Strafbarkeitsrisiken durch Compliance: Auswirkungen von Compliance-Regelungen auf das Wirtschaftsstrafrecht [1 ed.] 9783428544332, 9783428144334

Die Arbeit widmet sich dem Thema Compliance und dessen Bedeutung für das Wirtschaftsstrafrecht. Im Mittelpunkt steht die

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Strafbarkeitsrisiken durch Compliance: Auswirkungen von Compliance-Regelungen auf das Wirtschaftsstrafrecht [1 ed.]
 9783428544332, 9783428144334

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Strafrechtliche Abhandlungen Neue Folge · Band 255

Strafbarkeitsrisiken durch Compliance Auswirkungen von Compliance-Regelungen auf das Wirtschaftsstrafrecht

Von

Susanne Annette Zimmermann

Duncker & Humblot · Berlin

SUSANNE ANNETTE ZIMMERMANN

Strafbarkeitsrisiken durch Compliance

Strafrechtliche Abhandlungen · Neue Folge Begründet von Dr. Eberhard Schmidhäuser (†) em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Hamburg

Herausgegeben von Dr. Dres. h. c. Friedrich-Christian Schroeder em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Regensburg

und Dr. Andreas Hoyer ord. Prof. der Rechte an der Universität Kiel

in Zusammenarbeit mit den Strafrechtslehrern der deutschen Universitäten

Band 255

Strafbarkeitsrisiken durch Compliance Auswirkungen von Compliance-Regelungen auf das Wirtschaftsstrafrecht

Von

Susanne Annette Zimmermann

Duncker & Humblot · Berlin

Zur Aufnahme in die Reihe empfohlen von Professor Dr. Christian Jäger, Erlangen-Nürnberg

Die Rechts- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Universität Bayreuth hat diese Arbeit im Wintersemester 2013/2014 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2014 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0720-7271 ISBN 978-3-428-14433-4 (Print) ISBN 978-3-428-54433-2 (E-Book) ISBN 978-3-428-84433-3 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde von der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bayreuth im Wintersemester 2013/2014 als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Literatur wurden im Wesentlichen bis Ende 2012/Anfang 2013 berücksichtigt. Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater Herrn Professor Dr. Christian Jäger für seine wertvollen Anregungen und Ratschläge sowie die stete Unterstützung und Förderung, die ich durch ihn erfahren habe. Die Zeit an seinem Lehrstuhl wird mir stets in bester Erinnerung bleiben. Herrn Professor Dr. Brian Valerius danke ich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Von Herzen danke ich meinen Eltern für ihre uneingeschränkte Unterstützung bei der Verwirklichung meiner Ziele. New York City, im Juni 2014

Susanne Annette Zimmermann

Inhaltsübersicht Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17

1. Kapitel Strafrechtliche Relevanz des Untersuchungsgegenstands im wissenschaftlichen Diskurs und in der Unternehmenspraxis § 1 Compliance-Regelungen als Erscheinungsform von Softlaw . . . . . . . . . . . . . . . .

19 19

§ 2 Stand des wissenschaftlichen Diskurses zur strafrechtlichen Relevanz von Compliance-Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

24

§ 3 Compliance in der Unternehmenspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33

§ 4 Resumee: Kriminalprävention und Strafbarkeitsbegründung als Ziel und Folge von Compliance-Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38

2. Kapitel Abgrenzung tat- und täterbezogener Voraussetzungen der Strafbarkeit

39

§ 1 Gesetzlicher Ausgangspunkt und normzweckbedingte Auslegungsunterschiede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

39

§ 2 „Besondere persönliche Merkmale“ im Sinne von § 28 StGB . . . . . . . . . . . . . .

48

§ 3 „Besondere persönliche Merkmale“ i. S. v. § 14 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

60

§ 4 Stellungnahme: § 14 StGB als maßgeblicher gesetzlicher Anknüpfungspunkt . .

68

§ 5 Abgrenzung täterbezogener Strafbarkeitsvoraussetzungen nach dem Begriffsverständnis des § 14 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

70

§ 6 Strafbarkeitsbegründung durch § 14 StGB und Strafbarkeitsbegründung durch Compliance-Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

75

3. Kapitel Strafbarkeitsbegründende Wirkung bei täterbezogenen Voraussetzungen der Strafbarkeit – Strafbarkeitskonkretisierende Wirkung bei tatbezogenen Voraussetzungen der Strafbarkeit

82

§ 1 Widersprüchlichkeit der bisherigen Diskussion angesichts der Funktionsweise der Kriminalprävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

82

10

Inhaltsübersicht

§ 2 Strafbarkeitsbegründung und Strafbarkeitskonkretisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 § 3 Alternative Abgrenzungsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88

4. Kapitel Strafbarkeitsbegründende Wirkung durch Individualisierung und Standardisierung

92

§ 1 Täterbezogene Strafbarkeitsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 § 2 Vermögensbetreuungspflicht und Compliance-Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 § 3 Garantenstellung bei unechten Unterlassungsdelikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 § 4 Sorgfaltspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 § 5 Beeinflussung der Kenntnis täterbezogener Strafbarkeitsvoraussetzungen . . . . . 224 § 6 Strafzumessung nach § 46 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 5. Kapitel Strafbarkeitskonkretisierende Wirkung bei tatbezogenen Voraussetzungen der Strafbarkeit

247

§ 1 Tatbezogene Voraussetzungen der Strafbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 § 2 Tathandlung und Tatobjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 § 3 Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 § 4 Objektive Zurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 § 5 Tatbestandsausschließendes Einverständnis und rechtfertigende Einwilligung . . 268 § 6 Beeinflussung der Kenntnis tatbezogener Strafbarkeitsvoraussetzungen . . . . . . 271 § 7 Strafzumessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 Resumee: Zusammenfassung der wesentlichen Erkenntnisse, Bewertung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17

1. Kapitel Strafrechtliche Relevanz des Untersuchungsgegenstands im wissenschaftlichen Diskurs und in der Unternehmenspraxis

19

§ 1 Compliance-Regelungen als Erscheinungsform von Softlaw . . . . . . . . . . . . . I. Definition und Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Erscheinungsformen und Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Strafrechtlich relevante Compliance-Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19 19 21 22

§ 2 Stand des wissenschaftlichen Diskurses zur strafrechtlichen Relevanz von Compliance-Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Präventions- und Organisationsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Strafbarkeitsbegründung und Strafbarkeitserweiterung . . . . . . . . . . . . . . . . .

24 24 27

§ 3 Compliance in der Unternehmenspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verfasser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33 33 34

§ 4 Resumee: Kriminalprävention und Strafbarkeitsbegründung als Ziel und Folge von Compliance-Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38

2. Kapitel Abgrenzung tat- und täterbezogener Voraussetzungen der Strafbarkeit

39

§ 1 Gesetzlicher Ausgangspunkt und normzweckbedingte Auslegungsunterschiede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Normzweck des § 28 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Normzweck des § 14 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

39 41 43

§ 2 „Besondere persönliche Merkmale“ im Sinne von § 28 StGB . . . . . . . . . . . . I. Abgrenzungsansätze nach der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Reichsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Resumee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Abgrenzungsansätze nach der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

48 48 48 49 51 52

12

Inhaltsverzeichnis 1. 2. 3. 4. 5. 6.

Traditioneller Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsgutsbezogener Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wertbezogenheit und Wertneutralität nach Herzberg . . . . . . . . . . . . . . . . . Abgrenzung nach Roxin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einheitstheorie nach Schünemann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Resumee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

52 53 55 57 58 59

§ 3 „Besondere persönliche Merkmale“ i. S. v. § 14 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Abgrenzungsansätze nach der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Abgrenzungsansätze nach der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Objektivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Übertragbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Täterschaftliche Pflichtenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Resumee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

60 60 62 62 64 65 66

§ 4 Stellungnahme: § 14 StGB als maßgeblicher gesetzlicher Anknüpfungspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Regelungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Kriminalpolitische Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

68 68 68 69

§ 5 Abgrenzung täterbezogener Strafbarkeitsvoraussetzungen nach dem Begriffsverständnis des § 14 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Täterbezogene Strafbarkeitsvoraussetzungen nach § 14 StGB . . . . . . . . . . . . II. Subjektiv täterschaftliche und tatbezogene Strafbarkeitsvoraussetzungen . . III. Kenntnis täter- bzw. tatbezogener Strafbarkeitsvoraussetzungen und Unrechtsbewusstsein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Strafzumessungsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 6 Strafbarkeitsbegründung durch § 14 StGB und Strafbarkeitsbegründung durch Compliance-Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Personaler Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Sachlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Wirkungsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Resumee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

70 70 72 73 74 75 75 76 79 80

3. Kapitel Strafbarkeitsbegründende Wirkung bei täterbezogenen Voraussetzungen der Strafbarkeit – Strafbarkeitskonkretisierende Wirkung bei tatbezogenen Voraussetzungen der Strafbarkeit

82

§ 1 Widersprüchlichkeit der bisherigen Diskussion angesichts der Funktionsweise der Kriminalprävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 § 2 Strafbarkeitsbegründung und Strafbarkeitskonkretisierung . . . . . . . . . . . . . 85

Inhaltsverzeichnis

13

I. Begründung und Konkretisierung von Strafbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Wirkungsweise von Compliance-Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Strafbarkeitskonkretisierende Modifikation bei tatbezogenen Strafbarkeitsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Strafbarkeitsbegründende Gestaltung bei täterbezogenen Strafbarkeitsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

85 87

§ 3 Alternative Abgrenzungsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Tatbestandliches Schutzgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Sonder- und Allgemeindelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

88 89 90

87 88

4. Kapitel Strafbarkeitsbegründende Wirkung durch Individualisierung und Standardisierung

92

§ 1 Täterbezogene Strafbarkeitsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vermögensbetreuungspflicht i. S. v. § 266 Abs. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Garantenstellung bei den unechten Unterlassungsdelikten . . . . . . . . . . . . . . III. Sorgfaltspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

92 92 93 97

§ 2 Vermögensbetreuungspflicht und Compliance-Regelungen . . . . . . . . . . . . . . I. Vermögensbetreuungspflicht als Compliance-Pflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Pflicht zur Einrichtung von Compliance-Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gesellschaftsrechtliche Organisationspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vermögensbetreuungspflicht als Compliance-Pflicht nur in Ausnahmefällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausgestaltung der Implementierungspflicht vor dem Hintergrund des IDW PS 980 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vermögensnachteil durch Verringerung des Geschäftswertes . . . . . . . . . 4. Vermögensnachteil durch Auslösen von Ersatzansprüchen und Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Zurechnungszusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Vorsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Resumee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Vermögensbetreuungspflicht aufgrund von Compliance-Regelungen . . . . . 1. Vermögensbetreuungspflicht des Compliance-Beauftragten . . . . . . . . . . 2. Vermögensbetreuungspflicht sonstiger Mitarbeiter und Unternehmensexterner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Resumee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Vermögensbetreuungspflicht aufgrund von Compliance-modifizierten gesetzlichen Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zuweisung vermögensschützenden Charakters an Rechtsnormen durch Satzung – BGH, Beschluss vom 13.04.2011 – 1 StR 94/10 . . . . . . . . . .

98 99 100 100 104 106 110 111 117 122 124 124 127 130 134 135 135

14

Inhaltsverzeichnis 2. Anforderungen an die Vermögensschutz begründende Bestimmung . . . 136 3. Resumee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138

§ 3 Garantenstellung bei unechten Unterlassungsdelikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Garantenstellung des Compliance-Beauftragten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begründung der Garantenstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Klassifizierung der Garantenstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Inhalt und Reichweite der Garantenstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Resumee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Garantenstellung von Leitungspersonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Geschäftsherrenhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vernachlässigung von Compliance als gefahrbegründendes Vorverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Beeinflussung der Betriebsbezogenheit einer Gefahr durch Vernachlässigung von Compliance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Garantenstellung aus tatsächlicher freiwilliger Übernahme von Schutzpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Verantwortungsdelegation durch Compliance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Garantenstellungen im Konzern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Resumee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Garantenstellung sonstiger Unternehmensangehöriger . . . . . . . . . . . . . . . . . .

139 139 139 145 148 153 153 155

§ 4 Sorgfaltspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Maßstab und Inhalt von Sorgfaltspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Beeinflussung des Sorgfaltsmaßstabs durch Compliance-Regelungen . . 2. Orientierung an Sondernormen zur Festlegung des Sorgfaltsmaßstabs . . a) Bedeutung von Sondernormen im Wirtschaftsstrafrecht . . . . . . . . . . . b) Bedeutung von Compliance-Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ablösung von Sondernormen durch Compliance-Regelungen . . . . . . 3. Inhaltliche Ausgestaltung von Sorgfaltspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vermögensbetreuungspflicht i. R.v. § 266 Abs. 1 StGB . . . . . . . . . . . . b) Sonstige Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Objektive Vorhersehbarkeit des Erfolges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Vertrauensgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Strafbarkeitsbegrenzende Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Strafbarkeitsbegründende Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Resumee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

188 190 190 194 194 199 203 207 207 216 218 220 220 222 222

§ 5 Beeinflussung der Kenntnis täterbezogener Strafbarkeitsvoraussetzungen I. Einflussnahme auf die kognitiven Elemente des subjektiven Tatbestands . . II. Vorsatzbegründende Wirkung bei normativen Tatbestandsmerkmalen . . . . . III. Garantenpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begründung und Ausgestaltung von Garantenpflichten . . . . . . . . . . . . . .

224 224 225 226 227

158 160 163 171 177 183 185

Inhaltsverzeichnis

15

2. Betroffene Personengruppen im Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Vermögensbetreuungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bestehen und Ausgestaltung der Vermögensbetreuungspflicht . . . . . . . . 2. Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Besondere Irrtumskonstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vermeidbarkeit eines Verbotsirrtums im Sinne von § 17 StGB . . . . . . . . 2. Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Handeln auf Weisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Subsumtionsirrtum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Resumee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

228 233 233 234 239 239 241 242 244 244

§ 6 Strafzumessung nach § 46 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 5. Kapitel Strafbarkeitskonkretisierende Wirkung bei tatbezogenen Voraussetzungen der Strafbarkeit

247

§ 1 Tatbezogene Voraussetzungen der Strafbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Tathandlung und Tatobjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Objektive Zurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Tatbestandsausschließendes Einverständnis und rechtfertigende Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

249 250 250 251

§ 2 Tathandlung und Tatobjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Submissionsbetrug gem. § 263 StGB und wettbewerbsbeschränkende Absprachen bei Ausschreibungen gem. § 298 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Korruptionsdelikte gem. §§ 299, 333, 334 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Verstöße gegen das Datenschutzgesetz gem. § 44 Abs. 1 BDSG . . . . . . . . . IV. Verstöße gegen das Verbot des Insiderhandels gem. § 38 Abs. 1 WpHG . . V. Weitere Tatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Resumee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

252

251

253 255 261 262 264 264

§ 3 Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 I. Äquivalenztheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 II. Gremienentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 § 4 Objektive Zurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 I. Rechtmäßiges Alternativverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 II. Erlaubtes Risiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 § 5 Tatbestandsausschließendes Einverständnis und rechtfertigende Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 § 6 Beeinflussung der Kenntnis tatbezogener Strafbarkeitsvoraussetzungen . . 271

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Inhaltsverzeichnis I. Nachweisbarkeit von Vorsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 II. Rechtfertigende Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 III. Resumee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273

§ 7 Strafzumessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 Resumee: Zusammenfassung der wesentlichen Erkenntnisse, Bewertung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296

Einleitung „Nullum crimen, nulla poena sine lege“ lautet die programmatische Vorgabe für ein nach rechtsstaatlichen Grundsätzen ausgestaltetes Strafrecht. In Art. 103 Abs. 2 GG als verfassungsrechtliches Gebot formuliert und in § 1 StGB wiederholt, schlägt sich dieses Prinzip in der Bindung des Strafrechts an das geschriebene Gesetz, dem Verbot von Rückwirkung und Analogie sowie dem Bestimmtheitsgebot nieder. Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. Diese Vorgabe verpflichtet den Gesetzgeber die Grenze zwischen der Freiheit des Bürgers in der Ausübung seiner Grundrechte und dem strafbaren Bereich sanktionsbewehrter Verhaltensweisen in Rechtsnormen zu fixieren. Die Androhung von Freiheitsstrafen erfordert nach Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG ein formelles Gesetz. Stets muss der gesetzliche Tatbestand die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret umschreiben, dass seine Handhabung durch den Richter für den Normadressaten voraussehbar ist und diesem die Orientierung seines Verhaltens an den rechtlichen Vorgaben ermöglicht. Der staatliche Strafanspruch steht folglich nicht zur Disposition des Einzelnen – oder etwa doch? Jüngste Entwicklungen im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts lassen Letzteres vermuten. „Compliance“ heißt das Gebot der Stunde und sorgt nicht nur in Unternehmen, sondern auch in Wissenschaft und Rechtsprechung für Diskussionsstoff. Branchen- und rechtsbereichsübergreifend haben die Wogen der Compliance auch das Strafrecht erfasst. Von einer „Privatisierung der Kriminalprävention“1 ist die Rede und davon, dass sich „der Staat aus der Kriminalprävention stiehlt“.2 Gemeinsam ist den Beiträgen in der gegenwärtigen Diskussion, dass sie Compliance-Regelungen in erster Linie aus Sicht ihrer Initiatoren und damit unter Präventionsgesichtspunkten betrachten. Dies entspricht auch der verfolgten Zielrichtung, mithilfe der privaten Regelwerke kriminelle Machenschaften im Unternehmen zu verhindern oder zumindest einzudämmen. Doch der Bedeutungsgehalt von Compliance-Konzepten erschöpft sich nicht allein in der Verwirklichung von „Integrity“ und guter „Corporate Governance“, wie diese Arbeit zeigen wird. Als Ausprägung der unter dem Begriff „Soft Law“ zusammengefassten privaten Selbstverpflichtungserklärungen können Compliance-Regelungen auch bestehende Strafbarkeitsrisiken verschärfen und neue 1 2

Dieser Begriff wird u. a. verwendet von Sieber, in: FS Tiedemann, 2008, S. 449 ff. So der Titel des Beitrags von Wessing, in: FS Volk, 2009, S. 867 ff.

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Einleitung

begründen. Zur Systematisierung der festgestellten Effekte werden strafbarkeitsbegründende und strafbarkeitskonkretisierende Wirkungsweisen unterschieden. Strafbarkeitsbegründende Wirkung kommt bei täterbezogenen Strafbarkeitsvoraussetzungen in Betracht, während bei tatbezogenen Voraussetzungen lediglich strafbarkeitskonkretisierende Wirkung festzustellen ist. Zur Untermauerung dieser These werden die Strafbarkeitsvoraussetzungen verschiedener Tatbestände des Wirtschaftsstrafrechts im Hinblick auf ihre Beeinflussung durch Compliance-Regelungen untersucht. Der Schwerpunkt der Betrachtung liegt dabei auf der Funktionsweise einzelner Bestimmungen, die sich unternehmens- und branchenübergreifend als wesentliche inhaltliche Elemente von Compliance-Konzepten herausgebildet haben. Zur Veranschaulichung kann daher auf ausgewählte Compliance-Konzepte einzelner Unternehmen zurückgegriffen werden. Primäres Anliegen dieser Arbeit ist es, dem Phänomen „Compliance“ in seiner Bedeutung für das Wirtschaftsstrafrecht Kontur zu verleihen, indem Wechselbeziehungen zwischen Compliance-Programmen und gesetzlich normierter Strafbarkeit identifiziert, bewertet und in ein konsistentes Gesamtkonzept eingeordnet werden. Dies erfordert eine Abgrenzung zwischen tat- und täterbezogenen Strafbarkeitsvoraussetzungen, die sich im Bereich der Wirtschaftskriminalität an den gesetzlichen Vorgaben des § 14 StGB zu orientieren hat. Ausgangspunkt der Betrachtung ist eine Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes „Compliance“ im Hinblick auf seine strafrechtliche Bedeutung in Unternehmenspraxis und wissenschaftlichem Diskurs. Zur Fundierung der dogmatischen Grundlagen der hier entwickelten Theorie schließt sich dem eine Abgrenzung tat- und täterbezogener Voraussetzungen der Strafbarkeit an. Das dritte Kapitel widmet sich den Grundaussagen meiner Theorie, nach der ComplianceRegelungen bei täterbezogenen Strafbarkeitsvoraussetzungen strafbarkeitsbegründende Wirkung, bei tatbezogenen Strafbarkeitsvoraussetzungen strafbarkeitskonkretisierende Wirkung entfalten können. Diese theoretischen Erkenntnisse werden im Anschluss daran verifiziert, indem ausgewählte Compliance-Regelungen betrachtet und deren Auswirkungen auf täter- wie tatbezogene Strafbarkeitsvoraussetzungen dargestellt werden.

1. Kapitel

Strafrechtliche Relevanz des Untersuchungsgegenstands im wissenschaftlichen Diskurs und in der Unternehmenspraxis § 1 Compliance-Regelungen als Erscheinungsform von Softlaw Einer Untersuchung der Auswirkungen von Compliance-Regelungen auf das Wirtschaftsstrafrecht ist zunächst eine Einordnung der vielgestaltigen, zumeist dem angloamerikanischen Sprachgebrauch entlehnten, Begrifflichkeiten vorauszuschicken.

I. Definition und Einordnung Der Begriff „Compliance“ wurde früher vor allem im medizinischen Bereich verwendet und beschreibt dort die Kooperationsbereitschaft des Patienten im Rahmen seiner Behandlung. Eingang in das juristische Vokabular fand er im Zuge der Entwicklung selbstgesetzter Normwerke privater und öffentlicher Unternehmen.3 In diesem Zusammenhang versteht man unter „Compliance“ die Gesamtheit aller organisatorischen Maßnahmen, die rechtskonformes Verhalten der Unternehmen, der Organmitglieder und Mitarbeiter im Hinblick auf gesetzliche Ge- und Verbote sicherstellen sollen.4 Hauschka fasst unter den Begriff der Compliance allgemein die Einhaltung und Befolgung bestimmter Gebote,5 was Menzies als Einhaltung gesetzlicher Bestimmungen, regulatorischer Standards und Erfüllung weiterer wesentlicher Anforderungen der Stakeholder präzisiert.6 Durch Einrichtung geeigneter Organisationsstrukturen, Prozesse und Systeme im Unternehmen soll eine nachhaltige, risiko- und wertorientierte sowie regelkonforme Unternehmensführung ermöglicht werden. Compliance kommt damit der Beständigkeit des Geschäftsmodells, der finanziellen Ausstattung des Unternehmens und seinem Ansehen in der Öffentlichkeit zugute.7 Theisen rückt in Anlehnung an das US-amerikanische Recht die Haftungsvermeidung durch das Befolgen 3 4 5 6 7

Stober, NJW 2010, 1573. Mit dieser Definition: Schneider, ZIP 2003, 645 (646). Hauschka-Hauschka, § 1, Rn. 2. Menzies, Sarbanes-Oxley und Corporate Compliance, 2006, S. 2. Menzies, Sarbanes-Oxley und Corporate Compliance, 2006, S. 2.

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1. Kap.: Strafrechtliche Relevanz des Untersuchungsgegenstands

sämtlicher für das Unternehmen geltender Rechtsregeln in den Mittelpunkt seiner Definition.8 Eine einheitliche Bezeichnung hat sich bisher auch aufgrund des unternehmensspezifischen Charakters der einzelnen Regelwerke noch nicht herausgebildet. Als thematischer Oberbegriff der insbesondere unter „Corporate Compliance Policy“ 9, „Business Conduct Guidelines“ 10 oder zu Deutsch „Verhaltensgrundsätze“ 11 firmierenden Regelwerke hat sich weitgehend die Bezeichnung „Compliance“ durchgesetzt.12 Auch der Deutsche Corporate Governance Kodex verwendet den Begriff „Compliance“ und bezeichnet damit die Pflicht des Vorstands für die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen und der unternehmensinternen Richtlinien zu sorgen sowie auf deren Beachtung durch die Konzernunternehmen hinzuwirken.13 Gemeinsam ist den Compliance-Programmen, dass sich sämtliche Organe und Mitarbeiter, zuweilen aber auch Unternehmensexterne, wie kooperierende Abnehmer- oder Zulieferunternehmen, selbst zu ihrer Einhaltung verpflichten. Inhaltlich reicht die Spannweite von Bekenntnissen zu ethischen und sozialen Werten bis hin zur Definition einzelner Merkmale von Straftatbeständen. Globale Handelsregeln und internationale Standards werden ebenso abgedeckt wie Vorschriften zur Unternehmenspublizität, Unternehmensführung und -überwachung, Börsen- und Rechnungslegungsstandards, Regeln und Standards zu internen Kontroll- und Risikomanagementsystemen und Leitlinien im Anwendungsbereich der Business Judgment Rule.14 Nach ihrer Funktion lassen sich Schutz-, Beratungs- und Informationsfunktion, Qualitätssicherungs- und Innovationsfunktion sowie Überwachungs- und Marketingfunktion unterscheiden.15 Als aufgrund privater Initiative gesetztes und verbindlich gemachtes Recht, das sowohl bei Einrichtung und Ausgestaltung als auch bei seiner Durchsetzung allein der „normsetzenden“ Institution unterliegt, sind die hier und im Folgenden vereinfachend unter dem Begriff „Compliance-Regelungen“ zusammengefassten Bestimmungen dem sog. „Softlaw“ zuzurechnen.16 Im Gegensatz zum „Hardlaw“ 8

Theisen, Information und Berichterstattung des Aufsichtsrats, 2007, S. 87. „Corporate Compliance Policy“ der Bayer AG. 10 „Siemens Business Conduct Guidelines“ der Siemens AG. 11 „Verhaltensgrundsätze des Volkswagen Konzerns, Code of conduct“ der Volkswagen AG. 12 Vgl. auch den Überblick über die gängigen Begriffe bei Sieber, in: FS Tiedemann, 2008, S. 449 ff. (450). 13 Deutscher Corporate Governance Kodex, in der Fassung vom 26. Mai 2010, Ziffer 4.1.3., abrufbar unter: (zuletzt aufgerufen am 17.01.2012). 14 Menzies, Sarbanes-Oxley und Corporate Compliance, 2006, S. 3 ff. 15 Vgl. Lösler, NZG 2005, 104 (104 ff.). 16 Ebenso, in Abgrenzung zu normativen Bestimmungen, Handelsbräuchen und Gewohnheitsrecht: Kort, NZG 2008, 81 (82). 9

§ 1 Compliance-Regelungen als Erscheinungsform von Softlaw

21

leitet Softlaw seinen Geltungsanspruch nicht aus einem staatlichen Legitimationsakt ab, sondern aus einer freiwilligen Anerkennung und Selbstverpflichtung durch den „zu Adressierenden“.

II. Erscheinungsformen und Abgrenzung Abhängig vom Grad der staatlichen Einflussnahme lassen sich aber verschiedene Formen von Softlaw unterscheiden. Ähnlich vielgestaltig wie die Begrifflichkeiten sind die Erscheinungsformen von Compliance-Regelungen. Zwischen den beiden Extremen des reinen Softlaw und der staatlichen Regulierung spannt sich das weite Feld der sog. „regulierten Selbstregulierung“ 17. Abhängig von Regelungsmaterie und Wirtschaftsbranche nimmt der Staat in unterschiedlich starkem Maße Einfluss auf die Verpflichtung zur Schaffung privater Regelwerke sowie auf deren Ausgestaltung und Durchsetzung.18 Selbstregulierung in ihrer Reinform zeichnet sich durch größtmöglichen Handlungsspielraum der Akteure aus. Abgesehen von der allgemeinverbindlichen Pflicht zur Einhaltung der Gesetze, existieren weder zur Frage der Erforderlichkeit noch zur konkreten Ausgestaltung spezifische gesetzgeberische Vorgaben. Staatliche Regulierung beschreibt die Methode einer Verhaltenssteuerung durch Vorgabe allgemein verbindlicher Regeln. Dabei werden die maßgeblichen Entscheidungen durch den Gesetzgeber getroffen und der Handlungsspielraum des Normadressaten im Wesentlichen auf deren Befolgung und Umsetzung verengt. Mangels privater Normsetzungsinitiative und Ausgestaltungsmöglichkeit handelt es sich bei den Produkten dieser Regulierungsform um Hardlaw. Ausdrückliche gesetzliche Vorgaben zu Inhalt und Ausgestaltung von Compliance-Regelungen existieren bislang nicht, so dass alle gegenwärtigen Compliance-Programme dem Bereich reiner bzw. regulierter Selbstregulierung zuzuordnen sind.19 Regulierte Selbstregulierung oder auch „staatlich-private Ko-Regulierung“ 20 tritt in einer Vielzahl von Gestaltungsformen zutage. So lassen sich die Modelle nach der Regelungsdichte der staatlichen Vorgaben, der angewandten Methode21 aber auch nach inhaltlichen Komponenten, wie der erfassten Branche oder dem einschlägigen Rechtsgebiet einteilen. Im Hinblick auf den Ablauf der Regulierung lassen sich hoheitlich initiierte Regulierungsarten von privatrechtlichen unterscheiden. Erstere basieren auf staatlichen Vorgaben zur Schaffung geeigneter 17

Sieber, in: FS Tiedemann, 2008, S. 449 ff. (476). Insbesondere im Finanz- und Bankensektor existieren detaillierte gesetzliche Vorgaben zur Ausgestaltung der Unternehmensorganisation, vgl. § 25a KWG; § 33 WpHG. 19 Sieber, in: FS Tiedemann, 2008, S. 449 ff. (475). 20 Sieber, in: FS Tiedemann, 2008, S. 449 ff. (460). 21 Sieber unterscheidet zwischen Anreiz- und Zwangsmethoden: Sieber, in: FS Tiedemann, 2008, S. 449 ff. (460) m.w. N. 18

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1. Kap.: Strafrechtliche Relevanz des Untersuchungsgegenstands

Regelungen, die durch die Adressaten entsprechend umzusetzen sind. Letztere werden von privaten Unternehmen oder Organisationen zunächst aufgrund eigener Initiative entworfen und erhalten ihre Allgemeinverbindlichkeit durch einen nachfolgenden Hoheitsakt, in erster Linie durch Zertifizierung.22 ComplianceRegelungen unterfallen der regulierten Selbstregulierung, sofern sie auf entsprechenden gesetzlichen Vorgaben, wie z. B. § 25a KWG, beruhen und sich in ihrer Ausgestaltung an diesen orientieren. Fehlt es an einer normativen Anbindung, sind die selbstgesetzten Vorschriften dem Bereich reiner Selbstregulierung zuzuordnen. Dies trifft vor allem auf die ethisch-moralischen und gesellschaftspolitischen Bestandteile von Compliance-Regelwerken zu.

III. Strafrechtlich relevante Compliance-Regelungen Strafrechtlich relevante Inhalte von Compliance-Regelungen sind von allgemeinen Aussagen zu „Business Ethics“ und „Good Governance“ abzugrenzen. Eine abschließende Aufstellung sämtlicher strafrechtlich relevanter Aspekte ist aufgrund der Diversität branchen- und unternehmensabhängiger Strafbarkeitsrisiken nicht möglich.23 Unabhängig von der individuellen Ausgestaltung in den einzelnen Compliance-Werken der Unternehmen finden sich jedoch Elemente, die unternehmens- und branchenübergreifend verwendet werden und inhaltlich weitgehend deckungsgleich sind. Einen in Compliance-Konzepten regelmäßig enthaltenen Themenkomplex mit strafrechtlicher Relevanz stellen Zuständigkeitszuweisungen dar. Diese legen Personalverantwortung und sachbezogene Zuständigkeitsbereiche fest. Sie betreffen sowohl die oberen und mittleren Leitungsebenen als auch nachgeordnete Positionen in der Unternehmensorganisation.24 Derartige Ausführungen in Compliance-Regelwerken können Überschneidungen mit Stellenbeschreibungen in Anstellungsverträgen, internen Organigrammen oder Ressortdarstellungen aufweisen. Eine Besonderheit stellen insofern die Einrichtung einer Compliance-Abteilung und Einsetzung sog. „Compliance-Officer“ dar.25 In der Regel als Stabsstelle unmittelbar unterhalb der obersten Leitungsebene angesiedelt,26 nimmt er 22 Dies betrifft v. a. den Bereich der elektronischen Medien, in dem Selbstkontrolleinrichtungen der Film- und Fernsehindustrie sowie anderer Multimediadienstleister gesetzliche Vorgaben etwa zum Jugendschutz in eigener Verantwortung umsetzen und der Staat diese zertifiziert. Weiterführend hierzu: Sieber, in: FS Tiedemann, 2008, S. 449 ff. (459 f.; 462). 23 Ebenso: Sieber, in: FS Tiedemann, 2008, S. 449 ff. (458). 24 Weiterführend zur kriminalpräventivorientierten Aufbau- und Ablauforganisation im Rahmen betrieblicher Compliance-Management-Organisation: Hauschka-PauthnerSeidel/Stephan, § 27, Rn. 33 ff. 25 Näher zur organisatorischen Ausgestaltung der Position betrieblicher ComplianceBeauftragter: Hauschka-Bürkle, § 8, Rn. 7 ff. 26 Vgl. Hauschka-Bürkle, § 8, Rn. 31.

§ 1 Compliance-Regelungen als Erscheinungsform von Softlaw

23

eine Sonderfunktion an der Schnittstelle zwischen Mitarbeitern und Unternehmensleitung wahr.27 Mit dem Aufgabenkreis der Gewährleistung rechtskonformen Verhaltens kommt ihm auch unter strafrechtlichen Gesichtspunkten eine Sonderverantwortung zu. Daneben beschäftigen sich Compliance-Vorschriften mit sog. „Whistleblowing-“ 28 oder Hinweisgebersystemen. Dabei handelt es sich um besondere Kommunikationskanäle, die im Falle von Verdachtsmomenten im Hinblick auf Unregelmäßigkeiten im Geschäftsbetrieb von den Mitarbeitern, auch anonym, in Anspruch genommen werden können und sollen. Ein effektives Hinweisgebersystem erfordert zudem die Schaffung entsprechender personeller Kapazitäten und Benennung bestimmter Verhaltensmuster, die es im Ernstfall zu verwirklichen gilt. Ziel derartiger Hinweisgebersysteme ist es, internes Fehlverhalten möglichst frühzeitig zu erkennen und abzustellen bzw. durch einen davon ausgehenden Abschreckungseffekt nicht erst entstehen zu lassen. Des weiteren kommt den Informationssystemen eine wichtige Funktion im Hinblick auf die Fortentwicklung und Anpassung des Compliance-Konzepts im Allgemeinen zu, indem Hinweise, Anregungen und Verbesserungsvorschläge aus allen Bereichen des Unternehmens kanalisiert und an die entscheidungsbefugten Stellen gebündelt weitergeleitet werden.29 Weiterhin klären Compliance-Regelwerke über spezifische strafrechtliche Risiken auf, die aus der Unternehmenstätigkeit und den Aufgaben der Mitarbeiter typischerweise erwachsen können. Neben der allgemeinen Schärfung des Risikobewusstseins der Beteiligten, sorgen diese Regelungen für ein gewisses Grundverständnis bezüglich strafrechtlich relevanter Verhaltensweisen.30 Gerade die umfassenden Compliance-Werke größerer Unternehmen enthalten Definitionen von Tatbestandsmerkmalen der wichtigsten relevanten Straftatbestände. Zur weiteren Veranschaulichung dienen Beispielsfälle und Leitlinien für das Verhalten in besonderen Konfliktsituationen.31 27

Hauschka-Bürkle, § 8, Rn. 23. Der Begriff des „Whistleblowing“ umschreibt allgemein das Melden illegaler Vorkommnisse und Missstände innerhalb eines Unternehmen, einer Dienststelle oder einer sonstigen organisatorischen Einheit gegenüber internen Stellen, Behörden oder der Öffentlichkeit. Mangels umfassender gesetzlicher Regelungen zum Whistleblowing orientiert sich die wissenschaftliche Diskussion an der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sowie des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu dieser Thematik, vgl. BAG, NZA 2004, 427; NKW 2007, 2204; EGMR, ArbRAktuell 2011, 404. Weiterführend hierzu: Zimmermann, ArbRAktuell 2012, 58. 29 Weiterführend zur Ausgestaltung interner Hinweisgebersysteme: Hauschka-Lampert, § 9, Rn. 34 f.; Hauschka-Pauthner-Seidel/Stephan, § 27, Rn. 111 ff. 30 Lampert zufolge hat es sich als sinnvoll erwiesen, den Mitarbeitern relevante gesetzliche Vorgaben „in einfachen Worten“ zu erklären; in: Hauschka-Lampert, § 9, Rn. 19. 31 Zu den Einzelheiten der Instruktion von Mitarbeitern im Hinblick auf strafrechtliche Haftungsrisiken, vgl. auch: Hauschka-Lampert, § 9, Rn. 19 ff. 28

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1. Kap.: Strafrechtliche Relevanz des Untersuchungsgegenstands

Darüber hinaus treffen Compliance-Regelungen Aussagen zu pflichtgemäßem Verhalten von Mitarbeitern im Umgang mit personellen und sachlichen, unternehmensinternen als auch externen Ressourcen.32 Sie normieren die an sorgfältiges und gewissenhaftes Verhalten zu stellenden Anforderungen und gehen hinsichtlich ihrer sachlichen Reichweite über technische Normen, hinsichtlich ihrer qualitativen Strenge über die strafrechtlichen Mindestanforderungen zum Teil weit hinaus. Die Verschärfung von Verhaltensanforderungen ist insbesondere in korruptionsanfälligen Bereichen, im Umgang mit Spenden, Sponsoring, Einladungen und sonstigen Maßnahmen zur „Geschäftsklimapflege“ zu beobachten.33 Schließlich kommunizieren Compliance-Vorschriften Unternehmenswerte und -ziele. Sie betonen die Bedeutung recht- und gesetzmäßigen Verhaltens und fordern von allen Unternehmensangehörigen ein klares Bekenntnis zur Einhaltung nicht nur der Gesetze sondern auch der internen Richtlinien selbst.34 In diesem Zusammenhang finden sich zumindest bei größeren Organisationseinheiten Erstreckungsklauseln auf verbundene Konzernunternehmen, Subunternehmer und andere Geschäftspartner auf vertikaler und horizontaler Ebene.35 Den entsprechenden Erklärungen zufolge ist auf die Beachtung der Verhaltensgrundsätze auch bei diesen Organisationen hinzuwirken. Für Auswahl von und Umgang mit Geschäftspartnern werden besondere Sorgfaltsanforderungen aufgestellt.

§ 2 Stand des wissenschaftlichen Diskurses zur strafrechtlichen Relevanz von Compliance-Regelungen Die fünf genannten Regelungskomplexe stellen auch den wesentlichen Gegenstand des wissenschaftlichen Diskurses dar, wenn es um die Frage der strafrechtlichen Relevanz von Compliance-Regelungen geht.

I. Präventions- und Organisationsfunktion Die zahlreichen Abhandlungen zur Compliance im Allgemeinen und Criminal Compliance im Besonderen konzentrieren sich in erster Linie auf den bezweckten Präventionsaspekt sowie die organisatorische Ausgestaltung von ComplianceProgrammen. Eine Abbildung des gesamten Meinungsspektrums würde den Rahmen der hier vorzunehmenden Untersuchung sprengen und wäre für die zu behandelnde Fragestellung auch nicht zielführend. Daher soll sich die Darstellung 32

Vgl. hierzu auch: Hauschka-Lampert, § 9, Rn. 23 ff. Eine ausführliche Aufstellung unternehmensinterner Maßnahmen zur Korruptionsprävention findet sich bei Hauschka-Greeve, § 25, Rn. 133. 34 Weiterführend zu diesem sog. „Mission Statement“ der Geschäftsleitung als Bekenntnis zur Rechtstreue: Hauschka-Lampert, § 9, Rn. 18, 22. 35 Vgl. auch: Hauschka-Lampert, § 9, Rn. 20. 33

§ 2 Stand des wissenschaftlichen Diskurses

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der die Präventions- und Organisationsfunktion betreffenden Beiträge auf die Aspekte beschränken, in denen es um die Frage einer möglichen Auswirkung von Compliance-Regelungen auf das Strafrecht geht. Darüberhinausgehende Betrachtungen werden einbezogen, sofern und soweit sie zur Beantwortung dieser Fragestellung relevant sind. Die Bedeutung von Compliance-Regelungen für das Wirtschaftsstrafrecht wurde vor allem aufgrund des Obiter Dictum des BGH, in dem dieser die „regelmäßige“ Garantenstellung des Compliance-Beauftragten bejahte,36 zum Gegenstand des wissenschaftlichen Diskurses. So stellen Mosbacher und Dierlamm fest, dass damit erstmals neben den Chancen auch die Risiken einer auf Compliance-Vorgaben gestützten Unternehmenskultur offen zu Tage treten. Die entsprechenden Garantenpflichten beruhten aber nach Ansicht Mosbacher und Dierlamms nicht auf Compliance-Regelungen sondern folgten aus der Garantenpflicht des Geschäftsherrn.37 Auch Warneke lehnt die Ableitung einer Garantenstellung aus der Übernahme der Pflichten eines Compliance-Officers ab. Da ComplianceVorschriften in erster Linie das Innenverhältnis zwischen Beauftragtem und Unternehmen betreffen, könne daraus keine allgemeine Pflicht zum Schutz der Rechtsgüter Dritter abgeleitet werden.38 Ohne an dieser Stelle eine umfassende Darstellung der umfangreichen Literatur zu diesem Thema vorzunehmen, ist festzustellen, dass eine allein auf die Übernahme der Pflichtenstellung gestützte Garantenstellung des Compliance-Officers vom überwiegenden Teil des Schrifttums abgelehnt wird. Compliance-Regelungen soll in diesem Zusammenhang allenfalls zur Bestimmung von Inhalt und Reichweite anderweitig begründeter Garantenstellungen eine gewisse Relevanz zukommen. Michalke untersucht die Bedeutung von Compliance-Regelungen in Bezug auf den Untreuetatbestand des § 266 StGB. Dabei geht sie der Frage nach, ob die von den Unternehmen eingeführten Compliance-Vorschriften eine strafrechtlich relevante Vermögensbetreuungspflicht im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB begründen können. Für Mitarbeiter unterhalb der Leitungsebene wird dies verneint, da deren rechtskonformes Verhalten selbstverständlich und Inhalt der allgemeinen arbeitsrechtlichen Sorgfaltspflichten sei. Derartige Pflichten können nach Ansicht Michalkes auch nicht durch ihre Aufnahme in Compliance-Programme zur Grundlage einer Untreuestrafbarkeit aufgewertet werden.39 Aber auch für Mitglieder der Leitungsorgane ergebe sich aus Compliance-Vorgaben keine Vermögensbetreuungspflicht. Zur Ausfüllung des Tatbestandes von § 266 Abs. 1 StGB fehle den gegenwärtig vorhandenen Compliance-Regelungen ein hinreichender Grad an Konkretisierung und gesetzlicher Anbindung. Aufgrund der Unklarheit 36 37 38 39

BGH, NStZ 2009, 686. Mosbacher/Dierlamm, NStZ 2010, 268 (270). Warneke, NStZ 2010, 312 (315 ff.). Michalke, StV 2011, 245 (247 f.).

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1. Kap.: Strafrechtliche Relevanz des Untersuchungsgegenstands

von Inhalt und Umfang dessen, was dem Begriff der Compliance unterfällt, könne aus Compliance-Regelungen kein allgemein verbindlicher Pflichtenmaßstab abgeleitet werden.40 Zudem sei auch eine allein mit der Übernahme der Funktion eines Compliance-Officers begründete strafrechtliche Verantwortlichkeit kritisch zu sehen.41 Auch Bock betrachtet in seiner Habilitationsschrift Criminal Compliance in erster Linie unter dem Aspekt der organisatorischen Prävention. Criminal Compliance stellt seiner Auffassung nach strafbewehrte Personalverantwortung der Unternehmensleitung für den mangelhaften Einsatz von Instrumenten zur Verhinderung von Straftaten untergebener Mitarbeiter nach innen und außen dar.42 Mit der Möglichkeit einer direkten Einflussnahme von Compliance-Regelungen auf gesetzliche Vorgaben beschäftigt sich Bock insofern, als die Bedeutung von Verhaltensstandards und Verkehrsnormen für die Konkretisierung allgemeiner Anforderungen an die organisatorische Erfüllung von Compliance-Pflichten untersucht wird.43 Bock hält es dabei immerhin für denkbar, dass informelle Organisationssysteme, Erfahrungssätze und Verkehrsgepflogenheiten zur Auslegung „strafrechtlicher Compliance-Normen“ herangezogen werden können.44 Positiv bewertet er deren Potenzial für mehr Rechtssicherheit und Verlässlichkeit zu sorgen und zur Einheit der Rechtsordnung beizutragen.45 Aufgrund ihrer Setzung durch private Einrichtungen fehle es aber an rechtlicher Verbindlichkeit und folglich an einer Befolgungspflicht, so dass allenfalls ein „faktischer Befolgungszwang“ durch entsprechenden Anpassungsdruck in der Praxis für ihre Einhaltung sorgen könne.46 Solange Verkehrsnormen und Branchenstandards nicht selbst zu Rechtsbegriffen im Wege staatlicher Normgebung erhoben würden, könnten sie daher zur Auslegung strafrechtlicher Rechtsbegriffe nicht herangezogen werden.47 Strafbarkeitsrisiken durch Compliance-Regelungen werden in der Arbeit auch unter dem Aspekt untersucht, dass die fehlende Einrichtung einer Compliance40

Michalke, StV 2011, 245 (249, 251). Michalke, StV 2011, 245 (251) unter Bezugnahme auf das Urt. d. BGH v. 17.7. 2009 – 5 StR 394/08 = NStZ 2009, 686, in dem dieser in einem Obiter Dictum von einer „regelmäßigen Garantenstellung“ des Compliance-Officers ausgeht. 42 Bock, Criminal Compliance, 2011, S. 22, 771 f. 43 Bock, Criminal Compliance, 2011, S. 441 ff., 511 ff. 44 Bock, Criminal Compliance, 2011, S. 537; unter „strafrechtlichen ComplianceNormen“ versteht Bock dabei grundsätzlich jeden Straf- oder Ordnungswidrigkeitentatbestand, der von Leitungspersonen eines Unternehmens durch Verletzung der ihnen obliegenden Organisationspflichten verletzt werden kann, vgl. S. 280. 45 Bock, Criminal Compliance, 2011, S. 538. 46 Bock, Criminal Compliance, 2011, S, 539. 47 Bock, Criminal Compliance, 2011, S. 539; zuzugestehen sei ihnen allenfalls eine Indizwirkung, wobei die rechtliche Relevanz aber nicht in der Verkehrsnorm selbst, sondern in der Überzeugungsbildung des Richters zu sehen sei, vgl. Bock, aaO, S. 540. 41

§ 2 Stand des wissenschaftlichen Diskurses

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Organisation als Organisationspflichtverletzung die Zurechenbarkeit des Fehlverhaltens von nachgeordneten Unternehmensmitarbeitern zu begründen vermag. Die Bewertung der Privatisierungstendenzen des Strafrechts zur Bekämpfung der Ursachen von Wirtschaftskriminalität fällt dabei negativ aus. Zum einen würden die in Bezug genommenen Organisationspflichten Vorfeldhandlungen der eigentlichen Strafnorm betreffen, die grundsätzlich ein erlaubtes Risiko darstellten. Zum anderen werde die Kausalitätsproblematik nicht hinreichend berücksichtigt.48 Schaefer/Baumann betrachten im Hinblick auf Strafbarkeitsrisiken durch Compliance lediglich Sanktionen wegen unterlassener Einführung einer Compliance-Organisation und thematisieren in diesem Zusammenhang insbesondere eine mittelbare Täterschaft kraft Organisationsherrschaft.49 Eine Garantenpflicht zur Einführung von Compliance-Programmen ergebe sich allenfalls im Einzelfall aus Ingerenz, wenn es um eine Vermarktung gefährlicher oder mangelhafter Produkte geht, Anzeichen für Rechtsverstöße von Mitarbeitern vorliegen oder es in der Vergangenheit bereits zu rechtlich relevantem Fehlverhalten von Unternehmensangehörigen gekommen ist. Ebenso wie Bock betonen sie die Schwierigkeiten im Hinblick auf den Kausalitätsnachweis der fehlenden Compliance-Organisation für den primären Rechtsverstoß.50 Die in der Literatur gegen eine strafrechtlich relevante Wirkung von Compliance-Regelungen vorgebrachten Bedenken stützen sich vor allem auf die mangelnde Bestimmtheit und fehlende demokratische Legitimation der von privaten Institutionen und Unternehmen entwickelten Compliance-Programme. Zu den Unklarheiten, die hinsichtlich des Umfangs und Inhalts der Materie herrschen, die nach allgemeinem Sprachgebrauch der Compliance unterstellt wird, kommen Vorbehalte hinsichtlich der Ausgestaltung der einzelnen unternehmensinternen Richtlinien hinzu. Mangels normativer Anbindung wird eine strafbarkeitsrelevante Wirkung von Compliance-Regelungen überwiegend abgelehnt und allenfalls tatsächliche Wirkung im Sinne eines „faktischen Befolgungszwangs“ 51 zugestanden.

II. Strafbarkeitsbegründung und Strafbarkeitserweiterung Auch wenn diese Bedenken durchaus ernst zu nehmen sind, lässt sich eine Wechselwirkung zwischen Compliance-Regelungen einerseits und gesetzlichen Voraussetzungen der Strafbarkeit andererseits nicht leugnen. Auf den Aspekt, dass die gegenwärtige Compliance-Praxis neben der erklärten kriminalpräventi48 49 50 51

Bock, Criminal Compliance, 2011, S. 771. Schaefer/Baumann, NJW 2011, 3601 (3603 f.). Schaefer/Baumann, NJW 2011, 3601 (3603 f.). Bock, Criminal Compliance, 2011, S. 539.

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1. Kap.: Strafrechtliche Relevanz des Untersuchungsgegenstands

ven Zwecksetzung auch nicht zu vernachlässigende Strafbarkeitsrisiken mit sich bringt, die in der wissenschaftlichen Diskussion bislang allerdings weitgehend unberücksichtigt geblieben sind, haben unter anderem Seier und Rau hingewiesen.52 In der Literatur finden sich nur vereinzelt umfassendere Stellungnahmen, in denen die strafrechtliche Relevanz von Compliance-Regelungen nicht primär aus präventiver Sicht sondern auch unter dem Blickwinkel einer Beeinflussung der strafgesetzlichen Normen selbst durch die privaten Regelwerke evaluiert werden. Die Untersuchungen konzentrieren sich überwiegend auf die hier unter dem Oberbegriff der täterbezogenen Strafbarkeitsvoraussetzungen zusammengefassten Garantenstellungen, Sorgfaltspflichten sowie die Vermögensbetreuungspflicht im Rahmen des Untreuetatbestandes. So hat Sieber im Hinblick auf die Fahrlässigkeitsdelikte die inhaltliche Beeinflussung der staatlichen Regulierung durch private Regulierungssysteme im Sinne einer „Normsetzung durch Praxis“ erkannt und ihr Potenzial zur Vermeidung „kriminogener Grauzonen“ positiv beurteilt.53 Dabei nimmt auch Sieber zunächst die strafbarkeitseindämmende Wirkung von Compliance-Regelungen in den Blick.54 Im Hinblick auf eine Aufsichtspflichtverletzung gem. § 130 Abs. 1 OWiG könne, Sieber zufolge, die Einrichtung und effektive Umsetzung einer Compliance-Organisation den Vorwurf individueller Fahrlässigkeit oder der Verletzung der Aufsichtspflicht entkräften. Auch in Bezug auf den rechtlichen Zusammenhang zwischen Aufsichtspflichtverletzung und dem durch den Mitarbeiter begangenen Rechtsverstoß sowie die Parallelproblematik des Pflichtwidrigkeitszusammenhangs bei den Fahrlässigkeitsdelikten kann, nach Einschätzung Siebers, Compliance-Konzepten strafbarkeitseindämmende Wirkung zukommen.55 Dass der strafbarkeitseindämmenden Wirkung von Compliance, sofern es etwa um die ordnungsgemäße Erfüllung von Aufsichtspflichten geht, eine „sanktionsbegründende“ Wirkung gegenübersteht, hat Rau klargestellt.56 Im Kontext ihrer Untersuchung des gegenüber Unternehmen bestehenden straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlichen Sanktionsinstrumentariums nennt sie die Begründung von Vorsatzstrafbarkeit, die Vermeidbarkeit eines Verbotsirrtums sowie die Strafzumessungsregeln als mögliche Ansatzpunkte einer durch Compliance-Regelungen begründeten Täter- oder Teilnehmerstrafbarkeit.57 Nach Ansicht Seiers ergeben sich aus der gegenwärtigen Compliance-Praxis nicht nur Strafbarkeitsrisiken, sondern auch Ansätze einer „Strafbarkeitserweite52 Achenbach/Ransiek-Seier, 5. Teil, 2, Rn. 291; Rau, Compliance und Unternehmensverantwortlichkeit, 2010, S. 244. 53 Sieber, in: FS Tiedemann, 2008, S. 449 ff. (470). 54 Sieber, in: FS Tiedemann, 2008, S. 449 ff. (insb. 473). 55 Sieber, in: FS Tiedemann, 2008, S. 449 ff. (470 f.). 56 Rau, Compliance und Unternehmensverantwortlichkeit, 2010, S. 244. 57 Rau, Compliance und Unternehmensverantwortlichkeit, 2010, S. 220 ff., 244.

§ 2 Stand des wissenschaftlichen Diskurses

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rung“. In der Rechtsprechung sei dies insbesondere bei der Position des Compliance-Beauftragten erkennbar geworden. Vom BGH als Garant i. S. d. § 13 StGB eingestuft, betrachtet Seier es als naheliegend, ihn auch als Treupflichtigen im Rahmen des Untreuetatbestandes mit der Folge weitreichender Haftungsrisiken einzuordnen.58 Doch die strafbarkeitserweiternde Wirkung bleibt nicht auf den Compliance-Officer beschränkt, sondern erfasst, Seier zufolge, auch Mitglieder der Geschäftsführung und sonstige Unternehmensangehörige, indem Compliance-Regelungen Vermögensbetreuungspflichten begründen oder bestehende ausweiten. Im Fall Siemens/Power Generation habe der BGH nicht nur die untreuerelevante Pflichtverletzung aus einem Verstoß gegen Compliance-Vorgaben abgeleitet, sondern darüberhinaus aus dem Verbot Schmiergelder zu zahlen auf die Existenz eines Verbots überhaupt Schwarze Kassen zu führen geschlossen.59 Nicht zu vernachlässigen sei auch das Risiko, dass die fehlende Einrichtung bzw. mangelhafte Durchsetzung von Compliance-Organisationen als untreuerelevante Pflichtverletzung eingeordnet wird.60 Sieber weist im Zusammenhang mit dem Untreuetatbestand auf eine Handlungsfreiräume gestaltende Wirkung von Compliance-Vorschriften hin. Demzufolge können sie das erlaubte Risiko bei spekulativen Geschäften näher spezifizieren und im Einzelfall bei der Frage, ob ein Handeln gegen den Willen oder zu Lasten der Interessen des Treugebers vorliegt, „Rechtswirkung“ entfalten.61 Als relevanten Anwendungsfall führt er die Einwilligung sowie das Einverständnis im Rahmen der Vorteilsannahme bzw. des Untreuetatbestandes an.62 Dass Compliance-Vorschriften auch in subjektiver Hinsicht bei der Berücksichtigung strafrechtlich relevanter Irrtümer von Bedeutung sein können, stellt Sieber ebenfalls fest, ohne dies jedoch näher zu konkretisieren.63 Rotsch weist darauf hin, dass Compliance-Konzepte, die sich auf die Leitungsebenen eines Unternehmens konzentrieren, in vielen Fällen lediglich zu einer Haftungsverlagerung führen, nicht jedoch zu der angestrebten Haftungsvermeidung. Durch die sorgfältige Erfüllung von Auswahl-, Organisations- und Überwachungspflichten werde zwar die Geschäftsführung entlastet, die Strafbarkeitsrisiken aber an die nachgeordneten Mitarbeiter weitergereicht. Das eigentliche Ziel einer Vermeidung von für das Unternehmen nachteiligen Haftungsrisiken und schwerwiegender Konsequenzen, wie Geldbußen, Schadensersatzforderun58

Achenbach/Ransiek-Seier, 5. Teil, 2, Rn. 291 f. Achenbach/Ransiek-Seier, 5. Teil, 2, Rn. 293 unter Verweis auf BGH, Urt. v. 29.8.2008 – 2 StR 587/07 = NJW 2009, 89 (92); vgl. dazu auch: Achenbach/RansiekRotsch, 1. Teil, 4, Rn. 47. 60 Achenbach/Ransiek-Seier, 5. Teil, 2, Rn. 293; vgl. dazu auch: Klindt/Pelz/Theusinger, NJW 2010, 2385 (2387). 61 Sieber, in: FS Tiedemann, 2008, S. 449 ff. (469). 62 Sieber, in: FS Tiedemann, 2008, S. 449 ff. (468 f.). 63 Sieber, in: FS Tiedemann, 2008, S. 449 ff. (469 f.). 59

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1. Kap.: Strafrechtliche Relevanz des Untersuchungsgegenstands

gen oder Reputationsverlusten, werde dadurch verfehlt. Die bloße Haftungsverlagerung führt im Ergebnis zu einer Strafbarkeitsbegründung für die der Unternehmensleitung nachgeordneten Hierarchieebenen.64 Auch im Bereich der Fahrlässigkeitsstrafbarkeit sind Rotsch zufolge Tendenzen einer Strafbarkeitsausweitung erkennbar. Bei den Vorsatzdelikten stehe eine wissenschaftliche Diskussion hingegen noch aus.65 Da Sorgfaltspflichten gesetzlich meist nicht abschließend durchnormiert sind, wirken Unternehmen bei der Standardbildung durch Etablierung entsprechender interner Richtlinien mit. Sieber spricht in diesem Zusammenhang von „geronnener Erfahrung“ auf der die außerstrafrechtlichen Regelungen beruhen, die für den Vergleich von Täterverhalten mit objektiv gebotenem sorgfältigem Verhalten herangezogen werden. Der für die Feststellung einer Sorgfaltspflichtwidrigkeit entscheidende Maßstab der gebotenen Sorgfalt eines Mitarbeiters gegenüber seinem Arbeitgeber könne daher durch entsprechende Unternehmensrichtlinien mitbestimmt werden.66 Finden bestimmte Compliance-Vorschriften flächendeckend bei einer Vielzahl von Unternehmen Anwendung oder werden sie von einem Verband für sämtliche Mitglieder einheitlich festgelegt, können sie für die Bestimmung der Verkehrssitte relevant werden und in ihrem Anwendungsbereich das erlaubte Risiko konkretisieren.67 Die Bedeutung von unternehmensübergreifenden Kodizes hat Kreuder im Hinblick auf den Deutschen Corporate Governance Kodex untersucht. Demnach gehe von derartigen Regelwerken ein nicht zu unterschätzender Anpassungsdruck aus, der einem „faktischen Befolgungszwang“ entspreche.68 Auch Thümmel zufolge nimmt die allgemeine Akzeptanz der Empfehlungen und Anregungen des DCGK zunehmend Einfluss auf den Sorgfaltsmaßstab, dem Vorstände und Aufsichtsräte unterliegen.69 Angesichts ehrgeiziger „best practice“-Strategien werden mitunter besonders strenge Anforderungen an regelkonformes Verhalten im Unternehmen aufgestellt, mit der Folge, dass sich die Unternehmen bzw. ihre Mitarbeiter dadurch selbst „in die Strafbarkeit hineinreglementieren.“ 70 Seier warnt davor, dass Unternehmen sich selbst „Strafrechtsfallen“ stellen, wenn sie aus falsch verstande64

Rotsch, ZIS 2010, 614 (615); Achenbach/Ransiek-Rotsch, 1. Teil, 4, Rn. 47. Rotsch, ZIS 2010, 614 (616). 66 Sieber, in: FS Tiedemann, 2008, S. 449 ff. (469). 67 Sieber, in: FS Tiedemann, 2008, S. 449 ff. (469); weiterführend zur Konkretisierung der Organisationsverantwortung durch Verkehrsnormen: Bosch, Organisationsverschulden in Unternehmen, 2002, § 8; Roxin, AT/I, § 24, Rn. 18 ff. 68 Kreuder, CCZ 2008, 166 (169). 69 Thümmel, CCZ 2008, 141 (143 f.). 70 Rotsch, ZIS 2010, 614 (616) unter Hinweis auf Kuhlen, in: Maschmann (Hrsg.), Corporate Compliance und Arbeitsrecht, 2009, S. 11 (21 f.). 65

§ 2 Stand des wissenschaftlichen Diskurses

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nem Ehrgeiz ihre unternehmensinternen Compliance-Richtlinien allzu streng formulieren und diese verschärften Maßstäbe dann von Strafverfolgungsbehörden übernommen und ihren Untersuchungen zugrunde gelegt werden.71 Dass die Tendenz einer Verschärfung von Verhaltensanforderungen nicht allein den besonders hochgesteckten Zielen guter Corporate Governance anzulasten ist, sondern eine durchaus nachvollziehbare Reaktion auf die Auslegungs- und Rechtsanwendungspraxis darstellt, zeigt ein Blick in die Sozialpsychologie. Vom Standpunkt ihrer ex post Betrachtung ausgehend neigen die beurteilenden Strafverfolgungsbehörden und Gerichte dazu, strengere Sorgfaltsanforderungen zu stellen, als sie dies ex ante getan hätten.72 Sofern im Rahmen der Fahrlässigkeitsdelikte auch auf die Erkennbarkeit der Tatbestandsverwirklichung Bezug genommen wird, entfalten unternehmensinterne Richtlinien auch hier Wirkung. Die Vermeidbarkeit der sanktionierten Rechtsgutsverletzung hängt wesentlich von der Erkenntnis der drohenden Gefahr ab. Sind in einem Unternehmen mit Hilfe von Compliance-Vorschriften hinreichende Vorkehrungen zur Vermeidung von Gefahren und damit zur Erkennbarkeit der Tatbestandsverwirklichung getroffen worden, wird die Erkennbarkeit, nach Ansicht Siebers, im Regelfall zu verneinen sein.73 Theile beschreibt die Wirkung von unternehmensinternen Compliance-Regelungen als „Verdichtung“ der strafgesetzlichen Vorgaben.74 Zwar stellen Unternehmensrichtlinien kein Alternativkonzept zum geltenden Wirtschaftsstrafrecht dar, sondern allenfalls eine Ergänzung, jedoch könnten sich die privatgesetzten Vorgaben bei der Konkretisierung dogmatisch umstrittener Strafbarkeitsvoraussetzungen als hilfreich erweisen.75 Eine darüber hinausgehende strafbarkeitskonstituierende Wirkung hält Theile beim Untreuetatbestand für denkbar, wenn durch Unternehmensrichtlinien das Treueverhältnis zwischen Treugeber und Treupflichtigem inhaltlich ausgestaltet wird.76 Eine strafbarkeitsbegründende Funktion könne Compliance-Regelungen zudem im Rahmen der Irrtumsproblematik zukommen. Eine Verletzung unternehmensinterner Richtlinien schließt nach Einschätzung Theiles die Berufung auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum im 71

Achenbach/Ransiek-Seier, 5. Teil, 2, Rn. 293. Kuhlen, in: Maschmann (Hrsg.), Corporate Compliance und Arbeitsrecht, 2009, S. 11 ff. (21) m.w. N. 73 Sieber, in: FS Tiedemann, 2008, S. 449 ff. (469 f.). 74 Theile, ZIS 2008, 406 (411); wistra 2010, 457 (462); der Begriff der „Unternehmensrichtlinien“ wird dabei synonym für die von Unternehmen selbst gesetzten Compliance-Regelungen verwendet. 75 Theile, ZIS 2008, 406 (411); als Beispiele nennt Theile die „Rechtswidrigkeit“ der Absprache in § 298 StGB, die „Unlauterkeit“ der Bevorzugung in § 299 StGB und den „Vorteil“ bzw. die „Unrechtsvereinbarung“ der §§ 331 ff. StGB; vgl. auch: Theile, wistra 2010, 457. 76 Theile, ZIS 2008, 406 (411). 72

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1. Kap.: Strafrechtliche Relevanz des Untersuchungsgegenstands

Sinne des § 17 S. 1 StGB aus und könne sich im Rahmen der Strafzumessung nach § 46 StGB strafschärfend auswirken.77 Kuhlen sieht in der aktuellen Compliance-Entwicklung nicht nur eine Modeerscheinung, sondern einen grundsätzlichen Paradigmenwechsel.78 Compliance bewirke eine Verschärfung der gesetzlichen Anforderungen an ordnungsgemäße Unternehmensführung und zwar auch und insbesondere unter strafrechtlichen Gesichtspunkten. Das überobligationsmäßige Verhalten vermeide zwar Haftungsrisiken insofern, als jedenfalls die Mindestanforderungen der zu beachtenden Pflichten erfüllt werden.79 Zugleich erhöhe die Existenz entsprechender Compliance-Regelungen aber das Haftungsrisiko, wenn die Rechtsprechung darauf rekurriert um etwa die Einwilligung der Treugeberin in die Bildung schwarzer Kassen zu verneinen und damit die Pflichtwidrigkeit im Rahmen des objektiven Tatbestandes der Untreue zu bejahen.80 Daneben bewirken Compliance-Regelungen im Bereich unbestimmter Tatbestandsvorgaben eine Verschärfung der strafrechtlichen Haftung. Aufgrund der Unbestimmtheit von Begriffen wie der „Sorgfaltswidrigkeit“ oder der „Unrechtsvereinbarung“ orientieren sich Unternehmen im Zweifel an einem strengeren Maßstab. Die „im Verkehr erforderliche Sorgfalt“ wird wesentlich durch die in der Unternehmenswirklichkeit tatsächlich aufgewendete Sorgfalt bestimmt. Ebenso orientiert sich die Unrechtsvereinbarung bei der Vorteilsannahme bzw. -gewährung an der „lauteren Praxis“, für deren Bestimmung Verhaltensregeln der beteiligten Organisationen ein wichtiges Indiz darstellen.81 Dieser Zusammenhang zwischen Pflichtenbestimmung und Unternehmenswirklichkeit birgt das Risiko, dass die überobligationsmäßige Erfüllung von Pflichten selbst zum maßgebenden Standard wird und von Strafverfolgungsbehörden und Gerichten als Maßstab für das rechtlich Erforderliche herangezogen wird.82 Die Verschärfung der Anforderungen an die von Unternehmen und ihren Leitungspersonen zu erfüllenden Pflichten durch Compliance-Vorgaben bezeichnet Kuhlen als „sich selbst validierenden Zirkel“, der entgegen der ursprünglichen Intention von Compliance zu einer Erhöhung von Strafbarkeitsrisiken führt.83 77

Theile, ZIS 2008, 406 (411). Kuhlen, in: Maschmann (Hrsg.), Corporate Compliance und Arbeitsrecht, 2009, S. 11 ff. (22). 79 Kuhlen, in: Maschmann (Hrsg.), Corporate Compliance und Arbeitsrecht, 2009, S. 11 ff. (24). 80 Kuhlen, in: Maschmann (Hrsg.), Corporate Compliance und Arbeitsrecht, 2009, S. 11 ff. (24 f.) unter Bezugnahme auf das Urteil des BGH im Fall Siemens/Power Generation, das den ersten Hinweis auf Compliance-Vorschriften in der Rechtsprechung des BGH in Strafsachen enthält; vgl. BGH, NJW 2009, 89 (91). 81 NK-Kuhlen, § 331, Rn. 89. 82 Kuhlen, in: Maschmann (Hrsg.), Corporate Compliance und Arbeitsrecht, 2009, S. 11 ff. (25 f.). 83 Kuhlen, in: Maschmann (Hrsg.), Corporate Compliance und Arbeitsrecht, 2009, S. 11 ff. (26). 78

§ 3 Compliance in der Unternehmenspraxis

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Das Risiko einer Verschärfung strafrechtlicher Haftungsmaßstäbe durch Compliance-Regelungen rückt allmählich in den Fokus der Strafrechtswissenschaft. Die Untersuchungen konzentrieren sich dabei bislang auf einzelne Strafbarkeitsvoraussetzungen, die hier im Wesentlichen unter dem Aspekt der täterbezogenen Strafbarkeitsvoraussetzungen dargestellt werden. Vereinzelt finden sich auch zu tatbezogenen Voraussetzungen Stellungnahmen, wie dies insbesondere bei Theile und Kuhlen der Fall ist. Beide stellen das strafbarkeitskonkretisierende Potenzial von Compliance-Regelungen in diesem Bereich fest, ohne jedoch auf die Unterschiede zwischen einer Strafbarkeitskonkretisierung und Strafbarkeitsbegründung einzugehen. Ein Versuch, die unterschiedlichen Auswirkungen von ComplianceKonzepten im Hinblick auf Strafbarkeitsbegründung und -konkretisierung mit der Art der betroffenen Strafbarkeitsvoraussetzung in Bezug zu setzen, wurde bislang nicht unternommen.

§ 3 Compliance in der Unternehmenspraxis Auch wenn der Begriff der „Compliance“ heute fast ausschließlich mit großen Wirtschaftsunternehmen assoziiert wird, sollte dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass Aspekte der Selbstregulierung auch in anderen Einrichtungen, wie etwa gemeinnützigen Vereinen, Körperschaften des öffentlichen Rechts und politischen Parteien, an Bedeutung gewinnen. Für die hier vorzunehmende Untersuchung soll das Hauptaugenmerk auf die Auswirkungen von Compliance-Regelungen auf das Wirtschaftsstrafrecht, mithin ihre Verwendung in privatrechtlich organisierten Unternehmen, gelegt werden.

I. Verfasser Nicht immer stammen Selbstverpflichtungserklärungen, wie die Bezeichnung nahelegt, aus der Feder der betroffenen Unternehmen selbst. Zwar haben mittlerweile nahezu alle Großunternehmen in Deutschland eigene Compliance-Regelwerke,84 jedoch hat sich vor allem in kleinen und mittleren Unternehmen die Praxis herausgebildet, von anderen Institutionen erstellte Kodizes zu übernehmen. Als deren Verfasser treten verschiedene Akteure auf. So erstellen Inte-

84 Z. B.: Corporate Compliance Policy der Bayer AG, abrufbar unter: (zuletzt aufgerufen am 16.12.11); Business Conduct Guidelines der Siemens AG, Stand: Januar 2009, abrufbar unter: (zuletzt aufgerufen am 16.12.11); Verhaltensgrundsätze des Volkswagenkonzerns, Stand: 05/2010, abrufbar unter: (zuletzt aufgerufen am 16.12.11).

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1. Kap.: Strafrechtliche Relevanz des Untersuchungsgegenstands

ressenvereinigungen und Wirtschaftsverbände,85 aber auch die Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex86 entsprechende Verhaltensempfehlungen. Abhängig von der jeweiligen Branche sind an der Erstellung von Compliance-Konzepten auch staatliche Stellen beteiligt. Insbesondere im Finanzund Bankensektor nimmt der Gesetzgeber mit den Vorschriften der §§ 9 GWG, 25a KWG und 33 WpHG in erheblichem Umfang Einfluss auf die inhaltliche Ausgestaltung der unternehmensinternen Compliance-Organisation.87

II. Bedeutung Die wachsende Bedeutung von Compliance-Programmen in Wirtschaftsunternehmen basiert auf verschiedenen Entwicklungen. Neben wirtschaftlichen und sozial-ethischen Erwägungen spielen auch Veränderungen in der Gesetzgebungspraxis eine maßgebliche Rolle. So schuf der Gesetzgeber in jüngster Vergangenheit neben einer Fülle strafrechtlicher Nebengesetze mit Wirtschaftsbezug zahlreiche wirtschaftswirksame Gesetze mit Strafrechtsannex.88 Hinzu kommt eine Vorverlagerung der Strafbarkeit durch die Ausgestaltung zahlreicher Straftatbestände als abstrakte Gefährdungsdelikte, insbesondere zum Schutz von Kollektivrechtsgütern.89 Der Vorschlag der Justizministerkonferenz90 die „vorsätzliche

85 Z. B.: „EMB Wertemanagement Bau“ des Bayerischen Bauindustrieverbands e. V., Stand: Nov. 2007, abrufbar unter: (zuletzt aufgerufen am 16.12.11); IVD-Kodex der Freiwilligen Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie e. V., Stand: 23.06.2008; abrufbar unter: (zuletzt aufgerufen am 17.01.2012). 86 Mitinitiiert wurde der Deutsche Corporate Governance Kodex (DCGK, vgl. o. Fn. 13) vom Bundesministerium der Justiz, die konkrete Ausgestaltung erfolgte durch Vertreter der Privatwirtschaft. Rechtliche Wirkung und gesetzgeberische Anbindung ergeben sich aus § 161 AktG. Der DCGK stellt insofern ein Novum im deutschen Normgefüge dar, als damit erstmals „Soft Law“ eine positivgesetzliche Anbindung erfuhr. Die gem. § 161 AktG abzugebende Entsprechenserklärung bezieht sich allerdings nur auf Empfehlungen und damit nur auf die Soll-Vorschriften des Kodex’, während den Kann-Vorschriften der Charakter bloßer Anregungen zukommt. Geltungsgrund der gesetzeswiederholenden Regelungen ist nicht der Kodex selbst, sondern die zugrundeliegende Rechtsnorm. Vgl. dazu: Eidam, Unternehmen und Strafe, Rn. 571 ff. 87 Vgl. hierzu auch: Sieber, in: FS Tiedemann, 2008, S. 449 ff. (459). 88 Vgl. dazu Wessing, in: FS Volk, 2009, S. 867 ff. (871) sowie Schemmel/Minkoff, CCZ 2012, 49 (50) mit zahlreichen Beispielen. 89 So sieht RiBGH Thomas Fischer in der Weite vieler Tatbestände und der Vorverlagerung der Strafbarkeit bei den Gefährdungsdelikten einen wesentlichen Grund für den „außerordentlich hohen Druck, Strafverfahren durch informelle Absprachen zu beenden“ und stellt eine „explosionsartige Ausweitung“ der Compliance-Kontrolle in Unternehmen fest, FAZ v. 26.3.2012, S. 19; vgl. zu dieser Thematik auch: Wessing, in: FS Volk, 2009, S. 867 ff. (871 f.). 90 Vorschlag der Justizministerkonferenz vom Herbst 2011 auf Antrag der Hamburger Justizsenatorin Jana Schiedeck (SPD), vgl. dazu FAZ vom 23.11.2011.

§ 3 Compliance in der Unternehmenspraxis

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Verletzung kaufmännischer Sorgfaltspflichten“ unter Strafe zu stellen, da die Strafbarkeit nicht vom Nachweis eines im Einzelfall berechenbaren Schadens abhängen dürfe, macht deutlich, wo die Reise hinzugehen droht.91 Die Einführung von Compliance-Regelungen lässt sich damit auch als Selbstschutzmaßnahme gegen das durch eine ausufernde Zahl spezifischer Wirtschaftsstraftatbestände gestiegene Strafbarkeitsrisiko interpretieren.92 Die Internationalisierung des Wirtschaftsstrafrechts in prozessualer und materieller Hinsicht führt ebenfalls zu einem Anstieg der Strafbarkeitsrisiken für alle am Wirtschaftsleben beteiligten Akteure. Im prozessualen Bereich hat die Schaffung supranationaler Behörden, wie etwa des 1999 gegründeten Europäischen Amtes zur Betrugsbekämpfung (OLAF), das mit eigenen Untersuchungsbefugnissen ausgestattet ist, hierzu ebenso beigetragen wie die Vereinfachung der Rechtshilfe durch Ausbau und Zusammenarbeit von Behörden der Europäischen Union.93 In materieller Hinsicht hat insbesondere das Gesetz zur Bekämpfung internationaler Bestechung aus dem Jahre 1998 zum Anstieg von Strafbarkeitsrisiken geführt.94 Angesichts der Internationalisierung von Unternehmen und Globalisierung der Wirtschaft haben weltweit tätige Unternehmen in zunehmendem Maße auch ausländische Rechtsordnungen im Blick zu behalten.95 So kann in Großbritannien die Nichteinrichtung von Compliance-Systemen unmittelbar strafbarkeitsbegründende Wirkung entfalten.96 Maßgeblich für die Frage der Strafbarkeit ist dort, ob das Unternehmen eine effektive und funktionierende Compliance-Organisation eingerichtet und umgesetzt hat. Da es insofern auf den Sitz des Unternehmens nicht ankommt, kann dieser Straftatbestand auch für ein deutsches Unternehmen relevant werden, wenn durch dessen wirtschaftliche Aktivitäten oder Produkte Menschen in Großbritannien zu Schaden kommen.97

91 Vgl. hierzu weiterführend: Waßmer, in: FAZ vom 11.04.2012, der die Schaffung von Gefährdungstatbeständen zum strafrechtlichen Schutz vor Sorgfaltspflichtverletzungen dort für möglich hält, wo es um den Schutz wichtiger Gemeinwohlinteressen geht und nicht lediglich Individualinteressen gefährdet sind. 92 Wessing, in: FS Volk, 2009, S. 867 ff. (870 f.). 93 Weiterführend zur Internationalisierung des Strafrechts im prozessualen Bereich: Wessing, in: FS Volk, 2009, S. 867 ff. (873 f.). 94 Dieses hat nach seinem Art. 2 § 1 IntBestG in Bezug auf den Tatbestand der Bestechung gem. § 334 StGB ausländische Amtsträger inländischen gleichgestellt. Vgl. hierzu auch: Wessing, in: FS Volk, 2009, S. 867 ff. (873). 95 Vgl. Zu diesem Aspekt auch Wessing, in: FS Volk, 2009, S. 867 ff. (873). 96 Art. 1 Abs. 3 des Corporate Manslaughter Act statuiert: „An organisation is guilty of an offence under this section only if the way in which its activities are managed or organised by its senior management is a substantial element in the breach referred to in subsection 1.“, abrufbar unter: (zuletzt aufgerufen am 17.01.2012). 97 Vgl. Schneider, EuZW 2007, 553 (553).

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1. Kap.: Strafrechtliche Relevanz des Untersuchungsgegenstands

Weiterhin lässt sich die Einführung von Compliance-Konzepten als Reaktion auf die „Top-down“-Rechtsprechung des BGH verstehen, worauf bereits Rotsch hingewiesen hat.98 Wurde früher die Verfehlung desjenigen Mitarbeiters, der die letzte Ursache für den Erfolgseintritt gesetzt hatte als Ausgangspunkt gewählt und erst ausgehend davon in einem zweiten Schritt gefragt, welche organisatorischen Versäumnisse diesen ermöglicht oder begünstigt haben,99 so setzt die Topdown Betrachtungsweise unmittelbar an der Organisationsverantwortung der Leitungsebene an. Die Verletzung von Organisationspflichten erfordert keinen Nachweis eines individuellen primären Verstoßes.100 Diese organisationsbezogene Sichtweise ist Ausdruck einer originären, selbstständigen Organisationsverantwortung der Leitungsebene hinsichtlich der unternehmensbezogenen Sorgfaltspflichten. Einem primären Verstoß kommt allenfalls Indizfunktion zu.101 Die strafrechtlichen Haftungsrisiken der Mitglieder der Leitungsebene werden durch die unmittelbare Bezugnahme auf Organisationsfehler erheblich verschärft.102 Die Integration von Compliance-Konzepten in die Unternehmensorganisation versucht neben der Verhinderung indizieller primärer Rechtsverstöße durch andere Mitarbeiter den gestiegenen Anforderungen an die Sorgfaltspflichten der Unternehmensbinnenorganisation Rechnung zu tragen.103 Compliance-Konzepte sollen die ordnungsgemäße Erfüllung von Kontroll-, Aufzeichnungs- und Mitteilungspflichten sicherstellen und dokumentieren und damit zumindest die Leitungsebene vom Vorwurf einer Sorgfaltspflichtverletzung entlasten.104 Dass eine originäre Unternehmensstrafbarkeit dem deutschen Strafrecht fremd ist, wird ebenfalls als Ursache der florierenden Compliance-Kultur angesehen. Zum einen trägt dies zur Erhöhung des Strafbarkeitsrisikos für die individualstrafrechtlich fassbaren Leitungspersonen bei. Im Falle einer eigenen strafrechtlichen Sanktionsmöglichkeit gegenüber der Organisation selbst, bedürfe es der Einführung von Compliance-Organisationen nicht bzw. nicht in derartigem Ausmaß, wie gegenwärtig zu verzeichnen ist.105 Zum anderen kann die Implementierung selbstverpflichtender Compliance-Regelungen als Kompensation für die in der

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Rotsch, ZIS 2010, 614 (616). Sog. „Bottom up“-Betrachtungsweise, vgl. S/S-Sternberg-Lieben, § 15, Rn. 223e. 100 S/S-Sternberg-Lieben, § 15, Rn. 223e. 101 Kuhlen, JZ 1994, 1142 (1144 f.); Schmidt-Salzer, NJW 1994, 1305 (1310). 102 Vgl. hierzu auch: Bosch, Organisationsverschulden in Unternehmen, 2002, S. 364 ff. 103 Auch Rotsch sieht Compliance-Konzepte im Ergebnis als Reaktion auf die Entwicklung der Top-down-Rechtsprechung an, ZIS 2010, 614 (616). 104 Wessing, in: FS Volk, 2009, S. 867 ff. (876), der in diesem Zusammenhang auch auf den Ausschluss einer Aufsichtspflichtverletzung nach § 130 OWiG sowie eine mildernde Berücksichtigung im Rahmen der Festsetzung einer Geldbuße nach § 30 OWiG verweist. 105 Vgl. Rotsch, ZIS 2010, 614 (616). 99

§ 3 Compliance in der Unternehmenspraxis

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öffentlichen Wahrnehmung verbreitete und zunehmend negativ bewertete Intransparenz und Kontrollresistenz vor allem von Großunternehmen angesehen werden. Die Einrichtung einer effektiven Compliance-Organisation kann daher auch als Image-Instrument zum Zwecke der Vermarktung von Unternehmensinteressen angesehen werden. Die Gründe, warum immer mehr Unternehmen und andere Institutionen hohe Summen in die Einrichtung von Compliance-Systemen investieren, sind somit vielgestaltig. Zum einen soll durch funktionierende Compliance-Strukturen Wirtschaftskriminalität verhindert werden. Die Kommunikation rechtlicher und ethischer Standards soll Verhaltensweisen, die vordergründig dem Unternehmensinteresse zugutezukommen scheinen, jedoch auf unzulässigen Mitteln beruhen, bereits bei ihrer Entstehung entgegenwirken, indem das Risikobewusstsein der Verantwortlichen geschärft wird. Neben diese rechtlichen Aspekte treten auch wirtschaftliche Interessen. Denn mit den strafrechtlichen Vorwürfen geht in aller Regel ein immenser Imageschaden einher, wie mehrere Großunternehmen in jüngster Vergangenheit leidvoll erfahren mussten.106 Hinzu kommen auch im deutschen Recht Bußgelder107 sowie bei international tätigen Unternehmen Strafzahlungen, wie sie insbesondere das US-amerikanische Recht108 vorsieht. Vereinzelt wurde bereits auch von deutschen Gerichten die Existenz einer Compliance-Organisation strafmildernd berücksichtigt, selbst wenn dadurch der Rechtsverstoß im konkreten Fall nicht verhindert werden konnte.109 Obwohl im deutschen Strafrecht, anders als in einigen anderen Staaten,110 die Einrichtung von Compliance-Programmen nicht ausdrücklich und kraft Gesetzes als schuldmindernder Aspekt berücksichtigt wird, verwundert es daher nicht, dass sich heute auch in Deutschland kaum ein größeres Unternehmen mehr Untätigkeit auf diesem Gebiet vorwerfen lassen will und kann. 106 So titelte das Managermagazin am 17.12.07 anlässlich des Siemens Schmiergeldskandals „Im Kriechgang zur SEC“, abrufbar unter: (zuletzt aufgerufen am 16.12.11); vgl. auch: „VW-Skandal – Die Wolfsburg“, Stern v. 23.07.05, abrufbar unter: (zuletzt aufgerufen am: 16.12.11). 107 Vgl. § 30 Abs. 1 OWiG. 108 Vgl. Part C – Fines, in „2010 Federal Sentencing Guidelines Manual & Supplement“, Fn. 110. 109 Vgl. Wessing, in: FS Volk, 2009 S. 867 ff. (876), Fn. 58 unter Hinweis auf LG Mannheim, Urt. v. 22.1.2003 – 24 Kls 626 Js 2952/01. 110 Das US-amerikanische Unternehmensstrafrecht gewährt Strafnachlässe, sofern effektive Compliance-Systeme implementiert wurden: § 8 B 2.1, § 8 C 2.5 der „2010 Federal Sentencing Guidelines Manual & Supplement“ (Stand: 01.11.10), abrufbar unter: (zuletzt aufgerufen am 16.12.11); auch das italienische Unternehmensstrafrecht sieht in diesen Fällen eine Milderung der Strafe vor, vgl. Art. 12 D.Lgs. 8 giugno 2001, n. 231; abrufbar unter: (zuletzt aufgerufen am 17.01.2012).

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1. Kap.: Strafrechtliche Relevanz des Untersuchungsgegenstands

§ 4 Resumee: Kriminalprävention und Strafbarkeitsbegründung als Ziel und Folge von Compliance-Regelungen Als Reaktion auf zunehmende Strafbarkeitsrisiken und zur Prävention gegenüber ihrer Realisierung haben Compliance-Programme der Strafrechtswissenschaft in den vergangenen Jahren neuen Diskussionsstoff beschert. Dabei stellen Compliance-Regelungen weder einen Ausverkauf des Rechtsstaats dar, indem sie gesetzgeberische Vorgaben ersetzen, noch handelt es sich um rechtlich irrelevantes schmückendes Beiwerk im Rahmen neuer Marketingstrategien. Die eigentliche Bedeutung muss vielmehr in der Mitte zwischen diesen Extrempositionen gesucht werden. Dass auch mit Compliance-Vorgaben die Letztentscheidungskompetenz bei den staatlichen Gerichten liegt und grundlegender Maßstab der Strafbarkeit einer Verhaltensweise nach wie vor die gesetzlichen Vorgaben zu Tatbestand, Rechtswidrigkeit und Schuld sind, steht außerfrage. Auch dass der staatliche Strafanspruch sich in weiten Teilen der Disposition Privater entzieht, kann grundsätzlich nicht in Abrede gestellt werden. Allerdings weist das Strafrecht auch verschiedentlich Durchbrechungen dieses Prinzips auf. So sind Institute wie das tatbestandsausschließende Einverständnis, die rechtfertigende Einwilligung oder auch die (relativen) Antragsdelikte durch unterschiedliche Formen privater Einflussnahme gekennzeichnet, die letztlich den staatlichen Strafanspruch ausschließen können oder gar nicht erst entstehen lassen. Nun handelt es sich dabei aber um Fälle privater Einflussnahme, die zum einen gesetzliche Anknüpfungspunkte aufweisen, zum anderen strafbarkeitsausschließende Wirkung entfalten. Die kriminalpräventive Zielrichtung von Compliance-Regelungen geht ebenfalls in diese Richtung. Bereits aus der Bezeichnung wird deutlich, dass es sich um eine Absichtserklärung zur Gesetzesbefolgung und damit zur Strafbarkeitsvermeidung handeln soll. Bei genauerer Untersuchung dieses nur auf den ersten Blick einseitigen Phänomens zeigt sich aber, dass es im Hinblick auf bestimmte Strafbarkeitsvoraussetzungen, die hier unter dem Begriff der „Täterbezogenheit“ zusammengefasst werden, auch mit dem Resultat einer Strafbarkeitsbegründung wirksam zu werden vermag. In der strafrechtlichen Literatur wird dieses Risiko einer Erhöhung des strafrechtlichen Haftungsrisikos mittlerweile ebenfalls thematisiert, wenn auch eine umfassende Systematisierung und dogmatische Einordnung der zu beobachtenden Auswirkungen von Compliance-Regelungen auf das Wirtschaftsstrafrecht bislang noch ausstehen.

2. Kapitel

Abgrenzung tat- und täterbezogener Voraussetzungen der Strafbarkeit Compliance-Regelungen können sowohl strafbarkeitsbegründende als auch strafbarkeitskonkretisierende Wirkung entfalten. Welches dieser Risiken sich verwirklicht, hängt von dem Umstand ab, ob es sich um täter- oder tatbezogene Strafbarkeitsvoraussetzungen handelt, die von den entsprechenden ComplianceProgrammen in Bezug genommen werden. Zur Begründung dieser These sind zunächst „tat“- und „täterbezogene“ Voraussetzungen der Strafbarkeit voneinander abzugrenzen.

§ 1 Gesetzlicher Ausgangspunkt und normzweckbedingte Auslegungsunterschiede Das Gesetz selbst verwendet das Begriffspaar tat- und täterbezogener Strafbarkeitsvoraussetzungen nicht.111 Ein erster Anknüpfungspunkt für diese Terminologie findet sich in der personalen Unrechtslehre Welzels, der im Rahmen des § 50 Abs. 2 StGB a. F. zwischen „tatmäßig sachlichen“ und „personal täterschaftsmäßigen“ Unrechtselementen unterscheidet.112 Die Literatur schloss sich dieser Gegenüberstellung in der Folgezeit an113 und auch der BGH nahm diese in seine Diktion auf, indem er darauf abstellte, „ob das gesetzliche Merkmal überwiegend die Tat oder ob es überwiegend den Täter kennzeichnet“.114 Verkompliziert wird eine Abgrenzung dadurch, dass sich die Terminologie tatund täterbezogener Merkmale im Strafrecht in unterschiedlichem Zusammenhang findet. Zum einen werden die Mordmerkmale nach tat- und täterbezogenen eingeteilt. Dabei handelt es sich um eine Unterscheidung zwischen Merkmalen, die sich auf die Person des Täters beziehen und solchen, die die Ausführungsweise der Tat beschreiben. Es geht damit um die Frage, ob die jeweilige Strafbarkeitsvoraussetzung überhaupt eine persönliche ist. Im Rahmen von § 28 StGB hinge111

Darauf hinweisend bereits Langer, in: FS Lange, 1976, S. 241 ff. (246, 250). Welzel, JZ 1952, 72 (74 f.); ders., Strafrecht, S. 102 f.; vgl. dazu: Geppert, ZStW 82 (1970), 40 (54). 113 Geppert, ZStW 82 (1970), 40 (54, Fn. 56 m.w. N.). 114 Geppert, ZStW 82 (1970), 40, (54) mit Verweis auf: BGHSt 17, 215 (217) zur „verfassungsfeindlichen Absicht“ in § 94 StGB a. F.; BGHSt 8, 70 (72) zur „bandenmäßigen Begehung“ in § 401b Reichsabgabenordnung; BGH, NJW 1969, 1181 (1182). 112

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2. Kap.: Abgrenzung tat- und täterbezogener Voraussetzungen

gen verstehen Rechtsprechung und herrschende Lehre vor dem Hintergrund von Täterschaft und Teilnahme unter „täterbezogenen“ Merkmalen diejenigen, die als „besondere persönliche Merkmale“ unter diese Norm zu subsumieren sind, in Abgrenzung zu denjenigen, die als (bloße) „persönliche“ bzw. tatbezogene Merkmale streng akzessorisch zu behandeln sind.115 Daneben findet sich der Begriff der „besonderen persönlichen Merkmale“ noch in § 14 StGB. Sie werden dort als „besondere persönliche Eigenschaften, Verhältnisse und Umstände“ legaldefiniert. Anders als § 28 StGB in seinem Abs. 2, beschränkt sich der Anwendungsbereich des § 14 StGB auf solche besonderen persönlichen Merkmale, die die Strafbarkeit begründen. Was sich hinter den gleichlautenden Begrifflichkeiten verbirgt und in welchem Verhältnis § 14 und § 28 StGB zueinander stehen, ist äußerst umstritten.116 § 28 Abs. 1 StGB verweist hinsichtlich der Definition der besonderen persönlichen Merkmale auf § 14 Abs. 1 StGB. Nach § 14 Abs. 1 StGB beschreiben besondere persönliche Merkmale „besondere persönliche Eigenschaften, Verhältnisse oder Umstände“. Folglich wird nur der Begriff der „Merkmale“ weiter aufgefächert, ohne dass zum inhaltlichen Verständnis des „besonderen Personenbezugs“ nähere Ausführungen gemacht werden. Wie dieser richtigerweise zu bestimmen ist, wird kontrovers beurteilt. Sowohl im Hinblick auf § 28 StGB117 als auch für § 14 StGB118 ist umstritten, was letztlich unter einem „besonderen persönlichen Merkmal“ zu verstehen ist. Weitgehend einig ist man sich lediglich darin, dass dieser Begriff in § 14 StGB und § 28 StGB mit unterschiedlichem Inhalt zu füllen ist.119 Um zu klären, welches Verständnis der Täterbezogenheit einer Strafbarkeitsvoraussetzung das hier maßgebliche sein soll, ist der Bedeutungsgehalt dieser Begriffe zu ermitteln. Die Auslegung hat sich dabei am jeweiligen Normzweck zu orientieren. Sodann ist zu klären, ob für die dieser Theorie zugrundeliegende Terminologie § 14 StGB oder § 28 StGB als sachgerechter Anknüpfungspunkt im Gesetz heranzuziehen ist.

115 BGH, NJW 1969, 1181 (1182); Dreher, JR 1970, 147; Lackner/Kühl, § 28, Rn. 3; a. A.: Herzberg, ZStW 88 (1976), 68 (79, 81) der „täterbezogene“ Merkmale mit „persönlichen“ Merkmalen gleichsetzt. 116 § 9 OWiG, die Parallelnorm zu § 14 StGB, spricht ebenfalls von „besonderen persönlichen Merkmalen“. In den Kommentaren zum OWiG findet sich eine eher pragmatische Herangehensweise der Begriffsklärung, was angesichts der Struktur der Bußgeldtatbestände angebracht erscheint, auf die strafrechtliche Materie i. e. S. aber nicht ohne Weiteres übertragen werden kann; vgl. Bohnert, OWiG, § 9, Rn. 4 ff. 117 Vgl. zum Meinungsstand in der Literatur: Lackner/Kühl, § 28, Rn. 4; S/S-Heine, § 28, Rn. 16. 118 Vgl. zum Meinungsstand in der Literatur: LK-Schünemann, § 14, Rn. 32. 119 Vgl. Blauth, Handeln für einen anderen, 1968, S. 109, 113; Gallas, ZStW 80 (1968), 1 (21 f.); Herzberg, ZStW 88 (1976), 68 (110); Lackner/Kühl, § 14, Rn. 9; NKMarxen/Böse, § 14, Rn. 23; SSW-Bosch, § 14, Rn. 4; S/S-Heine, § 14, Rn. 8; Valerius, Jura 2013, 15 (17).

§ 1 Gesetzlicher Ausgangspunkt und Auslegungsunterschiede

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I. Normzweck des § 28 StGB Der Regelungsbereich von § 28 StGB erfasst Fälle, in denen besondere persönliche Merkmale bei mehreren Beteiligten einer vorsätzlichen, rechtswidrigen Haupttat in unterschiedlichem Maße verwirklicht sind.120 Die Strafgerechtigkeit erfordert es, dass Umstände, die Schuld und Unrecht zwar mitbestimmen, dabei aber primär die Person des Täters beschreiben, nur demjenigen zugerechnet werden, bei dem sie vorliegen.121 Diesen Umständen, die an die Person des Täters anknüpfen, tragen die allgemeinen Akzessorietätsregeln nicht hinreichend Rechnung122 und bedürfen daher einer Ergänzung.123 Die vom Gesetzgeber zu diesem Zweck geschaffenen Regelungen der §§ 28, 29 StGB betrachtet die Literatur jedoch als wenig geglückt.124 So vermisst Puppe darin ein in sich schlüssiges Gesamtkonzept und bemängelt dass der Gesetzgeber mit der Norm lediglich einzelne Unstimmigkeiten symptomatisch zu behandeln sucht.125 Insbesondere das Zusammenwirken der beiden Absätze des § 28 StGB wirft Fragen auf. Die Beurteilung ihrer Wirkungsweise hängt maßgeblich vom Verständnis des Strafgrunds der Teilnahme ab.126 Sieht man diesen mit der h. M. in der Verursachung einer täterschaftlichen Tatbestandserfüllung127 so erklärt sich Abs. 1 daraus, dass das Teilnehmerunrecht aus dem Täterunrecht abgeleitet wird und ein Fehlen besonderer persönlicher Merkmale Auswirkungen auf die Strafzumessung entfaltet.128 Allerdings vermag diese Begründung bei Abs. 2 im Hinblick auf Unrechtsmerkmale nicht zu überzeugen, wenn mit der herrschenden Meinung der Teilnehmer nicht aus dem Sonderdelikt sondern aus dem Allgemeindelikt bestraft wird.129 Denn damit wird nicht das Unrecht der Tat 120

Vgl. BeckOK-Kudlich, § 28, Rn. 1. Lackner/Kühl, § 28, Rn. 1. 122 BeckOK-Kudlich, § 28, Rn. 1. 123 S/S-Heine, § 28, Rn. 1; Valerius, Jura 2013, 15 (17). 124 Vgl. zur Kritik in der Literatur: Kaufmann, ZStW 80 (1968), 34 (36); Schünemann, GA 1986, 293 (336 ff.); Grünwald, in: GS Kaufmann, 1989, S. 555 ff. (556, 571). 125 NK-Puppe, § 29, Rn. 6. 126 LK-Roxin (11. Aufl.), § 28, Rn. 1 f.; NK-Puppe, § 29, Rn. 14, 81; kritisch zur Wahl dieses Ausgangspunktes: LK-Schünemann, § 28, Rn. 4. 127 Die h. M. vertritt zum Strafgrund der Teilnahme die sog. akzessorietätsorientierte Verursachungstheorie, vgl. RGSt 15, 315; BGHSt 4, 358; Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 38, Rn. 37 ff.; Jescheck/Weigend, AT, § 64 I 2; Maurach/Gössel/Zipf, AT/II, § 50, Rn. 57; S/S-Heine, vor § 25, Rn. 17; Wessels/Beulke, AT, Rn. 552 m.w. N. 128 LK-Roxin (11. Aufl.), § 28, Rn. 2. 129 Nach Rspr. und h. L. bewirkt § 28 Abs. 2 StGB eine Tatbestandsverschiebung, vgl. BGH, wistra 1993, 336; StV 1995, 84; BeckOK-Kudlich, § 28, Rn. 21; Fischer, StGB, § 28, Rn. 12; SSW-Murmann, § 28, Rn. 13; S/S-Heine, § 28, Rn. 28; nach a. A. erfolgt lediglich eine Strafrahmenverschiebung, vgl. Cortes Rosa, ZStW 90 (1978), 413 (414); Hake, Beteiligtenstrafbarkeit und „besondere persönliche Merkmale“, 1994, S. 141 ff.; LK-Roxin (11. Aufl.), § 28, Rn. 3. 121

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2. Kap.: Abgrenzung tat- und täterbezogener Voraussetzungen

des Haupttäters, sondern das Unrecht des Verhaltens des Teilnehmers selbst im Strafgrund wirksam.130 Auf der Grundlage der „reinen Verursachungstheorie“ Schmidhäusers hingegen, die das Teilnehmerunrecht als im Verhältnis zur Haupttat selbstständig ansieht,131 lässt sich die in § 28 Abs. 2 StGB getroffene Regelung überzeugend erklären, da der Teilnehmer demnach nur für sein eigenes Tun und nicht für das Verhalten des Haupttäters bestraft wird. Allerdings erscheint mit dieser Sichtweise Abs. 1 StGB unvereinbar, da hier der Teilnehmer, der selbst der besonderen persönlichen Voraussetzungen zur Verletzung des geschützten Rechtsguts entbehrt, für das vom Haupttäter bewirkte Unrecht zur Verantwortung gezogen wird.132 Einer so begründeten Widersprüchlichkeit der gesetzlichen Regelung ist Roxin entgegengetreten.133 Sowohl nach der in Rechtsprechung und Lehre herrschenden akzessorietätsorientierten Verursachungstheorie als auch nach seinem Verständnis der Teilnahme als „akzessorischem Rechtsgutsangriff“ 134 sei eine widerspruchsfreie Erklärung beider Absätze des § 28 StGB möglich, sofern nur Abs. 2 anders und richtig ausgelegt werde. Demzufolge ist der Teilnehmer, dem strafschärfende Unrechtsmerkmale fehlen, aus dem vom Täter verwirklichten Tatbestand schuldig zu sprechen und lediglich bei der Strafzumessung auf den Strafrahmen des Allgemeindelikts zurückzugreifen.135 Auf diese Weise könne § 28 StGB insgesamt sowohl mit dem Strafgrund der Teilnahme als auch mit dem Grundsatz der limitierten Akzessorietät in Einklang gebracht werden, so dass die Norm im Ergebnis keine Durchbrechung dieses Grundsatzes darstelle.136 Mag man die Regelungen des § 28 StGB als Ausnahmen zum Prinzip der strengen Akzessorietät der Teilnahme ansehen oder mit Roxin diesen Grundsatz als nicht tangiert betrachten, so kann der Normzweck doch nach beiden Ansätzen als gesetzgeberischer Versuch, der Höchstpersönlichkeit bestimmter Strafbarkeitsvoraussetzungen Rechnung zu tragen und zugleich Strafbarkeitslücken zu vermeiden, beschrieben werden.137 Insbesondere der für die hier interessierende Frage einer Strafbarkeitsbegründung relevante Abs. 1 der Norm bewirkt für die Strafbarkeit des Teilnehmers, der die erforderliche tatbestandliche Qualifikation vermissen lässt, eine Einschränkung der in den §§ 26 und 27 StGB angeordneten

130 131 132 133 134 135 136 137

LK-Roxin (11. Aufl.), § 28, Rn. 2. Schmidhäuser, AT, Kap. 10, Rn. 9 f. LK-Roxin (11. Aufl.), § 28, Rn. 2. LK-Roxin (11. Aufl.), § 28, Rn. 3. LK-Roxin (11. Aufl.), vor § 26, Rn. 1 ff., 7. LK-Roxin (11. Aufl.), § 28, Rn. 3. LK-Roxin (11. Aufl.), § 28, Rn. 5, 9. Vgl. auch NK-Puppe, § 29, Rn. 6.

§ 1 Gesetzlicher Ausgangspunkt und Auslegungsunterschiede

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akzessorischen Haftung. Damit kommt zumindest § 28 Abs. 1 StGB strafbarkeitsbegrenzende Wirkung zu.

II. Normzweck des § 14 StGB Die Regelung in § 14 StGB zielt hingegen auf eine Strafausdehnung138 und verfolgt damit eine gegenläufige Intention. Sie soll Strafbarkeitslücken schließen, die vornehmlich bei Wirtschafts- und Unternehmenskriminalität drohen. Diese resultieren aus der Einführung von Sonderdelikten mit Statusbezeichnungen durch den Gesetzgeber und der Einbeziehung von juristischen Personen in den Kreis der Normadressaten.139 Von der tatbestandlichen Täterbeschreibung erfasst und als primär anzusprechender Normadressat qualifiziert, sind auch juristische Personen, beispielsweise der „Arbeitgeber“ in § 266a StGB oder der Vollstreckungsschuldner bei § 288 StGB. Nach dem Verständnis des dem deutschen Strafrecht zugrundeliegenden Schuldprinzips sind diese jedoch selbst weder handlungs- noch schuldfähig. Die tatsächlich handelnde (natürliche) Person weist jedoch die tatbestandlich geforderte Qualifikation nicht auf und scheidet damit als tauglicher Täter grundsätzlich aus. Diesem Dilemma soll die in § 14 StGB angeordnete Strafausdehnung abhelfen.140 Speziell für den Bereich der Wirtschaftskriminalität intendiert § 14 StGB eine Zurechnungssicherung für Rechtsgutsbeeinträchtigungen die aus Großunternehmen heraus begangen werden, insbesondere für Fälle der Produkthaftung und der Umweltdelikte.141 Aus der arbeitsteiligen Organisation wirtschaftlicher Abläufe und der Delegation von Aufgaben folgt eine zunehmende Distanz zwischen Handlung und Verantwortung, da unmittelbar handelnde Person und Verantwortungsträger im Regelfall nicht mehr personenidentisch sind.142 Die in § 14 StGB getroffene Regelung soll einer organisierten Unverantwortlichkeit durch Auseinanderdriften von formeller Funktion und tatsächlichem Tätigkeitsbereich entgegenwirken.143 Daneben bewirkt § 14 StGB eine erhöhte Verbandsverantwortlichkeit. Denn das über § 14 StGB zu ahndende Fehlverhalten dient als Anknüpfungstat einer akzessorischen Haftung nach § 30 OWiG.144 138

Fischer, StGB, § 14, Rn. 1b. BeckOK-Momsen, § 14, Rn. 5. 140 Vgl. Lackner/Kühl, § 14, Rn. 1 f.; MüKo-Radtke, § 14, Rn. 5 ff.; S/S-Perron, § 14, Rn. 1; Valerius, Jura 2013, 15 (16); vgl. auch KK-OWiG-Rogall, § 9, Rn. 1 zur Parallelnorm im OWiG. 141 Vgl. BeckOK-Momsen, § 14, Rn. 6. 142 Vgl. LK-Schünemann, § 14, Rn. 1. 143 SSW-Bosch, § 14, Rn. 2; weiterführend und krit. zum Begriff der „organisierten Unverantwortlichkeit“: Bosch, Organisationsverschulden in Unternehmen, 2002, S. 13, Fn. 45 m.w. N.; kritisch zur Berechtigung dieses Begriffs auch: Kuhlen, in: Maschmann (Hrsg.): Corporate Compliance und Arbeitsrecht, 2009, S. 11 ff. (15). 144 Vgl. SSW-Bosch, § 14, Rn. 2. 139

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2. Kap.: Abgrenzung tat- und täterbezogener Voraussetzungen

Der Gesetzgeber schien mit der in § 28 Abs. 1 StGB vorgenommenen Verwendung desselben Begriffs und der Verweisung auf § 14 StGB von einem einheitlichen Verständnis ausgegangen zu sein.145 Dagegen wendet Schünemann zu Recht ein, dass die bei § 14 StGB so entscheidende Frage, ob das besondere persönliche Merkmal substituierbar ist, im Rahmen von § 28 StGB überhaupt keine Rolle spielt. Schon aus diesem Grund ist der Begriff in den beiden Normen unterschiedlich auszulegen.146 Herzberg zufolge soll zwischen den beiden Vorschriften ein Gegensatz dergestalt bestehen, dass der einen Norm stets nur diejenigen besonderen persönlichen Merkmale unterfallen, die von der anderen gerade nicht erfasst sind.147 In die gleiche Richtung geht die Ansicht Blauths, der für das Verhältnis der beiden Merkmalsgruppen zueinander das Bild zweier sich überschneidender Kreise zeichnet, wobei die Überschneidung die Ausnahme darstellt148 und § 14 StGB nur für „erfolgsbezogene“ Pflichtenstellungen in Betracht kommen soll, wohingegen solche mit besonderem personalem Gehalt eine Vertreterhaftung ausschlössen.149 Gallas zufolge steht der Umstand, der den Teilnehmer zu entlasten vermag, die höchstpersönliche Natur des betreffenden Tätermerkmals, einer Belastung des Vertreters gerade entgegen.150 Nach diesen beiden Theorien stehen die „besonderen persönlichen Merkmale“ i. S. d. § 14 StGB und die des § 28 StGB in einem „reziproken“ 151 Verhältnis zueinander.152 Die Reziprozitätsthese verkennt nach Ansicht Schünemanns, dass § 14 StGB mit der Frage, ob ein in der Person des Täters nicht vorliegendes besonderes persönliches Merkmal des Besonderen Teils diesem zugerechnet werden kann, einen gegenüber dem Aussagegehalt des § 28 StGB vorgelagerten Aspekt behandelt.153 § 28 StGB regelt die Folgen die sich für die Strafbarkeit eines Beteiligten aus einer fehlenden Verwirklichung besondere persönlicher Merkmale in seiner Person ergeben. Damit betrifft die Norm die Frage des Strafrahmens154 bzw. im Falle des Abs. 2 der Tatbestandsverschiebung,155 jedenfalls aber erst eine im Verhältnis zum Regelungsinhalt des § 14 StGB nachgelagerte Ebene. Denn § 14

145 Vgl. LK-Schünemann, § 14, Rn. 32; ebenso geht Langer, in: FS Lange, 1976, S. 241 ff. (255), von einer „begrifflichen Identität“ aus. 146 LK-Schünemann, § 14, Rn. 33. 147 Herzberg, ZStW 88 (1976), 68 (110). 148 Blauth, Handeln für einen anderen, 1968, S. 113 f. 149 Blauth, Handeln für einen anderen, 1968, S. 85 ff., 114. 150 Gallas, ZStW 80 (1968), 1 (22). 151 Begriff nach Gallas, ZStW 80 (1968), 1 (22). 152 Vgl. zur Einordnung der beiden Theorien auch: LK-Schünemann, § 14, Rn. 32. 153 Vgl. LK-Schünemann, § 28, Rn. 51. 154 Kudlich spricht von einem obligatorischen gesetzlichen Strafmilderungsgrund, der nicht den Tatbestand sondern erst die Ebene der Strafzumessung betrifft, vgl. BeckOKKudlich, § 28, Rn. 17; vgl. auch: MüKo-Joecks, § 28, Rn. 4. 155 BeckOK-Kudlich, § 28, Rn. 21; Fischer, § 28, Rn. 8; S/S-Heine, § 28, Rn. 28.

§ 1 Gesetzlicher Ausgangspunkt und Auslegungsunterschiede

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StGB legt fest, wann einem Beteiligten ein besonderes persönliches Merkmal als von ihm verwirklicht zugerechnet werden kann, indem die Vorschrift die besonderen Täterqualifikationen des Besonderen Teils wieder teilweise zurücknimmt und entscheidet damit bereits über die logisch vorgelagerte Frage der Tatbestandsverwirklichung.156 Roxin sieht die persönlichen Merkmale der Vertreter- und Organhaftung und die der Teilnehmervorschrift nicht in einem Gegensatzverhältnis sich mehr oder weniger überschneidender Kreise. Vielmehr beinhalte ein großer Kreis der von § 28 StGB erfassten Pflichtdelikte eine Teilmenge mit den Delikten, deren Pflichtenstellungen durch Vertreter wahrgenommen werden können.157 Übereinstimmend kommen somit alle Theorien zu dem Ergebnis, dass für die Anwendbarkeit von § 14 StGB bzw. § 28 StGB zumindest teilweise unterschiedliche Kriterien ausschlaggebend sind. Abhängig von der Beurteilung des RegelAusnahme-Verhältnisses zwischen deckungsgleichen und konträren Anwendungskriterien betonen die Theorien in stärkerem oder geringerem Maße ein gewisses Gegensatzverhältnis zwischen den beiden Vorschriften der § 14 StGB und § 28 StGB. Für die Feststellung des Normzwecks hilft dies jedoch nur insofern weiter, als § 14 StGB zumindest auch ein gegenüber § 28 StGB eigenständiger spezifischer Anwendungsbereich mit entsprechender besonderer Regelungsintention zugesprochen wird. Um die Frage zu klären, welche Intention die Vorschrift des § 14 StGB verfolgt, ist somit weniger die definitorische Verknüpfung mit § 28 StGB als vielmehr der historische Kontext ihrer Entstehung aufschlussreich. In seiner grundlegenden Entscheidung vom 9.11.1874 hatte das Preußische Obertribunal die Strafbarkeit eines Vorstandsmitglieds einer Genossenschaft wegen Bankrotthandlungen abgelehnt, weil dieses nicht „seine“ (eigenen) Zahlungen eingestellt hatte. Dagegen hatte der Generalstaatsanwalt in Anlehnung an die zivilistische Theorie der realen Verbandsperson158 noch den Standpunkt vertreten, der Vorstand einer juristischen Person bilde „die Ergänzung und Vervollständigung zum handlungsfähigen Rechtssubjekt“ und sei daher als „die physisch handelnd auftretende Genossenschaft selbst“ anzusehen.159 Der Gesetzgeber suchte daraufhin einen Ausweg aus der misslichen Lage, indem er die Reichskonkursordnung um eine Spezialvorschrift ergänzte,160 welche die Strafvorschriften gegen Mitglieder des

156

LK-Schünemann, § 28, Rn. 51. LK-Roxin (11. Aufl.), § 14, Rn. 18. 158 Diese Rechtsfigur entwickelte Otto v. Gierke, Die Genossenschaftstheorie und die Deutsche Rechtsprechung (1887, Nachdruck 1963), 15 (21 ff., 627 ff.); vgl. hierzu auch: LK-Schünemann, § 14, Rn. 2 und Fn. 7 m.w. N. 159 GA 1875, 31 (41). 160 Reichskonkursordnung vom 10.2.1877, in Kraft getreten am 1.10.1879, RGBl. I Nr. 10 S. 351. 157

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2. Kap.: Abgrenzung tat- und täterbezogener Voraussetzungen

Vorstandes einer Aktiengesellschaft oder eingetragenen Genossenschaft sowie gegen die Liquidatoren einer Handelsgesellschaft oder eingetragenen Genossenschaft unter gewissen Umständen für anwendbar erklärte.161 Dieser vom Gesetzgeber eingeschlagene Weg veranlasste allerdings zehn Jahre später das Reichsgericht dazu, die Haftung einer Aktiengesellschaft und ihrer Organe im Falle des § 288 StGB mit einem argumentum e contrario abzulehnen.162 Um drohenden Strafbarkeitslücken entgegenzuwirken entwickelten sich in der Folgezeit im Wesentlichen zwei Ansätze.163 Die Vertreter der Organhaftungstheorie164 begründeten die Haftung der Organe einer juristischen Person unter Rekurs auf „allgemeine Rechtsgrundsätze“ damit, dass diesen anstelle der juristischen Person die Erfüllung ihrer Pflichten obliege und sie daher auch strafrechtlich dafür einzustehen hätten.165 Mit der Formel, dass „dem Vertreter einer juristischen Person an Stelle der letzteren“ die Erfüllung ihrer Verpflichtungen obliege und er daher auch strafrechtlich hafte, schloss sich auch das RG später der Organhaftungstheorie an.166 Mit der sog. „tatsächlichen“ oder faktischen Betrachtungsweise, die sich parallel dazu entwickelte, wurde der Anwendungsbereich von Sonderdelikten von vornherein im Wege der Tatbestandsauslegung auf das Handeln für einen anderen erstreckt.167 Der Gesetzgeber reagierte auf die unbefriedigende Situation drohender Haftungslücken zunächst mit der Schaffung von Einzelnormen, in denen er den Täterkreis der Sonderdelikte in unterschiedlichen Ausprägungen auf gesetzliche und 161

Vgl. LK-Schünemann, § 14, Rn. 2. RGSt 16, 121 (125): Die AG hafte mangels Handlungsfähigkeit nicht und die Vorstandsmitglieder könnten ebenfalls nicht zur Verantwortung gezogen werden, weil eine dem § 244 KO entsprechende Vorschrift für die Einzelzwangsvollstreckung gerade fehle. Mit Einführung des § 244 KO wollte der Gesetzgeber die Haftung der Organmitglieder einer juristischen Person im Falle von Bankrotthandlungen im Rahmen einer gegen die juristische Person gerichteten Zwangsvollstreckung erreichen. Für die Haftung der Organmitglieder nach § 288 StGB fehlte eine dem § 244 KO entsprechende haftungserweiternde Regelung. Weiterführend: LK-Schünemann, § 14, Rn. 2. 163 Daneben wurde als dritte Variante die Lückenhaftigkeit der gesetzlichen Regelung von der Rechtsprechung als unvermeidlich hingenommen, vgl. RGSt 49, 247; 60, 234; 63, 255; 69, 73; vgl. zu dieser „Lückentheorie“ sowie zur Entwicklung der oben genannten Ansätze: LK-Schünemann, § 14, Rn. 3. 164 Eine allgemeine Organhaftung wurde bereits vom Generalstaatsanwalt beim preußischen Obertribunal vertreten, vgl. den Nachweis bei LK-Schünemann, § 14, Rn. 3; Nagler kommt das Verdienst zu, sie auf eine normentheoretische Grundlage gestellt zu haben: Nagler, Die Teilnahme am Sonderverbrechen, 1903, S. 53 ff.; vgl. dazu und zur daran geäußerten Kritik: LK-Schünemann, § 14, Rn. 3. 165 Vgl. LK-Schünemann, § 14, Rn. 3. 166 RGSt 33, 261 (264) betraf mit § 151 a. F. GewO allerdings nur eine Spezialvorschrift, so dass die Anerkennung einer allgemeinen Organhaftung über den Anlass der Entscheidung weit hinausging, vgl. LK-Schünemann, § 14, Rn. 3 m.w. N. 167 RGSt 8, 269; BGHSt 2, 262 (266 f.); BGHSt 11, 102; vgl. dazu auch: Blauth, Handeln für einen anderen, 1968, S. 37 ff.; LK-Schünemann, § 14, Rn. 3 m.w. N. 162

§ 1 Gesetzlicher Ausgangspunkt und Auslegungsunterschiede

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gewillkürte Vertreter ausweitete.168 Die daraus resultierende Unübersichtlichkeit der Rechtslage sowie das grundlegende Bestreben auch im Rahmen der Sonderdelikte diejenigen strafrechtlich zur Verantwortung ziehen zu können, die für andere handelten, aber die tatbestandlich geforderte Täterqualifikation nicht aufwiesen, bewog den Gesetzgeber schließlich zur Schaffung einer einheitlichen Regelung des Handelns für einen anderen im Allgemeinen Teil des StGB.169 Neben der Schließung kriminalpolitisch unerwünschter Strafbarkeitslücken sollte die in § 14 StGB niedergelegte Bestimmung auch für eine Rechtsvereinfachung und -vereinheitlichung sorgen und so der Rechtsunklarheit, die vor Einführung der einheitlichen Regelung bestand, entgegenwirken.170 Angesichts der Umstände ihrer Entwicklung wird die Vorschrift des § 14 StGB auch als Absicherung eines Analogieschlusses angesehen und als „gesetzliches Analogiegebot“ bezeichnet.171 Unabhängig von der Einordnung des § 14 StGB als „Tatbestandsergänzung“ 172 oder als „gesetzliches Analogiegebot“ 173 bewirkt die Vorschrift doch unumstritten eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs bestimmter Deliktsarten.174 In funktionaler Hinsicht handelt es sich um einen allgemeinen Strafausdehnungsgrund, der für das gesamte Strafrecht gilt, jedoch im Nebenstrafrecht seinen Hauptanwendungsbereich hat.175 Der durch personenbezogene Merkmale abgegrenzte Kreis möglicher Täter wird durch die Vorschrift des § 14 StGB auf bestimmte Organe und Vertreter erweitert, die in Ermangelung der tatbestandlich vorausgesetzten Täterqualität anderenfalls strafrechtlich nicht zu fassen wären.176 Vor dem Hintergrund moderner Wirtschafsstrukturen sieht Schünemann in der Norm des § 14 StGB denn auch keine „künstliche“ Erweiterung des Adressatenkreises einer Norm, sondern eine sachnotwendige Reaktion auf arbeitsteilige Organisationsstrukturen um den strafrechtlichen Rechtsgüterschutz auch in diesem Bereich sicher zu stellen.177 168

LK-Schünemann, § 14, Rn. 3. LK-Schünemann, § 14, Rn. 1, 4. 170 LK-Schünemann, § 14, Rn. 4. 171 NK-Marxen/Böse, § 14, Rn. 4 f. Die von § 14 StGB bezweckte Strafbarkeitsausdehnung beruhe auf der Schaffung eines neuen Tatbestandes, indem ein wesentliches Merkmal des Tatbestandes des Besonderen Teils ausgetauscht werde. 172 Bruns, GA 1982, 1 (8); Rogall, Die strafrechtliche Organhaftung, in: Amelung (Hrsg.), Individuelle Verantwortung und Beteiligungsverhältnisse bei Straftaten in bürokratischen Organisationen, 2000, S. 145 (153 ff.); S/S-Perron, § 14, Rn. 1; Schroth, Unternehmen als Normadressaten und Sanktionssubjekte, 1993, S. 28 ff. 173 NK-Marxen/Böse, § 14, Rn. 5. 174 Vgl. statt aller Fischer, StGB, § 14, Rn. 1b. 175 BeckOK-Momsen, § 14, Rn. 7; Lackner/Kühl, § 14, Rn. 1; Roxin, AT/II, § 27, Rn. 84 f. 176 NK-Marxen/Böse, § 14, Rn. 2. 177 LK-Schünemann, § 14, Rn. 1. 169

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2. Kap.: Abgrenzung tat- und täterbezogener Voraussetzungen

Die mit § 28 und § 14 StGB verfolgten Ziele stehen sich damit konträr gegenüber. Aus diesem Grund ist dem Prinzip von der Relativität der Rechtsbegriffe hier besondere Beachtung zu schenken178 und eine am jeweiligen Gesetzeszweck orientierte Auslegung vorzunehmen.

§ 2 „Besondere persönliche Merkmale“ im Sinne von § 28 StGB Was aus einem Merkmal ein „persönliches“ Merkmal i. S. d. § 28 StGB macht, lässt sich noch relativ einfach mit einem erforderlichen Bezug zur Person des Täters erklären.179 „Eigenschaften“ sind dabei Merkmale die ihrem Träger unlösbar anhaften und gleichsam „mit dem Wesen des Täters verbunden“ sind.180 Mit den „Verhältnissen“ werden die äußeren Beziehungen des Täters zu anderen Menschen, Sachen oder Institutionen beschrieben.181 Zu den „Umständen“ schließlich gehören solche persönlichen Merkmale, die sich weder als Eigenschaften noch als Verhältnisse einordnen lassen. Insbesondere fallen darunter Merkmale, die eine gewisse Dauerhaftigkeit des Personenbezugs vermissen lassen.182 Alle persönlichen Merkmale lassen sich weiter in tat- und täterbezogene einteilen.183 Eben diese Abgrenzung der dem Anwendungsbereich des § 28 StGB zu unterstellenden „besonderen“ persönlichen Merkmale, von den streng akzessorisch zu behandelnden tatbezogenen persönlichen Merkmalen, bereitet Schwierigkeiten.184

I. Abgrenzungsansätze nach der Rechtsprechung 1. Das Reichsgericht 185

Zu den in § 50 a. F. StGB genannten „persönlichen Eigenschaften oder Verhältnissen“ entschied der Vereinigte Strafsenat am 18.04.1894, dass eine „gewisse Dauerhaftigkeit der Verbindung des Merkmals mit dem Täter“ erforderlich 178 In diesem Sinne auch S/S-Perron, § 14, Rn. 8, der hierin ein „geradezu klassisches Beispiel“ für die Relativität der Rechtsbegriffe sieht. 179 MüKo-Joecks, § 28, Rn. 22; S/S-Heine, § 28, Rn. 11. 180 BGHSt 6, 260 (262). 181 MüKo-Joecks, § 28, Rn. 21; S/S-Heine, § 28, Rn. 13. 182 LK-Schünemann, § 28, Rn. 52; MüKo-Joecks, § 28, Rn. 21. 183 BGH, NJW 1995, 1764 (1765); BGH, NJW 1994, 271 (272); S/S-Heine, § 28, Rn. 15. 184 Die Beantwortung der Frage, was unter einem „besonderen persönlichen Merkmal“ im Sinne des § 28 StGB zu verstehen ist, hält Roxin für das schwierigste und bisher nur unzureichend geklärte Problem dieser Norm; vgl. LK-Roxin (11. Aufl.), § 28, Rn. 20. 185 § 50 Abs. 1 a. F. wurde zu § 29 n. F. StGB, während § 50 Abs. 2 und 3 a. F. sich heute in § 28 Abs. 1 und 2 n. F. StGB finden, vgl. S/S-Heine, § 28, Rn. 9 m.w. N. zur Entstehungsgeschichte dieser Norm.

§ 2 „Besondere persönliche Merkmale‘‘ im Sinne von § 28 StGB

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sei, um als „Eigenschaft“ eingeordnet werden zu können. Ferner sollte ihr Vorliegen bzw. Nichtvorliegen „den Tatbestand an sich nicht berühren“.186 Ausschlaggebend für die Straferhöhung sei der durch das persönliche Moment begründete höhere Verschuldungsgrad.187 Mit der Neuformulierung durch das 2. StrRG und der Einführung des Begriffs der „besonderen persönlichen Merkmale“ wurde diesem Ansatz die gesetzliche Grundlage entzogen.188 § 28 Abs. 1 n. F. StGB spricht ausdrücklich von Merkmalen, die die Strafbarkeit „begründen“ und stellt Folgerungen für ihr Vorhandensein oder Fehlen beim Teilnehmer auf. Begründet werden kann eine Strafbarkeit aber nicht ohne Rückgriff auf den gesetzlichen Tatbestand, was sich insbesondere aus dem Postulat der Art. 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB ergibt. Besondere persönliche Merkmale konnten daher nicht länger als ohne Einfluss auf den „Tatbestand an sich“ angesehen werden.189 Dem Erfordernis der Dauerhaftigkeit erteilte der Gesetzgeber mit der Einbeziehung besonderer persönlicher „Umstände“ eine klare Absage.190 2. Der BGH Die zu § 50 a. F. StGB entwickelte Rechtsprechung des RG wurde vom BGH insbesondere für die relativ unumstrittenen Amtsdelikte weitgehend fortgeführt.191 Zum Erfordernis der Dauerhaftigkeit nahm der BGH nicht ausdrücklich Stellung.192 Die Frage, ob „Beweggründe“ unter § 50 a. F. StGB fallen können, ließ er offen.193 Noch zu der vor dem 2. StrRG194 geltenden Rechtslage des § 50 a. F. StGB entwickelte der BGH eine neue Formel, die zwischen „täterbezogenen“ und „tatbezogenen“ Umständen differenzierte.195 Für letztere sollte § 50 a. F. StGB nicht gelten, während „besondere persönliche Verhältnisse“ täterbezogen und damit § 50 a. F. StGB zu unterstellen seien. Entwickelt am Fall der 186 RGSt 25, 266 (268); die Entscheidung befasste sich mit den Merkmalen der Gewerbs- und Gewohnheitsmäßigkeit. 187 RGSt 25, 266 (268). 188 Vgl. LK-Schünemann, § 28, Rn. 24. 189 Vgl. auch LK-Schünemann, § 28, Rn. 24. 190 Vgl. LK-Schünemann, § 28, Rn. 24 mit Verweis auf die Begründung zu § 33 E 1962: Das Erfordernis der „Dauerhaftigkeit“ zu beseitigen war erklärter Wille des Gesetzgebers mit der Einführung des Oberbegriffs „besondere persönliche Merkmale“ in § 28 n. F. StGB. Darunter sollten neben den „persönlichen Eigenschaften und Verhältnissen“ auch „persönliche Umstände“ fallen, die nur vorübergehender Natur sind, vgl. die Begründung zu § 33 E 1962 (BT Drs. IV/650, S. 152), auf den § 28 n. F. StGB zurückgeht und die Legaldefinition der „besonderen persönlichen Merkmale“ in § 14 StGB. 191 Vgl. LK-Schünemann, § 28, Rn. 26, 31. 192 Vgl. LK-Schünemann, § 28, Rn. 26. 193 BGHSt 1, 368 (372); BGHSt 22, 375 (378); vgl. dazu auch: LK-Schünemann, § 28, Rn. 26. 194 2. StrRG v. 4.7.1969, BGBl. I, S. 717. 195 Vgl. zur Entwicklung dieser Formel: LK-Schünemann, § 28, Rn. 26.

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2. Kap.: Abgrenzung tat- und täterbezogener Voraussetzungen

„bandenmäßigen Begehung des Schmuggels“ statuierte der BGH, dass die Strafschärfung hier „nicht entscheidend auf besonderen persönlichen Verhältnissen der Täter, sondern in der besonderen Gestaltung der Tat“ liege, § 50 Abs. 2 a. F. StGB mithin nicht anwendbar sei.196 In einer späteren Entscheidung heißt es hierzu, besagtes Merkmal sei „stärker ein Merkmal der Tat und nicht des Täters“, was sich insbesondere daraus ergebe, dass „sachliche Umstände überwiegen“.197 Sofern das Gesetz „nicht nur den Täter, sondern durch hinzutretende Umstände die Tat als Ganzes erschwerend gekennzeichnet“ habe, sei § 50 Abs. 2 a. F. StGB nicht anwendbar.198 Zwar hat der Große Senat für Strafsachen hinsichtlich der Einordnung der „bandenmäßigen Begehung“ bei der Zollhinterziehung eine Kehrtwendung zu den genannten Entscheidungen BGHSt 6, 260 (262) und BGHSt 8, 70 (72) vollzogen, mit der Begründung, dass es sich dabei um einen „persönlichen Strafschärfungsgrund“ handle und „die härtere Strafe jeden, aber auch nur den treffen soll, der durch sein persönliches Mitwirken bei der Verübung des Verbrechens zu dessen größerer Gefährlichkeit beigetragen hat.“ 199 Jedoch räumt auch Schünemann ein, dass die Formel von der Tat- oder Täterbezogenheit ihre Bedeutung für die Rechtsprechung dadurch nicht verloren hat.200 Am Beispiel der „verfassungsfeindlichen Absicht“ stellt der BGH auch später noch fest, dass „in Grenzfällen . . . entscheidend sei, ob das gesetzliche Merkmal überwiegend die Tat oder ob es überwiegend den Täter kennzeichnet“ 201. Selbst mit der Einführung des § 28 n. F. StGB, der fortan auch „persönliche Umstände“ erfassen sollte, kam es nicht zu einer grundsätzlichen Neuorientierung der Rechtsprechung. Vielmehr eignete sich die alte Formel von der Tat- oder Täterbezogenheit ebenso zur Begründung der nach der neuen Rechtslage gefundenen Ergebnisse und wurde in erster Linie für die Mordmerkmale fortgeführt.202 So klassifizierte der BGH z. B. die „niedrigen Beweggründe“ beim Mord, im Gegensatz zur früher vertretenen Einordnung als tatbezogen,203 von nun an als täterbezogen.204 Dabei seien die „niedrigen Beweggründe“ ersterer Kategorie zuzuschlagen, da ein „Motiv des Täters . . . in seiner Person und nirgends anders“ 196

BGHSt 6, 260 (262). BGHSt 8, 70 (72). 198 BGHSt 8, 205 (209). 199 BGHSt 12, 220 (226 f.); Schünemann sieht hierin eine Aufgabe der Formel von der Tat- oder Täterbezogenheit und zugleich eine Vorwegnahme der von ihm selbst vertretenen Einheitstheorie; vgl. LK-Schünemann, § 28, Rn. 26. 200 LK-Schünemann, § 28, Rn. 27. 201 BGHSt 17, 215 (217). 202 LK-Schünemann, § 28, Rn. 29 m.w. N. 203 BGHSt 8, 72 (Obiter Dictum). 204 So BGHSt 22, 375 (378) unter Abkehr von BGHSt 8, 72; vgl. LK-Schünemann, § 28, Rn. 28. 197

§ 2 „Besondere persönliche Merkmale‘‘ im Sinne von § 28 StGB

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liege.205 Die Rechtsprechung zur Einordnung der Mordmerkmale als tatbezogen (2. Gruppe) bzw. täterbezogen (1. und 3. Gruppe) ist mittlerweile als weitgehend gefestigt anzusehen.206 Den Gegensatz zu den „besonderen persönlichen Merkmalen“ bilden solche „Tatumstände, die nicht zur Person des Täters, sondern zur äußeren Mordtat selbst gehören“.207 Dabei handelt es sich um Umstände, die die besondere Gefährlichkeit des Täterverhaltens kennzeichnen208 oder Modalitäten der Ausführung eines Delikts umschreiben.209 Dass die Klassifizierung nicht der Unterscheidung zwischen objektivem und subjektivem Tatbestand folgt, zeigt sich daran, dass auch subjektive Merkmale, wie die Zueignungsabsicht bei § 242 StGB tatbezogen sind, da sie das Bild der Tat prägen.210 Umgekehrt können objektive Umstände, wie die Vermögensbetreuungspflicht bei § 266 StGB täterbezogen sein, wenn sie eine besondere Pflichtenstellung höchstpersönlicher Art beschreiben.211 BGHSt 26, 53 ordnet das Treueverhältnis in § 266 Abs. 1 StGB ohne nähere Begründung den besonderen persönlichen Merkmalen i. S. d. § 28 StGB zu.212 Auch die Beamteneigenschaft wird im Obiter Dictum von BGHSt 22, 375 (377) dieser Kategorie unterstellt, während die Zueignungsabsicht in der gleichen Entscheidung ebenfalls obiter dictu als tatbezogen angesehen wird.213 Da an allgemeine steuerrechtliche Pflichten anknüpfend, stuft der BGH die sich aus § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO ergebende Pflicht als tatbezogenes Merkmal ein. Hier fehle es an der täterbezogene Merkmale prägenden, vorstrafrechtlichen Pflichtenstellung höchstpersönlicher Natur. Vielmehr handle es sich um ein „strafrechtliches Jedermann-Gebot“.214 3. Resumee Klare Abgrenzungskriterien zur Tat- oder Täterbezogenheit einer Strafbarkeitsvoraussetzung sind in der Rechtsprechungspraxis bislang nicht erkennbar. Das Postulat, die Einordnung habe sich an der Schutzrichtung des jeweiligen Straftat205

BGHSt 22, 375 (378) mit Bezug auf Koffka, JR 1969, 41 (42). Vgl. LK-Schünemann, § 28, Rn. 31. Die Kontroverse um eine Einordnung als strafbarkeitsbegründend oder -schärfend ist für die hier vorzunehmende Untersuchung ohne Belang und soll deshalb nicht näher ausgeführt werden. 207 BGHSt 22, 375 (378). 208 BGHSt 8, 70 (72). 209 BGHSt 23, 103 (105). 210 BGHSt 22, 375 (380); vgl. LK-Schünemann, § 28, Rn. 33. 211 BGHSt 26, 53; BGH, NJW 1983, 1807 (1809). 212 BGHSt 26, 53; bestätigt in BGH, NJW 1983, 1807 (1810). 213 BGHSt 22, 375 (377) zur Beamteneigenschaft; (380) zur Zueigungsabsicht. 214 BGHSt 41, 1 (2) unter Bezugnahme auf LK-Roxin (11. Aufl.), § 28, Rn. 67. Die Einordnung sonstiger aus Garantenstellungen bei unechten Unterlassungsdelikten folgender Pflichten lässt der BGH dabei ausdrücklich offen: BGHSt 41, 1 (4). 206

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bestandes zu orientieren, lässt weiten Argumentationsspielraum. 215 Eine gewisse Konkretisierung lässt der BGH zumindest für Pflichtenstellungen erkennen, wenn er feststellt, dass es auf die Art der Pflicht ankommt.216 Davon abgesehen orientiert sich die Kasuistik der zu dieser Thematik ergangenen Entscheidungen zwar vordergründig an der Abgrenzung von Tat- und Täterbezogenheit, ohne diesen Begrifflichkeiten jedoch eine fundierte Begründung durch aussagekräftige Abgrenzungsmerkmale zugrunde zu legen.

II. Abgrenzungsansätze nach der Literatur Das Meinungsbild in der Literatur zur Abgrenzung der besonderen persönlichen Merkmale i. S. d. § 28 StGB ist gespalten. 1. Traditioneller Ansatz Im Anschluss an die Rechtsprechung wird teilweise die Formel von der Tatoder Täterbezogenheit übernommen.217 Allerdings mehren sich die Stimmen, die auf mangelnde inhaltliche Substanz dieser Differenzierungskategorien hinweisen und an deren Stelle belastbarere Abgrenzungskriterien fordern.218 Insbesondere das von der Rechtsprechung zuletzt in Bezug auf die steuerrechtlichen Pflichten nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO ins Spiel gebrachte Kriterium der Höchstpersönlichkeit219 stieß auf Kritik.220 Aber auch die Unterscheidung nach der Formel, ob das Merkmal im Schwergewicht die Tat oder die Persönlichkeit des Täters kennzeichnet,221 ermögliche keine eindeutige Abgrenzung, was sich an der Beliebigkeit zeige, mit der im Einzelfall entweder in die eine oder andere Richtung argumentiert wird.222 Weitgehend einig mit der Rechtsprechung ist man sich darüber, dass täter- und tatbezogene Merkmale keinesfalls mit subjektiven bzw. objektiven Tatbestands215

Vgl. BGHSt 39, 326; 41, 1 (2). Sofern es sich um eine vorstrafrechtliche Sonderpflicht handelt, sei das Merkmal täterbezogen. Verkörpert die Pflicht hingegen ein strafrechtliches Jedermann-Gebot, ist das Merkmal als tatbezogen einzuordnen. Vgl. BGHSt 41, 1 (2) unter Bezug auf LKRoxin (11. Aufl.), § 28, Rn. 67. 217 Vgl. Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 32, Rn. 8 ff.; Jescheck/Weigend, § 61 VII 4 a; LK-Schünemann, § 28, Rn. 32 m.w. N.; Wessels/Beulke, AT, § 13, Rn. 555 ff. 218 SK-Hoyer, § 28, Rn. 22; LK-Schünemann, § 28, Rn. 32; Otto, Band I, § 22, Rn. 16; Lackner/Kühl, § 28, Rn. 4; LK-Roxin (11. Aufl.), § 28, Rn. 28. 219 BGHSt 41, 1 (4). 220 Schünemann spricht dem Kriterium der Höchstpersönlichkeit jeglichen Abgrenzungswert ab, vgl. LK-Schünemann, § 28, Rn. 6. 221 Vgl. zuletzt BGHSt 41, 1 (2) unter Bezugnahme auf BGHSt 39, 326 m.w. N. 222 Vgl. Herzberg, ZStW 88 (1976), 68 (79); LK-Schünemann, § 28, Rn. 27, 31; Langer, in: FS Lange, 1976, S. 241 ff. (251). 216

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voraussetzungen gleichgesetzt werden dürfen.223 Im Hinblick auf die Einordnung von Sonderpflichten224 geht der überwiegende Teil der Literatur bislang von einer Abgrenzung täterbezogener Pflichtmerkmale und tatbezogener Gefährlichkeitsmerkmale aus.225 Sofern die vom Tatbestand geforderte Tätereigenschaft aus einer vortatbestandlich bestehenden gesteigerten Pflicht resultiere, liege ein besonderes persönliches Merkmal i. S. v. § 28 StGB vor. Sieht der Tatbestand hingegen eine besondere Eigenschaft vor, weil damit eine tatsächlich gesteigerte Gefährlichkeit des Täters für das Rechtsgut verbunden ist, soll es sich um ein tatbezogenes Merkmal handeln.226 2. Rechtsgutsbezogener Ansatz Eine im Vordringen befindliche Ansicht grenzt zwischen rechtsgutsbezogenen Merkmalen als tatbezogen und den „besonderen persönlichen Merkmalen“ im Sinne des § 28 StGB ab.227 Die besonderen persönlichen Merkmale werden dabei als „höchstpersönliche Pflichten“,228 das „Maß der sozialethischen Verwerflichkeit“ 229 oder „den spezifischen Unwert der Tat“ 230 beschreibend, charakterisiert. Eine Entscheidung des BGH zur Zueignungsabsicht bei § 242 Abs. 1 StGB scheint diese Ansicht zu stützen.231 Dort wird die Tatbezogenheit der Zueignungsabsicht damit begründet, dass dieses Merkmal an die Stelle eines entsprechenden tatvollendenden Erfolgs in der Wirklichkeit trete und damit ein „äußeres Merkmal“ ersetze.232 Die Zielrichtung der Absicht auf den Erfolg soll dem Krite223

Herzberg, ZStW 88 (1976), 68 (78 f.); LK-Schünemann, § 28, Rn. 33. Die bis zur Reform der §§ 242 ff. StGB durch das 6. StrRG v. 26.1.1998 (BGBl. I 164) äußerst strittige Fallgruppe der Merkmale der „überschießenden Innentendenz“ hat ihre Bedeutung mit Erfassung der Drittzueignungsabsicht weitgehend eingebüßt; vgl. dazu auch: MüKo-Joecks, § 28, Rn. 38. Die dritte relevante Fallgruppe umfasst die Mordmerkmale. Abgesehen von der Einordnung als strafbarkeitsbegründend durch die Rechtsprechung bzw. strafbarkeitsmodifizierend durch das Schrifttum sowie das Merkmal „grausam“, herrscht über die Einordnung der ersten und dritten Fallgruppe unter täterbezogene, der zweiten Fallgruppe unter tatbezogene Merkmale, weitgehender Konsens; vgl. MüKo-Joecks, § 28, Rn. 44 ff. 225 Blauth, Handeln für einen anderen, 1968, S. 63 ff., 100 ff.; Geppert, ZStW 82 (1970), 40 (62 ff.); Grünwald, in: GS Kaufmann, 1989, 555 (559); Langer, in: FS Lange, 1976, S. 241 ff. (261 ff.); MüKo-Joecks, § 28, Rn. 28; Vogler, in: FS Lange, 1976, S. 265 ff. (278); S/S-Heine, § 28, Rn. 18, 20. 226 MüKo-Joecks, § 28, Rn. 28. 227 Vgl. LK-Schünemann, § 28, Rn. 34. 228 Gallas, ZStW 80 (1968), 1 (22). 229 Blauth, Handeln für einen anderen, 1968, S. 63 ff., 100 ff. 230 Vogler, in: FS Lange, 1976, S. 265 ff. (277). 231 Vgl. LK-Schünemann, § 28, Rn. 34. 232 BGHSt 22, 375 (380). 224

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2. Kap.: Abgrenzung tat- und täterbezogener Voraussetzungen

rium der Rechtsgutsbezogenheit entsprechen.233 Geschütztes Rechtsgut des Diebstahls gem. § 242 StGB ist das Eigentum.234 Zur Erfüllung des Tatbestandes des § 242 Abs. 1 StGB muss die Zueignung noch nicht vollzogen sein. Es handelt sich insofern um ein Delikt mit „überschießender Innentendenz“ mithin ein erfolgskupiertes Delikt.235 Die Verlagerung der Deliktsvollendung in den subjektiven Tatbestand bzw. umgekehrt der Bezug des subjektiven Tatbestandes auf die Verletzung des geschützten Rechtsguts scheinen in der Tat für die Rechtsgutsbezogenheit als taugliches Abgrenzungskriterium zu sprechen. Allerdings vermag dies nur für die besondere Konstellation im Falle der erfolgskupierten Delikte zu überzeugen. Denn für die Amtsträgereigenschaft, deren Zugehörigkeit zu den besonderen persönlichen Merkmalen i. S. d. § 28 StGB weitestgehend anerkannt ist,236 verliert das Kriterium seine Abgrenzungsfähigkeit.237 Insbesondere für die Bestechungsdelikte der §§ 331 ff. StGB werden in unterschiedlichen Nuancen und Gewichtungen die Lauterkeit des öffentlichen Dienstes238 bzw. das Vertrauen der Öffentlichkeit in diese239 und die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung240 als geschützte Rechtsgüter angesehen. Unabhängig von den um die genaue Festlegung des geschützten Rechtsguts geführten Kontroversen,241 stellen diese Aspekte auch den Grund für den gesteigerten Unrechtsgehalt dar, wenn ein Amtsträger seine Stellung und Autorität missbraucht und hierdurch die ihm in seiner Funktion anvertrauten Rechtsgüter verletzt.242 Damit weist aber die Amtsträgereigenschaft eben jene Rechtsgutsbezogenheit auf, die sie von den tatbezogenen Merkmalen abgrenzen soll.243 Diesen Widerspruch versucht Grünwald mit einer „historisch bedingten Besonderheit“ zu erklären, die einen Ausnahmefall darstelle.244 Die Amtsträgereigenschaft unterscheidet sich aber strukturell nicht von ähnlichen Pflichtenstellungen, 233

LK-Schünemann, § 28, Rn. 34. Vgl. nur: Fischer, StGB, § 242, Rn. 2 m.w. N. 235 BeckOK-Wittig, § 242, Rn. 28; Fischer, StGB, § 242, Rn. 32 m.w. N. 236 Vgl. RG 65, 102; 75, 289; BGH, NJW 1955, 720; S/S-Heine, § 28, Rn. 13. 237 Vgl. LK-Schünemann, § 28, Rn. 35. 238 So der RegE zum EGStGB, BT-Drucks. 7/550, S. 269; BGH, NJW 1985, 2654 (2656). 239 So insbesondere die Rspr.: BGH, StV 1997, 129 (LS); BGH, NStZ 2000, 589 (590); BGH, wistra 2001, 295 (297); BGH, NStZ-RR 2005, 266 (267). 240 Diesen Aspekt betont die Literatur, vgl. Loos, in: FS Welzel, 1974, S. 879 ff. (887 ff.); LK-Jescheck, vor § 331, Rn. 17; NK-Kuhlen, § 331, Rn. 13; Fischer, StGB, § 331, Rn. 3; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT/II, § 79, Rn. 9. 241 Vgl. hierzu den Überblick bei MüKo-Korte, § 331, Rn. 3 ff. 242 Gallas, Beiträge zur Verbrechenslehre, 1968, S. 159; Schünemann, Jura 1980, 354 (362). 243 Vgl. Herzberg, ZStW 88 (1976), 68 (81); Vogler, in: FS Lange, 1976, S. 265 ff. (270). 244 Grünwald, in: GS Armin Kaufmann, 1989, S. 555 ff. (562 f.). 234

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wie sie beispielweise bei der Verletzung von Privatgeheimnissen gem. § 203 StGB oder bei der Untreue nach § 266 StGB vorliegen.245 Eine Ungleichbehandlung unter dem Deckmantel einer „historisch bedingten Ausnahme“ dürfte kaum mit dem Willen des Gesetzgebers vereinbar sein, der die Fallgruppe der Amtsträgerdelikte als paradigmatisch verstanden wissen wollte.246 Dass eine vom Gesetzgeber als paradigmatisch angesehene Fallgruppe lediglich historisch bedingt und eine Ausnahme bleiben solle, spricht gegen die Tragfähigkeit des Abgrenzungskriteriums der Rechtsgutsbezogenheit. Einen anderen Ausweg sucht Hake, indem er eine Aufweichung des Abgrenzungskriteriums der Rechtsgutsbezogenheit zu einem bloßen Mindeststandard propagiert.247 So sollen täterbezogene Voraussetzungen dadurch gekennzeichnet sein, dass sie nicht nur rechtsgutsbezogen sind.248 Vom Wesen eines Abgrenzungskriteriums bleibt damit freilich nicht mehr viel übrig.249 Der Ansatz der Rechtsgutsbezogenheit als alleinigem Abgrenzungskriterium überzeugt nicht, weil sich sowohl täter- als auch tatbezogene Voraussetzungen der Strafbarkeit auf das geschützte Rechtsgut beziehen. Abhängig davon, welches Rechtsgut vor welchen Verletzungen und in welchem Maße geschützt werden soll, weisen täter- und tatbezogene Merkmale eine mehr oder weniger stark ausgeprägte Rechtsgutsbezogenheit auf. Bei der Bestimmung des Kreises möglicher Täter von Sonderdelikten hat der Gesetzgeber notwendigerweise das zu schützende Rechtsgut zu berücksichtigen bzw. lässt sich die Relevanz des Rechtsguts für den Täterkreis nicht vermeiden. Nur die jeweiligen Normadressaten kommen mit ihm derart in Berührung, dass es eine drohende Verletzung zu verhindern oder zu sanktionieren gilt.250 3. Wertbezogenheit und Wertneutralität nach Herzberg Aufgrund der ungelösten Widersprüche, denen sich die rechtsgutsbezogene Abgrenzungsmethode ausgesetzt sieht, hat Herzberg einen völlig neuartigen Ansatz entwickelt.251 Nach deren ursprünglicher Fassung sollen die persönlichen 245

Vgl. LK-Schünemann, § 28, Rn. 35. Vgl. LK-Schünemann, § 28, Rn. 35 unter Hinweis auf die Begründung zu § 33 E 1962, auf den der heutige § 28 Abs. 1 StGB zurückgeht (BT-Drs. IV/650 S. 152); weiterführend: LK-Roxin (11. Aufl.), § 28, Rn. 32. 247 Vgl. LK-Schünemann, § 28, Rn. 36. 248 Hake, Beteiligtenstrafbarkeit und „besondere persönliche Merkmale“, 1994, S. 97 ff. (98). 249 Vgl. Roxin, AT/II, § 27, Rn. 39 f. 250 Schünemann sieht die Rechtsgutsbezogenheit sogar als mit dem Unrechtsbereich identisch an, da das deutsche Strafrecht von der Rechtsgutsbezogenheit geprägt sei; vgl. Schünemann, Jura 1980, 354 (362). 251 Vgl. LK-Schünemann, § 28, Rn. 38. 246

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Merkmale in „wertbezogene“ und „wertneutrale“ eingeteilt werden können. Dabei sind „wertbezogene“ Merkmale solche, die die Schwere des Unrechts oder der Schuld betreffen, während als „wertneutral“ solche zu bezeichnen sind, die lediglich untypische Rechtsgutsverletzungen auszugrenzen bezwecken, ohne für die tatbestandlich eingegrenzten einen besonderen Unwert oder eine erhöhte Strafwürdigkeit auszudrücken.252 Als Beispiel für letztere Kategorie nennt Herzberg die „Schuldner“-Stellung bei der Vollstreckungsvereitelung gem. § 288 StGB.253 Sämtliche strafmodifizierenden Merkmale unterfielen demnach § 28 Abs. 2 StGB, da für Ausschluss oder Änderung der Strafe „stets Werterwägungen“ ausschlaggebend seien und eine Wertneutralität von vornherein ausscheide.254 Dagegen ist anzumerken, dass tatbezogene Merkmale gerade nicht wertneutral sind, sondern den Unwertgehalt der Tat entscheidend mitbestimmen.255 Die Verwendung bestimmter Merkmale zur Deliktstypisierung gegenüber der bewussten Ausgrenzung gewisser Verhaltensweisen, lässt erkennen, dass der Gesetzgeber letztere nicht für strafwürdig erachtet. Dies spricht gegen die Annahme, es gebe „wertneutrale“ Merkmale des Unrechtstatbestandes.256 Die Kritik der Literatur entzündet sich dabei in erster Linie an der gewählten Terminologie.257 Mit einer Weiterentwicklung seiner Lehre, gestützt auf die Abgrenzungsfrage, „ob die Strafgerechtigkeit eine Anwendung von § 28 Abs. 1 StGB fordert“, suchte Herzberg dem entgegenzutreten.258 Für „funktionell sachlich persönliche Merkmale“ 259 und „rein typisierende Merkmale“, die „für die Rechtsgutsverletzung und den materiellen Unwert der Tat keine Bedeutung haben“,260 sei diese Frage zu verneinen. „Funktionell sachliche Merkmale“ stellten demnach persönliche Merkmale dar, die eigentlich sachlicher Natur sind,261 worunter insbesondere die Eigenschaft als „Mann“ i. R.v. § 183 StGB fallen soll.262 Die Klassifizierung der „rein typisierenden Merkmale“ als streng akzessorisch und daher nicht unter § 28 Abs. 1 StGB subsumierbar, rechtfertige sich, Herzberg zufolge, daraus, dass sie als „anschauliche Nachzeichnung bestimmter Deliktsbilder“ 263 le252

Herzberg, ZStW 88 (1976), 68 (84). Herzberg, Täterschaft und Teilnahme, 1977, S. 127. 254 Herzberg, Täterschaft und Teilnahme, 1977, § 12 II (S. 127 f.). 255 Vgl. S/S-Heine, § 28, Rn. 16; Vogler, in: FS Lange, 1976, S. 265 ff. (271 ff.). 256 LK-Schünemann, § 28, Rn. 38. 257 LK-Schünemann, § 28, Rn. 39; Herzberg selbst äußerte in GA 1991, 145 (173) mit dem Begriffspaar „wertbezogen“ und „wertneutral“ einen Missgriff getan zu haben. 258 Vgl. LK-Schünemann, § 28, Rn. 39. 259 Herzberg, GA 1991, 145 (169 ff.). 260 Herzberg, GA 1991, 145 (173 ff.). 261 LK-Schünemann, § 28, Rn. 39. 262 Herzberg, GA 1991, 145 (170). 263 Herzberg, GA 1991, 145 (174). 253

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diglich dem Tatbestand Gestalt verliehen, sich aus ihrer Verwirklichung als Täter oder Teilnehmer aber kein besonderer Unterschied hinsichtlich des Unrechtsgehalts ergebe.264 Dazu sollen insbesondere die Merkmale „Vollstreckungsschuldner“ in § 288 StGB, das Führen eines Fahrzeugs in §§ 315c, 316 StGB sowie die Verwandteneigenschaft gem. § 173 StGB zählen.265 4. Abgrenzung nach Roxin Roxin hat die von Herzberg herausgearbeiteten „funktionell sachlich persönlichen Merkmale“ und „rein typisierenden Merkmale“ in einer Kategorie bloßer deliktstypisierender Merkmale zusammengefasst,266 die als streng akzessorische persönliche Merkmale anzusehen seien und damit nicht § 28 StGB unterfielen. Demgegenüber stünden zum einen die strafmodifizierenden Merkmale, die jenseits der Rechtswidrigkeit liegen, wie die speziellen Schuldmerkmale und die persönliche Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe.267 Diese stellten besondere persönliche Merkmale i. S. d. § 28 StGB dar. Ebenfalls dem Anwendungsbereich dieser Norm zuzuordnen seien die persönlichen Unrechtsmerkmale, die an eine vortatbestandliche Sonderpflicht anknüpfen, d.h. die Tätermerkmale der Pflichtdelikte.268 Die Anwendung des § 28 StGB auf die speziellen Schuldmerkmale, zu denen Roxin subjektive Merkmale wie die „Habgier“ in § 211 StGB, das objektive Merkmal der „Schwangerschaft“ in § 218 StGB sowie die Gewerbs- und Gewohnheitsmäßigkeit zählt, ergebe sich aus dem Grundsatz der limitierten Akzessorietät, da Schuld ihrer Konzeption nach nur individuell zurechenbar sei.269 Die speziellen Schuldmerkmale betreffen nicht den Deliktstypus oder die Unrechtsschwere. Vielmehr stellen sie in den Besonderen Teil vorverlagerte, benannte Strafzumessungsgründe dar. Ihre nichtakzessorische Behandlung sei aus präventiven und am Strafzweck orientierten Erwägungen, die letztlich hinter der Schuld stünden, auch kriminalpolitisch geboten.270 Hinsichtlich der persönlichen Strafaufhebungs- und Strafausschließungsgründe ergebe sich die Nichtübertragbarkeit und damit Einordnung als besondere persönliche Merkmale i. S. d. § 28 StGB bereits aus dem Wortlaut und Zweck der sie begründenden Norm.271 Die Tätermerkmale der Pflichtdelikte betreffen aufgrund der Verletzung der tatbestandlichen Sonderpflichten zwar sowohl Deliktstypus als auch Unrechts264 265 266 267 268 269 270 271

Herzberg, GA 1991, 145 (174). Herzberg, GA 1991, 145 (181 ff.). Vgl. LK-Roxin (11. Aufl.), § 28, Rn. 49. LK-Roxin (11. Aufl.), § 28, Rn. 52. LK-Roxin (11. Aufl.), § 28, Rn. 53 f.; Roxin, AT/II, § 27, Rn. 51 ff. LK-Roxin (11. Aufl.), § 28, Rn. 49–57; Roxin, AT/II, § 27, Rn. 52. LK-Roxin (11. Aufl.), § 28, Rn. 52. LK-Roxin (11. Aufl.), § 28, Rn. 52; Roxin, AT/II, § 27, Rn. 54.

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2. Kap.: Abgrenzung tat- und täterbezogener Voraussetzungen

schwere. Ihre Behandlung nach § 28 StGB rechtfertige sich Roxin zufolge daraus, dass das Tätermerkmal der Pflichtdelikte Ausdruck einer mit erhöhten Anforderungen verbundenen sozialen Rolle sei, die einem Außenstehenden nicht zukomme und damit mehr als ein Element des konkreten Tatgeschehens beschreibe.272 Werden diese erhöhten Anforderungen aber nicht enttäuscht, müsse dies bei der Strafzumessung Berücksichtigung finden, indem für den Außenstehenden § 28 StGB anzuwenden sei. Da beispielsweise ein Richter erhöhtes „Sonderunrecht“ 273 verwirkliche, ist für ihn ein höherer Strafrahmen angemessen als für den Außenstehenden, der sich nicht den an die soziale Rolle gestellten Anforderungen ausgesetzt sieht.274 5. Einheitstheorie nach Schünemann Schünemann spricht sich im Rahmen seiner „Einheitstheorie“ gegen eine Differenzierung innerhalb der Tätermerkmale bei § 28 StGB aus.275 Seiner Theorie zufolge soll § 28 StGB die ungerechtfertigte Ungleichbehandlung von Täter und Teilnehmer ausschließen bzw. zumindest abmildern und so verhindern, dass das Rangverhältnis zwischen der Täterschaft als der schwereren und der Teilnahme als der leichteren Beteiligungsform bei Delikten, die an besondere Tätermerkmale anknüpfen, ad absurdum geführt wird.276 Neben diesem Normzweck komme es nicht darauf an, warum der Gesetzgeber im konkreten Tatbestand besondere Tätermerkmale zur Strafbegründung, Strafmodifizierung oder zum Strafausschluss vorgesehen hat. Maßgeblich sei allein, dass er dies getan hat, und somit jedes Merkmal als „besonderes persönliches“ i. S. d. § 28 StGB anzusehen, das nicht nach den Regeln der mittelbaren Täterschaft verwirklicht werden kann.277 Entscheidend für die Qualifikation als besonderes persönliches Merkmal sei demnach die Eigenhändigkeit der Tatbegehung.278 Im Unterschied zum Ansatz Roxins unterfallen daher auch subjektive Unrechtselemente und objektive Tätermerkmale, die nicht auf einer außerstrafrechtlichen Sonderpflicht beruhen, dem Anwendungsbereich des § 28 StGB.279

272

LK-Roxin (11. Aufl.), § 28, Rn. 54; Roxin, AT/II, § 27, Rn. 55 f. Langer, in: FS Lange, 1976, S. 241 ff. (261); vgl. auch Vogler, in: FS Lange, 1976, S. 265 ff. (279). 274 LK-Roxin (11. Aufl.), § 28, Rn. 54; Roxin, AT/II, § 27, Rn. 55. 275 Schünemann, SchwZR 1978, 131 (149 ff., 158); ders. Unternehmenskriminalität und Strafrecht (1979), S. 131 ff.; ders. Jura 1980, 354 (364 ff.; 578 ff.); ders. GA 1986, 336 ff.; ders. in: FS Küper, 2007, S. 561 ff. 276 LK-Schünemann, § 28, Rn. 10; ders. in: FS Küper, 2007, S. 569. 277 LK-Schünemann, § 28, Rn. 10; ders. in: FS Küper, 2007, S. 570. 278 LK-Schünemann, § 28, Rn. 47. 279 LK-Schünemann, § 28, Rn. 45. 273

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6. Resumee Einheitliche Kriterien zur Bestimmung der Tat- oder Täterbezogenheit einer Strafbarkeitsvoraussetzung haben sich in der Literatur bislang nicht herausgebildet. Verlässt man einmal die verschlungenen Pfade, denen die Definitionsversuche einer Tat- oder Täterbezogenheit folgen, und wagt einen Blick aus der Vogelperspektive auf die oben erläuterten Ansätze der Literatur, zeigt sich, dass sie sich zumindest in ein einheitliches Modell einordnen lassen. Dieses hier als Modell abgestufter Abstrahierungsgrade bezeichnete Konzept vermag im oben geschilderten Dickicht der tat- und täterbezogenen Merkmale zumindest eine gewisse Orientierungshilfe zu bieten. Gemeinsam ist allen Ansätzen, dass sie solche Strafbarkeitsmerkmale mit hohem Abstrahierungsgrad tendenziell als tatbezogen einordnen, Voraussetzungen, die einen geringen Abstrahierungsgrad aufweisen, hingegen als täterbezogen. Beispielhaft verdeutlicht sei dies an der Eigenschaft „Mutter eines nichtehelichen Kindes“ zu sein, die allgemein unter § 28 StGB subsumiert wird, und der Eigenschaft „Mann“ zu sein, die nach überwiegender Ansicht als tatbezogen angesehen wird. Sämtliche zur Rechtsgutsbezogenheit als Abgrenzungskriterium vertretenen Ansätze lassen sich in das Modell des Abstrahierungsgrades fassen. So sollen nach Vogler täterbezogene Voraussetzungen solche sein, die „den spezifischen ethischen Unwert der Tat“ beschreiben. Schon aus dem Begriff „spezifisch“ wird deutlich, dass es sich um ein Merkmal geringen Abstrahierungsgrades handelt. Wenn Blauth Merkmale, die das „Maß der sozialethischen Verwerflichkeit“ beschreiben, als täterbezogen ansieht, handelt es sich dabei um solche, die ein quantitatives und ein wertendes Element zueinander in Beziehung setzen. Mag das quantitative auch eine höhere Abstrahierungsstufe erlauben, so bedarf die wertende Betrachtung der sozialethischen Verwerflichkeit einer Fokussierung auf den konkreten Fall. Damit ordnet letztlich auch diese Ansicht die beschriebenen weniger stark abstrahierten Merkmale dem Täter und die übrigen stärker abstrahierten der Tat zu. Ebenso verhält es sich mit dem von Gallas vertretenen Ansatz. Merkmale, die eine „Verletzung höchstpersönlicher Pflichten“ darstellen sind demzufolge täterbezogen. Der Umstand der Höchstpersönlichkeit der Pflichten lässt einen geringen Abstrahierungsgrad der genannten Voraussetzungen erkennen und rechtfertigt auch nach dem hier vertretenen Modell die Einordnung derartiger Voraussetzungen als täterbezogen. Mit Roxin sind die speziellen Schuldmerkmale und persönliche Strafaufhebungs- und Strafausschließungsgründe, zusammengefasst in einer Gruppe der strafmodifizierenden Merkmale außerhalb der Rechtswidrigkeit, der Vorschrift des § 28 StGB zu unterstellen. Schon aus ihrer Charakterisierung als „speziell“ bzw. „persönlich“ ergibt sich ein geringer Abstrahierungsgrad und damit ihre täterbezogene Tendenz. Auch die Tätermerkmale der Pflichtdelikte, die als persönliche Unrechtsmerkmale eine vortatbestandliche Sonderpflicht zum Ausdruck

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2. Kap.: Abgrenzung tat- und täterbezogener Voraussetzungen

bringen, weisen mit ihrem spezifischen Pflichtenerfordernis einen vergleichsweise geringen Abstrahierungsgrad auf und sind ebenfalls als täterbezogen einzuordnen. Die von Roxin in der Gruppe der bloß deliktstypisierenden Merkmale zusammengefassten „funktionell sachlichen persönlichen“ und „rein typisierenden“ Merkmale der (weiterentwickelten) Herzberg’schen Lehre sind dagegen relativ abstrakt gehalten und folgerichtig als tatbezogene Merkmale dem Anwendungsbereich des § 28 StGB entzogen. Auch die Einheitstheorie Schünemanns weist mit der Maxime, dass es sich bei den von § 28 StGB erfassten besonderen persönlichen Merkmalen um solche handle, die nicht in mittelbarer Täterschaft verwirklicht werden könnten, vielmehr einer eigenhändigen Ausführung bedürften, den täterbezogenen Merkmalen, diejenigen mit geringem Abstrahierungsgrad zu. Bereits Dreher hat mit seiner Forderung, bei Bestimmung der „besonderen persönlichen Merkmale“ i. S. d. § 28 StGB dürfe das Erfordernis der „Besonderheit“ nicht unter den Tisch fallen, und charakterisiere solche Umstände, die den Teilnehmer in weitere Distanz zum Täter rückten,280 einen in die Richtung der hier vertretenen Abgrenzungstheorie weisenden Schritt unternommen. Bei Umständen i. S. d. § 28 StGB handelt es sich um das Unrecht des Täters begründende oder steigernde Merkmale, die beim Teilnehmer fehlen und selbst wenn er sie kennt, ihn nach Akzessorietätsgrundsätzen nicht in gleichem Maße belasten wie die Kenntnis anderer Merkmale des Tatbestandes. Diese den Täter konkretisierenden Umstände weisen einen derart geringen Abstrahierungsgrad auf, dass eine Einordnung als täterspezifische „besondere persönliche Merkmale“ i. S. d. § 28 StGB angezeigt erscheint.

§ 3 „Besondere persönliche Merkmale“ i. S. v. § 14 StGB Ähnlich wie bei § 28 StGB ist auch für § 14 StGB die Definition der „besonderen persönliche Merkmale“ umstritten. Dabei entzündet sich der Streit vor allem in der Literatur nicht nur an der inhaltlichen Ausfüllung des Begriffs im Rahmen von § 14 StGB sondern bereits an der Vorfrage des Verhältnisses zu § 28 StGB.281

I. Abgrenzungsansätze nach der Rechtsprechung Die Rechtsprechung beschränkt sich bei einem Rückgriff auf § 14 StGB im Regelfall darauf, festzustellen, ob ein Umstand als ein besonderes persönliches Merkmal i. S. d. Vorschrift anzusehen ist.282 Inhaltliche Kriterien, nach denen 280 Dreher, JR 1970, 146 (147); zur Vernachlässigung des gesetzlichen Merkmals der „Besonderheit“ in Rechtsprechung und Schrifttum, vgl. auch: Geppert, ZStW 82 (1970), 40 (52 f.); Langer, in: FS Lange, 1976, S. 241 ff. (250). 281 Vgl. dazu bereits oben 2. Kap., § 1 II.

§ 3 „Besondere persönliche Merkmale‘‘ i. S. v. § 14 StGB

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sich dies beurteilen lässt, werden nicht genannt.283 Im Zuge der Aufgabe der Interessentheorie stellte der BGH allerdings fest, aus dem Normzweck der Schließung unerträglicher Strafbarkeitslücken ergebe sich, dass eine einschränkende Auslegung der Norm nicht geboten sei.284 Da der Entscheidung eine besondere insolvenzstrafrechtliche Fragestellung zugrunde lag, bleibt der Erkenntnisgewinn für eine allgemeingültige Konkretisierung der „besonderen persönlichen Merkmale“ i. S. v. § 14 StGB jedoch gering. Allerdings könnte die Rechtsprechungspraxis vor Einführung der Norm Aufschluss darüber geben, wie der Begriff zu verstehen ist. Die kriminalpolitische Problematik der Sonderdelikte rückte erstmals im Zuge der Entwicklung kapitalistischer Wirtschaftsstrukturen während der Gründerzeit in den Fokus der höchstrichterlichen Rechtsprechung. In der bereits genannten grundlegenden Entscheidung des preußischen Obertribunals traten die drohenden Strafbarkeitslücken bei einer rein am Wortlaut orientierten Auslegung der Sonderdelikte offen zu Tage.285 Auch in der Folgezeit behielt die Rechtsprechung ihre restriktive Linie bei und leitete aus der vom Gesetzgeber in Reaktion auf diese Entscheidung eingefügten Sondervorschrift des § 244 KO286 im Umkehrschluss ab, dass Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft nicht nach § 288 StGB strafbar seien, weil im Rahmen der Einzelzwangsvollstreckung eine dem § 244 KO entsprechende Norm gerade fehle.287 Die Strafbarkeitslücken, die sich zwischen den von einzelnen Sondervorschriften erfassten Täterkreisen vor allem des Nebenstrafrechts auftaten,288 wurden von der Rechtsprechung zunächst hingenommen.289 Erst später versuchte die Rechtsprechung diese Strafbarkeitslücken mithilfe der sog. Organhaftungstheorie zu schließen und gelangte in der Folgezeit zu einer sehr weitgehenden Organ- und Vertreterhaftung, insbesondere bei Delikten 282 Vgl. nur: BGHSt 31, 118 (122); BGHSt 40, 8 (19); BayObLG, NJW 1979, 2258 (2259). 283 Vgl. zuletzt zu § 283 StGB: BGH, NJW 2012, 2366 (2367). 284 BGH, NJW 2012, 2366 (2367); vgl. dazu auch die vorhergehende Anfrage des 3. Senats v. 15.09.2011, BGH, NZWiSt 2012, 62 ff. mit Anm. Brand und Valerius. 285 Entsch. d. Preuß. Obertribunals, GA 1875, 31: Die vereinigten Abteilungen der Senate für Strafsachen lehnten die Strafbarkeit des Vorstandsmitglieds einer in Konkurs geratenen eingetragenen Genossenschaft nach den §§ 281, 283 a. F. StGB (entspr. i.W. §§ 283, 283b StGB n. F.) mit einer rein am Wortlaut der Norm orientierten Auslegung ab, da das Vorstandsmitglied nicht „seine“ Zahlungen eingestellt hatte und auch nicht „sein“ Vermögensstand betroffen war. Tauglicher Täter des Bankrotts könne nach grammatischer Auslegung nur derjenige sein, der seine (scil. eigenen) Zahlungen eingestellt habe, GA 1875, 31 (45 f.). 286 (Urspr. § 214 der) Reichskonkursordnung vom 10.2.1877 (RGBl. I Nr. 10, S. 351). 287 RGSt 16, 121 (125). 288 Vgl. die Übersicht in der Begründung zum E 1962, S. 127 f. sowie Blauth, Handeln für einen anderen, 1968, S. 41 ff. 289 RGSt 49, 247; 60, 234; 63, 255; 69, 73; vgl. zur sog. „Lückentheorie“: LK-Schünemann, § 14, Rn. 2 und Fn. 12 m.w. N.

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2. Kap.: Abgrenzung tat- und täterbezogener Voraussetzungen

gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung.290 Parallel dazu hatte bereits das RG in Einzelfällen Bemühungen unternommen, im Wege einer „tatsächlichen“ oder „faktischen Betrachtungsweise“ den Tatbestand einiger Sonderdelikte so auszulegen, dass sie von vornherein auf das Handeln eines anderen erstreckt werden konnten.291 Die Entwicklung in der Rechtsprechung ist damit von dem Bestreben geprägt, Strafbarkeitslücken zu schließen. Wenn der BGH nun neuerdings ebenfalls den vom Gesetzgeber mit Einführung des § 14 StGB verfolgten Zweck einer Schließung kriminalpolitisch nicht erträglicher Strafbarkeitslücken betont, ist tendenziell von einer weiten Auslegung der besonderen persönlichen Merkmale i. S. v. § 14 StGB auszugehen.292 Dass mit dem Normzweck eine einschränkende Auslegung nicht vereinbar ist, stellt der BGH denn auch ausdrücklich fest. Die Formulierung, „insbesondere“ trage die Aufgabe der eine solche Einschränkung bewirkenden Interessentheorie dem Normzweck vermehrt Rechnung,293 lässt darauf schließen, dass die Rechtsprechung auch allgemein bei der Bestimmung der besonderen persönlichen Merkmale i. S. d. § 14 StGB einer eher weitgehenderen Auslegung zuneigen wird.

II. Abgrenzungsansätze nach der Literatur Ebenso wie bei § 28 StGB ist die Frage, was unter einem „besonderen persönlichen Merkmal“ i. S. d. § 14 StGB zu verstehen ist, umstritten. Weitgehende Einigkeit herrscht lediglich darin, die Begriffe in den jeweiligen Normen nicht einheitlich auslegen zu können.294 Die Literaturansätze unterscheiden sich vor allem im Hinblick auf die Gewichtung der einzelnen, die „Besonderheit“ der persönlichen Merkmale i. S. v. § 14 StGB begründenden, Aspekte. 1. Objektivität Besondere persönliche Merkmale i. S. v. § 14 StGB sind nach allgemeiner Ansicht zunächst solche, die den Täter objektiv charakterisieren.295 Dies kann sich 290 RGSt 44, 122 (125); 57, 190 (191); 72, 26 (28 f.); BayObLG, JW 1930, 1975; OLG Braunschweig, DVBl. 1953, 183; OLG Bremen, NJW 1955, 1163 gegen OLG Hamm, NJW 1955, 1162; BGHSt 8, 139 (143 f.); vgl. hierzu auch den Überblick bei LK-Schünemann, § 14, Rn. 3, Fn. 18. 291 RGSt 8, 269 für den Tatbestand des § 290 StGB; näher hierzu und zur Fortführung dieser Linie durch den BGH: LK-Schünemann, § 14, Rn. 3 und Fn. 19 jew. m.w. N. 292 BGH, NJW 2012, 2366 (2367). 293 BGH, NJW 2012, 2366 (2367); in der Entscheidung wurde die i. R. d. § 283 StGB zuvor vertretene, eine Einschränkung der Strafbarkeit bewirkende, „Interessentheorie“ ausdrücklich aufgegeben. 294 Blauth, Handeln für einen anderen, 1968, S. 109, 113; Gallas, ZStW 80 (1976), 1 (21 f.); Herzberg, ZStW 88 (1976), 68 (110); Lackner/Kühl, § 14, Rn. 9; NK-Marxen/ Böse, § 14, Rn. 23; SSW-Bosch, § 14, Rn. 4; S/S-Heine, § 14, Rn. 8; Valerius, Jura 2013, 15 (17).

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auch aus dem Sachzusammenhang ergeben und muss nicht unmittelbar aus dem Tatbestand folgen.296 Wesentliche Elemente des Sachzusammenhangs stellen insofern der Schutzzweck der Norm und das tatbestandlich geschützte Rechtsgut dar. Schünemann betont die Bedeutung der sozialen Beziehung zwischen dem Täter des Sonderdelikts und dem geschützten Rechtsgut als wesentliches materielles Zurechnungsprinzip zur Legitimation der Vertreterhaftung.297 Im Rahmen seiner Garantentheorie sieht er den Strafgrund in der tatsächlichen Übernahme einer Garantenstellung seitens des Vertreters.298 Die „besonderen persönlichen Merkmale“ umschreiben, seinem Ansatz zufolge, die „gesetzlich vertypte Obhutsherrschaft über das geschützte Rechtsgut bzw. die Aufsichtsherrschaft über eine dieses bedrohende Gefahrenquelle“.299 Die Bedeutung der Rechtsgutsbezogenheit als Abgrenzungskriterium hat auch Perron erkannt. Mit der unterschiedlichen Funktion der „besonderen persönlichen Merkmale“ in § 14 StGB und § 28 StGB begründet Perron, dass die Organ- und Vertreterhaftung dort nicht möglich sei, wo es um subjektiv täterschaftliche Merkmale gehe. Eine „Überwälzung“ solcher Merkmale, die ihrer Natur nach nicht auswechselbar sind, stehe einer Zurechnung von Merkmalen mit personalem Bezug entgegen.300 Sofern es auf die persönliche Erfüllung einer Pflicht ankommt, sei § 14 StGB nicht anwendbar. Hingegen könne eine durch objektiv täterschaftliche Merkmale gekennzeichnete Funktion gewöhnlich ohne Veränderung ihres Inhalts auch von einem anderen wahrgenommen werden.301 Jedoch unterfielen auch nicht sämtliche objektiv täterschaftliche Merkmale dem § 14 StGB. Vielmehr schieden solche aus, bei denen aufgrund einer unlösbar an eine Person gebundenen Funktion eine Vertretung nicht möglich ist und die daher einem anderen auch nicht zur Last gelegt werden können. Dies ist, Perron zufolge, immer dann der Fall, wenn zusätzlich zur Rechtsgutsverletzung ein weiterer personaler Unwert begründet wird.302 Die von § 14 StGB erfassten objektiv täterschaftlichen Merkmale geben sich demnach „zwar täterbezogen“. „In Wahrheit“ soll die darin enthaltene Beschreibung einer bestimmten sozialen Rolle ihres Trägers aber den Bereich abgrenzen, innerhalb dessen ein Rechtsgut geschützt werden soll.303 Die daraus resultierenden Sonderpflichten beruhen auf der Erwä295 BeckOK-Momsen, § 14, Rn. 26; Fischer, StGB, § 14, Rn. 2; ähnlich auch Lackner/Kühl, § 14, Rn. 10. 296 Fischer, StGB, § 14, Rn. 2. 297 LK-Schünemann, § 14, Rn. 12. 298 LK-Schünemann, § 14, Rn. 14 ff. 299 LK-Schünemann, § 14, Rn. 36. 300 S/S-Perron, § 14, Rn. 8. 301 S/S-Perron, § 14, Rn. 8. 302 S/S-Perron, § 14, Rn. 8 nennt hier beispielhaft die Beamteneigenschaft bei Amtsdelikten. 303 S/S-Perron, § 14, Rn. 8.

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2. Kap.: Abgrenzung tat- und täterbezogener Voraussetzungen

gung, dass das fragliche Rechtsgut überhaupt nur innerhalb einer besonderen sozialen Beziehung verletzt werden kann bzw. in einer solchen besonders gefährdet ist. Dabei handelt es sich dem Grunde nach um eine rein rechtsgutsbezogene Einschätzung.304 2. Übertragbarkeit Schon aus der amtlichen Überschrift der Norm, dem Anspruch das „Handeln für einen anderen“ zu erfassen,305 erschließt sich, dass die betreffenden Merkmale nicht bereits per se einer Wahrnehmung durch Vertreter entgegenstehen dürfen. Umstände, die eine bloße Strafmodifizierung oder einen Ausschluss der Strafbarkeit bewirken, fallen daher ebenso wenig in den Anwendungsbereich der Norm, wie subjektive Merkmale und höchstpersönliche, nicht auswechselbare Merkmale.306 Gleiches gilt für höchstpersönliche Merkmale des Normadressaten, die diesen in einer tatsächlichen, nicht auswechselbaren Lage beschreiben und einer gleichwertigen Repräsentation durch einen Extraneus nicht zugänglich sind.307 Mit dieser Abgrenzung umfasst § 14 StGB, Momsen zufolge, drei Kategorien besonderer persönlicher Merkmale. Neben Sonderpflichten, schließt der Anwendungsbereich Personengruppen ein, die aufgrund ihrer besonderen Beziehung zum geschützten Rechtsgut eine besondere Gefahr für dieses darstellen. Täterbeschreibungen, die auch Personenmehrheiten einbeziehen, für die Vertreter gleichwertig handeln können, sollen als dritte Kategorie ebenfalls erfasst sein.308 Nach Ansicht Herzbergs ergibt sich die von § 14 StGB geforderte Besonderheit der persönlichen Merkmale,309 anders als im Rahmen des § 28 StGB, nicht aus der Wertbezogenheit sondern aus der Wertneutralität desselben.310 Roxin grenzt die besonderen persönlichen Merkmale i. S. d. § 14 StGB danach ab, ob „eine durch den Tatbestand umschriebene Pflicht auch durch einen anderen als den dort Bezeichneten wahrgenommen werden kann“.311 Damit erhebt er 304

S/S-Perron, § 14, Rn. 8. Bzw. aus der nach Ansicht der Literatur besseren Charakterisierung als „Organund Vertreterhaftung“, ausf. zu dieser Begriffskritik: NK-Marxen/Böse, § 14, Rn. 4. 306 Vgl. Fischer, StGB, § 14, Rn. 2, wobei unter „subjektiven Merkmalen“ persönliche Umstände, auch vorübergehender Art, sowie den Täter charakterisierende Gesinnungsmerkmale zu verstehen sind, vgl. Fischer, StGB, § 28, Rn. 6; vgl. auch Valerius, Jura 2013, 15 (16). 307 Vgl. BeckOK-Momsen, § 14, Rn. 26. 308 BeckOK-Momsen, § 14, Rn. 26; eine vergleichbare Dreiteilung nimmt auch Kühl vor, Lackner/Kühl, § 14, Rn. 13 ff. 309 Als „persönliche“ Merkmale ordnet Herzberg solche ein, die der Täter nicht im Wege der Mittäterschaft oder mittelbaren Täterschaft verwirklichen kann, vgl. ZStW 88 (1976), S. 68 (80, 114). 310 Herzberg, ZStW 88 (1976), S. 68 (114). 311 LK-Roxin (10. Aufl.), § 14, Rn. 18. 305

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zur Abgrenzungsfrage, was von Fischer vorausgesetzt und mit der „objektiven Charakterisierung“ des Täters umschrieben wird.312 Sofern die Möglichkeit einer Wahrnehmung durch einen anderen prinzipiell bejaht werden kann und im konkreten Fall stattgefunden hat, überträgt § 14 StGB die strafrechtliche Verantwortung auf das handelnde Organ bzw. den Vertreter.313 3. Täterschaftliche Pflichtenlage Die Definition der besonderen persönlichen Merkmale i. S. d. § 14 StGB als „Statusmerkmale, welche Sonderrollen der wirtschaftlichen Tätigkeit umschreiben“,314 rückt den Aspekt der besonderen Verantwortlichkeit innerhalb eines gewissen Lebensbereichs in den Vordergrund. Mit dem Gedanken der Pflichtenteilhabe betont auch Radtke das Bestehen einer Sonderverantwortlichkeit verbunden mit der Zuordnung bestimmter Pflichten. Radtke spricht sich für eine am Strafgrund der Organ- und Vertreterhaftung orientierte Auslegung aus.315 Ein der Vorschrift unterfallendes besonderes persönliches Merkmal setzt zunächst die Vertretbarkeit der straftatbestandlich relevanten Pflicht voraus.316 Nach dem Gedanken der Pflichtenteilhabe sei dies gegeben, wenn die Erfüllung der Pflicht durch einen Vertreter dem Handeln des Vertretenen selbst materiell äquivalent ist.317 Mangels Übertragbarkeit der an eine bestimmte Person gebundenen Pflicht bzw. eines Merkmals scheiden eigenhändige Delikte ebenso wie subjektive täterschaftsbegründende Merkmale, die Motive, Einstellungen oder andere in der Psyche des Täters verwurzelte Umstände beschreiben, aus dem Anwendungsbereich des § 14 StGB aus.318 Für die von § 14 StGB grundsätzlich erfassten objektiv täterschaftsbegründenden Merkmale gilt eine Ausnahme dann, wenn die Pflicht an deren Verletzung der Tatbestand anknüpft und bei der es sich regelmäßig um eine außerstrafrechtliche handelt, nicht zulässigerweise übertragen werden kann bzw. sich die Verletzung dieser Pflicht durch einen Vertreter als nicht materiell äquivalent erweist.319 Auch die Parallelnorm zur Organ- und Vertreterhaftung im Ordnungswidrigkeitenrecht (§ 9 OWiG) grenzt den Anwendungsbereich mittels des Kriteriums 312

Fischer, StGB, § 14, Rn. 2. LK-Roxin (10. Aufl.), § 14, Rn. 18. 314 Vgl.: Achenbach/Ransiek-Achenbach, 1. Teil, 3, Rn. 7. 315 MüKo-Radtke, § 14, Rn. 11. 316 MüKo-Radtke, § 14, Rn. 50. 317 Blauth, Handeln für einen anderen, 1968, S. 84 ff., 92 ff., 109 ff.; Kawan, Die strafrechtliche Organ- und Vertreterhaftung, 1992, S. 167 ff.; KK-OWiG-Rogall, § 9 Rn. 34; MüKo-Radtke, § 14, Rn. 23 ff., 50. 318 MüKo-Radtke, § 14, Rn. 51 f. 319 MüKo-Radtke, § 14, Rn. 53, nennt hier die Beamteneigenschaft bei den Amtsdelikten als Beispiel. 313

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2. Kap.: Abgrenzung tat- und täterbezogener Voraussetzungen

der „besonderen persönlichen Merkmale“ ab. Das Begriffsverständnis des § 9 OWiG deckt sich, Rogall zufolge, insofern mit dem des § 14 StGB als auch hier eine personale Pflichten- oder Aufgabenlage umschrieben wird, die ebenso gut von einem Vertreter wahrgenommen werden kann und darf.320 Im Vordergrund steht nicht das persönliche Verhältnis zwischen Vertretenem und Vertreter, sondern eine sog. „vertretungsspezifische Pflichtenlage“ 321, die durch Merkmale charakterisiert wird, die nicht unlösbar an der Person des Vertretenen haften, sondern durch eine Beschreibung des Aufgaben- und Pflichtenkreises die tatbestandsmäßige Situation abbilden.322 Die so umschriebene Rolle bezeichnet Rogall insofern als „vertretbar“ 323 als ihre Wahrnehmung durch Dritte gegenüber einer Rollenerfüllung durch den Vertretenen selbst als rechtlich und gesellschaftlich gleichrangig bewertet werden kann.324 Maßgebliches normatives Kriterium ist die Frage, ob der Vertreter im Aufgaben- bzw. Pflichtenkreis des Vertretenen tätig werden darf, da er nur dann das gleiche tatbestandliche Unrecht wie der Vertretene realisiert, so dass eine Sanktionierung des Fehlverhaltens aus gesetzgeberischer Sicht geboten ist. Anderenfalls fehlt es an der „funktionalen Äquivalenz der Leistungserbringung“ durch den Vertreter.325 Dies sei der Fall, wenn die Rechtsordnung auf persönlicher Pflichtenerfüllung besteht, weil nur dadurch dem Normzweck angemessen Rechnung getragen wird, so insbesondere bei der Bekundung persönlichen Wissens oder wenn aufgrund einer besonderen Beziehung der Pflichterfüllung durch den primär Verpflichteten besondere Bedeutung zukommt. Es muss sich demnach um einen Pflichtenkreis handeln, der sowohl vom Vertretenen selbst ausgefüllt werden könnte als auch einer Wahrnehmung durch Vertreter offensteht.326 4. Resumee Abgesehen von den Unterschieden in der Betonung, finden sich in den Literaturmeinungen übereinstimmend Aspekte, denen für eine Definition der „besonderen persönlichen Merkmale“ i. S. v. § 14 StGB grundlegende Relevanz beigemessen wird. In Abgrenzung zu tatbezogenen Merkmalen muss es sich um die einer Person zugeordnete strafrechtliche Verantwortlichkeit handeln. Diese täter320

KK-OWiG-Rogall, § 9, Rn. 32. KK-OWiG-Rogall, § 9, Rn. 32. 322 KK-OWiG-Rogall, § 9, Rn. 34. 323 Vgl. Zur Kritik an diesem zivilrechtlich geprägten Verständnis der Pflichtigkeit: LK-Schünemann, § 14, Rn. 11: Aus der Grundkonzeption des Strafrechts Rechtsgüterschutz durch Generalprävention sicherzustellen folge, dass es sich stets um höchstpersönliche strafrechtliche Pflichten handelt und nicht um übertragbare, beitrittsfähige zivilrechtliche Pflichten. 324 KK-OWiG-Rogall, § 9, Rn. 34. 325 KK-OWiG-Rogall, § 9, Rn. 33. 326 KK-OWiG-Rogall, § 9, Rn. 33. 321

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schaftliche Pflichtenlage bestimmt sich allerdings, anders als bei § 28 StGB, anhand objektiver, rechtsgutsbezogener Kriterien. Subjektiv täterschaftliche Merkmale scheiden aus dem Anwendungsbereich mangels Übertragbarkeit aus. Die Objektivität, Übertragbarkeit und die Pflichtenstellung selbst stehen in engem Zusammenhang. Die Ansätze in der Literatur unterscheiden sich letztlich nur in Nuancen bzgl. der Gewichtung der einzelnen Kriterien. Während einige das Erfordernis der Übertragbarkeit stärker betonen, tendieren andere zu einer vermehrt am geschützten Rechtsgut orientierten Betrachtung oder richten den Fokus auf die Pflichtenstellung als solche. Eine trennscharfe Abgrenzung ist weder möglich noch erforderlich. Deutlich wird, dass sich die Täterbezogenheit i. S. v. § 14 StGB als objektiv täterschaftliche Pflichtenlage charakterisieren lässt.327 Die von § 14 StGB vorgenommene Untergliederung in persönliche Eigenschaften, Verhältnisse und Umstände läuft dagegen weitgehend leer.328 Da Eigenschaften nach allgemeinem Verständnis solche Merkmale erfassen, die dem Täter unlösbar anhaften, folgt daraus zugleich, dass sie nicht in Vertretung wahrgenommen werden, mithin nicht in den Anwendungsbereich von § 14 StGB fallen können.329 Relevant sind in erster Linie die unter dem Begriff der persönlichen Verhältnisse zusammengefassten, nach außen wirkenden Beziehungen zu Menschen, Dingen und Institutionen.330 Soweit Statusbezeichnungen mit vertretbaren Pflichten verknüpft sind, stellen sie eine Untergruppe der persönlichen Verhältnisse dar.331 Den persönlichen Umständen sind solche täterbezogenen Merkmale zuzuordnen, die nicht unter die beiden vorgenannten Gruppen fallen. Ihre Aufnahme in das Gesetz diente in erster Linie der Klarstellung, dass für die Klassifizierung als besonderes persönliches Merkmal die Dauerhaftigkeit seines Vorhandenseins in der Person des Täters nicht zwingend erforderlich ist.332 Täterpsychische Merkmale nur vorübergehender Art, wie zum Beispiel Motive oder Gesinnungen, sind einer Vertreterhaftung jedoch von vornherein nicht zugänglich.333

327 Vgl. zur ähnlichen Terminologie „objektiv täterschaftlicher Merkmale“ auch: MüKo-Radtke, § 14, Rn. 50; S/S-Perron, § 14, Rn. 8. 328 Vgl. LK-Schünemann, § 14, Rn. 40; S/S-Perron, § 14, Rn. 9 ff. 329 Gallas, ZStW 80 (1968), 1 (22 f.); LK-Schünemann, § 14, Rn. 40; MüKo-Radtke, § 14, Rn. 54; NK-Marxen/Böse, § 14, Rn. 24; S/S-Perron, § 14, Rn. 9. 330 LK-Schünemann, § 14, Rn. 40; MüKo-Radtke, § 14, Rn. 54; S/S-Perron, § 14, Rn. 10 f. 331 MüKo-Radtke, § 14, Rn. 54. 332 S/S-Perron, § 14, Rn. 12. 333 Nach Ansicht des BayObLG ist die Zahlungseinstellung bzw. Konkurseröffnung in §§ 283 ff. StGB ein solcher persönlicher Umstand, BayObLG, NJW 1969, 1495 (1496); diesbezüglich käme aber auch eine Subsumtion unter die „persönlichen Verhältnisse“ in Betracht, wie Perron anmerkt, S/S-Perron, § 14, Rn. 12, ebenso: LK-Schünemann, § 14, Rn. 40.

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2. Kap.: Abgrenzung tat- und täterbezogener Voraussetzungen

§ 4 Stellungnahme: § 14 StGB als maßgeblicher gesetzlicher Anknüpfungspunkt Die Begriffe der „Täter-“ bzw. „Tatbezogenheit“ treten nach dem Gesagten in den unterschiedlichsten Erscheinungsformen und Funktionen zu Tage. Das Gesetz selbst verwendet sie zwar nicht, jedoch haben Rechtsprechung und Literatur anknüpfend an die „besonderen persönlichen Merkmale“ i. S. v. § 14 Abs. 1 StGB bzw. § 28 StGB diese Begrifflichkeiten geprägt und ausgehend vom jeweiligen Normzweck mit unterschiedlichem Inhalt gefüllt. Soll die hier entwickelte Theorie auf eine Abgrenzung der täter- von den tatbezogenen Merkmalen der Strafbarkeit gestützt werden, bedarf es daher zunächst einer Bestimmung des gesetzlichen Ausgangspunktes. Die zu entscheidende Frage ist daher, ob für eine normativ angebundene Definition der täterbezogenen bzw. tatbezogenen Strafbarkeitsvoraussetzungen im hier zu untersuchenden Zusammenhang auf das Begriffsverständnis des § 14 StGB oder des § 28 StGB abzustellen ist.

I. Regelungsbereich Zunächst bietet sich eine Orientierung am Regelungsbereich der jeweiligen Norm an. Während § 28 StGB Fragen der Teilnahme bezüglich sämtlicher Deliktsarten regelt, betrifft § 14 StGB mit der Organ- und Vertreterhaftung bei Sonderdelikten in erster Linie das Nebenstrafrecht. Praktische Bedeutung entfaltet die Norm daher vor allem im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts, da hier kriminalpolitisch unerwünschte Strafbarkeitslücken aufgrund organisatorischer Besonderheiten besonders gehäuft auftreten.334 Vor dem Hintergrund komplexer wirtschaftlicher Abläufe, funktionaler Differenzierung und zunehmender Pflichtendelegation in Unternehmen, trägt § 14 StGB dem Bedürfnis nach einer strafrechtlichen Reaktion auf die Verteilung von Verantwortung innerhalb dieser Organisationen Rechnung.335 Für die Untersuchung der ebenfalls diesem Bereich entstammenden und ihn betreffenden Compliance-Regelungen in Bezug auf ihr Verhältnis zum Wirtschaftsstrafrecht bietet sich daher eine Orientierung am Begriffsverständnis des § 14 StGB an.

II. Normzweck Auch das dem Bedürfnis nach einer gesetzlichen Regelung zugrundeliegende Moment spricht für die Anknüpfung an § 14 StGB. Während § 28 StGB dem 334 § 14 Abs. 2 S. 3 StGB erstreckt die Haftung auch auf Beauftragte, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnehmen, wobei aus der Anordnung bloßer sinngemäßer Anwendung z. T. eine Beschränkung abgeleitet wird; vgl. hierzu: Fischer, StGB, § 14, Rn. 15 (engere Auslegung) und MüKo-Radtke, § 14, Rn. 112 (weitere Auslegung). 335 BeckOK-Momsen, § 14, Rn. 1.

§ 4 Stellungnahme: § 14 StGB

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Bestreben nach einer Abmilderung der Konsequenzen einer strengen Akzessorietät bei der Täter- und Teilnehmerhaftung im Interesse der Strafgerechtigkeit verpflichtet ist,336 ergibt sich § 14 StGB als kriminalpolitische Notwendigkeit aus der Geltung des Schuldprinzips im deutschen Strafrecht, das strafrechtliche Verantwortlichkeit nur in Bezug auf natürliche Personen kennt.337 Dieser Grundsatz in Verbindung mit einem durch Arbeitsteilung und Pflichtendelegation moderner Wirtschaftsordnungen bedingten Auseinanderfallen von Handlung und Verantwortung offenbaren ein kriminalpolitisches Defizit, dem zu begegnen der Gesetzgeber mit Einführung des § 14 StGB bezweckte.338 Neben dem Gesetzgeber haben auch die Unternehmen selbst die Problematik erkannt und mit der Schaffung eigener Verhaltensleitlinien reagiert. In ihrem Umfang über den von § 14 StGB erfassten Bereich bei weitem hinausgehend, sind Compliance-Vorschriften damit einer vergleichbaren Funktion verpflichtet. Arbeitsteilung und Dezentralisierung von Zuständigkeitsbereichen begünstigen Neutralisierungstendenzen, im Sinne einer verminderten normativen Ansprechbarkeit des Einzelnen und steigern damit das Risiko der Begehung von Straftaten durch Unternehmensangehörige. Den daraus resultierenden negativen Konsequenzen für das Unternehmen versuchen Compliance-Regelungen entgegenzuwirken. Sie liefern auf diesem Wege dem Strafrecht mögliche Anknüpfungspunkte für eine Erfassung potenzieller Täterpersonen und helfen ein weiteres Auseinanderdriften von Handlung und Verantwortung zumindest einzuschränken. Die vergleichbare Funktion von strafgesetzlichen wie selbstverpflichtenden Regelungen in Bezug auf die Individualisierung und Zurechenbarkeit von Verantwortung legt daher ebenfalls eine Orientierung am Begriffsverständnis des § 14 StGB nahe.

III. Kriminalpolitische Funktion Die in § 28 StGB getroffene Regelung basiert auf der Einschätzung, dass die allgemeinen Akzessorietätsregeln dort nicht ausreichen, wo es um Umstände geht, die zwar Unrecht und Schuld mitbestimmen, aber in erster Linie nicht die Tat als solche, sondern die Person des Täters beschreiben.339 Dagegen verfolgt § 14 StGB mit der Ausdehnung der Reichweite bestimmter Straftatbestände auf die Vertreter und Organe der eigentlichen Normadressaten eine, kriminalpolitisch betrachtet, gegenläufige Zielsetzung. Exkulpationsmöglichkeiten der Unternehmensleitung sollen eingeschränkt und einem „Verantwortungsvakuum“ 340 entge336

S/S-Heine, § 28, Rn. 1. BeckOK-Momsen, § 14, Rn. 1; Valerius, Jura 2013, 15 (16). 338 LK-Schünemann, § 14, Rn. 1; weiterführend zur Vertreterhaftung gem. § 14 StGB: Ceffinato, Legitimation und Grenzen der strafrechtlichen Vertreterhaftung nach § 14 StGB, 2012. 339 BeckOK-Kudlich, § 28, Rn. 1. 340 SSW-Bosch, § 14, Rn. 1. 337

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2. Kap.: Abgrenzung tat- und täterbezogener Voraussetzungen

gengewirkt werden. Momsen spricht in diesem Zusammenhang von einer „Flankierung des zivilrechtlichen Organisationsverschuldens“.341 Auch ComplianceRegelungen verfolgen den Zweck, Normübertretungen innerhalb arbeitsteilig organisierter Einheiten zu verhindern. Die Intention der regelungsgebenden Institution ist damit vergleichbar derjenigen, die den Gesetzgeber zur Kodifikation der Organ- und Vertreterhaftung in § 14 StGB bewogen hat. Neben der Erweiterung des Kreises der Normadressaten bewirkt § 14 StGB, Radtke zufolge, eine Anpassung des Normbefehls, im Sinne einer Anpassung des Regelungsgehalts der betroffenen Delikte an das dem Wortlaut nach nicht erfasste Handeln eines Organs oder Vertreters.342 Dieses Zusammenspiel zwischen gesetzlichem Tatbestand und Bestimmung möglicher Täterkreise findet seine Entsprechung in der Wirkungsweise von Compliance-Regelungen, die wenn auch nicht auf gesetzlicher Ebene, so doch auf tatsächlicher Ebene, den als Täter in Frage kommenden Personen konkretisierend Gestalt verleihen. Regelungsbereich, Normzweck und kriminalpolitische Funktion sprechen dafür, zum Zwecke der hier vorzunehmenden Untersuchung, § 14 StGB als Ausgangpunkt für die Abgrenzung tat- und täterbezogener Strafbarkeitsvoraussetzungen zu wählen.

§ 5 Abgrenzung täterbezogener Strafbarkeitsvoraussetzungen nach dem Begriffsverständnis des § 14 StGB I. Täterbezogene Strafbarkeitsvoraussetzungen nach § 14 StGB Als Schnittmenge der einzelnen Literaturauffassungen343 ergeben sich drei Grundvoraussetzungen des Begriffs der „besonderen persönlichen Merkmale“ i. S. v. § 14 StGB. Zunächst muss es sich um Sonderpflichten handeln, die aufgrund der besonderen Gefahr für das tatbestandlich geschützte Rechtsgut auferlegt werden. Dabei beschreibt § 14 StGB keine unlösbar an eine Person gebundene Pflicht, sondern vielmehr eine soziale Rolle, die den Bereich abgrenzt, innerhalb dessen ein Rechtsgut geschützt werden soll.344 Dies folgt aus der Annahme des Gesetzgebers, dass das fragliche Rechtsgut nur innerhalb dieses besonderen sozialen Bereichs verletzt oder gefährdet werden kann.345 Es handelt sich demnach um eine rechtsguts- und regelungsbereichsbezogene Einschätzung. Sie steckt den Bereich strafrechtlicher Verantwortung ab, innerhalb dessen dem 341

BeckOK-Momsen, § 14, Rn. 3. MüKo-Radtke, § 14, Rn. 5. 343 Mangels Benennung stichhaltiger Kriterien in der Kasuistik der Rechtsprechung erscheint eine konsistente Begriffsdefinition der „besonderen persönlichen Merkmale“ nur anhand der in der Literatur vertretenen Ansätze sinnvoll. 344 S/S-Perron, § 14, Rn. 8. 345 S/S-Perron, § 14, Rn. 8. 342

§ 5 Abgrenzung täterbezogener Strafbarkeitsvoraussetzungen

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Täter eine Pflicht zur Abwendung von Gefahren für strafrechtlich geschützte Rechtsgüter zugeordnet ist. Aus dieser abstrakt-generellen Anknüpfung an lediglich dem sozialen Bereich nach bestimmte Sachverhaltskonstellationen und einer Betrachtungsweise, die nicht an in der Person des Täters liegenden Umständen ansetzt, sondern am geschützten Rechtsgut, ergibt sich die Übertragbarkeit der Pflicht. Da über die Rechtsgutsverletzung hinaus kein zusätzlicher personaler Unwert begründet wird, ist eine Erfüllung der Pflicht durch einen Vertreter möglich und dem Handeln des Vertretenen materiell äquivalent.346 Die damit begründete Obhutsherrschaft über das geschützte Rechtsgut bzw. Aufsichtsherrschaft über eine dieses bedrohende Gefahrenquelle ist „gesetzlich vertypt“ 347 und verdeutlicht die abstrakte Herangehensweise bei der Begriffsdefinition. Mit dem Gedanken der Pflichtenteilhabe348 lässt sich damit die Generalität des Ansatzes, mit der Garantentheorie349 die Abstraktheit der „besonderen persönlichen Merkmale“ i. S. v. § 14 StGB erklären. In strafrechtliche Terminologie transformiert bedeutet abstrakt-generell letztlich nichts anderes als „objektiv“ und beschreibt das dritte wesentliche Element der „besonderen persönlichen Merkmale“ i. S. d. § 14 StGB. Die „Täterbezogenheit“ im Sinne des § 14 StGB stellt sich damit als „objektiv täterschaftliche Pflichtenlage“ dar. Objektiv, da an das tatbestandlich geschützte Rechtsgut anknüpfend, lässt sie sich dennoch als täterschaftlich charakterisieren, da sie einer Person zugeordnet ist und nicht lediglich Modalitäten der Tathandlung oder des Taterfolgs umschreibt. Anders als die „besonderen persönlichen Merkmale“ i. S. d. § 28 StGB, die auch höchstpersönliche, täterpsychische Tatbestandsvoraussetzungen umfassen, ist die Pflichtenlage nach § 14 StGB übertrag346 Diesem Ansatz liegt die sog. Pflichtentheorie zugrunde, die den Strafgrund der Organ- und Vertreterhaftung in dem Einrücken des Organs/Vertreters in die Pflichtenposition des Vertretenen sieht und in unterschiedlichen Ausprägungen vertreten wird: Von Ersatzvertretung spricht: LK-Roxin (10. Aufl.), § 14, Rn. 9; weitergeführt zum Gedanken der Pflichtenteilhabe: NK-Marxen/Böse, § 14, Rn. 15; vgl. dazu den Überblick bei MüKo-Radtke, § 14, Rn. 11 ff. 347 LK-Schünemann, § 14, Rn. 36, der im Rahmen der von ihm begründeten „Garantentheorie“ den Strafgrund der Vertreter- bzw. Organhaftung in der tatsächlichen Innehabung von Geschehensherrschaft sieht. 348 Der Strafgrund der Organ- und Vertreterhaftung liegt nach den Pflichtentheorien im Einrücken des Organs/Vertreters in die Pflichtenposition des Vertretenen. Die Theorie der Pflichtenteilhabe führt den Gedanken der Pflichtentheorien folgerichtig zu Ende, da die ursprüngliche Pflicht des Normadressaten bestehen bleibt. Der Anknüpfungspunkt liegt in der Person des Normadressaten, so dass damit die Generalität der Haftungsvoraussetzungen erklärt werden kann; vgl. dazu: NK-Marxen/Böse, § 14, Rn. 15 ff. 349 Anknüpfend an die tatsächliche Innehabung der Geschehensherrschaft stellt die von Schünemann entwickelte Garantentheorie auf die materiellen Gründe einer strafrechtlichen Organhaftung ab. Sie orientiert sich an den verschiedenen Sachverhaltskonstellationen und offenbart damit die Abstraktheit des Haftungsgrundes; vgl. zur Garantentheorie allgemein: Schünemann, Unternehmenskriminalität und Strafrecht, 1979, S. 131 ff.; 137 ff.; 172 ff.

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2. Kap.: Abgrenzung tat- und täterbezogener Voraussetzungen

bar und nicht unlösbar an eine Person gebunden. Begründet wird die Pflichtenlage dadurch, dass eine soziale Rolle umschrieben wird, innerhalb derer eine besondere strafrechtliche Verantwortlichkeit für ein Rechtsgut begründet werden kann.

II. Subjektiv täterschaftliche und tatbezogene Strafbarkeitsvoraussetzungen Neben den täterbezogenen Strafbarkeitsvoraussetzungen i. S. v. § 14 StGB gilt es zwei weitere Gruppen von Strafbarkeitsvoraussetzungen zu unterscheiden und die Möglichkeit ihrer Beeinflussung durch Compliance-Regelungen zu untersuchen. Dabei handelt es sich zum einen um subjektiv täterbezogene Merkmale, die zwar dem Anwendungsbereich des § 28 StGB unterfallen, aufgrund ihrer unlösbaren Bindung an eine Person aber einer Übertragung nicht zugänglich und somit nicht den täterbezogenen Merkmalen nach § 14 StGB zuzuordnen sind. Abzugrenzen sind diese zudem von den tatbezogenen Merkmalen, auf die unten noch näher einzugehen ist. Zu den subjektiv täterschaftlichen Merkmalen zählen rein subjektive, täterpsychische Merkmale wie Absichten, Motive und Gesinnungen. Anders als der Tatbestandsvorsatz beziehen sie sich nicht auf den äußeren Tatbestand, sondern treten als zusätzliche Elemente zum subjektiven Tatbestand hinzu.350 Da diese Merkmale in der Persönlichkeit des Täters verwurzelt sind, fehlt es an einer objektiven Pflichtenlage. Eine Beeinflussung durch Compliance-Programme wäre allenfalls durch deren moralisch-ethischen Bestandteile denkbar, die für die vorliegende Arbeit aber außer Betracht bleiben sollen. Daneben sind natürliche, personenspezifische Eigenschaften und Umstände, wie besondere Qualifikationen, die voluntativen Elemente des Tatbestandsvorsatzes und die persönliche Vorwerfbarkeit einer Sorgfaltspflichtverletzung den subjektiv täterschaftlichen Voraussetzungen ebenso zuzurechnen351 wie objektiv täterschaftliche Merkmale, die aufgrund ihrer funktionalen Bindung an eine Person unübertragbar sind.352 Subjektiv täterschaftliche Merkmale knüpfen an die in der Person des Täters liegenden Eigenschaften, Umstände und Verhältnisse an und nicht an das dem strafrechtlichen Schutz unterstellte Rechtsgut. Insofern fehlt es an der Objektivität als Merkmal der Täterbezogenheit nach dem oben herausgearbeiteten Begriffsverständnis. Wegen ihres strengen personalen Bezugs sind sie auch nicht auf Vertreter übertragbar. 350 Gesinnungen (z. B. in § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB), Absichten (z. B. § 253 Abs. 1 StGB) sowie Motive (z. B. § 211 Abs. 2 Gr. 1 und 3 StGB) gehören als selbständige Unrechts- oder Schuldmerkmale neben dem Vorsatz zum subjektiven Tatbestand, vgl. Lackner/Kühl, § 15, Rn. 8. 351 Vgl. Blauth, Handeln für einen anderen, 1968, S. 91. 352 Müller-Gugenberger/Bieneck-Schmid, § 30, Rn. 62 führt als Beispiel die Eigenschaft als Amtsträger an.

§ 5 Abgrenzung täterbezogener Strafbarkeitsvoraussetzungen

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Anders als das kognitive Element des subjektiven Tatbestandes stellt das voluntative Element, das den Willen zur Verwirklichung eines Straftatbestandes beschreibt,353 ein subjektiv täterbezogenes Merkmal dar. Unabhängig davon, ob man mit der h. L.354 der „Ernstnahmetheorie“ 355 folgt oder mit der ständigen Rechtsprechung356 für den ernsthaft für möglich gehaltenen Erfolgseintritt ein „Billigen im Rechtssinne“ fordert, stets beschreibt das Willenselement die persönliche Einstellung des Täters zur Tatbestandsverwirklichung. Die Willensseite des Vorsatzes legt nicht in allgemeingültiger Art und Weise strafrechtliche Verantwortungsbereiche fest, sondern bewertet deren Nichtbeachtung durch den Täter. Eine Übertragbarkeit kommt diesbezüglich ebenso wenig in Betracht wie im Hinblick auf die Begründung der Schuld beim Fahrlässigkeitsdelikt. Dazu muss dem Täter die Sorgfaltspflichtverletzung persönlich vorwerfbar und der tatbestandliche Erfolg subjektiv vorhersehbar sein.357 Dies hängt von der jeweiligen Person sowie von deren Sonderunwissen oder Sonderunfähigkeit ab, so dass auch hier eine individualisierende Betrachtungsweise erforderlich ist. Der personale Anknüpfungspunkt sowie das Fehlen einer straftatbestandlich umschriebenen Pflichtenlage lassen die subjektiv täterschaftlichen Merkmale aus dem Kreis der am Begriffsverständnis des § 14 StGB orientierten täterbezogenen Strafbarkeitsvoraussetzungen ausscheiden. Den tatbezogenen Merkmalen sind die Tathandlung, das Tatobjekt und der Taterfolg zuzurechnen. In Abgrenzung zu den täterbezogenen Strafbarkeitsvoraussetzungen sind hier auch die Grundbedingungen für eine Zurechnung strafrechtlicher Verantwortlichkeit zu verorten, wie die Kausalität zwischen Tathandlung und -erfolg und die objektive Zurechenbarkeit als deren normatives Korrektiv. Auch objektive Bedingungen der Strafbarkeit, das tatbestandsausschließende Einverständnis, die rechtfertigende Einwilligung sowie die objektiven Voraussetzungen der Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe sind als tatbezogene Merkmale einzuordnen.

III. Kenntnis täter- bzw. tatbezogener Strafbarkeitsvoraussetzungen und Unrechtsbewusstsein Neben die Voraussetzungen des objektiven Tatbestandes treten diejenigen des subjektiven Tatbestandes. Der Vorsatz des Täters muss sich auf diese beziehen. Im Rahmen des Vorsatzes lassen sich kognitive und voluntative Elemente unter353

BGHSt 19, 295 (298). Jescheck/Weigend, AT, § 29 III 3 a; Kühl, AT, § 5, Rn. 84 ff.; Roxin, AT/I, § 12, Rn. 21 ff.; SK-Rudolphi/Stein, § 16, Rn. 25 ff. 355 Begriff nach Jäger, AT, Rn. 81; vgl. dazu auch: Roxin, AT/I, § 12, Rn. 22, 34. 356 Vgl. nur BGH, NStZ 1992, 587; daneben auch Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 20, Rn. 53 f. 357 Vgl. Jäger, AT, Rn. 374. 354

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2. Kap.: Abgrenzung tat- und täterbezogener Voraussetzungen

scheiden. Die kognitive Seite beschreibt die Kenntnis des Täters von den Tatumständen und ihrem Bedeutungsgehalt. Der voluntative Aspekt erfasst den auf die Tatbestandsverwirklichung ausgerichteten Willen des Täters.358 Wie oben bereits festgestellt, handelt es sich bei der Willensseite des Vorsatzes um ein subjektiv täterbezogenes Merkmal. Die Wissensseite des Vorsatzes ist zwar ebenfalls nicht übertragbar, jedoch durch Vermittlung von Tatumstandskenntnis standardisierbar. Dieser objektivierende Faktor zusammen mit der auf den objektiven Tatbestand und damit auf das geschützte Rechtsgut bezogenen Zielrichtung lassen das kognitive Element des Vorsatzes in die Nähe der täterbezogenen Strafbarkeitsvoraussetzungen rücken. Dass Wissen eine besondere Verantwortung auch in strafrechtlicher Hinsicht begründen kann, ist ebenfalls anerkannt.359 Daher ist die Wissensseite des subjektiven Tatbestandes als den täterbezogenen Strafbarkeitsvoraussetzungen vergleichbar anzusehen und einer Beeinflussung durch Compliance-Regelungen grundsätzlich zugänglich. Entsprechendes gilt für das Unrechtsbewusstsein. Nach der Vorschrift des § 17 StGB ist darunter die Einsicht, Unrecht zu tun, zu verstehen. Fehlt sie und konnte der Täter den entsprechenden Irrtum nicht vermeiden, handelt er ohne Schuld. Auch wenn es sich dabei um einen Aspekt der Schuld handelt, der mit seinem spezifischen Personenbezug einer Übertragung nicht zugänglich ist, weist das Unrechtsbewusstsein doch eine der Wissensseite beim Tatbestandsvorsatz vergleichbare Möglichkeit standardisierender Einflussnahme auf. Als verstehendes Erkennen der Rechtswidrigkeit der Tat360 können Compliance-Regelungen auch hier durch Wissensvermittlung in Bezug auf rechtlich relevante Verletzungshandlungen wirksam werden.

IV. Strafzumessungsregeln Strafzumessungsregeln betreffen nicht die Voraussetzungen der Strafbarkeit, sondern erst ihre Folgen. Jedoch ist auch hier eine Differenzierung möglich, abhängig davon, ob sie sich auf die Tat oder den Täter beziehen. Die Strafzumessung orientiert sich im Wesentlichen an der Schwere der Tat und dem Grad der persönlichen Schuld des Täters, wobei unter letzterer das Maß des Vorwurfs zu verstehen ist, der dem Täter für das begangene Unrecht gemacht wird.361 Die Festlegung von Grenzwerten für besonders schwere Fälle oder Geringwertigkeit 358

Vgl. Jäger, AT, Rn. 63, 74 ff. So insb. i. R. d. mittelbaren Täterschaft kraft überlegenen Wissens, vgl. BGHSt 35, 347 (354); dazu: Wessels/Beulke, AT, Rn. 512; vgl. zu einer auf einen Wissensvorsprung bzw. die „Informationsmacht“ gestützten Garantenstellung i. S. d. § 13 StGB des Gewässerschutzbeauftragten: Böse, NStZ 2003, 636 (640 m.w. N.); eine Garantenstellung des Compliance-Officers aufgrund eines Informationsvorsprungs bejahend: Rönnau/Schneider, ZIP 2010, 53 (58); krit. hierzu: Warneke, NStZ 2010, 312 (316). 360 Fischer, StGB, § 17, Rn. 2. 361 Fischer, StGB, § 46, Rn. 5. 359

§ 6 Strafbarkeitsbegründung durch § 14 StGB

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betreffen den Taterfolg, das Tatobjekt oder die Tathandlung und konkretisieren damit tatbezogene Strafbarkeitsvoraussetzungen näher. Die in § 46 Abs. 2 StGB genannten Strafzumessungstatsachen beschreiben hingegen täterbezogene Merkmale. Auch wenn viele der genannten Umstände als in der Person des individuellen Täters liegend und somit subjektiv täterschaftliche Merkmale nicht dem hier vertretenen Begriff der Täterbezogenheit entsprechen, so weist doch zumindest das Maß der Pflichtwidrigkeit, wie es in § 46 Abs. 2 StGB aufgeführt wird, ein objektivierendes Element auf. Sofern es sich um eine übertragbare Pflichtenstellung handelt, deren Verletzung bei der jeweiligen Strafzumessung in Relation zu Vergleichsfällen gesetzt wird, lässt sich diese Strafzumessungstatsache als täterbezogen i. w. S. charakterisieren.

§ 6 Strafbarkeitsbegründung durch § 14 StGB und Strafbarkeitsbegründung durch Compliance-Regelungen Bei allen Gemeinsamkeiten, die für einen Rekurs auf das dem § 14 StGB zugrundeliegende Begriffsverständnis sprechen, ist zunächst klärungsbedürftig, ob § 14 StGB einer strafbarkeitsbegründenden Wirkung von Compliance-Vorschriften von vornherein entgegensteht.

I. Personaler Anwendungsbereich Im Hinblick auf den personalen Anwendungsbereich ist die Bedeutung von § 14 StGB auf einen Ausschnitt relevanten Organ- bzw. Vertreterhandelns begrenzt, indem eine Vertreterhaftung lediglich für Personen auf der Leitungsebene von Unternehmen statuiert wird.362 § 14 StGB erfasst seinem Wortlaut nach vertretungsberechtigte Organe einer juristischen Person oder Mitglieder eines solchen Organs, vertretungsberechtigte Gesellschafter einer rechtsfähigen Personengesellschaft sowie gesetzliche Vertreter. Nach Abs. 3 kommt es nicht auf die Rechtswirksamkeit einer die Vertretungsbefugnis oder das Auftragsverhältnis begründenden Rechtshandlung an, so dass insbesondere auch der sog. faktische Geschäftsführer einer GmbH erfasst ist.363 Abs. 2 erweitert den Kreis tauglicher Täter um Beauftragte in Betrieben und Unternehmen, die entweder von einem Berechtigten beauftragt sind, den Betrieb ganz oder zum Teil zu leiten oder ausdrücklich beauftragt sind, in eigener Verantwortung Aufgaben, die dem Inhaber des Betriebs obliegen, wahrzunehmen. Dies schließt gewillkürte Vertreter364 und 362 MüKo-Radtke, § 14, Rn. 3; zum eingeschränkten Anwendungsbereich des § 14 StGB vgl. auch Valerius, Jura 2013, 15 (16). 363 Vgl. zur Anwendung von § 14 StGB auf den „faktischen Geschäftsführer“ einer GmbH: BGHSt 3, 32 (37); entsprechend für ein „faktisches Mitglied des Vorstands einer AG“: BGH, NJW 1966, 2225. 364 Fischer, StGB, § 14, Rn. 7.

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2. Kap.: Abgrenzung tat- und täterbezogener Voraussetzungen

gem. § 14 Abs. 2 S. 3 StGB Beauftragte, die für eine Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnehmende Stelle handeln, ein. Compliance-Vorschriften betreffen grundsätzlich sämtliche Mitarbeiter eines Unternehmens. Eine Differenzierung hinsichtlich der Intensität und der sachlichen Reichweite ihrer Geltung ergibt sich aus der vertikalen und horizontalen Aufgaben- und Verantwortungsverteilung innerhalb des Unternehmens. Aufgrund der Existenz spezifischer gesetzlicher Vorschriften zur Vertreter- und Organhaftung sowie zu besonderen Betriebsbeauftragten könnte ihre Bedeutung für die gesetzlich erfassten Positionen eingeschränkt sein. Sofern es sich um Personen handelt, die von vornherein nicht dem Anwendungsbereich des § 14 StGB unterfallen, zu denken wäre hierbei insbesondere an Mitarbeiter ohne Vertretungs- oder Leitungsbefugnis sowie an die Compliance-Beauftragten, ist eine derartige Beschränkung nicht anzunehmen. Aber auch bei potenziell von § 14 StGB erfassten Personengruppen steht die gesetzliche Regelung der Geltung von Compliance-Regelungen nicht entgegen. Compliance-Regelungen tangieren als privat gesetzte und selbstverpflichtend anerkannte Vorschriften nicht den Geltungsbereich von gesetzlichen Normen. Eine Modifikation der tatsächlichen Voraussetzungen mag zwar zu anderen Subsumtionsergebnissen führen. Dies bedeutet aber keine dem Willen des Gesetzgebers zuwiderlaufende Ausdehnung der Garantenhaftung. Da lediglich modifiziert wird, was unter den gesetzlichen Tatbestand zu subsumieren ist, bedarf es auch keiner Abgrenzung der Anwendungsbereiche in personaler Hinsicht. Compliance-Regelungen entfalten ihre Wirkung unabhängig davon, ob für die Begründung von Strafbarkeit ein Rückgriff auf § 14 StGB erforderlich ist oder es dieser Zurechnungsnorm nicht bedarf.

II. Sachlicher Anwendungsbereich Die Vorschrift des § 14 StGB ist in ihrem sachlichen Anwendungsbereich auf solche Delikte beschränkt, die für natürliche oder juristische Personen Sonderpflichten begründen.365 Die Bestimmung des Anwendungsbereiches von § 14 StGB erfolgt nach überwiegender Auffassung in drei Schritten. Auf der ersten Stufe ist zu fragen, ob es sich um ein Sonderdelikt handelt, das einer Transformation für die Organ- und Vertreterhaftung zugänglich ist.366 Das ist der Fall, wenn der Tatbestand zur Festlegung des Täterkreises Statusbezeichnungen enthält oder sich aus dem Sachzusammenhang bzw. der Normstruktur367 ergibt, dass die Tä365 Lackner/Kühl, § 14, Rn. 1; Schlüchter, in: FS Salger, 1995, S. 139 ff. (143); SSWBosch, § 14, Rn. 1; Winkemann, Probleme der Fahrlässigkeit im Umweltstrafrecht, 1991, S. 143. 366 Vgl. MüKo-Radtke, § 14, Rn. 35. 367 So folgt beispielsweise aus der inhaltlichen Ausgestaltung des § 288 StGB, dass nur der Schuldner in der Einzelzwangsvollstreckung tauglicher Täter sein kann, ohne dass dieser explizit genannt wird.

§ 6 Strafbarkeitsbegründung durch § 14 StGB

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terstellung über die Tathandlung hinaus eine besondere Position oder Funktion verlangt.368 Einer Ausweitung des tatbestandlichen Anwendungsbereichs bzw. Anpassung des Normbefehls369 durch § 14 StGB ist der Tatbestand zugänglich, wenn die außerstrafrechtlich begründete und in der Statusbezeichnung umschriebene Pflicht durch einen Vertreter gleichwertig erfüllt werden kann.370 Wird der Täterkreis mithilfe von Tätigkeiten oder Funktionen umschrieben, so ist die Abgrenzung umstritten.371 Die Kasuistik der Rechtsprechung lässt in diesem Bereich kein einheitliches Abgrenzungskriterium erkennen.372 In der Literatur wird als Leitlinie zur Abgrenzung vorgeschlagen, immer dann ein Allgemeindelikt anzunehmen, mit der Folge, dass ein Rekurs auf § 14 StGB ausgeschlossen ist, wenn der Wortlaut des Tatbestands über die Funktions- und Tätigkeitsbeschreibung den Rechtsgutsbezug des Verhaltens herstellt. Das geschützte Rechtsgut muss allein durch die Ausübung der genannten Funktion verletzt werden können, unabhängig davon, ob der Täter für sich oder einen anderen handelt und ohne dass es dazu einer besonderen Statuseigenschaft bedarf.373 Im zweiten Schritt wird untersucht, ob die Tätereigenschaft bereits auf der Tatbestandsebene speziell und abschließend geregelt wird.374 Sofern dies nicht der Fall ist, schließt die Frage, ob die Vertreterhaftung nach § 14 StGB eingreift, die Prüfung ab.375 Auf der zweiten Stufe sind solche Tatbestände auszugrenzen, die eine gegenüber der allgemeinen Norm des § 14 StGB spezielle Regelung zur Täterstellung enthalten. Dies sind zum einen der Großteil der unechten Unterlassungsdelikte sowie der Untreuetatbestand.376 Zum anderen fallen die von Schüne-

368

Vgl. BeckOK-Momsen, § 14, Rn. 13; LK-Schünemann, § 14, Rn. 20. Darin liegt nach überwiegender Ansicht die Funktion der Norm, vgl. nur: Kawan, Die strafrechtliche Organ- und Vertreterhaftung, 1992, S. 126 ff.; Lackner/Kühl, § 14, Rn. 1; NK-Marxen/Böse, § 14, Rn. 2, 5; MüKo-Radtke, § 14, Rn. 1. 370 MüKo-Radtke, § 14, Rn. 50, spricht von einer „materiell äquivalenten“ Erfüllung der jeweiligen Pflicht des Vertretenen durch den Vertreter; vgl. für die Parallelnorm des § 9 OWiG auch: KK-OWiG-Rogall, § 9, Rn. 34; sowie o. Fn. 317. 371 LK-Schünemann, § 14, Rn. 21; SSW-Bosch, § 14, Rn. 1; NK-Marxen, § 14, Rn. 20 f., meldet bzgl. der verschiedentlich vorgenommenen Umdeutung von Handlungsmerkmalen in Tätermerkmale Bedenken methodischer Art an; vielmehr sei die Reichweite des Ausgangstatbestands sorgfältig zu bestimmen und gegebenenfalls eine analoge Anwendung des § 14 StGB zugunsten des Täters vorzunehmen. 372 MüKo-Radtke, § 14, Rn. 38. 373 S/S-Perron, § 14, Rn. 5 unter Bezugnahme auf Bruns, GA 1982, 1 (23 f.). 374 Dabei ist im Einzelnen umstritten, welche Tatbestandsmerkmale aufgrund ihrer funktionalen Ausrichtung das Vertreter- bzw. Substitutenhandeln unmittelbar erfassen und einen Rückgriff auf § 14 StGB entbehrlich machen, BeckOK-Momsen, § 14, Rn. 12 ff.; SSW-Bosch, § 14, Rn. 1. 375 Vgl. zu dieser dreistufigen Prüfung: LK-Schünemann, § 14, Rn. 19; MüKoRadtke, § 14, Rn. 33. 376 Vgl. LK-Schünemann, § 14, Rn. 22, 25; MüKo-Radtke, § 14, Rn. 41; S/S-Perron, § 14, Rn. 5 f. 369

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2. Kap.: Abgrenzung tat- und täterbezogener Voraussetzungen

mann als „Organisationsdelikte“ bezeichneten Strafnormen in diese Kategorie.377 Letztere beschreiben eine „betriebliche Tätigkeit“, die nur von demjenigen in strafbarkeitsbegründender Weise ausgeübt werden kann, der die „faktische Entscheidungsmacht“ über das tatbestandliche „Ensemble betrieblicher Abläufe“ innehat.378 Auch wenn § 14 StGB für das gesamte Strafrecht gilt, kommt der Vorschrift im Nebenstrafrecht besondere Bedeutung zu.379 Der sachliche Anwendungsbereich ergibt sich zum einen aus dem Wortlaut, der das Vorliegen „besonderer persönlicher Merkmale“ fordert.380 Zum anderen zeigt die Konzeption der Norm, dass es sich um Organ- oder Vertreterhandeln in Erfüllung vertretbarer Pflichten des Vertretenen handeln muss.381 Allgemeindelikte und Mitarbeiter unterhalb der Leitungsgremien werden in aller Regel nicht erfasst. Hinzukommt, dass § 14 StGB auf sämtliche Allgemeindelikte sowie deren Verwirklichung als unechte Unterlassungsdelikte382 und den Untreuetatbestand383 nicht anwendbar ist, da deren Tatbestand den Vertreter unmittelbar erfasst. Bei diesen Tatbeständen, besteht demnach keine Gefahr einer Kollision mit einer etwaigen gesetzgeberisch intendierten Beschränkung der Organ- und Vertreterhaftung. Sofern man bei Compliance-Regelungen von einem Anwendungsbereich sprechen kann,384 ist dieser in Bezug auf sachliche Aspekte auf die interne und nach außen gerichtete Unternehmenstätigkeit beschränkt. Der Beschränkung des § 14 StGB im rechtlichen Anwendungsbereich steht damit eine Begrenzung im tatsächlichen Bereich gegenüber. Diese ergänzen sich insofern, als die tatsächlichen Voraussetzungen lediglich den Anknüpfungspunkt für den gesetzlichen Anwendungsbereich liefern, wie oben bereits ausgeführt wurde. Eine Gestaltung der faktischen Gegebenheiten durch Compliance-Regelungen wirkt sich damit auf letzteren zwar aus, jedoch steht die Normierung der Organ- und Vertreterhaftung in § 14 StGB weder der Aufstellung von Compliance-Regelungen noch der Anerkennung ihrer Einflussnahmemöglichkeit auf die gesetzlichen Vorgaben entgegen. Compliance-Regelungen entfalten für die von § 14 StGB erfassten Sonderdelikte gleichermaßen Wirkung wie für die nicht erfassten Allgemein- und Organisationsdelikte.

377

LK-Schünemann, § 14, Rn. 31. LK-Schünemann, § 14, Rn. 30. 379 SSW-Bosch, § 14, Rn. 1. 380 NK-Marxen, § 14, Rn. 23. 381 MüKo-Radtke, § 14, Rn. 3; Valerius, Jura 2013, 15 (16). 382 NK-Marxen/Böse, § 14, Rn. 27; S/S-Perron, § 14, Rn. 6. 383 LK-Schünemann, § 14, Rn. 31. 384 Der Begriff ist hier untechnisch zu verstehen, im Sinne der Entfaltung tatsächlicher Wirksamkeit. 378

§ 6 Strafbarkeitsbegründung durch § 14 StGB

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III. Wirkungsweise § 14 StGB entfaltet tatbestandsergänzende Wirkung,385 indem der Kreis tauglicher Täter bestimmter Straftatbestände über die eigentlichen Normadressaten hinaus auf stellvertretend handelnde Personen ausgedehnt wird, deren Verhalten wegen der spezifischen Anforderungen des Tatbestandes anderenfalls nicht erfasst werden könnte.386 Dies wird durch eine Anpassung des Normbefehls,387 im Wege einer Modifikation der täterbeschreibenden Voraussetzungen, erreicht.388 Die Vorschrift nimmt damit unmittelbar Einfluss auf den gesetzlichen Tatbestand, indem sie seinen Anwendungsbereich auf die genannten Organe und Vertreter erstreckt. Eine derartige Einflussnahme ist Compliance-Regelungen als Erscheinungsformen des Soft Law naturgemäß versagt. Die fehlende demokratische und rechtstaatliche Legitimation steht aber einer Gestaltung der tatsächlichen Verhältnisse nicht entgegen. Mit der Abgrenzung von Zuständigkeits- und Aufgabenbereichen geht eine Bestimmung des dem Einzelnen obliegenden Verantwortungsbereiches einher. Diese Verantwortung erschöpft sich nicht im zivilrechtlichen Bereich, sondern vermag auch strafrechtliche zu begründen, wenn dadurch die Voraussetzungen bestimmter Tatbestandsmerkmale erfüllt werden. Neben der Individualisierung bewirken Compliance-Regelungen eine Standardisierung im Hinblick auf Sorgfaltspflichten, Wissen und Unrechtsbewusstsein. Während § 14 StGB den Anwendungsbereich bestimmter Straftatbestände in gesetzlicher Hinsicht und mithilfe normativer Mittel erweitert, verhelfen Compliance-Regelungen ihnen durch Gestaltung der darunter zu subsumierenden tatsächlichen Umstände zur Durchsetzung. Schließt man sich der Ansicht Schünemanns an, so setzen Compliance-Regelungen fort, was in der Norm des § 14 StGB bereits angelegt ist. Schünemann sieht in der gesetzlichen Kodifikation des Handelns für einen anderen keine künstliche Erweiterung des Adressatenkreises des jeweiligen Tatbestandes, sondern eine Maßnahme, die dem Rechtsgüterschutz in der modernen arbeitsteiligen Gesellschaft auch rechtstatsächlich Geltung verschafft.389 Probleme des Rechtsgüterschutzes und der Prävention im wirtschaftsstrafrechtlichen Bereich haben den Gesetzgeber zur Schaffung des § 14 StGB bewogen und die Unternehmen

385

SSW-Bosch, § 14, Rn. 1. SSW-Bosch, § 14, Rn. 1. 387 MüKo-Radtke, § 14, Rn. 5 (str.); Schünemann sieht in § 14 StGB keine künstliche Erweiterung des Adressatenkreises der Verbotsnorm, sondern eine sachlogische Verwirklichung des Rechtsgüterschutzes in der modernen arbeitsteiligen Wirtschaftswelt, LK-Schünemann, § 14, Rn. 1. 388 Vgl. MüKo-Radtke, § 14, Rn. 7. 389 Vgl. LK-Schünemann, § 14, Rn. 1. 386

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2. Kap.: Abgrenzung tat- und täterbezogener Voraussetzungen

zur Einrichtung von Compliance-Programmen veranlasst. Compliance-Regelungen ergänzen und verstärken demzufolge die Wirkungsweise von § 14 StGB.

IV. Resumee Wesentliches Charakteristikum und notwendige Voraussetzung des modernen Wirtschaftslebens ist eine arbeitsteilige Organisationsstruktur. Die dadurch bewirkte Optimierung von Herstellungsprozessen und Effizienz von Arbeitsabläufen darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass mit dieser Entwicklung negative Begleiterscheinungen für die Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität einhergehen, die unter dem Begriff der organisierten Unverantwortlichkeit zusammengefasst werden.390 Die Trennung von formaler Pflichtenstellung und tatsächlicher Aufgabenwahrnehmung lässt Verantwortung und Handlung auseinanderdriften. Dem dadurch bewirkten Risiko, dass sich die rechtlich verantwortlichen, aber nicht selbst handelnden Personen, einer kriminalpolitisch gebotenen Haftung entziehen können, soll § 14 StGB mit der Normierung einer Organ- bzw. Vertreterhaftung entgegenwirken.391 Nach der Intention des Gesetzgebers besteht ein wesentlicher Zweck des § 14 StGB darin, Strafbarkeitslücken zu schließen, die sich daraus ergeben, dass deliktsunfähige Rechtssubjekte in den Kreis derer fallen, deren normative Ansprache der Gesetzgeber mit der Schaffung des jeweiligen Tatbestandes verfolgte.392 Doch nicht nur im Rahmen dieser Sonderdeliktstatbestände mit Statusbezeichnung werden die Defizite offensichtlich. Auch bei anderen Delikten führt die Geltung des Schuldprinzips im Zusammenspiel mit den Strukturen großer Wirtschaftsunternehmen zu häufig als unbefriedigend empfundenen Ergebnissen. Den rechtlich-definitorischen Schwierigkeiten bei Delikten mit Statusbezeichnungen stehen die tatsächlichen Probleme einer Täterbenennung und -erfassung bei Sonder- wie Allgemeindelikten gegenüber. Die Frage, wer gehandelt hat und strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden kann, wirft in beiden Konstellationen zum Teil erhebliche Probleme auf. Compliance-Vorschriften schreiben Zuständigkeits- und Verantwortungsbereiche fest und treten damit der beschriebenen Divergenz von tatsächlichem Handeln und rechtlicher Verantwortung entgegen. Daraus folgt zum einen, dass Compliance-Regelungen der Problematik auf einer dem § 14 StGB vorgelagerten Stufe begegnen, indem sie bereits im tatsächlichen Bereich und nicht erst in der an diesem anknüpfenden gesetzlichen Normierung eine Verbindung schaffen. 390 U. a. SSW-Bosch, § 14, Rn. 2; Bosch, Organisationsverschulden in Unternehmen, 2002, S. 13 ff. 391 Vgl. dazu LK-Schünemann, § 14, Rn. 1; SK-Hoyer, § 14, Rn. 5; SSW-Bosch, § 14, Rn. 2. 392 Vgl. dazu LK-Schünemann, § 14, Rn. 1; S/S-Perron, § 14, Rn. 1; jew. m.w. N.

§ 6 Strafbarkeitsbegründung durch § 14 StGB

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Einer Gestaltung der tatsächlichen Ausgangslage steht die Existenz einer Norm, die an das Vorliegen des entsprechenden Sachverhalts bestimmte Rechtsfolgen knüpft, grundsätzlich nicht entgegen. Anders wäre dies nur dann, wenn der Normbefehl eine entsprechende Gestaltung verbietet. Dies ist hier nicht der Fall, da ein Verbot zur Implementierung von Compliance-Regelungen nicht besteht. Compliance-Vorschriften sollen gerade dazu dienen, den Befehl der Norm durch Einwirkung auf ihre Adressaten umzusetzen. Einer Abgrenzung des Anwendungsbereichs von § 14 StGB nach den erfassten Deliktsarten bedarf es nach obigen Ausführungen ebenso wenig, wie einer Abgrenzung nach den jeweils erfassten Personengruppen. Compliance-Regelungen und die Organ- und Vertreterhaftung nach § 14 StGB stehen nach alldem nicht in einem konträren sondern in einem komplementären Verhältnis. Während § 14 StGB gesetzestechnischen Restriktionen des Anwendungsbereichs von Straftatbeständen Abhilfe schaffen soll, wirken ComplianceRegelungen tatsächlichen Restriktionen entgegen.

3. Kapitel

Strafbarkeitsbegründende Wirkung bei täterbezogenen Voraussetzungen der Strafbarkeit – Strafbarkeitskonkretisierende Wirkung bei tatbezogenen Voraussetzungen der Strafbarkeit § 1 Widersprüchlichkeit der bisherigen Diskussion angesichts der Funktionsweise der Kriminalprävention In der strafrechtlichen Diskussion über Bedeutung, Wirkung und Funktion von Compliance steht der Aspekt der Kriminalprävention im Vordergrund. Eine strafbarkeitsbegründende Wirkung von Compliance-Regelungen wurde bislang allenfalls symptomatisch anhand einzelner gerichtlicher Entscheidungen untersucht, insbesondere anlässlich des denkwürdigen Obiter Dictum des BGH in Bezug auf die Garantenstellung des Compliance-Beauftragten 393 oder im Hinblick auf die Begründung von Vermögensbetreuungspflichten im Rahmen des Untreuetatbestands.394 Nur wenige Autoren machten sich in der Vergangenheit die Mühe, vertieft in die Thematik der Strafbarkeitsbegründung durch Compliance-Regelungen einzusteigen und umfassendere Überlegungen dazu anzustellen.395 Dabei mangelt es nicht an Urteilen auch höchstrichterlichen Ursprungs, die eine grundlegende Untersuchung der strafbarkeitsbegründenden Wirkung von ComplianceRegelungen nahelegen.396 Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der wachsenden

393 Vgl. dazu, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, da das Urteil eine wahre Flut an Anmerkungen und Besprechungen ausgelöst hat: Berndt, StV 2009, 687 (689 ff.); Kraft/Winkler, CCZ 2009, 29; Mosbacher/Dierlamm, NStZ 2010, 268; Ransiek, AG 2010, 147; Rübenstahl, NZG 2009, 1341; Warneke, NStZ 2010, 312. 394 BGH, NStZ 2010, 700: Untreue durch Bildung schwarzer Kassen; LG Braunschweig, CCZ 2008, 32: Untreue durch Zahlung gesetzlich nicht vorgesehener Vergütung an Betriebsratsmitglieder. 395 Hierzu zählen insb. Kuhlen, in: Maschmann (Hrsg.), Corporate Compliance und Arbeitsrecht, 2009, S. 11 ff.; Rotsch, ZIS 2010, 614; Sieber, in: FS Tiedemann, 2008, S. 449 ff. (468 ff.); Theile, ZIS 2008, 406; Wessing, in: FS Volk, 2009, S. 867 ff. 396 Vgl. nur: BGH, NStZ 2009, 686: zur Strafbarkeit des Compliance-Officers; BGH, NStZ 2010, 700: Untreue durch Bildung schwarzer Kassen; LG Darmstadt, CCZ 2008, 37 (nicht rechtskräftig): Untreue durch Verstoß gegen unternehmensinterne Compliance-Regelungen als Verletzung der von § 93 Abs. 1 AktG geforderten Sorgfaltspflicht; nachf.: BGH, NStZ 2009, 95; LG Braunschweig, CCZ 2008, 32: Untreue durch Zahlung gesetzlich nicht vorgesehener Vergütung an Betriebsratsmitglieder.

§ 1 Widersprüchlichkeit der bisherigen Diskussion

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Beliebtheit von Compliance-Konzepten in nahezu allen Wirtschaftsbranchen und der großen Aufmerksamkeit, die das Thema Compliance auf juristischen wie wirtschaftlichen Fachtagungen erfährt, erscheint eine systematische Untersuchung und Evaluierung auch der strafrechtlichen Risiken mehr als überfällig. Die Betrachtung allein auf die von ihren Verfassern bezweckte Prävention von Wirtschaftskriminalität zu beschränken, wäre zu kurz gegriffen. Die Aussage, Compliance in Wirtschaftsunternehmen beschränke sich auf organisatorische Maßnahmen, damit natürliche wie juristische Personen die für sie geltenden Regeln und Gesetze einhalten, füge aber diesen Vorschriften keine neuen hinzu,397 kann in dieser Pauschalität jedenfalls nicht überzeugen. Richtig ist, dass Compliance-Regelungen als Soft Law schon aufgrund verfassungsrechtlicher Vorgaben nicht selbst neue Ge- und Verbote begründen können.398 Dieser Ausschluss strafbarkeitsbegründender Wirkung betrifft aber nur den Bereich tatbezogener Strafbarkeitsvoraussetzungen, nicht aber den der täterbezogenen und macht zugleich deutlich, dass es hier einer differenzierteren Betrachtung bedarf. In dem Umstand, dass aus unternehmensinternen Compliance-Regelungen, deren Zielsetzung die Verhinderung von Rechtsverletzungen ist und die damit ein Mittel der Prävention darstellen, Pflichten erwachsen sollen, deren Verletzung ihrerseits strafrechtlich zu ahnden ist, glauben einige ein Paradoxon ausgemacht zu haben.399 Dass Kriminalprävention und Strafbarkeitsbegründung sich nicht ausschließen, sondern vielmehr Hand in Hand gehen, ergibt sich indes schon aus dem Strafzweck und wird veranschaulicht durch den Ansatz der relativen Straftheorien.400 Anders als die absoluten Straftheorien, die Strafe primär als Reaktion auf die Tat verstehen,401 schreiben sowohl die spezial- als auch die generalpräventiven Theorien der Strafe auch präventive Wirkung zu.402 Während die spe397

So aber: Michalke, StV 2011, 245. Vgl. Michalke, StV 2011, 245. 399 Michalke, StV 2011, 245 (251, insb. Fn. 61) unter Bezugnahme auf einen entsprechenden Diskussionsbeitrag Klaus Lüderssens im Anschluss an ihren Vortrag auf dem Strafverteidiger-„Symposion Wirtschaftsstrafrecht“, Institute for Law and Finance der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt a. M. am 5.11.2010. 400 Dass die herrschende Ansicht heute der sog. Vereinigungstheorie folgt, steht dem nicht entgegen, da auch im Rahmen dieser Theorie general- und spezialpräventive Elemente – neben dem Aspekt der Vergeltung – eine wichtige Rolle spielen; weiterführend zu den Strafzwecktheorien: Jäger, AT, Rn. 4 ff. sowie speziell zur Vereinigungstheorie Rn. 7. 401 Dazu: v. Hippel, Strafrecht, Bd. I, § 21 III 1, mit weiterem Nachweis zurück auf Seneca; vgl. auch Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 3, Rn. 50 ff.; vgl. dazu auch: Jäger, AT, Rn. 5, m.w. N. 402 Zurückgehend auf die Theorie des psychologischen Zwangs, i. S. d. psychologisch auf die Unterlassung der Tatbegehung abzielenden Zwangswirkung des Strafrechts, vertr. von Paul Johannes Anselm Feuerbach (1775–1883): vgl. dazu: Baumann/Weber/ Mitsch, AT, § 3, Rn. 25; sowie: Jäger, AT, Rn. 6; vgl. auch: Wessels/Beulke, AT, Rn. 12a. 398

84 3. Kap.: Strafbarkeitsbegründende Wirkung bei täterbezogenen Voraussetzungen

zialpräventive Theorie den einzelnen Normadressaten in den Mittelpunkt der Betrachtung rückt und dessen Abschreckung (negative Spezialprävention) bzw. Besserung (positive Spezialprävention) zum Zweck der Strafe erhebt,403 wählen die generalpräventiven Theorien einen generalisierenden Ansatz. Die Allgemeinheit soll von der Tatbegehung abgeschreckt und in ihrem Vertrauen auf die Integrität der Rechtsordnung bestärkt werden.404 Wirkungsweise der Prävention, die auf Abschreckung, sei es des Einzelnen oder der Allgemeinheit zielt, ist stets, dass sie dasjenige allgemein deutlich und in einer drohenden Sanktionierung hinreichend wahrscheinlich macht, was an Verhaltensweisen verhindert werden soll. Insofern stellt es auch keinen Widerspruch dar, dass Vorschriften, die Gesetzesverletzungen verhindern sollen, auch solche begründen können. Diese Erkenntnis ergibt sich für das geltende Strafrecht aus seiner Konzeption und Funktion als Mittel der Prävention als auch Reaktion auf die Tat. Die Funktionsweise im Rahmen der Compliance ist keine andere. Auch hier gehen Prävention und Ahndung notwendigerweise Hand in Hand. Der propagierte Widerspruch zwischen Prävention und Strafbarkeitsbegründung entpuppt sich als Scheinparadoxon.405 Die parallel gelagerte Problematik eines vermeintlichen Widerspruchs zwischen Regelungen, die einer Haftung präventiv entgegenwirken sollen und solchen, die Verstöße sanktionieren, hat Kudlich für den Bereich der Fahrlässigkeitsdelikte zutreffend als nur scheinbar konkurrierend beschrieben.406 Auch dabei geht es um die Frage, inwiefern außerstrafrechtliche Sondernormen, die bestimmte Verhaltensanforderungen aufstellen, für die Beurteilung, ob eine Sorgfaltspflichtverletzung vorliegt, von Bedeutung sein können. Während die Verhaltensanweisung der Sondernorm bestimmte Anforderungen aufstellt, um eine Gefährdung oder Verletzung von Rechtsgütern zu verhindern, hält der Normbefehl der strafrechtlichen Vorschrift im Falle des dennoch eingetretenen tatbestandlichen Erfolges eine Sanktion bereit. Zwischen der Intention einer Haftungsvermeidung der außerstrafrechtlichen Sondernorm und der Ahndung durch die Strafnorm besteht indes kein Widerspruch, vielmehr stehen beide in einem wechselbezüglichen Verhältnis, das Rechtsprechung und herrschende Lehre im Bereich der Fahrlässigkeitsstrafbarkeit als Indizwirkung beschreiben.407 Die Voraussetzungen 403

Vgl. Jäger, AT, Rn. 6; Jescheck/Weigend, AT, § 8 IV 3. Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 3, Rn. 30; Jäger, AT, Rn. 6; Roxin, AT/I, § 3, Rn. 26. 405 A. A. insofern: Michalke, StV 2011, 245 (251, Fn. 61), die sich das von Klaus Lüderssen im Rahmen eines Vortrags diesbezüglich festgestellte „Paradoxon“ zu eigen macht. 406 Kudlich, in: FS Otto, 2007, S. 373 ff. (378). 407 Vgl. BGHSt 4, 182 (185); 37, 184 (189 f.); Kühl, AT, § 17, Rn. 23 f.; Roxin, AT/ I, § 24, Rn. 16; Wessels/Beulke, AT, Rn. 672; strenger insofern: Kudlich, in: FS Otto, 2007, S. 373 ff. (381), der den Verstoß gegen gesetzliche Sondernormen nicht als bloßes Indiz ansieht, sondern mit dem Vorliegen einer Sorgfaltspflichtverletzung gleichsetzt. 404

§ 2 Strafbarkeitsbegründung und Strafbarkeitskonkretisierung

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der Strafnorm werden durch den Inhalt der Sondernorm mitbestimmt, während die Strafnorm selbst die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen die außerstrafrechtlichen Vorgaben festlegt. Compliance-Regelungen, die als Instrument der Kriminalprävention dienen sollen, kommt eine Kommunikationsfunktion zu, weil nur die Realisierung des Risikos vermieden werden kann, das als solches erkannt wird. Umgekehrt muss begangenes Fehlverhalten geahndet werden, soll eine Abschreckungswirkung erreicht werden. In der Vergangenheit hat dies mitunter Schwierigkeiten bereitet. Compliance-Vorschriften können einen Beitrag dazu leisten, die als organisatorische Einheit agierenden, als solche aber nach deutschem Strafrecht nicht haftbaren Unternehmen und Institutionen wirksamer Kontrolle zu unterwerfen, indem den Tätern eine für das System des Schuldstrafrechts erforderliche Gestalt gegeben wird. Die mit der eigenen Organisation Vertrauten machen im Wege von Compliance-Regelungen das interne Geflecht für die staatlichen Organe der Strafverfolgung durchschaubar und liefern die Informationen, die für eine effektive Verfolgung und Ahndung von Straftaten in vielen Fällen fehlen. Inwiefern diese Entwicklung freilich dem Phänomen des „Risk-Shifting“ Vorschub leistet, wird insbesondere im Hinblick auf den Compliance Officer noch näher zu untersuchen sein.408 Fest steht, dass Kriminalprävention und Strafbarkeitsbegründung im Zusammenhang mit Compliance-Regelungen zwei Seiten ein- und derselben Medaille darstellen. Effektive Kriminalprävention durch Compliance-Regelungen bringt es notwendigerweise mit sich, dass dadurch zugleich Voraussetzungen der Strafbarkeit beeinflusst werden können.

§ 2 Strafbarkeitsbegründung und Strafbarkeitskonkretisierung Abhängig davon, ob es sich um tat- oder täterbezogene Strafbarkeitsvoraussetzungen handelt, kann die Wirkung von Compliance-Regelungen als strafbarkeitsbegründend oder strafbarkeitskonkretisierend beschrieben werden.

I. Begründung und Konkretisierung von Strafbarkeit Neben der begrifflichen Abgrenzung der Tat- und Täterbezogenheit stellt die Definition der Strafbarkeitsbegründung bzw. -konkretisierung das zweite wesentliche Element der hier dargestellten Theorie dar. Ein terminologischer Anknüpfungspunkt hierfür fehlt sowohl im Gesetz selbst als auch in der Rezeption des Gesetzes durch Rechtsprechung und Lehre. Um durch Compliance-Konzepte drohende Strafbarkeitsrisiken auf eine dogmatisch fundierte und praktisch handhabbare Grundlage zu stellen, soll hier der Versuch unternommen werden, zu 408

Vgl. 4. Kap. § 3 II. 5.

86 3. Kap.: Strafbarkeitsbegründende Wirkung bei täterbezogenen Voraussetzungen

einer brauchbaren Definition dieser Begriffe im Hinblick auf die unterschiedlichen Auswirkungen von Compliance-Regelungen zu gelangen. Strafbarkeitsbegründende Wirkung liegt vor, wenn dem Normanwender das Subsumtionsmaterial an die Hand geliefert wird, das er unmittelbar zur Ausfüllung der gesetzlichen Tatbestandsmerkmale und sonstiger Strafbarkeitsvoraussetzungen in Bezug auf die Individualisierung eines bestimmten Täters benötigt. Compliance-Regelungen, die täterbezogene Voraussetzungen betreffen, wirken unmittelbar gestaltend auf das Subjekt strafrechtlicher Verantwortlichkeit ein, dem die Verletzung gesetzlicher Ge- oder Verbote zum Vorwurf gemacht wird. Die Strafbarkeitsbegründung beruht auf einer Gestaltung der tatsächlichen Verhältnisse, indem personenbezogene Strafbarkeitsvoraussetzungen standardisiert und Zurechnungssubjekte strafrechtlicher Verantwortung individualisiert werden. Strafbarkeitskonkretisierende Wirkung stellt gegenüber der Strafbarkeitsbegründung eine abgeschwächte Form der Einflussnahme dar. Beeinflusst werden hier nicht unmittelbar die Voraussetzungen, deren Vorhandensein das jeweilige Tatbestandsmerkmal erfüllt. Vielmehr erfolgt die Einflussnahme mittelbar über Kriterien und Formeln, die von der Rechtsprechung bzw. der Literatur entwickelt, der Auslegung einzelner Strafbarkeitsvoraussetzungen dienen. Bei unbestimmten Tatbestandsmerkmalen, Fragen der Kausalität oder der objektiven Zurechnung wird der Rückgriff auf dogmatische Formeln, Vergleichs- und Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe aber auch Sorgfalts- und Verhaltensmaßstäbe notwendig. Im Rahmen dieser nehmen Compliance-Regelungen mittelbar Einfluss auf die Bestimmung der jeweiligen Strafbarkeitsvoraussetzung. Praktisch relevant wird dies, wenn Compliance-Regelungen Begrifflichkeiten des Gesetzestextes zu erklären oder zu konkretisieren suchen. In diesen Fällen ebenso wie bei tatbestandsstrukturellen Voraussetzungen, die Kausalität oder objektive Zurechenbarkeit betreffen, kommt Compliance-Regelungen nur mittelbare Wirkung zu, die hier als strafbarkeitskonkretisierend bezeichnet werden soll. Angesichts der zugestanden dehnbaren Terminologie der Strafbarkeitsbegründung und -konkretisierung einerseits, sowie der Abgrenzung der tat- und täterbezogenen Strafbarkeitsvoraussetzungen andererseits lässt sich auch mit dem hier zugrunde gelegten Modell ein gewisses Maß an Unschärfe nicht vermeiden. Insbesondere im Hinblick auf Sorgfaltsmaßstäbe und Verhaltensstandards zeigt sich, dass die Funktionsweise von Compliance-Regelungen bei tat- und täterbezogenen Strafbarkeitsvoraussetzungen Überschneidungen aufweisen kann und es letztlich auch von der Bestimmtheit des Tatbestandsmerkmals abhängt, ob die Wirkung als strafbarkeitsbegründend oder bloß strafbarkeitskonkretisierend eingestuft wird. Dass eine, durch Individualisierung des Täters und Standardisierung der seine Strafbarkeit betreffenden Merkmale gekennzeichnete, Wirkung von Compliance-Regelungen auch anders charakterisiert werden kann als mit dem Attribut „strafbarkeitsbegründend“, soll daher auch nicht in Abrede gestellt werden.

§ 2 Strafbarkeitsbegründung und Strafbarkeitskonkretisierung

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Das Gesetz kommt aber letztlich nicht ohne die durch die Realität vorgegebenen Phänotypen aus, die es auf mehr oder weniger abstrakter Ebene abbildet. Insbesondere der Bereich der Wirtschaftskriminalität zeigt, dass sich Gesetzgebung vor allem im Nebenstrafrecht, als Reaktion auf tatsächliche Erscheinungen verstehen lässt.409 Auch aufgrund dieses Zusammenhangs soll eine durch besondere Ausgestaltung der Realität mithilfe von Compliance-Regelungen erzielte Wirkung für täterbezogene Strafbarkeitsvoraussetzungen als strafbarkeitsbegründend bezeichnet werden. Die mit der Unschärfe von Begriffen allgemein und der in Bezug auf das Phänomen „Compliance“ im Besonderen einhergehenden Schwierigkeiten sollen nicht den Versuch hindern, auch im Bereich des „Soft Law“ ein gewisses Maß an Struktur und „Gesetzmäßigkeit“ an den Schnittstellen zum „Hard Law“ aufzuspüren und in ein konsistentes Gesamtbild der Materie einzuordnen.

II. Wirkungsweise von Compliance-Regelungen Vor diesem Hintergrund lässt sich die Wirkungsweise von Compliance-Regelungen bei täterbezogenen Strafbarkeitsvoraussetzungen als strafbarkeitsbegründende Gestaltung, bei tatbezogenen Strafbarkeitsvoraussetzungen als strafbarkeitskonkretisierende Modifikation beschreiben. 1. Strafbarkeitskonkretisierende Modifikation bei tatbezogenen Strafbarkeitsvoraussetzungen Vor dem Hintergrund von Art. 103 Abs. 2 GG und der Wesentlichkeitslehre obliegt die Schaffung von Straftatbeständen allein dem demokratisch legitimierten Gesetzgeber. Die Anwendung der Gesetze ist den staatlichen Gerichten anheimgestellt. So können zwar in Compliance-Vorschriften Tatbestandsvoraussetzungen definiert und unbestimmte Rechtsbegriffe durch Beispielsfälle veranschaulicht werden.410 Jedoch kann dies keine Bindungswirkung für Organe der Rechtspflege und Strafverfolgung entfalten, wenngleich sich diese in der Praxis auch daran orientieren mögen. Eine andere Sichtweise würde eine fragwürdige Relativierung staatlicher Hoheitsgewalt bedeuten. Sollen sie verbindlich sein, bedarf es eines Anknüpfungspunktes auf gesetzlicher Ebene. Bei tatbezogenen Strafbarkeitsvoraussetzungen ist eine strafbarkeitskonkretisierende Einflussnahme durch Compliance-Regelungen daher nur mittelbar über 409 Inwiefern dies für andere Rechtsbereiche gilt oder einer rechtstheoretischen und rechtsdogmatischen Hinterfragung bedarf, würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. So muss es hier bei der Feststellung gewisser in diese Richtung weisender Indizien verbleiben. 410 Auf die Bedeutung von Compliance-Richtlinien für unbestimmte Tatbestandsmerkmale einzelner Straftatbestände hinweisend bereits Sieber, in: FS Tiedemann, 2008, S. 449 ff. (462); sowie Theile, ZIS 2008, 406 (411).

88 3. Kap.: Strafbarkeitsbegründende Wirkung bei täterbezogenen Voraussetzungen

die von der Rechtsprechung und Lehre entwickelten Kriterien und Formeln möglich. Diese sind insbesondere für die Definition unbestimmter Tatbestandsmerkmale sowie die Bestimmung der Kausalität und objektiven Zurechnung von Bedeutung. Für die Kausalitäts- und Zurechnungsformeln werden Compliance-Regelungen v. a. im Rahmen von Wahrscheinlichkeitserwägungen relevant. Auch hierbei erschöpft sich ihre Bedeutung in einer Konkretisierung, ohne strafbarkeitskonstituierend wirksam zu werden. Compliance-Regelungen können zudem für das Vorliegen eines tatbestandsausschließenden Einverständnisses herangezogen werden. Entsprechendes gilt für die objektiven Voraussetzungen von Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründen. Im Rahmen der genannten tatbezogenen Merkmale können ComplianceVorschriften mittelbar über die Konkretisierung unbestimmter Tatbestandsmerkmale und über dogmatische Formeln zur Bestimmung von Kausalität und objektiver Zurechnung Einfluss auf Strafbarkeitsvoraussetzungen nehmen. Sie begründen aber nicht unmittelbar strafrechtliche Verantwortlichkeit für ein bestimmtes Zurechnungssubjekt. Für die nach dem Begriffsverständnis des § 14 StGB als tatbezogene Strafbarkeitsvoraussetzungen einzuordnenden Merkmale erschöpft sich die Wirkung von Compliance-Regelungen in einer Strafbarkeitskonkretisierung. 2. Strafbarkeitsbegründende Gestaltung bei täterbezogenen Strafbarkeitsvoraussetzungen Auch wenn die Festlegung, unter welchen Umständen eine Verhaltensweise strafrechtliche Sanktionen nach sich zieht, dem demokratisch legitimierten Gesetzgeber vorbehalten bleibt, darf man nicht aus dem Blick verlieren, dass das Strafrecht als Schuldstrafrecht konzipiert seine Wirkung nicht ohne entsprechende Zuordnungssubjekte der vorwerfbaren Verhaltensweise entfalten kann. Bei der Identifizierung und Beschreibung dieser Zuordnungssubjekte kommen außerstrafrechtliche Vorgaben und dabei insbesondere Compliance-Programme zum Tragen. Dort, wo das Gesetz die Personifizierung strafrechtlicher Verantwortung und die Formulierung von Bezugs- und Vergleichsmaßstäben für Verhaltensanforderungen verlangt, entfalten Compliance-Regelungen ihre strafbarkeitsbegründende Wirkung. Individualisierung des Täters und Standardisierung der täterbezogenen Merkmale stellen die Funktionsweisen dar, mittels derer Compliance-Regelungen auf die strafrechtliche Verantwortlichkeit einwirken. Da eine Bestrafung des oder der einzelnen Täter durch sie vielfach erst ermöglicht wird, lässt sich in Bezug auf täterbezogene Strafbarkeitsvoraussetzungen von strafbarkeitsbegründender Wirkung sprechen.

§ 3 Alternative Abgrenzungsmodelle Für die Darstellung des Zusammenhangs zwischen einer Strafbarkeitsvoraussetzung und ihrer möglichen Beeinflussung durch Compliance-Regelungen kom-

§ 3 Alternative Abgrenzungsmodelle

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men auch alternative Abgrenzungsmodelle in Betracht. Sachgerecht erscheinen insbesondere zwei Ansätze, die sich am tatbestandlich geschützten Rechtsgut bzw. am tauglichen Täterkreis orientieren. Im Folgenden sollen Funktionsweise und Grenzen dieser alternativen Abgrenzungsmodelle kurz dargestellt werden.

I. Tatbestandliches Schutzgut Die Möglichkeit, strafbarkeitsbegründende Wirkung zu entfalten, könnte von der Art des Rechtsguts abhängig gemacht werden, das zu schützen die jeweilige, von Compliance-Regelungen in Bezug genommene, Strafnorm intendiert.411 Sofern allein Individualrechtsgüter der regelsetzenden Institution erfasst sind, kommt strafbarkeitskonstituierende Wirkung in Betracht. Stellt der Tatbestand hingegen die Verletzung von Allgemeinrechtsgütern oder des Individualrechtsguts eines Außenstehenden unter Strafe, ist lediglich von strafbarkeitskonkretisierender Bedeutung auszugehen. Beispielhaft verdeutlicht sei dies am Untreuetatbestand des § 266 Abs. 1 StGB, der den Schutz des Vermögens des Treugebers bezweckt.412 Hier könnten Compliance-Vorschriften auf die Begründung und Ausgestaltung der Vermögensbetreuungspflicht Einfluss nehmen. Hingegen wäre im Falle der wettbewerbsbeschränkenden Absprachen bei Ausschreibungen, die gem. § 298 Abs. 1, 2 StGB unter Strafe gestellt sind, eine derart weitgehende Einflussnahme durch private Regelsetzung ausgeschlossen, da mit dem Rechtsgut des freien Wettbewerbs413 ein allgemeines Gut unter Schutz gestellt wird. Entsprechend würde sich die Wirkung von Compliance-Regelungen bei der strafbaren Patentverletzung nach § 142 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 PatG gegenüber einem Mitbewerber im konkretisierenden Bereich erschöpfen, da das geschützte Rechtsgut nicht zur Disposition des Compliance-Initiators steht. Bei Tatbeständen, die sowohl Rechtsgüter Außenstehender als auch solche des Unternehmens selbst betreffen können, müsste abhängig vom konkreten Fall danach differenziert werden, ob eigene oder fremde Rechtsgüter betroffen sind und davon die Wirkung von Compliance-Vorgaben abhängig gemacht werden. Die Notwendigkeit einer einzelfallbezogenen Betrachtung verhindert eine allgemeingültige Aussage über die Auswirkung von Compliance-Vorschriften im Hinblick auf ihre strafbarkeitskonstituierende Wirkung. Daneben ermöglicht dieses Modell keine umfassende Einordnung sämtlicher Strafbarkeitsvoraussetzungen. So lassen sich durch die tatbestandsbezogene Betrachtungsweise die unechten Unterlassungsdelikte und die dabei relevanten Arten von Garantenstellungen nicht überzeugend erfassen. Auch in Bezug auf die anzuwendende Sorgfalt, bei 411 Für die Anregung einer Unterscheidung nach „innen- und außengerichteten Delikten“ bin ich meinem akademischen Lehrer und Doktorvater Prof. Dr. Christian Jäger zu Dank verpflichtet. 412 Fischer, StGB, § 266, Rn. 2; S/S-Perron, § 266, Rn. 1. 413 Fischer, StGB, § 298, Rn. 2.

90 3. Kap.: Strafbarkeitsbegründende Wirkung bei täterbezogenen Voraussetzungen

deren Bestimmung Compliance-Regelungen sowohl für Maßstab als auch Inhalt der jeweiligen Sorgfaltspflichten relevant werden können, stößt die deliktsspezifische Sichtweise an ihre Grenzen. Zwar deckt sich das Ergebnis bezüglich der Vermögensbetreuungspflicht beim Untreuetatbestand mit dem hier gefundenen und stützt damit die These, dass bei Individualrechtsgütern der regelungssetzenden Einrichtung strafbarkeitskonstituierende Wirkung möglich ist. Jedoch bewirken Compliance-Vorschriften eine Standardisierung der anzuwendenden Sorgfalt auch bei anderen Tatbeständen, unabhängig davon, ob eigene Rechtsgüter des Unternehmens, Rechtsgüter Dritter oder der Allgemeinheit betroffen sind. Auch im subjektiven Tatbestand lässt sich die Wirkung von Compliance-Regelungen mit einer am Schutzgut ausgerichteten Einordnung nicht überzeugend und umfassend klären. Ähnlich der Sachlage bei den Fahrlässigkeitsdelikten betrifft die Standardisierung von Wissen und Unrechtsbewusstsein nicht nur Delikte, die eine Verletzung von Rechtsgütern des Unternehmens unter Strafe stellen. Vielmehr bewirkt die Aufklärung über strafrechtliche Verantwortungsbereiche, Tatbestandsvoraussetzungen und unrechtmäßige Verhaltensweisen ein Mindestmaß an Wissen und Unrechtsbewusstsein für sämtliche der in den Compliance-Regelungen behandelten Tatbestände des Wirtschaftsstrafrechts. Eine Unterscheidung nach dem tatbestandlich geschützten Rechtsgut ist für die Beantwortung der Frage, ob Compliance-Regelungen strafbarkeitsbegründende, -konkretisierende oder keinerlei strafrechtlich relevante Wirkung zukommt, nicht weiterführend. Eine umfassende Systematisierung gelingt mit diesem Modell somit nicht.

II. Sonder- und Allgemeindelikte Neben dem geschützten Rechtsgut bietet sich eine Unterscheidung nach dem Kreis möglicher Täter an. Unterschieden wird dabei nach Sonder- und Allgemeindelikten. Während Täter ersterer nur derjenige sein kann, der in seiner Person bestimmte Merkmale erfüllt, können letztere grundsätzlich von jedermann verwirklicht werden.414 In Bezug auf das Wirtschaftsstrafrecht ist die Vorschrift des § 14 StGB zu beachten, die den Kreis tauglicher Täter im Rahmen der Organund Vertreterhaftung in signifikanter Weise ausweitet. Compliance-Regelungen richten sich regelmäßig an sämtliche Mitarbeiter eines Unternehmens. Sie differenzieren jedoch durchaus nach Positionen mit Personalverantwortung, verschiedenen Tätigkeitsfeldern und besonderen Aufgabenbereichen. So finden sich etwa spezielle Vorschriften für Compliance-Officer und Produktsicherheitsbeauftragte sowie für Mitarbeiter, die für die Auswahl von Vertragspartnern zuständig sind. Für diese enthalten Compliance-Konzepte auch besondere Verhaltensvorgaben und Sorgfaltsanforderungen. Aufgrund der erhöhten Regelungsdichte könnte Compliance-Vorgaben für die bezeichneten Sonder414

Vgl. Wessels/Beulke, AT, Rn. 38 f.

§ 3 Alternative Abgrenzungsmodelle

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positionen größere Bedeutung zukommen als bei allgemeinen Vorgaben, die sich an sämtliche Unternehmensmitarbeiter richten. Jedoch deckt sich die in Compliance-Regelungen festzustellende personalisierte Betrachtungsweise nicht zwangsläufig mit derjenigen der gesetzlichen Unterscheidung nach sonder- und allgemeindeliktstauglichen Täterkreisen. Hinzu kommt, dass auch mit diesem Modell eine Berücksichtigung der Sorgfaltspflichten im Rahmen der Fahrlässigkeitsdelikte nicht überzeugend gelingt. Gerade durch die Standardisierung, die auf der umfassenden Geltung von ComplianceRegelungen beruht, kommt Compliance-Regelungen hier strafbarkeitsbegründender Einfluss zu. Auch im Hinblick auf die subjektive Tatbestandsseite lässt eine Abgrenzung nach Täterkreisen keine konsistente Lösung zu. So kann sich die Kenntnis von einer Garantenstellung auch für den Täter eines Allgemeindelikts vorsatzbegründend und somit strafbarkeitskonstituierend auswirken. Ebenso betrifft die Frage der Vermeidbarkeit eines Verbotsirrtums, die aufgrund der durch Compliance-Regelungen vermittelten Kenntnisse gegebenenfalls zu bejahen ist, Täter von Sonder- wie Allgemeindelikten gleichermaßen. Eine Aussage dahingehend, dass Compliance-Vorschriften bei Sonderdelikten strafbarkeitskonstituierende Wirkung zukommt, ist ebenso wenig möglich, wie umgekehrt die Feststellung, dass Compliance-Regelungen bei Allgemeindelikten strafbarkeitsbegründende Wirkung entfalten. Damit führt die Unterscheidung nach Sonder- und Allgemeindelikten im Hinblick auf die Wirkungsweise von Compliance-Regelungen nicht weiter. Eine umfassende Klassifizierung nach strafbarkeitskonstituierender bzw. strafbarkeitskonkretisierender Wirkung gelingt am überzeugendsten nach dem hier zugrunde gelegten Modell der Differenzierung zwischen tat- und täterbezogenen Strafbarkeitsvoraussetzungen.

4. Kapitel

Strafbarkeitsbegründende Wirkung durch Individualisierung und Standardisierung Die strafbarkeitsbegründende Wirkung von Compliance-Regelungen lässt sich auf die Mittel der Individualisierung und Standardisierung zurückführen. Die Individualisierung erfolgt dabei durch die Abgrenzung von Zuständigkeitsbereichen und die Zuweisung von Verantwortung. Aus diesen binnenorganisatorischen Maßnahmen können Garantenstellungen erwachsen, die dogmatisch auf die Übernahme von Schutz- und Beistandspflichten, die Herrschaft über bestimmte Gefahrenquellen oder die Verantwortlichkeit für fremdes Verhalten zurückführbar sind. Auch bei der Frage nach einer möglichen Garantenstellung aus Ingerenz können Compliance-Vorschriften von Bedeutung sein. Daneben spielt die Zuweisung von Verantwortung im Rahmen des Untreuetatbestandes eine wichtige Rolle. Neben der Individualisierung bildet die Standardisierung die zweite strafbarkeitsbegründende Einflussnahmemöglichkeit von Compliance-Regelungen. Die Definition und Vermittlung eines zu beachtenden Mindestmaßes an Sorgfalt, Wissen und Unrechtsbewusstsein führt zu einer Vereinheitlichung dieser täterbezogenen Strafbarkeitsvoraussetzungen.

§ 1 Täterbezogene Strafbarkeitsvoraussetzungen Nach dem hier zugrunde gelegten Begriffsverständnis unterfallen den täterbezogenen Strafbarkeitsvoraussetzungen im Wirkungskreis von Compliance die Garantenpflichten bei den Unterlassungsdelikten, die Vermögensbetreuungspflicht sowie Sorgfaltspflichten.

I. Vermögensbetreuungspflicht i. S. v. § 266 Abs. 1 StGB Die Einordnung der Vermögensbetreuungspflicht in den Anwendungsbereich des § 14 StGB ist im Schrifttum umstritten. Dies könnte der Annahme entgegenstehen, dass es sich dabei um eine täterbezogene Strafbarkeitsvoraussetzung handelt. Allerdings entzündet sich der Streit nicht an der Subsumtion unter die „besonderen persönlichen Merkmale“ im Sinne der Norm, sondern an der Frage ihrer Anwendbarkeit auf den Untreuetatbestand. Da § 14 StGB die Organ- bzw. Vertreterhaftung auf allgemeiner Ebene regelt, diese aber dem Untreuetatbestand bereits immanent ist, wird die Heranziehung der allgemeinen Vorschrift des § 14

§ 1 Täterbezogene Strafbarkeitsvoraussetzungen

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StGB von Teilen der Literatur und der älteren Rechtsprechung für grundsätzlich nicht erforderlich gehalten.415 In einer jüngeren Entscheidung griff der BGH für die Begründung der Täterstellung jedoch auf § 14 StGB zurück.416 Die Kontroverse über eine Anwendbarkeit des § 14 StGB auf den Untreuetatbestand bedeutet aber nicht, dass die Vermögensbetreuungspflicht nicht dem Begriffsverständnis der „besonderen persönlichen Merkmale“ im Sinne dieser Norm unterstellt werden könnte. Zum einen handelt es sich um eine übertragbare Pflicht, wie sich bereits aus der im Tatbestand vorausgesetzten Möglichkeit einer „Einräumung“ durch Gesetz, behördlichen Auftrag oder Rechtsgeschäft ergibt. Die Vermögensbetreuungspflicht umschreibt ferner eine soziale Rolle, innerhalb derer das individuelle Vermögen des Treugebers verletzt werden und damit eine Strafbarkeit nach § 266 Abs. 1 StGB begründet werden kann. Zudem ist die Pflicht fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen einer bestimmten Person zugeordnet. Der rechtsgutsbezogene Ansatz verleiht der Vermögensbetreuungspflicht ihren objektiv täterschaftlichen Charakter und spricht für ihre Einordnung als täterbezogene Strafbarkeitsvoraussetzung nach dem Begriffsverständnis des § 14 StGB.

II. Garantenstellung bei den unechten Unterlassungsdelikten Neben der Vermögensbetreuungspflicht des Untreuetatbestandes können Compliance-Regelungen auch im Rahmen der unechten Unterlassungsdelikte strafbarkeitsbegründende Wirkung entfalten. Bei der Frage, ob Garantenstellungen unter die „besonderen persönlichen Merkmale“ i. S. v. § 14 StGB zu zählen sind, werden verschiedene Lösungsansätze vertreten. Neben der pauschalen Zuordnung zu § 14 StGB als „Sonderdeliktsmerkmale“, 417 differenziert der überwiegende Teil des Schrifttums hinsichtlich der Art des Unterlassungsdelikts und der Art der Garantenstellung. Bei echten Unterlassungsdelikten liegt ein den Anwendungsbereich des § 14 StGB eröffnendes „besonderes persönliches Merkmal“ vor, wenn der Tatbestand eine über die allgemeine Garantenstellung hinausgehende Täterqualifikation fordert.418 Auf echte Unterlassungsdelikte, die eine nach allgemeinen Grundsätzen 415 BGHSt 2, 234; 13, 330 (332); BGH, NJW 1983, 1807; LK-Roxin (10. Aufl.), § 14, Rn. 22; LK-Schünemann, § 14, Rn. 22, 31; NK-Marxen/Böse, § 14, Rn. 21; Roxin, AT/II, § 27, Rn. 105. Nach S/S-Perron, § 14, Rn. 5, ist § 14 StGB nur anwendbar, wenn die Beziehung zum geschädigten Vermögen erst über einen von § 266 StGB nicht erfassten besonderen Status des Vertreters hergestellt wird. MüKo-Radtke, § 14, Rn. 55, hält § 14 StGB im Rahmen des Missbrauchstatbestands für anwendbar. 416 BGHSt 49, 147 (157, 161); zuvor bereits: BGHZ 149, 10; abl.: LK-Schünemann, § 14, Rn. 22. 417 Langer, in: FS Lange, 1976, S. 241 ff. (243 f., 262). 418 Vgl. LK-Roxin (10. Aufl.), § 14, Rn. 13; MüKo-Radtke, § 14, Rn. 43, der als Beispiel § 266a StGB nennt; NK-Marxen/Böse, § 14, Rn. 27, der § 283 Abs. 1 Nr. 5 StGB als Beispiel anführt.

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4. Kap.: Strafbarkeitsbegründende Wirkung

begründete Garantenstellung genügen lassen, sowie auf unechte Unterlassungsdelikte, deren korrespondierendes Begehungsdelikt ein Allgemeindelikt darstellt, ist § 14 StGB hingegen nicht anwendbar. Die Organe bzw. Vertreter des eigentlichen Normadressaten haben hier selbst Schutz- bzw. Überwachungspflichten übernommen, so dass die strafbarkeitsbegründende Voraussetzung in ihrer eigenen Person vorliegt und es damit an einer wesentlichen Anwendungsbedingung für § 14 StGB fehlt.419 Beschränkt das dem unechten Unterlassungsdelikt entsprechende Begehungsdelikt den Kreis tauglicher Täter mittels eines Statusbegriffs oder auf andere Weise,420 so ist nach überwiegender Auffassung im Schrifttum stets § 14 StGB heranzuziehen.421 Neben der Differenzierung nach dem Deliktstypus wird auch hinsichtlich der Art der Garantenstellung unterschieden, ob § 14 StGB für die Vertreter- und Organhaftung zur Anwendung kommt oder nicht. Blauth weist darauf hin, dass es für die Begründung einer Garantenpflicht aufgrund eines Treue- oder Vertragsverhältnisses auf die tatsächliche Wahrnehmung der Pflicht ankomme. Juristischen Personen fehlt eben diese eigene Handlungsfähigkeit, so dass die tatsächliche und auch maßgebliche Wahrnehmung nur durch Organe bzw. Vertreter erfolgen kann und § 14 StGB daher nicht anwendbar sei.422 Hingegen sieht Radtke unabhängig davon, dass die juristische Person als Vertretene zur Vornahme einer Handlung tatsächlich nicht in der Lage ist, die Pflichtenstellung originär als nur bei dieser liegend an. Zur Begründung einer entsprechenden Pflicht in der Person des Organs bzw. des Vertreters bedarf es in jedem Fall einer tatsächlichen Übernahme der Obhuts- oder Schutzpflichten durch Einrücken in die Position als Organ oder Vertreter.423 Beruht die Garantenstellung des Vertretenen auf Ingerenz, 419 BeckOK-Momsen, § 14, Rn. 23; KK-OWiG-Rogall, § 9, Rn. 39; LK-Schünemann, § 14, Rn. 26 f.; LK-Roxin (10. Aufl.), § 14, Rn. 13; MüKo-Radtke, § 14, Rn. 23; NK-Marxen, § 14, Rn. 27; S/S-Perron, § 14, Rn. 6; offenlassend: OLG Saarbrücken, NJW 1991, 3045. 420 Sog. „Garantensonderdelikt“, KK-OWiG-Rogall, § 9, Rn. 39. 421 Vgl. Bruns, GA 1982, 1 (24 f.); MüKo-Radtke, § 14, Rn. 43; LK-Schünemann, § 14, Rn. 24 ff.; S/S-Perron, § 14, Rn. 6; str. nach a. A. soll § 14 StGB nur dann anwendbar sein, wenn die Sondereigenschaft Ausdruck einer höchstpersönlichen Beziehung zu dem geschützten Rechtsgut ist, die eine Vertretung nicht zulässt. Fehlt der personale Bezug wird der Garantenstellvertreter kraft Übernahme selbst Garant: KKOWiG-Rogall, § 9, Rn. 39, der beispielhaft für ein Fehlen dieses personalen Bezugs die Eigenschaft als „Halter eines Kfz“ anführt; vgl. auch: Wiesener, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Stellvertretern und Organen, 1971, S. 187 f., der die Vertreterhaftung im Bereich der Unterlassungsdelikte generell nicht in § 50a StGB a. F. bzw. § 10 OWiG a. F. mitgeregelt sieht, da der Garantenstellvertreter selbst Garant sei. 422 Blauth, Handeln für einen anderen, 1968, S. 118, mit Bezug auf die Entwurfsfassung des § 14 StGB von 1962, der jedoch mit der heute geltenden Fassung der Norm in den für diese Untersuchung maßgeblichen Aspekten übereinstimmt. 423 MüKo-Radtke, § 14, Rn. 41, der auch darauf hinweist, dass es insofern auf eine rechtlich wirksame Bestellung nicht ankommt und § 14 Abs. 3 StGB bei dieser Betrachtung keine begrenzende Funktion zukommt.

§ 1 Täterbezogene Strafbarkeitsvoraussetzungen

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ist eine Überleitung der Pflichtenposition auf den Vertreter über § 14 StGB oder eigenes garantenpflichtwidriges Unterlassen in der Regel ausgeschlossen.424 Eine aus pflichtwidrigem Vorverhalten resultierende Garantenpflicht kann nicht übernommen werden, wenn dem Vertreter nicht in eigener Person das vorangegangene Gefahr begründende Tun anzulasten ist.425 Eine Ausnahme stellen insofern Aufsichtspflichtverletzungen dar, da die Pflicht des Vertreters unter Umständen die Pflicht beinhalten kann, den Vertretenen zur Erfüllung seiner Garantenpflichten anzuhalten. Diese ist aber nicht als umfassende Erfolgsabwendungspflicht zu verstehen, sondern in ihrer Reichweite durch die faktischen und rechtlichen Möglichkeiten sowie Aspekte der Zumutbarkeit begrenzt.426 Anders als im Falle der Vermögensbetreuungspflicht entzündet sich der Streit in der Literatur in Bezug auf die Garantenstellungen an ihrer tatbestandlichen Qualität als übertragbares besonderes persönliches Merkmal i. S. v. § 14 StGB. Für die hier durchzuführende Untersuchung spielt die Art des Delikts keine Rolle, da eine Abgrenzung des sachlichen Anwendungsbereichs, der bei § 14 StGB nur Sonderdelikte umfasst, nicht erforderlich ist. Die Frage der Täterbezogenheit hat sich daher an der Art der Garantenstellung zu orientieren. Während man früher anhand formaler Kriterien Garantenstellungen aus Gesetz, Vertrag, Ingerenz und enger Lebensgemeinschaft ableitete,427 unterscheidet die neuere Lehre nach materiellen Kriterien der Pflichtenbegründung Beschützergarantenstellungen und Überwachergarantenstellungen.428 Die Pflicht zur Verteidigung bestimmter Rechtsgüter als Beschützergarant kann aus einer Organstellung, aus freiwilliger tatsächlicher Übernahme von Obhutspflichten sowie aus engen Lebensbeziehungen erwachsen.429 Für den Bereich des Wirtschaftsstrafrechts sind nur die beiden erstgenannten relevant. Weder im StGB noch in den strafrechtlichen Nebengesetzen findet sich ein Anhaltspunkt für eine gesetzlich anerkannte generelle Garantenstellung von Unternehmensorganen.430 Anerkannt 424 BeckOK-Momsen, § 14, Rn. 23.1; MüKo-Radtke, § 14, Rn. 42; a. A.: Blauth, Handeln für einen anderen, 1968, S. 116 f.; LK-Roxin (10. Aufl.), § 14, Rn. 14; S/S-Perron, § 14, Rn. 6. 425 BeckOK-Momsen, § 14, Rn. 23.1; MüKo-Radtke, § 14, Rn. 42. 426 MüKo-Radtke, § 14, Rn. 42; str. a. A.: LK-Roxin (10. Aufl.), § 14, Rn. 14, der eine Garantenpflicht i. S. einer Erfolgsabwendungspflicht bejaht; ebenso: Müller-Gugenberger/Bieneck-Schmid, § 30, Rn. 57. 427 Vgl. die Nachweise bei: Fischer, StGB, § 13, Rn. 8 und NK-Wohlers, § 13, Rn. 30, die als weiteren Entstehungsgrund die enge Lebensgemeinschaft anführen; S/SStree/Bosch, § 13, Rn. 8. 428 Müller-Gugenberger/Bieneck-Schmid, § 30, Rn. 92; NK-Wohlers, § 13, Rn. 32 jew. m.w. N.; S/S-Stree/Bosch, § 13, Rn. 9; die Rechtsprechung wendet in der Sache ebenfalls sachliche Kriterien an, knüpft aber pragmatisch an die früheren formalen Kategorien an. 429 Zu dieser Einteilung vgl. Müller-Gugenberger/Bieneck-Schmid, § 30, Rn. 102 f. 430 Müller-Gugenberger/Bieneck-Schmid, § 30, Rn. 90, der darauf hinweist, dass die an verantwortliche Personen gerichteten Vorschriften der §§ 357 StGB, § 41 WehrStG

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4. Kap.: Strafbarkeitsbegründende Wirkung

ist jedoch, dass aus der Herrschaft über einen eigenen gegenständlichen Herrschaftsbereich, aufgrund rechtswidrigen Verhaltens weisungsgebundener Dritter sowie eigenen gefährdenden Tuns Pflichten zur Überwachung bestimmter Gefahrenquellen entstehen können, für die es als Überwachergarant einzustehen gilt.431 Sowohl in der Rechtsprechung des RG als auch des BGH wurden Garantenpflichten innerhalb betrieblicher Organisationen unter Rekurs auf die allgemeinen Grundsätze der Begründung von Garantenpflichten bejaht.432 Hinsichtlich der Frage, ob es sich dabei um täterbezogene Merkmale handelt, ist zunächst zwischen den beiden Grundtypen von Garantenstellungen zu differenzieren. Während ein Beschützergarant ein spezifisches Rechtsgut zu verteidigen hat, ergibt sich beim Überwachergarant der Bezug auf ein bestimmtes Rechtsgut erst aus der konkreten Gefährdungssituation. Bei der Überwachung der Gefahrenquelle hat der Garant grundsätzlich sämtliche potenziell bedrohten Rechtsgüter im Auge zu behalten, auf deren Integrität die Umgebung vertrauen darf und deren Schutz sich das Strafrecht zur Aufgabe macht. In Bezug auf die Gefährdung stellt sich die Lage umgekehrt so dar, dass der Beschützergarant unbestimmt viele Gefahren von dem in seiner Obhut befindlichen Rechtsgut abwehren muss, während der Überwachergarant eine spezifische Gefahrenquelle zu kontrollieren hat. Für die Einordnung als täterbezogenes Merkmal kommt es allerdings nicht auf die Spezifizierung des geschützten Rechtsguts oder der Gefahrenquelle an. Für das Vorliegen einer Pflichtenlage genügt, dass eine strafrechtliche Verantwortlichkeit besteht. Den Überwachergaranten trifft eine Pflicht zur Abwehr einer Gefahr, dem Beschützergaranten obliegt die Verteidigung gegen unbestimmt viele Gefahren. Der objektive Bezug verlangt eine Anknüpfung an das tatbestandlich geschützte Rechtsgut. Diese ergibt sich im Falle des Beschützergaranten aus der Schutzpflicht für das spezifische Rechtsgut. Der Überwachergarant hat für sämtliche im Gefahrenbereich liegende straftatbestandlich geschützte Rechtsgüter einzustehen, deren Konkretisierung sich aus der jeweiligen Gefährdungssituation ergibt. In beiden Fällen bezieht sich die strafrechtliche Verantwortlichkeit hinsichtlich Entstehungsgrund und Reichweite auf strafrechtlich geschützte Rechtsgüter. Ein objektiver Bezug der Pflichtenlage ist daher zu bejahen. Schließlich wird die strafrechtliche Verantwortlichkeit auch einer Person zugeordnet, so dass sich die Pflichtenlage als täterschaftliche umschreiben lässt. Sowohl Beschützer- als auch Überwachergarantenstellung bezeichnen damit eine „objektive täterschaftliche Pflichtenlage“ und stellen täterbezogene Strafbarkeitsvoraussetzungen dar.

und bestimmte presserechtliche Vorschriften nicht verallgemeinerungsfähig sind; vgl. auch: S/S-Lenckner, § 13, Rn. 53. 431 Vgl. Müller-Gugenberger/Bieneck-Schmid, § 30, Rn. 94 ff. 432 RGSt 57, 151; 58, 155; 75, 296; BGHSt 8, 139; 9, 67; 19, 286; 20, 315; 25, 15; 25, 158; BGH, NJW 1971, 1093; 1973, 1379.

§ 1 Täterbezogene Strafbarkeitsvoraussetzungen

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III. Sorgfaltspflicht Neben der Vorhersehbarkeit, Erkennbarkeit und Vermeidbarkeit des Erfolges stellt die Verletzung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt ein maßgebliches Element des strafrechtlichen Fahrlässigkeitsvorwurfs dar.433 Während die Verursachung des tatbestandlichen Erfolges das Erfolgsunrecht abbildet, beinhaltet die Sorgfaltswidrigkeit den Vorwurf begangenen Handlungsunrechts.434 Die Sorgfaltspflichtverletzung im Sinne einer unzulänglichen Erfüllung strafrechtlicher Sorgfaltsanforderungen wird nach heute überwiegend vertretener Auffassung zum einen auf Tatbestandsebene und zum anderen im Rahmen der Schuld relevant.435 Während für die Schuldfrage nach der persönlichen Vorwerfbarkeit des sorgfaltswidrigen Verhaltens angesichts des individuellen Vermögens des Täters gefragt wird, erfolgt die Prüfung, ob tatbestandlich eine Sorgfaltspflichtverletzung vorliegt, nach objektiven Kriterien. Dies steht der Täterbezogenheit dann nicht entgegen, wenn darunter, wie oben dargelegt, eine objektiv täterschaftliche Pflichtenlage verstanden wird. Die Pflichtenlage als Element täterbezogener Strafbarkeitsvoraussetzungen umschreibt strafrechtliche Verantwortlichkeit. Der Fahrlässigkeitsvorwurf umfasst nach heutigem Verständnis sowohl Unrechts- als auch Schuldelemente. Grundlage dieser Betrachtung ist die Abkehr vom „kausalen Handlungsbegriff“ und der Übergang zum „finalen Handlungsbegriff“, der auch die Beschaffenheit des zum jeweiligen Erfolg führenden Handlungsvollzugs in das Unwerturteil auf Tatbestandsebene miteinbezieht. 436 Diese Beschaffenheitsbetrachtung schlägt sich bei der Definition der strafrechtlichen Sorgfaltspflichten darin nieder, dass auf einen besonnenen und gewissenhaften Menschen des jeweiligen sozialen Umfelds des Täters Bezug genommen wird. Maßgeblich für die Bestimmung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt ist, was nach allgemeiner Lebenserfahrung von einem umsichtig handelnden Menschen erwartet werden kann. Damit umschreibt 433

Roxin, AT/I, § 24, Rn. 8. Burgstaller, Das Fahrlässigkeitsdelikt im Strafrecht, 1974, S. 31 ff.; 69 ff.; Lackner/Kühl, § 15, Rn. 38; MüKo-Duttge, § 15, Rn. 93; Roxin, AT/I, § 24, Rn. 8; eine a. A. reduziert den Fahrlässigkeitsvorwurf auf das begangene Handlungsunrecht und nimmt den bewirkten Erfolg als „objektive Bedingung der Strafbarkeit“ vom tatbestandlichen Unrechtsvorwurf aus: Dornseifer, in: GS Armin Kaufmann (1989), S. 427 ff. (437 ff.); Armin Kaufmann, in: FS Welzel, 1974, S. 393 ff. (410 f.); Lüderssen, in: FS Bockelmann, 1979, S. 181 ff. (186 ff.). 435 Jescheck/Weigend, AT, § 54 I 3; Armin Kaufmann, in: FS Welzel, 1974, S. 393 ff. (406); Krey, AT/2, Rn. 529, 532 ff.; Roxin, AT/I, § 24, Rn. 3; S/S-Sternberg-Lieben, § 15, Rn. 118 m.w. N.; Wessels/Beulke, AT, Rn. 657. 436 Laue, JA 2000, 666 (666); nach Roxin spielen neben der Entwicklung der finalen Handlungslehre und der damit einhergehenden Anerkennung personalen Unrechts, auch die Lehre von der objektiven Zurechnung sowie die Appellfunktion gesetzlicher Straftatbestände eine maßgebliche Rolle für die Verortung der Fahrlässigkeit auf Tatbestandsebene, Roxin, AT/I, § 24, Rn. 3 ff. 434

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4. Kap.: Strafbarkeitsbegründende Wirkung

die Sorgfaltspflicht, zu welchen Verhaltensweisen eine Durchschnittsperson in einer bestimmten Situation verpflichtet ist, und schreibt somit in typisierender Weise strafrechtliche Verantwortlichkeit fest. Die Objektivität der täterschaftlichen Pflichtenlage ergibt sich aus dem Anknüpfen an das tatbestandlich geschützte Rechtsgut. Im Rahmen der Sorgfaltswidrigkeit sind die aus dem konkreten Verhalten erwachsenden Gefahren für das geschützte Rechtsgut in den Blick zu nehmen, um den Inhalt der Sorgfaltspflicht zu bestimmen.437 Einer Person zugeordnet und damit täterschaftlich ist die Sorgfaltspflicht, da sie den „Durchschnittsvertreter“ des jeweiligen Verkehrskreises, dem der Täter entstammt, als Bezugspunkt nimmt. Ausgehend davon wird der Pflichteninhalt des Täters in der konkreten Lage und unter den jeweils gegebenen Umständen bestimmt. Die Konkretisierung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit und ihre Zuordnung zu einer bestimmten Person begründen die Täterschaftlichkeit der objektiven Pflichtenlage. Bedenken könnten sich allerdings hinsichtlich der Objektivität der Pflichtenlage daraus ergeben, dass auch Sonderwissen und Sonderfähigkeiten des Täters Berücksichtigung finden.438 Diese Individualisierung tritt aber neben die Rechtsgutsbezogenheit der Betrachtung und stellt die Objektivität nicht grundsätzlich in Frage. Vielmehr ist sie als Weiterführung der Orientierung am Verkehrskreis, dem der Täter entstammt bzw. der Berücksichtigung der sozialen Rolle, die der Täter einnimmt, zu verstehen. Die Verhaltensanforderungen an einen so konkretisierten Täter bestimmen sich dennoch anhand der Gefahren für das geschützte Rechtsgut. Insofern vermag dieser Aspekt die Täterschaftlichkeit der Pflichtenlage zu unterstreichen, ihrer Objektivität aber nicht entgegenzustehen. Mithin stellen auch die Sorgfaltspflichten eine täterbezogene Strafbarkeitsvoraussetzung im Sinne einer objektiv täterschaftlichen Pflichtenlage dar.

§ 2 Vermögensbetreuungspflicht und Compliance-Regelungen Im Hinblick auf den Tatbestand der Untreue gem. § 266 Abs. 1 StGB können Compliance-Vorschriften in dreifacher Hinsicht relevant werden. Zum einen kann sich eine Pflicht zur Einrichtung und Umsetzung eines effektiven ComplianceSystems ergeben, wenn nur dadurch die ordnungsgemäße Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen sichergestellt werden kann.439 Zum anderen können aus ei437

Wessels/Beulke, AT, Rn. 668. Nach überwiegender Ansicht in Rechtsprechung und Lehre sind bereits auf Ebene des Tatbestandes Sonderwissen und Sonderfähigkeiten des Täters zu berücksichtigen, vgl. dazu: Roxin, AT/I, § 24, Rn. 61; S/S-Sternberg-Lieben, § 15, Rn. 138 ff. m.w. N. 439 Außerhalb des Untreuetatbestandes kann die Nichteinrichtung von ComplianceSystemen zu einer Haftung nach § 130 OWiG führen. Die Minimierung dieses Haf438

§ 2 Vermögensbetreuungspflicht und Compliance-Regelungen

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nem derartigen Regelwerk selbst konkrete Pflichten zur Vermögensbetreuung erwachsen. Daneben verdient eine dritte Kategorie besondere Beachtung, die v. a. durch die Entscheidung des BGH vom 13.04.2011 besondere Bedeutung erlangt hat. Darin stellte der BGH fest, dass gesetzlichen Normen mithilfe privatrechtlich gesetzter Vorgaben440 vermögensschützender Charakter zugeschrieben werden kann. Dies solle selbst dann möglich sein, wenn der Norm nach dem Willen des Gesetzgebers keine vermögensschützende Funktion zukommen sollte.441 Compliance-Regelungen könnte als privat gesetzten Regelungswerken ebenfalls eine derartige Wirkung zuzuschreiben sein.

I. Vermögensbetreuungspflicht als Compliance-Pflicht Die von § 266 Abs. 1 StGB nach herrschender Meinung442 sowohl vom Missbrauchs- als auch vom Treubruchstatbestand vorausgesetzte Vermögensbetreuungspflicht könnte eine generelle Pflicht zur Einrichtung und Durchsetzung einer effektiven Compliance-Struktur im Unternehmen beinhalten. Demgemäß könnten sich die zuständigen Mitglieder der Unternehmensführung443 wegen Untreue strafbar machen, wenn durch eine fehlende oder mangelhafte Implementierung von Compliance-Regelungen dem Unternehmensvermögen ein Schaden entsteht.444 Anknüpfungspunkt des strafrechtlich relevanten Verhaltens wäre in dieser Konstellation ein Unterlassen. Zwar kann nach überwiegender Ansicht auch der Missbrauchstatbestand durch Unterlassen verwirklicht werden.445 Jedoch müsste sich der eingetretene Vermögensnachteil in diesem Fall als Folge eines rechtsgeschäftlichen Erklärungsgehalts darstellen.446 In der hier zu untersuchentungsrisikos für die Unternehmensleitung stellt ein wichtiges Ziel der Einführung entsprechender Verhaltenskodizes dar; weiterführend hierzu: Eidam, Unternehmen und Strafe, Rn. 763, 1948. 440 Im konkreten Fall handelte es sich um einen „Leitfaden zum Abrechnungsbuch für Stadt-, Stadtbezirks-, Gemeinde- und Ortsverbände der CDU Deutschland“. Der BGH sprach in seinem 2. Leitsatz von „Satzung“. 441 BGH, NStZ 2011, 403. 442 BGHSt 24, 386 (387 f.); Fischer, StGB, § 266, Rn. 21, 33; Joecks, § 266, Rn. 23; Krey/Hellmann, BT/2, Rn. 542; Lackner/Kühl, § 266, Rn. 4; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT/I, § 45, Rn. 18; MüKo-Dierlamm, § 266, Rn. 13 ff.; Wessels/Hillenkamp, BT/ 2, Rn. 750. 443 Die Einrichtung eines Compliance-Systems ist eine Leitungsaufgabe, zu deren Wahrnehmung gem. § 76 AktG der Vorstand der AG bzw. gem. § 35 GmbHG der Geschäftsführer der GmbH berufen ist; zur AG: MüKo-AktG-Spindler, § 76, Rn. 17, zur GmbH: Baumbach/Hueck-Zoellner/Noack, GmbHG, § 35, Rn. 28, 68a. 444 Auf dieses Strafbarkeitsrisiko hinweisend: Achenbach/Ransiek-Seier, 5. Teil, 2, Rn. 293; Klindt/Pelz/Theusinger, NJW 2010, 2385 (2387). 445 RGSt 65, 333 (334); Fischer, StGB, § 266, Rn. 32; MüKo-Dierlamm, § 266, Rn. 123; S/S-Lenckner/Perron, § 266, Rn. 16. 446 NK-Kindhäuser, § 266, Rn. 91; Kohlmann nennt die Begründung einer nachteiligen Verpflichtung durch rechtserhebliches Schweigen, die Verlängerung eines nachteili-

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4. Kap.: Strafbarkeitsbegründende Wirkung

den Konstellation kommt ein Nachteil durch Auferlegung von Bußgeldpflichten oder Geltendmachung von Schadensersatzforderungen gegen das betroffene Unternehmen447 sowie durch eine negative Bewertung am Kapitalmarkt oder das Ausbleiben einer Vermögensmehrung in Betracht. Sofern die Verschlechterung der Vermögenslage die gesetzliche Folge des Unterlassens ist, fehlt es an einer für den Unrechtskern der Missbrauchsuntreue maßgeblichen missbräuchlichen Ausübung einer rechtsgeschäftlichen Befugnis448 ebenso wie ein etwaiger Nachteil in den beiden anderen genannten Fällen auf tatsächlichen Vorgängen beruht. Somit ist das Augenmerk auf die Treubruchsalternative zu richten. 1. Pflicht zur Einrichtung von Compliance-Regelungen Wird eine Pflicht zur Einrichtung von Compliance-Regelungen nicht ausdrücklich rechtsgeschäftlich vereinbart, kommen aus dem Kreis möglicher Begründungstatbestände in erster Linie Gesetz oder Treueverhältnis in Betracht. Auch letzteres setzt die Existenz rechtlicher Pflichten voraus.449 Diese ergeben sich für Vorstand bzw. Geschäftsführung als primäre Verantwortliche für die ComplianceOrganisation450 aus den gesellschaftsrechtlichen Vorgaben. Entscheidend ist daher, ob diese Normen die Pflicht zur Implementierung einer Compliance-Organisation beinhalten und bei Nichterfüllung dieser Pflicht eine Strafbarkeit wegen Untreue in Betracht kommt. a) Gesellschaftsrechtliche Organisationspflichten Die in §§ 76, 91 Abs. 2 AktG statuierte Pflicht des Vorstandes geeignete Maßnahmen zu treffen, damit den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen früh erkannt werden, begründet eine treuhänderische Sorge nach § 266 Abs. 1 StGB, so dass im Falle ihrer Nichterfüllung eine Strafbarkeit wegen Untreue droht.451 Die Pflicht nach § 91 Abs. 2 AktG umfasst dem Gesetzeswortlaut nach die Einrichtung eines Überwachungssystems, um den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen frühzeitig zu erkennen.452 Für bestimmte gen Vertrages, das Nichteinschreiten gegen eine rechtsgrundlose Aufrechnung und einen Rechtsverlust durch versäumtes Rügen oder Verjährenlassen von Forderungen als Fälle eines Missbrauchs durch Unterlassen i. S. v. § 266 Abs. 1 Alt. 1 StGB, Hachenburg, GmbHG, vor § 82, Rn. 125 ff. 447 Vgl. zu diesem Aspekt auch: Theile, wistra 2010, 457 (459). 448 MüKo-Dierlamm, § 266, Rn. 123. 449 Fischer, StGB, § 266, Rn. 40. 450 Vgl. Hauschka-Bürkle, § 8, Rn. 11. 451 Eidam, Unternehmen und Strafe, Rn. 560; MüKo-AktG-Spindler, § 91, Rn. 39; Windolph, NStZ 2000, 522 (524). 452 Der DCGK (o. Fn. 13) unterscheidet begrifflich zwischen Risikomanagementsystemen und einer Compliance-Organisation, vgl. DCGK 3.4., 4.1.4., 5.2., 5.3.2. Letz-

§ 2 Vermögensbetreuungspflicht und Compliance-Regelungen

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Branchen, insbesondere das Bankgewerbe, bestehen über das Mindestmaß der Bestandsgefährdung hinausgehende Organisationspflichten.453 Die Frage, ob neben branchenspezifischen spezialgesetzlichen Konkretisierungen der Betriebsorganisation eine allgemeine gesellschaftsrechtliche Pflicht zur Einrichtung einer Compliance-Organisation besteht, ist umstritten.454 Verschiedentlich wird dies im Wege einer Gesamtanalogie zu mehreren aktien- und aufsichtsrechtlichen Normen bejaht.455 Nach anderer Ansicht zeigt die Tatsache, dass es sich dabei um Spezialtatbestände handelt, dass es an einer planwidrigen Regelungslücke fehlt und von einer generellen Compliance-Implementierungspflicht gerade nicht ausgegangen werden kann.456 Sofern es sich um eine Aktiengesellschaft handelt, wird die gesellschaftsrechtliche Pflicht zur Schaffung effektiver Compliance-Strukturen auch allein aus den Vorgaben des § 91 Abs. 2 AktG abgeleitet.457 Dagegen beinhaltet § 91 Abs. 2 AktG nach anderer Auffassung keine Verpflichtung zur Einrichtung eines umfassenden Risikomanagements, sondern lediglich die Forderung nach einem Mindestmaß an organisatorischen Maßnahmen zur Früherkennung bestandsgefährdender Risiken.458 Die Norm spricht von bestandsgefährdenden Entwicklungen und beziehe sich damit auf konkrete dynamische Entwicklungen, nicht auf abstrakte statische Zustände.459 Dieser Aspekt steht für sich genommen der Annahme einer generellen Verpflichtung zur Einrichtung von Compliance-Regelungen jedoch nicht entgegen, da das Erkennen gefährlicher Entwicklungen stets auch die Identifikation der risikoreichen Ausgangslage als statisches Element erfordert.460 Dass mit dem Erkennen des Getere umfasst die Pflicht des Vorstands für die Einhaltung gesetzlicher Bestimmungen und unternehmensinterner Richtlinien zu sorgen, vgl. DCGK 4.1.3. Für die hier untersuchte Frage, inwiefern sich aus gesetzlichen Bestimmungen eine allgemeine Compliance-Implementierungspflicht ableiten lässt, soll über die Formulierungsunterschiede hinweggegangen und sollen sämtliche Normen, die Risikomanagement-, Überwachungs-, oder vergleichbare Pflichten auferlegen untersucht werden. 453 Vgl. § 25a Abs. 1 KWG, § 33 WpHG, § 64a VAG, § 52a BImSchG und Art. 34 Anti-Terrorismus-Finanzierungs-RL (Richtlinie 2005/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 2005 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung, ABl. Nr. L 309, S. 15). 454 Vgl. zum aktuellen Streitstand Schneider, NZG 2009, 1321 (1323). 455 Fleischer, AG 2003, 291 (298 ff.); Schneider, ZIP 2003, 645 (649). 456 Bachmann/Prüfer, ZRP 2005, 109 (111); Bürkle, BB 2005, 565 (568); HauschkaHauschka, § 1, Rn. 23; ders., ZIP 2004, 877 (878); Kort, NZG 2008, 81 (84); Theile, wistra 2010, 457 (459). 457 Dreher, in: FS Hüffer, 2010, S. 161 ff. (168); Passarge, NZI 2009, 86 (89 f.). 458 Bachmann/Prüfer, ZRP 2005, 109 (110 f.); Hölters, AktG-Müller-Michaelis, § 91, Rn. 6; Hüffer, AktG, § 91, Rn. 4 f., jew. m.w. N. 459 Blasche, CCZ 2009, 62 (63); Hüffer, AktG, § 91, Rn. 6. 460 Theile, wistra 2010, 457 (460).

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fährdungspotenzials der Fortbestandssicherungspflicht noch nicht genüge getan ist, sondern vielmehr auch ein gefahrbeseitigendes Einschreiten erforderlich ist, ergibt sich zumindest aus § 76 Abs. 1 AktG.461 Gleichwohl soll nach anderer Ansicht aus § 91 Abs. 2 AktG keine Compliance-Implementierungspflicht abgeleitet werden können, da die Norm lediglich das Innenverhältnis von Unternehmensleitung und Gesellschaft betrifft. In diesem Bereich sei von einem weiten Handlungsspielraum bei der Organisation der internen Betriebsabläufe auszugehen, so dass eine generelle Pflicht zur Einrichtung von Compliance-Vorschriften abzulehnen sei.462 Demgegenüber treffen die branchenspezifischen Vorgaben, die umfassende Risiko-Managementmaßnahmen erfordern,463 nicht nur konkrete Angaben zur Betriebsorganisation,464 vielmehr sind sie im Allgemeininteresse auch auf das Außenverhältnis der Gesellschaft gerichtet. In § 25a Abs. 1 KWG werden die besonderen organisatorischen Pflichten auf die Einrichtung eines Risikomanagementsystems konkretisiert. Art. 34 Anti-Terrorismus-Finanzierungs-RL stellt ebenfalls einen umfassenden Pflichtenkatalog für die innerbetriebliche Organisation auf.465 Im Hinblick auf Aktiengesellschaften wird auch der DCGK zur Begründung einer Rechtspflicht, gerichtet auf die Schaffung einer Compliance-Organisation, herangezogen.466 Dem ist entgegenzuhalten, dass der Kodex in der Regelung des 4.1.3., entsprechend seiner Konzeption, lediglich deklaratorisch geltendes Recht wiederholt.467 Auch eine nach § 161 AktG abzugebende Entsprechenserklärung zum DCGK ändert diesbezüglich nichts, da durch die Erstellung des Kodex’ nach dem erklärten Willen der Verfasser keine Konkretisierung des Gesellschaftsrechts bewirkt werden sollte.468 Zur Begründung einer branchenübergreifenden Compliance-Organisationspflicht werden weiterhin auch allgemeine Sanktionsnormen, insbesondere die §§ 30 und 130 OWiG, angeführt.469 Der damit umschriebene Pflichtenkreis be461

Theile, wistra 2010, 457 (460). Theile, wistra 2010, 457 (460). 463 Insb. § 25a Abs. 1 KWG, § 33 WpHG, § 64a VAG, § 52a BImSchG und Art. 34 Anti-Terrorismus-Finanzierungs-RL. 464 Allerdings ohne den Begriff Compliance zu verwenden. 465 Erforderlich sind demnach angemessene und geeignete Strategien und Verfahren für die gegenüber Kunden einzuhaltenden Sorgfaltspflichten, für Verdachtsmeldungen, für die Aufbewahrung von Aufzeichnungen, die interne Kontrolle, die Risikobewertung und das Risikomanagement sowie für die Gewährleistung der Einhaltung der einschlägigen Vorschriften und die Kommunikation, um Transaktionen, die mit Geldwäsche oder Terrorismusfinanzierung zusammenhängen, vorzubeugen und zu verhindern. 466 Bürkle, BB 2007, 1797 (1798). 467 So auch: Bachmann, Compliance, 2008, S. 72; Hauschka-Hauschka, § 1, Rn. 23. 468 Kort, NZG 2008, 81 (84); Schlösser/Dörfler, wistra 2007, 326 (330); Theile, wistra 2010, 457 (460). 469 Vgl. Koch, WM 2009, 1013 (1016). 462

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schränkt sich allerdings auf eine Verhinderung straf- oder bußgeldbewehrter Taten.470 Anhaltspunkte dafür, wie diese Pflicht organisatorisch zu erfüllen ist und ob es dazu der Einrichtung einer unternehmensinternen Compliance-Struktur bedarf, ergeben sich auf Grundlage dieser Normen nicht. Bei der Frage, ob die Einrichtung einer betriebsinternen Compliance-Struktur erforderlich ist, ist der Ermessensspielraum der Vorstandsmitglieder zu berücksichtigen.471 Zwar hat der Vorstand nach § 91 Abs. 2 AktG die Pflicht ein Überwachungssystem einzurichten, um bestandsgefährdende Entwicklungen frühzeitig erkennen zu können. Bei der Ausgestaltung dieses Systems sowie bei der Erfüllung sonstiger Planungs-, Organisations- und Kontrollpflichten ist ihm aber ein Ermessensspielraum einzuräumen, um die spezifischen Gegebenheiten innerhalb des Unternehmens angemessen berücksichtigen zu können.472 Auch im Hinblick auf die Erfüllung seiner Organisationspflichten durch Einrichtung einer Compliance-Organisation genießt der Vorstand einen weiten Gestaltungsspielraum.473 Über das von § 91 Abs. 2 AktG geforderte Frühwarnsystem für bestandsgefährdende Risiken hinaus, ist die Frage, ob eine Pflicht zur Einrichtung einer Compliance-Organisation besteht, daher nur im Einzelfall zu bejahen, sofern unter Beachtung der Business Judgment Rule,474 der von § 93 Abs. 1 AktG geforderten Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters nicht auf anderem Wege hinreichend Genüge getan werden kann. Eine branchenübergreifende und generell für alle Unternehmen geltende Pflicht zur Einrichtung einer Compliance-Organisation kann den gesellschaftsrechtlichen Regelungen in ihrer derzeitigen Fassung nicht entnommen werden.475 Grundsätzlich bejahen lässt sich eine solche Pflicht nur für die Unternehmen, die in den Anwendungsbereich der Gesetze fallen, die ausdrücklich die Einrichtung 470 Zusätzlich wird z. T. eine Beschränkung auf Pflichten, die den Inhaber als solchen treffen, entgegen einer Beachtung sämtlicher Vorschriften, befürwortet, so insb.: Bachmann, Compliance, 2008, S. 70 f. 471 Weiterführend zum Ermessensspielraum der Vorstandsmitglieder einer AG: BGH, NJW 1997, 1926 (1927 f.) – ARAG/Garmenbeck; Hölters, AktG-Hölters, § 93, Rn. 29. 472 Bosch/Lange, JZ 2009, 225 (230). 473 Vgl. MüKo-AktG-Spindler, § 91, Rn. 36. 474 BGH, NStZ 2006, 221 (222); BGHSt 50, 331 (336) im Anschluss an die zivilrechtliche Rechtsprechung in BGHZ 135, 244 (253); mit dem UMAG vom 22.09.2005 (BGBl. I, 2802) wurde die Business Judgment Rule in § 93 Abs. 1 S. 2 AktG kodifiziert. Abzugrenzen von Sorgfaltspflichtverletzungen wegen Verstoßes gegen Treue-, und Informationspflichten und sonstigen allgemeinen Gesetzes- und Satzungsverstößen setzt eine fehlgeschlagene unternehmerische Entscheidung i. S. v. § 93 Abs. 1 S. 2 AktG voraus, dass es sich um eine unternehmerische Entscheidung handelt, Gutgläubigkeit des Entscheidungsorgans vorliegt, das Handeln frei von Sonderinteressen und sachfremden Einflüssen ist, zum Wohle der Gesellschaft und auf der Grundlage angemessener Informationen erfolgt. 475 Zu diesem Ergebnis kommen auch: Hauschka, AG 2004, 461 (462); Spindler/ Stilz-Fleischer, AktG, § 91, Rn. 40.

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und Durchsetzung effektiver Compliance-Organisationen in Form von RisikoManagement-Systemen verlangen. Die Frage, ob darüber hinaus eine gesellschaftsrechtliche Pflicht zur Implementierung von Compliance-Systemen im Einzelfall besteht, hat hingegen die branchen- und unternehmensspezifische Risikolage im Blick zu behalten. Dabei kommt es maßgeblich auf Größe, Organisationsstruktur und Risikopotenzial des jeweiligen Unternehmens an. Eine im Einzelfall bestehende Compliance-Implementierungspflicht lässt sich so auf die in § 93 Abs. 1 AktG geregelte Leitungsverantwortung des Vorstands stützen,476 da diese sich aus der Legalitätspflicht und der Organisationsverantwortung zusammensetzt.477 Inhalt und Umfang einer Pflicht zur Einrichtung von Compliance-Regelungen sind dahingehend einzuschränken, dass die Pflicht nicht die Verhinderung sämtlicher Rechtsverstöße umfasst, sondern auf betriebsbezogene Delinquenz beschränkt ist und keine Vorgaben zur konkreten Ausgestaltung des Compliance-Systems beinhaltet.478 b) Vermögensbetreuungspflicht als Compliance-Pflicht nur in Ausnahmefällen Dass die Leitungsorgane und in bestimmten Konstellationen auch die Kontrollinstanzen eine Vermögensbetreuungspflicht gegenüber dem anvertrauten Unternehmensvermögen trifft, steht außer Frage.479 Eine Strafbarkeit nach § 266 Abs. 1 StGB aufgrund unterlassener Einrichtung einer Compliance-Organisation ist in Betracht zu ziehen, wenn unter Berücksichtigung der Business Judgment Rule ein Verstoß gegen Gesellschaftsrecht vorliegt.480 Gesellschaftsrechtlich nicht zu beanstandendes Verhalten vermag grundsätzlich auch keine Untreuestrafbarkeit zu begründen.481 Zwar erfordert das Gesellschaftsrecht nicht zwingend die Einrichtung einer Compliance-Struktur, jedoch kann sich diese im Einzelfall aus den bestehenden Planungs-, Leitungs- und Überwachungspflichten des Vorstandes ergeben. Aus dem Fehlen einer generellen Pflicht zur Einrichtung einer Compliance-Organisation kann nicht von vornherein auf deren grundsätzliche Verzichtbarkeit geschlossen werden. Bei Unternehmen, denen nicht durch branchenspezifische Regelungen die Einrichtung bestimmter Compliance-Organisationen auferlegt wird, besteht grundsätzlich ein weiterer Ermessensspielraum in Bezug auf interne Organisationsmaßnamen und damit auch im Hinblick auf die Implementierung von Compliance-Konzepten. 476

Bachmann, Compliance, 2008, S. 74; Vetter, DB 2007, 1963 (1964). Bzgl. der Legalitätspflicht und betr. GmbH: BGHZ 133, 370 (375); 125, 366 (370, 372); Hüffer, AktG, § 93, Rn. 4 a. E.; bzgl. der Unternehmensorganisation: Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 93, Rn. 52. 478 So auch: Bachmann, Compliance, 2008, S. 74. 479 Vgl. nur: BGH, NJW 2002, 1585 (1585 f.); NStZ 2010, 700 (701). 480 Vgl. Fischer, StGB, § 266, Rn. 59; Theile, wistra 2010, 457 (459). 481 LK-Schünemann, § 266, Rn. 94. 477

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Auch wenn gesellschaftsrechtliche Pflichten zur Einrichtung einer Compliance-Struktur in Einzelfällen tatsächlich zu bejahen sind, zieht ein Verstoß nicht zwingend eine strafrechtliche Haftung nach sich.482 So führt die Verletzung der Pflicht zur Einrichtung von Überwachungssystemen gem. § 91 Abs. 2 AktG483 zunächst lediglich zu einer zivilrechtlichen Haftung der Vorstandsmitglieder. Nicht jeder Verstoß gegen gesellschaftsrechtliche Pflichten, wie die in § 91 Abs. 2 AktG genannten, begründet auch eine Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht i. S. d. § 266 Abs. 1 StGB.484 Die Rechtsprechung hat zeitweise bei unternehmerischen Entscheidungen eine bloße gesellschaftsrechtliche Pflichtverletzung nicht genügen lassen und eine gravierende Pflichtverletzung zur Begründung der Untreuestrafbarkeit verlangt.485 Auch wenn dies nun kein zwingendes Erfordernis mehr darstellt, so kann das Fehlen einer Compliance-Organisation doch nur in Einzelfällen eine strafrechtliche Haftung nach § 266 Abs. 1 StGB zur Folge haben. Hinzutreten müssen besondere Umstände, gesetzlicher oder tatsächlicher Art, die fehlende Compliance-Vorkehrungen im Einzelfall als Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht erscheinen lassen. Die Konstellationen in denen die Außerachtlassung von Compliance-Vorkehrungen zur Haftung nach § 266 Abs. 1 StGB führen kann, beschränken sich im Wesentlichen auf die Nichtverhinderung oder Erleichterung von unrechtsmäßigem Mitarbeiterverhalten und die dadurch ausgelösten Sanktionen gegen das Unternehmen oder sonstigen nachteiligen Auswirkungen auf dessen Vermögen.486 In Betracht kommt dies bei Unternehmen besonders risikoreicher Branchen, für die der Gesetzgeber bereits im Gesellschaftsrecht spezifische Anforderungen an die interne Organisation gestellt hat. Da bei ihnen aufgrund ihres branchenbedingten hohen Risikopotenzials strengere Anforderungen an die interne Unternehmensorganisation gestellt werden, kann das völlige Fehlen eines Compliance-Konzepts in diesen Fällen als Organisationsmangel und bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen auch als Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht angesehen werden. Branchenunab-

482 Vgl. zur sog. „asymmetrischen Akzessorietät“ in Bezug auf zivil- und strafrechtliche Verpflichtungen: MüKo-Dierlamm, § 266, Rn. 153. 483 § 91 Abs. 2 AktG kommt nach h. M. eine „Ausstrahlungswirkung“ auch für Geschäftsführer anderer Gesellschaftsformen zu: Begr. RegE, BT-Drs. 13/9712, 15; Mosiek, wistra 2003, 370 (372 f.); Michalke, StV 2011, 245 (248, Fn. 25) m.w. N. 484 Bosch/Lange, JZ 2009, 225 (227); Mosiek, wistra 2003, 370 (373 f.); Windolph, NStZ 2000, 522 (524). 485 BGHSt 47, 148 (150) und BGHSt 47, 187 forderten eine gravierende Pflichtverletzung, deren Vorliegen im Wege einer Gesamtschau der gesellschaftsrechtlichen Kriterien zu ermitteln sei. In BGHSt 50, 331 wurde das Erfordernis einer gravierenden Pflichtverletzung aber ausdrücklich aufgegeben. 486 In Betracht kommen insofern etwa fehlende Prüfungssorgfalt bei Kreditvergabe oder die Verletzung von fremden Schutzrechten durch Mitarbeiter bei der Produktentwicklung oder -vermarktung. Eine Untreuehaftung der Leitungsorgane setzt dabei allerdings voraus, dass die dadurch ausgelösten Sanktionen durch geeignete ComplianceProgramme hätten verhindert werden können.

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hängig können sich die zusätzlichen Anhaltspunkte für eine Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht daraus ergeben, dass es in der Vergangenheit bereits zu Rechtsverstößen vergleichbarer Art mit negativen Folgen für das Unternehmensvermögen gekommen ist. Ebenfalls denkbar sind Fallgestaltungen, in denen ernstzunehmende Verdachtsmomente für geplante sanktionsauslösende Verhaltensweisen von Mitarbeitern vorlagen, deren Realisierung durch entsprechende Compliance-Gegenmaßnahmen hätte verhindert werden können. In diesen Fällen kann das Fehlen einer Compliance-Organisation eine auch strafrechtlich relevante Treupflichtverletzung darstellen. Der erforderliche Vermögensbezug der verletzten Pflicht sowie der funktionale Zusammenhang mit dem Aufgabenkreis der Leitungsorgane sind regelmäßig gegeben. 2. Ausgestaltung der Implementierungspflicht vor dem Hintergrund des IDW PS 980 Sofern eine Compliance-Implementierungspflicht besteht, stellt sich die Frage, an welchen Maßstäben sich deren Erfüllung zu orientieren hat bzw. wie ein Compliance-System auszugestalten ist, um strafrechtlichen Anforderungen zu genügen. Auch in diesem Zusammenhang ist das Ermessen der Leitungsorgane in Bezug auf die Modalitäten der Erfüllung ihrer Pflichten zu berücksichtigen.487 Dabei könnte der vom Institut der Wirtschaftsprüfer erarbeitete Prüfungsstandard IDW PS 980488 auch unter strafrechtlichen Aspekten eine Orientierungshilfe darstellen.489 Seine Relevanz für haftungsrechtliche Fragen wird kontrovers beurteilt.490 Im Hinblick auf unternehmerische Entscheidungen im Anwendungsbereich der Business Judgment Rule halten einige Stimmen in der Literatur zumindest in zivilrechtlicher Hinsicht eine haftungsvermeidende Wirkung eines positiven Prüfberichts nach dem IDW PS 980 für möglich. Für die Haftung nach Vorschriften des GWB und OWiG soll hingegen nur eine haftungsreduzierende Wirkung in Betracht kommen.491 Demgegenüber gestehen andere dem IDW PS 980 keinerlei 487

Vgl. auch: Theile, wistra 2010, 457 (461). Der IDW PS 980 wurde vom Hauptfachausschuss des Instituts der Wirtschaftsprüfer in Deutschland (IDW) am 11. März 2011 verabschiedet und ab dem 30. September 2011 bei der Prüfung von Compliance-Management-Systemen angewendet. 489 Vgl. hierzu: Böttcher, NZG 2011, 1054 ff. 490 Eine enthaftende Wirkung grundsätzlich bejahend: Gelhausen/Wermelt, CCZ 2010, 208 (210); ablehnend: Böttcher, NGZ 2011, 1054 (1057 f.); grds. abl.: Rieder/ Jerg, CCZ 2010, 201 (204 ff.); offenlassend: Schemmel/Minkoff, CCZ 2012, 49 (53 f.); differenzierend zwischen materieller und prozessualer Wirkung: von Busekist/Hein, CCZ 2012, 41 (42). 491 Gelhausen/Wermelt, CCZ 2010, 208 (212 f.) unter Bezugnahme auf den Entwurf des IDW PS 980, die in der Endfassung vorgenommenen Änderungen betreffen in erster Linie Klarstellungen zum Anwendungskreis und zu einzelnen Begriffen sowie den Prüfungsablauf, ohne für die vorgebrachten systematischen Aspekte von Gelhausen/ 488

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enthaftende Wirkung zu. Weder in gesellschaftsrechtlicher noch in strafrechtlicher Hinsicht könne eine Prüfung unter Zugrundelegung des Standards schützenswertes Vertrauen begründen.492 Zum einen enthalte der Standard in erster Linie Vorgaben formaler Art zur Durchführung des Prüfungsprozesses, Berufspflichten und Prüfungsplanung. Hinsichtlich des materiellen Gehalts der in einer dreistufigen Konzeptions-, Angemessenheits- und Wirksamkeitsprüfung zu untersuchenden Compliance-Systeme, verweise der Prüfungsstandard nur auf bestehende allgemein anerkannte Grundsätze.493 Zum anderen kommt dem IDW PS 980 keine rechtliche Verbindlichkeit gegenüber den Unternehmen zu. Die Durchführung einer Compliance-Prüfung erfolgt freiwillig. Der Inhalt der Prüfungsstandards entfaltet mangels originärer oder derivativer Rechtssetzungskompetenz des IDW allenfalls über die verbandsinterne Satzung rechtliche Bindungswirkung für Mitglieder des IDW. Angesichts der Aktualität der Regelung, und der kontroversen Diskussionen über seine rechtliche Relevanz ist auch keine lange, tatsächliche Übung oder allgemeine Überzeugung und Anerkennung auszumachen, die eine auf Gewohnheitsrecht gestützte Verbindlichkeit begründen könnte.494 Dennoch sollte die praktische Relevanz standardisierter Vorgaben zur Prüfung und Bewertung von Compliance-Systemen nicht unterschätzt werden. Als Verlautbarungen eines fachlich kompetenten Gremiums ist dem IDW PS 980 ein Rang entsprechend dem einer Literaturmeinung einzuräumen.495 Die Nichtbeachtung entfaltet wie bei den insofern vergleichbaren Empfehlungen der Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung e. V. oder den IAS/IFRS-Rechnungslegungsgrundsätzen zumindest Indizwirkung.496 Für die Gerichte stellen die Prüfungsstandards angesichts der Ausfüllungsbedürftigkeit rechtlicher Rahmenvorgaben zur Unternehmensbinnenorganisation Entscheidungshilfen und Vergleichsmaßstäbe für Compliance-Konzepte dar. Wenn sie die gerichtliche Auslegung auch nicht ersetzen können, so dienen sie zumindest als Vergleichsstandard mit Indizwirkung.497 Der Einfluss zeigt sich insbesondere im Anwendungsbereich der Business Judgment Rule. Ihre haftungsprivilegierende Wirkung entfaltet die Business

Wermelt von Bedeutung zu sein; vgl. zu den vorgenommenen Änderungen auch: Görtz, BB 2012, 178 (179). 492 Rieder/Jerg, CCZ 2010, 201 (207) unter Bewertung des Entwurfs des IDW PS 980, die der Beurteilung zugrundegelegten Kriterien haben sich aber in der Endfassung nicht geändert. 493 Vgl. Böttcher, NZG 2011, 1054 (1057). 494 Vgl. Böttcher, NZG 2011, 1054 (1055 f.). 495 Vgl. Böttcher, NZG 2011, 1054 (1056 f.). 496 Bzgl. des IDW PS 980: Böttcher, NZG 2011, 1054 (1055); bgzl. der DPREmpfehlungen und der IAS/IFRS-Rechnungslegungsstandards: MüKo-Sorgenfrei, vor §§ 331 ff. HGB, Rn. 34 f. 497 So auch: Böttcher, NZG 2011, 1054 (1056 f.).

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Judgment Rule dann, wenn eine unternehmerische Entscheidung in gutem Glauben, zum Wohle der Gesellschaft und frei von Interessenkonflikten erfolgt sowie auf der Grundlage angemessener Informationen getroffen wird.498 Für die Beurteilung, ob ein Compliance-System ordnungsgemäß ausgestaltet ist, könnte die Durchführung einer Prüfung nach dem IDW PS 980 und die Behebung etwaiger beanstandeter Defizite eine den Sorgfaltsanforderungen entsprechende Entscheidungsgrundlage bieten.499 Allerdings hängt die Begründung schutzwürdigen Vertrauens auf ein positives Prüfungsergebnis zusätzlich von ähnlichen Voraussetzungen ab, wie sie auch für die Einholung von Rechtsrat gelten.500 Demnach muss der Prüfer nach fachlicher Sachkunde, persönlicher Zuverlässigkeit ausgewählt, vollständig und zutreffend über den zu prüfenden Sachverhalt informiert werden und die ermittelten Ergebnisse von den zuständigen Unternehmensorganen auf ihre Plausibilität überprüft werden.501 Sind diese Voraussetzungen gegeben, kann ein nach dem IDW PS 980 zertifiziertes Compliance-Regelwerk als auf angemessener Informationsgrundlage beruhend angesehen werden und die Business Judgment Rule damit grundsätzlich haftungserleichternd eingreifen.502 Daneben entfaltet der Prüfungsstandard bei den gesellschaftsrechtlichen Sorgfaltspflichten und der allgemeinen öffentlich-rechtlichen Sorgfaltspflicht nach § 130 OWiG konkretisierende Wirkung. Ausgangspunkt der Betrachtung ist die Sorgfalt des ordentlichen und gewissenhaften Kaufmanns nach § 93 Abs. 1 S. 1 AktG bzw. § 43 Abs. 1 GmbHG. Im Hinblick auf Compliance-Regelungen schließt diese eine regelmäßige Überprüfung der Wirksamkeit sowie die Durchführung gegebenenfalls erforderlicher Anpassungen ein. Weiterhin muss eine effektive Umsetzung erfolgen. Eine Prüfung nach dem IDW PS 980 und die Beseitigung festgestellter Defizite kann hierbei als Indiz für die ordnungsgemäße Erfüllung der Organisationspflichten dienen.503 Dies gilt aufgrund der statischen Betrachtungsweise nur für die Effektivität der Umsetzung und die Durchführung regelmäßiger Kontrollen zu einem bestimmten Zeitpunkt. Bezüglich der Beseitigung festgestellter Mängel kann dem Prüfergebnis keine Aussage entnommen werden. Geht es nun im strafrechtlichen Kontext um die Frage, ob die mangelhafte Ausgestaltung eines Compliance-Programms oder seine defizitäre Umsetzung im Unternehmensalltag Rechtsverstöße von Mitarbeitern ermöglicht oder erleichtert hat, kann den nach dem IDW PS 980 gewonnenen Prüfungsergebnissen ein nachweisbarer Anhaltspunkt dafür entnommen werden, dass zum Zeitpunkt der Durchführung der Prüfung kein Verstoß gegen Organisationspflichten 498

In abweichender Reihenfolge: BegrRegE, BR-Drucks 3/05 S. 19. Withus/Hein, CCZ 2011, 125 (127 f.). 500 Withus/Hein, CCZ 2011, 125 (127). 501 Fleischer, NZG 2010, 121 (122 ff.), der diese Kriterien für die Annahme schutzwürdigen Vertrauens bei Einholung von Rechtsrat aufstellt. 502 Vgl. auch: Withus/Hein, CCZ 2011, 125 (128). 503 Withus/Hein, CCZ 2011, 125 (127 f.). 499

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und damit keine Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht vorlag. Neben der inhaltlichen Aussage eines positiven Prüfergebnisses macht sich auch der Umstand, einen dokumentierten Nachweis bzgl. der Funktionsfähigkeit des Compliance-Systems vorlegen zu können, haftungserleichternd bemerkbar. Damit kommt dem IDW PS 980 wenn auch im Regelfall keine rechtliche Bindungswirkung, so doch Relevanz i. S.e. Indizwirkung zu. Bei den hier untersuchten Anforderungen an die Ausgestaltung von Compliance-Regelungen kann er im Rahmen der Business Judgment Rule für die Erfüllung ihrer „Tatbestands“-Voraussetzungen sorgen. Eine nach Maßgabe des Prüfungsergebnisses eingerichtete Compliance-Organisation beruht im Regelfall auf der erforderlichen angemessenen Informationsgrundlage. Darüberhinaus spielt der IDW PS 980 bei der Konkretisierung kaufmännischer Sorgfaltspflichten eine Rolle und ist ein Indiz dafür, dass den in Bezug auf Einrichtung, Ausgestaltung und Umsetzung bestehenden Sorgfaltspflichten Rechnung getragen wurde. Damit kann ein positiver Prüfungsbericht von den zuständigen Organen der Unternehmensleitung in einem Strafverfahren als Beleg dafür herangezogen werden, dass zum relevanten Zeitpunkt ein ordnungsgemäß ausgestaltetes und effektiv umgesetztes Compliance-System existierte.504 Dieser Nachweis, dass die Sorgfalts-, Organisations- und Kontrollpflichten pflichtgemäß wahrgenommen wurden, steht dabei unter einem zeitlichen und inhaltlichen Vorbehalt. Zum einen ist das Prüfungsergebnis auf einen bestimmten Zeitpunkt bezogen und trifft keine Aussage zur Behebung etwaiger Mängel. Zum anderen erstreckt sich die Beweiskraft des Prüfberichts nur auf die geprüften Aspekte. Im Interesse eines möglichst großen Anwendungsbereiches kommt es notwendig zu Lücken inhaltlicher wie materiellrechtlicher Art. So fehlt es den Vorschriften des IDW PS 980 an branchenspezifischem Tiefgang und die Entscheidung über die Rechtsgebiete, auf die sich das geprüfte Compliance-Management-System beziehen soll, wird den Unternehmen selbst anheimgestellt.505 Im Hinblick auf die Untreuestrafbarkeit kann die Zertifizierung nach dem IDW PS 980 dennoch das Risiko einer strafrechtlichen Haftung senken, wenn Compliance-Konzepten dadurch die Indizwirkung einer ordnungsgemäßen Erfüllung organisatorischer Pflichten, wie insbesondere auch der Vermögensbetreuungspflicht, zugutekommt oder eine Anwendung der Business Judgment Rule ermöglicht wird. Die Zertifizierung einer Compliance-Organisation nach dem Prüfungsstandard vermag damit das Strafbarkeitsrisiko einer Untreuehaftung wegen 504 Zu diesem Ergebnis kommen auch: Böttcher, NZG 2011, 1054 (1057 f.); Gelhausen/Wermelt, CCZ 2010, 208 (209); Withus/Hein, CCZ 2011, 125 (133). 505 Insbesondere im Hinblick auf die Haftung des Aufsichtsrates ist zu beachten, dass die nach § 107 Abs. 3 AktG geforderte Überwachung der Systemwirksamkeit eine Betrachtung des gesamten Überwachungszeitraums voraussetzt, so dass insofern die Beschränkung auf eine status-quo-Betrachtung besonders negativ ins Gewicht fällt; vgl. hierzu auch: Withus/Hein, CCZ 2011, 125 (133).

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mangelhafter Ausgestaltung und Umsetzung von Compliance-Programmen weiter zu senken. Im Vergleich zu den Haftungsrisiken bei völligem Fehlen von Compliance-Vorkehrungen ist es aufgrund des weiten Ermessensspielraums aber ohnehin als deutlich geringer einzustufen. 3. Vermögensnachteil durch Verringerung des Geschäftswertes Im Hinblick auf die untreuerelevante Rechtsgutsverletzung ist in der hier untersuchten Konstellation neben dem Auslösen von gegen das Unternehmen gerichteten Sanktionen506 auch an eine Verringerung des Geschäftswertes zu denken. Voraussetzung eines Nachteils i. S. v. § 266 Abs. 1 StGB ist eine nach dem Prinzip der Gesamtsaldierung festzustellende Vermögenseinbuße.507 Diese muss nach wirtschaftlicher Betrachtungsweise in Geld messbar sein.508 Die Nichteinrichtung von Compliance-Programmen könnte zu einer Verringerung des Geschäftswertes des Unternehmens oder zum Ausbleiben einer Vermögensmehrung führen. Unter dem Geschäftswert, oder „Goodwill“, ist der gute Ruf eines Unternehmens zu verstehen, der auf verschiedenen wertbildenden Faktoren beruhen kann.509 Seiner Rechtsnatur nach ist der entgeltlich erworbene Geschäftswert bilanzierungsfähiger Vermögensgegenstand, während der unentgeltlich erworbene, originäre Geschäftswert eine bloße Bilanzierungshilfe darstellt.510 Für den zur Nachteilsermittlung erforderlichen Vergleich der Vermögenslagen ergeben sich somit nur für den entgeltlich erworbenen, derivativen Geschäftswert belastbare Anknüpfungspunkte.511 Aufgrund der Vielzahl möglicher Einflussfaktoren wird eine Schmälerung des Goodwills eines Unternehmens aber kaum auf die fehlende Implementierung einer Compliance-Organisation in einem Unternehmen 506

Vgl. unten: 4. Kap., § 2 I 4. Fischer, StGB, § 266, Rn. 115. 508 BGH, NStZ 1997, 543; Achenbach/Ransiek-Seier, 5. Teil, 2, Rn. 167; nach a. A. ist der Begriff des Vermögensnachteils in § 266 Abs. 1 StGB umfassender als der des Vermögensschadens in § 263 StGB zu verstehen, so dass auch die Schädigung von Ansehen, Ruf und Kreditwürdigkeit als nicht ohne Weiteres bzw. nicht sofort messbare finanzielle Nachteile unter den Tatbestand zu subsumieren sind, vgl. Hachenburg-Kohlmann, GmbHG, vor § 82, Rn. 175. 509 Der Geschäftswert beschreibt den Mehrwert des Unternehmens über den Substanzwert der materiellen und immateriellen Einzelwirtschaftsgüter abzüglich der Schulden hinaus. Wertbildende Einflussfaktoren sind u. a. Lage des Unternehmens, Firmenname, Kunden- und Lieferantenbeziehungen, Einkaufs- und Absatzorganisation, Know-how des Managements und Personals, vgl. Beck’sches Steuer- und Bilanzrechtslexikon-Maier, Edition 3/12, Geschäfts- oder Firmenwert, Rn. 2. 510 Der Streit um die Rechtsnatur wurde mit Einführung des § 246 Abs. 1 S. 4 HGB i. R. d. BilMoG entschieden; im Umkehrschluss daraus ergibt sich, dass der unentgeltlich erworbene, originäre Geschäftswert keinen bilanzierungsfähigen Vermögensgegenstand darstellt; vgl. dazu auch: Baumbach/Hopt-Merkt, HGB, § 246, Rn. 9. 511 Vgl. dazu auch: S/S-Perron, § 266, Rn. 45b der eine nicht messbare Beeinträchtigung des guten Rufs als untreuerelevanten Nachteil nicht genügen lässt. 507

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zurückgeführt werden können. Sofern dies gelingen sollte, dürfte eine Strafbarkeit am fehlenden Vorsatz der zuständigen Entscheidungsträger bzw. dessen Nachweisbarkeit scheitern. Daneben könnte auf das Ausbleiben einer Vermögensmehrung abzustellen sein. Problematisch ist hierbei, dass ein Vermögensnachteil i. S. v. § 266 Abs. 1 StGB nur dann vorliegt, wenn eine gesicherte Aussicht des Treugebers auf den Vorteil bestand.512 Die Anforderungen, die erfüllt sein müssen um eine Aussicht oder Gewinnerwartung als gesichert betrachten zu können, sind umstritten. Die zum Teil von der Rechtsprechung geforderte, rechtlich gesicherte Exspektanz, die einen Vermögenszuwachs mit Sicherheit erwarten lässt,513 erscheint angesichts der Parallelproblematik beim Betrug, für die eine konkretisierte Gewinnwahrscheinlichkeit als ausreichend erachtet wird,514 überzogen.515 Eine Steigerung des Geschäftswertes durch die Implementierung von Compliance-Vorschriften ist zwar denkbar und möglich, jedoch von einer Vielzahl anderer Einflussfaktoren abhängig und daher selbst unter Zugrundelegung des weniger strengen Wahrscheinlichkeitsmaßstabs eher als bloße betriebswirtschaftlich fundierte Hoffnung oder Chance einzuordnen. Dass die Vermögensmehrung nicht hinreichend konkret ist, wird auch deutlich, wenn man mit Schünemann das Vorliegen einer rechtlich realisierbaren, ökonomisch bewertbaren und im Verhältnis zum Täter rechtlich geschützten Stellung des Vermögensinhabers im Hinblick auf die Realisierung der Gewinnaussicht, als Abgrenzungskriterium heranzieht.516 Da der originäre Goodwill nicht aktivierbar ist,517 fehlt es insofern selbst an einer – den Bestimmtheitsanforderungen des Untreuetatbestandes genügenden – ökonomischen Bewertbarkeit.518 Allein durch Nichtimplementierung einer Compliance-Struktur und mögliche negative Auswirkungen auf den Geschäftswert kann daher keine Untreuestrafbarkeit begründet werden. 4. Vermögensnachteil durch Auslösen von Ersatzansprüchen und Sanktionen Allein der Verzicht auf die Einrichtung bzw. die mangelhafte Ausgestaltung oder Umsetzung einer Compliance-Organisation im Unternehmen bewirken, wie 512 St. Rspr., vgl. nur BGHSt 17, 147 (148); BGH, NJW 1965, 770 (771); NJW 1975, 1234 (1236); NJW 1983, 1807 (1808); vgl. auch Fischer, StGB, § 266, Rn. 116; krit. Achenbach/Ransiek-Seier, 5. Teil, 2, Rn. 170. 513 BGH, NJW 1965, 770 (771); NJW 1983, 1807 (1808); wistra 1984, 109 (110). 514 St. Rspr., vgl. nur BGHSt 2, 264 (267); BGH, NJW 1962, 973; NJW 2004, 2603 (2604). 515 Achenbach/Ransiek-Seier, 5. Teil, 2, Rn. 170. 516 LK-Schünemann, § 266, Rn. 135. 517 Baumbach/Hopt-Merkt, HGB, § 246, Rn. 9. 518 Zudem fehlt es schon an einer rechtlich realisierbaren und geschützten Position des Vermögensinhabers.

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gezeigt, noch keine messbare Einbuße im Unternehmensvermögen. Ein untreuerelevanter Nachteil kann sich jedoch durch das Auslösen von gegen das Unternehmen gerichteten Ersatzansprüchen bzw. Sanktionen öffentlich-rechtlicher oder privatrechtlicher Art ergeben.519 Für die hier zu untersuchende Frage ist zwischen einer bestandsgefährdenden Vermögensgefährdung und einer weniger schwerwiegenden Gefahrbegründung für das zu betreuende Vermögen zu differenzieren. Sofern die Nichteinrichtung von Compliance-Vorschriften zu einer Existenzgefährdung des Unternehmens führt, liegt zugleich ein Verstoß gegen die aus § 91 Abs. 2 AktG folgende Fortbestandssicherungspflicht vor. Anknüpfungspunkt der Untreuehaftung ist damit nicht primär das Fehlen einer Compliance-Organisation. Daher soll sich die Untersuchung auf Gefährdungen konzentrieren, die in ihrem Ausmaß hinter solchen der Bestandsgefährdung zurückbleiben. Insbesondere Bußgeldzahlungen aufgrund von Kartellrechtsverstößen haben in den letzten Jahren mitunter beachtenswerte Höhen erreicht,520 jedoch wird im Regelfall eine existenzgefährdende Wirkung dieser Sanktionen zu verneinen sein. Die Höhe von Schadensersatzforderungen ist abhängig vom jeweiligen Einzelfall, so dass keine allgemeingültige Aussage getroffen werden kann. Die Frage, ob die Verursachung von Sanktionen oder Schadensersatzpflichten in den Straftatbestand der Untreue münden kann, ist umstritten. Die Rechtsprechung hält dies grundsätzlich für möglich.521 Einige Stimmen in der Literatur haben sich dem angeschlossen,522 während andere dieser Sichtweise eher kritisch gegenüberstehen. So fordert Seier einen am entsprechenden Erfordernis bei Fahrlässigkeitsdelikten angelehnten Schutzzweckzusammenhang zwischen der verletzten, sanktionsauslösenden Verhaltensnorm und dem geschädigten Vermögen.523 Dem scheint sich auch der BGH im Fall Siemens/AUB angeschlossen zu haben, indem er den untreuespezifischen Zusammenhang zwischen Pflichtverletzung und geschütztem Rechtsgut des § 266 Abs. 1 StGB nur dann als gegeben betrachtet, wenn „die unmittelbar verletzte Rechtsnorm selbst vermögensschützenden 519 Zur Untreue durch Auslösung von Schadensersatzpflichten: Jäger, in: FS Otto, 2007, S. 593 ff. 520 Allein die von der EU-Kommission in mehreren Verfahren gegen das Unternehmen Microsoft verhängten Bußgelder erreichen mittlerweile einen Betrag von mehr als 1,6 Mrd. Euro; Quelle: Spiegel Online, v. 17.7.2012, abrufbar unter: ; zuletzt aufgerufen am 9.10.2012. 521 RG, DR 1940, 729; OLG Köln, NJW 1966, 1373 (1374 f.); der BGH hat erstmals 1979 die Verursachung von Schadensersatzansprüchen als Nachteil i. S. v. § 266 Abs. 1 StGB anerkannt (MDR 1979, 988) und dies später auch für das Auslösen von Sanktionen bejaht (BGHSt 51, 100 – Kanther/Weyrauch); vgl. aus der neueren Rspr. auch BGH, NStZ 2011, 403 zur Kölner Parteispendenaffäre. 522 Burger, Untreue (§ 266) durch das Auslösen von Sanktionen zu Lasten von Unternehmen, 2007, S. 243 f.; Saliger, Parteiengesetz und Strafrecht, 2005, S. 51; Schwind, NStZ 2001, 349 (352). 523 Achenbach/Ransiek-Seier, 5. Teil, 2, Rn. 207.

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Charakter“ hat.524 Ausdrücklich offen gelassen hat der BGH in dieser Entscheidung jedoch, ob das auch bei Verletzung einer Norm gilt, an die „spezifische, vermögensmindernde Sanktionen“ anknüpfen.525 Unter Betonung des Erfordernisses vermögensschützenden Charakters der verletzten Rechtsnorm hat der BGH dies im Fall der Kölner Parteispendenaffäre bzgl. § 23a Abs. 1 S. 1 PartG i. d. F. v. 28.1.1994, der zwingende finanzielle Sanktionen vorsieht, abgelehnt.526 Entscheidend war demnach der spezifische Bezug der verletzten Rechtsnorm zum geschützten Vermögen und nicht deren zwingender oder ermessenseinräumender Charakter. Inwiefern sich dieser Bezug auch durch private Regelungen, unter anderem in Compliance-Vorschriften, herstellen lässt, wird noch näher zu untersuchen sein. Zunächst soll die vorgelagerte Frage, ob die Begründung von Schadensersatzforderungen oder das Auslösen von Sanktionen überhaupt eine untreuerelevante Pflichtverletzung darstellen kann, erörtert werden. Nach Ansicht von Otto ist die Anwendung des § 266 StGB ausgeschlossen, wenn gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften verstoßen wurde. Mit der Auferlegung der Geldstrafe oder -buße sei das Unrecht abgegolten, einer darüberhinausgehenden Untreuestrafbarkeit fehle der Anknüpfungspunkt.527 In der hier zu untersuchenden Konstellation müsste demnach zwischen Schadensersatzforderungen wegen Verletzung privatrechtlicher Normen oder vertraglicher Vereinbarungen und der Verletzung öffentlich-rechtlicher Vorschriften differenziert werden. Für Bußgeldforderungen, die stets auf öffentlich-rechtlichen Normen beruhen, zu denken ist insbesondere an diejenigen des Kartellrechts oder § 30 OWiG, wäre eine untreuerelevante Pflichtverletzung mit Otto abzulehnen. Lediglich das Auslösen von Schadensersatzforderungen oder Vertragsstrafen könnte zu einer Untreuestrafbarkeit führen. Eine Differenzierung danach, ob öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche Sanktionen dem Unternehmensvermögen Nachteile bescheren, erscheint indes wenig überzeugend. Auch im Hinblick auf Schadensersatzansprüche ließe sich anführen, dass diese mit Begleichung der Schuld kompensiert seien und der Unwert vollständig abgegolten sei. Der Ansicht Schwinds folgend kann die Untreue524 BGH, NJW 2011, 88 (91 f.): Im Fall ging es um die Verletzung von § 119 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG, dem der BGH eine vermögensschützende Komponente absprach und es auch nicht genügen ließ, dass der Verstoß zugleich eine Verletzung der Legalitätspflicht der Organe einer AG gem. §§ 76, 93, 116 AktG darstellte, die Umfang und Grenzen der Vermögensbetreuungspflicht bei der AG festlegen. 525 BGH, NJW 2011, 88 (92). 526 BGH, NStZ 2011, 403. 527 Nach gesicherter Rechtsprechung seien strafrechtliche Sanktionen wie Geldstrafen oder Geldbußen vom „Tatbestand der Vermögensdelikte nicht erfasst“: Otto, Gutachten zur Verteidigung im Fall Dr. Helmut Kohl, S. 17; Kurzfassung des Gutachtens abgedruckt in RuP 2000, 109.

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strafbarkeit denn auch durch Auslösen von Sanktionen öffentlich-rechtlicher Art begründet werden. Dies ist auch im Falle des § 30 OWiG nicht anders zu bewerten, da aufgrund des unterschiedlichen Gesetzeszwecks stets ein Unrechtsgehalt und damit ein möglicher Anknüpfungspunkt für eine Strafbarkeit nach § 266 Abs. 1 verbleibt.528 Demnach kann die Nichtimplementierung von ComplianceVorschriften eine Strafbarkeit wegen Untreue grundsätzlich auch dann begründen, wenn sich die konkrete Vermögensgefährdung aus einer drohenden Sanktion nach § 30 Abs. 1 OWiG oder anderen Bußgeldtatbeständen ergibt. Unter Hinweis darauf, dass die Annahme einer Untreuestrafbarkeit nicht zu einer Umgehung der fehlenden Versuchsstrafbarkeit führen dürfe, verlangt Perron, dass das Verhalten Dritter dem Täter der Untreue nach den Regeln der objektiven Zurechnung zurechenbar ist, wenn die Vermögensschädigung erst dadurch bewirkt wird. Die bloße Schaffung einer Situation, die zu rechtswidrigem vermögensschädigenden Verhalten anderer führt, reiche dafür grundsätzlich nicht aus.529 Nach diesem Ansatz würde die Nichteinrichtung einer Compliance-Organisation als „bloß mittelbare Risikoschaffung“ 530 für die Begründung einer Untreuestrafbarkeit regelmäßig nicht genügen. Angesichts der Tatsache, dass die Einrichtung einer Compliance-Organisation mittlerweile als notwendiger Bestandteil guter Corporate Governance angesehen wird, könnte sich die Bewertung als lediglich mittelbare Risikoschaffung jedoch ändern. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund einer aufgrund der jüngsten Entwicklungen signifikant gestiegenen Sensibilisierung für die durch Unternehmensmitarbeiter drohende Gefahr von Rechtsverstößen und deren Konsequenzen für die betroffenen Unternehmen. Auch Saliger befürwortet die Möglichkeit einer Untreuestrafbarkeit durch Auslösung von Sanktionen, sofern diese nur auf der Verletzung finanziell sanktionsbewehrter Pflichten beruhen.531 Zu unterscheiden ist zwischen der verletzten Pflicht des unmittelbar Handelnden und der verletzten Pflicht der zuständigen Leitungsorgane des Unternehmens. Dass die Pflicht, die der unmittelbar handelnde Mitarbeiter verletzt, finanziell sanktionsbewehrt ist, wird im Rahmen der hier durchgeführten Untersuchung bereits vorausgesetzt. Für die Untreuestrafbarkeit der zuständigen Leitungsperson kommt es darauf an, ob sie eine Pflicht verletzt, die finanzielle Sanktionen für das anvertraute Vermögen nach sich zieht. Dies kann eine Verletzung der Aufsichtspflicht nach § 130 OWiG sein, die über § 30 OWiG die Verhängung von Geldbußen gegen das Unternehmen ermöglichen kann. Insofern wäre die finanzielle Sanktionsbewehrtheit der verletzten Pflicht zu bejahen, der Kreis möglicher Täter jedoch auf die von § 130 OWiG 528 529 530 531

Schwind, NStZ 2001, 349 (352 f.), der Otto insofern ausdrücklich widerspricht. S/S-Perron, § 266, Rn. 45b. S/S-Perron, § 266, Rn. 45b. Saliger, Parteiengesetz und Strafrecht, 2005, S. 51, 233, 261.

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erfassten Normadressaten und die nach § 9 OWiG gleichgestellten Personen beschränkt. Neben dem Inhaber des Betriebs oder Unternehmens sind nach § 9 Abs. 1 OWiG Vertreter, Organe und unter den in Abs. 2 genannten Voraussetzungen auch Beauftragte erfasst. Der Normadressatenkreis deckt sich insofern mit den für die Einrichtung, Ausgestaltung und Umsetzung von Compliance-Konzepten verantwortlichen Personen auf der Leitungsebene eines Unternehmens. Mit dem Ansatz Saligers wäre eine Untreuestrafbarkeit somit zu bejahen, wenn fehlende oder mangelhafte Compliance-Vorkehrungen als Verletzung der Aufsichtspflicht nach § 130 OWiG anzusehen sind. Für diese Wertung kann auf die zum Bestehen einer Compliance-Implementierungspflicht entwickelten Kriterien zurückgegriffen werden. Erfordern die nach § 130 OWiG bestehenden Leistungs-, Koordinations-, Organisations- und Kontrollpflichten532 die Einrichtung und Umsetzung einer Compliance-Struktur, so ergibt sich für die Frage der Nachteilszufügung durch Auslösen von Sanktionen, die das Unternehmensvermögen nachteilig betreffen, keine weitere Restriktion im Hinblick auf eine Untreuestrafbarkeit der Leitungsorgane. Dem Ansatz Jägers zufolge handelt es sich bei der Untreue durch Begründung von Sanktionen und Schadensersatzpflichten um eine mittelbare Rechtsgutsverletzung, die nach den zur Rechtsfigur der neutralen Handlung entwickelten Grundsätzen sachgerecht beurteilt werden kann.533 Zu unterscheiden ist, ob die Sanktion auslösende Handlung einen besonderen Bezug zum Innenverhältnis aufweist oder sich in einer reinen Außenaktivität erschöpft. Nach außen gerichtete Verhaltensweisen sind als vermögensneutrale Handlungen vom Tatbestand der Untreue bereits von vornherein nicht erfasst. Ihnen fehlt der „untreue-vermögensspezifische Sinnbezug“.534 Dabei muss das Verhalten schon an sich einen Bezug zum anvertrauten Vermögen aufweisen. Es genügt nicht, wenn dieser erst durch die Auslösung der Sanktion vermittelt wird,535 während dies bei Saliger als ausreichend angesehen wird.536 Gegenüber dem Standpunkt Saligers, der nicht auf die Qualität der sanktionsauslösenden Handlung abstellt, bedeutet der Ansatz Jägers demnach eine Einschränkung der in Betracht kommenden, Nachteile für das Unternehmensvermögen begründenden, Verhaltensweisen. Die Besonderheit der hier untersuchten Konstellation liegt darin, dass der durch seine Handlung Sanktionen auslösende Mitarbeiter regelmäßig keine Vermögensbetreuungspflicht innehat. Als Täter einer Untreue kommen nur die für die interne Organisation zuständigen Leitungsorgane in Betracht, die durch feh532

Vgl. KK-OWiG-Rogall, § 130, Rn. 40. Jäger, in: FS Otto, 2007, S. 593 ff. (602). 534 Jäger, in: FS Otto, 2007, S. 593 ff. (602 f.): Verhaltensweisen, denen ein „untreue-vermögensspezifischer“ Sinnzusammenhang fehlt, scheiden danach von vornherein als untreuerelevante Handlungen aus. 535 Jäger, in: FS Otto, 2007, S. 593 ff. (604). 536 Vgl. Saliger, Parteiengesetz und Strafrecht, 2005, S. 51. 533

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lende Vorkehrungen zur Compliance die sanktionsauslösende Handlung des Mitarbeiters erst ermöglicht oder doch zumindest begünstigt haben. Anknüpfungspunkt für die Beurteilung der Qualität eines sanktionsauslösenden Verhaltens ist das Unterlassen bzw. mangelhafte Umsetzen eines Compliance-Programms. Nur in Bezug auf dieses kommt eine täterschaftliche untreuerelevante Pflichtverletzung in Betracht. Bezüglich vorwerfbarer Versäumnisse der Unternehmensleitung ist daher zu untersuchen, ob die Nichteinrichtung einer Compliance-Struktur einen untreue-vermögensspezifischen Sinnbezug aufweist. Ein Treueverhältnis kann auch Pflichten enthalten, deren Verletzung nicht den Tatbestand der Untreue erfüllt.537 Dafür spricht zunächst, dass die Nichteinrichtung von Compliance-Regeln gerade keine missbräuchliche Herrschaftsausübung darstellt, sondern sich im Untätigbleiben erschöpft. Die nachteilige Auswirkung auf das Unternehmensvermögen ergibt sich letztlich erst durch das Fehlverhalten Dritter und die Geltendmachung der Bußgeld- oder Schadensersatzforderungen. Andererseits handelt es sich bei der Pflicht zur Implementierung von Compliance-Programmen um eine nach innen, auf das anvertraute Vermögen gerichtete Organisationspflicht. Sie betrifft das Innenverhältnis zwischen dem Unternehmensvermögen und dem zu seiner Betreuung Berufenen. Der Vermögensbezug wird auch nicht erst durch die Geltendmachung von Schadensersatzforderungen oder Bußgeldern hergestellt. Einer Vermittlung durch rechtliche Zurechnungsregeln bedarf nur der Nachteil für das anvertraute Vermögen, nicht jedoch der Vermögensbezug selbst. Trifft die zuständige Leitungsperson eines Unternehmens keine Vorkehrungen, um rechtswidrige Verhaltensweisen von Mitarbeitern zu verhindern, so stellt dies ein Verhalten mit internem Vermögensbezug dar. Der Gefahr einer Konturenlosigkeit des Untreuetatbestandes kann, dem Ansatz Seiers folgend, durch eine am Schutzzweck der verletzten Verhaltensnorm orientierte, die strukturelle Verwandtschaft mit den Fahrlässigkeitsdelikten im Blick behaltende, Auslegung des Tatbestandes begegnet werden.538 Zwischen der verletzten sanktionsauslösenden Rechtsnorm und dem geschützten Vermögen muss ein Schutzzweckzusammenhang bestehen. Übertragen auf die Konstellation einer Untreuehaftung durch Auslösung von Sanktionen gegen das anvertraute Vermögen, bedeutet dies, dass die nachteilsbegründende Verhaltensweise einen Verstoß gegen eine gerade zum Zwecke der Schadensverhinderung aufgestellte Regel darstellen muss. Mit anderem Anknüpfungspunkt aber einer vergleichbaren Idee folgend kommt Seier damit zu einem ähnlichen Ergebnis wie Jäger. Anders als Seier nimmt Jäger nicht die verletzte Verhaltensnorm, sondern die diese ausfüllende, sanktionsauslösende Handlung zum Ausgangspunkt. Im Falle einer nach innen wirkenden Handlung mit untreue-vermögensspezifischem Sinnbezug ist auch eine gerade zum Zwecke der Schadensverhinderung aufgestellte Verhaltens537 538

BGH, NStZ 1986, 361. Achenbach/Ransiek-Seier, 5. Teil, 2, Rn. 117, 207 ff.

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vorgabe verletzt, so dass auch der Schutzzweckzusammenhang zwischen verletzter Verhaltensnorm und geschädigtem Vermögen zu bejahen ist. Anders gewendet ist eine zum Zweck der Schadensverhinderung am anvertrauten Vermögen aufgestellte Verhaltensnorm immer dann verletzt, wenn eine auf das geschützte Vermögen bezogene, also nach innen gerichtete Handlung vorliegt. Der von Seier geforderte „Schutzzweckzusammenhang“ der verletzten Verhaltensnorm entspricht in seiner strafbarkeitsbegrenzenden Funktion damit dem „untreuespezifischen Sinnbezug“ der verletzenden Verhaltensweise des Lösungsansatzes Jägers.539 Werden keine Vorkehrungen zur Compliance in einem Unternehmen getroffen bzw. solche Regelungen nicht effektiv umgesetzt, so stellt dies nach der Diktion Jägers keine neutrale Handlung dar. Vielmehr ist ein vermögensspezifischer Sinnbezug des Verhaltens zu bejahen. Auch der von Seier geforderte Schutzzweckzusammenhang liegt vor, da die Pflicht zur ordnungsgemäßen Binnenorganisation eines Unternehmens auch dafür sorgen soll, dass nicht durch regelwidriges Verhalten von Mitarbeitern Gefahren für das Unternehmensvermögen begründet werden und sich in der Auferlegung von Bußgeldern oder der Geltendmachung von Schadensersatzforderungen realisieren. Nach beiden Ansätzen kann die Nichteinrichtung einer Compliance-Organisation eine untreuerelevante Pflichtverletzung darstellen, wenn dadurch vermögensschädigendes Fehlverhalten Dritter ausgelöst oder begünstigt wird. 5. Zurechnungszusammenhang Um einer uferlosen Ausdehnung der Strafbarkeit entgegenzuwirken, sind jedoch strenge Anforderungen an den Zurechnungszusammenhang zwischen pflichtwidrigem Verhalten und Vermögensnachteil zu stellen. Bedenken ergeben sich im Hinblick darauf, dass die unmittelbar sanktionsauslösende oder zum Schadensersatz verpflichtende Tathandlung erst durch Dritte begangen wird und damit der Zurechnungszusammenhang unterbrochen sein könnte. Anders gewendet stellt sich die Frage, ob der Vermögensnachteil wie bei § 263 StGB540 unmittelbar aus der Pflichtverletzung folgen muss. Im Bemühen um eine restriktive Auslegung des Untreuetatbestands schlägt insbesondere Theile ein Unmittelbarkeitskriterium, vergleichbar demjenigen des Betrugstatbestandes, vor. So müsse zwischen Pflichtverletzung und Vermögensgefährdung sowie zwischen Vermögensgefährdung und endgültigem Schaden je539 Dies zumindest insofern, als man dem Einwand Jägers gegen die von Seier vertretene Lösung folgend, nicht eine generelle Pflicht, dem anvertrauten Vermögen keinen Schaden zufügen zu dürfen, für die Bejahung des Schutzzweckzusammenhangs genügen lässt. Vgl. Jäger, in: FS Otto, 2007, S. 593 ff. (599). 540 Sämtliche objektive Elemente des Betrugstatbestands müssen in einem kausalen und funktionalen Zusammenhang stehen; vgl. S/S-Cramer/Perron, § 263, Rn. 5.

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weils ein Unmittelbarkeitszusammenhang bestehen.541 Dieser Zusammenhang ist in einer Konstellation wie der hier zu untersuchenden im Regelfall abzulehnen, da es zur Herbeiführung des endgültigen Vermögensnachteils, neben der Aufdeckung der Tat, mit dem rechtswidrigen Verhalten von Mitarbeitern und der Sanktionierung bzw. Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen noch zweier weiterer wesentlicher Schritte bedarf. Allerdings könnte man in fehlenden Vorkehrungen zur Einrichtung bzw. Durchsetzung einer Compliance-Organisation auch die Herbeiführung einer konkreten Vermögensgefahr sehen. Folgt man der Ansicht Theiles ist eine konkrete Vermögensgefahr lediglich bei „self-executing“ Normen gegeben, die keinen Raum mehr für eine der freien Entscheidung des Opfers oder dem Ermessen der Bußgeldbehörde542 obliegende Wahlmöglichkeit lassen.543 Unter der Prämisse, dass die Nichteinrichtung einer Compliance-Organisation lediglich zu einer schadensgleichen Vermögensgefährdung führt, wäre mit der Ansicht Theiles eine Untreuestrafbarkeit damit allenfalls bei Bußgeldtatbeständen denkbar, die weder Ermessen in Bezug auf die Geltendmachung noch auf die Festsetzung der Höhe einräumen. Der 5. Strafsenat des BGH hat in einer neueren Entscheidung einen untreuerelevanten Nachteil durch das Auslösen von Ersatzansprüchen und Prozesskosten verneint, weil ein derartiger Schaden „nicht unmittelbar“ sei, sondern mit der Aufdeckung der Tat einen wesentlichen Zwischenschritt voraussetze.544 Dem zur Ermittlung des untreuerelevanten Nachteils durchzuführenden Vergleich der Vermögenslagen sei der vom Täter verwirklichte Tatplan zugrunde zu legen. Ein Schaden durch Ersatzansprüche und Prozesskosten setze aber zunächst die Aufdeckung der Tat voraus und damit einen Zwischenschritt, der die Unmittelbarkeit des Nachteils entfallen lasse.545 In der Kölner Parteispendenaffäre hat der 1. Strafsenat entschieden, dass ein über den Zurechnungszusammenhang hinausgehender, unmittelbarer Zusammenhang zwischen Pflichtwidrigkeit und Vermögensnachteil nicht erforderlich sei und jedenfalls keine zeitliche Nähe zwischen Tathandlung und Nachteil voraus541

Theile, wistra 2010, 457 (462). Die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten liegt gem. § 47 Abs. 1 OWiG im pflichtgemäßen Ermessen der Verfolgungsbehörde. 543 Theile, wistra 2010, 457 (462). 544 BGH, NJW 2009, 3173 (3175); nachdem bereits in BGH, NStZ 1986, 455 (456) die Kompensation eines Nachteils durch Vermögenszuflüsse abgelehnt wurde, wenn die Untreuehandlung nicht selbst Nachteil und Vorteil mit sich bringt, sondern der Vorteilszufluss durch eine andere, rechtlich unabhängige Handlung des Täters hervorgebracht wird. In BGHSt 51, 29 (33) wurde die Strafbarkeit des Geschäftsführers nach § 266 Abs. 1 StGB zu Lasten der Gesellschafter u. a. deshalb abgelehnt, weil die Auswirkungen auf das Gesellschaftervermögen im konkreten Fall lediglich mittelbarer Natur waren. 545 BGH, NStZ 2009, 686 (688). 542

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setzt.546 Ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen pflichtwidrigem Tun, Gefährdung und tatsächlichem Nachteil sei lediglich für die Annahme einer schadensgleichen Vermögensgefährdung zu verlangen.547 Dass auch eine schadensgleiche konkrete Vermögensgefährdung einen Nachteil i. S. v. § 266 Abs. 1 StGB darstellt, kann mittlerweile als gesichert gelten,548 wenngleich dies nicht zu allzu sorglosem Umgang mit der Schadensfigur verführen sollte.549 Die zum Gefährdungsschaden bei § 263 Abs. 1 StGB entwickelten Kriterien werden weitgehend auf den Untreuetatbestand übertragen, was angesichts einer fehlenden Versuchsstrafbarkeit aber nicht unproblematisch ist.550 Um als schadensgleich bewertet werden zu können, darf die Gefährdungslage in ihrer Intensität derjenigen einer tatsächlich eingetretenen Vermögenseinbuße nicht nachstehen.551 Dies setzt eine konkrete, nicht lediglich abstrakte Gefährdung des Vermögens voraus, die den alsbaldigen Eintritt eines entsprechenden endgültigen Schadens erwarten lässt.552 Verlangt wird eine gewisse zeitliche Nähe zwischen Tathandlung, Gefährdung und tatsächlich eingetretenem Nachteil.553 Im Fall der Kölner Parteispendenaffäre umging der BGH mit der Annahme eines endgültigen Vermögensnachteils bereits im Zeitpunkt der Tatentdeckung in Form zu bilanzierender Rückstellungen die an die schadensgleiche Vermögensgefährdung zu stellenden Anforderungen.554 546 Unmittelbar sei demzufolge jedenfalls nicht die Bedeutung von zeitgleich, sofort oder auch nur alsbald zuzumessen: BGH, NStZ 2011, 403 (406), unter Hinweis auf BGH, NJW 2011, 88 (93). 547 In dem vom BGH entschiedenen Fall beruhte der Vermögensnachteil auf § 23a Abs. 1 PartG a. F., wonach dem Präsidenten des Bundestages als zuständigem Organ kein Ermessen bei Verhängung der Sanktion zusteht. Bereits mit Entdeckung der Tat trete ein endgültiger Vermögensnachteil ein. Auf eine zeitliche Nähe zwischen Tathandlung und Taterfolg, wie sie für das Vorliegen einer schadensgleichen Vermögensgefährdung gegebenenfalls zu fordern wäre, kommt es in dieser Konstellation wie auch bei anderen Erfolgsdelikten nicht an: BGH, NStZ 2011, 403 (406). 548 St. Rspr. vgl. nur BGHSt 44, 376 (384); 46, 30 (34); BGH, NJW 1995, 603 (605 f.); vgl. auch MüKo-Dierlamm, § 266, Rn. 186; S/S-Perron, § 266, Rn. 45 jew. m.w. N. 549 Vgl. hierzu insb. die vom BVerfG in seinem Beschl. v. 23.6.2010 (BVerfG, NJW 2010, 3209) betonten Anforderungen an die Feststellung zum Vorliegen eines Nachteils: Vor dem Hintergrund der Tatbestandsbestimmtheit bedürfe es der konkreten Feststellung einer tatsächlichen Vermögenseinbuße, die der Höhe nach zu beziffern und ggf. unter Hinzuziehung eines Sachverständigen zu schätzen sei, wobei normative Gesichtspunkte zwar Berücksichtigung finden, eine wirtschaftliche Saldierung jedoch nicht verdrängen könnten (Tz. 113–115); vgl. hierzu auch Fischer, StGB, § 266, Rn. 160a m.w. N. und Achenbach/Ransiek-Seier, 5. Teil, 2, Rn. 186, letzterer mit berechtigten Bedenken zur Anerkennung einer schadensgleichen Vermögensgefährdung i. R. d. § 266 Abs. 1 StGB in Abgrenzung zur vergleichbaren Problematik bei § 263 Abs. 1 StGB. 550 Weiterführend hierzu: Dierlamm, NStZ 1997, 534 (535). 551 MüKo-Dierlamm, § 266, Rn. 186. 552 BGH, NJW 1966, 1975 (1976). 553 BGH, NJW 1995, 603 (606). 554 BGH, NStZ 2011, 403 (406).

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Auch in der hier untersuchten Konstellation besteht im Zeitpunkt der Tatentdeckung bzw. Geltendmachung der Sanktionen eine bilanzielle Ansatzpflicht für Rückstellungen. Eine unterschiedliche Bewertung der beiden Fallgestaltungen könnte sich daraus rechtfertigen, dass die hier untersuchte, mit dem Vorwurf fehlender oder unzureichender Compliance-Maßnahmen, an ein Unterlassen anknüpft, dem vom BGH entschiedenen Fall aber ein aktives Handeln, in Form der Aufnahme rechtswidrig erlangter Parteispenden in den Rechenschaftsbericht zugrunde lag. Sieht man mit dem BGH den Tatplan des Täters für den vorzunehmenden Vermögensvergleich maßgebend an,555 so ergibt sich daraus ein gravierender Unterschied. Während die Aufnahme der rechtswidrig erlangten Parteispenden in den Rechenschaftsbericht die Gefahr dadurch bedingter Sanktionierungen zumindest als mögliche Folge des Tatplans erscheinen lässt, bergen auch bewusst in Kauf genommene Defizite bei der Compliance-Organisation, wenn überhaupt, eine in ihrem Gefährdungspotenzial deutlich weniger scharf konturierte Konsequenz. Es widerstrebt insofern überhaupt von einem „Tatplan“ sprechen zu wollen, tritt doch mit der Gefahrschaffung für das sanktionsauslösende Mitarbeiterverhalten, im Vergleich zu der Konstellation im Parteispendenfall, noch ein weiterer Zwischenschritt hinzu, der in aller Regel nicht einmal in abstrakter Form den „Plänen“ des Compliance-Verantwortlichen entsprechen dürfte.556 Dem Lösungsvorschlag Brands zu dem vom BGH entschiedenen Fall folgend,557 soll daher zwar nicht die objektive Zurechnung als solche, wohl aber die Möglichkeit eines endgültigen Schadens in der hier untersuchten Konstellation verneint werden. Die Auslösung von Sanktionen oder Schadensersatzforderungen durch Mitarbeiter eines Unternehmens aufgrund fehlender oder mangelhafter Implementierung einer Compliance-Organisation kann daher allenfalls eine schadensgleiche Vermögensgefährdung darstellen. Auch in diesem Fall muss aber der Zurechnungszusammenhang im Übrigen gegeben sein, was daran scheitern könnte, dass die Nichteinrichtung der Compliance-Struktur erst sanktionsbewehrte oder zum Schadenersatz verpflichtende Zuwiderhandlungen Dritter ermöglicht oder begünstigt. Nach heute h. M. in Rechtsprechung und Literatur wird der Kausalzusammenhang selbst bei vorsätzlichem Handeln Dritter nicht unterbrochen.558 Die 555

Vgl. BGH, NJW 2009, 3173 (3175). Auf die Problematik der subjektiven Tatbestandsseite soll unten noch ausführlicher eingegangen werden. 557 Um einer uferlosen Ausdehnung des Untreuetatbestands entgegenzuwirken, schlägt Brand vor, mittels der Kriterien der objektiven Zurechenbarkeit und insbesondere der Fallgruppe des „eigenverantwortlichen Dazwischentretens Dritter“ einen untreuerelevanten Nachteil nur bei Sanktionen, die nicht auf Ermessensentscheidungen beruhen, anzunehmen. Vgl.: Brand, NJW 2011, 1747 (1752). 558 BGHSt 37, 312; 39, 324; NJW 2001, 1077; Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 14, Rn. 33 ff.; MüKo-Freund, vor § 13, Rn. 77; Roxin, AT/I, § 11, Rn. 28 f.; vgl. dazu auch den Überblick bei S/S-Lenckner/Eisele, vor §§ 13 ff., Rn. 77; die von Frank (§ 1 556

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Zurechnung mag unter Zugrundelegung des Verantwortungsprinzips im Allgemeinen problematisch sein. Sofern aber bereits eine Sonderpflicht des Unternehmensverantwortlichen bejaht wurde, hat er im Rahmen dieser Vermögensbetreuungspflicht nicht nur die von Dritten drohenden Gefahren für das geschützte Rechtsgut abzuwenden, sondern ist es ihm grundsätzlich auch untersagt, rechtsgutsgefährdendes Verhalten Dritter zu veranlassen, zu ermöglichen oder zu fördern.559 Umfasst die Vermögensbetreuungspflicht im konkreten Fall die Pflicht zur Einrichtung und Umsetzung von Compliance-Programmen, so steht das eigenmächtige Handeln Dritter der Bejahung des Zurechnungszusammenhangs insofern auch nicht entgegen. Allerdings kommen in der hier untersuchten Konstellation zu der konkret sanktionsauslösenden Verhaltensweise, mit der Aufdeckung der Tat, der Geltendmachung der Sanktion sowie deren Ermöglichung oder Begünstigung durch Nichteinrichtung einer Compliance-Organisation noch drei weitere Zwischenschritte hinzu. Legt man die vom BGH in der Entscheidung zu den Berliner Stadtreinigungsbetrieben entwickelten Maßstäbe zugrunde, fehlt es aufgrund der erforderlichen Zwischenschritte jedenfalls an einem „unmittelbaren“ Nachteil i. S. v. § 266 Abs. 1 StGB. Festzuhalten bleibt, dass für die mögliche schadensgleiche Vermögensgefährdung, die vom BGH aufgestellten und im Parteispendenfall wiederholten verschärften Anforderungen an den Zurechnungszusammenhang gelten.560 Das Risiko einer durch fehlende oder unzureichende Compliance-Vorkehrungen drohenden vermögensmindernden Sanktion muss eine Verwirklichung dieser Gefahr in naher Zukunft erwarten lassen. Für die zeitliche Nähe ist maßgeblich, wie schwerwiegend das Fehlen oder Defizit der Compliance-Regelung im Hinblick auf die gegenüber dem Unternehmen bestehenden Vermögensbetreuungspflichten zu bewerten ist. Die Gefährdung des anvertrauten Vermögens kann nur bei Vorliegen besonderer Anhaltspunkte für eine in naher Zukunft zu erwartende nachteilige Folge für das Unternehmensvermögen als hinreichend konkret eingestuft werden. Auch an dieser Stelle ist das in erster Linie wieder dann zu bejahen, wenn in der Vergangenheit bereits vergleichbare Fälle von Unternehmensdelinquenz aufgetreten sind oder belastbare Verdachtsmeldungen für rechtswidriges Verhalten von Unternehmensmitarbeitern vorliegen. Sofern Ermittlungsbehörden bereits tätig geworden sind und Unzulänglichkeiten im Geschäftsbetrieb beanAnm. III 2 a) entwickelte Lehre vom Regressverbot, nach der Bedingungen dann nicht als Ursache angesehen werden können, wenn sie lediglich „Vorbedingungen einer Bedingung sind, die frei und bewusst (vorsätzlich und schuldhaft) auf Herbeiführung des Erfolgs gerichtet war“, ist daher mit der Äquivalenztheorie der h. M. abzulehnen; vgl. dazu: Jäger, AT, Rn. 58. 559 Dieses Postulat allgemein für Garantenpflichten aufstellend: S/S-Lenckner/Eisele, vor §§ 13 ff., Rn. 101d. 560 Vgl. BGH, NStZ 2011, 403 (406) unter Verweis auf BGH, NStZ 2009, 686 (688).

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standet wurden, könnte der zeitliche Zusammenhang ebenfalls zu bejahen sein. Bei fehlender oder zwar vorhandener aber mit eklatanten Mängeln behafteter, offensichtlich ungeeigneter oder nicht effektiv durchgesetzter Compliance-Organisation wäre eine hinreichende zeitliche Nähe zwischen Pflichtwidrigkeit, Vermögensgefährdung und endgültigem Schadenseintritt bei Vorliegen der oben genannten besonderen Anhaltspunkte zumindest im Regelfall zu bejahen. Fehlen derartige Indizien, so scheidet eine Untreuestrafbarkeit mangels hinreichend konkreter Vermögensgefährdung aus. Auch bei fehlender oder mangelhafter Einrichtung einer Compliance-Organisation in einem Unternehmen kann die Unternehmensleitung grundsätzlich nicht im Wege einer Ausfallhaftung nach § 266 Abs. 1 StGB für sämtliche Verfehlungen anderer Unternehmensangehöriger, die nachteilige Folgen für das Unternehmensvermögen auslösen, in die strafrechtliche Pflicht genommen werden.561 6. Vorsatz Der Vorsatz muss sich auf die Pflichtverletzung sowie auf den Eintritt des Vermögensnachteils beziehen. Sofern das Vorliegen eines endgültigen Vermögensnachteils verneint wird, lässt sich die Untreuestrafbarkeit mittels einer schadensgleichen Vermögensgefährdung begründen. Der Vorsatz ist jedoch an vergleichbar strengen Voraussetzungen zu messen wie bei Annahme eines tatsächlichen Nachteils. Einer Vorverlagerung der Vollendungsstrafbarkeit versucht der BGH im Fall Kanther/Weyrauch mit einer Anhebung der an die subjektive Tatbestandsseite zu stellenden Anforderungen zu begegnen. Der (zumindest bedingte) Vorsatz müsse nicht nur die gefährdungsbegründenden Umstände umfassen, sondern sich auch auf die Realisierung der Gefahr erstrecken, was in der Regel zu verneinen ist, wenn der Treunehmer den endgültigen Vermögensverlust unter allen Umständen vermeiden will und gerade nicht billigt.562 Die Implementierung von Compliance-Regelungen, die regelwidriges Verhalten von Mitarbeitern verhindern sollen, spricht für ein solches Vermeidungsbestreben der Unternehmensverantwortlichen. Umgekehrt ergeben sich aus dem Fehlen von Compliance-Vorschriften mit und aufgrund ihrer zunehmenden Be561 Theile spricht anschaulich von einer „Ausfallbürgschaft“ der Unternehmensleitung und wirft die Frage auf, ob deren Haftung nach § 266 Abs. 1 StGB wegen Nichteinrichtung von Compliance-Vorschriften als Kompensation fehlender Nachweisbarkeit individuellen Fehlverhaltens auf niedrigeren Hierarchieebenen dienen könne, wistra 2010, 457 (458). 562 BGH, NStZ 2007, 583 (587); grundlegend zum Erfordernis des Billigens im Rechtssinne: BGH, NJW 1955, 1688 (1690); einschränkend neuderdings aber: BGH, NStZ 2011, 403 (406): der Bezug des Vorsatzes auf den endgültigen Vermögensnachteil wird hier nur noch als „teilweise“ gefordertes Kriterium im Falle einer schadensgleichen Vermögensgefährdung bezeichnet; grundsätzliche Bedenken in Bezug auf die im Fall Kanther/Weyhrauch verfolgte Rechtsprechungslinie äußernd auch: BGH, NStZ 2008, 457.

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deutung für ordnungsgemäße Unternehmensführung Anhaltspunkte dafür, dass ein Vermögensverlust jedenfalls nicht unter allen Umständen verhindert werden sollte. Zu differenzieren ist in diesem Zusammenhang danach, ob überhaupt kein Compliance-System eingerichtet wurde oder ob zwar eines besteht, dieses aber Defizite in Inhalt und Umsetzung aufweist. Bestehen keinerlei Compliance-Regelungen kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Leitungsorgane den endgültigen Vermögensverlust unter allen Umständen vermeiden wollten, zumal die Gefahr rechtswidrigen Mitarbeiterverhaltens und dadurch begründeter Nachteile für das Unternehmen gerade in jüngster Vergangenheit offenkundig geworden und Gegenstand nicht nur juristischer Diskussion ist, sondern auch in Unternehmenskreisen in den Fokus allgemeiner Aufmerksamkeit gerückt ist. Existiert ein Compliance-System kommt es für die Annahme bedingten Vorsatzes darauf an, wie schwerwiegend die inhaltlichen Mängel bzw. Umsetzungsdefizite sind. Je gewichtiger diese erscheinen, umso eher wird ein Billigen im Rechtssinne gegeben sein und hinreichende Bemühungen die Gefahrrealisierung zu verhindern zu verneinen sein. Die objektiven Voraussetzungen unterstellt, könnte eine Strafbarkeit zudem an den strengen Anforderungen scheitern, die nach Ansicht der Rechtsprechung im Falle uneigennützigen Handelns an den Vorsatz zu stellen sind.563 Insbesondere im Wirtschaftsstrafrecht kommt der Feststellung des voluntativen Elements des Vorsatzes große Bedeutung zu.564 Da die Nichteinrichtung einer ComplianceStruktur mittlerweile als Versäumnis der Unternehmensführung und schlechter Führungsstil bewertet wird, ist auch ein gewisses Selbstschädigungspotenzial zu beachten, welches der Annahme eines bedingten Vorsatzes in der Regel entgegensteht.565 Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass der subjektive Tatbestand nur in Ausnahmefällen zu bejahen sein wird. Dass die Unternehmensleitung durch unterlassene oder mangelhafte Implementierung von Compliance-Regelungen zumindest bedingt vorsätzlich den Eintritt des Nachteils bzw. die Realisierung der Gefährdungslage herbeigeführt hat, bedarf verhältnismäßig hohen Begründungsaufwands. Allenfalls in Fällen eines bewussten Verzichts auf die Einrichtung einer Compliance-Organisation oder wenn bereits Zuwiderhandlungen stattgefunden haben, die zuständigen Organe aber dennoch untätig bleiben und bestehende mangelhafte Compliance-Regelungen nicht entsprechend anpassen bzw. umsetzen, kann ein Billigen im Rechtssinne angenommen werden. 563 BGH, NStZ 1997, 543; NJW 1984, 800 (801); NJW 2002, 2801 (2803); im Zusammenhang mit einer Untreuestrafbarkeit durch Auslösen von Sanktionen darauf hinweisend: Jäger, in: FS Otto, 2007, S. 593 ff. (594). 564 BGH, NStZ-RR 2008, 239 (240) unter Bezugnahme auf BGH, NStZ 2004, 218 (220). 565 Zur Berücksichtigung des Selbstschädigungspotenzials: MüKo-Joecks, § 16, Rn. 36; Roxin, AT/I, § 12, Rn. 32.

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4. Kap.: Strafbarkeitsbegründende Wirkung

7. Resumee Fehlende oder mangelhafte Compliance-Konzepte können demnach grundsätzlich eine Strafbarkeit wegen Untreue in der Treubruchsalternative begründen. Das entsprechende Haftungsrisiko der zuständigen Leitungsorgane ist jedoch als verhältnismäßig gering einzustufen. Die Pflicht zur Einrichtung einer Compliance-Organisation ist nicht nur im Gesellschaftsrecht umstritten, auch im Strafrecht wird sie als Inhalt einer bestehenden Vermögensbetreuungspflicht nur in Einzelfällen bei Vorliegen besonderer Anhaltspunkte zu bejahen sein. Dies vor allem in Fällen, in denen das Gesetz selbst branchenspezifisch weitreichende Compliance-Organisationspflichten auferlegt oder wenn bereits in der Vergangenheit Rechtsverstöße im Unternehmen begangen wurden oder stichhaltige Anhaltspunkte für drohende Verletzungen in näherer Zukunft vorliegen. Orientierungshilfen für die ordnungsgemäße Ausgestaltung eines Compliance-Konzeptes lassen sich aus Zertifizierungsstandards wie dem IDW PS 980 gewinnen. Ein positives Prüfergebnis kann als Indiz für die ordnungsgemäße Erfüllung der Compliance-Organisationspflichten dienen. Dass fehlende Vorkehrungen zur Compliance bzw. ihre unzureichende Umsetzung eine untreuerelevante Pflichtverletzung mit Vermögensbezug darstellen, lässt sich vergleichsweise einfach begründen. Die Implementierung von Compliance-Programmen weist internen Bezug zum anvertrauten Vermögen auf. Werden erforderliche Vorkehrungen nicht getroffen, ist ein Schutzzweckzusammenhang zwischen der verletzten Verhaltensnorm und dem Unternehmensvermögen zu bejahen. Da allenfalls eine schadensgleiche konkrete Vermögensgefährdung in Betracht kommt, sind an den Zurechnungszusammenhang strenge Anforderungen zu stellen. Eine hinreichend konkrete Vermögensgefährdung ist nur anzunehmen, wenn Anhaltspunkte oder belastbare Verdachtsmomente für regelwidrige sanktionsauslösende Verhaltensweisen von Mitarbeitern vorliegen. Sind die objektiven Voraussetzungen erfüllt, stellt die subjektive Seite des Tatbestands angesichts des Selbstschädigungspotenzials und der Uneigennützigkeit des Handelns weitere Hürden auf. Bedingter Vorsatz wird nur im Falle eines Fehlens jedweder Compliance-Vorkehrungen bzw. eines Untätigbleibens trotz dringender Hinweise auf Verletzungspotenzial und Handlungsbedarf für Einrichtung, Anpassung oder effektivere Durchsetzung eines Compliance-Systems zu bejahen sein.

II. Vermögensbetreuungspflicht aufgrund von Compliance-Regelungen Compliance-Vorschriften können im Rahmen des Untreuetatbestands auch insofern eine Rolle spielen, als sich aus ihnen Vermögensbetreuungspflichten i. S. v. § 266 Abs. 1 StGB ableiten lassen oder zur Konkretisierung entsprechender rechtsgeschäftlich oder gesetzlich begründeter Pflichtenstellungen heranzuziehen

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sind. Zu unterscheiden ist zwischen der originären Begründung und der Konkretisierung einer bereits bestehenden Vermögensbetreuungspflicht durch Compliance-Regelungen. Die Beurteilung, ob eine Vermögensbetreuungspflicht verletzt ist, hängt maßgeblich von ihrer Ausgestaltung ab. Die Prüfung erfolgt dabei ähnlich derjenigen einer Sorgfaltspflichtverletzung beim Fahrlässigkeitsdelikt.566 Daher soll auf die Frage, inwiefern Compliance-Regelungen bei der Konkretisierung von Vermögensbetreuungspflichten relevant werden, im Zusammenhang mit den Erörterungen zur Beeinflussung allgemeiner Sorgfaltspflichten durch Compliance-Vorschriften näher eingegangen werden.567 An dieser Stelle soll untersucht werden, ob durch Compliance-Vorschriften eine Vermögensbetreuungspflicht originär begründet werden kann und ob bzw. inwiefern dabei zwischen gesetzlich und rechtsgeschäftlich begründeter Pflicht differenziert werden muss. Für Vorstand und Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft ergibt sich die Vermögensbetreuungspflicht gegenüber der juristischen Person bereits aus den gesetzlichen Regelungen der § 93 Abs. 1 AktG bzw. § 116 S. 1 AktG.568 In Bezug auf diese Positionen steht daher die Konkretisierung der Pflicht durch Compliance-Vorschriften im Vordergrund. Neben der Leitungs- und Aufsichtsebene kommen aber auch Mitglieder des mittleren und unteren Managements oder der Compliance-Abteilung als potenzielle Treupflichtige in Betracht. Gegen die Möglichkeit einer auf Compliance-Regelungen gestützten Pflichtenstellung i. S. d. § 266 Abs. 1 StGB wird zum Teil vorgebracht, dass diese aufgrund ihrer unspezifischen Aufforderung zu rechtstreuem Verhalten prinzipiell nicht dazu geeignet seien, daraus hinreichend qualifizierte Vermögensbetreuungspflichten abzuleiten.569 Zuzustimmen ist dem insofern, als Compliance-Vorschriften nicht per se Betreuungspflichten im Hinblick auf jedwede denkbare Beeinträchtigung des Unternehmensvermögens aufstellen können,570 wollte man dem Untreuetatbestand nicht jede schon von Verfassungs wegen gebotene Kontur nehmen.571 Von vornherein scheiden aber lediglich solche Compliance-Vorschriften aus, die weder unmittelbar noch mittelbar auf den Schutz des Unternehmensvermögens abzielen, sondern primär ethisch-soziale Aspekte betreffen.572

566

Auf diesen Zusammenhang hat bereits Seier hingewiesen: Achenbach/RansiekSeier, 5. Teil, 2, Rn. 117. 567 Vgl. unten: 4. Kapitel, § 4, I. 3. lit. a). 568 MüKo-Dierlamm, § 266, Rn. 67, 82. Für den Aufsichtsrat einer GmbH ergibt sich diese aus § 52 GmbHG i.V. m. §§ 111, 116 AktG; vgl.: MüKo-Dierlamm, § 266, Rn. 67. Für den Geschäftsführer einer GmbH folgt diese aus §§ 35, 43 GmbHG, vgl. MüKoDierlamm, § 266, Rn. 79. 569 Michalke, StV 2011, 245 (247 f.). 570 Michalke, StV 2011, 245 (249). 571 Zum Bestimmtheitserfordernis beim Untreuetatbestand, vgl. BVerfG, NStZ 2010, 626. 572 Vgl. zu diesem Aspekt auch: Michalke, StV 2011, 245 (250).

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4. Kap.: Strafbarkeitsbegründende Wirkung

Sofern die Bestimmung, gegen die verstoßen wird, zumindest mittelbar vermögensschützenden Charakter bezüglich des zu betreuenden Unternehmensvermögens aufweist, könnte sich daraus durchaus eine strafbarkeitsbegründende Pflicht im Sinne des Untreuetatbestandes ableiten lassen. In diesem Zusammenhang hat Seier auf die in der Rechtsprechungspraxis zu beobachtende Erweiterung der Strafbarkeit durch zunehmende Implementierung von Compliance-Regelungen auch und gerade für den Untreuetatbestand hingewiesen.573 Neben den Leitungsgremien sind auch Personen in der ComplianceAbteilung und v. a. die Position des Compliance-Officers für die Zuweisung von Verantwortung im Hinblick auf eine Verhinderung betriebsbezogener Straftaten prädestiniert. Der BGH hat den Compliance-Officer bereits – zumindest obiter dictu – als Garant i. S. v. § 13 StGB bzgl. der Verhinderung unternehmensbezogener Straftaten von Betriebsangehörigen angesehen.574 Von der Annahme dieser Garantenstellung zu der einer Vermögensbetreuungspflicht i. S. d. Untreuetatbestandes bedarf es, wie Seier anmerkt, nur wenig mehr an Begründungsaufwand.575 Aus einem Verstoß gegen Compliance-Regelungen, die eine Zahlung von Schmiergeldern verbieten, hat der BGH in einem weiteren Fall nicht nur eine untreuerelevante Pflichtverletzung abgeleitet, sondern mit der Existenz der bestreffenden Compliance-Regelung in erweiternder Auslegung das Verbot, überhaupt schwarze Kassen zu unterhalten, begründet.576 Sieht man mit dem BGH bereits in der Vorenthaltung von Unternehmensvermögen durch die Einrichtung schwarzer Kassen eine tatbestandsmäßige Verhaltensweise im Sinne von § 266 Abs. 1 StGB, so wird die Bedeutung von Compliance-Vorschriften für eine mögliche Untreuestrafbarkeit offenkundig. Befürworter einer streng am Schutzzweck des § 266 Abs. 1 StGB orientierten Betrachtungsweise577 schätzen diese Entwicklung kritisch ein und fordern besondere Vorsicht im Hinblick auf die Bewertung der strafrechtlichen Relevanz von Compliance-Vorschriften.578 Der Einschätzung, dass nur solche Normen eine Untreuestrafbarkeit begründen können, die den Anforderungen einer qualifizierten Vermögensbetreuungspflicht entsprechen,579 ist vor dem Hintergrund der tatbestandlichen Weite und dem nach Art. 103 Abs. 2 GG gerade für den Untreuetatbestand strikt zu beachtenden Bestimmtheitsgrundsatz zuzustimmen. Die Aus573

Achenbach/Ransiek-Seier, 5. Teil, 2, Rn. 291. BGH, NJW 2009, 3173 (3175). 575 Achenbach/Ransiek-Seier, 5. Teil, 2, Rn. 292. 576 BGH, NJW 2009, 89 (92); LG Darmstadt, CCZ 2009, 37 ff. (Vorinstanz). 577 Hierzu: Knauer, NStZ 2009, 151 (153) unter Bezugnahme auf Schünemann, NStZ 2008, 430 (433), der den auf das Rechtsgut „Vermögen“ bezogenen Schutzzweck von § 266 StGB pervertiert sieht, wenn diese Strafvorschrift zur Sanktionierung eines Corporate Compliance-Systems eingesetzt würde. 578 Rönnau, StV 2009, 246 (247). 579 In diesem Sinne: Knauer, NStZ 2009, 151 (152); Rönnau, StV 2009, 246 (247). 574

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sage, dass aus der Verpflichtung zu rechtskonformem Verhalten durch Compliance-Vorschriften keinesfalls eine Vermögensbetreuungspflicht im Sinne des Untreuetatbestands erwachsen kann, vermag in dieser Pauschalität indes nicht zu überzeugen.580 1. Vermögensbetreuungspflicht des Compliance-Beauftragten Aufgrund seiner besonderen Stellung innerhalb der Unternehmensorganisation und des ihm übertragenen Aufgabenkreises sehen sich vor allem Compliance-Officer mit erheblichen Strafbarkeitsrisiken konfrontiert. Zu unterscheiden sind dabei das Risiko für Zuwiderhandlungen Dritter zur Mitverantwortung gezogen zu werden von der Gefahr, durch eigenes Verhalten Vermögensnachteile für das Unternehmen auszulösen. Beide Konstellationen setzen das Bestehen einer Vermögensbetreuungspflicht gegenüber dem Unternehmen voraus. Der BGH hat in seinem Obiter Dictum in der Entscheidung Berliner Stadtreinigungsbetriebe eine „regelmäßige“ Garantenstellung des Compliance-Beauftragten nach § 13 StGB bejaht.581 Für Inhalt und Umfang der Pflicht sei die Zielrichtung der Beauftragung entscheidend.582 Zu unterscheiden sei, ob dem Compliance-Officer lediglich Aufgaben der Prozessoptimierung, Aufdeckung begangener und Verhinderung zukünftiger Rechtsverstöße aufgetragen seien, oder ob er darüber hinaus auch die Pflicht habe, Rechtsverstöße zu beanstanden und zu unterbinden. Der BGH geht davon aus, dass die Rolle des Compliance-Officers regelmäßig eine solche weitergehende Befugnis umfasse.583 Die Überwachungs- und Schutzpflichten müssen jedoch tatsächlich übernommen werden, eine bloße Übernahme in einem Dienstvertrag genügt nicht.584 Zudem ist ein „besonderes Vertrauensverhältnis“ zwischen Übertragendem und Verpflichtetem zu fordern, aufgrund dessen die Überantwortung entsprechender Pflichten erfolgt. Ein bloßer Austauschvertrag oder ein Arbeitsverhältnis alleine reicht dafür nicht aus.585 Die Annahme einer Garantenpflicht des Compliance-Beauftragten zur Verhinderung oder Unterbindung betriebsbezogener Straftaten erscheint bei Einräumung entsprechend weitreichender Befugnisse, und tatsächlicher Wahrnehmung des übertragenen Pflichtenkreises überzeugend.586 Auch das besondere Vertrauensverhältnis zwischen Übertragendem und Verpflichtetem wird bei ordnungsgemäßer Auswahl, dem Aufgabenbereich angemessener Qualifikation und Eignung 580

Zu diesem Ergebnis kommend aber: Michalke, StV 2011, 245 (248). BGH, NStZ 2009, 686. 582 BGH, NStZ 2009, 686 (687). 583 BGH, NStZ 2009, 686 (687 f.). 584 BGH, NStZ 2009, 686 (688). 585 BGH, NJW 2009, 3173 (3174). 586 Auf Art, Inhalt und Reichweite der Garantenstellung des Compliance-Beauftragten soll unten noch ausführlicher eingegangen werden, vgl. 4. Kap. § 3 I. 581

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4. Kap.: Strafbarkeitsbegründende Wirkung

der mit Compliance-Aufgaben betrauten Person, regelmäßig zu bejahen sein. Der Compliance-Officer nimmt, was die Meldung von Straftaten und Verdachtsmomenten anbelangt, eine Schlüsselposition in der Kommunikation zwischen Leitungsorganen und Belegschaft ein und besetzt selbst eine hervorgehobene Position in der Unternehmenshierarchie. Für eine solche Stellung wird die Unternehmensleitung besonderen Wert auf eine hinreichend gute Vertrauensgrundlage legen. Der Untreuetatbestand erfordert mit der Vermögensbetreuungspflicht aber eine über den Inhalt einer Garantenstellung im Sinne des § 13 StGB hinausgehende Verantwortlichkeit. Die Verantwortlichkeit muss sich gerade auf das zu betreuende Vermögen beziehen. Hier ergeben sich Unterschiede zwischen den Leitungs- und Aufsichtsorganen eines Unternehmens, bei denen sich die Vermögensbetreuungspflicht bereits aus den gesellschaftsrechtlichen Vorgaben ergibt. Die Pflichtenstellung des Compliance-Officers wird hingegen erst durch Rechtsgeschäft bzw. tatsächliche Übernahme der im Anstellungsvertrag oder der Stellenbeschreibung bestimmten Aufgaben begründet und ist in ihrer Ausgestaltung nicht von vornherein und ausdrücklich auch auf das Vermögen des Unternehmens bezogen. Allerdings überträgt die Unternehmensleitung mit der Pflicht, Rechtsverstöße von Unternehmensmitarbeitern zu verhindern, einen Teilbereich ihrer umfassenden Leitungsverantwortung. Mit der Pflicht, Straftaten von Unternehmensangehörigen zu verhindern oder zu unterbinden, übernimmt der Compliance-Beauftragte grundsätzlich auch die Pflicht, solche mit vermögensspezifischem Sinnbezug zu verhindern oder zu unterbinden, sofern dieses Pflichtenelement aus dem Zuständigkeitskreis nicht ausdrücklich ausgenommen wird.587 Die Vermögensbetreuungspflicht des Compliance-Beauftragten kann daher zumindest insofern bejaht werden, als es um die Unterbindung oder Verhinderung vermögensbezogener Straftaten von Mitarbeitern geht.588 Eine davon unabhängige Pflicht Vermögensinteressen des Unternehmens wahrzunehmen ist dagegen abzulehnen, so dass eigenes Fehlverhalten, das nicht mit der Unterbindung von Straftaten Dritter in Zusammenhang steht, regelmäßig auch nicht zu einer Untreuestrafbarkeit führen kann. Der Begründung einer Vermögensbetreuungspflicht des Compliance-Beauftragten mittels Übernahme eines Pflichtenkreises könnte entgegenstehen, dass sich die Unternehmensführung nicht ohne weiteres ihrer gesetzlich überantworteten Pflichtenkreise bezüglich des Unternehmensvermögens entledigen kann.589 587

Ist letzteres der Fall, käme allenfalls eine Strafbarkeit wegen Beihilfe in Betracht. Die Möglichkeit einer Vermögensbetreuungspflicht des Compliance-Beauftragten bejaht auch Warneke, NStZ 2010, 312 (315), der hierfür jedoch eine Organstellung oder eine mit vergleichbarer Verantwortung für das Unternehmensvermögen verbundene Position fordert. 589 Zur grundsätzlichen Zulässigkeit der Delegation von Überwachungspflichten, sofern sie unterhalb der Gesamtverantwortung angesiedelt sind, vgl. Hauschka-Schmidt588

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Jedoch wird eine solche Betrachtungsweise der arbeitsteiligen Organisation moderner Wirtschaft nicht gerecht. Es erscheint wenig überzeugend, dass die Verantwortung für die Sicherheit bestimmter Arbeitsmittel und Betriebsvorgänge, delegiert werden kann, die Verantwortung für rechtmäßiges Mitarbeiterverhalten hingegen nur teilweise, ohne den vermögensrelevanten Aspekt, einer Überantwortung an innerbetriebliche Stellen zugänglich sein soll. Hinzu kommt, dass die Verantwortung der Unternehmensleitung vor dem Hintergrund der Top-downRechtsprechung nicht zwingend zu verneinen ist, wenn eine Haftung des Compliance-Officers bejaht wird. Insofern kommt auch eine Verteilung der Verantwortung für das Unternehmensvermögen bzw. ihre Vervielfachung in Betracht. Während für die Leitungsorgane des Unternehmens eine Haftung nach § 266 Abs. 1 StGB für sanktionsauslösendes Verhalten Dritter nur über die Verletzung allgemeiner Planungs-, Organisations- oder Überwachungspflichten begründet werden kann, erscheint dies im Falle des Compliance-Officers deutlich einfacher, da ihm bereits qua definitione seiner Position im Unternehmen die Aufgabe und Verantwortung zukommt, unternehmensbezogene Straftaten und gesetzeswidrige Verhaltensweisen von Mitarbeitern zu verhindern. Der übertragene Verantwortungskreis weist damit eine spezifische Nähe zu den unmittelbar sanktionsauslösenden Verhaltensweisen anderer Unternehmensangehöriger auf. Wird die Untreuestrafbarkeit mit der Vernachlässigung von Überwachungspflichten begründet, die sich gerade auf die Verhinderung rechtswidriger Mitarbeiterpraktiken beziehen, ist bei der Frage nach dem Verantwortlichen daher zunächst an den Compliance-Officer zu denken, bevor auch Mitglieder der Leitungs- oder Aufsichtsorgane ins strafrechtliche Blickfeld rücken. Die Verantwortlichkeit des Compliance-Officers für das Unternehmensvermögen ist gegenüber derjenigen der Unternehmensleitung dennoch eine eingeschränkte. Maßgeblich für ihre Reichweite sind die Aufgaben und Befugnisse die dem Compliance-Beauftragten übertragen werden. Dafür kommt es, wie bei den allgemeinen Garantenstellungen, maßgeblich auf die konkret übernommenen Aufgaben und die Zwecksetzung der Beauftragung an.590 Aufgabe und Pflicht des Compliance-Officers ist es, unternehmensbezogene Straftaten von Mitarbeitern zu verhindern. Die von § 266 Abs. 1 StGB geforderte Verantwortlichkeit in Bezug auf das Unternehmensvermögen kann durch die Zuschreibung einer vermögensbezogenen Komponente zu den übernommenen Schutz- und Überwachungspflichten begründet werden. Zu bedenken ist dabei aber, dass nahezu jeder strafrechtlichen Garantenpflicht auf sekundärer oder tertiärer Ebene ein monetäres Element innewohnt. So drohen etwa bei der Verletzung von Körper und GeHusson, § 7, Rn. 4 ff., 27 ff. Zu den bei der Übertragung von Aufgaben des Vorstandes an betriebsinterne Gremien zu beachtenden Grenzen, vgl. auch: Hölters, AktG-Weber, § 76, Rn. 17. 590 Vgl. auch: BGH, NJW 2009, 3173 (3174 f.), Tz. 26.

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sundheit ebenfalls Schadensersatzforderungen, ohne dass eine Untreuestrafbarkeit in diesen Fällen auch nur zu thematisieren wäre. Demnach kann nicht jede rechtswidrige Handlung von Unternehmensangehörigen, die der Compliance-Beauftragte zu verhindern versäumt oder deren Realisierung er erleichtert, genügen, um damit seine Haftung nach § 266 Abs. 1 StGB zu begründen. Die Abgrenzung kann sich an den Leitlinien orientieren, die allgemein für die Untreuehaftung durch Auslösen von Sanktionen oder Schadensersatzforderungen gelten und für die insbesondere Jäger und Seier überzeugende Abgrenzungskriterien entwickelt haben.591 Die Verletzungshandlung des jeweiligen Mitarbeiters muss nach innen gerichtet sein und Vermögensbezug aufweisen. Anders gewendet muss ein Schutzzweckzusammenhang zwischen der vom Mitarbeiter verletzten Verhaltensnorm und dem Unternehmensvermögen zu bejahen sein. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, kommt eine untreuerelevante Pflichtenstellung des Compliance-Beauftragten in Betracht, die durch fehlende oder mangelhafte Maßnahmen zur Verhinderung oder Unterbindung der sanktionsauslösenden Verhaltensweise verletzt werden kann. Eine Eingrenzung der Haftung des Compliance-Beauftragten nach § 266 Abs. 1 StGB hat sich nicht an der Frage des Bestehens einer Vermögensbetreuungspflicht, sondern an derjenigen der Pflichtwidrigkeit seines Verhaltens zu orientieren. Ob der Compliance-Beauftragte die ihm obliegende Pflicht verletzt, hängt entscheidend davon ab, welche Rechte und Befugnisse ihm eingeräumt wurden. Erschöpft sich seine Pflicht darin, Verdachtsmomenten nachzugehen, Verstöße aufzudecken und der zuständigen Stelle zu melden, so kann ihm kein Vorwurf daraus gemacht werden, dass er den Eintritt des Taterfolgs nicht verhindert. Kommen ihm hingegen weiterreichende Personalbefugnisse zu, insbesondere zur Erteilung von Weisungen und Verwarnungen oder zur Sanktionierung, so kann er sich auch nur bei Ausschöpfung dieser Befugnisse auf eine ordnungsgemäße Erfüllung des ihm übertragenen Pflichtenkreises berufen. Das Strafbarkeitsrisiko des Compliance-Beauftragten im Hinblick auf den Untreuetatbestand hängt damit maßgeblich von der Ausgestaltung seiner innerbetrieblichen Kompetenzen und Befugnisse ab. Je umfassender diese sind, umso größere Anstrengungen muss er unternehmen, sanktionsauslösendes Mitarbeiterverhalten zu unterbinden um sich nicht selbst der Haftung nach § 266 Abs. 1 StGB auszusetzen. 2. Vermögensbetreuungspflicht sonstiger Mitarbeiter und Unternehmensexterner Neben dem Compliance-Officer kommen auch Mitarbeiter des mittleren und unteren Managements sowie andere mit besonderen Befugnissen ausgestattete 591 Vgl. Jäger, in: FS Otto, 2007, S. 593 ff. (601 ff.); Achenbach/Ransiek-Seier, 5. Teil, 2, Rn. 207 ff.

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Positionen im Unternehmen für eine Untreuehaftung in Betracht. ComplianceVorschriften können dabei eine Ausweitung des Adressatenkreises gesetzlich fundierter Vermögensbetreuungspflichten bewirken.592 Der BGH hat im Fall Siemens/ENEL die untreuerelevante Pflichtverletzung aus einem Verstoß gegen Buchführungsvorschriften abgeleitet.593 Über den Kreis der eigentlichen Normadressaten hinaus,594 erstreckte der BGH die Vermögensbetreuungspflicht mithilfe unternehmensinterner Compliance-Regelungen auf den für die kaufmännische Leitung zuständigen Bereichsvorstand.595 Für Mitarbeiter im mittleren und unteren Management oder an sonstigen besonderen Positionen innerhalb des Unternehmens besteht im Regelfall keine gesetzlich begründete Vermögensbetreuungspflicht. Die entsprechende Pflichtenstellung kann zwar auch durch Rechtsgeschäft begründet werden, durch Dienstund Arbeitsverträge jedoch nur dann, wenn dem jeweiligen Mitarbeiter im Hinblick auf das anvertraute Vermögen ein hinreichendes Maß an Ermessens- und Bewegungsspielraum zugestanden wird.596 Auch ein Treueverhältnis kann unter Umständen möglicher Entstehungstatbestand sein. Erforderlich hierfür ist eine faktische Herrschaftsmacht über das fremde Vermögen. Darunter fasst man zwar in erster Linie Konstellationen, in denen Rechtsverhältnisse erloschen oder von Anfang an unwirksam sind,597 jedoch schließt dies die Annahme einer Vermögensbetreuungspflicht auch bei anderen tatsächlichen Herrschaftsstellungen nicht aus.598 Voraussetzung ist lediglich, dass es sich um rechtliche und nicht bloße moralische Pflichten handeln muss.599 Anknüpfungspunkt für die Begründung der Vermögensbetreuungspflicht kann insofern sein, dass Führungskräften in Compliance-Regelungen explizit die Verantwortung dafür zugewiesen wird, dass in ihrem jeweiligen Verantwortungsbe592

Vgl. auch: Rönnau, StV 2009, 246 (247). BGH, StV 2009, 21; m. Anm. Rönnau, StV 2009, 246 (247). 594 Nach § 331 Nr. 1 HGB und § 17 PublG sind dies Aufsichtsratsmitglieder und Geschäftsführer als Organe der Kapitalgesellschaften. 595 Zustimmend: Bosch, JA 2009, 233 (234), da die Pflicht zur Offenbarung durch Buchung hier zum Kernbestand der Vermögensbetreuungspflicht des Treupflichtigen gehöre; kritisch hierzu u. a. Knierim, der darin die Schaffung einer „Jedermanns-Pflicht“ sämtlicher Mitglieder des Top-Managements zur Meldung bislang verborgener Vermögenswerte an die Unternehmensleitung sieht, CCZ 2009, 38 (40); im Fall handelte es sich um den Bereichsvorstand des Geschäftsbereichs „Power Generation“ der Siemens AG, der für die kaufmännische Leitung, insbesondere Controlling, Betriebswirtschaft, Zentrale Aufgaben, Personal und Revision zuständig war. 596 Zur Ablehnung einer Vermögensbetreuungspflicht aus einem Arbeitsvertrag, vgl. BGHSt 5, 187 (Ls.); vgl. auch: S/S-Perron, § 266, Rn. 23a. 597 LK-Schünemann, § 266, Rn. 62 f. 598 Vgl. BeckOK-Wittig, § 266, Rn. 28, der darauf hinweist, dass die Frage, in welchen Konstellationen allein aufgrund faktischer Herrschaftsstellung eine Vermögensbetreuungspflicht bejaht werden kann, noch nicht abschließend geklärt ist. 599 Fischer, StGB, § 266, Rn. 40 m.w. N. 593

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reich keine Gesetzesverstöße geschehen.600 Insofern deckt sich die Situation mit derjenigen des Compliance-Officers und gelten hinsichtlich der Vermögensbetreuungspflicht die oben gefundenen Ergebnisse entsprechend. Daneben erlegen Compliance-Regelungen bestimmten Mitarbeitern, die für die Beauftragung von Beratern, Partnern in Gemeinschaftsunternehmen oder anderen Geschäftspartnern zuständig sind, besondere Pflichten hinsichtlich Auswahl, Sicherstellung rechtmäßigen Verhaltens der Außenstehenden und hinreichender Schutzvorkehrungen zugunsten des eigenen Unternehmens auf.601 Diese Pflichten dienen der Verfolgung wirtschaftlicher Ziele des Unternehmens. Hinreichenden Entscheidungs- und Handlungsspielraum bei der Wahrnehmung dieser Pflichten vorausgesetzt, lässt sich auch damit eine Vermögensbetreuungspflicht begründen. In Bezug auf Investitionsentscheidungen und damit verbundene Risiken für das Unternehmensvermögen rücken Personen, denen die Verantwortung für die Durchführung einer vorgeschalteten Compliance-Prüfung zugewiesen wird, ins Blickfeld einer möglichen Untreuehaftung. Auch diese Pflicht ist auf den Erhalt bzw. die Mehrung des Unternehmensvermögens gerichtet und vermag damit den vermögensspezifischen Sinnbezug der Pflichtenstellung zu begründen. ComplianceRegelungen schaffen damit über die organschaftlichen Garantenstellungen hinaus, Anknüpfungspunkte für untreuerelevante Pflichtenpositionen. Der allgemeinen Pflicht des Arbeitnehmers, im Rahmen seiner Tätigkeit die Interessen des Arbeitgebers zu wahren, die für die Begründung einer Vermögensbetreuungspflicht nicht ausreicht, fügen Compliance-Regelungen eine auf den Schutz des Unternehmensvermögens gerichtete Komponente hinzu und können so eine Pflichtenstellung i. S. d. Untreuetatbestandes begründen. Auf die Frage, ob im Falle eines Untreuevorwurfs durch Unterlassen die Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens als Strafbarkeitskorrektiv Anwendung finden kann, hat Seier hingewiesen,602 die Lehre und Rechtsprechung aber noch keine abschließende Antwort gefunden. Dies wäre insbesondere zu bedenken, sofern ein Einschreiten aus Sorge um den Erhalt des eigenen Arbeitsplatzes, aus Angst vor arbeitsrechtlichen Sanktionen oder der Gefahr, Angehörige einer Strafverfolgung auszusetzen, unterlassen wird.603 Die Grenzen des Zumutbaren dürften aber angesichts der großen Bedeutung die der Verwirklichung unternehmerischer Integrität durch Einhaltung von Compliance-Regeln zukommt und der Verpflichtung jedes einzelnen Mitarbeiters auf die Einhaltung gesetzlicher Regelungen wie interner Vorgaben, eher hoch anzusetzen sein. Auch unternehmensexterne Personen, wie Wirtschafts- und Abschlussprüfer, könnte eine Pflicht Vermögensinteressen des Unternehmens wahrzunehmen tref600 601 602 603

Business Conduct Guidelines der Siemens AG, Fn. 84, S. 7. Business Conduct Guidelines der Siemens AG, Fn. 84, S. 9. Achenbach/Ransiek-Seier, 5. Teil, 2, Rn. 79. Weiterführend: Achenbach/Ransiek-Seier, 5. Teil, 2, Rn. 79.

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fen. Diesen, auch als „Gatekeeper“ 604 bezeichneten Personen, denen die Aufgabe zukommt, die Gesetzmäßigkeit der Vorgänge innerhalb eines Unternehmens zu prüfen und zu testieren, könnte nicht nur eine generelle Garantenpflicht zur Verhinderung von Rechtsverletzungen Dritter durch die Unternehmenstätigkeit,605 sondern auch eine auf Vermögensinteressen des Unternehmens bezogene Garantenpflicht zuzuschreiben sein. Im Zusammenhang mit Compliance-Regelungen sind insbesondere die mit der Prüfung und Zertifizierung unternehmensinterner Compliance-Systeme befassten Personen relevant. Zunächst stellt sich dabei die Frage, nach dem besonderen Vertrauensverhältnis, das den Übertragenden gerade dazu veranlasst, dem Verpflichteten besondere Schutzpflichten zu überantworten, wie es die Rechtsprechung zusätzlich zur Übertragung bestimmter Pflichten für die Begründung einer strafrechtlichen Garantenpflicht verlangt.606 Darüber hinaus muss die Pflichtenstellung Vermögensbezug im Sinne eines funktionalen Zusammenhangs zwischen der übernommenen Aufgabe und den Vermögensinteressen des Unternehmens erkennen lassen.607 Zwar weist die zwischen dem Wirtschaftsprüfer, Berater oder Kontrolleur auf der einen Seite und dem Unternehmen auf der anderen Seite bestehende privatrechtliche Beziehung als Geschäftsbesorgungsvertrag den erforderlichen fremdnützigen Charakter auf.608 Jedoch fehlt es der so begründeten Pflichtenstellung in der Regel an einem hinreichenden Ermessens- und Handlungsspielraum des Verpflichteten in Bezug auf die Wahrnehmung der Vermögensinteressen des Unternehmens. Allenfalls unter dem Aspekt, dass es die Unternehmensleitung aufgrund positiver aber nicht zutreffender Prüfungsergebnisse unterlässt, eigene Schutzmaßnahmen zu treffen und das Unternehmensvermögen infolge des Fehlverhaltens von Mitarbeitern Schaden nimmt, wäre Vermögensbezug anzunehmen. Die Position externer Kontrolleure ist aber derjenigen von Unternehmensmitarbeitern und insbesondere des Compliance-Officers nicht vergleichbar. Zum einen bedarf der Vermögensbezug der Pflichtverletzung in Bezug auf das Unternehmensvermögen der Vermittlung über die Rechtsverletzung einer dritten Person. Zum anderen müsste zur Begründung strafrechtlicher Haftung des Gatekeepers eine entsprechende Verantwortung für die Verhinderung dieses Fehlverhaltens gegeben sein. Während dem Compliance-Officer jedoch kraft Übernahme seiner 604 Zu diesem Begriff, vgl. Coffee, Gatekeepers. The Professions and Corporate Governance, 2006, Nachw. bei Nieto Martin, in: FS Tiedemann, 2008, S. 485 ff. (496). 605 Nieto Martin schlägt in Bezug auf allgemeine Garantenstellungen vor, für die Begründung der Pflicht zwischen obligatorischen und freiwilligen Kontrolleuren zu unterscheiden und die strafrechtliche Verantwortlichkeit auf den jeweils übernommenen Aufgabenkreis zu begrenzen: Nieto Martin, in: FS Tiedemann, 2008, S. 485 ff. (496 f.) 606 BGH, NJW 2009, 3173 (3174) mit Verweis auf BGHSt 46, 196 (202 f.). 607 S/S-Perron, § 266, Rn. 23. 608 Zum Erfordernis einer fremdnützigen Vermögensfürsorgepflicht i. R. d. Treueverhältnisses nach § 266 Abs. 1 StGB: BGH, NStZ 2006, 38 (39).

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4. Kap.: Strafbarkeitsbegründende Wirkung

Position die Verhinderung und Unterbindung betriebsbezogener Straftaten obliegt, kann sie sich für den Kontrolleur oder Prüfer nur aus der Wahrnehmung seiner vertraglich umschriebenen Aufgaben ergeben. Zwar übernimmt auch er durch seine Untersuchung und das abschließende Ergebnis die Verantwortung dafür, dass gesetzliche Vorgaben eingehalten wurden. Jedoch bezieht sich die Einschätzung aus der Retrospektive nicht auf Zuwiderhandlungen in der Zukunft. Zudem hat er keinerlei dem Compliance-Beauftragten vergleichbaren Befugnisse und Rechte, um in den operativen Betriebsablauf Einfluss nehmen zu können. Vielmehr erschöpft sich sein Pflichten- wie auch Rechtskreis in der Prüfung, Bewertung und Berichterstattung. Für die Bejahung einer Vermögensbetreuungspflicht fehlt es bei externen Prüfern, Beratern oder Kontrolleuren zudem am erforderlichen Handlungsspielraum in Bezug auf die Wahrnehmung von Vermögensinteressen des Unternehmens. Eine strafrechtliche Verantwortlichkeit sog. „Gatekeeper“ für das Unternehmensvermögen im Rahmen des Untreuetatbestandes ist daher abzulehnen. Für die mit der Zertifizierung von Compliance-Konzepten betrauten Prüfer kommt allenfalls eine Teilnehmerstrafbarkeit in Betracht. 3. Resumee Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Compliance-Regelungen über die Leitungs- und Aufsichtsebene hinaus Vermögensbetreuungspflichten begründen können. Compliance-Beauftragten kommt dabei in der Regel das größte Strafbarkeitsrisiko zu. Im Rahmen der Pflicht, betriebsbezogene Straftaten zu verhindern, übernehmen sie regelmäßig auch die Pflicht vermögensbezogenes Fehlverhalten von Unternehmensangehörigen zu verhindern oder zu unterbinden. Der Vermögensbezug des regelwidrigen Fehlverhaltens beurteilt sich nach den oben dargelegten Grundsätzen der Untreuehaftung durch das Auslösen von Sanktionen. Begrenzt wird die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Compliance-Beauftragten nach § 266 Abs. 1 StGB über die Frage der Pflichtwidrigkeit, die vom Umfang der ihm zugewiesenen Befugnisse und Handlungsmöglichkeiten abhängt. Auch für Mitglieder des mittleren und unteren Managements erhöhen Compliance-Regelungen das Risiko nach § 266 Abs. 1 StGB belangt zu werden. Sofern Compliance-Programme Führungskräften die Verantwortung dafür zuweisen, dass in ihrem Bereich keine Rechtsverstöße geschehen, gelten die zum Compliance-Beauftragten getroffenen Feststellungen entsprechend. Durch die Begründung besonderer Pflichten bei der Beauftragung von Beratern, Geschäftspartnern oder dem Umgang mit anderen Unternehmen können Compliance-Regelungen den allgemeinen Pflichten aus dem Arbeits- oder Dienstvertrag das erforderliche vermögensbezogene Element einer Vermögensbetreuungspflicht hinzufügen. Auch durch die Begründung besonderer Pflichten bei Investitionsentscheidungen können Compliance-Regelungen auf diese Weise eine Vermögensbetreuungspflicht begründen. Weitere Voraussetzung ist die Möglichkeit, eigenverantwort-

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liche Entscheidungen innerhalb eines gewissen Ermessensspielraums zu treffen. Eine durch Compliance-Vorgaben begründete Vermögensbetreuungspflicht kommt daher in erster Linie nur für Positionen im mittleren und unteren Management in Betracht. Im Hinblick auf unternehmensexterne Personen, die aufgrund vertraglicher Beziehungen Prüfungs- und Kontrollpflichten gegenüber dem Unternehmen wahrnehmen, fehlt es hingegen an einer untreuerelevanten Pflichtenposition. Da sie die Gesetzmäßigkeit der unternehmerischen Tätigkeit, insbesondere im Hinblick auf die Zertifizierung von Compliance-Programmen, anders als der Compliance-Beauftragte nur in der Retrospektive beurteilen und keine vergleichbaren Befugnisse und Eingriffsmöglichkeiten in den Geschäftsablauf haben, lässt sich für sie keine Vermögensbetreuungspflicht begründen. Es kommt allenfalls eine Teilnehmerstrafbarkeit in Betracht.

III. Vermögensbetreuungspflicht aufgrund von Compliance-modifizierten gesetzlichen Vorgaben Besonderes Augenmerk gilt den Konstellationen, in denen die Vermögensbetreuungspflicht eine normative Anbindung dergestalt aufweist, dass an sich nicht vermögensschützenden Gesetzen durch private Vereinbarungen eine solche Wirkung zugeschrieben wird. 1. Zuweisung vermögensschützenden Charakters an Rechtsnormen durch Satzung – BGH, Beschluss vom 13.04.2011 – 1 StR 94/10 Als wegweisend ist insofern der Beschluss des BGH vom 13.04.2011 zur Kölner Parteispendenaffäre anzusehen.609 Die Frage, ob den einschlägigen Vorschriften des PartG Vermögensrelevanz im Hinblick auf den Untreuetatbestand zukommt, ist umstritten.610 Der BGH sieht den Schutzzweck der einschlägigen Vorschriften des PartG in der Sicherstellung und Transparenz der staatlichen Parteienfinanzierung und verneint jedenfalls im Hinblick auf den im Fall entscheidenden § 25 PartG in der Fassung vom 28.01.1994 eine vermögensschützende Zwecksetzung.611 Allerdings können die Parteien, insbesondere durch Satzung, bestimmen, dass die Beachtung der Vorschriften des PartG für die Funktionsträger der Partei eine selbständige das Parteivermögen schützende Hauptpflicht i. S. v. § 266 Abs. 1 StGB darstellt.612 In der zitierten Entscheidung hat der Senat 609

BGH, NStZ 2011, 403. Vermögensschutz bejahend: Saliger/Sinner, NJW 2005, 1073 (1078); Schwind, NStZ 2001, 349 (352 f.); verneinend: Volhard, in: FS Lüderssen, 2002, S. 673 ff. (674 ff.). 611 BGH, NStZ 2011, 403 (404). 612 BGH, NStZ 2011, 403 (404). 610

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wiederum die Bedeutung des Schutzzwecks der verletzten Norm betont,613 deren Ausrichtung auf den Vermögensschutz aber auch auf Grundlage einer entsprechenden Parteivereinbarung zwischen Treugeber und Treupflichtigem als gegeben erachtet.614 Die Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht ergebe sich demzufolge nicht aus dem Verstoß gegen das PartG, sondern aus der Verletzung der dem Vorsitzenden des Kreisverbandes durch Rechtsgeschäft auferlegten Treuepflichten.615 Indem in privatrechtlichen Vereinbarungen die Beachtung einer Norm zur selbständigen, das betreute Vermögen schützenden Hauptpflicht i. S. v. § 266 Abs. 1 StGB bestimmt wird, kann somit eine „Aufladung“ vermögensneutraler zu vermögensschützenden Normen erfolgen. Die Entscheidung stellt damit eine Weiterentwicklung der vom BGH im Fall Siemens/AUB aufgestellten Forderung dar, derzufolge die unmittelbar verletzte Rechtsnorm selbst vermögensschützenden Charakter aufweisen muss.616 Folgt man der Einschätzung des BGH kann mittels privatrechtlicher Regelungen aus einer nichtvermögensschützenden Norm eine Vermögensbetreuungspflicht erwachsen, sofern nur eine entsprechende Vereinbarung getroffen wird. 2. Anforderungen an die Vermögensschutz begründende Bestimmung Zur Wahrung hinreichender Bestimmtheit des Untreuetatbestandes sind an die Vereinbarung gewisse Anforderungen zu stellen. Aus der allgemeinen Verpflichtung zu gesetzesmäßigem Verhalten lässt sich eine Vermögensbetreuungspflicht auch dann nicht ableiten, wenn in Satzungs-, Vertrags- oder Compliance-Bestimmungen die Einhaltung dieser allgemeinen Pflichten als für den Schutz des anvertrauten Vermögens notwendig gefordert wird. So genügt der Hinweis in Compliance-Programmen, dass „Gesetzeswidriges oder unangemessenes Verhalten auch nur eines Mitarbeiters (. . .) dem Unternehmen bereits erheblichen Schaden zufügen“ 617 kann, nicht, um der gegenüber jedermann geltenden Pflicht, gesetzliche Regelungen zu beachten, Vermögensbezug zuzuweisen. Es bedarf daher einer genauen Untersuchung der einzelnen Bestimmung und des Inhalts der in Bezug genommenen Norm.

613 Vgl. dazu bereits den Beschl. des BGH im Fall Siemens/AUB (BGH, NJW 2011, 88 (91 f.)), auf den der BGH in seinem Beschl. v. 13.4.2011 (BGH, NStZ 2011, 403) auch Bezug nimmt. 614 BGH, NStZ 2011, 403 (404). 615 BGH, NStZ 2011, 403 (405). 616 Krit.: Brand, NJW 2011, 1747 (1751 f.), der in dem Beschluss eher eine Aufgabe der im Beschl. des BGH, NJW 2011, 88 (91 f.) – Siemens/AUB, aufgestellten Grundsätze sieht. 617 Business Conduct Guidelines der Siemens AG, Fn. 84, S. 7.

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Auch im Rahmen eines bestehenden Treueverhältnisses kommt nicht jeder einzelnen Verpflichtung vermögensschützender Charakter i. S. d. § 266 Abs. 1 StGB zu.618 Da eine Normverletzung in der Regel nur dann pflichtwidrig i. S. d. § 266 Abs. 1 StGB ist, wenn die verletzte Rechtsnorm vermögensschützenden Charakter hat, genügt ein Verstoß gegen die allgemeine aktienrechtliche Legalitätspflicht der §§ 93, 116 AktG nur dann, wenn die primär verletzte Rechtsnorm eine vermögensrechtliche Schutzrichtung aufweist.619 Auch wenn man die Legalitätspflicht der §§ 93, 116 AktG als immanenten Bestandteil der Treugebersatzung ansieht,620 vermag daher ein Verstoß hiergegen durch Verletzung einer nichtvermögensschützenden Norm noch keine Pflichtwidrigkeit i. S. v. § 266 Abs. 1 StGB zu begründen. In diese Richtung geht auch die Kritik Brands, der die Begründung vermögensschützender Wirkung durch Aufnahme der entsprechenden gesetzlichen Regelung in die Treugebersatzung als „bloße Förmelei“ ablehnt, trifft den Vorstand einer AG gem. § 93 AktG doch ohnehin die Pflicht, sämtliche gesetzliche Ge- und Verbote einzuhalten.621 Brand plädiert dafür, die einzelne Satzungsbestimmung auf ihren vermögensschützenden Charakter hin zu untersuchen und diesen nicht allein aufgrund ihres Standorts in der Treugebersatzung zu unterstellen.622 Dieser Einschätzung liegt die richtige Erkenntnis zugrunde, dass für die Herstellung des Vermögensbezugs gerade die auf die Gesetzesnorm verweisende Bestimmung maßgeblich ist. Eine Pflichtwidrigkeit i. S. v. § 266 Abs. 1 StGB kommt nur dann in Betracht, wenn gegen eine Pflicht verstoßen wird, die dem Schutz der wahrzunehmenden Vermögensinteressen dient. Die Verletzung eines Gesetzes, das diesen Bezug vermissen lässt, weil seine Zweckrichtung eine andere ist, genügt nicht. Mit der neuen Entscheidung stellt der BGH klar, dass der Vermögensbezug aber nicht nur originär aus dem Gesetzeszweck abgeleitet werden kann, sondern auch durch eine Vereinbarung zwischen Treugeber und Treupflichtigem vermittelt werden kann. Betont der BGH dennoch, dass sich die Pflichtwidrigkeit des fraglichen Verstoßes nicht aus der Verletzung der nicht vermögensschützenden Normen des Parteiengesetzes ergebe, sondern aus der Verletzung der dem Angeklagten aufgrund seiner Funktion durch Rechtsgeschäft auferlegten Treuepflichten, so ist diese Formulierung zumindest missverständlich. Konsequenter erscheint es, in Fortführung der in der Siemens/AUB Entscheidung entwickelten Grundsätze einen Verstoß gegen eine vermögensschützende Norm zu fordern. Der vermögensschützende Charakter kann sich dabei sowohl aus dem Gesetzeszweck als auch 618 619 620 621 622

BGH, NJW 1991, 1069; NStZ 1986, 361 (362). BGH, NJW 2011, 88 (91 f.). Vgl. Brand/Sperling, AG 2011, 233 (238f.). Brand, NJW 2011, 1747 (1752). Brand, NJW 2011, 1747 (1752).

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4. Kap.: Strafbarkeitsbegründende Wirkung

aus einer Aufnahme der Norm in die Satzung, den Vertrag oder ein sonstiges das Treueverhältnis ausgestaltendes Regelwerk ergeben. Die einzelne Bestimmung muss sich auf eine konkret benannte gesetzliche Regelung beziehen und der Beachtung dieser Regelung in unmissverständlicher Weise vermögensschützende Wirkung zuweisen. Die Begründung eines hinreichenden Zusammenhangs zwischen Befolgung der Norm und dem Schutz des anvertrauten Vermögens erfordert die Ausgestaltung der Verhaltenspflicht als Hauptpflicht des Treueverhältnisses und einen auch im Wortlaut der Bestimmung zum Ausdruck kommenden Vermögensbezug, etwa indem auf die Möglichkeit schwerwiegender finanzieller Folgen einer Zuwiderhandlung hingewiesen wird. 3. Resumee Gerade im Hinblick auf den Bestimmtheitsgrundsatz und die Appellfunktion strafrechtlicher Normen, ist die explizite Festlegung in Compliance-Regelungen, ob der Befolgung einer Norm vermögensrelevante Wirkung zukommen soll, begrüßenswert. Angesichts der auf ein Individualrechtsgut ausgerichteten Schutzrichtung von § 266 StGB, kommt dem Innenverhältnis zwischen Treugeber und Treunehmer für eine konkretisierende Ausgestaltung der Vermögensbetreuungspflicht als zentralem Element des Tatbestandes, grundlegende Bedeutung zu. Die Bezugnahme auf gesetzliche Vorschriften im Rahmen der Bestimmung einzelner Elemente der Vermögensbetreuungspflicht sorgt für eine engere normative Anbindung. Die Festschreibung des vermögensschützenden Charakters in den das Treueverhältnis ausgestaltenden Regelwerken trägt der auf das Individualrechtsgut Vermögen bezogenen Schutzrichtung Rechnung. Die Dokumentation kommt zudem der Berechenbarkeit zugute und erleichtert dem Normadressaten die Orientierung. Die Entscheidung des BGH in der Kölner Parteispendenaffäre stellt eine konsequente Fortführung und keine fragwürdige Relativierung des im Fall Siemens/ AUB entwickelten Kriteriums dar.623 Bereits in dieser Entscheidung hat der BGH mit der Formulierung, die verletzte Rechtnorm müsse ihrerseits „wenigstens auch, und sei es mittelbar“ 624 vermögensschützenden Charakter für das zu betreuende Vermögen haben, die Weichen richtig gestellt und die „Mittelbarkeit“ nun auf die Vermittlung des Vermögensbezugs durch das Treueverhältnis ausgestaltende Regelwerke konkretisiert. Die vom BGH in der Kölner Parteispendenaffäre getroffene Entscheidung trägt der zunehmenden Bedeutung Rechnung, die Selbstverpflichtungserklärungen im zivil- wie im strafrechtlichen Bereich beigemessen wird. Vor dem Hintergrund des Bestimmtheitsgrundsatzes ist eine engere normative Anbindung der das Treueverhältnis ausgestaltenden Bestimmungen an 623 Kritik an der vermeintlichen Aufgabe der in der Siemens/AUB-Entscheidung entwickelten Grundsätze übt insb. Brand, NJW 2011, 1747 (1752). 624 BGH, NJW 2011, 88 (Ls. 2; 91).

§ 3 Garantenstellung bei unechten Unterlassungsdelikten

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außerstrafrechtliche gesetzliche Vorgaben und die klarstellende Dokumentation ihres Vermögensbezugs zu begrüßen.

§ 3 Garantenstellung bei unechten Unterlassungsdelikten Neben der besonderen vermögensbezogenen Garantenstellung des Untreuetatbestands,625 sind auch die nach allgemeinen Grundsätzen zu ermittelnden Garantenstellungen der unechten Unterlassungsdelikte einer Beeinflussung durch Compliance-Vorschriften zugänglich.

I. Garantenstellung des Compliance-Beauftragten Besondere Beachtung verdient zunächst die Position des Compliance-Beauftragten.626 In seiner Entscheidung vom 17.07.2009 hat sich der BGH in einem Obiter Dictum für eine „regelmäßige“ Garantenstellung des Compliance-Officers ausgesprochen. Diese beinhalte die Pflicht, Straftaten von Unternehmensangehörigen, die im Zusammenhang mit der Tätigkeit des Unternehmens stehen, zu unterbinden627 und ergebe sich aus der allgemeinen, gegenüber der Unternehmensleitung übernommenen Pflicht, Rechtsverstöße zu verhindern.628 1. Begründung der Garantenstellung In der Literatur löste diese Aussage eine nicht enden wollende Diskussionswelle aus. Während die ersten Äußerungen einer Garantenstellung des Compliance-Beauftragten überwiegend ablehnend gegenüber standen,629 scheint sich mittlerweile die Überzeugung durchgesetzt zu haben, dass die Annahme einer solchen Garantenpflicht doch nicht allzu fernliegend ist.630 Gegen eine Garanten625 Perron spricht von einer qualifizierten Garantenbeziehung zu dem fremden Vermögen, S/S-Perron, § 266, Rn. 23a; Seier sieht zwischen unechtem Unterlassungsdelikt und Treubruch eine Strukturverwandtschaft, Achenbach/Ransiek-Seier, 5. Teil, 2, Rn. 142. 626 Da die Frage einer Garantenstellung im Wesentlichen unabhängig von der Hierarchieebene ist, auf der ein Compliance-Officer oder Compliance-Beauftragter angesiedelt ist, gelten die folgenden Ausführungen für alle Ebenen des Compliance-Management-Systems. 627 BGH, NStZ 2009, 686. 628 BGH, NStZ 2009, 686 (687f.); auf das Erfordernis einer einzelfallbezogenen Betrachtung hinweisend, u. a. Rübenstahl, NZG 2009, 1341 (1344); die zahlreichen Besprechungen dieses Urteils in der Literatur (Grützner, BB 2012, 150 (152)) geht von mehr als 70 Besprechungen aus) lassen die Brisanz dieser Entscheidung erkennen. 629 Vgl. nur: Jahn, JuS 2009, 1142 ff.; Klindt/Pelz/Theusinger, NJW 2010, 2385 ff.; Kraft/Winkler, CCZ 2009, 29 ff.; Rübenstahl, NZG 2009, 1341 ff.; Warneke, NStZ 2010, 312 ff.; Zimmermann, BB 2011, 634 ff. 630 Vgl. Mosbacher/Dierlamm, NStZ 2010, 268 ff.; Ransiek, AG 2010, 147 ff.

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stellung des Compliance-Beauftragten wurde vor allem vorgebracht, dass es ihm mangels hinreichender Weisungsbefugnisse oder anderer Sondervollmachten bereits an den erforderlichen Mitteln fehle, um Straftaten effektiv verhindern zu können.631 Nur im Falle der Zuweisung disziplinarischer Befugnisse könnten sich konkrete Eingriffs- und Aufklärungspflichten ergeben, während lediglich Informationspflichten bestünden, wenn dem Compliance-Beauftragten keine derartigen Befugnisse zustehen. Eine derart beschränkte Pflichtenstellung genüge aber nicht den Anforderungen einer strafrechtlichen Garantenstellung, die von dem Garanten gerade die Erfolgsverhinderung verlange und keine bloße Handlungspflicht begründe.632 Zu bedenken ist aber, dass auch Informationspflichten die Herrschaft über eine Gefahrenquelle und damit eine Garantenstellung begründen können.633 Zum Teil wird eine Garantenpflicht sogar allein aus einem Informationsvorsprung des Compliance-Beauftragten gegenüber der Geschäftsleitung abgeleitet.634 Insofern verschärfen sich allenfalls die an den Kausalitätsnachweis zu stellenden Anforderungen. Trifft den Compliance-Beauftragten lediglich eine Pflicht zur Berichterstattung gegenüber dem Vorgesetzten, kann der Erfolg nur dann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindert werden, wenn auch dieser entsprechend tätig wird. Nachzuweisen ist in dieser Konstellation nicht nur, dass eine ordnungsgemäße Erfüllung der eigenen Pflicht des Compliance-Beauftragten den Erfolg mit hinreichender Wahrscheinlichkeit verhindert hätte, sondern auch, dass der zum Eingriff Befugte entsprechend reagiert und das strafbare Verhalten verhindert bzw. abgestellt hätte.635 Sofern dem Compliance-Officer keine Eingriffsoder Weisungsbefugnisse zustehen, erschwert das Hinzutreten eines Kausalfaktors zwar den Kausalitätsnachweis, schließt jedoch die Möglichkeit einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit nicht aus. Der Annahme einer Garantenstellung des Compliance-Officers nach § 13 StGB könnte neben unzureichenden Kompetenzen ferner entgegenstehen, dass das eigenverantwortliche Handeln des jeweiligen Mitarbeiters den Zurechnungszusammenhang unterbricht. Dies gilt insbesondere, wenn dem Compliance-Be-

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Berndt, StV 2009, 687 (691). Achenbach/Ransiek-Rotsch, 1. Teil, 4, Rn. 39. 633 Vgl. insofern Böse, NStZ 2003, 636 (640) in Bezug auf die Garantenstellung des Betriebsbeauftragten. 634 Rönnau/Schneider, ZIP 2010, 53 (58); a. A. Warneke, NStZ 2010, 312 (316) unter Hinweis darauf, dass bloßes Wissen außerhalb des Anwendungsbereichs des § 138 StGB zur Begründung strafrechtlicher Verantwortung nicht ausreicht; krit. auch: Rotsch unter Hinweis darauf, dass das Wesen der Garantenpflicht von dem Verpflichteten gerade die Abwendung des tatbestandlichen Erfolges verlangt: Achenbach/Ransiek-Rotsch, 1. Teil, 4, Rn. 39. 635 Kraft/Winkler, CCZ 2009, 29 (33); zur vergleichbaren Problematik einer Garantenhaftung des Gewässerschutzbeauftragten: Dahs, NStZ 1986, 97 (101). 632

§ 3 Garantenstellung bei unechten Unterlassungsdelikten

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auftragten nur fahrlässiges Verhalten vorgeworfen werden kann, während der jeweilige Mitarbeiter vorsätzlich handelt. Sofern der Compliance-Officer redlich handelt, bleibt dessen Strafbarkeitsrisiko auf den Bereich der Fahrlässigkeitstaten beschränkt.636 In Betracht kommt eine strafrechtliche Verantwortlichkeit nach §§ 229, 222 StGB insbesondere für arbeitssicherheitsrechtliche Verstöße sowie im Rahmen der Umweltdelikte gemäß §§ 324 ff. StGB. Das Risiko ist dabei aber insoweit begrenzt, als sich der Verantwortungsbereich des Compliance-Beauftragten hier regelmäßig mit dem besonderer Betriebsbeauftragter für Arbeitsschutzmaßnahmen oder Einhaltung gesetzlicher Umweltstandards überschneidet.637 Daneben ist auch eine Verwirklichung des Tatbestands der leichtfertigen Geldwäsche nach § 261 Abs. 5 i.V. m. Abs. 1 und 2 StGB denkbar.638 Die für die Einrichtung von Compliance-Organisationen regelmäßig ausschlaggebenden Straftatbestände der Untreue, des Betrugs und sämtliche Korruptionsdelikte erfordern Vorsatz und begründen eine Haftung daher nur im (seltenen) Falle eines unredlichen Compliance-Officers.639 Nach der früher vertretenen Regressverbotslehre, würde eine Strafbarkeit des Compliance-Officers wegen Nichtverhinderung strafrechtlich relevanter Taten Dritter ausscheiden, da unter der Prämisse eines frei gefassten Täterentschlusses, diesem keine weitere Ursache vorausgehen könne.640 Nach heute herrschender Meinung ist eine Zurechnung dennoch möglich, wenn die fahrlässig verursachte Gefahr, die Zuwiderhandlung erst ermöglicht und diese sich im Rahmen des Vorhersehbaren hält.641 Ausgehend vom Vertrauensgrundsatz nimmt Roxin einen Zurechnungszusammenhang nur in den Fällen an, in denen der Erstveranlasser die Tatgeneigtheit des Zweithandelnden erkennen konnte und durch sein Verhalten fördert.642 Von einem Compliance-Officer kann angesichts der arbeitsteiligen Organisation in Unternehmen, einer großen Zahl an Unternehmensangehörigen und einer damit zwangsläufig verbundenen Anonymität im Regelfall nicht erwartet werden, dass er die Tatgeneigtheit eines bestimmten Mitarbeiters erkennen konnte. Auch erscheint schon aufgrund seines Aufgabenkreises im Unternehmen ein Fördern der vorsätzlichen Tat anderer Mitarbeiter fernliegend. Nach Ansicht Roxins käme eine Strafbarkeit somit allenfalls in Ausnahmefällen in Betracht. Gegen die Berücksichtigung der erkennbaren Tatgeneigtheit spricht aber, dass besondere Unkenntnis oder persönliches Unvermögen für den Fahrlässigkeitsvor636

Vgl. Kraft/Winkler, CCZ 2009, 29 (33). Vgl. auch: Kraft/Winkler, CCZ 2009, 29 (33). 638 Zimmermann, BB 2011, 634 (635). 639 Für den Bereich der Ordnungswidrigkeiten sind in erster Linie § 81 GWB sowie die Vorschriften des AEntG von haftungsrechtlicher Relevanz für den Compliance-Beauftragten; weiterführend hierzu: Kraft/Winkler, CCZ 2011, 29 (33). 640 Zur Regressverbotslehre: Frank, StGB, 18. Aufl. 1931, § 1 III 2a. 641 Lackner/Kühl, vor § 13, Rn. 11; S/S-Lenckner/Eisele, vor § 13, Rn. 77. 642 Roxin, in: FS Tröndle, 1989, S. 177 ff. (190 ff.). 637

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wurf grundsätzlich erst im Rahmen der Schuld relevant werden.643 Von den Ausnahmefallgruppen, bei deren Vorliegen nach überwiegender Meinung in der Literatur eine subjektivierte Betrachtung bereits auf Tatbestandsebene zu erfolgen hat,644 ist hier keine einschlägig. Da Sorgfaltspflichten verallgemeinerte Gefahrprognosen darstellen, müssen vielmehr das geschützte Rechtsgut und damit der Schutzzweck der vom Erstveranlasser verletzten Sorgfaltsnorm maßgeblich sein.645 Verwirklicht sich im eingetretenen Erfolg die vom Ersthandelnden geschaffene Gefahr, ist unabhängig von der Erkennbarkeit der Tatgeneigtheit des Zweithandelnden der Pflichtwidrigkeitszusammenhang zu bejahen. Folgt man dem in der Literatur herrschenden Ansatz wird der Pflichtwidrigkeitszusammenhang nicht unterbrochen, da der Compliance-Officer gerade die Gefahr verhindern soll, dass durch rechtswidriges Verhalten von Unternehmensangehörigen Dritte oder das Unternehmen selbst zu Schaden kommen. Bei Verletzung dieser Pflicht realisiert sich diese Gefahr. Sie wirkt im konkreten Taterfolg fort und liegt im Regelfall auch im Rahmen des Vorhersehbaren. Zumindest Straftaten, die mit der Unternehmenstätigkeit in Zusammenhang stehen, stellen eine vorhersehbare Folge der Vernachlässigung von Kontroll-, Meldeoder auch nur Informationspflichten des Compliance-Beauftragten dar. Hinzu kommt die Aussage des § 130 Abs. 1 OWiG, der eine Pflicht, auch auf eigenverantwortliches Verhalten Dritter einzuwirken, gerade vorsieht.646 Allerdings könnte dieser Ordnungswidrigkeitstatbestand Sperrwirkung gegenüber der Annahme einer strafrechtlichen Garantenstellung entfalten.647 Das Strafrecht ist jedoch gegenüber einer Ahndung nach den Tatbeständen des OWiG grundsätzlich vorrangig.648 Erfüllt eine Verhaltensweise zugleich einen strafrechtlichen und ordnungswidrigkeitsrechtlichen Tatbestand, so wird gem. § 21 Abs. 1 OWiG nur das Strafgesetz angewendet. Mangels einer entsprechenden Klarstellung im Gesetz, dass eine Sperrwirkung von § 130 OWiG gegenüber der Annahme einer auch strafrechtlichen Garantenstellung nach § 13 Abs. 1 StGB gewollt ist, kann die zugrundeliegende Intention des Gesetzgebers als gewolltes Nebeneinander gedeutet werden.649 Zudem verbleibt § 130 OWiG auch bei Annahme einer strafrechtlichen Garantenstellung ein beachtlicher Anwendungsbereich.650 Zum einen stellt er an die 643 BGHSt 40, 341 (348); Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 22, Rn. 28; Lackner/Kühl, § 15, Rn. 49; S/S-Sternberg-Lieben, § 15, Rn. 190; 644 Vgl. hierzu: LK-Vogel, § 15, Rn. 158. 645 Jäger, AT, Rn. 58; krit. gegenüber einer am Schutzzweck orientierten Betrachtungsweise mit dem Argument der Rechtsunsicherheit: Roxin, AT/I, § 24, Rn. 28, Fn. 50. 646 Ransiek, AG 2010, 147 (150). 647 So: Stoffers, NJW 2009, 3176. 648 Bohnert, OWiG, § 21, Rn. 1, zu den wenigen Ausnahmen, vgl. Rn. 5. 649 Ransiek, AG 2010, 147 (149); Rübenstahl, NZG 2009, 1341 (1343).

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subjektive Tatbestandsseite niedrigere Anforderungen, indem er bereits Fahrlässigkeit genügen lässt. Zum anderen erfordert der Nachweis strafrechtlicher Kausalität bei den Unterlassungsdelikten zumindest nach der von der herrschenden Meinung vertretenen Vermeidbarkeitstheorie, dass der Erfolg durch das gebotene Handeln mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit entfallen wäre.651 Hingegen genügt es i. R.v. § 130 OWiG, dass die Zuwiderhandlung durch Vornahme der gebotenen Aufsichtshandlung wesentlich erschwert worden wäre.652 Damit verbleibt dem Ordnungswidrigkeitstatbestand ein weiter Anwendungsbereich, den die Möglichkeit einer strafrechtlichen Garantenhaftung in bestimmten Fällen nur unerheblich schmälern dürfte. Mit der Erkenntnis, dass § 130 OWiG gegenüber § 13 StGB keine Sperrwirkung entfaltet, lässt sich indes noch nicht die Existenz einer solchen strafrechtlichen Pflicht begründen. Anders als bei der Geschäftsherrenhaftung und im Verhältnis zwischen Vorgesetztem und Untergebenem kann der Compliance-Beauftragte auf Weisungs- und Eingriffsbefugnisse nur dann zurückgreifen, wenn ihm diese explizit übertragen wurden. Eine Organstellung oder hierarchisch übergeordnete Position scheiden zur Begründung der Garantenstellung daher aus.653 Jedoch wäre dies auch nicht der richtige Anknüpfungspunkt der Untersuchung, ob eine Garantenstellung des Compliance-Beauftragten vorliegt. Vielmehr kommt es darauf an, ob er rechtlich dafür einzustehen hat, dass der Erfolg eines Straftatbestandes nicht eintritt und nicht dafür, dass ein Unternehmensangehöriger sich rechtstreu verhält, wie Ransiek zutreffend klarstellt.654 Auch für die Organhaftung hat bereits Schünemann darauf hingewiesen, dass die tatsächliche Innehabung der Geschehensherrschaft maßgeblich ist und die materiellen Gründe für die strafrechtliche Organhaftung entscheidend sind.655 Der BGH betont, dass die Übernahme von Schutz- und Überwachungspflichten zwar auch durch einen Dienstvertrag erfolgen könne, der bloße Vertragsschluss jedoch nicht ausreiche und es vielmehr auf die tatsächliche Übernahme des Pflichtenkreises ankommt. Dabei genüge nicht jede Übertragung von Pflichten zur Begründung einer Garantenstellung, hinzutreten müsse ein besonderes 650

Vgl. dazu auch: Ransiek, AG 2010, 147 (149). St. Rspr., vgl. nur BGH, NJW 2003, 522 (526); S/S-Stree/Bosch, § 13, Rn. 61 m.w. N.; a. A. Risikoverminderungslehre, vgl. SK-Rudolphi/Stein, vor § 13, Rn. 15. 652 Die Vorschrift des § 130 OWiG stellt damit eine Ausprägung der Risikoverminderungslehre dar, die bereits die Möglichkeit ausreichen lässt, dass das Tun den Erfolg abgewendet haben könnte. Vertreten wird die Risikoverminderungslehre beim Unterlassungsdelikt u. a. von: Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 13, Rn. 52; Otto, Band I, § 9, Rn. 101; SK-Rudolphi/Stein, vor § 13, Rn. 15; differenzierend nach dem Zeitpunkt der Betrachtung: Roxin, AT/II, § 31, Rn. 54 ff. 653 Darauf weist auch Ransiek hin in AG 2010, 147 (150). 654 Ransiek, AG 2010, 147 (150). 655 Zur Garantentheorie allgemein: Schünemann, SchwZR 1978, 131 (152 ff.); zur Organhaftung: LK-Schünemann, § 14, Rn. 15. 651

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4. Kap.: Strafbarkeitsbegründende Wirkung

Vertrauensverhältnis, auf dessen Grundlage die Delegation besonderer Schutzpflichten erfolgt.656 Dass dieses Vertrauensverhältnis zwischen Übertragendem und Compliance-Beauftragtem im Regelfall vorliegt, wurde bereits im Rahmen der Vermögensbetreuungspflicht erläutert. Teilweise wird bezweifelt, ob es sich dabei um ein zusätzliches Kriterium handelt und die Übernahme der Tätigkeit als solche als ausreichend erachtet.657 Dem kann jedoch nur im Hinblick auf die besondere Konstellation des Compliance-Beauftragten gefolgt werden. Hier ergibt sich gerade aus dem Inhalt der übernommenen Pflichten die besondere Vertrauensbeziehung, aufgrund derer dem Compliance-Officer Schutzpflichten überantwortet werden. Pflichtendelegation und Vertrauensverhältnis bedingen sich hier gegenseitig. Für gewöhnliche Austauschverträge kann dies indes nicht ohne weiteres bejaht werden, so dass die Ausführungen des BGH, die sich allgemein auf die Übernahme von Überwachungs- und Schutzpflichten durch einen Dienstvertrag beziehen, insofern nicht zu beanstanden sind. Voraussetzung der Übertragung von Pflichten auf den Compliance-Beauftragten ist das Bestehen entsprechender originärer Garantenpflichten bei der delegierenden Stelle, hier der Unternehmensleitung. Dass die Leitungsorgane von Unternehmen im Rahmen der sog. Geschäftsherrenhaftung eine Pflicht zur Verhinderung betriebsbezogener Straftaten trifft, ist weitgehend anerkannt.658 Mit der Übernahme des Aufgabenkreises eines Compliance-Officers übernimmt dieser die Verantwortung dafür, Gefahren für Rechte und Rechtsgüter Dritter, die sich aus der unternehmerischen Tätigkeit ergeben, abzuwehren. Damit einher geht die Pflicht dafür zu sorgen, dass Gefahren aus dem Innenbereich der Organisation und den Unternehmensaktivitäten sich nicht verwirklichen. Wie Ransiek zutreffend feststellt, besteht kein nachvollziehbarer Grund, dabei zwischen der Übernahme von Verantwortung für die Sicherheit technischer Anlagen und der Gewährsübernahme für die Sicherheit des Umgangs mit derartigen Einrichtungen zu differenzieren.659 Die Pflicht dafür zu sorgen, dass Rechtsgüter des Unternehmens bzw. Dritter durch die betriebliche Tätigkeit nicht verletzt werden, umfasst daher auch die Pflicht, eine Realisierung der durch Mitarbeiterverhalten vermittelten Gefahrenpotenziale für strafrechtlich geschützte Rechtsgüter zu verhindern. Der Compliance-Beauftragte übernimmt mit den seiner Position zugewiesenen Pflichten die Verantwortung über eine Gefahrenquelle und wächst dadurch in eine entsprechende Garantenstellung hinein.660 Dass der Befürwortung einer Ga656 BGH, NJW 2009, 3173 (3174); unter Hinweis auf BGHSt 46, 196 (202 f.); 39, 392 (399). 657 Ransiek, AG 2010, 147 (152); Achenbach/Ransiek-Rotsch, 1. Teil, 4, Rn. 35. 658 Vgl. hierzu: Achenbach/Ransiek-Rotsch, 1. Teil, 4, Rn. 32; Schünemann, Unternehmenskriminalität und Strafrecht, 1979, S. 101 ff.; Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, § 4, Rn. 185; Roxin, AT/II, § 32, Rn. 137. 659 Ransiek, AG 2010, 147 (150 f.). 660 Zu diesem Ergebnis kommt auch Ransiek, AG 2010, 147 (152).

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rantenstellung des Compliance-Beauftragten auch nicht entgegengehalten werden kann, es handle sich um nicht übertragbare Kernbefugnisse unternehmerischer Verantwortung, wurde bereits im Rahmen der Untreuehaftung dargelegt. 2. Klassifizierung der Garantenstellung Die Frage, ob es sich bei den haftungsbegründenden Pflichten um Schutz- oder Überwachungspflichten handelt, hat der BGH in seiner Entscheidung ausdrücklich offen gelassen.661 Dieser Aspekt ist aber unter anderem bei der Abgrenzung von Täterschaft und Beihilfe durch Unterlassen relevant, sofern man diese gemäß der Unterscheidung zwischen Beschützer- und Überwachergarantenstellung vornimmt.662 Folgt man dieser Ansicht, die sich insbesondere nicht dem Vorwurf der Beliebigkeit der Abgrenzung ausgesetzt sieht, wie ihn die Rechtsprechung trifft,663 so ist die Unterscheidung von erheblicher Bedeutung. Auch hinsichtlich Anknüpfungspunkt664 und Reichweite einer Haftung macht es einen Unterschied, ob der Compliance-Beauftragte für die Überwachung einer Gefahrenquelle oder die Bewachung eines Rechtsguts verantwortlich gemacht wird.665 Insofern erscheint es sinnvoll zwischen einer Einordnung als Überwacher- oder Beschützergarant zu unterscheiden, zumal verschiedentlich vor einer Verwendung „gefährlicher“ Formulierungen in Compliance-Regelungen, aus denen auf eine Beschützergarantenstellung geschlossen werden könnte, gewarnt wird.666 Unglückliche Formulierungen in Compliance-Regelungen bergen demnach das Risiko dem Compliance-Officer eine besonders umfassende strafrechtliche Verantwortung zuzuschreiben, indem sie den Schluss nahelegen, er wolle als Beschützergarant für das Rechtsgut der Unternehmensintegrität als solche einstehen.667

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BGH, NJW 2009, 3173 (3174). Herzberg, Täterschaft und Teilnahme, 1977, S. 82 ff.; Krey, AT/2, Rn. 381 ff.; S/ S-Heine, vor §§ 25 ff., Rn. 103. 663 Vgl. zu dieser Kritik statt aller: Roxin, AT/II, § 31, Rn. 132 ff. m.w. N.; bzgl. der Strafbarkeit des Compliance-Officers: Ransiek, AG 2010, 147 (152). 664 Warneke, NStZ 2010, 312 (314) erachtet die Unterscheidung ebenfalls als für die normative Begründung entscheidend; ebenso: Rönnau/Schneider, ZIP 2010, 53 (54 ff.). 665 Zur Garantenstellung allgemein vgl. Jäger, AT, Rn. 337, wonach der Schutzgarant alle dem zu schützenden Rechtsgut drohenden Gefahren abzuwehren hat, während der Überwachungsgarant nur die von der Gefahrenquelle ausgehenden Risiken abzuwehren verpflichtet ist. Nach S/S-Stree/Bosch, § 13, Rn. 16, steht aber auch die Garantenstellung kraft Herrschaft über eine Gefahrenquelle, derjenigen eines Beschützergaranten in ihrer Intensität nicht nach, sobald sich die zu überwachende Gefahr auf ein bestimmtes Rechtsgut konkretisiert hat. 666 Vgl. Kraft/Winkler, CCZ 2009, 29 (33). 667 Kraft/Winkler, CCZ 2009, 29 (32); als Negativbeispiele nennen sie in diesem Zusammenhang: „Der Compliance-Officer garantiert für die Einhaltung rechtlicher Bestimmungen“ und „Der Compliance-Officer hat für die Verhinderung von Korruption zu sorgen.“, vgl. CCZ 2009, 29 (33). 662

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Sofern dem Beauftragten nach seiner Position keine Weisungs- und Anordnungskompetenz zukommt, soll eine Beschützergarantenstellung im Hinblick auf das Rechtsgut der Unternehmensintegrität ausscheiden und die Verantwortlichkeit des Compliance-Officers auf eine Überwachungsgarantenstellung hinsichtlich des von ihm implementierten Compliance-Systems beschränkt sein.668 Dabei begegnet bereits der gewählte Bezugspunkt der Garantenstellung Bedenken. Allein auf die Compliance-Organisation selbst kann die Verantwortlichkeit des Compliance-Beauftragten nicht beschränkt werden. Zum einen überzeugt es nicht, ihn als Überwacher des Compliance-Systems anzusehen, da es sich insofern lediglich um Maßnahmen und Vorkehrungen in Erfüllung seiner Pflichten handelt.669 Zum anderen geht die Gefahr für die der Compliance-Beauftragte einstehen soll, nicht vom Compliance-System aus. Zudem blendet der Bezug auf die Integrität des Unternehmens eine weitergehende Verantwortlichkeit für die durch unternehmerische Aktivität bedrohten Rechtsgüter von Mitarbeitern oder außenstehender Dritter von vornherein aus. Zur Einordnung der Garantenstellung in die Kategorien Beschützer- oder Überwachergarant wird teilweise auch eine Parallele zu vergleichbaren Positionen im Betrieb gezogen. Die Stellung des Compliance-Officers sei insofern mit derjenigen besonderer Sicherheitsbeauftragter, etwa derjenigen des Gewässerschutzbeauftragten, vergleichbar.670 Dieser Vergleich vermag insofern nicht zu überzeugen, als der Gewässerschutzbeauftragte bereits qua definitione in seinem Verantwortungsbereich auf den Schutz eines Rechtsguts beschränkt ist. Zudem sind seine Rechte und Pflichten durch gesetzliche Vorgaben konkretisiert, während für den Aufgabenkreis des Compliance-Beauftragten eine normative Ausgestaltung gerade fehlt. Allerdings könnten sich aus der Tatsache, dass die Rechtsprechung hinsichtlich des Gewässerschutzbeauftragten eine Beschützergarantenstellung ablehnt und die Verantwortung auf eine Überwachergarantenstellung beschränkt,671 Anhaltspunkte für die Reichweite der Haftung des Compliance-Beauftragten ergeben. Mangels Benennung eines bestimmten Rechtsgutes auf dessen Schutz sich der Compliance-Beauftragte zu beschränken hätte, wird die Annahme einer Überwachungsgarantenstellung seiner Stellung im Unternehmen besser gerecht. Nimmt die Rechtsprechung eine Überwachergaranteneigenschaft selbst für die Positionen an, die ihrem Schutzzweck nach auf ein konkretes Rechtsgut bezogen 668

Kraft/Winkler, CCZ 2009, 29 (32). Kraft/Winkler, CCZ 2009, 29 (32) sehen den Compliance-Beauftragten jedoch als „Überwachungsgaranten“ des von ihm implementierten Compliance-Systems. 670 Kraft/Winkler, CCZ 2009, 29 (32). 671 OLG Frankfurt, MDR 1988, 160 (161): Demnach trifft den Gewässerschutzbeauftragten nicht die Pflicht, sämtliche Gefahren für das Rechtsgut Wasser abzuwehren, vielmehr habe er lediglich für die Erfüllung der ihm gem. § 65 WHG obliegenden Überwachungs-, Aufklärungs- und Initiativpflichten einzustehen. 669

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sind, so liegt dies erst recht für den Compliance-Beauftragten nahe, dessen Verantwortungskreis auf die Sicherstellung rechtskonformen Mitarbeiterverhaltens bezogen ist, das eine Vielzahl von Rechtsgütern betreffen kann. Die Funktion des Compliance-Officers bringt es mit sich, dass sich sein Zuständigkeitsbereich nicht sinnvoll nach den von der Unternehmenstätigkeit betroffenen Rechtsgütern abgrenzen lässt, sondern anhand des konkret übernommenen Aufgabenkreises zu bestimmen ist. Die „Zielrichtung der Beauftragung“ 672 umschreibt nichts anderes als die Verkehrssicherungspflichten, deren Wahrnehmung dem Compliance-Beauftragten anheimgestellt wird. Der Compliance-Officer hat nach gängigem Begriffs- und Postenverständnis dafür zu sorgen, dass aus der Unternehmenstätigkeit keine Rechtsgutsverletzungen resultieren. Seine Verantwortlichkeit erstreckt sich dabei auch auf die Verhinderung bzw. Unterbindung regelwidriger Verhaltensweisen von Mitarbeitern durch die Rechtsgüter des Unternehmens, anderer Mitarbeiter aber auch Unternehmensexterner gefährdet oder verletzt werden können. Die Pflichtenstellung des Compliance-Beauftragten weist damit Elemente sowohl einer Garantenstellung kraft Herrschaft über eine Gefahrenquelle und Innehabung bestimmter Verkehrssicherungspflichten als auch Elemente der Verantwortlichkeit für fremdes Verhalten auf. Sowohl die Verantwortlichkeit für fremdes Verhalten als auch Verkehrssicherungspflichten im Hinblick auf dem eigenen Herrschaftsbereich unterfallende Gefahrenquellen werden der Kategorie der Überwachungsgaranten zugeschlagen.673 Die Garantenstellung kraft Übernahme der Herrschaft über eine Gefahrenquelle kann auch eine abgeleitete sein, wie der BGH bereits in einer frühen Entscheidung festgestellt hat.674 Vor diesem Hintergrund lässt sich der Compliance-Beauftragte als Überwachergarant kraft Übernahme von Verkehrssicherungspflichten im Hinblick auf die zu überwachende Gefahrenquelle der Unternehmenstätigkeit, einschließlich und insbesondere des Mitarbeiterverhaltens, definieren. Indem der BGH an die „gegenüber der Unternehmensleitung übernommene Pflicht, Rechtsverstöße und insbesondere Straftaten zu verhindern“,675 anknüpft, nimmt er ebenfalls Verkehrssicherungspflichten als Ausgangspunkt um die „regelmäßige Garantenstellung“ des Compliance-Beauftragten zu begründen. Mit dieser Formulierung scheint daher auch der BGH eher zur Annahme einer Überwachergarantenstellung zu tendieren.676 672 Auf die es dem BGH zufolge für die Begründung einer Garantenstellung maßgeblich ankommt, vgl. BGH, NJW 2009, 3173 (3174 f.). 673 Roxin, AT/II, § 32, Rn. 108 ff. 674 OLG Celle, NJW 1961, 1939 (1940). 675 BGH, NJW 2009, 3173 (3175). 676 A. A.: Rübenstahl, NZG 2009, 1341 (1342), der die Bezugnahme des BGH auf die freiwillige Übernahme des Schutzes von Rechtsgütern des Unternehmens als Indiz für die Annahme einer Beschützergarantenstellung deutet; der BGH meint aber die

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3. Inhalt und Reichweite der Garantenstellung Anders als bei den Betriebsbeauftragten, deren Pflichtenkreis sich maßgeblich nach den einschlägigen Fachgesetzen bestimmt,677 enthält das Gesetz weder zu Inhalt noch zu Reichweite des Aufgaben- und Pflichtenkreises von ComplianceBeauftragten Angaben. Im Gegenzug sind Compliance-Vorgaben für die Konkretisierung der Pflichtenposition von Betriebsbeauftragten aufgrund der detaillierten gesetzlichen Regelungen kaum von Bedeutung. Dem BGH zufolge kommt es für Inhalt und Umfang der Garantenstellung auf den Pflichtenkreis an, den der Beauftragte übernommen hat. Dieser ist anhand des Zwecks seiner Beauftragung und der besonderen Verhältnisse des Unternehmens zu bestimmen.678 Die Pflicht kann sich darin erschöpfen, unternehmensinterne Prozesse zu optimieren und gegen das Unternehmen gerichtete Pflichtverstöße aufzudecken bzw. zu verhindern, oder die Beanstandung und Unterbindung von Rechtsverstößen mitumfassen.679 Den Compliance-Officer trifft nach Ansicht des BGH regelmäßig letztere Pflichtenstellung. Der Compliance-Beauftragte ist insbesondere auch für eine Unterbindung der aus dem Unternehmen heraus begangenen Straftaten verantwortlich.680 Da es auf die tatsächliche Übernahme des Aufgabenkreises und nicht auf das zugrundeliegende Rechtsverhältnis zwischen den beteiligten Parteien ankommt, stellt es keinen Widerspruch dar, dass die Garantenstellung auch im Verhältnis gegenüber unternehmensexternen Dritten Wirkung entfalten soll.681 Für die Zielrichtung der Beauftragung spielen neben anstellungsvertraglichen Vorgaben auch Compliance-Regelungen selbst eine Rolle. Zwar beinhalten sie nicht die unmittelbare Pflichtendelegation und ersetzen auch nicht das Erfordernis einer tatsächlichen Wahrnehmung der übertragenen Pflicht. Jedoch stellen sie die Umsetzung des vielfach vom Compliance-Officer selbst erarbeiteten, hinsichtlich seiner Effektivität laufend überwachten und gegebenenfalls entsprechend angepassten Compliance-Systems dar, dessen unternehmensspezifiÜbernahme des Pflichtenkreises, worauf auch Warneke, NStZ 2010, 312 (314) klarstellend hinweist; vgl. BGH, NJW 2009, 3173 (3174). 677 Beispielhaft genannt seien hier der Stufenplanbeauftragte nach § 63a AMG oder der Informationsbeauftragte nach § 74a AMG. 678 BGH, NJW 2009, 3173 (3174 f.); in dem zugrundeliegenden Fall ging es zwar um die Garantenstellung des Leiters der Innenrevision einer Anstalt des Öffentlichen Rechts, jedoch stellte der BGH ausdrücklich eine Parallele dieser Position zu derjenigen des Compliance-Officers in Großunternehmen her, vgl. Tz. 27: „Eine solche [die Beanstandung und Unterbindung von Straftaten betreffende], neuerdings in Großunternehmen als „Compliance“ bezeichnete Ausrichtung, wird im Wirtschaftsleben mittlerweile dadurch umgesetzt, dass so genannte „Compliance Officers“ geschaffen werden. (. . .)“ 679 BGH, NJW 2009, 3173 (3174 f.). 680 BGH, NJW 2009, 3173 (3174 f.). 681 A.A.: Rübenstahl, NZG 2009, 1341 (1342), der sich angesichts der individuell im Arbeits- bzw. Dienstvertrag oder in der Stellenschreibung geregelten Pflichten des Compliance-Officers für eine einzelfallbezogene Bestimmung ihrer Reichweite ausspricht.

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sche Ausgestaltung nach Ansicht des BGH wesentlich für Inhalt und Umfang der Garantenpflicht ist. Die sich daraus ergebenden Pflichten hinsichtlich Information, Schulung und Kontrolle der Mitarbeiter, Berichterstattung bzw. Meldung von Verstößen an den Vorgesetzten umschreiben das Aufgabenfeld, das als Zielrichtung der Beauftragung den Verantwortungsbereich des Compliance-Officers absteckt.682 Auch die „besonderen Verhältnisse im Unternehmen“ im Hinblick auf die Beanstandung und Unterbindung von Rechtsverstößen, werden entscheidend durch die jeweilige Compliance-Struktur geprägt. Compliance-Regelungen nehmen damit maßgeblichen Einfluss auf Inhalt und Umfang der den Compliance-Beauftragten treffenden Garantenpflicht. Daneben hängen Inhalt und Umfang der dem Compliance-Beauftragten auferlegten Pflichten von der Zuweisung korrespondierender Befugnisse ab.683 Reichweite der Garantenpflicht und Inhalt der zugewiesenen Kompetenzen stehen in einer Wechselbeziehung. Die übertragenen Befugnisse werden normativ durch arbeits- und datenschutzrechtliche Vorgaben und faktisch durch branchenspezifische Regelungsbedürfnisse begrenzt. Dabei lassen sich bloße Gestaltungs- und Organisationsbefugnisse im Hinblick auf Einrichtung, Dokumentation und Weiterentwicklung von Compliance-Systemen, von weitergehenden Kompetenzen bezüglich der Überwachung ihrer Einhaltung, Berichterstattung und Meldung von Verstößen an den Vorgesetzten unterscheiden. Die Personalkompetenzen des Compliance-Beauftragten sind im Regelfall auf Kontroll- und Beanstandungsrechte begrenzt. Eine Erteilung von Weisungen oder Verwarnungen sowie die Sanktionierung von Verstößen bleiben meist der zuständigen Personalabteilung oder Unternehmensleitung vorbehalten.684 Da die Autoritätsbefugnisse des Compliance-Beauftragten gegenüber identifizierten Delinquenten beschränkt sind, sind auch seiner strafrechtlichen Verantwortlichkeit insofern Grenzen gezogen. Den Erkenntnissen im Rahmen der Untreuehaftung folgend, ergibt sich die Beschränkung seiner strafrechtlichen Verantwortlichkeit als Garant auch hier aus der Frage der Pflichtwidrigkeit eines Unterlassens bzw. der Gebotenheit der Handlung, deren Beantwortung die zugeteilten Befugnisse zu berücksichtigen hat. Eine Einschränkung des Pflichtenkreises ergibt sich ferner daraus, dass die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Compliance-Beauftragten nicht weiter ge682 Vgl. zur Umschreibung des Aufgabenfeldes des Compliance-Beauftragten: Corporate Compliance Policy der Bayer AG, Fn. 84, S. 25. 683 Vgl. dazu auch: Rotsch, demzufolge zwischen der Reichweite der Garantenpflicht als Begrenzung des Pflichtenkreises und Reichweite der Garantenberechtigung zu differenzieren ist, vgl. Achenbach/Ransiek-Rotsch, 1. Teil, 4, Rn. 39; überzeugender erscheint indes, das rechtlich Verbotene als der Garantenpflicht immanenten negativen Bestandteil zu betrachten und sonstige Restriktionen im Rahmen der Zumutbarkeitserwägungen zu berücksichtigen. 684 Hauschka-Bürkle, § 8, Rn. 25; Illing/Umnuß, CCZ 2009, 1 (4).

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hen kann, als diejenige der originär zuständigen Leitungsorgane des Unternehmens. Die inhaltliche Reichweite der genuin der Unternehmensleitung obliegenden Pflichten begrenzt zugleich die Haftung des Compliance-Officers.685 Die Compliance-Abteilung ist in der Regel, gegebenenfalls als Stabsstelle, unmittelbar unterhalb der Unternehmensleitung angesiedelt. Aufgrund dieser Position innerhalb der Organisationsstruktur des Unternehmens ist der Verantwortungsbereich des Compliance-Beauftragten auf die Verhinderung der Straftaten nachgeordneter Unternehmensangehöriger beschränkt. Eine Pflicht zur Verhinderung von Straftaten der Unternehmensleitung besteht nicht.686 Der Gesamtverantwortung für unternehmensweite Entscheidungen,687 zu denken wäre insofern etwa an Produktrückrufaktionen, kann sich die Geschäftsleitung aufgrund der gesetzlichen Vorgaben nicht entledigen. Für alle weniger weit reichenden Verantwortungsbereiche hängt das Einstehenmüssen des Compliance-Officers vom Umfang der ihm übertragenen Aufgaben und Befugnisse ab. Je umfassender diese sind, umso weiter geht seine Pflicht, betriebsbezogene Straftaten zu verhindern. Auch insofern ist von einer Wechselwirkung auszugehen, die in diesem Zusammenhang zwischen den bei der Unternehmensleitung verbleibenden Befugnissen und Pflichten einerseits und den auf den Compliance-Beauftragten übertragenen andererseits besteht. Wie bei anderen betrieblichen Funktionsträgern betrifft die Garantenpflicht auch nur die Verhinderung solche Straftaten, die mit der Tätigkeit des Unternehmens in Zusammenhang stehen.688 Die Begrenzungskriterien der sog. Geschäftsherrenhaftung auf betriebsbezogene Straftaten sind auch für die Garantenstellung des Compliance-Beauftragten maßgeblich. Dies gilt unabhängig davon, ob man sie aus der Delegation von Pflichten der Geschäftsleitung, der Herrschaft über eine Gefahrenquelle oder aus der tatsächlichen freiwilligen Übernahme der entsprechenden Stellung ableitet, da im Hinblick auf letztere ebenfalls der Inhalt der übernommenen Pflichten maßgeblich ist.689 Nicht in den Aufgabenbereich fallen sog. Exzesstaten, die Mitarbeiter im ausschließlichen Eigeninteresse begehen.690 Zudem muss es sich um Taten handeln, die erhebliche Nachteile für das Unternehmen durch Haftungsrisiken oder Ansehensverlust bringen können.691 Zu der685

Zu diesem Ergebnis kommt auch: Rübenstahl, NZG 2009, 1341 (1343 f.). Vgl. auch: Ransiek, AG 2010, 147 (150). 687 Vgl. Hauschka-Schmidt-Husson, § 7, Rn. 15 ff., 19. 688 BGH, NJW 2009, 3173 (3175); weiterführend zur Begrenzung der Haftung betrieblicher Funktionsträger auf betriebsbezogene Straftaten, gegenüber lediglich bei Gelegenheit einer Tätigkeit im Betrieb begangener Straftaten: S/S-Stree/Bosch, § 13, Rn. 53; Roxin, AT/II, § 32, Rn. 134 ff.; BGH, NJW 2012, 1237 (1238). 689 Rübenstahl, NZG 2009, 1341 (1343). 690 Rönnau/Schneider, ZIP 2010, 53 (56). 691 BGH, NJW 2009, 3173 (3175); vgl. zur Abgrenzung gegenüber Bagatelldelikten auch: Rübenstahl, NZG 2009, 1341 (1342). 686

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artigen Nachteilen zählen etwa Geldbußen gem. § 30 OWiG oder staatliche Abschöpfungsmaßnahmen nach §§ 73 ff. StGB. Über die Verhinderung vermögensmindernder Nachteile hinaus, kann sich die Haftung auch auf die Unterbindung von Straftaten erstrecken, die aus dem Unternehmen heraus gegenüber Vertragspartnern begangen werden.692 Überzeugend erscheint dies insofern, als der Aufgabenkreis des Compliance-Beauftragten nicht primär auf die Wahrnehmung der Vermögensinteressen des Unternehmens bezogen ist, sondern auch den Schutz von Rechtsgütern Dritter umfasst, die dem aus der Unternehmenstätigkeit resultierenden Gefahrenpotenzial ausgesetzt sind. Eine allgemeine Begrenzung erfährt die Garantenpflicht i. S. d. § 13 StGB ferner durch das dem Betroffenen Mögliche und Zumutbare.693 Kann der Garant die erforderliche Handlung schon rein tatsächlich nicht vornehmen, ist bereits der objektive Tatbestand nicht erfüllt.694 Auf welcher Ebene die Zumutbarkeit normgemäßen Verhaltens zu berücksichtigen ist, ist umstritten.695 Die wohl überwiegende Ansicht ordnet die Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens als Schuldausschließungsgrund ein.696 Die Anforderungen an ihre Bejahung sind hoch. Unzumutbarkeit ist dann anzunehmen, wenn eigene billigenswerte Interessen in einem dem drohenden Erfolg nicht angemessenen Umfang gefährdet würden, wobei die Rettungschancen in die Betrachtung miteinzubeziehen sind.697 Die Ermittlung des dem Compliance-Officer möglichen Verhaltens orientiert sich wiederum an den übertragenen Befugnissen. Eine Pflicht zum Tätigwerden kann daher nur im Rahmen der übertragenen Aufgaben und Zuständigkeiten angenommen werden. Für die Frage der Zumutbarkeit sind das Gewicht und der Grad der den widerstreitenden Interessen drohenden Gefahr gegeneinander abzuwägen. Nach Ansicht Rübenstahls stellt die arbeits- bzw. dienstvertragliche Pflichtenstellung zugleich die Zumutbarkeitsgrenze dar. Sofern keine strafrechtlichen Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe greifen, soll der ComplianceBeauftragte nicht zur Überschreitung seiner Kompetenzen oder Missachtung von Verfahrensvorgaben verpflichtet sein.698 Die Zumutbarkeitsgrenze deckt sich demzufolge weitestgehend mit derjenigen des (rechtlich) Möglichen.699 692

BGH, NJW 2009, 3173 (3175). LK-Jescheck, vor § 13, Rn. 93; NK-Wohlers, § 13, Rn. 17; Roxin, AT/II, § 31, Rn. 8; BGHSt 4, 20 (22 f.); BGHSt 6, 47 (57 f.). 694 Fischer, StGB, § 13, Rn. 44; LK-Weigend, § 13, Rn. 68; NK-Wohlers, § 13, Rn. 17. 695 Die Rechtsprechung lässt keine klare Linie erkennen: Einordnung i. R. d. Rechtswidrigkeit nach BGHSt 7, 270 f.; i. R. d. Schuld hingegen: BGHSt 6, 46 (57). 696 Jäger, AT, Rn. 333; Lackner/Kühl, § 13, Rn. 5; Wessels/Beulke, AT, Rn. 739, Roxin, AT/II, § 31, Rn. 230 ff. m.w. N.; für eine Berücksichtigung auf Ebene des Tatbestandes: S/S-Stree/Bosch, vor § 13, Rn. 155. 697 BGH, NStZ 1984, 164; S/S-Stree/Bosch, vor § 13, Rn. 156. 698 Rübenstahl, NZG 2009, 1341 (1342 f.). 693

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Im Hinblick auf die mit besonderer Verantwortung verbundene Position, die der Compliance-Beauftragte im Unternehmen innehat, erscheint eine derart restriktive Sichtweise zweifelhaft. Da auch an Personen innerhalb einer bestimmten Garantengruppe unterschiedlich strenge Anforderungen gestellt werden können,700 ist ein gesteigertes Maß an Zumutbarkeit hinsichtlich der vom Compliance-Beauftragten einforderbaren Verhaltensweisen, etwa im Vergleich zu einfachen Angestellten oder Betriebsbeauftragten, durchaus gerechtfertigt. Mag deren Pflichtenkreis durch drohende arbeitsrechtliche Sanktionen beschränkt sein, so muss für den Compliance-Officer nicht derselbe Maßstab gelten. So wie für Ärzte gesteigerte Gefahrtragungspflichten gelten,701 könnte auch der Compliance-Beauftragte im Rahmen seines besonderen Pflichtenkreises hieraus erwachsende Gefahren hinzunehmen haben. Der Compliance-Officer soll für die Einhaltung gesetzlicher Vorgaben im Rahmen der Unternehmenstätigkeit sorgen. Der dazu erforderliche Grad an Unabhängigkeit gegenüber den Betriebsbereichen wird durch seine herausgehobene Stellung innerhalb des Unternehmens gewährleistet. Im Falle eines Verstoßes gegen arbeits- oder dienstvertragliche Vorgaben muss er unter Umständen mit arbeitsrechtlichen Sanktionen rechnen. Die Besonderheit der Konstellation besteht darin, dass er in besonderem Maße im Interesse der Institution zu handeln verpflichtet ist, die zugleich seine Befugnisse festlegt und von der er etwaige Nachteile zu befürchten hat. Zu den besonderen Gefahren, die aus seinem Pflichtenkreis erwachsen, wird man auch diejenige zählen müssen, dass Personen, an die der Compliance-Beauftragte Bericht zu erstatten hat, selbst in Rechtsverstöße involviert sind oder die zum Tätigwerden Verpflichteten aufgrund sachfremder Erwägungen auf die Mitteilung drohender oder andauernder Straftaten hin nicht entsprechend tätig werden. Zumindest dann, wenn mit der Realisierung dieser Gefahr ernsthaft zu rechnen ist und Straftaten von einigem Gewicht im Raum stehen, wird man dem Compliance-Beauftragten auch einen Verstoß gegen bestehende Informationswege oder Zuständigkeitszuweisungen selbst bei drohenden arbeitsrechtlichen Sanktionen zumuten können.702

699 Die Berücksichtigung auch rechtlicher Unmöglichkeit i. R. d. individuellen Handlungsfähigkeit ist umstritten: Dagegen: Roxin, AT/II, § 31, Rn. 14; dafür: Gropp, AT, § 11, Rn. 48 f. 700 BGHSt 6, 46 (58). 701 S/S-Stree/Bosch, vor § 13, Rn. 156. 702 Vgl. auch Bürkle, BB 2007, 1797 (1800); Hauschka-Bürkle, § 8, Rn. 29 f.; Illing/ Umnuß, CCZ 2009, 1 (5); Rodewald/Unger, BB 2007, 1629 (1632); dagegen: Rübenstahl, NZG 2009, 1341 (1343) der nur in Ausnahmefällen eine so weitreichende Garantenpflicht für begründet erachtet.

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4. Resumee Vor diesem Hintergrund lässt sich die strafrechtliche Verantwortung des Compliance-Beauftragten widerspruchsfrei in die Systematik der Unterlassungsstrafbarkeit einordnen. Das Urteil des BGH mit der Bejahung einer regelmäßigen Garantenstellung des Compliance-Beauftragten stellt de facto eine Ausweitung der in § 14 StGB angeordneten Vertreterhaftung dar. Mithilfe allgemeiner dogmatischer Überlegungen zur Garantenhaftung erweitert der BGH die Haftung für betriebsbezogene Straftaten auf die von dieser Norm nicht erfassten Delikte und Personen. Für die Unternehmensleitung folgt daraus eine Begrenzung ihrer Geschäftsherrenhaftung, wenn und soweit sie ihre Pflicht, strafbares Mitarbeiterverhalten zu verhindern, delegiert hat und berechtigtes Vertrauen in eine ordnungsgemäße Erfüllung dieser Pflichten durch den damit betrauten Compliance-Officer setzen durfte.703 Die Garantenposition des Compliance-Beauftragten lässt sich als Überwachergarantenstellung kraft Übernahme von Verkehrssicherungspflichten charakterisieren, die sich auf die Unternehmenstätigkeit, einschließlich und insbesondere des Mitarbeiterverhaltens, als zu überwachende Gefahrenquelle beziehen. Für Inhalt und Reichweite der Pflicht sind der Zweck der Beauftragung und die tatsächlichen Gegebenheiten im Betrieb entscheidend. Dabei kommt Compliance-Vorgaben als wesentlichem Teil der unternehmensinternen Umstände entscheidende Bedeutung zu. Zwischen den zugewiesenen Befugnissen und Kompetenzen und der Reichweite der Pflichtenstellung besteht eine Wechselbeziehung ebenso wie zwischen den von der Unternehmensleitung abgeleiteten Pflichten und den bei dieser verbleibenden Elementen der Geschäftsherrenhaftung. Beschränkt ist die Verantwortlichkeit des Compliance-Beauftragten zudem auf die Verhinderung betriebsbezogener Straftaten nachgeordneter Mitarbeiter. Allgemeine Grenzlinien werden durch das dem Compliance-Officer Mögliche und Zumutbare gezogen, wobei ersteres durch die zugewiesenen Mittel, Befugnisse und Rechte ausgestaltet wird. An die Zumutbarkeit ist ein strenger Maßstab anzulegen, da dem ComplianceBeauftragten im Verhältnis zum Unternehmen eine besondere Vertrauens- und Pflichtenstellung zukommt.

II. Garantenstellung von Leitungspersonen Aus der Herrschaft über Gefahrenquellen können Überwachergarantenpflichten resultieren. Auch ein Unternehmen vermag unter gewissen Umständen eine Gefahrenquelle für strafrechtlich geschützte Rechtsgüter anderer darzustellen. Ein ordnungsgemäß eingerichtetes und geführtes Unternehmen kann jedoch nicht 703

Ausf. dazu unten: 4. Kap. § 3 II 5.

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bereits per se als Gefahrenquelle angesehen werden.704 Damit stellt sich die Frage, unter welchen Prämissen von einem ordnungsgemäß eingerichteten und geführten Unternehmen ausgegangen werden kann. Setzt dies die Einrichtung eines geeigneten und wirkungsvollen Compliance-Systems sowie Maßnahmen zu seiner Durchsetzung voraus? Pointiert formuliert: Stellt jedes Unternehmen ohne Corporate Governance-Struktur eine Gefahrenquelle dar? Dies gilt es ebenso zu klären, wie die Möglichkeit einer Aufteilung und Zuweisung der Verantwortungsbereiche innerhalb des Unternehmens mithilfe von Compliance-Regelungen. Die strafrechtliche Verantwortlichkeit hängt unter anderem von der horizontalen und vertikalen Verteilung der Zuständigkeitsbereiche ab. Fehlt eine innerbetriebliche Zuständigkeitszuweisung nehmen die Strafverfolgungsbehörden in der Regel eine Verantwortungszuweisung kraft Natur der Sache vor. Geschäftsverteilungspläne oder Organisationsleitlinien spielen hierbei, sofern vorhanden, eine tragende Rolle. Aus diesem Grund verzichteten viele Unternehmen in der Vergangenheit auf die Erstellung klarer Zuständigkeitszuweisungen. Der scheinbare Vorteil der Anonymisierung und Neutralisierung sollte den Einzelnen vor strafrechtlicher Belangung schützen.705 Tatsächlich schadet dieses Vorgehen den Mitarbeiterinteressen aber eher als dass es ihnen nützt, denn die staatsanwaltlichen Ermittlungstätigkeiten müssen so auf einen größeren Kreis von Mitarbeitern ausgedehnt werden. Dauer und Kosten des Verfahrens sowie mediale Aufmerksamkeit steigen. Da dies nicht im Interesse des Unternehmens liegt, zeigen sich in der gegenwärtigen Compliance-Praxis gegenläufige Tendenzen. Viele Regelwerke weisen explizit Zuständigkeiten aus und den einzelnen Mitarbeitern Verantwortung zu. In den Siemens Business Conduct Guidelines heißt es zu diesem Themenkomplex: „Die Führungskraft ist dafür verantwortlich, dass in ihrem jeweiligen Verantwortungsbereich keine Gesetzesverstöße geschehen, die durch angemessene Aufsicht hätten verhindert werden können. Auch bei Delegation einzelner Aufgaben behält sie die Verantwortung. (. . .) Jede Führungskraft hat Organisations- und Aufsichtspflichten zu erfüllen. Jede Führungskraft trägt die Verantwortung für die ihr anvertrauten Mitarbeiter. (. . .) Die Verantwortung der Führungskraft entbindet jedoch die Mitarbeiter nicht von ihrer eigenen Verantwortung.“ 706 Zusätzlich findet sich eine detaillierte Aufstellung von Auswahl-, Anweisungs-, Kontroll- und Kommunikationspflichten einer Führungskraft. Zu untersuchen ist, welche Auswirkungen Compliance-Regelungen auf den Pflichtenkreis der Unternehmensleitung im Hinblick auf strafrechtliche Garantenpflichten haben.707 Dabei interessiert insbesondere die Frage, ob die Einrichtung 704 Langkeit, in: FS Otto, 2007, S. 649 ff., (653); a. A. u. a. Schall, FS Rudolphi, 2004, S. 267 ff. (278). 705 Vgl. zu dieser Strategie auch Geiger, PharmR 2011, 262 (263 ff.). 706 Business Conduct Guidelines der Siemens AG (Fn. 84), S. 7.

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eines Compliance-Committees oder Einsetzung eines Compliance-Beauftragten zu einer Begrenzung der strafrechtlichen Verantwortung der Leitungsgremien führen kann und welche Bedeutung Compliance-Regelungen im Hinblick auf den Anwendungsbereich des Vertrauensgrundsatzes zukommt. 1. Geschäftsherrenhaftung Nach Ansicht der Rechtsprechung kann sich aus der Stellung als Betriebsinhaber oder Vorgesetzter eine Garantenpflicht zur Verhinderung von Straftaten nachgeordneter Mitarbeiter ergeben.708 In der Literatur werden Voraussetzungen und Inhalt der sog. Geschäftsherrenhaftung kontrovers beurteilt.709 Einige bejahen die Möglichkeit einer Garantenstellung von Leitungspersonen unter der Voraussetzung, dass eine über die allgemein geltende Handlungspflicht hinausgehende besondere Pflichtenstellung vorliegt.710 Diese kann sich aus der Organisationsmacht des Geschäftsherren und seiner Herrschaft über die Gefahrenquelle ergeben.711 Schünemann und Rogall stellen neben der Organisationsherrschaft auf die Befehlsgewalt der Leitungsorgane ab.712 Roxin schließt sich dem Ansatz Schlüchters an, die insofern von einer „verlängerten Sachgarantenstellung“ 713 spricht und bejaht diese für den „Gefahrenherd Betrieb“.714 Unter Hinweis auf den Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit steht ein beachtlicher Teil der Literatur dem kritisch gegenüber.715 Da für den Geschäftsherren eine dem § 357 StGB bzw. § 41 WStG entsprechende Regelung im Gesetz fehle, ergebe sich im Wege eines argumentum e contrario, dass eine Garantenstellung von Leitungspersonen in Unternehmen zur Verhinderung von Straftaten Untergebener nicht bestehe.716 Die Befürworter einer derartigen Garantenstellung sehen die Vorschrift des § 357 StGB hingegen als Verkörperung des allgemeinen Rechtsgedankens einer Garantenhaftung zur Verhinderung betriebsbezogener Straftaten an.717 Gegen die Ableitung eines allgemeinen Rechtsgedankens aus 707 Auf die Bedeutung von Compliance-Richtlinien für Aufsichtspflichten hinweisend bereits Sieber, in: FS Tiedemann, 2008, S. 449 ff. (462). 708 Vgl. aus der jüngsten Rechtsprechung: BGH, CCZ 2012, 157. 709 Vgl. zum Streitstand: Roxin, AT/II, § 32, Rn. 134; kritisch zu Begrifflichkeit und Anknüpfungspunkt der sog. „Geschäftsherrenhaftung“: S/S-Stree/Bosch, § 13, Rn. 53. 710 Göhler, in: FS Dreher, 1977, S. 611 ff. (613 ff.); Rogall, ZStW 98 (1986), 613 ff.; Roxin, AT/II, § 32, Rn. 137; Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 13, Rn. 46 ff. 711 Fischer, StGB, § 13, Rn. 38, m.w. N.; LK-Weigend, § 13, Rn. 56. 712 Rogall, ZStW 98 (1986), 573 (617); Schünemann, ZStW 96 (1984), 287 (318). 713 Schlüchter, in: FS Salger, 1995, S. 139 ff. (158). 714 Roxin, AT/II, § 32, Rn. 137. 715 Jäger, AT, Rn. 373; LK-Jescheck (11. Aufl.), § 13, Rn. 45; Otto, Jura 1998, 409 (413); Schall, NJW 1990, 1263 (1269); SK-Rudolphi/Stein, § 13, Rn. 35a. 716 SK-Rudolphi/Stein, § 13, Rn. 35a. 717 Roxin, AT/II, § 32, Rn. 140.

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diesen Vorschriften wird wiederum deren begrenzter Regelungsbereich angeführt. Einer Verallgemeinerung stehe entgegen, dass es sich um die Sanktionierung von Straftaten im Amt handelt und damit sowohl in personeller als auch in sachlicher Hinsicht der Wirkungskreis der Normen beschränkt werden sollte.718 Aus der Existenz des § 130 OWiG ergebe sich ferner, dass die Verletzung von Aufsichtspflichten in Unternehmen grundsätzlich nur als Ordnungswidrigkeit sanktioniert werden soll.719 Dagegen wird eingewandt, die Vorschrift des § 130 OWiG stehe der strafrechtlichen Haftung des Geschäftsherren nicht entgegen, sondern stütze vielmehr diesen Gedanken, da sie haftungserweiternd eine Garantenhaftung selbst unter weniger strengen Voraussetzungen als den im Strafrecht geltenden, vorsieht.720 Wird die allgemeine Geschäftsherrenhaftung auf die Autoritätsstellung des Betriebsinhabers gegenüber nachgeordneten Mitarbeitern gestützt, so wenden einige dagegen ein, die Organisationsmacht und das Weisungsrecht der Unternehmensleitung seien mit der Herrschaftsmacht über Personen, wie sie zwischen Erziehungsberechtigten und Kindern oder innerhalb militärischer Strukturen besteht, nicht gleichzusetzen. Allein durch das Arbeitsverhältnis werde keine entsprechende Herrschaftsmacht begründet.721 Auch der BGH lässt für das Vorliegen einer strafrechtlichen Garantenstellung nicht genügen, dass die Herrschaft über bestimmte Sachen ausgeübt wird, sondern fordert zusätzliche gefahrbegründende Aspekte, die die Annahme strafrechtlicher Verantwortung zu legitimieren vermögen.722 Da weder ein rechtmäßig eingerichtetes und geführtes Unternehmen für sich genommen noch die nachgeordneten Mitarbeiter per se eine Gefahrenquelle darstellen, sei einem Teil der Literatur zufolge eine generelle Geschäftsherrenverantwortlichkeit in strafrechtlicher Hinsicht abzulehnen.723 Ausnahmen sollen aber gelten bei unternehmensspezifischen Gefahren bestimmter Betriebe oder Betriebsteile, in Bezug auf Mitarbeiter, die sich in der Vergangenheit in vergleichbaren Situationen bereits nicht ordnungsgemäß verhalten haben und sofern die besonderen Grundsätze der strafrechtlichen Produkthaftung eingreifen.724 Der Betriebsinhaber hafte demnach nur für die von bestimmten Sachen, Personen oder Vorgängen ausgehenden Gefahren im Betrieb, nicht aber allein aufgrund seiner Funktion und Stellung.725 718 Langkeit, in: FS Otto, 2007, S. 649 ff. (651); LK-Jescheck, § 13, Rn. 45; SK-Rudolphi/Stein, § 13, Rn. 35a. 719 Langkeit, in: FS Otto, 2007, S. 649 ff. (651); LK-Jescheck, § 13, Rn. 45; SK-Rudolphi/Stein, § 13, Rn. 35a. 720 Rogall, ZStW 98 (1986), 573 (615); Roxin, AT/II, § 32, Rn. 140. 721 Langkeit, in: FS Otto, 2007, S. 649 ff. (652). 722 BGHSt 30, 391 (395 f.). 723 Langkeit, in: FS Otto, 2007, S. 649 ff. (652 f.). 724 Langkeit, in: FS Otto, 2007, S. 649 ff. (653 f.). 725 Mit diesem Ergebnis: Langkeit, in: FS Otto, 2007, S. 649 ff. (654).

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So kontrovers die Legitimation einer Geschäftsherrenhaftung beurteilt wird und so unvereinbar sich die ausgetauschten Argumente auch gegenüberzustehen scheinen, unterscheiden sich die Standpunkte in ihrem Ergebnis doch verhältnismäßig wenig.726 Die Befürworter schränken die Haftung dahingehend ein, dass es sich um betriebsbezogene Straftaten nachgeordneter Mitarbeiter handeln muss, während die Gegner sich vor allem an der Pauschalität ihrer Herleitung aus Befehlsgewalt bzw. Organisationsherrschaft stoßen, die Möglichkeit einer Garantenstellung aber nicht generell ablehnen. Die Unternehmenstätigkeit eröffnet gewisse Gefahrenpotenziale für deren Überwachung in erster Linie diejenigen die Verantwortung trifft, die mit ihrer Steuerung betraut sind und entsprechende Einflussmöglichkeiten haben. Wird im Rahmen der strafrechtlichen Produkthaftung eine Verantwortlichkeit der Leitungsorgane anerkannt, so erscheint es wenig konsequent, diese zwar für das Resultat der Mitarbeiterbetätigung zu bejahen, für das Mitarbeiterverhalten selbst aber zu verneinen.727 Der Einwand der Eigenverantwortlichkeit des Verhaltens steht, wie bereits gezeigt wurde, weder der Begründung einer Garantenstellung noch dem Zurechnungszusammenhang entgegen.728 Eine strafrechtliche Verantwortlichkeit der Leitungspersonen eines Unternehmens auch für die Verhinderung betriebsbezogener Straftaten nachgeordneter Mitarbeiter ist daher zu bejahen. Neben gesetzlichen Vorgaben, gesellschafts- und anstellungsvertraglichen Vereinbarungen, die Personal- und Ressortzuständigkeiten allgemein regeln, stellen Compliance-Vorschriften für die Verantwortung bei Rechtsverstößen und der gebotenen Reaktion hierauf eine weitere Referenzquelle dar. Compliance-Regelungen identifizieren Gefahrenpotenziale im Unternehmen und weisen die Verantwortung, ihre Realisierung zu verhindern, sowohl Führungskräften als auch anderen Mitarbeitern zu.729 Die Existenz von Compliance-Vorschriften, ihre inzwischen nahezu flächendeckende Verbreitung zumindest in größeren Unternehmen und ihr umfangreicher Inhalt zeigen, dass für die aus der unternehmerischen Tätigkeit resultierenden Gefahren durchaus Regelungsbedarf besteht und dies von den Akteuren selbst auch erkannt und in die Hand genommen wird. Die Or726

So auch: Roxin, AT/II, § 32, Rn. 141. Mit ähnlicher Argumentation in Bezug auf die Garantenstellung des ComplianceBeauftragten: Ransiek, AG 2010, 147 (150 f.). 728 Grundsätzliche Kritik am Prinzip der Eigenverantwortlichkeit als allgemeinem Rechtsgrundsatz äußert Rotsch und weist darauf hin, dass das Gesetz selbst in § 25 Abs. 2 StGB davon ausgeht, dass eigenverantwortliches Handeln die gleichzeitig bestehende Verantwortlichkeit eines Dritten nicht ausschließen muss: Achenbach/RansiekRotsch, 1. Teil, 4, Rn. 32. 729 Vgl. hierzu die Business Conduct Guidelines der Siemens AG, Fn. 84, S. 7: „Eine Führungskraft muss ihren Mitarbeitern (. . .) klar machen, dass die Einhaltung von Gesetzen und Siemens Richtlinien unter allen Umständen und zu jedem Zeitpunkt oberste Priorität hat. (. . .) Die Verantwortung der Führungskraft entbindet jedoch die Mitarbeiter nicht von ihrer eigenen Verantwortung.“ 727

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ganisation und Systematisierung von Maßnahmen und Strategien dienen dazu, einer Realisierung dieses Gefahrenpotenzials entgegenzuwirken. Dies bestärkt die These, dass ein Unternehmen ohne Compliance-Organisation eine größere Gefahrenquelle für Rechtsgüter Dritter, der Allgemeinheit oder auch der Unternehmensangehörigen selbst darstellen kann als ein Unternehmen mit effektiv durchgesetztem Compliance-Programm. Schließlich werden Compliance-Regelungen von denjenigen oder zumindest mit Unterstützung derjenigen erarbeitet, die mit den internen Verhältnissen am besten vertraut sind und Risikopotenziale am ehesten angemessen einschätzen können. Dass Compliance-Regelungen i. S. einer „best-practice“-Strategie noch eine Sicherheitsreserve für Zweifels- und Grenzfälle bereithalten, sorgt in der Tendenz für überobligatorisches Verhalten und damit für eine weitere Risikominimierung.730 Es spricht daher einiges dafür, Unternehmen zumindest dann als ordnungsgemäß organisiert und geführt anzusehen, wenn sie über eine effektive Compliance-Organisation verfügen. Wie bereits im Rahmen der Untreuehaftung aufgrund fehlender Compliance festgestellt wurde, besteht allerdings keine allgemeine branchenübergreifende gesellschaftsrechtliche Pflicht zur Implementierung eines Compliance-Konzepts. Aufgrund der Strukturgleichheit der Vermögensbetreuungspflicht i. S. d. Treubruchstatbestands und der Garantenstellung bei den unechten Unterlassungsdelikten ist die Einrichtung einer Compliance-Organisation nur bei Hinzutreten bestimmter zusätzlicher Umstände als verpflichtend anzusehen. So etwa dann, wenn es in der Vergangenheit bereits zu Rechtsverstößen gekommen ist oder belastbare Anhaltspunkte für strafbares Mitarbeiterverhalten vorliegen.731 Unter dem Leitgedanken der Geschäftsherrenhaftung begründet das Fehlen oder die unzureichende Umsetzung von Compliance-Maßnahmen für sich genommen daher im Regelfall noch keine strafrechtliche Garantenhaftung. Umgekehrt ist das Vorhandensein einer effektiv umgesetzten Compliance-Organisation als Indiz für eine ordnungsgemäße Erfüllung der Überwachungspflichten im Hinblick auf das Unternehmen als Gefahrenquelle anzusehen. 2. Vernachlässigung von Compliance als gefahrbegründendes Vorverhalten In Betracht zu ziehen ist aber, die Vernachlässigung von Compliance-Vorkehrungen als gefahrbegründendes Vorverhalten einzuordnen. Die Führung eines Betriebs ohne Einrichtung einer Compliance-Organisation könnte als pflichtwidriges Gefährdungsverhalten anzusehen sein und im Falle einer dadurch bedingten Verletzung strafrechtlich geschützter Rechtsgüter eine Garantenstellung begrün730 Vgl. dazu auch: Kuhlen, in: Maschmann (Hrsg.): Corporate Compliance und Arbeitsrecht, 2009, S. 11 ff. (23 ff.); Achenbach/Ransiek-Rotsch, 1. Teil, 4, Rn. 47. 731 Vgl. auch: Langkeit, in: FS Otto, 2007, S. 649 ff. (653).

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den. Eine strafrechtliche Garantenstellung kann sich auch aus der tatsächlichen Herbeiführung einer Gefahrenlage ergeben (sog. Ingerenz).732 Die Gefahrenlage kann auch durch Unterlassen verursacht werden,733 schuldhaftes Handeln ist nicht erforderlich.734 Die bloße Ursächlichkeit genügt nicht, erforderlich ist zumindest ethisch vorwerfbares Vorverhalten.735 Dieses muss zudem gefahrerhöhend sein, indem es die naheliegende Gefahr eines Erfolgseintritts begründet.736 Entscheidend kommt es daher auf die Frage an, ob eine Vernachlässigung der Compliance eine naheliegende Gefahr für Rechtsverletzungen schafft. Insofern könnte ein Vergleich mit anderen Gefährdungslagen für strafrechtlich geschützte Rechtsgüter Dritter einen Anhaltspunkt bieten. Die Mitglieder des Leitungsorgans und des Aufsichtsrats eines Unternehmens, für das ein unrichtiger Jahresabschluss oder Lagebericht abgegeben wurde, trifft nach § 331 Nr. 1 HGB eine Berichtigungspflicht gegenüber den jeweiligen Adressaten. Diese folgt aus der Verantwortung der Organe gegenüber dem Unternehmen, das ohne die entsprechende Berichtigung der Unternehmensverhältnisse eine Gefahrenquelle für den Rechtsverkehr darstellt.737 Der Verzicht auf eine Implementierung von Compliance-Vorschriften könnte eine vergleichbare fortdauernde Gefährdungslage für den Rechtsverkehr darstellen. Anders als bei den Bilanzierungsvorschriften existiert aber für die Einrichtung von Compliance-Vorschriften keine gesetzliche Vorgabe, von einzelnen branchenspezifischen Vorschriften, wie z. B. § 25a Abs. 1 KWG, abgesehen. Die Frage, ob der Betrieb eines Unternehmens unter gesellschaftsrechtlichen Aspekten die Einrichtung einer Compliance-Organisation erfordert, ist umstritten und wurde bereits ausführlich diskutiert.738 Wird eine derartige Pflicht verneint, so ist auch die Leitung eines Betriebs ohne ComplianceOrganisation zumindest gesellschaftsrechtlich grundsätzlich nicht zu beanstanden. Zwar ließ der BGH zunächst auch rechtmäßiges Verhalten zur Begründung einer Garantenstellung aus Ingerenz genügen, ging aber in der Folgezeit dazu über Pflichtwidrigkeit des Vorverhaltens zu fordern.739 Hinzu kommt, dass bei einem bloß mittelbaren Beitrag zur Gefahrschaffung durch gefährdendes Vorver732 733 734 735

Fischer, StGB, § 13, Rn. 27. RGSt 68, 104. BGHSt 11, 353 (355). BGH, NJW 1954, 1047 (1048); Fischer, StGB, § 13, Rn. 27; Rudolphi, JR 1987,

162. 736

St Rspr. BGH, NStZ 1998, 83 (84); NJW 1999, 69 (71); NStZ 2000, 583. Achenbach/Ransiek-Ransiek, 8. Teil, 1, Rn. 66. 738 Vgl. statt aller: Gegen eine Compliance-Organisationspflicht: Hauschka-Hauschka, § 1, Rn. 23; Hauschka-Sieg/Zeidler, § 3, Rn. 24; dafür: Schneider/Schneider, AG 2005, 57 (59). Nach hier vertretener Auffassung hängt das Bestehen einer derartigen Pflicht vom Vorliegen besonderer Anhaltspunkte für eine Gefährdung ab. 739 So anfangs noch: BGHSt 11, 353 (355 f.), gegenüber: BGH, NStZ 1998, 83 (84); 2000, 414; weiterf. zu dieser Entwicklung: Rudolphi, JR 1987, 162 (162 f.). 737

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4. Kap.: Strafbarkeitsbegründende Wirkung

halten der Zurechnungszusammenhang unterbrochen sein kann, wenn ein anderer verantwortlich Handelnder diese Gefahr unmittelbar herbeiführt.740 Selbst wenn man von einer Pflichtwidrigkeit des Vorverhaltens ausgeht, kann die Begründung einer Garantenstellung aus Ingerenz demzufolge noch am erforderlichen Zurechnungszusammenhang scheitern. Eine auf gefährdendes Vorverhalten gestützte Unterlassensstrafbarkeit aufgrund Nichteinrichtung einer Compliance-Organisation wird daher nur in Ausnahmefällen in Betracht kommen. Sehen die Leitungsorgane eines Unternehmens von der Einrichtung einer Compliance-Organisation ab, so wird ihnen eine Garantenpflicht aus Ingerenz allenfalls dann anzulasten sein, wenn es in der Vergangenheit bereits zu Rechtsverstößen gekommen ist.741 Unter diesen Umständen kann die Weiterführung des Betriebs ohne ComplianceVorkehrungen zu treffen eine Garantenstellung ebenso begründen, wie im Falle stichhaltiger Verdachtsmomente für geplante Rechtsverstöße. Fehlt es an derartigen Anhaltspunkten, so kann die Gefahr, dass aus dem Unternehmen heraus Straftaten begangen werden, regelmäßig nicht als naheliegend eingestuft werden. 3. Beeinflussung der Betriebsbezogenheit einer Gefahr durch Vernachlässigung von Compliance In ihrer sachlichen Reichweite ist die Garantenstellung betrieblicher Leitungspersonen auf die Verhinderung betriebsbezogener Straftaten von Mitarbeitern beschränkt.742 Eine Garantenpflicht zur Verhinderung sämtlicher von Unternehmensmitarbeitern begangenen Straftaten, wird sowohl von der Rechtsprechung als auch von den Befürwortern der Geschäftsherrenhaftung in der Literatur abgelehnt.743 Taten, die ein Mitarbeiter „lediglich bei Gelegenheit seiner Tätigkeit im Betrieb“ 744 begeht, sind von der Garantenpflicht von vornherein nicht erfasst. So begrenzt Roxin die Garantenhaftung in Anlehnung an den Wortlaut des § 130 OWiG auf Pflichten, die den Inhaber als solchen treffen und bestimmt deren Umfang nach den Gegebenheiten des anvertrauten Kontrollbereichs.745 Gimbernat Ordeig möchte die Haftung der Leitungsperson auf die Verhinderung solcher Straftaten Untergebener begrenzt wissen, die auf betriebsbezogene Gefahrenherde eingewirkt haben, aus denen sich später die Rechtsgutsverletzungen ergeben.746 740

OLG Karlsruhe, MDR 1993, 266 (267); S/S-Stree/Bosch, § 13, Rn. 39. In diesen Fällen wird sich die Garantenstellung jedoch meist auch unter dem Aspekt der Geschäftsherrenhaftung begründen lassen, ohne dass es eines Rückgriffs auf die Fallgruppe der Ingerenz bedarf. 742 BGH, NJW 2012, 1237 (1238); Jäger, AT, Rn. 373. 743 St Rspr., vgl. zuletzt BGH, NJW 2012, 1237 (1238); BGHSt 54, 44; 37, 106; Fischer, StGB, § 13, Rn. 38 m.w. N.; Roxin, AT/II, § 32, Rn. 141 m.w. N. 744 BGH, NJW 2012, 1237 (1238). 745 Roxin, AT/II, § 32, Rn. 141 f. 746 Gimbernat Ordeig, in: FS Roxin, 2001, S. 651 ff. (661). 741

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Auch der BGH macht in einem neueren Urteil zur strafrechtlichen Geschäftsherrenhaftung die dem konkreten Betrieb innewohnende Gefahr zum Anknüpfungspunkt. Unter dem maßgeblichen Kriterium der „Betriebsbezogenheit“ einer Tat versteht er einen „inneren Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit des Begehungstäters oder mit der Art des Betriebs“ 747. Es muss sich um die Verwirklichung der dem Betrieb oder dem Tätigkeitsfeld seiner Mitarbeiter spezifisch anhaftenden Gefahren handeln, um die besondere Pflichtenstellung des Betriebsinhabers begründen zu können.748 Eine Begrenzung auf die „spezifischen Gefahren des konkreten Betriebs“ überzeugt nicht.749 Nach diesem Interpretationsansatz wären die Art des Unternehmens bzw. die spezifische Branche, in der es tätig wird, maßgeblich. So würde etwa im Falle eines Betriebs der chemischen Industrie eine Gewässeroder Bodenverunreinigung nach §§ 324, 324a StGB die Verwirklichung der dem konkreten Betrieb innewohnenden Gefahr darstellen. Demgegenüber würde es bei typischen Wirtschaftsstraftaten, zu denken ist dabei etwa an Korruptionsdelikte oder Untreue, mangels Betriebsspezifität der verwirklichten Gefahr am Kriterium der Betriebsbezogenheit fehlen.750 Die Tatbestände des Wirtschaftsstrafrechts sollen aber die Verhaltensweisen erfassen, die im Bereich unternehmerischer Tätigkeit nach Ansicht des Gesetzgebers typischerweise zu sanktionswürdigen Rechtsgutsverletzungen führen. Eine Garantenhaftung der Leitungs- und Aufsichtspersonen gerade für diese Taten auszuschließen, ist auch aus kriminalpolitischer Sicht wenig erstrebenswert. Demnach ist die Formulierung des BGH so zu verstehen, dass es auf die „konkreten Umstände innerhalb des jeweiligen Betriebs“ ankommen soll. Der Umfang der Garantenstellung hat sich an der Gefahrenquelle Unternehmen allgemein zu orientieren und auch die Beschäftigten als Risikopotenzial mit einzubeziehen.751 Das erscheint insbesondere vor dem Hintergrund der umfangreichen Compliance-Bemühungen in Unternehmen überzeugend. Käme es unabhängig von der Güte der Organisation und Aufsicht in einem Unternehmen stets nur auf die Art der Betriebstätigkeit an, liefen diese Bemühungen im Hinblick auf eine Haftungsentlastung der Unternehmensleitung regelmäßig leer. Selbst eine effektive Compliance-Organisation zur Verhinderung von Korruption oder sonstiger Delikte zu Lasten des Unternehmens wäre nicht berücksichtigungsfähig. Insofern

747

BGH, NJW 2012, 1237 (1238). BGH, NJW 2012, 1237 (1238). 749 Vgl. auch: Grützner, BB 2012, 150 (152). 750 Zu diesem Ergebnis führt auch der Ansatz Gimbernat Ordeigs, in: FS Roxin, 2001, S. 651 ff. (661), da er den Mitarbeiter selbst nicht als Gefahrenquelle ansieht, auf die sich die Garantenpflicht des Leitungsorgans erstrecken würde. 751 Für eine Einbeziehung von Mitarbeitern in die zu überwachende Gefahrenquelle auch: Roxin, AT/II, § 32, Rn. 139. 748

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4. Kap.: Strafbarkeitsbegründende Wirkung

würde sich stets nur das allgemeine Gefahrenpotenzial realisieren, das jeder unternehmerischen Tätigkeit anhaftet.752 Compliance-Regelungen können somit im Rahmen der Betriebsbezogenheit als Stellschraube zur Steuerung des Umfangs der Geschäftsherrenhaftung wirksam werden. Auch wenn das Bestehen einer (gesellschafts-)rechtlichen Pflicht zur Implementierung von Compliance-Regelungen nach wie vor umstritten ist, kann deren Erfüllung strafbarkeitsausschließend, ein Versäumnis hingegen strafbarkeitsbegründend wirken. Fehlt es an der Betriebsbezogenheit der Straftat des Untergebenen, so scheidet eine Unterlassungsstrafbarkeit der Leitungspersonen mangels Garantenstellung aus. Maßgeblich für die Bejahung der Betriebsbezogenheit ist das anhand der konkreten Umstände im jeweiligen Betrieb zu bestimmende Gefahrenpotenzial. Ansatzpunkt für die Eindämmung des Strafbarkeitsrisikos der Unternehmensleitung sind demnach die der Gefahr vorgelagerten konkreten Umstände. Diese sind durch Einführung und Ausgestaltung einer Compliance-Organisation gestaltbar. Je umfassender Compliance-Regelungen Strafbarkeitsrisiken unter die Lupe nehmen und je wirkungsvoller die Bemühungen im Hinblick auf ihre Minimierung ausfallen, umso geringer ist die Gefahr ihrer Realisierung. Bei einem Unternehmen, das zur Verhinderung strafbaren Verhaltens seiner Mitarbeiter größtmögliche Anstrengungen unternimmt, verwirklicht sich im Falle eines dennoch erfolgten Rechtsverstoßes gerade keine „dem konkreten Betrieb innewohnende Gefahr“ 753. Hingegen würde der Rechtsverstoß eines Untergebenen in einem Betrieb, der derartige Compliance-Vorkehrungen unterlässt, durchaus die Realisierung des betriebsspezifischen Gefahrenpotenzials darstellen. Dies gilt erst recht in einem Unternehmen, in dem es in der Vergangenheit (wiederholt) zu strafrechtlich relevanten Verhaltensweisen gekommen ist oder in dem stichhaltige Anzeichen für Rechtsverstöße vorliegen.754 Durch die Implementierung und Umsetzung einer Compliance-Organisation in Unternehmen kann somit aus einer konkreten, betriebsbezogenen Gefahr, eine allgemeine Gefahr gemacht werden, für die Personen der Unternehmensleitung nicht einzustehen haben, weil es an den Voraussetzungen einer Garantenpflicht diesbezüglich fehlt. Umgekehrt kann die fehlende Implementierung von Compliance-Programmen zu einer strafrechtlichen Haftung führen. Neben den oben genannten Voraussetzungen unter denen eine Garantenstellung in Betracht kommt, muss allerdings auch der Kausalitäts- und Zurechnungszusammenhang zu bejahen sein. Nachzuweisen ist dabei, dass es bei Einrichtung 752

Vgl.: Grützner, BB 2012, 150 (152). BGH, NJW 2012, 1237. 754 In diesen Fällen bejahen auch Schaefer/Baumann eine Pflicht zur Implementierung von Compliance-Programmen allerdings unter dem Aspekt einer Garantenstellung aus Ingerenz: Schaefer/Baumann, NJW 2011, 3601 (3603 f.). 753

§ 3 Garantenstellung bei unechten Unterlassungsdelikten

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einer Compliance-Organisation mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht zu dem vorwerfbaren Verhalten gekommen wäre.755 Auch wenn dieser Nachweis im Einzelfall Schwierigkeiten bereiten wird, erscheint zumindest das Risiko einer strafbaren Beihilfe durch Unterlassen nicht allzu fernliegend. 4. Garantenstellung aus tatsächlicher freiwilliger Übernahme von Schutzpflichten Eine Rechtspflicht zur Abwendung von Gefahren kann sich auch aus der tatsächlichen freiwilligen Übernahme von Schutzpflichten ergeben. Dies kann auf vertraglicher Grundlage erfolgen. Jedoch ist eine solche weder erforderlich noch ausreichend.756 Maßgeblich für die Begründung einer derartigen Garantenstellung ist die tatsächliche Übernahme von Verantwortung aufgrund derer schutzbereite Dritte es unterlassen, selbst Schutzmaßnahmen zu ergreifen.757 Eine so begründete Verpflichtung kann u. a. auf einem besonderen Vertrauensverhältnis beruhen. Die Implementierung eines Compliance-Systems könnte dazu führen, dass sich sowohl Unternehmensmitarbeiter als auch unternehmensexterne Dritte im Vertrauen auf die Wirksamkeit der Compliance-Vorkehrungen erhöhten Gefahren aussetzen oder eigene Schutzvorkehrungen unterlassen. Eine strafrechtliche Verantwortlichkeit der Unternehmensleitung wird indes nur dann anzunehmen sein, wenn dieses Vertrauen berechtigt ist. Die entscheidende Frage ist daher, ob allein aufgrund der Existenz von Compliance-Regelungen erhöhte Risiken in Kauf genommen werden und Sicherheitsvorkehrungen unterlassen werden dürfen oder anders gewendet, wie weit das Prinzip der Selbstverantwortung reicht. Dabei kommt der Unterscheidung, ob es sich bei den potenziell bedrohten Rechtsgütern um solche des Unternehmens bzw. Unternehmensangehöriger oder außenstehender Dritter handelt, entscheidende Bedeutung zu. Während im Unternehmen selbst ein derartiger Verantwortungstransfer im Wege von Aufgabenzuweisung und Pflichtendelegation möglich erscheint, ist fraglich, ob im Geschäftsverkehr gegenüber Dritten nicht jeder selbst für den Schutz seiner Rechtsgüter verantwortlich bleibt.758 Betrachtet man zunächst den unternehmensinternen Bereich, so deuten Regelungen wie die der Siemens Business Conduct Guidelines, in denen es heißt: „Die Verantwortung der Führungskraft entbindet jedoch die Mitarbeiter nicht von ihrer eigenen Verantwortung“ 759, darauf hin, dass das Prinzip der Eigenverant755

Vgl. hierzu auch: Schaefer/Baumann, NJW 2011, 3601 (3604). St. Rspr. vgl. BGH, NStZ 2010, 502. 757 Jäger, AT, Rn. 342; Jasch, NStZ 2005, 8 (12). 758 Vgl. insofern auch: Warneke, NStZ 2010, 312 (314) der mit diesem Argument eine Garantenstellung des Compliance-Beauftragten ablehnt. 759 Siemens Business Conduct Guidelines, Fn. 84, S. 7. 756

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wortlichkeit durch Compliance-Regelungen nichts an Bedeutung einbüßt. Bezüglich der Arbeitssicherheit statuiert die Corporate Compliance Policy, dass „Jeder Mitarbeiter (. . .) für die Sicherheit in seinem Bereich mitverantwortlich“ 760 ist. Demnach ist „Jeder Mitarbeiter (. . .) aufgefordert, alle Sicherheitsvorschriften im eigenen Arbeitsbereich konsequent mit aller notwendigen Sorgfalt anzuwenden“ und zwar „im eigenen Interesse, im Interesse der Kollegen aber auch im Interesse des ganzen Unternehmens.“ 761 Demzufolge dürfen im Vertrauen auf die Compliance-Organisation nicht eigene Schutzvorkehrungen unterlassen werden. Vielmehr stellen die entsprechenden Regelungen ausdrücklich klar, dass die Minimierung von Sicherheitsrisiken im unternehmensinternen Bereich auf das verantwortungsvolle Verhalten jedes Einzelnen angewiesen ist. Die Existenz von Compliance-Systemen begründet somit für Unternehmensangehörige kein berechtigtes Vertrauen darauf, sich erhöhten Gefahren aussetzen zu dürfen. Allein mit der Einrichtung von Compliance-Systemen setzt sich die Unternehmensleitung keinem erhöhten Haftungsrisiko aus tatsächlicher freiwilliger Übernahme von Schutzpflichten aus. Für den Geschäftsverkehr außerhalb des Unternehmens könnte sich aus der Übernahme von Schutzpflichten auf der Grundlage vertraglich vereinbarter Compliance-Klauseln eine Garantenstellung der Leitungspersonen ergeben, deren Reichweite grundsätzlich auf die Haftung gegenüber dem jeweiligen Vertragspartner beschränkt ist. Im Hinblick auf die Übernahme von Überwachungspflichten hat der BGH festgestellt, dass den Leiter der Innenrevision einer Anstalt des öffentlichen Rechts eine Garantenstellung nicht nur zugunsten der Vermögensinteressen des eigenen Unternehmens, sondern auch gegenüber außenstehenden Dritten, hier in Form der Gebührenschuldner, trifft.762 Zum Aufgabengebiet des – obiter dictu – erwähnten Compliance-Officers in privatwirtschaftlich organisierten Unternehmen zählt der BGH sogar generell die Verhinderung von Rechtsverstößen, die aus dem Unternehmen heraus begangen werden.763 Die Konkretisierung des übernommenen Pflichtenkreises in einer vertraglichen Vereinbarung mit dem Unternehmen steht einer über dieses Zweipersonenverhältnis hinausgehenden strafrechtlichen Verantwortung damit weder für den Leiter der Innenrevision einer Anstalt öffentlichen Rechts noch für den Compliance-Beauftragten in einem privaten Unternehmen entgegen. Dem scheint ein jüngeres Urteil des BGH zur Garantenstellung des Geschäftsführers einer GmbH bzw. Vorstandsmitglieds einer AG zu widersprechen.764 Da 760

Corporate Compliance Policy der Bayer AG, Fn. 84, S. 13. Corporate Compliance Policy der Bayer AG, Fn. 84, S. 13. 762 BGH, NStZ 2009, 686 (688). 763 BGH, NStZ 2009, 686 (687 f.). 764 BGH, NZG 2012, 992; da der Beklagte zunächst Geschäftsführer einer GmbH, nach deren Umwandlung in eine AG, Mitglied des Vorstands war, sind beide Organstellungen zu berücksichtigen. 761

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sich die Garantenstellung des Compliance-Beauftragten, wie oben festgestellt, aus der Übertragung von Pflichten der Geschäftsleitung ergibt, ist die Entscheidung auch für diesen relevant. Im zu entscheidenden Fall ging es um Untreuehandlungen des Vorstandsvorsitzenden einer Gesellschaft (N-AG) mit der die Gesellschaft des Beklagten (O-GmbH bzw. O-AG) Handelsgeschäfte abwickelte. Aufgrund von Scheinrechnungen, die das zweite Vorstandsmitglied der OGmbH/-AG mit ermöglichte,765 erlitt die N-AG erhebliche Vermögensnachteile, die schließlich zur Insolvenz der N-AG führten. In seinem Urteil hat der 6. Zivilsenat eine Haftung des Geschäftsführers bzw. Vorstandsmitglieds der O-GmbH/AG wegen Beihilfe durch Unterlassen zur Untreue des Vorstandsvorsitzenden der N-AG mangels Garantenstellung abgelehnt.766 Allein aus der Stellung als Geschäftsführer einer GmbH bzw. Vorstandsmitglied einer AG ergibt sich nach Einschätzung des Gerichts keine Garantenpflicht gegenüber außenstehenden Dritten, eine Schädigung ihres Vermögens zu verhindern. Die Pflichten aus der Organstellung zur ordnungsgemäßen Führung der Geschäfte der Gesellschaft aus § 43 Abs. 1 GmbHG bzw. § 93 Abs. 1 S. 1 AktG, zu denen auch die Pflicht gehört, für die Rechtmäßigkeit des Handelns der Gesellschaft Sorge zu tragen (Legalitätspflicht), bestehen grundsätzlich nur dieser gegenüber und lassen bei ihrer Verletzung Schadensersatzansprüche grundsätzlich nur der Gesellschaft entstehen.767 Da der Beklagte auch keine über die aus der Organstellung hinausgehenden besonderen Pflichten gegenüber der N-AG übernommen habe, die den Schutz ihrer Vermögensinteressen bezweckt hätten, könne er auch insofern nicht als Garant für den Schutz der Vermögensinteressen der anderen Gesellschaft verantwortlich gemacht werden.768 Die Verurteilung wegen Beihilfe durch Unterlassen zur Untreue des Vorstandsvorsitzenden der N-AG wurde folglich aufgehoben.769 Die Beschränkung strafrechtlicher Verantwortlichkeit von Unternehmensleitung bzw. Compliance-Beauftragtem als Garanten gegenüber außenstehenden Dritten kann mit der dieser Entscheidung zugrunde liegenden Begründung nicht überzeugen. Zum einen vernachlässigt das Urteil, dass sich auch aus der Überwachung einer Gefahrenquelle als der eigentlichen Grundlage der Geschäftsherrenhaftung eine Garantenstellung ergeben kann, die in ihrer Reichweite nicht wie 765 Das andere Mitglied der Geschäftsführung bzw. des Vorstands wurde wegen aktiver Beihilfe zur Untreue verurteilt. Vgl. BGH, NZG 2012, 992 (995). 766 BGH, NZG 2012, 992 (994). 767 BGH, NZG 2012, 992, Ls. Eine zivilrechtliche Haftung gegenüber Außenstehenden ergebe sich nur in Ausnahmefällen aufgrund besonderer Anspruchsgrundlagen, vgl. BGH, NZG 2012, 992 (994). 768 Diese könnten insbesondere auch nicht aus dem Vertragsverhältnis mit der N-AG abgeleitet werden, da die vertragliche Beziehung nur gegenüber der O-GmbH/-AG nicht aber gegenüber dem Beklagten bestand. Zudem würden vertragliche Pflichten aus gegenseitigen Rechtsverhältnissen ohnehin nicht ohne weiteres zur Begründung von Garantenstellungen genügen. Vgl. BGH, NZG 2012, 992 (994). 769 BGH, NZG 2012, 992 (993, 996).

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die aus den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften abgeleitete eingeschränkt ist, sondern auch und gerade gegenüber außenstehenden Dritten wirksam werden kann, indem sie eine Überwachungspflicht für die Gefahrenquelle Unternehmen statuiert.770 Diese Pflicht erfasst grundsätzlich auch die Verhinderung der aus dem Unternehmen heraus begangenen Straftaten zu Lasten der Rechtsgüter Dritter. Bei konsequenter Fortführung des im Argumentationsmuster des BGH angelegten Anknüpfungspunkts wäre eine Garantenstellung daher durchaus zu bejahen gewesen. So nimmt der BGH in Tz. 15 selbst an, dass die Beihilfehandlung auch darin bestehen kann, die Tatförderung eines weiteren Gehilfen zu unterstützen.771 Dies war im zugrunde liegenden Fall die aktive Beihilfehandlung des zweiten Mitglieds von Geschäftsführung bzw. Vorstand der O-GmbH/-AG. Gegenüber diesem bestanden nicht nur organinterne horizontale Überwachungspflichten,772 sondern griffen auch die aus dem Legalitätsprinzip abgeleiteten Organpflichten, dafür zu sorgen, dass sich die Gesellschaft rechtmäßig verhält. Auf die Übernahme von Schutzpflichten gegenüber dem außenstehenden Dritten kam es für die Begründung der Garantenpflicht daher nicht an. Der Beklagte war zum einen aufgrund seiner Organstellung nach § 43 Abs. 1 GmbHG bzw. § 93 Abs. 1 S. 1 AktG zur Verhinderung der aktiven Beihilfehandlung des anderen Vorstandsmitglieds verpflichtet. Zum anderen erstreckte sich seine aus der Geschäftsherrenverantwortlichkeit folgende Haftung als Überwacher der Gefahrenquelle Unternehmen auch auf die Verhinderung der aus dem Unternehmen heraus begangenen Straftaten gegenüber außenstehenden Dritten, hier gegenüber der N-AG. Der im Zusammenhang mit der Reichweite der Organpflichten vorgebrachte Einwand, es müsse zwischen Interessen des eigenen Unternehmen und Interessen außenstehender Dritter unterschieden werden, mit dem der Zivilsenat ausdrücklich auf die entsprechende Wendung im Urteil des 5. Strafsenats zu den Berliner Stadtreinigungsbetrieben Bezug nimmt,773 überzeugt nicht. Zwar ging es auch dort um eine Garantenstellung zur Verhinderung der aus dem eigenen Betrieb heraus begangenen Straftaten zu Lasten außenstehender Dritter.774 Jedoch stand 770

Vgl. dazu bereits oben, 4. Kap., § 3 II. 1. BGH, NZG 2012, 992 (993) m. Verw. auf: BGH, NJW 2001, 2409 (2410); StraFo 2011, 332 (333). 772 Zwar gilt auch im Rahmen horizontaler Überwachungspflichten grundsätzlich der Vertrauensgrundsatz, d.h. das jeweilige Organmitglied kann sich auf rechtmäßiges Verhalten der übrigen Mitglieder verlassen. Dies gilt jedoch nur, wenn keine Auffälligkeiten, Unregelmäßigkeiten oder Missstände bekannt werden. Bei Geschäften, die für das gesamte Unternehmen von Bedeutung sind, besteht die Gesamtverantwortung ohnehin fort. Vgl. Hauschka-Pelz, § 6, Rn. 38; MüKo-AktG-Hefermehl/Spindler, § 77, Rn. 28; § 93, Rn. 71; BGHZ 133, 370 (379). 773 BGH, NZG 2012, 992 (994) m. Verw. auf: BGH, NZG 2009, 1356 (1358) = BGH, NStZ 2009, 686 (688). 774 Vgl. BGH, NStZ 2009, 686 (687 f.); dieses Urteil nahm der 5. Strafsenat auch zum Anlass sich in einem Obiter Dictum zur „regelmäßigen“ Garantenstellung des Compliance-Beauftragten zu äußern, vgl. BGH, aaO, Tz. 27. 771

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die Differenzierung zwischen Eigeninteressen des Unternehmens und den Interessen Außenstehender im Zusammenhang mit der Begründung der Garantenstellung für den Leiter der Innenrevision einer Anstalt öffentlichen Rechts. Für diese Position musste eine Garantenstellung zum Einschreiten gegen aus der Unternehmenstätigkeit drohende Rechtsgutsverletzungen mangels Organstellung, Herrschaft über eine Gefahrenquelle, besonderer Organisationsmacht oder Befehlsgewalt überhaupt erst begründet werden.775 Da für Mitglieder der Unternehmensleitung eine solche Garantenpflicht aber grundsätzlich bereits besteht, ging es im Fall des 6. Zivilsenats nicht um die Begründung sondern um die Frage der Reichweite einer solchen Haftung. Der Bezug auf die vom 5. Strafsenat gemachte Differenzierung zwischen Eigen- und Drittinteressen wäre lediglich im Rahmen der Begründung einer Garantenstellung anderer Positionen im Unternehmen als derjenigen der Unternehmensleitung bzw. des Compliance-Beauftragten angebracht gewesen. Mit der hier vorgenommenen, zivilrechtlichen Denkstrukturen verhafteten Begründung erscheint die Begrenzung der Garantenstellung von Vorstandsmitgliedern bzw. Geschäftsführern gegenüber Außenstehenden nicht überzeugend. Vielmehr ist an einer grundsätzlich auch über das Verhältnis zur eigenen Gesellschaft hinausgehenden strafrechtlichen Verantwortung in bestimmten Konstellationen festzuhalten. Leitungspersonen bzw. Compliance-Officer können grundsätzlich auch für die Nichtverhinderung der aus dem Unternehmen heraus begangenen Straftaten zu Lasten außenstehender Dritter verantwortlich gemacht werden. Anders könnte die Reichweite der Haftung in der Konstellation zu beurteilen sein, in der sich zwei Unternehmen als Vertragspartner wechselseitig jeweils zur Einhaltung ihrer eigenen unternehmensinternen Compliance-Regelungen verpflichten. In diesen Fällen könnte die Verantwortlichkeit auf das Verhältnis der Vertragspartner zueinander beschränkt sein. Anhaltspunkte für die Reichweite einer etwaigen Garantenhaftung in dieser Fallgestaltung könnte dabei die Rechtsprechung des BGH zu den zwischen Unternehmen vereinbarten Integritätsklauseln liefern.776 Integritätsklauseln enthalten die wechselseitige Verpflichtung jeweils im eigenen Unternehmen die notwendigen Vorkehrungen zur Verhinderung von Straftaten zu treffen.777 Sie werden zum Bestandteil der vertraglichen Beziehungen zwischen den Beteiligten. Mit der früher vertretenen formellen Rechtspflichttheorie war eine Garantenstellung damit leicht zu begründen,778 nach heu775 Unter Tz. 28 des in Bezug genommenen Urteils machte der BGH gerade diesen Unterschied bzgl. der begrenzten Pflichtenposition des Leiters der Innenrevision gegenüber derjenigen von Compliance-Officer bzw. Unternehmensleitung deutlich. Vgl. BGH, NStZ 2009, 686 (688). 776 BGHSt 39, 392 (399); 46, 196 (302). 777 Vgl. Schlösser, wistra 2006, 446 (447). 778 Vgl. Schlösser, wistra 2006, 446 (447). Die formelle Rechtspflichttheorie unterschied Garantenstellungen aus Gesetz, Vertrag, Ingerenz und enger Lebensgemein-

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tiger Rechtsprechung reichen vertragliche Pflichten aus gegenseitigen Verträgen nicht ohne weiteres zur Begründung einer Garantenstellung aus.779 Vielmehr bedarf es eines „besonderen Vertrauensverhältnisses“, das allerdings durch eine entsprechende Ausgestaltung vertraglicher Beziehungen geschaffen werden kann.780 Weitere Voraussetzung ist, dass die Integritätsklausel ausdrücklich in den Vertrag einbezogen wird.781 Zudem soll ein faktisches Kräftegleichgewicht zwischen den Vertragsparteien erforderlich sein, was sich aus der vom BGH verwendeten Formulierung „im Rahmen der Privatautonomie“ ergebe.782 Sind diese Voraussetzungen erfüllt, lässt sich auch mit der in der Lehre verbreiteten Diktion der Übernahme von Schutzpflichten eine Garantenstellung bejahen. Da ein Außenstehender auf die Mitarbeiter und den Herrschaftsbereich des Unternehmens keinen Einfluss hat, muss er sich auf die Aussage seines Vertragspartners verlassen und begibt sich insofern in ein Abhängigkeitsverhältnis. Setzt er sich im Vertrauen auf die zugesicherten Vorkehrungen des Vertragspartners sodann erhöhten Gefahren aus, so ist dieses Vertrauen berechtigt und begründet eine strafrechtliche Garantenstellung des Versprechenden.783 Gegenüber einer bloßen vertraglichen Verpflichtungserklärung, für die Verhinderung von Straftaten zu sorgen, stellen Compliance-Regelungen deren inhaltliche Umsetzung und selbstverpflichtend anerkannte Kodifizierung dar, indem sie entsprechende Maßnahmen festlegen sowie Informations- und Kontrollpflichten begründen. Zudem enthält nahezu jede Kodifizierung eine allgemeine Verpflichtung, im Interesse des Unternehmens, seiner Mitarbeiter sowie außenstehender Dritter für die Integrität und Rechtmäßigkeit der unternehmerischen Tätigkeit die dazu erforderlichen Vorkehrungen zu treffen.784 Beziehen sich Unternehmen im Rahmen ihrer Vertragsbeziehungen mit gleichrangigen Geschäftspartnern ausdrücklich auf ihre Compliance-Vorschriften und deren Einhaltung, kann daraus unter den gleichen Voraussetzungen wie bei Integritätsklauseln eine Garantenstellung der zuständigen Leitungspersonen erwachsen. Auch die materiellen Kriterien, die für die Begründung einer Garantenstellung bei vertraglichen Integritätsklauseln herangezogen werden, stimmen überein. Hier wie dort geht es um schaft. Neuere Rechtsprechung und Lehre unterscheiden nach materiellen Kriterien. Weiterführend zu dieser Entwicklung: Roxin, AT/II, § 32, Rn. 4 ff. 779 BGHSt 39, 392 (399). 780 BGHSt 39, 392 (399); bestätigt durch BGH, NJW 2000, 3013; BGHSt 46, 196 (203). 781 BGHSt 46, 196 (203). 782 Vgl. hierzu: Schlösser, wistra 2006, 446 (448). 783 Schlösser, wistra 2006, 446 (448 f.). 784 Vgl. die Verhaltensgrundsätze des Volkswagen Konzerns, Fn. 84, S. 22: „Jeder unserer Mitarbeiter hält sich an die in seinem Arbeitsumfeld einschlägigen Gesetze und Vorschriften sowie internen Regelungen und richtet sein Handeln an den Konzernwerten und den Verhaltensgrundsätzen aus.“

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die Gewährsübernahme für die Gefahrenquelle Betrieb. Auf die internen Abläufe haben Außenstehende ebenso wenig Einfluss wie auf die Anleitung und Überwachung der im fremden Unternehmen tätigen Mitarbeiter. Als Außenstehender bleibt der Vertragspartner auf die Zusicherung der Vornahme entsprechender Sicherheitsvorkehrungen angewiesen ohne selbst Einfluss auf ihre Durchsetzung nehmen zu können. Problematisch ist der Aspekt des faktischen Kräftegleichgewichts der Vertragsparteien bei Vereinbarungen zwischen Konzernunternehmen. Sofern deren Compliance-Management bei der Konzernholding zentralisiert ist und den Tochterunternehmen lediglich in Randbereichen Gestaltungsspielraum zugestanden wird, liegt ein ausgewogenes Kräfteverhältnis im Regelfall nicht vor. Insofern kann den Tochterunternehmen mangels Handlungs- und Entscheidungsspielraum kein Vorwurf gemacht werden, wenn es trotz Zusicherung der Einhaltung von Compliance-Vorschriften zu Rechtsverstößen kommt, die auf Defizite der vorgegebenen Compliance-Struktur zurückzuführen sind. Das Vertrauen der Konzernmutter ist in diesem Fall nicht schutzwürdig. Die Leitungsorgane der Tochterunternehmen trifft gegenüber dem herrschenden Unternehmen keine Garantenpflicht. Sofern es sich aber um grundsätzlich gleichgeordnete Vertragspartner handelt und sich beide wechselseitig zur Einhaltung ihrer jeweiligen Compliance-Regelungen verpflichten, spricht nichts dagegen, ein besonderes Vertrauensverhältnis und damit eine strafrechtliche Garantenstellung durch Übernahme von Schutzpflichten zu bejahen. Die fehlende Möglichkeit einer Einflussnahme auf den fremden Betrieb sowie die Zusicherung, eine Einhaltung gesetzlicher Vorschriften im eigenen Herrschaftsbereich zu gewährleisten, stehen insofern nicht im Widerspruch zum Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit, sondern sind gerade Ausdruck der im Geschäftsverkehr geltenden Privatautonomie. Unverzichtbare Voraussetzung ist allerdings ein Vertrauen begründender Akt gegenüber dem Vertragspartner. Dieser kann etwa in der Aufnahme einer Klausel in den Vertrag bestehen, im Rahmen derer sich beide Vertragspartner verpflichten, die eigenen Compliance-Regelungen einzuhalten oder durch eine gesonderte wechselseitige Vereinbarung zwischen den Vertragsparteien, jeweils die eigenen ComplianceVorkehrungen zu erfüllen. Die Reichweite einer durch vertragliche Integritätsklauseln begründeten Garantenstellung hängt von deren Inhalt ab. So können sie sich auf die Verhinderung von Straftaten zu Lasten des Vertragspartners beschränken, oder aber auch Straftaten gegenüber Dritten erfassen.785 Ob für letzteres die Voraussetzungen eines Vertrages mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter erfüllt sein müssen, kann dahin gestellt bleiben.786 Entscheidend ist vielmehr, ob sich das berechtigte Ver785 786

Vgl. Schlösser, wistra 2006, 446 (449). Dafür: Schlösser, wistra 2006, 446 (449).

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4. Kap.: Strafbarkeitsbegründende Wirkung

trauen des Vertragspartners auf die Einbeziehung Dritter erstreckt, was anhand einer Auslegung der zugrundeliegenden vertraglichen Vereinbarung festzustellen ist. Eine über das Vertragsverhältnis der Parteien hinausgehende Wirkung wird nur ausnahmsweise zu bejahen sein,787 in der Regel wird sie sich in der Verhinderung von Straftaten zu Lasten des Vertragspartners erschöpfen. Ferner muss es sich um den Schutz von Rechtsgütern handeln, bloße Interessen genügen nicht.788 Zudem muss sich die Übernahme der Schutzfunktion unmittelbar auf die Gefährdungslage des geschützten Rechtsguts auswirken, indem sie diese begründet, verschärft oder alternative Schutzmöglichkeiten ausschließt.789 Als schutzfähiges Rechtsgut einer juristischen Person als Vertragspartner kommt insbesondere deren Vermögen in Betracht. Die strafrechtliche Haftung konzentriert sich daher auf Vermögens- und Eigentumsdelikte, wobei v. a. an Betrug gem. § 263 StGB, die Verletzung von Schutzrechten nach § 142 PatG, § 51 GeschmMG und § 143 MarkenG sowie an Betriebsspionage gem. § 17 Abs. 2 UWG zu denken ist. Werden vertragliche Integritätsklauseln durch die Verpflichtung zur Einhaltung der eigenen Compliance-Regelungen ersetzt, bieten sich zur Bestimmung der Reichweite einer daraus gegebenenfalls erwachsenden Garantenstellung zwei mögliche Ansatzpunkte. Zum einen kommt die vertragliche Vereinbarung in Betracht, die die Einhaltung der Compliance-Vorgaben gegenüber dem Vertragspartner festschreibt. Insofern ergeben sich keine Unterschiede zum Umfang der Haftung bei vertraglichen Integritätsklauseln. Im Regelfall erschöpft sich die Pflichtenstellung in der Verhinderung von Straftaten zu Lasten des Vertragspartners. Wählt man hingegen das Compliance-Regelwerk selbst als Anknüpfungspunkt, stellt sich dies zunächst anders dar. Da Compliance-Regelungen die Verpflichtung zu rechtmäßigem Verhalten nicht auf konkrete Umstände gegenüber individuellen Vertragspartnern begrenzen, sondern generell gegenüber jedermann und abstrakt, unabhängig von der konkreten Situation, aufstellen,790 wäre insofern 787 Schlösser zufolge soll dies insbesondere dann der Fall sein, wenn eine Vertragspartei ein besonderes wirtschaftliches Interesse daran hat, dass der Vertragspartner auch gegenüber Dritten oder der Allgemeinheit keine Straftaten begeht, wistra 2006, 446 (449). 788 Schlösser, wistra 2006, 446 (449). 789 Vgl. zu dieser allgemeinen Voraussetzung einer Garantenstellung aufgrund Übernahme von Schutzfunktionen, Roxin, AT/II, § 32, Rn. 53, 62. 790 Vgl. hierzu die Business Conduct Guidelines der Siemens AG, Fn. 84, S. 6: „Das Befolgen der Gesetze und des Rechtssystems des jeweiligen Landes, in dem wir geschäftlich aktiv sind, ist bei Siemens ein Grundprinzip. Jeder Mitarbeiter hat die geltenden Siemens Richtlinien sowie die gesetzlichen Vorschriften derjenigen Rechtsordnung zu beachten, in deren Rahmen er handelt. Gesetzesverstöße sind unter allen Umständen zu vermeiden.“ (Anm. in Fn. 1, S. 6: „Unternehmen“ oder „Siemens“ bezeichnet die Siemens AG oder ihre Tochtergesellschaften. Fn. 2: „Mitarbeiter“ schließt Mitarbeiterinnen ein.)

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auch an eine Schutzwirkung gegenüber Rechtsgütern der Allgemeinheit oder außenstehender Dritter zu denken. Zu berücksichtigen bleibt aber, dass sich die Übernahme der Schutzfunktion auf die Lage des Geschützten auswirken muss,791 indem sich der Verletzte erhöhten Gefahren aussetzt oder eigene Schutzvorkehrungen unterlässt.792 In der hier untersuchten Konstellation liegt der maßgebliche Vertrauensakt in der Begründung des Abhängigkeitsverhältnisses gegenüber dem Garantenpflichtigen. Dies ist auch im Falle der Bezugnahme auf interne Compliance-Vorschriften die zugrundeliegende Vereinbarung, auf die vertrauend eigene Schutzvorkehrungen unterlassen werden. Damit gelten bezüglich der Reichweite der Garantenpflichten auch insofern die für vertragliche Integritätsklauseln entwickelten Grundsätze, nach denen sich das berechtigte Vertrauen im Regelfall lediglich auf die Verhinderung von Straftaten zu Lasten des Vertragspartners erstreckt. Zur Begründung darüber hinausgehender Schutzpflichten bedarf es besonderer Interessen des Vertragspartners im konkreten Fall, die für die andere Partei auch erkennbar sein müssen.793 Die vertragliche Verpflichtung zur Einhaltung eigener Compliance-Standards gegenüber Geschäftspartnern kann damit eine strafrechtliche Garantenstellung begründen. Voraussetzung ist, dass es sich um Rechtgüter und nicht bloße Interessen des Geschützten handelt und dass ein das Abhängigkeitsverhältnis begründender Vertrauensakt vorliegt. Dieser ist wie im Falle vertraglicher Integritätsklauseln in der vertraglichen Selbstverpflichtung zu sehen, aufgrund derer es der andere Teil unterlässt, selbst Sicherheitsvorkehrungen zu treffen. Wie für den Regelfall vertraglicher Integritätsklauseln festgestellt, ist auch bei einer auf Compliance-Vorschriften Bezug nehmenden Selbstverpflichtungserklärung die Reichweite der Garantenstellung grundsätzlich auf eine Verhinderung von Straftaten zu Lasten des Vertragspartners beschränkt. In Ausnahmefällen bei begründetem und für den anderen Teil erkennbarem Interesse eines Vertragspartners kann die Garantenstellung auch die Verhinderung von Straftaten gegenüber Rechtsgütern der Allgemeinheit oder Dritter umfassen. 5. Verantwortungsdelegation durch Compliance Durch die Einrichtung einer Compliance-Organisation und die Einsetzung von Compliance-Beauftragten könnte es zu einer Verantwortungsverschiebung innerhalb des Unternehmens kommen. So soll es dem Geschäftsherrn möglich sein, seine Pflicht zur Verhinderung betriebsbezogener Straftaten zumindest in gewissem Umfang auf den Compliance-Officer zu übertragen und sich damit seiner 791

BGH, NJW 1993, 2628. S/S-Stree/Bosch, § 13, Rn. 27. 793 Vgl. zu diesen zusätzlichen Erfordernissen in Bezug auf vertragliche Integritätsklauseln: Schlösser, wistra 2006, 446 (449). 792

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strafrechtlichen Verantwortlichkeit partiell zu entledigen.794 Dabei gilt es jedoch zu bedenken, dass das Hinzutreten eines weiteren Garanten im Rahmen einer Pflichtendelegation die originäre Schutzpflicht des Delegierenden nicht zwangsläufig und ohne weiteres entfallen lässt.795 In Betracht kommt aber, dass durch Compliance-Konzepte die Anwendbarkeit des Vertrauensgrundsatzes erleichtert wird und das Haftungsrisiko für die Leitungspersonen auf diese Weise verringert werden kann. Um die Frage einer strafrechtlichen Haftungsverschiebung oder -erleichterung beantworten zu können, bedarf es zunächst einer Untersuchung der gesellschaftsrechtlichen Verantwortungszuweisung im Unternehmen. Das Gesellschaftsrecht geht für den Vorstand einer AG und den Geschäftsführer einer GmbH zunächst vom Grundsatz der Allzuständigkeit aus, demzufolge diese Organe für alle Angelegenheiten, die der Betrieb des Unternehmens mit sich bringt, zuständig sind.796 Handelt es sich um ein Kollegialorgan, so sind sämtliche Mitglieder dieses Organs gemeinschaftlich für die Erfüllung der Pflichten zuständig (Grundsatz der Gesamtzuständigkeit).797 Für die Erfüllung ihrer Pflichten sind die Gremienmitglieder gemeinsam verantwortlich und haften der Gesellschaft gegenüber als Gesamtschuldner (Grundsatz der Gesamtverantwortung).798 Im Falle einer Delegation von Aufgaben gewinnen Auswahl-, Überwachungs- und Informationspflichten an Gewicht.799 Auch im Strafrecht trifft die Mitglieder der Leitungsorgane nach dem Prinzip der Allzuständigkeit zunächst eine Generalverantwortung mit umfassenden Organisations- und Kontrollpflichten.800 Eine horizontale Aufteilung der Zuständigkeiten innerhalb des Gremiums ist zwar möglich, jedoch greift auch hier der Grundsatz der Gesamtverantwortung wieder, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ein Mitglied seine Pflicht nicht ordnungsgemäß erfüllt oder es um Entscheidungen geht, die das Unternehmen als Ganzes in einer kritischen Situation betreffen.801 Betrachtet man den Inhalt von Compliance-Vorschriften scheint es zunächst so, dass an dieser Verantwortungsverteilung nichts geändert werden soll. So heißt es in den Siemens Business Conduct Guidelines, die „Führungskraft ist dafür verantwortlich, dass in ihrem jeweiligen Verantwortungsbereich keine Gesetzes794

So Mosbacher/Dierlamm, NStZ 2010, 268 (270). Fischer, StGB, § 13, Rn. 41. 796 BGHZ 133, 370 (376 ff.); BGH, NJW 2001, 969 (970 f.); Michalski-Haas/Ziemons, § 43, Rn. 165. 797 MüKo-AktG-Spindler, § 77, Rn. 9; Hüffer, AktG, § 77, Rn. 1 ff.; MichalskiHaas/Ziemons, § 43, Rn. 153. 798 Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 77, Rn. 44; MüKo-GmbHG-Fleischer, § 43, Rn. 318. 799 Hauschka-Schmidt-Husson, § 7, Rn. 21 ff. 800 Fischer, StGB, § 13, Rn. 40; Roxin, AT/II, § 32, Rn. 142. 801 Roxin, AT/II, § 32, Rn. 142. 795

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verstöße geschehen, die durch angemessene Aufsicht hätten verhindert werden können“ und dass sie „auch bei Delegation einzelner Aufgaben (. . .) die Verantwortung“ behält. Im Anschluss daran werden Auswahl-, Anweisungs-, Kontrollund Kommunikationspflichten erläutert.802 Dies entspricht den Anforderungen, die gemeinhin im Gesellschafts-, Delikts- und Strafrecht an eine ordnungsgemäße Delegation von Pflichten gestellt werden.803 Von Bedeutung könnten Compliance-Vorgaben aber im Rahmen der Haftungsentlastung werden, wendet man den Blick auf das in der jüngeren Rechtsprechung des BGH entwickelte Modell abgestufter Verantwortung bei horizontaler Arbeitsteilung.804 Vorauszuschicken ist dem zunächst, dass auch bei horizontaler Aufteilung von Verantwortungsbereichen grundsätzlich der Vertrauensgrundsatz Berücksichtigung findet und zu einer Beschränkung des Pflichtenkreises führen kann. Allerdings ist seine Anwendung und Wirkung im Einzelfall vom Risikopotenzial der Betätigung sowie von der Definition der jeweiligen Aufgabe abhängig.805 Handelt es sich um klar abgegrenzte Aufgaben verschiedener Beteiligter, ist in der Regel eine gegenseitige Überprüfungspflicht ausgeschlossen.806 Im Gegensatz dazu besteht bei einheitlichen Arbeitsvorgängen die Verantwortung uneingeschränkt und unteilbar fort.807 Zwischen diesen beiden Extremen liegt das Zusammenwirken von Aufgaben, bei denen im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren Pflichten zur gegenseitigen Information und Abstimmung fortbestehen.808 Nach dem Modell abgestufter Verantwortung ist die Definition der jeweiligen Aufgabe somit entscheidend für die strafrechtliche Verantwortlichkeit. Vom Grad ihrer Bestimmbarkeit und Abgrenzbarkeit hängt der Umfang der delegierten bzw. verbleibenden Pflichten ab. Ist die Abgrenzung von Aufgabenbereichen unklar und lückenhaft, bleibt eine vollumfängliche Pflichten- und Verantwortungsstellung der Geschäftsleitung bestehen.809 Stellen nun Compliance-Vorschriften, wie die der Siemens AG, in denen es heißt, „Die Führungskraft muss die Aufgaben präzise, vollständig und verbindlich stellen“,810 fest, worauf es bei der Beschreibung von Aufgaben ankommt, und werden diese Vorgaben auch bei der horizon802

Business Conduct Guidelines der Siemens AG, Fn. 84, S. 7. Vgl. Hauschka-Schmidt-Husson, § 7, Rn. 21. 804 BGH, NStZ 2009, 146. Vgl. dazu: Bußmann, NStZ 2009, 386, die i. R. ihrer Entsch.-Anm. den Begriff des „abgestuften Systems der Verantwortungsverteilung bei arbeitsteiligem Zusammenwirken“ geprägt hat. 805 Bußmann, NStZ 2009, 386. 806 BGH, NJW 1980, 649 (650). 807 BGH, NStZ 2002, 421 (422). 808 BGH, NStZ 2009, 146 (147). 809 Vgl. Hauschka-Schmidt-Husson, § 7, Rn. 20; Spindler, Unternehmensorganisationspflichten – Zivilrechtliche und öffentlichrechtliche Regelungskonzepte, 2001, S. 912. 810 Business Conduct Guidelines der Siemens AG, Fn. 84, S. 7. 803

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talen Aufgabenzuweisung befolgt, so kann die Verantwortung auf die jeweils zuständige Person beschränkt werden. Compliance-Regelungen bewirken damit eine Erhöhung des Strafbarkeitsrisikos für den individualisierbaren Verantwortungsträger. Den nicht mit der konkreten Aufgabe betrauten Mitarbeitern sowie den delegierenden Führungskräften kommt hingegen eine Haftungserleichterung zugute. Für die Verantwortung der Mitglieder von Vorstand und Geschäftsführung ist zudem die vertikale Arbeitsteilung, insbesondere im Hinblick auf eine Verantwortungszuweisung an den Compliance-Officer, von Relevanz. Auch hier ist als Ausgangspunkt die gesellschaftsrechtliche Situation kurz darzustellen. Die vertikale Pflichtendelegation von den Leitungsorganen zu nachgeordneten Managementstufen ist grundsätzlich zulässig und angesichts der Komplexität und Arbeitsteiligkeit heutiger Betriebsabläufe auch notwendig. Originäre Leitungsaufgaben, die entweder durch Gesetz ausdrücklich dem Vorstand oder Geschäftsführungsorgan zugewiesen sind, oder die sich sachnotwendig aus der organschaftlichen Leitungsaufgabe ergeben, sind nicht delegierbar.811 Pflichten, die unterhalb der Gesamtverantwortung und allgemeinen Organisationsverantwortung anzusiedeln sind, sowie diejenigen, deren Wahrnehmung das Gesetz nicht ausdrücklich den Leitungsorganen selbst zuweist,812 sind grundsätzlich an nachgeordnete Positionen übertragbar. Dem strukturellen Risikopotenzial von Informationsasymmetrien und Interessenkonflikten aufgrund des Prinzipal-Agenten-Verhältnisses in Unternehmen ist mit einer hinreichenden Misstrauensorganisation zu begegnen.813 So setzt sich das Prinzip der Gesamtverantwortung von Vorstand und Geschäftsleitung auch bei zulässiger Delegation von Pflichten in allgemeinen Aufsichtspflichten fort. Diese gliedern sich in Auswahl-, Einweisungs- sowie Kontrollpflichten gegenüber den Delegataren und erfordern bei ihrer Wahrnehmung die Beachtung einer angemessenen diligentia in delegando.814 Ohne diese ist ein Vertrauen in ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung durch andere nicht berechtigt und eine Haftungserleichterung für die delegierenden Organe nicht angezeigt. So ist bei Auswahl der Personen auf deren fachliche und 811 Kraft Gesetzes einer Wahrnehmung durch die Organe der Unternehmensleitung vorbehalten sind etwa die Pflicht zur Einberufung der Haupt- bzw. Gesellschafterversammlung nach §§ 92 Abs. 1, 121 Abs. 2 AktG; 49 Abs. 1 GmbHG, die Pflicht zur Einrichtung von Risikomanagementsystemen nach § 91 Abs. 2 AktG; aufgrund der Leitungsfunktion fallen darüberhinaus auch die Pflichten zur Unternehmensplanung, -koordinierung und -kontrolle sowie zur Besetzung nachgeordneter Führungsposten in den Bereich unübertragbarer Pflichten der Unternehmensleitung. Vgl. zum Ganzen auch Hauschka-Schmidt-Husson, § 7, Rn. 15 ff. m.w. N. 812 Z. B. die Buchführungspflicht nach § 238 HGB, die dem „Kaufmann“ obliegt, oder die Pflicht zur Abführung der Sozialversicherungsbeiträge nach § 266a StGB, die durch den „Arbeitgeber“ zu erfolgen hat. 813 Hauschka-Schmidt-Husson, § 7, Rn. 12 m.w. N. 814 Hauschka-Schmidt-Husson, § 7, Rn. 10 m.w. N.

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persönliche Eignung zu achten, die übertragene Aufgabe vollständig und möglichst präzise zu beschreiben sowie eine ordnungsgemäße Einweisung vorzunehmen.815 Ferner treffen das delegierende Organ bereits im Vorfeld seiner Überwachungspflicht, die durch stichprobenartige Kontrollen umzusetzen ist, Informations- und Kommunikationspflichten, die einen ungehinderten Informationsfluss zu den zuständigen Stellen gewährleisten.816 Die sorgfaltsgemäße Einhaltung dieser Pflichten tritt an die Stelle der Gesamtverantwortung und stellt insoweit eine Verantwortungsbeschränkung der übergeordneten Instanz dar als sie dem Vertrauensgrundsatz zur Anwendbarkeit verhilft.817 In Compliance-Vorschriften werden diese an die Anwendbarkeit des Vertrauensgrundsatzes zu stellenden Anforderungen zum Teil bis ins Detail übernommen. Während die Corporate Compliance Policy der Bayer AG lediglich feststellt, jeder Vorgesetzte müsse „seinen Bereich so organisieren, dass die Einhaltung der Regeln der Corporate Compliance Policy sowie der gesetzlichen Vorschriften gewährleistet ist“, wozu „insbesondere Kommunikation, Überwachung und Durchsetzung der für seinen Verantwortungsbereich relevanten Regeln“ gehören,818 führen die Siemens Business Conduct Guidelines explizit aus, worauf Führungskräfte bei Delegation von Pflichten zu achten haben: „Die Führungskraft muss die Mitarbeiter nach persönlicher und fachlicher Qualifikation und Eignung sorgfältig auswählen. Die Sorgfaltspflicht steigt mit der Bedeutung der Aufgabe, die der Mitarbeiter wahrzunehmen hat (Auswahlpflicht). Die Führungskraft muss die Aufgaben präzise, vollständig und verbindlich stellen (. . .) sicherstellen, dass die Einhaltung gesetzlicher Bestimmungen laufend überwacht wird (. . .) die Bedeutung von Integrität und Einhaltung gesetzlicher Bestimmungen im täglichen Geschäft klar kommunizieren und darauf hinweisen, dass Gesetzesverstöße nicht akzeptiert werden (. . .)“.819 Damit schreiben sie die für eine Geltung des Vertrauensgrundsatzes aufgestellten Voraussetzungen fest, fordern ihre Befolgung und begünstigen auf diesem Wege seine Anwendbarkeit. Auch wenn betont wird, dass trotz Delegation von Aufgaben Verantwortung bei den Leitungsorganen bleibt,820 wird bei entsprechender Umsetzung dieser Vorgaben die Individualisierung von Verantwortung auf nachgeordneten Hierarchieebenen erleichtert. Ob eine Haftungserleichterung der Leitungspersonen damit bezweckt wird oder als Folge lediglich in Kauf genommen wird, mag dahingestellt sein. Das Potenzial zum Risk-Shifting ist bei effektiver Umsetzung entsprechender Compliance-Vorgaben jedenfalls nicht von der Hand zu weisen. 815 816 817 818 819 820

Hauschka-Schmidt-Husson, § 7, Rn. 21 ff. Hauschka-Schmidt-Husson, § 7, Rn. 24 ff. Vgl. Hauschka-Schmidt-Husson, § 7, Rn. 11. Corporate Compliance Policy der Bayer AG, Fn. 84, S. 23. Business Conduct Guidelines der Siemens AG, Fn. 84, S. 7. Business Conduct Guidelines der Siemens AG, Fn. 84, S. 7.

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4. Kap.: Strafbarkeitsbegründende Wirkung

Was nun die Position des Compliance-Beauftragten angeht, so gilt es zu untersuchen, ob er als Leidtragender dieser Entwicklung anzusehen ist, da er mit zusätzlichen und seine Person unverhältnismäßig belastenden Haftungsrisiken belegt wird. Dem Compliance-Officer kommt die Überwachung der Unternehmensmitarbeiter im Hinblick auf die Einhaltung der einschlägigen gesetzlichen Vorgaben sowie der unternehmensinternen Richtlinien zu. Dabei handelt es sich unter gesellschaftsrechtlichem Blickwinkel zunächst um eine Pflicht, die das Leitungspersonal trifft. Das Gesetz weist zwar in § 91 Abs. 2 AktG dem Vorstand die Pflicht zu, geeignete Maßnahmen zu treffen, insbesondere ein Überwachungssystem einzurichten, damit den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen früh erkannt werden. Jedoch schließt dies die Delegation von Pflichten unterhalb der Gesamtorganisation bzw. in Ausführung des Risikomanagements nicht aus.821 Die unmittelbare Handlungspflicht der Unternehmensleitung wandelt sich im Rahmen zulässiger Aufgabendelegation zu einer Aufsichtspflicht. Diese Aufsichtspflicht ist, sofern sie nicht die Überwachung gleichgeordneter Mitglieder derselben Hierarchieebene betrifft, ebenfalls wieder delegierbar.822 Werden Überwachungspflichten delegiert, kann sich die Unternehmensleitung bei angemessener Überwachungsorganisation auf die Überwachung des Überwachungspersonals beschränken. Die Kontrolle über die Einhaltung gesetzlicher Regeln kann somit grundsätzlich von Vorstands- bzw. Geschäftsführungsebene auf den Compliance-Beauftragten delegiert werden. Dies gilt sowohl für den Fall, dass der Compliance-Officer selbst auf Leitungsebene angesiedelt ist, als auch bei Verortung seines Postens auf einer der Leitungsebene nachgeordneten Stufe in der Unternehmenshierarchie.823 Voraussetzung ist hier wie schon bei der einfachen Pflichtendelegation die Zuweisung einzelner Aufgaben an sachgerecht ausgewählte und geeignete Mitarbeiter und die Bereitstellung der zur ordnungsgemäßen Aufgabenwahrnehmung erforderlichen Mittel. Werden die Aufgaben des Compliance-Beauftragten so genau beschrieben, wie dies insbesondere in der Corporate Compliance Policy der Bayer AG erfolgt und die erforderlichen Ressourcen, wie dort ebenfalls angekündigt, tatsächlich zur Verfügung gestellt, sowie die verbleibende Kontrollpflicht der Leitungsorgane ernst genommen, so kann von einer wirksamen Pflichtendelegation auf den Compliance-Beauftragen ausgegangen werden.824 Dem Vorstand

821 Vgl. Zur Delegierbarkeit von ausführenden Maßnahmen: Hauschka-Schmidt-Husson, § 7, Rn. 18. 822 Hauschka-Schmidt-Husson, § 7, Rn. 27, 30 f. 823 Zur horizontalen Delegation der sog. Meta-Überwachung: Hauschka-SchmidtHusson, § 7, Rn. 30. 824 Corporate Compliance Policy der Bayer AG, Fn. 84, S. 25: Neben einer Auflistung der Kernkompetenzen des Compliance-Officers, verpflichtet sich die Bayer AG zur Schaffung der erforderlichen Rahmenbedingungen und Bereitstellung der notwendigen Ressourcen für eine funktionsfähige Compliance-Organisation. Zudem soll die Ef-

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bzw. der Geschäftsführung verbleibt vor dem Hintergrund der Universalzuständigkeit die Verantwortung für existenzielle und das Unternehmen als Gesamtheit betreffende Risiken, sowie für besonders wichtige Aufgabenbereiche.825 Ebenso können sich die Leitungsorgane nicht ihrer Überwachungspflicht hinsichtlich des Compliance-Officers entledigen. Neben den für bestimmte Rechts- und Unternehmensbereiche eingesetzten Compliance-Beauftragten, Ombudsleuten oder Korruptionsbeauftragen, die in der Regel direkt dem obersten Leitungsorgan unterstellt sind, gilt dies ebenso für sog. Universal-Compliance-Manager.826 Erstere sind im Rahmen vertikaler Aufsicht zu überwachen, während für letztere, bei denen es sich um Mitglieder des Leitungsorgans selbst handelt, die horizontale Kontrollpflicht greift. Daran wird deutlich, dass eine vollständige Delegation der Compliance-Verantwortung von der Unternehmensleitung auf Compliance-Officer und vergleichbare Beauftragte nicht möglich ist. Eine Rest- bzw. Ausfallhaftung verbleibt stets auch bei den genuin zuständigen Leitungsorganen. Möglich ist jedoch eine spürbare Haftungserleichterung für Vorstand oder Geschäftsführung, die durch Compliance-Regelungen verstärkt wird. Bei vertikaler Delegation827 wird dies erreicht, indem die für den Vertrauensgrundsatz erforderlichen Voraussetzungen optimiert werden und die Berechtigung des Vertrauens in die ordnungsgemäße Wahrnehmung von Compliance-Pflichten durch die damit Betrauten nachvollziehbar und dokumentierbar gemacht wird. Im Falle horizontaler Pflichtenübertragung828 kann das Haftungsrisiko durch eine klare Aufgabendefinition und -abgrenzung vermindert werden. Dass der Compliance-Beauftragte seinen Aufgaben- und Pflichtenkreis letztlich freiwillig übernimmt sollte daher nicht darüber hinweg täuschen, dass mit dieser Position erhebliche Haftungsrisiken verbunden sind, die nicht zuletzt auf einem partiellen Verantwortungstransfer aus dem Pflichtenkreis der Unternehmensleitung beruhen. 6. Garantenstellungen im Konzern Die bisherigen Betrachtungen haben sich auf das einzelne Unternehmen beschränkt. Da dies der Realität und Komplexität moderner Großunternehmen kaum gerecht werden kann, sollen im Folgenden konzernweite Compliance-Vorschriften ins Blickfeld genommen werden. Dass ein Einzelunternehmen ohne fektivität der Compliance Policy durch kontinuierliche Überwachung, Bewertung und gegebenenfalls Anpassung gewährleistet werden. 825 Hauschka-Hauschka, § 1, Rn. 30. 826 Hauschka-Hauschka, § 1, Rn. 30. 827 D. h. wenn der Compliance-Beauftragte auf einer der Leitungsebene nachgeordneten Hierarchieebene angesiedelt ist. 828 D. h. wenn die Position des Compliance-Beauftragten integrierter Bestandteil der Leitungsebene ist.

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4. Kap.: Strafbarkeitsbegründende Wirkung

Compliance-Organisation unter gewissen Umständen als Gefahrenquelle angesehen werden kann, wurde oben bereits dargelegt. Für einen Konzern kann grundsätzlich nichts anderes gelten, da das Gefahrenpotenzial zumindest gleichgroß ist. Auch für Konzerne ist an die Begründung einer Garantenstellung aufgrund fehlender oder mangelhafter Compliance-Vorkehrungen vor allem in bestimmten risikoreichen Branchen829 bzw. bei Vorliegen besonderer Anhaltspunkte zu denken. Hier soll daher der Frage nachgegangen werden, ob Leitungspersonen des herrschenden Unternehmens für die Verhinderung von Straftaten durch Mitarbeiter nachgeordneter Unternehmen verantwortlich gemacht werden können und welche Rolle Compliance-Regelungen dabei spielen. Gegen eine strafrechtliche Verantwortlichkeit der Leitungspersonen einer Konzernholding für die Verhinderung von Straftaten durch Mitarbeiter abhängiger Gesellschaften werden zunächst die allgemeinen Vorbehalte gegen eine generelle Geschäftsherrenhaftung vorgebracht.830 Aus einer Entscheidung des BGH zur Reichweite der Beschützergarantenpflichten des Leitungsorgans des herrschenden Unternehmens in Bezug auf das Vermögen des abhängigen, wird ferner im Wege eines Erst-recht-Schlusses auf eine Begrenzung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Vorstandsmitgliedern einer Konzernholding geschlossen. Da der BGH die Vermögensbetreuungspflicht der Leitungsebene der Muttergesellschaft in sachlicher Hinsicht begrenzt hat,831 könne für eine bloße Überwachungsgarantenstellung für die Verhinderung von Straftaten durch Geschäftsführer oder nachgeordnete Mitarbeiter der Tochtergesellschaften nichts anderes gelten. Die Überwachergarantenstellung der Leitungsebene der Holdinggesellschaft sei daher ebenfalls sachlich zu begrenzen und eine umfassende Pflicht zur Verhinderung von Straftaten der Mitarbeiter von Tochtergesellschaften abzulehnen.832 Sofern die Garantenposition aus einem Autoritätsverhältnis abgeleitet werden soll, ist dem BGH zufolge der Schutzzweck der Autoritätsstellung entscheidend.833 Dieser wird maßgeblich durch die Normen bestimmt, die das zugrundeliegende Autoritätsverhältnis ausgestalten.834 Der Vorstand einer Konzernholding hat für die Verwirklichung der Konzernbelange zu sorgen. Der Zweck der Autori829 Vgl. insofern § 25a Abs. 1a KWG, der die besonderen Organisationspflichten für das Risikomanagement nach § 25a Abs. 1 KWG, den Geschäftsleitern des übergeordneten Unternehmens auferlegt. 830 Langkeit, in: FS Otto, 2007, S. 649 ff. (654). 831 BGH, NJW 2004, 2248 (2252); demnach sind Verfügungen, die in Übereinstimmung mit dem Vermögensinhaber erfolgen, grundsätzlich nicht pflichtwidrig; vgl. hierzu auch: Langkeit, in: FS Otto, 2007, S. 649 ff. (655). 832 Langkeit, in: FS Otto, 2007, S. 649 ff. (655). 833 BGHSt 43, 82 (84). 834 In BGHSt 43, 82 (84) hat das Gericht die Frage einer Garantenstellung von Strafvollzugsbeamten in Bezug auf eine Strafvereitelung durch Unterlassen anhand der Vorschriften der StPO, des GVG und des OWiG untersucht.

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tätsstellung bestehe daher nicht darin, Rechtsgüter Dritter vor Beeinträchtigungen durch Mitarbeiter von Tochterunternehmen zu schützen.835 Neben dem Schutzzweck der Autoritätsstellung zieht der BGH die dem Rechtverhältnis zugrundeliegenden Normen zur Bestimmung einer Garantenposition heran.836 Gemäß § 309 Abs. 1 AktG haben die gesetzlichen Vertreter des herrschenden Unternehmens bei der Erteilung von Weisungen gegenüber dem abhängigen Unternehmen die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsherrn anzuwenden. Der Vorstand der Holding haftet gem. § 309 Abs. 2 S. 1 AktG gesellschaftsrechtlich nur für pflichtwidrige Weisungen, nicht jedoch für Untätigkeit oder mangelhafte Leitung des Gesamtkonzerns.837 Nach Aktienrecht besteht daher keine Pflicht zur Erteilung von Weisungen. Um einen Wertungswiderspruch zu vermeiden und aufgrund der Ultima-ratio-Funktion des Strafrechts sei daher erst recht eine strafrechtliche Handlungspflicht abzulehnen.838 Schließlich spreche gegen eine strafrechtliche Garantenposition des Vorstands einer Konzernholding, dass sich nicht aus jeder öffentlich-rechtlichen Handlungspflicht eine strafrechtliche Garantenstellung ergebe.839 Entsprechendes habe auch für zivilrechtlich begründete Autoritätsstellungen zu gelten, gerade vor dem Hintergrund, dass § 309 AktG keine zivilrechtliche Handlungspflicht begründet.840 Auch im faktischen Konzern auf den § 309 AktG mangels Beherrschungsvertrags keine Anwendung findet, treffe den Vorstand des herrschenden Unternehmens keine Garantenstellung zur Unterbindung von Straftaten durch Geschäftsführer oder nachgeordnete Mitarbeiter der abhängigen Gesellschaften, da weder eine Konzernleitungspflicht noch ein formelles Weisungsrecht bestehen.841 Die gegen eine konzernweite Garantenstellung von Mitgliedern der Leitungsebene im herrschenden Unternehmen vorgebrachten Argumente lassen aber außer Acht, dass die Garantenpflicht nicht zwangsläufig auf eine Autoritätsstellung gestützt werden muss. Neben der Verantwortlichkeit für fremdes Verhalten kommen ebenso Verkehrssicherungspflichten aufgrund der Herrschaft über die „Gefahrenquelle Konzern“ in Betracht. Auch der Schluss, dass für eine Überwacherga835 Langkeit, in: FS Otto, 2007, S. 649 (655), der als Beispiele für die nicht vom Schutzzweck der Autoritätsstellung umfassten Rechtsgüter u. a. die durch §§ 331 ff. StGB geschützte Lauterkeit des öffentlichen Dienstes, das durch § 370 AO zu gewährleistende Steueraufkommen des Staates und die nach §§ 324 ff. StGB geschützten Umweltrechtsgüter nennt. 836 BGH, NJW 2000, 2754 (2755 f.); NJW 1997, 2059 (2059 ff.); vgl. dazu auch Langkeit, in: FS Otto, 2007, S. 649 ff. (655 f.). 837 Hüffer, AktG, § 309, Rn. 10; MüKo-AktG-Altmeppen, § 309, Rn. 46. 838 Langkeit, in: FS Otto, 2007, S. 649 ff. (656). 839 BGHSt 38, 388 (391); Rudolphi, Die Gleichstellungsproblematik der unechten Unterlassungsdelikte und der Gedanke der Ingerenz, 1966, S. 27 ff. 840 Langkeit, in: FS Otto, 2007, S. 649 ff. (656 f.). 841 Langkeit, in: FS Otto, 2007, S. 649 ff. (657).

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rantenstellung zwingend die sachlichen Begrenzungen einer Beschützergarantenstellung gelten müssen,842 überzeugt nicht. Beschützergaranten haben sich dem Schutz eines bestimmten Rechtsguts zu widmen, während ein Überwachergarant dem Schutz unbestimmt vieler Rechtsgüter vor der Beeinträchtigung durch die Gefahrenquelle verpflichtet ist. Die Pflicht, Straftaten von Mitarbeitern zu verhindern, muss daher nicht zwangsläufig den gleichen Beschränkungen, wie diejenige eines Beschützergaranten, unterliegen. Hinzu kommt, dass der das Konzernverhältnis regelnden gesellschaftsrechtlichen Vorgabe des § 309 AktG keine Ausschlusswirkung im Hinblick auf eine strafrechtliche Garantenstellung entnommen werden kann. Die Beschränkung der zivilrechtlichen Schadensersatzhaftung auf pflichtwidrige Weisungen steht der Annahme weiter reichender strafrechtlicher Handlungspflichten nicht entgegen. Gesellschaftsrecht und Strafrecht verfolgen unterschiedliche Zielsetzungen. Die Vorschrift des § 309 AktG regelt die zu beachtende Sorgfalt bei der Erteilung von Weisungen gegenüber abhängigen Gesellschaften. Dass für ein Unterlassen von Weisungen nicht gehaftet werden soll, mag für das Gesellschaftsrecht naheliegend sein, in strafrechtlicher Hinsicht ergeben sich dafür aber keine Anhaltspunkte. Vielmehr ist für das Strafrecht nach eigenständigen Kriterien und anhand des bezweckten Rechtsgüterschutzes zu entscheiden, welche Handlungspflichten den Leitungspersonen einer Konzernholding zukommen. Anhaltspunkte kann die Praxis im Ordnungswidrigkeitenrecht geben. Das Bundeskartellamt hat konzernweite Organisationspflichten des herrschenden Unternehmens zur Verhinderung von Kartellabsprachen durch abhängige Tochtergesellschaften bejaht. Da die tatsächliche Organisation des Konzerns derjenigen eines Betriebs entspreche, treffe die Muttergesellschaft gem. § 130 OWiG eine Aufsichtspflicht gegenüber ihren Tochterunternehmen.843 Nach Ansicht des Bundeskartellamts hat der Geschäftsführer der Holdinggesellschaft vorsätzlich mögliche und zumutbare Aufsichtsmaßnahmen unterlassen, um Verstöße gegen § 81 GWB bei den Tochtergesellschaften zu verhindern. Diese Pflichtverletzungen können der Konzernholding gem. § 130 OWiG zugerechnet werden. An diesem Befund des Bundeskartellamtes ändere die rechtliche Selbstständigkeit der Tochterunternehmen zumindest dann nichts, wenn die Muttergesellschaft steuernd Einfluss auf das operative Geschäft nimmt. Selbst bei dezentraler Konzernstruktur, in der die Holdinggesellschaft lediglich für die Finanzierung der abhängigen Gesellschaften zuständig ist, besteht nach Auffassung des Bundeskartellamtes eine derartige Organisationspflicht.844 Der EuGH hat sich der Sichtweise des Bundeskartellamtes angeschlos842

Vgl. Langkeit, in: FS Otto, 2007, S. 649 ff. (655). BKartA, Az. B1-200/06 vom 9.02.2009, abrufbar unter: ; zuletzt aufgerufen am 07.10.2012. 844 BKartA, Az. B1-200/06 vom 9.02.2009, Fn. 843; vgl. hierzu: Schneider, NZG 2009, 1321 (1324). 843

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sen und eine Pflicht der Holdinggesellschaft dafür zu sorgen, dass abhängige Tochterunternehmen keine Kartellabsprachen treffen, bestätigt.845 In konsequenter Fortführung dieses Gedankens müsste das herrschende Unternehmen bzw. seine Leitungsorgane für Rechtsverletzungen der Tochterunternehmen stets zur Verantwortung gezogen werden, wenn es an einer konzernweiten ComplianceOrganisation fehlt und die Rechtsverletzung sich darauf kausal zurückführen lässt.846 Nach dem DCGK kommt dem Vorstand die Pflicht zu, für die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen und der unternehmensinternen Richtlinien zu sorgen und auf deren Beachtung durch die Konzernunternehmen hinzuwirken.847 Viele Konzerne sind mittlerweile um Umsetzung dieser Forderung durch ComplianceVorgaben bemüht. So heißt es etwa in den Siemens Business Conduct Guidelines, „Das Management von Siemens fördert weltweit aktiv die flächendeckende Kommunikation der Business Conduct Guidelines und sorgt für ihre Implementierung. Die Einhaltung der Gesetze und die Beachtung der Business Conduct Guidelines sind in allen Gesellschaften des Konzerns weltweit regelmäßig zu kontrollieren. (. . .) Zur Durchführung des Siemens Compliance Programms im gesamten Unternehmen ist eine umfassende Compliance Organisation auf der Ebene der Siemens AG, ihrer Tochtergesellschaften sowie auf der Ebene der Sektoren und Divisionen eingesetzt.“ 848 Nach den Verhaltensgrundsätzen des Volkswagen Konzerns „wirkt [der Volkswagen Konzern; Anm. d. Verf.] auf die Einhaltung der Verhaltensgrundsätze bei den Konzernunternehmen [gemeint sind damit alle vollkonsolidierten Unternehmen des Volkswagen Konzerns; vgl. S. 21 der Verhaltensgrundsätze, Fn. 4; Anm. d. Verf.] unter Berücksichtigung der in den verschiedenen Ländern und Standorten geltenden Gesetze und kulturellen Besonderheiten hin. Die Unternehmen fördern aktiv die Verteilung und Kommunikation der Verhaltensgrundsätze und sorgen für eine wirksame Umsetzung, z. B. durch Schulung.“ 849 Im Aufsichtsrecht finden sich branchenspezifisch bereits konzernweit angelegte Compliance-Pflichten. Für das Kreditwesen legen die §§ 10a XII und 25a KWG fest, dass die Leitungsorgane des übergeordneten Unternehmens bei Institutsgruppen, Finanzholding-Gruppen und vergleichbaren Organisationsmodellen nach § 10a XIV KWG für die ordnungsgemäße Geschäftsorganisation der Institutsgruppe oder Finanzholding-Gruppe verantwortlich sind. Auch im Ausland ist die Tendenz zu einer Ausweitung von Compliance-Organisationspflichten in Konzernen erkennbar. So verurteilte das Schweizerische Bundesstrafgericht den 845 846 847 848 849

EuGH, CCZ 2009, 236 – Akzo Nobel NV/Kommission. Schneider, NZG 2009, 1321 (1324). DCGK, Fn. 13, Ziffer 4.1.3. Business Conduct Guidelines der Siemens AG, Fn. 84, S. 25. Verhaltensgrundsätze des Volkswagen Konzerns, Fn. 84, S. 21.

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Vorsitzenden der Konzernleitung, weil er es versäumt hatte, organisatorische Vorkehrungen zur Verhinderung von Verstößen gegen das deutsche Kriegswaffenkontrollgesetz zu treffen.850 Die Literatur spricht sich zum Teil für eine konzernweite Legalitätskontrolle aus, die ein konzernweites Berichtssystem, Controlling und eine konzernweite Revision beinhalten soll.851 In einer Entscheidung, in der es um Untreue der Konzernholding zulasten von Tochterunternehmen ging, hat der 2. Strafsenat des BGH eine konzernweite Vermögensbetreuungspflicht des Vorstands des herrschenden Unternehmens im Verhältnis zu den Tochtergesellschaften bejaht.852 Demnach besteht zumindest in Bezug auf das Vermögen eine Verantwortung des herrschenden Unternehmens gegenüber der abhängigen Gesellschaft. Dieses Rechtsgut kann unter bestimmten Umständen auch durch das Auslösen von Sanktionen aufgrund strafbaren Mitarbeiterverhaltens bedroht sein. Legt das herrschende Unternehmen fest, welche Maßnahmen zur Verhinderung derartiger Verhaltensweisen zu treffen sind, wie diese in den Konzernunternehmen umzusetzen sind bzw. versäumt es das, spricht dies dafür, der Konzernleitungsgesellschaft auch die Verantwortung für die Effektivität der Compliance-Maßnahmen zuzuschreiben bzw. ihre Leitungspersonen haften zu lassen, wenn keine Compliance-Organisation eingerichtet wird oder sich die getroffenen Compliance-Maßnahmen als unzureichend erweisen. Unter den gleichen Voraussetzungen wie bei konzernfreien Unternehmen, können fehlende oder mangelhafte Compliance-Vorkehrungen demnach eine Untreuehaftung der Konzernleitungsorgane begründen, wenn die Compliance-Organisation zentralisiert ist. Für die Frage allgemeiner strafrechtlicher Garantenverantwortlichkeit im Konzern sind ebenfalls die konzernspezifischen organisatorischen Gegebenheiten maßgeblich. Eine allgemeine gesellschaftsrechtliche Pflicht zur Implementierung von Compliance-Vorschriften besteht ebenso wenig wie im Falle konzernfreier Unternehmen. Die Garantenstellung von Leitungspersonal im Hinblick auf eine Unterbindung von Straftaten durch Mitglieder der Tochtergesellschaften wird maßgeblich durch die Branche, die nationale oder internationale Ausrichtung,853 das Risikopotenzial, verkörpert durch frühere Regelwidrigkeiten oder Anhaltspunkte für Straftaten, sowie vor allem durch die Organisationsstruktur innerhalb des Konzerns bestimmt. 850 Urteil des Bundesstrafgerichts vom 1. Februar 1996 i. S. Schweizerische Bundesanwaltschaft gegen F., G., M. und P. = BGE 122, 103 (128); abrufbar unter: ; vgl. dazu auch: Schneider, NZG 2009, 1321 (1324). 851 Vgl. Fleischer, CCZ 2008, 1 (4 f.). 852 BGH, NZG 2009, 1152. 853 Weiterführend zu den Strafbarkeitsrisiken für in Großbritannien tätige Unternehmen durch den UK Bribery Act vom April 2004: Fett/Theusinger, BB Spezial 4 (zu BB 2010, Heft 50), S. 6 ff.

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Wird den abhängigen Unternehmen die Möglichkeit genommen, selbst effektive Compliance-Systeme zu schaffen, folgt daraus, dass die verantwortliche Holding-Gesellschaft für eine fehlende oder mangelhafte Compliance-Organisation einzustehen hat. Kehrseite der Konzentration wesentlicher Compliance-Befugnisse bei der Konzernmutter ist deren Haftung für strafbares Mitarbeiterverhalten in Tochterunternehmen, sofern die übrigen Voraussetzungen vorliegen. Die zitierten Compliance-Passagen sind Ausdruck einer beim herrschenden Unternehmen zentralisierten Compliance-Organisation. Indem auch von den abhängigen Unternehmen Einhaltung und effektive Durchsetzung der ComplianceRegelungen der Konzernmuttergesellschaft gefordert werden und lediglich Modifizierungen hinsichtlich nationalstaatlicher bzw. kulturell bedingter Besonderheiten zugestanden werden, lassen sie den abhängigen Gesellschaften allenfalls geringfügigen Gestaltungsspielraum. Kann eine aus dem Tochterunternehmen heraus begangene Straftat auf eine fehlende oder fehlerhafte Compliance-Regelung zurückgeführt werden, wird die Verantwortung hierfür auch unter strafrechtlichen Gesichtspunkten beim herrschenden Unternehmen und seinen Leitungsorganen zu suchen sein. Ebenso wie das Strafbarkeitsrisiko des Vorstands einer Konzernleitungsgesellschaft steigt, ist im Falle der Einsetzung eines konzernweit zuständigen Compliance-Officers dessen Haftungsrisiko entsprechend erhöht. 7. Resumee Compliance-Regelungen wirken sich auf die Garantenstellung von Leitungspersonen in vielerlei Hinsicht aus. Fehlende Compliance-Vorkehrungen machen aus dem Unternehmen nicht bereits per se eine Gefahrenquelle, für die es im Rahmen der Geschäftsherrenhaftung einzustehen gilt. Umgekehrt ist ihre Existenz im Regelfall Indiz für ein ordnungsgemäß eingerichtetes und geführtes Unternehmen. Die Vernachlässigung von Compliance stellt grundsätzlich kein gefahrbegründendes Vorverhalten dar, das eine Garantenstellung aus Ingerenz begründen könnte. Eine gesetzliche Verpflichtung zur Einrichtung von ComplianceProgrammen besteht nicht und rechtmäßiges Vorverhalten genügt für die Begründung strafrechtlicher Verantwortung i. S. d. Ingerenz grundsätzlich nicht. Sofern keine gegenteiligen Anhaltspunkte vorliegen, wird allein durch fehlende oder unzureichende Compliance-Maßnahmen keine naheliegende Gefahr für Rechtsverletzungen geschaffen, was jedoch wesentliche Voraussetzung einer Garantenpflicht aus gefahrbegründendem Vorverhalten wäre. Für die Begründung der Geschäftsherrenhaftung spielen fehlende Compliance-Maßnahmen vor allem dann eine Rolle, wenn besondere Anhaltspunkte im Einzelfall die Gefahr von Rechtsverletzungen zu einer naheliegenden Gefahr machen. In diesen Fällen kann für die zuständigen Leitungspersonen eine Garantenstellung zur Überwachung der Gefahrenquelle Unternehmen bzw. aus Ingerenz gegeben sein.

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Mittelbar haftungsbegründende Wirkung kommt Compliance-Konzepten über das die Geschäftsherrenhaftung einschränkende Kriterium der Betriebsbezogenheit zu. Maßgeblich für die Bestimmung der Betriebsbezogenheit einer Gefahr bzw. einer Straftat durch Mitarbeiter als Verwirklichung derselben sind, dem BGH zufolge, die konkreten Umstände des jeweiligen Betriebs. Durch Compliance-Vorkehrungen lassen sich diese gestalten und das Gefahrenpotenzial im Unternehmen minimieren. Je umfassender und effektiver die Bemühungen um Compliance sind, umso eher stellt strafbares Mitarbeiterverhalten keine Realisierung der dem konkreten Unternehmen innewohnenden Gefahr dar. Indem sie aus einer konkreten betriebsbezogenen Gefahr eine allgemeine Gefahr machen, lassen Compliance-Regelungen die Betriebsbezogenheit der Straftat und damit eine wesentliche Voraussetzung der strafrechtlichen Inanspruchnahme der Leitungspersonen entfallen. Umgekehrt führt das Fehlen einer Compliance-Organisation dazu, dass es sich bei strafbarem Mitarbeiterverhalten um die Verwirklichung einer betriebstypischen Gefahr handelt und so der Bezug zum konkreten Unternehmen hergestellt wird. Wie bei der Begründung der Geschäftsherrenhaftung wirkt damit auch bei deren Einschränkungskriterium gerade das Fehlen von Compliance-Regelungen haftungsbegründend. Im Hinblick auf eine Garantenstellung aus tatsächlicher, freiwilliger Übernahme von Schutzpflichten ist zwischen Rechtsgutsverletzungen von Betriebsangehörigen und Außenstehenden zu differenzieren. Erstere betreffen v. a. Aspekte der Arbeitssicherheit. Compliance-Regelungen betonen die Eigenverantwortlichkeit der Mitarbeiter und stehen der Begründung eines Vertrauensverhältnisses, auf dessen Grundlage sich eine Garantenstellung der Leitungspersonen ergeben könnte, gerade entgegen. Sofern es sich um Außenstehende handelt, bietet sich eine Orientierung an der Rechtsprechung zur Garantenstellung bei vertraglichen Integritätsklauseln an, da Compliance-Regelungen die Umsetzung dieser vertraglichen Verpflichtungserklärungen darstellen. Stets erforderlich ist ein vertrauensbegründender Akt, der im Regelfall in der Aufnahme einer Klausel zur Einhaltung der eigenen Compliance-Regelungen in den Vertrag liegt und die Haftung grundsätzlich auf Rechtsgüter des Vertragspartners beschränkt. Bei der Aufteilung und Zuweisung von Verantwortungsbereichen ist zwischen horizontaler und vertikaler Pflichtendelegation zu differenzieren. Im Rahmen der horizontalen Delegation kommt es nach dem Modell abgestufter Verantwortung entscheidend auf die Definition der jeweiligen Aufgabe an. Compliance-Regelungen halten zur möglichst genauen Beschreibung und Abgrenzung der übertragenen Aufgaben an. Damit bergen sie für die mit ihrer Wahrnehmung betraute Person haftungsverschärfendes Risikopotenzial. Dem Delegierenden und anderen nicht zur Ausführung der jeweiligen Aufgabe Berufenen kommt hingegen eine Haftungserleichterung zugute. In Bezug auf vertikale Pflichtendelegation begünstigen Compliance-Regelungen die Anwendbarkeit des Vertrauensgrundsatzes und haben damit einen vergleichbaren Effekt, indem sie auf Leitungsebene

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haftungserleichternd, auf nachgeordneten Hierarchiestufen hingegen haftungsschärfend wirken. Die Pflicht, betriebsbezogene Straftaten zu verhindern, ist grundsätzlich auf den Compliance-Beauftragten übertragbar. Bei der Unternehmensleitung verbleibt dennoch ein gewisser Haftungsrest, in Form der Verantwortung für existenzielle, das Unternehmen als Ganzes betreffende Risiken sowie eine Aufsichtspflicht gegenüber gleichgeordneten Mitgliedern der Unternehmensleitung und dem Compliance-Beauftragten. Eine völlige Haftungsfreizeichnung der Leitungspersonen findet nicht statt. Die Existenz von Compliance-Regelungen führt somit v. a. auf der Leitungsebene zu Haftungserleichterungen. Eine Haftungsverschärfung kann regelmäßig nur das Fehlen von Compliance-Vorkehrungen bewirken, indem strafrechtliche Verantwortlichkeit aufgrund von Garantenpflichten begründet wird. Im Hinblick auf nachgeordnete Mitarbeiter haben Compliance-Regelungen die Tendenz das Haftungsrisiko zu verschärfen. Im Konzern hängt das Strafbarkeitsrisiko entscheidend von der internen Organisationsstruktur ab. Werden wesentliche Befugnisse zur Einrichtung, Ausgestaltung und Durchsetzung beim herrschenden Unternehmen konzentriert, haben seine Leitungspersonen im Gegenzug auch für strafbares Mitarbeiterverhalten in abhängigen Unternehmen einzustehen, wenn dieses auf fehlende oder fehlerhafte Compliance-Regelungen zurückzuführen ist und die übrigen Voraussetzungen eines besonderen branchenspezifischen oder unternehmenstypischen Risikopotenzials erfüllt sind. Neben den Leitungspersonen des herrschenden Unternehmens trifft das Strafbarkeitsrisiko gegebenenfalls auch einen mit konzernweiter Verantwortung betrauten Compliance-Beauftragten.

III. Garantenstellung sonstiger Unternehmensangehöriger Für Unternehmensangehörige, denen weder Personalverantwortung noch eine sonstige hervorgehobene Stellung im Betrieb zukommt, könnten sich aus Compliance-Regelungen selbst Garantenpflichten ergeben. Insbesondere die durch Compliance-Systeme vorgesehene Möglichkeit, Verdachtsmomente oder Verstöße zu melden, kommt für die Begründung einer Garantenstellung in Betracht. Wird einem Mitarbeiter eine Straftat oder der Verdacht einer Straftat bekannt, nutzt er die vorhandenen Einrichtungen zur Meldung von Compliance- und Gesetzesverstößen aber nicht und bleibt untätig, wäre über den Katalog des § 138 StGB hinaus, zumindest eine Beihilfe durch Unterlassen denkbar, wenn dadurch Schäden an Rechtsgütern des Unternehmens oder bei Dritten entstehen. Da ein Beihilfebeitrag zumindest bis zur Vollendung der Tat, nach st. Rspr. und Teilen der Literatur sogar noch bis zur Beendi-

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4. Kap.: Strafbarkeitsbegründende Wirkung

gung,854 geleistet werden kann, ist es grundsätzlich auch unschädlich, dass das Vorliegen von Verdachtsmomenten notwendig schon eine gewisse Vorarbeit des Täters voraussetzt. Zumindest so lange das Unterlassen noch einen Beitrag zu tatbestandsmäßigem Handeln des Täters leisten kann, bei Dauerdelikten der rechtswidrige Zustand noch andauert oder bei Absichtsdelikten die jeweilige Absicht noch nicht verwirklicht ist, kommt eine Beihilfestrafbarkeit in Betracht.855 Anhaltspunkte für die Beurteilung ergeben sich dabei aus der Parallelproblematik einer Verletzung der Anzeigepflicht gem. § 17 Abs. 1 Nr. 7 GwG. Die vorsätzliche oder leichtfertige Verletzung der Meldepflicht für Verdachtsmomente im Zusammenhang mit Geldwäsche oder Terrorismus wird in § 17 Abs. 1 Nr. 7 GwG als Ordnungswidrigkeit geahndet. Diskutiert wird, ob sich der zur Anzeige von Verdachtsmomenten Verpflichtete darüberhinaus nach §§ 261 Abs. 1 oder Abs. 2, 13 StGB strafbar macht, wenn er die Anzeige unterlässt und dadurch Geldwäsche fördert. Eine Garantenstellung könnte sich insofern aus der Pflicht zur Meldung von Verdachtsfällen nach § 11 GwG ergeben. Diesbezüglich wird zum Teil eine Garantenstellung sämtlicher Bankmitarbeiter befürwortet.856 Andere lehnen dies ab.857 Nach vermittelnder Ansicht soll nur die Positionen eine Garantenpflicht treffen, die auf den Geschehensablauf Einfluss nehmen können, wie den Vorstand und den „Geldwäschebeauftragten“ eines Kreditinstituts,858 oder zumindest Vorgesetzte.859 Gegen die strafrechtliche Verantwortlichkeit sämtlicher Mitarbeiter spricht die stark arbeitsteilige und hierarchische Organisation, so dass es maßgeblich auf die Entscheidungsbefugnis ankommen soll.860 Der dem zugrunde liegende Gedanke lässt sich auf Unternehmen anderer Branchen und die Anzeigepflicht nach Hinweisgebersystemen übertragen. Eine Garantenstellung kann zunächst für diejenigen Betriebsangehörigen bejaht werden, denen aufgrund ihrer Position eigenverantwortliche Entscheidungskompetenz über die Weitergabe von Anzeigen zukommt. Die Einführung von Hinweisgebersystemen weitet diesen Adressatenkreis allerdings erheblich aus. So werden sämtliche Mitarbeiter zur Meldung von Verdachtsmomenten aufgefordert und es ihnen dadurch ermöglicht, auf den Geschehensablauf Einfluss zu nehmen. 854

Vgl. nur: BGHSt 6, 248 (251); BGH, NJW 1985, 814; NStZ 2007, 35 (36); Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 31, Rn. 25 f.; Jescheck/Weigend, AT, § 64 III 2 b; Krey, AT/ 2, Rn. 306; Wessels/Beulke, AT, Rn. 583; einschränkend auf den Zeitraum bis zur Vollendung der Haupttat: Brüning, NStZ 2006, 253 (254 ff.); MüKo-Schmitz, § 242, Rn. 163; Roxin, AT/II, § 26, Rn. 259. 855 Vgl. Fischer, StGB, § 27, Rn. 6 ff. 856 Lackner/Kühl, § 261, Rn. 7 m.w. N. 857 Herzog/Mülhausen-Nestler, GwHdb § 17, Rn. 50. 858 Leip, Der Straftatbestand der Geldwäsche, 1991, S. 139; MüKo-Neuheuser, § 261, Rn. 88 m.w. N. 859 Körner/Dach, Geldwäsche, 1994, S. 33, Rn. 59. 860 Achenbach/Ransiek-Löwe-Krahl, 13. Teil, Rn. 78.

§ 3 Garantenstellung bei unechten Unterlassungsdelikten

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Zwar hat die Mehrzahl der angesprochenen Mitarbeiter nicht bereits kraft ihrer beruflichen Stellung eine Entscheidungsbefugnis. Jedoch könnte dies durch die Ausgestaltung als anonyme Hinweisgebersysteme kompensiert werden. Die strafrechtliche Verantwortlichkeit auf die Leitungsebene von Unternehmen zu beschränken, wenn für nachgeordnete Mitarbeiter eine effektive und gefahrlose Meldung von Verdachtsmomenten und die Verhinderung von Rechtsgutsverletzungen möglich sind, erscheint kaum nachvollziehbar. Zumindest über eine Strafbarkeit wegen Beihilfe durch Unterlassen wäre nachzudenken, wenngleich die Nachweisschwierigkeiten einer solchen in der Praxis nicht zu unterschätzen sein dürften. Im Einzelfall wird eine Strafbarkeit nach § 13 StGB davon abhängen, ob begründete Anhaltspunkte für einen Verdacht vorlagen, wie wahrscheinlich eine Realisierung der Gefahr für das geschützte Rechtsgut war und ob von einer effektiven Abwendung der Gefahr durch rechtzeitiges Einschreiten der zuständigen Stellen ausgegangen werden konnte. Hinsichtlich der Zumutbarkeit der Erfolgsabwendung861 sind mögliche arbeitsrechtliche Sanktionen oder andere Repressalien zu beachten, die dazu führen könnten, dass von dem betroffenen Angestellten oder Arbeiter ein Tätigwerden rechtlich nicht gefordert werden kann. Die Kriterien anhand derer die Zumutbarkeit festzustellen ist, sind neben sozialer Stellung und Fähigkeiten des Garanten, Nähe und Schwere der Gefahr sowie die Bedeutung des gefährdeten Rechtsguts.862 Unzumutbar ist eine Handlung, die zu einer Gefährdung eigener billigenswerter Interessen des Garanten in erheblichem Umfang führen würde, wobei drohender Erfolg, Wahrscheinlichkeit einer Rettung durch pflichtgemäßes Verhalten und die Bedeutung der betroffenen Garanteninteressen gegeneinander abzuwägen sind. Bei geringen Rettungschancen ist eine gravierende Selbstgefährdung oder gar -schädigung regelmäßig nicht zumutbar.863 Auf Seiten des Mitarbeiters ist an das Interesse am Erhalt seines Arbeitsplatzes sowie der Vermeidung einer negativen Beeinflussung des Betriebsklimas und seiner Beziehung zu Kollegen und Vorgesetzten zu denken. Dem stehen die Verletzung von Rechtsgütern des Unternehmens, der Allgemeinheit oder außenstehende Dritter gegenüber. Für die Wahrscheinlichkeit, dass die Erfüllung seiner Handlungspflicht in einer Abwendung des drohenden Erfolges wirksam wird, kommt es auf die Effektivität der Compliance-Einrichtungen und die praktizierte Unternehmenskultur an. Zu berücksichtigen ist im Rahmen der Abwägung aber auch, dass die Meldung von Verdachtsmomenten in der Regel auch anonym erfolgen kann, etwa über das 861 Während die Rechtsprechung darin einen allgemeinen Schuldausschließungsgrund sieht (Beschl. des GSSt v. 17.2.1954 in NJW 1954, 766 (768)), erscheint die Ansicht der Literatur überzeugender, die einer Unzumutbarkeit der Erfolgsabwendung bereits tatbestandsausschließende Wirkung beimisst. Vgl. hierzu mit überzeugender Begründung: Fischer, StGB, § 13, Rn. 44; LK-Weigend, § 13, Rn. 68. 862 BGHSt 4, 20 (23); BGH, NStZ 1984, 164. 863 BGHSt 11, 353 (356); BGH, NJW 1994, 1357.

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4. Kap.: Strafbarkeitsbegründende Wirkung

Intranet des Unternehmens oder sog. Compliance Helpdesks, von anonymen telefonischen Compliance-Hotlines ganz zu schweigen.864 Darüberhinaus verpflichtet sich etwa Bayer dazu, „sicher[zu]stellen, dass kein Mitarbeiter aufgrund einer gutgläubigen Anzeigenerstattung auf irgendeine Weise benachteiligt wird“ und „Soweit der Anzeigeerstatter selbst an Verstößen gegen diese Corporate Compliance Policy mitgewirkt hat (. . .) bei eventuellen Maßnahmen gegen den Anzeigeerstatter [zu] berücksichtigen, ob durch die Anzeige oder eine rechtzeitige Mitwirkung bei der Aufklärung von Verstößen Schaden vom Unternehmen abgewendet werden konnte.“ 865 Die Siemens AG stellt in diesem Zusammenhang klar, dass „Repressalien gegen Beschwerdeführer, gleich welcher Art, (. . .) nicht toleriert“ werden.866 Bezüglich der Umsetzung ihrer Verhaltensgrundsätze durch die Konzernunternehmen heißt es bei der Volkswagen AG: „Sie [Die Konzernunternehmen, Anm. d. Verf.] tragen bei der Umsetzung dafür Sorge, dass keinem Mitarbeiter aus der Einhaltung der Verhaltensgrundsätze ein Nachteil erwächst und auf Verstöße gegen die Verhaltensgrundsätze angemessen reagiert wird.“ 867 Angesichts dieser Ausganglage, scheint das Gefährdungspotenzial für möglicherweise bedrohte Mitarbeiterinteressen verhältnismäßig gering. Im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung dürfte die Entscheidung daher im Regelfall zugunsten der Zumutbarkeit der Erfolgsabwendung ausfallen. Die Implementierung von anonymen Hinweisgebersystemen in Verbindung mit einem effektiv umgesetzten Compliance-Konzept kann für Mitarbeiter die Verdachtsmomente im Hinblick auf strafbares Verhalten anderer nicht melden, somit eine Garantenstellung begründen. In Betracht kommt in erster Linie strafbare Beihilfe durch Unterlassen. Die praktische Relevanz und Realisierung dieses Strafbarkeitsrisikos wird sich aufgrund der Nachweisschwierigkeiten, insbesondere in Bezug auf den Gehilfenvorsatz, allerdings in Grenzen halten.

§ 4 Sorgfaltspflichten Im Rahmen der Fahrlässigkeitsstrafbarkeit stellen objektive Voraussehbarkeit des tatbestandlichen Erfolges sowie Maßstab und Inhalt der anzuwendenden Sorgfalt die wesentlichen Anknüpfungspunkte für eine strafbarkeitsbegründende Einflussnahme von Compliance-Regelungen dar.868 Fahrlässig handelt, wer die 864 Vgl. die Auflistung möglicher Kommunikationskanäle in der Corporate Compliance Policy der Bayer AG, Fn. 84, S. 26; in den Business Conduct Guidelines der Siemens AG, Fn. 84, S. 26; in den Verhaltensgrundsätzen des Volkswagen Konzerns, Fn. 84, S. 22. 865 Corporate Compliance Policy der Bayer AG, Fn. 84, S. 24. 866 Business Conduct Guidelines der Siemens AG, Fn. 84, S. 24. 867 Verhaltensgrundsätze des Volkswagen Konzerns, Fn. 84, S. 21. 868 Die Frage, ob diese Elemente innerhalb des Tatbestandes getrennt oder einheitlich unter dem Prüfungspunkt der Sorgfaltspflichtverletzung zu erörtern sind, braucht vor-

§ 4 Sorgfaltspflichten

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im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt.869 Art und Maß der anzuwendenden Sorgfalt ergeben sich aus den Anforderungen, die bei objektiver Betrachtung der Gefahrenlage ex ante an einen besonnenen und gewissenhaften Menschen in der konkreten Lage und sozialen Rolle des Handelnden zu stellen sind.870 Inhalt der Sorgfaltspflicht ist es, aus dem konkreten Verhalten erwachsende Gefahren für das geschützte Rechtsgut zu erkennen und sich darauf richtig einzustellen.871 Compliance-Regelungen identifizieren unternehmenstypische Gefahrenlagen und legen in standardisierender Weise Verhaltensvorgaben fest. Für die Beeinflussung von Maßstab und Inhalt strafrechtlicher Sorgfaltspflichten sind sie damit geradezu prädestiniert. Bei der Bestimmung der einzuhaltenden Sorgfaltspflicht ist auch die Voraussehbarkeit des tatbestandlichen Erfolges zu berücksichtigen.872 Voraussehbarkeit ist gegeben, wenn ein umsichtig handelnder Mensch aus dem Verkehrskreis des Täters den Erfolgseintritt unter den jeweils gegebenen Umständen aufgrund der allgemeinen Lebenserfahrung in Rechnung stellen würde.873 Übereinstimmend erfordern demnach sowohl Sorgfaltspflichtverletzung als auch Vorhersehbarkeit der Erfolgsverwirklichung eine Orientierung am Verkehrskreis, dem der Täter entstammt, sowie die Berücksichtigung der konkreten Umstände. Die allgemeine Lebenserfahrung, die als Grundlage der Voraussehbarkeit des Erfolges herangezogen wird, findet sich wieder im Kriterium der objektiven ex-ante Betrachtung der Gefahrenlage aus Sicht eines besonnenen und gewissenhaften Menschen. Mit ihren standardisierten Verhaltensvorgaben für unternehmensspezifische Gefährdungslagen und homogene Adressatenkreise sind Compliance-Vorschriften damit sowohl für die Bestimmung der Sorgfaltspflichtverletzung als auch für die Frage der Vorhersehbarkeit des tatbestandlichen Erfolges von Bedeutung.

liegend nicht entschieden zu werden. Damit bedarf es für die hier vorzunehmende Untersuchung auch keiner gesonderten Betrachtung bzgl. der von Schroeder vertretenen Auffassung, einer Definition von Sorgfaltspflichten bedürfe es nicht, da allein die Erkennbarkeit der Tatbestandsverwirklichung maßgeblich sei, vgl. Schroeder, JZ 1989, 776 (insb. 779). Ebenso kann dem Ansatz Roxins Rechnung getragen werden, der den Tatbestand der fahrlässigen Delikte nach der Lehre von der objektiven Zurechnung ausfüllen will, dabei aber die von Rechtsprechung und Lehre zur Feststellung der Sorgfaltswidrigkeit entwickelten Grundsätze als maßgeblich erachtet, vgl. Roxin, AT/I, § 24, Rn. 10 ff. 869 Zur Geltung dieser zivilrechtlichen Formel als Grundnorm des objektiven Fahrlässigkeitsmaßstabs auch im Strafrecht, vgl. Jescheck/Weigend, AT, § 55 I 1 m.w. N. 870 BHG, NStZ 2003, 657 (658); 2005, 446 (447); Jäger, AT, Rn. 374; Wessels/Beulke, AT, Rn. 668 f. 871 Wessels/Beulke, AT, Rn. 668. 872 Vgl.: BeckOK-Kudlich, § 15, Rn. 56; Fischer, StGB, § 15, Rn. 17; Roxin, AT/I, § 24, Rn. 13; S/S-Sternberg-Lieben, § 15, Rn. 125; Wessels/Beulke, AT, Rn. 667; kritisch hierzu: MüKo-Duttge, § 15, Rn. 109. 873 Wessels/Beulke, AT, Rn. 667a.

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4. Kap.: Strafbarkeitsbegründende Wirkung

I. Maßstab und Inhalt von Sorgfaltspflichten874 1. Beeinflussung des Sorgfaltsmaßstabs durch Compliance-Regelungen Im Rahmen der Bestimmung des Sorgfaltsmaßstabes stehen sich im Wesentlichen zwei Ansätze gegenüber. Nach herrschender Ansicht erfolgt die Festlegung des Sorgfaltsmaßstabes anhand objektiver Kriterien.875 Begründet wird dies mit der generalpräventiven Zwecksetzung und der intendierten Internalisierung strafrechtlicher Verhaltensnormen sowie mit dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz.876 Art und Maß der anzuwendenden Sorgfalt richten sich demzufolge nach den Anforderungen, die bei ex-ante-Betrachtung der Gefahrenlage an einen besonnenen und gewissenhaften Menschen in der konkreten Lage und sozialen Rolle des Handelnden zu stellen sind.877 Compliance-Regelungen standardisieren Verhaltensweisen und bewirken als Sondernormen eine Modifizierung der Anforderungen, die im Rahmen bestimmter Verkehrskreise und sozialer Positionen an sorgfaltsgerechtes Verhalten gestellt werden. Da es auf den Verkehrskreis ankommt, dem der Täter angehört, können neben anstellungsvertraglichen Vorgaben auch entsprechende Compliance-Regelungen herangezogen werden um das Maß der einzuhaltenden Pflicht festzulegen. Demgegenüber finden sich insbesondere im Wirtschaftsstrafrecht Stimmen, die den Sorgfaltsmaßstab allein nach individuellen Kriterien bestimmen wollen.878 So verschieden diese Ansätze auf den ersten Blick auch erscheinen mögen, unterscheiden sie sich hinsichtlich der gefundenen Ergebnisse doch erstaunlich wenig.879 Während der Täter bei unterdurchschnittlichen Fähigkeiten nach der erstgenannten Ansicht mangels Vorwerfbarkeit der Tatbestandsverwirklichung schuldlos ist, entfällt nach der individualisierenden Ansicht der Tatbestand. Unterdurchschnittliche Fähigkeiten führen somit nach beiden Ansätzen zum Ausschluss der Strafbarkeit. Unterdurchschnittliche Fähigkeiten oder Kenntnisse des Täters werden damit entweder bereits bei der Maßstabsbildung oder bei der Frage der Vorwerfbarkeit der Pflichtverletzung relevant. Die Bedeutung für die Praxis hält sich jedoch in Grenzen. Die Rechtsprechung schließt nicht selten von der objektiven auf die 874 Auf die Bedeutung von Compliance-Richtlinien für Fahrlässigkeitsmaßstäbe hinweisend bereits Sieber, in: FS Tiedemann, 2008, S. 449 ff. (462). 875 Herzberg, Jura 1984, 402 (406 ff.); Jescheck/Weigend, AT, § 54 I 3; Kühl, § 17, Rn. 14 ff., 22 ff.; Wessels/Beulke, AT, Rn. 667 ff.; S/S-Sternberg-Lieben, § 15, Rn. 118. 876 Jescheck, ZStW 98 (1986), 1 (14); LK-Schröder, § 16, Rn. 46. 877 Wessels/Beulke, AT, Rn. 667a. 878 Speziell für das Wirtschaftsstrafrecht: Mansdörfer, Wirtschaftsstrafrecht, 2011, Rn. 697; Kraatz, JR 2009, 182 (186); allgemein für einen individualisierten Sorgfaltsmaßstab bereits im Rahmen des Tatbestandes: Otto, Band I, § 10, Rn. 14 ff.; Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 15, Rn. 14 f. 879 Vgl. auch: Roxin, AT/I, § 24, Rn. 56.

§ 4 Sorgfaltspflichten

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subjektive Fahrlässigkeit bzw. knüpft an den Vorwurf der Übernahmefahrlässigkeit an.880 Die Literatur hat Fallgruppen entwickelt, anhand derer die Reichweite des Einwands unterdurchschnittlicher Fähigkeiten oder Kenntnisse gemessen wird. Die Kategorisierung subjektiven Unvermögens erfolgt z. T. nach altersbedingten, körperlichen, psychischen oder intellektuellen Aspekten, Wissens- oder Erfahrungslücken881 sowie mittels der Unterscheidung zwischen wandelbaren und unwandelbaren Eigenschaften.882 Nach anderer Ansicht sollen nur Funktionsdefizite der Sinnesorgane in die Beurteilung einbezogen werden.883 Im Rahmen der Kategorien körperlicher Mängel und Verstandesfehler, mangelhafter intellektueller Begabung oder Senilität kommt Compliance-Regelungen keine Bedeutung zu. Jedoch können sie fehlendem Wissen oder mangelhafter Erfahrung entgegenwirken und einen auf diese Fallgruppe gestützten Einwand subjektiven Unvermögens entkräften. Auch den in der Rechtsprechung gängigen Schluss von objektiver auf subjektive Fahrlässigkeit,884 vermag die Existenz selbstgesetzter und selbstverpflichtend anerkannter Sorgfaltspflichten zu begünstigen. Ebenso wird der Vorwurf der Übernahmefahrlässigkeit umso weniger leicht zu entkräften sein, je schwerer das Vorverschulden wiegt und sich nicht zuletzt auch aus einem Verstoß gegen interne Compliance-Vorgaben ableiten lässt. Bei überdurchschnittlichem Leistungsvermögen stellt sich die Frage, ob Sonderwissen oder Sonderfähigkeiten bereits im Rahmen des Tatbestandes Berücksichtigung finden. Nach dem individualisierenden Ansatz885 ist dies zu bejahen, wobei jedoch der Gesichtspunkt des erlaubten Risikos und insbesondere der Vertrauensgrundsatz für ein gewisses Maß an Relativierung sorgen.886 Auch die Vertreter der objektivierenden Sichtweise berücksichtigen Sonderwissen und Sonderfähigkeiten zum Teil bereits auf Ebene des Tatbestandes.887 Eine Privilegierung sei nicht zu rechtfertigen, weil sich Pflichten insbesondere im professionellen Bereich auch außerhalb dieses Bereichs fortsetzen.888 Personen mit überdurchschnittlichem Wissen oder Fähigkeiten müssten sich an einem entsprechend höheren Maßstab messen lassen, mag dies ausdrücklich mit der besonderen (straf-)

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Vgl. LK-Vogel, § 15, Rn. 156, 303 ff., m.w. N. Jescheck/Weigend, AT, § 57 II 2. 882 So etwa: LK-Schroeder, 11. Auflage, § 16, Rn. 179. 883 Wolter, GA 1977, 257 (269). 884 Vgl. dazu: Volk, GA 1973, 161 (169, Fn. 63). 885 Eine rein individuelle Festlegung der Sorgfaltsanforderungen befürworten u. a.: MüKo-Duttge, § 15, Rn. 95 ff.; SK-Hoyer, Anh. zu § 16, Rn. 18. 886 Vgl. Roxin, AT/I, § 24, Rn. 56. 887 S/S-Sternberg-Lieben, § 15, Rn. 138 f. m.w. N. Vgl. auch: Roxin, AT/I, § 24, Rn. 61 f.: Da Sonderwissen vorsatzbegründend wirken kann, könne für die Fahrlässigkeit insofern nichts anderes gelten und Sonderfähigkeiten seien entsprechend zu behandeln. 888 Vgl. Deutsch, NJW 1976, 2289 (2293). 881

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4. Kap.: Strafbarkeitsbegründende Wirkung

rechtlichen Verantwortung des Einzelnen begründet werden oder mittelbar im Wege einer entsprechenden Vergleichsgruppenbildung erfolgen.889 Nach anderer Ansicht ist ein rein objektiver Maßstab vorziehungswürdig. Allein damit könne das vertypte Unrecht objektiv-generell bestimmt werden, so dass der Strafzweck der Generalprävention im Wege der Internalisierung von Rechtsnormen optimal erreicht werde.890 Anderenfalls drohten kriminalpolitisch unerwünschte Effekte, da Fortbildungsmaßnahmen zum Erwerb besonderer Fähigkeiten oder Kenntnisse bestraft würden.891 Eine weitere vermittelnde Ansicht differenziert daher zwischen Sonderwissen, das belastend berücksichtigt werden soll und Sonderfähigkeiten, die außerhalb der professionellen Rolle keine Wirkung entfalten.892 Insbesondere das Argument, dass sich professionelle Pflichten auch im außerberuflichen Bereich fortsetzen, überzeugt und spricht für die Berücksichtigung von Sonderfähigkeiten auf Tatbestandsebene. Da Sonderfähigkeiten und Sonderwissen oft in Zusammenhang stehen werden, würde eine differenzierende Lösung insofern zusätzliche Abgrenzungsprobleme aufwerfen, so dass für die hier zu untersuchende Fragestellung daher dem zweistufigen Ansatz gefolgt werden soll. Deren „doppelter Maßstab“ 893 ist für die Frage der Tatbestandsmäßigkeit grundsätzlich objektiv zu bestimmen und berücksichtigt nur Sonderkenntnisse und -fähigkeiten bereits auf Tatbestandsebene, während die Schuldfrage sich an der individuellen Erkenntnis- und Einsichtsfähigkeit des Täters orientiert.894 Im Wirtschaftsstrafrecht wirkt sich der doppelte Maßstab v. a. für die Personengruppen haftungsbegründend aus, die aufgrund ihrer Stellung im Unternehmen oder ihrer Aufgabenbereiche Sonderkenntnisse für sich in Anspruch nehmen. ComplianceRegelungen spielen hierbei insofern eine Rolle als sie durch ihre zunehmende Verbreitung dazu beitragen, dass zuvor als Sonderwissen bzw. Sonderfähigkeiten zu wertende Eigenschaften zu Allgemeingut werden und dadurch für eine Anhebung des Anforderungsprofils an die im Verkehr zu beachtende Sorgfalt sorgen. 889

Vgl. Laue, JA 2000, 666 (669); Roxin, AT/I, § 24, Rn. 54, 56. Wolter, GA 1977, 257 (265); auch die Problematik einer Notwehr gegen rechtswidrige, fahrlässige Angriffe könne mit der Objektivierung des Maßstabs besser gelöst werden, vgl. Hirsch, ZStW 94 (1982), 239 (270 f.); zudem werde selbst der subjektivierende Ansatz der Gegenmeinung im Wege der Übernahmefahrlässigkeit objektiviert, vgl. Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 15, Rn. 22. 891 Burgstaller, Das Fahrlässigkeitsdelikt im Strafrecht, 1974, S. 66; Frisch, Das Fahrlässigkeitsdelikt und das Verhalten des Verletzten, 1973, S. 80, 94; a. A.: LK-Vogel, § 15, Rn. 163; ihm zufolge ist sowohl zufällig als auch frei erworbenes Sonderwissen in die Maßstabsbildung einzubeziehen. 892 Kaminski, Der objektive Maßstab im Tatbestand des Fahrlässigkeitsdelikts, 1992, S. 86 ff. 893 LK-Vogel, § 15, Rn. 155. 894 Jescheck/Weigend, AT, § 54 I 3; § 55 I 2; Roxin, AT/I, § 24, Rn. 54, Fn. 80 m.w. N.; Rn. 61. 890

§ 4 Sorgfaltspflichten

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Dieser Effekt beruht aber nicht nur auf der Berücksichtigung besonderer Kenntnisse und Fähigkeiten auf Tatbestandsebene sondern ergibt sich bereits aufgrund der allgemeinen Definition des Sorgfaltsmaßstabs mittels Feststellung der Durchschnittsanforderungen im jeweiligen Verkehrskreis. Die Bestimmung der rechtlich erforderlichen Sorgfalt im Verkehr orientiert sich an der tatsächlich aufgewandten Sorgfalt in der Unternehmenswirklichkeit. Maß der Sorgfalt und Umsetzung in der Praxis bedingen sich gegenseitig. Die Tendenz in ComplianceVorschriften strengere Anforderungen als rechtlich gefordert aufzustellen, um auch in Zweifelsfällen auf der sicheren Seite zu sein, bewirkt im Ergebnis eine Anhebung der Sorgfaltsanforderungen auch auf rechtlicher Seite.895 ComplianceRegelungen sind oft so ausgestaltet, dass sie die an die Mitarbeiter zu stellenden Sorgfaltsanforderungen über das bloße „verkehrsübliche Maß“ hinaus erhöhen. So fordert Siemens in Bezug auf die Sicherheit am Arbeitsplatz, dass jeder Einzelne Siemens in seinem Bemühen um sichere Arbeitsbedingungen unterstützen müsse, wobei die „Verantwortung gegenüber Mitarbeitern und Kollegen (. . .) die bestmögliche Vorsorge gegen Unfallgefahren“ gebietet und neben der technischen Planung der Arbeitsstätte und Prozessabläufe, das Sicherheitsmanagement und das persönliche Verhalten im Arbeitsalltag erfasse und jeder Mitarbeiter der Arbeitssicherheit seine ständige Aufmerksamkeit zu widmen habe.896 Auch Bayer ermahnt die Mitarbeiter, dass Sorgfalt „beim Umgang mit Gefährdungsquellen in besonderer Weise erforderlich“ sei und fordert „alle Sicherheitsvorschriften im eigenen Arbeitsbereich konsequent mit aller notwendigen Sorgfalt anzuwenden.“ 897 Sowohl im Rahmen der Ausgestaltung bestehender Sondernormen als auch bei Heranziehung als eigenständige standardsetzende Verhaltensvorgabe bewirken Compliance-Regelungen durch die Formulierung strenger Sorgfaltsanforderungen eine Anhebung des Haftungsrisikos. Durch die Anhebung der Sorgfaltsanforderungen wird der Fahrlässigkeitsmaßstab insgesamt verschärft und erhöht das Strafbarkeitsrisiko für alle Angehörigen der Vergleichsgruppe. Insbesondere branchenweite Compliance-Konzepte können zum allgemeinen Sorgfaltsstandard werden.898 Aber auch bei unternehmensspezifischen Compliance-Regelungen besteht die Gefahr einer Erhöhung des Haftungsrisikos, wenn der maßgebliche Verkehrskreis auf Mitarbeiter des jeweiligen Betriebs beschränkt wird oder wenn das durch Compliance-Vorschriften vermittelte Sonderwissen zur Begründung gesteigerter Sorgfaltsanforderungen herangezogen wird.

895 Vgl. zu diesem Zusammenhang auch: Kuhlen, in: Maschmann (Hrsg.): Corporate Compliance und Arbeitsrecht, 2009, S. 11 ff. (25 f.). 896 Business Conduct Guidelines der Siemens AG, Fn. 84, S. 22. 897 Corporate Compliance Policy der Bayer AG, Fn. 84, S. 13. 898 Vgl.: „EMB Wertemanagement Bau“ des Bayerischen Bauindustrieverbands e. V., Fn. 85.

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4. Kap.: Strafbarkeitsbegründende Wirkung

2. Orientierung an Sondernormen zur Festlegung des Sorgfaltsmaßstabs Auch wenn sich die einzuhaltende Sorgfalt nach einem doppelten Maßstab bestimmt und die Durchschnittsanforderungen durch die Berücksichtigung von Sonderwissen und Sonderfähigkeiten zu einer individuellen Sorgfaltspflicht modifiziert werden können, bleibt Ausgangspunkt der Betrachtung stets der im Allgemeinen geltende Sorgfaltsmaßstab. Grundsätzlich gelten die Durchschnittsanforderungen, die an eine Person in einer bestimmten Lebenssituation und einer dem Leistungsvermögen des Täters entsprechenden Kategorie zu stellen sind. Diese Anforderungen orientieren sich an Verhaltensregeln, die in verallgemeinernder Weise Gefahrprognosen umsetzen, insbesondere an gesetzlichen Vorschriften oder außergesetzlichen Verkehrsnormen.899 a) Bedeutung von Sondernormen im Wirtschaftsstrafrecht Im Wirtschaftsstrafrecht spielen Sondernormen im Rahmen der Fahrlässigkeitsdelikte eine besondere Rolle.900 Dabei lassen sich gesetzliche und außergesetzliche Sondernormen unterscheiden. Zu den gesetzlichen zählen u. a. europarechtliche Normen, einfachgesetzliche Regelungen,901 untergesetzliche Vorgaben,902 Verwaltungs-903 und Unfallverhütungsvorschriften.904 Als außerrechtliche Normen kommen insbesondere behördliche Genehmigungen,905 anerkannte Regeln beruflicher Tätigkeit,906 technische Normen,907 Sportregeln908 und innerbetriebliche Übungen909 in Betracht. Insbesondere technische Normen, wie die DIN-Normen oder das VDE-Vorschriftenwerk910 spielen für die Beurteilung der 899 Eidam, Unternehmen und Strafe, Rn. 327; Laue, JA 2000, 666 (668); Kaminski spricht von „geronnener Vorhersehbarkeit“: Kaminski, Der objektive Maßstab im Tatbestand des Fahrlässigkeitsdelikts, 1992, S. 52. 900 Vgl. hierzu grundlegend: Lenckner, in: FS Engisch, 1969, S. 490 ff. 901 Z. B. Regelungen der GewO (RGSt 33, 346) oder des GaststättenG (BGHSt 19, 152). 902 V. a. Verordnungen, z. B. Normen der StVO (BGHSt 17, 181). 903 OLG Köln, NJW 1986, 1947. 904 OLG Karlsruhe, NStZ-RR 2000, 141. 905 RG, JW 1936, 2911. 906 Insb. Vorgaben zur lex artis im medizinischen Bereich: BGH, NStZ 1987, 505. 907 Von Bedeutung sind hier in erster Linie DIN-Normen des deutschen Instituts für Normung, VDE-Normen des Verbands Deutscher Elektrotechniker, die VDI-Richtlinien des Vereins Deutscher Ingenieure und die DVGW-Regeln des Deutschen Vereins von Gas- und Wasserfachmännern; vgl. hierzu auch: LK-Vogel, § 15, Rn. 220. 908 LK-Vogel, § 15, Rn. 220 m.w. N. 909 BGHSt 6, 282 (287). 910 DIN-Normen des Deutschen Instituts für Normung e. V.; VDE Normen des Verbands der Elektrotechnik, Elektronik und Informationstechnik e. V.

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strafrechtlichen Fahrlässigkeit eine wichtige Rolle. Ihrer Rechtsnatur nach handelt es sich nicht um Normen im technischen Sinne, da sie weder von einem zuständigen, demokratisch legitimierten Organ der Gesetzgebung noch in einem entsprechenden Verfahren erlassen werden. Vielmehr beruhen sie auf den Festlegungen von Fachgremien und stellen das Ergebnis eines sich am jeweiligen Stand der Technik und Wissenschaft orientierenden Diskurses dar.911 Aus den genannten Gründen wird eine Gleichsetzung der strafgesetzlich erforderlichen Sorgfalt mit der Einhaltung einschlägiger technischer Normen abgelehnt.912 Zum einen fehlt es an der Allgemeinverbindlichkeit, da weder Gesetzgebungskompetenz der Verfasser noch ein rechtstaatlichen Grundsätzen entsprechendes Verfahren gegeben sind. Die für eine zumindest inhaltliche Gleichsetzung mit gesetzlichen Vorgaben zur Fahrlässigkeit erforderliche Allgemeinverbindlichkeit ergibt sich auch nicht aus der Bezugnahme auf die technischen Standards in einzelnen Gesetzestexten. Dadurch ändert sich nichts am Rang der außergesetzlichen Norm.913 Zum anderen verbietet sich eine pauschale Gleichsetzung mit der gesetzlich geforderten Sorgfalt auch deshalb, weil es sich zwar um eine durchaus repräsentative Mehrheit anerkannter Fachleute als Urheber handelt, diese aber, wie jede herrschende Meinung oder tatsächliche Übung auch falsch liegen können. Dieses Gefahrenpotenzial wird im Falle technischer Normen auch nicht durch eine demokratische Legitimation des normsetzenden Organs ausgeglichen. Daneben stellen die technischen Normen auch kein Gewohnheitsrecht dar. Das Gebiet der Technik zeichnet sich gerade durch ein stetes Änderungspotenzial aus und die erforderliche Weiterentwicklung und Anpassung der technischen Standards steht der Annahme einer länger dauernden gleichmäßigen Übung naturgemäß entgegen. Dieses Charakteristikum des technischen Bereichs spricht auch insofern gegen eine pauschale Gleichsetzung von Sorgfalt und Einhaltung technischer Norm, als stets das durch die drohende Veraltung vorhandene Gefährdungspotenzial im Blick zu behalten ist. Auch wenn die niedergelegten konsentierten Standards befolgt werden, kann nicht ohne weiteres auf die Anwendung einer dem jeweiligen technischen Stand angemessenen Sorgfalt geschlossen werden.914 Nach ständiger Rechtsprechung und der bislang herrschenden Ansicht in der Literatur kommt Sondernormen, zu denen die technischen Normen zählen, daher für die Frage, ob gegen Sorgfaltspflichten verstoßen wurde, nur indizielle Bedeu911 Die erforderliche Fixierung und Standardisierung geht dabei allerdings zu Lasten der Anpassungsflexibilität und möglicher Anwendungsbereiche der Regelungen. 912 Vgl. hierzu bereits: Lenckner, in: FS Engisch, 1969, S. 490 ff. (496 f.). 913 Vgl. zu diesem Aspekt im Zusammenhang mit Normen der Sitte und Moral auch: Engisch, Die Einheit der Rechtsordnung, 1935, S. 26. 914 Lenckner, in: FS Engisch, 1969, S. 490 ff. (insb. 497).

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tung zu.915 Es handelt sich insofern um „Beweisanzeichen“,916 „Anhaltspunkte“ 917 oder „Orientierungshilfen“ 918 im Sinne „antizipierter Sachverständigengutachten“ 919. Ein Verstoß gegen Sondernormen indiziert sorgfaltswidriges Verhalten.920 Sondernormen stellen das Ergebnis einer auf Erfahrung und Überlegung beruhenden umfassenden Voraussicht möglicher Gefahren dar und ein Verstoß kann als Beweisanzeichen für Fahrlässigkeit herangezogen werden.921 Ausnahmen kommen dann in Betracht, wenn trotz Verletzung der Norm andere als ausreichend anzusehende Sicherheitsmaßnahmen getroffen wurden922 oder die verletzte Norm die Abwendung anderer als der tatsächlich eingetretenen Gefahren erfasst.923 Die Einhaltung von Sondernormen spricht dafür, dass sich das Verhalten im Rahmen des erlaubten Risikos bewegt, mithin keine Sorgfaltswidrigkeit vorliegt.924 Dies gilt nicht bei erkennbar nicht abschließend gemeinten925 bzw. veralteten926 Regelwerken oder solchen die auf einem erkennbaren Irrtum des Normgebers beruhen.927 Die Indizwirkung entfällt ferner auch dann, wenn ausdrücklich ein allgemeines Gefährdungsverbot enthalten ist928 oder die konkrete Situation von dem erfassten Regelfall in wesentlichen Punkten abweicht.929 Nach anderer Ansicht erschöpft sich die Bedeutung von Sondernormen nicht in einer bloßen Indizwirkung. Vielmehr könne ein Verhalten nur dann als sorgfaltswidrig angesehen werden, wenn zugleich gegen Sondernormen verstoßen wurde.930 Dem ist entgegenzuhalten, dass für viele Lebensbereiche keine, wie auch immer gearteten Sondernormen existieren, so dass der in diesen Fällen er915 RGSt 56, 343; 73, 370; BGHSt 4, 182; 12, 75; OLG Karlsruhe, NStZ-RR 2000, 141 (142); vgl. dazu auch: Fischer, StGB, § 15, Rn. 16; Jescheck/Weigend, § 55 I 3 d; Lackner/Kühl, § 15, Rn. 39; Roxin, AT/I § 24, Rn. 19; S/S-Sternberg-Lieben, § 15, Rn. 135. 916 OLG Karlsruhe, NStZ-RR 2000, 141 (142); Fischer, StGB, § 15, Rn. 16a. 917 RG, JW 1937, 2391. 918 Freund, AT, § 5, Rn. 56 f. 919 Vgl. zu dieser Begriffsprägung im öffentlichen Recht für die Grenzwerte der TA Luft und TA Lärm: BVerwG, NJW 1978, 1450, (Ls. 2; 1451) unter Hinweis auf Breuer, DVBl. 1978, 28 (34 ff.). 920 LK-Vogel, § 15, Rn. 222. 921 RGSt 56, 343; BGHSt 4, 182 (185); 13, 169 (172): Laue spricht anschaulich von einer „pauschalierten Gefahrprognose“, JA 2000, 666 (668). 922 RGSt 57, 148 (151). 923 BGHSt 4, 182 (186). 924 LK-Vogel, § 15, Rn. 221. 925 Deutsch, Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt, 1963, S. 167, 171. 926 Schünemann, in: FS Lackner (1987), S. 367 ff. (389). 927 Deutsch, Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt, 1963, S. 164. 928 Deutsch, Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt, 1963, S. 165 f.; LK-Vogel, § 15, Rn. 221. 929 RGSt 59, 341; 65, 158. 930 Colombi Ciacchi, Fahrlässigkeit und Tatbestandsbestimmtheit, 2005, S. 87 ff.

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forderliche Rückgriff auf allgemeine Erfahrungssätze und Verhaltensstandards931 keinen Bestimmtheitsgewinn verspricht.932 Die Gegenauffassung spricht Sondernormen für die Bestimmung fahrlässigen Verhaltens nahezu jede Relevanz ab.933 Auch die Feststellung eines Verstoßes gegen Sondernormen mache eine eigenständige Prüfung der Fahrlässigkeit nicht entbehrlich.934 Gegen diese Sichtweise lässt sich einwenden, dass Sondernormen als Erfahrungssätze im Hinblick auf das Verhalten in bestimmten Gefährdungssituationen zumindest einigermaßen verlässliche Anhaltspunkte geben und so der Appellfunktion der Fahrlässigkeitsstrafnormen konkretisierend zugutekommen. Zudem wird die generalpräventive Wirkung als Zweck strafrechtlicher Normsetzung dadurch besser erreicht. Weiterhin bestehen schon auf Ebene des Tatbestandes mit dem Erfordernis einer objektiven Voraussehbarkeit des Erfolges Korrekturmöglichkeiten um atypische Situationen zu berücksichtigen und eine hinreichende Einzelfallgerechtigkeit zu gewährleisten.935 Schließlich bleibt auch im Rahmen der Schuld Raum für eine angemessene Würdigung der Tatumstände und der Vorwerfbarkeit einer Sorgfaltspflichtverletzung in der konkreten Konstellation. Der Einwand, Fahrlässigkeitsdelikte würden durch die von Rechtsprechung und herrschender Lehre angenommene Indizwirkung von Sondernormverstößen zu abstrakten Gefährdungsdelikten umgeformt,936 erscheint daher wenig überzeugend. Eine differenzierende Ansicht unterscheidet zwischen Verstößen gegen Sondernormen und deren Einhaltung.937 Einer Verletzung von Sondernormen komme demzufolge, anders als deren Befolgung, nicht nur Indizwirkung zu, vielmehr begründe sie im Regelfall eine Sorgfaltspflichtverletzung. In Ausnahmefällen sollen Pflichtwidrigkeitszusammenhang oder Schutzzweck der Norm als Korrektiv dienen. Anders als einem Verstoß kommt der Einhaltung von Sondernormen hingegen lediglich Indizwirkung zu. Dies ergibt sich daraus, dass Sondernormen aufgrund der Vielgestaltigkeit möglicher sorgfaltswidriger Verhaltensweisen allenfalls eine Gefährdungserlaubnis i. S. e. Konkretisierung des erlaubten Risikos festschreiben können. Die darüberhinausgehenden bzw. daneben bestehenden Er931

Colombi Ciacchi möchte in Fällen, in denen keine Sondernormen einschlägig sind auf allgemeine Erfahrungssätze und Verhaltensstandards zurückgreifen, vgl. Colombi Ciacchi, Fahrlässigkeit und Tatbestandsbestimmtheit, 2005, S. 115 ff. 932 Vgl. Kudlich, in: FS Otto, 2007, S. 373 ff. (381). 933 Duttge, Zur Bestimmtheit des Handlungsunwerts von Fahrlässigkeitsdelikten, 2001, S. 273 ff., 493. 934 Duttge, Zur Bestimmtheit des Handlungsunwerts von Fahrlässigkeitsdelikten, 2001, S. 275 f. 935 Vgl. auch: Kudlich, in: FS Otto, 2007, S. 373 ff. (383). 936 MüKo-Duttge, § 15, Rn. 115; Pfefferkorn, Grenzen strafbarer Fahrlässigkeit im französischen und deutschen Recht, 2006, S. 221. 937 Kudlich, in: FS Otto, 2007, S. 373 ff. (383 ff.).

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folgsvermeidungspflichten bleiben davon aber unberührt, es sei denn die Sondernorm enthält ausnahmsweise eine Verletzungserlaubnis.938 Diese Ansicht stimmt damit in Bezug auf die Einhaltung von Sondernormen mit der Rechtsprechung und der überwiegenden Auffassung in der Literatur überein. Die nicht nur indizielle sondern im Regelfall begründete Sorgfaltswidrigkeit im Falle eines Verstoßes gegen Sondernormen erscheint indes fraglich. Zum einen ist die Unterscheidung zwischen Verstoß und Einhaltung von Sondernormen939 wenig konsequent, handelt es sich doch in beiden Fällen um die gleiche zugrundeliegende Verhaltensnorm. Sieht man diese im Falle ihrer Befolgung als bloße Gefährdungserlaubnis an ist nicht recht einzusehen, wieso sich im Falle ihrer Verletzung nicht nur ein Gefährdungsverbot sondern ein Verletzungsverbot daraus ergeben soll. So wie die Befolgung von Sondernormen nicht von der Einhaltung weitergehender Handlungspflichten befreit, so können auch bei der Missachtung einer Sondernorm weitere Pflichten bestehen, die erst in ihrer Gesamtheit als sorgfaltswidrigkeitsbegründend anzusehen sind. Zum anderen überzeugt das Argument, damit werde ein Gleichlauf mit den Vorsatzdelikten herbeigeführt, bei denen regelmäßige Rechtsfolge der Herbeiführung des tatbestandlichen Erfolges die Strafbarkeit ist,940 nur teilweise. Die Unterschiede zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeitsdelikt im Hinblick auf das Handlungsunrecht werden nicht in ausreichendem Maße berücksichtigt. Während das Vorsatzdelikt einen Intentionsunwert941 sanktioniert, stellt das Fahrlässigkeitsdelikt einen Sorgfaltsmangelunwert942 unter Strafe. Vorwurf des Fahrlässigkeitstatbestandes ist nicht die Erfolgsherbeiführung durch beliebiges Verhalten, sondern durch sorgfaltswidriges Verhalten. Dass die Feststellung, ob eine Sorgfaltswidrigkeit vorliegt, eines höheren Begründungsaufwands bedarf als die Begründung der Strafbarkeit bei vorsätzlicher Erfolgsherbeiführung, stellt daher keinen zwingenden Grund für die Annahme einer über die Indizwirkung hinausgehenden Bedeutung von Sondernormverletzungen dar.943 Ohne im Rahmen dieser Arbeit eine umfassende Würdigung sämtlicher Aspekte vornehmen zu können, soll vor diesem Hintergrund der Rechtsprechung und herrschenden Lehre gefolgt werden, die für den Fall der Verletzung bzw. Einhaltung von Sondernormen von einer Indizwirkung für das Vorliegen einer Sorgfaltspflichtverletzung ausgeht.

938

Kudlich, in: FS Otto, 2007, S. 373 ff. (386 ff.). Kudlich, in: FS Otto, 2007, S. 373 ff. (insb. 386 f.). 940 Kudlich, in: FS Otto, 2007, S. 373 ff. (387). 941 Rudolphi, in: FS Maurach, 1972, S. 51 ff. (57, 64 f.). 942 S/S-Lenckner/Eisele, vor § 13, Rn. 56. 943 A. A. Kudlich, in: FS Otto, 2007, S. 373 ff. (387 f.) der anstelle bloßer Indizwirkung von Sondernormverstößen für ein Regel-Ausnahme-Verhältnis eintritt, da insofern die Begründungslasten beim Fahrlässigkeitsdelikt denjenigen beim Vorsatzdelikt angeglichen werden könnten. 939

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b) Bedeutung von Compliance-Regelungen Ebenso wie außergesetzliche Sondernormen sind Compliance-Regelungen das Werk privater Institutionen und können daher für sich nicht das Privileg allgemeinverbindlicher Wirkung in Anspruch nehmen, das gesetzlichen Normen zugutekommt. Daran ändert sich auch durch die Bezugnahme auf Compliance-Regelungen oder Maßnahmen des Risikomanagements in gesetzlichen Vorgaben nichts, wie für die Parallelproblematik der DIN- und anderen technischen Vorgaben bereits erläutert wurde. Compliance-Regelungen werden bei der Orientierung an Sondernormen zur Konkretisierung des Sorgfaltsmaßstabs auf zweierlei Weise relevant. Zum einen ist an eine mittelbare Auswirkung über die Einflussnahme auf bereits vorhandene Sondernormen zu denken. Zum anderen kommt eine unmittelbare Berücksichtigung von Compliance-Regelungen als neuartige Erscheinungsform von Sondernormen in Betracht. Eine mittelbare Beeinflussung von technischen Normen, anerkannten Regeln beruflicher Tätigkeit oder betrieblichen Übungen kann mittel- bis langfristig durch die Implementierung von Compliance-Regelwerken bewirkt werden. Voraussetzung ist, dass die Compliance-Maßnahmen effektiv umgesetzt werden und ein hinreichend breiter Konsens über ihre Geltung erreicht wird. Für die Anerkennung als Regel beruflicher Tätigkeit erfordert dies sicher einen erheblich weiteren Anwendungskreis als für die Überzeugung, eine Verhaltensweise stelle eine betriebliche Übung dar. Die betriebliche Übung kann mittels Compliance-Konzepten relativ kurzfristig modifiziert werden, die Durchsetzung bestimmter Sicherheitsstandards durch Verbreitung in Compliance-Regelwerken kann mittelfristig Auswirkung auf die Regeln beruflicher Tätigkeit haben und langfristig zu einer entsprechenden Anpassung technischer Normen führen. Anknüpfungspunkt der Maßstabsbildung bleiben dabei aber stets die herkömmlichen Sondernormkategorien. Compliance-Vorschriften können aber auch selbst als Sondernormen Berücksichtigung finden. Für eine unmittelbare Bezugnahme spricht zunächst ihre Vergleichbarkeit mit den bislang von der Rechtsprechung als maßstabsbildend anerkannten Sondernormen. So wie technische Normen werden auch Compliance-Regelungen durch repräsentative Gremien von Fachleuten geschaffen. Im Falle von DIN-Normen sind das Fachleute auf technischem Gebiet, Vertreter von Berufsgenossenschaften oder Berufsverbänden. Compliance-Regelungen beruhen auf der Expertise der Rechtsabteilung oder externer Rechtsberater der Unternehmen. In beiden Fällen zeichnen sich die Verfasser durch eine besondere Kenntnis der Materie und der Risiken eines bestimmten Lebensbereiches, sei es technischer oder rechtlicher Art, aus. Hinzu kommt eine vergleichbare Regelungsintention. Technische Normen sollen die Verletzung von Rechten oder Rechtsgütern Dritter durch Verfahrensabläufe oder Produkte verhindern. Sie dienen dazu ein gewisses Schutzniveau für Individual- und Kollektivrechtsgüter sicherzustellen. Auch Com-

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pliance-Regelungen folgen dem Zweck, Rechtsgutsverletzungen durch betriebliche Tätigkeit zu verhindern. Zwar erfolgt dies primär im eigenen Interesse der Unternehmen, da durch eine Minimierung von Haftungsrisiken in erster Linie finanzielle Nachteile und Reputationsverluste vermieden werden sollen. Jedoch wird diese Zielrichtung bei genauerer Betrachtung auch im Falle technischer Normen deutlich. Die Schaffung von DIN- und anderen Normen dient nicht zuletzt der Gewährleistung eines bestimmten Schutzstandards und soll im Rahmen der gesetzgeberischen Interessenabwägung bzw. Nutzen-/Risikoanalyse einem Verbot der infrage stehenden Tätigkeit oder Produkte entgegenwirken. Auch im Hinblick auf die Begründung ihrer Wirkung zeigen sich Parallelen. Der Geltungsanspruch von Compliance-Regelungen beruht auf einer entsprechenden Selbstverpflichtungserklärung der normgebenden Institution. Auch technische Normen führen ihre Legitimation nicht auf Hoheitsakte des Gesetzgebers zurück, sondern leiten diese aus privatrechtlichen Vereinbarungen innerhalb der branchenspezifischen Interessenverbände oder Berufsgruppen ab. In beiden Fällen handelt es sich demnach um freiwillige Verpflichtungserklärungen, deren Verbindlichkeit unabhängig vom staatlichen Gesetzgeber begründet wird. Unterschiede bestehen jedoch hinsichtlich der Reichweite und Geltungsdauer. Während Normen der Technik einen branchenweiten, zumindest nationalen und nicht selten sogar internationalen Anwendungsbereich haben, ist die Wirkung von Compliance-Regelungen in der Regel auf einen unternehmensinternen oder allenfalls konzernweiten Wirkungskreis beschränkt.944 Die Geltungsdauer technischer Normen wird durch die zugrundeliegenden Vereinbarungen der Interessenverbände geregelt. Abhängig von der Regelungsmaterie erfolgt eine Aktualisierung und Anpassung an den technischen Fortschritt. Für Compliance-Programme setzen die Unternehmen selbst die Geltungsdauer fest. Eine Anpassung an Entwicklungen in Rechtsprechung und Gesetzgebung wird hier schon im Eigeninteresse der Akteure möglichst zeitnah erfolgen. Angesichts des beschränkten Wirkungskreises und der im Vergleich zu branchenweiten Interessenverbänden verhältnismäßig wenigen Beteiligten, können Compliance-Regelungen wesentlich flexibler und schneller geändert werden als etwa DIN-Normen oder VDE-Vorgaben, zumal bei letzteren mittlerweile auch zahlreiche internationale Standards zu berücksichtigen sind. Anpassungsfähigkeit und optimale Abbildung unternehmensspezifischer Risiken stellen zwei wesentliche Vorteile von Compliance-Vorgaben dar. Compliance-Vorschriften weisen auch Übereinstimmungen mit der Sondernormkategorie der betrieblichen Übung auf. Ebenso wie diese stellen Com944 Etwas anderes gilt für die branchenübergreifenden Compliance-Kodizes von Interessenvereinigungen, die gerade von kleineren und mittleren Unternehmen übernommen werden, vgl. „EMB Wertemanagement Bau“ des Bayerischen Bauindustrieverbands e. V., Fn. 85.

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pliance-Regelungen das Ergebnis einer auf Überlegung und Erfahrung basierenden umfassenden Gefahrenprognose dar. Die daraus gezogene Schlussfolgerung der Gerichte, dass bereits aus dem bloßen Bestehen einer derartigen betrieblichen Übung darauf geschlossen werden kann, dass im Falle eines Verstoßes gegen sie die Realisierung einer Gefahr in den Bereich des Möglichen tritt,945 gilt ebenso für Compliance-Regelwerke. Die Vergleichbarkeit mit anerkannten Sondernormen spricht dafür, auch Compliance-Regelungen als neue Art von Sondernormen eine Indizwirkung für das Vorliegen einer Sorgfaltspflichtwidrigkeit im Rahmen der Fahrlässigkeit zuzuschreiben. Sondernormen indizieren im Falle ihrer Verletzung sorgfaltswidriges Verhalten. Ihre Einhaltung lässt auf die Wahrung der erforderlichen Sorgfalt schließen. Hinsichtlich der Ausnahmen von der dargestellten Indizwirkung treten Compliance-Regelungen mit unterschiedlicher Wirkung in Erscheinung. Für die Frage, ob im konkreten Einzelfall getroffene, andere als in den jeweiligen Sondernormen vorgesehene, Sicherungsmaßnahmen ausreichen, um die Indizwirkung einer Sondernormverletzung zu widerlegen, können Compliance-Regelungen als Anhaltspunkt dienen. Wurden die dort für die Gefahrensituation vorgesehenen Verhaltensvorgaben eingehalten, spricht dies für die Beachtung der erforderlichen Sorgfalt. Besteht der Verstoß in einer Verletzung von Compliance-Vorgaben und bleiben die alternativ vorgenommenen Sicherheitsvorkehrungen hinter den dort genannten zurück, so spricht dies umgekehrt dafür, sie nicht als hinreichend zu betrachten. Mit ihrer unternehmensspezifischen Ausgestaltung und inhaltlichen Regelungsdichte liefern Compliance-Programme damit auch für Ausnahmefälle verlässliche Vergleichsmaßstäbe und Orientierungshilfen für die im konkreten Fall anzuwendende Sorgfalt. Je detaillierter und umfassender Compliance-Programme Verhaltensanforderungen für bestimmte Gefährdungssituationen regeln, umso eher werden andere als die genannten Sicherheitsvorkehrungen als nicht ausreichend anzusehen sein. Erfasst die verletzte Compliance-Norm eine andere Gefahrensituation, als die tatsächlich eingetretene, so ist die Indizwirkung ebenfalls grundsätzlich widerlegt. Zielsetzung von Compliance-Regelwerken ist eine möglichst umfassende Vermeidung von Haftungsrisiken. Um dies zu gewährleisten sollen die besonders gefahrträchtigen Arbeitssituationen möglichst vollständig erfasst werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Regelung eine betriebsspezifische Gefahr nicht erfasst, die sich im konkreten Verletzungserfolg verwirklicht, dürfte eher gering sein. Durch die Begrenzung des Anwendungsbereichs dieser Ausnahmefallgruppe bewirken Compliance-Regelungen eine Ausweitung des Haftungsrisikos. Je ausführlicher und umfassender betriebsinterne Gefahrensituationen in Com-

945 Vgl. zu dieser Indizwirkung eines Verstoßes gegen die betriebliche Übung: BGHSt 6, 282 (287).

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pliance-Programmen erfasst werden, umso wahrscheinlicher fällt regelwidriges Verhalten in deren Indizwirkung begründenden sachlichen Anwendungsbereich. Von Bedeutung ist auch die Annahme fehlender Indizwirkung für sorgfaltsgemäßes Verhalten für den Fall, dass das Regelwerk ein ausdrückliches allgemeines Gefährdungsverbot enthält. Daran wird deutlich, dass es sich nicht um ein abschließendes Regelwerk handelt, der Einzelne sich also allein durch die Befolgung der niedergelegten Regeln noch nicht seiner strafrechtlichen Verantwortung entledigen kann. Nahezu jedem der aktuellen Compliance-Werke ist ein Bekenntnis zur Einhaltung aller einschlägigen Gesetze, Verhaltenskodizes und Regeln vorangestellt,946 da Compliance-Regelungen Haftungsrisiken möglichst umfassend abdecken und sämtliche unternehmensspezifischen Gefahrenlagen erfassen sollen. Die Bayer AG weist in ihrem Regelwerk ausdrücklich darauf hin, dass ihre Corporate Compliance Policy lediglich als Grundlage für gesetzeskonformes Verhalten dient, jedoch weder alle denkbaren Situationen abdeckt noch alle im Einzelfall einschlägigen und zu beachtenden Regeln erfasst.947 Darin wird die Intention deutlich, dass es sich um ein nicht abschließendes Regelwerk handelt, vielmehr im Einzelfall auch strengere Vorgaben und Standards zu berücksichtigen sind.948 Dies steht einer Indizwirkung sorgfaltsgemäßen Verhaltens bei Einhaltung von Compliance-Vorgaben entgegen. Während ein Verstoß gegen Compliance-Vorgaben regelmäßig eine Sorgfaltspflichtwidrigkeit indiziert, gilt dies umgekehrt nicht ohne weiteres. Enthalten Compliance-Programme ein allgemeines Gefährdungsverbot bedeutet dies, dass allein aufgrund der Einhaltung von Compliance-Regelungen nicht automatisch auf sorgfaltsgemäßes Verhalten bzw. die Einhaltung des erlaubten Risikos geschlossen werden kann. Durch die Widerlegung der Indizwirkung für sorgfaltsgemäßes Verhalten bewirken ComplianceKonzepte insofern eine Erhöhung des Strafbarkeitsrisikos. Aufgrund der Aktualität des Compliance-Themas und des hohen Professionalitätsgrades bei Konzeption und Ausgestaltung der Regelwerke spielen die beiden weiteren Ausnahmefallgruppen eines erkennbaren Irrtums des Verfassers bzw. einer Veraltung der fraglichen Regel keine beachtenswerte Rolle. Festzuhalten bleibt, dass Compliance-Regelungen mittelbar, durch die Beeinflussung bestehender Sondernormen und unmittelbar durch ihre Berücksichtigung als neue Form standardsetzender Normen auf die Bestimmung des Sorgfaltsmaßstabs Einfluss nehmen können. Die Bedeutung von Ausnahmefallgruppen, in denen ein Verstoß gegen eine Sondernorm keine Indizwirkung entfaltet, ist im Falle umfassender Compliance-Vorgaben gering. Werden Compliance-Regelungen verletzt, ist dies regelmäßig Indiz für sorgfaltswidriges Verhalten. Dagegen kann die Indi946

Vgl. Verhaltensgrundsätze des Volkswagen Konzerns, Fn. 84, S. 4. Corporate Compliance Policy der Bayer AG, Fn. 84, S. 6. 948 Mit ausdrücklichem Hinweis darauf: Corporate Compliance Policy der Bayer AG, Fn. 84, S. 6. 947

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zwirkung der Befolgung von Compliance-Vorgaben durch allgemeine Gefährdungsverbote in Compliance-Regelwerken widerlegt werden. Selbst bei Befolgung der vorgegebenen Verhaltensanweisungen kann sich der einzelne Mitarbeiter nicht darauf verlassen, sorgfaltsgemäß zu handeln. Diese beiden Effekte steigern zusammen mit der allgemeinen Verschärfung der Sorgfaltsanforderungen das Strafbarkeitsrisiko und können somit strafbarkeitsbegründende Wirkung entfalten. c) Ablösung von Sondernormen durch Compliance-Regelungen Konzeption, Intention und Ausgestaltung von Compliance-Regelungen bieten gegenüber einer Standardsetzung durch herkömmliche Sondernormen, wie DINNormen, VDE- und VDI-Richtlinien oder die betriebliche Übung vielfältige Vorteile. Längerfristig wäre daher über deren Ablösung als sorgfaltsmaßstabsetzende Faktoren nachzudenken. Die Rechtsprechung berücksichtigt insbesondere die betriebliche Übung als konkretisierende Vorgabe für Verhaltensstandards im Rahmen der Fahrlässigkeitsstrafbarkeit.949 Einer Berücksichtigung stehe nicht entgegen, dass es sich um „bloße Übungen“ handle, ohne dass die fragliche Verhaltensweise ausdrücklich vorgeschrieben war, da sie das Ergebnis einer auf Überlegung und Erfahrung basierenden umfassenden Gefahrprognose darstelle. Bereits das Bestehen einer derartigen Übung mache deutlich, dass im Falle der Nichtbefolgung entsprechender Sicherheitsmaßnahmen die Realisierung der Gefahr im Bereich des Möglichen liegt.950 Voraussetzung für die Annahme einer betrieblichen Übung ist demnach die über einen längeren Zeitraum bestehende allgemein konsentierte Einhaltung bestimmter Verhaltensvorgaben. Compliance-Vorschriften wird es bislang meist an einer entsprechend langjährigen Umsetzung fehlen. Die Problematik dieses Kriteriums verdeutlicht die Bedeutung der Frage, ob Compliance-Regelungen zur Maßstabsbildung auch unmittelbar herangezogen werden können. ComplianceRegelungen kommt im Ausgleich für das Fehlen einer hinreichend langen Praktizierung zugute, dass sie schriftlich niedergelegt sind. Wenn selbst ungeschriebene Verhaltensweisen Indizwirkung für Sorgfaltspflichtverletzungen liefern können, sollte dies erst recht für geschriebene, mit großem Aufwand erstellte und gegenüber den Mitarbeitern und Dritten als „Unternehmensverfassung“ präsentierte Compliance-Regelwerke gelten. Gerade die nach dem neuen Prüfungsstandard IDW PS 980 verfassten und zertifizierten Compliance-Organisationen bieten Ge949 So stellt BGHSt 6, 282 (287) auf die „Üblichkeit“ einer Verhaltensweise bzw. die „herrschende Übung“ in einem Betrieb ab, um Anhaltspunkte für sorgfaltswidriges Verhalten auszumachen; im zugrundeliegenden Fall ging es um die betriebliche Übung in einem Krankenhaus. 950 BGHSt 6, 282 (287).

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währ dafür, dass sie im Unternehmen effektiv umgesetzt wurden und fortlaufender Kontrolle hinsichtlich ihrer tatsächlichen Befolgung unterzogen werden. Das Fehlen langjähriger Übung kann damit neben der schriftlichen Dokumentation auch durch die intensive Kommunikation der Regelungen gegenüber Mitarbeitern aller Bereiche und Ebenen ausgeglichen werden. Mittels regelmäßiger Kontrollen lässt sich die unternehmensweite Durchsetzung belegen. Hinsichtlich der Bedenken, die wegen fehlender normativer Anbindung an den Gesetzgeber vorgebracht werden, gilt, dass diese in gleicher Weise für technische Normen, Verbandsvorschriften und die betriebliche Übung im Allgemeinen gelten, da keine der genannten auf einem demokratisch legitimierten Akt des Gesetzgebers beruht. Dennoch zieht die Rechtsprechung diese Vorgaben zur Konkretisierung der Sorgfaltsanforderungen heran. Das Argument fehlender demokratischer Legitimation alleine kann daher nicht gegen die Berücksichtigung von Compliance-Regelungen als Sondernormen für die Feststellung einer Fahrlässigkeitsstrafbarkeit angeführt werden. Unterschiede ergeben sich letztlich hinsichtlich des Geltungsbereiches der genannten anerkannten außergesetzlichen Sondernormen einerseits und der Compliance-Regelungen andererseits. Während erstere meist branchenweite Geltung beanspruchen können, erschöpft sich der Wirkungskreis von Compliance-Vorgaben in der Regel im unternehmens- oder konzerninternen Bereich.951 Dieser mag vor allem in Konzernen durchaus eine große Anzahl an Personen umfassen und sich in vielen Fällen auf verbundene Unternehmen oder assoziierte Zuliefer- oder Abnehmerbetriebe erstrecken. Dennoch ergeben sich hinsichtlich der Legitimationsgrundlage und des Standardisierungsgrades nicht zu vernachlässigende Unterschiede. Diese sprechen aber nicht gegen eine Berücksichtigung von Compliance-Regelungen zur Konkretisierung des Sorgfaltsmaßstabs. Zum einen ergibt sich die Verbindlichkeit hier wie dort aus der selbstverpflichtenden Anerkennung durch die normsetzende Institution selbst bzw. ihre Mitglieder. Zum anderen mag zwar der Standardisierungsgrad bei unternehmensspezifischen Regelungen geringer sein, was die Gefahr einer Absenkung des Schutzniveaus begründen könnte. Diese Gefahr besteht aber ebenso bei der von der Rechtsprechung mit indizieller Wirkung versehenen betrieblichen Übung. Auch diese ist in ihrem Wirkungsbereich regelmäßig auf den jeweiligen Betrieb beschränkt. Zudem liegt es im Interesse der Unternehmen selbst, ihre Compliance-Programme, die eine umfassende Minimierung von Haftungsrisiken bewirken sollen, mit hinreichend präzisen und strengen Vorgaben zu versehen. Compliance-Programme treffen dabei in der Regel sogar weitaus strengere Vorgaben als nach dem Gesetz eigentlich erforderlich wäre. Hingewiesen sei an dieser Stelle insbesondere auf die zur Korruptionsbe951 Sofern nicht branchenweit geltende Compliance-Konzepte von Interessenverbänden übernommen werden, vgl. „EMB Wertemanagement Bau“ des Bayerischen Bauindustrieverbands e. V., Fn. 85.

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kämpfung erlassenen Richtlinien, die bei nahezu allen Unternehmen weit über das gesetzlich geforderte Maß hinausgehen.952 Tendenziell neigen die normsetzenden Unternehmen eher zur Formulierung überobligationsmäßiger Verhaltensanforderungen, um auch in Zweifelsfällen auf der sicheren Seite zu sein.953 Die geringere Standardisierung und der auf ein oder wenige Unternehmen begrenzte Geltungsbereich stellen damit für die Gewährleistung eines hinreichend hohen Schutzniveaus keinen Nachteil dar. Hinzu kommt, dass insbesondere kleinere Unternehmen, bei denen aufgrund fehlender Expertise oder finanzieller Mittel Compliance-Regelungen von geringerer inhaltlicher Qualität aufgestellt werden könnten, oft auf branchenweite Kodizes ausweichen, die in ihrem Inhalt und Umfang denjenigen von Großunternehmen in keiner Weise nachstehen. Beachtung verdient in diesem Zusammenhang auch der Vorbehalt Schünemanns gegenüber der Festlegung strafrechtlich relevanter Maßstäbe durch die Betroffenen selbst, der darin die alt bekannte Problematik verwirklicht sieht, dass der „Bock zum Gärtner gemacht werde“.954 Bei näherer Betrachtung erweist sich dieser Einwand jedoch als unbegründet. Im Falle technischer Normen sorgt das Eigeninteresse der Betroffenen das Gefahrenpotenzial realistisch einzuschätzen und effektiv einzudämmen, um den Gesetzgeber von einem Verbot der betreffenden Handlung oder deren Ergebnis abzuhalten, für ein angemessenes Schutzniveau. Für Compliance-Vorschriften, die im Interesse des Unternehmens Haftungsrisiken minimieren sollen, zeigt die Praxis, dass die Motivation Rechtsgutsverletzungen vorzubeugen noch sehr viel größer ist und viele Vorschriften weit über das gesetzlich erforderliche Maß hinausschießen. Die rechtsstaatlichen und dogmatischen Bedenken einer „verdeckten Übertragung legislatorischer Kompetenz auf private Gruppen“ 955 sind damit nicht ausgeräumt, vermögen aber jedenfalls im Hinblick auf die Gewährleitung eines den betroffenen Rechten und Rechtsgütern angemessenen strafrechtlichen Schutzniveaus nicht zu überzeugen. Entgegen dem bei technischen Normen nicht zu vernachlässigenden hohen Veraltungsrisiko956 dürfte das Gefährdungspotenzial von Compliance-Regelungen in dieser Hinsicht eher gering sein. Anders als DIN- und sonstige technische 952 Vgl. hierzu insbesondere: „Leitlinie Zuwendungen“ Anlage 3 zum Verhaltenskodex der E.ON AG, S. 4 f. legt für Sachgeschenke und Einladungen, die als nicht höherwertig und deren Annahme damit bei Erfüllung der übrigen strengen Voraussetzungen als unbedenklich einzustufen ist, einen Grenzwert von 50 A fest; abrufbar unter: (zuletzt aufgerufen am 13.01.2012). 953 Vgl. auch: Achenbach/Ransiek-Rotsch, 1. Teil, 4, Rn. 47; Kuhlen, in: Maschmann (Hrsg.), Corporate Compliance und Arbeitsrecht, 2009, S. 11 ff. (24). 954 Schünemann, in: FS Lackner, 1987, S. 367 ff. (377 f.). 955 Schünemann, in: FS Lackner, 1987, S. 367 ff. (371). 956 Vgl. hierzu: MüKo-Duttge, § 15, Rn. 137.

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4. Kap.: Strafbarkeitsbegründende Wirkung

Normen orientieren sich Compliance-Regelungen am Inhalt der einschlägigen Gesetze, die sich insofern zwar auch regelmäßig ändern, deren Halbwertszeit aber im Vergleich zu den Zeitintervallen des technischen Fortschrittes doch wesentlich größer sein dürfte. Ein Anreiz zur regelmäßigen Aktualisierung und Anpassung an neue Entwicklungen in Gesetzgebung und Rechtsprechung besteht schon im Eigeninteresse des Unternehmens und wird entsprechend zeitnah umgesetzt werden. Hinzu kommt, dass in aller Regel eine effektive Umsetzung der dem Unternehmensinteresse dienenden Compliance-Vorschriften gewährleistet ist. Die mit der Erstellung betrauten Personen sind mit den Betriebsabläufen vertraut und können die vorhandenen Gefährdungspotenziale erkennen, einschätzen und die bestmöglichen Verhaltensweisen zur Vermeidung ihrer Realisierung feststellen. Ein weiterer Vorteil ist die flexible Anpassungsmöglichkeit von Compliance-Konzepten an aktuelle Entwicklungen, die mit verhältnismäßig geringem Aufwand an Zeit und Kosten umgesetzt werden kann.957 Zum anderen weisen unternehmensbezogene Compliance-Vorgaben den Vorteil auf, dass sie sich auf die typischen Gefährdungspotenziale eines bestimmten Betriebes innerhalb einer spezifischen Branche konzentrieren und damit besser auf die besonderen Erfordernisse der Risikominimierung eingehen können, die gerade die Tätigkeit des einzelnen Unternehmens erfordert. Standardisierungsnormen technischer Art sind in ihrem Anwendungsbereich auf den Normalfall beschränkt. Diese notwendige Pauschalierung ergibt sich aus der Zielsetzung möglichst flächendeckend Geltung beanspruchen zu können.958 Compliance-Regelungen können hingegen auch Konstellationen erfassen, die für branchenweite Normen atypisch sind und daher nicht in deren Geltungsbereich fallen, für den spezifischen Betrieb aber durchaus typische Gefahrenlagen regeln und somit das unternehmensrelevante Risiko besser und umfassender abbilden. Der geringere Grad an Standardisierung ist daher nicht zwangsläufig als dem Sicherheitsniveau abträglich zu beurteilen. Schließlich liefern Compliance-Regelungen die bestmögliche Grundlage zur Bestimmung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt. Die Orientierung an einem besonnenen und gewissenhaften Menschen in der konkreten Lage und sozialen Rolle des Handelnden stellen sie durch eine Betrachtung durchschnittlicher Mitarbeiter in bestimmten Tätigkeitsbereichen und mit durchschnittlichen Fähigkeiten sicher. DIN-Normen treffen keine individualisierende Differenzierung. Die betriebliche Übung mag zwar entsprechend ausdifferenziert sein, eine Zuordnung zu bestimmten Verantwortungsbereichen wird aber durch die fehlende Fixierung 957 A. A. insofern wohl Kuhlen, in: Maschmann (Hrsg.), Corporate Compliance und Arbeitsrecht, 2009, S. 11 ff. (26 f.) der zumindest die Einrichtung von Compliance-Systemen mit erheblichen Kosten verbunden sieht und insbesondere eine zunehmende Bürokratisierung – verbunden mit entsprechend hohen Kosten – befürchtet. 958 Weiterführend zu diesem Aspekt: Freund, AT, § 5, Rn. 57.

§ 4 Sorgfaltspflichten

207

erheblich erschwert. Zugleich werden Compliance-Regelungen aber auch der exante Betrachtung der Gefahrenlage gerecht, indem sie in generalisierender Weise risikotypische Tätigkeiten und Gefährdungspotenzial aufweisende Situationen reflektieren und Verhaltensanweisungen geben. Hinzu kommt, dass viele Normen der Technik lediglich produktbezogene Vorgaben enthalten und damit zwar das Ergebnis eines Arbeitsprozesses erfassen, nicht aber die Tätigkeitsausübung an sich. Da Strafrecht an Handlung bzw. Unterlassung anknüpft, erscheint auch unter diesem Gesichtspunkt ein Abstellen auf Compliance-Regelungen, die gesetzeskonformes Verhalten regeln wollen, vorzugswürdig. Compliance-Regelungen werden damit einem hinreichenden Maß an Standardisierung, um allgemeingültige Vorgaben sorgfaltsgemäßen Verhaltens von Durchschnittspersonen aufzustellen und zugleich dem erforderlichen Maß an Individualisierung, um die Berücksichtigung des relevanten Verkehrskreises sicherzustellen, optimal gerecht. Sie gewährleisten ein hinreichend hohes Schutzniveau, weisen aufgrund ihrer flexibleren Anpassungsfähigkeit ein geringeres Veraltungsrisiko auf und können das aus der Unternehmenstätigkeit resultierende Gefährdungspotenzial umfassender abbilden. Dem Nachteil einer meist nicht allzu weit zurückreichenden Geltungsdauer stehen die Vorteile einer schriftlichen Fixierung, effektiven Umsetzung und regelmäßiger Kontrollen gegenüber. Dem Vorbehalt fehlender normativer Anbindung sehen sich auch die herkömmlichen Sondernormen ausgesetzt. Für das Wirtschaftsstrafrecht sollte daher über eine verstärkte Berücksichtigung von Compliance-Vorschriften gegenüber den bislang in Bezug genommenen Sondernormen nachgedacht werden. 3. Inhaltliche Ausgestaltung von Sorgfaltspflichten Neben der Maßstabsbildung stellt die inhaltliche Ausgestaltung von Sorgfaltsanforderungen einen weiteren Anknüpfungspunkt für Compliance-Regelungen und ihre strafbarkeitsbegründende Wirkung dar. a) Vermögensbetreuungspflicht i. R.v. § 266 Abs. 1 StGB Beide Varianten des Untreuetatbestandes setzen eine pflichtwidrige Tathandlung voraus. Inhalt und Umfang der Pflichten richten sich nach dem zugrundeliegenden Rechtsverhältnis.959 Compliance-Vorschriften sind für dessen Ausgestaltung in den beiden Tatbestandsalternativen jeweils von unterschiedlicher Relevanz. Der Missbrauchstatbestand nach § 266 Abs. 1 Alt. 1 StGB wird durch das Überschreiten einer im Innenverhältnis erteilten Rechtsmacht im Rahmen des rechtlichen Könnens im Außenverhältnis erfüllt.960 Inhalt und Reichweite der Be959 960

Fischer, StGB, § 266, Rn. 58. Fischer, StGB, § 266, Rn. 24 f.

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4. Kap.: Strafbarkeitsbegründende Wirkung

fugnis richten sich im Wesentlichen nach den Bestimmungen im Anstellungsvertrag. Compliance-Vorgaben spielen insofern für den Missbrauchstatbestand lediglich für die Frage der Strafzumessung eine Rolle. Nach § 46 Abs. 2 StGB ist das Maß der Pflichtwidrigkeit ein relevantes Abwägungskriterium bei der Strafzumessung. Dabei bieten sich unternehmensinterne Compliance-Regelungen als Orientierungsmaßstab an.961 Von größerer Bedeutung sind Compliance-Regelungen für den Treubruchstatbestand nach § 266 Abs. 1 Alt. 2 StGB. Anknüpfungspunkt ist hier nicht die rechtliche Beziehung des Treupflichtigen zum anvertrauten Vermögen, sondern seine faktische Einwirkungsmacht. Auch dabei muss es sich um eine qualifizierte Pflichtenstellung handeln, die auf besonders schutzwürdigem Vertrauen in die Wahrnehmung der fremden Vermögensinteressen beruht.962 Anders als für den Missbrauchstatbestand genügt als Tathandlung der zweiten Alternative jede beliebige vermögensrelevante Handlung.963 Diesbezüglich werden sich im Anstellungsvertrag weniger Anhaltspunkte für Umfang und Grenzen der Vermögensbetreuungspflicht finden, während Compliance-Regelungen gerade das tatsächliche Verhalten im Unternehmen zum Gegenstand haben. Compliance-Vorschriften können bei der Konkretisierung der im Rahmen des Untreuetatbestandes erforderlichen Vermögensbetreuungspflicht Bedeutung erlangen. Selbst für den Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK), der lediglich Empfehlungen und Anregungen – neben bloßen Gesetzeswiederholungen – enthält, wird eine den strafrechtlichen Pflichtenmaßstab allgemein verbindlich festlegende Wirkung diskutiert.964 Dies sei im Wege der Anerkennung des DCGK als DIN-ähnliche Norm, vergleichbar der Praxis im Deliktsrecht, denkbar.965 Daneben komme eine Inkorporation in unternehmensinterne Regelwerke, wie Satzungen oder Geschäftsordnungen in Betracht.966 Allerdings werden Bedenken im Hinblick auf mangelnde Bestimmtheit und demokratische Legitimation des DCGK vorgebracht, die seiner strafbarkeitsbegründenden Wirkung entgegenstehen sollen.967 Mag der Grad an Bestimmtheit der einschlägigen Regelungen des Corporate Governance Kodex im Hinblick auf die Erfordernisse 961

Ausf. hierzu unten: § 6. BGH, NStZ 1999, 558; Fischer, StGB, § 266, Rn. 33. 963 Fischer, StGB, § 266, Rn. 50. 964 Vgl. Schlösser/Dörfler, wistra 2007, 326 ff. 965 Hüffer, AktG, § 161, Rn. 26 m.w. N.; Michalke, StV 2011, 245 (250); Schlösser/ Dörfler, wistra 2007, 326 (327). 966 Michalke, StV 2011, 245 (250); Schlösser/Dörfler, wistra 2007, 326 (327); kritisch hierzu: Bericht der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex an die Bundesregierung, Nov. 2010, S. 10 f., abrufbar unter: (zuletzt aufgerufen am 28.01.2012); Hüffer, AktG, § 76, Rn. 15c unter Hinweis auf Claussen/Bröcker, AG 2000, 481 (482 f.). 967 So Michalke, StV 2011, 245 (250). 962

§ 4 Sorgfaltspflichten

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des Untreuetatbestands auch zu beanstanden sein, könnte dieser im Falle unternehmensspezifischer Compliance-Vorschriften doch hinreichend erhöht sein. Von einer Inkorporation der DCGK-Vorgaben in unternehmensinterne Regelwerke hin zu einer direkten Berücksichtigung der in Umsetzung seiner Empfehlungen und Anregungen aufgestellten Compliance-Programme ist es nur noch ein kleiner Schritt. Dass auch Compliance-Regelungen für eine den Sondernormen entsprechende Indizwirkung in Betracht zu ziehen sind, wurde soeben ausführlich begründet. Im hier zu untersuchenden Zusammenhang interessiert zunächst die Frage, ob ein Verstoß gegen Compliance-Vorschriften eine Treupflichtverletzung darstellen kann. Vorstandsmitglieder einer AG und Geschäftsführer trifft bezüglich des ihnen anvertrauten Vermögens der juristischen Person eine Vermögensbetreuungspflicht i. S. v. § 266 Abs. 1 StGB.968 Diese könnte durch einen Verstoß gegen Compliance-Vorschriften verletzt werden. Compliance-Vorschriften können gesetzlich begründete Vermögensbetreuungspflichten dahingehend konkretisieren, dass ein Verstoß gegen die Compliance-Regelung zugleich eine Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht darstellt. So ist die in § 93 Abs. 1 S. 1 AktG für den Vorstand bei der Geschäftsführung geltende Sorgfaltspflicht des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters sehr allgemein gehalten.969 Eine Konkretisierung der gesetzlichen Sorgfaltspflichten aus § 93 Abs. 1 S. 1 AktG bzw. § 116 S. 1 AktG durch Compliance-Vorschriften kommt dabei der Aspekt zugute, dass ihnen als Akten der Selbstregulierung nicht der Vorwurf gemacht werden kann, das urteilende Gericht setze lediglich seine Einschätzung an die Stelle derjenigen des, im Falle einer Aktiengesellschaft, als Maßstab heranzuziehenden, ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters i. S. d. § 93 Abs. 1 S. 1 AktG.970 Eine Pflichtverletzung liegt vor, wenn der Treupflichtige eine ihm übertragene Geschäftsbesorgung nicht oder nicht ordnungsgemäß ausführt. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn er die ihm zur Ausführung seiner Tätigkeit erteilten Weisungen, Richtlinien oder gesetzlichen Bestimmungen nicht befolgt.971 Als die Treuepflicht konkretisierende Richtlinien kommen insbesondere ComplianceRegelungen und dabei zunächst Regelungen zur Verhinderung strafbaren Mitarbeiterverhaltens in Betracht. Compliance-Regelungen sollen gesetzmäßiges Verhalten aller Mitarbeiter sicherstellen und legen gerade dem Leitungspersonal er968 Für den Vorstand einer AG gegenüber der Gesellschaft: BGH, NJW 2002, 1585 (1587); für den Geschäftsführer einer GmbH gegenüber der Gesellschaft: BGH, wistra 1993, 301. 969 Nach § 43 Abs. 1 GmbHG haben auch die Geschäftsführer einer GmbH in den Angelegenheiten der Gesellschaft die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes anzuwenden. 970 Auf diesen Einwand gegen die Auslegung gesellschaftsrechtlicher Normen durch die Gerichte hinweisend: Michalke, StV 2011, 245 (249, Fn. 38) m.w. N. 971 S/S-Perron, § 266, Rn. 35a.

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4. Kap.: Strafbarkeitsbegründende Wirkung

höhte Pflichten auf. So heißt es in den Business Conduct Guidelines der Siemens AG: „Jede Führungskraft hat Organisations- und Aufsichtspflichten zu erfüllen. (. . .) Das heißt unter anderem, dass jede Führungskraft die Bedeutung ethischen Verhaltens und der Einhaltung von Richtlinien im täglichen Geschäft stets hervorheben (. . .) muss. (. . .) Eine Führungskraft muss ihren Mitarbeitern (. . .) klar machen, dass die Einhaltung von Gesetzen und Siemens Richtlinien unter allen Umständen und zu jedem Zeitpunkt oberste Priorität hat. (. . .) Die Führungskraft ist dafür verantwortlich, dass in ihrem jeweiligen Verantwortungsbereich keine Gesetzesverstöße geschehen, die durch angemessene Aufsicht hätten verhindert werden können.“ 972 Als Anhaltspunkt kann wie schon im Rahmen der allgemeinen Garantenstellung die Parallelproblematik vertraglicher Integritätsklauseln dienen. Werden vertragliche Integritätsklauseln verletzt, weil die erforderlichen Maßnahmen zur Verhinderung von Straftaten nicht ergriffen werden, liegt regelmäßig zugleich eine Aufsichtspflichtverletzung nach § 130 OWiG vor. Der Verstoß gegen diese gesetzliche Vorschrift begründet zugleich den Vorwurf nicht ordnungsgemäßer Geschäftsführung.973 Im Rahmen der Geschäftsführung sind die Leitungsorgane verpflichtet, vertraglich vereinbarte, das Unternehmen bindende Verpflichtungen zu erfüllen.974 Werden die erforderlichen Maßnahmen zur Verhinderung von Straftaten durch Unternehmensmitarbeiter nicht getroffen, so wirkt sich dies über die vertraglich vereinbarten Rechtsfolgen eines solchen Verstoßes auf das Unternehmensvermögen aus.975 Die heutigen Compliance-Systeme mit ihrer Intention der Eindämmung strafrechtlich relevanten Fehlverhaltens bilden die Weiterentwicklung früherer individualvertraglich vereinbarter Selbstverpflichtungserklärungen, die Einhaltung gesetzlicher Vorgaben im eigenen Unternehmen sicherzustellen.976 Werden in Verträgen gegenüber Geschäftspartnern die eigenen Compliance-Vorschriften in Bezug genommen, die zur Verhinderung von Straftaten erforderlichen Maßnahmen aber nicht vorgenommen, so kann daraus ebenfalls eine untreuerelevante Pflichtverletzung resultieren.977 Über die Pflicht, dafür zu 972

Business Conduct Guidelines der Siemens AG, Fn. 84, S. 7. Schlösser, wistra 2006, 446 (450). 974 Dies ergebe sich u. a. daraus, dass die juristische Person als solche nicht handlungsfähig und auf die Wahrnehmung ihrer Rechte und Pflichten durch die Organe angewiesen ist. Für die Erfüllung vertraglicher Verpflichtungen hat die Geschäftsleitung bzw. der Vorstand stets einzustehen, so dass insofern auch die Business Judgment Rule keiner Beachtung bedarf; vgl. Schlösser, wistra 2006, 446 (450 f.). 975 Ist daneben auch § 130 OWiG erfüllt, so ergibt sich der Vermögensbezug auch aus der nach § 30 OWiG möglichen Verhängung eines Bußgeldes gegen das Unternehmen; vgl. Schlösser, wistra 2006, 446 (451). 976 Auf die Bedeutung von Integritätsklauseln für die Entwicklung umfassender Compliance-Systeme hinweisend, vgl. bereits Schlösser, wistra 2006, 446 (452). 977 Die Vermögensbetreuungspflicht besteht nur gegenüber dem eigenen Unternehmen, so dass eine Untreuestrafbarkeit zu Lasten des Vertragspartners stets mangels Garantenstellung bzgl. seines Vermögens ausscheidet; vgl. BGH, NZG 2012, 992 (994). 973

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sorgen, dass die das Unternehmen bindenden vertraglichen Vereinbarungen eingehalten werden, können die in Compliance-Regelwerken enthaltenen Pflichtenkataloge somit konkretisierend Einfluss auf die Bestimmung der Vermögensbetreuungspflicht nehmen. Fehlt es an einer Einbeziehung von Compliance-Regelungen in Verträge mit Geschäftspartnern, ist zu überlegen, ob Compliance-Vorgaben als unternehmensinterne Richtlinien unmittelbar zur Konkretisierung der gesetzlichen Geschäftsleiterpflichten herangezogen werden können. Im Fall der Nichtaufdeckung schwarzer Kassen bei der Siemens AG hat der BGH die entsprechenden ComplianceVorschriften, die Schmiergeldzahlungen verbieten, jedoch erst im Rahmen einer etwaigen Einwilligung der Treugeberin diskutiert und die Pflichtverletzung in einem Verstoß gegen die Buchführungspflichten durch Nichtoffenbarung der Schwarzen Kasse gesehen.978 Die Entscheidung spricht aber zumindest für die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit von Compliance-Vorschriften als den Sorgfaltsmaßstab konturierende unternehmensinterne Richtlinien. Der Untreuetatbestand erfordert, dass die verletzte Pflicht in einem funktionalen Zusammenhang zum anvertrauten Vermögen steht. Die Rechtsprechung fordert einen „inneren Zusammenhang“ zwischen Täterhandeln und Vermögensbetreuungspflicht.979 Demnach muss der jeweiligen Compliance-Regelung zunächst Vermögensrelevanz zukommen. Straftaten, die von Mitarbeitern wegen Versäumnissen der zuständigen Vorgesetzten begangen werden, schädigen zumindest das Ansehen des Unternehmens. Im Falle von Korruption oder kartellrechtswidrigem Verhalten drohen zudem hohe Bußgelder. Eine Pflicht zur Verhinderung dieser Straftaten steht daher in engem Zusammenhang mit der Wahrnehmung der Vermögensinteressen des Unternehmens. Stellt der Compliance-Verstoß zugleich auch eine Verletzung der aus § 130 OWiG folgenden Aufsichtspflichten dar, so kann der Vermögensbezug auch hierüber hergestellt werden, da die Norm als Anknüpfungspunkt für die Festsetzung von Bußgeldern gegen das Unternehmen gem. § 30 OWiG dient.980 Damit kommt der Pflicht, für eine Unterbindung derartiger Taten zu sorgen, grundsätzlich Vermögensrelevanz zu. Auch eine Schädigung von Sachen des Treugebers kann eine Pflichtverletzung i. S. v. § 266 Abs. 1 StGB darstellen, wenn den Treupflichtigen diesbezüglich eine Obhutspflicht trifft.981 Compliance-Regelungen fordern Mitarbeiter aller Hierarchieebenen zu sorgfältigem Umgang mit Unternehmensvermögen auf.982 Alleine 978

BGH, NStZ 2009, 95 (97). BGH, NJW 1988, 2483 (2485); NJW 1992, 250 (251). 980 Schlösser/Dörfler, wistra 2006, 446 (451). 981 Achenbach/Ransiek-Seier, 5. Teil, 2, Rn. 162. 982 Vgl. insofern die Verhaltensgrundsätze des Volkswagen Konzerns, Fn. 84, S. 20: „Jeder unserer Mitarbeiter hat das Eigentum des Volkswagen Konzerns sachgemäß und schonend zu behandeln und vor Verlust zu schützen.“ 979

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4. Kap.: Strafbarkeitsbegründende Wirkung

daraus folgt zwar noch keine Vermögensbetreuungspflicht sämtlicher Angestellter gegenüber ihrem Arbeitgeber, selbst wenn sich der Gegenstand im Obhutskreis des jeweiligen Mitarbeiters befindet. Kommen jedoch weitere Aspekte hinzu, etwa die Stellung eines Compliance-Beauftragten oder ein gewisser eigenverantwortlicher Entscheidungsspielraum,983 so kann dies dazu beitragen, dass im Falle einer Sachbeschädigung, Unterschlagung oder Diebstahls auch eine Strafbarkeit nach § 266 Abs. 1 StGB in den Fokus der Ermittlungen rückt. Von wesentlich größerer Bedeutung ist aber eine Untreuestrafbarkeit der Leitungspersonen, weil die zur Verhinderung von Straftaten durch Unternehmensmitarbeiter erforderlichen Vorkehrungen nicht getroffen wurden. Compliance-Regelungen konkretisieren die bei der Unternehmensleitung zu beachtenden Pflichten des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters nach § 93 Abs. 1 S. 1 AktG. Der Vermögensbezug dieser Pflicht wurde oben bereits festgestellt. Da eine untreuerelevante Pflichtverletzung auch in einem Verstoß gegen interne Richtlinien begründet liegen kann,984 bedarf es insofern nicht zwingend der Annahme einer Verletzung von Aufsichtspflichten gem. § 130 OWiG. Werden die in Compliance-Regelungen festgelegten Maßnahmen zur Verhinderung von unrechtmäßigem Mitarbeiterverhalten nicht eingehalten, kann dies eine Verletzung der gegenüber dem Unternehmen bestehenden Vermögensbetreuungspflicht darstellen. Um dem Bestimmtheitsgrundsatz und dem Deliktscharakter des zivilrechtsakzessorischen Tatbestands Rechnung zu tragen, ist zu überlegen, ob ComplianceVorschriften nicht eine über die bloße Konkretisierung gesetzlicher Vermögensbetreuungspflichten hinausgehende Bedeutung zukommen sollte. So könnte der Treubruchstatbestand dahingehend konkretisiert werden, dass der Einhaltung von bzw. einem Verstoß gegen unternehmensinterne Compliance-Maßnahmen Indizwirkung für eine ordnungsgemäße Erfüllung bzw. eine Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht zukommt. Insbesondere für die Untreuestrafbarkeit durch Auslösen von Sanktionen könnten Compliance-Vorgaben Anhaltspunkte für die Beurteilung der Pflichtwidrigkeit des Verhaltens eines zuständigen Leitungsorgans liefern. Vieles spricht dafür, den in Compliance-Programmen getroffenen Regelungen indizielle Wirkung zuzuschreiben. Compliance-Regelwerke kodifizieren die unternehmensinternen Beziehungen zwischen dem Unternehmen und seinen Mitarbeitern, sowie zwischen diesen. Sie legen Verhaltensstandards für ordnungsgemäßes Verhalten fest und geben insbesondere im Hinblick auf die Verhinderung, Aufdeckung und Unterbindung von Straftaten konkrete Handlungsanweisungen. Sie gestalten damit das interne Treupflichtverhältnis zwischen dem Unternehmen selbst und den zuständigen Leitungspersonen aus. Einer Konkretisierung der ein983 In Betracht kommen insofern insbesondere Führungskräfte auf Ebene des unteren und mittleren Managements. 984 Vgl. S/S-Perron, § 266, Rn. 35a m.w. N.

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zuhaltenden Treupflichten durch den Treugeber selbst kommt dabei dessen Sachnähe zugute. Die normsetzenden Initiatoren von Compliance-Regelwerken sind mit den unternehmensinternen Besonderheiten und Risikopotenzialen vertraut, so dass die Regelungen den spezifischen Erfordernissen des einzelnen Unternehmens optimal angepasst werden können. Da geschütztes Rechtsgut des Untreuetatbestandes allein das individuelle Vermögen des Treugebers ist,985 wird diese Art der Konkretisierung gesellschaftsrechtlicher Sorgfaltspflichten dem Schutzgut am besten gerecht. Hinzu kommt, dass das Unternehmen selbst ein großes Eigeninteresse an der effektiven Wahrnehmung seiner Vermögensinteressen hat, was bei entsprechender Umsetzung durch seine Organe ein entsprechend hohes Schutzniveau gewährleistet. Darüberhinaus bietet sich eine dem Missbrauchstatbestand entsprechende Begrenzung der tatbestandlichen Weite auch beim Treubruchstatbestand an. Während die Missbrauchsalternative des § 266 Abs. 1 Alt. 1 StGB durch das rechtliche Dürfen im Innenverhältnis konkretisiert wird, kann dies im Rahmen der Treubruchsvariante durch Festlegung des tatsächlichen Dürfens in ComplianceVorgaben erreicht werden. Die faktische Herrschaftsmöglichkeit über das zu betreuende Vermögen, deren Konturierung im Hinblick auf eine relevante Verletzung so große Schwierigkeiten bereitet, wird im Wege der Ausgestaltung durch Compliance-Vorschriften der gebotenen restriktiven Handhabung zugänglich. Die zivilrechtliche Anbindung des Tatbestandes in Bezug auf Umfang und Grenzen der Pflichtenstellung des Treunehmers986 sprechen dafür, ComplianceRegelungen, sofern ihr Anwendungsbereich eröffnet ist, d.h. sofern sie die in Frage stehende Verhaltensweise regeln, stärker zu berücksichtigen. Auch der BGH scheint mit seiner im Kölner Parteispendenskandal getroffenen Entscheidung zu dieser Sichtweise zu tendieren.987 In konsequenter Fortführung der AUB-Rechtsprechung hat der 1. Strafsenat die Begründung des Vermögensbezugs einer Pflichtwidrigkeit durch privatrechtliche Vereinbarungen anerkannt, obwohl sich der Rechtsverstoß auf eine nicht vermögensschützende Norm bezog.988 Kann durch Satzungsvereinbarung selbst eine vom Gesetzgeber vorgegebene Schutzrichtung von Gesetzen modifiziert werden, sollte dies erst recht in den Fällen anzunehmen sein, in denen die Zielrichtung der privatrechtlichen Vereinbarung auf einer Linie mit der gesetzgeberischen Intention liegt. Compliance-Regelungen sollen gesetzmäßiges Verhalten im Unternehmen sicherstellen und fördern damit das in § 43 Abs. 1 S. 1 GmbHG sowie §§ 93 Abs. 1, 116 S. 1 AktG verankerte Legalitätsprinzip. So wie der Vermögensbezug vereinbart werden 985

Fischer, StGB, § 266, Rn. 2. Vgl. Fischer, StGB, § 266, Rn. 58. 987 Zwar betraf die Modifikation den Vermögensbezug der Norm, jedoch lässt sich diese Argumentation auch auf die Frage der Pflichtverletzung übertragen. 988 BGH, NStZ 2011, 403 (Ls. 1 u. 2; 404 f.). 986

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4. Kap.: Strafbarkeitsbegründende Wirkung

kann, so sollten auch die vermögensbezogenen Verhaltensweisen in unternehmensinternen Regelwerken festgelegt werden können. Daher sollte der Einhaltung von bzw. Verstößen gegen Compliance-Regelungen im Rahmen von § 266 Abs. 1 Alt. 2 StGB zumindest eine Indizwirkung zuerkannt werden, wenn eine Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht, etwa durch Nichtverhinderung betrieblicher Straftaten, in Frage steht. Sofern Compliance-Vorschriften konkretisierende Angaben zur anzuwendenden kaufmännischen Sorgfalt bei der Geschäftsführung machen, ist sodann zu überlegen, wie sich deren Verbindlichkeit für die in die Pflicht zu nehmenden Organe begründen lässt. Dabei erscheint der Ansatz von Schlösser/Dörfler vielversprechend, die – im Hinblick auf den Corporate Governance Kodex – zwischen einer Anbindung durch die nach § 161 AktG abzugebende Entsprechenserklärung, durch Geltung als allgemeiner Sorgfaltsmaßstab und durch Einbeziehung in gesellschaftsinterne Vorschriften unterscheiden.989 Auf die Entsprechenserklärung nach § 161 AktG kann nur dann zurückgegriffen werden, wenn die entsprechenden Compliance-Vorschriften die im Corporate Governance Kodex enthaltenen Empfehlungen umsetzen. In allen übrigen Fällen wird sich die Betrachtung auf die beiden anderen Möglichkeiten zu beschränken haben. Bei der Frage, ob ein Verstoß gegen Compliance-Regelungen eine Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht darstellt ist auch die Business Judgment Rule im Blick zu behalten. Demnach steht der Geschäftsleitung bei unternehmerischen Entscheidungen ein weiter Ermessensspielraum zu.990 Daher kann nicht jeder Verstoß gegen Compliance-Vorschriften eine Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht zur Folge haben. Bei der Frage, ob eine unvertretbare unternehmerische Entscheidung vorliegt, können Compliance-Vorschriften, gewissermaßen als „antizipierte Ermessensausübung“ der Leitungsorgane, als Vergleichsmaßstab zur Bewertung herangezogen werden. Für Investitionsentscheidungen, insbesondere den Erwerb einer Mehrheits- oder Minderheitsbeteiligung an einem anderen Unternehmen oder die Bildung eines Gemeinschaftsunternehmens, sehen z. B. die Business Conduct Guidelines der Siemens AG zwingend die vorherige Durchführung einer Compliance-Prüfung vor.991 Wird dagegen verstoßen, spricht dies re989

Schlösser/Dörfler, wistra 2007, 326 (327). BGH, NStZ 2006, 221 (222); BGHSt 50, 331 (336) im Anschluss an die zivilrechtliche Rechtsprechung in BGHZ 135, 244 (253); mit dem UMAG vom 22.09.2005 (BGBl. I, 2802) wurde die Business Judgment Rule in § 93 Abs. 1 S. 2 AktG kodifiziert. Abzugrenzen von Sorgfaltspflichtverletzungen wegen Verstoßes gegen Treue-, und Informationspflichten oder sonstige allgemeine Gesetzes- und Satzungsverstöße setzt eine fehlgeschlagene unternehmerische Entscheidung i. S. v. § 93 Abs. 1 S. 2 AktG voraus, dass es sich um eine unternehmerische Entscheidung handelt, Gutgläubigkeit des Entscheidungsorgans vorliegt, das Handeln frei von Sonderinteressen und sachfremden Einflüssen ist, zum Wohle der Gesellschaft und auf der Grundlage angemessener Informationen erfolgt. 991 Vgl. Business Conduct Guidelines der Siemens AG, Fn. 84, S. 9. 990

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gelmäßig für eine Verletzung der gegenüber dem Unternehmen bestehenden Treupflichten, auch wenn die Durchführung einer solchen Prüfung grundsätzlich eine der Business Judgment Rule unterfallende unternehmerische Entscheidung darstellt. Sofern keine besonderen gesetzlichen Prüfungs- und Informationspflichten gelten, wie dies u. a. in § 18 S. 1 KWG der Fall ist, helfen ComplianceVorgaben ferner im Rahmen von Risikogeschäften bei der Abgrenzung des „wirtschaftlich erlaubte(n) Risiko(s)“ 992 von der Treuwidrigkeit i. S. v. § 266 Abs. 1 StGB. Auch unter diesen beiden Aspekten kann einem Verstoß gegen Compliance-Regelungen Indizwirkung für eine Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht beizumessen sein. Schließlich stellt sich die Frage, ob zwischen gesetzlich und rechtsgeschäftlich begründeter Vermögensbetreuungspflicht zu differenzieren ist. Die Pflicht fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen kann gem. § 266 Abs. 1 StGB aus Gesetz, behördlichem Auftrag, Rechtsgeschäft oder einem Treueverhältnis folgen. Im hier untersuchten Zusammenhang interessiert in erster Linie die Begründung durch Gesetz oder Rechtsgeschäft. Geht es um die Ausgestaltung des Pflichtenkreises lässt sich in der Regel kein Unterschied hinsichtlich des Beeinflussungsgrades durch Compliance-Regelungen feststellen. Eine Ausnahme gilt für bestimmte Branchen, etwa den Bankensektor, für den die Vorschriften der §§ 13, 13a und 18 KWG spezifische Verhaltensnormen z. B. für die Vergabe von Großkrediten vorsehen. In den übrigen Fällen gesetzlich begründeter Treuepflichten beschränkt sich das Gesetz auf sehr allgemein gehaltene Vorgaben, wie die §§ 93 Abs. 1 AktG, 34, 41 GenG oder § 43 Abs. 1 GmbHG. Aber auch diese gesetzlich begründeten Pflichtenstellungen sehen in der Regel einen rechtsgeschäftlichen Begründungsakt vor, wie die Bestellung des Geschäftsführers einer GmbH gem. § 6 Abs. 3 GmbHG. Die Ausgestaltung der entsprechenden Leitungspositionen erfolgt durch Gesellschafts- und Anstellungsvertrag, Satzung, Beschlüsse der Gesellschafter und anderer Organe und nicht zuletzt durch den Gesellschaftszweck. Eine Einbeziehung von Compliance-Regelungen findet meist über eine Bezugnahme im Anstellungsvertrag statt, in der die Geltung der Verhaltensgrundsätze anerkannt wird. Bei rein rechtsgeschäftlich begründeter Treupflichtübernahme ist dies nicht anders. Hier sind ebenfalls Weisungen und Abreden im Rahmen des jeweiligen Vertragsverhältnisses für die Ausgestaltung des Treueverhältnisses maßgeblich. Fehlen besondere gesetzliche Vorgaben zur Präzisierung der Treuepflicht, lassen sich im Hinblick auf die Bedeutung von Compliance-Regelungen somit keine Unterschiede hinsichtlich ihres Wirkungsgrades bei der Ausgestaltung der Vermögensbetreuungspflicht feststellen.

992 Mit dem „wirtschaftlich erlaubten Risiko“ umschreibt Günther, in: FS Weber, 2004, S. 311 ff. (314), die im Rahmen von Risikogeschäften zulässigen Verhaltensweisen.

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b) Sonstige Pflichten Inhaltlich erfordern Sorgfaltspflichten aus dem konkreten Verhalten erwachsende Gefahren für das geschützte Rechtsgut zu erkennen und sich darauf richtig einzustellen, d.h. die gefährliche Handlung entweder ganz zu unterlassen oder nur unter entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen vorzunehmen.993 Die Bestimmung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt orientiert sich, wie oben bereits festgestellt, an der tatsächlich aufgewandten Sorgfalt in der Unternehmenswirklichkeit. Eine überobligationsmäßige Pflichterfüllung in der Praxis wirkt sich damit auch auf die rechtlich erforderliche Sorgfalt aus. In diesem Zusammenhang zwischen Unternehmenswirklichkeit und Pflichtenbestimmung sieht Kuhlen einen wesentlichen Faktor für die Erhöhung des Strafbarkeitsrisikos durch Compliance-Regelungen.994 Konsequent zu Ende gedacht beruht die Anhebung der gesetzlichen Sorgfaltsanforderungen auf der Formulierung strengerer Verhaltensanforderungen in den Compliance-Programmen der Unternehmen. Compliance-Regelungen wollen über Strafbarkeitsrisiken aufklären und Rechtsgutsverletzungen vorbeugen. So statuieren die Business Conduct Guidelines der Siemens AG, dass Mitarbeiter, die für die Beauftragung von externen Beratern, Agenten oder Partnern in Gemeinschaftsunternehmen verantwortlich sind, in angemessener Weise dafür Sorge zu tragen haben, dass die Beauftragten die Korruptionsbekämpfungsrichtlinien des Siemens Konzerns oder vergleichbare Bestimmungen kennen und einhalten, die Qualifikation und das Ansehen der Beauftragten genau zu prüfen haben und geeignete vertragliche Bestimmungen zum Schutz von Siemens vereinbaren.995 Den Mitarbeitern werden damit nicht nur zusätzliche Pflichten auferlegt, die sich im Rahmen der vorsätzlichen Unterlassungsdelikte auswirken können. Auch die Prüfpflicht hinsichtlich Qualifikation und Ansehen der ausgewählten Partner kann sich strafbarkeitsbegründend auswirken. Zu denken wäre insofern an den Fall, dass durch Produkte eines Unternehmens Dritte verletzt werden und dem beim Mutterkonzern tätigen Mitarbeiter für die Auswahl beauftragter Subunternehmer oder Vertriebspartner der Vorwurf einer Mitverantwortung im Rahmen der §§ 229 oder 222 StGB gemacht werden kann. Bei der Nebentäterschaft sind die Tatbeiträge jeweils für sich in Bezug zum eingetretenen Enderfolg zu setzen und entsprechend zu würdigen.996 Das Wissen, bei Auswahl und Beauftragung externer Partner zu besonderer Aufmerksamkeit verpflichtet zu sein, kann insofern die geringere Nähe zum verletzten Rechtsgut ausgleichen. Auch wenn der Taterfolg letztlich auf einer Nachlässigkeit des Subunternehmers beruht, kann die Auferlegung besonderer Prüfpflichten in Com993

Wessels/Beulke, AT, Rn. 668. Kuhlen, in: Maschmann (Hrsg.): Corporate Compliance und Arbeitsrecht, 2009, S. 11 ff. (25 f.). 995 Business Conduct Guidelines der Siemens AG, Fn. 84, S. 9. 996 BGHSt 4, 20; S/S-Heine, § 25, Rn. 100. 994

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pliance-Vorgaben dazu führen, eine strafrechtlich vorwerfbare Sorgfaltspflichtverletzung zu bejahen. In Bezug auf Datenschutz und Datensicherheit fordern die Business Conduct Guidelines der Siemens AG: „Personenbezogene Daten dürfen nur erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, soweit dies für festgelegte, eindeutige und rechtmäßige Zwecke erforderlich ist. Darüber hinaus müssen personenbezogene Daten sicher aufbewahrt werden und dürfen nur unter Anwendung der nötigen Vorsichtsmaßnahmen übertragen werden. Bei der Datenqualität und der technischen Absicherung vor unberechtigtem Zugriff muss ein hoher Standard gewährleistet sein.“ 997 Zwar setzt die Strafbarkeit nach § 44 Abs. 1 BDSG vorsätzliches Verhalten voraus, jedoch sind die Grenzen zwischen bewusster Fahrlässigkeit und bedingtem Vorsatz nicht selten fließend und eine Verletzung der ComplianceVorgaben könnte dem urteilenden Richter als Hinweis darauf dienen, dass der jeweilige Mitarbeiter den Erfolgseintritt zumindest ernsthaft für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen hat. In Bezug auf Insiderinformationen fordern die Guidelines „immer sicherzustellen, dass insiderrelevante Informationen so unter Verschluss gehalten werden, beziehungsweise abgesichert sind, dass Unbefugte dazu keinen Zugang erhalten können.“ 998 Die Vorschriften der § 38 Abs. 4 i.V. m. Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2a Nr. 1 WpHG stellen auch leichtfertiges Handeln unter Strafe. Die Beurteilung, ob das Verhalten im jeweiligen Fall als leichtfertig anzusehen ist, kann sich an entsprechenden Compliance-Vorschriften orientieren. Leichtfertigkeit umschreibt einen gesteigerten Grad an Fahrlässigkeit, wenn der Täter die gebotene Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße verletzt und entweder infolge groben Unverstands verkennt, dass er den Tatbestand verwirklicht obwohl sich dies geradezu aufdrängt oder dies zwar erkennt aber entgegen jeder Vernunft auf den Nichteintritt vertraut.999 Praktisch relevant sind insbesondere Fehlvorstellungen oder Unkenntnis über die Kurserheblichkeit oder die noch nicht gegebene Bereichsöffentlichkeit einer Information.1000 Die Bayer Corporate Compliance Policy beschreibt nicht nur beispielhaft insiderrelevante Informationen, etwa die beabsichtigte Veräußerung von Unternehmensteilen, die Gründung von Joint Ventures oder Informationen über Besonderheiten des Geschäftsverlaufs. Sie fordert auch, dass im Umgang mit und der Weitergabe von Informationen angemessene Maßnahmen getroffen werden, um die Vertraulichkeit zu gewährleisten und den Missbrauch durch Dritte zu verhindern.1001 Unterlässt ein Mitarbeiter entsprechende Sicherheitsvorkehrungen und kommt es infolgedessen zu Verstößen gegen das WpHG, 997

Business Conduct Guidelines der Siemens AG, Fn. 84, S. 19. Business Conduct Guidelines der Siemens AG, Fn. 84, S. 21. 999 MüKo-Pananis, § 38 WpHG, Rn. 88. 1000 MüKo-Pananis, § 38 WpHG, Rn. 88. 1001 Corporate Compliance Policy der Bayer AG, Fn. 84, S. 15. 998

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4. Kap.: Strafbarkeitsbegründende Wirkung

werden die einschlägigen Compliance-Regelungen den Vorwurf die Tatbestandsverwirklichung habe sich aufgedrängt bzw. auf eine Nichtverwirklichung habe vernünftigerweise nicht vertraut werden dürfen, stützen. Entsprechendes gilt für den Einwand, die Kurserheblichkeit der jeweiligen Insiderinformation sei nicht ausreichend erkennbar gewesen. Compliance-Regelungen zur internen Arbeitssicherheit werden für die Ausgestaltung der Sorgfaltspflichten im Rahmen der §§ 222, 229 StGB relevant. Den Siemens Business Conduct Guidelines zufolge, trägt jeder Einzelne eine Mitverantwortung dafür, sichere Arbeitsbedingungen zu schaffen. Die Verantwortung gegenüber Mitarbeitern und Kollegen gebiete es, bei der technischen Planung von Arbeitsplätzen, Einrichtungen und Prozessen, im Rahmen des Sicherheitsmanagements und des persönlichen Verhaltens am Arbeitsplatz bestmögliche Vorsorge gegen Unfälle zu treffen. Jeder Mitarbeiter habe der Arbeitssicherheit seine ständige Aufmerksamkeit zu widmen.1002 Mit der Forderung nach bestmöglichem und andauerndem Bemühen um Gefahrenprävention werden die Sorgfaltsanforderungen sowohl qualitativ als auch quantitativ denkbar hoch angesetzt. Orientieren sich Strafverfolgungsbehörden und Rechtsprechung unmittelbar an diesem Standard ist das strafbarkeitsbegründende Potenzial entsprechender Compliance-Vorgaben offensichtlich. Aber auch, wenn vordergründig an der Formel der „im Verkehr erforderlichen Sorgfalt“ festgehalten wird, nimmt die Erfüllung überobligationsmäßiger Verhaltensvorgaben mittelbar Einfluss auf den Inhalt von Sorgfaltspflichten, da sich deren Bestimmung entscheidend an der in der Unternehmenswirklichkeit tatsächlich aufgewandten Sorgfalt orientiert.1003

II. Objektive Vorhersehbarkeit des Erfolges Die Bestrafung aus einem Fahrlässigkeitsdelikt setzt voraus, dass der Eintritt des tatbestandlichen Erfolges objektiv vorhersehbar war. Objektiv vorhersehbar ist, was ein umsichtig handelnder Mensch aus dem Verkehrskreis des Täters unter den jeweils gegebenen Umständen aufgrund allgemeiner Lebenserfahrung in Rechnung stellen würde.1004 Der Beurteilung zugrunde zu legen ist ein durchschnittliches Mitglied des jeweiligen Verkehrskreises.1005 Entscheidend ist danach das durchschnittliche Maß an Wissen und Risikobewusstsein, wie es bei Vergleichspersonen des entsprechenden Verkehrskreises vorhanden ist. Die Sensibilisierung für Gefahren und Aufklärung über Strafbarkeitsrisiken stellen einen 1002

Business Conduct Guidelines der Siemens AG, Fn. 84, S. 22. Vgl. Kuhlen, in: Maschmann (Hrsg.): Corporate Compliance und Arbeitsrecht, 2009, S. 11 ff. (25 f.). 1004 Wessels/Beulke, AT, Rn. 667a. 1005 Jäger, AT, Rn. 374. 1003

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wesentlichen Inhalt von Compliance-Vorgaben dar. Dadurch wird das Risiko- und Gefahrenbewusstsein der Unternehmensmitarbeiter allgemein erhöht. Unter Bezugnahme auf entsprechend sensibilisierte Verkehrskreise als Vergleichsmaßstab kann die Vorhersehbarkeit der Gefahr auch für einen einzelnen Mitarbeiter des betreffenden Unternehmens eher zu bejahen sein. Dies gilt insbesondere für die Fahrlässigkeitstatbestände des Umweltstrafrechts.1006 Weisen Compliance-Regelungen darauf hin, dass Mitarbeiter im Rahmen der Produktentwicklung auf umweltfreundliche Gestaltung, technische Sicherheit und Gesundheitsschutz zu achten haben,1007 mag dies zwar noch nicht für eine Vorhersehbarkeit konkreter Rechtsgutsverletzungen im Einzelfall genügen. Stellen Compliance-Regelungen aber klar, dass die „Umweltmedien Luft, Wasser und Boden (. . .) in der Regel nur im Rahmen einer zuvor erteilten Genehmigung in Anspruch genommen werden“ dürfen, „beim Umgang mit Gefahrstoffen die einschlägigen Vorschriften und technischen Regeln zu beachten“ sind und zur Vermeidung von Unfällen und Störfällen „Anlagen sorgfältig geplant sowie regelmäßig und systematisch kontrolliert und gewartet werden“ müssen,1008 liegt es nahe den Adressaten dieser Regeln nicht nur die Kenntnis entsprechender Risiken, sondern auch die Vorhersehbarkeit einer Gewässerverunreinigung nach § 324 Abs. 3 StGB zu unterstellen. Die Vorhersehbarkeit des Erfolgseintritts spielt bereits im Rahmen der Sorgfaltspflichtbestimmung eine Rolle, wenn verlangt wird, die aus dem konkreten Verhalten für das geschützte Rechtsgut erwachsenden Gefahren zu erkennen und sich darauf richtig einzustellen. Die Kriterien zur Bestimmung der erforderlichen Sorgfalt decken sich entsprechend weitgehend mit denjenigen der Vorhersehbarkeit des tatbestandlichen Erfolges. Wie oben bereits gezeigt, sind die standardisierenden Elemente im Wesentlichen gleich. Die Orientierung am Verkehrskreis des Täters entspricht der sozialen Rolle, der der Täter entstammt, die objektive ex ante Betrachtung der Gefahrenlage findet ihre sinngemäße Entsprechung in der allgemeinen Lebenserfahrung, nach der mit einem bestimmten Erfolgseintritt zu rechnen ist. Auch die Betrachtung eines besonnenen und gewissenhaften Menschen unterscheidet sich nicht von derjenigen des umsichtig handelnden. Beide Idealtypen sind in der konkreten Lage bzw. unter den jeweils gegebenen Umständen zu betrachten. Da sich die standardisierenden Kriterien nur begrifflich, nicht aber inhaltlich unterscheiden und auch die Bestimmung der Sorgfaltspflicht die für das geschützte Rechtsgut bestehende Gefahr mit einbezieht, ergeben sich bei der Vor1006 In Betracht kommen dabei insb. die Gewässerverunreinigung nach § 324 Abs. 3 StGB, die Bodenverunreinigung gem. § 324a Abs. 3 StGB sowie die Luftverunreinigung gem. § 325 Abs. 3 StGB. 1007 Vgl. Business Conduct Guidelines der Siemens AG, Fn. 84, S. 22. 1008 So die Corporate Compliance Policy der Bayer AG, Fn. 84, S. 13.

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4. Kap.: Strafbarkeitsbegründende Wirkung

hersehbarkeit des Erfolges die gleichen Anknüpfungspunkte einer strafbarkeitsbegründenden Einflussnahme durch Compliance-Regelungen. Wird mit einer vereinzelt in der Literatur vertretenen Meinung anstelle der Sorgfaltspflichtverletzung die Erkennbarkeit der Tatbestandsverwirklichung verlangt,1009 gelten diese Ausführungen entsprechend. Nicht nur für die Vorhersehbarkeit des Erfolges, sondern auch für die Erkennbarkeit der Tatbestandsverwirklichung sind Risiko- und Gefahrenbewusstsein der jeweiligen Verkehrskreise ausschlaggebend.1010 Beides wird durch die Benennung spezifischer Gefährdungssituationen und Erläuterung entsprechender Haftungsrisiken in Compliance-Vorgaben unternehmensweit standardisiert.

III. Vertrauensgrundsatz Der Vertrauensgrundsatz wurde von der Rechtsprechung zunächst für Fahrlässigkeitsdelikte im Bereich des Straßenverkehrs entwickelt, bevor er für arbeitsteilig geprägte Sachverhalte allgemein Bedeutung erlangte.1011 Gemäß der Maxime, dass jemand, der einen Arbeitsschritt vornimmt, sich grundsätzlich darauf verlassen kann, dass derjenige, der einen vorhergehenden Arbeitsschritt ausgeführt hat, ordnungsgemäß gearbeitet hat, ohne dies nachkontrollieren zu müssen,1012 begrenzt bzw. modifiziert er die Sorgfaltspflicht.1013 Die Wirkung von Compliance-Regelungen in diesem Zusammenhang ist ambivalent. 1. Strafbarkeitsbegrenzende Wirkung Strafbarkeitsbegrenzende Wirkung entfalten Compliance-Regelungen, indem sie für ein Vorliegen der Anwendbarkeitsvoraussetzungen des Vertrauensgrundsatzes sorgen und den anerkannten Ausnahmen1014 seiner Anwendbarkeit entgegenwirken. So setzt eine Herabsetzung der an die Sorgfalt zu stellenden Anforderungen voraus, dass das Vertrauen auf vorschriftsmäßiges Verhalten des anderen schutzwürdig ist. Dies ist aber dann nicht der Fall, wenn rechtswidriges Verhalten zum Normalfall geworden und damit ein Vertrauen auf rechtmäßiges vernünfti-

1009

Schroeder, JZ 1989, S. 776 ff.; Hinweis hierzu bei Jäger, AT, Rn. 374. Auf die Bedeutung von Compliance-Vorschriften für die Erkennbarkeit der Tatbestandsverwirklichung im Rahmen der Fahrlässigkeitsstrafbarkeit hinweisend: Sieber, in: FS Tiedemann, 2008, S. 449 ff. (469). 1011 Mansdörfer, Wirtschaftsstrafrecht, 2011, Rn. 149. 1012 Jäger, AT, Rn. 374. 1013 BeckOK-Kudlich, § 15, Rn. 46. 1014 Ausnahmen vom Vertrauensgrundsatz gelten bei besonderen Anhaltspunkten für Gefährdungslagen im konkreten Fall (BGH, NJW 1960, 831 (832)); wenn regelwidriges Verhalten zur Norm geworden ist (BGH, NJW 1959, 1547 (1548)); in Fällen, in denen sich der Täter selbst nicht ordnungsgemäß verhält (BGH, NJW 1968, 1532 (1533)). 1010

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gerweise nicht mehr aufgebaut werden kann.1015 Compliance-Regelungen schreiben Anforderungen an sorgfaltsgemäßes Verhalten fest, die unternehmensweit Geltung beanspruchend, für ein bestimmtes Sorgfaltsniveau sorgen. Werden sie effektiv durchgesetzt und befolgt, wird die Einhaltung gewisser Mindeststandards sorgfältigen Verhaltens zur Regel und eine Berufung auf den Vertrauensgrundsatz erleichtert. Auch bei der Delegation von Aufgaben kommt der Vertrauensgrundsatz zum Tragen. Das Vertrauen der Leitungsperson in die ordnungsgemäße Pflichtenerfüllung durch nachgeordnete Mitarbeiter modifiziert die Verantwortung im Hinblick auf strafrechtlich geschützte Rechtsgüter.1016 Zwar treffen den Delegierenden Auswahl-, Anleitungs- und Überwachungspflichten bezüglich der mit der Aufgabe zu betrauenden Person sowie Kommunikations- und Koordinationspflichten in Bezug auf das arbeitsteilige Zusammenwirken. Eine Pflicht, Vorsorgemaßnahmen gegen Sorgfaltsmängel zu treffen, besteht indes nicht.1017 Das Vertrauen in die ordnungsgemäße Erfüllung der übertragenen Pflicht ist rechtlich schutzwürdig und im Rahmen des Vertrauensgrundsatzes zur Verantwortungsbegrenzung tauglich, solange keine Zweifel an einer ordnungsgemäßen Erfüllung der delegierten Pflichten bestehen.1018 Mit anderen Worten muss die delegierende Person ihrem modifizierten Pflichtenprogramm in angemessener Weise nachkommen. Dazu ist bereits im Vorfeld der Entstehung von Zweifeln anzusetzen, indem dafür gesorgt wird, dass die verantwortlichen Stellen von Tatsachen, die auf mangelhafte Pflichterfüllung hindeuten, möglichst frühzeitig Kenntnis erlangen. Die Überwachungspflicht umfasst damit Informations- und Kommunikationsaufgaben.1019 Diese Funktionen können durch eine Implementierung von Hinweisgebersystemen erfüllt werden. Die Einrichtung, Kommunikation und Pflege derartiger Meldesysteme kann sich somit über den Vertrauensgrundsatz verantwortungsbegrenzend auswirken. Neben der Aufsichtssorgfalt erfordert die Überwachungssorgfalt, dass Leitungspersonen die Tätigkeit von nachgeordneten Mitarbeitern so ordnen, dass Pflichtverstöße nach Möglichkeit vermieden werden. Das kann insbesondere durch Richtlinien oder Dienstanweisungen geschehen.1020 Einrichtung und Umsetzung eines Compliance-Programms, das ordnungsgemäßes Verhalten über alle Hierarchieebenen hinweg propagiert, sprechen für eine ordnungsgemäße Erfüllung der Überwachungssorgfalt. 1015

Vgl. BeckOK-Kudlich, § 15, Rn. 48; BGH, NJW 1959, 1547 (1548). Luhmann spricht von Vertrauen als Voraussetzung der Reduktion sozialer Komplexität: Luhmann, Vertrauen, 2000, S. 27 ff.; vgl. dazu im Zusammenhang mit dem Vertrauensgrundsatz: Hauschka-Schmidt-Husson, § 7, Rn. 11 m.w. N. 1017 Vgl. BGH, StV 1988, 251; S/S-Sternberg/Lieben, § 15, Rn. 152. 1018 Vgl. BGH, NJW 1955, 1487. 1019 Hauschka-Schmidt-Husson, § 7, Rn. 11 f. 1020 Hauschka-Schmidt-Husson, § 7, Rn. 26. 1016

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4. Kap.: Strafbarkeitsbegründende Wirkung

2. Strafbarkeitsbegründende Wirkung In seiner Umkehrung führt der Vertrauensgrundsatz zu einer strafbarkeitsbegründenden Wirkung. Wie Schroeder richtig festgestellt hat, hält die Annahme, sich in gewissen Konstellationen auf normgemäßes Verhalten seiner Umgebung verlassen zu können, für den Täter nicht nur eine privilegierende Wirkung sondern auch eine belastende bereit.1021 Da im Anwendungsbereich des Vertrauensgrundsatzes rechtmäßiges Verhalten anderer zu erwarten ist, folgt im Gegenzug, dass der Einzelne zur Erfolgsvermeidung tätig werden muss. Der Einlassung auch ohne sein pflichtgemäßes Verhalten wäre es zu der Rechtsgutsverletzung gekommen, wird damit die Grundlage entzogen.1022 Aus dem Vertrauendürfen wird ein Vertrauenmüssen. Insofern wirkt sich die Festschreibung normgemäßen Verhaltens in Compliance-Regelungen und die aus ihrer Umsetzung resultierende Statuierung sorgfaltsgemäßer Mindeststandards bzgl. der im Unternehmen zu erwartenden Verhaltensweisen strafbarkeitsbegründend aus.

IV. Resumee Bei der Bestimmung des Sorgfaltsmaßstabes können Vorschriften in Compliance-Regelwerken zum einen mittelbar über die Modifizierung von anerkannten Verhaltensstandards und Sondernormen Wirkung entfalten. Mittel- bis langfristig können Compliance-Vorgaben zu allgemeinen Verkehrsstandards werden und im Rahmen des Verkehrskreises bzw. der sozialen Position, an denen sich das Maß einzuhaltender Sorgfalt orientiert, Berücksichtigung finden. Zum anderen ist eine unmittelbare Berücksichtigung von Compliance-Regelungen als Sondernormen in der künftigen Rechtsprechungspraxis nicht nur zu erwarten sondern auch zu befürworten. Die Einhaltung von Compliance-Regeln sollte als Indiz für sorgfaltsgemäßes Verhalten gewertet werden, ein Verstoß als Indiz für das Vorliegen einer Sorgfaltswidrigkeit. Das haftungsbegründende Potenzial von Compliance-Regelungen zeigt sich insofern besonders deutlich, als ihre Befolgung dann nicht als Indiz für sorgfaltsgerechtes Verhalten dienen kann, wenn das jeweilige Regelwerk ein allgemeines Gefährdungsverbot enthält, während umgekehrt die indizielle Wirkung eines Verstoßes nicht eingeschränkt wird. Im Hinblick auf die Berücksichtigung von Sonderwissen und Sonderfähigkeiten gilt, dass durch die zunehmende Verbreitung von Compliance-Regelungen und die umfangreiche Aufklärung über Haftungsrisiken bislang als Ausnahmefälle behandelte Tätervoraussetzungen verallgemeinert werden. Dadurch kann es zu einer generellen Anhebung der Anforderungen an die Sorgfaltspflicht kom1021

LK-Schroeder, 11. Aufl., § 16, Rn. 175. Die Parallelproblematik im Rahmen des Kausalitätsnachweises bei Gremienentscheidungen stellt daher unter diesem Blickwinkel betrachtet eine Umkehrung des Vertrauensgrundsatzes dar. 1022

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men. Im umgekehrten Fall unterdurchschnittlichen Wissens und unterdurchschnittlicher Fähigkeiten bewirken Compliance-Regelungen eine Einschränkung der von der Literatur entwickelten Fallgruppen, in denen sich der Täter erfolgreich auf sein Unvermögen bzw. seine Unkenntnis berufen kann. Auch der von der Rechtsprechung praktizierte Schluss von der objektiven auf die subjektive Fahrlässigkeit wird durch die Verbreitung von Compliance-Regelungen begünstigt. Zudem wird die Annahme einer Übernahmefahrlässigkeit erleichtert. Bezüglich des Inhalts von Sorgfaltspflichten bleibt festzustellen, dass Compliance-Regelungen im Rahmen des Untreuetatbestandes vor allem bei der Treubruchsvariante Bedeutung erlangen und zwar unabhängig davon, ob die Begründung durch Rechtsgeschäft oder kraft Gesetzes erfolgt. Die Ausgestaltung der Verpflichtungs- und Verfügungsbefugnis hingegen erfolgt in erster Linie durch anstellungs- oder gesellschaftsvertragliche Vereinbarungen. Hier beschränkt sich die Wirkung von Compliance-Regelungen regelmäßig auf ihre Berücksichtigung im Rahmen der Strafzumessung nach § 46 Abs. 2 StGB, wonach das Maß der Pflichtwidrigkeit als abwägungsrelevante Tatsache zu berücksichtigen ist. Im Rahmen des Treubruchstatbestands können Compliance-Regelungen dagegen bereits im Tatbestand Geltung erlangen, indem sie die vorhandenen gesetzlichen Vorgaben, insbesondere des § 93 Abs. 1 S. 1 AktG konkretisieren. Im Anwendungsbereich der Business Judgment Rule kommt Compliance-Regelungen bei der Frage, ob eine unternehmerische Entscheidung als unvertretbar anzusehen ist, oder sich noch im Rahmen des wirtschaftlich erlaubten Risikos hält, Bedeutung zu. Compliance-Regelungen sind insofern als antizipierte Ermessensausübung der zuständigen Verantwortungsträger anzusehen. Der auf das individuelle Vermögen des Treugebers ausgerichtete Schutzzweck des Untreuetatbestandes, sein Charakter als zivilrechtsakzessorisches Delikt sowie der Bestimmtheitsgrundsatz sprechen dafür, einem Verstoß gegen bzw. der Einhaltung von Compliance-Vorgaben indizielle Wirkung für das Vorliegen treupflichtwidrigen Verhaltens zuzugestehen. Auf die inhaltliche Ausgestaltung allgemeiner Sorgfaltspflichten können Compliance-Regelungen sowohl unmittelbar als auch mittelbar Einfluss nehmen. Zum einen wird die „im Verkehr erforderliche Sorgfalt“ wesentlich durch die in der Unternehmenswirklichkeit aufgewandte Sorgfalt geprägt und bestimmt. Indem sie das tatsächlich aufgewandte Maß an Sorgfalt anheben, bewirken Compliance-Regelungen mittelbar eine Haftungsverschärfung. Zum anderen kann die Festschreibung überobligationsmäßiger Verhaltensanforderungen in Compliance-Vorgaben auch unmittelbar als Maßstab der anzuwendenden Sorgfalt herangezogen werden und auf diesem Wege originär strafbarkeitsbegründende Wirkung entfalten. Hinsichtlich der Vorhersehbarkeit des Erfolges bzw. der Tatbestandsverwirklichung werden Compliance-Regelungen durch ihre Sensibilisierung der Mitarbeiter für Gefahren und die Schärfung des Risikobewusstseins ebenfalls strafbar-

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4. Kap.: Strafbarkeitsbegründende Wirkung

keitsbegründend wirksam. Die Anknüpfungspunkte decken sich aufgrund der Vergleichbarkeit der Kriterien zu ihrer Bestimmung mit denjenigen der Bestimmung allgemeiner Sorgfaltspflichten. Im Anwendungsbereich des Vertrauensgrundsatzes ist die Auswirkung von Compliance-Regelungen ambivalent. Zum einen begünstigen sie die Anwendbarkeit des Vertrauensgrundsatzes, da Compliance-Regelungen ein bestimmtes Sorgfaltsniveau schaffen und so die Schutzwürdigkeit des Vertrauens begründen. Dabei kommen sie insbesondere Mitgliedern der Leitungsorgane und nachgeordneten Führungskräften zugute, für die im Rahmen der Aufgabendelegation berechtigtes Vertrauen in die ordnungsgemäße Wahrnehmung der übertragenen Aufgaben begründet und die verbleibenden Pflichtenprogramme durch Compliance-Regelungen nachweisbar ordnungsgemäß umgesetzt werden können. Auf der anderen Seite begründet der Vertrauensgrundsatz in seiner Umkehrung eine Pflicht zum Handeln, indem er dem Argument mangels ordnungsgemäßen Verhaltens anderer wäre es ohnehin zur Rechtsverletzung gekommen, die Grundlage entzieht.

§ 5 Beeinflussung der Kenntnis täterbezogener Strafbarkeitsvoraussetzungen Compliance-Regelungen wirken sich nicht nur auf die objektive Seite des Tatbestandes durch Gestaltung der zu subsumierenden Wirklichkeit aus, sondern nehmen auch auf die subjektive Tatbestandskomponente Einfluss, indem sie das Vorstellungsbild von Normadressaten bezüglich strafrechtlich relevanter Verhaltensweisen prägen.1023 Die Auswirkungen auf die Strafbarkeit unterscheiden sich in Abhängigkeit davon, ob es sich um tat- oder täterbezogene Strafbarkeitsvoraussetzungen handelt. Während Compliance-Regelungen bei täterbezogenen Strafbarkeitsvoraussetzungen sowohl vorsatzbegründend wirken als auch die Nachweisbarkeit von Vorsatz erleichtern können, beschränkt sich ihre Bedeutung in Bezug auf tatbezogene Voraussetzungen in erster Linie auf eine Verbesserung der Nachweisbarkeit. In diesem Kapitel sollen zunächst die Auswirkungen auf täterbezogene Voraussetzungen untersucht werden.

I. Einflussnahme auf die kognitiven Elemente des subjektiven Tatbestands Das Wissenselement des Vorsatzes bietet sich als „Stellschraube“ für die Begründung von Strafbarkeit geradezu an. Gleichzeitig scheitert die Ahndung von Wirtschaftsstraftaten nicht selten am nachweisbaren Vorliegen des subjektiven 1023 Auf die Möglichkeit einer vorsatzbegründenden Wirkung von Compliance-Vorschriften hat auch Rau hingewiesen: Rau, Compliance und Unternehmensverantwortlichkeit, 2010, S. 220.

§ 5 Beeinflussung der Kenntnis täterbezogener Strafbarkeitsvoraussetzungen 225

Tatbestands. Zum einen bietet sich hier die Möglichkeit, durch Aufklärung über strafrechtliche Risikolagen, den Normadressaten die Kenntnis davon zu verschaffen, was der Richter definiert und damit die für eine Vorsatzstrafbarkeit erforderliche Tatumstandskenntnis zu begründen. Zum anderen erleichtern detaillierte und schriftlich fixierte Bestimmungen über den Informationsfluss und Kommunikationskanäle innerhalb des Unternehmens die Nachweisbarkeit entsprechender Tatsachenkenntnis. Dazu tragen insbesondere die Pflicht zur eigenverantwortlichen Information über Compliance-Inhalte1024 und zur Durchführung von bzw. Teilnahme an Schulungsveranstaltungen1025 bei, sowie eine entsprechende Dokumentation dieser Maßnahmen. Zeigen Compliance-Vorschriften auf, in welche Informationskanäle Berichte über Unregelmäßigkeiten im Geschäftsbetrieb fließen, kann leichter nachgewiesen werden, zu welchen Stellen diese gelangen und entsprechendes Wissen begründen.1026 Compliance-Regelungen machen nicht nur Informationskanäle transparent, sie treffen auch inhaltliche Aussagen zu Strafbarkeitsrisiken und Straftatbeständen. Damit werden sie für die kognitive Seite des subjektiven Tatbestandes, insbesondere im Hinblick auf mögliche Irrtumskonstellationen relevant.

II. Vorsatzbegründende Wirkung bei normativen Tatbestandsmerkmalen Dem BGH zufolge liegt Vorsatz dann vor, wenn der Täter mit dem Willen zur Verwirklichung des Straftatbestandes in Kenntnis all seiner objektiven Tatumstände handelt.1027 Dieser Verwirklichungswille setzt demnach die Kenntnis des zu verwirklichenden Sachverhalts voraus, an den das Gesetz die Strafe knüpft. Der Täter muss sich derjenigen Umstände bewusst sein, die den gesetzlichen Tatbestand begründen.1028 Tatumstände i. S. v. § 16 Abs. 1 S. 1 StGB sind Umstände, die unter die Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes subsumiert werden können. Dazu zählen auch solche, die ungeschrieben oder nicht sinnlich wahrnehmbar sind.1029 Neben den Merkmalen des objektiven Tatbestandes im Besonderen Teil des StGB und im Nebenstrafrecht sind auch Merkmale, die sich aus Aspekten des Allgemeinen Teils ergeben, umfasst.1030 Die herrschende Lehre differen-

1024 1025 1026

Vgl. Corporate Compliance Policy der Bayer AG, Fn. 84, S. 23. Vgl. Verhaltensgrundsätze des Volkswagen Konzerns, Fn. 84, S. 21. Vgl. zu diesem Aspekt auch Nieto Martín, in: FS Tiedemann, 2008, S. 485 ff.

(496). 1027

BGHSt 19, 295 (298). Jäger, AT, Rn. 63. 1029 MüKo-Joecks, § 16, Rn. 5. 1030 MüKo-Joecks, § 16, Rn. 40, nennt insb. die Kausalität, tatsächliche Grundlagen der objektiven Zurechnung sowie besondere Pflichtenstellungen. 1028

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4. Kap.: Strafbarkeitsbegründende Wirkung

ziert zwischen deskriptiven und normativen Tatbestandsmerkmalen.1031 Während es bezüglich ersterer genügt, dass der Täter sie tatsächlich wahrgenommen hat, erfordern letztere das geistige Erfassen ihres für die Unrechtsbegründung maßgeblichen Bedeutungsgehalts.1032 Der Täter muss den sozialen Bedeutungsgehalt des verwirklichten, unter Strafe gestellten Sachverhalts erkennen.1033 Der Sinngehalt normativer Tatbestandsmerkmale kann durch Compliance-Regelungen erklärt und den angesprochenen Adressaten zur Kenntnisnahme zugänglich gemacht werden. Indem sie normative Tatbestandsvoraussetzungen näher erläutern, können Compliance-Regelungen die erforderliche Parallelwertung in der Laiensphäre ermöglichen. Zugleich wird die Nachweisbarkeit eines den Tatbestandsvorsatz hinreichend begründenden Begriffsverständnisses erleichtert. Selbst wenn es sich nicht um eine lehrbuchartige Definition handelt, wird die in den Compliance-Vorgaben enthaltene Umschreibung für ein Erfassen des Bedeutungsgehalts in der Laiensphäre in der Regel genügen. Dies gilt umso mehr als für das kognitive Element des Vorsatzes ein sachgedankliches Mitbewusstsein bezüglich der Umstände, die den gesetzlichen Tatbestand begründen, genügt.1034 Compliance-Regelungen können damit bei normativen Tatbestandsmerkmalen einen vorsatzausschließenden Tatbestandsirrtum gem. § 16 Abs. 1 S. 1 StGB verhindern oder zumindest die Berufung darauf erschweren.1035

III. Garantenpflichten Eine auf diese Weise bewirkte Strafbarkeitsbegründung kommt nur bei Vorsatzdelikten in Betracht.1036 An täterbezogenen Strafbarkeitsvoraussetzungen verbleiben damit die Vermögensbetreuungspflicht und die Garantenpflichten bei unechten Unterlassungsdelikten. In Bezug auf diese gilt es jeweils die normativen von den deskriptiven Elementen der Tatbestandsmerkmale abzugrenzen und im 1031 Fischer, StGB, § 16, Rn. 4; Jescheck/Weigend, § 26 IV, § 29 II 3a; Roxin, AT/I, § 10, Rn. 57 ff.; S/S-Lenckner/Eisele, § 15, Rn. 18 f.; Wessels/Beulke, AT, Rn. 132; krit. zu dieser Einteilung der h. M. und mit eigenem Ansatz einer Dreiteilung zwischen natürlichen und institutionellen Tatsachen gegenüber sachverhaltsbewertenden Tatsachen: NK-Puppe, § 16, Rn. 6 ff. 1032 Vgl. Fischer, StGB, § 16, Rn. 4, 14; Jäger, AT, Rn. 63; Wessels/Beulke, AT, Rn. 132, 243. 1033 Vgl. Jäger, AT, Rn. 64; Otto, Band I, § 7, Rn. 14. 1034 Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 20, Rn. 10; Jäger, AT, Rn. 68; Kühl, AT, § 5, Rn. 98 ff.; Otto, Band I, § 7, Rn. 10 f.; Roxin, AT/I, § 12, Rn. 123 ff. 1035 Auf eine mögliche Auswirkung von Compliance-Vorschriften auf – nicht näher spezifizierte – Irrtümer hinweisend: Sieber, in: FS Tiedemann, 2008, S. 449 ff. (469). 1036 Im Rahmen von Fahrlässigkeitstatbeständen fehlt es an einem Vorsatz, der durch Kommunikation rechtlich relevanter Kenntnisse oder Nachweisbarkeit ihrer Lokalisierung beeinflusst werden könnte. Bei Fahrlässigkeitsdelikten verlagert sich die Betrachtung daher auf den Bereich der Schuld und die dort zu erläuternden Aspekte des Verbotsirrtums und der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens.

§ 5 Beeinflussung der Kenntnis täterbezogener Strafbarkeitsvoraussetzungen 227

Hinblick auf Ansatzpunkte für eine Beeinflussung durch Compliance-Regelungen zu untersuchen. Dabei sind die eine besondere Handlungs- oder Vermögensfürsorgepflicht begründenden Umstände von der in Umsetzung des Normbefehls daraus folgenden strafrechtlichen Pflicht zu unterscheiden und die jeweils daran anknüpfenden Irrtumsfragen zu klären. 1. Begründung und Ausgestaltung von Garantenpflichten Zur Verwirklichung des subjektiven Tatbestands eines Unterlassungsdelikts muss der Täter die tatbestandsmäßige Situation, aus der seine Pflicht zum Handeln resultiert, kennen und sich im Falle von Erfolgsdelikten bewusst sein, durch sein Eingreifen den Erfolg abwenden zu können.1037 Umstritten ist, ob ein Bewusstsein bzgl. einer konkreten Handlung erforderlich ist.1038 Dieser Streit wird allerdings dadurch entschärft, dass auch ein entsprechendes Mitbewusstsein für ausreichend erachtet wird.1039 Nach anderer Ansicht soll das Bewusstsein, dass eine Rettung generell möglich sei, genügen,1040 bzw. bereits die bloße Erkennbarkeit einer Rettungsmöglichkeit ausreichen.1041 Die konkrete Rechtspflicht, zur Erfolgsabwendung tätig werden zu müssen, braucht hingegen nicht vom Bewusstsein des Täters erfasst sein, um entsprechenden Tatbestandsvorsatz annehmen zu können.1042 Denn dabei handelt es sich nicht um ein Merkmal des Tatbestandes, sondern um den Normbefehl selbst, so dass sich der Irrtum über das Bestehen einer entsprechenden Handlungspflicht allenfalls im Rahmen der Schuld auswirken kann.1043 Eine Ausnahme macht die Rechtsprechung im Bereich des Steuerstrafrechts, wenn sie davon ausgeht, dass die Kenntnis von Bestehen und Umfang einer steuerrechtlichen Erklärungs- bzw. Handlungspflicht im Rahmen des § 370 AO zum Vorsatz gehört.1044 Ein entsprechender Irrtum bewirkt hier einen Tatumstandsirrtum i. S. v. § 16 Abs. 1 S. 1 StGB. Für die übrigen Garantenstellungen gilt, dass ein den Unterlassungsvorsatz ausschließender Tatbestandsirrtum i. S. v. § 16 StGB vorliegt, wenn der Täter eine 1037

S/S-Sternberg/Lieben, § 15, Rn. 94. Dafür: BGH, GA 68, 336; Jescheck/Weigend, AT, § 59 VI; S/S-Sternberg/Lieben, § 15, Rn. 94 m.w. N.; diff.: Roxin, AT/II, § 31, Rn. 187 f. 1039 S/S-Sternberg/Lieben, § 15, Rn. 94. 1040 Vgl. Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 13, Rn. 75; SK-Rudolphi/Stein, vor § 13, Rn. 35. 1041 Armin Kaufmann, in: FS v. Weber, 1963, S. 207 ff. (229); Welzel, Strafrecht, S. 183. 1042 Für unechte Unterlassungsdelikte entschieden vom Gr. StrSen. in BGHSt 16, 155; für echte Unterlassungsdelikte: BGHSt 19, 295; Fischer, StGB, § 16, Rn. 17; LKSchroeder, § 16, Rn. 216; Roxin, AT/II, § 31, Rn. 191. 1043 Der Gebotsirrtum beim Unterlassungsdelikt soll dabei nach Ansicht des BGH häufiger entschuldbar sein, als ein Verbotsirrtum beim Begehungsdelikt, vgl. BGH GS, NJW 1961, 1682 (1683). 1044 BGH, wistra 1989, 263. 1038

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deskriptive oder normative Voraussetzung seiner Handlungspflicht nicht kennt. Geht er hingegen bei vollständiger Kenntnis der tatsächlichen Umstände davon aus, zum Handeln nicht verpflichtet zu sein, liegt ein nach § 17 StGB zu behandelnder Gebotsirrtum vor.1045 Ein Irrtum über das Bestehen einer Garantenpflicht ist als Gebotsirrtum grundsätzlich nach den gleichen Regeln wie der Verbotsirrtum beim Begehungsdelikt zu behandeln.1046 Für die Entschuldbarkeit bzw. Vermeidbarkeit kommt es insbesondere auf die Art der Rechtspflicht an und auf die Frage, inwieweit diese im allgemeinen Bewusstsein verankert ist.1047 Compliance-Vorschriften kommt in diesem Zusammenhang als kodifizierte Verhaltensstandards entscheidende Bedeutung zu. Sie bilden den vom allgemeinen Konsens im Unternehmen getragenen Pflichtenmaßstab ab und können für die Vermeidbarkeit eines behaupteten Irrtums von Unternehmensangehörigen sprechen, wenn die geforderte Rechtspflicht auch Inhalt der Compliance-Regelungen ist. Die Abgrenzung zwischen dem Bewusstsein des Täters eine bestimmte Handlung vornehmen zu müssen und dem zugrundeliegenden rechtlichen Gebot bereitet jedoch dann Schwierigkeiten, wenn sich die konkret vorzunehmende Handlung erst aus dem entsprechenden Gebot ergibt. Dies ist vor allem bei Delikten des Nebenstrafrechts der Fall,1048 wie sie gerade im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts so häufig zu finden sind. In Bezug auf die Kenntnis der Tatumstände einer Garantenpflicht sollen daher die in Compliance-Regelungen konkret umschriebenen Pflichten einzelner Personengruppen zum Ausgangspunkt der Untersuchung gemacht werden. 2. Betroffene Personengruppen im Unternehmen Compliance-Regelungen können sowohl bei Compliance-Beauftragten, Mitgliedern der Leitungsebene als auch bei allen übrigen Unternehmensangehörigen Einfluss auf die subjektive Tatbestandsseite von Unterlassungsdelikten nehmen. Für den Compliance-Beauftragten sind zunächst die den Aufgaben- und Zuständigkeitskreis umschreibenden Vorgaben zu beachten. So heißt es in der Corporate Compliance Policy der Bayer AG, dass zu den Kernkompetenzen des Compliance-Officers unter anderem, die „Durchführung von Compliance-Schulungen, Schaffung von Meldewegen für Compliance-Vorfälle, Untersuchung von Compliance-Vorfällen, (. . .), gegebenenfalls Einleitung organisatorischer Ände1045

Roxin, AT/II, § 31, Rn. 190. BGH GS, NJW 1961, 1682 (1683). 1047 BGHSt 19, 295 (299). 1048 Als Bsp. zu nennen wäre etwa § 34 AWG, der einen Verstoß gegen bestimmte Ausfuhr- bzw. Einfuhrbestimmungen unter Strafe stellt, oder §§ 17, 18 KrWaffG, die Entwicklung, Herstellung und Umgang mit atomaren, biologischen und chemischen Waffen verbieten. 1046

§ 5 Beeinflussung der Kenntnis täterbezogener Strafbarkeitsvoraussetzungen 229

rungen aufgrund von Feststellungen bei Compliance-Untersuchungen“ gehören.1049 Diese Auflistung ist zwar nicht konstituierend für die Begründung einer strafrechtlichen Garantenstellung und auch nicht zwingend deckungsgleich mit dem nach strafrechtlichen Vorgaben zu ermittelnden Inhalt einer etwaigen Garantenpflicht. Jedoch beschreibt sie die tatbestandsmäßige Situation, aus der sich eine Pflicht zur Verhinderung betriebsbezogener Straftaten gegebenenfalls folgern lässt. Da es dem BGH zufolge bzgl. der Reichweite der Garantenstellung auf den „Zweck der Beauftragung“ ankommt,1050 und der Garant die Umstände erfassen muss, aus denen sich seine Handlungspflicht ergeben soll, ist eine mögliche Beeinflussung des Garantenvorsatzes durch derartige Compliance-Regelungen nicht von der Hand zu weisen. In Kenntnis dieser Beschreibung seiner Stelle dürfte es für einen Compliance-Officer, der Vorfällen nicht nachgeht oder erforderliche Anpassungen des Compliance-Systems nicht vornimmt, schwierig werden, sich auf eine Unkenntnis seiner persönlichen Verhaltenspflichten zu berufen. Zudem zeigen Compliance-Vorschriften spezifische Risiken unternehmerischer Tätigkeit auf. Drohende strafrechtliche Sanktionen hinsichtlich Korruption im unternehmerischen Verkehr werden ebenso beleuchtet, wie mögliche Kartellrechtsverstöße, Industriespionage oder Außenhandelsdelikte. Die Business Conduct Guidelines der Siemens AG stellen klar, dass es Mitarbeitern „beispielsweise nicht erlaubt“ ist, „mit Mitbewerbern über Preise, Produktionsleistung, Kapazitäten, (. . .) oder andere Faktoren zu sprechen, die das Wettbewerbsverhalten des Unternehmens bestimmen oder beeinflussen mit dem Ziel, den Mitbewerber zu einem ähnlichen Verhalten zu bewegen“ oder sich „durch Industriespionage, Bestechung, Diebstahl oder Abhöraktionen wettbewerbsrelevante Informationen an[zu]eignen (. . .).“ 1051 Damit beschreiben sie die Situation, aus der im Einzelfall eine Pflicht zum Handeln resultieren kann. Auch hier wird dem ComplianceBeauftragten, der bei konkreten Anhaltspunkten für die Verwirklichung der beschriebenen Gefahren nicht tätig wird, zumindest dolus eventualis verhältnismäßig einfach anzulasten sein. Dolus eventualis setzt voraus, dass der Täter die Tatbestandsverwirklichung ernsthaft für möglich hält, sich dennoch nicht von der Tatausführung abhalten lässt und sein Verhalten den Schluss zulässt, dass er sich um des von ihm erstrebten Zieles willen mit dem Risiko der ernstgenommenen Tatbestandverwirklichung abgefunden hat.1052 Nach der Rechtsprechung muss der Täter den für möglich gehaltenen Erfolg billigend in Kauf genommen haben, 1049

Corporate Compliance Policy der Bayer AG, Fn. 84, S. 25. BGH, NJW 2009, 3173 (3174 f.). 1051 Business Conduct Guidelines der Siemens AG, Fn. 84, S. 8. 1052 So die überwiegende Ansicht in der Literatur, vgl. Jescheck/Weigend, AT, § 29 III 3; Roxin, AT/I, § 12, Rn. 57; Wessels/Beulke, AT, Rn. 225; zu den zahlreichen weiteren Ansätzen in dieser äußerst kontrovers diskutierten Abgrenzungsfrage vgl. auch S/SSternberg/Lieben, § 15, Rn. 72 ff. 1050

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wofür ein „Billigen im Rechtssinne“ genügt, dem nicht entgegensteht, wenn der Erfolgseintritt dem Täter eigentlich unerwünscht ist.1053 Sofern Tätervorsatz nicht nachgewiesen werden kann, kommt zumindest Beihilfe in Betracht. Hieran stellt die Rechtsprechung niedrigere Anforderungen und lässt das Wissen genügen, dass das eigene Verhalten dem Täter die Verwirklichung einer noch nicht näher konkretisierten Haupttat ermöglicht. Von den Einzelheiten der Haupttat braucht der Gehilfe keine Vorstellung zu haben.1054 Auch ein besonderes Interesse des Gehilfen an der Verwirklichung der Haupttat ist nicht erforderlich.1055 Zwar genügt die Kenntnis eines allgemeinen Risikos der Tatförderung nicht,1056 jedoch kann vor dem Hintergrund der an den Gehilfenvorsatz zu stellenden geringen Anforderungen zumindest Eventualvorsatz relativ leicht begründbar sein. In dem Fall, der den BGH zu seinem Obiter Dictum über die „regelmäßige“ Garantenposition des Compliance-Beauftragten bewog, stellte das Gericht lapidar fest, dass „auch die subjektive Tatseite zweifelsfrei gegeben“ sei, da der Gehilfe, in Gestalt des Leiters der Innenrevision der Berliner Stadtreinigungsbetriebe „alle Umstände kannte“.1057 Gehilfenvorsatz für eine strafbare Beihilfe durch Unterlassen wird daher bei Kenntnis der persönlichen und sachlichen Aufgabenkreise des Compliance-Beauftragten verhältnismäßig einfach nachzuweisen und zu begründen sein.1058 Problematisch erscheint allerdings gerade für die Position des Compliance-Beauftragten, dass der Täter das Bewusstsein haben muss, durch sein Eingreifen den Erfolg verhindern zu können. Mangels eigener Eingriffsbefugnisse beschränkt sich die Handlungskompetenz des Compliance-Beauftragten in der Regel auf Nachforschungs- und Meldepflichten bei Verstößen. Zur Erfolgsverhinderung ist er auf die Mitwirkung anderer Personen mit weiter reichenden (Personal-) Befugnissen angewiesen. Nur wenn der Compliance-Beauftragte selbst hinreichende Untersuchungs- und Eingriffsbefugnisse hat, ist er zur Erfolgsverhinderung eigenständig in der Lage. Dennoch ist im Regelfall von einer Möglichkeit zur Erfolgsverhinderung auszugehen. Das Mitwirkungsbedürfnis anderer Personen steht dieser Annahme in einem ordnungsgemäßen und mit einer effektiven Compliance-Struktur versehenen Unternehmen, zumindest wenn gegenteilige 1053 St Rspr. vgl. nur: BGHSt 7, 363 (368 f.); 36, 1 (9 ff.); NStZ 1994, 584; NStZ 2007, 700 (701). 1054 BGHSt 42, 135 (137 ff.); BGH, NJW 1982, 2453 (2454); BGH, wistra 2007, 143, Tz. 8. 1055 BGH, NStZ 1995, 27 (28). 1056 Fischer, StGB, § 27, Rn. 25. 1057 BGH, NJW 2009, 3173 (3175): Der angeklagte Leiter der Innenrevision wurde wegen Beihilfe durch Unterlassen zum Betrug des Finanzvorstandes verurteilt. 1058 Ebenso: Wybitul, BB 2009, 2590 (2591); dass die Strafverfolgungsbehörden an das Vorliegen bedingten Vorsatzes keine allzu strengen Anforderungen stellen und diesen „unterstellen“ werden, befürchten auch Dann/Mengel, NJW 2010, 3265 (3268).

§ 5 Beeinflussung der Kenntnis täterbezogener Strafbarkeitsvoraussetzungen 231

Anhaltspunkte fehlen, nicht entgegen. Denn in diesen Fällen ist davon auszugehen, dass sich die Mitwirkungsverpflichteten ihrer Verantwortung entsprechend verhalten, so dass der Compliance-Officer trotz mangelnder eigener Befugnisse von einer erfolgreichen Verhinderungsmöglichkeit ausgehen darf und muss. Soweit sie mit entsprechenden Eingriffsbefugnissen ausgestattet sind, greift dieser Einwand bei den primär zuständigen Organen der Unternehmensleitung oder Personalabteilung ohnehin nicht. Das zum Bestehen der Garantenstellung Gesagte gilt für Mitglieder der Leitungsorgane entsprechend. Wie im Falle des Compliance-Officers auch die Stellenbeschreibung weitere Vorgaben zu tatbestandsmäßigen Situationen, aus der sich Handlungspflichten ergeben können, enthält, spielen für das Management ebenfalls weitere Angaben zu Inhalt und Aufgabenkreis unter anderem aus Gesellschafterbeschlüssen sowie dem Gesellschafts- oder Anstellungsvertrag eine Rolle. Die Bedeutung von ComplianceVorschriften für die subjektive Seite des Unterlassungstatbestandes sollte dennoch nicht unterschätzt werden, wenn es wie in der Coporate Compliance Policy von Bayer heißt, „Jeder Vorgesetzte muss seinen Bereich so organisieren, dass die Einhaltung der Regeln der Corporate Compliance Policy sowie der gesetzlichen Vorschriften gewährleistet ist“ wozu „insbesondere Kommunikation, Überwachung und Durchsetzung der für seinen Verantwortungsbereich relevanten Regeln“ gehören.1059 Angesichts der Vorgabe, dass „Jeder Mitarbeiter (. . .) sich mit den für seinen Tätigkeitsbereich maßgeblichen gesetzlichen Vorschriften und internen Regelungen hinreichend vertraut zu machen“ 1060 hat, wird eine Kenntnis der tatbestandsmäßigen Situation, aus der im Einzelfall eine Pflicht zum Handeln resultieren kann, leicht zu begründen sein. Die Dokumentation des Aufgaben- und Pflichtenkreises verbunden mit der Standardisierung diesbezüglicher Kenntnisse durch Kommunikation und Selbstinformationspflichten führt indes nicht nur auf den höheren Hierarchieebenen zur Beeinflussung der für den Tatbestandsvorsatz erforderlichen Voraussetzungen. Auch den übrigen Mitarbeitern werden allgemeine Kenntnisse im Hinblick auf tatbestandsmäßige Situationen vermittelt, aus denen gegebenenfalls eine Pflicht zum Handeln folgt. Hinsichtlich der situationsabhängigen sachlichen Komponente kann auf das zum Compliance-Beauftragten Gesagte verwiesen werden. Die Aufklärung darüber, welche Verhaltensweisen von den Korruptionstatbeständen oder dem Kartellrecht erfasst sind, erleichtern auch in Bezug auf Mitarbeiter unterer Hierarchieebenen die Annahme entsprechender Tatumstandskenntnis. Wenn dies für eine Täterschaft durch Unterlassen in den meisten Fällen auch nicht ausreichen mag, so bleibt doch das Risiko einer strafbaren Beihilfe durch Unterlassen bestehen.

1059 1060

Corporate Compliance Policy der Bayer AG, Fn. 84, S. 23. Corporate Compliance Policy der Bayer AG, Fn. 84, S. 23.

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4. Kap.: Strafbarkeitsbegründende Wirkung

Zweifel könnten sich, wie schon beim Compliance-Beauftragten, auch hier bezüglich des bei Erfolgsdelikten geforderten Bewusstseins ergeben, dass durch eigenes Eingreifen der Erfolg verhindert werden kann. An dieser Stelle wird die Einrichtung von Hinweisgebersystemen, Compliance-Helpdesks sowie die Installation von Compliance-Ombudsleuten und anderen Kommunikationskanälen relevant. So haben Mitarbeiter der Bayer AG „Verletzungen der Corporate Compliance Policy (. . .) dem zuständigen Compliance Officer oder der Konzern-Revision mitzuteilen“, sie „können sich aber auch an ihren Vorgesetzten oder die Rechtsabteilung wenden.“ 1061 „Im Falle des Verdachts von Vermögens- oder Korruptionsdelikten wie beispielsweise Unterschlagung, Betrug, Untreue, Bestechung oder Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr ist unverzüglich und unmittelbar die Konzern-Revision zu unterrichten.“ 1062 Die Telefonnummer der kostenfreien anonymen Compliance-Hotline für Mitarbeiter wird ebenso genannt, wie deren Email-Kontaktadresse und die entsprechenden Seiten zu Compliance im Intra- und Internet.1063 In den Siemens Business Conduct Guidelines heißt es dazu, „Umstände, die auf einen Verstoß gegen die Business Conduct Guidelines hindeuten, können dem Chief Compliance Officer, dem für den Sektor, die Division, die regionalen oder zentralen Einheiten zuständigen Compliance Officer, dem Tell Us Helpdesk oder dem Siemens Ombudsmann gemeldet werden. (. . .) Es besteht die Möglichkeit der vertraulichen und anonymen Beschwerde; alle Meldungen werden bearbeitet. Soweit erforderlich werden entsprechende Maßnahmen ergriffen.“ 1064 Compliance Helpdesk und Compliance Officer stehen rund um die Uhr telefonisch und über das Internet zur Entgegennahme von Meldungen über Verdachtsmomente bereit. Ebenso können sich Mitarbeiter an die zuständige Führungskraft oder den Compliance Officer wenden.1065 Damit bleibt die Mehrzahl der Mitarbeiter zwar auf die Mitwirkung anderer Personen zur Erfolgsabwendung angewiesen. Jedoch lassen die beschränkten Befugnisse dieses potenziellen Täterkreises nicht ohne weiteres den Schluss auf das Bewusstsein zu, den Erfolgseintritt durch ein Eingreifen ohnehin nicht verhindern zu können. Vielmehr folgt aus den um eine möglichst hohe Effektivität ihres Compliance-Systems bemühten Anstrengungen der Unternehmen, dass im Regelfall von einer angemessenen Reaktion auf gemeldete Verdachtsmomente ausgegangen werden kann. Der Mitarbeiter, der die bereitstehenden Informationskanäle in Anspruch nimmt, darf und muss, zumindest wenn gegenteilige Anhaltspunkte nicht vorliegen, davon ausgehen, dass durch sein Eingreifen der Erfolgseintritt verhindert werden kann. Damit können sich die Compliance-Strukturen 1061 1062 1063 1064 1065

Corporate Compliance Policy der Bayer AG, Fn. 84, S. 24. Corporate Compliance Policy der Bayer AG, Fn. 84, S. 24. Corporate Compliance Policy der Bayer AG, Fn. 84, S. 26. Business Conduct Guidelines der Siemens AG, Fn. 84, S. 24. Business Conduct Guidelines der Siemens AG, Fn. 84, S. 26.

§ 5 Beeinflussung der Kenntnis täterbezogener Strafbarkeitsvoraussetzungen 233

der Unternehmensbinnenorganisation auch bei den auf unterer Hierarchieebene angesiedelten Mitarbeitern strafbarkeitsbegründend auf die subjektive Tatbestandsseite der Unterlassungsdelikte auswirken.

IV. Vermögensbetreuungspflicht Der Täter einer Untreue muss in Bezug auf die in § 266 Abs. 1 StGB als „Pflicht fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen“ umschriebene Voraussetzung des objektiven Tatbestandes zumindest bedingt vorsätzlich handeln.1066 Sein Vorsatz muss die Pflichtenstellung und das Bestehen einer Vermögensbetreuungspflicht umfassen, sowie bei der Missbrauchsalternative Bestehen und Umfang von Verfügungs- und Verpflichtungsbefugnis.1067 Darüberhinaus muss sich der Vorsatz des Täters auf die Pflichtverletzung beziehen.1068 Für die Vermögensbetreuungspflicht muss daher differenziert werden zwischen einem Irrtum über die diese begründenden deskriptiven bzw. normativen Tatbestandsmerkmale und der Verletzung dieser Pflicht. 1. Bestehen und Ausgestaltung der Vermögensbetreuungspflicht Im Hinblick auf Bestehen und Ausgestaltung der Vermögensbetreuungspflicht sind Compliance-Regelungen nur von geringer Relevanz. Da der Adressatenkreis sämtliche Unternehmensangehörigen umfasst, von denen nur den wenigsten eine Vermögensbetreuungspflicht in Bezug auf das Unternehmensvermögen zukommt, können Compliance-Vorgaben nur in Ausnahmefällen vorsatzbegründend wirksam werden. Etwa wenn sie wie die Business Conduct Guidelines der Siemens AG zu verantwortungsvollem Umgang mit Firmeneinrichtungen aufrufen1069 oder die Einhaltung aller geltenden Wirtschaftssanktions-, Exportkontroll- und Importgesetze den mit der Ein- und Ausfuhr von Waren, Dienstleistungen oder Technologie betrauten Mitarbeitern auferlegen.1070 Dies kann zumindest dem Erfassen der tatbestandsmäßigen Situation, aus der sich eine Vermögensbetreuungspflicht ergibt, im Einzelfall zuträglich sein, auch wenn mangels eigener Garantenstellung in Bezug auf das Unternehmensvermögen regelmäßig nur eine strafbare Teilnahme in Betracht kommen wird. Entsprechendes gilt für die allgemein gehaltene Aufforderung „auf das Ansehen von Siemens im jeweiligen Land zu achten, dieses zu erhalten und zu fördern“, da „Gesetzeswidriges oder unangemessenes Verhalten auch nur eines Mitarbeiters (. . .) dem Unternehmen bereits 1066 1067 1068 1069 1070

BGH, NJW 1975, 1234 (1236); Fischer, StGB, § 266, Rn. 171. Fischer, StGB, § 266, Rn. 171. BGHSt 34, 379 (390); BGH, NJW 1991, 990 (991); BGH, wistra 2006, 463. Business Conduct Guidelines der Siemens AG, Fn. 84, S. 16. Business Conduct Guidelines der Siemens AG, Fn. 84, S. 12.

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4. Kap.: Strafbarkeitsbegründende Wirkung

erheblichen Schaden zufügen“ könne.1071 Aufgrund der Kenntnis dieser Verhaltensvorgabe könnte die Begründung von Gehilfenvorsatz im Hinblick auf eine Untreue durch Auslösen von Schadensersatzforderungen oder Sanktionen durch Vermögensbetreuungspflichtige erleichtert werden. Für die Vermögensbetreuungspflichtigen selbst sind in Bezug auf die individuelle Kenntnis ihrer Pflichtenstellung und deren Reichweite die Inhalte von Anstellungsvertrag, Gesellschaftssatzung oder Stellenbeschreibung von weitaus größerer Relevanz als die allgemein gehaltenen Compliance-Regelungen. Entsprechendes gilt hinsichtlich der Reichweite von Verpflichtungs- bzw. Verfügungsbefugnis im Rahmen der Missbrauchsalternative. 2. Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht Interessanter und für eine Beeinflussung durch Compliance-Regeln von größerer Bedeutung ist der Vorsatz bzgl. der Pflichtwidrigkeit. Auch die Pflichtverletzung muss vom zumindest bedingten Vorsatz umfasst sein, wobei es nach teilweise vertretener Ansicht genügt, wenn der Täter die der Pflichtwidrigkeit zugrundeliegenden Tatsachen kennt und zutreffend einordnet.1072 Die Gegenauffassung verlangt hingegen, dass auch die Treupflichtwidrigkeit vom Vorsatz des Täters umfasst sein muss.1073 Für die Behandlung eines Irrtums über die Pflichtwidrigkeit im Rahmen des Untreuetatbestandes ist die Einordnung dieses Merkmals entscheidend. Sieht man darin ein normatives Merkmal, so führt eine Fehlvorstellung darüber zu einem vorsatzausschließenden Tatumstandsirrtum gem. § 16 StGB.1074 Sofern ein Irrtum über ein gesamttatbewertendes Merkmal angenommen wird, ist § 17 StGB anzuwenden.1075 Die Frage, ob sich der Täter der Pflichtwidrigkeit seines Handelns bewusst gewesen ist, steht in engem Zusammenhang damit, ob er von einem tatbestandsausschließenden Einverständnis ausgegangen ist. Auch wenn es sich bei letzterem, nach der hier vorgenommenen Einordnung, um eine tatbezogenes Merkmal handelt, soll die Untersuchung an dieser Stelle erfolgen, da eine Abgrenzung zwischen Kenntnis der Pflichtwidrigkeit und Vorliegen eines tatbestandsausschließenden Einverständnisses nicht sachgerecht erscheint. Im Fall Mannesmann/Vodafone stellte der BGH fest, dass nicht jede Annahme, nicht pflichtwidrig zu handeln, zu einem vorsatzausschließenden Tatumstandsirr1071

Business Conduct Guidelines der Siemens AG, Fn. 84, S. 7. LK-Schünemann, § 266, Rn. 153 m.w. N. 1073 Jakobs, NStZ 2005, 276 (277 f.); Lüderssen, in: FS Richter II, 2006, S. 373 ff. (373, 378). 1074 Zu dieser Lösung tendierend: BGH, NJW 2001, 2411 (2412); LG Mainz, NJW 2001, 907; sowie Jakobs, NStZ 2005, 277; S/S-Perron, § 266, Rn. 49. 1075 In diese Richtung gehend: BGH, NJW 2006, 522 (532); sowie LK-Schünemann, § 266, Rn. 150; NK-Kindhäuser, § 266, Rn. 122. 1072

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tum führen könne, es aber andererseits für den subjektiven Tatbestand auch nicht ausreiche, dass der Täter die Tatsachen kennt, welche die Pflichtwidrigkeit begründen.1076 Die Abgrenzung im Einzelfall soll anhand wertender Kriterien und differenzierender Betrachtungsweisen erfolgen, wobei der BGH offenlässt welche Kriterien dabei zu berücksichtigen sind.1077 Bei Kenntnis des allgemeinen Gebots, vermögensschädigende Maßnahmen zu unterlassen, führt die Annahme eines diesem Grundsatz zuwiderlaufenden besonderen Erlaubnissatzes nach Ansicht des BGH nicht zu einem Tatbestands- sondern zu einem Verbotsirrtum.1078 Im Fall Kanther/Weyrauch fordert der BGH, der Vorsatz des Täters müsse sich auf die tatsächlichen Voraussetzungen der durch die §§ 19 Abs. 4 S. 3, 23 Abs. 4 i.V. m. 24 PartG von 1994 konkretisierten Pflicht beziehen. Eine irrtümliche Verkennung dieser Anforderungen ließe den Tatbestandsvorsatz nach § 16 Abs. 1 S. 1 StGB entfallen, da es sich bei der Frage der an den Rechenschaftsbericht zu stellenden Anforderungen um eine Frage des Tatbestandes und nicht lediglich der rechtlichen Würdigung handelt.1079 Der Fall Volkert/Gebauer bewog den BGH zu der Feststellung, die Inanspruchnahme eines nicht tatsachenfundierten irrigen Erlaubnissatzes begründe keinen Tatbestandsirrtum.1080 Die Einschätzung deckt sich insofern mit der im Fall Mannesmann/Vodafone. Rönnau weist zutreffend darauf hin, dass der BGH damit im Ergebnis von einem Subsumtionsirrtum ausgeht, der alleine im Rahmen der Schuld relevant wird.1081 Dies erscheint auch überzeugend, da Reichweite und Ausgestaltung der Vermögensbetreuungspflicht vom zugrundeliegenden Rechtsverhältnis abhängen und einer wertenden Betrachtung bedürfen. Eine fehlerhafte Auslegung der maßgeblichen außerstrafrechtlichen Vorgaben ist auf rechtlicher, nicht auf tatsächlicher Ebene zu verorten. Anders mag dies zu bewerten sein, wenn Unkenntnis bezüglich der tatsächlichen Voraussetzungen des die Vermögensbetreuungspflicht ausgestaltenden Rechtsverhältnisses vorliegt.1082 Werden aber bei Kenntnis der für 1076 BGH, NJW 2006, 522 (531); Ransiek stellt zutreffend fest, dass anderenfalls für § 17 StGB kaum noch ein Anwendungsbereich mehr verbliebe, sollte jeder Irrtum über die Pflichtwidrigkeit den Tatbestandsvorsatz nach § 16 Abs. 1 S. 1 StGB entfallen lassen; jedoch müsse der Vorsatz dennoch die Pflichtwidrigkeit als Merkmal des objektiven Tatbestands umfassen, NJW 2006, 814 (816). 1077 BGH, NStZ 2006, 214 (217). 1078 BGH, NStZ 2006, 214 (218). 1079 BGH, NStZ 2007, 583 (586). 1080 Die Einlassung des Angeklagten, dass er sich zur Entgegennahme der Sonderbonuszahlungen berechtigt gehalten habe, weil sie ihm von dem betroffenen Vorstandsmitglied angeboten und zugewandt worden waren, impliziere eine grundlegende Verkennung der zwingenden, gesetzlich vorgegebenen, betriebsverfassungsrechtlichen Struktur zur Entlohnung der Betriebsräte, BGH, NStZ 2009, 694 (696). 1081 Rönnau, NStZ 2006, 214 (221). 1082 Diese Konstellation ist wiederum von einem Irrtum über die Existenz einer ein Blankett-Strafgesetz ausfüllenden Norm zu unterscheiden, die als Verbotsirrtum einzuordnen ist, vgl. Roxin, AT/I, § 12, Rn. 111.

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Umfang und Grenzen der Vermögensbetreuungspflicht maßgeblichen Vorschriften diese lediglich fehlerhaft ausgelegt, so ist von einem für den Tatbestandsvorsatz grundsätzlich unbeachtlichen Subsumtionsirrtum auszugehen. Dafür spricht auch, dass die Pflichtwidrigkeit nach Struktur und Funktion des Untreuetatbestands kein gesamttatbewertendes Merkmal darstellt, sondern allein auf den Inhalt der Vermögensbetreuungspflicht bezogen ist. Eine andere Sichtweise würde sich dem Vorwurf der unzulässigen „Verschleifung“ von Tatbestandsmerkmalen ausgesetzt sehen, da gerade beim Untreuetatbestand der Bestimmtheitsgrundsatz strikter Beachtung bedarf.1083 Auch der BGH ordnet die Verletzung der Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen als stark normativ geprägtes objektives Tatbestandsmerkmal ein.1084 Angesichts der uneinheitlichen Auffassungen in der Literatur und der Betonung wertender Kriterien durch die höchstrichterliche Rechtsprechung soll die Frage einer möglichen Einflussnahme durch Compliance-Vorschriften anhand der vom BGH entwickelten Abgrenzungsansätze zu Tatbestands- und Verbotsirrtum erfolgen. Im Fall Mannesmann/Vodafone stellte der BGH fest, dass bei Kenntnis des allgemeinen Verbots, vermögensschädigende Maßnahmen zu unterlassen, die Annahme eines diesen Grundsatz durchbrechenden besonderen Erlaubnissatzes lediglich zu einem Verbotsirrtum führen könne.1085 In Compliance-Regelungen finden sich regelmäßig Aussagen, die den Umgang mit Unternehmensvermögen betreffen und ihrer Konzeption nach auch für diejenigen Mitarbeiter Geltung entfalten, denen eine Vermögensbetreuungspflicht gegenüber dem Unternehmen zukommt. So verlangen etwa die Verhaltensgrundsätze des Volkswagen Konzerns, „verantwortungsvoll zum Nutzen unserer Kunden, Aktionäre und Mitarbeiter“ zu handeln.1086 Weiterhin heißt es, „Jeder unserer Mitarbeiter achtet darauf, dass sein Auftreten in der Öffentlichkeit dem Ansehen des Volkswagen Konzerns nicht schadet“ und dass „Die Erfüllung seiner Aufgaben sich in allen Belangen hieran [zu] orientieren“ hat.1087 Die Business Conduct Guidelines der Siemens AG halten fest, dass „Gesetzeswidriges oder unangemessenes Verhalten auch nur eines Mitarbeiters (. . .) dem Unternehmen bereits erheblichen Schaden zufügen“ kann und „Integrität und Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen (. . .) an der Spitze des Unternehmens“ beginnen.1088

1083 Vgl. zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen an den Untreuetatbestand: BVerfG, NStZ 2010, 626. 1084 BGH, NStZ 2006, 214 (217). 1085 BGH, NStZ 2006, 214 (218). 1086 Verhaltensgrundsätze des Volkswagen Konzerns, Fn. 84, S. 4. 1087 Verhaltensgrundsätze des Volkswagen Konzerns, Fn. 84, S. 7. 1088 Business Conduct Guidelines der Siemens AG, Fn. 84, S. 7.

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Derartige Bestimmungen begünstigen die Annahme, dass der Treupflichtige das Gebot kennt, alle Verhaltensweisen, die das Vermögen sicher und ausnahmslos schädigen zu unterlassen. Nach Aussage des BGH im Fall Mannesmann/ Vodafone ist dies zentraler Bestandteil der Vermögensfürsorgepflicht und jeder Verstoß eine Verletzung dieser Pflicht.1089 Bei Kenntnis dieser Pflicht, deren Nachweisbarkeit durch die Existenz entsprechender Compliance-Vorschriften begünstigt wird, kann die irrige Annahme eines Erlaubnissatzes1090 daher allenfalls im Rahmen von § 17 StGB relevant werden. Damit wird durch Compliance-Regelungen und das hierdurch begründete und nachweisbare Wissen die Ablehnung eines Tatbestandsirrtums hinsichtlich der Treupflichtverletzung begünstigt und der Treupflichtige auf die für ihn weniger günstige Regelung des Verbotsirrtums nach § 17 StGB verwiesen. Auch in Bezug auf den angenommenen Erlaubnissatz selbst entfalten Compliance-Regelungen Wirkung. So hat der BGH im Fall Volkert/Gebauer die Inanspruchnahme eines nicht tatsachenfundierten irrigen Erlaubnissatzes als für die Begründung eines Tatbestandsirrtums nicht hinreichend erachtet. Dass der Angeklagte sich für berechtigt gehalten habe, die Sonderbonuszahlungen entgegenzunehmen, weil sie ihm von dem Vorstandsmitglied Dr. H angeboten und zugewandt worden sind, bedeute eine grundlegende Verkennung der zwingenden, gesetzlich vorgegebenen, betriebsverfassungsrechtlichen Struktur zur Entlohnung der Betriebsräte und lediglich die Inanspruchnahme eines nicht tatsachenfundierten irrigen Erlaubnissatzes, der nicht zur Annahme eines Tatbestandsirrtums berechtigt.1091 Dass der Angeklagte möglicherweise von einem Einverständnis des Treugebers ausgegangen sei, betrachtete der BGH als ausgeschlossen.1092 Die Annahme eines tatsachenfundierten, auf ein Einverständnis des Treugebers gestützten Erlaubnissatzes dürfte durch die Implementierung von ComplianceKonzepten im Unternehmen in noch weitere Entfernung rücken. Da „Integrität und Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen (. . .) an der Spitze des Unternehmens“ beginnen und „Jede Führungskraft die Bedeutung ethischen Verhaltens und der Einhaltung von Richtlinien im täglichen Geschäft stets hervorheben, (. . .) und sie durch ihren persönlichen Führungsstil sowie Schulungen fördern“ müsse,1093 wird die Behauptung, von einem Einverständnis des Treugebers in zweifelhafte Zahlungen ausgegangen zu sein, im Regelfall als nicht tatsachenfundiert anzusehen sein. 1089

BGH, NStZ 2006, 214 (218). Im zugrundeliegenden Fall glaubten die Angeklagten ihr Verhalten von der „unternehmerischen Handlungsfreiheit“ gedeckt, vgl. BGH, NStZ 2006, 214 (218). 1091 BGH, NStZ 2009, 694 (696). 1092 Der BGH stellte hierzu wörtlich fest, dass „das LG auch nicht genötigt [gewesen sei, Anm. d. Verf.], einen möglichen Glauben des Angekl. Dr. V. an ein Einverständnis des Treugebers zu erwägen“, BGH, NStZ 2009, 694 (696). 1093 Business Conduct Guidelines der Siemens AG, Fn. 84, S. 7. 1090

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4. Kap.: Strafbarkeitsbegründende Wirkung

Geht der Täter bei § 266 Abs. 1 StGB irrtümlich von einem Einverständnis des Treugebers aus, so lässt dies den Vorsatz entfallen.1094 Hingegen bleibt der Vorsatz unberührt, wenn der Täter in Kenntnis eines entgegenstehenden Willens des Treugebers mit der Überzeugung in dessen Interesse zu handeln vorgeht.1095 Die Erteilung des Einverständnisses muss bei juristischen Personen durch das oberste für die Willensbildung in internen Angelegenheiten zuständige Organ erfolgen.1096 Das Einverständnis kann insbesondere dann unwirksam sein, wenn es seinerseits pflichtwidrig ist.1097 Compliance-Vorschriften stellen ausdrücklich klar, dass die Einhaltung der Gesetze oberste Priorität hat. So heißt es in den Siemens Business Conduct Guidelines, „Das Befolgen der Gesetze (. . .) ist bei Siemens ein Grundprinzip.“ 1098 Bayer weist ausdrücklich darauf hin, Mitarbeiter könnten sich „bei Regelverletzungen nicht darauf berufen, sie hätten im Interesse von Bayer handeln wollen. Denn alle Regelverstöße schaden langfristig stets dem Unternehmen. Daraus resultierende vermeintliche Vorteile in Einzelfällen sind im Lichte der denkbaren Konsequenzen niemals, auch nicht wirtschaftlich für das Unternehmen als Ganzes vorteilhaft.“ 1099 Damit vermitteln Compliance-Regelungen wie die genannten, dass weder ein gesetzeswidrig erteiltes Einverständnis noch eine vermeintlich dem Unternehmensinteresse dienende Zwecksetzung treupflichtwidriges Verhalten zu rechtfertigen vermag. Ein vorsatzausschließender Irrtum über das Vorliegen eines tatbestandsausschließenden Einverständnisses kann bei Kenntnis entsprechender Compliance-Regelungen in aller Regel verneint werden. Damit stehen Compliance-Regelungen der Annahme eines Tatbestandsirrtums im Hinblick auf die Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht auch insofern entgegen. Da sie die Berufung auf § 16 Abs. 1 S. 1 StGB erschweren und den Treupflichtigen auf den für ihn weniger günstigen Verbotsirrtum verweisen, erhöhen sie das Strafbarkeitsrisiko im Hinblick auf den Tatbestand der Untreue gem. § 266 Abs. 1 StGB. Auch für die Frage der Vermeidbarkeit einer behaupteten Fehlvorstellung im Rahmen des § 17 StGB werden durch Compliance-Regelungen vermittelte Kenntnisse bezüglich der offiziell verfolgten Unternehmensstrategie für den Betroffenen negative Konsequenzen haben. Darauf soll im Folgenden noch näher eingegangen werden. 1094 BGH, Urt. v. 17.06.1952 – 1 StR 668/51 = BeckRS 1952, 30397513; BGHSt 50, 331 (342); 52, 323 (335). 1095 BGH, NStZ 1986, 455 (456). 1096 Bei der GmbH ist dies die Gesamtheit der Gesellschafter, BGHSt 9, 203 (206); bei der Aktiengesellschaft kann grundsätzlich der Vorstand ein tatbestandsausschließendes Einverständnis erteilen, sofern er damit nicht eigenes pflichtwidriges Verhalten zu legitimieren versucht, BGH, NStZ 2010, 700 (703). 1097 BGH, NJW 1988, 1397 (1399); BGH, NJW 2004, 2248 (2252 f.). 1098 Business Conduct Guidelines der Siemens AG, Fn. 84, S. 6. 1099 Corporate Compliance Policy der Bayer AG, Fn. 84, S. 6 f.

§ 5 Beeinflussung der Kenntnis täterbezogener Strafbarkeitsvoraussetzungen 239

V. Besondere Irrtumskonstellationen 1. Vermeidbarkeit eines Verbotsirrtums im Sinne von § 17 StGB1100 Abzugrenzen ist der Tatbestandsirrtum vom Verbotsirrtum gem. § 17 StGB. Fehlt dem Täter bei Begehung der Tat die Einsicht, Unrecht zu tun, so handelt er ohne Schuld, wenn er diesen Irrtum nicht vermeiden konnte. Konnte er den Irrtum vermeiden, kann die Strafe gemildert werden. Unter der Einsicht, Unrecht zu tun, ist das verständige Erkennen der Rechtswidrigkeit der Tat zu verstehen.1101 Dabei genügt das Bewusstsein eines Verstoßes gegen die rechtliche Ordnung, ohne dass es der Kenntnis der verletzten Norm bedarf.1102 Der Täter muss zwar nicht die Strafbarkeit seines Handelns erkennen,1103 jedoch genügt auch nicht das Bewusstsein moralischer Verwerflichkeit oder Sozialwidrigkeit.1104 Vermeidbar ist ein Irrtum im Sinne von § 17 StGB, wenn dem Täter sein Vorhaben zum Zeitpunkt der Tathandlung Anlass hätte geben müssen, über dessen mögliche Rechtswidrigkeit nachzudenken oder sich zu erkundigen und er auf diesem Wege zur Einsicht der Unrechtmäßigkeit gekommen wäre. Dabei sind seine persönlichen Fähigkeiten und Kenntnisse zu berücksichtigen.1105 Bleiben auch bei Einsatz sämtlicher Erkenntniskräfte und sittlichen Wertvorstellungen1106 Zweifel oder handelt es sich um Delikte die in einem bestimmten Berufskreis relevant sind, so besteht eine Erkundigungspflicht.1107 An die Anspannung des Gewissens zur Unrechtseinsicht sowie an die Erkundigungspflicht werden höhere Anforderungen gestellt als an die Einhaltung der im Verkehr erforderlichen und dem Täter zumutbaren Sorgfalt bei den Fahrlässigkeitsdelikten.1108 Werden keine Informationen eingeholt, ist ein etwaiger Irrtum in der Regel vermeidbar.1109 Geht es um Straftaten im Zusammenhang mit unternehmerischer Betätigung, so sind insbesondere Bildungsstand, Erfahrung und berufliche Stellung des Täters zu berücksichtigen. Durch die Implementierung von Compliance-Vorschriften werden in dieser Hinsicht bestehende Unterschiede allerdings eingeebnet. So heißt es in der Corporate Compliance Policy der Bayer AG explizit, dass „Jeder 1100 Auf die Bedeutung von Compliance-Richtlinien für die Berufung auf einen vermeidbaren Verbotsirrtum hinweisend bereits Theile, ZIS 2008, 406 (411). 1101 Fischer, StGB, § 17, Rn. 2. 1102 BGHSt 11, 263 (266). 1103 St. Rspr. BGHSt 15, 377 (383); 52, 227 (239 f.); BGH, NJW 2008, 1827 (1830). 1104 BGHSt 2, 194 (202). 1105 BGH, NStZ 1989, 475 (476). 1106 Vgl. zu dieser Konkretisierung der gemeinhin von der Rechtsprechung geforderten „Gewissensanspannung“: BGHSt 2, 194 (202); BGHSt 4, 1 (5). 1107 Z. B. für den geschäftlichen Bereich: BGHSt 4, 236 (242); 21, 18. 1108 Bzgl. der Gewissensanspannung: BGH, NJW 1953, 1151; bzgl. der Erkundigungspflicht: BGH, NJW 1966, 842. 1109 Fischer, StGB, § 17, Rn. 7.

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4. Kap.: Strafbarkeitsbegründende Wirkung

Mitarbeiter (. . .) sich mit den für seinen Tätigkeitsbereich maßgeblichen gesetzlichen Vorschriften und internen Regelungen hinreichend vertraut zu machen [hat] und diese bei seiner täglichen Arbeit zu beachten [hat]. Zweifel sind auszuräumen.“ 1110 Ferner „bietet [Bayer, Anm. d. Verf.] seinen Mitarbeitern die Nutzung aller erforderlichen Informationsquellen sowie Beratung an, um Gesetzesund Regelverstöße zu vermeiden.“ 1111 Als Informationsquellen nennt das Unternehmen neben dem Vorgesetzten und dem zuständigen Compliance Officer, die Fachabteilungen sowie das Intranet.1112 Damit wird jedem Mitarbeiter die Pflicht auferlegt, fachkundigen Rat einzuholen. Dass die fehlende Unrechtseinsicht nicht vermeidbar war, dürfte daher als Einlassung eines Delinquenten kaum glaubwürdig erscheinen, zumal die Kenntnis der entsprechenden Compliance-Regelungen durch die Einbeziehung in den Anstellungsvertrag oder durch Vermittlung in internen Schulungen dokumentiert sein wird. Soll fehlendes Unrechtsbewusstsein mit der Unkenntnis der einschlägigen Verbotsnorm oder der irrigen Annahme ihrer Rechtsungültigkeit begründet werden, wird sich ein potenzieller Täter kaum erfolgreich auf die Unvermeidbarkeit berufen können, wenn er Compliance-Regelungen kannte, die entsprechende Strafbarkeitsrisiken aufzeigen. Die Verhaltensgrundsätze des Volkswagen Konzerns stellen hinsichtlich der Korruptionsbekämpfung klar, dass „Keiner unserer Mitarbeiter (. . .) die geschäftlichen Verbindungen des Unternehmens zum eigenen oder fremden Vorteil oder zum Nachteil des Unternehmens ausnutzen“ dürfe, was insbesondere bedeute, „dass keiner unserer Mitarbeiter im Geschäftsverkehr unerlaubte private Vorteile (z. B. Geld, Sachwerte, Dienstleistungen) gewährt oder annimmt, die geeignet sind, eine sachgerechte Entscheidung zu beeinflussen.“ 1113 Für den Umgang mit Insiderinformationen heißt es, „Keiner unserer Mitarbeiter lässt Familienmitgliedern oder anderen Personen derartige Informationen (Hinweise) zukommen“, wobei börsenkursrelevante Insiderinformationen zuvor als „Informationen, die sich auf den Börsenkurs der Volkswagen Aktie sowie den der Aktien anderer Konzernunternehmen beziehen“ definiert wurden.1114 Da Compliance-Regelungen gerade vermitteln wollen, bei welchen Verhaltensweisen unter welchen Umständen die Gefahr rechtswidrigen Verhaltens droht, können sie die nach § 17 S. 1 StGB erforderliche Einsicht, Unrecht zu tun, begründen. Indem sie Informations- und Erkundigungspflichten auferlegen, können sie darüber hinaus die Unvermeidbarkeit einer dennoch fehlenden Unrechtseinsicht widerlegen.

1110 1111 1112 1113 1114

Corporate Compliance Policy der Bayer AG, Fn. 84, S. 23. Corporate Compliance Policy der Bayer AG, Fn. 84, S. 23. Corporate Compliance Policy der Bayer AG, Fn. 84, S. 23. Verhaltensgrundsätze des Volkswagen Konzerns, Fn. 84, S. 11. Verhaltensgrundsätze des Volkswagen Konzerns, Fn. 84, S. 17.

§ 5 Beeinflussung der Kenntnis täterbezogener Strafbarkeitsvoraussetzungen 241

2. Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens Glaubt der Täter das Handeln wäre ihm nicht zumutbar, kommt das Gericht jedoch zum gegenteiligen Ergebnis, etwa weil es sich auf Compliance-Vorschriften entsprechenden Inhalts beruft, die der Täter kannte und zu deren Einhaltung er sich verpflichtete, so hängen die Auswirkungen eines solchen Irrtums auf die Strafbarkeit entscheidend von der rechtlichen Klassifikation der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens ab. Nach teilweise vertretener Ansicht soll die Unzumutbarkeit einer Handlung den Tatbestand entfallen lassen.1115 Nach anderer Auffassung wirkt die Unzumutbarkeit rechtfertigend1116 bzw. entschuldigend.1117 Wieder andere sehen darin eine Frage der Strafzumessung.1118 Überzeugend erscheint, die Frage der Unzumutbarkeit auf Ebene der Rechtfertigung oder Entschuldigung anzusiedeln. Gegen eine Verortung auf Tatbestandsebene spricht, dass das Verdikt der Unzumutbarkeit zunächst das Bestehen einer Pflicht als Bezugsobjekt voraussetzt. Diesen Bezugspunkt tatbestandlich bestehen zu lassen und in Ausnahmefällen die Nichterfüllung zu rechtfertigen oder zu entschuldigen, stellt die sachgerechtere Lösung dar. Erst auf Ebene der Strafzumessung die Unzumutbarkeit berücksichtigen zu wollen, überzeugt ebenfalls nicht. Wenn dem Täter ein Handeln nicht zugemutet werden kann, werden diese Gründe auch einem Unwerturteil oder einem Schuldvorwurf entgegenstehen. Dann muss aber bereits Rechtswidrigkeit oder Schuld verneint werden, eine bloße Nachjustierung bei der Strafzumessung genügt nicht. Sieht man in der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens einen Rechtfertigungsgrund, so beurteilt sich die irrige Vorstellung des Täters wegen Unzumutbarkeit nicht zum Handeln verpflichtet zu sein, als Gebotsirrtum nach § 17 StGB.1119 Die Konstellation in der der Täter über die sachlichen Voraussetzungen der Unzumutbarkeit irrt, die als Erlaubnistatbestandsirrtum zu behandeln wäre, soll hier ausgeklammert bleiben. Compliance-Regelungen wirken sich v. a. auf normative Tatbestandsmerkmale und die Bewertung von Sachverhalten in rechtlicher Hinsicht aus. Die Kenntnis der tatsächlichen Voraussetzungen, sowohl in Bezug auf den Tatbestand als auch in Bezug auf Rechtfertigungsgründe bedarf 1115 Vgl. OLG Hamburg, NStZ 1996, 557 (559); Fischer, StGB, § 13, Rn. 44 a. E.; MüKo-Freund, vor § 13, Rn. 232. 1116 Vgl. Küper, Grund- und Grenzfragen der rechtfertigenden Pflichtenkollision im Strafrecht, 1979, S. 97 ff. 1117 Vgl. Wessels/Beulke, AT, Rn. 739. 1118 Vgl. SK-Rudolphi/Stein, vor § 13, Rn. 51 f.; vgl. zu diesem Themenkomplex auch S/S-Stree/Bosch, vor §§ 13 ff., Rn. 155 m.w. N. 1119 Sieht man mit einem Teil der Lehre in der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens einen Entschuldigungsgrund, so wirkt sich dies für die Frage der Schuld nicht aus, sondern wird erst im Rahmen der Strafzumessung relevant. Compliance-Vorschriften des oben genannten Aussagegehalts dürften hier aber ebenso zu Lasten des Täters ins Gewicht fallen, wie bei der Vermeidbarkeit eines Gebotsirrtums i. S. v. § 17 StGB.

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4. Kap.: Strafbarkeitsbegründende Wirkung

der Feststellung im jeweiligen Einzelfall und bleibt durch Compliance-Regelungen weitgehend unberührt. Der Schwerpunkt der Betrachtung ist daher auf einen durch Compliance-Regelungen beeinflussbaren Irrtum über Inhalt und Grenzen eines Rechtfertigungsgrundes zu legen, der nach § 17 StGB zu behandeln ist. Dabei kommt es wiederum auf die Vermeidbarkeit der Fehlvorstellung an. Sofern sich Mitarbeiter selbstverpflichtend1120 zur Einhaltung weitgehender Mitwirkungspflichten bei der Prävention und Unterbindung von strafbarem Verhalten bekennen, wird die Einlassung aufgrund Unzumutbarkeit einer entsprechenden Pflicht nicht zum Handeln verpflichtet gewesen zu sein, nur geringe Erfolgsaussichten haben. Zudem werden Informations- und Erkundigungspflichten der Unvermeidbarkeit eines solchen Irrtums im Regelfall entgegenstehen. 3. Handeln auf Weisung Einige Compliance-Vorschriften enthalten den Passus, wonach die hierin niedergelegten Regeln jeder entgegenstehenden Weisung von Vorgesetzten vorgehen.1121 Die Rechtmäßigkeit der entsprechenden Compliance-Vorschrift unterstellt, handelt es sich bei einer entgegenstehenden Weisung unter Umständen um einen rechtswidrigen Verhaltensbefehl. Die strafrechtliche Bewertung dieser Konstellation ist umstritten. Ein Teil der Literatur ordnet das Handeln auf rechtswidrigen Befehl hin als Entschuldigungsgrund ein.1122 Nach anderer Ansicht ist danach zu differenzieren, ob die Weisung verbindlich oder unverbindlich ist. Dabei sind auch rechtswidrige Weisungen grundsätzlich verbindlich. Im Falle von Bedenken besteht jedoch die Pflicht, diese Bedenken gegenüber dem Anweisenden vorzubringen.1123 Wird die Weisung mit gleichem Inhalt bestätigt, ist Verbindlichkeit gegeben und das Verhalten des Angewiesenen gerechtfertigt.1124 Die früher äußerst umstrittene Frage nach der richtigen Einordnung des rechtswidrigen Befehls als Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrund wurde durch positivrechtliche Regelung zumindest für den Bereich öffentlich-rechtlicher Weisungsverhältnisse weitgehend gegenstandslos.1125 Aus den §§ 5 Abs. 1 WStG, 11 Abs. 2 SoldG, 97 Abs. 2 StVollzG ergibt sich, dass eine rechtswidrige Weisung 1120 Z. B. durch die Verpflichtung zur Einhaltung der Compliance-Vorgaben des Arbeitgebers im Anstellungsvertrag. 1121 Vgl. etwa die Corporate Compliance Policy der Bayer AG, Fn. 84, S. 23: „Die Regeln dieser Corporate Compliance Policy gehen jeder etwaigen entgegenstehenden Weisung eines Vorgesetzten vor.“ 1122 Fischer, StGB, vor § 32, Rn. 16. 1123 Vgl. insofern die für Beamte geltenden Regelungen der §§ 63 Abs. 2 S. 1, 2 BBG; 36 Abs. 2 S. 1, 2 BeamtStG. 1124 Dies gilt jedoch nicht, wenn für den Angewiesenen erkennbar ist, dass er sich durch die Befolgung der Weisung strafbar macht oder ordnungswidrig handelt, vgl. Roxin, AT/I, § 17, Rn. 16; Wessels/Beulke, AT, Rn. 450. 1125 Weiterführend hierzu: Roxin, AT/I, § 17, Rn. 15.

§ 5 Beeinflussung der Kenntnis täterbezogener Strafbarkeitsvoraussetzungen 243

stets unverbindlich ist und als Rechtfertigungsgrund daher ausscheidet. Der Weisungsempfänger handelt jedoch nur dann schuldhaft, wenn er erkennt oder es nach den Umständen für ihn offensichtlich ist, dass er strafbar oder ordnungswidrig handelt bzw. dass die Anweisung rechtswidrig ist.1126 Auch nach der differenzierenden Ansicht kommt es darauf an, ob der Anweisungsempfänger erkennen konnte, dass er sich durch die Befolgung der Weisung strafbar macht oder ordnungswidrig handelt.1127 Compliance-Regelungen verdeutlichen den Unternehmensmitarbeitern worin in bestimmten Konstellationen rechtmäßiges Verhalten besteht und machen dadurch eine rechtswidrige Weisung leichter erkennbar. Durch Aufklärung über strafbare und ordnungswidrige Verhaltensweisen begünstigen Compliance-Regeln so die Annahme schuldhaften Handelns bei rechtswidrigen Weisungen von Vorgesetzten. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf weniger bekannte strafrechtlich relevante Vorgaben wie etwa denjenigen des Außenhandelsrechts. Die Business Conduct Guidelines der Siemens AG führen hierzu aus, dass „Exportkontrollen (. . .) generell für den Transfer von Waren, Dienstleistungen, Hardware, Software oder Technologie über bestimmte Landesgrenzen, auch per Email“ gelten und Exportkontrollgesetze „Anwendung finden im Zusammenhang mit direkten oder indirekten Exporten oder Importen aus oder in sanktionierte Länder oder im Zusammenhang mit Dritten, gegen die zum Beispiel Verdachtsmomente im Hinblick auf die nationale Sicherheit bestehen oder die an kriminellen Aktivitäten beteiligt sind. Verstöße gegen diese Gesetze und Bestimmungen können zu drastischen Strafen führen (. . .).“ 1128 Erkennt der Mitarbeiter, dass eine Weisung im Widerspruch zu den Vorgaben der Compliance-Richtlinien steht, ist er sich auch der Verwirklichung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit im Falle ihrer Befolgung bewusst. Compliance-Vorgaben erläutern für typische Konstellationen des Unternehmensalltags die Voraussetzungen rechtmäßigen Verhaltens und erleichtern für die Mitarbeiter die Einschätzung, wann eine Weisung rechtswidrig ist und ihre Befolgung die Verwirklichung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit bedeutet. Die allgemeine Sensibilisierung für Strafbarkeitsrisiken in Verbindung mit dem Hinweis, dass Compliance-Regelungen gegenüber entgegenstehenden Weisungen stets vorgehen, begünstigen so die Annahme schuldhaften Verhaltens, wenn der Adressat einer rechtswidrigen Weisung diese dennoch befolgt.

1126 Vgl. Wessels/Beulke, AT, Rn. 450; S/S-Lenckner/Sternberg-Lieben, vor §§ 32 ff., Rn. 121. Der Weisungsempfänger darf daher nicht davon ausgehen, dass der erkanntermaßen rechtswidrige Befehl seines Vorgesetzten verbindlich sei und sein Handeln rechtfertigen würde; vgl. zum Verbotsirrtum bei falsch verstandener Gehorsamsoder Treupflicht: BGH, NJW 1968, 2345 (2346). 1127 Vgl. Roxin, AT/I, § 17, Rn. 16; Wessels/Beulke, AT, Rn. 450. 1128 Business Conduct Guidelines der Siemens AG, Fn. 84, S. 12.

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4. Kap.: Strafbarkeitsbegründende Wirkung

4. Subsumtionsirrtum Auch sofern Compliance-Regelungen fehlerhafte Definitionen von Tatbestandsmerkmalen enthalten und ein Mitarbeiter sich darauf verlässt, etwa indem er eine Verbotsnorm zu eng auslegt und daher nicht erkennt, dass er einen Straftatbestand verwirklicht, entfalten Compliance-Vorgaben strafbarkeitsbegründende Wirkung. In diesen Konstellationen liegt regelmäßig ein Subsumtionsirrtum vor. Dieser stellt eine Erscheinungsform des Verbotsirrtums dar und ist somit nach § 17 StGB zu beurteilen.1129 Angesichts der hohen Anforderungen, die die Rechtsprechung an die Unvermeidbarkeit des Irrtums stellt, wird ein berechtigtes Vertrauen auf die Richtigkeit der privaten Verhaltensvorschriften kaum anerkannt werden. Zumal in der Regel die Einholung von Rechtsrat möglich sein wird, was wiederum zur Vermeidbarkeit des Irrtums führt.1130

VI. Resumee Compliance-Regelungen wirken sich bei täterbezogenen Strafbarkeitsvoraussetzungen strafbarkeitsbegründend aus, indem sie Tatbestandsvorsatz begründen und die Nachweisbarkeit von Vorsatz erleichtern. Zu unterscheiden ist zwischen deskriptiven und normativen Tatbestandsmerkmalen. Während Compliance-Regelungen bei deskriptiven Merkmalen vor allem die Nachweisbarkeit von Vorsatz erleichtern, haben sie im Rahmen normativer Tatbestandsmerkmale originär strafbarkeitsbegründende Wirkung, indem eine den subjektiven Tatbestand hinreichend ausfüllende Parallelwertung in der Laiensphäre vermittelt wird. Der Sensibilisierung im Hinblick auf strafrechtlich relevante Risiken und Gefährdungssituationen kommt somit im Gegenzug strafbarkeitsbegründende Wirkung zu. Da die täterbezogenen Voraussetzungen der Garantenstellungen bei den unechten Unterlassungsdelikten und die Vermögensbetreuungspflicht stark normativ geprägt sind, wird die vorsatzbegründende Wirkung von Compliance-Regelungen hier besonders deutlich. Hinsichtlich der normativen Voraussetzungen des Bestehens einer Garantenstellung können Compliance-Vorschriften einem Tatbestandsirrtum i. S. v. § 16 Abs. 1 S. 1 StGB entgegenwirken. Dies gilt grundsätzlich für sämtliche Mitarbeiter im Unternehmen unabhängig von Position und Aufgabenbereich. Unterschiede ergeben sich diesbezüglich für die Frage, ob ein Bewusstsein, den tatbestandlichen Erfolg verhindern zu können, gegeben ist. Abhängig davon, welche Eingriffsbefugnisse der einzelne Mitarbeiter innehat, kann er auf die Mitwirkung anderer angewiesen sein, was einem entsprechenden Bewusstsein aber nicht zwangsläufig entgegenstehen muss. Im Rahmen der Ausgestaltung von Garantenpflichten sowie bei einem Handeln auf Weisung, der Zumutbarkeit normgemäßen Verhaltens und Subsumtionsirrtümern begünstigen Compliance-Vorschriften die Annahme der Vermeidbarkeit eines Irrtums im rechtlichen Bereich. 1129 1130

NK-Neumann, § 17, Rn. 49. BGH, NStZ 1993, 594 (595).

§ 6 Strafzumessung nach § 46 StGB

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Im Rahmen des Untreuetatbestandes wirken sich Compliance-Regelungen vor allem auf den Vorsatz in Bezug auf die Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht aus. Pflichtwidriges Verhalten liegt nicht vor, wenn ein tatbestandsausschließendes Einverständnis gegeben ist. Geht der Täter davon aus, kann grundsätzlich nach § 16 Abs. 1 S. 1 StGB der Vorsatz entfallen. Jedoch stellt der BGH mit der Forderung nach einem tatsachenfundierten Erlaubnissatz strenge Anforderungen auf. Die Mission Statements sowie die in Compliance-Regelungen dokumentierte Unternehmenskultur in Bezug auf rechtlich zweifelhafte Vorgänge im Unternehmen sprechen im Zweifel eher gegen das Vorliegen entsprechender Einverständnis in dubiose Geschäfte und Finanztransaktionen. Ein Tatbestandsirrtum scheidet daher im Regelfall aus und ein verbleibender Verbotsirrtum gem. § 17 StGB stellt mit der Unvermeidbarkeit eine für den Betroffenen weitaus größere Hürde dar. Diese zu überwinden wird, wie oben dargelegt, durch Compliance-Vorschriften durchaus nicht erleichtert.

§ 6 Strafzumessung nach § 46 StGB1131 Compliance-Vorgaben können sich auch auf Ebene der Strafzumessung auswirken.1132 Während die Erfüllung von Regelbeispielen besonders schwerer Fälle eher tatbezogene Aspekte betrifft und im nächsten Kapitel untersucht werden soll, bieten sich für täterbezogene Kriterien die Strafzumessungstatsachen des § 46 Abs. 2 StGB als Anknüpfungspunkt an. Abwägungsfaktor für die Schuld des Täters ist dabei insbesondere das Maß der Pflichtwidrigkeit. Dieses Kriterium ist vor allem bei Fahrlässigkeits- und Unterlassungsdelikten sowie bei der Verletzung besonderer Rechtspflichten, etwa der Vermögensbetreuungspflicht im Rahmen des Untreuetatbestandes gem. § 266 Abs. 1 StGB, von Bedeutung.1133 Die Rechtsprechung berücksichtigt besondere Pflichtenstellungen im Rahmen der Strafzumessung, wenn sie mit der Tatbestandsverwirklichung einen inneren Zusammenhang aufweisen.1134 Derartige Pflichten können sich unter anderem aus der beruflichen Stellung des Täters ergeben, vorausgesetzt es besteht eine unmittelbare Beziehung zur Straftat.1135 Bei Aspekten, die sich auf die Vermögensbetreuungspflicht des Untreuetatbestandes beziehen, ist dies häufig zu bejahen. In die Strafzumessung einzufließen 1131 Auf die Bedeutung von Compliance-Richtlinien für die Strafzumessung hinweisend: Sieber, in: FS Tiedemann, 2008, S. 449 ff. (462) sowie Theile, ZIS 2008, 406 (411). 1132 Zur Parallelproblematik bei Festsetzung von Bußgeldern nach § 81 Abs. 4 GWB bzw. § 17 Abs. 3 OWiG: Gelhausen/Wermelt, CCZ 2010, 208 (209). 1133 BeckOK-v. Heintschel-Heinegg, § 46, Rn. 32; Fischer, StGB, § 46, Rn. 31; NKStreng, § 46, Rn. 55. 1134 BGH, NJW 2000, 154 (157). 1135 MüKo-Franke, § 46, Rn. 32.

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4. Kap.: Strafbarkeitsbegründende Wirkung

hat dann, wie umfassend der Verantwortungsbereich des Treupflichtigen war und wie stark von den Vorgaben zur Betreuung des anvertrauten Vermögens abgewichen wurde.1136 Auch bei der Bestechlichkeit nach § 332 StGB ist das Maß der Pflichtwidrigkeit berücksichtigungsfähig.1137 Für die Parallelregelung des § 299 StGB ist dies nicht anders zu bewerten. Im Rahmen des Untreuetatbestandes treten Compliance-Regelungen neben Vorgaben aus dem Anstellungsvertrag und gesetzliche Vorschriften. Obwohl die Befugnis über fremdes Vermögen zu verfügen in aller Regel bereits durch Gesetz oder Rechtsgeschäft eingeräumt wird, können Compliance-Regelungen dennoch Wirkung im Rahmen der Strafzumessung entfalten, etwa indem sie den sorgfältigen Umgang mit Unternehmensvermögen anmahnen oder ein Verhalten im Unternehmensinteresse fordern. Das Ausmaß der Pflichtverletzung und der Grad an Nachlässigkeit, die dem Täter zur Last gelegt werden, lassen sich an den in Compliance-Regelungen niedergelegten Sorgfaltsanforderungen messen. ComplianceRegelwerke geben der Rechtsprechung damit eine Richtschnur an die Hand, mithilfe derer sie den Abweichungsgrad des vorwerfbaren Verhaltens vom gesetzlich geforderten beurteilen kann. Da Compliance-Initiatoren zur Formulierung strenger Sorgfaltsstandards tendieren, wird auch der Abweichungsgrad davon entsprechend hoch ausfallen. Das Ausnutzen einer besonderen Vertrauensstellung im Unternehmen bezieht sich auf die berufliche Stellung des Täters und ist insofern ebenfalls als Zumessungstatsache nach § 46 Abs. 2 StGB berücksichtigungsfähig, wenn eine innere Beziehung zwischen der verwirklichten Straftat und den Berufspflichten des Täters besteht.1138 Für Mitarbeiter, die mit der Wahrnehmung von Compliance-Aufgaben betraut werden, lässt sich diese Beziehung sowohl für Delikte gegenüber dem Unternehmen als auch für Delikte, die aus dem Unternehmen heraus begangen werden, begründen. Als strafschärfend können dabei besondere Kenntnisse der Compliance-Struktur berücksichtigt werden, wenn diese dazu genutzt werden, unternehmensinterne Kontrollmechanismen gezielt zu umgehen.1139 Insofern ist auch im Bereich der Strafzumessung eine an täterbezogene Merkmale anknüpfende Verschärfung von Strafbarkeitsrisiken erkennbar. Für die Strafzumessung im Rahmen von § 46 Abs. 2 StGB kommt Compliance-Regelungen vor allem beim Untreuetatbestand als Vergleichsmaßstab für das Maß der Pflichtwidrigkeit Bedeutung zu. Daneben bieten Compliance-Regelungen dem Richter aber auch bei den Unterlassungs- und Fahrlässigkeitsdelikten ein Orientierungskriterium für die Bestimmung des Abweichungsgrades des tatsächlichen vom normgemäßen Verhalten. 1136 1137 1138 1139

S/S-Stree/Kinzig, § 46, Rn. 17. S/S-Stree/Kinzig, § 46, Rn. 17. Vgl. Fischer, StGB, § 46, Rn. 44. Vgl. Rau, Compliance und Unternehmensverantwortlichkeit, 2010, S. 220 f.

5. Kapitel

Strafbarkeitskonkretisierende Wirkung bei tatbezogenen Voraussetzungen der Strafbarkeit Compliance-Vorschriften beschäftigen sich nicht nur mit täterbezogenen, sondern auch mit tatbezogenen Strafbarkeitsvoraussetzungen. Zur Sensibilisierung für strafrechtliche Risiken werden typische Straftatbestände und die erfassten Situationen beschrieben. Neben der Formulierung von Leitlinien für gesetzeskonformes Verhalten, bedient man sich dabei der Definition einzelner Tatbestandsmerkmale sowie der Veranschaulichung typischer Gefährdungslagen durch Beispielsfälle. Mit anderen Worten findet eine „vorweggenommene“ Anwendung der einschlägigen Wirtschaftsstraftatbestände auf Konstellationen statt, wie sie im Unternehmensalltag jederzeit auftreten können. Da die letztverbindliche Auslegung der (Straf-)Gesetze aber aus rechtsstaatlichen Gesichtspunkten, den staatlichen Gerichten vorbehalten ist, stellt sich die Frage nach der rechtlichen Relevanz entsprechender Compliance-Regelungen. Unter Hinweis auf die staatliche Deutungs- und Anwendungshoheit könnte man Compliance-Regelungen jegliche gesetzeskonkretisierende Wirkung für tatbezogene Strafbarkeitsvoraussetzungen absprechen. Eine strafbarkeitsbegründende Wirkung, wie sie oben für die täterbezogenen Voraussetzungen der Strafbarkeit bejaht wurde, wird sich für tatbezogene Strafbarkeitsvoraussetzungen mangels hinreichender demokratischer Legitimation auch nicht begründen lassen. Allerdings scheint eine mittelbare Einflussnahme auf die strafrechtliche Beurteilung einer Verhaltensweise nicht von vornherein ausgeschlossen. Denkbar wäre, dass sich die Staatsanwaltschaft hinsichtlich der Begründung eines Anfangsverdachts auf einen Verstoß gegen einschlägige Compliance-Vorgaben stützt, die ein bestimmtes strafrechtlich relevantes Verhalten zum Inhalt haben. Aus Sicht des Betroffenen kann die Wirkung daher insofern als „strafbarkeitskonkretisierend“ beschrieben werden, als ein bestimmtes Verhalten gegebenenfalls als Verstoß gegen Compliance-Vorschriften gewertet wird und durch eine derartige Vorbewertung „aufbereitet“ einer ersten Beurteilung durch die Strafverfolgungsbehörden unterzogen wird. Diese compliance-orientierte „Aufbereitung“ kann sowohl in Bezug auf einzelne Tatbestandsmerkmale als auch im Rahmen der Kausalitätsfrage, der objektiven Zurechnung oder des Strafantragserfordernisses Bedeutung erlangen. Auch wenn der Rekurs auf private Regelwerke zur Ausfüllung und Interpretation von Rechtsnormen legitimatorische Schwierigkeiten bereitet, ist eine straf-

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5. Kap.: Strafbarkeitskonkretisierende Wirkung

barkeitskonkretisierende Wirkung von Compliance-Vorschriften insbesondere bei unbestimmten Tatbestandsvoraussetzungen nicht von der Hand zu weisen. Eines der wesentlichen Ziele von Compliance-Regelwerken ist es, über strafrechtliche Haftungsrisiken aufzuklären.1140 Da ein Risiko nur verringert und strafbares Verhalten nur vermieden werden kann, wenn die Gefahren bekannt sind, vor denen es sich in Acht zu nehmen gilt, warten zahlreiche Compliance-Regelungen mit einer an das laienhafte Verständnis gerichteten Kommentierung gesetzlicher Straftatbestände auf. Darin werden einzelne Tatbestandsmerkmale näher erläutert und durch Beispielsfälle veranschaulicht. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf den unbestimmten Tatbestandsmerkmalen im Rahmen der §§ 299 und 331 ff. StGB.1141 Als Reaktion auf die zunehmende Verunsicherung, setzen viele Unternehmen inzwischen Obergrenzen für Zuwendungen und Geschenke fest und regeln, in welchen Fällen die Meinung des Vorgesetzten oder Compliance-Beauftragten einzuholen ist.1142 Oft gehen diese Regelungen über das strafrechtlich erforderliche Maß hinaus. Verstößt ein Mitarbeiter gegen eine derartige Bestimmung im Code of Conduct seines Unternehmens bedeutet dies daher nicht zwangsläufig die Einleitung eines strafrechtlichen Verfahrens. Allerdings erscheint es auch nicht ausgeschlossen, dass Compliance-Verstöße als hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine verfolgbare Straftat i. S. v. § 152 Abs. 2 StPO genommen werden. Wie für die Bestimmung des „Vorteils“ im Rahmen von § 299 und §§ 331 ff. StGB kommt eine strafbarkeitskonkretisierende Wirkung auch bei anderen Delikten mit unbestimmten Tatbestandsmerkmalen in Betracht. Im Hinblick auf tatbezogene Strafbarkeitsvoraussetzungen kommt Compliance-Vorschriften damit lediglich eine der Indizwirkung vorgelagerte Bedeutung zu. Ein Verstoß gegen Compliance-Regelungen, die tatbezogene Strafbarkeitsvoraussetzungen zum Inhalt haben, spricht nicht ohne weiteres als Beweisanzeichen für die Verwirklichung eines die entsprechende Verhaltensweise sanktionierenden Straftatbestandes. Vielmehr beeinflussen Compliance-Vorschriften die Ermittlungsentscheidung der Staatsanwaltschaft bzw. erfolgt die Berücksichtigung von Compliance-Vorschriften bei der gerichtlichen Entscheidungsfindung im Rahmen

1140 In einer von der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers durchgeführten Umfrage unter 830 deutschen Unternehmen nannten 65 % strafrechtliche Haftungsrisiken als Beweggrund für Compliance-Projekte; vgl. WiWo Nr. 51/2011, S. 82. 1141 Wie schlüpfrig der Pfad zwischen strafloser „Klimapflege“ und strafbarem Verhalten ist, musste zuletzt der frühere ENBW-Chef Utz Claassen erleben. Weil er Regierungsmitgliedern in Stuttgart und einem Staatssekretär Freikarten für die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 zukommen ließ, hatte er sich vor Gericht zu verantworten; vgl. BGH, NStZ 2008, 688. 1142 Vgl. Leitlinie Zuwendungen, E.ON AG, Fn. 952, S. 3; Verhaltensgrundsätze des Volkswagenkonzerns, Fn. 84, S. 11.

§ 1 Tatbezogene Voraussetzungen der Strafbarkeit

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von Kausalitäts- und Zurechnungsfragen sowie bei der Konkretisierung unbestimmter Tatbestandsmerkmale über die von Rechtsprechung und Lehre entwickelten Auslegungskriterien. Zwar bedeutet dies letztlich, die Interpretation durch den Normadressaten mithilfe der Rechtsprechung verbindlich zu machen. Allerdings erscheint das insofern hinnehmbar, als sich der Normadressat auf eine möglichst risikoarme, d.h. entsprechend rigide Regelung, festlegen wird. Die Formulierung zu lascher Compliance-Regelungen würde den Betroffenen nicht vor einer strafrechtlichen Inanspruchnahme schützen. Dem Interesse an Rechtsklarheit und der Gewährleistung eines angemessenen Schutzniveaus wäre ein derartiger Effekt jedenfalls nicht abträglich. Der Aspekt, dass Staat und Unternehmen das gleiche Interesse einer möglichst umfassenden und effektiven Kriminalprävention verfolgen und die Unternehmenspraxis in Zweifelsfällen sogar über das gesetzlich geforderte Schutzniveau hinausgeht, kann den Bedenken in Bezug auf eine fehlende normative Anbindung von Compliance-Regelungen zumindest als gewichtiges Argument entgegengehalten werden.

§ 1 Tatbezogene Voraussetzungen der Strafbarkeit Zu den tatbezogenen Voraussetzungen der Strafbarkeit zählen zunächst die Tathandlung, der Taterfolg und das Tatobjekt. Sie bestimmen, welche Verhaltensweisen unter welchen Umständen mit Strafe belegt werden. Anders als die täterbezogenen Strafbarkeitsvoraussetzungen, die als objektiv täterschaftliche Pflichtenlage an das tatbestandlich geschützte Rechtsgut anknüpfend, die einer Person übertragbar zugeordnete strafrechtliche Verantwortlichkeit umschreiben, beziehen sich die tatbezogenen Voraussetzungen auf die nicht der jeweiligen Person zugeordneten, sondern zusätzlich erforderlichen Bedingungen, an die der Gesetzgeber seinen Sanktionierungsanspruch knüpft. Neben den bereits genannten, sind dies der Kausal- und Zurechnungszusammenhang zwischen Täterverhalten und Eintritt des tatbestandlichen Erfolges sowie das Vorliegen oder Fehlen eines tatbestandsausschließenden Einverständnisses bzw. einer rechtfertigenden Einwilligung. Auch die Voraussetzungen der übrigen Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe sowie objektive Bedingungen der Strafbarkeit unterfallen der Kategorie der tatbezogenen Voraussetzungen. Da letztere in betrieblichen Compliance-Vorschriften allenfalls am Rande behandelt werden, soll sich die Untersuchung im Wesentlichen auf Tathandlung, Taterfolg und Tatobjekt, sowie Ausführungen zu Kausalität, Zurechnung, tatbestandsausschließendem Einverständnis und rechtfertigender Einwilligung konzentrieren. Daneben soll in der gebotenen Kürze auch auf Grenzwerte, die nach dem Willen des Gesetzgebers als Geringwertigkeitsgrenzen oder besonders schwere Fälle für die Strafverfolgung oder Strafzumessung maßgeblich sind, eingegangen werden.

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5. Kap.: Strafbarkeitskonkretisierende Wirkung

I. Tathandlung und Tatobjekt Zu den tatbezogenen Merkmalen des objektiven Tatbestandes gehören insbesondere das Tatobjekt und die Ausführungshandlung, die durch besondere Tatmittel oder spezifische Tatmodalitäten eine nähere Ausgestaltung erfahren kann. Nach dem kausalen Handlungsbegriff ist unter einer Handlung die Verursachung oder Nichtverhinderung einer Veränderung der Außenwelt durch gewillkürtes Verhalten zu verstehen.1143 Die von Welzel begründete finale Handlungslehre versteht unter Handlung ein vom Willen gesteuertes zweckgerichtetes Geschehen.1144 Den Schwerpunkt auf die Sozialerheblichkeit legend, definiert die soziale Handlungslehre die Handlung als ein vom menschlichen Willen beherrschtes oder beherrschbares sozialerhebliches Verhalten.1145 Nach Roxin ist Handlung jede Persönlichkeitsäußerung.1146 Ein Blick auf diese Definitionen macht deutlich, dass es im Hinblick auf ihre Beeinflussung durch Compliance-Regelungen nur auf die im Rahmen konkreter Tatbestände näher spezifizierten Verhaltensweisen ankommen kann. Noch enger gefasst ist eine strafbarkeitskonkretisierende Einflussnahme durch Compliance-Regelungen auf die typischen Tatbestände des Wirtschaftsstrafrechts beschränkt.

II. Kausalität Nach der von Rechtsprechung und einem Großteil der Lehre vertretenen Äquivalenztheorie ist eine Handlung für den eingetretenen Taterfolg dann kausal, wenn sie nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit entfiele.1147 Neben der Äquivalenztheorie hat sich in der Literatur die Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung entwickelt. Sie sucht vor allem die mit der Äquivalenztheorie nicht überzeugend zu klärenden Probleme der alternativen und hypothetischen Kausalität besser zu lösen.1148 Ihr zufolge ist eine Handlung dann kausal für den Erfolg, wenn sich ihr zeitlich nachfolgend Änderungen in der Außenwelt angeschlossen haben, die mit der Handlung gesetzmäßig, im Sinne eines Naturgesetzes verbunden sind, und sich als tatbestandsmäßiger Erfolg darstellen.1149 Da auch diese Formel Defizite im Hinblick auf die sog. psychisch vermittelte Kau1143

Zur Kausalen Handlungslehre: v. Liszt/Schmidt, Strafrecht, S. 157 ff. Welzel, Strafrecht, S. 33 ff. 1145 Jescheck/Weigend, AT, § 23 VI 1; Wessels/Beulke, AT, Rn. 93. 1146 Roxin, AT/I, § 8, Rn. 44 ff. 1147 RGSt 1, 373; BGHSt 1, 332; Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 14, Rn. 8 ff.; Gropp, AT, § 5, Rn. 13 ff.; Heinrich, AT/I, Rn. 222; Jäger, AT, Rn. 27; Kühl, AT, § 4, Rn. 9; Wessels/Beulke, AT, Rn. 156. 1148 Vgl. Kühl, AT, § 4, Rn. 22 ff.; Jescheck/Weigend, AT, § 28 II 4; Roxin, AT/I, § 11, Rn. 15 ff.; S/S-Lenckner/Eisele, vor § 13, Rn. 75. 1149 Formel entwickelt von Engisch, Kausalität, 1931, S. 21. 1144

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salität aufweist, hat Rothenfußer den gesetzmäßigen Zusammenhang durch die „notwendige Bedingung“ ersetzt und lässt für den so festzustellenden Kausalitätszusammenhang eine historische Zustandsveränderung ausreichen, die mit vorangegangenen Ereignissen in beliebiger Weise verknüpft und als deren Folge zu betrachten ist.1150 Diese Sichtweise stellt den umfassendsten Ansatz dar, da sämtliche Ereignisse, die den Erfolg bewirkt haben mit in die Betrachtung einfließen. Auch wenn die These Rothenfußers durchaus geeignet erscheint, die Probleme des herkömmlichen Ansatzes überzeugend zu lösen, so soll im Rahmen dieser Untersuchung doch dem Ansatz der herrschenden Lehre und der Rechtsprechung gefolgt werden. Compliance-Regelungen finden bei der Äquivalenztheorie sowohl allgemein beim Wahrscheinlichkeitsmaßstab als auch in der Sonderkonstellation des Kausalitätsnachweises bei Gremienentscheidungen mögliche Ansatzpunkte für eine strafbarkeitskonkretisierende Einflussnahme.

III. Objektive Zurechnung Die objektive Zurechnung umschreibt die wertende Betrachtung des Zusammenhangs zwischen Täterhandlung und Taterfolg. Da weder Adäquanztheorie1151 noch Relevanztheorie1152 ein überzeugendes Korrektiv der Äquivalenztheorie zu liefern vermochten, haben Rechtsprechung und Lehre Fallgruppen entwickelt, in denen eine Zurechnung des Taterfolgs zum Verhalten des Täters aufgrund normativer Gesichtspunkte verneint wird. Von Bedeutung im Zusammenhang mit Compliance-Regelungen sind dabei insbesondere die Fallgruppen des rechtmäßigen Alternativverhaltens sowie des erlaubten Risikos.

IV. Tatbestandsausschließendes Einverständnis und rechtfertigende Einwilligung Für das Wirtschaftsstrafrecht von besonderer Relevanz ist im Bereich der Rechtfertigungsgründe die rechtfertigende Einwilligung. Sie greift indes nur, wenn nicht bereits tatbestandlich ein Handeln gegen den Willen des Opfers vorausgesetzt wird.1153 Erfordert der Tatbestand ein Handeln gegen den Willen des Opfers, so macht dessen Einverständnis die Verwirklichung des Tatbestands unmöglich.1154 Beim tatbestandsausschließenden Einverständnis ist allein das Vor1150

Rothenfußer, Kausalität und Nachteil, 2003, insb. S. 16 ff., 35 ff., 39. Begr. durch von Kries, ZStW 9 (1889), 528 (532); vgl. dazu auch: Roxin, AT/I, § 11, Rn. 39 m.w. N. 1152 Vgl. zur Relevanztheorie bereits Mezger, Strafrecht, 3. Aufl., S. 122 f. 1153 Vgl. Jäger, AT, Rn. 135. 1154 Weiterführend zur Abgrenzung zwischen rechtfertigender Einwilligung und tatbestandsausschließendem Einverständnis: Rönnau, JuS 2007, 18 ff. 1151

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5. Kap.: Strafbarkeitskonkretisierende Wirkung

liegen einer tatsächlichen Zustimmung des Rechtsgutsträgers entscheidend, ohne dass es auf etwaige Willensmängel ankommt. Die rechtfertigende Einwilligung setzt demgegenüber neben der Disponibilität des betroffenen Rechtsguts für den Einwilligenden,1155 eine frei erklärte und ernst gemeinte Erteilung der Einwilligung vor der Tat sowie die Einsichtsfähigkeit des Einwilligenden voraus.1156 Subjektiv erfordert eine Rechtfertigung das Handeln des Täters in Kenntnis der Einwilligung.1157 Compliance-Regelungen bieten Anhaltspunkte dafür, ob im jeweiligen Fall vom Vorliegen eines tatbestandsausschließenden Einverständnisses bzw. einer rechtfertigenden Einwilligung ausgegangen werden konnte.

§ 2 Tathandlung und Tatobjekt Die strafbarkeitskonkretisierende Wirkung von Compliance-Regelungen erschließt sich im Hinblick auf die Tathandlung und andere tatbezogene Merkmale nur im Rahmen konkreter Straftatbestände. Compliance-Regelungen beschäftigen sich mit den typischerweise mit unternehmerischer Tätigkeit verbundenen Tatbeständen des Wirtschaftsstrafrechts. Durch die Beschreibung der vom Gesetzgeber sanktionierten Verhaltensweisen und Anführung von Beispielen sollen den Mitarbeitern Risikopotenziale aufgezeigt und deren Verwirklichung entgegengewirkt werden. Die Veranschaulichung greift häufig die von der Rechtsprechung zur Auslegung entwickelten Anhaltspunkte und Beweisanzeichen auf. Zum einen geht damit eine Verfestigung dieser Indizien einher. Zum anderen kann dadurch über den eigentlichen Adressatenkreis der Compliance-Regelungen hinaus, auch die Sichtweise des urteilenden Spruchkörpers beeinflusst werden. Insbesondere auf den im Rahmen offener Tatbestandsmerkmale zu befürchtenden, von Kuhlen anschaulich als „sich selbst validierenden Zirkel“ beschriebenen, Effekt einer Verschärfung der strafrechtlichen Verhaltensanforderungen sei hier noch einmal verwiesen.1158 Für das von Kuhlen angesprochene Merkmal der Sorgfaltswidrigkeit wurde dieses Phänomen bereits im Rahmen der täterbezogenen Strafbarkeitsvoraussetzungen bestätigt. An dieser Stelle widmet sich die Betrachtung den Auswirkungen dieses Effekts auf tatbezogene Voraussetzungen einzelner Tatbestände des Wirtschaftsstrafrechts.

1155 Soweit Individualrechtsgüter betroffen sind, soll nach einer im Vordringen befindlichen Ansicht auch im Falle einer rechtfertigenden Einwilligung bereits der Tatbestand entfallen, vgl. hierzu: Jäger, AT, Rn. 135. 1156 Weiterführend zu den Voraussetzungen der rechtfertigenden Einwilligung: Jäger, AT, Rn. 136 ff.; Roxin, AT/I, § 13, Rn. 71 ff. 1157 Vgl. Jäger, AT, Rn. 143. 1158 Kuhlen, in: Maschmann (Hrsg.), Corporate Compliance und Arbeitsrecht, 2009, S. 11 ff. (26).

§ 2 Tathandlung und Tatobjekt

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I. Submissionsbetrug gem. § 263 StGB und wettbewerbsbeschränkende Absprachen bei Ausschreibungen gem. § 298 StGB Compliance-Regelungen beinhalten Ausführungen zu Submissionsabsprachen und werden insofern für den Tatbestand des Betrugs gem. § 263 Abs. 1 StGB bzw. der wettbewerbsbeschränkenden Absprachen bei Ausschreibungen gem. § 298 Abs. 1 StGB relevant. Dem BGH zufolge liegt die relevante Täuschungshandlung in der mit der Abgabe des Angebots verbundenen konkludenten Erklärung, dass dieses Angebot ohne eine vorherige Absprache zwischen den Bietern zustande gekommen ist.1159 Dies ergebe sich bereits aus der Abgabe voneinander abweichender Angebote, da dem Veranstalter so der Eindruck vermittelt werde, jeder Unternehmer habe selbstständig und unabhängig vom anderen kalkuliert.1160 Dies gilt sowohl für förmliche Submissionsverfahren als auch für freihändige Vergabeverfahren, wenn eine Anfrage an mindestens zwei verschiedene Unternehmen vorangegangen ist.1161 In den Siemens Business Conduct Guidelines ist im Zusammenhang mit kartell- und wettbewerbsrechtswidrigen Verhaltensweisen zu lesen, dass „Absprachen mit Mitbewerbern über einen Wettbewerbsverzicht, (. . .) oder über die Abgabe von Scheinangeboten bei Ausschreibungen“ untersagt sind.1162 Derartige Ausführungen in Compliance-Regelungen fördern nicht nur das Bewusstsein, dass Absprachen mit Mitbewerbern über die Abgabe von Angeboten nicht erlaubt sind. Bei unternehmensweiter oder sogar branchenübergreifender Durchsetzung verkörpern sie die Verkehrsauffassung und verfestigen so die Sichtweise des BGH, dass nach der Verkehrsauffassung die Abgabe eines Angebots stets auch die Erklärung seines ordnungsgemäßen und von anderen Angeboten unbeeinflussten Zustandekommens beinhaltet. Eine rechtswidrige Absprache im Sinne von § 298 Abs. 1 StGB liegt vor, wenn zwischen mindestens zwei Unternehmen eine Vereinbarung darüber getroffen wird, dass ein oder mehrere bestimmte Angebote abgegeben werden sollen, wobei sich die Vereinbarung auf ein hinreichend konkretes Ausschreibungsverfahren beziehen und von den Beteiligten als verbindlich angesehen werden muss.1163 Die Absprache ist rechtswidrig, wenn sie gegen das Verbot des § 1 GWB verstößt.1164 Für die Frage, wie detailliert das Angebot abgesprochen sein muss, 1159

BGHSt 47, 83 (86 ff.). BGHSt 47, 83 (86 ff.) unter Verweis auf: OLG Hamm, NJW 1958, 1151 (1152). 1161 BGHSt 47, 83 (86 ff.). 1162 Business Conduct Guidelines der Siemens AG, Fn. 84, S. 8. 1163 Vgl. Fischer, StGB, § 298, Rn. 9. 1164 BGHSt 49, 201 (205); Fischer, StGB, § 298, Rn. 10; LK-Tiedemann, § 298, Rn. 33 f. 1160

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5. Kap.: Strafbarkeitskonkretisierende Wirkung

sind die Umstände des Einzelfalls entscheidend. Unverbindliche Erkundigungen oder bloße Gespräche über potenziell an der Ausschreibung beteiligte Mitbewerber und deren Ernstlichkeit genügen nicht.1165 Die Siemens Business Conduct Guidelines beschreiben Preisabsprachen als „Vereinbarungen zwischen Erzeugern oder Nachfragern einer Ware oder Dienstleistung, um ein bestimmtes Preisniveau zu halten“, die „als sogenannte ,Hardcore-Kartelle‘ verboten und bußgeldbewehrt sind“.1166 Die Bayer AG geht mit ihrer Corporate Compliance Policy sogar noch einen Schritt weiter, indem sie zu verbotenen Kartellabsprachen ausführt: „Schon ein abgestimmtes Verhalten (,concerted actions‘), informelle Gespräche oder formlose ,Gentlemen’s Agreements‘, die eine Wettbewerbsbeschränkung bezwecken oder bewirken können, sind verboten. Auch der Anschein eines solchen konspirativen Geschehens ist zu vermeiden. (. . .) Vorsicht ist schon beim Umgang mit Marktinformationen geboten. (. . .) Mit Wettbewerbern dürfen beispielsweise keine Informationen über Kundenbeziehungen, Preise, bevorstehende Preisänderungen oder Ähnliches ausgetauscht werden. Eigene Kalkulationen, Kapazitäten oder Planungen dürfen gegenüber Mitbewerbern nicht offengelegt werden.“ 1167 Derart detaillierte Ausführungen zu verbotenen Absprachepraktiken liefern nicht nur den Mitarbeitern der Unternehmen wichtige Hinweise zur Vermeidung strafrechtlicher Haftungsrisiken, sondern auch Vertretern der Strafverfolgungsbehörden wertvolle Orientierungspunkte zur Aufdeckung und Sanktionierung etwaiger Verstöße. Im Gesetzgebungsverfahren des Korruptionsbekämpfungsgesetzes, durch das die Vorschrift des § 298 StGB eingeführt wurde,1168 wurde der Begriff der Absprache nicht genauer erläutert.1169 Maßgeblich für seine Bestimmung soll der Schutzzweck der Regelung sein.1170 Werden in Compliance-Regelungen konkrete Verhaltensweisen, wie etwa die Offenlegung bestimmter Marktinformationen, als verbotene Ausprägungen einer Absprache aufgeführt, erscheint es nicht allzu fernliegend, dass auch Staatsanwaltschaft und Gerichte ihre am Schutzzweck orientierte Auslegung daran ausrichten. Die Bezugnahme auf die von den Akteuren des Wettbewerbs selbst aufgestellten Regeln ist auch insofern naheliegend, als geschütztes Rechtsgut der Strafnorm der freie Wettbewerb ist. Für den Taterfolg des Vermögensschadens beim Eingehungsbetrug lässt es der BGH genügen, dass Indizien für eine Abweichung des vereinbarten Entgelts von 1165

König, JR 1997, 397 (402); Otto, wistra 1999, 41. Business Conduct Guidelines der Siemens AG, Fn. 84, S. 35. 1167 Corporate Compliance Policy der Bayer AG, Fn. 84, S. 9. 1168 Art. 1 Nr. 3 KorrBekG vom 13.8.1997 (BGBl. I, 2038). 1169 Vgl. dazu auch: Fischer, StGB, § 298, Rn. 9. 1170 Vgl. dazu: Korte, NStZ 1997, 513 (516); König, JR 1997, 397 (402); S/S-Heine, § 298, Rn. 11. 1166

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dem bei freiem Wettbewerb erzielbaren Entgelt vorliegen. Als solche kommen die Existenz des Kartells selbst, die Verminderung des Wettbewerbsdrucks durch die kartellrechtswidrige Bekanntgabe der an der Ausschreibung beteiligten Unternehmen sowie die Veranstaltung einer „Vorsubmission“ einschließlich der Leistung von Ausgleichszahlungen an andere Kartellmitglieder und Außenseiter in Betracht.1171 Nach neuerer Rechtsprechung gilt als erzielbarer Preis der erzielte Preis abzüglich absprachegemäß bedingter Preisaufschläge, wobei Schmiergeld- und Ausgleichszahlungen nahezu zwingende Beweisanzeichen dafür sind, dass der Wettbewerbspreis geringer als der tatsächlich vereinbarte Preis ausgefallen wäre.1172 In Compliance-Regelungen werden die als Beweisanzeichen herangezogenen Sachverhaltskonstellationen genannt und die Mitarbeiter auf das Verbot ihrer Verwirklichung hingewiesen. So heißt es etwa bei Siemens, dass „weder Geldzahlungen noch andere Leistungen getätigt werden“ dürfen, „um amtliche Entscheidungen zu beeinflussen oder einen ungerechtfertigten Vorteil zu erlangen. Gleiches gilt im Hinblick auf ungerechtfertigte Vorteile gegenüber Personen der Privatwirtschaft“ und weiter, dass „Jeder Mitarbeiter verpflichtet [sei, Anm. d. Verf.], die Regeln des fairen Wettbewerbs einzuhalten.“ 1173 Dies und die Aussage, dass „Aufträge (. . .) auf faire Weise“ gewonnen werden,1174 zielt sowohl auf den Tatbestand der wettbewerbsbeschränkenden Absprache bei Ausschreibungen nach § 298 StGB als auch auf eine mögliche Schädigung des günstigeren Mitbewerbers durch nachträgliche Manipulation am Angebot unter Kollusion mit Mitarbeitern der Vergabestelle.1175 Für die Begründung eines Vermögensschadens beim Eingehungsbetrug bedeutet die Auflistung wettbewerbswidriger Verhaltensweisen in Compliance-Regelungen eine Verfestigung des vom BGH aufgestellten Indizienkatalogs.

II. Korruptionsdelikte gem. §§ 299, 333, 334 StGB Nach § 333 Abs. 1 StGB macht sich strafbar, wer einem Amtsträger, einem für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten oder einem Soldaten der Bundeswehr für die Dienstausübung einen Vorteil für diesen oder einen Dritten anbietet, verspricht oder gewährt. Die Qualifikation des § 334 Abs. 1 StGB erfasst Fälle, in denen sich die Tat auf eine pflichtwidrige Diensthandlung bezieht. Als Begünstigte sind im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts insbesondere Amtsträger 1171

BGH, NStZ 1993, 40 (41). BGHSt 47, 83 (86 ff.); vgl. dazu auch: Achenbach/Ransiek-Achenbach, 3. Teil, 4, Rn. 7. 1173 Business Conduct Guidelines der Siemens AG, Fn. 84, S. 8 f. 1174 Business Conduct Guidelines der Siemens AG, Fn. 84, S. 9. 1175 Vgl. zur Schädigung des Mitbewerbers: BGHSt 17, 147; BGHSt 34, 379 (390 ff.); Achenbach/Ransiek-Achenbach, 3. Teil, 4, Rn. 10. 1172

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5. Kap.: Strafbarkeitskonkretisierende Wirkung

und für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichtete von Bedeutung. Diese sind nach der Regelung des § 11 Abs. 1 Nr. 2 bzw. 4 StGB zu bestimmen. Auch Compliance-Regelungen greifen die Definition des Amtsträgers im Zusammenhang mit der Aufklärung über Strafbarkeitsrisiken durch Korruption auf. Dabei gehen sie in der Beschreibung derjenigen Personengruppen, die dem Amtsträgerbegriff unterfallen zum Teil über die von Rechtsprechung und Literatur vertretenen Ansätze hinaus. In den „Leitlinien Zuwendungen“ des E.ONKonzerns werden unter anderem „Angehörige der Kommunalverwaltungen“ und „Private, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnehmen“ genannt, die als Amtsträger angesehen werden können.1176 Unerwähnt bleibt dabei, dass Mitglieder kommunaler Vertretungsorgane nach strafrechtlichem Verständnis nur dann Amtsträger sind, wenn und soweit sie Tätigkeiten ausüben, die die Voraussetzungen von § 11 Abs. 1 Nr. 2 lit. b) oder c) StGB erfüllen.1177 Auch wenn die Compliance-Regelung der E.ON AG mit ihrer Formulierung den Kerninhalt nicht verfälscht, so vermittelt sie durch die Auslassung des zusätzlichen Kriteriums doch den Eindruck vom Tatbestand sei ein größerer Kreis möglicher Begünstigter erfasst. Entsprechendes gilt für die Ausführungen zu sonstigen Privaten, denen Aufgaben der öffentlichen Verwaltung übertragen wurden. Entscheidend ist nach Ansicht der Rechtsprechung die Eingliederung in die Behördenstruktur bzw. eine über einen einzelnen Auftrag hinausgehende längerfristige Tätigkeit.1178 Eine bloße Unterstützungstätigkeit genügt auch bei regelmäßiger Heranziehung zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben nicht.1179 Diese einschränkenden Voraussetzungen im Hinblick darauf, dass ein entsprechend qualifizierter Auftrag zur Wahrnehmung der öffentlichen Aufgabe erteilt worden sein muss,1180 kommen in den einschlägigen Compliance-Regelungen nicht zum Ausdruck. Indem die von der Rechtsprechung entwickelten restriktiven Kriterien in Compliance-Vorgaben unerwähnt bleiben, besteht die Gefahr, dass sie an Bedeutung verlieren und sich in der Rechtsprechungspraxis langfristig eine weitere Auslegung dieser Tatbestandsmerkmale durchsetzt. Berücksichtigt werden muss aber auch, dass Compliance-Regelungen im Interesse ihrer allgemeinen Verständlichkeit auf ein gewisses Maß an Vereinfachung und Pauschalisierung angewiesen sind. Angesichts der weitgehend gefestigten Rechtsprechung zu dieser Thematik 1176 Leitlinie Zuwendungen des E.ON-Konzerns, Anlage 3 zum Verhaltenskodex, Fn. 952, S. 2. 1177 BGH, NJW 2006, 2050; die Ausübung des freien Mandats unterfällt nur § 108e StGB und ist damit auf den Teilbereich des sog. „Stimmenkaufs“ beschränkt: vgl. Fischer, StGB, § 108e, Rn. 3; § 331, Rn. 4d; § 333, Rn. 2. 1178 BGH, NStZ 1997, 540. 1179 BGH, NJW 1996, 3158. 1180 Vgl. BGH, NJW 1996, 3158; Fischer, StGB, § 331, Rn. 4f.

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erscheinen derartige Ausführungen in Compliance-Regelungen im Hinblick auf die Verschärfung des strafrechtlichen Haftungsrisikos daher nicht allzu bedenklich. Anders ist dies für das weitaus unbestimmtere Merkmal der „Unrechtsvereinbarung“ zu beurteilen. Die Vorschrift des § 299 StGB stellt gem. Abs. 1 StGB die Bestechlichkeit und gem. Abs. 2 StGB die Bestechung im geschäftlichen Verkehr unter Strafe. Der Tatbestand des § 299 Abs. 2 StGB bildet damit das auf die Privatwirtschaft bezogene Gegenstück zur Vorteilsgewährung bzw. Bestechung von Amtsträgern nach § 333 bzw. § 334 StGB. Ebenso wie die §§ 333, 334 StGB fordert § 299 StGB als wesentliches Kernelement das Vorliegen einer Unrechtsvereinbarung.1181 Anders als für die §§ 333, 334 StGB wurden die Anforderungen an diese durch das Korruptionsbekämpfungsgesetz1182 nicht entsprechend herabgesetzt, so dass für die Verwirklichung des § 299 StGB der Vorteil zumindest nach Vorstellung des Täters Gegenleistung für die zukünftige unlautere Bevorzugung sein muss. Eine nur gelegentliche oder anlässlich einer Handlung des Vorteilnehmers erfolgende Zuwendung genügt nicht.1183 Hingegen ist im Rahmen der §§ 333, 334 StGB ausreichend, dass der Vorteil von den Beteiligten allgemein im Sinne eines Gegenseitigkeitsverhältnisses mit der Dienstausübung verknüpft wird.1184 Der Bezug auf eine konkrete Diensthandlung ist nicht erforderlich.1185 Der Täter muss mit der Zuwendung nur das Ziel verfolgen, dass der Amtsträger im Gegenzug irgendeine dienstliche Tätigkeit vorgenommen hat oder vornehmen wird, wobei der Amtsträger diese Verknüpfung zwischen Vorteil und Diensthandlung erkennen und zumindest billigend in Kauf nehmen muss.1186 Damit werden grundsätzlich alle Maßnahmen der sog. „Stimmungspflege“ erfasst,1187 insbesondere auch Anbahnungszuwendungen („Anfüttern“)1188 und allgemeine Maßnahmen der „Klimapflege“ um Amtsträger möglichst wohlgesonnen zu stimmen.1189 Die durch das wenig trennscharfe Erfordernis eines „für die Dienstausübung“ angebotenen, versprochenen oder gewährten Vorteils bewirkte Tatbestandsausweitung der Korruptionsdelikte, führt zu erheblichen Schwierigkeiten bei der Ab1181

Achenbach/Ransiek-Rönnau, 3. Teil, 2, Rn. 30; Fischer, StGB, § 299, Rn. 13 ff. KorrBekG v. 13.8.1997 (BGBl. I 2038). 1183 Achenbach/Ransiek-Rönnau, 3. Teil, 2, Rn. 30; Fischer, StGB, § 299, Rn. 13; NK-Dannecker, § 299, Rn. 44; S/S-Heine, § 299, Rn. 16. 1184 Fischer, StGB, § 331, Rn. 24; § 333, Rn. 7. 1185 Vgl. hierzu BGH, NStZ 1999, 561 mit Gegenüberstellung der Anforderungen an die Bestimmtheit der Diensthandlung nach alter und neuer Rechtslage nach den Änderungen durch das KorrBekG. 1186 Fischer, StGB, § 331, Rn. 23; § 333, Rn. 7. 1187 Fischer, StGB, § 331, Rn. 24 mit weiteren Beispielen; § 333, Rn. 7. 1188 SK-Rudolphi/Stein, § 331, Rn. 28a; Wolters, JuS 1998, 1100 (1105). 1189 BGH, NStZ 2005, 509. 1182

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5. Kap.: Strafbarkeitskonkretisierende Wirkung

grenzung von strafbarem und straflosem Verhalten im Bereich der Amtsdelikte.1190 Für eine verlässlichere Lösung wird zum einen de lege ferenda die Wiedereinführung einer konkreten Unrechtsvereinbarung,1191 zum anderen die teleologische Reduktion des Tatbestandes vorgeschlagen.1192 Letztere soll sich am geschützten Rechtsgut des öffentlichen Vertrauens in die Integrität der Beamten1193 bzw. an der Sozialadäquanz1194 bestimmter Verhaltensweisen orientieren. Als sozial adäquat, und damit nicht dem Tatbestand der §§ 333 bzw. 334 StGB unterfallend, sind solche Zuwendungen zu betrachten, die sich innerhalb des üblichen Rahmens und damit innerhalb „der geschichtlich gewordenen sozialethischen Ordnung des Gemeinschaftslebens bewegen und von ihr gestattet werden“ 1195. Das Kriterium der Sozialadäquanz kann durch eine am geschützten Rechtsgut orientierte Ausscheidung geringfügiger gesellschaftlich allgemein hinzunehmender Verhaltensweisen konkretisiert werden.1196 Maßgebliche Anhaltspunkte dafür, ob eine Zuwendung als sozial üblich, und damit als für das geschützte Rechtsgut des öffentlichen Vertrauens in die Integrität der Amtsausübung ungefährlich, anzusehen ist, liefern in jedem Fall die Verhaltensregeln der beteiligten Verkehrskreise.1197 Im Hinblick auf Korruption durch Unternehmen bzw. deren Mitarbeiter sind damit v. a. Compliance-Regelungen für die Bestimmung des Sozialadäquaten von Bedeutung. Als Kodifizierung des allgemein konsentierten Maßstabs der Sozialüblichkeit in Branchen- bzw. Unternehmenskreisen bieten sie sich als Orientierungspunkt für die Bestimmung der Sozialadäquanz einer bestimmten Verhaltensweise in diesem Bereich an. Dabei bergen insbesondere unternehmensübergreifende Konzepte, die in branchenweiten bzw. sogar branchenübergreifenden Regelwerken oder Kodizes zusammengefasst werden,1198 das Potenzial zur Standardbildung für Betroffene wie auch Strafverfolgungsbehörden und urteilende Gerichte.1199 Da auch der Tatbe1190

Weiterführend hierzu: Fischer, StGB, § 331, Rn. 24a m.w. N. Valerius, GA 2010, S. 211 ff. (219 f.). 1192 Kuhlen, JR 2010, 148 (154). 1193 MüKo-Korte, § 331, Rn. 130; Roxin, AT/I, § 10, Rn. 40. 1194 BGH, NStZ-RR 2002, 272 (273); NK-Kuhlen, § 331, Rn. 87; S/S-Heine, § 331, Rn. 29a. 1195 Welzel, Strafrecht, S. 74, auf den die Lehre von der sozialen Adäquanz zurückgeht, vgl. ZStW 58 (1939), 491 (514 ff.); weiterführend hierzu: Roxin, AT/I, § 10, Rn. 33 ff. 1196 Weiterführend: Roxin, AT/I, § 10, Rn. 33 ff., insb. 41, der sich für die Ersetzung des Kriteriums der Sozialadäquanz durch eine am geschützten Rechtsgut orientierte Betrachtungsweise ausspricht. 1197 Kuhlen, in: Maschmann (Hrsg.), Corporate Compliance und Arbeitsrecht, 2009, S. 11 ff. (26). 1198 Beispielhaft genannt sei der FSA-Kodex in der Pharmaindustrie; vgl. hierzu auch: Volz, CCZ 2008, S. 22 ff. 1199 Kuhlen, in: Maschmann (Hrsg.), Corporate Compliance und Arbeitsrecht, 2009, S. 11 ff. (26). 1191

§ 2 Tathandlung und Tatobjekt

259

stand der Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr nach § 299 StGB eine Unrechtsvereinbarung voraussetzt, deren Konkretisierung anhand von Kriterien der Sozialadäquanz vorzunehmen ist, werden Compliance-Regelungen auch im Hinblick auf Korruption in der Privatwirtschaft relevant. Zu beachten ist, dass die Grenzen der Sozialüblichkeit im geschäftlichen Verkehr grundsätzlich weiter als im Bereich der öffentlichen Verwaltung zu ziehen sind1200 und in die Beurteilung betroffener Geschäftsbereich, Position und soziales Umfeld der Betroffenen sowie der Wert des gewährten Vorteils einzufließen haben.1201 Bestimmungen zur Integrität im Geschäftsverkehr und zur Verhinderung von Korruption stellen eines der branchenübergreifenden Kernthemen von Compliance-Konzepten dar. Nur beispielhaft genannt sei daher die entsprechende Bestimmung der Corporate Compliance Policy von Bayer, in der es heißt: „Niemals und in keinem Land der Welt dürfen Bayer-Mitarbeiter daher versuchen, Geschäftspartner unrechtmäßig zu beeinflussen – weder durch Begünstigung noch durch Geschenke oder die Gewährung sonstiger Vorteile. Dies gilt insbesondere für die Zusammenarbeit mit Behörden oder öffentlichen Institutionen.“ 1202 Da sich ähnliche Ausführungen in nahezu allen Compliance-Programmen von Unternehmen finden, liegt es nahe, sich für die Bestimmung der Sozialadäquanz einer Zuwendung am Inhalt der einschlägigen Regelungen zu orientieren. Ausführungen zu den erfassten Vorteilen spielen dabei ebenso eine Rolle, wie Bestimmungen über die konzernweite Geltung oder die Auferlegung der Pflicht, bei Zweifeln hinsichtlich der Zulässigkeit einen kompetenten Ansprechpartner zu kontaktieren. Im Hinblick auf die Bestimmung dessen, was einen tatbestandsmäßigen „Vorteil“ darstellt, gehen die Unternehmen zur Vermeidung von Haftungsrisiken von einem besonders strengen Maßstab aus. So heißt es in den Regelungen der Bayer AG zu diesem Thema, dass Vorteil im Sinne der Korruptionstatbestände „jegliche Zuwendung“ sei, „auch wenn sie nur mittelbar (beispielweise an Freunde oder Angehörige oder Vereine) erfolgt“ und „Bargeld, Einladungen zu Veranstaltungen, Flugtickets, Hotelunterkunft, Beschäftigung von Verwandten oder Freunden, besondere Vergünstigungen im privaten Bereich, aber auch aufwändige Bewirtungen“ umfasse.1203 Da die „Annahme oder Gewährung von Vorteilen (. . .) im Einklang mit den Gesetzen und unseren [der Bayer AG, Anm. d. Verf.] unternehmensinternen Regeln stehen“ 1204 muss, sind dem zuwiderlau-

1200 Fischer, StGB, § 299, Rn. 16; LK-Tiedemann, § Rn. 18, 20. 1201 Fischer, StGB, § 299, Rn. 16. 1202 Corporate Compliance Policy der Bayer AG, Fn. 1203 Corporate Compliance Policy der Bayer AG, Fn. 1204 Corporate Compliance Policy der Bayer AG, Fn.

299, Rn. 28; S/S-Heine, § 299,

84, S. 11. 84, S. 11. 84, S. 11.

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5. Kap.: Strafbarkeitskonkretisierende Wirkung

fende Verhaltensweisen nicht vom unternehmensweiten Konsens gedeckt und als sozialinadäquat anzusehen. Die Siemens Business Conduct Guidelines verbieten Mitarbeitern des Konzerns Geschenke, Essens- oder Veranstaltungseinladungen anzunehmen, die über einen symbolischen Wert hinausgehen oder sich nicht in angemessenem Rahmen halten. Für die Beurteilung sind neben den lokalen Gepflogenheiten die Siemens Richtlinien heranzuziehen.1205 Danach sind beispielsweise politische Spenden ebenso untersagt, wie „Spenden an Einzelpersonen und gewinnorientierte Organisationen“, „Spenden auf private Konten“, „Spenden an Organisationen, deren Ziele mit den Unternehmensgrundsätzen von Siemens nicht vereinbar sind, oder (. . .) Spenden, die das Ansehen von Siemens schädigen“.1206 Zu dem nach Ansicht des BGH in die Würdigung einzustellenden Kriterium der Transparenz1207 führen die Richtlinien der Siemens AG aus, dass „spendenähnliche Vergütungen, das heißt Zuwendungen, die scheinbar als Vergütung einer Leistung gewährt werden, aber den Wert der eigentlichen Leistung deutlich überschreiten (. . .) gegen das Transparenzgebot“ verstoßen und daher verboten sind.1208 Wesentliches Merkmal der Sozialadäquanz einer Zuwendung ist somit auch nach den Regelungen der beteiligten Verkehrskreise, hier der Siemens AG, die Transparenz der Begleitumstände ihrer Gewährung. Im Hinblick auf den ebenfalls zu berücksichtigenden Wert des Vorteils1209 enthält die „Leitlinie Zuwendungen“ der E.ON AG eine präzisierende Klarstellung, wonach „Sachgeschenke mit einem Wert von weniger als 50 A (. . .) im Regelfall nicht als höherwertig anzusehen“ sind, was eine anderenfalls vorzunehmende „vorherige Abstimmung mit dem Vorgesetzten oder dem zuständigen Compliance Officer“ entbehrlich macht.1210 Weiterhin dürfen „Geldgeschenke oder nicht marktübliche Rabatte“ weder gefordert noch angenommen oder gewährt werden. Ebenso sind „unentgeltliche oder nicht marktüblich vergütete Dienstleistungen von Seiten Dritter für den privaten Bereich oder das Arbeitsumfeld eines Mitarbeiters (z. B. Leistungen Dritter zur Ausgestaltung von betrieblichen Einrichtungen oder Veranstaltungen), die außerhalb des geschäftsüblichen Rahmens liegen“ zurückzuweisen.1211 Für die Beurteilung der Angemessenheit einer 1205

Business Conduct Guidelines der Siemens AG, Fn. 84, S. 10. Business Conduct Guidelines der Siemens AG, Fn. 84, S. 10. 1207 BGHSt 53, 6: In die wertende Beurteilung des Tatgerichts ist gem. Ls. 3 der Entscheidung, insbesondere die Vorgehensweise bei dem Angebot, dem Versprechen oder Gewähren von Vorteilen (Heimlichkeit oder Transparenz) einzubeziehen. 1208 Business Conduct Guidelines der Siemens AG, Fn. 84, S. 10. 1209 BGHSt 53, 6, Ls. 3 a. E. 1210 Leitlinie Zuwendungen der E.ON AG, Anlage 3 zum Verhaltenskodex, Fn. 952, S. 3, 6 f.; entsprechendes gilt hinsichtlich der Höherwertigkeit von Einladungen, S. 4 und Bewirtungen, S. 7. 1211 Leitlinie Zuwendungen der E.ON AG, Anlage 3 zum Verhaltenskodex, Fn. 952, S. 4. 1206

§ 2 Tathandlung und Tatobjekt

261

Zuwendung sind neben den Grenzen der Geschäftsüblichkeit auch die persönlichen Lebensstandards der Beteiligten zu berücksichtigen. Voraussetzung ihrer Zulässigkeit ist ferner die Verfolgung eines berechtigten geschäftlichen Zwecks, die Angemessenheit des Werts und die Einbettung in den Rahmen der gewöhnlichen Zusammenarbeit. In Zweifelsfällen ist stets die Meinung des zuständigen Compliance Officers einzuholen.1212 Ob sich eine konkrete Wertgrenze von 50 A als Maß der Sozialüblichkeit durchsetzen kann, wird sich zeigen. Da der Wortlaut des Gesetzes keine näheren Anhaltspunkte für die Bestimmung des „Vorteils“ bietet, erscheint es jedenfalls naheliegend, dass im Rahmen der vorzunehmenden Bewertung der Gesamtumstände1213 auch Compliance-Regelungen von der Rechtsprechung als Orientierungshilfe herangezogen werden. In Compliance-Programmen beschriebene Verhaltensweisen dienen der Spezifizierung, was als sozialinadäquates Verhalten und damit als Unrechtsvereinbarung im Sinne der §§ 299, 333, 334 StGB anzusehen ist und helfen damit strafbare Korruption von straflosem Verhalten abzugrenzen. Insbesondere das Erfordernis eines berechtigten geschäftlichen Zwecks, die Einbettung in die gewöhnliche Zusammenarbeit sowie die Pflicht in Zweifelsfällen stets den Rat des Vorgesetzten oder zuständigen Compliance-Officers einzuholen, bieten Anhaltspunkte für die Beurteilung der Sozialadäquanz einer Verhaltensweise. Der von den Unternehmen angelegte strenge Maßstab zur möglichst weitgehenden Vermeidung von Haftungsrisiken offenbart damit auch im Bereich der Korruptionsdelikte sein Potenzial zur Erhöhung strafrechtlicher Risiken durch Konkretisierung unbestimmter Tatbestandsmerkmale.

III. Verstöße gegen das Datenschutzgesetz gem. § 44 Abs. 1 BDSG Nach § 44 Abs. 1 BDSG macht sich strafbar, wer eine der in § 43 Abs. 2 BDSG bezeichneten vorsätzlichen Handlungen gegen Entgelt oder in der Absicht sich oder einen anderen zu bereichern oder einen anderen zu schädigen begeht. Geschütztes Rechtsgut und Tatobjekt nach § 44 Abs. 1 i.V. m. § 43 Abs. 2 BDSG sind insbesondere „personenbezogene Daten“, die in § 3 Abs. 1 BDSG als „Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person“ legaldefiniert werden. Auch in Compliance-Regelungen finden sich erläuternde Ausführungen dazu, was dem Begriff der personenbezogenen Daten unterfällt und damit Tatobjekt

1212 Leitlinie Zuwendungen der E.ON AG, Anlage 3 zum Verhaltenskodex, Fn. 952, insb. S. 3 ff. 1213 Vgl. Fischer, StGB, § 331, Rn. 11a: einzustellen in die Gesamtbewertung sind insbesondere Täterstellung, Dienstpflicht und Dienstausübung.

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5. Kap.: Strafbarkeitskonkretisierende Wirkung

eines Verstoßes gegen datenschutzrechtliche Vorschriften sein kann. So definieren die Siemens Business Conduct Guidelines personenbezogene Daten als „Angaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer Person, d.h. Informationen und Daten, die einer Person zugeordnet werden können.“ 1214 Weiter führen sie aus, der „Begriff ist umfassend und weit zu verstehen; es reicht die Möglichkeit einer Zuordnung und die Bestimmbarkeit einer Person – eine genaue Bezeichnung (z. B. mit Namen) ist nicht erforderlich.“ 1215 Je nach Land können sowohl natürliche als auch juristische Personen erfasst sein.1216 Nach einschränkender Ansicht der Kommentarliteratur sind hingegen nur Einzelangaben, die einer bestimmten Person zugeordnet werden können erfasst, nicht hingegen Sammelangaben über Personengruppen.1217 Auch statistische und anonymisierte Daten sind grundsätzlich nicht mehr personenbezogen.1218 Diese eingrenzenden Kriterien fehlen in den Business Conduct Guidelines. Zur möglichst weitgehenden Einschränkung von Haftungsrisiken wird eine möglichst weite Auslegung von Tatbestandsmerkmalen bevorzugt. Dass dies auch Praktikabilitätserwägungen geschuldet ist und im Interesse einer allgemein verständlichen Formulierung kein der Kommentarliteratur entsprechender sprachlicher Detaillierungsgrad erwartet werden kann, steht außer Frage. Das Risikopotenzial im Hinblick auf eine Verschärfung strafrechtlicher Verhaltensmaßstäbe durch Verwendung derartiger Formulierungen kann aber auch durch den Hinweis, dass es sich bei den Bestimmungen des zitierten Glossars nicht um juristische Definitionen handelt,1219 kaum entschärft werden.

IV. Verstöße gegen das Verbot des Insiderhandels gem. § 38 Abs. 1 WpHG Nach dem Verbot von Insidergeschäften gem. § 38 Abs. 1 WpHG ist es Personen, die über Insiderinformationen verfügen, untersagt, entgegen § 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG Insiderpapiere zu erwerben oder zu veräußern, entgegen § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG einem anderen eine Insiderinformation unbefugt mitzuteilen oder zugänglich zu machen sowie entgegen § 14 Abs. 1 Nr. 3 WpHG einem anderen auf der Grundlage einer Insiderinformation den Erwerb oder die Veräußerung von Insiderpapieren zu empfehlen oder ihn auf sonstige Weise dazu zu verleiten.1220 Nach der Legaldefinition des § 13 Abs. 1 S. 1 WpHG ist eine „Insider1214 1215 1216 1217 1218 1219 1220

Business Conduct Guidelines der Siemens AG, Fn. 84, S. 35. Business Conduct Guidelines der Siemens AG, Fn. 84, S. 35. Business Conduct Guidelines der Siemens AG, Fn. 84, S. 35. Erbs/Kohlhaas-Ambs, Strafrechtliche Nebengesetze, § 3 BDSG, Rn. 3. Erbs/Kohlhaas-Ambs, Strafrechtliche Nebengesetze, § 3 BDSG, Rn. 3. Vgl. Business Conduct Guidelines der Siemens AG, Fn. 84, S. 28. Weiterführend hierzu: MüKo-Pananis, § 38 WpHG, Rn. 1.

§ 2 Tathandlung und Tatobjekt

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information“ eine „konkrete Information über nicht öffentlich bekannte Umstände, die sich auf einen oder mehrere Emittenten von Insiderpapieren oder auf die Insiderpapiere selbst beziehen und die geeignet sind, im Falle ihres öffentlichen Bekanntwerdens den Börsen- oder Marktpreis der Insiderpapiere erheblich zu beeinflussen“. Hinsichtlich der Eignung ist nach § 13 Abs. 1 S. 2 WpHG darauf abzustellen, ob ein verständiger Anleger die Information bei seiner Anlageentscheidung berücksichtigen würde. Zu den Umständen i. S. d. § 13 Abs. 1 S. 1 WpHG zählen nach S. 3 auch zukünftige, sofern mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass sie in Zukunft eintreten werden. S. 4 nennt beispielhaft Informationen über Aufträge von anderen Personen über den Kauf oder Verkauf von Finanzinstrumenten sowie Informationen über Derivate mit Bezug auf Waren. Nach § 13 Abs. 2 WpHG ist eine ausschließlich aufgrund öffentlich bekannter Umstände erstellte Bewertung keine Insiderinformation. Diese sehr detaillierte gesetzliche Regelung wird in den Siemens Business Conduct Guidelines nahezu wortgleich aufgegriffen und lediglich im Hinblick auf die Emittenten spezifiziert. Neben den die Siemens AG selbst betreffenden, sind demnach auch Informationen über andere Unternehmen, „zum Beispiel einen Kunden, Lieferanten oder Joint-Venture-Partner“ erfasst.1221 Die Corporate Compliance Policy von Bayer konkretisiert die relevanten Umstände und nennt „beispielsweise die beabsichtigte Veräußerung von Unternehmensanteilen, den Erwerb fremder Unternehmen, die Gründung von Joint Ventures, neue Erkenntnisse über wichtige Produkte oder Informationen über Besonderheiten des Geschäftsverlaufs, über die die Öffentlichkeit noch nicht informiert wurde“ 1222 als relevantes Insiderwissen. Diese Ausführungen können einen Anhaltspunkt dafür bieten, was ein verständiger Anleger bei seiner Anlageentscheidung berücksichtigen würde. Der Umfang erfasster Informationen wird in den einschlägigen ComplianceRegelungen insofern umfassender dargestellt, da „beabsichtigte“ Geschäftsentscheidungen ohne Berücksichtigung ihrer tatsächlichen Realisierungswahrscheinlichkeit, als Insiderwissen eingestuft werden. Die gesetzliche Regelung in § 13 Abs. 1 S. 3 WpHG lässt mit dem Kriterium der „hinreichenden Wahrscheinlichkeit“ einen denkbar weiten Auslegungsspielraum, welche zukünftigen Umstände erfasst sein können. Formulierungen in Compliance-Vorgaben, die jede „beabsichtigte“ Geschäftsentscheidung zu potenziell relevantem Insiderwissen erklären, schrauben die Anforderungen an die zu erreichende Wahrscheinlichkeitsschwelle sicher nicht höher, sondern bestärken im Gegenteil die Tendenz in Zweifelsfällen von hinreichender Realisierungswahrscheinlichkeit auszugehen.

1221 1222

Business Conduct Guidelines der Siemens AG, Fn. 84, S. 19. Corporate Compliance Policy der Bayer AG, Fn. 84, S. 15.

264

5. Kap.: Strafbarkeitskonkretisierende Wirkung

V. Weitere Tatbestände Neben den genannten beschäftigen sich Compliance-Regelungen mit einer Vielzahl weiterer Tatbestände des Wirtschaftsstrafrechts. Bilanz- und Steuerstraftaten gem. §§ 331 HGB, 400 AktG, 82 GmbHG, 147 GenG, 17 PublG bzw. §§ 369 ff. AO werden ebenso thematisiert wie die Verletzung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen nach § 17 UWG, Umweltstraftaten gem. §§ 324 ff. StGB, strafbare Verstöße gegen das Außenwirtschaftsgesetz nach § 34 AWG und Geldwäsche gem. § 261 StGB.1223 Die Komplexität der gesetzlichen Regelungen sowie der meist auf bestimmte Adressaten, betriebs- und branchenspezifische Aufgabenbereiche begrenzte Anwendungsbereich lassen die allgemeinen Compliance-Programme der Unternehmen nicht als den geeigneten Ort für umfangreiche Ausführungen in Bezug auf diese Delikte erscheinen. Der abstrakt-generelle Ansatz von Compliance-Regelungen, die sich an sämtliche Unternehmensangehörigen wenden und das gesamte inner- wie außerbetriebliche Betätigungsfeld möglichst umfassend abdecken wollen, führen dazu, dass die Compliance-Programme nur allgemein auf bestehende Haftungsrisiken auch strafrechtlicher Art verweisen. Nähere Ausführungen zur Definition bestimmter Tatbestandsmerkmale und Beispielsfälle zu tatbestandsmäßigen Verhaltensweisen wie dies insbesondere für die Korruptionsdelikte festgestellt wurde, finden sich kaum. Hinzu kommt, dass die gesetzlichen Bestimmungen selbst ein hohes Maß an Bestimmtheit aufweisen, so dass eine klarstellende Erläuterung in Compliance-Regelungen wohl auch aus diesem Grund als nicht erforderlich angesehen wird. Das Aufzeigen entsprechender Haftungsrisiken in Compliance-Regelungen kann jedoch im Rahmen des Tatbestandsvorsatzes eine Rolle spielen.

VI. Resumee Die strafbarkeitskonkretisierende Wirkung von Compliance-Regelungen bei der Bestimmung von Tathandlung und Tatobjekt kommt vor allem im Rahmen der Korruptionsdelikte und der Delikte gegen den Wettbewerb zum Tragen. Bei der Konkretisierung unbestimmter Tatbestandsmerkmale nehmen sie über die Berücksichtigung der Verkehrsauffassung, die Bestimmung der Sozialadäquanz einer Verhaltensweise sowie die Bewertung der Gesamtumstände Einfluss auf die Annahme des Vorliegens einer Submissionsabsprache i. S. d. §§ 263, 298 StGB, einer Unrechtsvereinbarung oder eines Vorteils i. S. d. §§ 299, 333, 334 StGB. Die Bezugnahme auf die von der Rechtsprechung anerkannten Beweisanzeichen

1223 Vgl. hierzu nur die Business Conduct Guidelines der Siemens AG, Fn. 84, S. 11– 22; die Corporate Compliance Policy der Bayer AG, Fn. 84, S. 12–17 und 19–21 sowie die Verhaltensgrundsätze des Volkswagen Konzerns, Fn. 84, S. 16–20.

§ 3 Kausalität

265

tragen zu deren Verfestigung bei. Eine Außerachtlassung der von Literatur und Rechtsprechung entwickelten einschränkenden Auslegungskriterien kann zumindest bei wenig gefestigter Rechtsprechung eine tendenziell weitere Auslegung der entsprechenden tatbezogenen Voraussetzungen begünstigen.

§ 3 Kausalität Auch bei der Bestimmung des Kausalzusammenhangs zwischen Täterverhalten und Taterfolg entfalten Compliance-Konzepte strafbarkeitskonkretisierende Wirkung.

I. Äquivalenztheorie Die Täterhandlung muss für den eingetretenen Erfolg kausal geworden sein. Der erforderliche Ursächlichkeitszusammenhang wird in der Rechtsprechung1224 und einem Großteil der Lehre1225 nach der Conditio-sine-qua-non-Formel bestimmt. Demnach ist eine Handlung kausal für den Erfolg, wenn sie nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit entfiele. Für das Unterlassungsdelikt ist mit der herrschenden Vermeidbarkeitstheorie1226 eine Modifizierung dahingehend vorzunehmen, dass die unterlassene Handlung des Täters nicht hinzugedacht werden kann, ohne dass der Erfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit entfiele.1227 Compliance-Vorschriften werden dabei insofern relevant, als sie den regelmäßigen Verlauf der Geschäfte und die ordnungsgemäßen Verhaltensweisen festschreiben. Sie stellen damit eine Leitlinie dafür auf, welches Verhalten bei gewöhnlichem Verlauf der Dinge erwartet werden kann. Damit können sie als Ordnungsprogramm für den Idealfall in die „Wahrscheinlichkeitsrechnung“ einfließen und als Vergleichsmaßstab die Feststellung beeinflussen, ob eine Handlung oder Unterlassung für den Erfolgseintritt ursächlich geworden ist. Insbesondere bei der Kausalität von Aufsichtspflichtverletzungen für Fehlverhalten Dritter lässt sich mit Compliance-Regelungen begründen, ob und wie ein rechtswidriges Verhalten Dritter hätte vermieden werden können, wenn eine ordnungsgemäße Überwachung und Kontrolle erfolgt wäre. 1224

RGSt 1, 373; BGHSt 1, 332. Vgl. Baumann/Weber/Mitsch, § 14, Rn. 8 ff.; Gropp, AT, § 5, Rn. 13 ff.; Heinrich, AT/I, Rn. 222; Jäger, AT, Rn. 27; Kühl, AT, § 4, Rn. 9; Wessels/Beulke, AT, Rn. 156. 1226 Vgl.: BGH, NStZ 1985, 26; BGH, StV 1985, 229 m. Anm. Ranft, JZ 1987, 859 (862 f.); S/S-Stree/Bosch, § 13, Rn. 63. 1227 St. Rspr., vgl. nur BGHSt 6, 1 (2); BGHSt 43, 381 (397); BGHSt 37, 106 (126); BGHSt 48, 77 (93); Fischer, StGB, vor § 13, Rn. 39; LK-Weigend, § 13, Rn. 70; SSWKudlich, § 13, Rn. 10; S/S-Stree/Bosch, § 13, Rn. 61, jew. m.w. N. 1225

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5. Kap.: Strafbarkeitskonkretisierende Wirkung

II. Gremienentscheidungen Die Bestimmung der Kausalität des Abstimmungsverhaltens Einzelner bei Gremienentscheidungen ist umstritten.1228 Zur Verteidigung bringen an der Entscheidung Beteiligte mitunter vor, selbst bei anderem Abstimmungsverhalten, wäre der Erfolg der gleiche gewesen, da das einzelne Gremiumsmitglied überstimmt worden wäre.1229 Der BGH vertritt hierzu den Standpunkt, das einzelne Mitglied eines Kollegialorgans könne sich nicht darauf berufen, dass es überstimmt bzw. sein Antrag nicht berücksichtigt worden wäre. Die bloße gedankliche Möglichkeit des Erfolgseintritts auch bei Vornahme der gebotenen Handlung, stehe der Kausalität nicht entgegen.1230 Die Literatur propagiert zum Teil eine strikte Anwendung der Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung.1231 Neben naturwissenschaftlichen Bedingungen sollen dabei auch soziale und ökonomische Gesetzmäßigkeiten berücksichtigungsfähig sein. Zur Begründung eines gesetzmäßigen Zusammenhangs soll Hilgendorf zufolge bereits die Existenz gewisser Rechtsnormen verbunden mit der Annahme, dass sich ein bestimmter Personenkreis im Allgemeinen rechtstreu verhält, genügen.1232 Zwar stellen Compliance-Regelungen keine Rechtsnormen dar, sondern nehmen auf sie nur Bezug. Jedoch stützt der Aspekt, dass sich die Mitarbeiter eines Unternehmens selbstverpflichtend zu gesetzmäßigem Verhalten und der Einhaltung unternehmensinterner Richtlinien bekennen, die Annahme rechtstreuen Verhaltens bei Abstimmungen. Ein für das einzelne Mitglied eines Kollegialorgans kausalitätsbegründendes Verhalten der übrigen Mitglieder lässt sich mithilfe von Compliance-Vorgaben leichter belegen. Die Wirkung von ComplianceRegelungen stellt insofern eine Umkehrung des Vertrauensgrundsatzes dar, indem das Vertrauendürfen auf rechtmäßiges Verhalten der anderen Mitglieder zu einem Vertrauenmüssen wird und Exkulpationsmöglichkeiten die Grundlage entzieht.

1228 Nach Ansicht Roxins handelt es sich dabei um einen Fall der kumulativen Kausalität, vgl. Roxin, AT/I, § 11, Rn. 19; Puppe wählt eine um das für ein Mehrheitserfordernis erforderliche Stimmgewicht modifizierte Abwandlung der conditio-sine-qua-non Formel, Puppe, JR 1992, 30, (32 ff.); für Rothenfußer ist die Kausalität der einzelnen Stimme zum Abstimmungsergebnis unproblematisch gegeben, da wesensimmanent, Rothenfußer, Kausalität und Nachteil, 2003, S. 110. 1229 So geschehen im Lederspray-Fall, BGH, NStZ 1990, 587 (591 f.), in den Mauerschützenprozessen, BGH, NJW 2003, 522 (524), sowie im Fall der Bad Reichenhaller Eissporthalle, BGH, NStZ 2011, 31 (32). 1230 BGH, NStZ 2011, 31 (32). 1231 Entwickelt von Engisch, Kausalität, 1931, S. 21. 1232 Hilgendorf, NStZ 1994, 561 (565).

§ 4 Objektive Zurechnung

267

§ 4 Objektive Zurechnung Bei der Bestimmung der objektiven Zurechnung erfolgt die strafbarkeitskonkretisierende Einflussnahme durch Compliance-Vorgaben ähnlich ihrer Funktionsweise im Rahmen des Kausalzusammenhangs.

I. Rechtmäßiges Alternativverhalten Der Zurechnungszusammenhang ist bei Fahrlässigkeitsdelikten nach Ansicht des BGH dann gegeben, wenn der Erfolg bei rechtmäßigem Alternativverhalten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht eingetreten wäre.1233 Zur Ermittlung des verkehrsgerechten Verhaltens kann wiederum auf ComplianceRegelungen rekurriert werden. Darin finden sich Anhaltspunkte für das dem Fehlverhalten gegenüberzustellende ordnungsgemäße Verhalten. Wie bei der Kausalitätsfrage lässt sich für die Beurteilung der Wahrscheinlichkeit eines Ausbleibens des schädlichen Erfolgs, der im Compliance-Programm beschriebene Idealablauf als Vergleichsmaßstab heranziehen. Das Vorliegen einer Selbstverpflichtungserklärung der Unternehmensmitarbeiter gesetzeskonform zu handeln, kann als Hinweis dahingehend verstanden werden, dass ein ordnungsgemäßer Betriebsablauf zu erwarten gewesen wäre bzw. dass bei eigenem rechtmäßigem Verhalten auch andere ein solches an den Tag gelegt hätten. Dazu muss das Compliance-Konzept allerdings entsprechend effektiv umgesetzt werden und seine Funktionalität auch hinreichend belegt sein. In diesem Kontext entfalten Compliance-Programme auch im Hinblick auf Aufsichtspflichten besondere Wirkung.1234 Je umfassender und effektiver ein entsprechendes Programm ausgestaltet ist, umso eher ist damit der Aufsichtspflicht in hinreichendem Maße Rechnung getragen, und umso geringer ist die Wahrscheinlichkeit dafür, dass der durch eine Aufsichtspflichtverletzung eingetretene Erfolg durch weitere Maßnahmen hätte verhindert werden können.1235 Dies entlastet die Leitungspersonen bzw. die für die Organisation und Überwachung zuständigen Stellen. Wird die Verantwortung aber lediglich nach unten weitergereicht oder auf die Schultern des Compliance-Officers abgeladen, so erhöht sich für diese das Strafbarkeitsrisiko.1236

1233 BGH, NJW 1958, 149 (150). Dabei ist der Grundsatz „in dubio pro reo“ zugunsten des Angeklagten zu berücksichtigen, vgl. BGH, NStZ 2011, 31 (31). 1234 Auf mögliche Auswirkungen privater Regelungssysteme für Aufsichtspflichten hinweisend: Sieber, in: FS Tiedemann, 2008, S. 449 ff. (462). 1235 Vgl. zu dieser Argumentation im Hinblick auf § 130 OWiG: Sieber, in: FS Tiedemann 2008, S. 449 ff. (470 f.). 1236 Vgl. dazu auch: Rotsch, ZIS 2010, 614 (615); Achenbach/Ransiek-Rotsch, 1. Teil, 4, Rn. 47.

268

5. Kap.: Strafbarkeitskonkretisierende Wirkung

II. Erlaubtes Risiko Unter dem Gesichtspunkt des erlaubten Risikos bzw. der fehlenden rechtlichen Relevanz einer Gefahr scheidet eine objektive Zurechnung aus.1237 Insbesondere im Bereich spekulativer Geschäfte und damit verbundener Verlustrisiken geben Compliance-Vorgaben Anhaltspunkte dafür, welche Schwelle überschritten sein muss, um aus dem noch erlaubten, ein unerlaubtes und damit die objektive Zurechnung begründendes Risiko zu machen.1238 Relevant wird dies vor allem bei der Untreue. Die Grenzen der Dispositionsmacht des Treupflichtigen ergeben sich aus dem zugrundeliegenden Rechtsverhältnis.1239 Werden Compliance-Regelungen in den Anstellungsvertrag einer solchen Person einbezogen, so ergeben sich aus Bestimmungen, wie derjenigen, dass „Jeder Investitionsentscheidung des Unternehmens – sei es der Erwerb einer Mehrheits- oder Minderheitsbeteiligung an einem anderen Unternehmen oder die Bildung eines Gemeinschaftsunternehmens – (. . .) eine Compliance-Prüfung vorausgehen“ 1240 muss, zumindest im Hinblick auf die erfassten Geschäfte Anhaltspunkte zur Konkretisierung des erlaubten Risikos und entfalten gegebenenfalls strafbarkeitsverschärfende Wirkung. Da sich auch die Frage der Treupflichtverletzung am erlaubten Risiko orientiert, weist dieser Aspekt insofern Überschneidungen mit der Ausgestaltung der Vermögensbetreuungspflicht durch Compliance-Vorgaben auf. Allerdings ist auch in Bezug auf andere Tatbestände eine Konkretisierung des erlaubten Risikos möglich.

§ 5 Tatbestandsausschließendes Einverständnis und rechtfertigende Einwilligung Das tatbestandsausschließende Einverständnis wurde bereits im Rahmen der Irrtumskonstellationen bei der Untreuestrafbarkeit angesprochen. Während es dort um die Beeinflussung des Tatbestandsvorsatzes ging, sollen an dieser Stelle die objektiven Voraussetzungen von Einverständnis und Einwilligung untersucht werden. Wie oben bereits ausgeführt, ist ein ausdrückliches Bekenntnis1241 zur Einhaltung aller gesetzlichen Vorschriften Compliance-Regelungen wesensimmanent. Compliance-Vorkehrungen wollen zu regelkonformem Verhalten ermutigen und nicht regelwidriges legitimieren.

1237

Jäger, AT, Rn. 33. Auf den Aspekt des erlaubten Risikos im Zusammenhang mit Fahrlässigkeitsdelikten hinweisend: Sieber, in: FS Tiedemann, 2008, S. 449 ff. (469). 1239 Fischer, StGB, § 266, Rn. 63. 1240 Business Conduct Guidelines der Siemens AG, Fn. 84, S. 9. 1241 Sog. „Mission Statement“; weiterführend dazu: Hauschka-Lampert, § 9, Rn. 18, 22. 1238

§ 5 Tatbestandsausschließendes Einverständnis

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Deutlich wird dies zunächst in Bezug auf den Umgang mit Unternehmensinformationen. Nach § 17 Abs. 1 UWG macht sich strafbar, wer als bei einem Unternehmen beschäftigte Person ein Geschäfts- oder Betriebsgeheimnis, das ihm im Rahmen des Dienstverhältnisses anvertraut worden oder zugänglich geworden ist, während der Geltungsdauer des Dienstverhältnisses unbefugt an jemand zu Zwecken des Wettbewerbs, aus Eigennutz, zugunsten eines Dritten oder in der Absicht, dem Inhaber des Unternehmens Schaden zuzufügen, mitteilt. Die Verschaffung und Verwertung derartiger Geheimnisse wird nach § 17 Abs. 2 UWG unter Strafe gestellt. Die Vorschrift des § 18 Abs. 1 UWG sanktioniert das unbefugte Verwerten oder Mitteilen von Vorlagen oder Vorschriften technischer Art, während § 19 UWG den strafrechtlichen Geheimnisschutz auf bestimmte Vorbereitungshandlungen einer Geheimnisverletzung ausweitet. Gemeinsam ist den Tathandlungen, dass sie unbefugt erfolgen müssen, so dass die Einwilligung des Betriebsinhabers die Rechtswidrigkeit entfallen lässt1242 bzw. bereits die Tatbestandsverwirklichung ausschließt.1243 Compliance-Vorschriften mahnen nicht nur einen sorgfältigen Umgang mit betriebsinternen Informationen an, sondern nennen hierfür auch Beispiele und erstrecken die Verschwiegenheitsverpflichtung für Mitarbeiter über das Ende des Beschäftigungsverhältnisses hinaus. Die Siemens AG listet „Einzelheiten zu Organisation und Einrichtungen eines Unternehmens, Preisen, Umsatz, Gewinn, Märkten, Kunden und anderen geschäftlichen Belangen, Informationen über Fabrikations-, Forschungs- und Entwicklungsvorgänge und Zahlen des internen Berichtswesens“ als vertrauliche und besonders geschützte Informationen auf.1244 Für diese „interne[n] vertrauliche[n] oder geschützte[n] Informationen von Siemens, die nicht in die Öffentlichkeit gelangen sollen, gilt das Gebot der Verschwiegenheit“, das „über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus“ bestehe, „da die Offenlegung vertraulicher Informationen, unabhängig davon, wann sie erfolgt, dem Geschäft von Siemens oder seinen Kunden schaden kann.“ 1245 Den Mitarbeitern wird dadurch zum einen vermittelt, welche Informationen besonders geschützt sind und vertraulich behandelt werden müssen. Zum anderen stellen diese Ausführungen auch klar, dass im Hinblick auf die genannten Informationen keinesfalls eine Einwilligung bzgl. ihrer Weitergabe an die Öffentlichkeit vorliegt. Wie im Rahmen der täterbezogenen Strafbarkeitsvoraussetzungen bereits festgestellt, sind Compliance-Regelungen auch in diesem Zusammenhang für den Untreuetatbestand von Bedeutung. Die Verletzung der Vermögensbetreuungs1242

Köhler/Bornkamm, UWG, § 17, Rn. 21. MüKo-Janssen/Maluga, § 17 UWG, Rn. 51; Piper/Ohly/Sosnitza, UWG, § 17, Rn. 27. 1244 Business Conduct Guidelines der Siemens AG, Fn. 84, S. 18. 1245 Business Conduct Guidelines der Siemens AG, Fn. 84, S. 18 f. 1243

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5. Kap.: Strafbarkeitskonkretisierende Wirkung

pflicht ist ausgeschlossen und der objektive Tatbestand nicht verwirklicht, wenn ein Einverständnis des Treugebers mit der in Frage stehenden Verhaltensweise vorliegt.1246 Sofern es um die Einrichtung, Unterhaltung bzw. Nichtoffenlegung von schwarzen Kassen für Schmiergeldzahlungen geht, wird ein ausdrückliches Einverständnis ohnehin nicht erteilt werden. Jedoch könnte eine konkludente Billigung oder eine hypothetische Einwilligung anzunehmen sein, wenn die Existenz solcher Kassen an zuständiger Stelle bekannt ist und geduldet wird. Im Fall Siemens/Power Generation hat der BGH unter Verweis auf unternehmensinterne Compliance-Regelungen das Vorliegen einer stillschweigenden Einwilligung in die Zahlung von Schmiergeldern sowie bereits in das Unterhalten schwarzer Kassen zum Zwecke solcher Zahlungen verneint.1247 Im konkreten Fall führte dies zu einer Verurteilung des Bereichsvorstandes nach § 266 StGB.1248 Bereits die Existenz von Compliance-Konzepten steht daher der Annahme einer konkludenten Billigung zweifelhafter Verhaltensweisen entgegen. Einverständnis oder Einwilligung der zuständigen Organe werden im Zweifel eher verneint werden und so das Haftungsrisiko ansteigen lassen. Die Wirkung von Compliance-Regelungen auf tatbestandsausschließendes Einverständnis und rechtfertigende Einwilligung ist im Grenzbereich von Strafbarkeitsbegründung und Strafbarkeitskonkretisierung anzusiedeln. Für die Einordnung als strafbarkeitskonstituierenden Aspekt spricht, dass etwa im Rahmen der Untreue, mit der Verneinung eines Einverständnisses der zuständigen Organe des Treugebers auch stets die Zuweisung von Verantwortung an einzelne Mitglieder der Führungsebene verbunden ist. Zudem entscheidet das Vorliegen oder Fehlen des Einverständnisses über die Frage, ob der Tatbestand erfüllt ist oder nicht. Zu beachten ist aber auch, dass insofern nicht unmittelbar gestaltend Einfluss auf die Bestimmung des Subjekts strafrechtlicher Verantwortungszuweisung genommen wird, wie dies für die täterbezogenen Strafbarkeitsvoraussetzungen festgestellt wurde. Die Annahme oder Ablehnung eines auf Compliance-Regelungen gestützten Einverständnisses oder einer entsprechenden Einwilligung ermöglicht nicht erst die Fokussierung auf ein strafrechtliches Bezugsobjekt, sondern entscheidet umgekehrt darüber, ob eine grundsätzlich festgestellte Bestrafungsmöglichkeit ausgeschlossen ist. Damit sprechen die aufgestellten Prämissen der hier verfolgten Theorie dafür, Compliance-Regelungen im Hinblick auf tatbestands-

1246 Wie der BGH feststellt, setzt dies im Falle einer GmbH als Treugeberin voraus, dass entweder alle Gesellschafter einvernehmlich oder das die Gesamtheit der Gesellschafter repräsentierende Organ mit Mehrheitsbeschluss sein Einverständnis erteilt; vgl. BGH, NStZ 2010, 700 (702 f.). 1247 BGH, NJW 2009, 89 (91). 1248 Auf die Erhöhung des Haftungsrisikos durch Compliance-Vorgaben in der genannten Konstellation hat auch Kuhlen, in: Maschmann (Hrsg.), Corporate Compliance und Arbeitsrecht, 2009, S. 11 ff. (24 f.) hingewiesen.

§ 6 Beeinflussung der Kenntnis tatbezogener Strafbarkeitsvoraussetzungen

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ausschließendes Einverständnis und rechtfertigende Einwilligung strafbarkeitskonkretisierende Bedeutung zuzuweisen.

§ 6 Beeinflussung der Kenntnis tatbezogener Strafbarkeitsvoraussetzungen In Bezug auf die Kenntnis täterbezogener Strafbarkeitsvoraussetzungen können Compliance-Regelungen sowohl vorsatzbegründend wirksam werden als auch die Nachweisbarkeit von Vorsatz erleichtern. Bei tatbezogenen Strafbarkeitsvoraussetzungen beschränkt sich ihre Wirkung in erster Linie auf die Nachweisbarkeit von Vorsatz.

I. Nachweisbarkeit von Vorsatz Da der Einfluss von Compliance-Vorschriften auf tatbezogene Strafbarkeitsvoraussetzungen, wie gezeigt, über die von Rechtsprechung und Lehre entwickelten Formeln und dogmatischen Figuren vermittelt wird, jedoch keine direkte Beeinflussung stattfindet, bewirken sie auch keine Vorsatzbegründung beim Täter. Selbst wenn Tatbestandsmerkmale definiert werden und so dem Rezipienten eine Vorstellung von den Umständen vermittelt wird, die den objektiven Tatbestand erfüllen, wirkt sich dies nicht unmittelbar vorsatzbegründend aus, wenn es sich dabei um tatbezogene Strafbarkeitsvoraussetzungen handelt. In Bezug auf tatbezogene Merkmale gilt, dass durch Compliance-Vorschriften als privatgesetzte Vorgaben, der Gesetzeswortlaut nicht allgemein verbindlich gestaltet werden kann. Dementsprechend kann die Kenntnis der in Compliance-Programmen enthaltenen Definitionen regelmäßig nur einen Anhaltspunkt dafür liefern, dass entsprechender Tatbestandsvorsatz beim Täter gegeben ist. Wenn also die Siemens Business Conduct Guidelines den Begriff des „Amtsträgers“ als „Vertreter oder Mitarbeiter von Behörden oder anderen öffentlichen Einrichtungen, Agenturen oder rechtlichen Einheiten sowie Beamte oder Mitarbeiter staatlicher Unternehmen und öffentlicher internationaler Organisationen“ beschreiben und hinzufügen, dass auch „Kandidaten für ein politisches Amt, offizielle Vertreter und Mitarbeiter einer politischen Partei sowie politische Parteien selbst“ umfasst werden,1249 kann sich zwar schwerlich auf Unkenntnis des Bedeutungsgehalts dieses Begriffs berufen, wem die einschlägigen Compliance-Regelungen zur Kenntnis gebracht wurden. Voraussetzung für die Annahme von Tatbestandsvorsatz ist allerdings, dass sich die Definition in der ComplianceVorschrift mit derjenigen, die von Lehre und Rechtsprechung zur Auslegung des Tatbestandes herangezogen wird, im Wesentlichen deckt.

1249

Vgl. Business Conduct Guidelines der Siemens AG, Fn. 84, S. 9.

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5. Kap.: Strafbarkeitskonkretisierende Wirkung

Anderenfalls erschöpft sich die Wirkung von Compliance-Regelungen darin, die Nachweisbarkeit von Vorsatz zu erleichtern. Durch die Festlegung von Kommunikationspflichten in Bezug auf Compliance-Inhalte, die Implementierung von Dokumentationspflichten über Schulungen und Kommunikationskanäle sowie die Auferlegung von Informations- und Fortbildungspflichten lässt sich leichter verfolgen, an welchen Stellen welche Art von Wissen in welchem Umfang vorhanden sein müsste. Daraus den Schluss zu ziehen, dass Tatumstandskenntnis im konkreten Fall vorlag, mag eine Unterstellung sein, wird aber durch die weitreichenden Dokumentations- und Transparenzpflichten, die Compliance-Konzepte mit sich bringen, im Regelfall eine stichhaltige Zuweisung von Tatbestandsvorsatz ermöglichen.

II. Rechtfertigende Einwilligung Insbesondere in Bezug auf ein tatbestandsausschließendes Einverständnis oder eine rechtfertigende Einwilligung lassen sich aus Compliance-Regelungen Rückschlüsse darauf ziehen, ob der Betroffene, der sich darauf beruft, von ihrem Vorliegen ausgegangen ist und auch ausgehen durfte. Was für das tatbestandsausschließende Einverständnis im Rahmen des Untreuetatbestandes festgestellt wurde, lässt sich auch auf die Annahme einer vom Täter behaupteten rechtfertigenden Einwilligung übertragen. Vorangestellt ist einer Vielzahl von Compliance-Regelwerken die Aussage, dass rechtswidrige Machenschaften nicht toleriert werden, auch wenn sie vordergründig „im Interesse“ des Unternehmens erfolgen. Selbst dieser, auf den ersten Blick eher belanglose, Satz ist im Hinblick auf Irrtumsaspekte durchaus einer näheren Betrachtung wert. Ein aus dem Kreis der Unternehmensangehörigen stammender Täter kann sich danach im Zweifel nicht darauf berufen, vom Vorliegen einer Einwilligung der zuständigen Entscheidungsorgane des Unternehmens zu rechtswidrigem Verhalten ausgegangen zu sein. Ein Erlaubnistatbestands- oder Verbotsirrtum ist im Regelfall auszuschließen. Der Erlaubnistatbestandsirrtum kommt dabei ohnehin nur in solchen Konstellationen in Betracht, in denen das verletzte Rechtsgut für das Unternehmen disponibel ist und auch keine anderen Hindernisse einer wirksamen rechtfertigenden Einwilligung seitens des Rechtsgutsinhabers entgegenstehen. Der Verbotsirrtum wird regelmäßig an den strengen Voraussetzungen der Unvermeidbarkeit scheitern. Hätte auch eine Einwilligung die Rechtswidrigkeit der Tat nicht beseitigt, wäre an einen indirekten Verbotsirrtum bzw. an einen nach den gleichen Grundsätzen zu behandelnden Doppelirrtum zu denken. Dies könnte etwa bei einem Kapitalanlagebetrug gem. § 264a Abs. 1 StGB gegeben sein, wenn der Täter davon ausgeht, die unrichtigen Angaben wären im Unternehmensinteresse gerechtfertigt oder er sei zum Verschweigen nachteiliger Tatsachen berechtigt. Hier fehlt es an der Verfügungsbefugnis des – vermeintlich – einwilligenden Unterneh-

§ 7 Strafzumessung

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mens.1250 Für die Beurteilung des Doppelirrtums als Verbotsirrtum i. S. v. § 17 StGB kommt es ebenfalls entscheidend auf die Frage seiner Vermeidbarkeit an. Dass Compliance-Regelungen die Annahme eines vermeidbaren Verbotsirrtums begünstigen, wurde bereits ausführlich dargelegt.

III. Resumee Eine vorsatzbegründende Wirkung von Compliance-Regelungen bei tatbezogenen Strafbarkeitsvoraussetzungen scheidet regelmäßig aus. In Betracht kommt lediglich eine Indizwirkung, sofern die unternehmensintern festgelegte mit der juristischen Definition hinreichend deckungsgleich ist. Ihren eigentlichen Wirkungsgehalt entfalten Compliance-Regelungen in Bezug auf die Kenntnis von tatbezogenen Merkmalen bei der Nachweisbarkeit von Vorsatz. Indem sie Informationskanäle offenlegen und Dokumentationspflichten statuieren, erleichtern sie die Lokalisierung von Wissen in der Unternehmensorganisation und damit die Nachweisbarkeit von Tatumstandskenntnis. Der Einlassung, von einer rechtfertigenden Einwilligung ausgegangen zu sein, kann der Hinweis auf ein klares Bekenntnis der entscheidungsbefugten Organe des Unternehmens rechtswidrige Verhaltensweisen nicht zu tolerieren, entgegengehalten werden. Da ein Erlaubnistatbestandsirrtum aus diesem Grund und mangels Disponibilität des Rechtsguts für das Unternehmen im Regelfall ausscheidet, kommt regelmäßig nur ein Verbotsirrtum i. S. v. § 17 StGB in Betracht. Die ohnehin strengen Anforderungen, die an eine unvermeidbare Fehlvorstellung im rechtlichen Bereich zu stellen sind, werden durch die Kenntnis von Compliance-Regelungen noch einmal erheblich verschärft.

§ 7 Strafzumessung Wie im Hinblick auf Strafbarkeitsvoraussetzungen ist auch eine Konkretisierung von tatbezogenen Rechtsbegriffen im Bereich der Strafzumessung denkbar. Im hier zu untersuchenden Zusammenhang sind vor allem die Kriterien der Geringwertigkeit sowie des Vorteils bzw. Vermögensverlusts großen Ausmaßes von Bedeutung. Nach den Vorschriften der § 300 S. 2 Nr. 1 StGB, § 335 Abs. 2 Nr. 1 StGB liegt ein besonders schwerer Fall der Bestechlichkeit oder Bestechung insbesondere dann vor, wenn sich die Tat auf einen Vorteil großen Ausmaßes bezieht. Die Zuwendung eines Vorteils, der das Maß des Geschäftsüblichen überschreitet, kann unter Umständen den Tatbestand der Untreue nach § 266 Abs. 1

1250 Schutzgut des § 264a StGB ist nach e.A. das Vermögen des Anlegers als Individualinteresse, vgl. NK-Hellmann, § 264a, Rn. 9; nach a. A. das Funktionieren des Kapitalmarktes als Allgemeininteresse, vgl. S/S-Cramer/Perron, § 264a, Rn. 1 m.w. N.

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5. Kap.: Strafbarkeitskonkretisierende Wirkung

StGB begründen.1251 Für die Frage, ob es sich um einen besonders schweren Fall gem. §§ 266 Abs. 2 i.V. m. 263 Abs. 3 Nr. 2 StGB handelt, oder ein solcher wegen Geringwertigkeit nach §§ 266 Abs. 2 i.V. m. 243 Abs. 2 StGB ausscheidet, könnten die Maßstäbe der Compliance-Regelungen herangezogen werden. Angesichts der unterschiedlichen Handhabung durch die Gerichte,1252 kann ein Rückgriff auf Compliance-Inhalte eine Konkretisierung bewirken. Der Unsicherheit, bis zu welcher Höhe Geschenke von oder an Geschäftspartner zulässig sind, soll durch entsprechende Vorgaben in Compliance-Vorschriften abgeholfen werden. So besteht beispielsweise im Energiekonzern E.ON für Sachgeschenke bereits ab einem Wert von 50 A die Pflicht, sich mit dem Compliance-Beauftragten abzusprechen.1253 Derartige Regelungen, die auf die Konkretisierung des „Vorteils“ i. S. v. § 299 StGB und der §§ 331 ff. StGB abzielen, können auch für die Frage der Geringwertigkeit bzw. der Annahme besonders schwerer Fälle relevant werden. Wenn das Unternehmen Vermögenswerte unterhalb der festgelegten Schwelle schon als nicht tatbestandsmäßig für eine Bestechung ansieht, spricht dies dafür, auch Geringwertigkeit im Sinne des Untreuetatbestandes anzunehmen. Daneben können die in Compliance-Regelungen festgelegten Grenzwerte auch für das Strafantragserfordernis Anhaltspunkte liefern, das sich gem. §§ 266 Abs. 2 i.V. m. 248a StGB ebenfalls am Kriterium der Geringwertigkeit orientiert. Gerade im geschäftlichen Bereich werden die Grenzen der Geringwertigkeit aber im Regelfall überschritten sein. Die praktische Bedeutung von ComplianceRegelungen im Hinblick auf eine Konkretisierung von tatbezogenen Strafzumessungsregeln wird sich auch angesichts des weitgehenden Bewertungsspielraums der Gerichte bei dieser Frage in Grenzen halten. Sofern es um das Strafantragserfordernis geht, ist anzunehmen, dass schon zur Vermeidung eigener Haftungsrisiken der Verantwortlichen ein Strafantrag im Zweifel ohnehin gestellt werden wird. Die Bedeutung von Compliance-Vorschriften für die Konkretisierung von Strafzumessungsregeln ist daher aus tatsächlichen wie rechtlichen Gründen als eher gering einzuschätzen.

1251

Vgl. Fischer, StGB, 3 266, Rn. 75. Nach Ansicht des BGH liegt objektive Geringwertigkeit bei 25 A vor, vgl. BGH, Beschl. v. 9.7.2004 – 2 StR 176/04 = BeckRS 2004, 07428; zust. Fischer, StGB, § 243, Rn. 25; nach anderer Ansicht bei 30 A, vgl. OLG Oldenburg, NStZ-RR 2005, 111, oder bei 50 A, vgl. OLG Zweibrücken, NStZ 2000, 536; OLG Hamm NJW 2003, 3145; Henseler, StV 2007, 323; vgl. dazu auch: BeckOK-Wittig, § 243, Rn. 28 m.w. N. 1253 Verhaltenskodex der E.ON Bayern AG, Anlage 3: Leitlinie Zuwendungen, Fn. 952, Unterpunkt 3.4. 1252

Resumee Zusammenfassung der wesentlichen Erkenntnisse Compliance-Regelungen können Strafbarkeitsrisiken begründen bzw. bestehende verschärfen, indem sie bei täterbezogenen Voraussetzungen strafbarkeitsbegründende Wirkung entfalten (I) und bei tatbezogenen Voraussetzungen strafbarkeitskonkretisierend wirksam werden (II). I. Strafbarkeitsbegründend wirken Compliance-Regelungen bei täterbezogenen Voraussetzungen vor allem durch ihre Existenz und nur in Ausnahmefällen durch ihre Nichtexistenz bzw. mangelhafte Umsetzung. 1. Das Fehlen einer Compliance-Organisation kann zum einen als Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht strafbarkeitsbegründende Wirkung entfalten. Dazu müssen aber zusätzliche Anhaltspunkte vorliegen, die in der Zugehörigkeit des Unternehmens zu einer besonders risikoreichen Branche, konkreten Verdachtsmomenten für gesetzeswidriges Verhalten von Unternehmensmitarbeitern oder dem Wissen um bereits erfolgte vergleichbare Rechtsverstöße in der Vergangenheit bestehen können. Ist dies der Fall und wird durch eine fehlende oder defizitäre Compliance-Organisation sanktionsauslösendes Verhalten von Mitarbeitern ausgelöst oder begünstigt, kann dies eine Untreuestrafbarkeit von Vorstand bzw. Geschäftsführung begründen. Unter Vorliegen der oben genannten zusätzlichen Voraussetzungen kann die Vernachlässigung einer Compliance-Organisation auch eine Garantenstellung im Rahmen unechter Unterlassungsdelikte begründen. Die strafrechtliche Verantwortlichkeit der Mitglieder der Unternehmensleitung ergibt sich dabei aus ihren Verkehrssicherungspflichten in Bezug auf die Gefahrenquelle Unternehmen bzw. aus gefahrbegründendem Vorverhalten. Sowohl im Fall der Untreuehaftung als auch der Verantwortlichkeit als Garant nach allgemeinen Grundsätzen knüpft die Strafbarkeit daran an, dass durch fehlende oder unzureichende Compliance-Konzepte Rechtsverstöße von Unternehmensangehörigen nicht verhindert oder erleichtert wurden. 2. Strafbares Mitarbeiterverhalten ist auch Anknüpfungspunkt einer auf die Existenz von Compliance-Regelungen gestützten Strafbarkeitsbegründung. Werden die durch bestehende Compliance-Programme auferlegten Pflichten nicht ordnungsgemäß erfüllt, drohen Strafbarkeitsrisiken nicht nur für die Leitungsebenen, sondern auch für den Compliance-Beauftragten. Die Untreuestrafbarkeit des Compliance-Officers ergibt sich aus der tatsächlichen Übernahme der Pflicht,

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Rechtsverstöße von Mitarbeitern zu verhindern und damit sanktionsauslösendes Verhalten zu Lasten des Unternehmens abzuwenden. Mit dieser Pflicht übernimmt der Compliance-Beauftragte grundsätzlich auch deren vermögensbezogene Komponente, so dass eine Vermögensbetreuungspflicht regelmäßig zu bejahen ist. Eine Eingrenzung seiner Haftung erfolgt über die Frage, ob er seine Vermögensbetreuungspflicht auch verletzt hat. Dies ist dann nicht der Fall, wenn der Compliance-Beauftragte die ihm übertragenen Aufgabenfelder ordnungsgemäß erfüllt und ihm zustehende Befugnisse entsprechend ausgeschöpft hat. Im Rahmen unechter Unterlassungsdelikte haftet er als Überwachergarant kraft Übernahme von Verkehrssicherungspflichten im Hinblick auf die Gefahrenquelle Unternehmen einschließlich und insbesondere des Mitarbeiterverhaltens. Auch hier hängen Inhalt und Reichweite von den zugewiesenen Befugnissen ab. Für Mitglieder des Vorstands bzw. der Geschäftsführung, denen bereits kraft Gesetzes eine Vermögensbetreuungspflicht in Bezug auf das Unternehmensvermögen zukommt, können Compliance-Regelungen über die Begründung des Vermögensbezugs einer Pflichtverletzung strafbarkeitsbegründende Wirkung entfalten. Der Vermögensbezug einer Pflicht, kann durch die Aufnahme in ein unternehmensinternes Regelwerk hergestellt werden. Auf diesem Wege können auch Verstöße gegen an sich nicht vermögensschützende Normen eine Untreuehaftung begründen. Insbesondere unternehmensinterne Compliance-Konzepte bieten sich zur Ausgestaltung solcher Pflichten an, indem der Einhaltung gesetzlicher Vorgaben Relevanz für das anvertraute Vermögen zugeschrieben wird. Die Pflicht, für die Einhaltung von Gesetzen und internen Richtlinien zu sorgen, ist grundsätzlich delegierbar. Ihre Übertragung auf andere Positionen im Unternehmen, insbesondere auf Compliance-Beauftragte, kann die Leitungsgremien so vor einer Haftung als Garanten im Rahmen unechter Unterlassungsdelikte teilweise entlasten. Eine vollständige Haftungsfreizeichnung ist aber auch bei Einsatz eines Compliance-Beauftragten nicht möglich. Die Verantwortung für das Unternehmen als Gesamtheit und in existenzgefährdenden Risikosituationen, die Aufsichtspflicht gegenüber Gleichgeordneten in der Hierarchieebene sowie die Überwachungspflicht in Bezug auf den Compliance-Beauftragten verbleiben als Haftungssubstrat stets auf der Leitungsebene. Für Mitarbeiter ohne Personalverantwortung oder sonstige herausgehobene Stellung im Betrieb, kann die Einrichtung von Hinweisgebersystemen in Einzelfällen eine strafrechtlich relevante Pflicht zur Verhinderung von Rechtsverstößen Dritter begründen. Kommen sie dieser Pflicht nicht nach ist zumindest eine Strafbarkeit wegen Beihilfe durch Unterlassen in Betracht zu ziehen. Bei Garantenstellungen im Konzern ist die interne Organisationsstruktur des Compliance-Programms von entscheidender Bedeutung. Mitglieder der Leitungsorgane des herrschenden Unternehmens können für strafbares Mitarbeiterverhalten in abhängigen Unternehmen dann zur Verantwortung gezogen werden, wenn

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wesentliche Compliance-Befugnisse bei der übergeordneten Gesellschaft konzentriert sind. 3. Sorgfaltspflichten stellen das dritte täterbezogene Element der Strafbarkeitsvoraussetzungen dar, das Compliance-Regelungen in strafbarkeitsbegründender Weise beeinflussen können. Die Ausfüllung der Formel von der „im Verkehr erforderlichen Sorgfalt“ orientiert sich vor allem im Wirtschaftsstrafrecht an außergesetzlichen Sondernormen. Compliance-Regelungen können mittelbar über Sondernormen oder unmittelbar als Sondernormen Einfluss auf die Pflichtenbestimmung nehmen. Dabei wirken sie sowohl auf die Maßstabssetzung als auch die inhaltliche Ausgestaltung strafrechtlicher Sorgfaltsanforderungen ein. Maßstabsbildend geschieht dies durch die Standardisierung von Verhaltensanforderungen und die Formulierung der an Position und Aufgabenfeld im Betrieb sowie am Risikopotenzial der jeweiligen Tätigkeit orientierten Handlungspflichten. Inhaltlich nehmen Compliance-Regelungen durch ihre Umsetzung in der Unternehmenswirklichkeit Einfluss auf die Pflichtenbestimmung, die sich an der tatsächlich aufgewandten Sorgfalt im betrieblichen Alltag orientiert. Ihrer strukturellen Vergleichbarkeit mit den allgemeinen Sorgfaltspflichten geschuldet, wird auch die Vermögensbetreuungspflicht durch Compliance-Regelungen beeinflusst. Die gesetzlichen Vorgaben des Gesellschaftsrechts sind ähnlich vage wie die strafrechtlichen Vorgaben bei den Fahrlässigkeitsdelikten und bedürfen einer inhaltlichen Ausfüllung. 4. Vieles spricht dafür, Compliance-Regelungen im Bereich der Fahrlässigkeitsdelikte eine der Bedeutung von Sondernormen entsprechende Indizwirkung zuzubilligen und auch im Hinblick auf den Untreuetatbestand in bestimmten Konstellationen einem Verstoß gegen Compliance-Vorgaben indizielle Wirkung für die Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht zuzuweisen. Insbesondere wenn eine Untreuestrafbarkeit darauf gestützt wird, dass unrechtmäßiges, für das Unternehmensvermögen nachteilige Sanktionen auslösendes Mitarbeiterverhalten nicht verhindert oder begünstigt wurde, wäre der Einhaltung bzw. Verletzung bestehender Compliance-Regelungen Indizwirkung zuzugestehen. Mit der Berücksichtigung von Compliance-Vorgaben als Indiz wird auch dem Deliktscharakter und Schutzzweck des Untreuetatbestands angemessen Rechnung getragen. Eine restriktive Handhabung der Treubruchsalternative durch Festlegung des tatsächlichen Dürfens bzw. Müssens in einem umfassenden Compliance-Programm wäre zumindest in der genannten Konstellation vor dem Hintergrund des Bestimmtheitsgrundsatzes sehr zu begrüßen. II. In ihrer Wirkung hinter der eines Beweisanzeichens zurückbleibend erschöpft sich die Bedeutung von Compliance-Regelungen bei tatbezogenen Voraussetzungen in einer Strafbarkeitskonkretisierung. Anders als täterbezogene Strafbarkeitsvoraussetzungen lassen tatbezogene keine unmittelbar gestaltende Einflussnahme auf das Zuordnungssubjekt strafrechtlicher Verantwortung zu, so

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dass insofern auch nicht von strafbarkeitsbegründender Wirkung gesprochen werden kann. 1. Compliance-Vorgaben werden im Rahmen unbestimmter Tatbestandsmerkmale strafbarkeitskonkretisierend wirksam. Bei der Definition unbestimmter Tatbestandsmerkmale können sie über die zu ihrer Auslegung entwickelten Kriterien Einfluss auf die richterliche Entscheidungsfindung nehmen oder schon im Vorfeld bei der Ermittlungsentscheidung der Staatsanwaltschaft Geltung erlangen. Im Rahmen unbestimmter tatbezogener Voraussetzungen wirken sie über die Berücksichtigung der Verkehrsauffassung und der Gesamtumstände sowie das Kriterium der Sozialadäquanz auf die Definition einzelner Tatbestandsmerkmale ein. Zur Veranschaulichung von Strafbarkeitsrisiken wiederholen Compliance-Vorgaben häufig die von der Rechtsprechung entwickelten Indizien und Beweisanzeichen. Dadurch werden diese verfestigt und die Entstehung einheitlicher Leitlinien begünstigt. Die Außerachtlassung einschränkender Auslegungskriterien bei ihrer Wiedergabe in Compliance-Regelungen kann tendenziell zu einer weiteren Tatbestandsauslegung auch in der Rechtsprechungspraxis beitragen. 2. Bei der Bestimmung von Kausalitäts- und Zurechnungszusammenhang nehmen Compliance-Regelungen über die Abbildung des regelmäßigen Geschäftsverlaufs Einfluss auf den Vergleichsmaßstab im Rahmen des Wahrscheinlichkeitskriteriums. Für die objektive Zurechnung dienen sie zudem als Anhaltspunkt für die Beurteilung der Frage, ob der Erfolg auch bei verkehrsgerechtem Verhalten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eingetreten wäre. Daneben bieten Compliance-Regelungen als vorweggenommene Ermessensausübung der Unternehmensleitung einen Orientierungsmaßstab für die Bestimmung des erlaubten Risikos, insbesondere bei Risikogeschäften. Die Formulierung strenger Verhaltensanforderungen in Compliance-Programmen birgt daher auch bei tatbezogenen Strafbarkeitsvoraussetzungen das Potenzial zur Erhöhung von Haftungsrisiken. 3. Für die Frage, ob eine Verhaltensweise vom Einverständnis oder der Einwilligung des Dispositionsbefugten gedeckt ist, treffen Compliance-Regelungen zum Teil explizite Aussagen. Jedoch tendiert die Rechtsprechung dazu, bereits aus der Existenz entsprechender Compliance-Regelungen auf das Fehlen eines konkludent erteilten Einverständnisses bzw. einer hypothetischen Einwilligung in Bezug auf rechtlich fragwürdige Verhaltensweisen zu schließen. III. Auf subjektiver Seite des Tatbestandes hängt die Wirkung von Compliance-Vorgaben ebenfalls davon ab, ob auf täterbezogene oder tatbezogene Strafbarkeitsvoraussetzungen Bezug genommen wird. 1. In Bezug auf täterbezogene Voraussetzungen können Compliance-Regelungen Vorsatz begründen und seine Nachweisbarkeit erleichtern. Vorsatzbegründende Wirkung entfalten Compliance-Vorgaben in erster Linie bei normativen Tatbestandsmerkmalen, indem sie das Wissen für eine Parallelwertung in der

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Laiensphäre vermitteln. Da sowohl Vermögensbetreuungspflicht als auch allgemeine Garantenpflichten stark normativ geprägt sind, zeigt sich die vorsatzbegründende Wirkung von Compliance-Regelungen hier besonders deutlich. Die Aufklärung über Strafbarkeitsrisiken führt zur Einschränkung der Anwendungsfälle eines Tatbestandsirrtums nach § 16 Abs. 1 S. 1 StGB und verweist potenzielle Täter auf die rigidere Regelung des § 17 StGB. Die im Rahmen des Verbotsirrtums entscheidende Frage der Vermeidbarkeit wird durch die Kenntnis von Compliance-Inhalten sowie die Auferlegung von Erkundigungspflichten im Regelfall zu bejahen sein. Im Rahmen des Untreuevorsatzes sprechen ComplianceRegelungen regelmäßig gegen das Vorliegen eines „tatsachenfundierten Erlaubnissatzes“, wie ihn die Rechtsprechung für ein tatbestandsausschließendes Einverständnis fordert. Auch in diesem Zusammenhang wird die Einlassung von seinem Vorliegen ausgegangen zu sein, letztlich nur zur Prüfung eines Verbotsirrtums führen und in den meisten Fällen an der Hürde der Unvermeidbarkeit scheitern. 2. Bei tatbezogenen Strafbarkeitsvoraussetzungen beschränkt sich die Wirkung von Compliance-Regelungen in der Regel auf Nachweiserleichterungen. Vorsatzbegründende Wirkung kommt nur in Betracht, wenn Definitionen von tatbezogenen Strafbarkeitsvoraussetzungen mit der von Lehre und Rechtsprechung vorgenommenen Auslegung im Wesentlichen übereinstimmen. Im Übrigen erleichtern die Offenlegung von Informationskanälen, Informations- und Fortbildungspflichten sowie deren umfassende Dokumentation die Nachweisbarkeit von Tatumstandskenntnis an bestimmten Positionen im Unternehmen. Das Mission Statement in Compliance-Programmen als Ausdruck einer dem gesetzmäßigen Verhalten verpflichteten Unternehmenskultur steht der Einlassung vom Vorliegen einer rechtfertigenden Einwilligung der zuständigen Leitungsorgane in zweifelhafte Verhaltensweisen ausgegangen zu sein, regelmäßig entgegen. IV. Für die Strafzumessung wirken Compliance-Vorgaben auf die Bestimmung des Maßes der Pflichtwidrigkeit als Strafzumessungstatsache ein. Die Bedeutung für tatbezogene Strafzumessungsregeln und Regelbeispiele ist dagegen als eher gering einzustufen. Bewertung und Ausblick Strafbarkeitsrisiken durch Compliance-Regelungen betreffen grundsätzlich alle Hierarchieebenen eines Unternehmens. Positionen mit Aufsichts- und Organisationspflichten kommt haftungserleichternd zugute, dass die Einrichtung von Compliance-Programmen bei effektiver Um- und Durchsetzung jedenfalls eine ordnungsgemäße Erfüllung ihres Pflichtenkreises bedeutet. Von dieser Haftungserleichterung können Mitarbeiter ohne Aufsichts- und Organisationspflichten nicht profitieren. Auf den der Führungsebene nachgeordneten Ebenen zeigt sich das strafbarkeitsverschärfende Potenzial von Compliance-Regelungen in vollem Ausmaß. Andererseits zeichnen sich diese Positionen im Unternehmen von vorn-

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herein durch ein niedrigeres Risikopotenzial aus als die mit Aufsichts- und Organisationspflichten belegten Stellen. Die strafbarkeitskonkretisierende Wirkung wirkt sich ohne Unterschied auf sämtliche Hierarchieebenen tendenziell risikoerhöhend aus. Mit dem durch Compliance-Regelungen erhöhten Strafbarkeitsrisiko geht eine Verbesserung der Kriminalprävention einher. Compliance-Konzepte helfen Neutralisierungstendenzen entgegenzuwirken. Ist nach außen hin nicht klar erkennbar, welche Verantwortung dem Einzelnen zukommt, drohen auch bei diesem selbst die abschreckende Wirkung und präventive Kraft strafgesetzlicher Normen zu schwinden.1254 Compliance-Regelungen stellen die normative Ansprechbarkeit des einzelnen Mitarbeiters in der Gesamtorganisation wieder her. Sie weisen ausdrücklich jedem einzelnen Unternehmensangehörigen Verantwortung zu. Durch die detaillierte Darstellung von Strafbarkeitsrisiken im jeweiligen Arbeitsbereich wird das Gefahrenpotenzial erkennbar und die Erkenntnis, für rechtswidriges Verhalten selbst belangt werden zu können, rückt verstärkt ins Bewusstsein der Normadressaten. Daneben helfen Compliance-Programme Zurechnungsprobleme zu lösen1255 und innerbetriebliche Zusammenhänge transparenter zu machen.1256 Die internen Organisationsstrukturen gerade großer Wirtschaftsunternehmen sind für Außenstehende nur schwer durchschaubar. Komplexe innerbetriebliche Organisationsstrukturen und Arbeitsteilung erschweren den Nachweis individueller Zuständigkeit und damit korrespondierender strafrechtlicher Verantwortung. Einzelne Kompetenzbereiche werden in zunehmendem Maße dezentral organisiert und Pflichten delegiert, so dass die Zuordnung von Fehlverhalten zu bestimmten Personen kaum noch zu bewerkstelligen ist. Eine der Komplexität der Materie angemessene Untersuchung würde personelle Kapazitäten über Monate binden, wenn nicht ohnehin überfordern. Die für ein erfolgreiches Strafverfahren erforderlichen Ergebnisse können daher oft nicht erbracht werden.1257 Compliance-Regelungen tragen dem Rechnung, indem sie Kommunikations- und Informationswege transparent machen und Dokumentationspflichten auferlegen, die es auch Außenstehenden ermöglichen, unternehmensinterne Vorgänge nachzuvollziehen. Hinzu kommt, dass die Unternehmen mit der Einrichtung betriebsinterner Hinweisgebersysteme und Aufklärungseinrichtungen sowie der Durchführung interner Un1254 Sieber bezeichnet unternehmensinterne Neutralisationstechniken zur Erleichterung von Normverletzungen neben einem „Klima der Normerosion“, Druck auf die Mitarbeiter zur Findung „innovativer Lösungen“ und Gelegenheiten zur Deliktsbegehung als eine der Hauptursachen für die Begünstigung von Normverstößen: Sieber, in: FS Tiedemann, 2008, S. 449 ff. (474). 1255 Vgl. dazu auch Wessing, in: FS Volk, 2009, S. 867 ff. (869). 1256 Vgl. dazu auch Wessing, in: FS Volk, 2009, S. 867 ff. (869). 1257 So Manfred Nötzel, Leitender Oberstaatsanwalt der Staatsanwaltschaft München I, in: FAZ v. 28.3.2012, S. 19.

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tersuchungen selbst Vorfeldmaßnahmen der Aufklärungsarbeit übernehmen. Dies hilft Strafverfolgungsbehörden, Gerichte und nicht zuletzt auch den Staatshaushalt zu entlasten, zumal die Vorarbeit durch die Unternehmen selbst oft sehr viel effektiver wahrgenommen werden kann. Selbst wenn die Einrichtung und Unterhaltung von Compliance-Konzepten für die Unternehmen einen erheblichen Kostenaufwand bedeutet, spricht dies nicht gegen die Vorzüge einer compliance-gestützten Präventionsstrategie. Denn letztlich tragen damit diejenigen die Kosten, die aufgrund ihrer komplizierten Organisationsstrukturen für den Kostenmehraufwand bei der Durchführung großer Wirtschaftsstrafverfahren auch verantwortlich sind. Compliance-Regelungen helfen damit dem Strafrecht in einem Bereich zur Geltung, der aufgrund spezifischer Organisationsstrukturen vielen schon als verloren galt.1258 Compliance-Programmen sollte daher im Strafrecht größere Bedeutung als bisher zugestanden werden. Für die Bestimmung von Sorgfaltspflichten sollte ihnen eine den Sondernormen vergleichbare Indizwirkung zugebilligt werden. Das Bewusstsein um eine solche Wirkung würde den Compliance-Verantwortlichen die Folgen allzu strenger Verhaltensvorgaben vor Augen führen und so der Gefahr überzogener Sorgfaltsanforderungen im Fahrlässigkeitsbereich entgegenwirken. Im Rahmen der Untreuehaftung sollte die Einhaltung oder Verletzung von Compliance-Vorgaben zumindest für Fälle des sanktionsauslösenden Mitarbeiterverhaltens indizielle Wirkung für das Vorliegen einer Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht zukommen. Dies würde den Treubruchstatbestand berechenbarer machen und dem Bestimmtheitsgrundsatz die ihm zustehende Bedeutung verschaffen. Die Anerkennung einer Indizwirkung von Compliance-Regelungen in den genannten Bereichen würde zusammen mit dem in dieser Arbeit aufgezeigten Gefährdungspotenzial durch Individualisierung und Zuweisung strafrechtlicher Verantwortung, der Standardisierung von Wissen und Unrechtsbewusstsein sowie der verschärfenden Konkretisierung tatbezogener Strafbarkeitsvoraussetzungen, zu einer sachgerechten und maßvollen Compliance-Kultur beitragen. Unter Beachtung dieser Erkenntnisse versprechen Compliance-Regelungen Kriminalprävention und Haftungsrisiken im wirtschaftsstrafrechtlichen Bereich in gerechten Ausgleich zu bringen.

1258 Zur allg. Compliance-Entwicklung im Wirtschaftsstrafrecht, vgl. auch: Sieber, der die Einbindung der Unternehmen in Form der „regulierten Selbstregulierung“ oder des „rule at a distance“ als effektive Möglichkeit zur Rückgewinnung staatlicher Teilkontrolle betrachtet; Sieber, in: FS Tiedemann, 2008, S. 449 ff. (476).

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Sachwortverzeichnis Absprache 89, 180 f., 253 ff., 264 Adäquanztheorie 251 Äquivalenztheorie 250 f., 265 Aufsichtspflichtverletzung 28, 95, 210, 265, 267 Aufsichtsrat 30, 125, 159 Berliner Stadtreinigungsbetriebe Fall 121, 127, 166, 230 Bestimmtheitsgrundsatz 126, 138, 190, 212, 223, 236, 277, 281 Betriebsgeheimnis 269 Betrug 111, 117, 141, 170, 232, 272 – Eingehungsbetrug 254 f. – Submissionsbetrug 253 f. Beweisanzeichen 196, 248, 252, 255, 264, 272, 278 Compliance-Officer 17, 20, 26, 29, 85, 122 ff., 132, 134 ff., 152 f., 159, 162, 166, 174 ff., 183, 223, 229, 231, 261 f., 270 – Garantenstellung 139 ff. – Vermögensbetreuungspflicht 127 ff. Datenschutz 217, 261 f. DCGK 30, 102, 181, 208 f. Deutscher Corporate Governance Kodex s. DCGK Einverständnis 29, 38, 73, 88, 249, 251 f., 268 ff., 278 f. – Untreue 234, 237 f., 245 Einwilligung 29, 38, 73, 249, 251 f., 268 ff., 272 f., 278 f. – Untreue 32, 211

Fahrlässigkeit 28, 30 f., 73, 84, 90 f., 97, 112, 116, 125, 141, 143, 188 ff., 203 ff., 217 ff., 239, 245 f., 267, 277, 281 – Übernahmefahrlässigkeit 223 Garantenstellung 25, 28, 63, 82, 89, 91 ff., 126 f., 129, 132 – echte Unterlassungsdelikte 93 – unechte Unterlassungsdelikte 93, 139 ff. Gatekeeper 133 f. Geldwäsche 141, 186, 264 Geschäftsführer 75, 164 f., 167, 172, 178 ff., 209, 215 Gremienentscheidung 251, 266 Hinweisgebersysteme 23, 186 ff., 221, 232, 276, 280 IDW PS 980 106 ff., 124, 203 Indizwirkung 79, 107, 109, 196 ff., 201 ff., 209, 212, 214 f., 248, 273, 277, 281 Insiderhandel 262 f. Integritätsklauseln 167 ff., 184, 210 Kanther/Weyrauch Fall 122, 235 Konzern 20, 24, 169, 177 ff., 182 f., 185, 188, 200, 204, 216, 232, 236, 240, 259 f., 276 Korruptionsdelikte 141, 161, 232, 255 ff. Kriminalprävention 17, 38, 82 f., 85, 249, 280 f. Leitungspersonen 32, 36, 162 ff., 172, 175, 178, 180 ff., 212, 221, 267 – Garantenstellung 153 ff.

Sachwortverzeichnis Mannesmann/Vodafone Fall 234 ff. Modell abgestufter Abstrahierungsgrade 59 Parteispenden 120 ff. Parteispendenaffäre 113, 118 f., 135, 138, 213 Patentverletzung 89 Schwarze Kassen 29, 126 Siemens/AUB Fall 136 ff. Siemens/Power Generation Fall 29, 270 Sondernormen 84 f., 190, 193 ff., 199 ff., 207, 209, 222, 277, 281 Sorgfaltspflichtverletzung 35 f., 72 f., 84, 97, 125, 189, 197 f., 203, 217, 220 Strafbarkeitsvoraussetzungen – tatbezogen 87, 72 ff., 271 ff. – täterbezogen 70 ff., 88, 92 ff., 224 ff. Strafzumessung 28, 32, 41 f., 57 f., 208, 223, 241, 244 ff., 249, 273 f., 279 Täterschaftliche Pflichtenlage 65, 67, 71, 96 f., 249

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Umweltdelikte 141, 143 Unrechtsvereinbarung 32, 257 ff., 264 Untreue 25, 28 ff., 55, 77 ff., 82, 89 f., 92, 98 ff. – Vermögensbetreuungspflicht 25, 28 f., 51, 82, 89 f., 92, 98 ff., 124 ff., 134 ff., 207 ff., 233 ff. – Vorsatz 122 ff. Verbotsirrtum 28, 31, 91, 228, 236 ff., 239, 244 f., 272 f., 279 Vertreterhaftung 44, 61, 63, 65, 67 f., 70, 75 ff., 80 f., 90, 92 Volkert/Gebauer Fall 235, 237 Vorsatz 72 ff., 91, 111, 120, 141, 198, 217, 224 ff., 231, 233 ff., 244 f., 264, 268, 271 ff. – Gehilfenvorsatz 188, 230, 234 Vorstand 125, 137, 164 ff., 172, 174, 176 ff., 186, 209, 275 f. – Bereichsvorstand 131, 270 Whistleblowingsysteme s. Hinweisgebersysteme Wirtschaftsprüfer 106, 133