26 ff.

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2. Die normativen Grundlagen der Strafzumessung

vention und hieraus resultierender Integrations- und Harrnonisierungsbedarf theoretisch begründet und empirisch beobachtbar sind, daß also mit den Worten Bruns beispw. ein Sittlichkeitsverbrecher-Fall denkbar ist, "in dem die Sühne der Schuld zwei Jahre, die Besserung des Täters drei Jahre und die Allgemeinabschreckung vier oder fünf Jahre Freiheitsstrafe erfordern"67. Hier sind ganz erhebliche Zweifel darüber anzumelden, ob derartige Gegensätze in der Bestimmung von Strafmaßen überhaupt beobachtbar werden können. Diese Zweifel haben insbesondere auch die Entwicklung der Stufen- oder Stellenwerttheorie ganz erheblich befördert 68. Sie werden im Detail anläßlich der Diskussion der Relevanz des Folgenkonzepts für die Konkretisierung der Strafe behandelt 69 .

2.4.2 Straftheorien positiver Generalprävention Die Kritik am Vereinigungskonzept als Rechtfertigung von Strafe hat zu Versuchen geführt, Strafe auf andere Art und Weise zu legitimieren. Im Gegensatz zur die Rechtsprechung dominierenden Vereinigungstheorie, die dem Schuldausgleich in der Strafbegründung bestimmenden Einfluß beimißt, wird in der Strafrechtslehre zunehmend die Auffassung vertreten, nur positive Auswirkungen auf das gesellschaftliche Zusammenleben legitimierten staatliche Strafe 70. Dabei führt die Kritik in unterschiedliche Richtungen, die sich unterscheiden lassen anband der durch Strafe verfolgten Ziele wie am Status der Schuldkategorie im jeweiligen Konzept. Einerseits ist die präventive Begründung von Strafe im Sinne einer Garantie sozialer Interaktion oder der beständigen Validierung von Normen zu beobachten 7!. Für Jakobs, der die positive Generalprävention oder Integrationsprävention ganz in das Zentrum der Begründung und Erklärung von Strafe rückt, folgt hieraus, daß die Schuld von Generalprävention abhängig ist. Im Gegensatz zu Vereinigungstheorien kann aus dieser Sichtweise die Schuld als begrenzendes Prinzip nicht dienen. Die Begrenzung strafrechtlicher Zurechnung erfolgt vielmehr aus positiver Generalprävention 72. Schuld selbst wird über positi67 Bruns, H.-J.: Neues Strafzumessungsrecht? Köln u. a. 1988, S. 31. Dieser Fall wird von Bruns als ,,nicht lebensfremd" bezeichnet, macht jedoch nur deutlich, daß ganz erheblche Mißverständnisse über Art und Präzision der aus empirischen Theorien ableitbaren Aussagen bestehen; vgl. hierzu weiter unten Kap. 3. 68 Frisch, W.: Gegenwärtiger Stand und Zukunftsperspektiven der Strafzumessungsdogmatik. ZStW 99 (1987), S. 349-388, S. 751-805; vgl. im übrigen Kapitel 3. 69 Hierzu Kapitel 3. 70 Giehring, H.: Ungleichheiten in der Strafzumessungspraxis und die Strafzumessungslehre - Versuch einer Analyse aus der Sicht eines Strafrechtswissenschaftlers. In: Pfeiffer, eh., Oswald, M. (Hrsg.): Strafzumessung. Empirische Forschung und Strafrechtsdogmatik im Dialog. Stuttgart 1989, S. 77 -125, S. 85. 7! Jakobs, G.: Strafrecht Allgemeiner Teil. Die Grundlagen und die Zurechnungslehre. Berlin, New York 1983, S. 3 ff. 72 Jakobs, G.: Schuld und Prävention. Tübingen 1976, S. 8 ff.

2.4 Straftheorien

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ve Generalprävention definiert und damit ebenfalls zum Zweckbegriff. Die Schuld erhält somit Substanz aus dem Bedarf an positiver Generalprävention, mit anderen Worten, der strafrechtliche Vorwurf und die strafrechtliche Zurechnung, schließlich die Frage, warum Strafe folgen muß, erklären sich über das Bedürfnis an Sicherung der normativen Erwartungen, die hergestellt wird durch einen demonstrativen Widerspruch gegen die Normverletzung auf Kosten des Normverletzers, Einübung in Normvertrauen und Rechtstreue sowie das Lernen von in Normen enthaltenen Erwartungen 73. Der Gegensatz von Schuld und Generalprävention ist damit aufgelöst. Eine schuldentsprechende Strafe kann nur die generalpräventiv erforderliche Strafe sein. Dann ist allerdings klar, daß die klassische Funktion des Schuldbegriffs, nämlich eine deutliche Begrenzung der präventiven Strafzwecke zu gewährleisten, nicht mehr erfüllt zu werden vermag. Denn natürlich könnte ein Schuldvorwurf, der sich aus generalpräventiven Bedürfnissen oder Notwendigkeiten ableitet und kein eigenständiges Substrat besitzt, nicht genutzt werden, um das Maß an generalpräventivem Bedarf zu beschränken 74 • Nun hat eine Straftheorie, die systematisch auf dem Zweck positiver Generalprävention aufbaut, sicher einige unmittelbar einleuchtende Vorteile. Sie steht im Einklang mit rechtssoziologischen Erwägungen zu Norm und Sanktion 75. Unbestritten ist, daß die Geltung von Normen abhängig ist von ihrer Sichtbarkeit sowie beständiger, kontrafaktischer Bestätigung der Richtigkeit in ihr enthaltener Erwartungen und daß diese Sichtbarkeit und die Aufrechterhaltung der Erwartungen nur dann gewährleistet werden, wenn die Verletzung der Norm sanktioniert wird, mit anderen Worten, wenn die Straftat mit Kosten belegt wird. Eine andere Möglichkeit einer kontrafaktischen Behauptung von Normgeltung als über negative Sanktionierung der Erwartungsverletzung ist theoretisch nicht begründbar und empirisch nicht plausibel 76. Freilich wird damit keine Aussage gemacht über die Art und das Maß der Sanktion oder der Kostenbelastung. Ausgeschlossen sind damit lediglich die Belohnung und der moralische Appell. Auch eine Aussage darüber, wer unter welchen Bedingungen für Normverletzungen sanktioniert werden soll, folgt hieraus nicht. Ferner läßt sich mit einer Orientierung der Strafbegründung an positiver Generalprävention allein zunächst auch eine Abschichtung von Strafziel und Strafrechtsziel erreichen, die der Strafe die Erhaltung der Norm, also die Stabilisierung der hierin enthaltenen Erwartungen, als Ziel zuweist, während Rechtsgüterschutz und Kriminalitätsbekämpfung oder Prävention im Allgemeinen, Ziele also, hinsichtlich derer Einigung und Konsens sicher nur schwer möglich sind, dem Strafrecht bzw. den Strafrechtsnormen zugeordnet werden könnten. Dies wird unter dem Gesichtspunkt der Krise des präventiven Strafrechts (die über die 73 Jakobs, G.: Strafrecht. Allgemeiner Teil. Die Grundlagen und die Zurechnungslehre. Berlin, New York 1983, S. 21. 74 Müller-Dietz, H.: Grundfragen des strafrechtlichen Sanktionensystems. Heidelberg, Hamburg 1979, S. 21 ff. 75 Luhmann, N.: Rechtssoziologie. 2. erw. Auf!. Opladen 1983, S. 40 ff., S. 53 ff. 76 Popitz, H.: Die normative Konstruktion von Gesellschaft. Tübingen 1980; Gouldner, A. W.: Die westliche Soziologie in der Krise. Reinbek 1974.

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2. Die normativen Grundlagen der Strafzumessung

Spezialprävention und den Resozialisierungsansatz hinausweist) verständlich. Denn Rechtsgüterschutz durch Strafe läßt sich wohl als pausible Erwartung formulieren, allein das Ob und das Ausmaß nachzuweisen, fällt schwer 77. Im übrigen wird durch den Mechanismus positiver Generalprävention zwar ein notwendiger, nicht aber ein hinreichender Grund der Strafe beschrieben. Denn eine Gewähr für den Bestandserhalt der Erwartungen bietet die Belastung des Straftäters mit Kosten nicht. Auch in der so begründeten Strafe äußern sich zunächst bloße Erwartungen, deren Einlösung von zusätzlichen Bedingungen abhängig ist, die wiederum außerhalb des Strafrechts liegen. Jedoch bleibt fraglich, ob die Ersetzung des Schuldbegriffs durch den der Einübung von Vertrauen in die Norm mehr hergibt als eine modeme oder zeitgemäßere Beschreibung des Grundes von Strafen. Denn offensichtlich bleiben die Konsequenzen einer Straftheorie positiver Generalprävention für die Strafzumessung ähnlich vage wie diejenigen einer schuldorientierten Straftheorie. Heißt es als Ableitung der Vereinigungstheorie, die schuldentsprechende Strafe verweise auf eine noch schuldangemessene Strafe nach unten und oben, einen Spielraum also, der durch präventive Erwägungen gestaltet werden könne, so heißt es bei Jakobs, aus der Theorie positiver Generalprävention ergebe sich ein Rahmen, der von der schon ernst zu nehmenden Reaktion und der noch nicht übertrieben scharfen Reaktion gebildet werde 78 • Ähnliches gilt aber auch für die Voraussetzungen von Schuld einerseits und positiver Generalprävention andererseits. Als theoretische Begriffe bedürfen beide einer Operationalisierung, hinsichtlich derer zu fragen wäre, ob und inwieweit die hierzu heranziehbaren Merkmale nicht unter Umständen deckungsgleich sind (was im übrigen vor dem Hintergrund der Ambivalenzhypothese, die sich auf insoweit zentrale Strafzumessungstatsachen bezieht, durchaus plausibel angenommen werden könnte). Nicht umsonst wird wohl gerne die Vermutung aufgegriffen, nur die gerechte, weil schuldangemessene Strafe sei gleichzeitig auch die im Sinne positiver Generalprävention wirksamste Strafe, da sie akzeptiert werde und eben deshalb entsprechende Motivationsprozesse zur Förderung des Lernens und zur Bestärkung in der Rechtstreue auslösen könne 79. Dabei muß natürlich die Frage gestellt werden, ob insoweit ein positive Generalprävention begrenzendes und damit unabhängiges Prinzip, Gerechtigkeit oder Schuldausmaß, herangezogen wird, oder die Behauptung enthalten ist, positive Generalprävention enthalte selbst eine solche Begrenzung. Beide Annahmen vermögen Plausibilität zu beanspruchen. Einerseits ist natürlich Vgl. hierzu im einzelnen weiter unten Kap. 3. Jakobs, G.: a. a. O. 1983, S. 21. 79 Achenbach, H.: Individuelle Zurechnung, Verantwortlichkeit, Schuld. In: Schünemann, B. (Hrsg.): Grundfragen des modemen Strafrechtssystems. Berlin, New York, S. 135-151, S. 143; Dreher, E., Tröndle, H.: Strafgesetzbuch und Nebengesetze. 48. Auf!. München 1989, Anm. 3 zu § 46; Kunz, K.-L.: Prävention und gerechte Zurechnung. ZStW 98 (1986), S. 823 - 838, S. 832; Streng, F.: Strafzumessung und relative Gerechtigkeit. Heidelberg 1984, S. 77 78

2.4 Straftheorien

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kein utilitaristisches Konzept vorstellbar, das sich auf einen einfachen linearen Zusammenhang zwischen Präventionsausmaß und Strafmaß zurückführen lassen wollte. Denn das Konzept des Grenznutzens erklärt beispw., warum nicht jedes Ausmaß an Steigerung in der Strafe zu ebensolchen Zuwächsen an Prävention führen kann 80. Im übrigen wird geltend gemacht, die Ersetzung des Schuldbegriffs durch denjenigen der positiven Generalprävention zerstöre fundamentale Wertstrukturen, da nur im Schuldbegriff Legitimationspotential im Hinblick auf die wertrationale Vertretbarkeit von Strafe liege 81. Eine begriffliche Trennung und die Selbständigkeit von Schuld und Prävention finden sich auch in der Position von Roxin, der Schuld als notwendige, wenn auch nicht hinreichende Bedingung von Strafe konzipiert, um hieraus Flexibilität zu gewinnen und präventive Momente in die Begründung von Strafe einbringen zu können 82. Die strafrechtliche Verantwortlichkeit wird dabei zum übergreifenden Konzept, in dem Prävention und Schuld dialektisch aufeinander bezogen sind und sich gegenseitig begrenzen 83 • Die Schuld entfaltet dabei nur einseitige Wirkungen. Sie begründet (auch im Maß) und begrenzt Strafe, jedoch nur soweit wie präventiver Bedarf an Strafe vorhanden ist. Das Tor zum Konzept der schuldunterschreitenden Strafe ist damit geöffnet. Schuld ist damit im Verhältnis zu positiver Generalprävention weder unabhängige noch abhängige Variable, sie steht auf derselben Ebene wie positive Generalprävention. Beides ist aber nicht voneinander zu trennen. Die Interdependenz erzeugt Abhängigkeit. Diesem Schritt, eine weitere Systemebene der strafrechtlichen Verantwortlichkeit einzuführen, stimmt Schünemann zu, nimmt aber an, daß Schuld neben der Prävention selbständige Bedeutung behalte. Allerdings soll nach diesen Erwägungen die Schuld nurmehr begrenzende Eigenschaften in sich tragen. Ihr kommt von dieser Position her gesehen die Funktion zu, die Zulässigkeit der allein generalpräventiv erklärten Strafe 84 über die Feststellung normativer Motivierbar-

80 Hierzu Blinkert, B.: Benachteiligte Jugendliche - Lernen oder kriminell werden. Soziale Welt 32 (1981), S. 86-118. 81 Schünemann, B.: Die Funktion des Schuldprinzips im Präventionsstrafrecht. In: Schünemann, B. (Hrsg.): Grundfragen des modemen Strafrechtssystems. Berlin, New York 1984, S. 153 -195, S. 171; Rudolphi, H.-J.: Der Zweck staatlichen Strafrechts und die strafrechtlichen Zurechnungsformen. In: Schünemann, B. (Hrsg.): Grundfragen des modemen Strafrechtsystems. Bcrlin, New York 1984, S. 69-84, S. 75: Begrenzung des Präventionsgedankens auf das mit Autonomie und Menschenwürde zu vereinbarende Maß. 82 Roxin, c.: Schuld, Prävention und Verantwortlichkeit im Strafrecht. In: Kaufmann, A., Bemmann, G., Krauss, D., Volk, K. (Hrsg.): Festschrift für Paul Bockelmann zum 70. Geburtstag. München 1979, S.279-309, S.285; Derselbe: Zur Problematik des Schuldstrafrechts. ZStW 96 (1984), S. 641-660, S. 653 ff. 83 Ähnlich Kunz, K.-L.: Prävention und gerechte Zurechnung. ZStW 98 (1986), S. 823-838, S. 831, der insoweit von wechselseitiger Bezugsetzung spricht. 84 Dabei fmden in das Konzept der Generalprävention die Integrationsprävention einerseits und die Androhungsgeneralprävention andererseits Eingang. Die Notwendig-

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2. Die nonnativen Grundlagen der Strafzumessung

keit im Einzelfall zu bestimmen und im Rahmen der durch Operationalisierung der Generalpräventionsbedürfnisse anband der quantifizierten Schwere der Rechtsgüterverletzung und der Intensität der kriminellen Energie abgeleiteten Strafhöhe die Wirksamkeit der Generalprävention auf das dem Täter Erkennbare und deshalb Vorwerfbare zu begrenzen 85.

2.4.3 Tatschuldtheorie Eine andere Richtung zu nehmen beansprucht der Versuch, die Kritik an Vereinigungskonzepten auf die präventiven Elemente zu konzentrieren und die Begründung der Strafe bzw. mit ihr ihre Bestimmung und Modifikationen auf Tatschuld allein zurückzuführen 86. Hier wird davon ausgegangen, daß Rechtsstrafe sich von anderem Zwang oder Gewalt unterscheide durch die prinzipielle Anerkennung auch des Straftäters als vernünftigen, selbstgesteuerten, autonomen Menschen. Die Verfolgung präventiver Zwecke, seien diese spezial-, seien sie general präventiver Art schließe ein solches Basismodell vom Menschen und vom menschlichen Handeln aus; ihre Eingliederung in ein Tatschuldvergeltungsstrafrecht belaste die Erklärung der Strafe mit einem nicht zu beseitigenden Widerspruch, der, wie bereits weiter oben angesprochen, richtige Aussagen im Sinne von richtigen (weil widerspruchsfreien) Strafen nicht zulasse. Allein ein Tatschuldvergeltungsstrafrecht und die tatschuldbezogene Strafe würden der Anerkennung von Autonomie und der Absage an Heteronomie gerecht. Die Begründung tatschuldbezogener Strafe ergebe sich aus eben dem Bild eines vernünftigen autonomen Menschen, dessen auch rechtsverletzende Handlungen mit Allgemeingeltungsanspruch versehen seien. Der Geltungswiderspruch sei es, der vernünftigerweise nach Strafe verlange, nach Strafe, die das durch die Straftat gestörte Rechtsgleichheitsverhältnis wiederherstelle und über Freiheitsrechtsminderung im Besonderen, bzw. im durch die Straftat skizzierten Ausschnitt das durch die Straftat begründete Ungleichheitsverhältnis verallgemeinere. Damit, so heißt es, werde der in der Straftat angelegte Geltungswiderspruch aufgehoben. keit einer solchen doppelspurigen Ausrichtung wird damit begründet, daß für bestimmte Straftaten bzw. Tätergruppen (insb. ,,neue Kriminalität" oder "neue Tätergruppen": Umweltdelikte, Wirtschaftskriminalität) die eigentlich im Vordergrund stehende Integrationsprävention nicht zur Erklärung der Notwendigkeit von Strafe ausreiche. Hier müsse eine Ergänzung über die Androhungsprävention erfolgen. Vgl. hierzu SchÜllemann, B.: Plädoyer für eine neue Theorie der Strafzumessung. In: Eser, A., Comils, K. (Hrsg.): Neuere Tendenzen der Kriminalpolitik. Freiburg 1987, S. 209-238, S. 219 ff. 85 Schünemann, B.: Die Funktion des Schuldprinzips im Präventionsstrafrecht. In: Schünemann, B. (Hrsg.): Grundfragen des modemen Strafrechtsystems. Berlin, New York 1984, S.153-195, S.187ff. 86 So insbesondere Köhler, M.: Über den Zusammenhang von Strafrechtsbegründung und Strafzumessung. Erörtert am Beispiel der Generalprävention. Heidelberg 1983; Köhler, M.: Der Begriff der Strafe. Heidelberg 1986; Wolff, E. A.: Das neuere Verständnis von Generalprävention und seine Tauglichkeit für eine Antwort auf Kriminalität. ZStW 97 (1985), S. 786-830.

2.5 Strafzumessungstheorien

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Jedoch stellt sich das Problem der Erklärungskraft von Autonomie oder Freiheit in einer grundsätzlich auf Interdependenz angelegten Gesellschaftsform, die sich insoweit drastisch unterscheidet von der Vergesellschaftung, die zur Zeit der Entwicklung absoluter Straftheorien jedenfalls noch gut erinnerlich war. Im übrigen verwehrt solche (absolute) Strafbegründung die Verarbeitung der Funktionalität und der Notwendigkeit des Dunkelfelds der Kriminalität 87 •

2.5 Strafzumessungstheorien Im Fortgang der Untersuchung ist nun zu fragen, was aus einzelnen Straftheorien an Strafzumessungstheorien bzw. für die Konkretisierung der Strafe im Einzelfall abgeleitet werden kann. Damit ist das Problem thematisiert, welche Schritte für die Festsetzung der Strafe im Einzelfall aus der Erklärung von Strafe folgen. Der Vereinigungstheorie der Strafe können dabei im wesentlichen die folgenden Strafzumessungstheorien zugeordnet werden. Es handelt sich um die Spielraumtheorie, die Theorie der Punktstrafe und die Theorie des sozialen Gestaltungsakts sowie um die Stufentheorie der Strafzumessung.

2.5.1 Die Spielraumtheorie Aus der Perspektive der Vereinigungstheorie wird argumentiert, die Orientierung an der Schuld des Straftäters, die durch § 46 Abs. 1 StGB verlangt werde, eröffne einen Spielraum schuldangemessener Strafen. Dieser Spielraum reiche von der schon schuldangemessenen Strafe bis zu der noch schuldangemessenen Strafe. Die Festlegung des Spielraums bzw. des Schuldrahmens stellt also einen Zwischenschritt auf dem Weg zum endgültigen Strafmaß dar. Den Spielraum gelte es sodann in einem letzten Akt durch präventive Erwägungen zu füllen oder zu konkretisieren, wobei sowohl spezial- wie generalpräventive Überlegungen einfließen dürften. Die Spielraum theorie hat sich durchgesetzt 88 • Insbesondere die Rechtsprechung bezieht sich seit langem ausschließlich auf sie 89. Der Spielraum wird als Folge methodischer und theoretischer Probleme verstanden. In methodischer Hinsicht wird dabei einerseits die Schuld als ein fester Gegenstand der Erkenntnis unterstellt, jedoch die Unzulänglichkeit menschlichen ErPopitz, H.: Über die Präventivwirkung des Nichtwissens. Tübingen 1968. Vgl. nur Stree in Schönke/ Schröder Anm. 10 zu Vorbem. §§ 38 ff.; Baumann, J., Weber, U.: Strafrecht. Allgemeiner Teil. 5. Auf!. Bielefeld 1985, S. 629 f.; Jakobs, G.: Strafrecht Allgemeiner Teil. Die Grundlagen und die Zurechnungslehre. Berlin, New York 1983; Roxin, C.: Strafzumessung im Lichte der Strafzwecke. In: Walder, H., Trechsel, St. (Hrsg.): Lebendiges Strafrecht. Festgabe zum 65. Geburtstag von Hans Schultz. Bem 1977, S. 463-481, S. 466. 89 BGHSt 7, S. 32; 20, S. 267; 24, S. 133. 87 88

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kenntnisvermögens als Grenze letzter Eindeutigkeit hervorgehoben 90. In theoretischer Hinsicht wird in Analogie zur Entwicklung in den Naturwissenschaften, insbesondere in der theoretischen Physik, die Beweglichkeit bzw. Unschärfe des Gegenstands der Erkenntnis betont, von daher theoretische Eindeutigkeit verneint 91 • In diesem Zusammenhang wird zunächst zu Recht die Frage aufgeworfen, inwieweit das Konzept eines Schuldrahmens oder einer Bandbreite schuldadäquater Strafen selbst schlüssig sei. Jedenfalls ergeben sich dann erhebliche Probleme der Fixierung der konkreten Schuldstrafe, wenn entweder präventive Erwägungen nicht formuliert werden können oder wenn präventive Bedürfnisse sich nicht in Straf-Zeit beziffern und damit zwangsläufig in einen Rahmen einordnen lassen 92. Dann fehlt eine Regel, die den Spielraum zu schließen im Stande wäre. Im übrigen gilt das Spielraum- und Spielraumschließungsproblem auch im Zusammenhang mit der Fixierung des oberen und des unteren Rahmens der schuldangemessenen Strafen. Denn wenn die Festlegung einer einzigen schuldangemessenen Strafe sofort nicht möglich ist, warum sollte es dann möglich sein, zwei derartige schon oder noch schuldangemessene Strafen festzulegen 93 ? Wenn die Vereinigungstheorie der Strafe ein der Schuld entsprechendes Strafmaß als eine Konklusion aus feststehenden Prämissen nicht hergibt, dann kann sie derartiges auch nicht für zwei Konklusionen. Das somit deutlich werdende Dezisionismusproblem wird verlagert und erweitert. Anstatt einer Entscheidung sind nunmehr deren zwei zu treffen und natürlich zu rechtfertigen bzw. theoretisch zu begründen. Auch am unteren bzw. am oberen Ende sind natürlich Spielräume zu denken. Ein beständiger Rekurs wird also sichtbar, zu dessen begründetem Abbruch ein Verfahren bzw. Instrumente oder ein Kriterium benötigt würden, die aber offensichtlich nicht entwickelt sind und nicht benannt werden können. Ungeeignet zur Lösung eines solchen Problems ist natürlich das Konzept der fließenden Grenzen 94 • Denn auch fließende Grenzen müßten eigentlich bestimm90 Kaufmann, A.: Das Schuldprinzip. Eine strafrechtlich-rechtsphilosophische Untersuchung. Heidelberg 1961; Heinitz, E.: Der Entwurf des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches vom kriminalpolitischen Standpunkt aus. ZStW 70 (1958), S. 1-24, S.5; Baumann, J., Weber, U.: Strafrecht. Allgemeiner Teil. 5. Auf!. Bielefeld 1985, S. 628; vgl. aber Zipf, H.: Strafmaßrevision. München 1969, S. 73, der den Spielraum selbst als feste, und damit erkennbare Größe, versteht: Er (der Schuldrahmen) ist vielmehr eine vorgegebene Größe, die man aufsuchen, aber nicht terminieren kann; oder: Der Richter bestimmt also nicht den Schuldrahmen, sondern sucht ihn als etwas ohne sein eigenes Zutun Entstehendes nur auf (S. 74). 91 Hierzu vor allem Spendei, G.: Zur Lehre vom Strafmaß. Frankfurt 1954, S. 170 f., S. 178 f.; Roxin, c.: Strafzumessung im Lichte der Strafzwecke. In: Institut für Konf!iktfoschung (Hrsg.): pönometrie. Rationalität oder Irrationalität in der Strafzumessung. 2. Auf!. Köln 1977, S. 55 - 72, S. 58. 92 Vgl. dazu Frisch, W.: Gegenwärtiger Stand und Zukunftsperspektiven der Strafzumessungsdogmatik. ZStW 99 (1987), S. 349-388, S. 362 f. 93 So zutreffend Jescheck, H.-H.: Lehrbuch des Strafrechts. Allgemeiner Teil. 4. Auf!. Berlin 1988, S. 786.

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bar sein, jedenfalls soweit es sich um die Festlegung der äußeren und inneren Grenzen des "Fließenden" handelt 95 • Eine Lösung bedeutet es im übrigen auch nicht, darauf auszuweichen, daß der Schuldrahmen als der Bereich des Strafrahmens definiert wird, innerhalb dessen keine begründeten Zweifel an der Schuldangemessenheit der Strafe aufkommen können 96. Denn hiermit wäre lediglich angedeutet, daß es wohl weitere Kriterien geben müsse, nämlich solche Kriterien, die Zweifel zu wecken in der Lage sind. Gerade solche Kriterien können aber offensichtlich aus der Schuldrahmentheorie eben nicht abgeleitet werden. Die Schuld als Maßstab hat ja zur Konstruktion eines (unbestimmten) Rahmens geführt. Sie ist offensichtlich in ihrem Konkretisierungspotential aufgebraucht. Verwiesen wird damit auf der Theorie externe Sätze. In diesem Zusammenhang sind Versuche zu beobachten, in der Konkretisierung der Strafe von der inhaltlichen Bestimmung der (Strafzumessungs-)Schuld wegzugehen und an deren Stelle das Verfahren selbst als Validierungsmethode zu setzen. Wenn beispw. behauptet wird, schuldangemessen sei die Strafe, die sich objektiv in Übereinstimmung mit dem maßgeblichen Rechtsbewußtsein der Rechtsgemeinschaft bef'mde, wird freilich ein problematisches Kriterium aufgegriffen. Denn es ist sofort einsichtig, daß sich ein solches Kriterium als nichts anderes erweisen kann als eine bloße Fiktion 97. Das Postulat einer Äquivalenz zwischen Rechtsbewußtsein der Allgemeinheit und Schuldadäquanz führt zwar dazu, daß ein methodisches Kriterium für die richtige Strafe benannt wird. Allerdings kann dieses Kriterium, unabhängig davon, daß das sachliche Problem ungelöst bleibt, praktisch nicht verwendet werden. Die praktische Unbrauchbarkeit zeigt sich unmittelbar, wenn der hieraus gefolgerte Ablauf einer solchen Überprüfung der Strafe auf Richtigkeit betrachtet wird. Denn offensichtlich soll sich die Kontrolle nicht an dem Ergebnis eines Vergleichs von Rechtsbewußtsein der Allgemeinheit einerseits und der konkretisierten Strafe orientieren. An eine empirische Ermittlung des Rechtsbewußtseins der Allgemeinheit könnte freilich in Form der Repräsentativbefragung zu als angemessen betrachteten Strafmaßen für bestimmte Delikte gedacht werden. Jedoch wird dies nicht in Erwägung gezogen. Vielmehr soll das Revisionsgericht auf der Basis des festgestellten Schuldsachverhalts ebenfalls eine Strafkonkretisierung vornehmen und im Vergleich dieser beiden Größen beurteilen, ob die erstinstanzliche Beurteilung sich im Rahmen dessen hält, was durch das Obergericht als schuldadäquat eingestuft wird 98. Freilich 94 So Spendei, Zur Lehre vom Strafmaß. 1954, S. 184; ihm folgend Zipf, H.: Strafmaßrevision. München 1969, S. 58. 95 Widersprüchlich insoweit Zipf, H.: Strafmaßrevision. München 1969, S.80, der einerseits behauptet, die fließende Grenzzone sei nicht exakt zu bestimmen, andererseits feststellt, erst jenseits der fließenden Grenzzone gebe es einen Punkt, der eindeutig als schuldinadäquat bezeichnet werden könne. Wenn dies so ist, dann können die Grenzen der "fließenden Grenzen" aber angegeben werden. Es müßten also aus der Spielraumtheorie drei Aussagen abgeleitet werden können: die Aussage über die ganz sicher schuldunangemessene Strafe, die Aussage über die sicher schuldangemessene Strafe sowie die Aussage über die zweifelhaft schuldangemessene Strafe. 96 Zipf, H.: Strafmaßrevision. München 1969, S. 81. 97 Vgl. Zipf, H.: Strafmaßrevision. München 1969, S. 211, der dieses Kriterium einführt, allerdings durchaus einleuchtend feststellt, daß das maßgebliche Rechtsbewußtsein der Rechtsgemeinschaft sich eben nur schwer eindeutig fixieren lasse. 98 Zipf, H.: Strafmaßrevision. München 1969, S. 211 ff.

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wird mit einem solchen Vergleich als Richtigkeitskontrolle der Maßstab des Revisionsgerichts eingesetzt. Dessen Überlegenheit soll sich allerdings begründen lassen. Zur Rechtfertigung werden eine rechtsvereinheitlichende Funktion der Revisionsinstanz, der bessere Überblick und die Möglichkeit, mehrere Gerichtsbezirke auf übliche Strafmaße hin zu überprüfen, eingeführt. Ausgetauscht werden hier allerdings die maßgeblichen Kriterien. Denn wenn die Bewertung des Tatrichters selbst rechtlich nicht nachvollziehbar ist, dann gilt eben offensichtlich für die Richtigkeitsüberprüfung ein anderes Kriterium. Nicht das Kriterium der Schuldadäquanz findet Anwendung, sondern eine (natürlich ebenfalls nicht nachvollziehbare) Wertung des Revisionsgerichts, angereichert um in der jeweiligen Region übliche, d. h. dem Revisionsgericht erkennbare Strafmaße bei spezifischen Delikten. Dieser Austausch führt jedoch ins Leere. Denn durch eine weitere, nicht nachvollziehbare Entscheidung kann Richtigkeit eben nicht hergestellt werden. Die Üblichkeit von Strafmaßen gewährleistet natürlich ebenfalls keine Richtigkeit oder Schuldadäquanz. Eine solche Funktion der Üblichkeit setzte voraus, daß im Üblichen auch das Richtige zutage tritt, daß also beides zur Deckung kommt. Soweit versucht wird, ein empirisches Kriterium, nämlich die praktische Entscheidung des Richters, dazu zu nutzen, die untere und die obere Grenze festzulegen, gilt es aber darauf hinzuweisen, daß dies unzureichend bleiben muß. Denn ein solches Vorgehen würde dem sozialwissenschaftlich zwar erprobten, gleichwohl feste Grenzen aus sich selbst heraus nicht aufzeigenden Instrument des ,,rating" entsprechen 99. Richtigkeit wäre damit zwar operationalisiert und zwar als intersubjektive Übereinstimmung im Urteil zwischen einer zu benennenden Gruppe von Richtern. Jedoch kann damit das inhaltliche Kriterium nicht ersetzt werden. Im übrigen ist ein solches Verfahren aber nicht praktikabel, denn es setzte tatsächlich vor jedem Strafzumessungsakt eine umfassende empirische Untersuchung voraus. Geht man von einer Vermutung aus (daß nämlich die in Erwägung gezogenen Unter- und Obergrenzen dem überwiegenden oder allgemeinen Urteil entsprechen), dann bliebe dies bloßer Verdacht, der natürlich nie widerlegt werden könnte 100 und schon von daher als Grundlage für die Rechtsfolgenentscheidung ausscheiden müßte. Allerdings wird offensichtlich der theoretische Anspruch, der mit dem Spielraumbegriff aufgebaut wird, nicht so ernst genommen, daß eine Umsetzung in praktische Handlungen verlangt würde. Denn eine Aussage über die untere und obere Grenze des Schuldrahmens wird explizit nicht gefordert 101. Überhaupt läßt 99 Ein Verfahren, das gerade in der kriminologischen Forschung bei vergleichbaren Fragestellungen, nämlich der Schwereeinschätzung von Delikten, durchaus erfolgreich eingesetzt worden ist, vgl. hierzu Villmow, B.: Die Schwereeinschätzung von Delikten. Berlin 1976; Wolfgang, M. E., u. a.: The National Survey on Crime Severity. Washington 1985. 100 So spricht Frisch, W.: Gegenwärtiger Stand und Perspektiven der Strafzumessungsdogmatik. ZStW 99 (1987), S. 349-388, S.372 auch insoweit folgerichtig von der "Bandbreite jener Strafgrößen ... , die man wohl als Antwort auf die Frage nach der für einen bestimmten Fall schuldangemessenen Strafe erhält (bzw. vermuten darf)". 101 Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, daß die untere und die obere Grenze des Schuldrahmens nicht benannt werden müssen, zusammenfassend Mösl, A.: Tendenzen der Strafzumessung in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. DRiZ 57 (1979), S. 165-169. Damit ist natürlich eine gewichtige Einschränkung der Revisibilität verbunden. Vgl. auch Zipf, H.: Strafmaßrevision. München 1969, S. 214, der denselben Standpunkt einnimmt, freilich hierin keine besonderen Nachteile sieht.

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sich in der Erörterung des Spielraums beobachten, daß selten über die konkrete Größe eines solchen Spielraums gesprochen wird 102. Einigkeit besteht wohl nur in der eher trivialen Aussage, daß nämlich der Schuldrahmen enger sei als der Strafrahmen. Vielmehr scheint es sich bei dessen Bestimmung eher um eine grundsätzlich retrospektiv ausgerichtete Angemessenheitsprüfung zu handeln, der, als ein Akt betrachtet, die Festlegung einer Strafe vorausgeht. Es geht also nicht um eine prospektive Vorgehensweise. Gerade deshalb fehlt ein unverzichtbares Element, das den Theoriebegriff rechtfertigen könnte. Im Kern handelt es sich damit nämlich nicht um eine Strafzumessungstheorie, sondern um eine Theorie zu den Grenzen der Überprüfung von Strafzumessungsentscheidungen, die aber gleichermaßen die Schwächen einer als Strafzumessungstheorie verstandenen Spielraumtheorie teilt. Denn auch so verstanden werden die Grenzen der Revisibilität eben dezisionistisch gesetzt und nicht theoretisch abgeleitet.

2.5.2 Punktstrafentheorie und die Theorie des sozialen Gestaltungsakts Aus der Vereinigungstheorie der Strafe werden für die Ausrichtung der Strafzumessung auch spielraumausschließende Konsequenzen gezogen. Die Theorie der Punktstrafe lehnt den Begriff des Spielraums ab und geht davon aus, daß nur eine einzige richtige (weil schuldangemessene oder gerechte) Strafe in Betracht kommen könne 103. Dies ist logisch zwingend, dann nämlich, wenn Richtigkeit wie Wahrheit verstanden wird. Insoweit ist unstreitig, daß eine Aussage nur wahr oder falsch sein kann. Ebenso unstreitig ist, daß von zwei unterschiedlichen Aussagen, die sich auf denselben Gegenstand beziehen, nur eine wahr sein kann. Ferner kann der im Strafrahmen begründete Konkretisierungsauftrag an den Richter nur als Aufforderung interpretiert werden, eine einzige Strafe zu bilden, nicht aber zwischen mehreren Strafgrößen zu wählen 104. Im Fortgang der Aussa102 Vgl. beispw. Zipf, H.: Strafmaßrevision. München 1969, S. 74 ff., der sich zwar grundlegend mit den Schuldrahmenüberlegungen auseinandersetzt, jedoch lediglich zum Ausdruck bringt, daß die Spannweite des Schuldrahmens von der Weite oder Enge des gesetzlichen Strafrahmens abhänge. Natürlich ist damit eine für den Gesamtbereich der Strafzumessungstheorie geltende Beobachtung angesprochen, die einen weitgehenden Verzicht auf die Einbeziehung empirischer Sachverhalte zur Überprüfung von theoretischen und dogmatischen Aussagen erkennen läßt. Anders dagegen die theoretische Erörterung und Systematisierung der sonstigen Strafbarkeitsvoraussetzungen, die regelmäßig direkt auf empirische Sachverhalte bezogen werden und deren Brauchbarkeit immer anhand konkreter Fälle entwickelt wird. Damit kann sich das kritische Potential wissenschaftlichen Denkens entfalten, insoweit nämlich, als die theoretischen Konklusionen widerlegungsfähig ausgestaltet werden. 103 Bruns, H. J.: Zum ..Toleranzbereich" bei der revisionsgerichtlichen Kontrolle des Strafmaßes. In: Roxin, c., Bruns, H. J., Jäger, H. (Hrsg.): Grundfragen der Gesamten Strafrechtswissenschaft. Festschrift für Heinrich Henkel zum 70. Geburtstag. Berlin, New York 1974, S. 287 -300, S. 292, S. 294; Wolff, E. A.: a. a. O. 1985, S. 830. 104 Frisch, W.: a. a. O. 1971, S. 135 ff.

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gen erfolgt aber wiederum eine Annäherung an die Ergebnisse der Spielraumtheorie durch zwei Formen der Einschränkung. Zwar scheide eine objektive Wahlmöglichkeit aus, die rechtlich gebundene Konkretisierung der Strafe reiche eben bis zum finalen Strafmaß. Doch gelte dieser Satz lediglich als theoretische Maßgabe. Denn es gebe wohl keine objektiv richtige Strafe, so heißt es, sondern lediglich eine, aus dem Urteil des Richters begründete, richtige Strafe. Richterliche und menschliche Erkenntnisfähigkeit allgemein sei beschränkt und könne nur zu annähernd richtigen Ergebnissen führen 105. Das so entstandene Strafmaß könne ferner durch die Berücksichtigung präventiver Strafzwecke modifiziert werden, wobei aber vom Ausgangspunkt nur soweit abgewichen werden dürfe, wie die (letztlich zu verhängende) Strafe einen vor der Rechtsgemeinschaft vertretbaren inneren Zusammenhang mit ihrer (schuldbezogenen) Grundlage bewahre 106. Somit sind nach Festlegung der Schuldstrafe ,,richtige" Strafen sowohl unterhalb als auch oberhalb der Schuldstrafe denkbar. Wird in der Spielraumtheorie die Grenze durch die noch schuldangemessene und die schon schuldangemessene Strafe festgesetzt, handelt es sich bei der Theorie der Punktstrafe in der Fassung lesehecks um eine Vertretbarkeitsprüfung, die zwei Aspekte aufzugreifen hat: zum einen soll ein innerer Zusammenhang mit der eigentlichen Grundlage der Strafe noch gegeben sein. Zum anderen muß dieser innere Zusammenhang vor einem externen Gremium, nämlich der Rechtsgemeinschaft, Bestand haben 107. Schließlich geht dieser Ansatz von einem Verständnis von Strafzumessung als reiner Rechtsanwendung ab. Denn die Entscheidung selbst wird als "sozialer Gestaltungsakt" begriffen 108, der sich wohl unterscheidet von dem, was einerseits als Ermessensausübung und andererseits als Irrationalität, subjektives Moment oder "Persönlichkeitsabdruck der Urheber" 109 in Strafzumessungsentscheidungen beschrieben wird. Soziale Gestaltung kann wohl nur so verstanden werden, daß der Richter über die Anwendung von Rechtsnormen und die Implementation von Wissen über Wirkungen von Normen und Sanktionen hinaus eine Eigenleistung erbringt im Sinne einer angestrebten Veränderung der Wirklichkeit.

105 Kaufmann, A.: Das Schuldprinzip. Eine strafrechtlich-rechtsphilosophische Untersuchung. Heidelberg 1961, S. 261. 106 Jescheck, H.-H.: Lehrbuch des Strafrechts. Allgemeiner Teil. 4. Auflage Berlin 1988, S. 786. 107 Jescheck, H.-H.: Lehrbuch des Strafrechts. Allgemeiner Teil. 4. Auflage, Berlin 1988, S. 786. 108 Ähnlich Bruns, HA.: Neues Strafzumessungsrecht? Köln u. a. 1988, S.66, der die Festsetzung der ,,richtigen" Endstrafe als sozialethischen Gestaltungsakt bezeichnet, der etwas Neues hervorbringe, im übrigen auch durch eine individuelle Komponente des Richters beeinflußt werde. 109 So die Bezeichung von v. Santen, J. J. eh.: Versuch die Größe der Gesetzwidrigkeiten gegen die Person und das Eigenthum, und das Strafmaaß nach sichern Verhältnissen zu bestimmen. Rostock 1826, S. 1.

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Gleichwohl bleibt der Kern der Aussage der Punktstrafentheorie ebenso unverbindlich wie derjenige der Spielraumtheorie. Denn von der Punktstrafentheorie wird zwar behauptet, daß aus ihren Voraussetzungen ein konkretes Strafmaß abgeleitet werden kann. Doch mündet diese Aussage letztlich in eine Ermessensentscheidung, die keinesfalls als Konkurrenz zu spielraumtheoretischen Überlegungen verstanden werden kann. Eine wesentliche Anforderung an eine Theorie, nämlich, daß die aus ihr abgeleiteten Aussagen nachprüfbar sein müssen, ist also nicht erfüllt.

2.5.3 Stufentheorie der Strafzumessung Die Stufentheorie (oder Stellenwerttheorie), wie sie insbesondere von Horn 110 und Schöch 111 im Anschluß an die Arbeiten von Henkel 112 entwickelt worden ist, verlangt dagegen eine strenge Trennung in eine rein schuldbegründete Strafhöhenbemessung und in Strafzumessungsschritte im weiteren Sinn, die in Form der Wahl der Strafart, der Strafaussetzung zur Bewährung oder der Verwarnung mit Strafvorbehalt allein unter präventiven Gesichtspunkten vorgenommen werden sollen 113. Sie deckt sich teilweise mit der Punktstrafentheorie, soweit Schuldgesichtspunkte im wesentlichen vollständig zur Konkretisierung der Höhe der Strafe führen sollen. Während der Vorteil eines solchen theoretischen Konzepts eindeutig in der Vereinfachung (auch der Kontrolle in rechtlicher und empirischer Hinsicht) 114 besteht, insofern nämlich, als die Vermischung von spezial-, generalpräventiven und Schuldgesichtspunkten aufgegeben ist und eine antinorne Konstellation von Strafzwecken jedenfalls theoretisch ausgeschlossen wird, geht die Kritik über die regelmäßig herangezogene Unvereinbarkeit 115 mit der in § 46 110 Horn, E.: Wider die "doppelspurige" Strafhöhenzumessung. In: Grünwald, G. u. a. (Hrsg.): Festschrift für Friedrich Schaffstein zum 70. Geburtstag. Göttingen 1975, S. 241254. 111 Schöch, H.: Grundlage und Wirkungen der Strafe. Zum Realitätsgehalt des § 46 Abs. 1 StGB. In: Grünwald, G. u. a. (Hrsg.): Festschrift für Friedrich Schaffstein zum 70. Geburtstag. Göttingen 1975, S. 255-273. 112 Henkel, H.: Die ,,richtige" Strafe. Gedanken zur richterlichen Strafzumessung. Tübingen 1969. 113 Einschränkend Schöch, H.: Kriminologie und Strafgesetzgebung. ZStW 1980, S. 143-184, S. 182 f., mit dem Hinweis, daß trotz spärlicher kriminologischer Erfahrungen zur zweckmäßigen Strafdauer in besonderen Fällen spezialpräventive Überlegungen zur Konkretisierung des Strafmaßes eingesetzt werden könnten. 114 Stratenwerth, G.: Tatschuld und Strafzumessung. Tübingen 1972, S. 15 bezeichnet dies als eine Mindestanforderung an rationale Kontrolle; vgl. auch Schöch, H.: Grundlage und Wirkungen der Strafe. Zum Realitätsgehalt des § 46 Abs. 1 StGB. In: Grünwald, G. u. a. (Hrsg.): Festschrift für Friedrich Schaffstein zum 70. Geburtstag. Göttingen 1975, S. 255-273, S. 257; Schöch begründet die Trennung einmal durch das Erfordernis, überhaupt kriminologische Erfahrung kontrolliert verwerten zu können und andererseits auch gezielte und sinnvolle kriminologische Forschung zu ermöglichen. 115 Diesem Einwand versucht Horn, E.: Zum Stellenwert der Stellenwerttheorie. In: Frisch, W., Schmid, W. (Hrsg.): Festschrift für Hans-Jürgen Bruns zum 70. Geburtstag. Köln u. a. 1978, S. 165 -181, S. 166 ff., dadurch zu begegnen, indem er die Notwendigkeit

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Abs. 1 geforderten Berücksichtigung der von der Strafe auf das zukünftige Leben des Straftäters ausgehenden Wirkungen hinaus. So wäre zunächst zu fragen, inwieweit dadurch nicht eine Zweistufigkeit insoweit gesetzt wird, als mit der Allokation der Berücksichtigungsfähigkeit der präventiven Zwecke bei Entscheidungen nach §§ 47, 56, 59 StGB ein ausschließlich tatschuldvergeltendes Strafrecht für den Bereich der schweren Kriminalität begründet wäre. Dagegen könnten präventive Erwägungen nur im Bereich schuldangemessener Strafe bis zu zwei Jahren (auch hier allerdings in der Berücksichtigungsintensität abgestuft wegen der unterschiedlichen Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 und Abs.2) Eingang finden. Dem Einwand kann nicht durch einen Hinweis auf die durch § 57 StGB gesetzte Möglichkeit begegnet werden 116, eine aus dem Wirkungskreis des § 56 StGB herausfallende Strafe könne (unter präventiven Gesichtspunkten) nach der Hälfte bzw. nach zwei Dritteln der verbüßten Strafzeit zur Bewährung ausgesetzt werden. Denn auch unter diesem Gesichtspunkt wäre der Stellenwerttheorie eine Abstufung der Berücksichtigung der Prävention nach der grundsätzlichen Einstufung des Delikts unweigerlich verbunden. Immerhin müßte zumindest die Hälfte der über zwei Jahre liegenden Freiheitsstrafe als allein nach Tatschuldgesichtspunkten bemessen betrachtet werden, während lediglich die Hälfte bzw. das letzte Drittel zur präventiv begründeten Disposition stünde.

2.5.4 Die Theorie der Tatschuldvergeltung Die Theorie der Tatschuldvergeltungsstrafe, wie sie vor allem in neuerer Zeit von Köhler und Wolff expliziert wurde 117, entfaltet zunächst kritisches Potential, das sich zuallererst im Ausschluß instrumentellen Strafrechtszwangs äußert, also generalpräventive oder spezialpräventive, eigenständige Zwecksetzung als illegitim kennzeichnet. Zu fragen ist allerdings, ob der Anspruch, nämlich den konkreten Akt der Strafzumessung bzw. die Strafrechtsfolge im Einzelfall aus der Straftheorie selbst unmittelbar abzuleiten, eingelöst wird. Zunächst soll sich aus der SubjektsteIlung des Straftäters auch im Bestrafungsprozeß und dessen Ziel, einer Interpretation des § 46 Abs. 1 aus seinen Gegenwartsaufgaben heraus betont und dessen Funktion als eines, wenn auch substantiierten, Programmsatzes bestimmt; ähnlich schon Horn, E.: Wider die "doppelspurige" Strathöhenzumessung. In: Grünwald, G. u. a. (Hrsg.): Festschrift für Friedrich Schaffstein zum 70. Geburtstag. Göttingen 1975, S. 241-254, S. 252. 116 So Schöch, H.: Grundlage und Wirkungen der Strafe. Zum Realitätsgehalt des § 46 Abs. 1 StGB. In: Grünwald, G. u. a. (Hrsg.): Festschrift für Friedrich Schaffstein zum 70. Geburtstag. Göttingen 1975, S. 255-272, S. 265. 117 Vgl. Köhler, M.: Über den Zusammenhang von Strafrechtsbegründung und Strafzumessung, dargestellt am Problem der Generalprävention. Heidelberg 1983; Köhler, M.: Der Begriff der Strafe. Heidelberg 1986; Köhler, M.: Zur Kritik an der Zwangsarbeitstrafe. GA 1987, S. 145-161; Wolff, E. A.: Das neuere Verständnis von Generalprävention und seine Tauglichkeit für eine Antwort auf Kriminalität. ZStW 97 (1985), S. 786- 830.

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nämlich mit der Strafe das durch die Straftat ge- oder gar zerstörte Rechtsverhältnis wiederherzustellen, ergeben, daß Strafen, die eben die Möglichkeit eines Fortbestehens dieses Rechtsverhältnisses auch in der Sanktion, bzw. nach ihrem Vollzug ausschließen würden, keine rechtmäßigen, d. h. straftheoretisch gesicherten Sanktionen seien. Unter diesen Ausschluß fielen beispw. die Todesstrafe und wohl auch die Vermögenskonfiskation. Sodann sollen Verbrechen und Strafe wertgleich sein. Das Postulat der Wertgleichheit führt hier aber nicht mehr zum Kantschen Talionsprinzip, endet freilich in der abstrakten Forderung, daß Strafe Freiheitsstatusminderung sein müsse. Als abstraktes Prinzip ruft diese Form der Entsprechung von Verbrechen und Strafe nicht sofort nach ganz bestimmten empirischen Inhalten der Strafe, obschon die Freiheitstrafe sich wohl ganz besonders anbietet, da sie sofort und unmittelbar sinnlich erfahrbar Freiheit begrenzt. Vielmehr sollen der Begriff der Strafe und die hieraus sich ergebenden Folgerungen für die Strafzumessung in allen ihren Bestandteilen kritische Funktionen einerseits gegenüber dem positiven Recht, dessen Auslegung, wie für die Praxis nach sich ziehen. Jedoch spielen für die Bestimmung der Strafe, eben um die erwähnte Wertgleichheit zu erzielen, offensichtlich neben der Betroffenheit des Verletzten oder des Opfers einerseits, die Schuld des Täters (im Sinne des Vemunftwiderspruchs, denn der Täter will ja offensichtlich das, was er mit seiner Tat für andere gelten lassen will, für sich selbst nicht gelten lassen) und die Allgemeinbedeutung des Verbrechens für die Gesamtheit eine ausschlaggebende Rolle. Verfolgt man die Rekonstruktion des positiven Rechts der Strafzumessung unter derart freiheitsrechtlich begründeter Straftheorie, so lösen sich allerdings die postulierten Unterschiede zur Vereinigungstheorie auf. Nicht nur, daß offensichtlich im Verlauf immer konkreter werdender Strafbestimmung die Beurteilung wechselnder äußerer Verhältnisse zunehmendes Gewicht bekommt; die Rekonstruktion dessen, was als positivrechtlich spezialpräventiv oder generalpräventiv selbständig gedeutet kritisiert wird, zeigt allemal, daß teilweise bloß die Begründung ausgetauscht wird und Probleme anderer Art eingetauscht werden. Deutlich wird dies aus dem Gang des Ausschlusses von Generalprävention als selbständigem Strafzweck und ihrer Wiedereinführung über eine Unrechtsdifferenzierung. Denn das Begehen einer Straftat unter der Voraussetzung einer durch Straftaten derselben Art bereits aufgestörten oder verstörten Öffentlichkeit soll eine Unrechtssteigerung mit sich bringen, die erklärt wird mit einer erhöhten Allgemeinbedeutung der Straftat. Dies läßt sowohl eine Berücksichtigung der Momente zu, die in der negativen Generalprävention vorausgesetzt werden, wie auch derjenigen, auf die sich positive Generalprävention bezieht. Freilich fehlt dann eine, wenn auch wie in der Spielraumtheorie theoretische Begrenzung der Steigerung, verstanden als Reaktion auf den Gesamtkontext der Straftat. Sieht man einmal ab von den Problemen, die die Feststellung regionaler oder überregionaler Häufung von Delikten mit sich bringt 118, zum anderen mit der

118 Zunächst könnte im wesentlichen nur auf die Polizeiliche Kriminalstatistik, sodann auf die Strafverfolgungsstatistik zurückgegriffen werden. Dabei ist die Polizeiliche Kriminalstatistik natürlich nicht nur bedingt durch die Anzeigeneigung von Tatopfem, sie spiegelt auch spezifische polizeiliche Definitionsleistungen wider, die wiederum abhän-

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2. Die nonnativen Grundlagen der Strafzumessung

Feststellung von kollektiv-psychologischen Vorgängen (Aufstörung des Rechtsfriedens ) 119 verbunden sind, gar bei der Annahme eines kausalen Zusammenhangs zwischen beidem 120 aufscheinen, so stellt sich als Problem ersten Ranges die Begrenzbarkeit so begründeter Unrechtssteigerung bzw. Unrechtsdifferenzierung, sodann das Problem der Gleichmäßigkeit der Handhabung. Die Zurechnung des Unrechts über Vorsatzregeln bedeutet zwar eine Sperre insgesamt, nicht begründet sie aber eine Abstufungsmöglichkeit im Grad der Steigerung. Was, so ist deshalb zu fragen, soll dann hindern, den 10. Fall des Raubs oder der Vergewaltigung innerhalb weniger Wochen mit der Höchststrafe von 15 Jahren zu belegen? Die Tatschuld sicher nicht, denn diese ist ja direkt abhängig von der erhöhten Allgemeinbedeutung der Straftat, kann sich selbst also nicht begrenzen. Schließlich wäre mit einer solchen Interpretation einerseits der positivrechtlichen Regeln, die Verteidigung der Rechtsordnung verlangen, andererseits der Sachverhalte, die gemeinhin mit generalpräventiven Bedürfnissen assoziiert werden, eine Taxonomie von Delikten verbunden, die nach der Rechtsfriedensstörungseignung, über die bereits mit der Einstufung als kriminelles Unrecht verbundene allgemeine und gleiche Zuordnung hinaus, differenziert. Außerhalb so begründeter Strafzumessung lägen dann sicher die gig sind vom Kontext polizeilicher Anzeigeaufnahme, insbesondere auch der Belastung, polizeilicher Schwerpunktbildung, Ressourcenverteilung, Interessen etc. Das eigentliche Problem, gerade im besonders anfälligen Bereich schwerer Delikte, besteht aber in ihrer Seltenheit, die sowohl Veränderungen in Polizei- als auch in Verurteiltenstatistiken wie in Stichprobendaten zur Viktimisierung unter Interpretationsgesichtspunkten zu einem unkalkulierbaren Wagnis werden lassen. Insgesamt dürften Veränderungen oder Bewegungen regelmäßig als "weißes Rauschen" zu interpretieren sein. 119 Die Frage der Operationalisierung stellt sich natürlich sofort. Jedoch dürften Sachverhalte wie Verbrechensfurcht oder Kriminalitätsangst, Bedrohtheitsgefühl und anderes, wie in neuerer Zeit intensiv in der Viktimisierungsforschung thematisiert, vgl. hierzu insbesondere Arnold, H.: Kriminelle Viktimisierung und ihre Korrelate. ZStW 98 (1986), S. 1014-1058, mit dem theoretischen Begriff des Rechtsfriedens nicht koinzidieren, hierzu Albrecht, H.-I.: Kriminologische Perspektiven der Wiedergutmachung - Theoretische Grundlagen und empirische Befunde. In: Eser, A, Kaiser, G., Madlener, K. (Hrsg.): Neue Wege der Wiedergutmachung im Strafrecht. Freiburg 1990, S. 43 -72. Störungen des Rechtsfriedens dürften unter den heutigen gesellschaftlichen Bedingungen und modernen Vergesellschaftungsbedingungen empirisch kaum erfaßbar sein. Natürlich gibt es Deliktsfonnen, die offensichtlich stärker beachtet werden, sensitiver sind und hinsichtlich derer der Ruf nach schärferer Reaktion schneller ertönt, hierzu Albrecht, H.-J.: Particular DifficuIties in Enforcing the Law Arising out of Basic Difficulties With Regard to Highly Sensitive Kinds of Crime. In: Council of Europe (Hrsg.): Interactions within the Criminal Iustice System. Straßburg 1987, S. 43-81, doch dürfte dies nicht mit der Häufigkeit ihres Auftretens zu tun haben, vielmehr damit erklärbar sein, daß derartige sensible Delikte auf ein ggfs. latentes Reservoir an Zustimmung verweisen oder organisierte Interessen berühren. 120 Vennittelt ist ein hypothetischer Zusarnrnenhang zwischen Rechtsfriedensstörung (wenn sie als Äußerung bzw Reaktion der Öffentlichkeit operationalisiert wird) jedenfalls durch die Massenmedien. Dies ergibt sich nicht zuletzt aus der Opferforschung, nach deren Befunden kognitive und emotionale Dimensionen der Attitüden gegenüber Kriminalität wenig durch direkte Erfahrungen bedingt sind, sondern weitgehend über andere Quellen erklärt werden müssen, vgl. hierzu schon Stephan, E.: Die Stuttgarter Opferbefragung. Wiesbaden 1976. Damit wäre aber strafrechtliches Unrecht nicht unwesentlich bedingt durch außerhalb der Kompetenz des Straftäters wie der Öffentlichkeit selbst liegende Prozesse. Denn die Steigerung des Unrechts wäre maßgeblich abhängig von den anderen Gesetzmäßigkeiten gehorchenden Interessen der Massenmedien an Kriminalberichterstattung.

2.5 Strafzumessungstheorien

47

Massendelikte der kleinen Eigentums- und Vermögenskriminalität, wenn auch die ebenso massenweise auftretenden Delikte der Verkehrskriminalität andererseits sich schon immer als anfällig für eine derartige Argumentation gezeigt haben 121. Innerhalb der durch solche Argumentation gesetzten Grenzen befänden sich gewisse Gewaltdelikte, ganz sicher terroristische Gewalt, Betäubungsmitteldelikte und organisierte Kriminalität. Grundsätzlich wäre damit eine Konkretisierung der Strafe gefordert, die in ganz erheblichem Umfang von der schnell sich wandelnden Rechtsfriedensstörungseignung abhängig wäre. Weniger deutlich sind hingegen die Äußerungen zur Spezialprävention und die Explikation der Äußerung des positiven Rechts in § 46 Abs. 1 S. 2 StGB, nach der auch die Folgen der Strafe für den Verurteilten in der Strafzumessung Berücksichtigung finden sollen. Hier gelte es, so heißt es, ebenfalls eine Interpretation zu finden, die mit dem Obersatz des Tatschuldvergeltungsstrafrechts einerseits und dem Gesetzeswortlaut in Einklang gebracht werden könne. Die in Erwägung gezogene Ableitung bzw. Interpretation geht aber an dem substantiellen Gehalt des in § 46 Abs. 1 S. 2 StGB enthaltenen Spezialpräventionsmoments vorbei. Unter Tatschuldaspekten nämlich sei eine Auslegung erforderlich, die eine Konkretisierung der Schuldstrafe im Hinblick auf die je individuelle Auswirkung einer Freiheitsstatusminderung entlang der unterschiedlichen Freiheitsrealisationsmöglichkeiten nicht nur zulasse, sondern gar fordere. Unabhängig davon, ob die negative oder die positive Seite der in diesem Ansatz enthaltenen Freiheit (als freiheitsstatusmindernde Einbuße oder als freiheitsfördernde Chance der Wiederherstellung einer gleichen rechtlichen Beziehung zwischen Straftäter und Rechtsgemeinschaft) davon erfaßt wird, kann solche Konkretisierung nur Unbestimmtheit des Rechtsfolgenbestimmungsvorgangs nach sich ziehen. Denn warum Unterschiede in den Freiheitsrealisierungsmöglichkeiten einfach bestimmbar sein sollen, bleibt unklar. Ganz im Gegenteil: eine Individualisierung der Freiheitsrealisierungsmöglichkeit würde geradewegs auf den Pfad einer (empirischen) Differenzierung des Strafübels je nach Strafempfänglichkeit etc. führen.

2.5.5 Die Theorie positiver Generalprävention Die Erklärung der Strafe aus positiver Genera/prävention, wie sie von Jakobs vollzogen wird, hat für die Strafzumessung wie für die Strafvollstreckung offensichtlich keine ausschlaggebende, das heißt richtungs weisende Bedeutung. Dies wird vom Ansatz her auf der Oberfläche verständlich. Denn, wie bereits weiter oben vorgestellt, heißt es ja, daß der Zweck der Strafe, nämlich Norrngeltung auf Kosten des Straftäters zu demonstrieren, zur präzisen Ableitung der Strafe ungeeignet sei. Vielmehr wird, der Spielraumtheorie vergleichbar, darauf verwiesen, daß diese Demonstration der Norrngeltung sowohl von der schon ernstzunehmenden als auch von der noch nicht übertrieben scharfen Strafe geleistet werden 121

Kaiser, G.: Generalprävention und Straßenverkehrskriminalität. Tübingen 1970.

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2. Die nonnativen Grundlagen der Strafzumessung

könne. Die Bestimmung der Rechtsfolge der Straftat wird deshalb weitgehend aus der Straftheorie ausgegliedert und anderen Theorien überlassen. Die Behauptung, die Theorie positiver Generalprävention hinterlasse im Prozeß des Bestrafungsvorgangs Nischen, die nachrangig von anderen Theorien ausgefüllt werden könnten, mag aber durchaus als Untertreibung bezeichnet werden. Immerhin ist nur eine einzige Nische, nämlich die zwischen der schon ernstzunehmenden und der übertrieben scharfen Reaktion, identifiziert worden 122. Diese Nische soll allein durch die spezialpräventive Theorie ausgestaltet werden. Ferner soll der gesamte Bereich der Vollstreckung der Freiheitsstrafe spezialpräventiv geformt werden. Naheliegend ist damit natürlich die Kritik, warum die Theorie der Strafe derart wirkungslos für die Bestimmung der Strafe selbst sein soll. Wenn Strafe insgesamt durch den Bedarf an Demonstration der Normgeltung erklärt wird, warum soll die Einzelstrafe dann unvermittelt durch Spezialprävention erklärt werden? Immerhin ergäbe es auch Sinn, den ermittelten Spielraum aus der Sicht positiver Generalprävention zu schließen und in der Konkretisierung der Strafe zu fragen, welches Maß an Demonstration verlangt ist, wenn davon ausgegangen wird, daß Demonstration überhaupt erforderlich ist. Dasselbe könnte ebenfalls für den Bereich des Strafvollzugs gelten, wo unterschiedliche Freiheitsgrade im Sinne von Unterschieden in Vollzugs art und Vollzugslockerung zur Differenzierung der Bedeutung der Demonstration durchaus eingesetzt werden könnten. Natürlich steht dem zunächst der ganz eindeutige Wortlaut des Gesetzes (§ 2 StVollzG) entgegen. Wer Schuld und positive Generalprävention als zusammenhängend, gleichwohl jeweils als mit eigenständiger Bedeutung behaftet ansieht, steht zunächst vor ähnlichen Problemen wie die durch die Spielraumtheorie bezeichnete Position. Zwar wird die strikte Anbindung an einen durch das Maß der Schuld bestimmten Rahmen aufgebrochen, doch bleibt dann für die Konkretisierung der Strafe allein die positive Generalprävention selbst oder die spezialpräventive Theorie 123. Der Rahmen ist also nach unten offen, die Strafe kann und soll hinter dem Maß an Schuld zurückbleiben, sofern dies aus präventiven Gründen angebracht ist 124. Ausgangspunkt ist somit eine durch das Schuldmaß festgelegte Obergrenze, vor deren Hintergrund eine Bestimmung des konkreten Strafmaßes durch Präventionsbedürfnisse erfolgen soll. Damit bleibt aber im wesentlichen die Konkretisierung folgenorientiert. Das für die Spielraumtheorie geltende Problem der Fixierung bzw. Fixierbarkeit des oberen Randes tritt auch hier dazu.

122 Jakobs, G.: Strafrecht. Allgemeiner Teil. Die Grundlagen und die Zurechnung slehre. Berlin, New York 1983, S. 21 ff. 123 Für die Verwendung von Spezialprävention zur weiteren Konkretisierung der Strafe auch Frisch, W.: a. a. O. 1987, S. 370, mit der einschränkenden Warnung freilich verbunden, die so zu erreichende Präzisierung nicht zu überschätzen. 124 Roxin, C.: Die Problematik des Schuldstrafrechts. ZStW 86 (1984), S. 641-660,

S.657.

2.5 Strafzumessungstheorien

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Eine weitergehende Lösung verspricht ein Ansatz, der zwar grundsätzlich von einer durch Prävention und Schuld getragenen Strafe ausgeht, beides jedoch schon konzeptionell nicht scharf trennen will. Der Begriff der Prävention einerseits soll ein zweckbegrenzendes Element, nämlich das Gerechtigkeitsprinzip, der Begriff der Schuld andererseits soll ein zweckbezogenes Element, nämlich die Beförderung einer als werthaft anerkannten Sozialordnung, aufnelunen 125. Somit sind in beiden Begriffen Bezüge zur Gerechtigkeit hergestellt, in beiden ist Zweckhaftigkeit enthalten. Es versteht sich fast von selbst, daß dem Schuldbegriff in einem solchen Konzept keine Relevanz mehr zukommt. Denn es reicht ja die immanent begrenzte positive Generalprävention aus (wie andererseits auch eine zweckhaft gedeutete Schuld ausreichen müßte). Allein die Vorstellung von gerechter Strafe hilft natürlich nicht weiter. Ebenso gut könnte man von schuldangemessener Strafe sprechen und Schuldangemessenheit und Gerechtigkeit als Synonyme einführen. Im wesentlichen geht es aber um die durch Gerechtigkeitserwägungen gebremste sozial nützliche Strafe. Hier stellt sich natürlich die entsprechende Frage nach dem Inhalt von Gerechtigkeit bzw. nach den Kriterien, die, wenn auch immanent, präventive Bedürfnisse einerseits begrenzen und andererseits konkretisieren. Angeboten wird jedoch keine inhaltliche Bestimmung, vielmehr ein Verfahren, aus dem sich das Maß einerseits gerechter und andererseits sozial nützlicher Strafe ergebe. Ein Schuld- und Verantwortungsdialog soll die Herstellung der gerechten Strafe sichern, wobei einer "fairen", die Gleichwertigkeit des Straftäters respektierenden Verfahrensgestaltung ausschlaggebende Bedeutung zukommt l26 • Dem entspricht der Vorschlag des Alternativ-Entwurfs 125 Kunz, K.-L.: Prävention und gerechte Zurechnung. Überlegungen zur normativen Kontrolle utilitaristischer Strafbegrundung. ZStW 98 (1986), S. 823 - 838, S. 831. 126 Ähnlich Streng, F.: Strafzumessung und relative Gerechtigkeit. Heidelberg 1984, S. 301 f., der auf einen "subjektiven Wertungskompromiß" abstellt, der sich in den üblichen richterlichen Strafmaßen spiegle und der die gerechte Strafe verbürge (weil nämlich im Üblichen die gesellschaftlich getragene Wertordnung zum Ausdruck komme). Damit wird jedoch dreierlei unterstellt. Einmal handelt es sich um die Unterstellung, das übliche Strafmaß (das heißt, das empirisch beobachtete Strafhandeln) beruhe auf einem Komprorniß, der jedenfalls eine argumentative Auseinandersetzung enthalten müßte. Dies ist weder belegt, noch theoretisch plausibel. Es sei denn, man wollte auf eine gegebenenfalls partikular, d. h. auf Gerichtsbezirksebene beobachtbare Kommunikation über Strafe ausweichen und damit freilich auch eine partikular erklärte Gerechtigkeit in Kauf nehmen. Ferner wird unterstellt, im üblichen Strafmaß äußere sich quasi die Wertordnung der Gesamtgesellschaft, eine kühne Annahme, die freilich dadurch entschärft wird, daß der Gesamtgesellschaft die Kompetenz abgesprochen wird, sich verbindlich zum Strafmaß zu äußern, mit der dem Gesamtkonzept im übrigen widersprechenden Begründung, damit würden diejenigen entscheiden, die weder Erfahrung besäßen noch Verantwortung trügen. Insoweit kann hieraus nur folgen, daß die theoretisch bedeutsame Prämisse im Lauf der Erklärung verändert wurde. Denn offensichtlich entscheiden dann Erfahrung einerseits, richterliche Verantwortung andererseits darüber, was gerechte Strafe ist, nicht aber ein die gesellschaftliche Wertordnung spiegelnder Komprorniß. Schließlich wird unterstellt, eine empirisch verstandene gesellschaftliche Wertordnung und (hieraus entstehende), ebenfalls empirische Üblichkeit der Strafe garantierten Gerechtigkeit.

4 Albrecht

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2. Die normativen Grundlagen der Strafzumessung

zur Reform der Hauptverhandlung, der ebenfalls auf die Herstellung von Konsens und allseitige Akzeptanz der Sanktion zielt 127. Eine solche Konzeption erinnert an die durchaus triftigen Überlegungen zur Herstellung wahrer Sätze im herrschaftsfreien Diskurs, wie sie in der Kritischen Theorie zum Ausdruck kommen 128. Freilich muß diese Form der Herstellung einer gerechten (und richtigen) Entscheidung, die ja durch den Verzicht auf inhaltliche Kennzeichen bestimmt ist, sofort wieder relativiert werden. Denn die spezifische Struktur des Diskurses, die eigentlich gefordert wäre, läßt sich natürlich dem Strafverfahren nicht entnehmen, zeichnet sich Strafrecht doch gerade durch Zwang und Herrschaft aus. Eine bloß durch Verfahren bestimmte Konkretisierung der Strafe bleibt deshalb ungenügend, jedenfalls solange, wie durch Herrschaft, Ungleichheit und Kompetenzunterschiede bedingte Verzerrungen des Diskurses oder Argumentaustauschs nicht ausgeschlossen werden können 129.

2.5.6 Tatproportionalitätstheorie der Strafzumessung Neuerdings wird von Schünemann für eine Tatproportionalitätstheorie der Strafe bzw. Strafzumessung J3O, auf die weiter oben bereits hingewiesen wurde, geworben. Danach ist als Ausgangspunkt eine präventive Erklärung von Strafe akzeptiert, die in der Folge aber für die Konkretisierung der Strafe weiter wirkt. Bestanden wird dabei auf Konsistenz in Erklärung von Strafe und Strafmaß sowie auf den Vollzug von Konsequenzen aus dem Wandel des Schuldvergeltungsstrafrechts zu einem präventiven und durch Rechtsgüterschutz legitimierten Strafrecht für eine Theorie der Strafzumessung. Die Bedeutung der Schuldkategorie ist reduziert auf eine strafbegrenzende Funktion. Dasselbe gilt für die Spezialprävention in Form der Besserung oder Resozialisierung. Notwendig ist Strafe also nur dann, wenn sie präventiv begründet werden kann, unter der Bedingung aber, daß sie durch Schuld getragen wird und entsozialisierende Folgen tunliehst abgemildert würden. Da allerdings zu Recht die Position eingenommen wird, aus einer umfassend generalpräventiv begründeten Erklärung von Strafe könne 127 Arbeitskreis deutscher und schweizerischer Strafrechtslehrer (Hrsg.): AltemativEntwurf / Novelle zur Strafprozeßordnung und Reform der Hauptverhandlung. Tübingen 1985; kritisch hierzu Albrecht, P.-A.: Prävention als problematische Zielbestimmung im Kriminaljustizsystem. KritV 1 (1986), S. 55 - 82. 128 Habermas, J.: Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus. Frankfurt 1973, S. 140 ff. 129 So auch Giehring, H.: Ungleichheiten in der Strafzumessungspraxis und die Strafzumessungslehre - Versuch einer Analyse aus der Sicht eines Strafrechtswissenschaftlers. In: Pfeiffer, Ch., Oswald, M. (Hrsg.): Strafzumessung. Empirische Forschung und Strafrechtsdogmatik im Dialog. Stuttgart 1989, S. 77 - 125, S. 94. 130 Schünemann, B.: Plädoyer für eine neue Theorie der Strafzumessung. In: Eser, A., Comils, K. (Hrsg.): Neuere Tendenzen der Kriminalpolitik. Freiburg 1987, S. 209238; vgl. auch von Hirsch, A., Jareborg, N.: Strafmaß und Strafgerechtigkeit. Die deutsche Strafzumessungslehre und das Prinzip der Tatproportionalität. Godesberg 1991.

2.5 Strafzumessungstheorien

51

das Ob und das Wie konkreter Einzelstrafe nicht in Fonn empirischer (in diesem Fall tatsächlich verifizierungsbedürftiger) Hypothesen abgeleitet werden, erfolgt eine nonnative Ergänzung in Fonn einer prinzipiellen Orientierung des Bestrafungsvorgangs an dem Gleichheits- und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Die Fortführung des Leitgedankens der Integrationsprävention, so wird argumentiert, münde nun zwangsläufig in eine Tatproportionalitätstheorie, deren zentrale Variable oder zentraler Maßstab die "quantifizierte Unwertigkeit der Tat" sei 131. Diese Unwertigkeit manifestiere sich in der durch Art, Ausmaß und Modalitäten der Tat bedingten Bedrohlichkeit 132. Insgesamt gesehen wird also die dem Täter zuzurechnende Straftat als Bezugspunkt für die Strafzumessung in den Vordergrund gerückt 133. Die im wesentlichen dem Resozialisierungsgedanken und der Strafzumessungsschuldidee verbundene Individualisierung der Strafe unter Zuhilfenahme von persönlichen und sozialen Merkmalen des Straftäters soll drastisch reduziert werden, was neben der grundsätzlichen Ausschaltung von insbesondere mit Persönlichkeitsbeurteilung zusammenhängenden Unwägbarkeiten zu verschiedenen Vorteilen führt 134. Zunächst wird die Strafzumessung entlastet von empirischen Problemen der Rehabilitation, die Schuld behält zwar bedeutsames Gewicht durch die Begrenzung der Zurechnung des Strafbaren, führt aber nicht mehr zu den grundsätzlich nicht lösbaren Äquivalenzproblemen schuldmaßentsprechender Strafe. Sodann erfolgt eine Einschränkung der überhaupt in die Entscheidung einzubeziehenden Strafzumessungstatsachen, was in der Folge natürlich auch eine bessere Nachvollziehbarkeit der Entscheidung und eine weitreichende revisionsrechtliche Kontrol131

Schünemann, B.: Plädoyer für eine neue Theorie der Strafzumessung. In: Eser,

A., Cornils, K. (Hrsg.): Neuere Tendenzen der Kriminalpolitik. Freiburg 1987, S. 209238, S. 225. 132 Ähnlich im Ergebnis Frisch, W.: a. a. O. 1987, S. 388, wenn davon gesprochen wird, Strafzumessungsschuld sei die der Tat entsprechende graduell steigerungsfähige Rechtsfriedensstörung, die dem Täter . . . angelastet werde; Strafzumessungsfaktoren seien dementsprechend alle diese Größe bestimmenden Merkmale. 133 Dies geschieht auch in dem Konzept, das von Hirsch, A., Jareborg, N.: a. a. O. 1991, vertreten, wobei dort freilich die Begründung der Tatproportionalität wohl aus der allgemeinen Überlegung erfolgt, Strafe bedeute immer ein Unwerturteil. Die auf unterschiedliche Straftaten erfolgenden Unwerturteile müßten aber aus Gründen einer allgemeinen Verteilungsgerechtigkeit proportional angelegt sein, wobei die gerechte Zuteilung nicht von Nützlichkeitserwägungen abhängig sei. Ähnlich die Argumentation bei Pothast, U.: Probleme bei der Rechtfertigung staatlicher Strafe. JA 1993, S. 104110, S. 105. 134 Vgl. hierzu aber schon Stratenwerth, G.: Tatschuld und Strafzumessung. Tübingen 1972, der von einer tatschuldorientierten Strafzumessung her ebenfalls eine Entlastung der Strafzumessung von Persönlichkeitsmomenten sucht, die Lösung des Problems aber in einer Reduzierung der Strafzumessungsschuld auf einen ,,harten" Kern des verschuldeten Tatunrechts fmdet; ähnlich auch die Argumentation bei Maurach, R., Gössel, K. H., Zipf, H.: Strafrecht. Allgemeiner Teil. 2. Teilband, 7. Auf!. Heidelberg 1989, S. 560: "bereinigter Tatschuldbegriff". Insoweit sieht Günther, H.-L.: Systematische Grundlagen der Strafzumessung - Eine Bestandsaufnahme. JZ 1989, S. 1025-1030, S. 1029 zu Recht eine Parallele.

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2. Die nonnativen Grundlagen der Strafzumessung

le verspricht. Das theoretisch begründete Merkmal der Bedrohlichkeit wird operationalisiert über das objektive Ausmaß der Rechtsgutsverletzung, die objektive und subjektive Angriffsintensität (dabei wird die subjektive Angriffsintensität ausdifferenziert in die Intensitätsformen des Vorsatzes und der Fahrlässigkeit bzw. in das volle und eingeschränkte Hemmungsvermögen), die Strafempfindlichkeit des Täters sowie das rechtsgutsbezogene Vor- und Nachtatverhalten. Immerhin wird deutlich, daß die Begrenzung auf die Tat selbst, die im Begriff der Tatproportionalität mitschwingt, nicht so weit geht, wie erwartet werden könnte und wünschenswert wäre. Denn wenn die Strafempfindlichkeit des Straftäters eine gewichtige Rolle spielen soll, dann resultieren hieraus Probleme, die die Ausgangspunkte und das Prinzip wiederum in Frage stellen. Mit der Einbeziehung der Strafempfindlichkeit wird nämlich das Unsicherheitspotential wiedereröffnet, das durch die Tatproportionalitätsüberlegung gerade verschlossen werden sollte. Denn fragt man danach, was wohl die Strafempfindlichkeit ausmacht, so wird man ohne weiteres auf das gesamte Inventar verwiesen, in das eine Person zergliedert werden kann. Dabei stehen natürlich von vornherein problematische Kriterien im Mittelpunkt 135.

2.6 Zusammenfassung Faßt man nun die theoretischen Erwägungen zur Erklärung von Strafe wie zur Konkretisierung der Einzelstrafe zusammen, dann weist allein eine Tatproportionalitätstheorie der Strafzumessung Eigenschaften auf, die dem Gesichtspunkt der Herstellung einer vorhersehbaren und nachvollziehbaren Strafe und hierin liegender begründeter und begründbarer Unterschiede in den Strafmaßen Geltung verschaffen. Die Spielraumtheorie bleibt offen und vermag keine wirksamen Anweisungen zu geben. Sie beschränkt sich im wesentlichen darauf, die Grenzen der Kontrolle der Strafmaßentscheidung festzulegen. Auch dies erscheint freilich aus den theoretischen Sätzen nicht erklärbar. Die Stufentheorie trennt die Strafmaßentscheidung in zwei Akte und weist der Tatschuldkomponente die Strafhöhenbestimmung, den präventiven Belangen die Entscheidungen nach §§ 47, 56 StGB zu. Freilich werden damit die in der Konkretisierung der Strafhöhe selbst liegende Unbestimmtheit und Offenheit nicht gelöst. Punktstrafentheorie und die Theorie des sozialen Gestaltungsakts wiederum sind mit denselben Problemen belastet wie die Spielraumtheorie, obwohl die Unbestimmtheit und Offenheit in der Strafmaßfestsetzung aus einer anderen Richtung begründet wird. Eine Tatschuld135 Vgl. beispw. Hirsch LK Strafgesetzbuch, 10. Auflage, Anm. 89 zu § 46, der im Zusammenhang von Strafempfindlichkeit und der hierfür besonders anfälligen sozialen Position eines Straftäters davon spricht, daß es nicht immer leicht sei, den Eindruck von Klassenjustiz zu venneiden; hierzu auch Tiedemann, K.: Gleichheit und Sozialstaatlichkeit im Strafrecht. Zugleich ein Beitrag zur Problematik der §§ 29, 30 StGB, 117,465, 467 Abs. 2 StPO. GA1964, S. 353-376, S. 360.

2.6 Zusammenfassung

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theorie der Strafzumessung ist schon vom Ansatz her mit nicht zu beseitigenden Problemen behaftet, geht sie doch wieder hinter den Paradigmawechsel von der Begründung des Strafrechts durch Vergeltung hin zu Strafrechtsbegründung durch Rechtsgüterschutz zurück. Ein zentrales Problem ist dabei in der Frage nach der Substanz der Strafzumessungsschuld 136 und der Umsetzung in einen Maßstab, der gleichmäßig angewendet werden kann, enthalten. Denn offensichtlich gelingt es nicht, den Gehalt des Konstrukts zu operationalisieren und zu validieren. Hier kommt einmal dem Argument Gewicht zu, daß die Begründung von Strafe und Strafmaß aus der Schuldvergeltung oder dem Schuldausgleich (bzw. Schuldproportionalität) - ist andererseits eine Erklärung von Strafrechtssetzung und damit auch Strafe durch Rechtsgüterschutz akzeptiert - nicht mehr nachvollziehbar erscheint. Denn mit der Abhängigkeit der Strafe von einer rechtsgüterschutzbedingten, präventiven Notwendigkeit wird ja implizit schon zugestanden, daß ein Umrechnungsmaßstab, der Schuld in Strafe übersetzt, nicht vorhanden sein kann. Freilich war das Fehlen eines solchen Maßstabes nie zweifelhaft. Im Zugeständnis, daß Schuldquanten nicht einfach in Strafquanten umgerechnet werden könnten, daß Schuld nicht leicht gewogen werden könne, daß nur "Wegweiser", jedoch keine Maße zur Verfügung gestellt werden könnten 137 oder daß Schuld ein schwer destillierbares Produkt sei 138, ist auch das Eingeständnis enthalten, daß die Entwicklung von rechtlichen Maßstäben nicht gelingt und daß die Orientierung an der Strafzumessungsschuld ein unverbindlicher Programmsatz bleibt, unterhalb dessen offene Ermessens- oder Beurteilungsspielräume, Vertretbarkeits- oder Toleranzräume akzeptiert werden müssen. Eine Tatproportionalitätstheorie der Strafzumessung dagegen vollzieht den Paradigmawechsel in der Strafrechtsbegründung vollständig mit. Sie entlastet von den grundsätzlich nicht lösbaren Problemen der validen und verläßlichen Erfassung von Persönlichkeitsmerkmalen und entwicklungsgeschichtlichen Facetten, deren theoretische Relevanz zumal nie eindeutig sein kann. Sie stellt damit einen theoretischen Rahmen für die Ausbildung eines rechtlich begründbaren Maßstabs für die Strafmaßdifferenzierung oder -abstufung zur Verfügung. Dem Schuldgrundsatz selbst wird Genüge getan, wenn er sich in der Zurechnung des strafbaren Verhaltens auswirkt, wenn Schuld also insoweit als Grundlage der Strafe und der Strafzumessung verstanden wird, als nur dasjenige als Grundlage für die Strafzumessung dienen darf, was vom Verschulden erfaßt wird. Das, was erfaßt werden kann, ist aber durch die weiter oben definierte Intensität des Rechtsgutsangriffs umrissen und begrenzt. Erst so kann sich auch die Strafrecht 136 Vgl. hierzu nunmehr Erhard, eh.: Strafzumessung bei Vorbestraften unter dem Gesichtspunkt der Strafzumessungsschuld. Zugleich ein Beitrag zur Struktur der in § 46 StGB verwendeten Systernkategorie "Schuld". Berlin 1992, S. 87 ff. 137 So beispw. Bruns, H.-J.: a. a. O. 1988. 138 Pallin, F.: Das Recht der Strafzumessung. Wien 1982, Rz. 14.

2. Die nonnativen Grundlagen der Strafzumessung

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begrenzende Funktion des Schuldprinzips angemessen auswirken, kann eine solche Ausrichtung der Strafzumessungstheorie doch Übergriffe in Merkmalsbereiche verhindern, deren strafschärfende und Differenzierung im Strafmaß begründende Verwertung gerade im Lichte des Schuldprinzips kritisierbar erscheint (beispw. Verhalten im Prozeß, Persönlichkeitseigenschaften). Der Sache nach ähnliche Resultate wird eine Strukturierung der Strafzumessungsschuld mit sich bringen, wie sie von Erhard vorgeschlagen wurde 139. Zwar wird die Strukturbildung, die sich anlehnt an die allgemeine Verbrechenskonzeption und damit an die allgemeinen Systemkategorien des Unrechts und der Schuld, nicht als Strafzumessungstheorie ausgewiesen. Doch ist mit der starken Betonung von Erfolgsund Handlungsunrecht sowie der Beschränkung der Strafzumessungsschuld im engeren auf Vermeidemöglichkeiten ein tragfahiger Rahmen für die Beurteilung persönlichkeitsbezogener Merkmale hergestellt, was sich aber lediglich auf Begründungsebene der Strafzumessung auswirkt. Freilich bleibt auch eine Tatproportionalitätstheorie zunächst statisch. Denn auch eine unrechtszentrierte Ableitung des Strafmaßes im Einzelfall steht vor dem Problem, wie an praktisch und rechtspolitisch immer herausragendere Elemente in der Entwicklung von Strafe und Strafverfahren geknüpft werden, deren Einbeziehung in die Erklärung von Strafe insgesamt wie der Strafmaßfestsetzung im Einzelfall bislang vernachlässigt wurde. Hier geht es nämlich um die Belange der Ökonomie 140 und der bürokratischen Organisation der Straffestsetzung. Im übrigen wird die zeitliche Achse der Strafmaßdifferenzierung, das heißt die Veränderung der Strafstruktur im Längsschnitt, nicht einbezogen. Dies trifft sich teilweise auch mit der Trennung zwischen offenen und verdeckten Entscheidungsregeln, in die die Strafzumessungsentscheidung offensichtlich auch zerlegt werden kann 141. Denn zumindest organisatorische und bürokratische Bedingungen der Strafzumessung sind einerseits kaum zu übersehen und durchaus wirksam, andererseits werden sie nicht offen thematisiert, wirken also wohl nur verdeckt. Nun kann man tatsächlich eine Straf- und Strafzumessungstheorie in ihrem Geltungsbereich begrenzen und behaupten, daß der Anlaß der Strafe anderweitig begründet werden müsse, Voraussetzungjeder Strafe also eine vorgelagerte Entscheidung darüber sei, daß bestimmte Verhaltensweisen zu recht oder mit gutem Grund in den Rang strafrechtlich relevanten Unrechts erhoben worden seien bzw. bestimmte Erwartungen tatsächlich in Fonn der Androhung staatlicher Strafe schützenswürdig seien. Man kann weitergehend die Beteiligung des Gesetzgebers an der Strafbemessung durch die Setzung von Strafrahmen und allgemeinen Strafzumessungsregeln als bindend verstehen, insoweit als der Strafrahmen eine strafrahmengetreue Ausrichtung der Strafzumessung verlange. Andererseits wird aber mit einer solchen Beschränkung eine Dimension der Strafbegründung amputiert, die im traditionelErhard, eh.: a. a. 0., S. 141 ff. Ansatzweise enthalten in der Konzeption von Haag, K.: Rationale Strafzumessung. Köln u. a. 1970, S. 193 f., unter dem Gesichtspunkt der Venneidung von Verfahrensund Vollstreckungskosten. 141 Hasserner, W.: Die Fonnalisierung der Strafzumessungsentscheidung. ZStW 90 (1978), S. 64-99, S. 76 ff. 139

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2.6 Zusammenfassung

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len Verständnis von Schuld mehr implizit als explizit enthalten war. Diese Dimension betrifft das, was weiter oben als "wertrationale Vertretbarkeit" bezeichnet wurde und den Bezug herstellt zu der Einstufung des Tatbestands bzw. der Norm selbst. Im übrigen wird mit der Forderung nach einer strafrahmen getreuen Ausrichtung der Strafzumessung die Variabilität der Nutzung von Strafrahmen ignoriert. Denn Strafe kann ja offensichtlich nicht bloß vor dem Hintergrund einmaliger gesetzgeberischer Aktionen und der hiermit verbundenen Setzung von Strafrahmen erklärt werden. Vielmehr finden sich im Zeitverlauf Veränderungen in der Bewertung von Tatbeständen, die nach unten beispw. Entkriminalisierung vorbereiten, nach oben Erhöhungen der Mindest- und Höchststrafen verlangen 142. Dieser Prozeß wird bereits von Exner bei der Analyse der Strafzumessungspraxis Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts im Zeitverlauf beschrieben 143. Der Prozeß selbst macht deutlich, daß die theoretische Erfassung der Strafe und der Strafzumessung nicht ohne Beiziehung des Strafverfolgungs- und Strafverzichts und damit zusammenhängender prozessualer Optionen erfolgen kann 144. Hierzu gehören unter anderem auch ökonomische Voraussetzungen von Sanktionssystemen. Die Erklärung von Strafe bliebe also entweder unvollständig oder müßte um weitergehende Aspekte ergänzt werden. Nicht umsonst wird ja in der Regel die gesetzgeberische Entscheidung zur formellen Entkriminalisierung, zur Umwertung in Ordnungswidrigkeiten durch die staatsanwaltschaftliche Verfolgungs- und die richterliche Entscheidungs- und Strafzumessungspraxis vorbereitet. Dies war erkennbar im Falle einverständlicher sexueller Handlungen wie im Bereich des Schwangerschaftsabbruchs 145. Ähnliche Entwicklungen deuten sich an im Bereich von Bagatelldiebstählen und der Leistungserschleichung. Ökonomische Bedingungen der Strafe, also die Frage, inwieweit die Entscheidung über das Ausmaß, mehr noch über die Art von Strafe hinaus auch die Frage der Kosten der Sanktionen und der Kapazität des Sanktions- und Vollstreckungsapparats berücksichtigen solle, spielten bislang für die Theorie der Strafzumessung, jedenfalls im deutschen Strafrecht kaum eine Rolle. So wird die Verfahrensökonomie im Rahmen der Begrenzung der Menge der in den Prozeß einzubeziehenden Strafzumessungstatsachen bzw. der Beschränkung der Tiefe ihrer Erforschung thematisiert 146. Teils verbergen sich offensichtlich auch ökonomische Erwägungen hinter Bedürfnissen der Praxis. Jedoch wurden derartige Fragestellungen vertieft nur im Rahmen allgemeiner rechtssoziologischer oder kriminologischer Erwägungen zur Ökonomie der Strafe und den Rahmenbedingungen staatlichen Strafens aufgegriffen, wenn beispw. die Anziehungskraft neuer Strafvollzugsanstalten oder die Attraktivität neuer und gut ausgestatteter Einrichtungen im Bereich der Strafrechtspflege diskutiert wurden. Auch die These des ,,net-widening" oder der 142 Diese Frage wird aufgeworfen bei Köhler, M.: Über den Zusammenhang von Strafrechtsbegründung und Strafzumessung. Dargestellt am Problem der Generalprävention. Heidelberg 1983, S. 56 unter dem Gesichtspunkt, inwieweit derartige Veränderungen noch von der Kompetenz zur (veränderbaren) Unrechtskonkretisierung erfaßt sind oder zur gesetzgebenden Gewalt zu rechnen wären. Freilich wird die Frage nicht beantwortet. 143 Exner, F.: Studien über die Strafzumessungspraxis deutscher Gerichte. 1931. 144 Vgl. hierzu auch Hassemer, W.: Die Formalisierung der Strafzumessungsentscheidung. ZStW 90 (1978), S. 64-99, S. 87. 145 Vgl. Dreher, E.: Über Strafrahmen. In: Frisch, W., Schmid, W. (Hrsg.): Festschrift für Hans-Jürgen Bruns zum 70. Geburtstag. Köln u. a. 1978, S. 141-164, S. 162. 146 Vgl. beispw. Jescheck, H.-H.: Lehrbuch des Strafrechts. Allgemeiner Teil. 4. Auflage, Berlin 1988, S. 796.

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2. Die nonnativen Grundlagen der Strafzumessung

Strafintensivierung als Konsequenzen des (zusätzlichen) Angebots von Alternativen zur Freiheitsstrafe gehört in diesen Zusammenhang. Die Frage läßt sich immerhin stellen, ob Theorien der Strafzumessung auch diesen Aspekt systematisch aufgreifen und zur Geltung bringen sollten. Denkbar ungeeignet zur Verarbeitung derartiger Rahmenbedingungen sind natürlich all die Strafzumessungstheorien, die den Gesichtspunkt der Schuldproportionalität in den Mittelpunkt der Strafkonkretisierung stellen. Aus derlei Ansätzen folgt gewissennaBen eine Zweiteilung der Erklärung der Rechtsfolgenbestimmung. Diese beschränkt sozusagen den Geltungsbereich der Straf- und Strafzumessungstheorie auf den Bereich der Straftaten und Straftäter, die die Phase der Hauptverhandlung erreichen. Denn all die Straftaten, die durch Einstellungen ausgeschieden werden, können durch eine Theorie nicht erfaßt werden, die die Strafe als Rechtsfolge strafbaren Verhaltens im wesentlichen durch die persönliche Schuld erklärt. Auch für die Verarbeitung der so benannten Problembereiche scheint eine Tatproportionalitätstheorie der Strafzumessung bessere Rahmenbedingungen zu bieten.

Wird aber Tatproportionalität zur Grundlage der Strafmaßkonkretisierung gemacht, so bleibt nunmehr zu überprüfen, wie sich eine solche Ausrichtung der Strafkonkretisierung mit der Forderung nach Folgenberücksichtigung verträgt, insbesondere, ob und inwieweit Antinomie bei der Einbeziehung präventiver Strafzwecke entsteht.

3. Die Verwendung empirischer Aussagen in der Strafzumessung und ihr Nutzen für begründete Strafmaßdifferenzierung 3.1 Präventive Zwecksetzung und Strafkonkretisierung Die Zumessung von Strafe erfährt im Hinblick auf eine Vorhersehbarkeit und Gleichmäßigkeit sichernde Ausbildung von Maßstäben eine Problemerweiterung vor allem durch die Verfolgung verschiedener Strafzwecke. Das Problem der Strafzweckantinomie und seiner rechtlichen Konsequenzen, sei es in Form von Konkordanzkonzepten oder des Zurücktretens einzelner Strafzwecke, setzt voraus, daß aus unterschiedlichen Strafzwecken unterschiedliche Strafmaße oder unterschiedliche Strafarten folgen. Unsicherheit in der Zumessung sowie Entscheidung und schließlich natürlich auch zusätzliches Potential an Ungleichmäßigkeit würden damit notgedrungen einhergehen. Freilich versteht es sich nicht von selbst, daß die Wertung der Tatschuld, die Berücksichtigung von Resozialisierungsbedürfnissen und ggfs. die Belange positiver Generalprävention regelmäßig oder doch überwiegend zu kompatiblen Ergebnissen führen. Jedoch basieren die so gestellten Probleme auf der Prämisse, daß einzelfallbezogene Aussagen über präventiven Bedarf in konkrete Strafmaße und bestimmte Strafart übersetzt werden können. Immer dann, wenn Straftheorien und aus ihnen abgeleitet Strafzumessungstheorien auf die Zwecke der Spezial- und der Generalprävention zurückgreifen, und dies ist (wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß) in allen bislang vorgestellten Straftheorien und ebenso in Strafzumessungstheorien der Fall, dann werden empirische Aussagen über die Folgen der Straftat sowie die Folgen der Strafe thematisiert. Gleichzeitig enthalten diese Aussagen Annahmen über das zukünftige Verhalten einer mit Strafe belegten Person. Die Vereinigungstheorie verlangt, die durch den Schuldrahmen entstehende Kluft durch präventive Erwägungen allgemeiner und spezieller Art zu schließen. Die Stufentheorie reduziert den Import von empirischen Belangen auf die Strafzumessung im weiteren Sinne, das heißt auf die positivrechtlich geforderten prognostischen Aussagen und Entscheidungen. Jedoch stellen sich Probleme der Folgenberücksichtigung auch dann, wenn wie in einer Tatproportionalitätstheorie der Strafzumessung das Unrecht in das Zentrum des Maßstabes rückt. Denn jedenfalls gilt es, das positive Recht, das mit §§ 46 Abs. 1, S. 2, 47, 56 StGB die Berücksichtigung spezialund generalpräventiver Folgen verlangt, in die Überlegungen einzubeziehen.

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3. Empirie und Strafmaßdifferenzierung

Die so zutagetretende empirische Orientierung, insbesondere die Orientierung an externen Folgen von Strafrechtshandeln, und damit die Orientierung auf ein Gesamtsystem sozialer Verhaltenskontrolle (ohne das die Identifizierung dem Strafrecht und der Strafe zuzurechnender Folgen ja nicht gelingen kann) mag als zentrales Kennzeichen eines modernen Strafrechts gehandelt werden '. Ihre Abgrenzung von anderen Techniken juristischer Auslegung und Argumentation ist wesentlich bedingt durch die empirische Erfaßbarkeit und den Ausschluß strafrechtsinterner Folgen (wie sie beispw. in der Berücksichtigung der Folgen in Form der Anwendung bestimmter Tatbestände etc. durchaus Relevanz bekommen können)2. Notwendige Voraussetzung des folgenbezogenen Strafrechts ist damit im wesentlichen theoretisch begründetes und empirisch abgesichertes prognostisches Wissen 3 • Auch das Gesetz selbst verlangt in §§ 46 Abs. 1, S. 2, 47, 56, 57, 59 StGB ebenso wie in den die Maßregeln der Besserung und Sicherung umfassenden Rechtsvorschriften (§§ 63 ff. StGB) empirisch begründete Aussagen (in der Regel über das zukünftige Verhalten des Straftäters). Dabei handelt es sich um die sogenannten Prognosen, jedoch nicht solche allgemeiner Art, sondern sogenannter bedingter oder technologischer Prognosen 4 • Denn vorhergesagt werden soll regelmäßig das Verhalten des Straftäters unter einer Bedingung (so § 46 Abs. 1, S. 2, "die Strafe") oder unter alternativen Bedingungen (so beispw. §§ 47, 56, 57, "Geldstrafe vs. kurze Freiheitsstrafe; bedingte vs. unbedingte Freiheitsstrafe; vollständige Verbüßung vs. bedingte Entlassung). Gerade im Bereich der strafrechtlichen Prognose soll eine der wesentlichen Lücken der Strafzumessung verborgen sein. Allenthalben wird nämlich beklagt, daß die Kriminologie bzw. die Sozialwissenschaften derartiges, in Einzelfallentscheidungen umsetzbares prognostisches Wissen nicht, noch nicht oder doch nur unzureichend oder lückenhaft zur Verfügung stellten 5 • Erwartet wird von umfas, So Hasserner, W.: Folgenberücksichtigung im Strafrecht? In: Horn, N. (Hrsg.): Europäisches Rechtsdenken in Geschichte und Gegenwart. Festschrift für Helmut Coing zum 70. Geburtstag. München 1982, S. 493-524; Hasserner, W.: Prävention im Strafrecht. Juristische Schulung 27 (1987), S. 257-266; Hasserner, W.: Einführung in die Grundlagen des Strafrechts. 2. Aufl., München 1990, S. 22 ff. 2 Hierzu insbesondere Hasserner, W.: a. a. O. 1982, S. 510 ff. 3 Frisch, W.: Prognoseentscheidungen im Strafrecht. Zur normativen Relevanz empirischen Wissens und zur Entscheidung bei Nichtwissen. Heidelberg 1983; Spieß, G.: Kriminalprognose. In: Kaiser, G., Kerner, H.-J., Sack, F., Schellhoss, H. (Hrsg.): Kleines Kriminologisches Wörterbuch. 3. Aufl., Heidelberg 1993, S. 286-294. 4 Zur Unterscheidung von Prognosearten Albert, H.: Theorie und Prognose in den Sozialwissenschaften. In: Topitsch, E. (Hrsg.): Logik der Sozialwissenschaften. Köln, Berlin 1966, S. 126-143. 5 Vgl. beispw. Nowakowski, F.: Vom Schuld- zum Maßnahmenrecht? Kriminologische Gegenwartsfragen, Heft 10. Stuttgart 1972, S.1-17, S. 16; Bruns, H.-J.: Neues Strafzumessungsrecht? Köln u. a. 1988, S. 28 ff., S. 41 ff., der die empirische Kriminologie dazu auffordert, die Lücken zu schließen und die notwendige Ergänzung durch empirische Feststellungen zu leisten (S. 42). Freilich ist diese Sichtweise zu kurz, da Tatsachenwissen, das wohl im wesentlichen dann technisch Verwendung finden soll

3.1 Präventive Zwecksetzung und Strafkonkretisierung

59

sendern Wissen über die Folgen strafrechtlicher Sanktionierung eine optimale Anpassung der Strafe an präventiven Bedarf und damit die Bereitstellung von Maßstäben, die (zunächst in präventiver Hinsicht) gleichmäßig in Anwendung gebracht werden können und jeweils begründen lassen, warum kurze Freiheitsstrafe anstatt Geldstrafe verhängt oder warum eine Freiheitsstrafe nicht zur Bewährung ausgesetzt wird. Damit rechtfertigt die Prognose aber auch Eingriffe in Rechtsgüter und Differenzierungen in der Rechtsfolge. Die Prognose ist "Anknüpfungspunkt und Grundlage für Eingriffe in Freiheit und Vermögen"6, deren besondere Drastik im Falle der bessernden und sichernden, freiheitsentziehenden Maßregeln aufscheint. Jedoch beziehen sich die von der heutigen Strafrechtspraxis ausgeworfenen Rechtsfolgen nach Erwachsenenstrafrecht zu etwa 99% auf Strafen bis zu 2 Jahren Freiheitsstrafe 7, ein Bereich also, in dem Entscheidungennach §§ 47,56 Abs. I und Abs. 2 StGB darüber getroffen werden, ob Eingriffe in das Vermögen oder in die Freiheit vorgenommen oder ob der Vollzug von Freiheitsstrafe realisiert werden sollen. Wenn deshalb nach dem Potential gefragt wird, das ein zweckrationales Element für die Konkretisierung der Strafe enthält, dann müssen, eingedenk auch der Forderungen des Rechtsstaatsgebots nach Bestimmtheit in den Voraussetzungen des Eingriffs wie seiner Vorhersehbarkeit einerseits und des Anspruchs auf Rechtsgleichheit andererseits, mit besonderer Sorgfalt die Maßstäbe identifiziert werden, aufgrund derer spezifische Folgen in Rechnung gestellt werden können. Denn offensichtlich hat sich die Strafzumessung im weiteren Sinn, also die Entscheidung zwischen Geldstrafe und kurzer Freiheitsstrafe sowie die Entscheidung zwischen unbedingter und bedingter Freiheitsstrafe zu einer ganz zentralen Fragestellung entwickelt. Das positive Recht selbst enthält jedoch wenig präzise Anhaltspunkte zu den Voraussetzungen wie für den Inhalt der geforderten Prognosen 8 • Dies gilt für individualpräventiv wie für generalpräventiv unterlegte Vorschriften. Ferner hat die Rechtsprechung zur Präzisierung wenig beigetragen. Auch die Strafzumessungslehre behandelt, von Ausnahmen abgesehen, das Problem der Prognose eher randständig 9 • (dem Werkzeug oder Instrument entsprechend), im eigentlichen Sinne nie bereitgestellt werden kann. Im übrigen wäre natürlich die wohl mit gutem Grund bei Bruns vermiedene Frage zu stellen und zu beantworten, wie ein Sanktionensystem und ein Strafzumessungssystem gerechtfertigt werden können, deren normative Prämissen derartige Lücken aufweisen. 6 Frisch, W.: Prognoseentscheidungen im Strafrecht. Zur normativen Relevanz empirischen Wissens und zur Entscheidung bei Nichtwissen. Heidelberg, Hamburg 1983, S. 23. 7 Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Strafverfolgung 1990. Wiesbaden 1992, S. 108 f. 8 Zusammenfassend Frisch, W.: Prognoseentscheidungen im Strafrecht. Zur normativen Relevanz empirischen Wissens und zur Entscheidung bei Nichtwissen. Heidelberg, Harnburg 1983. 9 Vgl. aber Frisch, W.: a. a. O. 1983 beschränkt auf spezialpräventive Prognosen sowie Giehring, H.: Ungleichheiten in der Strafzumessungspraxis und die Strafzumessungslehre - Versuch einer Analyse aus der Sicht eines Strafrechtswissenschaftlers. In: Pfeiffer, eh., Oswald, M. (Hrsg.): Strafzumessungsforschung. Empirische Forschung

60

3. Empirie und Strafmaßdifferenzierung

Fragt man danach, wie das Prognoseergebnis beschaffen sein sollte, so finden sich regelmäßig bloße Umschreibungen der gesetzlichen Begriffe. So wird die in § 56 Abs. 1 StGB genannte Erwartung, daß ein Verurteilter künftig keine Straftaten mehr begehen wird, übersetzt in "die Überzeugung, daß weitere Straftaten nicht wahrscheinlich sind" 10. Daß mit der Angabe einer Wahrscheinlichkeit natürlich "Risiken" verbunden sind 11 und deshalb keine Gewißheit oder sichere Gewähr verlangt werden darf 12, brauchte aber nicht betont zu werden. Jedenfalls ergibt sich hieraus keine Interpretationshilfe. Die Unerläßlichkeit der Verhängung einer (kurzen) Freiheitsstrafe (§ 47 Abs. 1 StGB) soll dann gegeben sein, wenn eine Geldstrafe voraussichtlich nicht ausreichen wird, die spezialpräventive Funktion zu erfüllen 13. Zur Verteidigung der Rechtsordnung soll eine Freiheitsstrafe dann unerläßlich sein, wenn zu befürchten (oder ernstlich zu befürchten) sei 14, daß die Verhängung einer Geldstrafe die Rechtstreue der Bevölkerung gefährden könnte 15. Auch hinsichtlich der Theorien und Methoden, mittels derer das (nicht präzisierte) Wahrscheinlichkeitsurteil erstellt werden soll, schweigt das positive Recht, wenn man davon absieht, daß gemäß § 56 Abs. 1 StGB als Merkmale insbesondere die Persönlichkeit des Verurteilten, das Vorleben, die Umstände der Tat, das Nachtatverhalten, die Lebensverhältnisse sowie die Wirkungen der Aussetzungsentscheidung Berücksichtigung finden sollen. Die Rechtsprechung hat dem im wesentlichen nur die Formel hinzugefügt, daß regelmäßig die Gesamtheit aller (relevanten) Umstände im Rahmen einer umfassenden Prüfung und einer Gesamtwürdigung von Tat und Täter als Basis für Prognosen herangezogen werden müßten und hat im übrigen in eklektischer Art und Weise Faktoren gesammelt, die in den Zusammenhang mit Legalbewährung und Rückfall gerückt werden 16. Jedoch liegen gerade hier die Probleme verborgen, denn es geht ja gerade darum, zu benennen und zu begründen, welche Umstände Relevanz haben und in welchem Verfahren sie gewonnen werden können 17. Denn der Richter ist in seiner Überzeuund Strafrechtsdogmatik im Dialog. Stuttgart 1989, S. 77 -126, mit Schwerpunkten im generalpräventiven Bereich. Die Arbeit von von Hippel, R.: Gefahrenurteile und Prognoseentscheidungen in der Strafrechtspraxis. Berlin, New York 1972 legt den Schwerpunkt auf die Voraussetzungen von Gefahrurteilen, behandelt aber wissenschaftstheoretische und methodologische Grundlagenprobleme, die gleichermaßen für die kriminalrechtliche Prognose Bedeutung haben. 10 BGH NStZ 1986, S. 27. 11 Stree in Schönke / Schröder, 23. Auf!., 1988, Anm. 16 zu § 56. 12 BGHSt 7, S. 10. 13 OLG Köln Strafverteidiger 1984, S. 378. 14 Stree in Schönke / Schröder, 23. Auf!. 1988, Anrn. 14 zu § 47. 15 LG Köln in Horn, E.: Systematischer Leitsatzkommentar zum Sanktionenrecht. Frankfurt 1989, Rn. 1 zu § 47. 16 BGH Strafverteidiger 1985, S. 234; Horn, E.: a. a. o. 1989, Rn. 2 zu § 56. 17 Kritisch auch Lackner, K.: Strafgesetzbuch. 18. Auf!. , München 1989, § 56 4c: "Die wirklichen Entscheidungskriterien bleiben im Dunkeln".

3.2 Theoretische Bezüge und Folgenorientierung

61

gungsbildung und Entscheidung nicht frei, wenn Annahmen zur Wirkung von Strafe oder StrafmodifIkation auf zukünftiges Verhalten zur Rechtfertigung belastender Entscheidungen, also Erfahrungssätze, eingeführt werden, es sei denn, man wollte die Bindung auf allgemeine Erfahrungssätze der Naturwissenschaften beschränken und im Bereich des Humanverhaltens Alltagstheorien und Vorurteilen über potentielle Zusammenhänge freien Lauf lassen. Ein solches Vorgehen wäre aber unzulässig 18. Dort, wo wissenschaftliche Disziplinen und wissenschaftliche Forschung sich bestimmter Fragestellungen angenommen haben, können die hierauf bezogenen Befunde und Erfahrungssätze nicht übergangen und durch (insoweit konkurrierende) intuitiv gefundene oder andere Regeln ersetzt werden.

3.2 Theoretische Bezüge und Folgenorientierung Im Zusammenhang mit einem folgenorientierten Strafrecht bzw. Sanktionssystem, das sich natürlich auch in der Art und im Ausmaß von Strafmaßdifferenzierung zu äußern beansprucht, gilt es zunächst allgemeine Probleme aufzugreifen, Probleme, denen offensichtlich einmal der Gesetzgeber selbst in der Integration zweckrationaler Elemente in positives Recht, zum anderen die wissenschaftliche theoretische und dogmatische Erörterung der Belange der Spezial-, bzw. Generalprävention im Zusammenspiel mit schuldentsprechender Strafe bzw. im Kontext insbesondere der Vorschriften der §§ 46, 56, 57 StGB nicht die ihnen eigentlich angemessenen Konsequenzen angedeihen ließen 19. Dabei geht es zunächst darum, darauf hinzuweisen, daß die Bereitstellung von bloßem Faktenwissen, also eine schwerpunktmäßig empiristische und phänomenologische Struktur der Folgenkonzeption, allein zur strafrechtlichen Verarbeitung nicht tragfähig ist. Denn die Logik der erfahrungswissenschaftlichen Prognose entspricht derjenigen der erfahrungswissenschaftlichen Erklärung. Deshalb sprechen Fakten oder Tatsachen, auch wenn sie für Zwecke der Prognose, unabhängig von der spezial- oder generalpräventiven Zielrichtung, genutzt werden sollen, nie für sich selbst, sie können ferner nicht aus einem anderen theoretischen Zusammenhang als demjenigen, innerhalb dessen sie erhoben oder gewonnen wurden, interpretiert werden. Vielmehr kann es bei der empirischen Folgenbestimmung oder der Prognose nur darum gehen, die theoretischen Kalküle und Systeme sowie die aus ihnen abgeleiteten und empirisch überprüften Aussagen vorzustellen und auf die anhand dieser theoretischen Sätze identifIzierten empirischen "Anfangsbedingungen" des Straftäters (in Fonn von Persönlichkeitsmerkmalen, Lebensumständen etc.) anzuwenden. Denn das, was spezialpräventiv releGiehring, H.: a. a. O. 1989. Vgl. auch die Kritik an der rechtstheoretischen und rechtsdogmatischen Vernachlässigung von Prognoseproblemen bei Frisch, W.: Prognoseentscheidungen im Strafrecht. Heidelberg, Hamburg 1983, S. 6 ff.; S. 45. 18 19

62

3. Empirie und Strafmaßdifferenzierung

vant ist an Merkmalen des Täters, der Situation oder der sozialen Umwelt, was generalpräventiv Bedeutung hat in Form spezifischer sozialer Situationen und Eigenschaften von Sanktionen, erläutert sich nur im Lichte einer Theorie, die beispw. individuelle Kriminalität, oder als Spezialfall hiervon, individuelle Rückfallkriminalität erklärt oder jedenfalls zu erklären beansprucht. Wird beispw. nach der Berücksichtigung von Spezialprävention verlangt, so muß also zunächst die Theorie expliziert werden, aus der die theoretischen Variablen entnommen werden können, die wiederum den spezialpräventiven Strafzumessungssachverhalt beschreiben und begrenzen. In einem zweiten Schritt ist sodann, auch dies theoretisch begründet, zu entfalten, wie Sanktionen in den Prozeß der Kriminalitäts- oder Rückfallkriminalitätsentstehung eingreifen, insbesondere natürlich, wie sich verschiedene Sanktionen oder Sanktionsmodifikationen auf einzelne Variable der Kriminalitätstheorie auswirken. Erst dann kann über die Folgen einer Entscheidung zwischen zwei Handlungsalternativen informiert werden, beispw. entschieden werden, ob eine (kurze) Freiheitsstrafe im Sinne des § 47 StGB zur Einwirkung auf den Straftäter unerläßlich ist, oder ob zu erwarten ist, daß der Verurteilte auch ohne Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird (§ 56 Abs. 1 StGB). In einem dritten Schritt schließlich ist zu klären, wie die logische Struktur der theoretischen Aussagen über Rückfallkriminalität beschaffen ist und wie sich diese mit derjenigen der (normativen) Aussagen der Strafzumessungstheorie und den Erwartungen des positiven Rechts verträgt.

3.3 Dimensionen der Folgenorientierung Ausgangspunkt dieser Fragestellungen muß aber zunächst eine systematische Erfassung der empirisch gemeinten oder verstehbaren Elemente der Straf- und Strafzumessungstheorien sein. Unter dem Sammelbegriff der Folgen (wie er in § 46 Abs. I S. 2 StGB Verwendung fand) finden sich verschiedene Sichtweisen potentieller Wirkungen von Strafen, die sich jeweils mit unterschiedlichen kriminologischen oder allgemeinen humanwissenschaftlichen Theorien zu kriminellem Verhalten verknüpfen lassen. Zunächst geht es dabei ganz einfach um die unmittelbaren, direkten Folgen der Strafe für den Straftäter oder seine Umgebung (beispw. Familie). Diese Art von Folgen ist regelmäßig einfacher zu beobachten und (jedenfalls oberflächlich) schneller in einen kausalen Zusammenhang mit der Strafe und ihrer Vollstreckung zu bringen, als dies bei präventiven Folgen der Fall ist. Dies ergibt sich jedenfalls daraus, daß die bestehenden sozialen und organisatorischen Strukturen der Gesellschaft derartige Prognosen erleichtern. So ist es einfach vorherzusagen, daß die Vollstreckung von Freiheitsstrafe ggfs. die berufliche Entwicklung des Verurteilten tangiert, oder daß die wirtschaftliche Stellung und Ausstattung abhängiger

3.3 Dimensionen der Folgenorientierung

63

Familienmitglieder durch den Vollzug von Freiheitsstrafe beeinflußt werden. Auch die Frage nach der Strafempfindlichkeit scheint relativ leicht zu ermitteln, jedenfalls dann, wenn Alltagstheorien und -hypothesen über direkte Folgen des Freiheitsentzugs oder der Geldstrafe auf eine Person veranschlagt werden. Schwieriger wird es aber, die je individuell zu Buche schlagende Strafempfindlichkeit zu beurteilen. Denn tatsächlich wird sich jede der positivrechtlich zur Verfügung stehenden Strafarten wie deren Maß je nach sozialen biographischen und persönlichen und physischen Merkmalen unterschiedlich auswirken im Hinblick auf damit verbundene Belastung. Über diese direkten Folgen von Strafen hinaus ist es aber die Prävention von strafbarem Verhalten, die gemeint wird, wenn von Folgen der Strafe die Rede ist.

3.3.1 Generalprävention So geht es einerseits um Generalprävention, die in eine positive und in eine negative Seite unterteilt wird 20 • In diesen Zusammenhang gehört im übrigen der Begriff der Verteidigung der Rechtsordnung, der an verschiedenen Stellen des positiven Rechts (§§ 47 Abs. 1,56 Abs. 3, 59 Abs. 1, Nr. 3 StGB) Verwendung gefunden hat und im wesentlichen generalpräventive Ziele beschreibt 21 • Der Gehalt der positiven Generalprävention findet sich offensichtlich teilweise in allgemeinen soziologischen Normtheorien wieder, wie sie in neuerer Zeit vor allem von Popitz einerseits, Luhmann andererseits entwickelt worden sind 22. Eine Norm (ein Strafgesetz) enthält danach allgemeine, das heißt gegenüber allen Personen geltende Erwartungen des Inhalts, daß bestimmte Verhaltensweisen entweder unterlassen werden oder daß auf eine ganz bestimmte Art und Weise gehandelt wird. Eine Straftat stellt die Verletzung dieser Erwartungen dar. Die so gesetzte Erwartungsverletzung führt zu Enttäuschung, die verarbeitet werden muß. Die Art der Enttäuschungsverarbeitung mag einmal in der Aufgabe der Erwartung und das heißt Aufgabe der Norm bestehen. Sie wird im Falle von Strafnormen aber ganz regelmäßig auf die Beibehaltung der Erwartung gerichtet sein, d. h. die Norm soll auch in der Zukunft gelten. Dann muß aber demonstriert werden, daß die Erwartungen beibehalten werden dürfen. Diese Demonstration der Weitergeltung der Erwartungen bzw. der Norm kann nur auf Kosten des 20 BVerfGE 45, S. 187 ff.; BGHSt 24, S. 40 ff.; Hassemer, W.: Generalprävention und Strafzumessung. In: Hassemer, W., Lüderssen, K., Naucke, W.: Hauptprobleme der Generalprävention. Frankfurt 1979, S. 29-53, S. 38 f.; Jescheck, H.-H.: a. a. O. 1988,

S.61.

21 Zipf, H.: Die Strafzumessung. Eine systematische Darstellung für Strafrechtspraxis und Ausbildung. Heidelberg 1977, S. 50 ff.; Maiwald, M.: Die Verteidigung der Rechtsordnung - Analyse eines Begriffs. GA 130 (1983), S. 49-72. 22 Popitz, H.: Die normative Konstruktion von Gesellschaft. Tübingen 1979; Luhmann, N.: Rechtssoziologie. Bd. I, 3. Aufl., Reinbek 1987.

3. Empirie und Strafmaßdifferenzierung

64

Straftäters erfolgen und zwar durch eine negative Sanktion, mit der für jedermann mitgeteilt wird, daß die Erwartungen nicht preisgegeben worden sind. Die Konsequenzen bestehen dann in einem Lerneffekt: Rechtstreue wird über das Lernen des Mechanismus "Erwartungsverletzung=Strafe" eingeübt, in einem Vertrauenseffekt: die Erwartungen können beibehalten werden, sowie in einem Befriedungseffekt: Der Konflikt mit dem Straftäter ist erledigt. Ob die Sanktion aber immer dazu führt, daß die Erwartungen in der Zukunft nicht mehr enttäuscht werden, ist damit nicht gesagt. Die Sanktion ist deshalb zwar ein notwendiger Bestandteil von Normen, sie erklärt allerdings nicht hinreichend den Bestand oder die Geltung von Normen. Eine andere Variante positiver Generalprävention mag durch die Durkheimsche funktionale Analyse von Norm, Sanktion und Abweichung begründet sein 23 • Dabei handelt es sich um das Konzept der organischen Solidarität. Mit diesem Ansatz verbindet sich die Annahme, daß die Sanktionierung des Normverstoßes zu einer sichtbaren Ausgrenzung des Abweichlers führt, was wiederum zu einer Solidarisierung der normtreuen Anderen beiträgt, also zur Integration oder Kohärenz von Gesellschaft. Das Verbrechen macht beständig die zentralen Normen und Werte sichtbar und ruft diese in Erinnerung. Die Funktion des Verbrechens und seiner Bestrafung kommt der Normstabilisierung und damit der Stärkung des kollektiven Bewußtseins zugute. Die Feststellung eines Verbrechens und die Bestrafung des Rechtsbrechers haben danach die Funktion, zur Herstellung der Solidarität zwischen den konformen Gesellschaftsmitgliedern beizutragen. Diese schließen sich enger zusammen, die Integration erhöht sich, da die zentralen Normen sichtbar geworden sind. Die einzelnen Teile werden sozusagen zusammengeschweißt, indem mit der Ausstoßung des Verbrechers den Konformen kundgetan wird, daß sie einen gemeinsamen Wert bzw. eine gemeinsame Norm teilen. Dieser, aus Verbrechen und Strafe abgeleitete, Mechanismus kann deshalb auch als Integrationsprävention bezeichnet werden, als stabilisierender Prozeß, er erinnert ferner an die Sündenbocktheorie von Abweichung und Kriminalität. Die Abschreckungsprävention beinhaltet zunächst die Annahme, daß Angst und Furcht Verhaltensdeterminanten sein können. In Form der Androhungsprävention hat diese Überlegung eine lange Tradition im Strafrecht. Sie beruht auf einem Bild vom Menschen, das diesen (auch) als durch Sinnesempfindungen gesteuert oder steuerbar ansieht 24 • Sanktionen haben die Funktion, die Drohung als realistisch erscheinen zu lassen 25 • Durkheim, E.: Two Laws of Penal Evolution. Economy and Society 2 (1973). Feuerbach, A.: Lehrbuch des gemeinen in Deutschland geltenden peinlichen Rechts. 3. Auf!. 1805, S. 14 ff. 25 Zusammenfassend Schöch, H.: Zur Wirksamkeit von Generalprävention. In: Frank, C., Harrer, G. (Hrsg.): Der Sachverständige im Strafrecht. Kriminalitätsverhütung. Berlin 23

24

u. a. 1990, S. 95 - 111.

3.3 Dimensionen der Folgenorientierung

65

In modernen ökonomischen Verhaltenstheorien bzw. Kriminalitätstheorien sind die Inhalte verfeinert worden 26. Freilich zeigt sich hier sehr schnell, daß der Geltungsbereich der Theorie beschränkt ist. Denn offensichtlich kommt eine generalpräventive Wirkung nur dort in Betracht, wo Abwägungskalküle in menschlichen Handlungen tatsächlich auftreten. Dies ist allerdings wohl nur selten der Fall. Denn regelmäßig evaluieren Menschen Situationen nicht (oder nicht nur) unter dem Gesichtspunkt von Nutzen und Kosten 27 • Dies wäre ökonomisch gesehen sinnlos. Vielmehr äußert sich gerade im Ausbleiben generalpräventiv relevanter Situationen die rationale Kraft von Normen, die von derartigen Kalkülen und Entscheidungsproblemen entlasten. Für das Aufgreifen der Generalprävention im Strafrecht ist freilich noch eine weitere Unterscheidung einzuführen, nämlich die nach unterschiedlichen Auslösern von Generalprävention. Dabei handelt es sich um dem Strafrechtssystem insgesamt zugeschriebene generalpräventive Eigenschaften einerseits sowie der Einzelstrafe andererseits. Dies kommt zur Deckung mit der Unterscheidung zwischen Straftheorie und Strafzumessungstheorie 28 •

3.3.2 Spezial prävention Die spezialpräventiven Überlegungen lassen sich in drei Ansätze aufgliedern. Einmal ist es die Prävention durch Abschreckung, zum anderen die Prävention durch Erziehung, Rehabilitation, Behandlung oder Resozialisierung. Schließlich ist Prävention durch Sicherung zu nennen.

3.3.2.1 Abschreckungsprävention Die Abschreckungsspezialprävention stellt einen Unterfall der allgemeinen Abschreckungstheorie dar, besagt also, daß nach dem Erleiden von Strafe das negative oder als negativ empfundene Ereignis in die Zukunft fortwirkt und dazu führt, daß in ähnlichen Entscheidungssituationen die Kostenseite stärkeres und ausschlaggebendes Gewicht bekommt. Ein solcher Mechanismus mag insbesondere lerntheoretisch erklärt werden, ist jedoch auch als Folge veränderter Nutzen26 Cook, P. J.: Research in Criminal Deterrence: Laying the Groundwork for the Second Decade. In: Morris, N., Tonry, M. (Hrsg.): Crime and Justice. An Annual Review of Research. Bd. 2, Chicago, London 1980, S. 211-268; Otto, H.-J.: Generalprävention und externe Verhaltenskontrolle. Freiburg 1982; van Berg, V.: Strafe und Abschreckung. Tübingen 1982; Schöch, H.: Empirische Grundlagen der Generalprävention. In: Vogler, Th. (Hrsg.): Festschrift für Hans-Heinrich Jescheck zum 70. Geburtstag. Berlin 1985, S. 1081-1105. 27 Hierzu Blinkert, B.: Benachteiligte Jugendliche - Lernen oder kriminell werden? Soziale Welt 32 (1981), S. 86-116. 28 Hassemer, W.: a. a. O. 1979, S. 40.

5 Albrecht

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3. Empirie und Strafmaßdifferenzierung

erwartungen in ein ökonomisches Verhaltens- und Entscheidungsmodell integrierbar 29 •

3.3.2.2 Rehabilitationsprävention Die Rehabilitationsspezialprävention geht davon aus, daß im Kontext strafrechtlicher Sanktionen VerhaltensmodifIkationstechniken zum Einsatz gebracht werden können, die, nicht unbedingt über Persönlichkeitsveränderungen, zu anderem Verhalten, besser Unterlassung von strafrechtlich relevantem Verhalten führen. Zugrunde liegen hier spezifische Kriminalitätstheorien, die insbesondere defizitäre Persönlichkeitsentwicklung, fehlgeschlagene oder defizitäre Sozialisation als Ursache von Kriminalität benennen, andererseits wird auf Theorien der Veränderung sozialer und persönlicher Defizite zurückgegriffen, wie sie sich vor allem in therapeutischen Ansätzen oder Techniken sozialer Stützung und sozialen Trainings niedergeschlagen haben 30.

3.3.2.3 Sicherungsprävention Die Sicherungsprävention schließlich ist die theoretisch einfachste Überlegung. Hier wird als Ableitung einer Gelegenheitstheorie der Kriminalität angenommen, daß Freiheitsbeschränkung oder Freiheitsentzug, gegebenenfalls auch eine strenge Überwachung in Freiheit, die Gelegenheiten zum Begehen von Straftaten reduziert, also Sicherungseffekte nach sich zieht.

3.4 Empirische Sanktionsforschung und Befunde zum präventiven Potential strafrechtlicher Sanktionierung Die präventiven Aspekte von Strafe erschöpfen sich allerdings in ihren Auswirkungen auf die Strafzumessungsentscheidung nicht darin, Folgen der Strafe zu thematisieren und mit der Folgenthematisierung empirisch überprüfbare Ereignisse zu fordern bzw. Strafe und deren Ausgestaltung davon abhängig zu machen. Wesentlich ist natürlich auch, daß damit auf Theoriebestände der empirischen Wissenschaften verwiesen wird, die unter den Oberbegriffen Kriminalitätstheorien einerseits und Strafrechtstheorien andererseits jeweils zusammengefaßt werden können und das System strafrechtstheoretischer und strafrechtsdogmatischer Begriffe und Aussagen mit anderen Systemen, nämlich denjenigen der Sozialwissenschaften in Bezug setzen. Generalprävention und Spezialprävention verweisen 29 Albrecht, H.-J.: Legalbewährung nach Verurteilung zu Freiheitsstrafe und Geldstrafe. Freiburg 1982, S. 8 ff. 30 Zusammenfassend Ortmann, R.: Resozialisierung im Strafvollzug. Theoretischer Bezugsrahmen und empirische Ergebnisse einer Längsschnittstudie zu den Wirkungen von Strafvollzugsmaßnahmen. Freiburg 1987.

3.4 Empirische Sanktionsforschung

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also auf Theorien, die über die Bedingungen der Entstehung und des Fortbestehens von Gesellschaft (im wesentlichen natürlich Stabilität, Ordnung, Herrschaft) und die Bedingungen bzw. Ursachen menschlichen Verhaltens und menschlicher Handlungen Aussagen machen. Gleichzeitig sind darin Annahmen enthalten, die sich auf die Veränderung und die Beeinflussung dieser Bedingungen beziehen. Damit wird über die Präventionsorientierung ein Bezug des Strafrechts zu strafrechtsexternen Systemen hergestellt. Denn eine schlichte Reduktion eines Zusammenhanges und der Erklärung auf den Zusammenhang zwischen Strafe und (künftiger) Straftat kann es nun nicht mehr geben. Vielmehr werden soziale, ökonomische, kulturelle und psychologische Bedingungen angesprochen, aus denen heraus sich Handlungen erklären, mithin auch die Strafe selbst. Zu den präventiven Folgen von Strafrecht und Strafe liegen weitreichende Befunde vor, die es zunächst nicht rechtfertigen, davon zu sprechen, daß empirisch begründetes pönologisches Wissen, vor allem brauchbares Wissen, fehlen würde. Die empirische Sanktionsforschung und allgemeine Forschung zur Kriminalitätsentstehung erlauben tiefgehende Einsichten in die Zusammenhänge von Strafrecht, Sanktion und Verhalten auf der Mikro- wie der Makroebene, zeigen freilich auch die Grenzen auf, denen die Verwertung empirisch brauchbarer Theorien der Kriminalität und der Sanktionen in normativen Strukturen unterliegt. So kann heute davon ausgegangen werden, daß strafrechtliche Sanktionen weithin austauschbar sind, jedenfalls dann, wenn Rückfall bzw. die wiederholte Verurteilung zu Strafe als Mißerfolgskriterium, umgekehrt die Legalbewährung als Erfolgskriterien verwendet werden 31 • Dies gilt auch in generalpräventiver Hinsicht 32. Belege hierfür finden sich in vergleichenden Sanktionsuntersuchungen und in der Evaluationsforschung zu den Auswirkungen von Strafrechtsreformen 33 • Im übrigen wird durch die Behandlungsforschung nicht belegt, daß im Rahmen von Freiheitsentzug bessere individualpräventive Folgen durch Rehabili31 Albrecht, H.-J.: a. a. O. 1982; Eisenberg, U.: Kriminologie. 2. Aufl. Köln u. a. 1985; Frehsee, D.: Schadenswiedergutmachung als Instrument strafrechtlicher Sozialkontrolle. Berlin 1987; Kaiser, G.: Kriminologie. 2. Aufl. Heidelberg 1988, S:895. 32 Albrecht, H.-J., Dünkel, F., Spieß, G.: Empirische Sanktionsforschung und die Begründbarkeit von Kriminalpolitik. MschKrim 64 (1981), S.31O-326; Kaiser, G.: a. a. O. 1988, S. 895. 33 Kaiser, G.: Praxis der Strafzumessung und der Sanktionen im Verkehrsrecht. Kriminologische Gegenwartsfragen, Heft 10. Stuttgart 1972, S. 92-127; Kiwull, H.: Kurzfristige Freiheitsstrafen vor und nach der Strafrechtsreform, einschließlich der Entziehung der Fahrerlaubnis und des Fahrverbots als Mittel der Spezialprävention. Jur. Diss. Freiburg 1979; zusammenfassend Albrecht, H.-J.: Legalbewährung nach Verurteilung zu Freiheitsstrafe und Geldstrafe. Freiburg 1982; Spieß, G.: Soziale Integration und Bewährungserfolg: Aspekte der Situation nach Haftentlassung und ihre Bedeutung für die Legalbewährung. In: Kury, H. (Hrsg.): Prognose und Behandlung bei jungen Rechtsbrechern. Freiburg 1986, S. 511-580; Petersilia, J., Turner, S. : Comparing Intensive and Regular Supervision for High-Risk Probationers: Early Results from an Experiment in Califomia. Crime & Delinquency 36 (1990), S. 87 - 111.

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3. Empirie und Strafmaßdifferenzierung

tation oder Behandlung ermöglicht werden 34. Dies spricht zunächst nicht gegen die Behandlung, denn Therapien haben sich in vielen Zusammenhängen als effizient erwiesen. Dies spricht aber dafür, daß entweder das Setting der Behandlung (das Stigmatisierung und Prisonisierung mit sich bringt) oder das Bezugsproblem (auf das Behandlung angewendet wird, nämlich kriminelles Verhalten) nicht angemessen sind 35. Wahrscheinlich trifft beides zu. Selbst wenn man jedoch Unterschiede im Umgang mit Strafgefangenen mit Unterschieden in Rückfallquoten zusammenhängend betrachtet, ergibt sich hieraus regelmäßig keine absolute Rechtfertigung einer Strategie, noch weniger eine Erklärung oder Rechtfertigung der Einzelstrafe und mit ihr gesetzter Unterschiede bzw. Differenzierungen. Das Problem besteht eben nicht nur darin, daß nicht genau gesagt werden kann, wie lange eine Behandlung, Resozialisierung etc. angesetzt werden muß 36, um soziale Integration, soziale Stützung, Persönlichkeits- oder Einstellungsveränderung und hieran anschließend ganz allgemein Rückfallvermeidung oder gar Sozialbewährung zu erreichen 37. Es besteht auch darin, daß nach einer wie auch immer definierten und bemessenen Dauer der Behandlung nicht sicher ist, daß der Erfolg (also Reintegration, Legalbewährung, Leben in sozialer Verantwortung) eintreten wird. Es handelt sich also um zwei Unsicherheiten, die in empirischen Aussagen über die Folgen von Strafen ihren Ausdruck finden und verhindern, daß sie sich problemlos in die beispw. in §§ 47, 56 StGB geforderten Entscheidungen über alternative Reaktionen einfügen ließen. Da es sich aber bei den Unterschieden, falls sie im Vergleich unterschiedlicher Sanktionen oder unterschiedlicher Sanktionsmaße überhaupt als relevant und bedeutsam akzeptiert werden, regelmäßig um relativ kleine Prozentwertdifferenzen handelt, wäre natürlich auch zu fragen, ab welcher Größenordnung solcher Unterschiede die Entscheidung zugunsten der einen oder der anderen Strategie fallen sollte. Ferner bedient sich die spezialpräventive Überlegung zunächst einer Simplifizierung, wenn nämlich davon aus34 Lipton, D., Martinson, R., Wilks, J.: The Effectiveness of Correctional Treatment: A Survey of Treatment Evaluation Studies. New York 1975; Greenberg, D. F.: The Correctional Effects of Corrections.: A Survey of Evaluations. In: Greenberg, D. F. (Hrsg.): Corrections and Punishment. Beveriy Hills 1977, S. 111-148; Sechrest, L., White, S.O., Brown, E. D.: The Rehabilitation of Criminal Offenders: Problems and Prospects. Washington 1979; Garrett, C. J.: Effects ofResidential Treatment of Adjudicated Delinquents: A Meta-Analysis. Journal of Research in Crime and Delinquency 22 (1985), S. 287 - 308; Ortmann, R.: Resozialisierung und Strafvollzug. Theoretischer Bezugsrahmen und empirische Ergebnisse einer Längsschnittstudie zu den Wirkungen von Strafvollzugsmaßnahmen. Freiburg 1987; Whitehead, J. T., Lab, St. P.: A Meta-Analysis of Juvenile Correctional Treatment. Journal of Research in Crime and Delinquency 26 (1989), S. 276-295; Ortmann, R.: Die Nettobilanz einer Resozialisierung im Strafvollzug: Negativ? In: Kury, H. (Hrsg.): Gesellschaftliche Umwälzung. Kriminalitätserfahrungen, Straffalligkeit und soziale Kontrolle. Freiburg 1992, S. 375-451, S. 436 ff. 35 Hierzu Albrecht, H.-J., Dünkel, F., Spieß, G.: a. a. O. 1981. 36 Vgl. zu einzelnen Schätzungen Schöch, H.: Grundlage und Wirkungen der Strafe. Zum Realitätsgehalt des § 46 Abs. 1 StGB. In: Grünwald, G. u. a. (Hrsg.): Festschrift für Friedrich Schaffstein zum 70. Geburtstag. Göuingen 1975, S. 255-272, S. 263. 37 Frisch, W.: a. a. O. 1987, S. 370.

3.4 Empirische Sanktionsforschung

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gegangen wird, daß Rechtsgüterschutz mit Reduzierung von Rückfall wenn schon nicht gleichgesetzt werden kann, so doch in hohem Maße zur Deckung kommt. Dies ist natürlich nur dann der Fall, wenn die Kriminalitätsbelastung im wesentlichen durch rückfällige Straftäter zustandekommt, Rechtsgüterschutz also durch eine Verhinderung von Straftatwiederholung erreicht werden kann. Zur generalpräventiven Funktion und Funktionsweise des Strafrechts ist insbesondere die negative Dimension, also die Abschreckungsprävention durch empirische Befunde abgedeckt. Danach spielen objektiv feststellbare und subjektiv empfundene Sanktionsschwere für das Ausmaß an deliktischem Verhalten keine Rolle 38. Die Funktion formeller Sanktionen insgesamt scheint im Prozeß allgemeiner Verhaltens steuerung durchaus begrenzt zu sein. Denn auch das Verfolgungsrisiko läßt sich präventiv nicht maßgeblich ausbeuten. Ganz im Gegenteil, neuere Forschungen zur Generalprävention weisen darauf hin, daß eine Senkung des Strafniveaus zu einer Sensibilisierung des Strafempfindens beizutragen in der Lage ist, so daß aus einer Reduzierung der Strafintensität dieselbe präventive Wirkung zu resultieren vermag 39. Im übrigen dürften Verlagerungseffekte eingreifen. Eine Unterdrückung kriminellen Verhaltens erfolgt demnach nicht insgesamt. Vielmehr verlagert sich Kriminalität, greift Generalprävention, gegebenenfalls, sei es räumlich, sei es im Hinblick auf Tatobjekte oder einzelne De1iktsformen 4O • Wenn aber bereits die allgemeine Vorstellung, für ein Verhalten bestraft werden zu können - unabhängig von der Wahrscheinlichkeit und Höhe der Strafe Prävention zu tragen vermag, dann geben generalpräventiv-abschreckende Argumente für die Bestimmung der Strafhöhe, auch wenn dies nur im Schuldrahmen stattfindet, nichts her. Die Argumente, die aus einem solchen Forschungsstand gezogen werden können, decken somit nur die Aussage ab, daß vor dem Hintergrund prinzipieller Strafbarkeit" beträchtliche Spie/räume" für neue Sanktionsstrategien eröffnet werden 41, wobei Grenzen nach unten jedoch nicht benannt werden können 42.

38 Albrecht, HA.: Die generalpräventive Effizienz von strafrechtlichen Sanktionen. In: Forschungsgruppe Kriminologie (Hrsg.): Empirische Kriminologie. Freiburg 1980, S. 305 -327; Berlitz, c., Guth, H. W., Kaulitzki, R., Schumann, K. F.: Jugendkriminalität und die Grenzen der Generalprävention. Neuwied 1987; Schöch, H.: Empirische Grundlagen der Generalprävention. In: Vogler, Th. (Hrsg.): Festschrift für Hans-Heinrich Jescheck zum 70. Geburtstag. Berlin 1985, S. 1081-1105; Schöch, H.: a. a. 0.1990, S. 109. 39 Schöch, H.: Empirische Grundlagen der Generalprävention. In: Vogler, Th. (Hrsg.): Festschrift für Hans-Heinrich Jescheck zum 70. Geburtstag. Berlin 1985, S. 1081-1105, S. 1102; Schöch, H.: a. a. O. 1990, S. 109. 40 Zusammenfassend Cook, P. J.: a. a. O. 1980, S. 233 ff. 41 Schöch, H.: a. a. O. 1990, S. 109. 42 Vgl. auch Schöch, H.: a. a. O. 1990, S.109 mit dem Plädoyer für empirische Forschung zur Frage, bei welcher Untergrenze strafrechtlicher Sanktionen moralische Bindungen als nicht mehr lohnend abgestreift würden.

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3. Empirie und Strafmaßdifferenzierung

Aus der Perspektive spezialpräventiv-rehabilitativer und generalpräventiver Sanktionskonzepte eher enttäuschende Forschungsbefunde führten im übrigen zu einer Revitalisierung der im Konzept der Freiheitsstrafe schon immer, jedenfalls implizit, mitenthaltenen Sicherungstheorie. Jedoch demonstrieren auch in diesem Bereich nunmehr recht zahlreiche Forschungsresultate die limitierten und im Umfang recht bescheidenen praktisch-präventiven Auswirkungen von Sicherungsstrategien 43. Gerade hier zeigen sich im übrigen auch die ökonomischen Grenzen der Verfolgung von Sanktions- bzw. Strafzwecken. Denn Sicherungseffekte werden regelmäßig nur bei einer drastischen Erhöhung des Ausmaßes der unbedingten Freiheitsstrafe und damit einer erheblichen Erweiterung der Strafgefangenenpopulation, jedoch auch dann nur in recht bescheidenem Umfang, erwartet werden dürfen 44 •

3.5 Konsequenzen der Folgenorientierung für die Strafzumessungsentscheidung Aus diesem Stand empirischer und theoretischer Forschung auf dem Gebiet der Kriminalitätserklärung und der Erklärung der Wirkungen von Strafrecht und strafrechtlichen Sanktionen ergeben sich vier Folgerungen, die für eine strafrechtliche Verarbeitung der Folgenorientierung im Rahmen der Strafzumessungsentscheidung von Belang sind und das Potential zweckrationaler Entscheidung und Entscheidungsbegründung für die Konkretisierung der Strafe skizzieren.

3.5.1. Die Notwendigkeit einer theoretischen Begründung der Folgenorientierung Die Verarbeitung empirischer Gesichtspunkte in einem folgenorientierten Strafrecht ist nur theoretisch geleitet sinnvoll. Dabei geht es nicht um die Anleitung durch normative Theorien. Vielmehr geht es um die Benennung empirischer Kriminalitäts- und Strafrechtstheorien. So wird die methoden-theoretische rechtswissenschaftliche Seite der Folgenorientierung (die zu einer Begrenzung auf externe Folgen führt) ergänzt um die theoretisch-empirische Dimension. Aus ihr erst ergibt sich die präzisierbare Einschränkung des Präventions- bzw. Prognosesachverhalts. Nur eine theoretische Orientierung führt zu einer (natürlich auch ökonomisch und entscheidungstheoretisch notwendigen) Lenkung der Informationssuche, die begrenzt ist, andererseits einer Kontrolle zugeführt werden kann 45. 43 Vgl. van Dine, S1., Conrad, J. P., Dinitz, S. : Restraining the Wicked. The Incapacitation of the Dangerous Criminal. Lexington, Toronto 1979; Petersilia, J.: Criminal Career Research: A Review of Recent Evidence. In: Morris, N., Tonry, M. (Hrsg.): Crime and Justice. An Annual Review of Resrach. Bd. 2, Chicago, London 1980, S. 321-379. 44 Petersilia, J.: a. a. O. 1980, S. 372.

3.5 Folgen, Orientierung und Strafzumessung

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Eine bloß technologische Ausdeutung zweckrationalen Entscheidens, die allein Methodenfragen und -probleme als Ursprung von Unsicherheit in den "empirischen Grundlagen" der Strafzumessung zur Kenntnis nimmt und die theoretischen Grundlagen postulierter oder erwünschter Zusammenhänge zwischen Strafe, Strafmaß und präventiven Folgen ausblendet, wäre dagegen praktisch immun gegenüber Kontrollversuchen, die die Auswahl valider entscheidungserheblicher Kriterien zum Gegenstand haben. Dies würde im übrigen auch dem Gerechtigkeitsgebot widersprechen, das im Strafverfahren jedenfalls zur bestmöglichen Annäherung an die materielle Wahrheit zwingt 46 und deshalb gerade in dem Zustandekommen einer "tragfähigen Tatsachengrundlage" für die richterliche Überzeugungsbildung (§ 261 StPO) zum Ausdruck kommen muß47. Tragfähig kann aber allein die Tatsachengrundlage sein, die wiederum unter Beachtung einschlägiger Erfahrungssätze (und das heißt hier unter der Beachtung der maßgeblichen Kriminalitäts- und Präventionstheorien) zustandegekommen ist 48 .

3.5.2. Das Problem der Theoriekonkurrenz Ist diese Ausgangsbedingung akzeptiert, so ist in der Folge mit Theoriekonkurrenz auf dem Gebiet der Erklärung von Kriminalität, Rückfall oder Konformität wie auf demjenigen der Folgen von Strafe und Strafrecht zu rechnen. Damit ist dann, wenn die Aufnahme von Prävention oder Folgenorientierung in die Strafzu45 Somit hat Frisch, W.: Prognoseentscheidungen im Strafrecht. Zur normativen Relevanz empirischen Wissens und zur Entscheidung bei Nichtwissen. Heidelberg 1983, S. 25, recht, wenn er schreibt, daß die Fixierung des Prognosesachverhalts mehr sei als die Zusammenfassung dessen, was anläßlich der Erforschung der abzuurteilenden Tat, sozusagen nebenbei, über den Täter in Erfahrung gebracht worden sei. Die Schlußfolgerung führt jedoch ins Bodenlose. Denn wenn die Fixierung des Prognosesachverhalts nur dann gelingt, wenn der Täter systematisch im Lebensquerschnitt und im Lebenslängsschnitt erfaßt wird, dann wird eben die Fixierbarkeit aufgegeben. Gemeint sein können mit Lebenslängsschnitt und -querschnitt ja nur alle Informationen, die die Entwicklung und die aktuelle Lage des Straftäters beschreiben helfen, also prinzipiell jede Information über den Betroffenen. Die dazu im folgenden vorgenommene Einschränkung, die insbesondere mit Persönlichkeitsschutz und Arbeitsökonomie begründet wird, sei aber erlaubt, weil in einem Großteil der Fälle eine Prognose überflüssig sei. Die Einordnung in das große Mittelfeld, über das nichts gesagt werden könne, und die Extremgruppen der entweder Positiven oder Negativen werde gewährleistet durch solche Informationen, die als Produkt des gewöhnlichen Ermittlungsverfahrens bzw. der Beweisaufnahme anfielen. Durch eine solche Vorgehensweise werden aber empirische und normative Elemente vermischt. 46 Zusammenfassend Albrecht, P.-A.: Überzeugungsbildung und Sachverständigenbeweis in der neueren strafrechtlichen Judikatur zur freien Beweiswürdigung (§ 261 StPO). NStZ 3 (1983), S. 486-493, S. 486 f. 47 Löwe-Rosenberg: Strafprozeßordnung. Anm. 13 zu § 261. 48 Vgl. hierzu schon BGHSt 6, S. 70 ff.

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3. Empirie und Strafmaßdifferenzierung

messungsentscheidung bezweckt ist, eine Entscheidung für eine Theorie und gegen andere im Hinblick auf Wahrheit konkurrierende Theorien zu treffen. Hierdurch entstehen erhebliche Probleme 49 • Denn bislang läßt sich nicht mit der nötigen Sicherheit entscheiden, welcher Theorie in der Erklärung von individueller Kriminalität und allgemeinen Kriminalitätsraten der Vorzug gegeben werden müßte 50. Selbst wenn man sich auf Verfahren und Kriterien, die eine solche Entscheidung erlauben, einigen könnte, sähe man sich doch am Ende auf verschiedene Theorien verwiesen, die gleichermaßen Geltungsansprüche erheben und sich auf unterschiedliche Sätze theoretischer Variable beziehen 51. Im wesentlichen überlappen sich die Aussagebereiche heute erörterter Erklärungsansätze, wenn auch plausibel ist, daß angesichts sehr unterschiedlicher Formen des Verhaltens und angesichts unterschiedlicher Modellvorstellungen von menschlichem Verhalten der jeweilige Geltungsbereich immer nur begrenzt sein kann.

3.5.3. Probabilistische Aussagen und Einzelfallbehandlung Die Theorien, auf die explizit oder implizit Bezug genommen wird, sind ferner regelmäßig probabilistische Theorien, eröffnen also Aussagen über die Wahrscheinlichkeit des Auftretens bestimmter Ereignisse als Folge der Präsenz definierter und beobachteter theoretischer Prämissen in einem Kollektiv. Hieraus folgt im wesentlichen, daß eindeutige bzw. eingliedrige Aussagen über Einzelfalle nicht möglich sind bzw. theoretisch nicht begründet werden können (faktisch bleiben derartige Aussagen über Einzelfälle natürlich möglich). Die Struktur der prognostischen Aussage, die sich auf probabilistische Zusammenhänge gründet, ist also die folgende: Wenn die theoretisch verlangten Variablen in bestimmten Ausprägungen vorliegen, ist die Wahrscheinlichkeit des Auftretens eines bestimmten Ereignisses in einer Gruppe größer / niedriger als bei anderen Ausprägungen. Ein Individuum mit bestimmten Merkmalen oder eine Gesellschaft mit bestimmten Merkmalen wird also einer Gruppe zugerechnet, für die eine genauer bestimmte Wahrscheinlichkeit angegeben werden kann. Mit dieser Aussage ist es allerdings nicht möglich, eine Entscheidung darüber zu treffen, ob das Individuum in die eine oder in die andere Verhaltensklasse fallen wird. Wird also angenommen, daß ein Straftäter zu einer Gruppe gerechnet wird, in der die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von kriminellem Verhalten (innerhalb eines festgelegten Risikozeitraums) bei 80% liegt, dann ist damit nicht entschieden, ob der Betreffende zu den 80% der Rückfälligen oder zu den 20% der Nichtrückfalligen 49 Zusammenfassend Opp, K.-D., Wippler, R. (Hrsg.): Empirischer Theorienvergleich. Erklärungen sozialen Verhaltens in Problemsituationen. Opladen 1990. 50 Vgl. nur Laufer, W. S., Adler, F. (Hrsg.): Advances in Criminological Theory. New Brunswick, Oxford 1989. 51 McCord, J.: Theory, Pseudotheory, and Metatheory. In: Laufer, W. S., Adler, F. (Hrsg.): Advances in Criminological Theory. New Brunswick, Oxford 1989, S. 127 -146.

3.5 Folgen, Orientierung und Strafzumessung

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gehören wird. Die prognostische Entscheidung, die sich auf probabilistische Sätze stützt, enthält also zwei Aussagen: a) In einer definierten Gruppe wurden Verteilungen beobachtet (von denen angenommen wird, daß sie auch in Zukunft beobachtbar sein werden). b) Ein Straftäter gehört zu dieser Gruppe, weil er die Definitionsmerkmale der Gruppe erfüllt 52. Diesem Problem kann man nicht entgehen. Denn für die Erklärung von kriminellem Verhalten, auch von Rückfall- oder wiederholter Kriminalität stehen eben lediglich probabilistische Theorien zur Verfügung. Wenn beispw. Frisch davon ausgeht, daß die so bezeichnete Wahrscheinlichkeit nicht ausreiche, eine strafrechtlich zulässige Prognose, also die Individualprognose, zu begründen, dann wäre tatsächlich eine §§ 46 Abs. 1, S. 2,47,56,57 StGB entsprechende Entscheidung nicht möglich 53. Sein Lösungsvorschlag geht von richtigen Prämissen aus, begegnet freilich in der Ableitung des Ergebnisses entscheidenden Bedenken. Der Vorschlag beruht auf einer Differenzierung zwischen persönlichkeitsbedingter Prädisposition zu strafbarem Verhalten und situativ bedingten Auslösern von Kriminalität. Eine Unterscheidung zwischen negativer Persönlichkeits struktur einerseits und situativen Bedingungen der Entstehung von Rückfallkriminalität ist zwar grundsätzlich möglich, soweit hiermit verschiedene Variablenbereiche beschrieben werden sollen. Doch kann die dieser Unterscheidung beigelegte normative Konsequenz, daß nämlich Eindeutigkeit und Sicherheit nurmehr in der Feststellung der negativen Persönlichkeitsstruktur verlangt seien, nicht aber in den situativen Elementen, nicht akzeptiert werden 54. Denn es reicht natürlich nicht hin, als personalen Eingriffsgrund das Vorhandensein einer bestimmten Persönlichkeitsstruktur zu fordern, die nach dem vorhandenen Erfahrungswissen unter bestimmten situativen Umständen zu der Entstehung von Straftaten führt 55 • Hiermit wäre eine Persönlichkeitstheorie der Kriminalität unterlegt, die, jedenfalls als immer geltendes Gesetz, ernsthaft nicht vertreten wird 56. Das Problem der 52 Diese Aussagen fließen dann in der Regel in dem freilich in mehrfacher Hinsicht bedenklichen Satz zusammen, daß "sich der Angeklagte in Zukunft nach aller Erfahrung wahrscheinlich so und nicht anders verhalten werde", Löwe-Rosenberg: Strafprozeßordnung, Anm. 11 zu § 261. Über den "Angeklagten" ist allerdings nur die Aussage möglich, daß er einer Gruppe angehört, für die eine bestimmte Rückfallhäufigkeit angenommen wird. 53 Frisch, W.: a. a. O. 1983, S. 27, S. 65 ff. 54 Kritisch auch Horstkotte, H.: Strafrechtliche Fragen zur Entlassungspraxis nach § 67d Abs. 2 StGB. MschrKrim 69 (1986), S. 332-341, S. 339. 55 Frisch, W.: a. a. O. 1983, S. 73. 56 Zusammenfassend Lösei, F.: Täterpersönlichkeit. In: Kaiser, G., Kerner, H.-J., Sack, F., Schellhoss, H. (Hrsg.): Kleines Kriminologisches Wörterbuch. Stuttgart 1993, S. 529 -540, mit weiteren Nachweisen; Spieß, G.: Soziale Integration und Bewährungserfolg: Aspekte der Situation nach Haftentlassung und ihre Bedeutung für die Legalbewährung. In: Kury, H. (Hrsg.): Prognose und Behandlung bei jungen Rechtsbrechern. Ergebnisse eines Forschungsprojekts. Freiburg 1986, S. 511-579, S. 522 f. Dabei ist schon

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3. Empirie und Strafmaßdifferenzierung

Theoriekonkurrenz wäre damit nicht gelöst. Im übrigen führen aber auch Persönlichkeitstheorien der Kriminalität, stellt man die konkurrierenden Geltungsansprüche anderer Kriminalitätstheorien zurück, zu Wahrscheinlichkeitsaussagen über das Auftreten krimineller Handlungen oder KriminalitätS? Dem Dilemma, das der Forderung nach Individualprognosen angesichts probabilistischer Grundlagen entspringt, kann man nicht dadurch entgehen, indem behauptet wird, zur spezifischen Persönlichkeitsstruktur (deren Relevanz für das Auftreten von Kriminalität im übrigen umstritten ist) müßten situative Bedingungen kommen, die natürlich nicht präzise vorhergesagt werden könnten und im übrigen auch nicht präzise vorhergesagt werden müßten 58. Hierfür reiche die Feststellung aus, daß der Eintritt relevanter Situationen angesichts der Persönlichkeitsstruktur naheliege. Dadurch wäre nämlich eine Immunisierung der Annahmen über Kausalzusammenhänge zwischen einer "kriminovalenten" Persönlichkeits struktur und deliktischem Verhalten erreicht, die eine Widerlegung der Theorie nicht erlauben würde. Dies ist nicht zulässig. Eine Theorie, deren Propositionen die Chance ihrer Widerlegung nicht enthalten, kann als Grundlage für Entscheidungen nicht akzeptiert werden. Im übrigen bliebe der wesentliche Gehalt der auf der Basis der negativen Persönlichkeits struktur erfolgten Aussage, nämlich eine Bestimmung der Wahrscheinlichkeit, mit der in einer bestimmten Gruppe von Personen Straftaten auftreten werden, derselbe wie bei der Einbeziehung situativer Elemente. Natürlich kann es im übrigen nicht angehen, eine Theorie oder ein System von Aussagen, die voneinander abhängig sind, auf ein einzelnes Element zu reduzieren und zu behaupten, dieses Element sei zwar eine notwendige, jedoch keine hinreichende Bedingung; hinreichend sei erst das gleichzeitige Auftreten zweier Elemente (Persönlichkeit und Situation) von denen das eine (die Situation) theorieextern bleibe. Damit wäre die (um ein ebenfalls notwendiges Element reduzierte) Theorie in ihrer Erklärungskraft künstlich herabgesetzt. Vordergründig wäre zwar auf diesem Wege der mit dem Anspruch auf rechtsstaatlich begründete Vorhersehbarkeit gesetzten Anforderung an das Prognoseergebnis Genüge getan; allein der Abgleich mit den von Prognosevorschriften erwarteten Aussagen, die sich ganz eindeutig auf zukünftige Straftaten beziehen, zeigt allemal, daß doch nur eine Wahrscheinlichkeitsaussage angeboten werden könnte. Das für die Zukunft vermutete deliktische Verhalten versteckt sich nunmehr in den "Situationen".

die begriffliche Voraussetzung fraglich. Denn ein einheitlicher Persönlichkeitsbegriff existiert nicht. 5? Vgl. nur Eysenck, H. J.: Personality and Crime: A Dispositional Analysis. In: Laufer, W. S., Adler, F. (Hrsg.): Advances in Criminological Theory. New Brunswick, Oxford 1989, S. 89-110. 58 Insoweit argumentiert Frisch mit einer Risikoverteilung, nach der dem Straftäter die (kriminovalente) Persönlichkeits struktur zweifelsfrei nachgewiesen werden müsse, die Zweifel (also die bloße Wahrscheinlichkeit) daran, ob eine Situation auftreten werde, in der die Persönlichkeit zu Straftaten führe, sollen aber zu Lasten des Straftäters gehen dürfen.

3.5 Folgen, Orientierung und Strafzumessung

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Soweit das Problem als Verjahrensproblem der Prognose, das heißt theorieunabhängig, erörtert wird, gilt nach wie vor, daß sich einzelne Prognosearten von der Logik des Vorgehens nicht unterscheiden können und daß die Leistungsfähigkeit aller Prognosearten beschränkt ist 59. Die Forschung zur Leistungsfähigkeit unterschiedlich bezeichneter Prognosen (intuitive Prognose, klinische Prognose, statistische Prognose 60) hat insbesondere gezeigt, daß die herkömmlich als besonders leistungsfähig und praktisch brauchbar eingeschätzten klinischen Prognosen, deren Vorteile in der detaillierten Erfassung der Person, ihres vergangenen und aktuellen Verhaltens gesehen werden, in ihrem Wahrheitsgehalt nicht überdemjenigen anderer Prognoseformen liegen 61 • Jedenfalls existieren bis heute keine Hinweise darauf, daß die Genauigkeit oder Treffsicherheit klinischer (in der Regel also medizinischer oder psychiatrischer Prognosen) über derjenigen von statistischen Prognosen liegen würde 62 • Ferner ist nicht belegt, daß eine Kumulation klinischer und statistischer Verfahren die Prognoseleistungen verbessern könnte 63 • Offensichtlich wird die Leistungsfähigkeit gerade der klinischen Prognose überschätzt, andererseits wird hierdurch in Kauf genommen, daß die der Prognose zugrundeliegenden allgemeinen Annahmen weitgehend implizit und deshalb einer KontrQlle unzugänglich bleiben 64. Schließlich bleibt zum Verhältnis der Prognosemethoden anzuführen, daß wissenschaftlich und theoretisch begründete Verfahren der bloßen Intuition, das heißt der pragmatischen und nur praktischen PrognosesteIlung vorgehen. Denn die theoretisch und empirisch begründeten Prognosemethoden skizzieren die allgemeinen Erfahrungssätze, an die der Richter gebunden ist. Zu diesen Erfahrungssätzen gehört freilich auch der Satz, daß die Prognoseleistung unter den heutigen Bedingungen ggfs. nicht aufbesserungsfähig ist. Wenn wissenschaftliche Forschung mit dem gesamten zur Verfügung stehenden Instrumentarium das Erkennbare ausgeschöpft hat, dann bleibt kein Raum für die Annahme, daß durch richterliche Erkenntnisleistungen (woher sollten die in diesem Feld auch kommen) der Wahrheit näher gekommen werden könne, oder, in das Prognoseproblem übersetzt, daß das Fehlerrisiko weiter minimiert werden könne. 59 Monahan, J., Walker, L.: Social Science in Law: Cases and Materials. 2. Aufl., Westbury, New York 1990, S. 279 ff. 60 Hierzu zusammenfassend Kaiser, G.: Kriminologie. Ein Lehrbuch. 2. Aufl. Heidelberg 1988, S. 873 ff. 61 Spieß, G.: a. a. 0., S. 522 f., mit weiteren Nachweisen sowie Ergebnissen einer Studie, aus der sich die prospektive Bedeutungslosigkeit von persönlichkeitsdiagnostischen Kennziffern für den Bewährungserfolg bzw. -mißerfolg ergibt. 62 Monohan, J.: The Clinical Prediction of Violent Behaviour. Rockville 1981; Morris, N., Miller, M.: Predictions of Dangerousness in the Criminal Law. National Institute of Justice, Washington, März 1987. 63 Farrington, D. M., Tarling, R.: Criminological Prediction. London 1983. 64 Vgl. nur die bei Horn, H.-J.: Die prognostische Beurteilung im Strafverfahren: Mängel, Irrtümer, Fehlinterpretationen. MschrKrim 72 (1989), S. 97 -101, S. 98 genannten Beispiele.

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3. Empirie und Strafmaßdifferenzierung

3.5.4. Probabilismus und Strafkonkretisierung Die Folgen, die sich aus dem skizzierten Forschungsstand wie aus der Logik der Folgenberücksichtigung für die Umsetzung präventiver Belange in die Einzelfallentscheidung ergeben, sind beträchtlich. Auf den einzelnen Fall bezogen läßt sich aus empirischen Theorien über Rückfall, Allgemeinabschreckung oder Nonnvalidierung keine Äquivalenzregel sozusagen absoluter Art ableiten, aus der sich dann wiederum ein das angestrebte Ziel oder den Zweck präzise erfüllbares Strafmaß bzw. eine dem Ziel angepaßte Strafart ableiten ließe. Dies ist im übrigen auch nie zu erwarten. Angeben läßt sich nur, wie hoch das Risiko sein wird - jedoch auch dies bloß dann, wenn die Basis in Fonn theoretisch begründeter Ausgangsbedingungen expliziert ist - Personen als falsch positiv (ein Straftäter wird einer Gruppe mit hohem Rückfallrisiko zugehörend eingestuft, obwohl er nicht mehr rückfällig werden wird) oder als falsch negativ (ein Straftäter wird einer Gruppe mit niedrigem Rückfallrisiko zugehörend eingestuft, obwohl er rückfallig werden wird) einzuordnen 65. Dabei kann der bisherigen Forschung entnommen werden, daß gerade die Quote der falsch positiv Eingestuften und damit ein Fehler, der im Kontext strafrechtlicher Entscheidungen gerade minimiert werden müßte, bisweilen unerträglich hoch ist 66 • Denn das Risiko einer falschen Prognose liegt umso höher, je seltener das Ereignis ist, das in einer Gruppe auftreten wird und je "weicher" die Theorien sind, mit denen das Ereignis zu erklären beabsichtigt wird 67. Das Problem reicht über die sog. Gefahrlichkeits-

65 Zusammenfassend Monahan, J.: Prediction of Criminal Behavior: Recent Developments in Research and Policy in the United States. In: Wegener, H., Lösei, F., Haisch, J. (Hrsg.): Criminal Behavior and the Justice System. Psychological Perspectives. New York u. a. 1989, S. 40-52. 66 Monahan, J.: The Prediction of Violent Criminal BehavioUf. An Assessment of Clinical Techniques. Beverly Hills, London 1981; zusammenfassend Albrecht, HA.: Kriminologische Aspekte des Rückfalls und der Rückfallkriminalität. In: Jescheck, H.H., Kaiser, G. (Hrsg.): Erstes deutsch-polnisches Kolloquium über Strafrecht und Kriminologie. Baden-Baden 1983, S. 101-131; vgl. im übrigen Morris, N., Miller, M.: a. a. 0.,1987 mit weiteren Nachweisen; Horstkotte, H.: a. a. O. 1986, S. 333. 67 Kleiter, G. D.: Bayes Statistik. Grundlagen und Anwendungen. Berlin, New York 1981, S. 101 ff.; es handelt sich dabei um das Problem probabilistischer Kategorisierung, deren Konsequenzen mittels des Bayes-Theorems dargestellt werden können. Zu unterscheiden sind dabei a-priori- sowie posteriori-Wahrscheinlichkeiten. In der auf präventive Folgen ausgerichteten Prognose geht es in der Regel um Entscheidungen, deren Basis einerseits im Wissen über eine a-priori vorhandene Verteilung des Auftretens eines Ereignisses in einer bestimmten Gruppe (beispw. ein spezifisches Rückfalldelikt in einer Gruppe von wegen desselben Deliktes Verurteilten) sowie in einem diagnostischen Instrument (bzw. einer Theorie), mit Hilfe dessen die Personen identifiziert werden sollen, die wegen des spezifischen Rückfalldelikts noch einmal auffallen werden. Hinsichtlich des diagnostischen Instruments bzw. der Theorie ist im übrigen bekannt, daß diese nicht zuverlässig sind. Denn bei der Anwendung in Form der Identifizierung des Rückfalltäters treten, da eine 100 %-Sicherheit nicht gewährleistet ist, zwei Wahrscheinlichkeiten auf. Die erste betrifft die Wahrscheinlichkeit, mit der die als zukünftige Rückfalltäter identifizierten Personen tatsächlich wieder auffällig werden. Die zweite

3.5 Folgen, Orientierung und Strafzumessung

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prognose hinaus, obwohl vor allem die hiermit verbundenen Konsequenzen der Maßregeln der Besserung und Sicherung diese besonderer Aufmerksamkeit empfehlen 68. Gerade im Zusammenhang mit chronischem kriminellen Verhalten hat die Rückfallforschung insbesondere bei schwerer Kriminalität ergeben, daß selbst in hoch belasteten Gruppen besonders schwere Rückfalldelikte relativ seltene Ereignisse darstellen 69 • Es gelingt im übrigen kaum, das Auftreten von Rückfallkriminalität im strengen Sinn zu erklären, ebensowenig, so ist zu sagen, wie dies bei allgemeiner Kriminalität gelingt. Läßt man die Forschung Revue passieren, so zeigt sich doch, daß selten mehr als 20-25% der im Verhaltenskriterium (Rückfall, kriminelles Verhalten) beobachteten Varianz durch einen theoretisch abgeleiteten Satz von Variablen oder durch pragmatisch erhobene Merkmale (statistisch) erklärt werden können. Dies läßt die weiter oben vorgestellte Prognosekonsequenz in einem noch düsteren Licht erscheinen. Im übrigen wissen wir, daß Spezialisierung und Eskalation im Verlauf sogenannter krimineller Karrieren kaum auftritt, vielmehr der Regelfall des wiederholt Auffalligen durch unterschiedliche Deliktsbegehung gekennzeichnet ist 70. 3.5.5. Prävention und Strafkonkretisierung Insgesamt ergibt sich hieraus, daß spezial- oder generalpräventive Zweckerwägungen zur Konkretisierung von Strafe nicht verwendet werden können. Sie bieten nicht einmal das, was sich die Spielraumtheorie vorzugeben anheischig macht, nämlich die Setzung eines Rahmens, von dem behauptet werden könnte, daß eine spezial- oder generalpräventive wirksame Strafe deren Grenzen nicht betrifft die Wahrscheinlichkeit, mit der die Theorie solche Personen als zukünftige (Rückfall)-Täter identifiziert, die später nicht mehr auffallen werden. Geht man nun davon aus, daß die a-priori-Wahrscheinlichkeit bestimmter Rückfalldelikte in einer Verurteiltengruppe 20 % beträgt (eine sehr weitgehende Schätzung, insbesondere dann, wenn schwere Delikte den Gegenstand der Schätzung bilden) und nimmt ferner an, daß eine Theorie zur Erklärung von Rückfallkriminalität zur Verfügung steht, mit der 50 % der Rückfalltäter positiv identifiziert werden können (eine zu optimistische Annahme), andererseits 30 % als Rückfalltäter identifiziert werden, obwohl diese nicht mehr auffallen werden, dann kann auf der Basis des Bayes-Theorems die posteriori-Wahrscheinlichkeit des Rückfalls bei Zutreffen der theoretisch relevanten Merkmale angegeben werden (20% * 50% / 20% * 50% + 80% * 30%). Die Wahrscheinlichkeit, daß bei den gegebenen Verteilungen und dem vorausgesetzten Grad der Präzision der Theorie und der positiven Identifizierung ein Rückfalldelikt auftritt, beträgt danach also 28 %, mit anderen Worten, nur ein Fall von vieren wird richtig eingestuft. 68 Horstkotte, H.: a. a. O. 1986, S. 333 f.; Kaiser, G.: Befinden sich diekriminalrechtlichen Maßregeln in der Krise? Karlsruhe 1990, S. 17 ff. 69 Albrecht, H.-J.: Legalbewährung bei zu Geldstrafe und Freiheitsstrafe Verurteilten. Freiburg 1982. 70 Albrecht, H.-J., Moitra, S. : Escalation and Specialization. A Comparative Analysis of Patterns in Criminal Careers. In: Kaiser, G., Geissler, I. (Hrsg.): Crime and Criminal Justice. Freiburg 1988, S. 115-136.

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3. Empirie und Strafmaßdifferenzierung

überschreiten dürfe. Dies steht ganz und gar im Einklang mit dem Verzicht auf Strafkonkretisierung, der gerade unter der Herrschaft des rehabilitativen Paradigmas im anglo-amerikanischen Rechtskreis sowie in skandinavischen Staaten in Form der Einführung der unbestimmten Strafe beobachtet werden konnte. Dem trägt im übrigen auch das Konzept der präventiv ausgerichteten Maßregeln der Besserung und Sicherung Rechnung, das im Kern von der zutreffenden Auffassung ausgeht, daß sich die Gefahrlichkeitsprognose nicht mit einer fest bestimmten Dauer einer Unterbringung verträgt. Hier liegt natürlich auch ein bedeutsamer Widerspruch zwischen der die Praxis beherrschenden Spielraumtheorie (die präventive Bedürfnisse zur Strafkonkretisierung einsetzen will) und dem normativen Konzept der Maßregeln verborgen (das als Folge der Unsicherheit von mit Präventions belangen verbundenen Gefährlichkeitsprognosen gerade auf eine Konkretisierung der Dauer einzelner Maßregeln verzichtet).

3.6 Theoretische und praktische Verarbeitung der Probleme der Folgenorientierung Aus der Folgenorientierung der Strafzumessung einerseits und den empirischen Grundlagen andererseits ergeben sich für die Auslegung der positivrechtlichen Vorschriften wie für die praktische Anwendung mehrere Fragestellungen. Zunächst handelt es sich darum, wie mit Folgenorientierung grundsätzlich umgegangen wird, im einzelnen darum, welche Fragen in den folgenorientierten Vorschriften des Strafzumessungsprogramms gestellt und für die (auch beweisrechtlich) relevante Beantwortung in der Hauptverhandlung aufbereitet werden. Sodann geht es um das Problem der Verarbeitung der durch probabilistische Aussagen über den Eintritt von Folgen unter spezifischen Bedingungen erzeugten Probleme. Schließlich gilt es, die Feststellung vergleichbarer Folgen unterschiedlicher Strafformen oder Strafhöhe auf ihre Bedeutung für die Entscheidung hin zu untersuchen. Die Verarbeitung der aufgeworfenen Probleme sowie der empirischen Befunde folgt unterschiedlichen Linien. Diese sind repräsentiert einmal in einem Trend hin zur Normativierung zweckrationaler Elemente sowie in Vorschlägen, die positivrechtlich identifizierbaren prognostischen Erwartungen mit dem gesicherten empirischen Wissensbestand zu konfrontieren und so die Anwendung zu steuern.

3.6.1 Normativierung der Zweckrationalität Die obergerichtliehe Rechtsprechung war bereits verschiedentlich mit der Forderung konfrontiert, empirisch grundsätzlich der Beantwortung fähige Fragen als entscheidungserheblich auch empirischer Widerlegung auszusetzen. Dies wur-

3.6 Probleme der Folgenorientierung

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de jedoch insbesondere für die Auslegung und die Konsequenzen des Begriffs der Verteidigung der Rechtsordnung wie für allgemein generalpräventive Erwägungen unter Hinweis auf den normativ zu ermittelnden Gehalt der Begriffe abgelehnt 71 • So wird der Bedarf an Verteidigung der Rechtsordnung (§§ 47, 56, 59 StGB) abhängig gemacht vom Urteil einer über die Sanktionspraxis und deren Voraussetzungen voll informierten Bevölkerung, eine Fiktion also, die wiederum das Urteil des Gerichts zum ausschließlichen Maßstab erhebt 72. Denn eine voll informierte Bevölkerung gibt es nicht, kann es im übrigen auch nicht geben 73 • Wird der Begriff der Verteidigung der Rechtsordnung als mit einem normativen Element versehen verstanden, dann wird freilich der Gehalt des Begriffs insgesamt normativiert und im wesentlichen auf die Gestaltungskraft empirischer Bezüge verzichtet. Denn dann hat der Begriff rechtspolitischen Charakter, er enthält die Aufforderung an die Gerichte, einen "idealen" bzw. idealisierten und erwünschten Stand der Rechtstreue bzw. des Verständnisses bzw. Einverständnisses mit Sanktionen zu definieren, von dem ausgehend dann der Bedarf an Verteidigung der Rechtsordnung in Form der Größe so festgelegter Unterschiede zwischen erwünschtem und tatsächlichem Stand des Bewußtseins der Allgemeinheit abgeleitet wird 74. Somit ist allerdings die strategische Bedeutung des normativen Elements wiederum festgeschrieben. Den empirischen Daten (zum tatsächlichen Stand der Rechtstreue in der Bevölkerung) käme nurmehr die Bedeutung eines Kontrastmittels zu, das jedenfalls folgenlos bleiben muß, da ja das, was an Ausmaß von Rechtstreue erwünscht ist, frei bestimmt werden kann 75. Freilich kann das Problem nicht auf die Frage der Einführung "plebiszitärer Elemente" in die Rechtsfindung reduziert werden 76 • Die Auffassung, daß empirische AussaBGHSt 24, S. 40 ff., S. 64 ff. OLG Hamm GA 1977, S.25; Bay OLG JR 1978, S. 513; OLG Celle JR 1980, S.256. 73 Es wäre natürlich auch danach zu fragen, inwieweit die Vorstellung eines voll informierten Gerichts einer Fiktion gleichkommt. 74 So Maiwald, M.: Die Verteidigung der Rechtsordnung Analyse eines Begriffs - . GA 1983, S. 49 - 72; vgl. auch Horn, E. in Systematischer Kommentar, Anm. 33 zu § 47. 75 So insbesondere OLG Celle JR 1980, S257, wo ausgeführt wird, daß eine Vollstrekkung der Freiheitsstrafe wegen Rechtsbewährungserfordernissen auch dann geboten sein könne, wenn die Meinung in der Bevölkerung hierzu anders laute; instruktiv hierzu auch der Sachverhalt in BayObLG JZ 1989, S.696, wo bei einer 74-jährigen Frau, die als psychisch äußerst einfach strukturiert und als fast schwachsinnig beschrieben wird, freilich wegen Ladendiebstahls bereits fünfmal zu Geld- und Bewährungsstrafen verurteilt worden war (Geldstrafen und Geldauflagen wurden bezahlt), im Falle eines weiteren Ladendiebstahls (Schaden: 13,99 DM) eine fünfmonatige Freiheitsstrafe aufrechterhalten wurde. Begründet wurde das Urteil mit dem Erfordernis der Verteidigung der Rechtsordnung, wobei darauf abgehoben wurde, daß das Vertrauen der Bevölkerung in den Schutz der Rechtsordnung wesentlich auch davon abhänge, daß die Gebote der Rechtsordnung gegenüber hartnäckigen Rückfalltätern notfalls auch mit harten Mitteln durchgesetzt werden. 76 So aber Naucke, W.: Anmerkung zu OLG Celle JR 1980, S. 257 - 259. 71

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3. Empirie und Strafmaßdifferenzierung

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gen nur insoweit berücksichtigungsfähig seien, als es sich um "richtige" Aussagen handle, stellt im wesentlichen auf Einstellungen und Perzeptionen in der Bevölkerung ab. Diese Dimension der Folgenorientierung wird aber nirgendwo ausschließlich angesprochen. Denn aus einer wie auch immer gearteten durchschnittlichen Einstellung lassen sich natürlich keine Hinweise darauf ableiten, ob bestimmte Sanktionen oder Sanktionsausprägungen geeignete Mittel sind, zur Verteidigung der Rechtsordnung beizutragen. Hier mag die Einstellung ein Indikator für eine theoretische Variable darstellen. Jedoch sagt dies über die im Begriff der Verteidigung der Rechtsordnung implizit enthaltene kausale Verknüpfung nichts aus. Eine weitere empirische Fragestellung von erheblicher praktischer Bedeutung ergibt sich an den Schnittstellen zwischen Geld- und Freiheitsstrafe einerseits (§ 47 StGB) sowie zur Bewährung ausgesetzter und unbedingter Freiheitsstrafe andererseits (§ 56 StGB). Die Frage lautet hier, unter welchen Bedingungen ist anstelle einer Geldstrafe wegen besonderer Umstände in der Tat oder in der Person des Straftäters die Verhängung kurzer Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Straftäter oder wegen der Notwendigkeit der Verteidigung der Rechtsordnung unerläßlich (§ 47 StGB). Im Zusammenhang mit der Strafaussetzung zur Bewährung heißt es, die Frage zu beantworten, ob jemand auch ohne Einwirkung des Strafvollzugs ein Leben ohne Straftaten führen werde. Unterstellt wird in diesen Vorschriften also eine regelmäßig anzutreffende Überlegenheit der Freiheitsstrafe gegenüber Geldstrafe einerseits, der unbedingten Freiheitsstrafe gegenüber der zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe andererseits. Dies gilt sowohl in spezial präventiver wie in generalpräventiver Hinsicht (mit Ausnahme der Strafaussetzung bei kurzer Freiheitsstrafe, wo die Verteidigung der Rechtsordnung als Versagungsargument nicht eingeführt werden darf, vgl. § 56 Abs. 3 StGB). Wie, so ist nun zu fragen, ist zu entscheiden, wenn eine Entscheidung über die Überlegenheit nicht getroffen werden kann, weil beispw. angenommen werden muß, daß eine Freiheitsstrafe wie Geldstrafe gleichermaßen nicht verhindern, daß weitere Straftaten auftreten werden. Dies betrifft insbesondere den Fall einer häufigen Tatwiederholung bei allerdings leichter Deliktsbegehung. Zu beobachten sind bislang drei Varianten der Verarbeitung. Regelmäßig dürfte aus § 47 StGB eine sozusagen normativ festgelegte Grundentscheidung des Gesetzgebers zur überlegenen spezialpräventiven Wirkung kurzer Freiheitsstrafen herausgelesen werden. Sodann kann dann, wenn begründet vermutet wird, daß sowohl unter der Bedingung einer Geldstrafe als auch unter der Bedingung einer kurzen Freiheitsstrafe mit weiteren Straftaten zu rechnen ist, aus dem Gesichtspunkt des Übermaßverbotes heraus, eine Entscheidung zugunsten der Geldstrafe fallen 77. Schließlich mag aus der offensichtlichen spezialpräventiven Wirkungslosigkeit von sowohl Geldstrafe als auch kurzer Freiheitsstrafe heraus auf den Gesichtspunkt der Verteidigung der Rechtsordnung ausgewichen werden und die härtere 77

So beispw. OLG Schleswig NJW 1982, S. 116.

3.6 Probleme der Folgenorientierung

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oder schwerere Strafe mit der Begründung unterlegt werden, daß eine gleichbleibende strafrechtliche Reaktion auf wiederholte Tatbegehung gleichsam die Resignation der Strafjustiz gegenüber dem unverbesserlichen Straftäter sichtbar mache, somit der Rechtsordnung widerspreche 78. Werden generalpräventive Erwägungen (negative Generalprävention) strafschärfend eingesetzt, so verlangt die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs neben der Beachtung der vor dem Hintergrund der Beachtung der Grenzen des Schuldspielraums verständlichen allgemeinen Begrenzung des Strafzwecks 79 sowie der durch die spezifische gesetzliche Strafandrohung bereits aufgesogenen präventiven Notwendigkeiten 80 offensichtlich Belege dafür, daß ein Anstieg des betreffenden Delikts tatsächlich beobachtet werden kann. Allerdings soll eine "einfache" Zunahme derselben oder ähnlicher Straftaten, wie sie zur Aburteilung anstehen, nicht ausreichen. Vielmehr muß es sich nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs um eine "gemeinschaftsgefährliche" Zunahme handeln 81. Unklar bleibt hier, wie eine derartige gemeinschaftsgefährliche Zunahme festgestellt werden kann 82. Schon diese Voraussetzung bleibt erheblichen Zweifeln ausgesetzt, selbst wenn man die weiter oben bereits verneinte Möglichkeit einer Steuerungsfähigkeit des Trends mittels einer generalpräventiv begründeten Strafschärfung als realistisch einstufen würde. Denn zweifellos müßte eine "gemeinschaftsgefahrliche Zunahme" prozeßordnungsgemäß festgestellt werden. Dabei stellt sich zunächst die Frage, wie die Rahmenbedingungen einer solchen Feststellung, nämlich die Festlegung von Zeit und Raum, gesetzt werden sollen. Dies betrifft das Problem, welche Zeiträume und welcher geographische Raum eine zweifelsfreie Identifizierung einer Zunahme bestimmter Delikte erlauben. Dies wird im wesentlichen eine Frage der methodischen und theoretischen Perspektive sein. So wird man zum eindeutigen Ausschluß von Zufallsschwankungen nur lange Zeitreihen von Kriminalitätsdaten zulassen dürfen. Natürlich wird die Feststellung von Zu- und Abnahme auch davon abhängen, welche Zeiteinheiten zugrundegelegt werden (Monat, Jahr etc.), schließlich auch davon, wo der Aus78 Vgl. hierzu BayObLG JZ 1989, S. 696, mit einer solchen Begründung wird freilich der Grundsatz der Eskalation strafrechtlicher Sanktionen im Falle wiederholter Tatbegehung unabhängig von den Einwirkungsmöglichkeiten immer durch das Erfordernis der Verteidigung der Rechtsordnung legitimiert. 79 BGH Strafverteidiger 1981, S. 235; BGH Strafverteidiger 1982, S. 166; BGH Strafverteidiger 1983, S. 501; BGH Strafverteidiger 1984, S. 71. 80 BGH Strafverteidiger 1982, S. 221; BGH Strafverteidiger 1983, S. 14, BGH NStZ 1983, S. 501; BGH Strafverteidiger 1984, S. 71. 81 BGH Strafverteidiger 1982, S. 521; BGH Strafverteidiger 1983, S. 195; BGH NStZ 1984,S. 409;BGHNStZ 1983,S. 501; BGHNStZ 1986,S. 358; BGHNStZ 1992,S. 275. 82 In BGH NStZ 1992, S. 275 hatte die Strafkammer, deren Entscheidung in einem Fall der Schutzgelderpressung generalpräventiven Bedarf anmeldete, die generalpräventive Strafschärfung auch mit dem bislang eher journalistisch auffällig gewordenen Dagobert Lindlau (Der Mob 1987) begründet. Dies hat offensichtlich Zustimmung gefunden, macht aber ebenso offensichtlich, wie dürftig die ,,Nachweise" ausfallen dürfen.

6 Albrecht

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3. Empirie und Strafmaßdifferenzierung

gangszeitpunkt bzw. der Ausgangszeitraum hinverlegt wird. Auch die Festlegung der Region, aus der Entwicklungen abgeleitet werden, bedarf der Begründung. Mehrere Möglichkeiten bieten sich an. So mag die Entwicklung der Kriminalität in einem eng begrenzten Raum (beispw. Stadtteil) unter dem Gesichtspunkt der Beschreibung und Erklärung sozialer Beziehungen sinnvoll erscheinen. Allerdings können auch für die Analyse der Trends in Gerichts- oder sonstigen Bezirken bedeutsame Fragestellungen vorliegen. Im übrigen kann auch auf größere Einheiten (Länder oder der gesamte Geltungsbereich des Gesetzes) Bezug genommen werden. Dabei kommt beiden Dimensionen, Zeit und Raum, erhebliche Bedeutung zu. Denn gerade in Deliktsbereichen, die jedenfalls aus dem Blickwinkel offiziell registrierter Kriminalität relativ seltene Ereignisse darstellen (und, so ist zu ergänzen, für generalpräventive Erwägungen wohl die eigentliche Zielgruppe darstellen), insbesondere Gewaltdelikte wie Raub, Vergewaltigung, Tötungsdelikte, dürfte die Entscheidung über die Rahmenbedingungen ausschlaggebend sein dafür, ob Zunahme, Abnahme oder gleichbleibender Verlauf beobachtet werden. Natürlich bleibt dann noch die Frage, was, über Zunahme allein hinaus, gemeinschaftsgefährliche Zunahme bedeuten soll. Mit dem Begriff der Gemeinschaftsgefahrlichkeit kann offensichtlich nur ein Sachverhalt gemeint sein, der durch eine drastische Steigerung des Viktimisierungsrisikos (also den Zustand der Gefährdung einer großen Zahl von Personen nach einem Zustand, der eher durch Einzelverletzungen charakterisiert ist) gekennzeichnet ist 83 • Der Begriff der Gefährlichkeit legt ferner eine Begrenzung des generalpräventiven Arguments auf besonders erhebliche Rechtsgutverletzungen nahe. Schon mit der Festlegung der vorstehend erörterten Grenzen erscheint eine brauchbare Lösung unter der Perspektive negativer Generalprävention durch Strafschärfung im Einzelfall unerreichbar. Nachhaltig gesichert wird diese Impression bei einer näheren Betrachtung der mit der Messung von Kriminalität bzw. Einzeldeliktsbelastung zusammenhängenden Probleme. Denn die Frage, ob und wie eine Zunahme bestimmter Delikte belegt werden kann, ist ja im wesentlichen umstritten. Unzweifelhaft ist, daß sowohl die polizeilich registrierte wie die zur Aburteilung gelangende Kriminalität bloß Ausschnitte aus demjenigen darstellen, was als tatsächlich auftretende Kriminalität bezeichnet werden kann 84. Muß man von dieser Feststellung ausgehen, so wäre deshalb zunächst zu fragen - hat man 83 Vgl. hierzu BezirksGer. Meiningen NStZ 1991, S.583, wo 32 Banküberfälle in Thüringen im Zeitraum 3.10.1990 und 27.2.1991 (im Vergleich zu 0 Banküberfällen vor der "Wende") als "explosionsartige" Zunahme bezeichnet werden, auf die mit generalpräventiver Strafschärfung reagiert werden müsse. Freilich liegt das dann verhängte Strafmaß von 4 Jahren und 6 Monaten unter der für eine schwere räuberische Erpressung vorgesehenen Mindeststrafe von 5 Jahren. Jedoch liegt das Problem der ,,zunahme" hier allenfalls darin, daß das bei Schaffung entsprechender Gelegenheiten (Banken) zu erwartende (westliche) Niveau erreicht wird, wobei im übrigen das besondere Problem der in der Neugründung von Bankfilialen in den neuen Bundesländern zunächst nicht erreichte Niveau an Sicherungen eine bedeutsame Rolle spielt. 84 Kaiser, G.: Kriminologie. Ein Lehrbuch. 2. Auf!. Heidelberg 1988.

3.6 Probleme der Folgenorientierung

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sich entweder auf die Nutzung polizeilich dokumentierter oder diejenige gerichtlich festgestellter Daten geeinigt - inwieweit ein Anstieg auf eine Erhöhung der Anzeigeneigung oder eine verstärkte Ermittlungstätigkeit der Strafverfolgungsbehörden zurückzuführen ist (bei gleichbleibender tatsächlicher Kriminalität). Hierzu bedürfte es wiederholter Opferbefragungen, die freilich ihrerseits nicht unumstritten sind und zweifellos nicht für alle Delikte und Deliktsbereiche in Betracht kommen 85. Insgesamt gesehen wären, nähme man den Belegnachweis für einen gemeinschaftsgefährlichen Anstieg eines Delikts ernst, die Implikationen im Hinblick auf die beweisrechtliche Seite des Strafverfahrens gewaltig. Denn es scheint nicht weiter begründungsbedürftig, daß die hiermit zusammenhängenden Fragen von einem Richter bzw. einem Gericht aus eigener Sachkunde heraus nicht beantwortet werden können. Freilich ist damit nur ein geringer Teil der Probleme aufgerissen. Denn könnte der Nachweis der Zunahme tatsächlich zur Überzeugung des Richters geführt werden, träte nun die Frage hinzu, wie und mit welchem Ziel eine so begründete Strafschärfung wirken sollte. Zur Auswahl stehen die (objektive) Eindämmung des Auftretens deliktischer Verhaltensweisen sowie die Stärkung des Vertrauens der Bevölkerung bzw. die Stärkung der subjektiven Sicherheit. Hier werden allemal komplexe kausale Zusammenhänge unterstellt, die eigentlich nur den Grad schlichten Verdachts erreichen können 86. Gerade in diesem Feld werden verkappte normative Lösungen sichtbar. Besonders deutlich wird die normative Lösung in der bereits weiter oben angesprochenen Entscheidung des BGH zur Schutzgelderpressung. Denn hieraus ergibt sich im wesentlichen, daß bereits ein einzelner im Geltungsbereich des Gesetzes aufgetretener Fall generalpräventiven Bedarf auslösen kann, dann nämlich, wenn es sich um eine Straftat handelt, die den Rechtsfrieden in erheblicher Art und Weise zu stören geeignet ist 87 . Eine normative Lösung des Problems der Folgenberücksichtigung in individualpräventiver Hinsicht schlägt auch Frisch jedenfalls für das von ihm so genannte "Mittelfeld der Fraglich-Fälle" vor 88 . Sein Ausgangspunkt besteht darin, daß die zur Festlegung des Prognosesachverhalts und zur Ableitung des Prognoseergebnisses notwendigen Erfahrungssätze nur die einigermaßen sichere Isolierung von Extremgruppen (prognostisch besonders günstig und prognostisch besonders ungünstig einzustufende Straftäter) zulasse. Im großen Mittelfeld erlaube jedoch auch die gesamte Ausschöpfung des relevanten Wissens lediglich die sog. "Fraglich-Prognose", also die Aussage, die Wahrscheinlichkeit erneuter Straftatbegehung ebenso groß sei wie diejenige künftiger Legalbewährung. Die Mittelfeldgruppe soll nunmehr im Wege einer "erfahrungsfundierten Interpretation"89 bzw. 85 Zusammenfassend Amold, H.: Kriminelle Viktimisierung und ihre Korrelate. Ergebnisse international vergleichender Opferbefragungen. ZStW 98 (1986), S. 1014 - 1058. 86 So auch Frisch, W.: a. a. O. 1987, S. 371. 87 BGH NStZ 1992, S. 275. 88 Frisch, W.: a. a. O. 1983, S. 49 ff. 6*

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3. Empirie und Strafmaßdifferenzierung

im Wege teleologischer Reduktion oder Extension der jeweiligen prognoseerfordernden Norm entweder der Rechtsfolge zugeordnet werden, die für besonders günstig Prognostizierte oder derjenigen, die für besonders ungünstig Prognostizierte vorgesehen ist. Der sich mittelbar ergebende Ertrag derartiger Normativierung soll insbesondere in der Beseitigung der Arbeitslast, die mit einer rechtsstaatlichen Anforderungen genügenden Prognose verbunden ist, bestehen. Denn für diese Fälle soll die Erstellung einer Prognose überflüssig sein. Jedoch stellt sich dann sofort die Frage, wie diese Gruppe identifiziert werden soll, wenn nicht die gesamten Erkenntnismöglichkeiten ausgeschöpft werden. Die hieraufbezogene Antwort, in einem schnellen "screening-Verfahren" könne anhand plausibler Anzeichen wie Vorstrafenbelastung, außerordentlich schlechtes Verhältnis zur Arbeit etc. die relevante Klientel identifiziert werden, begegnet allerdings Bedenken. Wären diese Anzeichen tatsächlich so eindeutig, dann bedürfte es wohl nur in seltenen Ausnahmefällen der Prognose, noch weniger wohl einer Veränderung der derzeitigen Praxis, die ja ganz offensichtlich auf diese Art und Weise verfährt 90.

3.6.2 Beschränkung der folgenbezogenen Entscheidung auf den Stand empirischer Forschung Die Tendenz, am Wortlaut der die Folgenberücksichtigung thematisierenden Normen festzuhalten, ist einmal im Vorschlag, auf Individualprognosen, wie in §§ 46 Abs. 1, S. 2, 47, 56, 57 StGB gefordert, in weitem Umfang zu verzichten und statt dessen im wesentlichen Individualprävention als begrenzendes Erfordernis aufrechtzuerhalten, festzustellen. Aus dem Befund, daß sich Rehabilitationsansätze im wesentlichen als unbegründet erwiesen hätten, wird gefolgert, daß sich die positivrechtlich geforderte Folgenberücksichtigung des § 46 StGB als Forderung interpretieren lassen müsse, negative Folgen der Sanktionierung, insbesondere des Strafvollzugs möglichst zu minimieren 91 und damit Folgen nur zugunsten eines Straftäters in Rechnung zu stellen, wenn positive Folgen schon nicht zu erreichen seien. Auf § 47 StGB angewendet bedeutet dann eine die empirischen Daten respektierende und wortgetreue Auslegung, den Anwendungsbereich auf "Null" zu reduzieren 92 • Denn wenn wegen fehlender Einwirkungsmöglichkeiten durch die Freiheitsstrafe Resozialisierung nicht erreicht werden kann, kann andererseits die geforderte Überlegenheit in spezialpräventiver HinFrisch, W.: a. a. O. 1983, S. 53. Vgl. hierzu die von Fenn, R.: Kriminalprognose bei jungen Straffälligen. Freiburg 1981, mitgeteilten Befunde aus einer Befragung von Richtern. 91 Schünemann, B.: Plädoyer für eine neue Theorie der Strafzumessung. In: Eser, A., Comils, K. (Hrsg.): Neuere Tendenzen der Kriminalpolitik. Freiburg 1987, S. 209-238; S.217. 92 Schünemann, B.: a. a. O. In: Eser, A., Comils, K. (Hrsg.): Neuere Tendenzen der Kriminalpolitik. Freiburg 1987, S. 209-238, S. 233. 89

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3.6 Probleme der Folgenorientierung

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sicht natürlich nie vorliegen. Eine Sicherungsfunktion kurzer Freiheitsstrafe kann ebenfalls nicht in Betracht gezogen werden. Vorstellbar wäre allein eine kurzfristige zeitliche Verlagerung von Straftaten. Wenn im übrigen die Verteidigung der Rechtsordnung mit dem Strafe überhaupt erklärenden Gedanken der positiven Generalprävention gleichgesetzt wird, dann bleibt tatsächlich kein Anwendungsbereich für kurze Freiheitsstrafen übrig. Eine entsprechende Vorgehensweise bei § 56 StGB beläßt dort im wesentlichen nur der nicht ausgesetzten Freiheitsstrafe auf der Basis der Verteidigung der Rechtsordnung einen beschränkten Anwendungsbereich. Denn ist die Vollstrekkung der Freiheitsstrafe nicht zur (im Vergleich zur ausgesetzten Freiheitsstrafe überlegenen) Besserung des Straftäters geeignet, so bleibt in individualpräventiver Hinsicht nur die Sicherungsfunktion vollstreckter Freiheitsstrafe, die wiederum nur von der Wahrscheinlichkeit eines (erheblichen, also rechtsgutsintensiven) Rückfalls abhängig gemacht werden dürfte. Damit würde die "Wahrscheinlichkeit des Rückfalls" Prognoseinhalt, nicht jedoch die Wahrscheinlichkeit der Legalbewährung ohne Vollstreckung der Freiheitsstrafe 93. Der verbleibende Anwendungsbereich soll außerhalb der durch allgemeine generalpräventive Bezüge gesetzten Grenzen liegen und im wesentlichen wohl durch Umwelt- und Wirtschaftsdelikte repräsentiert werden. Dabei dürfte allerdings weniger die fehlende Eindruckskraft nicht-freiheitsentziehender Sanktionen als Argument herangezogen werden können. Vielmehr handelt es sich dort, wo besondere Bedürfnisse für freiheitsentziehende Sanktionen gesehen werden, grundsätzlich um neue Kriminalitätsformen, hinsichtlich derer wohl weniger der Gedanke an die Verteidigung der Rechtsordnung eine Rolle spielt, sondern der Gedanke an die Durchsetzung und Akzeptanz neuen Rechts, also der Aufbau der Rechtsordnung. Der defensive Inhalt des Begriffs der Verteidigung der Rechtsordnung wird dadurch abgelöst zugunsten einer offensiven Bedeutung. Weiter wird vorgeschlagen, auf die Verwendung empirischer Sätze in Gestalt von Prognosen dann zu verzichten, wenn die empirisch ausgelegten Vermutungen und Annahmen von solcher Komplexität sind, daß realistischerweise an eine empirische Widerlegung gar nicht gedacht werden kann 94 oder wenn die Handlungsbedingungen, denen richterliche Entscheidungen unterworfen sind, von vornherein verhindern, daß die eine Prognose nur tragenden Grundlagen in das Verfahren eingeführt werden können 95 • Dem liegt die Vorstellung zugrunde, daß eine Begründung staatlicher Eingriffe, die gewichtige Anleihen bei der legitimationsfördernden Wirkung empirisch begründeter Zweckrationalität aufnimmt, nur dann akzeptabel sein könne, wenn die Standards, die an empirische Sätze angelegt 93 Schünemann, B.: a. a. O. In: Eser, A., Comils, K. (Hrsg.): Neuere Tendenzen der Kriminalpolitik. Freiburg 1987, S. 209-238, S. 234 f.; ähnlich Frisch, W.: a. a. O. 1983,

S.134. 94 95

Hassemer, W.: a. a. O. 1979, S. 50 f., für generalpräventive Folgen der Strafe. Hassemer, W.: a. a. O. 1982, S. 519 f.

3. Empirie und Strafmaßdifferenzierung

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werden müßen, erfüllt seien 96 • Hierzu gehört natürlich zuallererst, daß eine empirische Widerlegung potentiell möglich sein muß. Wird aber schein-empirisch verfahren, so liegt hierin die Gefahr der unzulässigen Täuschung begründet. Die Konsequenz eines gesetzgeberisch eingeführten, jedoch praktisch nicht ausführbaren Folgenkonzepts soll nun darin bestehen, daß dann, wenn die Grundlagen fehlen oder mangelhaft sind, eine Verschärfung der Sanktionierung nicht erfolgen darf. Die Einschränkung der Anwendung beispw. des § 46 Abs. 1 S. 2 StGB im Einzelfall lediglich zugunsten der Verurteilten entspricht somit im Ergebnis dem vorstehend skizzierten Vorschlag. Folgen sollen danach nur straf- und eingriffs begrenzend berücksichtigt werden, solange jedenfalls, wie einerseits die resozialisierenden Folgen der in §§ 47, 56 StGB alternativ erwähnten (unbedingten) Freiheitsstrafe nicht belegt sind, andererseits die zur Abschätzung von Sanktionsfolgen benötigten Prognosegrundlagen für die richterliche Entscheidung nicht zur Verfügung stehen. Jedoch dürfte eine solche Interpretation der folgeneinbeziehenden Vorschriften des StGB samt dem Resultat einer grundsätzlichen wohl insgesamt als Aufforderung an den Gesetzgeber verstanden werden können, eine Revision dieser Vorschriften vorzunehmen.

3.6.3 Entscheiden bei Unsicherheit Anhand des Beispiels positiver Generalprävention unternimmt Giehring den Versuch, auf der Basis einer Entscheidungstheorie, die Unsicherheit in den Entscheidungsgrundlagen theoretisch zu verarbeiten sucht, die Folgen angemessen zu berücksichtigen 97. Eingeschränkt auf den Bereich der individualpräventiv ausgerichteten Prognosen hat ferner Frisch ein Konzept vorgelegt, das sich mit den rechtlichen Konsequenzen der Unsicherheit bzw. Zweifeln in der Vorhersage befaßt 98. Maßgeblich ist im zuerst genannten Unternehmen eine zweckrationale Ausrichtung der Straftheorie, in deren Mittelpunkt Rechtsgüterschutz durch Prävention steht 99 • Im Gesetz selbst festgelegte Mindeststrafen und die nach Tatschuldgesichtspunkten vorzunehmende Strafmaßdifferenzierung entsprechen danach Strafniveauvorgaben des Gesetzgebers, dessen Einschätzungsprärogative den hierin gedeuteten zweckrationalen Gehalt als richtig setzt. Ausgangspunkt ist im übrigen eine der Spielraumtheorie ähnliche Variante der Festlegung einer Bandbreite von schuldmaßentsprechenden Strafen bei spezifischen Delikten, die abgeleitet werden soll aus den revisionsrechtlich tolerierten Strafmaßen. Mit den zur Verfügung stehenden Revisionsurteilen, die zum (vertretbaren) Strafmaß Stellung 96 97

98 99

So auch Giehring, H.: a. a. o. 1989; Frisch, W.: a. a. o. 1983. Giehring, H.: a. a. 0., S. 95 ff. Frisch, W.: a. a. o. 1983. Giehring, H.: a. a. 0., S. 97.

3.6 Probleme der Folgenorientierung

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nehmen, soll nun die nonnativ bestimmte Untergrenze schuldentsprechender Strafe festgelegt werden. Liegt diese Untergrenze fest, dann schließen folgenbezogene Entscheidungsregeln an, aus denen die im gesetzten Rahmen zweckrational richtige Strafe ennittelt werden soll. Dabei steht unter dem Ausgangspunkt eines präventiven, auf Rechtsgüterschutz zentrierten (wenn auch theoretisch nicht hierauf beschränkten), Strafzieles die Frage zur Beantwortung an, inwieweit über dem als noch schuldmaßentsprechend niedrigsten Strafmaß liegende Strafen zweckrationalen Zugewinn versprechen. Damit werden die Prognose und hieran zu richtende Anforderungen thematisiert. Die Prognosebasis soll dabei unter Einschränkung des Grundsatzes der freien richterlichen Beweiswürdigung anband allgemein anerkannten Erfahrungswissens hergestellt werden 100. Im Zusammenhang mit der Ennittlung des Prognoseinhalts, der die Rechtsfolge zuläßt oder ausschließt, geht es sodann angesichts des Inhalts "anerkannter kriminologischer Erfahrungssätze", der immer als Wahrscheinlichkeitsaussage zum Ausdruck kommt, um die Festlegung des Grades der Wahrscheinlichkeit, mit dem ein zweckrational günstigeres Ergebnis des (schwereren) Strafmaßes oder höheren Strafniveaus eintritt. Die Festlegung des Grades der Wahrscheinlichkeit erfolgt nicht zuletzt wegen der Verteilung des Fehlerrisikos zulasten der Verurteilten und zugunsten der Allgemeinheit (bzw. potentieller Kriminalitätsopfer) auf "etwa ein Drittel" oder eine gewisse, aber nicht überwiegende Wahrscheinlichkeit, die dafür sprechen müsse, daß durch die schwerere Strafe sozial-psychologische Wirkungen (im Sinne generalpräventiver Wirkungen) erzielt werden, die nach der Zielstruktur positiv bewertet werden müssen 101. Auch dieser Fonn der Folgenverarbeitung in der Strafzumessungsentscheidung stellen sich gewichtige Probleme. Zunächst dürften die anerkannten Erfahrungssätze, die ja im wesentlichen auf die allgemeine Kriminalitätsentwicklung bezogen sein müssen, wohl nicht identifiziert werden können. Denn nicht nur in den Theorien individuellen kriminellen Verhaltens, sondern auch in der Erklärung von Kriminalität auf der Makroebene läßt sich Theoriekonkurrenz beobachten, die bislang nicht entschieden ist und in der Aufbereitung des Prognosesachverhalts Auswirkungen erlangen müßte. Gleichwohl läßt sich aber, eingeschränkt auf die generalpräventive Fragestellung eine Vereinfachung im Vergleich zur individualpräventiven Fragestellung erreichen. Denn die Erfahrungssätze, die sich auf die Frage des allgemeinen Ertrags der Strafrechtsvariablen für die Vorhersage von Kriminalität insgesamt beziehen, können durchaus benannt werden. Insbesondere stellt sich hier natürlich das Problem der Wahrscheinlichkeitsaussagen oder des Probabilismus nicht in entsprechender Fonn. Da nicht die Einzelent100 In Anlehnung an Frisch, W.: a. a. O. 1983, S. 6 ff., 24 ff. wird zwischen Prognosesachverhalt und Erfahrungssätzen differenziert, wobei unter prinzipieller Gleichsetzung sozial- und naturwissenschaftlicher Gesetze vorgeschlagen wird, die richterliche Überzeugungsbildung auch im Prognosebereich grundSätzlich an das allgemein anerkannte Erfahrungswissen zu binden, Giehring, H.: a. a. 0., S. 105. 101 Giehring, H.: a. a. 0., S. 110.

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3. Empirie und Strafmaßdifferenzierung

scheidung zur Bewertung ansteht, sondern die Frage beantwortet werden soll, inwieweit eine durchschnittliche Strafschwere über ein Kollektiv und über den räumlichen Geltungsbereich der durchschnittlichen Strafschwere hinweg mit bestimmten allgemeinen Auswirkungen präventiver Art verbunden ist, kann eine Wahrscheinlichkeit regelmäßig gar nicht angegeben werden (ausgenommen natürlich eine Untersuchungssituation, in der eine Vielzahl räumlicher Einheiten in eine vergleichende Analyse einbezogen werden kann, die dann im Hinblick auf die Kriminalitätsentwicklung in Abhängigkeit von unterschiedlichen Strafschweren variiert). Die relevanten Erfahrungssätze müssen sich also auf die Frage beziehen, ob experimentell oder quasi-experimentell untersucht, schwerere Strafen mit einem besseren Rechtsgüterschutz verbunden waren. Für eine Verbesserung des Rechtsgüterschutzes spricht bislang aber weder das eher seltene gewillkürte Experiment noch die Evaluation natürlicher Experimente der Gesetzgeber oder der gerichtlichen Praxis. Freilich ist die Geltung der Forschungsbefunde auf das Ausmaß an Variation beschränkt, das durch Gesetz oder gerichtliche Praxis zugelassen wird. Jedoch demonstriert auch die international zu beobachtende (teilweise drastische) Variation in Strafart und Strafmaß bislang nicht, daß Strafdifferenzen erheblicher Art mit entsprechenden Unterschieden in der Kriminalitätsentwicklung Hand in Hand gehen würden 102. Im Ergebnis dürfte eine solche Art der Integration kriminologischer Befunde in die Strafzumessungsentscheidung mit einer permanenten Option für die Orientierung am weniger schweren Strafmaß und schließlich (wird an den von Schöch genannten Befund der "beträchtlichen Spielräume" erinnert 103) mit einer Orientierung an der gesetzlich zulässigen Mindeststrafe selbst verbunden sein. Insoweit muß aber eine solche Form der Folgenorientierung folgenlos bleiben. Mit ihr wird nur, begründet im Kern mit dem Übermaßverbot, reproduziert, was die strafrechtspraktisch bestimmte Variation im Strafmaß jeweils zuläßt. Ausschlaggebend ist vielmehr die jeweilige Untergrenze einer schuldrahmenentsprechenden Strafpraxis oder die Mindeststrafe des Tatbestands. Die Untersuchung von Frisch 104 kommt zu dem Ergebnis, daß eine erträgliche Behandlung von Unsicherheit in der Aussage über zukünftige Straffälligkeit oder Legalbewährung durch eine Scheidung der Fragen in diejenige nach der persönlichen Disposition zur Kriminalität, die auf der Basis wissenschaftlich begründeter Erfahrungssätze zur Überzeugung des Gerichts gegeben sein müsse, und in die Frage nach den jeweiligen kriminalitätsauslösenden Situationen, hinsichtlich derer Wahrscheinlichkeit des Auftretens ausreiche, ermöglicht werde. Jedoch ist eine solche Trennung, wie weiter oben bereits dargelegt, nicht tragfähig.

102 Vgl. hierzu die Nachweise in Jescheck, H.-H., Triffterer, O. (Hrsg.): Ist die lebenslange Freiheitsstrafe verfassungswidrig? Baden-Baden 1978. 103 Schöch, H.: a. a. O. 1990, S. 109. 104 Frisch, W.: a. a. O. 1983.

3.7 Zusammenfassung

89

3.7 Zusammenfassung Die Analyse der Folgenorientierung der Strafe und der Strafzumessung hat aufgewiesen, daß die hierdurch geforderte Einbeziehung externer Systeme in die strafrechtliche Entscheidung auch zur Übernahme komplexer Probleme führt, die im strafrechtlichen System selbst wiederum nicht entschieden werden können. Die praktische Lösung, die sich hier entwickelt hat, besteht in Vereinfachung und normativierender Vorgehensweise, mit der die komplexen theoretischen und methodischen Probleme, die anderen Disziplinen angehören, ausgeblendet werden und das eigentlich gesetzlich geforderte einzelfall bezogene Kalkül ersetzt wird durch ein Geflecht von Regeln, die Strafart und Strafmodifikationen separieren. Mit einer solchen Vorgehensweise wächst allerdings auch die Gefahr der Inkonsistenz in der Auswahl der entscheidungserheblichen Sachverhalte wie ihrer Bewertung, somit die Gefahr für Vorhersehbarkeit und Gleichbehandlung. Ein dem Konzept der empirischen Prognose eigentlich nur angemessenes Verständnis des Entscheidungsablaufs, an dessen Beginn die theoretischen Sätze samt ihrer Begründung stehen müßten, die die Erhebung des Prognosesachverhalts und seine Übersetzung in ein Prognoseergebnis steuern (und an dessen Ende die volle Revisionsfahigkeit der wesentlichen Prognoseschritte stehen würde), wird den Tatrichtern nicht abverlangt. Dies mag prozeßökonomischen Überlegungen entgegenkommen, verhindert freilich auch, daß sich sichere Strukturen der Verwertung von empirischen Erfahrungssätzen ausbilden. Jedoch deutet der Stand empirischer Sanktionsforschung an, daß strafrechtliche Sanktionen durchaus variieren können, ohne daß hierdurch entsprechende Veränderungen im Rechtsgüterschutz veranIaßt werden. Denn es steht außer Zweifel, daß das Strafrecht, die Strafe wie ihre Anwendung im Einzelfall nur Teil eines Gesamtsystems der Verhaltenskontrolle darstellen, aus dem heraus Rechtsgüterschutz und Prävention bzw. Verhaltens- und Handlungsmuster in einer Gesellschaft nur erklärt werden können. Insoweit hat die empirische Forschung aber nachgewiesen, daß die auf das Strafrecht (bzw. Variationen im Strafrecht) entfallenden Anteile recht bescheiden ausfallen. Das Bedürfnis nach einer generalpräventiv begründeten Variabilität der (Einzel-)Strafe schwindet damit aber drastisch. Denn mehr als Symbolik können so begründete Einzelstrafen nicht transportieren. Deshalb ist zunächst der generalpräventive Anspruch aus der Begründung von Unterschieden in den Einzelstrafen auszuscheiden. Hier würde nämlich eine Folge in der Begründung in Anspruch genommen, die nur dem Gesamtsystem der Verhaltenskontrolle eigen ist. Dem steht nicht entgegen, daß Strafrecht und Strafe andererseits als unverzichtbare Bestandteile dieses Systems und damit als notwendige Bedingungen für die Erzeugung von Normkonformität und Normstabilisierung konzipiert werden. Denn dieses Konzept setzt nur Notwendigkeit im Hinblick auf eine Reaktion an sich, nicht jedoch im Hinblick auf ihren Inhalt. Eine Strafmaßdifferenzierung kann aus generalpräventiven Gründen aber nicht erfolgen.

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3. Empirie und Strafmaßdifferenzierung

Soweit die in §§ 47, 56 StGB geforderten individualprognostischen Differenzierungen zwischen Strafarten und Strafmodifikationen betroffen sind, so ist zunächst zu akzeptieren, daß auf der Basis verfügbarer Erklärungen von Kriminalität und Rückfallkriminalität bloß Kollektivprognosen angemessen sind, die aber im Kern Zurechnung bedeuten. Freilich gälte es dann, die Zurechnungskriterien offenzulegen und die theoretischen Erwägungen zu präzisieren. Dies gilt natürlich ebenso für die allein präventionsorientierten Maßregeln der Besserung und Sicherung, die ja wegen der besonderen Problematik der Gefahrlichkeitsprognose auch besondere Offenheit in der Vorstellung der (nur theoretisch aufbereitbaren) Prognosegrundlagen bedürfen. Soweit derartige Prognosen Bedingungen enthalten, in denen wiederum Vermutungen über eine abgestufte präventive Kraft verschiedener Strafarten bzw. Strafmodifikationen zur Entfaltung kommen, so zeigen die Befunde empirischer Sanktionsforschung, daß eine Verbesserung der Prognose über eine Intensivierung der Reaktion nicht begründet wird. Die Hypothese einer Überlegenheit der unbedingten gegenüber der bedingten Freiheitsstrafe oder der Freiheitsstrafe gegenüber der Geldstrafe wurde bislang immer wieder widerlegt. Sie hat sich somit nicht als brauchbar erwiesen, die in solchen Entscheidungen entstehende Strafmaßdifferenzierung zu tragen. Somit bleibt im wesentlichen, wird der in §§ 47,56 StGB enthaltene Wille des Gesetzgebers nicht als gesetzliche Vermutung einer präventiven Überlegenheit der jeweils schwereren Strafe mißverstanden, nur die um die widerlegte Hypothese reduzierte Anwendung der Entscheidungsnorm. Besser wäre es jedoch, die bislang gewonnenen Befunde empirischer Sanktionsforschung in einer Neugestaltung der gesetzlichen Grundlagen der Trennlinien zwischen Geldstrafe und Freiheitsstrafe einerseits sowie bedingter und unbedingter Freiheitsstrafe andererseits aufzugreifen und die Strafzumessungsentscheidung von einer Aufgabe zu entlasten, die eigentlich eine Aufgabe des Gesetzgebers ist.

4. Die Einordnung der Straftat in den Strafrahmen 4.1 Die Bedeutung des Strafrahmens für die Strafzumessung Die Konkretisierung der Strafe in der Strafzumessungsentscheidung ist auch abhängig von dem jeweils anzuwendenden Strafrahmen. Gerade im Prozeß der Zuordnung eines konkreten Strafmaßes und der damit erfolgenden Einordnung des Strafzumessungssachverhalts in den Strafrahmen werden herausragende Bedingungen der Entstehung von Strafungleichheit vermutet, sind doch die Strafrahmen des Besonderen Teils des Strafgesetzbuchs einerseits von ganz erheblicher Weite gekennzeichnet und enden doch andererseits die strafzumessungstheoretischen Aussagen nach der Identifizierung der relevanten Strafzumessungstatsachen, der Festlegung der Strafzwecke und der Verknüpfung beider in einem Akt abwägender Gesamtbetrachtung 1, der zwar durch die Richtlinien des § 46 Abs. 2 StGB strukturiert wird, jedoch im wesentlichen in Ermessen endet. Die hiergegen einsetzende Kritik wird nirgendwo deutlicher zum Ausdruck gebracht als in dem Satz, daß man mit eben denselben Strafzumessungserwägungen offensichtlich auch weit auseinanderliegende Strafen rechtsfehlerfrei begründen könne. Dann wird die Strafzumessungslehre zu einem "Instrument der Spiegelfechterei", anstatt zur rechtlich begründeten Herstellung der Strafe beizutragen 2 • Wenn die Strafzumessungstheorie aber im wesentlichen Anleitungen dazu gibt, anband welchen allgemeinen Maßstabes eine Bewertung des strafzumessungserheblichen Sachverhalts erfolgen soll und darüber hinaus die präventive Zweckbestimmung keine eindeutigen und direkt in Strafquanten umsetzbaren Ergebnisse erlaubt, dann ist es plausibel, daß Erweiterungen vorgenommen werden. Diese Erweiterungen beziehen sich auf die Plazierung der (auf welcher theoretischen Basis auch immer) bewerteten Straftat im speziellen Strafrahmen sowie auf die hiermit verbundene Zuordnung der Straftat zu einer Strafgröße. Die normativen Grenzen einer solchen Erweiterung werden zunächst durch die gesetzlichen Rahmenbedingungen der Strafzumessung gesetzt, die sich äußern in allgemeinen Unter- und Obergrenzen zulässiger Strafe, in der Festlegung von 1 Grundlegend zur Systematik der Strafzumessung SpendeI, G.: Zur Lehre vom Strafmaß. Frankfurt 1954. 2 Frisch, W.: a. a. O. 1987; bestritten freilich von Bruns, H.-J.: a. a. O. 1988, S. 11 f., der darauf hinweist, daß Revisionsgerichte "fast immer" einen Grund fänden, in die Strafhöhenbestimmung korrigierend einzugreifen und sei es mit Hilfe von "Aushilfskonstruktionen". Allerdings wird damit gerade die These von Frisch unterstrichen, der eben ein solches Verfahren zu Recht als das eigentliche Dilemma versteht.

4. Die Einordnung der Straftat in den Strafrahmen

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speziellen Strafrahmen und in der Setzung von Bedingungen der Abweichung von solchen speziellen Strafrahmen. Nach den grundlegenden Begrenzungen der Hauptstrafen in §§ 39, 40 StGB, mit denen die unteren und oberen Grenzen der Freiheitsstrafe auf einen Monat und 15 Jahre, die der Geldstrafe auf 5 bzw. 360 Tagessätze festgesetzt werden, erfolgt die Festlegung der Unter- und Obergrenzen bei Einzeldelikten zulässiger Strafe in den Tatbeständen des Besonderen Teils. Der Strafrahmen gilt als Teil gesetzlicher Strafbemessung 3 und kennzeichnet nach einhelliger Auffassung sozusagen den gesetzgeberischen Anteil an der Strafzumessungsentscheidung 4 • Dabei stellt sich vor allem die Frage, wie weit dieser gesetzgeberische Anteil reicht und welche Implikationen normativer Art für die Strafbemessung folgen. Die Funktion des Strafrahmens liegt sodann in methodischer Hinsicht darin begründet, eine "zu-ordnende Denk- und Argumentationsweise" wiederzueröffnen, nachdem der klassifizierende Zugriff der tatbestandlichen Verhaltensqualifizierung abgeschlossen ist 5 • Mit dieser Funktion wird der Wiedereintritt in einen Lebenssachverhalt bezeichnet, der zunächst allein unter dem Gesichtspunkt der Feststellung der Verbrechensmerkmale evaluiert wurde. Ferner soll aus der gesetzlichen Vorgabe die Pflicht zur "straJrahmengetreuen Ausrichtung der Strafzumessung" folgen 6. Dies geht über die bloße Beachtung der gesetzlich fixierten Mindest- und Höchststrafen sowie die gesetzliche Festlegung der Strafart hinaus. Schließlich setzt in diesem Zusammenhang das Doppelverwertungsverbot von Strafzumessungserwägungen an, wie es in § 46 Abs. 3 StGB seinen Niederschlag gefunden hat. Das, was zur Festlegung der Strafrahmen gedient hat, darf im Hinblick auf die Konkretisierung der Strafe nicht noch einmal Verwendung finden.

4.2 Strafrahmenänderungen Modifikationen allgemeiner Art enthält § 49 StGB mit der Setzung von Strafrahmenänderungen bei gesetzlichen Milderungsgründen 7. Strafschärfungen allgemeiner Art sind nach der ersatzlosen Streichung des § 48 StGB im deutschen Strafrecht nicht mehr enthalten 8. Von ganz hervorragender Bedeutung sind im Jescheck, H.-H.: Strafrecht. Allgemeiner Teil. 4. Auflage, Berlin 1988. Maurach, R., Gössel, K. H., Zipf, H.: Strafrecht Allgemeiner Teil. 2. Teilband, 7. Aufl. Heidelberg 1989, S. 562. 5 Hassemer, W.: Die rechtstheoretische Bedeutung des gesetzlichen Strafrahmens. Bemerkungen zu Radbruchs Lehre von den Ordnungsbegriffen. In: Kaufmann, A. (Hrsg.): Gedächtnisschrift für Gustav Radbruch. Göttingen 1968, S. 281-290, S. 286. 6 Bruns, H.-J.: Das Recht der Strafzumessung. Köln u. a. 1985, S. 62; Zipf, H.: Die Strafmaßrevision. München 1969, S. 27. 7 Vgl. hierzu zusammenfassend Timpe, G.: Strafmilderungen des Allgemeinen Teils des StGB und das Doppelverwertungsverbot. Berlin 1983. 3

4

4.2 Strafrahmenänderungen

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System der Strafrahmen jedoch darüber hinaus die in einer Vielzahl von Einzeltatbeständen enthaltenen Strafrahmenänderungen für benannte und unbenannte minder schwere bzw. besonders schwere Fälle. In diesen Zusammenhang sind im übrigen auch die gesetzlichen Privilegierungen und die Qualifikationen zu stellen, die ja als besonders leicht oder als besonders schwer empfundenes Unrecht typisieren, damit auf den Normalfall bzw. den Durchschnittsfall des Delikts abstellen und in Absetzung von diesem Fall einen besonderen Strafrahmen anbieten. Ob mit dem hierdurch gesetzten System von Strafrahmen tatsächlich eine durchdachte, auch horizontal aufeinander Bezug nehmende Systematik erkennbar werden kann, die für die Strafkonkretisierung nutzbar ist, wie es Montenbruck vorschwebt 9 , erscheint jedoch fraglich. Dagegen spricht, daß Einzeldeliktstatbestände und dazu gehörende Strafrahmen sich über längere Zeiträume entwickelt haben, wobei bei Neueinführung von Tatbeständen eine Anpassung der bereits existierenden Strafrahmen im Hinblick auf eine vergleichende Unwertanalyse regelmäßig nicht erfolgt. Vielmehr blieben und bleiben derartige Anpassungen der Strafpraxis überlassen. Natürlich läßt sich eine gewisse Typisierung der Strafrahmen beobachten, eindrucksvoll beschrieben und belegt in Montenbruck's Analyse der Zusammenhänge zwischen Strafrahmen und Strafzumessung IO. Jedenfalls wird das Bemühen sichtbar, Flexibilität insbesondere im Zusammenhang mit hohen Mindeststrafandrohungen einzuführen. Nicht umsonst ist die Technik der minder schweren Fälle ja den Verbrechenstatbeständen verbunden. Dort, wo eine solche Flexibilität gesetzgeberisch nicht gestattet worden ist, wie im Falle des Mordes (§ 211), bleibt natürlich im Einzelfall ein Bedürfnis nach Unterschreitung der hier absoluten Strafe nicht aus. Die Konsequenz besteht dann offensichtlich in der Zuflucht zu dogmatisch fragwürdigen Konstruktionen l! und Rechtsschöpfung. Tatbestände, deren allgemeiner Strafrahmen jedoch die gesetzlich festgelegten Mindeststrafen (also Geldstrafe oder ein Monat Freiheitsstrafe) beinhaltet, finden in den prozessualen Vorschriften der §§ 153, 153a StPO eine, hier allerdings wesentlich prozeßökonomisch begründete, Abschichtung vergleichsweise leichter Fälle von den Durchschnittsdelikten oder Normaldelikten. Mit einer solchen in Strafrahmen und Strafrahmenänderungen sich äußernden Flexibilität stellt sich jedoch das Problem, auf welche Art und Weise gerade bei 8 Aufgehoben durch Art. 1 Nr. 1 des 23. Strafrechtsänderungsgesetzes, Bundestagsdrucksache 10 / 4391. 9 Montenbruck, A.: Strafrahmen und Strafzumessung. Berlin 1983; vgl. auch die Analyse von Hettinger, M.: Das Doppelverwertungsverbot bei strafrahmenbildenden Umständen. Berlin 1982, S. 80, der ein übergreifendes Prinzip in den Abschichtungen und Überschneidungen der Strafrahmen nicht zu erkennen vermag. IO Montenbruck, A.: Strafrahmen und Strafzumessung. Berlin 1983, S. 43 ff. l! In diesem Fall entsprechende Anwendung des § 49, vgl. hierzu BOHSt 30, S. 105 ff.; vgl. aber schon ROSt 74, S. 84 ff. (Badewannenfall) sowie BOHSt 18, S. 87 ff. Zusammenfassend Hassemer, W.: Die Formalisierung der Strafzumessungsentscheidung. ZStW 90 (1978), S. 64-99, S. 85 f.

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4. Die Einordnung der Straftat in den Strafrahmen

fakultativ mildernden Umständen einerseits und unbenannten minder schweren bzw. besonders schweren Fällen andererseits eine Abgrenzung zum Normaltypus des Delikts und im übrigen strafrahmeninterne Abschichtungen erfolgen sollen. Die Unabdingbarkeit einer begründeten und eindeutigen Abgrenzung ergibt sich nicht zuletzt aus dem Gebot, daß die Strafe bestimmt sein muß, der Gesetzgeber sich also nicht sozusagen selbst entmachten darf, indem er dem Gericht in der Strafpolitik "freie Hand" beläßt. Denn die weite Verwendung unbenannter minder und besonders schwerer Fälle hat dazu geführt, daß dem erkennenden Gericht jedenfalls im Kernstrafrecht, also in Fällen der Eigentums- und Vermögenskriminalität, in Gewalt-, Sexual- und Fälschungsdelikten fast durchgehend die gesamte Bandbreite allgemein zur Verfügung stehender Strafen offen steht. Dies schließt vor allem auch die unter Eingriffsgesichtpunkten und Rechtsgütereinbußen des Bestraften besonders bedeutsame Wabl zwischen einer freiheitsentziehenden und einer "ambulanten" Sanktion ein. Immerhin konnte bisher das Problem der Vereinbarkeit mit dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG nicht ganz ausgeräumt werden. Denn das Bestimmtheitsgebot erschöpft sich nicht ip der. Aufforderung, die Strafbarkeitsvoraussetzungen präzise festzulegen. Tatbestand und Rechtsfolge können vor dem Hintergrund des Art. 103 Abs. 2 GG nicht strikt getrennt werden 12. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht mehrfach die Verfassungsmäßigkeit der unbenannten besonders schweren Fällen bejabt I3 und sich dabei auch auf die in § 46 Abs. 2 StGB enthaltenen Anhaltspunkte als sichere Kriterien für die Auslegung berufen 14. Doch bleiben nicht nur für den denkbar schwersten Eingriff in Form der lebenslangen Freiheitsstrafe beispw. in § 212 Abs.2 StGB Bedenken 15. Denn auch die Eröffnung eines Strafrahmens von 5 Tagessätzen oder einem Monat Freiheitsstrafe bis hin zur Obergrenze der zeitigen Freiheitsstrafe von 15 Jahren wie im Falle der Urkundenfälschung (§ 267 Abs. 3 StGB) läßt an der Einhaltung des Bestimmtheitsgebots zweifeln 16. Eine Vorentscheidung des Gesetzgebers erfolgt hier nämlich nur insoweit, als die lebenslange Freiheitsstrafe ausgeschlossen wird 17. Freilich gilt dies auch für manche Strafrahmen bei Grundtatbeständen oder QualifIkationen, die über unbenannte minder schwere Fälle fast das gesamte Spektrum der Strafen abdecken. So läßt § 249 StGB eine Strafbreite zwischen einem und fünfzehn Jahren zu, in minder schweren Fällen des Raubes erfolgt eine Absenkung auf sechs Monate Freiheitsstrafe. Zwar wird hier nicht der Geltungsbereich der Regelgeldstrafe 12 Bergmann, M.: Die Milderung der Strafe nach § 49 Abs. 2 StGB. Heidelberg 1988, S. 37 ff. 13 BVerfGE 45, S. 363 ff.; BVerfG JR 1979, S. 28 ff. 14 BVerfGE 45, S. 363 ff., S. 372. 15 Bruns, H.-J. Anm. zu BVerfG JR 1979, S. 28 ff. 16 Maiwald, M.: Zur Problematik der "besonders schweren Fälle" im Strafrecht. NStZ 4 (1984), S. 433-440, S.440; Schünemann, B.: Nulla poena sine lege? Berlin, New York 1978, S. 7 f, S. 37 f. 17 Maiwald, M.: a. a. O. 1984, S. 440.

4.2 Strafrahmenänderungen

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nach § 47 Abs. 1 StGB berührt, doch immerhin der Bereich einer regelmäßigen Aussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung bei positiver Prognose (§ 56 Abs. 1 StGB). Der schwere Raub eröffnet im Zusammenhang mit minder schweren Fällen ebenfalls den Bereich zwischen einem und fünfzehn Jahren Freiheitsstrafe. Der Strafrahmen für den qualifizierten Tatbestand des schweren Raubes deckt sich also vollkommen mit dem für einfache Raubstraftaten vorgesehenen Rahmen. Hieraus folgt eigentlich, daß schwerste Fälle des einfachen Raubes denkbar sind, die dasselbe Strafmaß nach sich ziehen wie schwerste Fälle der Qualifikation. Es sei denn, der Strafrahmen des § 249 StGB würde auf zehn Jahre gekürzt, was von Montenbruck aus Gründen horizontaler Strafrahmensystematik vorgeschlagen wird 18. Ähnliches gilt für das Delikt der Vergewaltigung, wo ebenfalls durch minder schwere Fälle die Strafmöglichkeiten auf einen Bereich zwischen sechs Monaten und fünfzehn Jahren ausgedehnt werden. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts beläßt bislang dem Gesetzgeber bei der Festlegung von Strafrahmen einen denkbar weiten Spielraum. Die Gestaltungsfreiheit wird lediglich durch den Gleichheitsgrundsatz und durch das Übermaßverbot beschränkt 19. Dem entspricht es, wenn die Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Festlegung von Mindest- und Höchststrafen daran gebunden wird, daß eine Regelung zu schlechthin untragbaren Ergebnissen führt - gemessen an der Idee der Gerechtigkeit 20 • Eine solche Freiheit in der Gestaltung der Strafrahmen kann aber nur dann akzeptabel sein, wenn die Einordnung von Delikten in den Strafrahmen von sicheren Regeln beherrscht wird. Die Abschichtung von besonders leichten Fällen, Durchschnittsfällen und besonders schweren Fällen, wie sie sich in vielen Tatbeständen durch benannte oder unbenannte leichte und schwere Fälle äußert, bringt zunächst das Problem mit sich, ob hierdurch bloß eine generelle Strafrahmenerweiterung stattfindet oder besondere Strafrahmen gesetzt werden. Ferner ist danach zu fragen, ob und inwieweit Erkenntnisse, die sich auf die Konsequenzen der Durchsetzung der Tatbestände des Besonderen Teils mit einem System der Qualifikationen, Privilegierungen, benannten und unbenannten minder und besonders schweren Fälle beziehen, auch für den Zusammenhang "Strafzumessung und Normalstrafrahmen" fruchtbar gemacht werden können. 18 Montenbruck, A.: Zur Aufgabe der besonders schweren Fälle. NStZ 7 (1987), S. 311-314, S. 314; Montenbruck, A.: Strafrahmen und Strafzumessung. Berlin 1983, S.55. 19 BVerfGE 34, S. 261-268, S. 266; einschränkender Bruns, H.-I. Anm. zu BVerfG IR 1979, S. 28 ff.; Bergmann, M.: a. a. O. 1988, S. 42 sowie Schünemann, B.: a. a. O. 1978, S. 38. 20 BVerfG IZ 1979, S. 224-226, S. 226, die Vertretbarkeitsprüfung bleibt dabei denkbar unbestimmt, wenn auf den Maßstab der Gerechtigkeit abgestellt wird. Denn nicht vertretbar sind offensichtlich Verstöße gegen das Gleichheitsgebot sowie das Übermaßverbot, wobei insbesondere die Maßstäbe für das in der Entscheidung wohl wichtigste Argument des Übermaßverbots im Verhältnis zur Setzung von Strafrahmen im unklaren bleiben.

4. Die Einordnung der Straftat in den Strafrahmen

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4.3 Der Strafrahmen als Strafskala Die Problematik fakultativer Strafmilderungen nach § 49 Abs. 1 StGB sowie die Probleme unbenannter minder und besonders schwerer Fälle spezifischer Delikte werden in der Regel im Geltungsbereich des Doppelverwertungsverbots verortet 21 • Denn wenn erst eine Gesamtschau aller strafzumessungserheblichen Umstände des Einzelfalls die Veränderung des Strafrahmens begründen kann 22 , bleibt natürlich fraglich, inwieweit die so verbrauchten Merkmale nun in einem zweiten Schritt in den Prozeß der Einordnung der Straftat in den Strafrahmen noch einmal verwertet werden können. Freilich stellt sich auch dem hiervon abgesetzten Vorschlag, den veränderten Stafrahrnen samt dem Normalstrafrahmen in einem einzigen Gesamtstrafrahmen aufgehen zu lassen 23, ein gewichtiges Problem. Denn ein derartiger Gesamtstrafrahmen wäre natürlich von ganz erheblicher Weite. Hier bleibt offensichtlich nichts anderes übrig, als die Auslösung der Strafrahmenänderung an eine "generalisierende Betrachtungsweise" zu binden, mit der Wertgruppen gebildet werden, die wiederum an positivrechtliche Vorentscheidungen anknüpfen 24. Insgesamt gesehen dürfte zunächst unbestreitbar sein, daß durch die Setzung von Sonderstrafrahmen, sei es bei Qualifikationen, die wiederum mit minder schweren Fällen versehen sind (beispw. §§ 177, 250 StGB), sei es durch Regelbeispiele in Form des § 243 StGB, sei es durch gesetzliche Milderungsgründe oder durch unbenannte minder oder besonders schwere Fälle, die Funktion einer Strafrahmenerweiterung erfüllt wird. Mehr wird hierdurch nicht geleistet 25 • Die Funktion von Signalsetzungen und hieraus resultierende Stützung von Rechtssicherheit sind aber sicher nicht regelmäßig durch die Technik unbenannter strafändernder Fälle, ja nicht einmal bei der Setzung von Regelbeispielen oder gar Qualifikationen erzielbar. Denn offensichtlich läßt bereits die akzeptierte Interpretation allgemeiner Strafrahmen als Skala, die die tatbestandsmäßig erfaßten Verhaltensweisen vom leichtesten bis zum schwersten Fall abzubilden in der Lage sein solle, eine derartige Wirkung zu. Signalwirkung entfaltet insoweit allein das ins Auge gefaßte Strafmaß, da die Nähe zum oberen Strafrahmen einerseits und Zusammenfassend Bergmann, M.: a. a. O. 1988, S. 21 ff. BGHSt 23, S. 257; BGH NStZ 1983, S. 407; Dreher /Tröndle Anm. 41 zu § 46. 23 Zipf, H.: Strafmaßrevision. München 1969, S. 28. 24 Kastenbauer, A: Die Regelbeispiele im Strafzumessungsvorgang. Dargestellt am Beispiel des Diebstahls in einem besonders schweren Fall. München 1986, S. 241 f., S. 361 f.; Montenbruck, A: Zur Aufgabe der besonders schweren Fälle. NStZ 6 (1987), S. 311-314, S. 313; Bergmann, M.: a. a. O. 1988, für Ermessensmilderungen nach § 49 Abs.2 StGB. 25 Beschränkt auf unbenannte Strafänderungsgründe spricht Zipf von einer getarnten generellen Strafrahmenerweiterung, Maurach, R., Gössel, K. H., Zipf, H.: Strafrecht Allgemeiner Teil. Band 2. 5. Auf!. Heidelberg, Karlsruhe 1978, S. 419; vgl. schon Zipf, H.: Strafmaßrevision. München 1969, S. 28; zustimmend Maiwald, M.: Zur Problematik der "besonders schweren Fälle" im Strafrecht. NStZ 4 (1984), S. 433-438, S. 436. 21

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4.3 Der Strafrahmen als Strafskala

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zum Mindeststrafmaß andererseits im Zusammenhang mit einem tatorientierten Schuldstrafrecht regelmäßig besondere Begründungspflichten impliziert. Von daher dürfte sich der Unterschied zwischen der Nutzung von allgemeinen Normalstrafrahmen und abgeschichteten Sonderstrafrahmen in einem eher technischen Kriterium erschöpfen. Durch den Sonderstrafrahmen wird eine Zäsur gesetzt 26 , Normalstrafrahmen dagegen normieren in den Worten Bruns, der so die Überlegungen Drehers übernimmt und fortführt, eine gleichsam unsichtbare kontinuierliche Schwereskala 27. Nun führt das Postulat des kontinuierlich auszufüllenden Rahmens allein nicht weiter. Denn selbstverständlich gibt diese Erwägung lediglich die Aufforderung wieder, leichte von schweren Delikten zu unterscheiden und die im Strafrahmen enthaltenen Strafgrößen nicht zufallig oder willkürlich über den Tatbeständen zugeordnete Sachverhalte zuzuschreiben. Eng damit verknüpft ist die Frage der Gleichmäßigkeit bzw. der Gleichbehandlung in der Strafzumessung, denn für die Einordnung bedarf es rechtlich legitimierter Maßstäbe, die im Prozeß der Einordnung gleichmäßig Verwendung finden müssen. Die Gleichmäßigkeitsfrage läßt sich wiederum aufspalten in zwei Dimensionen, nämlich in eine vertikale und in eine horizontale Dimension. Die vertikale Dimension bezieht sich auf die delikts interne Abstufung, die horizontale auf den Vergleich verschiedener Delikte und den ihnen zugeordneten Strafrahmen. Gleichbehandlung oder Gleichmäßigkeit in der Strafbemessung sind somit verbunden mit dem Problem der Vergleichbarkeit der zu beurteilenden Sachverhalte. Es bedarf damit der komparativen Betrachtung als methodische und theoretische Grundlage der Herstellung der Strafe, wenn Gleichmäßigkeit oder Ungleichbehandlung feststellbar und sodann mit normativen Konsequenzen versehen werden sollen. In der Erörterung des Problems fließen unterschiedliche Erwägungen zusammen. Denn einmal geht es um die Zerlegung des Strafrahmens in eine Skala von Strafschwere, sodann um die Skalierung der Deliktsschwere, schließlich um die Zusammenführung von Strafschwere und Deliktsschwere. Die vertikale Dimension der Vergleichbarkeit wird angesprochen in der Erörterung des ,,Einstiegs" in den Strafrahmen, bzw. der Umsetzung der ,,kontinuierlichen Schwereskala" in Form der Einordnung der konkreten Einzelfalle. Angeboten werden hier verschiedene Begriffe, wie Regelfall, Normalfall, Durchschnittsfall, gedanklicher Durchschnittsfall, denkbar schwerster Fall, Fall mittlerer Schwere, denkbar leichter Fall.

26 Maurach, R., Gössel, K. H., Zipf, H.: Strafrecht Allgemeiner Teil. Band 2. 5. Aufl. Heidelberg, Karlsruhe 1978, S. 419. 27 Bruos, H.-I.: Strafzumessungsrecht. 2. Aufl. 1974, S.83; Dreher, E.: Über die gerechte Strafe. Eine theoretische Untersuchung für die deutsche strafrechtliche Praxis. 1947; Dreher, E.: Über Strafrahmen. In: Frisch, W., Schmid, W. (Hrsg.): Festschrift für H.-I. Bruos zum 70. Geburtstag, Köln u. a. 1978.

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4. Die Einordnung der Straftat in den Strafrahmen

4.4 Maßstäbe der Deliktsschwere: Regelfall, Normalfall, Durchschnittsfall Bezweckt ist die Zerlegung des gesetzlichen Strafrahmens in eine Skala, die die Schwere widerspiegelt. Damit tritt zunächst Konkurrenz auf. Denn auch Straftheorien und Strafzumessungstheorien beanspruchen ja, die Tatschuld und damit die Schwere des Delikts festzulegen. Somit wäre zu fragen, ob und inwieweit der Durchschnitts- oder Regelfall zusätzliche bzw. andere Aufgaben wahrnimmt als die Strafzumessungstheorie selbst. Im Verhältnis zwischen Strafzumessungstheorie und der Erklärung der Einordnung des deliktischen Sachverhalts in den Strafrahmen bzw. der Zuordnung einer bestimmten Strafe werden die Konturen einer auf Anwendung zielenden Theorie sichtbar. Jede Theorie, die auf Verwendung in der Praxis, somit auf Praxisrelevanz abhebt, bedarf der Aufnahme der Anwendungsbedingungen in die Theorie selbst. Da jedoch die Strafzumessungstheorien in ihrer heutigen Gestalt über die Einordnung des deliktischen Sachverhalts in besondere Strafrahmen keine Auskunft geben, vielmehr in identischen abstrakten Begriffen auf das verschuldete Unrecht Bezug nehmen, bedarf es methodisch und theoretisch begründeter Erweiterungen. Die Theorie gibt die allgemeinen Maßstäbe her, die Operationalisierung der Maßstäbe und die hierin wirksamen Methoden müssen notwendigerweise die Maßstäbe ergänzen. Der Begriff des Regelfalls erlaßt die typische, häufig vorkommende, alltägliche Deliktsbegehung 28 • Der Begriff des Regelfalls soll ferner einen praktikablen Parameter darstellen, der einen deliktischen Vergleichsmaßstab hergibt und die Einordnung der Straftat auf der Strafrahmenskala erlaubt 29 • Der Regelfall soll sich im übrigen vom Durchschnittsfall unterscheiden. Die Antwort auf die Frage aber, ob der Begriff des Regelfalls das ihm Angesonnene in der Bestimmung der Strafe tatsächlich leistet, ist im wesentlichen umstritten 30. Die Meinungen reichen vom Standpunkt, daß die Bildung eines Regelfalls grundsätzlich nicht möglich sei 31 bis hin zur Einschätzung, daß allein die Fort- und Weiterentwicklung des Regelfallgedankens Hoffnung für ein Minimum an Fortschritt hin zu einer wirklich rationalen Strafzumessung lasse 32 • Grundlegend BGHSt 27, S. 2 ff. So beispw. Günther, H.-L.: Systematische Grundlagen der Strafzumessung - Eine Bestandsaufnahme. JZ 1989, S. 1025-1030, S. 1029. 30 Vgl. nur Hettinger, M.: Das Doppelverwertungsverbot bei strafrahmenbildenden Umständen. Berlin 1982, S. 149 ff.; Streng, F.: Aspekte der Fortentwicklung des Strafzumessungsrechts durch die Gerichte. In: Festschrift der Juristischen Fakultät zur 600Jahres-Feier der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg: Richterliche Rechtsfortbildung. Erscheinungsformen, Auftrag und Grenzen. Heidelberg 1986, S. 501-524. 31 So beispw. Zipf, H.: Strafmaßrevision. München 1969, S. 78; Hettinger, M.: Das Doppelverwertungsverbot bei strafrahmenbildenden Umständen. Berlin 1982, S. 149 ff.; Montenbruck, A.: Strafrahmen und Strafzumessung. Berlin 1983, S. 38 spricht von leeren Hülsen. 32 So Horn, E.: Strafschärfung und Strafmilderung - im Verhältnis wozu? Strafverteidiger 6 (1986), S. 168-170, S. 169. 28 29

4.4 Maßstäbe der Deliktsschwere

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Dabei sind die Ausgangspunkte denkbar einfach und klar. Niemand bestreitet, daß Delikte sich von der Schwere her gesehen unterscheiden. Entsprechendes gilt dafür, daß Delikte entsprechend ihrer Schwere in den Strafrahmen eingeordnet werden müssen. Nun gibt es in der Erörterung des Regelfalls, seiner Gewinnung und seiner Bedeutung Äußerungen, die offensichtlich in verschiedene Richtungen weisen können. So läßt die Ausgangsbedingung, die der Bundesgerichtshof setzt, den Schluß auf eine Verteilungsannahme zu. Es heißt nämlich, auf Grund der Weite der Straftatbestände und der Strafrahmen erreiche die Mehrzahl der Delikte nur einen verhältnismäßig geringen Schweregrad. Impliziert sein könnte damit die Ablehnung einer im statistischen Sinne normalverteilten Schwere, allerdings auch die Ablehnung einer normalverteilten Strafe und das Postulat beispw. einer J-förmigen Verteilung von Deliktsschwere und Strafe. Impliziert sein könnte freilich auch eine Bewertung der Strafrahmen, wenn nämlich die Argumentation darauf hinausliefe, daß der größere Teil der Fälle nur deshalb geringe Schweregrade erreiche, weil der Strafrahmen so weit sei. Sicher ist zunächst, daß die beobachtbaren und beobachteten Strafen nicht im statistischen Sinn normalverteilt sind. Dies hat bereits Exner betont und kann heute anhand der publizierten Strafverfolgungsstatistiken ohne weiteres reproduziert werden 33. Der Schluß hieraus, daß nämlich dann auch die Deliktsschwere nicht normalverteilt sein könne, die Verteilung also derjenigen der Strafe folge, ist natürlich ebenfalls möglich. Jedoch ist ein solcher Schluß nur dann gerechtfertigt, wenn davon ausgegangen werden kann, daß die empirisch beobachteten Strafen richtig zustandegekommen sind, also in ihrer Bestimmung selbst die jeweilige Schwere der Delikte reflektieren. Allerdings gehen die Annahmen zum Regelfall über die Festlegung der (natürlich ganz präzise bestimmbaren) durchschnittlich verhängten Strafe im Sinne eines statistischen Mittelwerts entgegen der Meinung von Hettinger, der eben dies unterstellt, hinaus 34• Denn wenn sich der Regelfallbegriff in der Benennung des Mittelwerts erkannter Strafen erschöpfte, käme ihm natürlich keinerlei Relevanz zu, sieht man davon ab, daß er Probleme schüfe, so beispw. die Festlegung des Zeitraums, der Region etc., aus denen die Fälle entnommen werden sollen, anhand derer die Verteilung und der Mittelwert gebildet werden. Freilich 33

Exner, F.: Studien über die Strafzumessungspraxis deutscher Gerichte. Leipzig

1931.

34 Hettinger, M.: Das Doppelverwertungsverbot bei strafrahmenbildenden Umständen. Berlin 1982, S. 149, mit dem Hinweis, der Regelfall beruhe ausschließlich auf einem statistischen (ermittelbaren) Wert; allerdings wird in BGHSt 27, S. 2 ff. tatsächlich vom Regel- und vom Durchschnittsfall gesprochen, dem dann, nämlich nach seiner Schwereeinordnung, eine bestimmte Strafe aus dem Strafrahmen zugeordnet werden müsse. Freilich bleibt der Bundesgerichtshof bei der formalen Abgrenzung der Begriffe "Regelfall" und "theoretischer Durchschnittsfall" stehen, ohne die inhaltliche Seite zu berühren, also zu erklären, was den Regelfall über die formalen Eigenschaften hinaus kennzeichnet. Dies war im konkreten Fall auch gar nicht erforderlich, weil das Tatsachengericht ganz eindeutig von den formalen Eigenschaften eines Regelfalls (im Sinne des gewöhnlich vorkommenden Falls) ausging und dafür die der Mitte des Strafrahmens entsprechende Strafe, die allein einem Durchschnittsfall angemessen gewesen wäre, aussprach.

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4. Die Einordnung der Straftat in den Strafrahmen

handelte es sich dann auch nicht um einen Regelfall oder ein Regeldelikt, sondern um eine Regelstrafe, über deren Festlegung hinaus aber offenbliebe, wie sich der Regelfall begründen und beschreiben läßt. Ferner kann der Regelfall auch kein bloßes äußeres Validitätskriterium darstellen, mit dem sozusagen das richtige Strafmaß, das bereits bestimmt wurde, einer Gültigkeitsüberprüfung unterzogen wird. Zu unterscheiden sind die Begriffe Regelfall und Regelstrafe. Beide sind zunächst voneinander unabhängig. Der Regelfallbegriff soll ja zur Einordnung des konkreten, zur Entscheidung stehenden Falles in den Strafrahmen verhelfen. Denn natürlich kann einerseits danach gefragt werden, welcher Fall der erfahrungsgemäß häufigste Fall ist, andererseits hiervon getrennt die Antwort auf die Frage untersucht werden, welche Strafe für den Regelfall angemessen sein soll. Dem muß freilich die Klärung der Frage vorausgehen, ob und wie Straftaten in normativer und vergleichender Hinsicht beschrieben und in ihrer Schwere dargestellt werden können.

4.5 Die Funktion des Regelfallbegriffs Offensichtlich soll der Regelfallbegriff eine wichtige Funktion erfüllen, und zwar eine Funktion, die von der Straf- und Strafzumessungstheorie nicht geleistet wird 35. Dies zeigt sich auch an der systematischen Verortung des Regelfallbegriffs. Er folgt als letzter Schritt der Strafzumessung, als letzter Akt der Konkretisierung der Strafe, legt man bekannte Systematik zugrunde 36, ist also Teil der Konkretisierung selbst. Dieser letzte Akt der Konkretisierung kennzeichnet jedoch auch die entscheidende Phase der Strafzumessung. Denn hier wird die Höhe der Strafe, das Strafmaß selbst bestimmt. Hier liegt, wie Frisch zu Recht betont, die eigentlich entscheidende Phase der Strafzumessung, an dieser Stelle muß sich der Wert der theoretischen Überlegungen erweisen 37 • 35 Vgl. beispw. Streng, F.: Die Strafzumessungsbegründung und ihre Orientierungspunkte - ein Beitrag zur Idee und Praxis vergleichender Strafzumessung. NStZ 9 (1989), S. 393 -400, S. 393, wo ausgeführt wird, daß mit dem abzuurteilenden Fall nicht zugleich wertungsautonom und zielgenau in die ,,richtige" Stelle des Strafrahmens gesprungen werden könne, was wohl heißen soll, daß die Strafzumessungstheorie, auf den einzelnen Fall angewendet, aus sich heraus allein, keine Konkretisierung des Strafmaßes erlaubt. 36 Vgl. beispw. Günther, H.-L.: Systematische Grundlagen der Strafzumessung Eine Bestandsaufnahme. JZ 1989, S. 1025-1030, wo in einem achtstufigen Modell der Strafzumessung die über den Regelfall vermittelte Einstufung in den Strafrahmen an sechster Stelle steht, gefolgt nur noch von den systematischen Stufen der Strafzumessung im weiteren Sinn sowie deren Rückwirkung auf die Strafzumessung im engeren Sinne (die an dieser Stelle unberücksichtigt bleiben); Bruns, H.-J.: Das Recht der Strafzumessung. Eine systematische Darstellung für die Praxis. 2. neu bearbeitete und erweiterte Auflage, Köln u. a. 1985, S. 60 (Letzter sozialer Gestaltungsakt des Strafzumessungsvorgangs). 37 Frisch, W.: Gegenwärtiger Stand und Zukunftsperspektiven der Strafzumessungsdogmatik. ZStW 99 (1987), S. 751-805, S. 793.

4.5 Die Funktion des Regelfallbegriffs

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Verfolgen wir den VOn Bruns vorgestellten Gedankengang, so leuchtet allerdings nicht ein, warum eine so gestaltete Konkretisierung erfolgreich sein soll, das heißt, für richtige Ergebnisse sorgen soll. Die zunächst triviale Erkenntnis, daß der Strafrahmen einer Skala analog betrachtet werden kann, an deren unterem Ende die denkbar leichtesten Fälle und an deren oberem Ende die denkbar schwersten Fälle angesiedelt werden sollen, bzw. nach dem Willen des Gesetzgebers angesiedelt sind, erlaubt natürlich keine Einordnung des Einzelfalles, sie verhindert per se weder ein "Vergreifen in der Höhenlage" oder in der Oktave, noch ist der Begriff der Wertskala aus sich heraus zum "überragenden Ordnungsprinzip" geeignet 38 • Richtig ist allein, daß sich Ordnung erst dann ergeben kann, wenn skaliert wird, ein formales Prinzip, das überall richtig ist, wo Einstufung oder Einordnung samt der Herstellung nachvollziehbarer und gleichmäßiger Abstände erfolgen sollen, in sich aber nicht die inhaltlichen (oder theoretischen) Kriterien trägt, die eine Einordnung erlauben bzw. begründen. Mit anderen Worten: aus einer Skala läßt sich nur das herausholen, was vorher theoretisch und praktisch in sie investiert worden ist. Die Ordnungsfunktion soll sich durch die korrekte Unterscheidung zwischen dem denkmäßigen Durchschnittsfall und dem Regelfall als empirisch häufigstem Fall noch weiter befördern lassen. Bedeutung können die Vorstellungen vom Regelfall, vom theoretischen Durchschnittsfall sowie vom Strafrahmen als kontinuierlicher Schwere skala allerdings nur dann bekommen, wenn sie tatsächlich theoretisch begründet werden. Eine empirisch-phänomenologisch ausgerichtete Herangehensweise wird dagegen in Probleme führen. Weniger Gewicht haben dagegen die Einwände, die sich auf eher methodische Fragen der Feststellbarkeit des "erfahrungsgemäß häufigsten Falls" beziehen. Sie bleiben zwar durchaus von Bedeutung. Sie können aber erst dann zum Tragen kommen, wenn prinzipiell die Bedeutung von "Schwere" gesichert ist, das heißt, wenn die Schwere des Delikts festgestellt, beobachtet oder auch bloß gedacht werden kann. An dieser Stelle ist zurückzugehen zu der Frage, inwieweit die Durchschnitts- oder Regelfallbegriffe als unabhängig von der Straf- und Strafzumessungstheorie konzipiert werden können, auf die sie sich beziehen. Ist das Konkretisierungspotential der Strafzumessungstheorie aufgebraucht, so wäre hieran anzuschließen die Frage, wie sich der Regel- oder Durchschnittsfall begründen läßt, ohne auf die in der Strafzumessungstheorie bereits verwendeten Variablen bzw. Merkmale zurückzugreifen. Gerade hier bricht das bislang nicht gelöste Problem der Strafzumessungstatsachen samt ihrer Bewertung auf. Denn die bisherige Strafzumessungsdogmatik hat sich einerseits zwar in erstaunlichem Umfang um die Aufzählung und Systematisierung von Strafzumessungstatsachen bemüht3 9 • Doch reicht diese Form der Aufbereitung ersichtlich nicht aus, die Einordnung in den Strafrahmen 38 Bruns, H.-J.: Das Recht der Strafzumessung. Eine systematische Darstellung für die Praxis. 2. erweiterte und neubearbeitete Auflage, Köln u. a. 1985, S. 60 f. 39 Vgl. nur Bruns, H.-J.: Das Recht der Strafzumessung. 2. Aufl. 1974.

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4. Die Einordnung der Straftat in den Strafrahmen

mit der eigentlich erforderlichen Eindeutigkeit zu vollziehen. Die Identifizierung von Strafzumessungstatsachen, die Festlegung ihrer Bewertungsrichtung, ihre Verknüpfung mit einzelnen Strafzwecken und die geforderte Gesamtabwägung geben allenfalls eine deutliche Beschreibung des maßgeblichen Sachverhalts her. Die so vollzogenen Erkenntnisschritte erlauben jedoch noch keine begründete und eindeutige Plazierung im Strafrahmen, sieht man von plausibilitätsgetragenen Erwägungen ab, die den Strafzumessungssachverhalt eher an das untere Ende oder in die Mitte etc. des verfügbaren Strafrahmens verlegen. Angesichts der Weite der Strafrahmen führt dies aber nicht weiter. Offensichtlich wird gerade deshalb teilweise eine Begründung induktiver Art versucht. Dies klingt bei Bruns in allerdings etwas anderem Zusammenhang an, wenn nämlich einerseits zum Problem der besonders schweren Fälle vorgeschlagen wird, auf rein empirischer Ebene Beispiele induktiv-kasuistisch zu entwikkeIn, andererseits behauptet wird, der Regelfall ergebe sich "vorwiegend aus den praktischen Erfahrungen mit der Alltagskriminalität"4O. Ähnliche Überlegungen läßt Streng anklingen, wenn er davon spricht, bei häufiger vorkommenden Delikten orientiere man sich regelmäßig an mehr oder weniger vergleichbaren Fällen, für die das ,,richtige" oder übliche Strafmaß als bekannt gelte 41 • Gestützt wird dies durch den Hinweis auf Unterschiede im methodischen Zugang im Bereich der Tatbestandsfeststellung einerseits und der Rechtsfolgenbestimmung andererseits. Klassifizierendes Denken kennzeichne die Subsumtion der beobachteten Sachverhalte unter die abstrakte Begrifflichkeit des Tatbestands, typisierendes Denken charakterisiere die Ausfüllung des Strafrahmens durch Ordnung der Lebensvorgänge, die als Strafzumessungssachverhalt in Frage kommen. Dies wurde eingangs bereits erwähnt und grundsätzlich akzeptiert. Jedoch heißt dies nicht, daß nunmehr voraussetzungslos, bzw. unter bloßem Rückgriff auf die Vorstellung vom Strafrahmen als Schwereskala und auf den insoweit natürlich identischen Willen des Gesetzgebers, konkrete deliktische Sachverhalte in eine Rangfolge zu bringen, eine typisierende, zu-ordnende Erkenntnis (über die Einordnung und den Rang) der Schwere einer Straftat möglich wäre. Dies wird auch nicht dadurch ermöglicht, indem in den Entscheidungsvorgang ein vergleichender Akt eingepaßt wird, einem Ankerwurf entsprechend, der den Verweis auf und den Abgleich mit ähnlichen Fällen enthält. Denn ein solcher Rekurs mag praktiziert werden 42 • Jedoch bestünde eine plausible Lösung durch ein solches Verfahren nur dann, wenn sicher davon ausgegangen werden könnte, daß die bisherige Praxis richtig verfahren ist. Die Praxis hätte auf diesem Wege allerdings nur 40 Bruns, H.-J.: Die Bedeutung des Durchschnitts-, des Regel- und des Normalfalls im Strafzumessungsrecht. JZ 1988, S. 1053- 1058, S. 1057. 41 Streng, F.: Die Strafzumessungsbegründung und ihre Orientierungspunkte ein Beitrag zur Idee und Praxis vergleichender Strafzumessung. NStZ 9 (1989), S. 393400, S. 393. 42 Streng, F.: Strafzumessung und relative Gerechtigkeit. Heidelberg 1984; Streng, F.: a. a. O. 1989, S. 393.

4.5 Die Funktion des Regelfallbegriffs

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dann richtig verfahren können, wenn in den vorausgegangenen Entscheidungen auf valide Theorien zurückgegriffen worden wäre. Das kann aber nicht der Fall gewesen sein, da ja diese Praxis eben dafür benötigt wird, eine unvollständige Theorie zu vervollständigen und zu begründen. Vielmehr bedarf es allgemeiner Aussagen und Begriffe, die eine vergleichende Vorstellung von Schwere und damit Rang vermitteln. Solche allgemeinen Aussagen und Begriffe können nur positiv-gesetzlich begründet sein oder dem Bestand an Straf- und Strafzumessungstheorien angehören. Der gesetzliche Strafrahmen selbst gibt, wie bereits ausgeführt, für das Verständnis von Schwere des einzelnen Falles nichts her. Er ist darauf beschränkt, die Schwere in horizontaler Hinsicht, nämlich im Vergleich zu anderen Straftatbeständen, zu markieren. So wird die Aussage des Bundesgerichtshofs, daß nämlich die große Mehrzahl von Straftaten schon wegen der weiten Fassung der gesetzlichen Tatbestände nur einen verhältnismäßig geringen Schweregrad erreiche 43 , erst dann sinnvoll, wenn Kriterien für die Schwere vorhanden sind und angewendet werden. Dieser Fall bzw. diese Fallgruppe ist weder rein statistisch noch durch bloße Erfahrung bestimmbar, wie offensichtlich Horn, im Rahmen seines Ansatzes ohne Not im übrigen, meint 44. Denn in die Erfahrung bzw. in die Rechtspflegestatistik sind natürlich über die bloßen Fakten hinaus Bewertungskriterien zur Schwere eingegangen, die von den Fakten nicht mehr zu trennen sind. Ähnliche Erwägungen müssen auch für den Begriff des Regeltatbildes gelten, der offensichtlich den Begriff des Regelfalles abzulösen beginnt, jedoch im Kern dieselbe Funktion erfüllen so1l45. Die Aussagen werden aber deutlicher. Jedenfalls wird sichtbar, daß davon ausgegangen wird, daß ein "Normalfall der gewöhnlich vorkommenden Delikte" beschrieben werden kann und zur Analyse und Bewertung von Strafzumessungstatsachen durch den Richter herangezogen werden darf. In Frage kommen könnte insoweit die von Montenbruck u. a. vorgeschlagene Übertragung der die Regelbeispiele oder Qualifikationen kennzeichnenden Werttypen auf die insoweit nicht differenzierten Strafrahmen 46. Aus dem gesetzlichen Tatbestand selbst können sich Anhaltspunkte für die Schwere natürlich nicht ergeben. Dem steht das Doppelverwertungsverbot entgegen. Im übrigen sind die Begriffe des Tatbestands nicht steigerungsfähig, bzw. sie haben keine ordinalen oder rationalen Qualitäten. Jedoch hilft die Übertragung allgemeiner Werttypen, die benannten Regelbeispielen und QualifIkationen oder Privilegierungen entlehnt sind, nicht entscheidend weiter. Verlangt ist eine feinere Abstufung. Somit bleibt im wesentlichen nur der Rückgriff auf Aussagen der Straf- und Strafzumes43 BGHSt 27, S. 4 ff. 44 Horn, E.: Strafschärfung und Strafmilderung - im Verhältnis wozu? Strafverteidiger 6 (1986), S. 168-170, S. 169. 45 Vgl. hierzu BGH Strafverteidiger 2 (1981), S. 179; BGH NStZ 5 (1985), S. 215; BGH Strafverteidiger 6 (1986), S. 430. 46 Montenbruck, A.: a. a. O. 1983; Jescheck, H.-H.: a. a. O. 1988, S. 778.

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4. Die Einordnung der Straftat in den Strafrahmen

sungstheorien. Regel- und Durchschnittsfall und hiervon schweremäßig abgestufte Fälle müssen aus theoretischen Aussagen abgeleitet werden, auch wenn typenbildend verfahren wird. Denn auch der Typus ergibt sich nicht allein aus dem empirischen Sachverhalt. Hieraus ergeben sich zwei Fragen. Zunächst ist die Frage zu stellen und zu beantworten, wie ein Regelfall bzw. ein anderes, zur Komparation geeignetes Konstrukt beschaffen sein muß und hergestellt werden kann, um ein relationales System der Zuordnung und Einstufung zu gestatten. In einem zweiten Schritt ist die Frage aufzuwerfen, wo der Regelfall im Strafrahmen eingesetzt werden soll. Als erste Voraussetzung ist deshalb zu untersuchen, ob und inwieweit eine vergleichende Beschreibung der Deliktsschwere gefordert ist.

4.6 Die Notwendigkeit einer vergleichenden Beschreibung und Bewertung von Delikten Natürlich muß es einen Bezugspunkt geben, vor dessen Hintergrund ein Strafzumessungssachverhalt in vergleichender Perspektive evaluiert werden kann. Dabei kann es sich, geht es um die Benennung des Bezugspunkts, sowohl um einen durchschnittlichen Fall als auch um anders bezeichnete Fälle handeln. Einen durchschnittlichen Fall mag es praktisch zwar nicht geben, ideell ist er gleichwohl (re)konstruierbar. Es geht dabei einerseits um die Vorstellung, daß alle Strafzumessungstatsachen sozusagen auf Null gesetzt sind, oder in der Sprache des § 46 Abs. 2 StGB, nichts für und nichts gegen den Straftäter spricht. Andererseits ist der Fall denkbar, daß aus der Abwägung, die § 46 Abs. 2 StGB verlangt, ein "Patt" resultiert. Das heißt, es spricht ebensoviel gegen wie für den Straftäter, oder: das, was gegen den Straftäter spricht hat ebensovie1 Gewicht wie das, was für ihn spricht. Was würde aus diesen Situationen folgen? Offensichtlich Testfalle für Annahmen über Regelfall und Normal- oder Durchschnittsfall, gleichzeitig natürlich auch Testfalle für Theorie und Dogmatik der Strafzumessung. Methodisch bedeutsam ist dies insoweit, als damit auf die Notwendigkeit eines Bezugspunktes bzw. eines Vergleichfalls hingewiesen wird. Die Begrifflichkeit der Strafzumessung, wie sie in "Strafschärfung", "Strafmilderung", "zugunsten" und "zuungunsten", "für und gegen" enthalten ist, entfaltet Sinn und Wirksamkeit nur dann, wenn sie auf Vergleichbares bezogen werden kann. In diesem Zusammenhang gilt es zunächst darauf hinzuweisen, daß die Frage nach dem strafzumessungsneutralen Wert eines Strafzumessungsmerkmals wohl mit Problemen behaftet ist, gleichwohl möglich sein muß. Denn immer geht es ja um das Verhältnis zwischen zwei Größen 47. Geht man wie Foth davon aus, 47 Hierzu nunmehr Frisch, W.: Über die "Bewertungsrichtung" von Strafzumessungstatsachen. Ein Beitrag zur Problematik komparativer Aussagen im Strafrecht. GA 136

(1989), S. 338 - 375, S. 345 f.

4.6 Der Vergleich von Delikten

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daß es keine neutrale Zone zwischen Schärfung und Milderung gebe 48 , dann ist eine Beurteilung und Bewertung von Merkmalen schlicht undurchführbar 49 • Dies wird sofort klar, wenn die gemeinhin bei Eigentums- und Vermögensdelikten als zentrale Strafzumessungstatsache 50 verwertete Schadenshöhe in Betracht gezogen wird. Denn wie soll die Schadenshöhe bezeichnet werden, hoch, niedrig, etc., wie soll sie bewertet werden, wenn nicht unter Bezug auf einen Durchschnittswert 51 ? Dem kann durch den Hinweis auf die Gesamtschau und Relativierung durch weitere Merkmale, wie es Foth offensichtlich versucht, nicht entgangen werden 52. Greift man ein Beispiel auf, das einen Betrug an einer armen Witwe mit einem Schaden von 50 DM einerseits und den Betrug an einem reichen Mann mit einem Schaden in Höhe von 10000 DM andererseits unterlegt, so können diese Sachverhalte gegebenenfalls insgesamt betrachtet unterschiedlich bewertet werden. Doch reflektiert diese unterschiedliche Bewertung nicht eine Gleichsetzung von 50 DM und 10000 DM. Vielmehr handelt es sich um die Einbeziehung eines weiteren Merkmals, nämlich desjenigen der Opferempfindlichkeit bzw. der Auswirkungen des Vermögensschadens auf den Verletzten. Denn wie wäre bei zwei Betrugsfällen zu verlahren, die gleichermaßen gegen arme Witwen gerichtet wären, allerdings in der Schadenshöhe weit differierten? Anläßlich des ersten Fallpaares folgt für Foth die Unmöglichkeit, (ohne Bezug auf das Opfer) die Schadenshöhe zu gewichten. Beim zweiten Paar müßte aber entweder eine Relation hergestellt werden, damit etwas zwischen hoch (=strafschärfend) und niedrig (=strafmildernd) angenommen werden, oder es müßte auf die Verwertung der Schadenshöhe insgesamt verzichtet und allein auf die subjektive Empfindlichkeit des Opfers gegenüber materiellen Schäden abgestellt werden. Aber natürlich gibt es auch zwischen äußerster Empfindlichkeit und vollkom48 Foth, E.: Strafschärfung / Strafmilderung - eine noch unerledigte Frage der Strafzumessung. JR 1985, S. 397 - 399, S. 398; ihm folgend wohl Hettinger, M.: Anmerkung zum Beschluß des BGH vom 29.10.1986, Strafverteidiger 7 (1987), S. 147 -149, S. 148. 49 Vgl. hierzu auch Spendei, G.: Zur Lehre vom Strafmaß. Frankfurt 1954, S. 170 ff. 50 Vgl. hierzu Schäfer, G.: Praxis der Strafzumessung. München 1990. 51 Dasselbe gilt beispw. auch für die Verletzungsintensität bei Delikten der Körperverletzung, des Raubs etc. Hier impliziert allein die Unterscheidung zwischen leichten und schweren Verletzungen eine Mitte, also die mittelschwere Verletzung. Völlig unverständlich beispw. die Ausführungen bei Bruns, H.-J.: Die Bedeutung des Durchschnitt-, des Regel- und des Normalfalls im Strafzumessungsrecht. JZ 1988, S. 1953-1058, S. 1058, wenn er behauptet, man brauche für die Gewichtung nicht erst einen allgemein gültigen Maßstab zu entwickeln, um sagen zu können, daß die Verursachung eines großen Schadens strafschärfend ins Gewicht falle. Deutlicher als hier kann nicht kundgetan werden, daß ein vorhandenes und offensichtlich recht wirksames Vorverständnis über die Bedeutung einzelner Schadenshöhen nicht expliziert wird und deshalb so getan werden kann, als liefere die Nennung von Geldsummen oder die Bezeichnung von Objekten des Diebstahls immer auch ihre eigene Bewertung als große oder kleine Summe, als wertvoller oder billiger Gegenstand mit. Gerade der Schadensbegriff bietet ja ein prächtiges Beispiel für die Problematik der Entwicklung von differenzierten deliktsintemen und deliktsübergreifenden Vergleichsmaßstäben; hierzu beispw. Meinberg, V.: Geringfügigkeitseinstellungen bei Wirtschaftskriminalität. Freiburg 1985. 52 Ähnlich BGH Strafverteidiger 7 (1987), S. 60-62, S. 61.

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4. Die Einordnung der Straftat in den Strafrahmen

mener Unempfindlichkeit eine Mitte, nämlich, wenn man so will, das durchschnittlich empfindende Opfer. Selbstverständlich soll wohl im Ernst nicht abgestritten werden, daß es durchschnittliche Schäden, durchschnittliche Verletzungen etc. gibt 53 • Offensichtlich geht die Kritik in eine andere Richtung, nämlich das Bestreiten eines normalen Schadens eines Betrugs- oder Diebstahlsdelikts, die normale Verletzung etc. Dies wird man nicht als Hinweis dafür interpretieren können, daß es sozusagen bloß pathologische Fälle des Schadens im Falle von Diebstahl gibt, daß jede Körperverletzung pathologisch ist. Die Kritik der "Normalität" verweist auf normative Implikationen empirischer Verteilungen. Vielmehr geht es um die Funktion und normative Bedeutung empirischer Verteilungen und vor allem um deren Relevanz für die Einordnung der Straftat in den Strafrahmen. Es geht darum, die Feststellung einer normalen Verteilung bzw. die Feststellung, daß ein Sachverhalt von seinen konkreten Merkmalsausprägungen her gesehen in die Normalverteilung fällt oder in die quantitativ bedeutsamste, also die modale Kategorie, somit keine Extremwerte in die eine oder in die andere Richtung angenommen hat, von der Feststellung zu trennen, welche Bedeutung einem solchen durchschnittlichen Wert in normativer Hinsicht zukommen soll. Wenn es im übrigen tatsächlich stimmte, wie Foth behauptet, daß nämlich, was die Strafe nicht mildert, sie schärft bzw. umgekehrt 54, dann wären die Konsequenzen erstaunlich. Denn dann müßte nicht nur der Satz zutreffen, "wem ein bestimmter Milderungsgrund nicht zur Seite steht, dessen Strafe fällt strenger aus als wenn er ihn hätte", sondern natürlich auch der Satz, "wem ein bestimmter Strafschärfungsgrund nicht zur Seite steht, dessen Strafe fällt milder aus, als wenn er ihn hätte". Die Konsequenz bestünde darin, nicht nur alle zutreffenden Strafmilderungs- und Strafschärfungsgründe aufzulisten und zu bewerten, sondern auch alle nicht zutreffenden Strafmilderungs- und Strafschärfungsgründe. Der Vorlagebeschluß des 1. Strafsenats des BGH läßt auf ähnliche MiBverständ53 A. A. Frisch, W.: Über die "Bewertungsrichtung" von Strafzumessungstatsachen. Ein Beitrag zur Problematik komparativer Aussagen im Strafrecht. GA 136 (1989), S. 338 - 375, S. 355, der freilich wohl nicht abstreiten will, daß es sozusagen normale wirtschaftliche Verhältnisse gibt, ein normales Nachtatverhalten u. a., sondern offensichtlich mit dieser Ablehnung zwei Aussagen in eine zusarnmenfaßt. Dabei handelt es sich darum, daß die Feststellung einer normalen Ausprägung eines Merkmals keinesfalls auch bedeutet, daß damit die normative oder theoretische Bedeutung geklärt ist. Diese Bedeutung kann sich eben nur vor dem Verwertungshintergrund skizzieren lassen. Vgl. hierzu auch Bruns, H.-J.: Über die "Bewertungsrichtung" negativ formulierter Strafzumessungstatsachen. JR 1987, S. 89-94, S. 93 f., der einerseits ein Dilemma konstatiert, wenn die Existenz normaler Ausprägungen von Strafzumessungstatsachen geleugnet wird und hieraus die Konsequenz zieht, drei Kategorien zu unterscheiden, nämlich schlicht strafzumessungsrelevante, strafmildernde und strafschärfende Umstände. Andererseits wird die Dreiteilung sofort in ein Zweiklassensystem zurückgeführt, wenn nämlich festgestellt wird, daß bei der Beurteilung der schlicht relevanten Merkmale eben nichts anderes übrigbleibe als sich für Schärfung oder Milderung zu entscheiden. 54 Foth, E.: Strafschärfung / Strafmilderung - eine noch unerledigte Frage der Strafzumessung. JR 1985, S. 397 -399, S. 398.

4.6 Der Vergleich von Delikten

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nisse schließen 55. Hier wird die Auffassung vertreten, strafschärfende oder strafmildernde Bedeutungen der "wirtschaftlichen Verhältnisse" könnten sich nur aus einer Gesamtschau von Tat und Täter ergeben, eine allgemeine Regel, die die Mitte der wirtschaftlichen Verhältnisse, also die ordentlichen wirtschaftlichen Verhältnisse als strafzumessungsneutral ausschließe und lediglich die Abweichungen hiervon, nämlich wirtschaftliche Not einerseits, Reichtum andererseits zulasse, gebe es nicht. In das Allgemeine gewendet heißt dies, einen Normalfall bzw. eine normale oder neutrale Ausprägung eines Strafzumessungsmerkmals gibt es nicht. Die Entscheidung des Großen Senats entzieht sich dem Problem durch den Hinweis, nur im Einzelfall sei entscheidbar, ob der Sachverhalt "der Angeklagte befand sich nicht in Geldnot" oder die Charakterisierung "der Angeklagte hatte es nicht nötig zu stehlen" als strafschärfend, belastend oder erschwerend verwertet werden dürfe 56. Jedoch ist dies eigentlich eine Antwort auf eine Frage, die so gar nicht hätte gestellt werden dürfen. Denn zweifellos stellt sich zunächst nicht nur eine einzige Frage, nämlich die nach der unmittelbaren Relevanz der wirtschaftlichen Verhältnisse. Vielmehr handelt es sich um zwei Fragen: einmal geht es um die Frage, inwieweit das Vorliegen offensichtlicher Motivationslosigkeit (bzw. das Fehlen motivationsbegründender wirtschaftlicher Deprivation) bei Eigentumsdelikten als strafschärfend beurteilt werden kann 57, andererseits ist die Frage angesprochen, inwieweit ein ordentliches Einkommen als Indikator solcher Motivationslosigkeit betrachtet werden kann 58. Auf das hiermit auch verbundene grundsätzliche Problem hat Horn bislang am klarsten hingewiesen, als er die praktisch und theoretisch gleich bedeutsame Frage stellte: Strafmilderung und Strafschärfung im Verhältnis wozu 59, und, so ist zu ergänzen, gemessen an welchem Maßstab? Erst an dieser Stelle kann die Grundlage gelegt werden für die Überbrückung des bislang "missing link" zwischen argumentativer Aufbereitung des Strafzumessungssachverhalts und der Strafhöhenfixierung. In diesem Zusammenhang können die Bewertung von Strafzumessungstatsachen einerseits und der Regelfallbegriff andererseits durchaus unterschiedliche Bedeutung und Funktion bekommen. Bei der Festlegung der Bewertungsrichtung geht es um die Frage, anhand welchen Maßstabes und welcher theoretischer oder Vgl. BGH Strafverteidiger 7 (1987), S. 60-62. BGH Strafverteidiger 7 (1987), S. 337 - 338. 57 Was begründbar ist, wenn man wie Frisch, W.: Über die "Bewertungsrichtung" von Strafzumessungstatsachen. Ein Beitrag zur Problematik komparativer Aussagen im Strafrecht. GA 136 (1989), S. 338-375, auf die Tatvermeidemacht abstellt. 58 Was wiederum schwieriger zu bewerkstelligen ist, will man nicht in Simplifizierung verfallen. 59 Horn, E.: Strafschärfung und Strafmilderung - im Verhältnis wozu? Strafverteidiger 6 (1986), S. 168-170. 55

56

108

4. Die Einordnung der Straftat in den Strafrahmen

normativer Kategorien ein Sachverhalt beurteilt wird. Hierbei mag ein Regelfallbegriff eingeführt werden, dem die Funktion zukommen könnte, sozusagen den Ausgangsfall zu beschreiben, von dem dann entweder milder oder schärfer beurteilte Sachverhalte abgegrenzt werden. Dabei paßte tatsächlich der Begriff des (normativen) Normalfalls besser, wenn die Funktion allein darin bestehen sollte, ein normatives Bild der strafbaren Handlung zu Strafzumessungszwecken zu zeichnen. Die Funktion mag erweitert werden um eine empirisch-phänomenologische Komponente, wenn der Regelfall gleichzeitig auch über die am häufigsten besetzte Schwerekategorie Auskunft geben sollte. Dabei gilt es zwischen verschiedenen Typen von Strafzumessungstatsachen zu unterscheiden. Denn offensichtlich macht es einen Unterschied, ob beispw. die Schadenshöhe einerseits oder so etwas wie wirtschaftliche Verhältnisse des Täters und ähnliches andererseits auf ihre Stellung im Bewertungsprozeß überprüft werden. Denn einmal ist natürlich die Frage zu stellen, vor welchem theoretischen Hintergrund die Bedeutung des Merkmals sich ergibt, oder, welcher normativen Kategorie das jeweilige Merkmal zuzuordnen ist. Zum anderen ist der Grad der Ausprägung des jeweiligen Merkmals zu untersuchen. Hier bereiten z. B. der Vermögens schaden und die Eigentumsverletzung, die dem Erfolgsunrecht zuzuordnen sind, wenig Probleme. Es kann in diesem Fall nur darum gehen, phänomenologisch-empirisch ermittelte Verteilungen vorzustellen. Es macht natürlich wenig Sinn, Strafzumessungstatsachen wie beispw. den Schaden bei Eigentums- und Vermögensdelikten in ihren jeweiligen Ausprägung ohne jede Berücksichtigung der empirischen Verteilungen zu beurteilen. Hierbei handelt es sich ja um eine in diskreten Schritten abgestufte Variable, die infolge ihrer präzisen Erfaßbarkeit das Bewertungsproblem, das sich ergibt, wenn festgelegt werden soll, an welchem Punkt ein Umschlag in der Wertung zu erfolgen hat, in grelles Licht rückt. Mit der Zuordnung der Strafzumessungstatsache Schaden zur Dimension der Folgen oder Auswirkungen der strafbaren Handlung und damit des Erfolgsunrechts ist die Bewertungsrichtung noch nicht festgelegt. Die Folgen der Straftat in Form der Schadenshöhe mögen mildernd oder schärfend berücksichtigt werden. Damit ist aber noch nicht entschieden, welche Klasse von Ausprägungen des Merkmals in die eine oder in die andere Kategorie fällt. Es ist nicht vorstellbar, daß etwas anderes als eine empirischphänomenologische Betrachtung einzelner Delikte und die Zugrundelegung der so beobachteten Verteilungen als Ausgangspunkt genommen werden könnte. Anders ist dagegen die Beurteilung nominal strukturierter Merkmale, ggfs. auch die Beurteilung von Ordinaldaten vorzunehmen. Insoweit unterscheiden sich die Versuche, einen Punkt im Strafrahmen als "Einstiegspunkt" zu fixieren, nicht von der Unterstellung eines Regelfalls nebst dessen Einweisung in das untere Drittel des Strafrahmens und schließlich von der Gesamtschau der Dinge, die helfen soll, den Fall im Strafrahmen anzusiedeln. Diesen Ansätzen liegt zugrunde das Problem der Strafhöhenfixierung im Sinne

4.7 Modelle der vergleichenden Bewertung von Straftaten

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des Verfahrens, das die Äquivalenz von Straftat / Straftäter einerseits, Strafe andererseits herstellt. Was die verschiedenen Ansätze unterscheidet, ist im wesentlichen der Grad der Explikation und die Struktur der Vorannahmen. Im wesentlichen handelt es sich hierbei um die folgenden Modelle.

4.7 Modelle der vergleichenden Bewertung von Straftaten 4.7.1. Die induktiv-phänomenologische Betrachtungsweise Eine induktiv-phänomenologische Betrachtungsweise repräsentiert die Vorstellung, es gebe vor jeder auf Strafzumessung zielenden Betrachtung bestimmte definierte oder gleichsam für sich selbst sprechende Merkmale und Merkmalskombinationen 60. Mit diesem Modell wird davon ausgegangen, daß ein Normal- oder Regelfall eines Delikts existiert, von dem ausgehend die zu beurteilenden Sachverhalte eingestuft werden. Dagegen wird vorgetragen, es gebe innerhalb jeder Deliktskategorie des Besonderen Teils des Strafgesetzbuches nicht nur einen Regelfall oder Durchschnittsfall, sondern deren viele. Verwiesen wird in diesem Zusammenhang allerdings auf sogenannte kriminologische Typen deliktischer Handlungen, die wohl eher als kriminalistische oder polizeiliche Typenbildung bezeichnet werden sollten. Verwiesen werden kann beispw. auf die verschiedenen Erscheinungsformen des Raubes, die von dem Handtaschenraub, dem Zechanschlußraub bis hin zum Wohnungs- oder Geldbotenraub reichen. Damit wird auf die polizeiliche Differenzierung der Einzeldelikte in der Kriminalstatistik Bezug genommen. Nun ist die Feststellung unterschiedlicher kriminalistischer Typen im Bereich eines Delikts kein zureichender Grund, einen Regelfall abzulehnen. Denn die Typenbildungsfunktion mag sich im Kontext polizeilicher Kriminalstatistik unterscheiden von derjenigen der Regelfallbildung für Strafzumessungszwecke. Dies dürfte insoweit auch der Fall sein. Soweit diese Position jedoch gleichzeitig den Regelfallbegriff in Anspruch nimmt, um mit diesem die Einstiegsstelle in den Strafrahmen zu markieren, bleibt allerdings unklar, wie sich der Regelfall erkennen lassen soll bzw. aus welchen Elementen sich der Regelfall zusammensetzt, ferner, wie sich die Strafschärfungsund Strafmilderungsgründe, die sich auf die zur Beurteilung stehende strafbare Handlung beziehen, zu diesem Regelfall verhalten 61. 60 So Bruns, H.-J.: Die Bedeutung des Durchschnitts-, des Regel- und des Normalfalls im Strafzumessungsrecht. JZ 1988, S. 1053-1058, S. 1058. 61 So läßt die Darstellung bei Bruns, H.-J.: Die Bedeutung des Durchsschnitts-, des Regel- und des Normalfalls im Strafzumessungsrecht. JZ 1988, S. 1053 - 1088 nicht erkennen, wie ein Regelfall inhaltlich beschaffen sein soll. Die Aucht in methodische Probleme, die angedeutet werden mit "schöpferischer Gestaltungsakt" , "individuelle

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4. Die Einordnung der Straftat in den Strafrahmen

Die Frage der Relevanz von Merkmalen im Sinne von Strafzumessungstatsachen kann natürlich nicht abstrakt und ohne Rückgriff auf Delikt und Zusammenhänge beantwortet werden. Selbstredend haben beispw. die wirtschaftliche Lage, die Höhe des Schadens, die Art und der Umfang der Vorstrafenbelastung keine aus ihnen selbst enstehende und verständliche strafzumessungsrechtliche Relevanz, ebensowenig wie die berufliche Stellung oder andere Merkmale der Person bzw. der sozialen Lage. Die Bedeutung oder der Sinn eines Merkmals kann nur im Lichte einer Theorie und, hieran anschließend, anband eines auf die Theorie bezogenen Maßstabes erschlossen werden.

4.7.2 Gesamtbewertung als Maßstab für eine "vorläufige" Einordnung Die Überlegung, daß eine Gesamtbewertung erst dem Richter erlaubt, die Stelle im Strafrahmen zu finden, die für die konkrete Tat gerechterweise in Betracht kommt, geht davon aus, daß nicht zuerst eine gesonderte Überprüfung einzelner strafzumessungserheblicher Umstände als strafmildernd oder strafschärfend stattfinden solle, sondern eine Gesamtschau der Tatumstände im weitesten Sinn sowie der Persönlichkeit des Täters erfolgen müsse 62 • Diese Gesamtschau, so wird argumentiert, und hierauf kommt es in dem hier interessierenden Zusammenhang an, führe nun zu einem "plastischen Bild" der Tat, das zur Ansiedlung des Delikts im Strafrahmen verhelfe 63 • Nun kann der Verweis auf die Gesamtbetrachtung oder die Gesamtschau der Umstände natürlich nicht weiterhelfen. Auch die Gesamtschau entpflichtet nicht von der Bindung an ein Verfahren, mit dem das Einzelne in die Gesamtheit eingeordnet wird. Hieraus ergibt sich aber wiederum die Notwendigkeit, über die Einzelheiten etwas aussagen zu müssen. Denn aus einer Summe von Einzelheiten kann sich ja weder im Wege der schlichten Addition noch im Wege der Gesamtbetrachtung etwas ergeben, was mehr ist als die Einzelheiten selbst. Mit anderen Worten: kann die Einzelheit für sich allein nicht zum Sprechen gebracht werden, dann ist sie auch im assoziativen Verband mit anderen einzelnen Merkmalen zum Schweigen verurteilt. Denn für die Gesamtschau gibt es ja offensichtlich keine verbindlichen Regeln, aus denen sich die Einstufung der einzelnen Gesichtspunkte und die Einstufung des Sachverhalts insgesamt ableiten ließen. Der Begriff verdeckt damit lediglich das Chaos, das gleichwohl bleibt und offensichtlich auch nicht beseitigt werden soll. Komponente", "fehlende Prägnanz", "fließende Übergänge" (S. 1058), hilft natürlich nicht. Sichtbar wird vielmehr nur, was die Bestimmung des Regelfalls nicht sein soll. Was Regelfall bedeutet, bleibt im wesentlichen hinter dem Schleier des "Schöpferischen", des "Individuellen" und des ,,Fließens", im übrigen auch in den "praktischen Erfahrungen mit Alltagskriminalität" (S. 1057) versteckt. 62 BGH Strafverteidiger 7 (1987), S. 60-62, S. 61. 63 Foth, E.: Strafschärfung / Strafmilderung - eine noch unerledigte Frage der Strafzumessung. JR 1985, S. 397 - 399, S. 398.

4.7 Modelle der vergleichenden Bewertung von Straftaten

lll

Ungeeignet ist auch die Differenzierung in eine zwei stufige Bemessungsphase, wie sie von Streng vorgeschlagen wird. Dieser pflichtet dem Ausgangspunkt des Bundesgerichtshofs bei, soweit dieser Relational- und Steigerungsbegriffe zur Lösung des Problems als denkbar ungeeignet behandelt. Auch Streng geht davon aus, daß ein Normalfall oder ein Nullpunkt zur Festlegung der Bewertungsrichtung einer Strafzumessungstatsache und zur Einordnung des Gesamtsachverhalts in den Strafrahmen nicht erforderlich sei. Er stützt sich hierbei auf den Wortlaut des § 46 Abs. 2, S. I StGB und meint, der Gesetzgeber habe in weiser Voraussicht in der Konzeption des Textes auf die Verwendung von Steigerungsbegriffen verzichtet, statt dessen von den Begriffen "für und gegen den Täter" Gebrauch gemacht. Auf der Basisebene der Strafzumessung komme es, so fährt die Argumentation fort, auf vergleichende Aussagen im Sinne der Herstellung von Relationen nicht an. Vielmehr müsse jede Strafzumessungstatsache nur daraufhin untersucht werden, ob sie für oder gegen den Täter spreche. Eine zweigliedrige Vorgehensweise sei deshalb nur folgerichtig, die zunächst verlange, die sogenannten Leitmerkmale eines deliktischen Sachverhalts auf einer Skala von sehr leicht bis sehr schwer einzustufen. Hieraus ergebe sich sodann eine tendenzielle Festlegung der Schwere eines Falles, ohne daß hierbei in eine vergleichende Betrachtung eingetreten werden müsse. Erst wenn nach einer Gesamtschau der Leitmerkmale eine vorläufige Einstellung in den Strafrahmen erfolgt sei, bedürfe es in einem weiteren Schritt einer vergleichenden Vorgehensweise. In diesem Schritt nämlich würden die verbleibenden Strafzumessungstatsachen, bezogen auf den tendenziell eingestuften Fall, relational zum Tragen kommen. Denn die weiteren Strafzumessungsmerkmale hätten nun einen Bezugspunkt, sozusagen den Normal- oder Nullpunkt, anband dessen relationale oder vergleichende Aussagen orientiert werden könnten, nämlich den vorläufig eingestuften und bewerteten Fall. Natürlich stellt sich sofort das Problem, ob mit einem derartigen Vorgehen tatsächlich auf den Vergleich verzichtet wird. Die Antwort hierauf ist zwangsläufig: nein. Denn auch wenn der erste Schritt der Bewertung reduziert wird auf sogenannte Leitmerkmale, kann eben mit dem bloßen Verweis, daß der Begriff "für oder gegen den Straftäter" keine Steigerung beinhalte, der trotz alledem immer noch notwendige Prozeß der Herstellung von Relationen nicht unterdrückt werden. Dies ergibt sich allein daraus, daß ja offensichtlich auch bei der Einstufung der Leitmerkmale des Falles eine Skala (von sehr leicht bis sehr schwer Anwendung finden soll. Was anderes ist dies als ein vergleichendes Vorgehen? Wie, so ist zu fragen, soll denn beispw. die Schadenshöhe, die ja fraglos für die Eigentums- und Vermögensdelikte als ein Leitmerkmal in Betracht kommen müßte 64 , als für oder gegen den Täter sprechend eingestuft werden, wenn kein Bezugspunkt für die Bewertung der Schadenshöhe bereits vorab festgelegt worden ist 65 • Soweit der zweite Schritt betroffen ist, so stellt sich das Problem, ob 64 65

Vgl. nur Schäfer, G.: Praxis der Strafzumessung. München 1990. Dabei ist hinzuzufügen, daß bereits die jedenfalls indirekt zu berücksichtigende

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4. Die Einordnung der Straftat in den Strafrahmen

der Sachverhalt, der zur Beurteilung ansteht, bei der Einordnung der weiteren Strafzumessungsmerkmale, die sich auf ihn beziehen, als sein eigener Maßstab eingeführt werden kann. Denn die Merkmale, deren Einstufung erfolgen soll, können ja nicht auf den anhand anderer Merkmale eingestuften Sachverhalt verwiesen werden. Sie bleiben damit ohne materiellen Bezug.

4.7.3 Extremmodelle der Einordnung Als Extremmodelle der vergleichenden Einordnung lassen sich die Festlegung von Bezugspunkten vergleichender Bewertung bezeichnen, die einerseits vom denkbar leichtesten Fall, andererseits vom denkbar schwersten Fall ausgehen, von denen dann entweder nur mildernde oder lediglich schärfende Umstände die Herstellung von Abständen nach unten oder oben besorgen. Die Argumente, warum ein solches Vorgehen ungeeignet ist, hat Frisch vorgetragen 66. Tatsächlich wäre es nicht plausibel und nicht als Ergebnis rationaler Entscheidung vermittelbar, wollte man strafbare Handlungen nur in Form von mildernden oder nur in Form von strafschärfenden Umständen beschreiben.

4.7.4 Das normative Regeltatbild als Anknüpfungspunkt Der Vorschlag, das Regeltatbild heranzuziehen, hat offensichtlich zum Ziel, einen Zwischenschritt einzuführen, mit dem die "typische" Deliktsverwirklichung im Sinne eines "engeren Kreises von Umständen" gemeint ist, deren Vorliegen so typisch und "mitgegeben" ist, daß sie "adäquaterweise" als stillschweigende Basisannahrnen der Bewertung dienen und somit nicht mehr als den Einzelfall charakterisierend verwendet werden können 67. Als Beispiele werden die mit bestimmten Deliktsverwirklichungen typischerweise verbundenen (jedoch nicht bereits vom Tatbestand geforderten) Folgen 68 oder mit bestimmten Straftatbeständen typischerweise assoziierten Motivationslagen genannt 69. Dieser BetrachVorentscheidung der Staatsanwaltschaft, die sich in der Ausscheidung von Bagatellen nach §§ 153, 153a StPO massiv auswirkt, zentral an die Schadenshöhe anknüpft. 66 Frisch, W.: a. a. O. 1989. 67 Hettinger, M.: Anm. zu BGH Strafverteidiger 1987, S. 147 ff.; Frisch, W.: a. a. O. 1989, S. 361. 68 Vgl. hierzu aber die Auseinandersetzung um den "ungeschützten Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguß", BGH JZ 1991, S. 932 mit kritischer Anmerkung von Grasnick, sowie Anmerkungen von Neumann StV 1991, S. 256 ff. und Weßlau StV 1991, 259 ff. Gerade an diesem Fall kann das Potential des normativen Regeltatbilds herausgestrichen werden. Freilich darf in diesem Zusammenhang nicht übersehen werden, daß sich Tatbilder verändern können, wobei die Veränderung in Fällen des § 177 StGB angesichts des Auftretens von AIDS durchaus begründet erscheint (vgl. andererseits noch BGHSt 27, S. 2 ff.; siehe auch Detter, K.: Zum Strafzumessungs- und Maßregelrecht. NStZ 1990, S. 483-486, S. 485 (Regeltatbild des schweren Raubes).

4.8 Grenzen der Individualisierung

113

tungsweise ist zuzustimmen. Dabei kommt es auf die Bezeichnung eines solchen nonnativen Konstruktes nicht an. Auch der Begriff des Regelfalls könnte verwendet werden. Ferner ist nicht erheblich, ob die das nonnative Regeltatbild konstituierenden Merkmale fonnal unter das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB fallen. Denn ausschlaggebend ist die Funktion, die darin besteht, für die Strafzumessung einen nonnativ begründeten Ausgangspunkt zu beschreiben. Für diesen Ausgangspunkt ist aber klar, daß die ihn erklärenden Merkmale nicht dazu verwendet werden dürfen, um Abstände (in mildernder oder schärfender Hinsicht) herzustellen. Es bleibt jedoch die Frage der Selektion der Merkmale oder Strafzumessungstatsachen, die einmal den Regelfallcharakter begründen sollen, zum anderen über diese Einstufung hinaus in vergleichender Perspektive zur Herstellung von Relationen einbezogen werden. Derartige Auswahl setzt voraus, daß eine Vielzahl oder Mehrzahl von Fällen in eine vergleichende Betrachtung einbezogen wird. Dies scheint zunächst dem Prinzip der Individualisierung nicht zu entsprechen, setzt dieses doch voraus, daß jedem Fall und jedem Straftäter als einzigartig auch einzigartige Darstellung und Behandlung zuteil werden muß.

4.8 Grenzen der Individualisierung und Reduktion des Strafzumessungssachverhalts 4.8.1 Allgemeine Grenzen der Individualisierung Individualisierung einerseits und eine komparative Betrachtung von Strafzumessungsmerkmalen, die Relationen zwischen verschiedenen Strafzumessungssachverhalten herstellt, andererseits sind aber nicht sofort unvereinbare Gegensätze. Regelmäßig sollen nämlich Strafzumessungsentscheidungen oder die Strafbestimmung beide Ziele verfolgen und erreichen. Natürlich wurde das Individualisierungsprinzip der Strafzumessung im Sinne der Anpassung der Strafe an den Straftäter vor allem durch die auch das Schuldprinzip bestimmende Vorstellung von der Einzigartigkeit des einzelnen Menschen geprägt, mit der Folge der Vorstellung von Strafe als dieser Einzigartigkeit angepaßt. Die Idee der Spezialprävention erweist sich mit dem Individualisierungsprinzip stimmig, ist sie doch gedacht als die individuumsspezifische Zumessung dessen, was ein Straftäter an Resozialisierungsanstrengungen bedarf, um ein straftatenfreies Leben führen zu können. Doch sind natürlich auch die anderen Strafbegründungen wie Generalprävention an die individuelle Anpassung der Strafe, an konkretes Tatunrecht oder konkreten sozialen Strafbedarf gebunden. Andererseits ist Gleichbehandlung oder Gleichmäßigkeit für alle Strafzwecke ein verbindlicher Wert, nicht allein durch seinen verfassungsmäßigen Rang, sondern weil offensichtlich auch empirische 69

Heninger, M.: a. a. O. 1987, S. 148; Frisch, W.: a. a. O. 1989, S. 361.

8 Albrecht

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4. Die Einordnung der Straftat in den Strafrahmen

Gesichtspunkte für die Erreichung von Gleichbehandlung sprechen 70. Jedoch ist selbstredend, daß Gleichbehandlung nicht in Form desselben Strafmaßes bei Vorliegen derselben rechtswidrigen und verschuldeten Tatbestandsmerkmale konzeptualisiert werden kann. Denn Gleichbehandlung oder Gleichmäßigkeit kann, wie eingangs dieser Untersuchung ausgeführt, zunächst nur als formales Prinzip die programmatische Aussage enthalten, daß Gleiches gleichbehandelt, Ungleiches ungleich behandelt werden sollte. Hier bekommt der verfassungsrechtliche Grundsatz der Gleichbehandlung den ersten und wesentlichen Einsatzbereich. Er verbietet sodann in Konkretisierungen, Unterschiede im Strafmaß allein an Kriterien wie Geschlecht, Religion, Rasse etc. anzuknüpfen 71 • Andererseits wäre sicher eine Einheitsstrafe bzw. eine absolute Strafe, in diesem Sinn dasselbe Strafmaß bezogen auf denselben Tatbestand, als Ungleichbehandlung zu verstehen. Auch das Prinzip der Gleichbehandlung fordert Unterschiede im Strafmaß. Nur wenn Individualisierung grenzenlos gedacht wird, ist unmittelbar einleuchtend, daß beides nie zusammentreffen kann, also ein unauflöslicher Konflikt und ein permanentes Spannungsverhältnis entsteht 72. Natürlich können jeder Sachverhalt und jede Person so beschrieben werden, daß die zur Beschreibung benutzte Information einzigartig ist, also nur auf die einzelne Person oder die einzelne Straftat zutrifft. Zutreffend ist auch, daß es "nie dieselbe Tat zweier Täter" geben kann 73. Eine Identität ist ausgeschlossen. Auf der anderen Seite gilt aber, daß bereits das Gesetz selbst mit der Strukturierung der Strafen in §§ 38 ff. StGB und der Setzung von Unter- und Obergrenzen der Strafe in Form von den einzelnen Straftatbeständen zugeordneten Strafrahmen offensichtlich eine unbegrenzte Individualisierung der Strafe gar nicht zuläßt, vielmehr eine ganz gewichtige Beschränkung in der Strafdifferenzierung auferlegt. Nehmen wir als Beispiel den Strafrahmen des einfachen Raubes, der von einem Jahr bis zu fünfzehn Jahren reicht, dann ergeben sich unter Beiziehung von § 39 StGB insgesamt 168 Strafgrößen, die verhängt werden können, bzw. aus dem Konkretisierungsvorgang resultieren dürfen. Damit wäre aber bereits bei der Nutzung von 6 Merkmalen mit jeweils 3 Ausprägungen (beispw. strafmil70 Vgl. hierzu vor allem Streng, F.: Strafzumessung und relative Gerechtigkeit. Eine Untersuchung zu rechtlichen, psychologischen und soziologischen Aspekten ungleicher Strafzumessung. Heidelberg 1984, S. 13 ff. 71 Vgl. Jescheck, H.-H.: a. a. O. 1988, S. 781. 72 Hierzu schon Wahlberg, W. E.: Das Princip der Individualisirung in der Strafrechtspflege. Wien 1869, S.9, wo die Grenze der Individualisierung allerdings empirisch gesetzt wird: alles Individualisieren sei nur annäherungsweise und nur relativ zu nehmen, dem Richter bliebe der innerste Kern der Person verschlossen; vgl. im übrigen auch Drost, Das Problem einer Individualisierung im Strafrecht; Spendei, G.: Zur Lehre vom Strafmaß. Frankfurt 1954, S. 147, wo eine individualisierende Betrachtungsweise als dem Wesen des Rechts widerstreitend bezeichnet wird. 73 Dreher, E.: Rationalere Strafzumessung? In: Institut für Konfliktforschung (Hrsg.): pönometrie. Rationalität und Irrationalität der Strafzumessung. Köln 1977, S. 37 -48, S.46.

4.8 Grenzen der Individualisierung

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dernd, neutral, strafschärfend), die in der Strafzumessungsentscheidung Berücksichtigung finden sollen, das Differenzierungs- und Individualisierungspotential dieses Strafrahmens erschöpft74 • Würde es tatsächlich eine unbegrenzte, mit anderen Worten unendliche, Anzahl möglicher Strafzumessungsfaktoren geben, wie Zipf meint 75, dann ist das gesetzlich fixierte Strafzumessungsprogramm entweder ungeeignet oder es bedarf einer weiteren Verarbeitung der Viel- oder Unzahl der Individualisierungsgründe. Denn einem Überschuß an Individualisierungsfähigkeit in der Betrachtung der Straftat und des Straftäters stünde eine begrenzte Menge von differenzierenden Strafmaßen gegenüber. Nun kann man eine Lösung oder Verarbeitung dergestalt suchen, daß der Versuch unternommen wird, unterschiedlich beschriebene Personen und Sachverhalte auf derselben Skala abzutragen (obschon sich die herausragenden Merkmale unterscheiden). Dies wäre aber nur dann möglich, das heißt, ohne Diskriminierung oder Zufall möglich, wenn die unterschiedlichen Merkmale und Merkmalskombinationen selbst wiederum, bevor sie mit der Strafenskala konfrontiert werden, in eine Skala übersetzt würden, die die verschiedenen Merkmale in Form übergreifender Konstrukte, deren Indikatoren die Individualisierungsgründe oder -merkmale dann sind, abbildet. Denn eine Skala, die auf eine nicht begrenzte Anzahl von Items zurückgreifen müßte, wäre natürlich wertlos. Sie wäre nicht validierungsfähig und könnte damit im Prozeß der Erkenntnis nicht in gleicher Weise auf verschiedene Sachverhalte oder Personen angewendet werden. Eine weitere Grenze der Individualisierung folgt aus dem Gebot, daß jedes System lernfähig bleiben muß, wenn es überleben bzw. fortbestehen soll. Damit ist die Notwendigkeit verbunden, in einen Vergleich mit anderen Fällen und Sachverhalten einzutreten. Denn nur dann kann vermieden werden, daß jeder Sachverhalt, der zur Beurteilung und Entscheidung ansteht, sozusagen immer der erste Fall ist. Insoweit wäre nur eine willkürliche Entscheidung möglich 76. Eine Entscheidung ist nur dann möglich, wenn in einen Vergleich mit bereits Erfahrenem eingetreten werden kann, also ein Bezug möglich ist zu Vergangenem. Der Bezug wird dann möglich, wenn bereits Erfahrenes in allgemeine 74 Wie Baumann, J., Weber, U.: Strafrecht. Allgemeiner Teil. 9. Aufl., Bielefeld 1984, S. 599 zur Auffassung kommen, daß die Kombinationsmöglichkeiten einer Bestrafung nach § 266 StGB in die Millionen (!) gingen, ist nicht nachvollziehbar. Selbst wenn man die Modifikationen, die durch Strafaussetzung zur Bewährung erlaubt werden, in die Anzahl festsetzbarer Strafsätze aufnähme, bewegte sich die Anzahl zur Verfügung stehender Strafmaße bei etwas mehr als 500. 75 Zipf, H.: Anmerkung zu BayOLG JR 1976, S. 512 - 514, S. 514; zustimmend Streng, F.: Aspekte der Fortentwicklung des Strafzumessungsrechts durch die Gerichte. In: Festschrift der Juristischen Fakultät zur 600-Jahres-Feier der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg: Richterliche Rechtsfortbildung. Erscheinungsformen, Auftrag und Grenzen. Heidelberg 1986, S. 501-524, S. 511; Maurach, R., Gössel, K. H., Zipf, H.: Strafrecht Allgemeiner Teil. Teilband 2,7. Aufl. Heidelberg 1989, S. 617. 76 Schünemann, B.: Grundfragen der Revision im Strafprozeß. JA 14 (1982), S. 123131, S. 125 mit dem Hinweis auf die im Individualisierungsprinzip liegende Gefahr der Einzelfallwillkür.

g.

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4. Die Einordnung der Straftat in den Strafrahmen

Regeln oder Allgemeinbegriffe übersetzt worden ist. Ist jeder Sachverhalt aber einzigartig, dann sind die Herstellung von Bezügen und der Vergleich nicht möglich. Es kann auf nichts Vergleichbares zurückgegriffen werden in der Beurteilung. Selbst seine Identifizierung wäre nicht mehr möglich. Ein einfaches Argument ergibt sich ferner aus Logik und Kapazitätsbegrenzung. Eine unbegrenzte Anzahl von Strafzumessungstatsachen, wäre dies im Sinne potentieller Unendlichkeit gemeint, ist nur als Idee möglich. Sie ist nicht konkretisierungsfähig und kann nicht real werden. Sie erfordert unbegrenzte Zeit, kann also, ließe man sich auf ein solches Unternehmen ein, nicht verarbeitet werden, selbst wenn unbegrenzte Kapazitäten zur Verfügung stünden. Unbegrenzte Kapazität ist aber nicht vorhanden. Hieraus allein ergibt sich die Notwendigkeit der Begrenzung. Jedoch ist Unbegrenztheit im Sinne von Unendlichkeit sicher nicht gemeint. Versteht man aber unter "unbegrenzt" bloß eine große Zahl oder eine unbekannte (große) Zahl, dann folgt, und dies wird durchaus anerkannt, die Notwendigkeit der Beschränkung und das heißt die Notwendigkeit der Auswahl. Eine solche Auswahl darf aber nicht zufällig oder willkürlich erfolgen. Sie bedarf einer Begründung, die straf- und strafzumessungstheoretisch geleitet ist. Schließlich ergibt sich ein pragmatisches Argument aus dem Vergleich der einzelnen Strafandrohungen. Hier ist sofort einsichtig, daß gerade im Bereich der leichten Delikte, also solcher, die in der Regel mit Strafandrohungen bis zu drei oder 5 Jahren versehen sind, die Individualisierungsmöglichkeiten weitaus weiter reichen als im Falle schwerer Delikte, gerade beispw. bei dem weiter oben erwähnten Fall des Raubes. Dies folgt nicht zuletzt aus der Androhung von Geldstrafe, die auf der Basis des Tagessatzsystems von 5 bis zu 360 Tagessätzen reicht und damit in diskreten Schritten immerhin 355 Einzelstrafen erlaubt. Jedoch zeigt gerade die Strafzumessungspraxis im Falle einfacher oder leichter Delikte ganz offensichtlich eine praktische Verengung der Individualisierung, die, wie im Falle des Trunkenbeitsdelikts (§ 316 StGB), in einfache Taxen münden kann. Werden diese Ausgangsvoraussetzungen akzeptiert, dann ergeben sich hieraus Konsequenzen für die Gestaltung des Maßstabes, anband dessen die Bewertung des Strafzumessungssachverhalts vorgenommen werden muß. Diese Konsequenzen bestehen in der Vereinfachung und hieraus folgend in der Entwicklung eines praktikablen Maßstabs.

4.8.2 Kriterien der Reduzierung: die Reduktion auf Unrechtsquantitäten Die Frage, auf welchem Wege eine Reduktion des Strafzumessungssachverhalts zu erreichen ist, kann jetzt unter Rückgriff auf die strafzumessungstheoretischen Überlegungen beantwortet werden. Danach steht im Mittelpunkt das ver-

4.9 Maßstäbe der Einordnung von Straftaten in den Strafrahmen

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schuldete, quantifizierbare Unrecht, wie es auch in den Strafzumessungsrichtlinien des § 46 Abs. 2 StGB angesprochen wird. Unwägbare und deshalb auch in der komparativ begründeten Herstellung von Abständen in der Schwerebeurteilung nicht verwertbare Merkmale der Person und ihrer Geschichte haben deshalb außer acht zu bleiben.

4.9 Maßstäbe der Einordnung von Straftaten in den Strafrahunen Mit der Betonung eines unrechts zentrierten, vergleichenden Maßstabs der Bewertung der Schwere von Delikten ist freilich erst eine Achse der Einordnung in den Strafrahmen gewonnen. Dabei darf die Überlegung aber nicht stehen bleiben. Denn eine solche Beschränkung würde die Strafzumessungsentscheidung auf einer Ebene der Begründung halten und die Herstellung des Strafmaßes im Dunkeln lassen. Die zweite Achse, nämlich die Bewertung der Strafschwere und deren Zuordnung zu den jeweiligen Ausprägungen der Deliktsschwere bliebe offen. Dies gilt für die Frage, wo der nonnativ abgeleitete Ausgangsfall eingeordnet wird wie für die Frage, welche Größenordnungen Unrechts- und Schuldabschichtungen annehmen sollen. In der bisherigen Erörterung des "Einstiegs" in den Strafrahmen wie für die Festlegung und Beurteilung von Abständen in der Strafgröße zwischen verschiedenen Fällen hat das traditionale Element bzw. die "Übung" oder das "Übliche" eine ganz entscheidende Rolle gespielt.

4.9.1 Die Maßstäbe der Vertretbarkeitskontrolle In diese Richtung geht ja auch die Entwicklung der Revisibilität der Strafzumessungsentscheidung. Neben den Revisionsgründen der Doppelverwertung, der unzutreffenden Argumentation, des Widerspruchs haben sich die Abweichung vom Strafmaß in vergleichbaren Fällen sowie die Unvertretbarkeit des Strafmaßes als Gründe für die Feststellung eines Rechtsfehlers und hieraus folgend die Aufhebung des tatsachengerichtlichen Strafausspruchs durchgesetzt 77 • Zwar wird die Rüge einer Abweichung des Straferkenntnisses von Strafmaßen, die aus vergleichbaren Fällen resultieren, unter der Rubrik "Begriindungsmangel" abgelegt, wenn argumentiert wird, das Gericht habe es unterlassen, die Abweichung vom Üblichen an den Besonderheiten des Falles verständlich zu machen 78. Doch 77 BGH MDR 1954, S. 495 f.; OLG Köln NJW 1954, S. 1053 f.; vgl. im übrigen hierzu schon Schöch, H.: Strafzumessung bei Verkehrsdelikten mit Hilfe empirischer Methoden. Kriminologische Gegenwartsfragen, Heft 10. Stuttgart 1972, S. 128 -137, S. 130; Bruns, H.-J.: a. a. O. 1985, S. 301 ff. 78 BGH MDR 1977, S. 106; BGH MDR 1978, S. 623; BGH Strafverteidiger 1983, S.102.

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4. Die Einordnung der Straftat in den Strafrahmen

liegt der Auslöser selbst im Vergleich mit dem "Üblichen" bzw. in der Verwendung eines Maßstabes, der einmal die Vergleichbarkeit in den Sachverhalten herstellt und eines solchen Maßstabes, der im üblicherweise verhängten Strafmaß auch die richtige Strafe identifiziert 79 • Ein Begründungsmangel kann sich ja erst dann ergeben, wenn sich aus einem vorher liegenden Abgleich der ausgeworfenen Strafe samt der betroffenen Straftat mit anderen, zeitlich vorangehenden Straferkenntnissen eine Differenz ableiten läßt. Freilich werden dann die (normativen) Maßstäbe nicht expliziert, sie schrumpfen auf die unverbindlich bleibende Größe des Üblichen oder Gewöhnlichen 80, von dem sich die Begründung ungenügend oder nicht nachvollziehbar absetzt. Dabei kann der BGH-Rechtsprechung entnommen werden, daß die mit der Üblichkeit zusammenfallende allgemeine Gerechtigkeitsauffassung nicht bloß auf "Massendelikte typischer Prägung" beschränkt wird. Vielmehr findet sich diese Argumentationsfigur auch im Bereich der Schwerstkriminalität 81 • Offensichtlich hat sich unter der Bezeichnung "Vertretbarkeitsprüfung" eine allgemeine Angemessenheitsprüjung entwickelt 82, deren normative Maßstäbe aber unausgesprochen bleiben 83. Gleichwohl handelt es sich um den praktisch wirksamen Versuch, die Strafzumessung über die bloße Begründungskontrolle hinaus revisibel zu machen 84. Jedoch fehlt es an der Offenlegung der Rechtssätze, die eine vergleichende Überprüfung der Richtigkeit des einzelnen Straferkenntnisses erlauben würden 85. Bislang jedenfalls gilt als nicht vertretbares Strafmaß dasjenige, das sich von der durch Tatschuldausgleich getragenen Strafe zu weit entfernt. Zu weit entfernt von der vom Tatschuldausgleich getragenen Strafe ist freilich die Strafe, die nicht vertretbar ist, eine Tautologie also, die Unsicherheit hinsichtlich der Reichweite des durch die Revision Kontrollierbaren hinterläßt 86 • Diese Unsicherheit ist eine Folge der als jeweils selbständig und voneinander unabhängig gesetzten allgemeinen Gerechtigkeitserwägungen, die in der partiellen Berücksichtigung von Gleichmäßigkeit und damit anderer Strafmaße gipfeln, einerseits sowie des Anspruchs, die Konkretisierung allein anband unbestimmter Grundsätze angeVgl. nunmehr BGH NStZ 1993, S. 233, mit Anmerkung Pauli. BGH Strafverteidiger 1983, S. 102. 81 BGH Strafverteidiger 1983, S. 102: Tötungsdelikt. 82 Bruns, H.-I.: a. a. 0.1985, S. 311. 83 Vgl. nunmehr BGH MDR 1992, S. 399, wo nunnehr lapidar ausgeführt wird, die verhängte Freiheitsstrafe stehe mit dem Schuldgehalt der Tat nicht mehr in einem annehmbaren Verhältnis. 84 Maurach, R., Gössel, K. H., Zipf, H.: a. a. O. 1989, S. 619 ff. 85 Widersprüchlich insoweit Maurach, R., Gössel, K. H., Zipf, H.: a. a. O. 1989, S. 621, wo es einmal heißt, das Revisionsgericht vergleiche aufgrund seines Überblicks die verhängte Strafe mit dem Strafniveau bei vergleichbaren Fallgestaltungen und überprüfe so die Einhaltung des Schuldrahmens, zum anderen aber, das Revisionsgericht führe die Schuldwertung selbständig aufgrund der Strafzumessungsgrunde durch und prüfe so, ob die Strafe innerhalb der Grenzen einer vertretbaren Schuld wertung liege. 86 Vgl. beispw. BGH NJW 1977, S. 1247: unvertretbar mildes Strafmaß. 79

80

4.9 Maßstäbe der Einordnung von Straftaten in den Strafrahmen

119

sichts eines "einzigartigen" Strafzumessungssachverhalts vorzunehmen, andererseits. Hieraus bildet sich ein Widerspruch, der überall dort deutlich wird, wo Strafmaßkonkretisierungen revisionsrechtlich über die fehlerhafte Begründung hinaus beanstandet werden. Erkennbar wird diese Widersprüchlichkeit beispw. in der vergleichenden Beurteilung von Mittätern oder Tatbeteiligten, wo einmal trotz der Betonung der Geltung des Satzes, daß "die Strafe unter Abwägung aller in Betracht kommenden Gesichtspunkte" aus der Sache selbst gefunden werden muß, der Gesichtspunkt, daß gegen Mittäter verhängte Strafen auch in einem gerechten Verhältnis zueinander stehen sollten, nicht völlig außer Betracht bleiben soll und deshalb eine Aufhebung des Strafausspruchs erfolgt 87. Zum anderen kann bei ebenso großem Auseinanderklaffen der Straferkenntnisse ein Rechtsfehler verneint werden mit dem schlichten Hinweis, bei mehreren Tatbeteiligten sei jeder nach dem Maße seiner eigenen Schuld abzuurteilen 88. Dies ist im wesentlichen eine Folge der Konfundierung zweier Maßstäbe, die freilich aus strategischen Erwägungen zur Steuerung der Grenzen der Revisibilität der Strafzumessungsentscheidung heraus intendiert sein mag. Denn der Gesichtspunkt, daß Strafen auch in einem gerechten Verhältnis zueinander stehen sollten, dürfte, die prinzipielle Haltung zugrundegelegt, nichts darüber aussagen, welche der voneinander abweichenden Strafen nicht richtig bemessen ist. Dasselbe gilt für die mehr oder weniger weit vom Üblichen abweichende Strafe. Auch dort müßte für die Beurteilung des Üblichen ein normativer Maßstab zum Einsatz gebracht worden sein, der über eine ordinale Abstufung der Tatschwere oder des verschuldeten Unrechts hinausgeht und die Koppelung mit der Strafschwere steuert.

4.9.2 Formalisierung und Quantifizierung der Äquivalenz zwischen Strafzumessungssachverhalt und Strafmaß Einen grundsätzlich anderen und entschiedeneren Versuch einer nachvollziehbaren Herstellung der Strafe und hieraus folgend der Beseitigung von Strafzumessungsungleichheit haben in den siebziger Jahren v. Linstow und Haag beschritten 89. Dabei handelt es sich bei dem Vorschlag von v. Linstow um ein Verfahren bzw. Modell, das die Brücke zwischen strafzumessungstheoretisch begründeten Merkmalen und dem konkreten Strafmaß in Form einer numerischen Bewertung BGH Strafverteidiger 1981, S. 123; BGH Strafverteidiger 1987, S. 436. BGH NJW 1984, S. 2541. 89 v. Linstow, B.: Berechenbares Strafmaß. Eine neue Methode der Strafzumessung am Beispiel wichtiger Verkehrsdelikte. Berlin 1974; Haag, K.: Rationale Strafzumessung. Ein entscheidungstheoretisches Modell der strafrichterlichen Entscheidung. Köln u. a. 1970; ähnlich angelegte Untersuchungen bzw. Vorschläge liegen vor von Dubs, H.: Analytische Bewertung als Grundlage richterlicher Strafzumessung. In: Festgabe zum Schweizerischen Juristentag 1963. Basel 1963, S.9-23 sowie Grassberger, R.: Die Strafzumessung. Wien 1932, S. 77 ff. 87 88

120

4. Die Einordnung der Straftat in den Strafrahmen

der Merkmale sowie mathematischen Verknüpfungsregeln schlägt 9o • Insgesamt fünf wichtige Verfahrenskomponenten sind in diesem Modell enthalten. Zum einen handelt es sich darum, Auswahl und Bezeichnung von Merkmalen (Strafzumessungstatsachen) vorzunehmen, die für Einzeldelikte und Tatbeteiligungsvarianten eine Rolle spielen. In einem zweiten Schritt erfolgt eine Bewertung der Merkmale durch Zuordnung von Zahlen, die die einzelnen Merkmale in eine Rangfolge bringen. Sodann werden den Merkmalsausprägungen der einzelnen Merkmale Werte zugeordnet, die im Falle rational skalierbarer Merkmale dem quasi natürlichen Verlauf folgen (beispw. die Größe des materiellen Schadens), im Falle nominaler oder ordinaler Qualitäten überlegter Koppelung von Ausprägung und numerischem Wert entsprechen. Schließlich bedarf es einiger Verknüpfungsregeln, mit denen additive, multiplikative etc. Beziehungen zwischen den ermittelten Werten einzelner Strafzumessungstatsachen festgelegt werden. Eine abschließende Entscheidung betrifft die Festlegung von Grenzen bzw. Grenzwerten, die die Geldstrafe von der Freiheitsstrafe, die zur Bewährung ausgesetzte von der unbedingten Freiheitsstrafe abschichten. Der Vorschlag, der im wesentlichen auf (erwartungsgemäße) Ablehnung in Schrifttum und Praxis stieß, läßt sich grundsätzlich als ein System fester Strafzumessungsrichtlinien verstehen, wie sie in neuerer Zeit vor allem im Bundesstrafrecht der USA und im Strafrecht von Einzelstaaten der USA Eingang fanden 91. Liegt ihr Vorzug einerseits darin, tatsächlich berechenbare, gleichmäßige Strafmaße zu liefern, so liegen die eigentlichen Probleme in der Festlegung dessen, was für Gleichmäßigkeit und Berechenbarkeit sorgt. Denn das Kemproblem liegt natürlich in der Zuordnung von Rangordnungen zwischen einzelnen Strafzumessungstatsachen, in der Zuordnung von Werten, in der Festlegung von Verknüpfungsregeln und in der Setzung der Grenzwerte, die die Strafarten trennen. Gerade an dieser Stelle wird aber lediglich ein Verweis auf gruppenbezogenen Konsens sowie allgemeine Plausibilität sichtbar, was offensichtlich das Regelsystem von bloßer dezisionistischer Willkür abhebt. Denn alle diese Festlegungen seien nur in Gruppenarbeit denkbar, im übrigen müsse eine Plausibilitätsprüfung der Ergebnisse in Form konkreter Strafmaße anband der praktischen Strafzumessungsergebnisse erfolgen. Natürlich läßt sich hieran dann die Frage anschließen, ob ein solches Verfahren nicht in einer bloßen Reproduktion der Praxis (wenn auch mittels eines sichtbaren und transparenten Verfahrens), ferner in der Beibehaltung des Status Quo endet 92 • Vom Ziel her ähnlich, im Verfahren jedoch unterschiedlich erweist sich das Haagsche Modell einer rationalen Strafzumessung 93 • Es ist im wesentlichen 90 v. Linstow, B.: Berechenbares Strafmaß. Eine neue Methode der Strafzumessung am Beispiel wichtiger Verkehrsdelikte. Berlin 1974. 91 Vgl. hierzu weiter unten Kap. 5. 92 Kritisch hierzu schon von Hippel, R.: Die Strafzumessung und ihr Ruf. In: Warda, G. u. a. (Hrsg.): Festschrift für Richard Lange zum 70. Geburtstag. Berlin, New York 1976, S. 285-302, S. 289 f.

4.9 Maßstäbe der Einordnung von Straftaten in den Strafrahmen

121

empirisch ausgerichtet, wobei der Vorschlag im Vordergrund steht, auch Wertrationalität durch empirische Verfahren in Maße umzusetzen. Vom Ausgangspunkt soll ein Strafzumessungssystem Schuld als nach oben begrenzendes Prinzip akzeptieren. Unterhalb dieser oberen Grenze sollen Verfahren der Nutzenoptimierung die Konkretisierung der Strafe steuern. Die Schuldbewertung selbst soll einem empirischen Verfahren folgen. Dabei sollen im wesentlichen Rating-Verfahren, bzw. Verfahren der Schwereeinschätzung, Hilfestellung leisten, mittels derer verschiedene Fallgestaltungen desselben Delikts von der Schwere her gesehen in eine Rangfolge gebracht werden. Im übrigen wird die intersubjektive Konsistenz der Beurteilung der Tatschuldschwere im Hinblick auf hiermit äquivalente Strafmaße über sogenannte Ankerfalle abhängig gemacht, die wiederum aus wissenschaftlich begründeten Werturteilen verschiedener Gruppen (Juristen, Akademiker, Sozialwissenschaftler, verschiedene Bevölkerungsschichten) oder, soweit dies nicht möglich ist, aus ratings eben dieser Gruppen gewonnen werden sollen. Das Optimierungsproblem wird schwerpunktmäßig auf den Rechtsgüterschutz ausgerichtet, wobei aber generalpräventive Zweckerwägungen wegen der fehlenden Belege für entsprechende Zusammenhänge ausgeschlossen werden. Dagegen wird Spezialprävention im Zusammenhang mit Optimierung zugelassen, mit der wenig brauchbaren Erwägung freilich, daß einerseits Wahrscheinlichkeitsaussagen über den Rückfall möglich seien, andererseits im Experiment die Überlegenheit der einen oder der anderen Strafe entschieden werden könne. Allerdings mangelt es bereits an einem schlüssigen Nachweis dafür, daß und ggfs. wie Rückfallhäufigkeit mit der insgesamt zu beobachtenden Rechtsgutverletzung zusammenhängt 94. Freilich bleibt schon das Ziel, hinsichtlich dessen die Einzelstrafe optimal ausgestaltet sein soll, kaum ausräumbaren Zweifeln ausgesetzt. Denn die Größe der insgesamt in einem bestimmten Zeitraum entstandenen Rechtsgutverletzungen ist schließlich eine Frage der Perspektive, die angelegt wird, sei es aus der Opferperspektive, der polizeilichen Informationssysteme oder der Tätersperspektive selbst. Damit ist deutlich, daß eine eindeutige Größe nicht erhoben werden kann. Es handelt sich damit nicht um ein Meßproblem, sondern um eine Frage der theoretischen Sichtweise. Immerhin bleibt die Zielbestimmung schon deshalb fragwürdig - könnte der Umfang von Rechtsgutverletzungen tatsächlich erhoben werden - , weil unklar bleibt, wohin optimiert werden soll. Hier ein bloßes "Minimum" zu nennen, ist allerdings zu wenig. Denn allein an solcher Unbestimmtheit muß der Einsatz auf die Ökonomie bezogener Verfahren scheitern. Erforderlich wäre die klare Zielvorgabe, etwa derart, daß von einer Strafe im Einzelfall erwartet werde, daß sie zu einer Reduzierung der Rechtsgutverletzungen von 10, 20 etc. % beiträgt. Schon dies macht deutlich, daß eine Einigung auf ein konkretes Ziel wohl kaum gelingen könnte. 93 Haag, K.: Rationale Strafzumessung. Ein entscheidungstheoretisches Modell der strafrichterlichen Entscheidung. Köln u. a. 1970. 94 Eine derartige Unterstellung ist zwar geläufig, wird aber deshalb nicht einsichtiger.

122

4. Die Einordnung der Straftat in den Strafrahmen

4.9.3 Formalisierung als Verrechtlichung der Argumentation in der Begründung des Strafmaßes Im Vorschlag, Rationalität der Strafzumessungsentscheidung in Form von Verrechtlichung des Auslegungs- und Begründungsverfahrens zu konzipieren und die Entwicklung von offenen, nachvollziehbaren Regeln in der Herstellung des Strafmaßes durch eine Entsorgung der Entscheidung von verdeckten, unausgesprochenen Regeln einerseits und die explizite Verknüpfung von Entscheidungsbegründung und Entscheidungsergebnis andererseits zu fördern und abzusichern, wird vor allem die Formalisierung der Verfahrensdimension des Strafzumessungsvorgangs betont 95. Dabei ist die Vorstellung leitend, daß im offenen und institutionell abgesicherten Diskurs über "wahre" Gründe der Strafbestimmung die Herstellung einer offen regelgeleiteten Entscheidungssituation und damit auch eine Annäherung zwischen Herstellung und Darstellung der Entscheidung ermöglicht werden. Ein zentrales Element besteht in dem Ausgangspunkt, daß die Strafkonkretisierung stets mit Wertung und Bemessungsspielräumen verbunden ist, deren offene Darstellung im Sinne einer auf Verstehen und Verständnis (zwischen den Beteiligten) ausgelegten 96 , den Induktionsprozeß nachvollziehenden Argumentation in die Entwicklung von konsistenten Regeln der Strafzumessung münden soll. Abstützung sollte ein solches Konzept der Strafzumessungsentscheidung finden durch vollständige Information der Tatrichter, extensive Veröffentlichung strafzumessungsrechtlich relevanter Entscheidungen sowie informelles Tat- oder Schuldinterlokuts und ggfs. die Zulassung von "dissenting votes" in Strafzumessungsfragen im Falle von Kollegialgerichten 97 • Im Zusammenhang mit folgenorientierten Entscheidungen dagegen soll das Prinzip der richtigen Verwendung einschlägiger wissenschaftlicher Methoden beherrschen, wobei auch hier Offenheit und Nachvollziehbarkeit wohl insoweit im Vordergrund stehen, als bei der derzeitigen gesetzlichen Verpflichtung auf Folgenorientierung durch § 46 Abs. 1, S.2 StGB die Gefahr einer weiteren Vergrößerung der Kluft zwischen Herstellung und Darstellung der Entscheidung gesehen wird, weil eine gesetzliche Operationalisierung der prognosebedingenden Begriffe (Verteidigung der Rechtsordnung) fehlt 98 • Dem Gesamtansatz entpricht es, wenn schließlich ein weiteres Kriterium rationalen Entscheidens, nämlich die Anpassung an die Ziele des Strafrechts, als von Entscheidung zu Entscheidung mitzubegründende Zielformulierung verstanden wird und letztlich die Herstellung von Regeln der Strafzumessung einem "zeitlich unbegrenzten" Diskurs anheimgegeben wird 99 • Freilich verträgt sich eine solche Auffassung mit dem Bestreben, die 95 Hassemer, W.: (1978), S. 64-99. 96 Hassemer, W.: 97 Hassemer, W.: 98 Hassemer, W.: 99 Hasserner, W.:

Die Formalisierung der Strafzumessungsentscheidung. ZStW 90 a. a. a. a.

a. a. a. a.

O. O. O. O.

1978, 1978, 1978, 1978,

S. 93. S. 93 f. S. 95. S. 99.

4.10 Zusammenfassung

123

Konsistenz im Querschnitt von Strafzumessungsentscheidungen mit dem Erhalt der Innovationsfähigkeit im Längsschnitt zu vereinbaren.

4.10 Zusammenfassung Rekapituliert man nun die bislang vorgetragenen Erwägungen, dann schälen sich zwei Einsichten heraus. Zum einen wird ein begründetes Zusammenspiel zwischen den gesetzgeberischen Anteilen der Strafzumessung, also Strafrahmen und Strafrahmenmodifizierungen einerseits und der richterlich zu verantwortenden Strafzumessung im Einzelfall nur dann gelingen, wenn in der Entwicklung eines normativen Maßstabs, der eine Bewertung des deliktischen Sachverhalts selbst betrifft, eine praktikable, straftheoretisch begründbare Skalierung einfließt. Zum anderen kann die relationale Einordnung der jeweiligen Straftat in den Strafrahmen nur als argumentative Aufbereitung einerseits des Maßstabs, andererseits als argumentative Aufbereitung des Abstands, den der zu entscheidende Fall im Vergleich zu anderen bereits entschiedenen Fällen erhalten soll, lediglich auf eine Art und Weise erfolgen, die einerseits die normativen Bezugspunkte expliziert, zu denen auch die Verortung im Strafrahmen gehört, andererseits die Abweichungen hiervon anband der komparativen Analyse von Deliktsschwere und der Strafschwere verdeutlicht und offenlegt. Dies steht in Einklang mit den durch § 267 Abs. 3 StPO gesetzten Begründungserfordemissen, die auf eine Nachvollziehbarkeit der Herstellung des Strafmaßes abheben. Hierfür reicht nicht aus, daß auf "üblicherweise verhängte Strafen" verwiesen wird. Vielmehr sind die normativen Ausgangspunkte zu identifizieren, aus denen das "Übliche" entstanden ist. Der normative Ausgangspunkt kann deshalb nur aus der begründeten Darstellung eines Regelfalles oder Regeltatbildes bestehen, von dem ausgehend dann Abstände hergestellt werden. Erst dann kann Abweichung in der Herstellung des Strafmaßes oder Ungleichmäßigkeit im Strafzumessungsergebnis offen werden und argumentativ ausgetragen und entschieden werden. Denn dann werden Bewertungskonflikte deutlich und sichtbar. Freilich wird durch derartige Maßstäbe die Abweichung nicht ausgeschlossen. Vielmehr stellt sie im wesentlichen sicher, daß ungewollte Abweichungen weder im Querschnitt noch im Längsschnitt unkontrollierbare Entfaltungsmäglichkeiten haben. Mit dieser Trennung und Nennung der Bewertungsmaßstäbe eröffnen sich auch andere und angemessenere Interpretationen der im Längsschnitt beobachtbaren Veränderungen in der Sanktions struktur. Diese könnten dann nachvollziehbar gestaltet werden, sei es als begründete Veränderungen in der Bewertung der Strafschwere, sei es als ebenfalls begründete Veränderungen in der Deliktsschwere.

5. Zur internationalen Entwicklung des Rechts der Strafzumessung 5.1 Einführung Der Diskussionstand zur Strafzumessung im deutschen Strafrecht spiegelt erhebliche Diskrepanz auf allen Ebenen wider. Deshalb scheint es sinnvoll, die internationale Rechtslage im Hinblick darauf zu befragen, welche Problemsicht in der Herstellung der Strafzumessungsentscheidung, insbesondere im Zusammenhang mit auf Gleichmäßigkeit des Strafmaßes bezogenen Fragestellungen, auftritt und welche Lösungsansätze empfohlen und zugelassen werden. Dabei gilt es vor allem, das positive Recht der Strafzumessung, wie es in ausländischen Rechtsordnungen gestaltet wurde und sich aktuell entwickelt, einzubeziehen. Denn das Problem des Umgangs mit der Strafe und der Strafzumessung spiegelt sich nicht zuletzt in den gesetzlichen Regeln und deren Entwicklung wider, die zur Anleitung des Richters gesetzt werden. Daß die Setzung von Nonnen in diesem Bereich Probleme sichtbar werden läßt, jedoch auch Lösungsansätze erwarten läßt, ist plausibel, wenn allein die Komplexität der Erwartungen und Ansprüche, die mit der Verhängung staatlicher Strafen verbunden werden, in Rechnung gestellt wird. Im übrigen handelt es sich um ein insoweit sensibles kriminalpolitisches Feld, als im Strafzumessungsrecht auch das traditionelle, in diesem Punkt durch erhebliche Entscheidungsfreiheit des Richters gekennzeichnete, Verhältnis zwischen gesetzgebender Gewalt und Judikative angesprochen ist. Ferner (faßt man das Feld weiter und zieht bedeutsame Entscheidungen der Strafverfolgungsbehörde einerseits und solche der Vollstreckungsbehörde bzw. Vollzugsverwaltung in Betracht) wird auch das Verhältnis zwischen Judikative und Exekutive berührt, wenn die Frage zur Beantwortung ansteht, inwieweit und mit welcher Präzision der Gesetzgeber Grundlagen und Struktur sowie Vollstrekkungsfolgen der Strafzumessungsentscheidung festlegen soll. Dabei gilt es anzuerkennen, daß sich die Rahmenbedingungen der Strafzumessung international weitgehend angenähert haben. Abgesehen von grundlegenden sozialen und kulturellen Bedingungen gilt dies insbesondere für die Strafarten und Straffonnen, die in die Sanktionssysteme Eingang gefunden haben, ebenso wie für Modalitäten ihrer Vollstreckung 1. Dies deckt sich mit einem weithin zu 1 Vgl. beispw. die Zusammenfassungen bei van Kalmthout, A., Tak, P. J. P.: SanctionSystems in the Member-States of the Council of Europe. Bd. 1, Strasbourg 1988, Bd. 2, Strasbourg 1992.

5.1 Einführung

125

beobachtenden Konsens in der Bedeutung gewisser kriminalpolitischer Problemsichten, wie beispielsweise Diversion, Sanktionsverzicht, Wiedergutmachung oder Alternativen zur Freiheitsstrafe. Auch in der Praxis der Strafenverhängung sind, neben Unterschieden, erstaunliche Gleichförmigkeiten, sich ähnelnde Muster und gleichartige Problemanalysen zu beobachten. Offensichtlich führen Erfordernisse der Ökonomie und der bürokratischen Organisation der Strafjustiz zur Konvergenz in Form funktionaler Lösungen der Probleme der Sanktionierung von Straftätern 2. Besonders deutlich wird dies im Bereich der vereinfachten Verfahren, die ja regelmäßig auch eine vereinfachte Strafzumessung (Strafzumessung zweiter Klasse) 3 einschließen. Damit ist eine taxen orientierte Strafbemessung verbunden, die in der Regel am unteren Strafrahmen orientiert ist. Andererseits werden international Ungleichbehandlung, ja teilweise Willkür sowie Unsicherheit in den Zielen der Strafzumessung und bei ihrer Einbindung in die Funktionen des Gesamtsystems strafrechtlicher Kontrolle beklagt 4 • Ferner stehen international Themen wie die Transparenz der Entscheidung und eine effiziente Kontrolle der Strafzumessung zur Debatte 5. So nimmt es nicht wunder, wenn häufig die Frage gestellt wird, wie derartige Entwicklungen beeinflußt und verändert werden können. Ferner wird danach gefragt, wie bestimmten kriminalpolitischen Grundsatzentscheidungen, aber auch ökonomischen Parametern der Sanktionspolitik in die Strafzumessung und in die Sanktionspraxis Eingang verschafft werden kann 6 • Dabei wird dem Gesetz als einem naheliegenden und legitimen Steuerungsmittel prominente Bedeutung zugeordnet 7• Andererseits sind allerdings auch Stimmen zu hören, die eine Festlegung oder wenigstens eine zu weitgehende Festlegung des Richters in der Frage der Zielbestimmung von Sanktionen, der Auswahl

2 Albrecht, H.-J.: Particular Difficulties in Enforcing the Law Arising Out of Basic Conflicts Between the Different Agencies with Regard to the Best-Suited Reaction Upon Highly Sensitive Kinds of Crime. In: Council of Europe (Hrsg.): Interactions Within the Criminal Justice System. Strasbourg 1987, S. 41-82, S. 51. 3 Vgl. Albrecht, H.-J.: Strafzumessung und Vollstreckung bei Geldstrafen. Berlin 1980. 4 Pallin, F.: Die Strafzumessung in rechtlicher Sicht. Wien 1982; Streng, F.: Strafzumessung und relative Gerechtigkeit, Heidelberg 1983; Kaiser, G.: Kriminologie. Ein Lehrbuch. 2. Aufl., Heidelberg 1988; Nagel, I. H.: Structuring Sentencing Discretion: The New Federal Sentencing Guidelines. The Journal of Criminal Law and Criminology 80 (1990), S. 883-943. 5 Pires, A. P.: La Reforme Penale Au Canada: L' Apport De La Commission Canadienne Sur La Determination De La Peine. Criminologie 20 (1987), S. 11-56, S. 12; vgl. auch die Beratungsergebnisse des European Committee on Crime problems, Select Committee of Experts on Sentencing vom 24.1.1991. 6 Report of the Canadian Sentencing Commission: Sentencing Reform: A Canadian Approach. Ottawa 1987. 7 Ashworth, A.: Techniques for Reducing Subjective Disparity in Sentencing. Straßburg 1987; Report of the Canadian Sentencing Commission: Sentencing Reform: A Canadian Approach. Ottawa 1987.

126

5. Zur internationalen Entwicklung des Rechts der Strafzumessung

zwischen verschiedenen Strafen und der Strathöhenbemessung ablehnen 8 • Denn offensichtlich wird die Bedeutung der Stellung des Richters im System strafrechtlicher Kontrolle nicht zuletzt auch mit gewissen Freiheiten in der Festlegung von Rechtfolgen der Straftat in Verbindung gebracht. Einen Mittelweg versuchte insoweit der amerikanische Bundesgesetzgeber mit der Einsetzung einer Strafzumessungskommission, die verpflichtende Strafzumessungsrichtlinien entwerfen kann sowie für deren ständige Anpassung an Veränderungen und Probleme in der Strafzumessungspraxis sorgen so1l9. Ein internationaler Vergleich der Strafrechtsreformentwürfe und -vorschläge der letzten Jahre bzw. neuerer Strafgesetzbücher zur Frage der gesetzlichen Regelung der Strafzumessung mit dem Ziel, Tendenzen und Entwicklungslinien in der Herstellung der Strafe zu identifizieren, erscheint für die Ausgangsfragestellung der Untersuchung deshalb von besonderem Interesse. Dies gilt insbesondere im westeuropäischen Kontext, wo Rechtsvereinheitlichung auch im Strafrecht heute ganz hervorragende Bedeutung hat. Daß sich Vereinheitlichung nicht in der Frage der tatbestandlichen Fixierung von kriminellem Unrecht erschöpfen darf, sondern das Sanktionensystem und dessen Handhabung erfassen muß, steht außer Zweifel. Steht die Strafverfolgung heute ganz im Zeichen internationaler Kooperation und Koordination (bei offensichtlich wenig Problemen in der Definition gemeinsamer und übergreifender Ziele) 10, so sollte auch die Sanktionspolitik als ein besonderes Feld der Kriminalpolitik unter Harmonisierungsgesichtspunkten Beachtung finden. Denn das Problem der Gleichmäßigkeit im Strafmaß stellt sich nicht nur im nationalen Bereich. Vielmehr setzt ein effizientes System der Kooperation im Strafrecht wohl vor allem auch voraus, daß sich jedenfalls nicht allzu große Diskrepanzen in der Bewertung von Straftaten und im Niveau der Strafen ergeben. Potentielle Regelungsbereiche des Rechts der Strafzumessung werden vor allem durch die folgenden Fragen skizziert, die sich im wesentlichen an die eingangs gestellten Forschungsfragen zur Gleichmäßigkeit in der Strafzumessung anschließen: -

Legt der Gesetzgeber allgemeine Prinzipien der Strafzumessung fest, insbesondere in Form der Vorgabe eindeutiger Strafziele?

-

Wird die Strathöhenbemessung, ggf. anband welcher Regeln und Standards, strukturiert?

8 Bjerke, H. Ch.: Zielsetzung und Stand der Strafrechtsreform in Norwegen. In: Eser, A., Cornils, K. (Hrsg.): Neuere Tendenzen der Kriminalpolitik. Freiburg 1987, S. 107-

139, S. 135. 9 Nagel, I. H.: Structuring Sentencing Discretion: The New Federal Sentencing Guidelines. The Journal of Criminal Law and Criminology 80 (1990), S. 883-943.

10 Vgl. beispw. Albrecht, H.-J.: Internationale Kooperation der Polizei. In: Strafverteidigervereinigung (Hrsg.): 10. Strafverteidigertag. Bremen 1987, S. 192-207; Fijnaut, C.: Police Co-operation within Western Europe. In: Heidensohn, F., FarrelI, M. (Hrsg.): Crime in Europe. London, New York 1991, S. 103-120.

5.1 Einführung

127

-

Wird das Verhältnis zwischen verschiedenen Strafarten, ggf. anband welcher Kriterien, fixiert?

-

Wie wird die Strafzumessungsentscheidung auf Funktion und Ziele zunächst der Strafe, dann auch derer des Gesamtsystems strafrechtlicher Kontrolle ausgerichtet, insbesondere im Verhältnis zu Entscheidungen der Strafverfolgungsbehörden und Entscheidungen im Vollstreckungsbereich?

-

Wie ist die Kontrolle der Strafzumessungsentscheidung, vor allem im Hinblick auf die Herstellung von Gleichheit und Nachvollziehbarkeit, ausgestaltet?

Gerade im Zusammenhang der Frage nach der Vorgabe von eindeutigen Strafzielen oder allgemeinen Prinzipien der Strafzumessung durch das Gesetz sollte erwartet werden, daß die seit den 70er Jahren zu beobachtende Änderung in der Einschätzung der Einwirkungsmöglichkeiten durch Strafe auf den Verurteilten, insbesondere die Einschätzung des rehabilitativen Potentials verschiedener Strafformen, bedeutsame Auswirkungen hatte 11. Waren die Entwicklung der Sanktionensysteme, die Regeln ihrer Anwendung und der Vollzug von Sanktionen bis in die 60er Jahre hinein sehr stark auf die spezialpräventive Funktion von Strafe bezogen, so haben sich unter dem Eindruck der Ergebnisse empirischer Sanktionsforschung, allerdings auch unter dem Eindruck dessen, was rehabilitative Strafbemessung und Resozialisierungsstrafe vor allem in Form von unbestimmten Sanktionen im Hinblick auf den Verlust an Rechtssicherheit bedeuten können, starke Zweifel, gar Ablehnung einer im Schwerpunkt der Resozialisierung verpflichteten Strafe geäußert 12. Zwar wird nicht überall davon ausgegangen, daß spezialpräventive Einwirkung durch oder anläßlich von Bestrafungsprozessen unter keinen Umständen stattfinden könne, vielmehr hat sich seit der Verbreitung des Schlagworts "Nothing works" 13 eine differenzierte Betrachtungsweise durchgesetzt 14. Doch ist jedenfalls klar, daß das einst international dominierende Ziel der Rehabilitation im Gesamtkonzept der Strafe und der Strafzumessung angesichts der Befunde internationaler Sanktionsforschung zurückgedrängt worden ist 15. Einem derartigen Anspruch fehlt nicht bloß der empirische Beleg, sondern vor allem auch die erforderliche eindeutige theoretische Basis. Denn offensichtlich wird Vgl. hierzu vor allem Kap. 3. Zusammenfassend Schünemann, B.: Die Funktion des Schuldprinzips im Präventionsstrafrecht. In: Schünemann, B. (Hrsg.): Grundfragen des modemen Strafrechtssystems. Berlin, New York 1984, S. 153-195, S. 163 ff. 13 Lipton, D., Martinson, R., Wilks, J.: The Effectiveness Of Correctional Treatment: A Survey of Treatment Evaluation Studies. New York 1975. 14 Gendreau, P., Ross, R. R.: Revivification of Rehabilitation: Evidence from the 1980s. Justice Quarterly 4 (1987), S.349-407; Thomton, D.: Treatment Effects on Recidivism: A Reappraisal of the ,,Nothing Works" Doctrine. In: McGurk, B. J., Thomton, D., Williams, M. (Hrsg.): Applying Psychology to Imprisonment. London 1987, S. 181-190; Kaiser, G.: Kriminologie. Ein Lehrbuch. 2. Aufl., Heidelberg 1988, S. 891 ff. 15 Vgl. dazu zusammenfassend Kapitel 3. II

12

128

5. Zur internationalen Entwicklung des Rechts der Strafzumessung

heute nirgendwo davon ausgegangen, daß eine Kriminalitätstheorie zur Verfügung stehe, die beanspruchen könnte, mit den für ein Resozialisierungskonzept benötigten Variablen und Merkmalen Kriminalitätsentstehung, Rückfall und vor allem die Entwicklung krimineller Karrieren insgesamt und umfassend zu erklären 16. Strafe insgesamt kann deshalb nicht mit Resozialisierung oder, weiter gefaßt, Individualprävention begründet werden 17. Soweit Rehabilitation und Eingliederung auf empirische Theorien und damit Kriminalitätstheorien verweisen, können die heute und aller Voraussicht nach auch in Zukunft nur zur Verfügung stehenden probabilistischen Theorien natürlich bloß Teilerklärungskraft beanspruchen, die, wie weiter oben (Kap. 3) ausgeführt wurde, recht bescheiden ausfallt. Im übrigen stellt sich hier international auch das Problem "Neue Tätergruppen" , auf die offensichtlich das behandlungsorientierte Programm des Strafrechts nicht zugeschnitten ist 18. Denn die strafrechtliche Antwort auf rational motivierte, beispielsweise organisierte Kriminalität oder strafbares Verhalten im Wirtschaftssystem, Umweltkriminalität und natürlich das umfangreiche Straßenverkehrsdeliktsaufkommen verlangt offenbar eine andere Erklärung des Verhaltens und damit der Sanktion als die Reaktion auf traditionelle, klassische Kriminalität, die sich in marginalen Gesellschaftsgruppen konzentriert. Dieselben Zweifel im Hinblick auf die Erreichbarkeit des Zwecks werden im übrigen im Zusammenhang mit negativer und positiver Generalprävention sowie dem Sicherungsziel der Strafe vorgetragen 19. Offensichtlich kommen dem Sanktionensystem und seiner Anwendung insgesamt nur marginale Bedeutung für Umfang, Struktur und Entwicklung von Kriminalität zu 20 • Aus einer solchen Sichtweise leiten sich zunehmend Forderungen ab, die auf eine Strategie der "minimalen Antwort" durch strafrechtliche Sanktionen zielen 21. Immerhin dürfte eine Begründung von Strafe mit positiver Generalprävention derzeit auch international im Vordringen sein. Denn die Sicherung von in einer Norm enthaltenen Erwartungen wird im Einklang mit soziologischen Normtheorien nur dann gewährleistet, wenn auf eine Verletzung der Norm eine negative, den Straftäter belastende Reaktion erfolgt 22. Allerdings kann damit wohl nur begründet werden, daß Strafe i. S. einer negativen, belastenden Reaktion zur Aufrechterhaltung und Stabilisierung 16 Zusammenfassend Empey, L. T.: American Delinquency, 2. Auf!. Homewood 1984; vgl. im übrigen Kap. 3. 17 Schünemann, B.: Plädoyer für eine neue Theorie der Strafzumessung. In: Eser, A., Cornils K.: (Hrsg.): Neuere Tendenzen der Kriminalpolitik. Freiburg 1987, S. 209-238. 18 Albrecht, P.-A.: Spezialprävention angesichts neuer Straftätergruppen. ZStW 97 (1985), S. 831- 870. 19 Grundlegend Hassemer, W., Lüderssen, K., Naucke, F.: Hauptprobleme der Generalprävention. Frankfurt 1979. 20 Zusammenfassend Beyleveld, D.: Bibliography on General Deterrence Research. Westmead 1980. 21 Remmelink, J.: Entwicklung und Stand des niederländischen Strafrechts. ZStW 98 (1986), S. 486-507, S. 507. 22 Jakobs, G.: Schuld und Prävention. Tübingen 1976.

5.2 Strafzwecke und Strafziele im internationalen Vergleich

129

einer Norm notwendig ist. Die Begründung der Art der Strafe sowie ihres Ausmaßes leistet eine derartige Theorie jedoch nicht.

5.2 Strafzwecke und Strafziele im internationalen Vergleich Die sich an der Zweckorientierung von Strafe, insbesondere an der Resozialisierungsfunktion, entzündende Auseinandersetzung hat zu einer Tendenz in der internationalen Straf- und Strafzumessungstheoriediskussion geführt, die als neoklassische Strömung bezeichnet und als Antwort auf die Krise des präventiven Strafrechts gedeutet wird 23. Jedoch läßt sich im internationalen Vergleich des Rechts bzw. von Reformentwürfen zur Strafzumessung sehr schnell feststellen, daß das neoklassische Element keinesfalls dominiert. Zwar hat das Strafgesetzbuch von Finnland insoweit bereits seit längerem einen klaren Standpunkt eingenommen, als im Gesetz selbst festgelegt wird, daß die Strafe in einem gerechten Verhältnis zum Schaden und zur Gefahr, die mit der Straftat verbunden ist, sowie zur Schuld des Täters, wie sie sich in der Straftat offenbart, stehen so1l24. Auch die schwedische Reform der gesetzlichen Vorschriften zur Sanktionswahl und Strafbemessung stellt die Schwere der Straftat in den Mittelpunkt und versagt sich spezial- und generalpräventiven Erwägungen im Bereich der Entscheidung über die Strafe 25. Jedoch stehen andere Strafrechtssysteme, Strafrechtsreformentwürfe und -vorschläge immer noch unter dem starken Einfluß einer auch die persönliche Entwicklung und Entwicklungsfähigkeit sowie die persönlichen Umstände des Verurteilten berücksichtigenden Individualisierung der Strafe. So schlägt Schultz im Vorentwurf eines schweizerischen Strafgesetzbuchs vor, eine Strafbemessungsvorschrift einzuführen, die die Strafe als Reaktion auf Einzelfallschuld sieht, jedoch die Funktion des Schuldprinzips auf Strafbegründung und Strafbegrenzung beschränkt 26 . Im übrigen soll die neue Regel ausdrücklich fest23 Vgl. hierzu die Beiträge in Eser, A, Cornils, K. (Hrsg.): Neuere Tendenzen der Kriminalpolitik. Freiburg 1987; vgl. bereits Hood, R.: Tolerance and the Tariff. Some Reflections on Fixing the Time Prisoners Serve in Custody. Oxford 1974, wo insbesondere aus der Auseinandersetzung mit dem System unbestimmter Freiheitsstrafen von der liberalen Doktrin die Rede ist. 24 Hierzu Antilla, 1.: Neue Tendenzen der Kriminalpolitik in Skandinavien. ZStW 95 (1983), S. 739-748; Lappi-Seppälä, T.: Penal Policy and Sentencing Theory. The Canadian Journal ofLaw and Jurisprudence 5 (1992), S. 95-120; § 6,1 des finnischen Strafgesetzbuches. 25 Ashworth, A: Techniques for Reducing Subjective Disparity in Sentencing. Straßburg 1987; Jareborg, N., von Hirsch, A: ,,Neoklassizismus" in der skandinavischen Kriminalpolitik: Sein Einfluß, seine Grundprinzipien und Kriterien. In: Eser, A, Cornils, K. (Hrsg.): Neuere Tendenzen der Kriminalpolitik. Freiburg 1987, S. 35 -64; von Hirsch, A, Jareborg, N.: Sweden's Sentencing Statute Enacted. The Criminal Law Review 1989, S.275-281. 26 Schultz, H.: Bericht und Vorentwurf zur Revision des Allgemeinen Teils des schweizerischen Strafgesetzbuches. Bern 1985, S. 157. 9 Albrecht

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5. Zur internationalen Entwicklung des Rechts der Strafzumessung

schreiben, daß eine schuldunterschreitende Strafe möglich sei, wenn "eine geringere Strafe zu genügen scheint, den Täter zu rechtsgetreuem Leben zurückzuführen". Insoweit würde die bislang streitige Frage der Vereinbarkeit der Berücksichtigung spezialpräventiver Gesichtspunkte mit der Grundnorm des schweizerischen Strafzumessungsrechts (Art. 63 schwStGB) gelöst27• Generalpräventive Erwägungen sind dagegen ausgeschlossen. Mit dem Primat der Schuldstrafe als Grundlage der Strafzumessung deckt sich der Vorentwurf des Schweizer Strafrechts mit dem derzeit geltenden deutschen und österreichischen Recht (§ 46 StGB, § 32 öStGB). Jedoch wird in der Begründung der Grundsatzregelung des Schweizer Vorentwurfs Distanz zur deutschen Regelung und ihrer praktischen Interpretation sichtbar. Danach ist die Schuld als Grundlage der Strafbemessung gefordert, allerdings werden in die Berücksichtigung der Auswirkungen, die von der Strafe auf den Täter und dessen zukünftiges Verhalten ausgehen, auch generalpräventive Erwägungen einbezogen. Dies läßt sich jedenfalls der ganz herrschenden Rechtsprechung entnehmen, die aus der Grundlagenformel des § 46 Abs. 1 StGB die Spielraumtheorie bzw. eine Vereinigungsformel ableitet, mit der individual- und generalpräventive Erwägungen bei der Schließung eines durch Schuldunter- und Schuldobergrenze gebildeten Rahmens Eingang finden können 28 • Jedoch stehen straftheoretische Erwägungen aus dem deutschen Diskussionszusammenhang, die den Versuch unternehmen, die Grundlagenformel des § 46 StGB an eine Tatproportionalitätstheorie der Strafzumessung anzupassen, von den grundlegenden Aussagen her gesehen, eher skandinavischen und amerikanischen Modellen und Ansätzen nahe 29 • Das österreichische Strafrecht bezieht sich zwar zur Frage der Strafzumessung allein auf die Schuld, nimmt also in die zentrale gesetzliche Vorschrift keine präventiven Elemente und Aussagen auf, läßt aber über die Strafmilderungsvorschrift des § 41 öStGB bei überwiegenden Milderungsgründen und einer günstigen Prognose die schuldunterschreitende Strafe zu 30 • Der belgische Vorentwurf eines neuen Strafgesetzbuches präzisiert in diesem Bereich weitergehend 31 • Dort wird vorgeschlagen (Art. 145), daß der Richter die Strafe in Abhängigkeit von der objektiven Schwere der Tat einerseits und dem

27 Vgl. hierzu Dubs, H.: Grundprobleme des Strafzumessungsrechts in der Schweiz. ZStW 94 (1982), S. 161-172, S. 166. 28 Zusammenfassend Müller-Dietz, H.: Grundfragen des strafrechtlichen Sanktionensystems. Hamburg 1979, S. 16 ff. 29 Schünemann, B.: Die deutschsprachige Strafrechtswissenschaft nach der Strafrechtsreform und im Spiegel des Leipziger Kommentars und des Wiener Kommentars. GA 1986, S. 293-352; Schünemann, B.: Plädoyer für eine neue Theorie der Strafzumessung. In: Eser, A., Comils, K. (Hrsg.): Neuere Tendenzen der Kriminalpolitik. Freiburg 1987, S. 209-238. 30 ZusammenfassendPallin, F.: a. a. O. 1982, S. 57 f.; Burgstaller, M.: Grundprobleme des Strafzumessungsrechts in Österreich. ZStW 94 (1982), S. 127 -160. 31 Legros, R.: Avant-Projet de Code Penal. Brüssel 1985, S. 47.

5.2 Strafzwecke und Strafziele im internationalen Vergleich

l31

Grad der Vorwertbarkeit andererseits auszuwählen habe, wobei jedoch insbesondere in Rechnung zu stellen sei 1. die Wirksamkeit der Entscheidung für den Gesellschaftsschutz und 2. die Chancen der Wiedereingliederung des Straftäters. Weniger deutlich und klar äußert sich zum grundlegenden Prinzip der Strafzumessung der französische Vorentwurf. Hier ergibt sich aus dem Entwurf nur der Anspruch auf eine starke Individualisierung der Strafe, wenn festgestellt wird, daß der Richter die Strafe unter Berücksichtigung der Tatumstände, der Person des Straftäters, seines psychischen und neuro-psychischen Zustandes, seiner wirtschaftlichen Mittel und seines Verhaltens nach der Tat (insbesondere gegenüber dem Opfer) zu bemessen habe 32• Dies stellt ganz offensichtlich die seit jeher starke und freie Stellung des französischen Richters in der Sanktionswahl und Strafzumessung in Rechnung bzw. läßt diese unangetastet 33 • Im übrigen ist der Einfluß der Neuen Sozialverteidigung mit der deutlichen Betonung des Gesellschaftsschutzes durch Resozialisierung und Wiedereingliederung des Straftäters immer noch beherrschend. Daß nämlich auch der französische Vorentwurf ganz wesentlich spezialpräventiven Erwägungen in der Strafzumessung verpflichtet ist, ergibt sich nicht zuletzt aus den Bedingungen, die für den vollständigen Strafverzicht und die Aussetzung der Verhängung einer Strafe vorliegen müssen (Art. 132 - 55, 132 - 56, 132- 57). Denn hiernach kann ein Strafverzicht dann erfolgen, wenn 1. die Wiedereingliederung des Straftäters gelungen, 2. der Schaden wiedergutgemacht ist und 3. die durch die Straftat verursachte (soziale) Störung aufgehört hat zu bestehen. Keine Festlegung von grundlegenden Prinzipien der Strafzumessung ist im übrigen im spanischen Vorentwurf zu einem neuem Strafgesetzbuch aus dem Jahre 1983 enthalten 34 • In Art. 63 des Entwurfs ist lediglich die Rede davon, daß bei Nichtvorliegen gesetzlicher mildernder und strafschärfender Umstände die Strafe insoweit individualisiert werden solle, als sie an die persönlichen Umstände des Straftäters und die Schwere der Straftat anzupassen sei. Eine fast vollständige Abstinenz bei der gesetzlichen Regelung der Strafzumessung hat im übrigen das englische Recht bis zur Strafrechtsreform 1991 gekennzeichnet 35. Durch den Criminal Justice Act 1991 sind allerdings detaillierte Regelungen zur Strafzumessung eingeführt worden, die sich auf die Strafart Badinter, R.: Projet de nouveau Code Penal. Paris 1988, S. 79. Moehlmann, C. C.: Strafzweck und Amnestie nach französischem Strafrecht. Frankfurt u. a. 1978. 34 Ministerio de lusticia: Propuesta de ante projecto de nuevo Codigo Penal. Madrid 1983. 35 Ashworth, A.: Sentencing and Penal Policy. London 1988, S. 35. 32 33

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5. Zur internationalen Entwicklung des Rechts der Strafzumessung

sowie auf das Strafmaß beziehen 36• Der Verzicht auf eine gesetzliche Regelung der Strafzumessung gilt aber auch heute noch für das niederländische Strafgesetz, das den Strafrichter gar nur an die Höchststrafe bindet und im übrigen bei jedem Delikt das Absehen von Strafe erlaubt 37. Dagegen lassen die zum 1. 11. 1987 in Kraft getretenen Federal Sentencing Guidelines der USA eine Mischung von präventiver Zweckbestimmung und an der Tatschwere ausgerichteter Zielrichtung erkennen 38. Immerhin tritt hier aber die spezialpräventiv-rehabilitative Orientierung der Strafe und der Strafzumessung eindeutig zurück. Denn in den Sentencing Guidelines wird gefordert, daß Strafzumessung die Schwere der Straftat reflektieren solle, Respekt gegenüber dem Recht fördern und letztlich eine gerechte Strafe ergeben müsse. Ferner werden negative Generalprävention und der Schutz der Öffentlichkeit vor weiteren Straftaten des Verurteilten in den Vordergrund gerückt und als gleichgewichtige Strafziele genannt. Nur soweit es mit den Zwecken des Gesellschaftsschutzes, der Abschreckung und dem Prinzip einer gerechten Strafe verträglich erscheine, dürfe auch die Resozialisierung des Straftäters berücksichtigt werden. Hier wird also ebenfalls der Versuch erkennbar, Strafe und Strafbemessung multifunktional zu deuten und verschiedene Funktionen der Strafe in einem Gesamtkonzept zu integrieren. Das Konzept verbindlicher Strafzumessungsrichtlinien ist eine Antwort auf das System unbestimmter (Freiheits-) Strafen, das von den dreißiger Jahren bis Mitte der siebziger Jahre das Strafrecht der Einzelstaaten und des Bundes in den USA charakterisierte. In den siebziger Jahren führte zunehmende Kritik an der unbestimmten Freiheitsstrafe zu Versuchen, die Strafzumessungsentscheidung stärker zu strukturieren. Während zunächst auf freiwilliger Basis anzuwendende Strafzumessungsrichtlinien nicht den gewünschten Erfolg zeitigten, führten stärker verpflichtende Richtlinien, die im übrigen auch mit erweiterten Rechtsmittels Hand in Hand gingen, zu meßbarem Erfolg. Jedoch kann keineswegs als ausgemacht gelten, daß sich derartige Strafzumessungsrichtlinien über das gesamte Strafrecht der Einzelstaaten der USA durchsetzen werden. Vielmehr scheint schon jetzt sichtbar zu werden, daß sich das Recht der Strafzumessung differenziert. Strafzumessungsrichtlinien einer-

36 Zusammenfassend Wasik, M., Taylor, R. D.: Criminal Justice Act 1991. London 1991, S. 10 ff.; im übrigen Chapter 53, sec. 1-31 des Criminal Justice Act 1991. 37 Remmelink, J.: Entwicklung und Stand des niederländischen Strafrechts. ZStW 98 (1986), S. 486-507, S. 490. 38 United States Sentencing Commission: Sentencing Guidelines and Policy Statements. Washington 1987; United States Sentencing Commission: Federal Sentencing Guidelines Manual. St. Paul 1988; die Vereinbarkeit der Sentencing Guidelines mit der Verfassung wurde durch den Supreme Court mittlerweile bejaht, vgl. Mistretta v. United States, 109 S. Ct. 647 (1989); eine verfassungswidrige Übertragung gesetzgeberischer Gewalt wurde nicht festgestellt, da der Gesetzgeber im Gesetz über die Einrichtung und die Pflichten der Strafzumessungskommission genügend präzise Anleitungen gesetzt habe; hierzu insbesondere Esayian, L. G.: Separation of Powers - The Federal Sentencing Commission: Unconstitutional Delegation and Threat to Judicial Impartiality? The Journal of Criminal Law and Criminology 80 (1990), S. 944-967.

5.2 Strafzwecke und Strafziele im internationalen Vergleich

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seits, gesetzlich detenninierte (absolute) Strafandrohungen andererseits sowie die unbestimmte Strafe dürften in Zukunft in den USA nebeneinander existieren 39. Plausibel scheint allerdings auch die Erwägung, daß die Strafzumessungskommission des Bundes, gerade was die Festlegung eines Hauptziels und einer Rangordnung verschiedener Strafziele betrifft, keinen Konsens herzustellen in der Lage war 40 • Insoweit unterscheiden sich die Bundesrichtlinien zur Strafzumessung von den ihnen zeitlich vorausgehenden Sentencing Guidelines des Bundesstaates Minnesota 41. In diesen wird als dominierendes Ziel der Strafzumessung allein die Herstellung einer gerechten Strafe, die sich primär an der Tatschwere zu orientieren habe, genannt. Rehabilitation, aber auch Abschreckung und Sicherung werden dagegen nicht als Hauptziele der Strafzumessung anerkannt. Eine eindeutige Fassung der Ziele der Strafzumessung war auch Anliegen der Arbeit der kanadischen Kommission zur Refonn der Strafzumessung 42. Der Zweck, der in der Strafzumessung primär verfolgt werden sollte, so ihr Vorschlag für ein neues Recht der Strafzumessung, bestünde darin, die Autorität des Rechts zu wahren sowie den Respekt für das Recht zu fördern. Dies werde allein durch die Verhängung einer gerechten Strafe gewährleistet. In dieser Position erfahrt die negative Generalprävention eine deutliche Ablehnung. Dagegen steht die Verfolgung positiver Generalprävention in der Fonnulierung des beherrschenden Grundsatzes der Strafzumessung ganz im Vordergrund. Schließlich wird der Standpunkt eingenommen, daß Strafe mit Vergeltung nicht mehr begründet werden könne. Lediglich Nützlichkeitsgesichtspunkte seien zur Legitimation der Strafe geeignet. Hieraus folgt sodann der Schluß, daß in der strafrechtlichen Reaktion auf strafbares Verhalten eher der Gesichtspunkt des" Verantwortlichhaltens" und nicht derjenige der Bestrafung zur Geltung kommen müsse 43. Die Empfehlungen gehen im übrigen auch auf resozialisierende und spezialpräventive Elemente wie Sicherung und individuelle Abschreckung ein. Dabei wird insbe-

39 Zusammenfassend Tonry, M.: Structuring Sentencing. In: Tonry, M., Morris, N. (Hrsg.): Crime and Justice. A Review of Research. Bd. 10. Chicago, London 1988, S. 267 - 328, S. 268 ff. 40 Savelsberg, J. J.: Sentencing Guidelines: Eine Begegnung von Strafrechtsdogma mit gesellschaftlicher Wirklichkeit und die Folgen. In: Kaiser, G., Kury, H., Albrecht, H.-J. (Hrsg.): Kriminologische Forschung in den 80er Jahren. Projektberichte aus der Bundesrepublik Deutschland. Freiburg 1988, S. 281-298; zur Auseinandersetzung um das zugrundliegende Strafmodell vgl. Nagel, I. H.: Structuring Sentencing Discretion: The New Federal Sentencing Guidelines. The Journal of Criminal Law and Criminology 80 (1990), S. 883-943, S. 914ff.; sehr kritisch Tonry, M.: The Failure of the U.S. Sentencing Commission's Guidelines. Crime & Delinquency 39 (1993), S. 131-149. 41 Parent, D. G.: Structuring Criminal Sentences. The Evaluation of Minnesota's Sentencing Guidelines. Stoneham 1988. 42 Report of the Canadian Sentencing Commission: Sentencing Reform: A Canadian Approach. Ottawa 1987. 43 Report of the Canadian Sentencing Commission: Sentencing Reform: A Canadian Approach. Ottawa 1987, S. 145 ff.

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5. Zur internationalen Entwicklung des Rechts der Strafzumessung

sondere das Problem fehlender Belege für eine rehabilitative Auswirkung von freiheitsentziehenden Sanktionen aufgegriffen. Jedoch wird dieser Forschungsbefund für die Umsetzung in positives Recht so gewendet, daß untersagt sein müsse, das Ob und die Dauer freiheitsentziehender Sanktionen allein auf Resozialisierungszwecke zu gründen 44 • Im übrigen sollen individuelle Abschreckung, Generalprävention, Sicherung und Resozialisierung als "Neben"-Zwecke - ähnlich den amerikanischen Federal Guidelines - nur dann als "Neben"-Zwecke berücksichtigt werden können, wenn durch derartige Erwägungen die an Tatschwere und Tatschuld gebundene Proportionalität der Strafe nicht gestört werde. Keine Festlegung von grundlegenden Prinzipien der Strafzumessung ist im übrigen im spanischen Vorentwurf zu einem neuen Strafgesetzbuch aus dem Jahre 1983 enthalten. In Art. 63 ist nur die Rede davon, daß bei Nichtvorliegen gesetzlicher mildernder und strafschärfender Umstände die Strafe insoweit individualisiert werden solle, als sie an die persönlichen Umstände des Straftäters und die Schwere der Straftat angepaßt werden müsse. Die Entscheidung über die Art und die Höhe der Strafe ist zunächst eine Funktion des Rahmens, innerhalb dessen die Strafe als Rechtsfolge einer Straftat variieren darf und der Verpflichtung des Gerichts, auf eine bestimmte Strafe zu erkennen.

5.3 Die Bestimmung der Strafart und der Strafhöhe Da offensichtlich die unbestimmte Strafe international und aus bekannten Gründen heraus auf dem Rückzug ist (dies gilt nicht nur im Erwachsenen-, sondern auch für das Jugendstrafrecht)45, spielt die Festlegung der Höhe und der Art der Strafe im Strafzumessungsgeschehen eine zentrale Rolle. Dieser Bereich der Strafzumessung dürfte im übrigen von sehr viel größerer Bedeutung sein als die Festlegung von allgemeinen Prinzipien, Funktionen und Zielen der Strafe und der Strafbemessung oder die Festlegung von Prioritäten und Rangfolgen unter den Strafzielen im Gesetz. Denn offensichtlich können präventive Erwägungen, seien sie generalpräventiver, seien sie individualpräventiver Natur, aber auch Erwägungen, die die Größe der Strafzumessungsschuld skizzieren, mit den verschiedensten Strafarten und Strafhöhen assoziiert werden. Die Unterschiede in der Größe der Strafvollzugspopulationen, gerade auch im Vergleich westeuropäischer Staaten und deren Gründe (nämlich eine völlig unterschiedliche Struktur der Länge verhängter Freiheitsstrafe), deuten darauf hin, daß bei ähnlichem 44 Report of the Canadian Sentencing Commission: Sentencing Reform: A Canadian Approach. Ottawa 1987, S. 138 f. 45 Das neue österreichische Jugendgerichtsgesetz hat auf die unbestimmte Jugendstrafe verzichtet, vgl. hierzu Jugendgerichtsgesetz 1988, Nr. 486 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XVII. GP. Dasselbe gilt für das deutsche Jugendstrafrecht, wo durch das 1. Gesetz zur Änderung des Jugendgerichtsgesetzes vom 1.12.1990 die unbestimmte Jugendstrafe beseitigt wurde.

5.3 Die Bestimmung der Strafart und der Strafhöhe

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Aufkommen an Straftaten, Tatverdächtigen und Verurteilten jedenfalls die Verhängung unbedingter Freiheitsstrafen und das Ausmaß von vollzogener Freiheitsstrafe beträchtlich variieren können 46 • Offensichtlich sind vor allem in präventiver Hinsicht Strafen in gewissem Sinn austauschbar 47 • Dies dürfte auch in Zukunft nicht anders zu beurteilen sein, denn es ist, wie weiter oben dargestellt wurde, kein hinreichender Grund für die Erwartung ersichtlich, die empirischen Wissenschaften könnten mit präzisen Erkenntnissen darüber aufwarten, durch welches Strafniveau insgesamt und welches Strafmaß im Einzelfall Rehabilitation, Resozialisierung, Integrationswirkung, negative Abschreckung und die Erfüllung von Erwartungen an gerechte Strafen maximiert werden könnten. Dies deutet im übrigen nicht auf Defizite der empirischen Forschung hin, sondern kennzeichnet, wie weiter oben ausgeführt, ganz allgemein Grenzen sozialwissenschaftlicher Theorien und Theoriebildung. Freilich wird durch die Variation in den Strafen auch sichtbar, daß unter Strafzumessungsschuldgesichtspunkten und Gerechtigkeitserwägungen Strafen und Strafmaße austauschbar sind.

5.3.1 Die Entscheidung über die Art der Strafe Im Zusammenhang mit der Entwicklung des Strafzumessungsrechts ist zunächst zu beobachten, daß durch eine weitgehende Differenzierung des Sanktionensystems international auch das Problem gewachsen ist, zwischen den zur Verfügung stehenden Strafarten auszuwählen. Das den Richtern in verschiedenen Ländern heute zur Verfügung stehende Sanktionsinstrumentarium ist weit gefachert, schließt den Sanktionsverzicht ein und kann teilweise durch Maßregeln der Besserung und Sicherung bzw. anders benannte funktionale Äquivalente ergänzt werden. Neben die zeitige und lebenslange Freiheitsstrafe treten Geldstrafe, gemeinnützige Arbeit, die Bewährungsstrafe, die gesamte oder teilweise Aussetzung von Freiheitsstrafe oder anderen Strafen zur Bewährung, elektronisch überwachte Formen des Hausarrests, Halbgefangenschaft oder Halbfreiheit, Wiedergutmachungsverpflichtungen und die Zurückstellung der Strafverhängung mit der Option des Strafverzichts 48 • Schließlich ist die Aufwertung von früher als Nebenstrafen oder bloßen Maßregeln der Sicherung und Besserung betrachteten Reaktionsformen wie Fahrerlaubnisentzug, Fahrverbot, Berufsverbot etc. zu eigenständigen Strafen zu beobachten. Die Sanktionskataloge reflektieren im übrigen nicht eine einheitliche Zielsetzung der Entwicklung des Sanktionensystems 46 Vgl. hierzu die Daten in Council of Europe: Prison Information Bulletin. Straßburg 1987 -1990. 47 Albrecht, H.-J.: Legalbewährung bei zu Geldstrafe und Freiheitsstrafe Verurteilten. Freiburg 1982. 48 Vgl. die zusammenfassende Analyse von Tak, P., van Kalmthout, A.: Sanction Systems in the Member States of the Council of Europe. Bd. 1, Strasbourg 1988, Bd. 2, Strasbourg 1993.

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5. Zur internationalen Entwicklung des Rechts der Strafzumessung

und damit des Rahmens der Strafzumessung, sondern spiegeln ganz unterschiedliche Absichten der Gesetzgeber wider bzw. lassen die Verfolgung recht unterschiedlicher Ziele zu. Neben die Suche nach besseren Mitteln der Rehabilitation und der Reintegration von Straftätern treten Erwägungen, die primär der Vermeidung bestimmter als negativ eingeschätzter Folgen des Vollzugs von Freiheitsstrafe verpflichtet sind. Es sind ökonomisch bedingte Argumente zu beobachten sowie Erwägungen, die sich einer Humanisierung der Strafe und einer allgemeinen (in neuerer Zeit zunehmend zivilisationstheoretisch begründeten) Reduzierung der Eingriffe in die Rechtsgüter des Straftäters verpflichtet fühlen. Immerhin ist eindeutig eine Differenzierung des Sanktionensystems zu erkennen, für die nicht zuletzt auch das österreichische StrafrechtSänderungsgesetz 1987 steht, mit dem beispielsweise (wie in anderen Systemen bereits seit längerem verfügbar) die teilbedingte Freiheitsstrafe bzw. Geldstrafe eingeführt wurde 49. Im übrigen ist festzustellen, daß tendenziell die Strafrahmen sich nach unten öffnen und auf diese Art und Weise die Strafrahmenweite und damit das Differenzierungspotential vergrößert werden. So schlägt beispielsweise der französische Vorentwurf gar den Wegfall aller Mindeststrafen vor 50 • Im niederländischen Strafrecht kann bei jedem Delikt von Strafe abgesehen werden 51. Da andererseits im Zusammenhang mit der Strafschärfung bei Rückfall eine ganz erhebliche Ausweitung des Strafrahmens nach oben stattfindet, wird auch einsichtig, daß im französischen Vorentwurf der vollständige Verzicht auf selbständige Maßregeln der Besserung und Sicherung vorgeschlagen wird. Denn ein Bedarf an Prävention, der durch die Strafe nicht mehr gedeckt werden kann, kann sich unter solchen Bedingungen wohl nicht mehr ergeben. Geht man von dem deutschen und dem österreichischen Strafrecht aus, so fallen Entscheidungen über die Art der Strafe in der Regel in einen Bereich der Strafzumessung, der als Strafzumessung im weiteren Sinn bezeichnet wird. Die Entscheidung über die Strafart wird dabei regelmäßig von spezialpräventiven Erwägungen abhängig gemacht (insbesondere die Wahl zwischen Geldstrafe und [kurzer] Freiheitsstrafe sowie die Strafaussetzung zur Bewährung), wobei als "Notbremse" gegen eine zu weitgehende Berücksichtigung der Spezialprävention und der Rehabilitierung generalpräventiv motivierte Einschränkungen treten. Sowohl im deutschen als auch im österreichischen Strafrecht gilt im übrigen die Festlegung von Bereichen der Freiheitsstrafe, die durch die Geldstrafe als Regelstrafe abgedeckt werden, bzw. in denen, abhängig von Rückfall- bzw. Legalprognose, eine Strafaussetzung zur Bewährung in Betracht kommt. Vom gesetzlichen Programm her betrachtet und unter der Annahme, daß eine schuldangemessene 49 Strafrechtsänderungsgesetz 1987; vgl. hierzu insbesondere Zipf, H.: Teilaussetzung bei Freiheits- und Geldstrafen. In: Vogler, Th. (Hrsg.): Festschrift für Hans-Heinrich Jescheck zum 70. Geburtstag. Berlin 1985, S. 977 -990. 50 Badinter, R.: Projet de nouveau Code Penal. Paris 1988, S. 22. 51 Remmelink, J.: a. a. O. 1986, S. 490.

5.3 Die Bestimmung der Strafart und der Strathöhe

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Strafe spezialpräventiv modifiziert werden darf, ist eine derartige Anordnung von Strafzumessungsentscheidungen verständlich. In der Stellenwerttheorie der Strafzumessung hat eine derartige Anordnung von zunächst schuldbestimmter Strafbemessung im engeren Sinn und der hierauf folgenden präventiv orientierten Strafbemessung in weiteren Sinn mit Entscheidungen zur Frage, ob Geld- oder Freiheitsstrafe bzw. Strafaussetzung zur Bewährung in Betracht kommen, eine schlüssige, wenn auch mit § 46 Abs. 1 StGB kaum zu vereinbarende Form erhalten 52. Jedoch ist zu bedenken, daß von den Eingriffen in die Rechtsgüter der Betroffenen her gesehen wohl ein denkbar großer Unterschied zwischen einer schuldangemessenen unbedingten Freiheitsstrafe einerseits und einer schuldangemessenen, zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe andererseits besteht. Dieser Unterschied kann durch die zusätzliche Verhängung von Auflagen im Falle einer Strafaussetzung zur Bewährung nicht vollständig kompensiert werden. Die nur spezialpräventiv motivierte Strafaussetzung zur Bewährung sieht sich mit Problemen einer sicheren Prognose konfrontiert, insbesondere auch der Festlegung von Kriterien, die die (Individual-)Prognose begründen. Hieran fehlt es aber 53 • Es steht fest, daß gerade im Verhältnis Geldstrafe sowie kurzer Freiheitsstrafe mit und ohne Bewährung von einer Austauschbarkeit im Hinblick jedenfalls auf den Rückfall ausgegangen werden muß, die das gesetzliche Entscheidungsprogramm partiell entwertet 54. Dagegen verhält sich der französische Vorentwurf, ebenso wie das geltende französische Recht, bei der positivrechtlichen Bestimmung des Verhältnisses zwischen verschiedenen Sanktionsarten recht zurückhaltend. So kann der Richter dann, wenn für ein Delikt Gefangnisstrafe angedroht ist (die bis zu maximal 7 Jahren reicht), nach den Vorstellungen des Vorentwurfs die Strafe durch verschiedene selbständige Sanktionen (nicht freiheitsentziehender Art) ersetzen, darunter beispielsweise der Entzug von Rechten (Fahrerlaubnis, Jagderlaubnis etc.), gemeinnützige Arbeit (zwischen 40 und 240 Stunden) und Tagessatzgeldstrafe. Einschränkend bestimmt im übrigen Art. 131-9, daß Gefangnisstrafe mit derartigen eigenständigen Sanktionen nicht kombiniert werden darf. Bei Gefängnisstrafen bis zu einem Jahr kann das Gericht ferner den Vollzug der Strafe in der Form der Halbfreiheit anordnen, wenn hierfür Bedürfnisse vorhanden sind, beispielsweise in Form der Fortsetzung eines Arbeitsverhältnisses, einer Ausbildung, der Teilnahme am Familienleben oder einer medizinischen Behandlung. Schließlich wird dem Gericht die Möglichkeit eingeräumt, aus besonders gewichtigen Gründen beruflicher, sozialer, familiärer oder medizinischer Art die Vollstrekkung der Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr in kleine Zeitabschnitte über einen Vgl. hierzu Kap. 2. Vgl. im einzelnen Kap. 3. 54 Albrecht, H.-I.: Legalbewährung bei zu Geldstrafe und Freiheitsstrafe Verurteilten. Freiburg 1982; Schünemann, B.: Plädoyer für eine neue Theorie der Strafzumessung. In: Eser, A., Comils, K. (Hrsg.): Neuere Tendenzen der Kriminalpolitik. Freiburg 1987, S.209-238. 52 53

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5. Zur internationalen Entwicklung des Rechts der Strafzumessung

Zeitraum von drei Jahren zu verteilen. Auch die Voraussetzungen der Bewährungsstrafe sind wenig strukturiert und festgelegt. Einschränkend wird nur bestimmt, daß derjenige, der mit einer bestimmten Strafe vorbelastet ist, nicht mit einer Bewährungsstrafe belegt werden darf. Im übrigen steht es im Ermessen des Gerichts, jede selbständige Sanktion (einschließlich der Freiheitsstrafen bis zu 5 Jahren) zur Bewährung auszusetzen. Eine Beschränkung der richterlichen Entscheidungsfreiheit ist in Art. 132-18 für den Bereich kurzer Freiheitsstrafen (unter 4 Monaten) enthalten. Allerdings ist auch diese Einschränkung nur formeller Natur und setzt keine inhaltlichen Kriterien, obschon die Vorschrift der Zielvorstellung entspringt, kurze Freiheitsstrafen zurückzudrängen 55. Die Verhängung einer derart kurzen Freiheitsstrafe wird nämlich mit einer besonderen Begründungsverpflichtung versehen. Die Auswahl zwischen verschiedenen Strafarten steht damit im jedenfalls durch das Gesetz weitgehend unberührten Ermessen des Gerichts. Die Tradition des französischen Strafrechts, dem Strafrichter in der Strafzumessungsentscheidung im Gesetz weitestgehend freie Hand zu lassen 56, wird damit fortgesetzt. Die Spielräume werden im übrigen noch deutlicher, wenn bedacht wird, daß der französische Vorentwurf, wie oben bereits erwähnt, auf die Festsetzung von Mindeststrafen bei einzelnen Delikten ganz verzichten will. Ähnlich weite Spielräume hinsichtlich der Auswahl der Strafart können in den spanischen und belgisehen Vorentwürfen zu neuen Strafgesetzbüchern festgestellt werden. Dagegen lehnt sich der Schweizer Vorentwurf eher an das deutsche bzw. österreichische Strafrecht an, soweit die Strafaussetzung zur Bewährung von einer günstigen Prognose abhängig gemacht wird. Das Verhältnis zwischen Geldstrafe und kurzer Freiheitsstrafe soll jedoch im zukünftigen Schweizer Strafrecht eindeutiger bestimmt sein als im deutschen und im österreichischen Strafrecht. Hierzu wird nämlich vorgeschlagen, das Mindestmaß der zeitigen Freiheitsstrafe auf 6 Monate anzuheben und den darunter liegenden Bereich vollständig der Geldstrafe vorzubehalten. Der damit einhergehende Verzicht auf eine dem § 47 StGB nachempfundene Prioritätsregel würde tatsächlich manche Probleme ersparen, die mit der Anwendung des § 47 StGB verbunden sind (vgl. hierzu weiter oben Kap. 3). Denn gerade bei den Tätergruppen, bei denen (in der Regel wegen des Ausmaßes der Vorstrafenbelastung) davon ausgegangen wird, daß eine kurze Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Täter unerläßlich ist, kann festgestellt werden, daß die Prognose (und die Rückfallquote) unabhängig von der Straftat gleichermaßen negativausfällt 57 • Auch die Vorschläge, neue, alterna-

55 Badinter, R.: Projet de nouveau Code Penal. Paris 1988, S. 21; Rath, J., Spaniol, M.: Landesbericht Frankreich. In: Eser, A., Huber, B. (Hrsg.): Strafrechtsentwicklung in Europa II. Teil I, Freiburg 1988, S. 457 -592, S. 514. 56 Hagedorn, E.: Die richterliche Individualisierung der Strafe in Frankreich. Freiburg 1980, S. 205 ff.; Stefani, G., Levasseur, G., Bouloc, B.: Droit Penal General. 13. Aufl. Paris 1987, S. 577.

5.3 Die Bestimmung der Strafart und der Strafhöhe

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tive Sanktionen einzuführen wie ein selbständig zu verhängendes Fahrverbot, die gemeinnützige Arbeit und die Aussetzung der Verhängung einer Strafe zur Bewährung werden im Schweizer Vorentwurf durch die Setzung von Kriterien ihrer Anwendung angereichert. So wird das Fahrverbot auf bestimmte Straßenverkehrsdelikte beschränkt, die gemeinnützige Arbeit und die bedingte Aussetzung der Verhängung der Strafe verlangen die Ersttätereigenschaft und ferner eine an sich verwirkte Freiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr. Hinzu tritt das Erfordernis einer positiven Prognose. Einen im Ansatz recht unterschiedlichen Zugang zur Entscheidung über die Strafart sehen die sog. "Sentencing Guidelines" vor, die beispielsweise in Einzelstaaten der USA (Minnesota, Washington D.C., Pennsylvania, Florida) und im Bundesrecht der USA gelten oder von der kanadischen Strafzumessungsreformkommission zur Einführung empfohlen werden 58. Die zentrale Frage, die hier gestellt und beantwortet wird, bezieht sich auf die Präzisierung der Grenze zwischen Freiheitsentzug einerseits und Sanktionen nicht freiheitsentziehender Art andererseits. Da wohl völlig zu Recht davon ausgegangen wird, daß die Freiheitsstrafe den schwerwiegendsten Eingriff enthält, der in einem Sanktionensystem vorgesehen werden kann, schiebt sich natürlich das Problem in den Vordergrund, an welchen Kriterien sich die hiermit verbundene "In-out"-Entscheidung bzw. die Entscheidung über eine freiheitsentziehende oder nicht-freiheitsentziehende Sanktion orientieren soll. Die Bundesrichtlinien der USA sehen, ähnlich beispielsweise den Minnesota Sentencing Guidelines, eine Mischung aus tatbezogenen Kriterien und der Vorstrafenbelastung zur Erstellung einer Tabelle von Regelstrafen vor, aus der sich bei der Einordnung einer Straftat bzw. eines Straftäters auf den Achsen "Tatschwere" einerseits und dem Grad der Vorstrafenbelastung andererseits auch ergibt, ob die Strafe als vollziehbare Freiheitsstrafe oder als Strafe nicht freiheitsentziehender Art (Bewährung, Geldstrafe, gemeinnützige Arbeit oder Wiedergutmachung etc.) verhängt werden soll59. Im Vordergrund der Diskussion über die Grenzziehung stand dabei die Frage, ob die Linie, die das Gefängnis von den Alternativen hierzu scheiden sollte, eher durch Tatschwerekriterien und damit die Politik des "Just and Desert" oder durch legalbiographische Daten und damit anband von Gesichtspunkten utilitaristischer Art bzw. präventiver Art bestimmt werden sollten. Die Minnesota Guidelines beinhalten heute eine Mischung aus Gesichtspunkten "gerechter und fairer Strafe" und 57 Vgl. hierzu auch OLG Schleswig NJW 1982, S. 116, wo bei Annahme einer gleichermaßen ungünstigen Prognose zu Recht das Vorliegen der Unerläßlichkeit einer Freiheitsstrafe abgelehnt und der Geldstrafe den Vorrang gegeben wird. 58 United States Sentencing Commission: Sentencing Guidelines and Policy Statements. Washington 1987; Asworth, A.: Techniques for Reducing Subjective Disparity in Sentencing. Straßburg 1987; Report of the Canadian Sentencing Commission: Sentencing Reform: A Canadian Approach. Ottawa 1987. 59 Vgl. hierzu Report of the Canadian Sentencing Commission: Sentencing Reform: A Canadian Approach. Ottawa 1987, S. 283 ff.

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5. Zur internationalen Entwicklung des Rechts der Strafzumessung

utilitaristischen, präventiven Argumenten, wobei jedoch auf der leichtesten Deliktsebene Gefängnisstrafen vollständig ausgeschlossen werden (unabhängig vom Grad der Vorstrafenbelastung)60. Auch im Bereich der schwersten Deliktsebene dominiert der Proportionalitätsgrundsatz, hier sind umgekehrt und ebenfalls unabhängig vom Grad der Vorstrafenbelastung immer Freiheitsstrafen vorgesehen. Im mittleren Bereich der Deliktsschwere beeinflußt dagegen die Vorstrafenbelastung die "Entscheidung für oder gegen Freiheitsentzug". Ganz ähnlich gliedern die Bundesrichtlinien die Entscheidung über die Strafart in eine zweidimensionale Tabelle ein, deren Achsen aus 43 Ebenen der Deliktsschwere und 10 Schweregraden der Vorstrafenbelastung bestehen. Nichtfreiheitsentziehende Sanktionen sind lediglich im untersten Bereich vorgesehen. Auch die kanadische Strafzumessungskommission sieht das Ausgangsproblem der Strafzumessung überwiegend in der Festlegung von Deliktsbereichen, in denen vollzogene Freiheitsstrafen einerseits und solchen, in denen nichtfreiheitsentziehende Sanktionen zur Anwendung kommen. Die Kommission empfahl deshalb zunächst eine Reorganisation der Strafandrohungen und die Setzung (realistischer) Höchstmaße angedrohter Strafe sowie die allgemeine Zuordnung jedes einzelnen Deliktstatbestandes zu freiheitsentziehenden Sanktionen oder nichtfreiheitsentziehenden Sanktionen. Hierfür wurden vier Kategorien gebildet, die im Rahmen der vorgeschlagenen Sentencing Guidelines den Ausgangspunkt der Strafzumessung bei jedem Einzeldelikt bilden sollten. Dabei finden vier Kategorien Verwendung: 1. Delikte, die immer mit Freiheitsstrafe belegt werden sollen, 2. Delikte, die immer mit nichtfreiheitsentziehenden Sanktionen belegt werden sollen, 3. Delikte, die im Falle qualifizierender Merkmale trotz der allgemeinen Option für Gefangnisstrafe auch mit nichtfreiheitsentziehenden Sanktionen belegt werden, 4. Delikte, die im Falle qualifizierender Merkmale trotz der allgemeinen Option nichtfreiheitsentziehender Sanktionen mit Freiheitsentzug bestraft werden. Qualifizierende Merkmale beziehen sich auf Deliktsschwere und strafrechtliche Vorbelastung. Eine Qualifizierung weg von der Freiheitsstrafe bedeutet danach, daß geringe Tatschwere und fehlende Vorstrafenbelastung gegeben sein müssen. Unsicherheit herrscht dagegen noch im Bereich der Bestimmung des Verhältnisses zwischen verschiedenen Sanktionen nichtfreiheitsentziehender Art vor. Hierzu nehmen die erwähnten "Strafzumessungsrichtlinien" nicht Stellung. Im eher freien Ermessen des Richters beläßt allerdings die Strafzumessungsgesetzgebung Kaliforniens die Entscheidung über das Ob freiheitsentziehender Sanktionen. Entscheidet sich das Gericht allerdings für die Freiheitsstrafe, dann 60 Parent, D. G.: Structuring Criminal Sentences. The Evolution of Minnesota's Sentencing Guidelines. Stoneham 1988, S. 77 ff.

5.3 Die Bestimmung der Strafart und der Strafhöhe

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gelten Sentencing Guidelines, die die Bemessung der Höhe der Freiheitsstrafe im Detail festlegen 61. An der Nahtstelle zwischen freiheitsentziehenden und "ambulanten" Strafen setzt auch das englische Strafzumessungsrecht nunmehr an. Die Strafrechtsreform des Jahres 1991 konzentriert sich, soweit das Strafzumessungsrecht betroffen ist, ganz entscheidend auf die Frage, wann eine (unbedingte) Freiheitsstrafe verhängt werden darf. Hierfür wurden nunmehr gesetzliche Kriterien eingeführt. Danach kommt eine Freiheitsstrafe nur dann in Betracht, wenn entweder die Straftat so schwerwiegend war, daß keine andere Strafe nichtfreiheitsentziehender Art als angemessene Antwort gelten kann, oder wenn im Falle eines Gewalt- oder Sexualdeliktes der Schutz der Gesellschaft vor schwerwiegenden Beeinträchtigungen nur durch den Freiheitsentzug erreicht werden kann 62 •

5.3.2 Die Entscheidung über die Stratböhe Die Bestimmung der Länge der Strafe bzw. der Höhe der Strafe bezieht sich in den US-amerikanischen Guidelines wie im Vorschlag der kanadischen Strafzumessungsreforrnkommission fast ausschließlich auf die Dauer der Freiheitsstrafe. Ganz im Gegensatz zu europäischen Strafgesetzen, die wie im Falle der Bundesrepublik Deutschland, der Schweiz und Österreich die Entscheidung über die Höhe der Strafe im wesentlichen in das rechtlich gebundene Ermessen des Gerichts stellen 63, liegt das Ziel der Sentencing Guidelines ganz eindeutig in der starken Reduzierung des richterlichen Ermessens durch die Vorgabe mehr oder weniger genau bestimmter Äquivalenzen zwischen bestimmten Delikten bzw. Kombinationen von Delikts- und Tätermerkmalen sowie Strafgrößen. Jedoch sind auch andere Reformansätze in den USA zu beobachten. Neben den bindenden Guidelines sehen Strafgesetze auch ganz genau bestimmte Strafmaße vor (Kalifomien, Nord-Carolina, New York, Michigan, Massachusetts)64. Dabei ist die Reichweite der Geltung der absolut bestimmten Strafmaße unterschiedlich. Sie ist teilweise beschränkt auf spezifische Delikte (beispw. illegaler Waffenbesitz, Betäubungsmittelstraftaten), teils weiter gefaßt und umfaßt alle Verbrechen (Kalifomien) oder besondere Gruppen von Rückfallstraftätern. Das System gesetzlich fixierter Strafmaße ist im wesentlichen dadurch gekennzeichnet, daß unbedingte Freiheitsstrafe angedroht wird, daß Ausnahmen nicht zugelassen werden und daß nachträgliche Korrekturen in Form von Strafrestaussetzung oder Vollzugslockerungen 61 Puglia, R.: Determined Sentencing in Califomia. In: Insitute ofCriminology (Hrsg.): The Future of Sentencing. Cambridge 1982, S. 33-44. 62 Sec. 1, Abs. 2 des Criminal Justice Act 1991. 63 Bruns, H.-J.: a. a. o. 1982, S. 113; Burgstaller, M.: a. a. o. 1982, S. 129; Dubs, H.: a. a. o. 1982, S. 163. 64 Zusammenfassend Tonry, M.: Sentencing Reform Impact. National Institute of Justice, Washington 1987, S. 25 ff.

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5. Zur internationalen Entwicklung des Rechts der Strafzumessung

ausgeschlossen sind. Im übrigen erfaßte die Strafzumessungsreform in den USA auch das System der Strafrestaussetzung, sei es, daß die Strafrestaussetzung insgesamt abgeschafft wurde, sei es, daß (ähnlich den Sentencing Guidelines) Strafrestaussetzungsrichtlinien erlassen und implementiert wurden. Das ganz beherrschende Ziel besteht damit in der Reduzierung von aus der Perspektive der Strafzwecke nicht legitimierbaren Unterschieden in der Strafzumessung sowie in der Herstellung von begründeter Konsistenz der Strafzumessungspraxis. Angestrebt wird auch die Berücksichtigung anderer kriminalpolitischer Ziele bzw. die Berücksichtigung ökonomischer Parameter, beispielsweise die Verfügbarkeit von Haftplätzen. Im übrigen sollte damit eine dauerhafte Korrektur der Praxis des plea bargaining und hierin vermuteter Inkonsistenz, Ungleichbehandlung und Unsicherheit in der Strafpraxis vorgenommen werden 65. Dabei wird grundsätzlich durch Gesetz eine sog. Strafzumessungskommission (die in der Regel überwiegend aus Richtern zusammengesetzt ist) dauerhaft eingerichtet, deren Aufgabe darin besteht, eingedenk bestimmter Strafziele oder in der Gesetzgebung vorgegebener Strafzwecke verbindl~~h~ Richtlinien der Strafbemessung zu formulieren und gegebenenfalls im Verlaufe der Zeit zu verändern 66 • Im wesentlichen werden· hierbei einerseits Delikte nach Gesichtspunkten der Tatschwere in eine Rangfolge gebracht, andererseits wird die strafrechtliche Vorbelastung (beispielsweise auf der Basis der Schwere der Vorstrafe und der Dauer des Zurückliegens der Vorstrafe) skaliert. Hieraus wird eine Matrix gebildet, aus der sich für jede Deliktsschwere in Abhängigkeit vom Grad der strafrechtlichen Vorbelastung ein mehr oder weniger limitierter Bereich anwendbarer Strafe ergibt. Am stärksten wird das richterliche Ermessen in einem Typus von Strafzumessungsrichtlinien beschränkt, der denjenigen, die in Kalifornien Gesetz geworden sind, entspricht. Danach werden alle Verbrechenstatbestände mit genau bestimmten Strafmaßen (einem typischen oder normalen Strafmaß sowie einem gemilderten und einem verschärften Strafmaß) ausgestattet. Liegt der Tatbestand fest, so folgt hieraus eine gesetzlich determinierte Strafe. Jedoch können für bestimmte, gesetzlich fixierte straferschwerende oder strafmildernde Umstände ebenfalls von der Länge her genau bestimmte Zuschläge zu oder Abzüge von der Dauer der Freiheitsstrafe erfolgen (beispielsweise für Vorstrafen, die Benutzung und das Mitführen bestimmter Waffen, die Schwere der Verletzungen des Opfers etc.). Das Strafzumessungsrichtliniensystem des US-Bundesstaates Minnesota besteht aus einer Matrix, die sich aus einer Straftatschwereskala von 10 Punkten und einer Vorstrafenbelastungsskala von 7 Punkten zusammensetzt. Aus dieser 65 Vgl. zum Stellenwert des plea bargaining in der amerikanischen Strafzumessung Weigend, Th.: Strafzumessung durch die Parteien - Das Verfahren des plea bargaining im amerikanischen Recht -. ZStW 94 (1982), S. 200-226. 66 Zusammenfassend Savelsberg, J. J.: Sentencing Guidelines: Eine Begegnung von Strafrechtsdogma mit gesellschaftlicher Wirklichkeit und die Folgen. In: Kaiser, G., Kury, H., Albrecht, H.-J. (Hrsg.): Kriminologische Forschung in den 80er Jahren. Projektberichte aus der Bundesrepublik Deutschland. Freiburg 1988, S. 281-298.

5.3 Die Bestimmung der Strafart und der Strathöhe

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Matrix ergibt sich für jede Deliktsschwere und jeden Grad der Vorstrafenbelastung ein relativ enger Strafrahmen (beispielsweise 20-22 Monate), aus dem die Regelstrafe entnommen werden muß. Ein Abweichen von diesem Rahmen ist möglich bei Vorliegen von in den Richtlinien fixierte Umständen, die dann aber im Urteil behandelt und begründet werden müssen. Die Strafzumessungsrichtlinien benennen im übrigen auch solche Umstände, die gerade nicht berücksichtigt werden dürfen. Die US-Bundesrichtlinien zur Strafzumessung, die im November 1987 in Kraft traten, sehen die Geltung einer den Strafzumessungsrichtlinien des Bundesstaates Minnesota vergleichbaren Matrix vor, die die Deliktsschwere allerdings in 43 Ebenen und die Vorstrafenbelastung in 6 Ebenen zergliedert. Die Einordnung in Deliktsschwerekategorien erfolgt auf der Basis einer deliktsspezifischen Zuweisung einer bestimmten Basispunktzahl, die bei Vorliegen spezifizierter Umstände durch genau bezifferte Abschläge oder Zuschläge modifiziert wird. Die Feststellung der Vorstrafenbelastung erlaubt sodann die Einordnung des Falles in die Matrix, die allerdings relativ weite Strafrahmen vorsieht und im übrigen Abweichungen hiervon bei Vorliegen mildernder oder strafschärfender Umstände bzw. besonderer Umstände, die in den Richtlinien keine Berücksichtigung fanden, zuläßt, somit die Strafmessung sehr viel weitergehend als das System der genau bestimmten Strafen des US-Staates Kalifornien oder auch der Minnesota-Strafzumessungsrichtlinien im Ermessen des Gerichts beläßt. Die kanadische Strafzumessungsreformkommission schlägt in ihrem Abschlußbericht vor, für jedes Delikt neben der bereits weiter oben beschriebenen grundsätzlichen Entscheidung für Freiheitsstrafe oder Strafen nichtfreiheitsentziehender Art einen engeren Strafrahmen als Richtlinie zu setzen, von dem bei Vorliegen benannter erschwerender oder mildender Umstände nach oben und nach unten abgewichen werden darf. Die ,,Einstiegsstrafe" bzw. die Normalstrafe für das jeweilige Delikt, die im übrigen bei einigen Deliktstypen in mehrere Unterstrafrahmen differenziert wird, basiert sehr stark auf der bisherigen Strafzumessungspraxis, die somit fortgeschrieben wird, zielt aber Veränderungen, insbesondere im Hinblick auf eine andere strafrechtliche Bewertung gewalttätiger Sexualdelikte, von sonstigen Gewaltdelikten und Eigentumsdelikten an. So wird beispielsweise für schweren Raub bei einem Höchstmaß von 9 Jahren angedrohter Freiheitsstrafe grundsätzlich die Verhängung einer unbedingten Freiheitsstrafe zur Pflicht gemacht, die Strafzumessungsrichtlinien im engeren legen fest, daß sich die Normalstrafe in einem Rahmen von 2-4 Jahren bewegen darf. Das Vorliegen von mildernden Umständen (beispielsweise keine Vorstrafe, Jugend/ Alter, Provokation durch das Opfer, Wiedergutmachung etc.) oder strafschärfenden Umständen (Vorstrafen, exzessive Grausamkeit, besondere Verletzlichkeit des Opfers, beträchtlicher wirtschaftlicher Schaden, geplante oder organisierte kriminelle Aktivität etc.), die im übrigen nicht abschließend geregelt sind, erlauben die Abweichung von dem gesetzten Strafrahmen.

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5. Zur internationalen Entwicklung des Rechts der Strafzumessung

Dagegen enthalten sich die neueren westeuropäischen Strafgesetzbücher bzw. Vorentwürfe im wesentlichen einer derart strengen Reglementierung der richterlichen Strafzumessung. In England / Wales sind jedoch über die nunmehr in der Strafrechtsreform von 1991 enthaltenen allgemeinen Regeln zur Bestimmung der Strafhöhe hinaus 67 Ansätze zur Entwicklung relativ genau bestimmter Strafzumessungsrichtlinien im Bereich von Einzeldelikten zu beobachten, die anläßlich der Entscheidung über bedeutsame Einzelfälle durch den Court of Appeal gesetzt werden 68 • Dabei handelt es sich sozusagen um "Richtlinienurteile", um richtergesetzte Regeln, die über den konkreten Sachverhalt hinaus Geltung beanspruchen und zum Strafmaß verbindliche Anhaltspunkte bzw. "Tarife" enthalten. Als Beispiel mag eine Entscheidung zur Strafzumessung bei dem Delikt der Vergewaltigung dienen, in der im Jahre 1986 präzise Richtlinien zur Strafzumessung gesetzt wurden 69 • Danach wurden für vier Fallgestaltungen der Vergewaltigung genaue Ausgangspunkte in Form bestimmter Strafmaße vorgesehen. 5 Jahre Freiheitsstrafe gelten nach der Entscheidung als Ausgangsstrafmaß für ein Delikt der Vergewaltigung, das keine der für die weiteren Fallgestaltungen relevanten Merkmale aufweist. 8 Jahre Freiheitsstrafe seien der angemessene Ausgangspunkt für Vergewaltigungen, die von zwei oder mehr Männern, in der Opferwohnung, aus einer Vertrauensposition heraus oder nach einer Entführung begangen worden sind. 15 Jahre Freiheitsstrafe werden als Ausgangspunkt der Strafzumessung bei einer Serienvergewaltigung genannt, die lebenslängliche Freiheitsstrafe schließlich sei jedenfalls keine unangemessene Antwort auf einen Straftäter, der aufgrund psychopathischer Tendenzen oder von Persönlichkeitsstörungen eine dauerhafte Gefahr für die Gesellschaft darstelle. Abweichungen von diesen Ausgangsstrafmaßen sollen entlang benannter strafschärfender und strafmildernder Merkmale erfolgen. Dabei sollen als strafschärfende Umstände ein hohes Gewaltausmaß, die Verwendung einer Waffe, sorgfältige Planung, einschlägige Vorstrafen, wiederholte Vergewaltigung, besonders hohes / besonders junges Alter des Opfers sowie besondere psychische und physische Folgen für das Opfer gelten. Mildernde Umstände betreffen dagegen die Entlastung des Opfers durch ein Schuldbekenntnis, tatprovozierendes Verhalten des Opfers und jugendliches Alter des Straftäters (17 / 18 Jahre). Explizit erwähnt sind auch Umstände, die nicht berücksichtigt werden dürfen. Hierzu gehören selbstgefährdendes Verhalten des Opfers (beispw. Autostop) sowie das bisherige Vorleben des Opfers. Vom Konzept her gesehen kommen derartige richterliche Richtlinien zur Strafzumessung den gesetzlichen Strafzumessungsrichtlinien, die beispw. in Gestalt des kalifornischen 67 Section 2 des Criminal lustice Act von 1991 verlangt, daß eine Freiheitsstrafe in der Höhe der Schwere der Straftat entsprechen muß; im Falle einer Verurteilung wegen eines Gewalt- oder eines Sexualdelikts muß die Länge der Freiheitsstrafe aber darüber hinaus auch durch den Sicherungs bedarf bestimmt sein. 68 Ashworth, A.: Techniques for Reducing Subjective Disparity in Sentencing. Straßburg 1987, S. 8 f. 69 Criminal Appeal Reports 82 (1986), S. 347.

5.3 Die Bestimmung der Strafart und der Strafhöhe

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Systems fixierter Strafen bestehen, durchaus nahe. Jedoch ist in den englischen richterrechtlichen Richtlinien nicht enthalten, wie sich das Vorliegen von strafschärfenden und strafmildernden Unständen bzw. Kombinationen hiervon in Strafzuwächsen oder -abschlägen äußern soll. Das neue schwedische Strafzumessungsrecht verfolgt eine den Sentencing Guidelines durchaus entsprechende Strategie. Danach legt das Gesetz mit dem Strafrahmen den abstrakten "Strafwert" des Delikts fest 70 • Innerhalb dieses Rahmens erfolgt dann in der Strafzumessungsentscheidung eine Konkretisierung im Hinblick auf einen konkreten "Strafwert", der die (relative) Tatschwere spiegeln soll. Für die Konkretisierung sind gesetzliche Strafmilderungs- und Straferschwerungsgrunde vorgegeben, die sich hart an der Straftat selbst und der Schuld des Straftäters orientieren. Im deutschen Strafrecht erfolgt zwar von der gesetzgeberischen Seite der Rahmenbedingungen der Strafzumessung eine Differenzierung der Strafrahmen insbesondere auch durch die Technik der minderschweren Fälle bzw. benannter strafrahmenerweiternder Regelbeispiele, doch kann sich die Strafbemessung im engeren nur an den in § 46 Abs. 2 StGB genannten Aspekten orientieren. Diese benennen Bereiche von Merkmalen oder Ereignissen, die grundsätzlich in die der Strafbemessung zugrundeliegende Abwägung eingeschlossen werden sollen, ohne daß aber ihre Bewertungsrichtung und ihr Gewicht sowie die Art und Weise der Abwägung damit festgelegt würden. Insbesondere fehlt es natürlich an der gesetzlichen Fixierung von bestimmten Merkmalskombinationen und einem dafür in Betracht kommenden bestimmten Strafmaß 71. Die Rechtsprechung hat im übrigen hier wenig Konkretes hinzugefügt. Abgesehen davon, daß der Strafrahmen den theoretisch leichtesten und den denkbar schwersten Fall angemessen abbilden lassen muß und daß der Durchschnittsfall im Sinne des am häufigsten vorkommenden Falles nicht in der Mitte des Strafrahmens angesiedelt werden dürfe, bleibt die Einordnung in den Strafrahmen im wesentlichen in das allerdings durch Tradition weitgehend faktisch festgelegte Ermessen des Gerichts gestellt 72. Die derzeitigen praktiSCh verwendeten Ansätze lassen vor allem nicht erkennen, anhand welcher Merkmale ein Durchschnittsfall erkannt werden kann bzw. wie, vor allem im Vergleich unterschiedlicher Deliktstypen, die Äquivalenz zwischen Straftat und Strafmaß bestimmt werden soll. Der richterlichen Tradition und Praxis kommt hier offensichtlich ein ganz erheblicher Einfluß zu. 70 Dabei ging mit der Reform der Strafzumessung selbst eine Reform der Strafrahmen Hand in Hand, die eine abstrakte Proportionalität des jeweiligen Delikts im Verhältnis zu anderen Delikten herzustellen beabsichtigte, vgl. hierzu von Hirsch, A., Jareborg, N.: Strafmaß und Strafgerechtigkeit. Die deutsche Strafzumessungslehre und das Prinzip der Tatproportionalität. Godesberg 1991, S. 35 ff. 71 Albrecht, H.-J.: Gleichmäßigkeit und Ungleichmäßigkeiten der Strafzumessung. In: Kerner, H.-J., Kury, H., Sessar, K. (Hrsg.): Deutsche Forschungen zu Kriminalitätsentstehung und Kriminalitätskontrolle. Bd. 2, Köln 1983, S. 1297 - 1332. 72 Horn, E.: Strafschärfung und Strafmilderung - im Verhältnis wozu? Strafverteidiger 6 (1986), S. 168-170.

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5. Zur internationalen Entwicklung des Rechts der Strafzumessung

Dagegen benennt die österreichische Regelung der Strafzumessung strafschärfende und strafmildernde Umstände präzise und regelt gleichzeitig, was bei Überwiegen der Milderungsgründe erfolgen darf, nämlich eine außerordentliche Strafmilderung und eine schuldunterschreitende Strafbemessung. Ferner erfahrt die Methode der Strafbemessung eine Regelung. Denn nach § 32 Abs. 3 öStGB soll die Strafe um so höher ausfallen, je größer Schaden oder Gefahrdung war, je mehr Pflichten verletzt wurden, je reiflicher Tatüberlegung und Vorbereitung waren, je rücksichtsloser die Tat durchgeführt wurde und je weniger Verteidigung gegen die Tat möglich war. Bei der Abwägung selbst ist im übrigen § 32 Abs. 2 öStGB maßgebend, wonach entscheidend sei, inwieweit die Tat auf eine rechtlichen Werten gegenüber ablehnende und gleichgültige Haltung oder inwieweit sie auf äußere Umstände und Beweggründe zurückführbar sei. Allerdings wird auch im österreichischen Strafrecht das nicht festgelegt, was von Pallin als Einstiegsstrafe und gleichzeitig eine der wichtigsten Phasen der Strafbemessung bezeichnet wird. Jedoch kommt in dem Unterfangen von Pallin, derartige Einstiegsstrafen als Normalstrafen deliktsspezifisch zu bestimmen und festzulegen, der richterlichen Tradition und der vergangenen Strafzumessungspraxis ebenfalls ganz entscheidende Bedeutung zu 73. Im Schweizer Vorentwurf wird das Problem der Strafbemessung in Form der Strafhöhenkonkretisierung aufgegriffen und insbesondere die Frage gestellt, inwieweit eine Lösung wie die österreichische auch für die Schweiz zu erwägen sei. Der Vorschlag geht dahin, eine präzisere Fassung der Strafzumessungsregel einzuführen, insbesondere soll eine neue Strafzumessungsvorschrift festschreiben, daß das Ausmaß der Schuld durch die von der Schuld erfaßte Schwere der Straftat, das Vorleben, die Beweggründe und die persönlichen Verhältnisse bestimmt wird. Ferner wird empfohlen, eine, an der österreichischen Regelung orientierte, Abwägungsregel einzuführen, wonach die Größe der Schuld nach der Stärke des gegen die Rechtsordnung gerichteten Willens zu bemessen sei. Hierbei werden umsichtige Planung und rücksichtslose Durchführung einerseits, die Zurückführung der Straftat auf äußere Umstände andererseits genannt. Im übrigen wird vorgeschlagen, auf den Strafschärfungsgrund des Rückfalls insgesamt zu verzichten 74. Der französische Vorentwurf enthält sich im wesentlichen der Setzung von Strafzumessungsvorschriften, die das Ermessen des Gerichts bei der Festsetzung der Höhe der Strafe regulieren. Er beläßt damit der richterlichen Freiheit in der Individualisierung der Strafe den traditionell vorhandenen breiten Raum 75. Die im freien Ermessen des Richters stehende Individualisierung der Strafe wird im Pallin, F.: Die Strafzumessung in rechtlicher Sicht. Wien 1982, S. 71 ff. Schultz, H.: Bericht und Vorentwurf zur Revision des Allgemeinen Teils des schweizerischen Strafgesetzbuches. Bern 1985, S. 169 ff. 75 Vgl. beispw. Rassat, M.-L.: Droit Penal. Paris 1987, S. 543 ff.; Pradel, J.: Droit Penal General. Bd. 1, 6. Auf!. Paris 1988, S. 582 ff. 73

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5.3 Die Bestimmung der Strafart und der Strafuöhe

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wesentlichen nur durch gesetzlich bestimmte Strafmilderungs- und Strafschärfungsgründe und hierdurch bedingte Strafrahmenverschiebungen strukturiert. Insoweit wird auch verständlich, daß die Problematisierung der Ungleichbehandlung durch Strafzumessung wenig entwickelt ist. Denn Schwerpunkte der Erörterung von Straf- und Strafzumessungsfragen beziehen sich vielmehr auf die Problembereiche der Strafrahmenwahl, das Problem der Auswahl zwischen verschiedenen Strafarten bzw. Ersatzstrafen oder Alternativen zu den Hauptstrafen Freiheits- und Geldstrafe 76 • Einem gesetzgeberischen Versuch, die Freiheit des Richters in der Strafbestimmung im Bereich der Gewaltdelikte und des Betäubungsmittelhandels einzuschränken, war kein langandauernder Erfolg beschieden 77. Das im Jahre 1981 in Kraft getretene Gesetz wurde bereits zwei Jahre später wieder aufgehoben 78 • Auch der belgische Vorentwurf setzt über die weiter oben dargestellte allgemeine Strafzumessungsregel keine weitergehenden, die Höhe der Strafe regulierenden Maßstäbe. Die für die Behandlung des Rückfallstraftäters einschlägige Vorschrift gibt dem Gericht die Möglichkeit, eine Zusatzstrafe mit eher sicherndem Charakter zu verhängen. Der spanische Vorentwurf enthält dagegen, durchaus im Einklang mit dem geltenden spanischen Strafrecht, eine präzisere Regelung der Strafhöhenbemessung. Benannt werden zunächst mildernde und schärfende Umstände, deren Umsetzung in der Strafzumessungsentscheidung sodann ansatzweise strukturiert wird. Liegen weder mildernde noch schärfende Umstände vor, dann mißt das Gericht die Strafe unter Berücksichtigung der persönlichen Umstände des Straftäters und der Schwere der Straftat zu, so lautet die allgemeine Regel. Stellt das Gericht jedoch nur einen mildernden Umstand fest, so kann die Mitte des im Gesetz vorgesehenen Strafrahmens nicht überschritten werden. Bei Vorliegen nur eines erschwerenden Umstandes entnimmt das Gericht die Strafe der oberen Hälfte des gesetzlichen Strafrahmens. Die Feststellung mehrerer mildernder oder eines einzelnen, dafür sehr bedeutsamen mildernden Umstands zieht die Befugnis des Gerichts nach sich, die Strafe aus einem Strafrahmen entnehmen, der eine oder zwei Stufen unter dem des gesetzlich angedrohten Strafrahmens liegt. Mit diesen Regeln wird also der gesetzliche Strafrahmen in einem formalen Prozeß zerlegt. Nicht eine Abwägung oder die Festlegung der Gewichtigkeit eines Strafzumessungsgrundes entscheidet, sondern die bloße Feststellung des Vorliegens von Milderungs- und Strafschärfungsgründen.

Vg! beispw. Prade!, J.: a. a. 0., S. 513 ff.; Rassat, M.-L.: a. a. 0., S. 505 ff. Loi No. 81 - 82 du 2 fevrier 1981 renforcant !a securite et protegeant !a liberte des personnes, Journal Officie! de la Republique Francaise, 3.2.1981, S. 415 ff. 78 Gesetz vom 10. Juni 1983; vgl. im übrigen Pradel, J.: a. a. 0., S. 583 f. 76 77

10*

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5. Zur internationalen Entwicklung des Rechts der Strafzumessung

5.4 Strafzumessung und Strafvollstreckung: Veränderungen in der erkannten Strafe im Vollstreckungsverfahren Betrachtet man die spezialpräventiv-rehabilitative Ausrichtung der Strafrechtssysteme der Neuzeit, verwundert es natürlich nicht, wenn sich überall Institute wie die der vorzeitigen Entlassung durchgesetzt haben. Darüber hinaus ist die Herausbildung von sehr unterschiedlichen Formen des Vollzugs einer Freiheitsstrafe zu beobachten, die in Gestalt des sog. Stufenstrafvollzugs zunächst stark von Sicherheitsbedürfnissen und Wohlverhaltenserwägungen abhängig gemacht worden waren, jedoch im Kontext der Resozialisierungsidee immer stärker in das rehabilitativ-reintegrierende Konzept der (Freiheitsstrafen-) Vollstreckung eingebettet wurden. Die Folge dieser Entwicklung wird heute teilweise als "Quasi"-Korrektur der richterlichen Strafzumessungsentscheidung, insbesondere durch die Verkürzung der zu verbüßenden Freiheitsstrafenzeit bei Strafrestaussetzung zur Bewährung und durch sehr unterschiedliche Formen der Vollstreckung der Freiheitsstrafe, bezeichnet. In einem theoretischen Kontext, der entweder das gesamte System strafrechtlicher Sozialkontrolle dem Ziel der Rehabilitation oder der Reintegration unterstellt oder jedenfalls die rehabilitative Komponente auf die Vollstreckungsphase konzentriert, ist eine solche Entwicklung verständlich und auch konsequent. Die Einrichtung von offenen Vollzugsanstalten, die Einführung des Freigängervollzugs, die Implementation von Kurzstrafenprogrammen, die die sofortige Überführung von Strafgefangenen in den offenen Vollzug und den Status des Freigängers vorsehen, differenzieren allerdings anband von Kriterien, die insbesondere der neoklassischen Theorie der Strafzumessung und natürlich auch dem Konzept einer grundsätzlich tatschuldangemessenen Strafe fremd sind. Denn die durch Vollzugsbehörden entwickelten Programme beziehen sich natürlich sehr stark auf Kriterien, die einerseits aus Delikt, andererseits aus Merkmalen des Verurteilten abgeleitet sind und allgemeine Einschätzungen von Risiken oder den Wunsch nach Vermeidung bestimmter Nachteile für den Verurteilten bei Vollzug einer Freiheitsstrafe abbilden. So ist bekannt, daß wegen Gewaltdelikten, Sexualstraftaten oder Betäubungsmitteldelikten Verurteilte, Arbeitslose, Ausländer, denen die Ausweisung und Abschiebung droht, drogenabhängige Verurteilte entweder selten oder gar nicht in bestimmte Formen lockeren oder offenen Strafvollzugs gelangen. Die Regeln über die bedingte Entlassung sei es nach einem Drittel, der Hälfte oder zwei Dritteln, fordern die Berücksichtigung von Prognosen über das zukünftige Verhalten von Strafentlassenen. Besonders eindringlich kann das Problem anband sog. Kurzstrafenprogramme in der Bundesrepublik Deutschland geschildert werden. Über die Zulassung zu derartigen Programmen entscheidet zuallererst, ob der Betreffende einen Arbeitsplatz hat 79 • Ist diese Voraussetzung gegeben und sind auch andere Bedingungen erfüllt, 79 Vgl. grundsätzlich Dolde, G., Rössner, D.: Auf dem Wege zu einer neuen Sanktion: Vollzug der Freiheitsstrafe als Freizeitstrafe. ZStW 99 (1987), S. 424-451, S. 432, wo

5.4 Strafzumessung und Strafvollstreckung

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dann kann ein zu unbedingter Freiheitsstrafe Verurteilter die Freiheitsstrafe von vornherein als Freigänger verbüßen. Der Arbeitslose hingegen, wegen derselben Straftat zu derselben Strafe verurteilt, verbüßt die Freiheitsstrafe im geschlossenen Vollzug. Daß ein solches Vorgehen mit dem Prinzip der Gleichbehandlung kollidiert, wäre sofort einsichtig, wenn derartige Differenzierungen in der Phase der Strafbemessung durchgeführt würden. Die Modifikation der Strafen in der Vollstreckungsphase kann in zweierlei Hinsicht problematisiert werden: -

Sind die zur Differenzierung verwendeten Kriterien tatsächlich geeignet, derartige Entscheidungen zu begründen?

-

Sollte es der Vollstreckungsbehörde, wenn auch in einigen Strafrechtssystemen durch Vollstreckungs gerichte überwacht, möglich sein, die Freiheitsstrafe in einer Art und Weise zu modifizieren, die die auferlegte, durch das Gericht ausgesprochene Belastung in bedeutsamer Weise zugunsten eines Teils der Verurteilten reduziert?

Im Zusammenhang mit der Strafrestaussetzung zur Bewährung stellen sich dieselben Fragen. Zwei Entwicklungen sind international im Hinblick auf diese Fragestellungen zu beobachten. Zunächst ist vor allem im Zusammenhang mit der bedingten Entlassung aus dem Vollzug der Freiheitsstrafe darauf zu verweisen, daß im Kontext der oben beschriebenen Sentencing Guidelines regelmäßig die Strafrestaussetzung zur Bewährung, die in der Regel einer sog. Bewährungskommission oblag, beseitigt wurde. Die kanadische Strafzumessungsreformkommission schlägt die Aufhebung der klassischen Strafrestaussetzung zur Bewährung in Kanada vor. In diesen Systemen bleibt aber regelmäßig die Reduzierungsfähigkeit der Haftstrafe um ein Drittel bis ein Viertel bestehen, diese wird jedoch allein von dem Wohlverhalten des Verurteilten im Vollzug und (teilweise) von dessen Beteiligung an bestimmten Vollzugsprogrammen abhängig gemacht. Vollständig aufgegeben wird somit die von einer Rückfall- oder Legalprognose abhängige Strafrestaussetzung. Zwar ist auch die Reduzierung der zu verbüßenden Freiheitsstrafe bei Wohlverhalten im Vollzug aus der Perspektive einer an Tatproportionalität orientierten Strafmessung nicht konsequent. Doch werden wohl vor allem Kontrollbedürfnisse im Strafvollzug selbst als Gründe genannt, den Wohlverhaltenskredit beizubehalten. Im übrigen hat auch das finnische Strafrecht in diesem Bereich eine entsprechende Änderung vollzogen und macht die Strafrestaussetzung nicht mehr von einer positiven oder negativen Verhaltensprognose abhängig. Begründet wird dies nicht zuletzt mit den Problemen, die das Erfordernis von Individualprognosen mit sich bringt 80. ganz deutlich darauf hingewiesen wird, daß es darum gehe, sozial Integrierte und sozial Desintegrierte in der VollzugsgestaItung zu trennen.

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5. Zur internationalen Entwicklung des Rechts der Strafzumessung

Ferner ist als zweite Tendenz zu beobachten, daß die im Vollzug entwickelten Differenzierungen der Vollstreckung der Freiheitsstrafe als eigenständige Sanktion in die Hand des erkennenden Richters zurückgegeben werden. So bietet das französische Recht bereits heute, im übrigen auch das italienische Strafrecht, die Möglichkeit, die Freiheitsstrafe als Halbgefangenschaft oder in Form von Halbfreiheit zu verhängen, also die Varianten des offenen Vollzugs bzw. des Freigängerstrafvollzugs. Der spanische Vorentwurf sieht die Empfehlung vor, Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren in Form des Wochenendvollzugs anordnen zu können. Zwar wird mit derartigen Erweiterungen des Sanktionskatalogs die Vollstrekkungsdifferenzierung in die Zuständigkeit des erkennenden Gerichts verlagert und damit in die Strafzumessungsentscheidung einbezogen, doch wird damit das Problem der Entscheidung selbst und der hierfür relevanten Kriterien nicht gelöst. Zwar ist die Orientierung an Bedürfnissen der beruflichen Integration, des Erhalts des Arbeitsplatzes und des Erhalts familiärer Beziehungen anerkennenswert. Andererseits können damit aber Kriterien wie Arbeitslosigkeit oder bestimmte Ausprägungen des Familienstands auch diskriminierend wirken. Im Hinblick auf berufliche oder soziale Einbindung oder Bindung bereits benachteiligte oder marginalisierte Verurteilte werden durch die Berücksichtigungsfähigkeit derartiger Kriterien eindeutig schlechtergestellt. Die Rechtfertigung derartiger Strafsonderformen, die Unterschiede im Eingriff in die Rechtsgüter des Verurteilten bei grundsätzlich demselben Anlaß mit sich bringen, gründet sich ja keineswegs auf die zu ahndende Rechtsverletzung oder die Gefährlichkeit des Rechtsbrechers, ja nicht einmal auf positive Prognosen. Sie gründet sich allein auf die Vermeidung bestimmter Nachteile durch Strafe für einen bestimmten Kreis von Verurteilten: Vermeidung von Arbeitslosigkeit, Vermeidung des Zerbrechens der Familie etc. Warum die Bemessung der Strafe (oder die Modifizierung der Strafe in der Vollstreckung) allein auf diese Bereiche Rücksicht nehmen soll, kann aber hinterfragt werden. Immerhin ließen sich auch andere vermeidbare und negative Folgen der Vollstreckung von Freiheitsstrafe denken: Beispielsweise die Vermeidung der Beschädigung anderer Beziehungen als die familiärer Art. Gerade in diesem Bereich dürfte, unabhängig von dem aktuellen Stand der Gesetzgebung, noch erheblicher Rechtfertigungs- und Reformbedarf gegeben sein. Jedoch ließe sich durch die Schaffung kompensatorischer Möglichkeiten für Verurteilte, die im Hinblick auf die Straftat ähnlich bewertet worden sind, sich jedoch im Hinblick auf familiäre oder berufliche Einbindung unterscheiden, eine Lage herstellen, die im Lichte der Gleichbehandlung weniger konfliktreich ist 81 •

Antilla, 1.: a. a. O. 1983, S. 745. Vgl. hierzu beispielsweise Albrecht, H. -J.: Ansätze und Perspektiven für die gemeinnützige Arbeit in der Strafrechtspflege. Bewährungshilfe 32 (1985), S. 121-134. 80 81

5.5 Die Kontrolle der Strafzumessungsentscheidung

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5.5 Die Kontrolle der Strafzumessungsentscheidung 5.5.1 Grundlagen der Kontrolle der Strafzumessungsentscheidung: Die Begründung der Strafzumessung Schließlich kann in den Begründungen der derzeit vorliegenden Vorentwürfe und in neueren Strafgesetzbüchern die Betonung von Kontrollierbarkeit und Überprüjungsjähigkeit der Strafzumessungsentscheidung festgestellt werden 82. Offensichtlich wird hierbei der Gesichtspunkt in den Vordergrund gerückt, daß eine Begründung der Strafzumessungsentscheidung eine wesentliche Voraussetzung für die Nachvollziehbarkeit der Herstellung der Strafmaßentscheidung und ihre angemessene Überprüfung in der Rechtsmittelinstanz darstellt. So wird im belgischen Vorentwurf bestimmt, daß der Richter die Wahl der Sanktion sowie das Ausmaß der Sanktion in einer Form, die gedrängt sein könne, aber präzise sein solle, begründen müsse. Der Schweizer Vorentwurf enthält in Art. 46 Abs. 4 die Vorschrift, daß der Richter die für die Bemessung der Schuld erheblichen Umstände im Urteil festzuhalten habe. Eine ausdrückliche Begründungspflicht sieht auch Art. 63 des spanischen Vorentwurfes vor. Ferner setzen die Strafzumessungsrichtlinien nordamerikanischer Provenienz, insbesondere auch der Vorschlag der kanadischen Strafzumessungsreformkommission, sehr stark auf die Begründungspflicht, jedenfalls bei der Abweichung von Regelstrafmaßen, mit dem Ziel, diese tatsächlich rechtsmittelfähig zu machen. Läßt man die sich in neueren Strafgesetzbüchern oder Reformvorschlägen konkretisierenden Vorstellungen über Ziele und Methoden der Strafzumessung Revue passieren, dann drängt sich natürlich zuallererst die Frage auf, ob und inwieweit die damit assoziierbaren Folgen tatsächlich erreicht werden bzw. erreicht werden können. Immerhin lassen sich Schwerpunkte der Entwicklung identifizieren, die mit unterschiedlichen Zielvorstellungen einer gesetzlichen Regelung der Strafbemessung verbunden sind. So ist die Gesetzgebung zur Strafzumessung, soweit sie durch neoklassische Strömungen zumindest mitbeeinflußt wurde und an der Herstellung einer tatproportionalen Strafe orientiert ist, im wesentlichen an der Gleichmäßigkeit der Strafzumessungspraxis, ihrer Konsistenz (deliktsintern und deliktsübergreifend) sowie an der Bestimmtheit der Strafe (auch im Hinblick auf Modifikationen in der Vollstreckungsphase) interessiert. Andererseits sind die, offensichtlich in westeuropäischen Ländern immer noch vorherrschenden, Systeme, die sich der Individualisierung der Strafe im Hinblick auf Schuldproportionalität und Individualprävention verpflichtet fühlen, auf das Ziel hin ausgelegt, im Rahmen einer schuldangemessenen Sanktion präventive 82 Vgl. hierzu beispw. den Criminal Justice Act 1991. In England sind hiermit für bestimmte Fälle Begründungspflichten eingeführt worden, die sich freilich teilweise nur auf die mündliche Urteilsbegründung beziehen, vgl. hierzu Wasik, M., Taylor, R. D.: Criminal Justice Act 1991. London 1991, S. 14, 29 f., 33.

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5. Zur internationalen Entwicklung des Rechts der Strafzumessung

Folgen zu erreichen. Jedoch wird offensichtlich gerade der Anspruch auf Individualisierung, wenn die Resultate empirischer Strafzumessungsforschung betrachtet werden, nur unzureichend eingelöst 83. Denn allenthalben wird eine starke Orientierung der Strafzumessungspraxis an dem unteren Strafrahmen, die Entwicklung von Straftaxen, die Bedeutung der Tradition und die Reduzierung von Strafzumessungstatsachen auf einige wenige Merkmale festgestellt. Gerade die Reduzierung von Strafzumessungstatsachen, auch unter dem Individualisierungsprogramm, auf eine sehr begrenzte Anzahl von Tatschweremerkmalen und Daten zur Legalbiographie verführt geradezu, von einer partiellen praktischen Übereinstimmung beider Entwicklungslinien zu sprechen. Denn die Evaluation der Folgen von Strafzumessungsrichtlinien derart konkreter Art wie die von Minnesota läßt durchaus erkennen, daß die dort angestrebte Gleichmäßigkeit und Konsistenz zwar partiell erreicht wird, immerhin scheint auch eine beachtliche Veränderung der Strafzumessungspraxis kurzfristig möglich zu sein. Doch deutet sich auch an, daß nach einer bestimmten Zeit eine Annäherung an die frühere Praxis erfolgt 84. Freilich mögen die Probleme der Umsetzung derartiger Strafzumessungsrichtlinien auch das Problem der Einbeziehung bzw. der Einbeziehbarkeit strafverfahrensrechtlicher Prämissen, insbesondere dann, wenn die Strafverfolgung durch den Opportunitätsgrundsatz gekennzeichnet ist, spiegeln. Denn offensichtlich drängt als Kehrseite deutlicher Fixierung von Strafmaßen ein unterschiedlich motiviertes Bedürfnis nach Abweichung von der verbindlichen Strafzumessungsvorgabe nach, das sich in Umgehungsstrategien äußert. So ist das amerikanische System informeller Absprachen (plea bargaining) wohl besonders geeignet, verbindlichen Strafmaßempfehlungen oder gesetzlich fixierten Strafmaßen auszuweichen 85. Immerhin wird an dieser Stelle auch deutlich, daß ein materiellrechtliches Strafzumessungsprogramm auf eine verfahrensrechtliche Absicherung und Unterstützung nicht verzichten kann 86 •

5.6 Zusammenfassung Die internationale Entwicklung und der internationale Stand der Strafzumessungsgesetzgebung läßt die Identifizierung mehrerer unterschiedlicher Modelle zu, die im Hinblick auf das hierin enthaltene Potential an Reduzierung richterliKaiser, G.: Kriminologie. Ein Lehrbuch. 2. Aufl., Heidelberg 1988, S. 849 ff. Vgl. hierzu Parent, D. G.: Structuring Criminal Sentences. The Evolution of Minnesota's Sentencing Guidelines. Stoneham 1988, S. 177 ff.; Report ofthe Canadian Sentencing Commission: Sentencing Reform: A Canadian Approach. Ottawa 1987, S. 283 85 Vgl. hierzu Tonry, M.: Sentencing Reform Impact. National Institute of Justice, Washington 1987, S. 25 ff., S. 71 ff. 86 Zu US-amerikanischen Versuchen, informelle Absprachen (plea bargaining) zu reduzieren bzw. ganz auszuschließen vgl. Tonry, M.: Sentencing Reform Impacts. Nationale Institute of Justice, Washington 1987, S. 17 ff. 83

84

5.6 Zusammenfassung

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chen Ennessens und Herstellung fonnaler Gleichmäßigkeit auf einer gemeinsamen Skala abgetragen werden können. Den einen Extrempunkt auf einer solchen Skala stellt das System gesetzlich fixierter Strafen dar, wie es im Strafrecht des US-Bundesstaat Kalifornien in Kraft getreten ist. Zwar entstand mit dem kalifornischen System fixierter Strafen kein umfassendes Strafzumessungsprogramm, denn seine Geltung ist eingeschränkt auf Verbrechen sowie wie auf die Höhenbestimmung der Freiheitsstrafe. Jedoch bildet sich der wesentliche Kern eines Strafzumessungsrechts aus, das nicht nur das Ob, sondern auch das Wieviel der Strafe vorhersehbar gestaltet. Danach werden Strafmaße für nonnale wie davon anhand mildernder oder schärfender Umstände abgehobene Ausprägungen von deliktischem Verhalten deliktsspezifisch im Gesetz selbst festgelegt. Die Auswahlprobleme und das Ennessen hinsichtlich der Strafmaßbestimmung werden in diesem Modell auf das Niveau der Anklageerhebung (charge bargaining) bzw. der Feststellung mildernder oder schärfender Umstände verlagert. Die materielle Seite der Gleichbehandlung bzw. der Gleichmäßigkeit im Strafmaß dagegen untersteht der Vorabentscheidung des Gesetzgebers, der positivrechtlich auch den Strafzweck festlegt. Die Richtliniensysteme , wie sie sich in Gestalt der Minnesota Guidelines sowie der Bundesstrafzumessungsrichtlinien der USA äußern, lassen ansatzweise richterliches Ennessen zu. Dies gilt in stärkerem Maße für die US-Bundesrichtlinien. Das Richtlinienrnodell Minnesotas beruht auf einer gesetzlich eindeutigen Festlegung des Strafzwecks, dem die Zerlegung der insgesamt zulässigen Bandbreite von Strafen in eine überschaubare Anzahl von engen Regelstrafrahmen (die im wesentlichen zwischen 3 und 6 Monaten liegen) folgt. Der eigentliche Anknüpfungspunkt bildet dabei das Delikt, die Strafmaßdifferenzierung beruht sodann im wesentlichen auf dem Grad der Vorstrafenbelastung. Die US-Bundesstrafzumessungsrichtlinien lockern den gesetzlichen Zugriff weiter auf. Den Ausgangspunkt bilden hierbei die Straftatbestände, denen Schweregrade zugeordnet werden, die wiederum verbunden sind mit fixierten Strafmaßen. Quantitativ fixierte Zu- und Abschläge erfolgen auf der Basis deliktsspezifisch benannter Merkmale. Jedoch führt die Erlaubnis, beim Vorliegen einer Vielzahl von benannten Faktoren oder solcher Faktoren, die in den Strafzumessungsrichtlinien nicht berücksichtigt worden sind, gleichwohl nonnative Relevanz im zu entscheidenden Fall erhalten sollten, vom so ennittelten Strafmaß nach unten oder oben abzuweichen, zu einer Wiedereröffnung von Ennessen. Schließlich ist das Modell einer recht groben, jedoch gesetzlich eindeutigen Zergliederung des Strafrahmens zu nennen. Dem ist beispw. das spanische Strafrecht zuzuordnen. Das spanische Strafzumessungsrecht wird charakterisiert durch Regelungen, die mit der Benennung strafmildernder und strafschärfender Umstände einerseits und der positivrechtlichen Zerlegung des einzeldeliktischen Strafrahmens in eine dem weder durch Milderungs- noch durch Strafschärfungsgründe ausgewiesenen Nonnaldelikt zugeordneten ,,Nonnal"-Strafe, die die Mitte des

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5. Zur internationalen Entwicklung des Rechts der Strafzumessung

Strafrahmens repräsentiert, und die obere bzw. untere Hälfte des Strafrahmens (bei Vorliegen von Milderungs- bzw. Strafschärfungsgründen) andererseits eine deutliche Struktur für die Verteilung von Strafmaßen setzen. Dem folgen Systeme wie beispw. das österreichische Strafrecht, wo Strafmilderungs- und Strafschärfungsgründe detailliert aufgelistet werden, jedoch eine Zuordnung zu konkreten Strafmaßen nicht erfolgt. Vielmehr fordert das positive Recht eine richterliche Abwägung der verschiedenen Umstände vor der nicht normierten Einordnung des Falles in den Strafrahmen bzw. der Zuordnung des Strafmaßes. Noch mehr Offenheit belassen Strafzumessungsvorschriften wie diejenigen des deutschen Strafrechts, die sich auf die Benennung regelmäßig zu berücksichtigender Bereiche von Tat und Täter beschränken, ohne hiermit die Bewertungsrichtung festzulegen. Schließlich ist wiederum als Extrem das völlig offene System der Strafzumessung zu nennen, wo die Strafkonkretisierung im gesetzlich nicht strukturierten Ermessen des Gerichts steht. Hierfür steht das französische Strafrecht. Gesetzlich genannte Strafmilderungs- und Strafschärfungsgründe führen zu Strafrahmenerweiterungen bzw. -änderungen. Im übrigen beläßt das Prinzip der Individualisierung der Strafe dem Richter freie Hand in der Bestimmung von Strafmaß und Strafart.

6. Empirische Strafzumessungsforschung: Fragestellungen, Theorie, Methoden und Befunde 6.1 Einführung War die Aufmerksamkeit bislang auf die normativen Grundlagen der Strafzumessungsentscheidung konzentriert, so gilt es im folgenden, den Fragestellungen nachzugehen, die der empirischen Aufbereitung bedürfen. Die Fragestellungen beziehen sich auf die Herstellung und die Darstellung der Entscheidungen über die Rechtsfolgen der Straftat. Natürlich reichen die Bezüge zwischen empirischer Kriminologie und dem Recht und der Dogmatik der Strafzumessung weiter. Diese Bezüge haben eine lange Tradition. Dabei stand zunächst ganz im Vordergrund der empirische Beitrag der Kriminologie zur Folgenorientierung im Sanktionenrecht, also die empirische Sanktionsforschung im weitesten Sinn. Sodann galt die Aufmerksamkeit empirischer Forschung der Erhellung einzelner Strafzumessungstatsachen, insbesondere im forensisch besonders bedeutsamen subjektiven Bereich (Schuldfähigkeit, Motivation, Motive etc.) I. Jedoch ist die im Zusammenhang mit den die vorliegende Untersuchung leitenden Fragestellungen aufzunehmende Perspektive empirischer Forschung evaluationsbezogen. Denn es geht darum, die empirischen Grundlagen der Strafmaßdifferenzierung aufzubereiten und in diesem Zusammenhang Rolle und Funktion gesetzlicher Rahmenbedingungen und das Potential normativer Theorien für die Strafzumessungsentscheidung zu bestimmen. Damit rücken zunächst die Art und das Ausmaß von Strafmaßvariation sowie deren Quellen bzw. Ursachen in den Mittelpunkt des empirischen Forschungsinteresses. Im übrigen bedürfen die Überlegungen zur Steuerung der Strafmaßdifferenzierung der empirischen Überprüfung. Die eingangs der Untersuchung getroffene Feststellung, daß nämlich Unterschiede im Strafmaß und in der Strafart im Längs- und im Querschnitt weithin beobachtet werden können, verweist auf die Notwendigkeit der empirischen Überprüfung alternativer Hypothesen zur Erklärung von Strafmaß- und Strafartdifferenzen. Zu den zu überprüfenden Erklärungsansätzen gehören natürlich auch solche, die nicht aus dem Bestand an normativen Theorien abgeleitet sind, 1 Vgl. hierzu Leferenz, H.: Die Persönlichkeit des Straftäters im Hinblick auf Strafzumessung und sichernde und bessernde Maßnahmen. Kriminologische Gegenwartsfragen, Heft 10. Stuttgart 1972, S. 18-32.

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6. Empirische Strafzumessungsforschung

sondern der empirischen Kriminologie, weiter, den Sozialwissenschaften entnommen werden. Die empirische Kriminologie bietet somit eine Erweiterung der Perspektive. Mit ihr werden Alternativen zum normativen Modell der Regelanwendung und Entscheidung eingeführt. Die vergleichende Analyse führt erst zu Anhaltspunkten darüber, inwieweit das normative Programm der Strafzumessung implementiert wird. Die Betrachtung der normativen Grundlagen der Strafzumessung hat im übrigen gezeigt, daß eindeutige und problemlos umsetzbare Regeln zur Konkretisierung des Strafmaßes nicht vorausgesetzt werden können. Vielmehr sind gerade die Begründungsansätze und Konzepte, die in der Rechtsprechungspraxis Geltung beanspruchen, von einer Offenheit, die vermuten läßt, daß sich in ihrem Schatten im Zusammenhang mit der Herstellung des Strafmaßes ein Geflecht von informellen Regeln, sozusagen ein sekundäres Normensystem, entwickelt. Empirische Forschung zur Strafzumessung erfüllt deshalb mehrere Funktionen. Ihr kommt eine beschreibende und erklärende Aufgabe, sodann auch eine kritische und aufklärende Funktion zu. Beschrieben werden die Strukturen der Variation von Strafmaß und Strafart. Die Erklärung bezieht sich auf die Bedingungen der Unterschiede in den Strafen, darüber hinaus auf den (relativen) Beitrag des normativen Programms der Strafzumessung für die Entstehung insoweit begründeter Strafmaß- und Strafartunterschiede. Die kritische und aufklärende Funktion empirischer Strafzumessungsforschung betrifft die Offenlegung solcher Anteile in der Strafzumessungsentscheidung, die im Regelfall verdeckt ablaufen und auf unbegründete Differenzierungen hinweisen. Dabei mag es sich um systematische oder unsystematische, bewußte oder unbewußte Differenzierung handeln. Schließlich wird in der Offenlegung der empirischen Strukturen sichtbar, ob und inwieweit die normativen Problemstellungen und Konzepte umgesetzt werden.

6.2 Zum Stand empirischer Strafzumessungsforschung 6.2.1 Theoretische Zugänge und Fragestellungen 6.2 .1.1 Fragestellungen empirischer StraJzumessungsJorschung Der Stand empirischer Strafzumessungsforschung läßt sich im Hinblick auf untersuchte Fragestellungen, theoretische Ansätze und hierzu vorliegende Befunde sowie im Hinblick auf Untersuchungszugänge bzw. -methoden beschreiben. Hinsichtlich der Fragestellungen dominiert nach wie vor die Erklärung von Unterschieden zwischen einzelnen Strafzumessungsentscheidungen bzw. aggregierten Strafmaßen, die sich anhand von Strafverfolgungsstatistiken oder Gerichtsstatistiken offensichtlich beobachten lassen. Als untersuchungsbedürftig wird betrachtet, ob und inwieweit beobachtete Unterschiede im Strafmaß auf Unterschiede in Tat-, Täter- oder Organisationsvariablen bzw. auch auf Unter-

6.2 Zum Stand empirischer Strafzumessungsforschung

157

schiede in Einstellung und Perzeption beteiligter Richter zurückgeführt werden können. Wenig beachtet wurde bislang die Frage nach den Bedingungen der Gleichförmigkeit in Strafzumessungsentscheidungen 2 , die ja nicht bloß die Kehrseite der Frage nach den Bedingungen für Ungleichmäßigkeit darstellt, sondern, ähnlich den Komplexen Abweichung und Konformität im Zusammenhang mit Kriminalitätstheorien, auf unterschiedliche theoretische Ansätze bzw. Variablenbereiche verweist 3 • Darüber hinaus enthält auch empirisch beobachtete Gleichförmigkeit in Strafart und Strafmaß Potential an Ungleichbehandlung, soweit nämlich die zugrundeliegenden Sachverhalte relevante Unterschiede aufweisen. Die starke Orientierung an Fragestellungen, die sich auf Ungleichmäßigkeit und Variation in der Strafzumessungpraxis beziehen, läßt sich von den Anfangen der empirischen Strafzumessungsforschung her beobachten. Dabei sind die Erklärungsansätze aber durchaus unterschiedlich. Diese variieren jedoch entlang der Unterschiede, die in der Definition von Ungleichmäßigkeit auftreten. Denn Ungleichmäßigkeit läßt sich ja nicht unmittelbar beobachten, sondern setzt als Konstrukt gerade ein zusätzliches Erklärungskonzept voraus 4. Immerhin läßt sich dasselbe Strafmaß bei unterschiedlicher Fallgestaltung ebenfalls als ungleichmäßiges Strafen bezeichnen. Verwiesen ist damit zunächst auch darauf, daß die Quellen der Variation im Strafmaß ganz unterschiedlich lokalisiert werden können. Zu unterscheiden sind im Zusammenhang mit Strafmaßdifferenzierung Erklärungen auf der Makroebene, beispw. als Erklärung der Gesamtpunitivität einer Gesellschaft, von solchen auf der Mikroebene, das heißt auf der Ebene der Entscheidung des einzelnen Richters oder Gerichts. Dies kommt auch teilweise zur Deckung mit Unterschieden, die sich aus einer Längsschnittbetrachtung ergeben und solchen, die sich im Querschnitt erfassen lassen. Im Längsschnitt kann sich als erklärungsbedürftig die Frage erweisen, durch welche Kräfte Veränderungen in der Struktur von Sanktionen oder Veränderungen in der Sanktionsintensität (die somit im Zeitverlauf Ungleichmäßigkeit darstellen) getrieben werden. Im Querschnitt ist es die zeitgleich beobachtete Variation in den Strafen, die nach einer Erklärung verlangt. Ferner sind gerichtsbezirksbezogene Ansätze der Erklärung von Variation, die auf Bezirksebene Daten aggregieren, zu unterscheiden von der Erklärung interindividueller Abweichungen, womit die Frage nach den 2 Hierzu Albrecht, H.-1.: Gleichmäßigkeit und Ungleichmäßigkeit in der Strafzumessung. In: Kerner, H.-J., Kury, H., Sessar, K. (Hrsg.): Deutsche Forschungen zur Kriminalitätsentstehung und Kriminalitätskontrolle. Köln u. a. 1983, S. 1297 -1332; Nardulli, P. F., Flemming, R. B., Eisenstein, J.: Criminal Courts and Bureaucratic Justice: Concessions and Consensus in the Guilty Plea Process. The Journal of Criminal Law and Criminology 76 (1985), S. l103-1131. 3 Vgl. grundlegend Hirschi, T.: Causes of Delinquency. Berkeley 1969. 4 Jareborg, N.: Introductory Report. In: Council of Europe (Hrsg.): Disparities in Sentencing: Causes and Solutions. Straßburg 1987, S. 7 -16, S. 15.

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6. Empirische Strafzumessungsforschung

Gründen von Variation im Verhältnis einzelner Richter oder Gerichte untereinander gestellt würde. Schließlich kann die Fragestellung auch auf intraindividuelle Schwankungen und Ungleichmäßigkeit im Entscheidungsverhalten gerichtet sein. Denn Ungleichmäßigkeit oder Variation im Strafmaß, auf welcher Ebene auch betrachtet, mag durchaus als Folge inkonsistenten Entscheidungsverhaltens einzelner Richter über die Zeit hinweg konzipiert werden. Im übrigen kann sich die Erklärung mit systematischen und unsystematischen Abweichungen und nicht zuletzt mit begründeten und unbegründeten Unterschieden im Strafmaß befassen. Überlagert sind diese unterschiedlichen Formen der Unterschiede im Strafmaß jedenfalls zum Teil von der Frage danach, ob derartige Unterschiede gewollt sind 5 oder unbeabsichtigt und ungeplant (beispielsweise als Folge spezifischer Strafzumessungstraditionen) 6 entstehen.

6.2 .1.2 Die Erklärung von Sanktionsstruktur und Sanktionsentwicklung: Gleichmäßigkeit und Ungleichmäßigkeit im ZeitverlauJ Auch die Betrachtung der Makroebene von Strafe hat im wesentlichen die Erklärung von Unterschieden, das heißt Veränderungen in der Struktur der Sanktionen und des Sanktionsausmaßes, allerdings im zeitlichen Verlauf zum Gegenstand. Ein Beispiel hierfür ist die fast schon klassische Untersuchung von Exner zur Entwicklung der Strafzumessungspraxis in den ersten Jahrzehnten des zwanzigsten Jahrhunderts. Ausgangspunkt seiner Analyse war die Beobachtung von Veränderungen der Sanktionsintensität im zeitlichen Verlauf, insbesondere die Reduzierung der Freiheitsstrafendauer sowie die Zunahme der Geldstrafe. Diese Veränderungen wurden freilich als ein Trend hin zur Milde innerhalb der Richterschaft interpretiert 7 • Damit handelt es sich weniger um den Versuch einer Erklärung. Vielmehr werden Entscheidungsmotive vermutet, die wiederum erklärungsbedürftig sind. Natürlich wird die Entwicklung der Strafzumessungspraxis insgesamt im zeitlichen Verlauf auf andere Erklärungen verwiesen werden müssen. Insbesondere hat hier die Stabilitätsthese Aufmerksamkeit erfahren und zu Versuchen geführt, das Ausmaß und den Verlauf der Struktur von Strafen als Prozeß zu erklären, der insbesondere den Gebrauch von Freiheitsstrafe als über 5 Vgl. hierzu beispw. die Strafzumessungspraxis der 60er Jahre im Vergleich der OLG-Bezirke Karlsruhe und Stuttgart fürTrunkenheitsdelikte im Verkehr, wo über Jahre hinweg bei Ersttätern systematisch in einem Bezirk unbedingte, im anderen Bezirk bedingte kurze Freiheitsstrafen verhängt wurden, Schöch, H.: Strafzumessungspraxis und Verkehrsdelinquenz. Stuttgart 1973, S. 87, mit weiteren Nachweisen. 6 Schöch, H.: a. a. O. 1973, S. 65 f. 7 Exner, F.: Studien über die Strafzumessungspraxis der deutschen Gerichte. Leipzig 1931; ferner Terdenge, F.: Strafsanktionen in Gesetzgebung und Gerichtspraxis. Göttingen 1983, S. 160 f. für die Entwicklung der Sanktionen in Deutschland nach 1945, der neben Milde und Humanisierung auch auf die Gesichtspunkte der Ökonomie und der Effizienzsteigerung verweist.

6.2 Zum Stand empirischer Strafzumessungsforschung

159

längere Zeiträume gesehen stabile Größe und Ausdruck eines gleichmäßigen, wenig wandelbaren gesellschaftlichen Bedarfs an Strafe widerspiegelt 8 • Stabilität des Ausmaßes an Strafe mag dabei präventiv und normtheoretisch begründet werden, wie die Analyse von Popitz über die Präventiv wirkung des Nichtwissens zeigt9, somit eine rationale Verarbeitung von Kriminalitätstrends darstellen. Im Zentrum steht hierbei die Überlegung, daß es sozusagen ein ideales Ausmaß von Strafe gebe, das zur Integration beitrage und in einem sich selbst regulierenden Prozeß Abweichungen permanent in Richtung dieses Ideals korrigiert würden. Dem stehen Ansätze gegenüber, die insbesondere die Nutzung der Freiheitsstrafe als an anderen gesellschaftlichen Entwicklungen orientiert betrachten. Die einfachste Vorstellung eines derartigen Zusammenhangs begreift das Ausmaß des Strafens und deren Veränderungen als direkte Folge der Entwicklung der bekannt gewordenen Kriminalität. Insoweit wären Veränderungen in der Struktur der Strafen im wesentlichen nur über das Strafrecht und die Strafrechtspraxis zu erklären. In diesem Zusammenhang kann sich die Erklärung aber auch an einer engen Bindung des Strafrechts und der Strafrechtspraxis an verfügbare Ressourcen orientieren, die keine extremen Abweichungen erlaubt. Die Erklärung der Entwicklung des Gebrauchs von Freiheitsstrafe mag umgekehrt auch als Ausdruck wirtschaftlicher Interessen an der Arbeitskraft der Strafvollzugsinsassen verstanden werden 10. Natürlich hängt die Interpretation empirischer Daten zur Strafpraxis ab von der Dauer der Zeitreihen, die betrachtet werden. Aus einer Perspektive, die auf langen Entwicklungszeiträumen besteht, mag deshalb die Stabilitätshypothese zu Strafe und Strafpraxis als unbrauchbar erscheinen. Denn daß sich das Strafniveau, unabhängig von dem Maß, im Laufe der letzten Jahrhunderte dramatisch verändert hat, kann nicht bestritten werden 11. Der Übergang von Leibes- und Lebensstrafen auf die Freiheitsstrafe und das Gefängnis, die 8 Diese Überlegung geht auf Durkheim zurück, Durkheim, E.: Über die Teilung der sozialen Arbeit. Frankfurt 1977, und wurde insbesondere in den siebziger und achtziger Jahren verschiedenen empirischen Überprüfungen unterzogen, Blumstein, A., Cohen, J.: A Tbeory of the Stability of Punishment. Journal of Criminal Law and Criminology 64 (1973), S. 198-207; Greenberg, D.: Tbe Dynamics ofOscillatory Punishment Processes. Tbe Journal of Criminal Law and Criminology 68 (1977), S. 643 -651; Biles, D.: Crime and Imprisonment: An Australian Time Series Analysis. Australian and New Zealand Journal of Criminology 15 (1982), S. 133 -153; zusammenfassend Moitra, S. : Crimes and Punishments. Freiburg 1987, S. 6 ff. 9 Popitz, H.: Über die Präventivwirkung des Nichtwissens. Tübingen 1968. 10 Rusche, G., Kirchheimer, 0.: Strafvollzug und Sozialstruktur. Frankfurt 1973; Laffargue, B., Godefroy, Tb.: La Prison republicaine et son environnement economique. Population en prison et marche du travail (1870-1914). Deviance et Societe 14 (1990), S.39-58. 11 Vgl. beispw. Grebing, G.: Landesbericht Bundesrepublik Deutschland. In: Jescheck, H.-H., Grebing, G. (Hrsg.): Die Geldstrafe im deutschen und ausländischen Recht. Baden-Baden 1978, S. 13 -164, zum Austausch zwischen Freiheits- und Geldstrafen; Heinz, W.: Entwicklung, Stand und Struktur der Strafzumessungspraxis. Eine Übersicht über die nach allgemeinem Strafrecht verhängten Hauptstrafen von 1882 bis 1979. MschrKrim 64 (1981), S. 148-173.

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6. Empirische Strafzumessungsforschung

Einführung und die weite Verbreitung von Geldstrafen sowie anderer Alternativen zur Freiheitsstrafe legen darüber Zeugnis ab. Milde und Humanität für diese Entwicklung alleine verantwortlich zu machen, ist jedenfalls unzureichend. Jedoch liegen derzeit zwei theoretische Optionen vor, die, ganz im Sinne Poppers, jeweils eine pessimistische und eine optimistische theoretische Interpretation der empirischen Entwicklung beinhalten 12. Die pessimistische Interpretation der Entwicklung (oder der Daten) hat die abolitionistische Position in Kriminologie und Kriminalsoziologie übernommen 13. Sie vermag in dieser Entwicklung keinen Fortschritt zu erkennen, vielmehr liegen nach dieser Auffassung in der Umstellung und in der Entwicklung der Sanktionen systeme zunächst auf Freiheitsstrafe, sodann auch auf Alternativen hierzu Verfeinerung und Ausweitung sozialer Kontrolle und Herrschaft, letztlich eine weitergehende Freiheitsbeschränkung und Intensivierung staatlichen Zwangs begründet l4 • Veränderungen strafrechtlicher Sanktionen im Zeitverlauf und Ungleichbehandlung im Zeitverlauf werden somit als Ausdruck von Prozessen der Entstehung und Verfestigung von Herrschaft und Macht behandelt. Dagegen kann der theoretischen Analyse von Elias die optimistische Interpretation entnommen werden 15. Die Elias'sche Theorie von Gesellschaft und Vergesellschaftung geht davon aus, daß die soziale und kulturelle Entwicklung gekoppelt ist an einen Prozeß des Austausches von externen zugunsten interner Kontrollen menschlichen Verhaltens, dessen Verlauf korrespondiert mit einer beständigen Abnahme offener, zwischenmenschlicher Gewalt. Die Entstehung innerer Verhaltenskontrollen und die Abnahme physischer Gewalt werden danach erzwungen durch die Differenzierung und Verdichtung von Interaktionen, die im wesentlichen Abhängigkeit erzeugen und damit einerseits die Anwendung individueller physischer Gewalt in steigendem Maße als quasi kontraproduktiv, andererseits die Verwendung kollektiven, staatlichen Zwangs als reduzierbar erweisen 16. Auf der Basis einer solchen Sichtweise gesellschaftlicher Entwicklung lassen sich zumindest einige theoretische Bedingungen definieren, unter denen die bisherige Entwicklung kriminalrechtlicher Sanktionen plausibel wird und die im übrigen auch geeignet wären, die weitere Entwicklung strafrechtlicher Sanktionen auf ihren Inhalt bezogen zu steuern und insbesondere auch Veränderungen in Popper, K. R.: Auf der Suche nach einer besseren Welt. München 1984, S. 21 ff. Zusammenfassend van Dijk, J. J. M.: Strafsanktionen und Zivilisationsprozeß. Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 72 (1989), S. 437 -450; S. 445 ff. 14 Foucault, M.: Überwachen und Strafen. Frankfurt 1977; Bianchi, H., van Swaaningen, R. (Hrsg.): Abolitionism: Towards a Non-repressive Approach to Crime. Amsterdam 1986. 15 Elias, N.: Über den Prozeß der Zivilisation. 2 Bde, Frankfurt 1976. 16 Vgl. hierzu insbesondere van Dijk, J. J. M.: Strafsanktionen und Zivilisationsprozeß. Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 72 (1989), S. 437 -450, S. 445 ff., mit weiteren Nachweisen. 12 13

6.2 Zum Stand empirischer Strafzumessungsforschung

161

ihrer Intensität zu begründen. Hierbei ist vor allem von Bedeutung, daß im Zuge der gesellschaftlichen Entwicklung der Neuzeit, insbesondere in Industriegesellschaften, die Vergesellschaftungsbedingungen sich dramatisch verändert haben. Diese gehen in eine Richtung, die 1. durch eine immer weiter fortschreitende Abhängigkeit von Menschen untereinander und von staatlichen Einrichtungen (insbesondere dem Wohlfahrtsstaat) sowie 2. durch eine dramatische Steigerung der Effizienz gesellschaftlicher Kontrollsysteme, insbesondere des strafrechtlichen Kontrollsystems gezeichnet ist. Gerade die Effizienz des Strafrechts und damit das ausschöpfungsfähige Sanktionierungspotential werden unübersehbar, wenn zur Kenntnis genommen wird, daß in den westlichen Industriegesellschaften zwischen 30% und 40% der jungerwachsenen männlichen Bevölkerung wenigstens einmal bestraft worden sind 17. Eine neuere Untersuchung aus Baden-Württemberg belegt, daß bei Erreichen des Jugendalters, also mit 14 Jahren, bereits 7% der dann noch Kinder wenigstens einmal polizeilich registriert worden sind 18. Geht man in bestimmte Teilgruppen der Gesellschaft, beispielsweise ausländische männliche Jugendliche oder in Großstadtbereiche, dann erhöhen sich diese Quoten dramatisch. 14 % aller männlichen Ausländer sind mindestens einmal polizeilich registriert, wenn sie das Alter von 14 Jahren erreichen 19. Die Leistungsfähigkeit staatlicher Kontrollsysteme i. S. des Erfassens, Registrierens und Sanktionierens wird noch plausibler, wenn wir den Bereich des Verwaltungsunrechts, also die Sanktionierung von Ordnungswidrigkeiten einbeziehen und uns vergegenwärtigen, wie leicht es heute fallt, große Teile der Bevölkerung mit Sanktionen zu belegen und diese tatsächlich durchzusetzen. Derartige Bedingungen müssen natürlich relevant werden für die Frage, wie die Intensität staatlicher Strafe ausfallen soll und welche Entwicklung die Art und das Ausmaß von Strafen nehmen sollen. Denn eines wurde aus den bisherigen empirischen Forschungen zur Prävention abweichenden oder kriminellen Verhaltens sehr deutlich: -

Mit zunehmender Dichte oder Effizienz der Kontrolle kann die Strafintensität gemildert werden, ohne daß hierbei präventive Verluste auftreten würden.

-

Zum anderen machen die vielfaltigen Abhängigkeiten, die in modemen Industriegesellschaften den einzelnen Menschen über Verwaltung und hieraus

17 Vgl. beispw. Keske, M.: Der Anteil der Bestraften in der Bevölkerung. MschrKrim 62 (1979), S. 257 -272; Villmow, B., Stephan, E.: Jugendkriminalität in einer Gemeinde. Freiburg 1983; Kaiser, G.: Kriminologie. Ein Lehrbuch. 2. Aufl. Heidelberg, Karlsruhe 1988. 18 Karger, Tb., Sutterer, P.: Cohort Study on the Development of Police-Recorded Criminality and Criminal Sanctioning. Part Two: On Longitudinal Research and First Results from the Freiburg Cohort Study. In: Kaiser, G., Geissler, I. (Hrsg.): Crime and Criminal Justice. Freiburg 1988, S. 89 - 114. 19 Karger, Tb., Sutterer, P.: a. a. O. 1988.

11 Albrecht

162

6. Empirische Strafzumessungsforschung beziehbare Leistungen einbinden, diesen wiederum unter Sanktionsgesichtspunkten sehr viel verletzlicher 2o •

So hat ja bereits Hegel darauf hingewiesen, daß das allgemeine Strafniveau im wesentlichen von der Stärke und der Festigkeit der Zentralgewalt abhänge 21 • Strafschwere und Strafintensität, ganz allgemein die Art von staatlichen Strafen, müssen deshalb immer als Funktion der Kontrolldichte, der Kontrolleffizienz und der Entwicklung gesellschaftlicher Abhängigkeiten und hieraus resultierender integrativer Mechanismen bewertet werden. Diese allgemeinen Parameter gesellschaftlicher Entwicklung haben auch Einfluß auf die Bewertung dessen, was als Übelszufügung durch Strafe verstanden wird und wie bestimmte Strafen bewertet werden. Mit einer solchen theoretischen Perspektive wäre im übrigen allein das weiter oben aufgeworfene Problem der inhaltlichen Seite der Strafe übergreifend zu erfassen.

6.2 .1.3 Die Erklärung von Strafmaßvariation oder Strafungleichmäßigkeit auf Gerichts- und Richterebene 6.2.1.3.1 Diskriminierung als Erklärung von Ungleichbehandlung Ganz überwiegend konzentrierte sich empirische Strafzumessungforschung aber auf die Mikroebene in dem Versuch, Determinanten richterlichen Entscheidungsverhaltens zu identifizieren. Starke Beachtung fanden einmal Diskriminierungsansätze, in deren Zentrum die Überlegung steht, allgemeine Vorurteils strukturen einerseits, mit Strafrecht gekoppelte soziale Interessen andererseits führten zu einer gezielten oder jedenfalls systematischen Benachteiligung von Minderheiten oder zur systematischen Handhabung von Strafe zur Unterdrückung von sozialen Klassen oder Schichten, deshalb auch zu unbegründeter Variation in Strafmaß und Strafart 22 • Insbesondere dort, wo ganz allgemein Diskriminierung als soziales und politisches Problem thematisiert wird, findet sich eine starke Ausrichtung empirischer Strafzumessungsforschung an der Diskriminierungshypothese. Dies gilt beispw. für die USA, wo die Rassenvariable als Erklärungsfaktor der Strafzumessung lange Zeit dominierte und auch heute insbesondere im Zusammenhang mit der Verhängung von unbedingter Freiheitsstrafe, allerdings auch im Zusammenhang mit Verhängung und Vollstreckung von Todesstrafe eine wesentliche Rolle spielt 23. Auch 20 Dies entspräche der Berücksichtigung von Strafempfanglichkeit auf der individuellen Ebene. 21 Hegel, G. W. F.: a. a. O. 1968; vgl. im einzelnen Kapitel 2. 22 Lautmann, R.: Justiz Die stille Gewalt. Frankfurt 1972, S. 140 ff. 23 Vgl. hierzu die Nachweise bei Hagan, J., Bumiller, K.: Making Sense of Sentencing: A Review and Critique of Sentencing Research. In: Blumstein, A. u. a. (Hrsg.): Research on Sentencing: The Search for Reform. Bd. H, Washington 1983, S. 1-54.

6.2 Zum Stand empirischer Strafzumessungsforschung

163

in westeuropäischen Staaten finden Diskriminierungsansätze seit den sechziger Jahren mit dem damals beginnenden Zustrom von sog. Gastarbeitern und ethnischen Minderheiten, die sich aus ehemaligen Kolonialgebieten rekrutieren, verstärkt Beachtung 24 • Strafrecht und Strafanwendung als Ausdruck von Herrschaftsinteressen werden in den Hypothesen zur Klassenjustiz und, mit anderem Akzent, politischen Justiz sichtbar 25 • Wesentliche Teile der so fragenden Strafzumessungs- bzw. Entscheidungsforschung beziehen sich auf die Konflikttheorie, greifen also die Hypothese auf, daß Kriminalität Ausdruck von Interessenkonflikten sei, Strafrecht und seine Anwendung Instrumente der Herrschaft und der Interessendurchsetzung 26 • Nirgendwo ist die hieraus ableitbare Funktion des Richters und richterlichen Strafhandelns plakativer dargestellt als in dem Titel "Richter im Dienste der Macht" 27. Dem liegt die kriminalitätstheoretische Annahme des labeling approach zugrunde, Kriminalität wird also als ebenso interessengebunden und instrumentell verstanden wie Strafe und Strafhandeln selbst. Diskriminierungsüberlegungen im Zusammenhang mit Strafzumessung im Vergleich ethnischer oder ausländischer Minderheiten einerseits und der Bevölkerungsmehrheit andererseits sind dagegen gespeist aus der Hypothese, daß sich allgemeine Vorurteile gegenüber Minderheiten, die wiederum unterschiedlich erklärt werden 28 , nicht nur im Verhalten der Bevölkerung allgemein, sondern auch in Teilsystemen wie der Strafjustiz auswirken und Benachteiligung in Form schwererer Bestrafung nach sich ziehen. Soweit mit Diskriminierungserklärungen Attitüden oder die soziale Herkunft der Entscheidungsträger angesprochen werden, ist natürlich mit ihren Bezugspunkten "ethnische Minderheiten" und der "Sozialen Position" bzw. der "Sozialen Schicht" nur ein, wenn auch bedeutsamer Ausschnitt potentiell wirksamer Einstellungen angesprochen. Aufmerksamkeit erfuhr darüber hinaus schon immer die Variable "Geschlecht" in Verfahrens- und Entscheidungsstudien. Dabei wurde im wesentlichen die sog. Ritterlichkeitshypothese unterlegt, die besagt, daß (zumeist männliche) Richter weibliche Straftäter milder beurteilen und hierbei sozial wirksame Vorurteile über das "schwache" weibliche Geschlecht und natürlich auch hieraus abgeleitete Annahmen über weibliche Kriminalität als "Kriminalität der Schwäche" zum Tragen kommen lassen 29. Ferner wurde die Attitüdenfrage 24 Junger, M.: Ethnic Minorities, Crime and Public Policy. In: Hood. R. (Hrsg.): Crime and Public Policy in Europe. Oxford 1989, S. 142-173. 25 Rasehorn. Tb.: Recht und Klassen. Zur Klassenjustiz in der Bundesrepublik. Darmstadt, Neuwied 1974, S. 135 ff. 26 Hierzu vor allem Rottleuthner, H.: Richterliches Handeln. Zur Kritik der juristischen Dogmatik. Frankfurt 1973, S. 162 ff. 27 Peters, D.: Richter im Dienste der Macht. Stuttgart 1973. 28 Albrecht, H.-J.: Ausländerkriminalität. In: Jung, H. (Hrsg.): Fälle zum Wahlfach Kriminologie, Jugendstrafrecht, Strafvollzug. München 1988, S. 183-204.

11*

164

6. Empirische Strafzumessungsforschung

im Hinblick auf unterschiedliche Entscheidungswirkungen bei unterschiedlicher Attribuierung von Verhaltensursachen bei Straftätern aufgegriffen. Im wesentlichen handelt es sich hierbei um die Frage, ob mit der Attribution einerseits interner Verhaltensursachen, andererseits externer Verhaltensursachen unterschiedliche Entscheidungsfolgen verbunden sind 30. Gemeinsam ist den soeben erwähnten Erklärungsansätzen also die Vermutung, daß Merkmale des abzuurteilenden Sachverhalts und der hieran beteiligten Personen Unterschiede in den Sanktionen hervorrufen, im übrigen die Entscheidungsträger selbst aber durchaus konsistent urteilen, wenn auch systematisch oder gleichmäßig zum Nach- oder zum Vorteil bestimmter Gruppen. 6.2.1.3.2 Einstellungsunterschiede bei Richtern als Erklärung von Strafmaßunterschieden Eine andere Erklärungsperspektive greift Attitüdenforschung dann auf, wenn Unterschiede in spezifischen Einstellungen als Ursachen für unterschiedliche Behandlung derselben Fälle gesetzt werden. Diese Sichtweise hat ebenfalls eine lange Tradition. Bereits von Santen bezeichnete im Jahre 1826 Urteile als Persönlichkeitsabdrücke ihrer Urheber, meinte also, daß in der Konkretisierung der Strafe bestimmte Merkmale der Urteilenden Wirkungen entfalten und zu Disparitäten führen 3!. Dabei fanden in der Forschung vor allem Einstellungen, beispw. zu Strafzwecken, Berücksichtigung. Hierbei ist die Vorstellung leitend, die durch Recht gesetzte Offenheit in der Bestimmung der Strafart und Strafhöhe werde durch subjektive Dimensionen der Entscheidungsträger ausgefüllt und geschlossen. Vorausgesetzt wird damit eine kausale Beziehung zwischen Einstellungen und Perzeptionen einerseits, Entscheidungsresultaten andererseits. Freilich werden dabei auch die gesamten Probleme importiert, die den Konnex EinstellungVerhalten kennzeichnen. Jedoch wurden auch weitere Sozial- und Persönlichkeitsmerkmale von Richtern in die Analyse der Strafzumessungsentscheidung einbezogen. Grundsätzlich kann im übrigen behauptet werden, daß im wesentlichen die hier als relevant erachteten Merkmale und Merkmalsbereiche eine Teilmenge der Variablen darstellen, die auch in der Erklärung von kriminellem Verhalten eine lange Zeit dominante Rolle gespielt haben. Dabei handelt es sich um das Geschlecht wie um die soziale Schicht von Richtern, um die Rasse oder ethnische Zugehörigkeit wie um ihre berufliche oder sonstige Sozialisation. 29 Hierzu zusammenfassend Albrecht, H.-J.: Die sanfte Minderheit. Mädchen und Frauen als Straftäterinnen. Bewährungshilfe 34 (1987), S. 341-359. 30 Vgl. hierzu beispw. Bierhoff, H. W., Buck, E., Klein, R.: Attractiveness and Respectability of the Offender as Factors in the Evaluation of Criminal Cases. In: Wegener, H., Lösei, F., Haisch, J. (Hrsg.): Criminal Behavior and the Justice System. Psychological perspectives. New York u. a. 1989, S. 193-207. 3! V. Santen, J. J. Ch.: Versuch, die Größe der Gesetzwidrigkeiten gegen die Person und das Eigenthum, und das Strafmaß nach sichern Verhältnissen zu bestimmen. Rostock 1826, S. 1.

6.2 Zum Stand empirischer Strafzumessungsforschung

165

6.2.1.3.3 Die Umwelt der Entscheidungsträger Die Einsicht, daß auch richterliche Entscheidungen in Organisationen eingebunden und im übrigen bürokratisch eingebettet sind, hat vor allem in der jüngeren Strafzumessungsforschung zu einer Einbeziehung von Umweltbedingungen oder Kontextvariablen in die Erklärung von Strafzumessung geführt 32 • Ferner haben zunehmend Interaktions- und Prozeßvariablen in die Forschung Eingang gefunden 33. Denn an der Strafzumessungsentscheidung sind regelmäßig mehrere Personen beteiligt. Sie ist deshalb auch durch Interaktionsprozesse gekennzeichnet. Staatsanwaltschaft, Verteidigung, Berufungs- und Revisionsgerichte bringen Informationen und Erwartungen ein, die die einzelne Strafzumessungsentscheidung mitformen können. Gerade an diesem Punkt ergibt sich die Relevanz dessen, was auch als informelles Programm der Strafzumessung bezeichnet werden kann. Ferner wird der Blick eröffnet auf die Frage, wie Kontrolle und Beeinflussung bzw. Steuerung der Entscheidung erfolgen können. Denn ein Teil der mit dem Verweis auf Interaktion, Prozeß und Verhandlung vorgestellten Annahmen zur Entscheidung über die Strafe verweist auf verdeckt ablaufende Prozesse, die im förmlichen Programm der Strafzumessung nicht vorgesehen sind. 6.2.1.3.4 Extralegale Faktoren der Strafzumessungsentscheidung Gerade die Unterscheidung zwischen offenen und verdeckten entscheidungsrelevanten Situationen bzw. Faktoren hat die Relevanz verdeckter Faktoren in der Strafzumessung ganz in den Vordergrund gerückt. Diese Unterscheidung geht über die in der empirischen Strafzumessungsforschung lange Zeit übliche Differenzierung zwischen sog. legalen und extralegalen Entscheidungskriterien hinaus 34• Denn mit der Schwerpunktsetzung auf Verdeckung und Offenheit sind die 32 Jacob, H.: Courts as Organizations. In: Boyum, K. 0., Mather, L. L. (Hrsg.): Empirical Theories About Courts. New York, London 1983, S. 191-215; Hagan, J., Bumiller, K.: Making Sense of Sentencing: A Review and Critique of Sentencing Research. In: Blumstein, A. u. a. (Hrsg.): Research on Sentencing: The Search for Reform. Bd. H, Washington 1983, S. 1-54, S. 16 ff. 33 Peters, K.: Praxis der Strafzumessung und Sanktionen. Kriminologische Gegenwartsfragen, Heft 10. Stuttgart 1972, S. 51-67, S. 63 f.; Schünemann, B.: Daten und Hypothesen zum Rollenspiel zwischen Richter und Staatsanwalt bei der Strafzumessung. In: Kaiser, G., Kury, H., Albrecht, H.-J.: Kriminologische Forschung in den 80er Jahren. Projektberichte aus der Bundesrepublik Deutschland. Freiburg 1988, S. 265 -280. 34 Diese Unterscheidung ist natürlich problematisch, denn eine eindeutige Trennung zwischen legalen und extralegalen Strafzumessungsfaktoren ist schon deshalb nicht möglich, weil einerseits eine entsprechende Klassifizierung in Gesetzen nicht vorliegt, andererseits selbst dann, wenn man sich auf die Zuordnung festlegen könnte, nicht entschieden werden kann, ob sich hinter bestimmten Ausprägungen legaler Faktoren nicht durch extralegale Faktoren bedingte Prozesse verbergen, umgekehrt hinter extralegalen Faktoren nicht legale Merkmale versteckt sind, die ebenfalls zur Begründung von Zusammenhängen herangezogen werden könnten, vgl. hierzu Hagan, J., Bumiller, K.: Making Sense of Sentencing: A Review and Critique of Sentencing Research. In: Blum-

166

6. Empirische Strafzumessungsforschung

Nachvollziehbarkeit, das heißt einerseits die Erklärung, andererseits die praktische Seite der rechtlichen Überprüfbarkeit von Entscheidungen, zum anderen die Ausrichtung des Gesamtsystems angesprochen. Verdeckte Operationen in Entscheidungsprozessen entziehen sich naturgemäß einer Kontrolle, sie erschweren darüber hinaus die Einsicht in das Funktionieren und den Ablauf des Entscheidungsprozesses. Im übrigen besteht die Gefahr, daß sich die Entscheidung insgesamt gesehen schwerpunktmäßig an den verdeckten Faktoren ausrichtet, somit letztlich ein System der Begründung und Argumentation demjenigen tatsächlich wirksamer Entscheidungsbedingungen gegenübersteht 35. Wird in eine Bestandsaufnahme solcher verdeckt ablaufender Prozesse und hierfür relevanter Merkmale eingetreten, dann ergibt sich eine Vielzahl von Hinweisen auf plausible (Teil-)Erklärungen von Strafmaßentscheidungen, die zum Teil mit bereits genannten Erwägungen, jedoch nunmehr unter anderer Perspektive, zur Deckung kommen, teilweise weitere Umstände aufgreifen. Hier geht es einmal um die Relevanz von Routinisierung und Bürokratisierung von Entscheidungen, grundsätzlich den Einfluß der Organisation und hierin wirksame Formen der Geschäftsverteilung, die beispw. Anreize für den Gebrauch bestimmter Verfahren und damit auch Sanktionen setzen mögen (Strafbefehlsverfahren/ Geldstrafe). Die Orientierung an Taxen und Absprachen verweisen ebenfalls auf Prozesse, die in der Begründung von Strafzumessung nicht angesprochen werden. Dies gilt im übrigen auch für Professionalisierungsprozesse bzw. Prozesse beruflicher Sozialisation, die auch für das Erlernen von Strafzumessung informelle Orientierungspunkte bereithalten. Ferner ist an die richterliche Antizipation von Modifikationen der Strafe in der Vollstreckungsphase zu denken (Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung). Schließlich muß auf informelle Absprachen im Strafverfahren verwiesen werden, die sich auf Strafmaß bzw. Strafmodifikationen beziehen mögen. Grundsätzlich bringt eine solche Konzeptualisierung der Strafzumessungsentscheidung eine Erweiterung der Annahmen und eine Komplexität von Zusammenhängen mit sich, die sich ihrer Zusammenbindung in einem geschlossenen theoretischen System versperren.

stein, A. u. a. (Hrsg.): Research on Sentencing: The Search for Reform. Bd. H, Washington 1983, S. 1- 54, S. 5 ff., wo freilich dieses Konzept durch die Begriffe legitime und nicht-legitime Faktoren ersetzt werden soll. Die erwähnten Probleme verändern sich damit aber nicht. 35 So beispw. Hassemer, R.: Einige empirische Ergebnisse zum Unterschied zwischen der Herstellung und der Darstellung richterlicher Sanktionsentscheidungen. MschrKrim 66 (1983), S. 26-39.

6.2 Zum Stand empirischer Strafzumessungsforschung

167

6.2.2 Methoden der Strafzumessungsforschung In empirischen Untersuchungen zur Strafzumessung haben bislang drei Zugänge im Rahmen der Datenerhebung Verwendung gefunden: -

Aktenuntersuchung,

-

Teilnehmende Beobachtung,

-

Interview / Fragebögen unter Verwendung fiktiver Fälle.

Kombinationen dieser Zugänge sind gleichfalls zu beobachten 36 • Dabei dürfte die teilnehmende Beobachtung als Datenerhebungsverfahren nur bei sehr eingeschränkten Fragestellungen bzw. als Zusatzverfahren Anwendung finden können 37. Denn das Beratungsgeheimnis im Kollegialgericht setzt gewisse Grenzen. Schließlich kann sich ein solcher Ansatz lediglich auf ein einzelnes Gericht beziehen und muß den Einzelrichter ausschließen. Gemeinsam ist der bisherigen Strafzumessungsforschung in der Regel als Ausgangspunkt die Frage, welche Anteile beobachteter Varianz in den in die Untersuchung einbezogenen Urteilen auf Merkmale der strafbaren Handlung, der Person des Straftäters oder dessen sozialen Hintergrund bzw. Sozialbiographie zurückzuführen sind und welche Anteile auf Variation in Einstellung, Perzeption und Bewertungsmaßstäben bzw. Interaktionszusammenhängen bei Richtern zurückgehen. Zentral ist damit die Frage nach Gleichmäßigkeit und Ungleichmäßigkeit in der Strafbemessung. Jedoch wurden auch Probleme wie der Einfluß von Reformen auf das Strafzumessungsverhalten oder derjenige von Rechtsmiuelgerichten thematisiert. Grundsätzlich stellt sich aber das Problem der Identifizierung der strafbestimmenden Variablen bzw. Faktoren. Damit ist die Frage angesprochen, auf welche Art und Weise die Entscheidungsgrundlagen einerseits und die Entscheidung andererseits valide und verläßlich erfaßt werden können. Denn erst dann, wenn sicher davon ausgegangen werden kann, daß alle entscheidungserheblichen Bedingungen konzipiert und schließlich kontrolliert worden sind, kann berechtigt davon gesprochen werden, daß entweder Ungleichmäßigkeit oder Gleichmäßigkeit in den Strafmaßen vorliegt. Während in der Erfassung realer Fälle in der Aktenanalyse eine ex-postfacto Parallelisierung der Entscheidungssachverhalte vorgesehen ist, stellt die Vorgabe fiktiver Fälle auf eine experimentelle Entscheidungssituation ab, in der die zu entscheidenden Sachverhalte über die Richter hinweg konstant gehalten und Hypothesen zur Relevanz einzelner Merkmale für die Entscheidung über die Variation der entsprechenden Merkmale in den fingierten Fällen überprüft 36 Vgl. beispw. Hogarth, J.: Sentencing as A Human Process. Toronto: Aktenanalyse. Interview und Beobachtung. 37 Hierzu Lautmann. R.: Die Soziologie vor den Toren der Jurisprudenz. Stuttgart 1971; Lautrnann. R.: Justiz - Die stille Gewalt. Teilnehmende Beobachtung und entscheidungssoziologische Analyse. Frankfurt 1972.

168

6. Empirische Strafzumessungsforschung

werden oder beobachtete Variation in den Entscheidungen auf Einstellungen und Perzeptionen der befragten Einzelpersonen zurückgeführt wird. Beide Zugänge sind mit Problemen verbunden, die sich aus dem Gesichtspunkt der Validität ergeben. So gilt es für die Verwendung fiktiver Fälle zu betonen, daß die hierdurch erzeugte experimentelle Entscheidungssituation sich nur in bestimmten Bereichen mit der realen Entscheidungssituation zur Deckung bringen läßt 38 • Dies ist der Fall bei Deliktsbereichen, die praktisch im wesentlichen im Strafbefehlsverfahren, also im schriftlichen Verfahren erledigt werden. In diesem Bereich mögen sich die realen und die fiktiven Rahmenbedingungen der Entscheidung tatsächlich weitgehend ähneln. Denn auch im schriftlichen Strafverfahren liegen durchschnittlich wenige Informationen über Tat und Täter vor, die im übrigen nur in den Akten, das heißt schriftlich aufbereitet werden. Verzerrungen dieser Entscheidungsbasis, wie sie die Kommunikation und Konfrontation vor und in der Hauptverhandlung mit sich bringen können, sind somit nicht gegeben. Ferner ergibt sich das Problem der Validität der Entscheidung selbst. Denn grundsätzlich bringt das Experiment eine künstliche Situation mit sich, von der nicht ohne weiteres behauptet werden kann, daß sie zu solchen Entscheidungen führt, die auch unter realen Bedingungen ergehen würden. Insoweit können in Interviews mitgeteilte Strafmaße nämlich zwei Dimensionen ansprechen. Dabei handelt es sich um eine kognitive Dimension, mit der von der Mitteilung eines Strafmaßes erwartet wird, daß die befragte Person ihr Wissen über Strafmaße kundtut, die unter den jeweiligen Bedingungen am jeweiligen Gericht verhängt worden wären. Andererseits werden ggfs. mit der Frage nach angemessenen Strafmaßen Einstellungen aktiviert, in denen Überzeugungen der befragten Personen zum Ausdruck kommen, die unabhängig sind von den jeweiligen Rahmenbe38 Dies gilt natürlich noch mehr, wenn nicht Richter, sondern lurastudenten oder andere Personen in das Experiment einbezogen werden. Eine Übertragbarkeit der hieraus resultierenden Ergebnisse auf reale Entscheidungssituationen dürfte damit vollständig ausgeschlossen sein. Vielmehr handelt es sich dann eher um allgemeine Schwereeinschätzungen, die über ein empfohlenes Strafmaß erhoben werden. Denn auch lurastudenten sind weder mit Entscheidungsproblemen der interessierenden Art in der Ausbildung befaßt, noch dürften sie vor dem Hintergrund realistisch perzipierter Rahmenbedingungen der Entscheidung urteilen. Wenn deshalb Bierhoff, H. W. u. a.: Attractiveness and Respectability of Offenders as Factors in the Evaluation of Criminal Cases. In: Wegener, H., Lösei, F., Haisch, 1. (Hrsg.): Criminal Behaviour and the lustice System. Psychological Perspectives. New York u. a. 1989, S. 193-207, davon sprechen, daß gerade lurastudenten geradezu prädestiniert seien und gar Richtern in solchen Experimenten vorgezogen werden müßten, dann spricht dies für eine völlige Fehleinschätzung der luristenausbildung und der Rahmenbedingungen strafrichterlicher Entscheidungen. Hier dürfte nämlich nicht die soziale Erwünschtheit der Antworten ein Problem darstellen, sondern dasjenige der rechtlichen oder justiziellen Erwünschtheit. Dabei handelt es sich aber nicht mehr um ein methodisches Problem, sondern um ein inhaltliches Problem. Denn diese Art der Erwünschtheit stellt ja gerade ein wesentliches Kontextmerkmal richterlicher Entscheidung dar.

6.3 Befunde empirischer Strafzumessungsforschung

169

dingungen organisatorischer und normativer Art und erwünschte Strafmaße reflektieren.

6.3 Befunde empirischer Strafzumessungsforschung Befunde empirischer Sanktionsforschung lassen sich entlang der eingangs aufgezeichneten Fragestellungen aufbereiten. Danach geht es um die Fragen, -

welche Merkmale des Sachverhalts, der beteiligten Personen, der Verfahren die beobachtete Variation im Strafmaß und in der Strafart erklären,

-

welches relative Gewicht verschiedenen Merkmalen zuzumessen ist,

-

welche Veränderungen im Recht bzw. den organisatorischen und sonstigen Rahmenbedingungen der Strafzumessungsentscheidung Veränderungen (erwünschter Art) im Strafverhalten nach sich ziehen.

Die empirischen Untersuchungen sind in den Übersichten 1 bis 3 getrennt nach der primären Methode der Datenerhebung in ihrem wesentlichen Gehalt vorgestellt. Dabei handelt es sich einmal um Untersuchungen auf der Basis von Zählkarten, Strafakten bzw. anderen Justizdokumenten (Übersicht 1), Untersuchungen experimenteller bzw. quasi-experimenteller Art (Übersicht 2) und Interview- bzw. Fragebogenforschung (Übersicht 3). Eine zusammenfassende Bewertung der Untersuchungen ist schon deshalb schwierig, weil einerseits unterschiedliche Datenerhebungsverfahren Verwendung finden, andererseits unterschiedliche Fragestellungen eingehen sowie sowohl abhängige als auch unabhängige Variablen (mit Ausnahme zentraler, durch bürokratische Regeln oder durch das Recht selbst homogen definierter Merkmale) sich unterscheiden. Im übrigen liegen gerade hinsichtlich der Operationalisierung zentraler Variablen gewichtige Unterschiede vor 39 • Dies gilt vor allem für die Erfassung der abhängigen Variable, nämlich der Strafe selbst. Hier liegt natürlich ein wesentliches Problem verborgen. Denn mit der Erfassung der Strafschwere wird gleichzeitig auch die Grundlage für das Konzept der Unterschiede geschaffen, die Erklärungsgegenstand sein sollen. Übersicht 4 faßt die hierzu vorliegenden Studien zusammen. Im übrigen lassen sich erhebliche Differenzen in den Konzepten beobachten, mittels derer eine Parallelisierung der Straftaten bzw. der Entscheidungssachverhalte erfolgt, sieht man ab von Befragungen auf der Grundlage fIktiver Fälle. Jedoch können mehrere zentrale Tendenzen zusammengefaßt werden.

39 Hagan, J., Bumiller, K.: Making Sense of Sentencing: A Review and Critique of Sentencing Research. In: Blumstein, A. u. a. (Hrsg.): Research on Sentencing: The Search for Reform. Bd. 11, Washington 1983, S. 1-54, S. 19.

Blutalkoholkonzentration.

40%, N=6803 Uneile.

Wün,embe'g 1966.

Schöch 1973; Baden-

1962-1963.

Schiel 1969; Deutschland

(ohne

Schadenshöhe. Alter, Beruf.

nicht zusanunen. Unabhängig von diesen Merkmalen ist eine Bevorzugung bestimmter Strafmaße (glane

Tätennerkmale. Gerichtsort.

316 StGB,

Unterschiede in der Strafzumessungspraxis zwischen OLG-Bezirken.

Verletzungen beim Straftäter einerseits und der Strafe andererseits. Beobachtet werden nicht unerhebliche

wird eine starke Korrelation zwischen einschlägigen Vorstrafen und Strafart bzw. Strafmaß, weniger stark. sind Zusammenhänge zwischen Höhe der Blutalkoholkonzentration sowie dem Vorliegen von

Unabhängige Variablen: Tat- und

(Strafakten) wegen §§ 315c,

N~300.

Fragestellung: Determinanten der Strafzumessungsentscheidung. Forschungsergebnisse: Nachgewiesen

Abhängige Variable: Strafan, Strafmaß, Maßregeln.

Vorstrafenbelaslung die Unterschiede geringer werden und sich verwischen.

Unterschiede in Delikts- und Täterstruktur nicht erklärt. jedoch wird festgestellt, daß bei zunehmender

Bezirke im Hinblick auf das Ausmaß der Geldsuafenverbängung. Die Unterschiede werden durch

auf die Strafart als auch im Hinblick auf die Strafhöhe beträchtlich. Insbesondere unterscheiden sich die

Deliktsan. Vorstrafenbelastung. Gerichtsbezirke.

Fragestellung: Deskription und Erklärung von Unterschieden in der Strafzumessung. Forschungsergebnisse: Die drei einbezogenen Landgerichtsbezirke unterscheiden sich sowohl im Hinblick

Abhängige Variable: Strafan,

Zahlen) zu beobachten. die gestalt theoretisch erklärt wird.

Strafmaß. Unabhängige Variable:

Geschlecht. Familienstand.

ZufaJlsstichprobe von rechtskräftigen Verurteilungen

Verkehrsdelikte), Strafakten.

N~3145

Veruneilungen aus den Landgerichtsbezirken Koblenz. München. Frankfurt,

Strafakten.

N~53,

Unabhängige Variable: Vorstrafenbelastung.

Veruneilungen wegen

VemlÖgensdelikten;

Fragestellung: Determinanten der Strafzumessung. Forschungsergebnisse: Vorsuafenbelastung und Schaden korrelieren mit dem Strafmaß. Beruf. Geschlecht. Familienstand. Alter hängen mit dem Strafmaß

Abhängige Variable: Strafmaß.

Zufallsauswahl von

1959-1960.

hiervon variieren die Strafen zwischen einzelnen Gerichtsbezirken stark.

vor allem die Vorstrafenbelastung und die Höhe der Blutalkoholkonzentraüon korreliert. Unabhängig

Fragestellung: Determinanten der Strafzumessung. Forschungsergebnisse: Mit Strafan und Strnfhöhe sind

FRAGESTELLUNGEN UND FORSCHUNGSERGEBNISSE

Rolinski 1969; Wiesbaden

Tatmotiv. Personenmerkmale, Gerichtsbezirke.

Delikt. Vorstrafenbelastung.

Talfolgen.

Amtsrichtern. RUcklaufquote

Verkehrsdeliktsfl!llen übe,

Fragebogen bei 2000

Abhängige Variable: Strafan, Strafmaß. Unabhängige Variable:

Erhebung von je 10

UNTERSUCHUNG

LewrenzIBochnik 1968; Deutschland 1966.

UNABHÄNGIGE VARIABLEN

UNTERSUCHTE

GRUPPE

ORT DER

ABHÄNGIGE UND

STICHPROBE I

AUTORfLEIT UND

Übersicht 1: Empirische Untersuchungen zur Strafzumessung auf der Basis von Strafakten, Zählkarten, Justizstatistiken

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Gerichtsbezirks. Rasse. Vorstrafenbelastung.

Strafvollzugs; N=10488.

Gesamterhebung

häufigerer Verurteilung). Der Zusammenhang verschwindet jedoch vollständig. wenn als Kontrollvariable die Vorstrafenbelastung eingeflihIt wird. Die Schichtzugehörigkeit korreliert mit der Vorstrafenbelastung. wobei die letztere für die richterliche Entscheidung die ausschlaggebende Bedeutung hat.

Einstellung. Verurteilung). Strafart (Freiheitsstrafe/Sonstiges). Unabhängige Variable: Soziale

Anklagen wegen Delikte der

HomosexualiHit; Strafakten.

N=490.

1975; Lo. Angele., USA

1960.

Alter. Geschlecht. Militärdienst, Unterhaltsverpflichtung. Rasse (weiß/indianische Abstammung).

aller wegen Verbrechen

Verurteilten (Juli 1966 - Juli

1967), N=342. Zählkarten.

Strafe.

Quote des Anteils der härtesten

verurteilenden Richters (nach der

durchschnittliche "Härte" des

Berufsausübung. Familienstand.

(N= 1795): Gesamterhebung

der Strafart gering (beta: -.06).

Vorstrafenbelastung.

Bewährung Verurteilten in Bildungsstand. Arbeitslosigkeit.

bestehen. Jedoch ist das relative Gewicht der ethnischen Zugehörigkeit in der Erklärung der Variation in

Unabhängige Variable: Delikt.

allen wegen Verbrechen zu

zwischen 1966 und 1972

Freiheitsstrafe verurteilt. Der Unterschied bleibt auch bei Kontrolle der weiteren unabhängigen Variablen

Strafschwereelementen).

Zählkarteninfonnationen zu

1966-1972.

einem westlichen Bundesstaat

Fragestellung: Werden Straftäter indianischer Abstammung zu schwereren Strafen verurteilt als Weiße. Forschungsergebnisse: Straftäter indianischer Abstammung werden insbesondere häufiger zu

Abhängige Variable: Strafart (kombiniert mit

Erhebung von

Hali/Sirnkus 1975; USA

Tatort. Schuldanerkenntnis.

Schicht. Vorstrafenbelastung.

Forschungsergebnisse: Zwar zeigen sich in der bivarialen Analyse deutliche Zusammenhänge zwischen Schichtzugehörigkeit und richterlicher Entscheidung (niedrige Schicht ist korreliert mit Freiheitsstrafe und

Erledigungsart (Freispruch.

Zufallsstichprobe aus

Fragestellung: Führt die Schichtzugehörigkeit zu unterschiedlicher Behandlung im richterlichen Urteil.

Varianz im Strafmaß erklärt werden.

Kontrolle weiterer unabhängiger Variable in einer multiplen Regression ergeben sich keine Hinweise

WillicklGehlkerlWatts

während der Erhebungszcit).

weniger als 20 Zugängen Abhängige Variable:

beiträgt. Insgesamt können jedoch mit den einbezogenen Variablen lediglich zwischen 5 und 19% der

Urbanisierungsgrad des

Zugangsdatei des

(ausgenommen Delikte mit

darauf. daß der sozioökonomische Status zur Erklärung von Variation in der Länge der FIeiheitsstnlfe

Bildungsstand). Alter.

Carolina. Aorida;

Forschungsergebnisse: Die deliktsspeziftsche Auswertung zeigt keine negativen. bivariaten Zusammenhänge zwischen Sozioökonomischem Status und der Länge der Freiheitsstrafe. Auch bei

Variable: Sozioökonomischer Status (aus Einkommen. Beruf.

1969-1971.

Fragestellung: Läßt sich anhand der Strafzumessungsentscheidung die konflikttheoretisch begründete Annahme belegen. daß der sozioökonomische Status des Verurteilten negativ mit der Strafdauer korreliert.

zwischen 1.1.1969 und

Verbrechensverurteilungen

Aorida, Carolina/USA.

30.6.1971 in Nord-, Süd-

Abhängige Variable: Dauec der Freiheitsstrafe. Unabhängige

Gefängniszugänge wegen

ChiricosIWaldo 1975;

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Arbeitslosigkeit. Delikt. Schadenshöhe.

N=798, Strafakten.

Richtungen beobachten, die sich auf aggregierter Ebene ausgleicht. Die Interviewdaten zeigen. daß Diskriminierung insbesondere mit protestantischer Religion. Beunruhigung über die

Deliktsschwere und Vorstrafenbelastung einerseits

Gerichtsbezirk; N=1219. Stntfakten; Interviews mit 11 Richtern des Bezirks.

Unrersuchung des Gesamtdatensatzes. Wird aber die Praxis einzelner Richter kontrolliert. dann können

Abhängige Variable: Strafan (Unbedingte Freiheitsstrafe/sonstiges).

Gesamterhebung von

Körperverletzungs- und

Einbruchsdiebstahlsflillen auf

Pope 1978; Kalifomien.

USA 1969-1971.

Alter.

(Tatverdacht-Verurteilung);

N=5184 Einbruchsdiebstähle. N=3155 Körperverletzungen.

Unabhängige Variable: Rasse. GeschJecht. Vorstrafenbelastung.

der Basis von justitiellen

Zählkanen, Verlaufsstatistik

Geschlecht. Rasse ist dagegen nur schwach mit Freiheitsstrnfe korreliert.

Vorstrafenbelastung die größte RoUe flir die Entscheidung über die Strafart. An zweiter Stelle steht das

Fragestellung: Oetenninanten der Freiheitsstrafe. Forschungsergebnisse: Relativ gesehen spielt die

bevorzugende Richter andererseits).

gegenläufige Effekte beobachtet werden. die sich ausgleichen (Diskriminierende Richter einerseits und

Straftärern beobachtet werden. Forschungsergebnisse: Kein Hinweis auf Diskriminierung bei

Rasse (Verurteilter).

Abhängige Variable: Strafmaß.

(StrafaJcten) N=I 194.

1968.

~chtskräftigen

Strafart. Unabhängige Variable:

Veruneilungen

Forschungsfragen: Kann Benachteiligung in Form höherer und schwererer Strafen bei schwarzen

Variable: Guilty

N=6793.

Zufallsstichprobe aus

Freiheitsstrafe. Unabhängige

Raub und Einbruchsdiebstahl,

Gibson 1978; Atlanta

Differenz zwischen verschiedenen Gerichtsbezirken.

Freiheitssuafe/k:eine

Board of Criminal Statisrics zu

Kalifomien 1974-1978.

Plea/Geschworenenverhandlung.

Fragestellung: Hat die Verfahrensan Auswirkungen auf die Freiheitsstrafenquote. Forschungsergebnisse: Im Falle eines Geschorenenverfahrens ist die Freiheirsstra(enquore höher. Allerdings variiert die Größe der

Abhängige Variable:

Datensatz des Califomia

BreretoniCasper 1978;

Richter (11).

Verteidigers. Schuldbekenntnis.

Untersuchungshaft. Art des

Variable: Rasse, Geschlecht.

Strafe andererseits). Unabhängige

Kriminalitätsentwicklung und Paneizugehörigkeit erklärt werden kann.

schwarzer und weißer Verurteilter. Jedoch läßt sich richterspezifische Diskriminierung in beide

Residuen einer Regression von

Anklagen in einem

USA 1968-1969.

und (strafartspezifisch) Dauer der

Fragestellung: Läßt sich in der Strafzumessung rassische Diskriminierung beobachten. Forschungscrgebnissc: Insgesamt gesehen unterscheidet sich die Strafschwere nicht im Vergleich

Abhängige Variable: Strnfschwere (gemessen über standardisierte

Zufallsstichprobe von

Vorstrafenbelastung.

Einkommen. Berufsstatus.

unter 5 Dollar) Angeklagten

an einem Gerichtsbezirk:

Erklärung nichts bei.

Deliktsschwere. Vorstraf'enbelastung. Einkommen beslimmt. Alter. Rasse und Arbeitslosigkeit tragen zur

Unabhängige Variable: Geschlecht. Alter, Rasse.

Diebstahls (mit Ausnahme

Einkommens des Angeklagten. Forschungsergebnissc: Strnfart und Strafmaß sind im wesentlichen durch

Fragestellung: Determinanten von Strnfan und Strafmaß unter besonderer Berücksichtigung des

Erledigungsan. Strafart. Strafmaß.

Abhängige Variable:

KFZ-Diebstahl und Diebstahl

Gesamterhebung aller wegen Einbruchsdiebstahls und

Gibson 1978; Atlanta,

Carolina, USA 197 I.

ClarlteIKoch 1976; North

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Tätennerkmale. Jahrgänge.

Zählkarten de.IO Statistical

Alter. Gerichtsbezirke.

Einkommen. Familienstand.

Vomrafenbelastung. Beruf.

Tatmotiv. Deliktsfolgen.

Blutalkoholkonzentration.

Strafakten.

Schadenshöhe.

und De1i1..1e. deren

Strafandrohung Geldstrnfe

ein~chließt).

Strafzumessung. bei Eigentums- und Vennögensdelikten spielt die Schadenshöhe eine wesentliche Rolle.

Deliktsart. Deliktsschwere.

beobachtet.

Unabhängig von strafzurnessungsrelevanten Merkmalen wird ein Nord-Süd-Gefälle in der Strafzumessung

Faktoren korreliert die einschlägige Vorstrafenbelastung am stärksten mit der Sirafart. im übrigen auch mit der Strafhöhe. Daneben hat die Blutalkoholkonzentration bei Verkehrsdelikten Einfluß auf die

Strafmaß. Unabhängige Variable:

Verurteilungen 1972. 1975.

N=1823. N=451 (nur Männer

Wüntemberg 1972. 1975.

Fragestellung: Detenninanlen der Strafzumessung. Forschungsergebnisse: Unabhängig von anderen

Abhängige Variable: Strafan.

Zwei Zufallsstichproben aus

Albrech, 1980; Baden-

angeklagter Straftaten.

Strafzumessung bei Schuldbekenntnissen im Vergleich zu Geschworenenverhandlungen feststellen.

Schadenshöhe. Delikt.

Einbruchsdiebstahl). N=6506. Schuldbekenntnis. Anzahl

jedoch zu einer Reduzierung der Strafe. Bei Raubdelikten läßt sich dagegen eine durchschnittlich mildere

Schußwaffen. Verletzungsfolgen.

Dieb~tahl.

Unabhängige Variable:

aller am Obergericht

1968-1974.

Diebstahl und Körperverletzung sind keine Unterschiede im Vergleich zu Geschworenenverhandlungen

Abhängige Variable: Strafart.

Zählkarten (Verlaufsstatistik)

Uhlmann 1979; USA

festzustellen. Im Falle von Einbruchsdiebstahl kommt es zu einer Reduzierung der Anklagepunkte. nicht

(Rasse).

Intervies (N=95).

Vorstrafenbelastung. Geschlecht.

andere Faktoren kontrollien. zeigen sich deliktsspezifische Effekte des Schuldbekenntnisses. Im Falle von

Verteidigers. Richtennerkmale

Juslizverwaltungsdateien und

Alter. Mitführen von

Fragestellung: Führen Schuldbekenntnisse zu milderer Strafzumessung. Forschungsergebnisse: Werden

Untersuchungshaft. Art des

Richtern aus

(Körperverletzung. Raub.

der Strafzumessung nicht von weißen Richtern.

Anzahl der Anklagepunkte.

Gerichtsbezirk; Daten zu

eingegangenen Verfahren

Vorstrafenbelaslung nicht kontrolliert werden konnte. Im übrigen unterscheiden sich schwarze Richter in

Verurteilungswahrscheinlichkeil nicht feststellen. Jedoch mag dies auch darauf beruhen. daß die

Verurteilte schwerer bestraft werden als weiße Verurteilte, läßt sich ein Einfluß der Rasse auf die

Fragestellung: Läßt sich rassische Diskriminierung beobachten. Forschungsergebnisse: Während scharze

Variable: Deliktsart. RalOse.

Schuldspruch. Strafart. Slrafschwere. Unabhängige

aller

Venahren wegen Verbrechen

Ge~amterhebung

geschlossen.

werden. Hieraus wird auf unterschiedliche bzw. gerichtsspezifische Strafzumessungstraditionen

den Gerichtsbezirken können nur zu einem Teil durch Unterschiede in Tat- und Täterstruktur erklärt

werden. Unterschiede zwischen einzelnen Jahrgängen existieren jedoch nicht. Die Unterschiede zwischen

Forschungsergebnisse: Beachtliche Unterschiede zwischen einzelnen Gerichtsbezirken können beobachtet

Fragestellung: Können Unterschiede in der Strafzumessung zwischen Gerichten beobachtete werden.

(N=43602) in einem

Columbia. USA 1974.

Zählkarten (Verlaufsstatistik). Abhängige Variable:

Gerichtsbezirk. Straftat.

Amtsgerichten; Datenbasis:

Rhodes 1979: District of

Unabhängige Variable:

Verurteilte bei 30 großen

1971-1975.

Department des Horne Office.

Abhängige Variable; Slrafan.

Männliche erwachsene

Tarling 1979; England

entsprechen.

abgelehnt) ist die Veruneilungsrate bedeutsam höher als in Fällen. die dieser Konfiguration nicht

Opfer nach der Tat. Opfer i~t nicht arbeitslos und dem Täter unbekannt. Freilassung auf Kaution

Bild. das sich die Gesellschaft von Vergewaltigungen macht. In Fällen. die diesem stereotypen Bild entsprechen (weitere Straftaten des Angeklagten. Arbeitslosigkeit. Waffengebrauch, Drohung gegen das

Unabhängige Variable: Täter-. Tat-.Opfermerkmale.

Vergewaltigungen

(S'rafak,en).

VerurteilunglFreispruch.

Aburteilungen von

1975-1978.

Forschungsfrage: Determinanten der Verurteilung bei Vergewaltigungsfällen. Forschungsergebnisse: Gerichte reagieren auf Vergewaltigungsfälle offensichtlich in Übereinstimmung mit einem stereotypen

Abhängige Variable:

Gesamterhebung aller

Giroux 1979; Montreal

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verhandelt wurden

Strafmaß. Unabhängige Variable:

Veruneilungen an 4 Gerichten

Gesamterhebung der

Verurteilungen nach Hauptverhandlung, 50% Zufallsstichprobe der

1978.

Meine 1980; Deutschland

1977- 1978.

N=299.

1977-1978; Strafakten.

Steuerdelikten in Hamburg

Strafbefehle wegen

Strafakten. N=1335 .

Geschlecht. Familienstand. Beruf. Vorstrafen. Steueran. Höhe der hinterzogenen Steuern. Begehungsan.

Unabhängige Variablen: verfahrensbezogene Merkmale (Anklage. Schuldbekenntnis). Vorslrafenbelastung, Deliktsart, UrteiJsbegrundung. Abhlngige Variable: Strafart,

(April-August 1978).

Abhängige Variable: Strafan.

Gesamterhebung von

Abhängige Variable: Strafmaß.

Douglas 1980; Australien

1970- 1975.

Distriktgericht; Zählkanen.

Gesamterhebung aller Anklagen wegen eines Verbrechens an einem

(Strafakten). N=1034.

Strafart. Unabhängige Variable :

Ökonomischer Status, sozialer Status, Vorstra(enbelastung. Respektabilüät. Tatmerkmale.

Unabhängige Variable: Pleabargaining. Reduzierung der Anklagepunkte.

Schönthaler 1980; USA

1972-1976.

kalifornischen Gerichtsbezirks

Guidelines.

US-Parole Commission verhandelt wurden. Zufallsstichprobe aus Fällen erwachsener weiblicher Straftäter. die vor dem probation depanmenl eines Abhängige Variable: Strafmaß.

Unabhängige Variable: Parole-

Fällen (Akten), die vor der

1977-1978.

Kruttschnitt 1980; USA

Abhängige Variable: Strafmaß.

Gesamlcrhebung von N=4471

GOItfredson 1980; USA

Fragestellung: Detenninanten der Strafzumessung bei Steuerdelikten. Forschungsergebnisse: Bei Kontrolle von anderen Faktoren (insb. Vorstrafenbelastung) zeigt sich ein eindeutiger. starker linearer Zusammenhang zwischen dem Ausmaß hinterzogener Steuern und dem Slrafmaß.

Fragestellung: Detenninanten der Strafzumessung. Forschungsergebnisse: Plea-bargaining fUhrt häufig zu einer Reduzierung der Anklagepunkte. In der Folge werden Strafen am oberen Ende des StJafrahmens seltener ausgesprochen. Mit abnehmender Deliktsschwere wird der Zus;:unmenhang schwächer. Bei leichten Delikten verschwindet der Zusammenhang. Fragestellung: Detenninanten der Strafzumessung. Forschungsergebnisse: Die Vorstmfenbelaslung korreliert mit der Strafzumessung am höchsten. Andere Merkmale hängen weitaus schächer mit der Entscheidung über die Suafan zusammen. Dies gilt auch für Urteilsbegründungen. Die Nennung verschiedener Ausprägungen der Vorstrafenbelastung differenziert im Hinblick auf die Struktur der Strafen am stärksten. Andere Nennungen (Abschreckung. Resozialisierung etc.) streuen dagegen eher zufällig.

Fragestellung: Detenninanten der Strafzumessung bei weiblichen Straftätern. Forschungsergebnisse: SoziOllrnerklTUlle tragen Olm meisten zur Erklärung der Strafzumessung bei weiblichen Straftätern bei.

Fragestellung: Auswirkungen der Guidelines auf das Strafmaß. Forschungsergebnisse: Die Parole Guidelines reduzieren offensichtlich Unterschiede in der richterlichen Strafzumessung.

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von Richtern durch den jeweiligen örtlichen Kontext stärker beeinflussen läßt

Schuldanerkenntnis. Kaution, Art des Verteidigers. Schwere des Anklagevorwurfs. Mehrf3chl3tbegehung. Geschlecht. VOf!itrarenbelaslung.

Gerichtsbezirken. N=S350.

gerichdiche Zählkarten;

Interviews mit 26 von 27 in die Verfahren einbezogenen

Richtern.

Strarzumessungsraktoren

Zählkarten.

Reduzierung der Anklage.

Vorstrarenbclastung. Schuldbekenntnis. Plea

Zählkarten.

Vorstrafenbclastung. Geschlecht.

Gerichtsbezirken. Zählkarten.

N~6117.

PlealGeschworenenverhandlung).

(Guilty

Alter. Rasse. Erledigungsart

Falle eines Schuldbekenntnisse weniger Freiheitsstrafen verhängt. Die drei untersuchten Gerichtsbczirke

Deliktsart. Gericht.

Einbruchsdiebstahls an drei

1978.

weichen in der Strafart erheblich voneinander ab.

Kontrolle der Vorstrafenbelastung werden unabhängig vom Gerichlsort und unabhängig vom Delikt im

Unabhängige Variablen:

Venahren wegen Raubes und

Kalifomien. USA 1974-

Fragestellung: Führen Schuldbekenntnisse zu niedrigeren Strafen. Forschungsergebnisse: Auch bei

Abhängige Variable: Strafart (Freiheitsstrare/Sonstiges).

Gesamterhebung: von

Caspc:r/Brereton 1981 ;

gegen Bewährungsauflagen.

Staatsanwaltschaft. Verstöße

Bargaining. Antrag der

Variation in der Strafschwere ganz überwiegend auf das richterliche Ermessen zurückzuführen, zum geringeren Teil auf staatsanwahschaftliches Ermessen im Zusammenhang mit Plea Bargaining und

Variable: Deliktsart.

Verbrechen: N=2234.

erklärt werden. Im übrigen ist die

(Buchner-Skala). Unabhängige

Verur1eilungen wegen

1977-1978.

Vorstrafenbela.~tung

in der Strafschwere können durch Delikt und

Abhängige Variable: Strarschwere

Zufallsstichprobe aus

Fragestellung: Determinanten von Strafmaßunterschieden. Forschungsergebnisse: Etwa 50% der Varianz

stärker.

Barry/Greer 1981; USA

(ländlich/Städtisch).

Gerichtsbezirk

(Geschlecht. Rasse. Alter).

Unabhängige Variable: rechtliche und außerrechtliche

Verkehrsdelikte. Mord),

Forschungsergebnisse: Ländliche Gerichte bestrafen härter und berücksichtigen au8errechtJiche Faktoren

(Freiheitsstrare/Bewährung).

(unter Ausschluß Geldstrafe.

1976.

Gesamterhebung lowa:

Fragestellung: Wie wirken sich Gerichtsbezirk und außerrechtliche Faktoren aur die Strafzumessung aus.

Abhängige Variable: Strarart

Rechtskräftig Verurteilte

Austin 1981; USA 1975-

verschiedenen Bezirken).

System (Richter entscheiden in

politische Einstellungen. Circuit-

zu Strare und Strarzwecken.

Alter. Gerichtsbezirk. Einstellung

insgesamt und die zwischen den einzelnen Richter. Interpretiert wird dies damit. daß sich diese Gruppe

durchschnittlichen Abweichungen sind hier größer als die zwischen den einzelnen Gerichtsbezirken

Unabhängige Variable:

den Jahren 1972,1973

begonnen und bis Ende 2974 abgeschlossen waren. Zufallsstichprobe in 3

Unabhängig von Tat-, Täter- und Verfahrensvariablen unterscheidet sich das Strarzumessungsverhalten eines Teils der Richter entlang unterschiedlicher Gerichtsbezirke, in denen sie jeweils tätig sind. Die

die in 22 Gerichtsbezirken in

1972,1973.

Freiheitsstrafe. Dauer der Bewährung, Höhe der Geldstrafe und Strafaussetzung).

Fragestellung: Wie stark ist der Umwelteinfluß aur die Strafzumessung. Forschungsergebnisse:

Abhängige Variable: Strafschwere (Skala aus Länge der

Gesamterhebung Verfahren,

Gibson 1980; lowa, USA

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Meier 1983/ Deutschland 1979.

wegen

Deutschland 1976-1981.

Zufallsstichprobe aus Veruneilungen wegen einer Rückfall,traftat (§48 StGB a.F.) in den LandgerichlSbezirken Göningen, Kassel. Bielefeld; N=308. Strafalcten.

systematische Auswahl.

(Uneile) N=IOOO;

Betäubungsmiueldeliktcn

Mitteilungen in Strafsachen

HachmanniJauß 1983;

Strafakten.

Tötungsdelikte, N=230;

Gesamterhebung aller Verfahren wegen versuchter und vollendeter

Sessar 1981; Baden-

Wüntemberg 1970-1971.

Zufallsstichprobe von Wirtschaftsstrafsachen N=178; Suafakten.

Berckhauer 1981; Deutschland 1974.

N=2366, Zälhkanen.

Verbrechen (nur Männer),

1979.

Groß,tadt USA 1968-

Zufallstichprobe aus Veruneilungen wegen

SpohniGruhVWelch 1981;

Anzahl der Straftaten. Gewaltanwendung. Deliktsschwere. Schadenshöhe. Vorstrafenbelastung. sonstige personenbezogen Merkmale.

Straftu1. Unabhängige Variable:

Abhängige Variable: Strafmaß.

BtMG.

Unabhängige Variable: Alter. Vorstrafen. sozioökonomische Umstindc. Betäubungsminelart. Betäubungsminelmenge. einzelne Begehungsformen des § 11 a.F.

Abhängige Variable: Strafan.

Beziehung. Täter·. Opfennerkmale. Umdefinition durch Gericht von §211 auf §212.

(WahllPßicht). Täler-Opfer-

Unabhängige Variable: Staatsanwaltschaftlicher Sitzungsvertreter. Verteidiger

Abhängige Variable: Strafhöhe.

Delikstan. Schadenshöhe. Vorstrafen. SchichlZugehörigkeit.

ch. Unabhängige Variable:

VerurteilunglEinslellungIFreispru

Strafhöhe;

Untersuchungshaft. Abhängige Variable: Strafart.

Anklageinhalt. Höhe der Kaution.

(Freiheitsstrafe/Sonstiges), Strafschwere. Unabhängige Variable: Rasse. Vorstrafenbelastung. Art des Veneidigers. Schuldbekenntnis,

Abhängige Variable: Strafan

Forschungsfrage: Wie wirken sich die bezeichneten unabhängigen Variablen auf die Strafzumessung aus. Forschungsergebnisse: Heranwachsende werden auch dann. wenn sie nach Erwachsenenstrafrecht abgeurteilt werden. zu milderen Strafen verurteilt (häufigere Bewährungsstrafen); Handel hat im Vergleich mit anderen Begehungsformen eine deurlich strengere Strafzumessung zur Folge. wie auch Heroin im Vergleich mit Cannabis. Menge und einschlägige Vorstrafen hängen deullich mit einer strengeren Strafzumessung zusammen. Das Geschlecht bar geringen Einfluß auf die Strafzumessung (jedoch häufigere Strafaussetzung zur Bewährung bei Frauen). Sozioökonomische Faktoren (familiäre Situation. Berufsausbildung. Schulbildung etc.) wirken sich in der Strafzumessung nicht aus. Im Vordergund stehen somit tatbezogene Kriterien und die Vorstrafenbelastung. Fragestellung: In welcher Weise enolgt die Strafzumessung bei RückfaJlstraftätem. Forschungsergebnisse: Bei der schriftlichen Strafzumessungsbegründung nimmt die Vorstrafenbelastung die ausschlaggebende Rolle ein. Die multivariate Analyse der Strafzumessung weist die Anzahl der verurteilten Straftaten. die Deliktsschwere. GewaJtanwendung. die Vorstrafenbelastung. den Familienstand. Alkoholbeeinflussung und die Anklage als Rückfalldelikt als entscheidende Strafzuß1C.'isungsfaktoren aus (erklärte Varianz: 59%). Dabei kommen der Anzahl der verurteilten Straftaten sowie der Deliktsschwere das ausschlaggebende relative Gewicht zu.

Fragestellung: Determinanten der Strafzumessung bei Tötungsdelikten. Forschungsergebnisse: Für die Strafzumessung ist von besonderer Bedeutung. ob die Anklage von einem MOrdvOlWUrf ausging oder nicht. Wird durch das Gericht von Mord auf Totschlag umdefiniert. dann wird eine durchschnittlich doppeIl so hohe Strafe verhängt wie im FaJle einer staatsanwaJtschaftlichen Anklage wegen eines Totschlags.

Fragestellung: Delenninanten der Strafzumessung bei schwerer WirtschaftskriminaliHiI. Forschungsergebnisse: Gegenüber dem Ermittlungsverfahren verstärkt sich in der Hauptverhandlung und bei der Entscheidung über die Strafe die Bedeutung der Tatmerkmale im Vergleich zu Tätennerkmalen. Insbesondere spielen bei der Entscheidung über die Slnlfart (GeldstrafeIFreiheitsstrafe) TätermerkmaJe keine Rolle.

Fragestellung: Wie wirkt sich die rassische Zugehörigkeit in der Strafzumessung au!'. Forschungsergebni!'se: Wird der Zusammenhang zwischen Rasse und Strafschwere auf Dritt\'ariablen (Anklageinha1t. Vorstrafenbelastung) kontrolliert. dann verschwinden die in der bivariaten Analyse zunächst beobachteten direkten Zusammenhänge. Es verbleiben aber indirekte Zusammenhänge. die über die Variablen Untersuchungshaft und Art des Verteidigers verlaufen. Ein direkter Zusammenhang zwischen Rasse und Strafart bleibt auch bei der Kontrolle von Drinvariablen bestehen (beta: .042).

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t 1258 Verurteilungen;

England 1979.

FarringtonlMorris 1983:

1%5-1976.

Fragestellung: Delenninanten regionaler Strafzumessungsunterschiede. Forschungsergebnisse: Werden

Verurteilung), Strafschwere

(Skala 1-138: 1-7 Strafaussetzung - Reslilution. 8-15 Geldslrafen. 16-30 Bewährungsstrafendauer. 34-138 Freiheilssuafendauer).

Angeklagten eines

Gerichtsbezirks jeweils aus

den Jahren

1965.1966.1971 . 1975.1976.

S""falt.en. N=543. Deliktsschwere

schwere Delikle begehen.

Vorstrafenbelastung. Drogen-.

Veneidiger.

Delikte. Schuldbekennlnis.

An des Diebstahls. Anzahl der

Alkoholprobleme. Schaden,höhe.

Zusanunenhang zwischen Geschlecht und Strafschwere dadurch erklären. daß weibliche Straftäter weniger

Einkommen. Arbeilssituation).

Das Geschlecht dagegen spielt fur die Strafschwere keine Rolle. Vielmehr läßt sich ein bivariater

Strafakten.

Diebstahls und Verteidiger. Dabei hängen höheres Alter. das Vorliegen eines Schuldbekenntnisses. Einbruchs- und KFZ-Diebstahl und die Anwesenheit eines Verteidigers mit schwereren Strafen zusammen.

Personenmerkmale (Aller. Geschlecht. Familienstand.

Amtsgericht (Cambridge)

J.nuar-Juli 1979; N=408.

Variable: Sozial- und

Fragestellung: Werden weibliche Straftäter leichter bestraft rus männliche Straftäter. Forschungsergebnisse: Mit der Strafschwere korrelieren insbesondere Alter, Schuldbekenntnis. An des

Abhängige Variable: Strafschwere. Unabhängige

Gesamterhebung aller Veruneilungen wegen Diebstahls an einem

Rasse. Alter.

Berufsstatus. Vorstrafenbelastung.

(Sellin-Wolfgang Index.

Ge~chlechl.

Unabhängige Variable:

feststellen. Dies gilt auch jeweils für die verschiedenen Jahrgänge.

Erledigungsan (Einstellung.

weiblichen und männlichen

Forschungsergebnisse: Bei Kontrolle des Einflu8cs anderer Variablen auf Erledigungsart und Sirafschwere läßt sich kein bedeutsamer Zusammenhang zwischen Geschlecht und Erledigungsart und Strafschwere

Abhängige Variable:

Fragestellung: LäSe sieb die "Kavaliershypothese" rur Erledigungsart und Str.tfschwere belegen.

ländlich/städtisch) fast vollsländig im Falle von Staalen mit wenig rechtlichem Strafzumessungsermessen.

andere Melumale konstant gehalten. dann entfallen regionale Unterschiede im Strafmaß (NordlSüd~

Zufallstichproben aus

Opfermerkmale.

(ländlich/Släd.isch; Süd/Nord).

Strafzumessungsrecht (wenig/große Ermessensfreiheit), DeJiktsmerkmaJe.

n:l.lionruen Stichprobe von

1983; Florid•. USA

Veruneilten. Rasse. Gerichtsort

Verurteilungen wegen OiebslahlsdeJikten aus einer

CUIT1lß

Sozioökonomischer Status des

Körperverletzung und 1103

1960.

Strafakten.

Abhängige Variable: Straf3l1. S.rafmaß. Unabhängige Variable:

846 Verurteilungen wegen

N.geVGeraci 1983; USA

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davon wirken sich aber verfahrensbezogene Merkmale aus. Untersuchungshaft. Art der Verteidigung (privater vs. öffentlicher Verteidiger) sowie ein Schuldbekenntnis (im Austausch gegen die Zusage einer

Vorstrafenbelastung, Deliktsan.

12 Bezirken. N=1378; Verfahrensakten.

des Plea Bargain,

Variable: Taxenpapier

StGB); Straf.kten. N;I66.

Hauptverhandlung.

(Deliktspezifische Strafdrohung). guilty plea/Hauptverhandlung.

Deliktsschwere: Weiße werden zu längeren Freiheitsstrafen bei schwereren Delikten verurteilt. zwischen

Einweisungsdatcnfonnular.

Rasse und guilty plea: Weiße werden zu längeren Freiheitsstrafen verurteilt im Falle einer

Freiheitsstrafen verurteilt als weiße Straftäter. Interaktionseffekte bestehen allerdings zwischen Rasse und

Gerichtsort (ländlich/Städtisch).

Sommer 1978. N;412. Vorstrafen. Tatschwere

Interaktionseffekten. Forschungsergebnisse: Insgesamt werden schwarze Straftäter zu längeren

Unabhängige Variable: Rasse. Alter, Schul-, Ausbildungsstand,

Fragestellung: Erklärung von Str:lfma8unterschieden unter besonderer Berücksichtigung von Rao;;se und

Abhängige Variable: Strafmaß.

Alle männlichen

Untersuchungshaft.

Staatsgefangniszugänge im

N~815);

Gemessen an der Strafart werden Ausländer nicht strenger behandelt als Inländer.

Unabhängige Variable:

Nationalität. Deliktsart,

Fragestellung: Auswirkungen der Ausländereigenschaft auf die Strafzumessung. Forschungsergebnisse:

Urteilsbegrundung. Abhängige Vari.ble: Strafart.

Maryland.USA 1978.

Strafakten.

Innsbruck (1980.

Gerichtshöfen Wien, Linz.

Strafsachen an den

Zwei Zufallsstichproben aus Strafsachen am Bezriksgericht Wien (1981. N=443) und aus

Jend.ek 1984.

1980.1981.

19&4; Wien, Österreich

HanaklPilgrarniStangl

Unterschiede können durch die in der Urteilsbegründung genannten Argumente nicht erklärt werden.

der Fahrerlaubnis), Unabhängige

Trunkenheitsdelikts (§316

Heidelberg 1976. (Strafmaßempfehlungen).

Forschungsergebnisse: Festgestellt werden erhebliche Unterschiede in den ReChtsfolgen. Diese

wegen eines folgenlosen

Fragestellung: Unterscheiden sich die Herstellung und die darstellung der Sanktionsentscheidung.

Abhängige Variable: Strafart. Strafmaß. Maßregeldauer (Entzug

Stichprobe von Verurteilungen

Hassemer 1983;

Landgerichtsbezirk

1972.1976-1977..

Verteidigers. Richtcrideologie

(Konservatismus).

und Verteidigern in den

Alter wird vermehrt Freiheitsstrafe verhängt).

Zeiträumen 1967-1968. 1971-

mit Richtern, Staatsanwälten

zu

unbedingter Freiheitsstrafe verurteilt zu werden. unabhängig von anderen Faktoren (mit zunehmendem

Wah~cheinlichkeit

zeitabhängig. Dagegen hat das Alter einen gleichbleibenden Einfluß auf die

Unabhängige Variable: Alter,

Rasse. Vorstrafenbelastung. Täter-Opfer-beziehung. An des

Verlaufe der Zeit sowohl bei Raub als auch bei Einbruchsdiebstahl. Der Einfluß von Rasse ist damit

Staatsanwalts- und

auf Strafart und Strafschwere zu Beginn der Zeitreihe festzustellen. Dieser Effekt verschwindet jedoch im

Freiheitsstrafe; Strafschwere (Dauer der Freiheitsstrafe).

Raubes und

Einbruchsdiebstahl; N=1512,

USA 1967-1977.

Gerichtszählkarten; Interviews

Forschungsergebnisse: Werden andere Merkmale kontrollien. dann ist ein unabhängiger Effekt von Rasse

Abhängige Variable: Freiheitsstrafelkeine

Anklagen wegen bewaffneten

Milwaukee/Wisconsin.

Verteidigung.

Zufallsstichprobe von

PruittIWilson 1983;

Fragestellung: Auswirkungen des Merkmals Rasse auf die Strafzumessung im Zeitverlauf.

höheren Strafen verbunden.

Guilty Plea. Plca Bargain. Inhalt

Untersuchungshaft. Art der

reduzierten Anklage) haben einen selbständigen Einfluß auf das Strafmaß. Dieser Einfluß wirkt in die erwartete Richtung (Untersuchungshaft. öffentlicher Verteidiger und Geschworenenverhandlung sind mit

Art der Tatbetciligung. TäterOpfer-Beziehung. Beweislage.

Untersuchungshaft. Verteidigung auf die Strafzumessung aus. Forschungsergebnisse: Tatbezogene Merkmale beeinflussen zunächst die Strafschwere (Dauer der verhängten Freiheitsstrafe). Unabhängig

Alter. Rasse. Geschlecht.

Verl'ahren (Verbrechen) aus

Carolina USA 1979.

Fragestellung: Wie wirken sich verfatuensbezogene Merkmale (Guilty Plea. Plea Bargain.

Abhängige Variable: Strafart. Strafmaß. Unabhängige Variable:

Zufallsstichprobe von

Clarke/Kurtz 1983; North

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Wal,h 1984; Ohio. USA

USA 1945-1965.

Wolfgang/Riedel 1984;

Intelligenzquotient. Rasse. Familienstand. Arbeitslosigkeit. Art des Verteidigers.

Verurteilungen wegen

Verbrechen (jeweils N=208).

Bewährungshilfeakten.

Verletzung. Waffe).

Strafdrohung. Schaden.

Deliktsschwere (gesetzliche

Vorstrafenbelastung.

Einkommen. Ausbildungsstand.

Zufall!itichprobe aus anderen

Variable: Deliktsan. Alter.

Bewährungshelfem).Unabhängige

1978-1981 an einem

Gerichtsbczirk und

durchschnittlich 12 Monate höheres Strafmaß im Vergleich zu anderen (Gewalt)Delikten beobachtet.

Schwereeinschätzungen von

gewa.lnätiger Sexualdelikte

sUidti~hen

Fragestellung: Werden Sexualstraftäter in der Strafzumessung milder behandelt. Forschungsergebnisse: Werden Deliktsschwere und Vorstrafenbelastung kontrolliert. dann wird bei Sexualdelikten ein

Abhängige Variable: Strafschwere (Skala auf der Basis von

Dauer der Hauptverhandlung.

Einverständnisses des Opfers.

Verteidigers. Einrede des

Unzurechnungsfahigkeit. Art des

Schuldbekenntnis. Einrede der

Anzahl der Taten; Verfahren:

Schwangerschaft des Opfers.

Gewahintensität. Tatzeit.

Verlclzungsinlcnsitäl.

Waffengebrauch.

Beziehung, frühere sexuelle Beziehungen zu Täler; Tatumstände: Tatort.

Vorstrnfenbelastung. Täter-Opfer-

(Todesstrafenquote 2%)

Opfer (Todesstrafenquote 39%) 18 Mal höher als bei anderen Täler-Opfer-Konstellalionen

Wahrscheinlichkeit zum Tode verurteilt zu werden ist bei der Kombination schwarzer Angeklagter/weißes

differenziert die Rassenvariable nicht im Falle anderer Täter-Opfer-Kombinationen. Die

deutlich höhere Todesstrafenquote bei schwarzen Angeklagten. deren Opfer weiß war. Dagegen

Angeklagten. Forschungsergebnisse: Auch wenn andere Faktoren kontrolliert werden. zeigt sich eine

Unabhängige Variable: Veruneiller: Rasse, Alter, Familienstand. Vorstrafenbelastung. ArbeitslOSigkeit. Opfer: Rasse. Alter. Familienstand. minderjährige Kinder.

Fragestellung: Wird die Todesstrafe bei schwarzen Angeklagten häufiger verhängt als bei weißen

Abhängige Variable: Strafan (Todesstrafe/Sonstiges).

Ge!i:lJlltcrhebung aller Verurteilungen wegen

Einzelslaalen; N==3000. gerichtliche Zählkanen.

Gerichl!ibezirken aus 11

Stichprobe von

Veruneilungen wegen Vergewaltigung aus einer

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belegen. sondern darauf hinweisen, daß durch bestimmte Konstellationen alle ethnischen/rassischen Gruppen durch Benachteiligung betroffen sind.

Variable: Rasse (schwarz. hispano. weiß). Geschlecht. Vorstrafenbelastung. Deliktsart. Schuldbekenntnis.

bestimmten Freiheitsstrafe

Verurteilten im Jahre 1978;

N=5027, Zählkanen.

Unterschiede aus. Dabei ist die Strafschwere im strengsten Gerichtsbezirk beim schweren doppelt so hoch

Vorstrafenbelastung und der Anteil Vorbestrafter annähernd gleichver1eilt. können also zur Erklärung regionaler Differenzen nicht herangezogen werden. Dagegen unterscheiden sich die Gerichtsbezirke im

OLG-Bezirk.

Abhängige Variable: Strafart, Strafschwere. Unabhängige Variable: Deliktsart, Vorstrafe. OLG-Bezirk. Kriminalitätsbelastung.

aggregien auf OLG-

Bezirksebene.

Alle Verur1eilungen von

Erwachsenen 1982,

aggregier1e Daten, OLG-

Bezirksebene.

Burgstailer/Csaszar 1985a;

ÖSterreich 1982.

Variablen können 64 % der Variation in der abhängigen Variablen erkllirt werden. Für die Erklärung bedeutsam sind Untersuchungshaft. Vorstrafenbelastung und eine frühe erste Veruneilung. Dabei kOlTUßt der Untersuchungshaft die ausschlaggebende Bedeutung zu. Andere Merkmale spielen keine Rolle.

Unabhängige Variable: Vorstrafenbelastung,

Verur1eilungen wegen

Verbrechen an zwei

Gerichten, Strafakten, N=162.

Israel 1975.

sentencing guidelines-Empfehlungen. 88% der verhängten Sirafen fallen in den von guidelines empfohlenen Rahmen. 12% weichen davon ab. fast ausschließlich nach unten. Je schwerer das Delikt, desto häufiger wird von den Empfehlungen abgewichen. Rassisch begründete Diskriminierung läßt sich nach EinfUhrung der sentencing guidelines nicht beobachten. Unterschiede in der Strafzumessung

Delikt. Gerichtson. Rasse. Vorstrafen. Tatschwere. Inkrafnreten von sentencing guidelines.

Verurteilungen wegen

Einbruchdiebstahls, Raub,

Vergewaltigung und schwerer

Körperverletzung. Zählkarten.

1980,1983.

Tatschwere und Vorstrafenbelastung erklärt. gegenüber 24% im Jahre 1980.

deutlicher Reduzierung von Variation im Strafmaß. 1983 werden 49% der Varianz im Strafmaß durch

zwischen städtischen und ländlichen Gerichten sind drastisch reduzien. Sentencing guidelines fUhnen zu

Fragestellung: Folgen Gerichte sentencing guidelines; Führen sentencing guidelines zu mehr Konsistenz im Hinblick auf Strafart und Strafmaß. Forschungsergebnisse: Im wesentlichen folgen die Gerichte den

Abhängige Variable: Strafart, Strafmaß. Unabhängige Variable:

Zufallsstichproben aus

KramerILubitz 1985;

Pennsylvania.USA

Gerichtshilfebericht.

Untersuchungshaft, Verteidiger,

Ethnische Zugehörigkeit.

Aher bei erster Verurteilung,

Familienstand. Ausbildungsstand,

Fragestellung: Determinanten der Strafart. Forschungsergebnisse: Mit den einbezogenen unabhängigen

Abhängige Variable: Slnifan (Freiheitsstrafe/Sonstiges.

Zufallstichprobe aus

Cohenlfishman 1985;

Strafschwereunterschieden zusammenfallt.

Hinblick auf die allgemeine Kriminalitätsbelastung in einer Richtung. die mit den

regionalen Strafschwereunterschiede. beläßt aber substantielle Differenzen. Ferner sind Ausmaß der

Kontrolle des Anteils von Delikten mit hober Strafandrohung erbringt zwar eine Reduzierung der

Fragestellung: Erklärung regionaler Unterschiede in der Strafschwere. Forschungsergebnisse: Die

lassen sich die stärksten regionalen Differenzen im Fall des schweren Diebstahls beobachten.

ein Drittel dessen. was für nichtvorbestrafte Erwachsenen festgestellt wurde. Delikspezifisch betrachtet

vorbestraften Erwachsenen. Der maximale Unterschiede in der Gesamtstrafschwere beträgt hier nunnehr

wie im mildesten Bezirk. Weniger stark sind die Unterschiede in der Strafzumessung gegenüber

Forschungsergebnisse: Die Strafpraxis gegenüber nichtvorbestrnften Erwachsenen weist große regionale

Variable: Deliktsart, Vorstrafe.

Verurteilungen 1982;

Fragestellung: Inwieweit lassen sich gerichtsbezirksabhängige Strafm:lßunterschiede feststellen.

Abhängige Variable: Strafschwere. Unabhängige

Gesamtdaten zu allen

Burgstailer/Csaszar 1985;

ÖS,erreich 1982.

(Interaktionseffekte) beobachtet. die jedoch keine systematische Diskriminierung bestirrunter Gruppen

Forschungsergebnisse: Bei Kontrolle anderer Merkmale hat die Rasse keinen direkten und unabhängigen Einfluß auf die Strafzumessung. Jedoch werden deliktsspezifische und andere Besonderheiten

Freiheitsstrafe. Unabhängige

eines Verbrechens zu einer

USA 1978.

Fragestellung: Hat die Variable Rasse einen direkten oder indirekte Effekte auf die Strafzumessung.

Abhängige Variable: Länge der

Gesamterhebung aller wegen

Zatz 1984; Kalifomien.

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Branlingham 1985: Kanada 1979-1980.

1980.

Britisch-Columbia 1979-

Brantingham 1985;

1981.

Austin 1985; DetroitlUSA

1980.

Pete"ilia 1985; USA 1978,

einem öffentlichen Verteidiger vertreten wurden (N=2000): Fragebogen (Verteidiger). Gerichtsstatistiken.

slädtischen und einem ländlichen Gericht. die von

andererseits. N=598 (aus einem Bezirk); schriftlicher Fragebogen zum Verfahren (Verteidiger) und Gerichtsentscheidungen. Zufallsstichprobe aus Verfahren vor einem

an einem Gericht. N=549: Gerichtliche Zählkarten. Verfahren mit öffentlichem Verteidiger einerseits und privatem Verteidiger

(guilty plea) wegen Vergehen

N=1380. Gesamlerhebung von Verurteilungen auf der Basis eines Schuldbekenntnisses

Zufallslichprobe von Strafgefangenen aus Michigan. Tex.as und Kalifomien (einschließlich selbstberichteter Kriminalität),

Staates Kalifomien 1980, N= 18930 I; Befragung einer

DateRsätze aus der JustizverlaufSSlatistik des

Ausbildung. Arbeitslosigkeit. Einkommen. Erörterung des Falles mit Staatsanwaltschaft. Thema der Erörterung. Schuldbekenntnis. Person des Richters.

Strafmaß. Unabhängige Variable: Deliktsschwere. DrogenAlkoholbeeinflussung. Vorstrafenbelastung. Tatbeteiligung. Alter. Geschlecht.

Abhängige Variable: Strafan, Strafmaß. Unabhängige Variable: Vorstrafenbelastung. Deliktsart. Rasse. Wohnsitz des Verurteilten (Gerichtson. an Gerichtsort angrenzend, Anderes). Abhängige Variable: Erledigungsan. Strafan. Strafmaß. Unabhängige Variable: Art des Verteidigers. Deliktsan. Deliktsschwere. sozioökonomischer Status des Klienten. Geschlecht. Alter. Schulbildung. Familienstand. Abhängige Variable: Stmfan.

Minderheiten beobachten. Jedoch werden schwarze Angeklagte häufiger zu Freiheitsstrafe und zu längeren

Vorstrafenbclastung.

(Dauer der Freiheitsstrafe) wird im wesentlichen durch die Vorstrafenbelastung und die Verwendung von Waffen bestimmt (62% erklärte Varianz) Richtereffekte sind schwach und tragen zur Erklärung der Variation im Strafmaß kaum bei.

Fragestellung: Erklärung von Unterschieden in Strafan und Strafmaß. Forschungsergebnisse: Die Strafanentscheidung ist sehr stark mit Tatmerkmalen korreliert. Diese erlauben bei 65% eine richtige Zuordnung der Fälle zu den tatsächlich beobachteten Strafen. Dagegen waren Richtervariable (Konsistenz desselben Richters. Konsistenz in Entscheidungen verschiedener Richter) nur schwach mit Unterschieden in der Strafart korreliert. Im Vergleich scheint Inkonsistenz im Entscheidungsverhalten desselben Richters mehr zu Unterschieden beizutragen als Inkonsistenz zwischen verschiedenen Richtern. Da..; Strafmaß

Fragestellung: Wirkt sich der Typ der Verteidigung (öffentlich vs. privat) auf Erledigung und Strafzumessung aus. Forschungsergebnisse: Bei vergleichbarer Klienten- und Fallstruktur werden bei öffentlicher Veneidigung nach einem Schuldbekenntnis weniger Klienten zu Freiheitsstrafe. dafür häufiger zu Geldstrafe. gemeinnütziger Arbeit oder Bewährung veruneilt. Im Strafmaß ergeben sich keine Unterschiede. Der Unterschied in der Quote verhängter Freiheitsstrafe wird auf eine stärkere Kommunikation zwischen öffentlichem Verteidiger und Staatsanwaltschaft zufÜckgeftihrt.

Fragestellung: Werden Verurteilte. deren Wohnsitz nicht mit dem Gerichtsort zusammenfällt. schwerer bestraft. Forschungsergebnisse: Verurteilte mit einem Wohnsitz außerhalb des Gerichtsons werden schwerer bestraft. gemessen an Strafan und Strafmaß. Dies gilt aber nur für weiße Verurteilte. Schwarze Verurteilte werden unabhängig vom Wohnsitz im Vergleich zu weißen Verurteilten strenger hcstraft (inshcsondere gemessen über die Dauer der Freiheitsstrafe).

Freiheitsstrafen verurteilt 8auch unter BerücksiChtigung von Deliktsart. Vorstrafenbelastung. Alter).

Fragestellung: Lößl sich russisch begründete Diskriminierung beobachten. Forschungsergebnisse: Gemessen an der (selbslbcrichleten) Kriminalilätsbelastung läßt sich im Hinblick auf polizeilichen Tatverdacht sowie im Hinblick auf die Anklagewahrscheinlichkeit keine Diskriminierung von

Abhängige Variable: Strafart. Strafmaß. Unabhängige Variable: Rasse. Aller, Deliktsan,

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Steinhilper 1986; DeulSchland 1977-1979.

MoorelMielhe 1986; USA 1980-1981.

1979.

ZatziHagan 1985; Kalifornien, USA 1977-

Verurteilte an 5 Gerichten;

N=87. S"afaklen.

§§177.178SIGBim Landgerichtsbezirk Detmold.

Freiheitsstrafe sowie Zufallsstichprobe aus Bewährungsstrafen; Slrafaklen. N= 1523. Alle Verurteilungen wegen

Verurteilungen zu

Gesamterhebung aller

1979. N=1561O.

Zählkanen (Verlaufsstatistik) aller eines Verbrechens Verdächtigen zwischen 1977-

N=40I; Slrafaklen,

Wegen eines Verbrechens

GenziPrice 1985;

Connecticut. USA 1974· 1975.

Fragestellung: Detenninanten der Strafschwere. Forschungsergebnisse: In einer multivariaten Analyse des

Abhängige Variable: Strafan. Strafmaß. Unabhängige Variable: Vorstrafen, Täter-OpferBeziehung, Nationalität. Tatmerkmale.

Geschlecht. Rasse. Deliktsan. Deliktsschwere. Vorstrafenbelastung. Schuldbekenntnis. Abhängige Variable: Strafmaß. Strafzumessungsgründe. Unabhängige Variable: Tat-, Tätennerkmale, Deliktsart. sentencing guidelines.

Fragestellung: Detenninanten der Strafzumessung. Beschreibung der Strafzumessungsbegründung. Forschungsergebnisse: Die zentrale Suafzumessungserwägung bezieht sich auf die Vorsuafenbela..;tung. Ferner werden thematisiert: tatbestimmte Gesichtspunkte (Dauer des Angriffs. Schaden und Folgen, Tatmittel). Personenbezogene Erwägungen sind selten, wenn sie eingeführt werden, dann strafmildernd. Das Strafmaß ist detenniniert durch die Vorstrafenbelastung. Je enger die Täter~Opfer-Beziehung, desto geringer fällt die Strafe aus.

Fragestellung: Wirken sich sentencing guidelines im Hinblick auf Gleichmäßigkeit der Strafzumessung aus. Forschungsergebnisse: Bei Delikten. für die sentencing guidelines gelten ist größere Einheitlichkeit der Strafen festzustellen als bei Delikten. für die guidelines nicht gelten. Im übrigen sind jeweils unterschiedliche Strafzumessungsfaktoren bestimmend. Bei Guidelines·Delikten stehen tatbezogene Merkmale im Vordergrund, bei anderen Delikten stehen täterbezogene Merkmale im Vordergrund.

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Unabhängige Variable: Aller,

Kaution, Verwendung eines

Augenzeugen, Gerichtsort. Abhängige Variable: Slrafan (Freiheitsstrafe/Sonstiges).

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Fragestellung: Auswirkungen außerrechtlicher Faktoren (Geschlecht. Alter. Rasse) auf die Strafzumessung unler Berücksichtigung von vorhergehenden Selektionsprozessen. Forschungsergebnisse: Bei Unterteilung in drei Gruppen (zu Gefangnis Veruneille. Verurteilte. Tatverdächtige) werden unterschiedliche Zusammenhänge zwischen außerrechtlichen Faktoren und der Suafzumessungsentscheidung beobachtet. Dies wird als Hinweis dafür interpretiert, daß die Beschränkung auf bereits selektierte Gruppen in der StrafzumessungsforsChung zu Verzerrungen fUhren kann.

Gerichts tragen. unterschiedlich. Besondere Bedeutung kommt jedoch den justizbezogenen Variablen zu (Höhe der Kaution. Under-Cover-Agent).

Gesamtdatensatzes ist die Erklärungskraft der einbezogenen unabhängigen Variablen extrem niedrig (weniger als 19%). Bei einer gerichtsspezifischen multivariaten Analyse steigt die Erklärungskmft beträchllich (42-59% der Varianz). Dabei sind die Variablenseis. die die Erklärung innerhalb eines

Under-Cover-Agenl, Anzahl von

Arbeitslosigkeit. Vorstrafenbelastung, Höhe der

Abhängige Variable: Deliktsan. Deliktsfolgen. Täter-OpferBeziehung, Geschlecht, Alter.

Abhängige Variable: Strafschwere (Skala 0-80 = Bewäluung (0) bis MindeslSlrafe 22 Jahre (80)).

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Myersrralarico 1987;

1987; USA 1976-1977.

Hohnes/DaudisreVFam:11

Georgia. USA 1976-1985.

Slaatsanwalisschafisaklen.

684:

1976 bis August 1977: N=

Gesamtcrhebung aller abgeschlossener Verfahren wegen Einbruchsdiebstahls und Raubs an zwei Gerichtsbezirken von Januar

Sllflfvollstreckungsakten. zusälzlich qualitative Daten aus teilnehmender Beobachtung und Interviews.

Verbrechens; N=27720.

Zufallsstichprobe aus Verurteilungen wegen eines Abhängige Variable:

zwischen schwarzer und weißer Bevölkerung; Gerichtsmerkmale (Fallbelasrung pro Richter, Anteil weiblicher Richter, Anteil baptistischer Richter. Alterstruktur der Richter, durchschnittliche vorherige Tätigkeit als Staatsanwalt. Herkunft der Richter. Mitgliedschaft in sozialen Organisationen). Abhängige Variable: Anklageinhalt. Strafart (Bewährung. Freiheitsstrafe. Freiheitsstrafe und Bewährung). Unabhängige Variable: Deliktsart. Tatzeit. Opferverletzung. Waffe. Vostrafenbelasrung. Alter. Rasse. Arbeitslosigkeit. Untersuchungshaft. Art des Verteidigers. Identifizierung durch Augenzeugen. Geständnis.

Einkommensungleichheil

Bevölkerung. Kriminalitätsrate.

Gerichtsbezirke: Urbanität. Einkommen. Arbeitslosenquote. Anteil der schwarzen

Arbeitslosigkeit; Kontext der

DeJiktsschwere. Vorstrafenbelastung. Alter. Geschlecht. Rasse, Familienstand.

Freiheitsstrafe (Dauer), Bewährung (Dauer), Bewährung und Freiheitsstrafe (Dauer). Unabhängige Variable: Deliktsan.

Fragestellung: Detenninanten der Anklage und der Slrafzumessung. Forschungsergebnisse: Der soziale Status des Staftäters wirkt sich auf die Anklage nicht aus. Entsprechendes gilt im wesentlichen für die Strafzumessung. Schwarze Straftäter werden im übrigen tendenziell zu weniger harten Strafen verurteilt. Auswirkungen haben im wesentlichen nur Legalvariablen, was durch Routinisierungserfordemisse und bürokratische Organisation erklän wird.

Fragestellung: Detenninanten der Strafzumessung unter Berücksichtigung des sozialen und organisatorischen Kontexts. Forschungsergebnisse: Die mullivariate Analyse von direkten und interaktiven Effekten zeigt für die Dauer der Freiheitsstrafe eine überragende Bedeutung der Deliktsschwere. Rassische Diskriminierung kann insgesamt nicht beobachtet werden. Städtischer und ökonomischer Kontext hat deliktsspezifische und mssenspezifische Auswirkungen auf die Strafzumessung. Dasselbe gill fLir Richterund Gerichtsmerkmale: Weibliche Richter scheinen häJtere Strafen zu verhängen. männliche Richter scheinen weibliche Straftäter härter zu bestrafen. Deliktsspezifisch unterschiedliche Strafzumessung läSt sich entlang der Variablen "Religion" und "Alter" beobachten. Auch Bürokratisierung ist mit Strafzumessung verbunden. jedoch nicht in der erwarteten Richtung. insbesondere läßt sich eine besonders starke Berücksichtigung der Oeliktsschwere nicht feststellen.

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Abhängige Variable:

Alle Verurteilungen wegen Tötungsdelikten. für die (Täter. Opfer). Täter-Opfer-

Beziehung, Geschlecht des Opfers, An der Waffe, Talon (ländlich/städtisch), Anzahl der Opfer. Abhängige Variable: Dauer der Freiheitsstrafe. Unabhängige Variable: Alter. Geschlecht, Schuldbekenntnis. Bewähnmgsverstoß. guidelineMerkmale (Vorstrafenbelastung. Deliktsan, BewährungsaufsiCht zur Zeit der Deliktsbegehung, Verletzungsintensität. Abhängige Variable: Strafan (Bewährung. Freiheitsstrafe. Bewährung und Freiheitsstrafe), Dauer der Freiheitsstrafe. Unabhängige Variable: Ausbilungs-, Schulbildungsstand, Rasse, Geschlecht, Alter. Vietnamk.riegsteilnehmer, An des Veneidigers, Dauer des Verfahrens.

(auch) Todesstrafe angedroht

ist. N=S04. Daten aus

Ergänzendem Polizeibericht

Trunkenheit im

1983.

N=545.

in Frage kommen (Ersttäter);

von Fällen. die rur Diversion

Fahrerlaubnis), mit Ausnahme

(überwiegend in Kombination mit Fahren ohne

städtischen Gerichlsbezirk

Straßenverkehr in einem

Zählkarten (Verlaufsstatistik)

zu allen Verfahren wegen

1988; Arizon .. USA 1975-

1984; Zähllcarten. N=7243.

von Oktober 1983 bis Mai

Alle Verul1.cilungen unter dem Detenninate Sentencing Act

bei Tötungsdelikten.

Todesstrafe/andere Strafe. Unabhängige Variable: Rasse

N= 171. Strafakten.

in Bayern im Jahre 1982;

Gesetzliche Milderungsgründe, minder schwerer Fall. Vorstrafenbelastung. Tatausführungsmerkmale, TäterOpfer-Beziehung. Verhalten nach der Tat. Tatfolgen, persönliche Verhähnisse des Täters.

Strafan. Unabhängige Variable:

Abhängige Variable: Strafmaß.

nach § 177 (Vergewaltigung)

Gcsamterhebung aller rechtskräftigen Veruneilungen

NienstcdtlZatzlEpperiein

USA 1983-1984.

Ori,wold 1987; Aorida.

USA 1976-1982.

Smith 1987; Lousiana.

OIeger 1987; Bayern 1982.

Fragestellung: Detenninanten der Strafan unter Berücksichtigung der Dauer (Ereignisanalyse. Forschungsergebnisse: Bessere (längere) Aus- bzw. Schuldbildung fühn schneller zu einer Bewährungsstrafe. Bei öffentlichem Veneidiger kommt es häufiger zu einer Bewährungsstrafe; wird Freiheitsstrafe verhängt. ist diese aber länger. Latino-Amerikaner werden eher zu Bewährung verurteilt als Weiße:. dasselbe gilt für Frauen und ehemalige Kriegsteilnehmer.

Fragestellung: Detenninanten der Abweichung von Sentencing-Guidelines. Forschungsergebnis!öe: Die deliktsspezifische Analyse zeigt. daß sentencing-guidelines-Variable und au8errechtliche Variable zusammen nur wenig zur Erklärung der Abweichungen von empfohlenen Strafmaßen beitragen (5 - 21 %). Dabei erklären auße:rrechtliche Variable etwa ebensoviel wie sentencing-guidelines-Variable.

Fragestellung: Detenninanten der Strafzumessung. Forschungsergebnisse: Der Strafrahmen wird nicht ausgeschöpft. Der Regelstrafrahmen kommt nur in einem Drinel der Fälle zur Anwendung. Vorstrafen führen zu längeren Strafen. Eine enge Beziehung zwischen Täter und Opfer ist stark assoziiert mit der Annahme eines minder schweren Falles.

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werden etwas häufiger zu Freiheitsstrafe verurteilt. Im übrigen spielen Sozial merkmale keine Rolle.

Tätigkeit a1s Staatsanwalt.

Verurteilungen wegen

Australien 1981·1983.

Anzahl der Delikte. Versuch. Alter. Vorstrafenbelastung.

Gerichtsbezirk: N=IOO.

Zählkanen und

Verhandlungsprolokolle.

Die Daten stützen die theoretisch begründete Annahme. daß dann, wenn tatbezogene Merkmale eindeutig und konsistent auf Freiheitsstrafe einerseits oder nicht-freiheitsentziehende Sanktionen andererseits

(Freiheitsstrafe/Sonstiges). Unabhängige Variable: Rasse.

Drogendelikten (keine

weiteren

Miami. USA 1971.

yon Anklagepunkten.

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schwarzer Angeklagter dann aus. wenn diese tathezogenen merkmale nicht eindeutig oder konsistent sind.

der Droge. Drogenhandel.

Arbeicslosigkeit. Berufsstatus. Art

Strafakien.

Erwach~nen.

männlichen

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verweisen. die ethnische Zugehörigkeit keine Rolle spielt. Die ethnische Variable wirkt sich zum Nachteil

Vorstrafenbelascung.

ZufallsSfichprobe aus

Deli~1e);

Fragestellung: Wirkt sich die ethnische Zugehörigkeit auf die Strafzumessung aus. Forschungsergebnisse:

Abhängige Variable: StrafaJt

Verurteilungen wegen

UnneverlHembroff 1988:

familiärer Hintergrund.

Kooperationsbereitschaft.

Tatbeteiligung.

Tatmotiv. Geständnis.

Variable: Schadenshöhe. Begehungsform. Tatmittel,

an einem kleinen

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durch Legalfaktoren (Deliktsschwere. Vorstrafenbelastung) erklärt. Schwarze und männliche Straftäter

Religionszugehörigkeit, vorherige Herkunft (räumlich: Gerichtson.

auch mit kürzerer Freiheitsstrafe assoziien. Im wesentlichen werden Unterschiede in Strafart und Strafart

Arbeitslosigkeit; Richter: Alter.

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verbunden. nicht jedoch mit längeren Freiheitsstrafen. Die Zugehörigkeit zu fundamentalistischen Sekten

Richtern.

oder zum Baptistischen Bekenntnis war mit geringfügig häufigerer Anwendung von Freiheitsstrafe. aber

vorherige Tätigkeit als Staatsanwalt ist mit geringfügig häufigerer Anwendung von Freiheit'istrafe

Deliktsschwere.

Justizverwaltungsdaten zu Alter, Rasse. Familienstand.

Freiheitsstrafen. unterscheiden sich aber von jüngeren Richtern nicht im Hinblick auf die Strafart. Eine

Variable: Deliktsart.

lustizakten und Vorstrafenbelastung, Geschlecht.

Auswirkungen auf Strafart und Strafmaß. Dort, wo schwache Auswirkungen beobachtet werden können, werden gängige Annahmen nicht unterstützt. Ällere Richter verhängen zwar ein wenig längere

Strafmaß (Dauer der Freiheitsstrafe). Unabhängige

denen der Richter identifiziert

Verbrechen Verurteilten, bei

USA 1976-1985.

werden konnte; N=6504.

Fragestellung: Welche Auswirkungen haben Merkmale des Richters auf die Strafzumessung. Forschungsergebnisse: Soziale Merkmale der Richter haben keine oder nur schwache unabhängige

Abhängige Variable: Strafart (bewährungfFreiheitsstrafe);

Zufallsstichprobe aus wegen

Myers 1988; Georgia.

1985.

EnglandIWales 1973,

L10ydIWalmsley 1989;

N=333, 1985: N=430.

Zwei Zufallsstichproben von wegen Vergewaltigung Verurteilten; Strafakten; 1973:

Vollendung/Versuch. Art der Drohung und der Gewalt. Verletzungen, weitere sexuelle Handlungen. Dauer der Tat. Täter·Opfer-Beziehung. Opferalter.

Gruppcndelikt.

Unabhängige Variable: Alter. Yorstrafenbelastung.

Abhängige Variable: Strafart. Dauer der Freiheitsstrafe.

Fragestellung: Determinanten der Verhängung von Todesstrafe. Forschungsergebnisse: Mit der Verhängung von Todesstrafe korrelieren Geschlecht und Rasse des Opfers. Bei weißen oder weiblichen Opfern wird die Todesstrafe häufiger verhängt. Andere Merkmale (insb. Rasse des Täters) hängen mit der Verhängung von Todesstrafe nicht zusammen. Im übrigen kann mit den einbezogenen unabhängigen Variablen die Verhängung von Todesstrafe nicht erklärt werden (erklärte Varianz: 7%). Fragestellung: Hat sich die Strafzumessung bei Vergewaltigung im Vergleich 1973 und 1985 verändert. Forschungsergebnisse: Der Anteil nicht freiheitsentziehender Sanktionen ist gleich geblieben. Dagegen werden 1985 deutlich längere Freiheitsstrafen verhängt. Die Struktur erhobener Tat- und Tätermerkmale ist im wesentlichen im Jahre 1985 dieselbe wie im Jahre 1973. Auch die fur das Jahr 1973 festgestellten bivariaten Zusammenhänge zwischen Vorstrafenbelastung. Ausmaß von Drohung. Gwalt und Verletzungen. weiteren sexuellen Handlungen. Täter-üpfer.Beziehung. Dauer der Tat sowie Versuch einerseits und Länge der Freiheitsstrafe lassen sich im Jahre 1985. allerdings auf höherem Strafniveau. abbilden.

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definien als Abweichung des erkennenden Richters vom Durchschnitt der Slrafmaßempfehlungen anderer Richter. Forschungsergebnisse: Während in etwa 57% eine Reduzierung der Abweichung vom Mittelwert der Empfehlungen erfolgt. bleibt die Abweichung in ca. 43% der Falle gleich oder vergrößert sich. Dabei erfolgte in beiden Gerichtsbezirken eine ca. IO%-Reduzierung der Ausgangsabweichungen.

Treatment: Strafmaßempfehlungen des Senlendng Councils (Auf der

Sentencing Councils, N=

2243.

werden).

SeoteReing CouneiJs erörtert

Straffcslsetzung im Rahmen des

Strafmaße festgelegt, die vor der

den erkennenden Richter sowie zwei weitere bzw. mehr Richter voneinander unabhängig

Bewährungshilfe. werden durch

des Straftäters. erstellt durch die

kurzer Beschreibung der tat und

Strafzumessungsberichten mit

Basis von

erkennenden RichleB nach Erönerung im Senlencing Council)-Messung. Ungleichmäßigkeit wird

Deliklsan. Strafmaßempfehlungen des SeDleReing Couneils.

verhängte Strafen aus zwei

Gerichtsbezirkcn mit

Vorher (eBte Festsetzung des Strafmaßes durch erkennenden Richter)-Nachher (tatsächliches Strafmaß des

Abhängige Variable: Strafan. Strafmaß. Unabhängige Variable:

Fragestellung: Bedingen SeoteReing Couneils eine Reduzierung von Strafungleichmäßigkeit Design:

[IDGESTELLUNGEN UND FORSCHUNGSERGEBNISSE

Dokumentierte

GRUPPE

UNTERSUCHUNG

Strufmaßempfehlungen und

UNABHÄNGIGE VARIABLEN

UNTERSUCHTE

Diamondfhisel1975; USA 1972-1973.

ABHÄNGIGE UND

STICHPROBE I

AVTORfLEIT UND

ORT DER

Übersicht 2: Experimentelle und quasi-experimentelle Untersuchungen zur Strafzumessung

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Schriftliche Befragung von Gerichtsreferendaren und

HAISCH 1977; MANNHEIM 1975.

Abhiin,I,. Variabi.: Strafmaß

Befragung und Vorlage von 4

1977.

fiktiven Fällen.

Abbiinll&. Variable:

SuafmaSunterschiede bei 4 fiktiven Fällen (Körperverletzung. Autodiebstahl. Vergewaltigung.

6 Strafrichter; mündliche

Strafzweckpräferenzen.

Monl). Unabhlinglge Variable:

Deliktsart).

Fälle (im wesentlichen

Strafmaß und Strafan. Unobhlnglae Variabi.: Fiktive

(Freispruc:h.Veruneilung);

MCFATTER 1978; USA

1975.

AUSTINIWILLIAMS 1977; VIRGINIA, USA

Abhiinll,. Variable: Erledi,ungsan

(variiert in den fiktiven Fällen).

Abbln,I,. Variable: Strafmaß. Unobhlnglae Variabi.: Schicht

Informalionsverarbeitung.

Strafzumessung;

von Informationen zur

Hintergrund der Richter, Einstellungen zu Strafzweckcn und Verkehrsdelikten; Bewenung

VerkehBdelikten. UnobbJInaig. Variable: Tatmerkmale; Soziale,

bei 8 verschiedenen

Schriftliche Befragung von 47 (nicht zufällig ausgewählten) Strafrichtern anhand von S fiktiven Fällen.

Todesfolge).

Körperverletzung mit

fiktiven Fällen (Tötungsdelikl.

Slrafma8empfehlungen zu 2

Laien (N=60, N=60);

Stichprobe von 32 Gerichten; Hieraus Gesamtbefragung von allen vorsitzenden Richtern, sowie 2/3 Zufallsstichprobe aus anderen Richtern; schriftliche Befragung zu 8 fiktiven Verkehrsdelikten sowie Interview.

1970.

HOOD 1972; ENGLAND

Fragestellung: Lassen sich Strafmaßunterschiede durch Strafzweckprtiferenzen erklären. Foncbungsergebn1sse: Obwohl sich Richter darin unten;cheiden. welcher Strafzweck der wich1igstc sein solltc. kann man sehr viel Übereinstimmung in der tatsächlichen Bestimmung des Strafmaßes durch verschiedene Stntfzwecke beobachten. Der Gesichtspunkt der gerechten Strafe scheint dabei ausschlaggebend zu sein.

Fngestellung: Inwieweit kommt cs zu Strafmaßunterschieden bei Beurteilung derselben rille. Foncbungsergebnisse: Es lassen sich bedeutsame Unterschiede in der Erledigung sowie in der Strafzumessung beobachten. Die An des Delikts ist mit dem Ausmaß an Unterschicden korreliert. Disparität ist am größten bei Drogcndelikt. am geringstcn bei Trunkenheirsfahrt im Straßenverkehr.

Fragestellung: Detenninanten der Strafzumessung; Detenninanten von Strafmaßunterschieden. Forscbunpergebnlsse: Kaum Disparität in der Suafan (Freiheit~slr.1fe sehr sehen); erhebliche Unterschiede in der Anwendung von Fllhrerlaubnisentzug; erhebliche Variation bei der Höhe der Geldstrafe (allerdings in relativ engen Grenzen). Das Ausmaß der Variation i~t größer bei schweren Delikten. Unterschiede im sozialen. persönlichen. politischen Hintergrund von Strafrichtern tragen nicht zur Erklärung \'on Strafma8unterschieden bei. Desgleichen die Herkunft der Richter (slädtisch/ländlich). Unterschiede in der Perzeption der Schwere der Delikte trägt ebenfalls nicht zur Erklärung von Strafmaßunterschieden bei. Richter scheinen im allgemeinen bei der Strafma8entscheidung im Falle normaler oder gewöhnlicher Delikt unifonn zu urteilen. Unterschiede resultieren offensichtlich aus der Beurteilung von Fällen. die sich durch ungewöhnliche Merkmale auszeichnen. Fragestellung: Bestäligt sich die anributionstheoretisch abgeleitete Annahme. daß bei Oberschichtstlitem eher Selbstverschulden zugeordnet wird und in der Folge ein höheres Strafmaß zugemessen wird. Fondlungseraebn1sse: Bei OberschichtsUilern werden häufiger interne Verhahensursachen (Selbstverschulden> als vorliegend angesehen. Juristen atlribuieren insgesamt häufiger Selbstverschulden. Das Strafmaß unterscheidet sich aber weder zwischen Juristen und Laien. noch im Hinblick auf die Schichtzugehörigkeit des Straftäters.

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N=264 Bezirksrichter. Mündliche Befragung und Vorlage von 16 fikliven Fallen.

CLANCY UA 1981; USA 1919.

Zufall~tichprolx:

Befragung aller Amt~richter in S BeziritCß Englonds; N=230, ROcklaufquo(e 33%; ",hriftlichc: Befragung und Vorlage von 9 fiktiven Fällen.

KAPARDlSIFARRINGT ON 1981; ENGLAND 1919.

Venraueosverhällnis zum Opfer. Schuldanerkenntnis. Rasse (Täler und Opfer). Delik'e: Diebs,ahl. Körperverletzung. homosexuelle Handlungen mit Minderjährigen. ~xueller Mißbrauch von Kindern. Abhlngig. V.rlabl.: S'rafmaß zu J6 fiktiven Fällen. Unabhlinglg. Variable: Allgemeine: Orientierung an Strafzielen: faJIspezifischt Sirufziele: Perzeption der Strafschwere: Perzeption der Tatschwere: richterliche Einstellungen.

Vorstrafenbelaslung.

Abhlnglg. V.rlabl.; S'rafonund Strafrna8entscheidung (individuell und kollegial (3 Rieh,er» bei 9 ",hrifllich präsentienen Fällen. die aus realen Gerichtscnlscheidungen in einem Gerichtsbezirk. der nicht in die Befragung einbezogen war. entnommen wurden. Unabhlnalge VarIabi.; Variation der schriftlich vorgelegten Ftille in folgenden Merkmalen: Geschlecht. Alter.

Fragcstcllung: Erklärung von Strafmaßunterschieden. Forschungsergcbnlsse: Die Strafzumessung bei den 16 fiktiven Fällen zeigt erhebliche Unleßchiede. Diese Unterschiede korrelieren gleichermaßen mit den einbezogenen unabhängigen Variablen. Jedoch sind die Koeffizienten von mittlerer Stärke.

FragestelluDg: Detenninanten des Strafmaßes. Validität der Entscheidung auf der Basis schrifllicher Vorlagen. Unterschiede zwischen individuellen und Kollegialentscheidungen. Forschungseraebnisse: Die Slmfmaßentscheidung hängt stark zusammen mit Deliktsschwere und Vor.;trafenbelastung. Eine höhen:: soziale Schicht ist assoziien mit schwere~ Strafen. An der Grt:nzc deutlicher statistischer Signifikanz liegt das Alter des Veruneilten. Keinen EinnuB haben die Ra."se von Titer und Opfer. Alter. Venmuensverhältnis zum Opfer. Schuldanerkenntnis. Tendenziell ist die Strafe in Gruppencntscheidungen höher als in individuellen Entscheidungen. Die Übereinstimmung zwischen realen Strfma8en und Strafmaßen in simulienen Fällen ist sehr hoch. Eine Ausnahme bildet nur der sexuelle Mißbrauch von Kindern

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NORDDEUTSCHLAND 1980.

BOY 1983;

hauptverhandlung. Interviews mit vorsitzendem Richter und Angeklagtcn nach der Hauplverhandlung.

Beobachtung der

Nebenstrafrechlsdelikte;

Vennögensdeliklc.

Quotenstichprobe von Strafverhandlungen aus drei Landgerichtsbezirken. Verkehrsdelikte. Eigentums-,

Geschlecht, Arbeitslosigkeit,

mit Strafrichtern des Gerichlsbezirks. N=7.

Wahrnehmung der Person des Angeklagten).

letzten Vorstrafe. Bewertung der Verwerflichkeit, negative

Strafzumessungstheorie (Bewertung der Normverletzung, Schadenshöhe, Vorstrafenbelastung, Höhe der

Etikettierungstheoretisch (Schicht position des Angeklagten. Sozialkategorie des Angeklagten, Unklarheit der Sachlage, Perspektivendifferenz (Gericht/Angeklagter), Verhandlungskooperation, direktives, perseverantes Verhalten des Gerichts), nonnative (tatorientierte)

Unabhllngige Variable:

Abhängige Variable: Strafhöhe.

Veneidigers. Strafmaßempfehlung der Bewährungshilfe), Richter (Alter. Tätigkeitsdauer als Richter. vorherige Tätigkeit als Staatsanwalt).

Dauer der Untersuchungshaft. Familienstand/Kinder. Vorstrafenbelastung, An des

Deliktsschwere (Strafandrohung).

Unabhängige Variable:

Veruneilter (Rasse. Alter,

1973.

Mai 1973. N=309; Interviews

Veruneilungen in einem

Gerichtsbezirk vom Juni 1972-

Abhllngl,e Variable: Strafart

(Freiheitsstrafe/Sonstiges).

Gesamtcrhebung von

FRAZIER/BOCK 1982; FLORIDA, USA 1972-

Fragestellung: Theorievergleich (Etikenierungslheorie vs. normative StrafzußlC!iisung!iitheorie). Forsc:hungsergebnisse: Etikenierungsvariablen erklären etwa 20% der Varianz in der Strafhöhe. die Variablen der normativen Strafzumessungstheorie dagegen knapp 50%. Insbesondere kommt der Schichtzugehörigkeit im Etikenierungsmodell kaum Erklärungskraft zu. Der Vergleich macht die Überlegenheit des normativen Paradigmas in der Erklärung der Strafhöhe deutlich.

zurückgeführt werden. Die Person des Richters trägt zur Erklärung nichts bei. eben!iiowenig wie Richtel111erkmale.

Richter hinweg variien beträchdich. Ebenso stark variieren aber auch Merkmale der Straftat und de!ii Straftäters. Die Strafanunterschiede können insgesamt auf Unterschiede im Fall bzw. Straftäter

Fragestellung: Welche Bedeutung haben Merkmale des Richters und Richter insge!iiamt rur die Erklärung von Strafmaßunterschieden. Forschungstrgtbnlsse: Die Verteilung der Strafart über die verschiedenen

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PAL YS/DIRORSKI 1985, KANADA 1983.

STRENG 1984; NIEDER SACHSEN 197911980.

ALBRECHT 1983; BADENWÜRTTEMBERG 1979. bei 4 fiktiven Fällen (Folgenlose

Trunkenheitsfahn;

Strafrichtern ilI1

Amtsgerichten; N= 100; mündliche Befragung und Vorlage von 4 fiktiven Fällen.

Untreue. Verkehrsdelikt. Vergewalligung, TÖlungsdelikt): unabhiingige Variable: Sozialund Herkunftsmerkmale der Richler und SI3aISanwälte. Tätigkeilsmerk.male (Gerichtsan. Berufserfahrung). Rollenauffassung. Veranlwortungskonzeption (Schuldidee). Stmfzweckpräferenzen. Sanklionsperzeption. Abhängige Variable: Strafmaßunterschiede bei 5 fikliven Fällen. Unabhängige Variablen: Peoonlichkeilsmerkmale der Richter. Tatmerkmale. stmfgesetzliche Ziel\'orgaben.

Niedersachsens;

Rücklaufquoce 64%.

fiktiven Fällen.

Befragung und Vorlage von 5

(N=206); mündliche

Bezirksgerichtshöfen

20% Zufallsstichprobe von Richtern ilI1

und Stra(schwere bei 6 fiktiven

Fällen (Ladendiebstahl. Betrug.

Sirofrichter und Staatsanwälte

Einkommenssituation. Abhllnglge Variable: S.rafmaß

Schrifdiche Befragung aller

familiäre Situation, Beruf.

fahrlä."sige Körperverletzung; Ladendiebstahl. Diebstahl in einem besonders schweren Fall); Unabhängige Variable, THtel'bezogen SoziaJstalus.

Str.l:Benverlcehrsgefährdung und

Abhängige Variable, S"'llfmoß

Zufallsstichprobe von

Fragestellung: Determinanten der Strnfmaßunterschiede; Überprüfung dissonanztheoretischer Hypothesen. Forschungsergebnisse: Unterschiede im Strafmaß können beobachtet werden. Zur Erklärung der Unterschiede tragen PersönlichkeitsmerkmaJe nichts bei. Entscheidend sind die (unterschiedlichen) Bewertungen der gesetzlichen Strafziele (Rehabilitation. Abschreckung. Schutz der Allgemeinheit, Vergeltung). Von ebenso groBer Bedeutung sind Tatmerkmale. Dabei werden beide Faktoren in einem selektiven. dissonanzreduzierenden Vorgang im Urteil zur Übereinstimmung gebracht.

Fragestellung: I. In welchem Ausmaß besteht Gleichmö.8igkeit in der Strafzumessung. 2. Wirken sich Tätermerkmale im Strafmaß aus, 3. Wie entsteht Gleichmäßigkeit in der Strafzumessung. Forschungsergebnisse: I. Die Strafmaßentscheidung iSI über die 4 Delikte hinweg durch ganz erhebliche Gleichförmigkeit charakerisiert. Ungleichmäßigkeit lä8t sich dagegen in der Entscheidung über die Strafan (GeldlötrafeIFreiheicsstrafe mil Bewährung. Freiheitsstrafe mit BewährungIFreiheitsstrafe ohne Bewährung) sowie hinsichtlich der EntSCheidung Einstellung mit Auflagen/Geldstrafe beobachlen. 2. Sozialer Status. familiäre Situation und Einkommenssilualion wirken sich im Strafmaß nicht aus. Hinsichtlich der Strafart läßt sich eine höhere Geldstrafenquote bei eigenem Einkommen beobachten. 3. Gleichmlißigkeit im Strnfmaß kann erklärt werden als Folge von Anpa."sungen und Übernahme von praktizierten Strafmaßen. wobei dem Strafanirag der Staalsanwaltschafl. dem Gelöprtlch mit Kollegen sowie der Durchsicht der Vorstrafenregister in den Strafakten erhebliche Bedeutung zukommen. Fragestellung: Detenninanten von Strafmaßunterschieden und der Strafzweckpräferenz. Forschung.wrgebnlsse: Unterschiede in der Strafschwere liegen in erheblichem Umfang vor. Zur Erklärung der Unterschiede tragen insbesondere bei: TätigkeitsmerkmaIe (AmtsrichterlRichter Olm Landgericht) Amtsrichter entscheiden sich rur mildere Strafen. Betonung des Sicherungszwecks (härtere Strafen) wie des Resozialisierungszwecks (mildere Sirafen). Besorgnis über die Kriminalitätsentwicklung (härtere Strafen). soziale Herkunft (Beamtenfamilie = mildere Strafen).

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beobachtet werden. Forschungsergebnisse: Die Strafmaßunterschiede $;ind erheblich. Nach Festlegung eines, arbiträr festgelegten. Spielraum.